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AT
ZEITSCHRIFT
fOb das
GYMNASIALWESEN
97437
HEBAUSGEGEBEN
VON
H. J. MÜLLER,
XLVIII. JAHRGANG.
DEB KST7£lf 7 OLGE ACHTÜ» D Z W ANZI 68T E R JAU R G AN G.
BERLIN.
WEIÜMANNSCHE BUCHHANDLUNG.
1894.
INHALT DES XLVm. JAHRGANGES,
DES AGHTUN DZ WANZIGSTEN BANDES DER NEUEN FOLGE.
ERSTE ABTEILUNG.
ABHANDLUNGEN.
Seite
T. .^drltn. Die Gliederung des geometrischeo Uaterrichts Dach Lehr-
sUfen 289
A. Bibnisch, Der gegenwärtige Stand der Schalbibelfrage (die Völker-
sehe, die Glaroer ond die Bremer Scholbibel) 455
M. Banner, Zur neuesten Methode des Unterrichts im Französischen 353
P. Caaer, Ein deutsches Lesebuch fdr Prima 442
iL Dnden, Wozu lehren wir die neue Orthographie? 559
H. Genz, Die Einheit des altklassischen Unterrichts anf der Oberstufe
des Gymnasiums 1
S. Gorge, Bemerkungen zu den Kiepertschen Atlanten der alten Welt 249
G. V. Kobilinski, Die neuen Grundsätze der lateinischen Schul-
grammatik , 545
J. La tt mann, Was ist der Einheitsschule entgegenzusetzen? ... 65
P. Salkowski, Der Apostel Paulus in seinem Gegensätze zu griechi-
scher Sittlichkeit und Weisheit, ein Beitrag zur vergleichenden
Befaandlang des Altertums und des Christentums in der Gym-
aasialprima 673
R. Schiel, Der Physikunterricht nach den neuen Lehrplänen . . . 241
W. Sehoppe, Erfolg und Mifserfolg 91
M. Stier, iVoeh einmal der neue Lehrplaa für den evangelischen Reli-
gio Dsnoterricht 417
R. Thiele y Xor Methodik des Geschichtsunterrichts in den unteren
aad mittlereo Klassen höherer Lehranstalten 609
J Wald eck. Das induktive Verfahren und die Schulgrammatik . . 737
IV
ZWEITE ABTEILUNG.
LITTERARISCHii: BERICHTE.
Seite
— , Lehrgang der fraozösischeo Sprache für die ersteo Aofangsgrüade
des Unterrichts, 2. Auflage, angez. von M. Banner 32
j4ly, F,, Horaz, sein Leben und seine Werke, angez. von Th. Becker 161
Andree^ Allgemeiner Handatlas, 3. Auflage, angez. von A. Kirch hoff 209
Bachofy E.f Xeoophons Anabasis für den Schulgebrauch herausgegeben
(Teztausgabe), 2. Auflage, angez. von W. Gemoll 29
ßaldamtu, ^., Putzgers Historischer Atlas, neubearbeitet, 19. Auflage,
angez. von A. Kirchhoff 286
BMi, A.^ s. A. Brunn er.
Bannety M., Französisches Lese- und Übungsbuch, 2. Kursus, angez.
von K.Brandt 17S
Baumann, /., Volksschulen, höhere Schulen und Universitäten, angez.
von H. Schiller 122
Bechsteiny R., Ausgewählte Gedichte Walthers von der Vogel weide,
Tür den Schulgebrauch herausgegeben, 2. Auflage, angez. von
F. Kuntze 377
Beloch^ J.y Griechische Geschichte, 1. Band, angez. von M. Hoffmann 278
Bernecker s. Zweck.
Beyer, C, Kleine Poetik, angez. von U. Zernial 143
Bezzenberger, ^., s. A. Fick.
Biedermann, G., Lateinisches Übungsbuch für die zweite Klasse des
Gymnasiums, 4. Auflage, aogez. von F. Fügner 149
Biese, A,, Die Philosophie des Metaphorischen in Grundlinien darge-
stellt, angez. von L. Spreer 304
Birthy Th.y Eine römische Litteraturgeschichte gesprochen in fünf
Stunden, angez. von 0. Weil'senfels 575
Blafs^ F., 8. R. Kühner.
BoetticheTy G., Parzival von Wolfram von Eschenbach, angez. von
C. Rothe 140
Böhme, ui.y Rechenbücher, Neubearbeitung; Rechenbuch für höhere
Lehranstalten und Lehrer-Seminare bearbeitet von K. Schäfler,
6. Heft der Aufgaben und Übungsbücher, angez. von A. Kall ins 52
Boiisier, Cic^ron dans la vie publique et privee, Schulausgabe, angez.
von F. Aly 271
Bömer, H., Leitfaden der Ezperimental-Physik für sechsklassige höhere
Lehranstalten, angez. von E. Hutt 287
Breslich, Jf. und 0. Koepert, Bilder aus dem Tier- und Pflanzenreiche,
2. Heft, angez. von M. Paeprer 225
BreÜsehneider, H., Hülfsbuch für den Unterricht in der Geschichte für
die oberen Klassen höherer Lehranstalten, angez. von M. Hoff-
mano 43
Brockfnamiy F. /., Lehrbuch der elementaren Geometrie, 2. Teil : Die
Stereometrie, 2. Auflage, angez. von A.Emmerich 218
Brugmann, K , Grundrifs der vergleichenden Grammatik der indoger-
manischen Sprachen, angez. von H. Ziemer 145
Brüll, /., 8. A. Goebel.
V
Seite
Bruamr, j4.^ SanmliiDg deutscher DichtoD^eo ood Prosawerke, fdr deo
Schali^ebraueh herausgegebeo, 1. Band: Ausg^ewahlte Abhaudluogeo
nad Redeo, erklärt voo A. Baldi; 2. Baod: Goethes Hermano
ood Dorothea, erklärt voa J. B. Kralliog^er, an§;ez. voo
F. KuDtze 755
BHUner-WobU, TK, s. H. Uhle.
Dmniei, M. A,^ Deotschland aaeh seioen physiseheo nad politischen Ver-
hältaisseo, neubearbeitet voa B. Volz, 1. Baod: Physische Geo-
incaphie. 6. Aoflage, aog^ez. von E. OehloiaBB 7t7
BeBbrück, B.y Vergleicheode Syntax der iodogermaDischeo Sprachen I,
aogez. voo H. Ziemer 311
D^iwmSer^ P., Cieeroais epistulae selectae, fdr deo Schnigebraaeh er-
klärt, angez. voo H.Schiller 385
üadstkbein, Irviag-Macaalay-Lesebnch mit zwei Vorstnfeo, aogez. voo
J. Jelinek 273
Deutsche LandeM- und Provinzialge$ehichte, Haadbuch fdr die Heimat-
koade im Geschichtsaoterricht, aogez. voo R. Breodel . . . 408
Deutsche Weäkarte zor Übersicht der Meerestiefeo, Höheoschichteo
o. s. w., aogez. voa A. Kirchhoff 351
Z>i(Blhir<Drji, /., s. H. Heilermao o.
Doeöert, M., Moonmeota Germaoiae selecta, 5. Bäodcheo, aogez. voo
Th. Sorgenfrey 406
DoeUehj P,, Cornelias Nepos, Aoswahl aus den Lebeosbeschreibangeo,
für deo Schnlgebranch bearbeitet, angez. voo E. Heuer . . . 159
DoTtnweHi K., Präparatiooen zur methodischen Behaodluog deutscher
Mosterstücke, 1. Teil, aogez. voo H. Wiother 595
Dreher^ Th., Bleioe Grammatik der bebräiseheo Sprache mit Obuogs-
ood Lesestöckeo, aagez. voo P. Dörwald 642
EbeUng, M., Leitfaden der Chemie fiir Realschuleo, aogez. voo F. Trau-
Boller 56
EhreUmann nad Schmitt, Übnogsbuch für den französischen Anfangs-
Unterricht, 1. Teil, 3. Auflage voo E. Schmitt, aogez. voo
P. Schwieger 638
EUner, E., nnd A, PJeiJfcT, Obnogsbnch für das zweite Jahr des
Lateioonterrichts samt Grammatik und Wörterbuch, aogez. von
W. Grossmann 623
Eugeihardtj M., Die Stanimzeiten der lateinischen Koojngatioo wisseo-
sehaftlich ood pädagogisch geordoet, aogez. voo F. Fügner 145
Evcrs, M., Die Gleichnisse Jesu, 2. Hälfte, angez. von J. Heidemann 16
Fefsbaender^ F., Kleine lateinische Sprachlehre für Realgymnasien, Pro-
gymnasien und ähnliche Anstalten, angez. von R. Schenk . . 378
Fethner, H., Grundrifs der Weltgeschichte fUr die oberen Klassen
preofsischer höherer Lehranstalten, angez. von M. Hoffmann . 39
Fechtj K., Griechisches (jbnngsbuch für Untertertia, 3. Auflage, aogez.
von P. Weifsenfels 690
Fick, j4.. Vergleichendes Wörterbuch der indogermanischen Sprachen,
4. Auflage, H : ^. Stokes, Wortschatz der keltischeo Sprach-
eiofaeit, abersetzt uad überarbeitet von A. Bezzenber^er, aogez.
voo H. Ziemer 317
VI
Saite
Fischer A'., Groodzüge einer Sozialpädagogik uod Sozialpolitik, aogez.
voD L. Schädel 617
Fischer f JH., 8. Mach.
Freytoffs Schalaasgaben klassischer Werke für deo deatflcheo Unterricht,
angez. von L. Zürn 263
Frick, G., S. 0. Frick.
Frickj 0,f Pädagogische und didaktische Abhandlungen, heransgegeben
von G. Frick, augez. von F. Zange 126
Frickf 0., Scholreden, herausgegeben von G. Frick, angez. von F. Zange 126
Friedersdorffy F., Lateinische Scholgramniatik, aogez. von G. v. Kobi-
linski 151
Friedländer, K., und F, Zscheeh^ Grundrifs der Weltgeschichte, für den
Unterricht in deo Oberklassen höherer Schulen bearbeitet, angez.
von Th. Sorgenfrey 292
Fiigner, F.* Des Cornelius Nepos Lebeosbeschreibungen in Auswahl
bearbeitet und vermehrt durch eine Vita Alezandri Magni, angez.
von J. Weisweiler 157
Geistbeck, j4., Eine Gasse fdr die Anschauung im Geographie-Unterricht
angez. von E. Oehlmann 647
Goebel, A., und /. BrüU, Bibliothek gediegener und interessanter fran-
zösischer Werke, Band 19, 57, 58, angez. von K. Brandt . . 181
Grosse, Lateinische Formenlehre für den Anfangsunterricht, angez. von
H. Schenk 24
Grosse^ B., s. P. D. Chr. Hennings.
Gruber, H., Repetitorium der evangelischen Religiooslehre fdr obere
uod mittlere Klassen I, angez. von J. Heidemann 309
Günther, s. H. Schmidt.
Gurckef G,, Englisches Blementar-Lesebnch, neubearbeitet von Chr. Linde-
mann, 21. Auflage, aogez. von E. Goerlich 38
Hähnelj G., s. H. Jänicke.
Handel, Elementar-synthetische Kegelscbnittslehre, angez. von M. Simon 221
Harbrodt, F., s. Mach.
Härder, F., Ovids Metamorphosen in Auswahl Pur den Schulgebrauch
herausgegeben, angez. von M. Koch 319
Hartfelder, Melanchthoniana paedagogica, angez. von W. Sehr ad er . 109
Hausrath, A., Martin Luthers Romfahrt, nach einem gleichzeitigen
Pilgerbuche erläutert, angez. von Chr. Muff 371
Hehn, V., Über Goethes Hermann und Dorothea, aus dessen Nachlafs
herausgegeben von A. Leitzmaon und Th. Schiemanu, aogez. von
H. F. Müller 754
HeiArich, H., Hilfsbuch für den Religionsunterricht in den oberen Klassen,
aogez. von J. Heidemann 137
Heilermann, Fi., uod /. Diekmann, Lehr- und Übungsbuch für den Unter-
richt in der Algebra an den höheren Schulen, 1. Teil, 6. Auflage,
2. Teil, 4. Auflage, aogez. von A. Emmerich 652
Hellwig, P., P. Hirt, i\ Zernial, Deutsches Lesebuch für höhere
Schulen, aogez. von H. Schiller 19. 310. 621
Hengesbach, /., Auswahl aus Byron : Childe Harold, Prisoner of Chillon,
Mazeppa, für den Scholgebrauch herausgegeben, angez. von
E. Goerlich 37
VII
Seite
Hemingty P. D. CAr., LateiDisches Elemeotarbucli, 3. AbteiloDg: Lehr-
stoff for Quarta, 6. Aofljge von B. Grosse, aogez. vonP. Doetsch 21
Henogj S.y Lateinisches Oboo^sbach für die erste Lateioklasse, aogez.
von H. GrossmaoD 622
Herzoge 5., und Chr. Sc/mmzeTf Lateiaisehes Obno^sbach fiir die zweite
Lateinklaase, aogez. vod H. Grossmaon 622
BeutDeSf /., H. ▼. Kleist, Prinz Friedrich von Hombarfp, für deo Scbol-
gebranch erläutert, an^ez. voo H. Neober 264
Jfey, O., s. H. Rif^gaoer.
Hirt, P.^ s. P. Hellwig.
BirsMj Zeitfragen ans dem Gebiete des wörttembergischeD Gymoasial-
weseaa I, aogez. von Cbr. Muff 370
Hoffmtmnj F., Deutsches Lesebuch für höhere LehranstalteD, augez. voo
H. Schiller 260
HoßeTj ^., nad E, Maiu, ^atnrlehre für die unteren Klassen der Mlttel-
schnlea, aogez. von R. Schiel 415
UoUsnuniny H. /., u. s. w., Haad-Kommentar zum Neuen Testament 1,
H 2, III 1, IV in 2. Auflage, angez. von A. J o o a s 308
U&sA, Geographische Charakterbilder, angez. von A. Kirchhoff . . 208
Holsmiillery G.y Methodisches Lehrbuch der Elementar- Mathematik,
2 Teile, angez. von R. Schwering 723
ffolsiteifsiff, F.f Obongsboch Tür den Unterricht im Lateinischen,
Kursus der Ober-Tertia, aogez. von 0. Josupeit 585
ffclzweifs^, F,, Griechische Schnigramraatik in kurzer Fassung auf
Grund der Ergebnisse der vergleichenden Sprachforschung zum
Gebrauch für Schulen, angez. von P. Weifsenfeis . . . . 321
H^ppe^ E.f Lehrbuch der Physik für höhere Lehranstalten, angez. von
A. Leiber 728
üfiarv, E.J Die Disputationen und Promotionen an den deutschen Uni-
versitäten, angez. von H.Schmitt 118
Hup/Mj F., Die apostolische Urgemeinde nach der Apostelgeschichte
and anderen zeitgeschichtlichen Quellen, angez. von J. Heide-
maan 683
Jig^er, 0.f Pro domo. Reden und Aufsätze, angez. von H. F. Müller . 246
Jiffer, 0.f Weltgeschichte in vier Bänden, 2. Auflage, Band 1 und 2,
angez. von M. Hoffmann 275
Jägtr^ O.f und F. Moldenhauery Auswahl wichtiger Aktenstücke zur
Geschichte des 19. Jarbhuaderts, an^ez. von M. Hoff mann . . 401
Jamieke, J7., und G. Hähndy Hüjfsbuch Tür die GeschichtserzähluDgeo
ia Sexta und Quinta, angez. von M. Friebe 190
Jrlinekf L.f Logarithmische Tafeln und Anleitung zum Gebrauch, aogez.
von W. Erler 655
Raegiy j4.y Griechisches Übungsbuch, 1. Teil, 2. Auflage, angez. von
W. Gemoll 624
KakmSf H,, Bibelknode für höhere Schulen, angez. von H. Hinge . . 372
rax Kampe/iy A.^ Justus Perthes' Atlas aatiquns, angez. von A. Kirch-
hoff 47
Eemy E.y Grundrifs der Pädagogik, 5. Auflage von 0. Willmann, angez.
C. Kruse 566
Vllf
8eit6
Kirchhoff, 4 , Die Schutzgebiete des Deutscheo Reiches zoin Gebraoch
beim Schalonterricbt, aogez. von £. Oehlmann 48
Kirchhoff^ A, Erdkoode für Schalen, 2 Teile, angez. von H. Heck er 516
Kirchner, F., Die deutsche Nationallitteratur des neunzehnten Jahr-
hunderts, angez. von G. Boetticher 138
Knaake, E , s. K. Lohmeyer.
Roch, J., Kleineres englisches Lesebuch, 2. Auflage, angez. von G.
Goerlich 331
Koch, J., Die wichtigsteo syntaktischen Regeln der englischen Sprache
nebst Übungsstücken, angez. von B. Goerlich 331
Koch, K., Die Entwickelung der Jugendspiele in Deutschland, angez. von
O.Kohl 531
Kohl, 0., Griechisches Lese- und (jbangsbucb vor und neben Xenopbons
Anabasis, 1. Teil, 2. Auflage, angez. von G. Sachse . . . . 594
Koldewey, F., Braunschweigische Schulordnungen, 2. Band, angez. von
W. Schrader 109
Köhler, y4., s. H. Lieber.
KoUm, G., Verbandlungen des 10. Geographen tages zu Stuttgart, angez.
von E. Oehlmann 649
Kopp, W., Geschichte der griechischen Litteratur, 5. Auflage von
G.H.Müller, angez. von 0. W eifsenfels 175
Kopp, W., Griechische Staatsaltertümer, 2. Auflage von V. Thumser,
angez. 0. W eifsenfels 175
Korbgmoeit, Physikalische Schulwandkarte von Afrika, angez. von A.
Kirchhoff 722
Kraüinger, J. B,, s. A. Brnnner.
Krause, H,, Mineralogie für Gymnasien, angez. von F. Tranmüller. 55
Kriiger, C. A,, Geschichte der Griechen und Römer mit Berücksichtigung
der morgenländischen Völker, angez. von F. Ohiy 698
Krüger, C, A., Geschichte Deutschlands von der alteren Zeit bis zur
Gegenwart, angez. von F. Ohly 698
Kubier, 0,, Lateinisches Pensum für die unterste Gymnasialklasse,
2. Auflage, angez. von R. Büttner 266
Kühner, R., Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache, I.Teil:
Elementar- und Formenlehre, 3. Auflage in zwei Bänden von
F. Blafs, 2. Band, angez. von 0. W eifsenfels 173
Kunze, K,, Kalender für das höhere Schulwesen Preufsens, Schuljahr
1894/95, angez. von S.Adler 305
Kurlz, A, H., Hülfsbuch für den evangelischen Religionsunterricht in
den unteren Klassen höherer Schulen, angez. von L. Spreer 618
Lamprecht, K,, Deutsche Geschichte, 5. Band 1. Hälfte, angez. von
K.Fischer 695
Lange, E., Thukydides und sein Geschichtswerk, angez. von Th. Becker 164
Lange, J., Synthetische Geometrie der Kegelschnitte, angez. von
M.Simon 221
Langenbeck, R., Leitfaden der Geographie für höhere Lehranstalten,
1. Teil: LehrstoO^ der unteren Klassen, angez. von E. Oehl-
mann 349
Lattmann, H., s. J. Lattmann.
IX
Seite
Lattmamt, J.^ Ober den griechischen Uoterricht oach deo methodischeo
Gnindaülien der Lebrpläoe von 1892, angez. voo P. WeifseDfels 503
Lattmomi, J.y und ff. D. Müller^ Grammatisches Höifs- and Obaogsbach
für deo grteehischen Uoterricht in (Jotersekanda, angez. vod
P. WeifseDfels 503
Uäimann^ X, and H. D. MäÜtr^ Griechische Grammatik für Gymnasieo,
I.Teil: Formenlehre, 5. Auflage von H. Lattmann, angez. von
P. Weifsenfcls 587
Leimbaeh, IT. L., Leitfaden für den evangelischen Religionsunterrirht
in den höheren Lehranstalten, 2. Aoflage, angez. von J. Heide-
nano 258
Leimbaeh, K. L., In der Abschiedsstunde, Mahnworte an deutsche
Jäoglinge in 25 Entlassongsreden dargeboten, 2. Auflage, angez.
von O.Alten barg 564
Leitsäs, J., Paris et ses environs, für den Scholgebrauch herausge-
geben, angez. von G. Huth 399
Leilimami, ^., s. V. Heho.
Lieber, ff., nnd F. v. Lühmann, Anfangsgründe der Trigonometrie,
Pensam der Untersekunda, angez. von 0. Meyer 652
Lieber, B,, and j4, Köhler, Arithmetische Aufgaben, angez. von 0. M ey er 727
Lindemann, Chr., s. G. Garcke.
Liom, C. Th,, Porchat, Trois mois sous la neige, Journal d'on jeune
habitant da Jora, für den Schulgebraach herausgegeben, 9. Auf-
lage, angez. von W. Porcke 187
Lkm, C. Th., Pressens^, La maison blanche, Tdr den Schulgebraach
beraasgegeben, 2. Auflage, angez. von W. Forcke 187
Lukmeiifer, /., Wandbilder für den geschichtlichen Uoterricht, 3. Serie,
angez. von M. Hoff mann 402
Lnkmeyer, K., und A^ Thomas, Hülfsbücher fdr den Unterricht in der
Geschichte, 2. Auflage von E. Koaake und K. Lohmeyer, angez.
von M. Hoffmann 404
iMbarseA, O., Methodisches Lehrbuch für den chemisch-mineralogischen
Uoterricht, angez. von F. Traumüller 54
Laddeeke, G,, Der Beobachtuogsunterricht in Naturwissenschaft, Erd-
kuade und Zeichnen an höheren Lehranstalten, angez. von
Chr. Muff 306
Lttdwiff^ A.y s. A. Oppel.
r. Lühmwin^ F., s. H. Lieber.
Lummer, 0., s. MöUer-Pooillet
Hack, Groudrifs der Physik, für die höheren Schulen des üeutschen
Reiches bearbeitet von F. Harbrodt und M. Fischer, 1. Teil:
Vorbereitender Lehrgang, Ausgabe für das Gymnasium, angez.
von R. Schiel 53
Mmss, E., s. A. Höfler.
Martvt, B., s. W. Wackeroagel.
iiaritti, A, Leitfaden für den Unterricht in der Haumlehre, angez. voo
W. Erler 413
Matsatf H,j Erdkunde, 3. Auflage, angez. von E. Oehlmano. . . . 48
Meusd, ff.j Lezieon Gaesarianom, angez. von H. Nitsche . . . . 758
X
Seite
Metuel, H., C. Inlii Caesaris Belli GalHci libri VII A. Hirtii liber VIII, r«-
ceosuit et apparatn critico iDstroxit H. M., aopez. von H. Nitsche 758
Meusel, U., C. lalii Caesaris Belli Gallici libri Vll A. Hirtii Über VIII,
für den Schalgebrauch herausgebe ben, mit eioem Aobaog: Das
römische Kriegswesen za Gäsars Zeit von R. Schneider, angez.
von H. Nitsche 758
Milier, M.f Schillers Wallenstein fiir den Schulgebranch heransgegeben,
angez. von A. Jonas 310
MotdenhaueTj F., s. 0. Jäger.
Müller- Pouillet, Lehrbnch der Physik nnd Meteorologie, 9. Aollage von
L. Pfaundler unter Mitwirkung von 0. Lummer, angez. von
R. Schiel 653
Müller, /4*f Griechische Schalgrammatik auf Grund von H. L. Ahrens'
Griechischer Formenlehre bearbeitet, angez. von P. Wei fs e n f e 1 s 625
Müller, A., Grichisches Lese- und Übungsbuch für Untertertia im Ao-
schlttfs an des Verfassers Griechische Schulgrammatik, angez.
von P. Weifsenfels 625
Müller, F., Thokydides, Die Geschichte des Peloponnesischeo Krieges,
für den Schulgebranch herausg'egeben, aogez. von H. Bubendey 686
Müller, G, H., s. W. Kopp.
Müller, H., Die Elementar-Planimetrie, angez. von Emmerich . . . 49
Müller. H. D., s. J. Lattmann.
Müller, y.. Lateinisches Lese- nnd Lbungsbuch für Quarta, angez. von
H. Grossmaon 586
Müller, y.. Alphabetisch geordnetes VVörterverzeichnis zu dem Latei-
nischen Lese- und Obungsbuch Tur Quarta, angez. von H. Gross-
mann 586
Muiik, H., Stoff und Mittel des Unterrichts in den klassischen Sprachen,
angez. von Chr. Muff . . 265
Naumann, E., Homers Odyssee, zum Schulgebrauch bearbeitet nnd
erlänert, angez. von A. Schimberg 788
Olbrichl, R., Die wichtigsten Reehenregeln nebst Musterbeispielen,
angez. von A. Kall ins 51
Oppel, A., und A. Ludwig, Bilderschatz zur Länder- nnd Völkerkunde,
angez. von E. Oehlmanu 646
Penck, A., Bericht der Central-Kommission für wissenschaftliche Landes-
kunde von Deutschland über die zwei Geschäftsjahre von Ostern
1891 bis Ostern 1893, angez. von £. Oehlmanu 721
Pfaundler, L., s. Müller-Pouillet.
Pffeijer, A., s. E. Elsoer.
Procksck, A., s. K. Uhle.
Püning, H., Grandzüge der Physik, mit eioem Anhange: Chemie und
Mineralogie, aogez. von R. Schiel 53
Regener, F,, Gruodzüge einer allgemeinen Methodenlehre des Unterrichts,
angezeigt von H. Schiller 371
Rethwüch, C, Deutschlands höheres Schulwesen im 19. Jahrhundert,
angez. von H. Schiller 11
Reutn, A., Französisches Obungsbuch für die Unterstufe, angez. von
A. Kesseler 597
XI
Seite
Atdiceit, /^., Neues KlemeuUrbocb der fraozösiselieo Sprache, aogez.
von K. Rohr 387
fficfcen, IF^., Grammatik der fraozösiseheD Sprache für deoUche Schalen,
tB^ex. von A. Rohr 391
Rkken, W.y La France, le pays et son people, Tdr den Scholgebraach
heraosgegebeo, aogez. von A. Rohr 395
Bidkn, ^., Le tour de la France en cinq mois, angez. von A. Rohr 399
RiedeTj A^ Vorlagen zq lateinischen Retrovertierübongen, angez. von
E. Kräh 384
BiemmijE.F., Les HohenzoUern et TAllemagne, angez. von W. Mangold 189
Riggaumr, H., and 0, Hey, Eine Sammloog antiker Münzen and Medaillen
in Ropieen aas unedlem Metall, angez. von 0. Kohl . . . . 637
Rokrbaeh, C, Vierstellige logarithmisch-trigonometrische Tafeln, angez.
von P. Lindner 352
Rothfuehs, Beitrage zur Methodik des altsprachlichen Unterrichts, ins-
beaondere des lateinischen, 3. Auflage, angez. von Chr. Maff . 147
Rudolph^ £., Heimatkunde des Reichslandes £ Isafs -Lothringen, angez.
von E. Napp 210
Airnse, (?., Unsterblichkeit and Aaferstehang, angez. von E. Koedderitz 620
Seitler, j4., Leitfaden der Physik und Chemie mit Berücksichtigang der
Mineralogie, 13. Auflage, angez. von R. Schiel 556
SekaffeTj H., s. A. Böhme.
Sckeühom, 0., Das Wichtigste aas der französischen Grammatik, angez.
von A. Hesse 1er 600
S^tnkly K.y Übungsbuch zum Übersetzen aus dem Deotschen ins
Griechische, 8. Auflage, angez. von P. W eifsenfels . . . . 30
Sekiemmm^ Th., s. V. Hehn.
SduÜmann^ P.y Kleiner historischer Schulatlas in Karten und Skizzen
nach den Angaben des Dr. R. Schulmann gezeichnet, angez.
von A. Kirchhoff 412
Sekälmaim, R,; s. P. Schillmann.
Sdtmtidt, H., und ff^. fFentck, Elementarboch der griechischen Sprache,
10. Auflage von Günther, angez. von G. Sachse 511
SekmiAy L,y Maemosyne, eine psychologische Dichtung über die Ge-
dichtniskraft, angez. von J. Schmidt 303
Sckmiit, J?., 8. Ehretsmann.
SeAneü/er, C, Hellenische Welt- und Lebensaoschaaangen in ihrer Be-
deutung für den gymnasialen Unterricht, angez. von Th. Becker
und Chr. Muff 162. 217
Sthmeider, R., s. H. Meusel.
SckohyA., Lehrbuch der Geographie und Mitteilungen über den Welt-
handel für Handels- und Gewerbeschulen, 5. Auflage, angez. von
E. Oehlmann 720
Schotten, ZT., Inhalt und Methode des planimetrischen Unterrichts,
2 Bande, an^ez. von M. Simon 529
Stkroder^ jy,, Geschichte der FriedrichsrUniversität zu Halle, angez.
von H. F. MLuller 12
Schreyer, H., Dtts Fortleben homerischer Gestalten in Goethes Dichtung,
Mogez. von Th. Becker 19
XII
Seite
Sehulse^ £., Das römische Poram als Mitlelpunkt des öffeatlicheo Lebeos,
angez. von F. Friedersdorff 49]
Schulze, 0.^ Celebrated Meo of Eoglaod and ScotlaDd, für den Schal-
gebrauch heraasgegebeo, vou EGoerlich 36
SchultSf F,, Kleine lateinische Sprachlehre, 22. Auflage von M. Wetzel,
angez. von H. Gross mann 685
Schwahn^ fF., Hülfsboch für deu Geschichtsaoterricht aof der Mittel-
stafe höherer Lehranstalten, angez. von J. Plathner. . . . 45
Sckwahn, ^., Hülfsbuch für den Geschichtsunterricht höherer Lehr-
anstalten, 4. Teil: fdr Untersekunda, angez. von J. Plathner . 643
SchwahUf W ,, Lehrbuch der Geschichte für die Oberstufe höherer
Lehranstalten, I.Teil: für Obersekuoda, angez. von J. Plathner 644
Schweizetf Chr.., s. S. Herzog.
Schwiecker, j4., Lehr- und Lesebuch der englischen Sprache, angez.
von E. Goerlich 640
ServuSf H,, Ausführliches Lehrbuch der Stereometrie und sphärischen
Trigonometrie, angez. von A.Emmerich 219
Süsg-lin, fF., Atlas antiquos, angez. von A. Kirchhoff 601
Simony, F., Das Dachsteiogebiet, angez. von A. Kirchhoff. . . . 208
Sorof, G.y Xenophons Auabasls und Hellenica in Auswahl, für den
Schulgebrauch herausgegeben, angez. von W. GemoU . . . 177
Staggemeier, First part of the Geueral-Maps for the Illustration of
Physical Geography, angez. von A. Kirchhoff . . . . 651
Sttin, S, J. F., Lehrgang der französichen Sprache im Aoschlufs an die
Lehrpläne vom Jahre 1892, 1. Abteilung: Quarta, angez. von
0. Josupeit 596
Stern, G., Französische Grammatik, I.Teil, angez. von A. Kesseler. 600
Stich, ff., Lehrbuch der Geschichte fiir die oberen Klassen der Mittel-
schulen, 3. Teil: Die neuere Zeit, angez. von F. Ohly . . . 191
Stokes, /r., s. A. Fick.
Strack, U. L., s. K. Voelker.
Stutzer, E., Hülfsbuch für geschichtliche Wiederholungen, 2. Auflage,
angez. von M. Ho ff mann 403
Telfy, J., Chronologie und Topographie der griechischen Aussprache,
angez. von H. Röhl 270
Teuisch, F., Die sieben bürgisch-säcbsischen Schulordnungen, mit Ein-
leitung, Anmerkungen und Register herausgegeben, 2. Band,
angez. von VV. Schrader 109
Thomas, A., s. K. Lohmeyer.
Thunuer, V., s. W. Kopp.
Vhle, U.y Griechische Schulgrammatik, in Verbindung mit A. Procksch
und Th. Büttner- Wobst herausgegeben, 4. Auflage, angez. von
P. Weifsenfeis 165
Ulrich, F., Carmina academica, eine Auswahl der beliebtesten Kommers-
lieder ins Lateinische übertragen, angez. von H.Ziemer . . 800
f^oelker, K., Biblisches Lesebach Tiir evangelische Schulen, unter Mit-
wirkung von H. L. Strack herausgegeben, 2. Auflage, angez. von
H. Kluge 18
Foh, B., s. H. A. Daniel.
Xllf
Seit«
Watktmügtl, W.y Geschichte der deatscbeo LUterator, 2. Aaflaye von
E. Martio, aogei. vod fi. Fischer 373
Wtiäig^ G., Griechisches Lesebuch for Tertia, aogez. von E. Bachof 513
Wendt, 0., Eocyklopädie des eoglischen Uoterrichts, angez. vod
E. Goerlich 693
H^ensek, W., s. H. Schmidt.
Wertheän, (?., Die Arithmetik ood die Schrift über Polygooalzahlen
des Diophantos vod Alexaodria, übersetzt aod mit Aomerkaogeo
begleitet, aogez. voo A. Emmerich 216
ß^'etsel, P,f Lehrboch der Geschichte für die Prima höherer Lehr-
aastaiteo, 2. Teil: Die Nenzeit, aogez. voo F. Ohly . . . . 334
If^Ozel, M., s. F. Schnitz.
Wetzet Jf., Griechisches Lesebuch mit deotscheo Üboogsstöckeo für
Unter- ood Ober-Tertia, 3. Auflage, aogez. von P. Weifsenfels 268
WiUmaim, 0., s. B. Kern.
WiMiäel, ff,, Xeoophoos Aoabasis, Aaswahl für den Scholgebrauch
beransgegebeo, angez. voo W. Gemoll 510
^''olfff E., Wellers Lateinisches Lesebach ans Herodot, 18. Auflage,
aogez. voo L. Spreer 5S2
f^olfft E., Obuogsboch znm Übersetzen aus dem Deotscheo ins Latei-
oische im Anschlofs ao Weilers Lateinisches Lesebuch aus He-
rodot, aogez. voo L. Spreer 582
Krossidhf'P.j Aofangsgrunde der Mineralogie, aogez. voo F. Trau-
miiner 225
Zange, F., Leitfadeo für den evangelischen Religioosuoterricht, 1. Band:
Sexta bis Uotersekooda, aogez. voo G. Boesche 569
Zmtg'e, F., Schulageode, aogez. voo G. Boesche 569
Zemiai, (].<, s. P. Hellwig.
Ziegeler, E., Dispositiooeo zu deutschen Aufsätzen für Tertia und
Uotersekuoda, 2. Teil, 2. Auflage, aogez. von H. Winther . . 595
Ziemtr, ff.. Lateinische Scholgramniatik, 2 Bände, angez. von M. Engel-
kardt 493
Zimmermann, £., Übungsbuch im Anschlofs ao Cicero, Sallust und
Livios, 2. und 3. Teil, angez. von F. Thümen .... 27. 386
ZseAeeh, F,, s. K. Friedländer.
Zweck und Bemeeker, Hülfsbuch für den Unterricht in der Geographie,
2 Teile, angez. voo E. Oehlmann 285
Beriekligung, yon 0, Hohl 656
Xaektrag, von £. Fischer 535
DRITTE ABTEILUNG.
BERICHTE Ober Versammlungen, Nekrologe, miscellen.
Die 30. Versammlang des Vereins rheinischer Schulmänner, von
F. Moldenhaner 57
Die 20. Generalversammlung des Vereins voo Lehrero höherer Uoter-
riehtsao stalten der Proviuzeo Ost- uod Westpreufseo , voo
R. Stoewer 603
XIV
Seite
Die 19. HaoptversammlaDCf des Vereios von Lehrera höherer Uotorrichts-
ansUlteo der ProviDZ HesseD-Nassaa uod des Fürtentams Waldeck,
ahf^ehalteo in Frankfurt a. M., von A. Lange 657
Zur Seminarfrage, von 0. Vogel 227
Beispiele zur deutschen Wortbilduogslehre, von Th. Busch . . . . 536
Latinogermanismen, von O.Storch 235
Klassisches Latein, von A. Ruppersberg 792
Beiträge zur Kritik von Cäsars Bellum civile, von H. J. Müller 607. 669. 731
VIERTE ABTEILUNG.
eingesandte: buch er.
S. 64. 239. 541. 608. 672. 736.
JAHRESBERICHTE DES PHILOLOGISCHEN VEREINS ZU BERLIN.
Archäologie, von R. Engeimann 1
Caesar, Beiträge zur Kritik des Bellum Gallicam, von Th. Mommsen 198
Beiträge zur Kritik des Bellum Gallicum, von H. Measel 214
Cornelius Nepos, von G. Gemfs 56
Curtius, von M.Schmidt 26
Horatius, von G. Wartenberg 183
LiviuSf von H. J. Müller 78
Tacitus (mit Ausschlufs der Germania), von G. Andresen . ... . 129
ERSTE ABTEILUNG.
ABHANDLUNGEN.
Die Einlieit des altklassisohen Unterrichte auf der
Oberstufe des Gymnasiums.
Nicht bezwecken diese Zeilen die Sache des altsprachlichen
Unterricbts zu verteidigen ; nur für diejenigen, welche wissen, um
was es sich dabei handelt, möchte ich einige Gesichtspunkte her-
vorheben, die mir wesentlich erscheinen. Dem altklassischen Un-
terricht auf der Oberstufe des Gymnasiums stehen jetzt je sechs
Stunden Latein und Griechisch inObersekunda und in beiden Primen,
aufserdem drei Stunden Geschichte in Obersekunda zu Gebote. In
diesen soll» von der sprachlich-logischen Schulung abgesehen, etwas
Einheitliches erreicht werden, welches man mit Worten der Lehr-
pläne als „Einführung in das Geistes- und Kulturleben des Alter-
toms'* bezeichnen könnte.
Einheiten im Unterricht zu schaffen, damit beim Srhuler Ein-
sicht und Interesse erwachse, ist eine jetzt viel wiederholte Mah-
Dtti^. Sie wird nach meiner Erfahrung leicht mifsverstanden.
Der Unterricht der nach dieser Richtung bestrebten Lehrer ist oft
reich an interessanten Bemerkungen, deren Zusammenhang giln-
sligen Falls im. Lehrer besteht, aber nicht im Schuler erwächst, —
und so wirkt er das Gegenteil ?on dem, was er soll. Ich betone
dem gegenüber, dafs der Lehrer streng bei der Sache bleibe.
Die Sache und ihr Bedürfnis leitet den Schuler, wenn sie in ihm
Macht gewinnt, besser zur Arbeit und Anspannung, als die geist-
Tollsten Bemerkungen des Lehrers, welche schliefslich — ich
setze voraus, dafs sie es wirklich sind — oft mehr dem Herzens-
drange des Gebens, als der Not des Empfängers ihren Ursprung
verdanken. Aber Einheit sei das Resultat alles Unterrichts!
Mor vfeon der Schuler am Ende übersieht, worauf das alles
hinaus wollte, wenn ihm das Viele zuletzt einfacher erscheint,
vreil es sich ihm unter selbst und individuell erarbeitete Ge-
sichtspunkte unter- und einordnet, so hat er wahre Frucht, an
der nicht das Wertloseste das Bewufstsein des Besitzes ist.
Hätte der Unterricht in den alten Sprachen immer diesen
Erfolg erzielt, d. h. die Schuler mehr mit dem Bewufstsein, wo
das Ganze hinaus will, erfüllt, so könnte es unter den Männern,
die studiert haben , nicht so viele laute Gegner und stumme
Freunde desselben geben. Den Dank, den sie ihm alle schulden,
sie wissen ihn meist nicht. Wir Lehrer hätten die Aufgabe, mehr
als bisher eine bewufste Einsicht in das Geistes- und Kulturleben
der Alten zu erzielen.
UUmht. f. d, OjmoMiftlweMii XLVIU. 1. X
2 Die Einheit des altklassischen Unterrichts a. d. Gymn.,
Wie ist dieses einheilliclie- Ziel des allkiassischen UiileiTichts
zu erreichen? Nicht etwa, indem man einen neuen Gegenstand
einführt, eine Art Encyklopädie, welche dem Schuler in syste-
matischer Unterweisung sagt, was er gelernt hat, oder gelernt
haben soll. Das wäre wieder ein Anfangen beim Ende, ein kurz-
atmiges Einblasen des Neuesten, ein Rückfall in ein akademisches
Verfahren und Auskramen von philologischem Fachwissen, welches
nicht ohne Grund der jüngeren Generation und dem Fachlebrer-
tum zum Vorwurf gemacht ist. Nicht ein System, sondern die
Persönlichkeit des Lehrer hat diese Einheit zu schaffen, und zwar
indem der Lehrer und die Lehrer (da der einzelne nicht aus-
reicht) selbst sie sich jederzeit deutlicher gegenwärtig halten, in-
dem sie dieses einheitliche Bild, wie es der Schüler aus dem
StolT heraus, der ihm geboten wird, in sich aufnehmen kann
und soll, selbst mehr in sich entwickeln und unter einander ver-
einbaren.
Wollen wir bestreiten, dafs dies nicht überall genügend ge-
schieht? Hat jeder Lehrer des Lateinischen die Aufgaben des
griechischen Unterrichts, hat jeder Lehrer der alten Sprachen die
des Unterrichts in der alten Geschichte, und umgekehrt, immer
deutlich vor Augen? Wissen die betreffenden Lehrer der Ober-
stufe einer vom andern ausreichend, was sie treiben?
Niemand wird verkennen, dafs ich hier an einem schwachen
Punkt rühre. Der Lehrer wird ja in seinem Wirken zu leicht
selbstbewufst und unduldsam gegen Widerspruch. Sein Beruf
schleift ihn im Verkehr der Amtsgenossen nicht ab, wie es bei
Beamten geschieht, die ihre Arbeiten zu gemeinsamem Akt be-
raten und vereinbaren müssen. Selbst derjenige, der wissen-
schaftliche Fragen gern erörtert, bleibt in pädagogischen zurück-
haltend, läfst dem Kollegen sein Recht und denkt sich sein Teil.
Vielleicht giebt es Wege, manches zu bessern; die Konferenzen
allein thun es nicht. Aber auf dem bezeichneten Gebiete des
altklassischen Unterrichts der Oberstufe z. ß. sollte es doch
wohl möglich sein, unbeschadet der Selbständigkeit der Einzelnen,
noch bessere Arbeitsteilung und Arbeitsvereinbarung zu schaflen.
Aber setzen wir zunächst einmal voraus, dafs die Lehrer in
gemeinsamer Bemühung und jeder zu seinem Teil das bezeich-
nete Ziel mit klarem Bewufstsein zu verfolgen bestrebt sind,
welches würde das Verfahren sein, welches zu diesem Ziele fuhren
könnte? Es liegt, wie ich meine, in einer richtigen Behandlung
des Einzelnen und des Ganzen.
Unter dem Einzelnen verstehe ich die Unterrichtsaufgaben,
wie sie gestellt werden, d. h. den grundlegenden Geschichtsunter-
richt der Obersekunda und die Lektüre der angesetzten Schrift-
steller. Hiernach verteilt sich ja der Unterricht, auch unter die
Lehrer, und an dieser Teilung ist nichts zu ändern. Vielmehr
ist sorglich festzuhalten, dafs nicht ein interessanter Unterricht
vooH. Genz. 3
mil küastlichen Einheiten bald hier, bald dort gastiere. Der Ge-
scbichtsiehrer der Obersekunda hat zuzusehen, dafs er zunächst
sein geschichtliches Ziel befriedige, dafs sich sein Unterricht dem
übrigen Geschichtsunterricht einordne. Bei der Behandlung der
Schriftsteller ist die Hauptsache, dafs das Werk, wie es verstanden
sein will, zum Verständnis komme, nicht nur dem Stoff, sondern
auch dem Geist nach, ferner dafs der Schriftsteller und seine Art
dem Schüler vertraut werde. Dies alles erscheint selbstverständ-
lich; es ist vorauszusetzen, dafs dies zu erreichen immer die Ab-
sicht der Lehrer gewesen ist. Aber wenn ich auch dies als das
Wichtigste betone und dringend hervorhebe, dafs dies Ziel unbe-
irrt erstrebt werden möchte, so will ich doch hier von dem an-
deren sprechen, welches auch zu seinem Rechte kommen mufs
nud ohne welches das erstere nicht mit wahrem Erfolge betrieben
werden kann, nämlich von dem Ganzen, welches in seiner Ein-
heitlichkeit niemals aus den Augen verloren werden sollte. Denn i
eine Kenntnis des klassischen Altertums sollen unsere Schuler '
gewinnen, so weit es ihrem Alter und ihrem Vermögen entspricht,
weil wir darin eine wesentliclie, noch jetzt fortwirkende, niemals
entbehrliche Unterlage unserer heuligen, besonders unserer natio-
nalen Bildung erblicken, die demjenigen, der nach geschichtlicher
Bildung trachtend den Werdeprozefs der Menschheit sich vergegen-
wärtigen will, nicht fremd bleiben darf.
Es umfafst aber dieses Ganze das bürgerliche und das geistige
Leben der Völker des Altertums.
Für die Kenntnis des bürgerlichen, besonders des politischen
Lebens giebt der Geschichtsunterricht der Obersekunda die Unter-
lage, aber auch nicht mehr. Er verhält sich zu dem Ganzen nur
io, wie die Vorlesung der Institutionen zum Studium des Rechts.
D^halb ist er mil gutem Grunde entfernt aus dem letzten Jahres-
korsus der Mittelstufe, wenn einmal nach der Untersekunda ein
Abschluls gedacht und gemacht wird: er steht richtig im Anfang
d» neuen Kursus, welcher die Oberstufe umfafst. Um etwas
Ganzes zu schaflen, ist die Zeit eines Jahres zu kurz, das Alter
der Schüler zu unreif: die rechte Ergänzung und Ausfüllung er-
hält die Skizze erst im altsprachlichen Unterricht der Prima.
Daher hat allerdings der Geschichtsunterricht der Obersekunda
nicht biols für sich zu stehen oder für die allgemeine Bildung zu
sorgen, sondern das besondere Bedürfnis der altklassischen Lek-
türe überall im Auge zu behalten. Nur ein Lehrer, der voll im
aJlsprachlicben Unterricht lebt, sollte ihn auf dem Gymnasium
erteilen; er wird dabei gut thun, sich in enger Beziehung mit
dem eingeführten Hülfsbuch zu halten, welches, auch die Kultur-
geschichte umfassend, jetzt unentbehrlich ist, und die Schüler
damit wohl vertraut zu machen, damit es ihnen in Prima eine
Stütze bleibe, die in ihrem zusammenhängenden Gefüge mehr
leistet, als Ausgabenanmerkungen und Realwörterbücher.
1*
4 Die Eioheit dea altiklassiscbeo ÜDterrichts «. d. Gymo.,
Soll 80 der Geschiclitslehrer der Obersekunda genau wibseii
und beachten, was die Lehrer des Griechischen und Lateinischen
brauchen, so sollen diese wiederum auf dem futsen und das wei-
terbilden, was in der Geschichte in Obersekunda gelehrt und ge-
lernt ist. Es ist notwendig, dafs die Schüler von den Haupt-
epochen der alten Geschichte allmählich deutlichere Vorstellungen
gewinnen. Nenne ich davon zunächst das homerische Zeitalter,
so meine ich nicht, dafs' bei der Lektüre des Homer selbst über-
haupt auch nur ein anderer Gesichtspunkt obwalten dürfe, als der
allbeherrschende der Dichtung. Aber soll es bei dem anderen
entsprechenden Unterricht unbeachtet und ungenützt bleiben, dafs
die Schüler, welche ihre homerischen Sagen von Kind auf, die
homerische Dichtung in vierjährigem Unterricht der Sekunda und
Prima kennen lernen und pflegen» daraus schliefslich eine Vor-
stellung von den politischen, sakralen, gesellschaftlichen Verhält-
nissen der geschilderten Zeit gewonnen haben müssen? Das Zeit-
alter der Perserkriege und der spartanisch-thebanischen £poclie
wird in der Obersekunda an Herodot und Xenoplion, die Zeit vor
und während des l-eloponnesischen Krieges und der philippischen
Epoche den gereifteren Primanern an Thukydides, Plato, Demo-
sthenes zu besserem Verständnis kommen. Aber dies muTs auch
das Ziel sein. Mit Recht tadelt man die Gewohnheit, mit einer
sogenannten Einleitung zu beginnen, d. h. dem Schüler über
Person und Werk des Schriftstellers, für den er noch gar kein
Interesse haben kann, trockene Notizen zu geben, welche er in
dem Augenblicke weder versteht noch würdigt. Etwas anderes
ist es aber doch, die Zeit, die das Schriftwerk wiederspiegelt und
von der der Schüler aus dem Geschichtsunterricht in grofsen
Zügen schon weifs, zunächst wieder ins Gedächtnis zu rufen und
dann bei der Lektüre durch individuelle Züge zu beleben. Leichter
wird dieser Aufgabe , wenn er es überhaupt versteht, der Lehrer
des Griechischen gerecht, schwerer hat es der Lehrer des Latei-
nischen. Hier möchte ich verlangen, dafs der Primaner vom Römer-
tum der älteren Republik noch ein besser ausgeführtes Bild er-
hält: dazu kann die erste Dekade des Livius als Privatlektüre in
der Prima herangezogen werden. Für das Zeitalter der Punischen
Kriege muls die Liviusleklüre der Sekunda sorgen; die vor-
gracchische Zeit aber und das letzte Jahrhundert der Republik
mufs an Cicero gründlich und übersichtlich, wenn auch nicht
mehr mit Einzelheiten, wie es früher möglich war, doch um so
deutlicher in den höchst charakteristischen Uauptzügen zur Ver-
anschaulicfaung kommen. Eine weitere Aufgabe ist es, das Über-
gangszeitalter des Augustus und dann die erste Zeit des ent-
wickelten Prinzipats wohlbekannt und versländlich zu machen,
ohne welchen Gesichtspunkt Uoraz und Tacitus nur sehr einseitig
oder gar nicht behandelt werden können.
Durch alle diese Epochen sind die verschiedenen Seiten des
▼ 08 H. Genz. 5
bürgerlichen und politischen Lebens zu verfolgen, wobei dem
Lebrer des Lateinischen die gröfsere Aufgabe zußllt, weil er das
Griechische Kum Vergleich als Gegenbild und Entwickelungsstufe
ikl mehr heranziehen mufs als umgekehrt. Es ist von unseren
Schülern zu erwarten, dafs sie an den typischen Erscheinungen
des Altertums deutlichere Bilder vom Staat und seinen Elementen
in sich aufnehmen, als dies in der mittleren und neueren Ge-
sdiichte so jugendlichem Alter zunächst möglich ist. Sind aber
in der That die Vorstellungen von griechischen und römischen
Vdksversammlangen, vom römischen Senat und Amt, von der
Verwaltung und Rechtspflege immer so geklärt, als man es nach
einiger Lektüre des Thukydides und Demosthenes, des Livius,
Cicero, Sallust und Tacitus erwarten sollte? Und doch giebt zu
allem dem diese Lektüre die beste und reichste Veranlassung,
wenn der Lehrer selbst nur alles gehörig durchdacht und aus
dem Material der dem Schüler zugänglichen Schriftsteller (darauf
kommt viel an) sich jederzeit so gerüstet hält, um es an der
rechten Stelle dem Schüler vor Augen führen und auch mit den
entsprechenden modernen Erscheinungen, so weit sie dem Pri*
maner schon verständlich und bekannt sind, in Verbindung setzen
zQ können.
Aber nicht bloCB das politische, sondern auch das wirtschaft-
liche Leben der Alten kann noch viel mehr, als es bisher ge-
schiebt, dem Schüler verdeutlicht werden, wenn der Lehrer sich
nur gewöhnt, die Dinge für ihn zurecht zu denken und zu legen;
d.h. wenn er nicht, von falschen Vorstellungen von Schüler-
vissen und Schfilererfahrung ausgehend, sie entweder vor anderem
ganz übersieht oder nur hoch darüber hinfahrend streift.
Neben dem bürgerlichen Leben ist es das Geistesleben der
Ahen, in das der Schüler eingeführt werden soll. Es ist ja mög-
lich, dafs die eine Seite dieser oder jener Lehrerindividualität
weniger nahe Hegt: dann ist ihr vielleicht die andere um so ver-
wandter und vertrauter. Gehen wir von den Litteraturgattungen
aus, so möchte ich wiederum zunächst die Geschichtsschreibung
Damhaft machen. Denn wenn der Schüler auch nur Stücke aus
den Historikern liest, so soll er doch von der Kunst und Eigen-
tamllchkeit des Herodot, Thukydides, Xenophon, Cäsar, Sallust,
Livius, Tacitus, überhaupt von der Art der antiken Geschichts-
schreibung einen Begriff erhalten, was nicht blofs ein Lehrer be-
werkstelligen kann. Er soll aber auch dabei erfahren, woher
unser Geschichtswissen überhaupt stammt, denn hier ist für ihn
aaf der Schule dazu die beste, ja fast die einzige Gelegenheit.
Oder soll man ihm, wenn Tacitus Memoiren erwähnt, oder wenn
Livius seine Quellen nennt, oder wenn Thukydides oder Xeno-
phon oder Herodot als Augenzeugen oder nach Erkundigungen
schreiben, nichts von Geschichtsforschung sagen? Soll man ihm
z. B. an einzelnen Stellen im Cato maior oder an sonstigen ge-
g Die Einheit des altklassischen Unterrichts a. d. Gymn.,
legentlichen Erwähnungen des Cicero nicht einmal deutlich zeigen,
wie sich unser geschichtliches Wissen kombiniert? Von Inschriften
und Ausgrabungen wird ja wohl gelegentlich einmal gesprochen
werden, aber meist ist es doch dem Zufall überlassen, ob der
Schüler dazu kommt, über diese Dinge einmal nachzudenken, oder
ob er ohne deutlichere Vorstellungen zur Universität oder ins
Leben abgeht.
Bei den Reden, welche gelesen werden, ist sorgfältige Aus-
wahl zu empfehlen. Gerade hier hat man sich in dem, was sie
der Jugend bieten können, wohl öfters verrechnet. Dabei
sollte mit Klarheit auseinander gehalten und dargethan werden,
in wie weit sie eine politische Aktion, in wie weit ein littera-
risches Produkt bedeuten. Dieser Unterschied liegt bei den
Alten oft deutlich zu Tage, und wir haben zum Abschlufs in
Cicero de oratore eine Schrift, durch die man in die Werkstätte
des antiken Redners direkt hineinführen kann.
Ich verlange auch, dafs der Schüler von dem philosophischen
Denken der Alten etwas erfährt. Dies kann nicht geschehen
durch einen Abrifs der griechischen Philosophie zur Einleitung
der Platolekture: ein solcher ist meist ganz unfruchtbar. Nur
allmählich können einige Gesichtspunkte und Sätze der vorsokra-
tischen und der sokratischen Philosophie in ihrem Wert und
Wesen erfafst werden. Sie klar zu machen und in systematischen
Zusammenhang zu bringen, ist eine Aufgabe, die nur langsam
und bei guter Methodik gedeiht. Die Lektüre des Plato wird in
den Lehrplänen betont: aber dann ist es schwer begreiflich, wie
man Cicero so zurücksetzen kann. Wie wenig kann doch dem
Schuler aus jenem unmittelbar zu Kenntnis und Verständnis ge-
bracht werden; wie viel kann er von diesem lernen. Dieser
Lehrer der Menschheit, bei dem Jahrhunderte in die Schule ge-
gangen sind, ist für unsere Schuler noch gerade recht, wenn
man z. B. das erste und fünfte Buch der Tuskulanen schnell, wie
es schnell geschrieben ist, mit ihnen liest und bei den für sie
besonders lehrhaften Dingen ausführlich weilt. Warum soll der
Lehrer das, was Cicero etwa flüchtig und unvollkommen sagt,
nicht aus anderen, den Schülern nicht unzugänglichen, aber
schwerer zugänglichen Schriften der Alten ergänzen und ihrem
Verständnis gemäfs schlicht und klar erörtern? Wenn von Pia tos
Phädon nicht alles gelesen werden kann, weil es sprachlich zu
schwierig ist, warum soll man nicht das Inhaltliche zur Erläute-
rung und Vertiefung des leichteren Cicero herbeiziehen? Auch
weifs ich nicht, wie man wiederum vermeiden kann Hülfe bei
Cicero zu nehmen, um die Satiren und Episteln des Horaz mit
den Schülern recht gedeihlich zu behandeln.
Auch die Dichter sollten mit weiterem Uniblick gelesen wer-
den. Hier ist es ja selbstverständlich, dafs alles Fremde fern
bleibt und die Poesie ebensowenig als Geschieh Isquellc wie als
voD H. Gans. 7
Spnchquelle gemifsbraucht wird. Aber was dem Verständnis der
Diehtang selbst dient, sollte aucb aus der ganzen griechischen
and römischen Schullitteratur dem Lehrer immer zur Verfugung
sein. Homer ist, wie gesagt, eine Welt för sich. Ein rechter
Priester seiner Schönheit zu sein, ist eine der schwierigsten Auf-
gaben, die der Lehrer haben kann: man bekenne seine Unzu-
länglichkeit und verkenne auch nicht, dafs der naturliche Mensch im
JöngViDgsalter sich eher davon abwendet, als dem Lehrer auf
balbem Wege entgegenkommt. Wem das zu viel gesagt scheint,
der frage nach, ob er sich mit dem, was gerade von dieser Dich-
tung gemeiniglich aus der Schule als bleibendes Gut mitgenommen
and im weiteren Leben bewahrt wird, zufrieden erklären kann.
Ist es aach zu verantworten, dafs die Odyssee in Prima schon
thatsächlich in Vergessenheit verfallt? Wie stimmt nun wieder
dazu, dafs man bei vielen Studierenden grofser Gleichgültigkeit
gegen die Ilias, einiger Schwärmerei för die Odyssee begegnet?
Tod sonstiger epischer Poesie wird auf der Oberstufe nur Vergil
bekannt, dem ich bei der beschränkten Zeit jetzt nicht breiten
Raum gebe. Bei geschickter Behandlung jedoch, die an das
Stoffliche stark anknöpft, ist der Sekundaner för ihn zn gewinnen;
dabei wird der Vergleich der Äneis in ihrem ganzen Aufbau mit
den homerischen Gesängen dem Schuler ebenso verständlich als
lehrreich sein. Zu diesem Zwecke darf auch in Prima mit Hülfe
der Privatleklöre einmal Gelegenheit genommen werden, auf Vergil
zoruckzukommen.
Die Lyrik der Alten lernen unsere Schüler nur aus Horaz
kennen. Hier kommt dem Lehrer das jugendliche Alter so sehr
entgegen, dafs es übel bestellt sein mufs, wenn nicht rechte
Fnichi bleibt. Um so höher sollte man sich das Ziel stecken und
auch hier aus anderer Dichtung heranziehen, was der rechten
Stimmung förderlich ist. Gute Übersetzungen können ein För-
ierungsmittel werden, und damit ist denn auch die Heranziehung
einielner Stellen aus griechischen Lyrikern und römischen Ele-
gikem (nämlich in Übersetzung) leichter ermöglicht. Ich glaube
nicht, dafs sich in den Bibliotheken der Lehrer dafür viel findet.
Mag allgemeine Geringschätzung der Grund eines spröden Ver-
haltens gegen die Übersetzungslitteratur sein, mag der Philologe
die Empfindung des Fremden und Schalen selbst bei den besten
Leistungen nicht überwinden können: auch hier mufs er sich auf
den Standpunkt des Schülers und Nichtkenners versetzen. Wir
nehmen so manches Produkt auswärtiger Litteratur in der Über-
setzung freudig anf, ehe wir das Original kennen! Nachher frei-
lich, wenn wir der Sprache kundig geworden sind, will es so
weniger munden.
Bei der Tragödie der Griechen habe ich immer die Empfin-
dung, dafs das, was sie dem Schuler geben könnte, noch nicht
überall erschöpft wird. Die Aufführung setzt übergrofsen Apparat
8 Die Einheit des altklassiaehen UoterrichU a. d. GyaiD.»
in Bewegung und bringt grofgen Segen nur wenigen. Bei der
Klassenlekture bildet ein Hindernis der Aufenthalt bei weniger
Nötigem, was die philologische Gewissenhaftigkeit zu übergehen
sich scheut, und Zeitnot für reichliche Verarbeitung des Ganzen,
wodurch erst dem Dichter sein Recht wird. Die neue Vorschrift,
nicht zu einer Zeit Dichter und Prosaiker zu lesen, hat hier ins-
besondere ihre Berechtigung. Wörtlich genommen und mecha-
nisch angewandt, kann sie sonst auch Schaden bringen. Einer
sophokleischen Tragödie aber kann man wochenlang alle Zeit,
d. h. täglich eine Stunde nebst Hausarbeit gewähren. Und dann
ist allerdings aus dem ganzen dem Schüler übersehbaren Gebiete
des griechischen Kultur- und Geisleslebens, sowie auch aus der
Entwickelung moderner und deutscher dramatischer Dichtung gar
vielerlei nutzbar zu machen. Dafür, dafs wir von der antiken
Komödie nichts bieten können, mufs Horaz' Satirendichtung der
Ersatz sein; eine aufserordentlich angenehme Unterrichtsaufgabe,
wenn es gelingt, in den ganzen Ton die rechte Stimmung zu bringen.
Auch von der Kunst der Alten müssen wir uns bemühen
dem Schüler bei Gelegenheit des altsprachlichen Unterrichts eine
deutlichere Anschauung zu geben. Der Zeichnenunterricht sollte
die Säulenordnungen, die wichtigsten Mafsverhältnisse, den allge-
meinen Charakter des antiken Tempelbaues praktisch verdeutlichen;
der philologische Lehrer der Oberstufe kann dies dann alles in
heileres Licht stellen und zu besserem Verständnis bringen.
Aber auch von dem griechischen und römischen Hause kann
der Schüler durch bessere Anschauungsmittel zur rechten Zeit
eine rechte Vorstellung erhalten. Ist er noch nicht stumpf ge-
worden, hat er noch etwas von der lebendigen Kinderphantasie,
so wird er sich eine machen, wenn nicht eine richtige, so eine
falsche. Das Anzeichnen des homerischen Hauses in gewohnter
WeitläuGgkeit, der Streit um die oQffo&VQfj u. s. w. wird es nicht
thun. Aber eine Anschauung vor dem nach innen sich öffnenden
Gebäude mufs der Schüler haben. Nicht nur die Scenerie des Freier-
mordes, sondern auch der letzten Gespräche des Sokrates soll er
sich richtiger denken. Auch wo die Römer im öffentlichen Leben
verhandelten und wie sie im horazischen Zeitalter wohnten, kann
er deutlicher erfahren.
Nicht alle Schuler sind für die Schönheiten der bildenden
Kunst gleich empfänglich, ebensowenig wie alle Lehrer. Aber
eine Zusammenstellung der ägyptischen Bildwerke, der äginetischen,
der hochklassischen, der nachklassischen Skulpturen wird jedem
von der Entwickelung der plastischen Kunst bei den Griechen eine
Vorstellung geben, zumal wenn diese Anleitung in richtigem Zu-
sammenhang mit der sonstigen kulturgeschichtlichen Entwickelung
erteilt wird. Ebenso ist Kunst und Kunsthandwerk bei Gelegen-
heit der lateinischen Lektüre zu beachten.
Ein so betriebener altsprachlicher Unterricht kommt auch dem
vos H. Genz. 9
übrigen rnterricht zu Hülfe. In der Geschichte sorgen jetzt die
bftheren Schalen auf der Mittelstufe besser als bisher für die
dlgemeine Bildung auch derjenigen, die mit der Abschlufspröfung
die Schule verlassen. Die Lehrer der Oberstufe haben dieses
Wissen zu vertiefen, und zwar zunächst auf der breiten Unter-
lage der antiken Staats- und Kulturgeschichte, Ton der aus alle
Yerbältnisse der mittelalterlichen und neueren Geschichte helleres
Licht erhalten können. Aus dem Gegensatz der antiken und mo-
dernen Weltanschauung mufs fOr die christliche Glaubens- und
Sittenlehre das Verständnis vertieft und erweitert werden: dahin zu
wirken hat nicht nur der Religionslehrer, sondern auch der Lehrer
der alten Sprachen überall Gelefrenheit. Am meisten gewinnt der
dentsdie Unterricht aus gutem Betrieb der alten Klassiker, fiberall
wird er zu ihnen enge Beziehung suchen und so die Erkenntnis
und das Verständnis unserer vaterländischen Litteratur, wie das
Denken, Sprechen und Schreiben in der Muttersprache nach klar-
stem Vorbilde am besten f5rdern.
Alle diese Dinge erscheinen so wenig neu und so selbstver-
ständlich, aber es kommt darauf an. in welchem Grade sie in
Wahrheit beachtet und lebendig wirksam gemacht werden. Da
der einzelne Lehrer hier nicht alles thun kann, so bedarf es eines
Zusammenwirkens, wie es aus liebevoller Hingabe an die Sache
znd freundschaftlicher Verbindung der Personen entspringen kann;
und daran gebricht es noch oft. Aber auch der einzelne Lehrer
wird, wenn er auf das eingeht, was ich meine, sich nicht leicht
für einen Gerechten halten. Ich wage hier einen Übelstand zu
berühren, der vielleicht öfters empfunden und vertraulich einge-
standen, als offen besprochen und bekannt worden ist.
Diejeni^^en Lehrer (ich will fast ausschliefslich von dem Fach
der klassischen Philologie sprechen), welche sich wissenschaftlichen
Sinn und wissenschaftliche Regsamkeit bewahren, hängen damit
meist zu sehr an ihren akademischen Anfängen. Ja, es giebt
anter den besten von ihnen einen nicht kleinen Teil, der sich
wegen der wissenschaftlichen Arbeit, die er aufser Zusammen-
hang mit der Schule nebenbei treibt, höher schätzt als wegen
seiner Lebrerthätigkeit. V^ie kann er das, wenn er seinen Lehrer-
beruf nach seinen besten Kräften zu erfüllen sucht, was er doch
soll? Wie kann er mit der geringen Zeit, die ihm dieser Berut
für wissenschaftliche Forscherarbeit übrig läfst, mit den Männern
wetteifern wollen, die fast alle ihre Zeit wissenschaftlicher For-
schung zuwenden können? Ist doch die strengwissenschaftliche
Arbeit, welche Neues auf dem Wege exakter Forschung ergründen
will, jetzt überall so geteilt, dafs die ganze Kraft eines Mannes
sich auf speziellem Gebiete bethätigen mufs, wenn er zu den
Schatzgräbern gehören will. Wird das der Schulmann können?
Und wenn er nun seine abgerungene Zeit daran wendet (wer
möchte ihm die Freude nicht gönnen, und Ausnahmen kann es
10 Die Eiohait des altkl. (Joterr. a. d. Gymn., von H. Gent,
ja geben), kann es ihm volle Genugthuung sein, ein Kleiner zu
heifsen im Reiche der Gelehrten? Ich meine, seine geistige
Thätigkeit hat, falls er die Wissenschaft liebt und ein denkender
Mann ist, ein reicheres Gebiet, wenn er möglichst alles zu um-
fassen sucht, was die Schulschriftsteller geben und was der Schul-
unterricht irgend brauchen kann, wenn er sein Wissen in diesem
Umfange nach sprachlicher, sachlicher, ethischer und ästhetischer
Seite mehr und mehr zu erweitern und zu vertiefen sucht. Dazu
kann seine ganze Arbeit im Unterricht und in der Studierstube
zusammenwirken; und aus solcher Arbeit kann eine Höhe der
wissenschaftlichen und geistigen Bildung entstehen, welche der
der Durchschnittsgelehrten an den Universitäten (von besonderer
Genialität sehe ich hier überhaupt ab) vollkommen ebenbürtig ist.
Möchten die Philologen ihre wissenschaftliche Arbeit nur recht
anlegen; ob sie schreiben und drucken lassen, ist nicht entschei-
dend: die Jugend soll die Frucht haben.
Wenn v. Wilamowitz so absprechend über die jetzigen und
künftigen Leistungen der Knaben, die von den Gymnasien kom-
men, geurteilt hat, so kann das für uns Lehrer nichts rechtes
bedeuten: wir sollten weder Anstofs daran nehmen, noch aus
Groll über die Verminderung der Stundenzahl dem beipflichten.
Der Gelehrte mufs ja wissen, was er braucht, und wie er in
seinem Elementarkursus, den er für nötig ansieht, sieb seine
Schüler heranzieht. Wenn ihm Knaben, die anderwärts zu ihren
Universitätsjahren gekommen sind, schon eben so recht sind als
die Gymnasiasten, so möge er selbst zusehen. Unsere Aufgabe
auf der Schule ist es nach meiner Ansicht gar nicht, Schüler für
ein philologisches Seminar, wie sie sich mehr und mehr gestaltet
haben, heranzubilden; sondern wir erziehen für alle Zweige der
Wissenschaft und für alle höheren Berufsgattungen, und zwar
gerade auch wir Lehrer der alten Sprachen. Ich wollte, es
wäre dies auch in früheren Zeiten, als die Stundenzahl so
viel gröfser war, immer beachtet worden. Vielleicht hätten wir
dann mehr Freunde, und wir wären vor der Niederlage, die uns
so schweren Verlust gebracht hat, bewahrt geblieben. Unsere
Aufgabe ist es jetzt, die Berechtigung unserer Sache noch besser
zu bethätigen und dadurch soviel wiederzugewinnen, als zur Er-
reichung des wesentlichen Ziels notwendig ist. In diesem Sinne
wollen wir Lehrer den altklassischen Unterricht einheitlich ent-
wickeln als eine wesentliche Grundlage höherer allgemeiner Bil-
dung, und in diesem Sinne wollen wir selbst die Alten studieren
mit notwendiger Selbstbeschränkung und doch wieder weit um-
fassend, damit wir, wenn wir uns ihres wesentlichsten und wert-
vollsten Gehalts bemächtigen, in unserem Lehrerberuf nach Kräften
segensreich wirken.
Alton». Hermann Genz.
ZWEITE ABTEILUNG.
LITTERARISCHE BERICHTE.
Coarad Rethwiaeh, 0«ottekIaada höhere« Schul wegeo im 19.
Jahrhundert Geschichtlicher Überblick im Auftrage des Köoigl.
Preursischeo Miuisterinms der geistlicheo, Uuterrichts- und Mediziual-
ÄDgelegeDhetteo. Mit amtlichen Nachweisungen über den Besuch
höherer Lehranstalten des Deutschen Reiches. Berlin 1S93, R. Gärt-
ners VerlagsbnchhaBdlDog. VIII, 206 n. 53 S. S. 4 M.
Die Schrift ist in ihrem historischen Teile vortrefflich geeignet,
nicht nur dem Auslande, sondern auch den Deutschen selbst einen
Cberbltck über die Entwickelung unseres höheren Schulwesens in
ihren tieferen Zusammenhängen zu geben. In fünf Abschnitten
werden „Das Erbe der Vergangenheit", „Die Sehnsucht nach dem
Deutschen Reiche*', „Die Kämpfe um die Begründung des Deut-
schen Reiches*', „Die Errichtung und der Ausbau des Deutschen
Reiches*', endlich „Der Entwickelungsgang des Lehrverfahrens in
den einzelnen Fächern'* vorgeführt und von gröfseren Gesichts-
punkten aus die Entwickelung beleuchtet und erklärt. Freilich
wird der Einzelne manches vermissen, was er gerne gesehen hätte,
Bod namentlich kommt Süddeutschland nicht völlig zu seinem
Rechte. Dieser Teil unseres Vaterlandes ist durchaus nicht alle-
zeit den preufsiscfaen Reformen im Gymnasial- und Realschul-
weäen erst nachgefolgt, sondern meist vereinzelt mafsgebend
vorangegangen; dieses Verhältnis tritt aber hier nicht genügend
hervor.
Ein Anhang giebt amtliche Nachweisungen über den Besuch
der höheren Schulen; der Verf. erhielt hier das Material von den
einzelnen Bundesregierungen; Ungenauigkeiten können ihm also
nicht zur Last fallen. Und doch könnte es scheinen, dafs sich
solche finden. In den Südwestdeutschen Schulbl. 10, 152 A. wird
nämlich behauptet, dafs keine einzige Zahl dieser ofliziellen An-
gaben mit der ebend. 9, 90 — 92 veröffentlichten Statistik überein-
stimme. Danach gab es im Jahre 1890 nach den ofliziellen An-
gaben 26 Realanstalten mit Latein, 6 ohne solches; in der That
hatte damals Baden 3 Realgymnasien und 9 höhere Bürgerschulen
12 W. Schrader, Gesch. d. Friedrichs-UntversitSt z. Halle,
mit RealgymnasiallehrplaD, dagegen 6 Realschulen und 14 höhere
Rilrgerschulen mit Realschullehrplan, also ohne Latein. Aber die
Differenz wird wohl darauf zurückzuführen sein, dafs die ofliztelle
Statistik auch die höheren Rurgerschulen mit Realschullehrplan
und fakultativem Latein, überall wo dieser fakultative Unter-
richt thatsächlich vorhanden war, als Realanstalten mit Latein ge-
zählt hat. Auch für das Grofsherzogtum Hessen habe ich einzelne
Angaben nicht zu verstehen vermocht. So werden 4 Real-
anstalten mit Latein angeführt, Hessen hatte aber im Jahre 1890
4 Realgymnasien und 2 Realschulen, die zugleich Progymnasien
waren; wohin sind letztere gerechnet? Unter die Gymnasial-
anstalten nicht; denn dort werden nur 8 gezählt (Darmstadt 2,
Uensheim, Rndingen, Giefsen, Laubach, Mainz, Worms). Real-
anstalten ohne Latein werden im Jahre 1890 14 aufgeführt; auch
hierbei können die 2 Progymnasien nicht mitgerechnet sein.
Denn es werden überall, wo Rt'algymnasium und Realschule unter
einer Direktion stehen, stets beide Anstalten besonders gezählt.
Vielleicht wird es ähnlich mit den Angaben da und dort stehen,
und vielleicht ist der Grund, dafs die Leitsätze für die statistische
Rehandlung nicht klar genug lauteten; aber das sind Kleinigkeiten,
die dem Werte der Schrift keinen Abbruch tliun.
Giefsen. Herman Schiller.
Wilhelm Schrader, Geschichte der Friedrichs-Universität zu
Halle. Berlin 1894, Ferd. Dämmler. 2 Bände. 640 und 583 S.
gr. 8. 81 M.
Die Universität Halle wird im Juli k. J. ihre 200 jährige
Jubelfeier begehen. Zu dieser Feier hat der Kurator D. Dr.
Schrader eine Geschichte der Hochschule geschrieben, die ihre
äufsere und innere Entwickelung, sowie ihre Stellung in dem all-
gemeinen Gange der Wissenschaft bis auf die Gegenwart darlegt,
und damit ein Werk geschaffen, das als hervorragendste Pest-
schrift, ein monumentum aere perennius, betrachtet werden darf.
In 6 Düchern und 25 Kapiteln behandelt der Verf. den umfang-
reichen Stoff. Jedem Kapitel sind Anmerkungen und Quellen-
nachweise 'beigegeben; es ist erstaunlich, welches Material hier
nicht blofs citiert, sondern beurteilt und ausgenutzt wird. Die
zweite Hälfte des zweiten Randes enthält S. 35t — 568 Akten-
stücke zur Universitätsgeschichte und S. 569 — 583 ein genaues
Register.
Die Darstellung beginnt mit den Worten: „Die Fürsten der
preufsisch-brandenburgischen Lande haben wiederholt bei bedeut-
samen Wandlungen ihrer Machtstellung unternommen, durch
Gründung grofser Bildungsstätten die Entwickelung des öffentlichen
Geistes zu fördern und die veränderten Formen des staatlichen
Lebens mit neuem Gehall zu füllen'* . . .
an^az. voo H. F. Müller. 13
Üocii \^ir luiiöseii der Vei^suciiung zu längeren AuszOgea
«iderslehen und uns auf das beschränken, was uns d. b. das
Cymnasialwesen näber angebt. Daber nur noch die Bemerkung,
d^ nach dem erwäbnten staatsklugen Grundsatz aucb die Ualliscbe
Um^ersiläl ins Leben gerufen ist, und dafs gerade nach Halle,
m der Mille des Staates, äufsere wie innere Gründe wiesen. Ge-
suflel isl die neue Universität durcb den Kurfürsten Friedrieb vou
Brandeubarg; aber diese Universität wäre nicht ohne Thoniasius
eotstandeo, noch ohne Francke zu ihrem gewaltigen Einflufs ge-
diehen.
Jurisprudenz und Theologie trieben gleich im ersten Jahr-
zehnt neue, blühende Zweige am Baume der Wissenschaft; es
war das Verdienst von Männern wie Thomasius und Stryk, Ludewig
and Ueiueccius, Francke, Breithaupt und Joachim Lange. Auch
die Medizin machte einen vielversprechenden Anfang; ihren theo-
retischen Teil vertrat Georg Ernst Stahl, ihren praktischen Teil
Friedrich HolTmann i^liquor anodjpius Hoffmanni, UotTmaunstropfen).
Üörflig war es mit der Philosophie und Philologie bestellt; die
Humanitätsstudien fanden geringe POege; doch soll nicht uner-
wähnt bleiben, dafs der gelehrte Schulmann uud Theologe Joachim
Idnge durch seinen Uodegns Laiini sertnanis tripartitm und durch
seine laleiuisthe Grammatik, von der bei seinem Tode (1744)
mehr als 100 000 Exemplare abgesetzt waren, sich entschiedene
Verdienste um den lateinischen Unterricht erworben hat. Mit der
Philosophie wurde es besser, seitdem Christian Wolff in Halle
lehrte, dessen System in seineu Gruudzügen uud in seinem Ein-
flufs auf das deutsche Geistesleben sehr klar und eiuleuchtend
dai^estellt wird. Der Philologie fehlte hier wie überall „das, was
den Humanitätsstudien erst Odem und Weihe giebt, die liebevolle
Vertrautheit mit griechischer Sprache und Litteratur". Gleich-
wohl darf von dem Zeitraum lb94 — 1730 gerühmt werden: die
jange Hochschule brachte der Wissenschaft, der Kirche, der deut-
schen Sprache, dem Staate reiche Frucht. Vou dem ganzen
preuCsischen Beamten-, Pastoren- uud Lehrerstande glaubt
Scbmoiler sagen zu dürfen, dafs er in Halle bei Thomasius und
WoUr, bei Ludewig und J. H. Böhmer, sowie bei den Schülern
Speners in die Schule gegangen sei; ja in gewissem Sinne könne
man den grofsen König selbst als einen Schüler der Hallischen
lloiTersität bezeichnen, da Christian Wolfl' der Ausgangspunkt seiner
geistigen Entwickelung gewesen sei. Halle war die preufsische
UniTersität Tutt' i^ox^y*
Ot>er das dritte Buch: „Rückgang der ursprünglichen Kraft,
neue Anfange, 1730 — 1768'' gehen wir kurz hinweg. Zu nennen
waren etwa nur S. J. Baumgarten und Semler, welche die theo-
logische Wissenschaft in neue Bahnen lenkten. Sonst ist von
Professoren und Studenten, von Lehr- und Geldmitteln ^ selbst
^00 dem Verhältnis der beiden preufsischen Könige zu ihrer Uni-
14 W. SchradeP; Gesch. d. Friedrichs-Universi tat z. Halle,
versitat uichl viel Erfreuliches zu berichten. Doch soll es Friedrich
Wilhelm I UDvergessen sein, dafs er sicii um die Zuröckberufung
des vertriebenen Christian VVolfT bemüht hat. Bekanntlich gelang
es erst Friedrich I[, den Philosophen für Halle wiederzugewinnen,
ohne dafs dieser indessen die frühere Wirksamkeit als akademi-
scher Lehrer wiederzuerlangen vermochte.
Wenn der grofse König den Universitäten wirkliche Hülfe
und stetige Fürsorge auch nie gewidmet hat, so hatte er für die
Grundlagen und Ziele der akademischen Bildung doch ein durch-
aus richtiges Verständnis; den Wert eines einsichtigen Vortrages
über Geschichte und die Bedeutung der Humanitätsstudien für alle
Wissenschaft hat er voll gewürdigt. Gerade heute wäre es an
der Zeit, seine Ansichten über Gymnasial- und Universitätsbiidung
in Erinnerung zu bringen. „Vom Griechischen und Latei-
nischen gehe ich durchaus nicht ab bei dem Unter-
richt in den Schulen'': diesen seinen Grundsatz halten wir
denen entgegen, die wie weiland die f^hilanthropinisten das Er-
lernen der alten Sprachen für ein Unglück anzusehen scheinen.
Es war nicht Friedrichs Schuld, dafs der mit hohem Gehalt und
Titel nach Halle berufene Geheimde Rat Klotz unrühmlichen An-
gedenkens sich so schlecht bewährte, und dafs das Experiment
des Ministers v. Zedlitz mit dem unfähigen Trapp und seiner
philanthropinistischen Erziehungsanstalt mifsglückte — zum Glück!
Denn nun wurde (im August 1783) F'riedrich August Wolf
als Professor der alten Litteratur und Pädagogik, wozu bald
auch die Professur der Beredsamkeit kam, berufen, der Mann,
welcher der von ihm erwählten Wissenschaft ein völlig verän-
dertes Gepräge und der Friedrichs - Universität neuen Glanz ver-
leihen sollte.
Was F. A. Wolf bedeutet als Begründer der Altertumswissen-
schaft in Deutschland, als akademischer lichrer und Seminar-
direktor, als Vorkämpfer für einen vom Predigerstand losgelösten
besondern Stand der Gymnasiallehrer und als Ratgeber der preu-
fsischen Unterrichtsverwaltung: das braucheich den Lesern dieser
Zeitschrift nicht zu erzählen. Schrader schildert die Persönlich-
keit und Wirksamkeit des grofsen Gelehrten und Lehrers mit
dem gereiften Urteil des Mannes und der Begeisterung eines Jung-
lings; es ist immer eine Herzstärkung, das schöpferische Thun
eines Fürsten im Reiche des Geistes nachdenkend zu betrachten,
mag man auch im einzelnen, z. B. über den dauernden Wert der
Prolegomena ad Homerum, etwas nüchterner denken. Vielleicht
ist es nur Zufall, dafs Schrader die Gescliichte und Kritik der
Wolfschen Prolegomena von Richard Volkmann, auch einem
Hallenser Philologen, weder im Text noch in den Anmerkungen
erwähnt. Einem aber mufs ich entschieden widersprechen, der
Bemerkung, „dafs unsere Gymnasien trotz aller Änderungen im
wesentlichen noch heute das Gepräge tragen, welches Wolf ihnen
a Dg ez. von H. F. Müller. 15
rerlieben ftiäseo wollte*'. Das ist nicht der Fall, Gott sei« ge-
klagt! Wie kann Schrader das behaupten, der noch in der vor-
letzten Auflage seiner Pädagogischen Bedenken im Hinblick auf
die ,,Reforni'' von 1882 äufserte, nun sei es aber mit der Re-
duktion des klassischen Unterrichts genug, wir könnten keine
halbe Stunde Latein und Griechisch mehr entbehren? Für
F. A. Wolf waren die Humanitälsstudien das A und 0, die un-
eDtbehrliche Grundlage aller höheren Bildung: wie sollte er die
grausame Verstümmelung des griechischen und lateinischen Un-
terrichts von unten an bis oben hin gulheifsen! Würde der un-
Terstandige Kampf gegen die alten Sprachen und die angeblich
dadurch herbeigeführte Überbürdung der Jugend nicht seinen
grimmigen Spott herausgefordert haben? Und nun gar die päda-
gogische Weisheit und Praxis unserer Tage! Der Mann, dem die
Basedow und Trapp und alle philanthropinistischen Mätzchen in der
Seele zuwider waren, der seinen Schülern wissenschaftliche Gründ-
lichkeit und idealen Sinn als die besten Gaben fürs Lehramt ein-
zuprägen suchte: wahrlich, er würde von dieser wortfrohen Päda-
gogik und ihren Künsten wenig erbaut gewesen sein nnd von ihr
gearteiit haben, sie fülle das Papier und mache die Köpfe leer,
oder noch anzüglicher und derber. Der Rest sei Schweigen.
Schrader aber mag von seiner Höhe herab wie aus der Vogel-
perspektive mild urteilen; wir, die wir mitten drinstecken, sehen
die Dinge anders. Dafs freilich die Welt heute sich „auf die
feinen vielgestaltigen und doch zusammenklingenden Gesetze der
Geistesbildung*' sonderlich verstehe, behauptet er nicht.
Wie verhängnisvoll für F. A. Wolf die Katastrophe der
Hallischen Universität im Jahre 1806 wurde, dürfte bekannt sein.
Ein ebenbürtiger Nachfolger war 1820 in Karl Reisig gefunden,
den aber der Tod schon 1829 auf einer Studienreise in Venedig
hinw^;raflte. Schraders schöne Charakteristik klingt wie ein warm
empfundener Nachruf an den Frühvollendeten. Der Vorlesungen
über lateinische Sprachwissenschaft wird nicht besonders gedacht.
Reisigs gröfster Schüler, Friedrich Ritschi, lehrte nur kurze
Zeit (1829 — 1833), aber mit stets wachsendem Erfolge in Halle.
Cber Reisigs Nachfolger, Gottfried Bernbardy, und seine lang-
jährige erfolgreiche Lehrthätigkeit hätten wir gerne mehr gehört.
Aas dem Abschnitt über ihn entlehnen wir einen Satz, den un-
sere Scfaulreformer mit ihrem vorzeitigen Dringen auf Sachkennt-
nisse wohl beherzigen sollten: „Die lernbegierige Jugend wird eher
and stärker durch die Schönheit der alten Sprachen und Schrift-
werke, als durch die erst mittelbar aus ihnen zu entnehmende
Sachkenntnis angezogen*'.
Wer könnte von der Universität Halle reden, ohne des
Kanzlers August Hermann Niemeyer zu gedenken! Er hat
Franckes Stiftungen und der Hochschule ein langes, arbeitsvolles
Leben in alier Treue gewidmet. Durch sein viel gebrauchtes
J
16 M. Evers u. F. Fautb, Hiiifsm. z. evaog. ReligionsuDterr.,
Lehrbuch für die obereu Klassen der Geiehrleiischuleo, 1801 zu-
erst, 1843 zuletzt in 18. AuOage erschienen, hat er auf den
Religionsunterricht einen weitgehenden Einflufs in rationalistischem
Sinne geübt. ,,Der hohe Wert seiner Grundsätze der Erziehung
und des Unterrichts ist noch heule nicht verblafst. Niemand hat
es seinerzeit höher geschätzt als Herbart, der Pädagoge unter den
Philosophen, der es als die Summe der Pädagogik, das Sicherste
und Bewährteste, das allgemein Verständliche und Annehmbare,
als die breite und feste Erfahrungsgrundlage für die Theorie der
Erfahrung ansah'^
Aufserhalb unseres Gesichtskreises liegt es endlich nicht,
daran zu erinnern, dafs sich gerade in Halle ein beträctilliches
Stück der neueren Kirchengeschichte abgespielt hat. Die Stadien
des Kampfes seien mit den Worten Pietismus, Rationalismus
(Semler, Wegscheider, Gesenius), bibelgiäubige VermiUelungstheo-
logie (aufser Steffens und Schleiermacher vornehmlich Tholuck,
Julius Müller) kurz bezeichnet. Die Darstellung des Entwicke-
lungsganges rechnen wir zu den anziehendsten und gelungensten
Partieen des vortrefflichen Buches. In dem Streite der Berliner
gegen die Hallenser scheint mir der Verf. nur die eine Seite zu
sehen oder doch nur zu beachten, ich möchte sagen die Kehr-
seite der Medaille. Die Verdienste der gegenwärtigen theologischen
Fakultät um die Wissenschaft, die Kirche und Kirchenverfassung
will ich gewifs nicht leugnen oder schmälern. Wenn aber Schrader
wähnt, die Fakultät habe wesentlich dazu beigetragen, „durch
einen aus evangelischer Einsicht und Gesinnung hervorgegangenen
Einspruch den Anstofs zur Beseitigung eines Gesetzentwurfes zu
geben, welcher der evangelischen Kirche und der evangelischen
Erziehung des Volkes schwere Gefahr drohte^*: so mufs ich dem
ganz entschieden widersprechen, kann aber an diesem Orte meinen
Widerspruch nicht weiter begründen.
Dieser Dissensus thut selbstverständlich meiner Verehrung für
den würdigen Verf. und sein ausgezeichnetes Buch keinen Ein-
trag. Wer so wie er das Grofse und das Kleine, das Ideale und
das Alltägliche mit gleicher Sorgfalt umspannt und zu einem an-
schaulichen Gesamtbilde zu runden versteht, hat wahrlich Anspruch
auf dankbare Leser. Möchte er deren auch im Kreise meiner
Amtsgenossen recht viele finden!
Blankenburg am Harz. H. F. Müller.
M. Bvers aad F. Ftath, Hälfsmittel zum evangelischen Reli-
gionsunterricht für evangelische Religionslehrer and Pfarrer^
Studierende, Seminaristen nnd reifere Schäler höherer Lehranstalten.
I. Abteilung, Beft 3: Die Gleichnisse Jesu, zweite Hälfte von M. £ v e r s.
Berlin 1893, Renther & Reichard. 40 S. 8. 0,50 M.
In diesem Hefte der Hülfsmittel bietet der Verf. auf 40 Seiten
Erläuterungen zu 28 Gleichnissen Jesu dar, im besonderen der
aogez. voQ J. HeideiUAoo. t7
im Lucas-Evangelium miigeteillen und ihrer Parallelen bei Mat-
tliäus und Marcus. Der reiche Schatz religiöser Wahrheiten und
Lehren, der scheinbar offenkundig in den Gleichnissen ruht, aber
(loch nur durch wissenschafiliches Eindringen vollkommen gehoben
werden kann, wird hier liChrern und Schülern auf dem Wege
eingehender Erörterungen zugänglich gemacht. Die Methode,
welche der Verf. dabei befolgt, ist die auch sonst übliche. Auf
die Erklärung des Bildes, welche Berücksichtigung der Zeitge-
schichte und archäologische Notizen erfordert, folgt die Darlegung
des Grundgedankens des Gleichnisses und darauf dessen Begrün-
dung und Nutzanwendung für das Leben. Der Verf. hat dabei
Torzögliche Vorarbeiten verwertet, aber nicht minder Wertvolles
aus dem Eigenen gegeben, denn er erläutert vielfach durch treffende
Citate aus den Schriften alter und neuer Autoren und durch gut
gewählte Beispiele aus der Geschichte und dem menschlichen Leben.
Der letzte Zwfck der Darlegungen liegt in dem Wunsche des Verf.s,
die Jugend mit Liebe zum Cbrislentum zu erfüllen und sie durch
ernste Beiehrungen zur sittlichen Lebensführung anzuleiten.
Im grofsen und ganzen kann man den Ausführungen des
Verf.s vollkommen beistimmen, an einzelnen Stellen aber ist doch
wohl etwas zu viel aus den Worten des Gleichnisses herausge-
lesen worden, so z. B. S. 9, wo es in Bezug auf den reichen
Mann und den armen Lazarus heifst: .,Es scheint, als würde
der Reiche blofs, weil er reich war, gepeinigt, der Arme blofs,
weil er arm war, getröstet; doch nach dem Zusammenhange ist
jener zugleich gottlos, dieser zugleich fromm'*. Indessen sieht
man sich vergebens nach Beweisen von der Gottlosigkeit des einen
snd der Frömmigkeit des anderen um. Mag auch der Vorwurf
der Teilnahrolosigkeit an dem Leiden eines Armen den Reichen
uod mehr noch dessen Dienerschaft treffen, von einer besonderen
Frömmigkeit des Lazarus ist jedenfalls nicht berichtet. Dafs an-
deres nicht zur vollen Erkenntnis des .Schülers gebracht werden
kann, wie z. B. S. 36 die Ausstofsung des doch von der Strafse
her ohne Hochzeitskleid geladenen Gastes von dem Abendmahl,
liegt an der Überlieferung, nicht an dem Erklärer. Eine Erläu-
terung aber vermifst man zu dem Schlufs^satze des Gleichnisses
von dem Abendmahl (Matt. 22, 14): Viele sind berufen, aber
Wenige sind auserwählt, welcher mit der Ausstofsung nur des
Einen vom Abendmahl nicht in Übereinstimmung steht. — Hin-
sichtlich der Darstellung sei noch bemerkt, dafs sie für eine
Schrift, welche Schüler lesen sollen, zuweilen etwas zu hoch ge-
griffen ist. Wenn es S. 7 heifst: „Treue und Wohlthätigkeit im
Irdischen sind nicht der Realgrund der Seligkeit, sondern Erkenntnis-
KTund der Glaubenstreue'% so mufs man doch zweifeln, ob damit der
Ton richtig getroffen ist, in welchem man sonst zu Schülern redet.
Berlin. J. Heidemann.
Zeiudir. f. d. GjnuiMialweseo XJ^VHI. 1. 2
IS K. Voelker, ßibl. Leseb. f. evad(f. Schnleo, agz. v. H. Kljige.
Karl Voelker, fiiblisches Lesebach für evangelische Schulen.
Cnter Mitwirk nag von Heroiano L. Strack bearbeitet ond heraosge-
gebeo. Zweite, neu bearbeitete Auflage. Mit 1 Abbildvngen und 2 Kar-
ten. Gera 1893, Theodor Hoffmann. VIII h. 622 S. gr. 8. 1,80 M.
Das vorliegende Buch ist eine Umarbeitung des im Jahre 1890
erschienenen Biblischen Lesebuchs für evangelische Schulen von
Karl Voelker. Es sucht dem Bedürfnisse des Unterrichts nach
den verschiedensten Richtungen gerecht zu werden. Zunächst
durch eine sorgdltige Aussonderung soiclier Abschnitte, die zu
einer Lesung und Besprechung mit Schülern nicht geeignet sind.
Im ganzen wird man der getroffenen Auswahl beistimmen können;
doch hätte vielleicht noch manches geradezu wegbleiben sollen,
was nur als nicht geeignet zur Wiederholung bezeichnet ist, in*
dem es in runde Klammern geschlossen ist Ref. will nur eine
Stelle als Beispiel anführen (S. 5) aus 1. Mose 4, Kains und Seths
Nachkommen; die eingeklammerte Stelle ist in dem gegebenen
Zusammenhange zum Teil unverständlich, zum Teil nur trockene
Aufzählung und wahrscheinlich nur der Erwähnung Jubais und
Thuhalkains halber beibehalten. — Dem Unterricht dient ferner
die Disposition des Stoffes, der in folgender Weise gruppiert ist:
Der erste Teil (288 S.) giebt den Stoff des Allen Testaments in
vier Abschnitten : A. Die Heilsgeschichte des alten Bundes, B. Die
heilige Dichtkunst im Alten Testament, C. Die Propheten, D. Die
Apokryphen. Der Stoff des Neuen Testaments umfafst 300 Seiten
und teilt sich in drei Abschnitte: A. lleiligengeschichte des Neuen
Bundes, B. Die Lehrschriften des Neuen Testaments, C. Das pro-
phetische Buch; ein Anhang behandelt die Leidenszeit Jesu und
die Zeit seiner Verherrlichung. — Ebenfalls auf die Bedürfnisse
der Schule sind die fünf Beilagen berechnet: ein Verzeichnis der
Bücher des Alten und Neuen Testaments, ein Verzeichnis der
Anfänge der Evangelien und Episteln aller Sonn- und Festtage,
eine Tabelle der zu behandelnden biblischen Geschichten und der
dazu gehörigen Unterrichtsstoffe, eine Zeittafel und ein Wort- und
Sachregister. Beigegeben ist eine Tafel mit den Abbildungen des
Grundrisses der Stiflshütte und des Herodianischen Tempels,
aufserdem eine Karte der Missionsreisen des Apostels Paulus und
eine Karte von Palästina zur Zeit Christi. Hervorhebung unter
den Beilagen verdient die dritte, das Verzeichnis der zu behan-
delnden biblischen Geschichten und der dazu gehürigen Unter"
richtsstoffe; sie stellt in fünf Kolumnen einander parallel die nach
Stoff und Gedanken zusammengehörigen Geschichten, Leit-
stellen, Lesestoff, Liederverse und Abschnitte des Kate^
chismus. Dafs damit ein sehr dankenswertes Hülfsmiltel fQr
die Präparation des Lehrers gegeben ist, leuchtet sofort ein.
So erscheint das Buch nach allen Seiten hin als ein prak-
tisches und empfehlenswertes Unterrichtsmittel, dessen Wert und
Brauchbarkeit für die Schule noch durch den guten Druck und
Deatsclies Lesebuch f. höhere Schaleu, agc. v. H. Schiller. 19
die würdige Ausstattung bei billiger Preisstellung erhöht wird.
Es Yerdieni in vollem Mafse die Billigung und Empfehlung, die
ihm ¥on Behörden, wie dem Evangelischen Oberkirchenrat in
Berlin und der Herzoglich Anhaltischen Regierung» zuteil ge-
worden ist.
Cötheo. Jl. Kluge.
Deotsehes Lesebach für höhere Schalen. Heraosgef^eben von
P. Hellwig, P. Hirt nod U. Zernial. 1. and 2. Teil Tür Sexta
hexw. QuDta. Dresden 1893, L. fihlermann. Xu a. 272, XII a.
316 S. 8. 1,70 0. 1,90 M.
Die Lesebücher sind selbstverständlich im Anschlüsse an die
neuen Lebrpläne abgefalst, und die danach getroffene Stoffaus-
wahl int im ganzen gelangen. Ob man unter die Fabeln die för
kleine Vorscbuler berechneten platten und salzlosen Stucke von
PfeM, Lichtwer u. 8. w. aufnehmen mufste, möchte ich. bezwei-
feln. Ober die Märchen habe ich schon froher meine Ansicht
tosgeeprochen. Recht ansprechend ist dagegen in dem Quinta-
teile die Auswahl aus den alten Sagen und Geschichten. Das
Gebotene ist öberall so reich, dafs die betr. Klasse für zwei Jahre
SuifT genug hat.
Neu ist die Aufnahme besonderer Lesestficke (Übungsstucke),
an denen die deutsche Grammatik betrieben werden soll; ich
iiinfs allerdings gestehen, dafs ich die Grunde für diese Mafs-
regel nicht einzusehen vermag. Denn die dafür angeführten sind
niclM stichhaltig. Aufserdem sind ja die Schreibübungen vorhanden.
Ke teCsere Ausstattung der Bücher ist vortrefflich, der Preis für
das Gebotene mäfsig.
Giefsen. Herman Schiller.
HernaDD Schreyer, Das Fortleben homerischer Gestalten in
Goethes Dichtung. Gatersloh 1893, C. Bertelsmann. (Gymnasial-
bihUothek, 8. Heft). 92 S. 8. 1,20 M.
Der Verf. ist auf dem von ihm bearbeiteten Gebiete nicht
nur dordi Studien heimisch, sondern auch durch Dichtungen,
welche sich an Goethescbe Entwürfe und unvollendete Schöpfungen
aasebliefsen. Er hat das Verhältnis Goethes zu Homer überhaupt
sdMn einmal bebandelt in einem Programm von Pforta aus dem
lahre 1884, und die Gestalt Helenas im besonderen in seiner
Schrift: Goethes Faust als einheitliche Dichtung erläutert und ver-
todigt (Haue 1881). Wir besitzen von ihm ein Drama Nausikaa,
gedielilet „in freier Ausführung des Goetheschen Entwurfs'* (Halle
1S84), und ein Drama, welches in naher Beziehung zu Goethes
Achiileis steht, Die Hochzeit des Acfailleus (Gütersloh 1891). So
konnte er hier in seinem Beitrag zur Gymnasial -Bibliothek aus
4em Folien schöpfen.
2*
20 H. Schreyer, Home r. Gest. io Goethes Dicht., agz. v. Brcke r.
Er begioDl mit eiuer ullgemclnen Gescbichle von Goelhes
Homerstudien und bespricht dann im einzelnen Werke oder Ge-
stalten , die aus tlonier stammen oder doch mit Homer einen
näheren oder entfernteren Zusammenhang haben: Iphigenia in
Taurien, den Plan zu Iphigenia in Delphi, Nausikaa, die Achiileis
und Helena im Faust. Oberall beginnt er mit einer genauen Fest-
steilung des Stoffes, wie er bei Homer vorliegt, wie er dann in
anderen griechischen Dichtungen und Sagen geformt ist, und
kommt so zu Goethe. Den Ausdruck im Titel „homerische Ge-
stalten^' darf man dabei nicht zu sehr pressen, da Iphigenia doch
bei Homer gar nicht vorhanden ist.
Überall wird ferner das Einzelne eingereiht in den gröfseren
Zusammenhang von Goethes Leben. So geht der Achilleis vorauf
ein Ausblick auf Goethes sonstige epische Bestrebungen, auf
Reineke Fuchs und auf Hermann und Dorothea, dessen homeri-
scher Charakter dargelegt wird. In dieser Beziehung hätte jedoch
vielleicht nocii mehr geschehen können, besonders bei der allge-
meinen Geschichte der Beschäftigung des Dichters mit Homer.
Man kann da ja alles Wichtige zwischen den Zeilen lesen, doch
war es wohl für Schede r in seiner Eigentümlichkeit stärker her-
vorzuheben. So wäre zu sagen gewesen, dafs Goethe anfänglich
bei diesen Studien in voller Stärke seine Subjektivität walten läfst,
die dann erst später mehr und mehr zurücktritt. Wie er sich
überhaupt den grofsen Gleichnismacher nennt, so benutzt er auch
Züge aus Homer gleichnisweise in Anwendung auf seine persön-
lichen Verhältnisse. In dieser Beziehung handelt es sich in seiner
frischen Jugendzeit fast weniger um die Frage: Was macht Homer,
die Antike überhaupt, aus Goethe? als um die andere: Was macht
Goethe aus der Antike? Die Beispiele, besonders Briefstellen,
(ludet man bei Schreyer hübsch zusammengestellt. Ein anderer
Punkt, fast noch wichtiger, ist, dafs seine Versenkung in Homer
ihm ein Weg ist, der ihn hinausführt aus der Unnatur, der
Zopfigkeit, Manieriertheit und Geziertheit seines Zeitalters, und
auf dem er seine Sehnsucht nach einfacher Natürlichkeit gestillt
findet. Er ist in dieser Zeit sehr weit davon entfernt, in Homer
ein formales Schönheitsideal zu sehen ; er findet in ihm ein Heil-
mittel gegen die Schäden der Gegenwart, eine Nahrung, die ein
tiefes Bedürfnis des Herzens befriedigt. Goethe spricht das noch
in einem seiner Spräche in Prd^a (bei Schreyer S. 25) sehr klar
aus und fügt hinzu, dafs die homerischen Gesänge die Kraft
haben, „uns wenigi^tens für Augenblicke von der furchtbaren Last
zu befreien, welche die Überlieferung von mehreren tausend Jahren
auf uns gewälzt hat''. Wir werden so eingeführt in die Stimmung,
welcher das Rousseausche Nalurevangelium entsprang, dem alle
Kultur eine Last, ein Elend ist, welches abgeschüttelt werden
mufs, wenn die Menschheit gesunden soll. — Später rückt dieses
kraftvolle Bewältigen des Fremden, wodurch es in den Dienst der
HeüBiiigs, Lateinisches Elcnien tarbuch, af^z. v. P. Doetscfa. 21
persönlichen geistigen Bedürfnisse gestellt wird, wie gesagt, mehr
in den Hintergrund, statt dessen tritt seit der italienischen Reise
eine selbstlose Hingabe ein, ein Streben nacli voller Objektivität,
welches bis zu jenem ungesunden Extrem ausartet, von dem er
am 12. Mai 1798 an Schiller schreibt, er müsse den Alten auch
darin folgen « worin sie getadelt werden, ja er müsse sich zu
eigen machen, was ihm nicht behage. Wie Recht hatte Schiller,
da ein entschiedenes, warnendes Wort zu sprechen! (Schreyer
S. 78f.).
Mit diesem Heft hat die Gymnasial -Bibliothek die selbstge-
zogene Grenze, dafs sie ., Abhandlungen aus dem Gebiete des
klassischen Altertums** bringen wolle, wohl schon etwas über-
schritten. Man wird sich dessen freuen dürfen, und es ist viel-
leicht gestattet, den Wunsch anzudeuten, dafs ebenso anregend
nun ein Heft folge, welches das Fortleben der Gestalten deut-
scher Sage und Geschichte in Goethes Dichtung behandelt, also
G5t2, Faust, Egmont, Hans Sachs, die Salzburger Emigranten,
deutsche Sagen in den Balladen u. s. f., und daran anknüpfend
die Röckwendung zum Deutschtum, die Goethe in seinem höheren
Aher ausgeführt hat.
Neustrelitz. Th. Becker.
P.D. Chr. Beonings, Lateioisches Elenientarbuch. Dritte Abteilung.
Lehrsloir fiir Qoarta. Fünfte Auflage. Nach den preafaischen Lehr-
pläoen von 1892 bearbeitet von B. Grosse. Halle a. S., Verlag der
Baehhandlang des Waisenbaases, 1893. V u. 170 S. 8. 1,20 M.
Die Lehrpläne und Lehraufgaben für die höheren Schulen in
Preulsen weisen der Quarta der Gymnasien im Lateinischen
^.Wiederholung der Formenlehre, das Wesentliche aus der Kasus-
lehre im Anschlufs an möglichst dem Gelesenen entnommene
Musterbeispiele, Syntax des Verbums nach Bedürfnis*^ als gramma-
tisches Pensum zu. Die mündlichen und schriftlichen Übersetzungen
sollen aus einem Übungsbuche angestellt werden, dessen Inhalt
sich an das Gelesene anlehnt, damit gleichzeitig ein gründliches
Verständnis des Schriftstellers gefördert werde.
Die im vorbezeichneten Buche enthaltenen Übungsstücke sind
in der Hauptsache an Nepos (Milliades, Themistokles, Aristides,
Paosanias, Cimon, Lysander, Aicibiades, Thrasybulus, Epaminondas,
Agesilaus, Hannibal) angeschlossen. Fingestreut sind sowohl zu-
sammenhängende Stücke freieren Inhalts wie auch in mäfsiger
Anzahl Einzelsätze. Soweit also der Anschlufs an die Lektüre in
Betracht kommt, ist djer Forderung der neuen Lehrpläne genügt,
und zwar ist dieser in so enger Anlehnung an Nepos erstrebt,
ab ibnoliGh erschien, ohne den Schülern ein unerlaubtes Hilfs-
mittel für die Vorbereitung zu liefern. Eine bestimmte Grammatik
ist der Reihenfolge und Einrichtung der einzelnen Abschnitte nicht
zu Grande gelegt, das Elementarburh läfst sich neben jeder
22 P* D. Chr. HenDiD^s, Lateinischrs Eleneota rbueh,
Grammatik gebrauchen. Ausdriicksweise und Satzbijdnng leiden
nirgendwo an dem Fehler des zurechtgelegten „Übersetzungs-
deutsch*', es ist wirkliches Deutsch, was hier zur Übertragung
vorgelegt wird. (Die l>eliebte, aber darum noch lange nicht be-
rechtigte Wendung: „Dem Gedächtnis ist überliefert worden** findet
sich zwar auch hier (S. 7), mag aber wohl nur auf einem Versehen
beruhen.) Sehr zweckmäisig ist es ferner, dafs den Übungsstücken
für jeden einzelnen Kasus (mit Ausnahme des Dativ) wiederholende
Stöcke eingefügt bezw. beigegeben sind. Das Elementarbuch
könnte daher, soweit die gedachten Forderungen in Betracht
kommen, röckhaltlos empfohlen werden; doch dürften sich seiner
gröfseren Verbreitung aus einem doppelten Grunde Schwierigkeiten
entgegenstellen.
Die erste liegt darin, dafs ein Teil des Tertianerpensums in
systematischer Behandlung hineingezogen ist. Die Abschnitte I — III
(S. 1 — 29) nämlich dienen der Einübung folgender Konstruktionen:
Accusativus cum hilinitivo (man, Attribut, Apposition, relative An-
knüpfung); dicor, iubear, vetor, videor, Participium coniunctum,
Pronomen, Ablalivus absolutus. prädikativer Nominativ und Accu-
sativ, Kausal- und Konzessivsätze {quod, quia, quarnquam^ cttin),
dum während, postquam nachdem, ubi u. s. w. sobald als, Con-
secutio temporum, abhängige Fragen, ut, ne, timeo ne, tum dubito^
non est dubium quin^ Gerundium und Gerundivum. Es liegt mir
durchaus fern behaupten zu wollen, dafs dem Quartaner zum
Verständnis des Nepos die Kenntnis der aufgezählten grammatischen
Erscheinungen nicht notwendig wäre. Thatsächlich wird man sie
ja auch zum Teil schon am Schlufs des Quinta- oder heim Be-
ginn des Quarta-Kursus dem Schüler zu vermitteln duchen, soweit
es eben möglich und notwendig ist. Aber bei dem beschränkten
Mafse an verfugbarer Zeit wird es doch in der Regel eben nur
eine propädeutische, aber nicht eine so eingehende Belehrung sein
können und dürfen, wie es in dem Elementarbuche geschiebt, da
für Einzelheiten und besondere Schwierigkeiten solcher Art auf
dieser Klassenstufe das volle und bleibende Verständnis ohne
Zweifel kaum vorauszusetzen ist.
Und das leitet mich zu der Besprechung des zweiten Punktes
über, eines Bedenkens, dessen auch der Verfasser, wie mir scheint,
sich selbst nicht ganz erwehren konnte, wenngleich er sich aus-
drücklich in einer Bemerkung der Vorrede dagegen verwahren
will. Er giebt zu, dafs vielleicht einzelne Sätze auf den ersten
Blick für Quartaner zu schwierig erscheinen dürften, glaubt aber,
dafs meist schon die Vergleichung mit Mepos die Schwierigkeiten
lösen werde. Sodann meint er auch der Zeilrichtung nicht allzu*
sehr nachgeben zu dürfen; wenn die Stücke für einen Quartaner
zu schwierig seien, so sei es der Nepos noch viel mehr. Der
Verfasser übersieht zunächst, dafs die Übertragung eines fremd-
sprachlichen Schriftstellers ins Deutsche viel weniger Schwierig-
aagei. voo P. DoetHch. 23
keiten macht als das Hinuberietzen solcher, weno auch noch so
«Bga an diesen angelehnler Übungsstücke. Wenn er eine gröi^sere
bU derselben im eigenen Unterricht verwertet und dieselben in
keiner Weise als zu schwierig erfunden hat, so mub ihm ein
fani Tonügliches Schulermaterial zu Gebote gestanden haben, wie
man es im Durchschnitt nicht finden wird. Man versuche einmal,
nachfolgende, als Stichproben herausgegriffene Sätze einer Quarta
fsrzalegen: «,Es ist schon geschehen, wovon du vermutet hattest,
dals es gescbf^en werde** (S. 2). „Auf den Inseln . . . waren
Leute, von denen man glaubte, dafs sie . . . lebten** (S. 5). „Die
Athener haben aus Furcht, von euch gehindert zu werden, auf
meinen Rat hinter eurem Kücken (elam) die Mauern erbaut. Und
dies ist nach meiner Meinung (d. e. Verbum) für das gesamte
Griechenland nicht ohne Nutzen (Adj.)'* (S. 20). „Wisse, dafs ich
gekommen bin, den Ruhm ... zu vermehren. Daher zweifle
nicht (also auch die Form des negativen Imperativs ist in das
Qnartapensum hineingezogen!), dafs ich . . . gehorchen werde . . •
fnrchle nicht, dafs ich . . . nicht sagen werde . . .** (S, 24). „Da
sprach Tbemistokles, wie man erzählt, ungefähr das, was er nach
dem Berichte andrer geschrieben haben soll** (S. 25). „Auf der
Rückkehr . . . schien es ihm, dafs einige Inseln . • . abfallen
wollten*^ (S. 37). „Diese Nachricht (durch cerfiorem fieri) war för
mich von Wichtigkeit** (S. 54). Und das alles ohne Fufsnoten!
Man glaube nicht, dafs es vereinzelte Fälle solcher Redewendungen
sind, man wird sie fast Seite för Seite finden. Allerdings läfst
der Verfasser sie in den drei ersten Abschnitten gründlich ein-
iben; aber um nur diese allein nachhaltig durchzunehmen, hat
man ungefähr das ganze erste Tertial nötig. Da nun aber die
Abschnitte über die Kasuslehre dergleichen syntaktische und
stüistische Regeln immer und immer wieder bringen, so lassen
sieh diese nicht fibersetzen, ohne dafs die Übertragung jener
vorausgegangen ist. Wo soll man aber bei sieben Stunden, von
denen im ersten Halbjahre drei, im zweiten vier fOr die Lektöre
des Nepos abgehen, die Zeit dazu hernehmen? Übungen, wie sie
hier dem Quartaner zugemutet werden, gehören in das Pensum
der Tertia und Sekunda; dem Quartaner sind die meisten der
darin enthaltenen stilistischen Regeln nur soweit zu vermitteln,
als es durch die Übertragungen ins Deutsche gefordert wird.
Attcb einem mittelmäfsigen Sekundaner wörde die Übersetzung
der Stacke an manchen Stellen recht vieles zu fiberlegen geben.
in einem Anhang wird Übungsstoif zu den Präpositionen „an,
aaf, ans, bei, durch, für, gegen, in, mit, nach, fiber, um, unter,
von, vor, wegen, zu*' in den mannigfaltigsten Verbindungen ge-
boten, eine Zusammenstellung, die ich sehr zweckmäfsig finde
und deren Ausnutzung nicht genug empfohlen werden könnte,
wenn die nötige Zeit zur Verfögnng stände, was aber bei der
emeaerten Beschränkung der Lateinstunden kaum noch zu hoffen
24 Grosse, Lateinische Formenlehre f. d. Aofang^sooterricht,
ist. In einem weiteren Anbange sind ans dem Nepos gesammelte
Phrasen in folgender Zusammenstellung beigegeben: i. respubUca,
eivüas, 2. bellum, fax, imperium, summa imperii. 3. iudicium.
4. res privatae. Ein Wörterverzeichnis endlich bringt die für die
Übersetzungen notwendigen Vokabeln, deren Auswahl zu billigen,
<]eren durchgehende Quantitätsbezeichnung zum mindesten über-
flüssig ist (sogar das e im Inf. Praes. der 3. Konjugation ist
durchweg mit dem Quantitätszeichen verseben). Die Aussprache
soll der Schüler mehr durch das Gebor als durch das Auge merken
und behalten lernen.
Ich bedaure, dafs das Clementarbuch sich nicht auf die Kasus-
lehre beschränkt und in seinen stilistischen Anforderungen für
Quarta vielfach zu weit geht; ich wurde 4^s sonst ohne Bedenken
empfehlen können, da es im übrigen recht geschickt und mit
eifrigem Bemühen gestaltet ist.
Euskirchen. P. Doetsch.
Grosse, Lateinische Formenlehre für den Anfan^sa nterricht.
Wisseoschaftliche Beilage zum Programm des Gynnasiams za Arn-
stadt. 1893. 8. IV o. 42 S.
Mafsgebend ist für Grosse, was Fries kürzlich in den Lehr-
proben über den Betrieb des lateinischen Anfangsunterrichts ge-
äufsert hat. Den von Fries in zwölf Hauptsätze zusammengefafsten
Gesichtspunkten, die als das ABC für jeden Lehrer der Anfangs^
gründe des Lateinischen bezeichnet werden, hofft Grosse mit
folgenden Vorschlägen und Ausführungen zu entsprechen:
1. Das mechanische Lernen ist zu verwerfen, wenn eine
grammatische Erscheinung durch das sogenannte judiciöse
Lernen angeeignet werden kann. Dies glaubt Grosse durch An-
wendung der gedruckten Wandtafeln für Deklination und
Konjugation und durch eine andere Anordnung der unregelmäfsigen
Verba erreichen zu können. Die Wandtafel bleibt so lange
hängen, bis die Bildung der Formen völlig sicher vor sich geht,
dann erst wird die Endungs reihe eingeprägt.
2. Nicht zu umgehen ist das mechanische Lernen der
Genus- und ähnlichen Regeln; doch soll auch dies Lernen in
der Schule stattfinden. Beimregeln sind zweckmäfsiger d. b.
leichter zu lernen als die nach wissenschaftlicher Geschlechts-
bestimmung gebildeten Prosaregeln. Grosse hat deshalb den aus-
gedehntesten Gebrauch von Beimregeln gemacht. Er verhehlt
sich nicht, dafs auch diese , noch recht unzweckniäfsig'* sein
können, hollt aber, „von letzterem Vorwurf nur selten getroffen
zu werden". Wir werden ^ehen, inwieweit diese Hoffnung be-
gründet ist.
3. Die sogenannten unregelmäfsigen Stammformen werden
nach den Perfektstämmen geordnet, und zwar ohne dafs eine
Anordnung nach Konjugationen und Präsensstämmen dazwischen
aogez. von R. Scheok. 25
(rilt, um d«n Vorteil jener verwandtschaftlichen Gruppierung nicht
wieder einzubiifsen. Aus demselben Grunde werden auch die
Deponentia mit eingereiht, die nicht am Schlüsse des Ganzen
einhermarscliieren dürfen. Überhaupt seien die regelmäfsigcn
Deponentia, weil sie leichter seien als die t3. Konjugation, in die
Seita za verlegen — entgegen den neuen Lehrplänen!
4. Induktion sei für die Formenlehre nur da anzuwenden,
«0 sie sich angezwungen darbiete, z. B. in der Auffindung der
Eodungsreihen der Deklination nach einem vorgeführten Beispiel,
Tor allem aber in der Erkenntnis der syntaktischen Regeln.
Die Formenlehre werde am einfachsten von „Tafel und Mund zu
Auge, Ohr und Mund'' eingeprägt.
Man wird diesen Grundsätzen gern beipflichten, schon aus
dem Grunde, weil sie — mit alleiniger Ausnahme des dritten —
längst Bekanntes und Erprobtes enthalten; denn dafs die Wand-
tafel das grammatische Lehrbuch in der Sexta zum gröfsten Teil
zu ersetzen habe, da/s gerade auf dieser Stufe der Lehrer dem
Schüler alles sein müsse, ist keine neue Entdeckung, sondern
eine hoffentlich überall anerkannte und im Unterrichtsbetriebe
beherzigte Wahrheit.
Was sodann der Verfasser als „Grammatik für neun- bis
zehnjährige Knaben^' vorfuhrt, bedarf noch starker Sichtung und
Beschränkung, ehe es sich zu praktischem Gehrauche eignen
könnte. Die Geschlechts- und Flexionsregeln sind so, wie sie
Grosse zusammengestellt hat, unmöglich zu erlernen. Reimregcin,
die ins Ohr fallen, findet man überhaupt nicht; die meisten sind
Dar durch die im Druck hervortretende Slrophenform als „nicht
prosaische'^ Regeln erkennbar. Nach der Vorbemerkung des Ver-
fassers sollen auch die Endungsreihen eingeprägt werden. Die
strophische Form, in die die Gruppen gebracht sind, weist gleich-
falls auf eine solche Absiebt des Verf.s hin. Ich meinerseits mufs
erklaren, dafs ich die Kinder bedauere, die gezwungen werden
sollten, sich mit den Endungsreihen von S. 11 oder gar mit den
portenta ac prodigia der Endungsausnahmen (S. 12 und 13) abzu-
quälen. Zudem findet sich schon im Abschnitt von der Deklina-
tion manches Verkehrte und Anfechtbare. S. 8 wird behauptet,
dafs die Eigennamen auf im im Vokativ „das e verlieren und so
auf I endigen'*, während doch das vokativische t lang und aus
ie zusammengezogen ist. Die Angabe der beiden Fälle, in
denen die Genetivendung um statt orum üblich ist, gehört nicht
io den Anfangsunterricht. Statt dessen hätte es sich empfohlen,
ein Substantivum auf er abzuwandeln und ein Wort über die
Abwerfang des e vor r zu äufsern. Die nach einem allzu künst-
lichen Schematismus gegebenen Regeln über die Endungsausnalimon
(S. 12. 13) fuhren u. a. noch den Ballast caelebsy pubes, sospes,
ti9mpo$, wpersUs, und § 9 wird in der Ilaupt-Geschlechtsregel ge-
lehrt, dafs männlich die Wörter auf o sind, was doch gegen alle
26 (v rosse, Lat. Formeiil. f. d. Au fangsanterr., ag;z. v. R. Schenk.
Ergebnisse der Statistik ist und den Grammatikern der neuesten
Zeit für längst abgethan gilt. Was soll ferner dem Gymnasiasien
der Unter- und Mittelstufe die Bemerkung nützen, dafs Wörter
wie gnis und stis weiblich sind und sus den dat. pl. subus bildet?
Die Abwandlung von Juppüer und eines Adjektivums im Kom-
parativ wäre wünschenswerter gewesen. Übrigens finden sich
grobe prosodische Verstöfse: äcer (S. 12 und S. 17), ds, qssis
(S. 10). Wörter wie lex sind nach ihrer Quantität bestimmt,
während solche wie bonus, vetua^ pater, mantcs, kgo^ cado, vento,
sedeo, veto, dedi u. a. m. ohne Bezeichnung sind. S. 21 genügt
der Satz: ,Mille ist undeklinierbar** nicht zur Charakteristik dieses
Wortes. Woher soll der Schüler die darauf folgende Verbindung
mille milites im Gegensatz zu duo miUa nalitum begreifen? Was
sodann die pronomina indeßnita (S. 24) anlangt, so ist bei diesen
am allermeisten Beschränkung zu üben. Noch immer halten es
Herausgeber von Schulgrammatiken für eine heilige Pflicht, Wörter
wie quispianty quisquam, quüibet, quivis^ unusquisque etc. mitzu-
schleppen, die in eine Syntax gehören oder bei ihrem Vor-
kommen in der Lektüre zu besprechen sind. Der erfahrene
Lehrer weifs, dafs von allen grammatischen Dingen die unbe-
stimmten Fürwörter dem Schüler der Unter- und Mittelstufe der
schlimmste Stein des Anstofses sind. Ihre gedächtnismäfsige
Aneignung ist übermäfsig schwer, und ihr Besitz ein totes Kapital
Dasselbe gilt von der Coniugatio periphrastica und dem Gerundium
(S. 34). Auch diese gehören in die Syntax.
Anerkennung verdient, dafs Grosse in der Vorführung der
„sogenannten unregelmäfsigen Stammformen** sparsam mit Kom«
positis gewesen ist. Noch besser wäre es gewesen, wenn er
Sachen weggelassen hätte, die längst als unrichtig oder tilgungs-
wert erkannt worden sind. Ich nenne folgende: pango ^= padscar
ich sciiliefse einen Vertrag, tensum, paveo — patn^ tcto, t)tso, frandeo,
scando (statt der Komposita), vello (statt der Kompos.), ntio (dgl.),
ruo (dgl.), abolesco, snesco, sapwi und soput, cttum, aUlumj
molo (mit Stammformen), vomo (dgl.), gemitum, ingemüum, frem-
Ititn, secaiums, sonaiwus, frico (mit Stammf.), octulo (dgl.),
MTo als V. Simplex, mHo (dgl.), amtcto, rep/tim, nerptum,
induUum, ftigo als v. simplex, fructui stim, mtdeeo als v. s., vado
(dgl.), rodo, meto und gradior (als v. simplex). Warum setzt
aufserdcm Grosse viele Formen hi Klammern? Entweder ist die
Bildung der Form gestattet, und dann wird sie dem Schüler als
ein Vollwertiges mitgeteilt, oder sie geht nicht an, und dann wird
sie ganz weggelassen. Nicht einverstanden kann ich mich überdies
mit einem Verfahren erklären, das den Quintaner zwingt, bei der
Aneignung der Stammformen von arg^io sich statt des Supinums
die Vokabel ^.argutus = sinnreich*' zu merken. Wann begegnet
ihm diese in seiner Schullaufbahn? Dann erst, wenn er sie wieder
wie von neuem lernen mufs. Entweder lasse man die Form
E. ZiBmernaBQy Latein. Dbuiig^sbuch, ags. von P. Thümeo. 27
ffyuhif gani aus dem Spiele oder gebrauche den Aasweg mit
§iXM$alnm. Die Nebenformen von edere, die Grosse sämtlich auf-
führt, gehören sichUefslich ebensowenig in den Anfangsunterricht
irie die BildnDgen nolunto, euntOy inquiebat, inquies, inquiet, in-
friaiit otoi, aiant^ aiebam und die Präpositionen ponSn versuSj
pAut, earam.
Ist nach dieser Darlegung der Grossesche Abrtfs in seiner
gegenwärtigen Gestalt als geeignetes Lehrmittel für neun-
bis lehnjährige Gymnasiasten anzusehen? Ich glaube nicht.
Glückstadt. Richard Schenk.
E. Z im m « r u a n o , ObuDgsbach i m A d s eh I a fs anCicero,
Sallnst, Livins zum mUodlichea und schriftiicbeo übersetzen
ans dem D«Dtscheo ios Lateinische, nach deo Anforilerongen der neuen
Lehrplaoe. Zweiter Teil. ObuugsstUcke im Anschlufs an Cicero«
Catilinariscbe Reden und Sallosts Versch^^oruog^ Catilinas. Berlin
1893, R. Gärtners VerlagsbnehhaDdinDg (Hermann Heyfelder). VI n.
134 S. 8. 1,20 H.
Was ich zu dem ersten Teile dieser Übungsbdcher, der
Ciceros Ponipejana entnommene Stucke enthält, in dieser Zeit-
sdirift (1893 S. 30 und 31) gesagt habe, gilt im wesentlichen
auch TOD dem vorliegenden zweiten Teile, der im Anschlufs an
Qceros Catilinarien und Sallusts Verschwörung Catilinas bearbeitet
worden ist. Auch hier wird in einem im ganzen einwandsfreien
Deutsch Material zu Übungen geboten, das sehr wohl geeignet ist,
dem Geiste der neuen Lehrpläne entsprechend die Lektüre zu
oDterstötzen und zu fördern. Dennoch fordert die äufsere Ein-
richtung des Buches wie der Charakter der Schriftwerke, welche
zu Grande gelegt worden' sind, zu einigen Bemerkungen auf,
deren Beachtung die Brauchbarkeit des Buches erhöhen dürfte.
In den Lehrplänen werden der Lektüre der Untersekunda
„leichtere Reden Ciceros** neben Livius, Vergil und Ovid zuge-
wiesen; erst die Obersekunda soll sich mit Sallust neben Livius
and aosgewählten Reden Ciceros beschäftigen. Jener Klasse also
werden die Catilinarien zufallen, während diese erst mit den beiden
pöfseren Werken Sallusts sich zu beschäftigen haben wird. Ziehen
wir aus diesen thatsächlichen Verhältnissen für unser Obungsbuch
die notwendige Schlufsfolgerung, so sind die Übungsstücke, welche
beide Schriftwerke berücksichtigen, in eine zweite Hälfte des
Boches zu verweisen, oder der Lehrer mufs zu der Übersetzung
die nötigen Anweisungen aus Sallust geben, oder endlich, der
Scholer müfste angehalten werden, privatim die in der Überschrift
angegebenen Kapitel aus Sallust zu lesen. Im zweiten Falle wür-
den diese Übungen nur teilweise den Zweck erfüllen, der Lektüre
Förderung und Stütze zu gewähren; der dritte würde dem Geiste
der neuen Lehrpläne nicht entsprechen, welche ja — ob unbe-
dingt zum Heile? — die häusliche Thätigkeit der Schüler auf ein
28 B- ZimmermaoD, Latein. Übungsbuch, agz. voo F. Thnmeii.
geringstes Mafs herabzusetzen bedacht sind. Äufserdem aber, in
welcher Weise meint der Verf., dafs der Schuler sich die nötige
Grundlage filr eine Übersetzung des fünften Übungsstückes zum
Beispiel verschafft habe, das aus der ersten Rede vier, der zweiten
einen, der dritten vier, der vierten zwei Paragraphen und äufser-
dem ein Kapitel aus Sallust verarbeitet hat? In welcher Klasse
soll es übersetzt werden? Sicherlich könnte dies doch erst am
Schlüsse der Obersekunda geschehen; und wie bei diesem, so
liegen die Verhaltnisse genau in derselben Weise bei einer grofsen
Anzahl von Übungsstücken. Auch die Frage mag hierbei gestreift
werden, ob wirklich sämtliche vier Catilinarien als wünschenswerte
Lektüre zu bezeichnen sind. Überblickt man die Übungsstücke,
so liegt die Vermutung nahe, der Verf. habe, wie es nach den
Lehrplänen von 1882 zulässig, der Weisung Schillers (Handbuch
der praktischen Pädagogik S. 413) folgend, die Catilinarischen
Reden in unmittelbarer Verbindung mit der Catilinarischen Ver-
schwörung des Sallust lesen lassen und sie nicht als selbständige
Lektüre behandelt, sondern in die Lektüre dieser episodisch an den
betreifenden Stellen eingefügt; daraus sei dann das vorliegende
Übungsbuch entstanden, das nunmehr der Verteilung der Lektüre
nach den neuen Lehrplänen nicht mehr ganz entspricht. Indessen,
mit den vorstehenden Bemerkungen soll die Brauchbarkeit des
Buches keineswegs in Frage gestellt, vielmehr eine mit den wirk-
lichen Verhältnissen der Praxis mehr in Einklang stehende Ein-
richtung empfohlen werden, durch deren Einführung jene erhöhl
würde. Bei der Fülle des gebotenen Materials läfst sich eine
solche, stufenweise fortschreitende Gruppierung der einzelnen
Übungsstücke leicht herstellen; machen wir den Versuch, so würde
sich die Reihenfolge ergeben: Stücke 2. 3. 4. 15. 8. 9. 10. 13.
22. 23. 27. 28. 29. 30. 31, dann unter Heranziehung der zweiten
Rede Stück 16, und so weiter fort unter allmählicher Verwertung
des zuOiefsenden Materials. Die Stücke 96, 97, 100 z. B. würden
etwa unter die Nummern 20 — 30 fallen, die meisten aber von 39
an in den zweiten Teil des Buches, für Obersekunda, kommen,
von dem vorher die Rede war.
Wenn ich bei der Besprechung der Pompejana desselben
Verf.s bereits andeutete, dafs ohne Nachhülfe des Lehrers manche
Stücke vom Schüler nicht wohl übersetzt werden könnten trotz
seiner Bekanntschaft mit dem Stoffe, so hat sich naturgemäfs der-
selbe Gedanke bei dem vorliegenden Buche stärker her vorgedrängt.
Denn während jene nur eine Nach- und Umbildung eines rheto-
rischen Schriftwerkes bildet und somit mehr oder minder ausge-
prägt rhetorische Prosa bietet, haben die Catilinarien und besonders
Sallust häufig Veranlassung zu Übungsstücken historischen Charakters
gegeben, in welchen demnach die historische Periode eine grofse
Rolle spielt. Sollte der Untersekundaner wirklich die vielen
„aber'\ „dadurch'% „daher'* ohne Anleitung durch Periodisierung
E. Bachof, XeoophQDs Aotbasis, angez. voo W. GemoH. 29
beseitigen, sollte er deutsciie NebeDsälze, die an den Schlufs des
SaUes gesielll worden sind, im Lateinischen aber vorweg ge-
Dommen werden müssen, aus eigener Wissenschaft richtig über-
seilen? Man nehme als Beispiel im ersten Stücke den Satz: Auf
Grund dieses strengen u. s. w. Durch gesperrten Druck des
^ber* war der Schüler leicht auf die Beseitigung dieses W5rt-
chftts hinzuweisen, und auch durch eine bestimmte Angabe zu
veranlassen, den letzten Satz „damit er sich gegen den Staat nicht
rähren kdnne^^ vorweg zu nehmen. Mit der Übersetzung: q^w
ex tarn vehemerUi tamque gravi senatusconsulto quamquam Catüinaai
nierlkere poterat, tarnen, ne contra rempubltcam se commovere
pessel, . . fuiavit erhalten wir dann die lateinische Wortstellung:
a:A (b) A. Und solcher Beispiele lassen sich viele beibringen.
Wenn der Verf. nach diesen beiden Richtungen hin, der einen
engeren Anscblufs an den Fortgang der Lektüre suchenden Grup-
pierung der Stücke und der Hinweisung des Schülers auf den
Bau historischer Perioden, das Buch einer Revision unterzieht, so
wird sich dessen Brauchbarkeit, die hauptsächlich in der zwang-
losen Gestaltung eines sehr reichen Materials unter einer ge-
viigenden Berücksichtigung der Grammatik liegt, meines Erachtens
bedeutend erhöhen. Er verspricht eine ähnliche Arbeit aus Livius,
wie man vermuten darf, vornehmlich aus den ei*sten Büchern der
dritten Dekade; möchten diese Zeilen auf deren Gestaltung nicht
ohne Einflufs bleiben.
Stralsund. F. Thümen.
XeaeplioBS Ana basis für den Schulgebraurh heraosgeben von E. Bachof.
2. Aufläse. TexUosgabe. Paderborn 1892, P. Scböuiogh. 242 S. 8.
1,20 M.
Der Verf. versichert in der Vorrede, dafs meine Programme
Kreuzburg 1888, 1889 — der 3. Teil (Liegnitz 1890) scheint ihm
unbekannt geblieben zu sein — zu einer Nachprüfung einzelner
Stellen des Teites Veranlassung gaben. In der That hat denn
auch sein Text vielfach ein anderes Aussehen als der Hugsche.
Wo unberechtigte Athetesen von mir angefochten sind oder auf
Cpr zurückgegangen wurde, hat Bachof sich meistens ange-
schlossen, so 11,7 dnoatrfvat nqöq Kvqov^ tovg (Jbiv avTCOv,
2, 1 iSoxsi ^dij noQivta&a^ avztS at^co, 6 olxovfAiptjv xal
(fdalftora, 13 iyrsv&ty öi iXavpsij 21 äykrixavov , ib. d^o
ifäfiysy^ 3, 1 ifistyfv 6 Kvqoq, 6 ov -i^ikete, ib. Ixayog
olftat slyat «. s. w.
DaCs er fremde Konjekturen selten in den Text aufge-
nommen bat, fver wollte ihm das verargen? Sie sind nicht
immer, ut vineta egomet caedam mea, andern so einleuchtend
«ie ihren Urhebern. Auch war die Absicht des Hsgb.s offenbar
nielir auf einen gut lesbaren Text für das praktische Bedürfnis
30 K- ScbeokI, Übangsb. z. Ubers. a. d. Qeiitschefi i. Griech.,
der Schule gerichtet als auf blofse Befriedigung wahrer oder er-
träunUer Wissenschaftlichkeil. Aber dafs er 1 4, 4 ifpeiCtfjteeiSap
nvQyoi, eine gemeinsame Konjektur von Hartmann und mir,
nicht aufgenommen hat, nehme idi ihm doch übel; auch I 7, 2
ifjM Tfi [iTnovafi] ^f^sQif scheint mir immer noch so plausibel
wie früher. Die Umstellung I 4, 15 vfi>tp di fi6po$g ns^^ofA^yo^g
wg niiStOTatoiq verdanken wir wohl Bachof selber, sie ist
recht ansprechend; ib. konnte meines firachtens W. Böhmes
Konjektur €iq (pqovqaq%iaq (Fleck. 1893 S. 260) aufgenommen
werden.
Alles in allem mufs Ref. Bachofs zweite Ausgabe eine ver-
besserte nennen, da der Verf. bescheiden dies unterlassen hat;
sie ist wohl geeignet, für unsere Schulen empfohlen zu werden.
Liegnitz. Wilhelm Gemoll.
Karl Scheokl, Obangsboch zani Cbersetzen aus dem Deutschea
ios Griechische. Für die Klassen des Ober^ymoasioms bearbeitet.
Achte, amgearbeitete Anflape. Wien 1893, Tempsky. IV a. 197 S.
1 fl. 20 kr.
Die achte Auflage des griechischen Übungsbuches von K. Schenkl
unterscheidet sich von ihrer Vorgängerin recht bedeutend. Die
Stucke der letzteren zum Übersetzen aus dem Lateinischen in das
Deutsclie (Nr. 76 — 105, 148 — 183) sind sämtlich, von ihren
„Übungen für Vorgerücktere** viele (Nr. 121 — 137) fortgelassen;
somit sind von dem alten Bestände aufser den Vorübungen nur
96 Stucke (von 183) in die neue Auflage aufgenommen. Dagegen
ist neu ein Anhang mit 80 Übungsstücken, die sich an die Lek-
türe anschliefsen. Davon setzen die ersten 37 die in Schenkls
Chrestomathie enthaltenen Abschnitte aus der Anabasis, der Cyro-
pädie und den Erinnerungen des Xenophon voraus, 38 — 49 Scenen
aus den letzten vier Büchern desHerodot, 50 — 65 die Philippischen
Reden des Demosthenes, 66—74 Piatos Apologie, Kriton und eine
Scene aus Phädon; 75 — 80 behandeln die ödipussage und sollen
wohl neben der Lektüre des ödipus Rex, ödipus Colon, und der
Antigone übersetzt werden. Diese Änderungen waren nach dem
Begleitworte geboten, „da sicli in der letzten Zeit die Verhält-
nisse bei dem Unterrichte in den klassischen Sprachen wesentlich
geändert haben'', in der That müssen diese Änderungen gar
einschneidend sein, die Seh. veranlassen konnten, auf die Übungen
im Übertragen aus dem Lateinischen in das Griechische voll-
ständig zu verzichten, die er noch vor vier Jahren in 66 von
183 Nummern vorgenommen hatte, und jHzt an 80 von 176
Nummern Paraphrasen des Gelesenen vorzulegen, die von ihm
früher gänzlich gemieden waren. Diese Paraphrasen enthalten hin
und wieder etwas mehr als die Vorlage: Erklärungen der letzteren
und Erweiterungen, die aus anderen Quellen fliefsen. Nur aus-
nahmsweise schafft Sdi.s Phantasie geradezu Neues, von umfang-
anget. von P. WeifsenfeU. 31
hwen Zusitzen abgesehen in den Nummern 13 — 15 eine Hede,
die aus den Ansprachen des Xenophon an die Hauplleute des
Proxemi«, an die Feldherren und Hauptleute und an das ver-
sammelte üriegsvolk zusammengeschweifsl ist. Die Thatsache,
dafs diese Ansprachen nicht in dem Mafse wie die stenographi-
schen Berichte von ParJamentsreden Anspruch auf historische
Glaiibwürdigkeii erheben dürfen, mag die rhetorische Fiktion ent-
iduldigen. Auifallender Weise beginnt sie Seh. mit den Worten:
JSo lange nun der Vertrag bestand**, wie 73 die Rede des So-
krates: ,,Wie nun, Heber Kriton, wenn**, als wolle er nur Fort-
lelzitngeii liefern. Das ft*emde Idiom Jugt hervor aus den Worten
in 44: ,,Die Athener sandten Männer nach Delphi, um den Gott
hinsichtlich des Krieges zu befragen, wie er ausgehen werde**.
Von dieser Stelle abgesehen, zeigt sich Seh. wieder als ein Meister
in der Handhabung der deutschen Sprache, und zwar, da ja der
Text zunächst griechisch gedacht ist, unter erschwerenden Um-
sUnden.
Die Anmerkungen, die froher den einzelnen Nummern folgten,
hat Sc^enkl jetzt vereinigt und den sämtlichen Nummern nach-
gestellt; sie bilden nunmehr den Anfang eines zweiten Teiles, in
dessen Hauptteil, das deutsch-griechische Lexikon, zur Entlastung
der Anmerkungen der frühere lexikalische Inhalt der letzteren
aulj^oinnien ist. Mit Hölfe dieses Lexikons dörften Schüler der
oberen Klassen, die im Übertragen aus dem Deutschen in das
Griechische geübt sind, die Vorlagen um so mehr treffen, als ja
I dodi die umschriebenen Abschnitte des Schriftstellers selbst vor-
her gelesen sein sollen.
Wir Preufsen können freilich in der Schule von dem ge-
diegenen Buche des österreichischen Gelehrten keinen rechten
Gebrauch machen. Unsere Untersekundaner sollen sich aufser der
Sptax des Noroens die notwendigsten Hauptregeln der Tempus-
md Moduslehre aneignen. Möglich nun, dafs die besseren unter
ihnen einige Sätze der Vorübungen, d. h. der Beispiele zur Ein-
ölning der Moduslehre, bei mundlicher Einöbung dieser Regeln
ohne gtofsen Zeitaufwand übertragen; möglich auch, dafs ihnen
die Paraphrasen der Anabasis gelingen, wenn zumal der Lehrer
etwa vorausgesetzte Regeln aus der Lehi*e vom Infinitiv und
Partizip seinerseits nicht voraussetzt. Weiter lassen sich jedeu'-
Wh 4it Grenzen der Verwendbarkeit nicht ziehen; denn die
Übertragnngen des Schülers aus dem Deutschen sollen nun einma)
an den Lesestoff angeschlossen werden, die aufser der Anabasis
von Seh. berücksichtigten Schriften aber werden an unseren An-
stalten erst in Klassen gelesen, in denen die Übersetzungen in
das Griechische fortfallen. Dagegen ist Lehrern das Studium der
Schenkischen Übungen zu empfehlen; denn die Vergleichung des
Ov^inals nnd der Umschreibung ist ein heilsamer Kursus des
Cifscbmackes in der Wahl des Ausdruckes beim Übersetzen aus
32 Lelir^aog der französiscbco Sprache,
dem Griechischen und zeigt, wie sich vernunftiger Weise bei eigenen
Versuchen die Paraphrase zum Original verballen mufs, wenn das
Übersetzen in das Griechische noch etwas mehr als Ketrovertieren
sein soll.
Ziillichau. P. Weifsenfels.
LehrgtLBg der fraozösischeo Sprache für die ersten Aofaog^s-
grüode des Unterrichts. Zweite Aaf Jage. Berliu 1893, Mittler &
Soho. VllI u. 168 S 1,70 M.
Das vorliegende, ohne Angabe des Verfassers veröden ilichte
Werk genügt insoweit den Anforderungen, die man an moderne
Erschjeinungen auf dem Gebiete der neusprachlichen Schullitteratur
zu stellen gewöhnt ist, als auch in ihm der Lernstoff ebensowohl
für die grammatische Schulung wie insbesondere für die Er-
werbung eines im täglichen Leben verwendbaren Wortschatzes
eingerichtet ist. £s ist ferner nicht im mindesten zweifelhaft,
dafs der nach diesem Buche unterrichtete Schuler — vorausgesetzt
immer den verständigen Lehrer — zwar langsam, aber sicher
das Ziel erreicht, das der Verfasser zu erreichen beabsichtigt. Ja,
man dürfte nicht leicht einem Buche begegnen, in dem der Lern-
stoff so mundgerecht gemacht ist, wie hier. Fast ein jedes
Sätzchen ist in einer so einfachen Form gegeben, dafs es so
gerade am bequemsten im Alltagsgebrauche angewendet werden
kann, und der Inhalt entspricht ebenfalls unbestreitbar dem All-
tagsbedürfnisse. Sätze wie: II a une motitre (Lektion 1), Le rot
est dans la ca^pitale, La lampe est dam la cmsine, Avez-vous vu le
tapis dans le salon? (L. 3). Tu as faü une faute dans la version
(L. 3), Ta Cousine est d Vecole (L. 4), Ou as-tu faü tes devoirs,
Marie? J'ai fait mes devoirs dans ma chambre (L. 6), Gelte ecurie
est sah (L. 9), Nou;s avons une veilleuse dans notre chambre ä
coucher (L. 12), Cet oeuf est mauvais (L. 23), Je n'ai pas pris de
bain d cause du mauvais temps (L. 23), Ecoutez donc comme cet
enfant recüe bien sa poesie (L. 59), Les fruits q}ie Us enfants ont
manges sont de noire jardin (L. 60) folgen sich in schier ununter-
brochener Reihe von der ersten bis zur letzten der 160 Seiten
des Werkchens. Und wie wird der Schüler in diese Sätze ein-
geführt, wie wird ihm der Lehrstoff so handlich dargereicht. Von
grammatischem Material lernt er in der ersten Lektion als aus-
giebigstes Mittel für die Bildung von Sätzen das Präsens von avoir
kennen, in Lektion 2 dasselbe in fragender Form, Lektion 3
bringt Nominativ und Akkusativ des partitiven Artikels, Lektion 4
die erste und zweite Person, wohlweislich nicht gleichzeitig die
dritte des possessiven Pronomens, die erst in Lektion 5 folgt.
Die Schwierigkeiten, die sich dem Anfänger entgegenstellen, sind
soweit berücksichtigt, dafs in diesem letzteren Abschnitt beispiels-
weise so gut wie keine neuen Vokabeln aufUeten, wohingegen
die nächste Lektion bei neuen Vokabeln keine Vermehrung des
mngez. von M. Banoer. 33
grammatischen Materials bietet. Und so zeigt sich durchweg der
Torsichiig und bewufst seinem Ziele zuschreitende Führer. Viel
pädagogischen Takt verrät die Beschränkung der mit accent
circonf lexe versehenen Worte im Buche auf L. 8 und L. 54.
la L. 8 treten zum ersten Male Wörter mit diesem Accent auf,
und zwar zweiundzwanzig an der Zahl, und nur diese allein. Sie
werden dadurch, dafs sie zum ersten Mal und gleich in solcher
Menge zusammengestellt und abgesondert von anderen Wörtern
erscheinen, dem Schöler sich als etwas Besonderes einprägen,
und wenn sie dann auch in den Sätzen der folgenden Lektionen
selbstverständlich fortwährend mit anders accentuierten Wörtern
antermischt erscheinen, bleiben sie doch dem Schüler vom ersten
Eiodrack her als mit einer besonderen Eigentümlichkeit behaftet
im Gedächtnis; hört er sonst irgendwo den offenen e-Laut, so
wendet er ohne weiteres mit sicherem Griffe den accent grave
an. Erst L. 54 bringt dann eine neue Reihe von Wörtern mit
accent circonflexe wieder isoliert von anderen Vokabeln. Wo
bei Yerbalformen der ^ vorkommt, da wird er in roter Farbe,
also auch da in einer sinnfälligen Form gegeben. Wie hier das
Mittel der „memoria localis'* wirksam benutzt wird, so noch
viel hervortretender in einer anderen höchst nachahmenswerten
Einrichlung des Buches, die sich meines Wissens in ihm zum
ersten Mal durchgeföhrt findet. Jeder Lehrer des Französischen
weils, welch eine unerschöpfliche Quelle von Fehlern die Ver-
wechslung des Geschlechts bei unseren Schulern bildet. Noch so
sorgfaltiges Einprägen der Substantiva in unlösbarer Verbindung
mit ihrem Artikel, noch so fleifsiges Erlernen von Genusregeln
kann diesem Obel nicht wirksam steuern. Wie willkommen mufs
hier nun ein Bundesgenosse sein, den in so einfacher und doch
zweifellos wirksamer Art das Lehrbuch selbst bietet, indem es
von der ersten bis zur letzten Seite hindurch die den, Lektionen
beigegenenen Vokabeln durchweg nach links und rechts in Mascu-
üoa und Feminina scheidet; der Schüler erinnert sich des Sub-
stantivs als auf der linken Hälfte der Seite stehend, also betrachtet
er es ohne weiteres als männlich, und umgekehrt. Auch sonst
suchte der Verfasser, alles andere eher als Regeln zur Belehrung
heranzuziehen. Dieser Umstand freilich, und noch viel mehr die
Art, wie die wenigen Regeln, die gegeben werden, abgefafst sind,
Üist darauf schliefsen, dafs das Budi von dem Autor hauptsäch-
lich auf Zöglinge niederer Schulen berechnet ist. Zunächst ist
die Terminologie gegen die Bestimmungen in den „Lehrplänen für
die höheren Schulen vom Jahre 1892'' vielfach die in den Volks-
schulen gebrauchte deutsche, nicht die in höheren Schulen für
alle Sprachen gemeinsame lateinische. So heifst es z. B. Seite 61 :
Die französischen Verhältniswörter regieren immer den
4. Fall und nicht wie im Deutschen verschiedene Fdite.
Völlig unwissenschaftlich und etwa in dem vorsündflutlichen Stile
Zeitedir. t d. 0/maMialw6Mm ILVIO. 1. 3
34 LehrgaDfp der fraozösiseheo Sprache,
der englischen Grammatik von Plate sind Regeln wie folgende:
In Bezug auf das Wetter wird sein stets mit faire über-
setzt (Seite 36). Interrompre nimmt in der dritten Per-
son des indicatif present ein t an (S. 97). Was ist das
participe passei es ist diejenige Form des Zeitwortes,
welche manchmal als Eigenschaftswort angewendet
wird (S. 155). Wir haben gesehen, dafs wir bei einigen
Verben die persönlichen Fürwörter im 3. Fall, bei
einigen im 4. Fall anwenden; bei sehr vielen Verben
kann man nun die persönlichen Fürwörter auch in
beiden Fällen anwenden, je nachdem, was man auszu-
drücken wünscht (S. 140). So veranlafst das an sich löbliche
Streben des Verfassers nach gemeinverständlicher Erklärung den-
selben bei der Erörterung des participe passe noch zur Aufstellung
einer geradezu unrichtigen Regel (S. 158), von der er dann (S. 159)
eine Ausnahme konstatieren mufs, die aber als solche nirgends
anerkannt werden dürfte. Unrichtig gefafst ist auch die Regel:
die Wörter auf al nehmen im Plural aux an (S. 16),
während zwei Seiten vorher richtig zu lesen ist: die Wörter
auf au und eu nehmen im Plural x statt 8 an. All diese
Regeln finden sich mit wenigen Ausnahmen nur ganz gelegent-
lich, gewöhnlich in kleinem Druck unter der Seite beigegeben;
demnach ist also von einer Übersicht über grammatische Katego-
rieen nicht die Rede, und es ist leicht zu begreifen, dafs, wie
auf der einen Seite Wiederholungen (siehe S. 2 und S. 19), so
auf der anderen sich Lücken finden. So z. B. hört der Schüler
zwar, dafs ein h muette als gar nicht vorhanden be-
trachtet wird und dafs man V davor setzt, die ent-
sprechende Behandlung des pronom possessif, des pronom äimon"
stratif und anderer Wortarten aber in solchem Falle mufs er sich
selbst zurechtlegen.
Doch nun zu dem Übuogsmaterial, den Sätzen! Der Verfasser
verteidigt ja die Eigenart seines Buches, die es auf diesem Ge-
biete zu allen modernen Erscheinungen in Gegensatz bringt; er
bat den Mut, heute, wo alles von Anfang an nach zusammen-
hängenden Stücken verlangt, ein Buch ausnahmslos mit Einzel-
sätzen zu bieten, und er giebt seine Gründe dafür an. Ob die-
selben aber stichhaltig sind, das ist noch die Frage. Von vornherein
möchte ich weder zugestehen, dafs der geistige Inhalt eines zu-
sammenhängenden Stückes notwendig weniger einfach sein mufs
als der von Einzelsätzen, noch, dafs mit ausschliefslichcr Berück-
sichtigung des bereits gebrachten Stoffes keine zusammenhängende
Erzählung sich bilden läfst. Aber auch wenn ausschliefslich Sätze
geboten werden müfsten, wofern die vom Verfasser für sein Buch
in Anspruch genommenen Vorzüge erhalten werden sollten, so
könnte ich mir auch einen solchen Übungsstoff doch mindestens
interessanter gestaltet denken, als dies in dem vorliegenden Buche
mngez, van M. B^anoer. 35
der Fall ist. Durch die Konzentrierung des Inhalts von sämtlichen
Satien eioer Lektion auf einen an der Spilze derselben genannten
Gegenstand hatte sich ohne Muhe überalJ eine Aneinanderreihung
wenigstens eines Teils derselben bewerkstelligen lassen, die den
Eindruck eines zusammenhängenden Stückes gewährt Es hätte
dann auch im Rahmen des einfachen Wortschatzes, wie ihn das
Buch enthalt, hier und dort ein Sätzchen von allgemeinerer Be-
ieuiung« ein Spruchwort, ein Sinnspruch, ein Wortspiel sich ein-
igen lassen. Wie belebend hätte nicht wenn man von längeren
Stucken ganz absehen wollte, ein Rätselchen, ein kleines Gedicht,
«De kurze Anekdote gewirkt. Müssen nicht dem gegenüber lange
Heiken iron kurzen Sätzen gleichgültigsten Inhalts über die
keterogensten Gegenstände auch den eifrigsten Schuler ermüden?
Man schlage beispielsweise I^ktion 9 auf. Da lautet der 11. Satz:
Ce pajfson a faii le foin dam les champs, Satz 12: Mes enfatUs
acez-voug de ja appris vos fahles? Non, nou$ n'avons pas appris nos
fakk$, Satz 13: Avez-vous vu man ami? Non, monenfafU, je n*ai
pa$ ou ton ami, Satz 14: Avez-vous hu de cette ean? Non, les
ammaux ant bu de cette eau, Satz 15: Dans ma chambre ü y a
pluskwrs souris, u. s. w. Genau dasselbe Bild bieten die deutschen
Sätze. In Bezug aber auf diese letzteren möchte wohl die Mehr-
zahl der -Fachgenossen im Gegensatz zu des Verfassers persönlicher
Anschauang auf die Seite derjenigen treten, von denen es im
Vorwort zur 2. Auflage heifät dafs sie die Obungssätze in besseres
Deutsch gebracht zu sehen wünschen. Oder wer würde das nicht
wollen, wenn er Sätze liest, wie Lektion 3, 15: Hast du gemacht
Fdkler in der Übersetzung? Ja, ich habe gemacht Fehler, Lektion
4. 13: Ich habe endlidt gefunden den Korb meiner Mutter, Lektion
5« 5: Deine Freundin hat sie gesehen die Königin in der Stadt?
Lektion 5, 23: Haben Sie gefunden Ihren Neffen in seinem Zimmer?
Ja, ich habe gefunden Karl in seinem Zimmer, Lektion 15, 13: Im
Herbst mein Grofsvater ist mmer auf dem Lande, aber im Winter
€r ist in der Stadt. Wir mufsten anders geartet sein als wir sind,
wenn uns nicht derartig falsche Wendungen, oft wiederholt, ebenso
gut im Gedächtnis haften sollten wie das Richtige. Und so sicher
gefestigt ist denn doch das Kind, für welches dieser Leitfaden
bestimmt ist, noch nicht in seinem Deutsch, dafs es nicht durch
derartige Mifsbildungen irregeführt werden sollte. Nun sagt der
Verfasser darüber in der Vorrede (S. VI) : „Die Ausdrucksweisen
beider Sprachen sind eben so verschieden, dafs gutes Deutsch
wörtlich übersetzt ebenso wenig gutes Französisch geben wird als
wörtlich aus dem Französischen übersetztes Deutsch jemals gutes
Deotsch sein wird. Mufs nun eine der beiden Sprachen darunter
leiden, so ist der Verfasser der Meinung, dafs es nicht ungerecht-
krtigt aej, in einem Lehrbuche der französischen Sprache die
Ruckflicht auf gutes Französisch den Ausschlag geben zu lassen'*.
Wie aber, wenn man in der Lage wäre, keine von beiden Sprachen
3*
36 Celebrated Meo of Eoglaad and Scotlaad, ag^z. y. E. Goerlieh.
leiden zu lassen? Und in der That hat diese Alternative, vor die
man sich gestellt sah, einer von beiden Sprachen zu nahe zu
treten, mit dahin geführt, aus dem Französischen direkt ohne
Vermittlung durch das Deutsche das Französische erlernen zu
lassen. Und so wenig ich, vermutlich in völh'ger Obereinstimmung
mit dem Verfasser, für das Erlernen der französischen Sprache
aus chrestomathieartig zusammengesetzten Lehrbüchern, so wenig
ich für eine völlige Beseitigung deutscher Übungen bin, so richtig
erscheint es mir doch, den Anfänger ohne jedes Zwischenglied in
den freien Gebrauch der fremden Sprache einzuführen. Wie das
zu machen ist, dazu brauche ich nicht auf mein eigenes Lehrbuch
hinzuweisen; eine ganze Zahl von den in den letzten Jahren er-
schienenen und in den Schulen mit Erfolg benutzten französischen
Unterrichtsmitteln dürfte für die Möglichkeit einer solchen Unter-
weisung sprechen. Was den besseren unter jenen Büchern ihren
besonderen Wert verleiht, ist der Umstand, dafs sie durch die
Eigenart ihrer Übungsstücke von vornherein und bis zum Schlufs
den Schüler zum Behalten des aufgenommenen Materials anregen
und zur Aufnahme neuen Stoffes reizen. Ob man nach dem vor-
liegenden Buche mit dem gleichen Genufs und der gleichen
Freudigkeit arbeiten kann wie nach den angeführten, ist wohl mit
Fug zu bezweifeln. Jene Bücher sind es auch, die den Lehrer
zwingen, seine Persönlichkeit hervortreten zu lassen und dieselbe
an die Stelle des Budies an den ersten Platz zu setzen, indem
sie den in jenen gebotenen StoiT erst zum Leben erwecken, in-
dem sie ihn schöpferisch ausgestalten, indem sie selbst das Beste
dazugeben. Das vorliegende Werkchcn aber ist der in seine alten
Rechte eingesetzte papierene Schulmeister,
Die äufsere Ausstattung des Buches genügt allen Ansprächen;
das Papier ist gut, der Druck sauber und deutlich, der Einband
haltbar. Druckfehler sind mir nur an wenigen Stellen aufgestofsen:
Seite 4, Zeile 1 von unten ist die cidille zu weit nach oben ge-
druckt; S. 11, Z. 14 von unten fehlt ein trau d'union zwischen a
und t'On\ S. 25, Z. 2 von unten fehlt ein Interpunktionszeichen
hinter freres\ S. 65, Z. 11 von unten fehlt ein Punkt hinter hwint9\
S. 130, Z. 11 von oben mufs es nom aper^mes heifsen statt nous
aper^ütnent. Zwei weitere Fehler berichtigt das Verzeichnis auf
Seite 168.
Frankfurt a. M. M. Banner.
1) Celebrated Men of En^^laDd and Scotlaod. Herausgegebea von
0. Schulze. Dresden 1892, Gerhard Kühtmann. (TexUu&gabeo
franz. n. engl. Schriftsteller für den Schul^ebraoch). 84 S. 0,85 M.
Wörterbuch dazu. 55 S. 0,35 M.
Mit der Herausgabe dieses Bändchens von Lebensbeschreibungen
berühmter Männer hat sich 0. Schulze den Dank vieler Lehrer
erworben. Die Auswahl für die englische Lektüre des zweiten
Auswahl ans Byroo, an^ez. vod E. Goerlich. 37
Uoterrichtsjahres ist nicht grofs; und wenn man erwagt, wie
bngsam die Lektüre in dem zweiten Jahre fortschreitet, und wie
schwer es ist, bei einheitlicher Lektüre den Forderungen der
Lehrpline zu genügen, so kann man sich nicht wundern, wenn
nun aaf dieser Stufe dem Lesebuch gegenüber der zusammen-
bangenden Lektüre den Vorzug giebt. Die vorliegende Zusammen-
stellang ist im Grunde ja auch ein kleines Lesebuch. Sie giebt,
vie der Titel anzeigt, eine Reihe von Biographieen und zwar von
Minnern in den verschiedensten Berufsstellungen: Wir erhalten
da Einzelheiten über das Leben des Ad mirals Nelson, des
Afrikaforscbers Livingstone, des Generals Gordon, des
Physikers Newton, der Ingenieure Watt und Stephenson
und des Königs Alfred.
Giebl die so getroffene Auswahl einerseits dem Schüler ein
treffliches Material, um sich einen vielseitigen und reichhaltigen
Wort- und Phrasenschatz anzueignen, so ist sie andererseits auch
so recht geeignet, das Interesse des Schülers rege zu halten und
ihn zn immer gröfserem Eifer anzuhalten. In lebendigem, klarem
ond fliefsendem Englisch geschrieben, entwerfen uns diese Bio-
graphieen ein frisches, anschauliches, mit anmutigen Anekdoten
reich geschmücktes Lebensbild von Männern, die auf die Ge-
schicke Englands, Europas, ja der ganzen Welt von hervorragen-
dem Einfiafs gewesen sind, und für die sich unsere Jugend stets
begeistern wird. Gerade die Klarheit und' Einfachheit des Stils
lafst diese Lesestücke besonders auch zum Abhalten von Sprech*
äbangen geeignet erscheinen.
Das beigegebene Wörterbuch giebt aufser der Bedeutung der
Wörter deren Aussprache in einer leicht verständlichen Lautschrift.
Maogelbaft bezeichnet erscheint mir das ganz offene, lange e in
mr, rare u. s. w., welches mit dem e in hed durch die Bezeich-
Dang auf gleiche Stufe gestellt wird. Bei flüchtiger Durchsicht
fielen mir auf: dufMiy [klemsi
rtätiance [risistans], re$oluti<m
epaulets [ppolets], peruse [paruz]
1* — « 1 A* T I* -'V 1
resaljiisan
, revolution [revoljiisan],
S^mersetskire [semasetSja], volume [völj9m], Zanzibar [zamibid].
3) Aoswthl aus Byroo: Childe Harold (III und IV), Prisoner of Chillon,
Hazeppa. Heraosgeg^ebeo vod J. Heng^esbach. Dresden, Gerharp
RöbtmaDD, 1892. (Textau8§^abea fraoz. a. en^l. Scbriftsteller für den
Seholg^ebrauch.) VIIl o. 116 S. 1,00 M.
Gerade J. Hengesbach war für die Herausgabe einer Aus-
wahl aus BtfTon befähigter als kaum ein anderer. Schon im Jahre
1S88 hatte er in seiner Programmarbeit: „Shall we read Lord
Bfnm in cur classes, and which of his works?'* den Beweis
geliefert, wie vertraut er mit dem Dichter ist, und wie ein-
gehend er dessen Werke gerade in Rücksicht auf die Schul-
lektöFe durchstudiert hat. Damals war er der Ansicht, dafs nur
aasgewählte Stellen aus Childe Harold und den lyrischen Dichtungen,
inid von den erzählenden Dichtungen nur Mazeppa als Schullektüre
3S C- Gurcke, Engl. Elementar-Lesebach, agz. v. E. Goerlteh.
zulässig wären. Nicht einmal der vieigelesene Prisoner of Ckillon
fand vor seinem kritischen Auge Gnade. So sehr er anch den
poetischen Wert anerkannte, so vermifste er darin Handlung und
Bewegung und vor allem künstlerischen Aufbau. Die damals ver*
tretene Ansicht hat der Uerausf^eber nun insofern geändert, als
er nicht einzelne Stellen aus Chüde Harold, sondern mit Aus-
lassung einer Reihe den Gang der £rzähluog nicht auftialtender
Betrachtungen den III. und IV. Gesang im Zusammenhang ab-
druckt und auch den Prisoner of CkiUon, „dieses Meisterstück
Ton Seelenmalerei'', den Schülern nicht vorenthalten will. Die
getroffene Auswahl ist in der Ttat eine glückliche zu nennen.
Wenn in I neben Shakespeare überhaupt noch Zeit übrig bleibt,
längere Abschnitte aus Byron zu lesen, so wird man gern zu
dieser Auswahl greifen.
3) Gottfried Gurcke, Eoglisches Elementar-Lesebach. Neu be-
arbeitet u. vermehrt von Chr. Lindemano. EiDOodzwaozigste Auf-
lage. Hamburg, Otto Meifsaer, 1893. IV u. 266 S. 1,60 M.
Es ist schwer, ein Urteil über ein Buch abzugeben, das be-
reits in der 21. Auflage erschienen ist, dessen Vorzuge also schon
anerkannt sind, dessen ganze Anlage aber, selbst in der neuen
Bearbeitung, auf eine Zeit zurückgeht, die an ein Lesebuch For-
derungen ganz anderer Art stellte als die Gegenwart. Das vor-
liegende Lesebuch von G. Gurcke ist von Chr. Lindemann
neu bearbeitet und vermehrt worden. Die Umarbeitung erstreckt
sich, wie aus der Vorrede hervorgeht und eine Vergleichung mit
einer älteren Auflage lehrt, auf die Ausscheidung einiger beschrei-
bender Lesestücke, auf Änderungen in der Reihenfolge der Lese-
stücke und Gedichte und auf eine durch die Vermehrung des
Lesestoffes bedingte Neubearbeitung des Wörterverzeichnisses.
Durch Hinzufügung von Schilderungen und Biographieen aus der
neueren und neuesten Geschichte, von Lesestücken aus dem Ge-
biete der Naturgeschichte und Erdbeschreibung, sowie einer An-
zahl von Briefen und Anzeigen ist der Unterhaltungs- und Lese-
stoff bedeutend vermehrt worden.
Offenbar ist dieses Lesebuch, wie ja auch die Bezeichnung:
Elementar- Lesebuch wohl schon andeuten soll, für Schulen be-
stimmt, in denen der englische Unterricht bereits in der Sexta
beginnt. Denn die lange Reihe von Fabeln, Anekdoten und kurzen
Erzählungen, ja selbst ein Teil der längeren Erzählungen dürfte
kaum eine passende geistige Nahrung für unsere Unter- und
Obertertianer sein. Für die Unterstufe scheint mir jedoch der
ausgewählte Lehrstoff sehr zweckentsprechend. Auf dieser Stufe
kommt es ja noch nicht so sehr darauf an — wie auf der Mittel-
und Oberstufe — , dafs die Lektüre besonders englische Verhält-
nisse berücksichtigt. Hier handelt es sich wesentlich darum, durch
eine möglichst abwechselungsreiche und anregende Lektüre den
Schüler in die englische Sprache einzuführen und ihm einen mög-
H. Fechncr, Graodr. d. Weltfpescb., agz. v. M. HoffmanD. 39
liehst grofsen Wort- und Phrasenscbatz zu vernoitteln. Dies wird
durch die ersten Lesestöcke dieses Lesebuches erreicht. Die jedem
Lesestück beigefügten Fragen scheinen mir allerdings überOössig,
denn erfahrungsgemäfs sind die Schüler leicht zum selbständigen
Stellen Ton Fragen anzuleiten. Es will mir zudem scheinen, als
ob die beigefügten Fragen den Schüler leicht zum mechanischen
Aaswendiglernen der Antworten verleiten könnten.
Die längeren Lesestücke, etwa von Nr. 32 an, bieten auch
passenden Lektörestoff für das zweite Unterrichtsjahr an unseren
Schulen, wo der Beginn des englischen Unterrichts nach Unter-
tertia verlegt ist. Besonders die Erzählungen: Rtp van Winkle,
Rebin Hoad, Alfred the Great, Macbeth, Elisabeth werden nicht
verfehlen, die Teilnahme der Schüler in hohem Mafse zu erregen.
Die folgenden Nummern: The Battle of Sedan, CapitukUion of
SedoH, Death of the Emj^eror Frederick III, ebenso wie die unter
der Rubrik „Geschichtliches*' zusammengestellten Lesestücke:
Early Ufe of Martin Luther, Andrew Hofer, Charles Theodore
Kihmer, Ckaracter of Wallenstein, Schiller's Youth gehören, streng
genommen, nicht in ein englisches Lesebuch; ein solches Buch
soll in die Lebens- und Denkweise des englischen Volkes ein-
fahren und darf daher auch nur englische Stoffe berücksichtigen.
Die Lesestücke beschreibenden Inhalts sowie die Briefe, An-
zeigen u. 6. w. werden sehr willkommen sein; sie bieten, in leicht
verständlicher und fliefseuder Sprache geschrieben, hinreichenden
Stoff, um den Schüler mit der Sprache des praktischen Lebens
bekannt zu machen. In der folgenden Gedichtsammlung finden
sich einige Gedichte, die ans dem Deutschen mit grofsem Geschick
übertragen sind. Der Schüler liest und lernt gelegentlich gern ein
derartiges Gedicht.
Den Schlufs des Lehrbuches bildet ein sorgfaltig und fleifsig
aasgearbeileles Wörterbuch, in dem die Aussprache durch Zahlen,
Zeichen über den einzelnen Buchstaben und durch verschiedenen
Druck bezeichnet ist. Wenn auch diese Aussprachebezeichnung
nur ein schwacher Notbehelf ist, um eine korrekte Aussprache zu
vermitteln und, was die Deutung der angewandten Zahlen und
Ziehen angeht (Seite 268 f.), nicht auf der Höhe der Zeit steht,
so hilft sie doch Lehrern und Schülern die Arbeit wesentlich er-
leichtern.
Dortmund. Ewald Goerlich.
1) Hernaoo Fechoer, Gruodrirs der Weltgeschichte für die
obereo Rlassen preafsischer höherer Lehranstalten. Erster
TeiJ: Altertam, VII u. 144 S. Zweiter Teil: Mittelalter uad erste
Periode der Neuzeit (476— 164S}, VI a. 156 S. Dritter Teil: Neuzeit
(bU 1888), IV n. 183 S. Berlin 1893, Wilh. Hertz. Preis geb. 1,50.
1,50. 2 M.
Dieses neue Lehrbuch will den Forderungen der neuen Lehr-
plane genügen sowohl durch Beschränkung des Stoffes der alten
40 H* Fechner, Grandrifs der Weltgeschichte,
Geschichte als auch durch „sorgfältige Behandlung der Yerrassungs-,
Sitten-, Reh'gions-, Kunst-, Litteratur- und Wirtschaftsgeschichte,
soweit es in so engem Rahmen möglich war*'. Gestrichen ist
demnach die griechische und römische Sagengeschichte. Nach
einer kurzen Übersicht der alt - orientalischen Geschichte beginnt
die griechische mit einem ßlick auf die Ausbreitung des Griechen-
volks; dann folgt die Darstellung seiner Religion und Moral-
anschauung, wobei auch von den Orakeln und Spielen die Rede
ist, dann eine Betrachtung über das Staatsideal der Griechen,
woran sich die Darstellung der spartanischen und der athenischen
Verfassung knüpft, endlich ein Abschnitt über die ältere Kunst,
Litteratur und Philosophie der Griechen: damit endet die erste
Periode, bis zu den Perserkriegen. Es fehlt also zugleich mit
den Sagen auch die Schilderung des homerischen Griechenlands;
die alten Kulturstätten Mykenä, Tiryns, Orchomenos sind nicht
erwähnt ; die dorische Wanderung und die Eroberung Messeniens
werden kurz angedeutet; Pheidon und Periander sind übergangen,
obgleich sie nicht sagenhaft sind. Die allgemeinen Betrachtungen,
welche statt dessen gegeben sind, enthalten zwar manches treffende,
sind aber von Einseitigkeil nicht frei. Bei der Besprechung der
griechischen Vielgötterei ist die Vorstellung des über Götter und
Menschen waltenden Zeus nicht betont; bei dem republikanischen
Staatsideal der Griechen ist die Bemerkung angeknüpft, es habe
daraus ein unaufhörlicher Kampf der Einzelnen und der
Parteien um die Herrschaft hervorgehen müssen, der sich oft in
grausamster Weise vollzog. Da von den griechischen Staaten
aufser Sparta und Athen in dieser Periode nichts Näheres mit-
geteilt ist, so mufs aus dieser Bemerkung eine falsche Vorstellung
hervorgehen. Die versuchte Beschränkung des Stoffs halte ich
nicht für richtig. Wenn der Unterricht in Obersekunda wegen
Mangels an Zeit auf die Sagengeschichte nur wenig eingehen kann,
so ist es um so nötiger, dafs der Schüler sie im Lehrbuch zum
Nachlesen finde. Die Auswahl des Stoffes ist Sache des Lehrers;
das Lehrbuch für obere Klassen mufs ihn gut geordnet und reich-
lich bringen. Dagegen mufs es mit Urteilen und Betrachtungen
sparsam sein, dem Lehrer nicht vorgreifen, noch weniger zum
Widerspruch herausfordern, wie es hier an einigen Stellen weiter-
hin der Fall ist, z. B. in dem Urteil über die Niobegruppe S. 56,
über Demosthenes und Philipp S. 65, über Aristoteles' Tugend-
lehre S. 73.
Auffallende Irrtümer finden sich in der athenischen Verfassungs-
geschichte. Drakon soll nicht nur, wie wir jetzt aus der Schrift
vom Staate der Athener wissen, die vier Vermgensklassen ein-
gerichtet haben, sondern auch die Naukrarien und die Einteilung
des Rats in vier Prytanieen ; Solon soll den Bauern den sechsten
Teil der von ihnen bebauten Grundstücke als Eigentum zugewiesen
haben; ferner soll er Berufung von den Gerichten an die Volks-
angez. von M. HoffmaDo. 41
Torsaminlaiig erlaubt haben, während die Heliaia für die „Aus-
üboDg der gewöhnlichen Straf- und Civilgerichtsbarkeit'* bestimmt
gewesen sei. Kleisthenes soll dem Areopag sein Aufsichtsrecht
über die Verfassung genommen, Perikles soll einen Volksversamm*
longssold „in Höhe von 1, später 3 Obolen'* eingeführt haben.
In der römischen Geschichte bleibt von der sagenhaften Königs-
zeit nicht Tiel mehr übrig als die abstrakten Schemata der ältesten
Qod der servianischen Verfassung und eine Belehrung über Reli-
gion, Baukunst und Spiele der Römer. Gestrichen sind ferner
auch die Erzählungen von der Vertreibung der Könige, von Por-
senna, Coriolan, dem Untergang der Fabier, Appius Claudius,
CamiUus, Manlius Capitolinus, den caudinischen Pässen, Fabricius:
alles sagenhaft und, wie es scheint, für unsere Zeit nicht mehr
geeignet. Die „Selbstaufopferung** des Decius Mus wird gelegent*
Ikh S. 81 als Beweis „Gnsteren Aberglaubens*' erwähnt Die ältere
römiscfae Geschichte wird somit ganz lückenhaft und erscheint
noch dazu auseinandergerissen, weil der Zeitrechnung zuliebe die
Königszeit in die griechische Geschichte vor den Perserkriegen,
die Zeit des Kampfes um Italien in die Geschichte der macedoni-
sehen Reiche eingeschoben ist. Auch fehlt es nicht an verfassungs-
geschichtlichen Irrtümern. Die Capite censi sollen deshalb so ge-
nannt sein, weil sie nur mit einem Kopfgelde eingeschätzt
waren (S. 37); die italischen Bundesgenossen mit Ausnahme der
Latiner sollen verpflichtet gewesen sein, ein Schutzgeld, genannt
tribntum, zu. zahlen (S. 80), und ihre Truppen sollen legions-
weise je einer römischen Legion zugeordnet gewesen sein. Über-
haupt wird der kunstvolle Bau des römischen Staates nicht ge-
würdigt, um so mehr aber die Entartung der Nobiiität gescholten
(S. 95f., 115); als Ziel der römischen Entwickelung erscheint ein
bk^fses Soldatenkaisertum (S. 102, 115, 117f.).
Weniger Bedenken hinsichtlich des Inhalts erheben sich bei
der mittleren und neueren Geschichte; doch werden die zum Teil
in Klammern beigefugten Urteile des Verf.s nicht immer Zustim-
mung finden, z. B. 2 S. 30 über den politischen Wert des römisch-
deutschen Kaisertums, S. 54 über die „Zersplitterung des Reiches**
durch Friedrich Barbarossa, 3 S. 70 über Rousseaus Staatslehre,
die* mit Recht zurückgewiesen wird, aber es sollte nicht gesagt
sein, dafs die im Staatsleben unentbehrlichen Tugenden der Treue
and des Vertrauens dem Lehnswesen entlehnt seien. Sie sind
altgermaniscb und schon im Frankenreich durch den von allen
erwachsenen Unterthanen geforderten Treueid als Grundlagen des
Staates anerkannt; das Lehnswesen hat nur zur Verderbnis des
Staates gedient. Anerkennenswert ist die reichliche Einfügung
kultorgeschichtlichen Stoffes; Rittertum, Städtewesen, Dichtung
and Wissenschaft werden gewürdigt, mit Vorliebe ist die Baukunst
kiiandelt, deren verschiedene Stile allerdings die Eigentümlich-
keiten der Völker und Zeiten besonders bezeichnen. Nicht be-
42 H. Fechoer, Graodr. d. Weltgesch., agz. v. M. Hoffmaoo.
sonders gegluckt ist der Versuch, in den klassischen deutschen
Dichtungen des 18. Jahrhunderts die politische Bedeutung nachzu-
weisen (3 S. 68 u. 112). Goethe soll im Tasso das durch Etikette
verschrobene Hof leben angegriflen haben; Schillers Jungfrau von
Orleans soll davor warnen, aus der Valerlandsliebe „einen Fanatis-
mus zu machen''. Treffend wird 3 S. 119 ff. u. 168 die Ent-
stehung und die Verkehrtheit des Socialismus dargelegt.
Trotz der Mängel, die namentlich in der alten Geschichte
hervortreten, erscheint das Buch im ganzen anregend und iohalt-
reich. Aber es hat einen Hauptmangel, der es als Schulbuch zu
empfehlen verbietet: das ist die Schwerfälligkeit der Dar-
stellung, namentlich in den erzählenden Abschnitten. Da
ist von dem einfachen Hülfsmittel, öfters abzusetzen und
wichtige Namen durch den Druck hervorzuheben, zu wenig
Gebrauch gemacht; die Perserkriege, der zweite punische Krieg,
der Krieg von 1870 bis zur Schiacht bei Sedan sind auf
mehreren Seiten ohne Absatz und Hervorhebung erzählt. Anderes
ist besser gegliedert, aber sehr oft begegnen lange Sätze, die den
Leser ermüden, und leider auch ungeschickt gebaute, höchst ver-
wickelte Sätze, die dem Schüler nur als abschreckende Beispiele
dienen könnten. Die Wichtigkeit der Sache gebietet. Beweise
dafür in einer Anmerkung zusammenzustellen^); ihre Zahl liefse
sich leicht vermehren. Der Verf. hat den neuen Lehrplänen dienen
wollen, aber leider den Nachdruck, welchen sie mit Recht auf
guten deutschen Ausdruck legen, zu wenig beachtet.
^) Teil 1, S. 47: Als aber Atheo aach im ionischen Meere, in dem die
Korinther bisher die Vormacht gewesen v^areo, seine Seeherrschaft aussa-
dehnen snchte, sich mit Kerkyra, einer korinthischen Kolonie, welches die
Rache seiner Matterstadt zu tarchten hatte, weil es dieselbe durch eine
Seeschlacht ^hindert hatte, der kerkyräisclien Kolonie Epidamnus gef^en die
vom Volk vertriebenen Aristokraten und die illyrischen Taulantier za Hülfe
zu kommen, verbündete und ihm in einer zweiten Seeschlacht ge^ta die
Korinther beistand, so dafs dieselben, als seien sie besiegt, abfahren
mufsten, klagten die letzteren in einer zu Sparta abgehaltenen Bundes-
versammlung der Staaten des Peloponneses Athen des Friedens bruchs «d,
und als die letztere von Athen Auflösung der Symmachie, Answeisniig
des Perikles und Aufhebung der von Athen gegen Megara verhängten Handels-
sperre beschlofs, was Athen ablehnte, so entstand der Krieg, den man
den peloponnesischen nennt, weil er von dem peloponnesischen Bunde er-
klärt wurde. — S. 92 ein ähnlicher Satz von 21 Zeilen über den dritten
macedonischen Krieg. — Teil 2, S. 29 ein Satz von ebenfalls 21 Zeilen über
Otto I. S. 98 ein Satz von 22 Zeilen über Luthers Auftreten 1517. — Teil 3,
S. 35: Das Kriegsgericht, das der Vater in Besorgnis, dafs durch das schlimme
Beispiel des Kronprinzen das ganze mühsam aufgeführte Gebäude seiner Dis-
ciplin ins Wanken kommen würde, berief, weigerte sich, über ihn ein
Urteil zu fällen und verurteilte auch Katte nur zur Festungsstrafe, der Köni^
aber verurteilte den Kronprinzen zu Gefängnis und liefs Katte vor seinem
Fenster hinrichten, was er aber, da er vorher, als Katte von ihm Abschied
nahm, in Ohnmacht gefallen war, nicht sehen tonnte. S. 147 ein Sats
von 15 Zeilen über den Verfassungsstreit in Preufsen 1862. S. 161 ein Sats
von 17 Zeilen über die Kriegführung des Generals v. Werder.
H. Brettschneider, Halfsb. f. d. Gesch., agz. v. M. Hoffmanii. 43
2) Harry Brettschneider, Hiiifsbuch für den Unterricht in der
Geschichte für die oberen Klassen höherer Lehranstalten. Teil I:
Geschichte des Altertums, X n. 167 S. Teil II: Vom ßegione christ-
licher KaltQr bis znm westfälischeo Frieden, Xu. 173 S. Halle
1892. 93, Bochhandlong des Waiseabanses. Jeder Teil 1,60 M.
Auch in diesem Lehrbuch fehlt die griechische und römische
Sageogeschichte, doch gehen die Streichungen in der römischen
nicht so weit wie in dem soeben besprochenen Buche; die Sagen
▼on Coriolan, den Fabiern, Cincinnatus sind wenigstens angedeutet;
Camillus, Gaudium, Decius Hus kommen zu ihrem Recht. Als
Vorzöge des Buches erkennt man anschauliche Gliederung des
Stoffes, Darlegung der Grunde und Folgen wichtiger Ereignisse,
leichtTersIdndliche und lebhafte Darstellung. Doch gelten diese
Vorzöge nicht unbedingt. Die Gliederung ist dadurch etwas be-
einträchtigt, dafs in der Einleitung des zweiten Teils mit nnge-
Dögenden Grönden die herkömmliche Einteilung in Altertum,
Mittelalter, Neuzeit abgelehnt ist; ferner fuhrt diese Einleitung
nur bis zu dem Satze: „Kaisertum und Papsttum werden die
höchsten Formen des geschichtlichen Lebens; eine ähnliche Ent-
wickelung zeigt der Orient,'* und knöpft daran einen negativen
Schlufs, mit welchem nichts anzufangen ist: „So geht nicht nur
das Gefühl für die Berechtigung der Völkerindividualität, sondern
auch das Bewufstsein der persönlichen Individualität verloren.*'
Der Verfasser meint damit den Ausgang des Mitlelalters und spricht
das selbst aus S. 104, sein zweiter Teil geht aber aus didaktischen
Gründen, weil er die Lehraufgabe der Unterprima umfassen soll,
bis 1648. Die Einleitung möfste den Blick auf das Ganze richten
and die Bedeutung der Entdeckungen, des Humanismus^ der Re-
formation hervorheben, wie sie nachher auch im einzelnen ent-
wickelt wird.
Die Darlegung der Gründe und Folgen ist in der alten Ge-
sdiichte weniger ausgeführt als in der mittleren und neueren,
wo die Grunde und Folgen oft sogar numeriert werden. Es ist
anznerkennen, dafs dies meist mit Geschick geschieht, aber nicht
fiberall ist streng logische Ordnung erreicht. Die Wirkungen der
Völkerwanderung werden 2, S. 8 so angegeben: „1) das Entstehen
der romanischen Nationen und Sprachen; 2) die Aufnahme antiker
Koltorelemente bei den Germanen und als eines Teiles der römi-
sdien Slaatskultur auch diejenige des Christentums; 3) nach dem
Untergänge des weströmischen Reiches der Beginn der Gliederung
Europas in die Staatsgebiete, wie sie im wesentlichen noch jetzt
besteben ; 4) das Zurückfallen der westeuropäischen Völker in die
Nataraiwirtscbaft und ein Ruckgang der gesamten Kultur; 5) die
Grundl^ung för die Geschichte des deutschen Volkes''. Die rich-
t^e Reihenfolge wäre: 2 und 4 als Gegensätze neben einander,
dann 3, 1, 5. Ähnlich ist es S. 58 mit den Ursachen der Kreuz-
zöge. Treffend werden S. 133 die Wirkungen der Reformation
btieicbaei: 19I) die mittelalterliche Kaiseridee war beseitigt und die
44 H« Brettsehneider, Halfsb. f. d. Gesch., ag^z. v. M. Hoffmtnn.
landesförstliche Ent Wickelung in Deutschland gewahrt; 2) im
Gegensatz zu der mittelalterlich -kirchlichen Anschauung vom
Staate war der weltliche Staat zu seinem Recht gekommen ; 3) die
Wissenschaft war von den Fesseln der Kirche befreit". Man sieht
auch hier, dafs der Verf. deii Gegensatz von Mittelalter und Neuzeit
doch anerkennt
Die Lebhaftigkeit der Darstellung führt bisweilen zu Urteilen,
die schärfer klingen als nötig, z. B. über Cato und Sulla, über
Pippin den Kurzen, der „ein politischer Kopf ersten Ranges" ge-
nannt wird, und über Heinrichs V. Vertrag mit dem Papste im
Jahre Uli, der als unsinnig bezeichnet wird. Ferner finden
sich sorglos gebrauchte Fremdwörter; Catilina ist ,,der verwegenste
der vornehmen Desperados", Kaiser Otto II. „eine impulsive, aber
unbeständige Natur*'; der deutsche „Episkopal^* wurde unter Otto I.
„eine Versammlung praktisch -politischer Intelligenzen''; unter
Urban II. sind die „papalen Interessen'* im Fortschreiten; in
Italien kämpfen „Guelfismus'* und „Ghibellinismus*'. Bisweilen
begegnen auch ungeschickt gebaute Sätze, z. B. 1 S. 46 über So-
krates, S. 70 über die Samniterkriege, 2 S. 151 über die Hafs-
regeln zum Zweck einer katholischen „Restauration". Im ganzen
aber ist das Buch recht lesbar.
Hinsichtlich des Inhalts ist hervorzuheben, dafs die verfassungs-
geschichtlichen Abschnitte wohl gelungen sind. Die Bedeutung
des römischen Kaiserreichs ist besser dargelegt, die Entwickelung
der deutschen Reichsverfassung im Anschlufs an Nitzsch ein-
gehender verfolgt als in dem Fechnerschen Buche. Die Kultur-
geschichte ist im ersten Teil besonders durch einen als Anhang
beigefügten Oberblick über die Haupterscheinungen der griechischen
und römischen Litteratur vertreten, doch sind die Hauptzüge auch
in die vorhergehende Darstellung verflochten; über die bildende
Kunst der Griechen könnte mehr gesagt sein. Jener Überblick
enthält bisweilen Unwesentliches, z. B. über Ciceros Familienver-
hältnisse; stattdessen wären nähere Angaben über die wichtigsten
Roden und philosophischen Schriften zu wünschen. Im Hittelalter
könnte die deutsche Litteratur mehr hervortreten; die Entfaltung
des Rittertums und der Städte ist treffend gezeichnet. Dem
Bürgertum des 15. Jahrhunderts wird zuviel Ehre erwiesen, wenn
S. 107 gesagt ist, dafs „die Lebenshaltung des städtischen Patri-
ziats vorbildlich auch für Fürsten und Adel war". Jene Patrizier
ahmten zu sehr die adligen Sitten nach; vorbildlich allerdings
war die bessere Ordnung der städtischen Verwaltung. Mit scharfen
Zügen wird der im 15. Jahrhundert auf den Bauern lastende Druck
geschildert, aus welchem sich die gewaltsame Erhebung der Bauern-
kriege erklärt. Wenn es nun heifst, dafs nach der mifslungenen
Revolution die wirtschaftliche Lage der Bauern sich bedeutend
verschlechterte und der politische Druck der Landesherren gröfser
wurde, auch religiöse Gleichgültigkeit sich verbreitete, so hat man
W.Sehwabn, Halfsb. f. d. Gesehichtsonterr., agc. v. Plathner. 45
den Eindruck fortdauernden Sinkens. Aber die Fürsorge ein-
sichtiger Landesherren hat im weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts
doch vieles wieder gebessert; das Aufblühen Deutschlands in der
Friedenszeit nach 1555 hätte betont werden müssen, um die ver-
derblichen Wirkungen des dann folgenden dreifsigjährigen Krieges
anschaulich zu machen. Dafs dieselben „auf anderthalb Jahr-
hunderte hinaus vernichtend'' waren, ist zuviel behauptet; aber
mit Recht wird am Schlufs gesagt, dafs das deutsche Volk an
zwei Mächten sich wieder aufrichtete, das waren die Glaubens-
freiheit und der preufsische Staat. Dem dritten Teil des Buches,
welcher hauptsächlich diese Wiederaufricbtung darstellen soll, darf
man mit guter Erwartung entgegensehen.
Löbeck. Max Hoffmann.
Waltber Sehwaho, Hulfsbnch fSr deo Geschichtannterricht auf
der MitteUtafe höherer Lehranstalten. Hamburff 1892, Otto
SAeiCioer. Erster Teil (für Qoarta): Geschichte der Griechen und
Romer im Altertum. I n. 57 S. — Zweiter Teil (für Untertertia):
Geschichte der Deatschea im Mittelaller. 1 u. 60 S. — Dritter Teil
(für Obertertia): Geschichte der Deatscben in der Neuzeit von der
Reformation bis zum Regierungsantritt Friedrichs des Grofsen. 67 S.
Kart, jeder Teil 0,40 M.
Diese drei Hefte wollen den Lernstoff för die drei Klassen IV
bis lila geben, ein viertes wird den für Hb, also den Abschnitt
von Friedrich dem Grofsen bis auf die Gegenwart, hinzufugen.
Das umfassende Material ist in so gedrängter Kürze, wie selten
zuvor, gegeben, ohne Sprache und Stil zu vergewaltigen. Dennoch
übertrifft der Inhalt die meisten Hulfsböcher an Reichhaltigkeit
des Stoffes. Denn nicht allein die Thatsachen der äufseren Politik
and in zusammenhängender Darstellung verarbeitet, sondern überall
findet sich am Ende eines Abschnittes das innere Leben der
Völker, das Alierwichtigste aus der Verfassung und der geistigen
Bewegung charakterisiert. Es kommt wohl einmal vor, dafs die
in Klammern eingefügten Notizen sich zu sehr häufen und da-
durch dem Schüler, zumal auf der niedrigsten Stufe, die Übersicht
erschweren; z. B. I S. 4: „Es wird im N. durch eine zwischen
den Akrokeraunien im W., dem Olymp (dessen Fortsetzungen
Ossa und Pelion) im 0. sich hinziehende Gebirgsmasse (den sog.
ko^uDischen und kambunbchen Bergen) von Ulyrien und Mace*
donien getrennt." Ähnlich 1 S. 12, Zeile 6 bis 11. Aber im
ganzen hat die Übersicht dabei nicbt gelitten. Die Hefte halten
wirUich, was in dem aufserordentlich kurzen und bescheidenen
Torwort versprochen ist: „Die Darstellung ist möglichst knapp
gEbalten und enthält nur dasjenige, was der Schüler sich ge-
dädilnismäfsig anzueignen hat; die ausführlichere Erzählung mufs
dem Vortrage des Lehrers vorbehalten bleiben."
Man darf ruhig zugestehen, es gehört viel Geschick dazu, auf
20 Seiten, wie hier geschehen, die griechische Geschichte in dieser
46 W. Sehwahl, Hülfflb. f. d. GeschiehtsiiDterr., ägz. v. Pltthoer.
Vollständigkeit zu bebandeln. Jeder Teil enthält aufserdem eine
Zeittafel, zur Repetition ernvunscbt und notwendig, sie bieten eher
zu viel als zu wenig, hier hätte noch gekürzt werden können,
doch wird man leicht Auswahl treffen. Besonders ausführlich
und ansprechend ist ganz im Sinne der jetzigen liehrpläne die
brandenburgisch -preufsische Geschichte behandelt. Überall kann
man die Spuren eigenen Studiums bemerken, auch in den Zahlen-
ausätzen der Zeiltafeln, die von den hergebrachten nicht selten
abweichen. Nur durfte das Ende des dritten messenischen Krieges
nicht mehr auf 455 angesetzt werden; vgl. K. W. Krüger, Hist.
Phil. Siud. I 156 ff.
Aufgefallen ist mir I S. 15, dafs Aristides infolge der
Schlacht bei Salamis zurückgerufen sein soll, vielmehr vor-
her; vgl. Busolt, Griech. Gesch. II 164. — 1 S. 6 herrscht Perikles
fast unbeschränkt; das geht zu weit. — I S. 31: (Die Zwölf-
tafelgesetze) bildeten die Grundlage des gesamten römischen
Straf- und Privatrechls. Liv. III 34 geht noch etwas welter,
Da wir so wenig von dem Inhalt wissen, jedenfalls Livius nicht
Recht hat, aufserdem der zwölfjährige Schüler kein Verständnis
dafür besitzt, bleibt die Stelle besser fort; vgl. die betreffende
Stelle bei Herzog, Rom. Staatsverfassung. — Anstatt dessen
mufsten in demselben Abschnitt bei dem Ständekampf die Ple-
biscite erwähnt werden. — I 45 heifst es: (Die Julier von Julus,
dem Sohne des Äneas); das soll doch keine geschichtliche Angabe
sein, ist also in dieser Form unbrauchbar. — II S. 18 wird die
Schlacht vom J. 496 gegen die Alemannen noch die bei
Zülpich genannt. — 1128 kommt Heinrich II. nicht zu seinem
Rechte. — II S. 52 sieht man nicht, warum neben den Stamm-
tafeln der Julier und Claudier, Pipinniden und Karolinger, Hohen-
staufen und V^elfen die der Sachsen und Salier fehlen.
Im übrigen bieten Schwahns Hülfsbücher ein Lehrmittel,
durch das ohne Frage der Geschichtsunterricht gefördert wird.
Diese Bücher, frei von unnötigen, technischen Ausdrucken und
vor allem von Fremdwörtern, können von dem Schüler wirklich
gelesen und bei der Stoffbeschränkung auch gelernt werden.
Da sie zugleich den Bestimmungen der neuen Lehrpläne über die
Verteilung der Pensa durchaus entsprechen und deren Erläute-
rungen in sinnreicher und praktischer Weise zum Ausdruck
bringen, so kann man ihnen nur die weiteste Verbreitung wünschen.
Die äufsere Ausstattung ist trotz des so billigen Preises an-
gemessen, von Druckfehlern notiere ich I S. 6 la mische statt
malische, S. 54 Ha n ibal.
Dessau. J. Plathner.
41V. Taa Raapen, Perihea' Atlas tntiqniiB, tgs. v. Kirekhoff. 47
Alb. YAB Kämpen, Justas Perthes' Atlas antiqnas. TMeheoatlas
der Alieo Welt. 24 kolorierte Karten io Kupferstich. Gotha 1893,
J. Perthes. 2,60 M.
Dieser kleine, äufserst preiswurdige Atlas verdient in den
Kreisen, denen die vorliegende Zeilschrift dienl, die allerweitesie
Verbreitung. Er ist ein genaues Ebenbild des „Perthesscben
Taschenatlas'' der gegenwärtigen Länderbeschaflenheit, der (soeben
in 29. Aufl. erschienen) als trefflichster Auszug des „grofsen
Süeler^' samt seiner vorzuglichen, obschon ganz knapp gehaltenen
geographisch-statistischen Einleitung von Hugo Wichmann darum
so rasch allgemein sich beliebt gemacht hal, weil er für kaum
mehr als 2 M. alles höchst zuverlässig giebt, was man von neuerer
Geographie zunächst „fürs Haus'' braucht. In gleicher Handlich-
keit, Sauberkeit und wissenschaftlicher Vertrauenswürdigkeit tritt
nun dieser Zwillingsbruder ihm zur Seite für die alte Geographie.
So klein auch das Format ist, so zeichnen sich doch sämt-
liche Karten (die, in der Mitte gebrochen, doppelte Formatgröfse be-
sitzen) bei einem dem jedesmaligen Zweck vollgenugenden Mafs-
stab und geradezu idealer Klarheit des Stichs durch ausnahmslose
Deutlichkeit aus.
Zwanzig Blätter bringen die Länderdarstellung in teilweise
noch vollständigerer Auswahl als die zwölf Blätter von Kieperts
Atlas antiquus, drei weitere betreffen Stadtpläne (Athen, Rom,
Mjcenä, Olympia, Karthago, Syrakus, Alexandrien, Tiryns, Troja,
Pergamum) sowie die Peutiogerscbe Tafel, von deren Eigenart
man hier dank einer glücklichen Entlastung von unbedeutenderen
Namen eine klarere Anschauung gewinnt als selbst angesichts des
Originals.
Nur in ganz wenigen und meist geringfügigen Einzelheiten
wird man dem sehr sachkundigen (leider inzwischen durch den Tod
dahingerafften) Urheber des Werkes nicht beipflichten können, so in
der Bezeichnung des Thüringerwaldes als ßacenis. Entschieden
anrichtig jedoch (vielleicht nur durch Stichversehen verschuldet)
ist die Ansetzung der ehrwürdigen Namen ältester Kulturstätten
Akkad und Sinear aufs erhalb des babylonischen Dellalandes;
sie gehören durchaus in dasselbe, Akkad als uralter Name seines
NW, Sinear als der seines SO (etwa vom 32. Parallelkreis ab).
Die Beigabe eines alphabetischen Namen-Index zur leichtesten
Auffindung der örtlichkeit von 7000 in dem Atlas verzeichneten
Namen ist vollends eine gar nicht hoch genug anzuschlagende
Zugabe, die allen mit aller Geographie sich beschäftigenden Philo-
logen, Historikern und Geographen verdriefsliche Zeitopfer im
Namenaufeuchen erspart.
Halle a. S. A. Kirchhoff.
48 A* KircJihoff, Schatzgeb. d. Deatsch. Reichs, agz. v. Oehlmann.
1) A. Kirchboff, Die Schntzgebiete des Deotscheo Reichs zam
Gebrauch beim Schaluoterricht. Sooderabdruck aus des Verfassers
„Erdkunde für Schulen'*. Halle a. S. 1893, Buchhan dlang^ des Waiseu-
hauses. 17 S. Text. 0,60 M.
Die kleine Kunde der deutschen Kolonieen ist eine der am
besten gelungenen Arbeilen des Verf.s auf dem Gebiete der Scbul-
geograpbie, aber auch dazu angethan, Leuten, die nicht mehr auf
der Schulbank sitzen, Kenntnisse zu vermitteln, denn sie giebt
des Stoffes reichlich und ist in der K. eigenen anregenden und
bilderreichen Sprache geschrieben. In den Anmerkungen sind
nützliche Ausfuhrungen über Namenerklärung, Pflanzenkunde u.s. w.
gegeben, die nur hie und da entbehrlich oder anfechtbar er-
scheinen mögen, so S. 9, Note 4: „Stationen sind Ansiedelungen
kleinsten Umfanges, von Europäern für bestimmte Zwecke ange-
legt''; ebenso S. 10, Note 5; auch stört es etwas, dafs die häußgen
Verweisungen auf die Seiten der „Schulgeographie*' nicht entfernt
sind. Mit der in Schulbüchern schwer durchzuführenden Schrei-
bung kolonialer Namen nach amtlicher Vorschrift ist eine Art
Kompromifs geschlossen, wobei immerhin noch einige unnötige
Abweichungen hätten vermieden werden können. Die farbigen
Karten stellen sämtliche Schutzgebiete dar, Togo und Kamerun
allerdings nur soweit, als sie zur Zeit thatsächlich unter deutschem
Einflüsse stehen.
2) H. Matzat, Erdkunde. Ein Hülfsbuch für den erdkundlichen Unter-
richt. 3. Anflae^e. Mit 2S Figuren im Text. Berlin 1893, Paul Parey.
VlII u. 820 S. 8. 2,50 M.
Der Verfasser hat dem Buche im wesentlichen die Gestalt
belassen, die es in der 2. Aufl. (1886) gewonnen hatte, unter der
Begründung, dafs „der Lehrgang für den erdkundlichen
Unterricht, welchen die preufsischen Lehrpläne von
1892 vorschreiben, kein anderer ist als derjenige,
welchen dieses Buch schon seit Jahren vertreten hat'^
— was in der That eine auffallende Erscheinung wäre, wenn die
Ansicht des Verf.s aufser in einigen grofsen Zögen auch in den
Einzelheiten zuträfe. Das „L Buch'* liefert auf 21 S. die geogra-
phische Heimatkunde, einige Angaben aus der mathematischen
und physikalischen Geographie und einen Überblick über die
Erdteile und damit den Lehrstofl'der Sexta, also strenggenommen
etwas, das die Schüler nach den neuen Lehrplänen wenigstens
beim Unterrichte nicht benutzen dürfen. Nach jenen Lehrplänen
sollen Europa und Deutschland im besonderen jedes zweimal
im Unterrichte behandelt werden, einmal in den unteren und
dann wieder in den mittleren Klassen. Der nicht ganz leicht zu
lösenden Aufgabe, denselben Gegenstand in einem Buche zwei-
mal durchzusprechen, ohne — wie KirchhofT sagt — in das
„wiederkäuende Verfahren" zu verfallen, hat sich M. gleich pro-
phylaktisch dadurch entledigt, dafs er jene Länder nur einmal
& Hüllar, Die Elementar-Planimetrie, agz. v. A. Emmerich. 49
▼ornnnint, aber ähnlich wie Kirchhoff in seiner ,,Grdkunde für
Schulen'* in Absatzen mit kleinerem Drucke das einfügt, was bei
der Wiederholung in den mittleren Klassed herangezogen werden
könnte. Dazu wird für den zweiten Lehrgang auf acht Seiten
Tabellen über „Kultur" (Bodenbau, Viehstand, Einfuhr, Religio-
nen n. 8. w.) verwiesen. In der Behandlung der Hittelmeerländer
(S. 105 — 159), die alle an die Besprechung Europas angeschlossen
sind, trifft M. durchaus den Sinn der Lehrpläne. Die fremden
Erdteile bekommen 57 S., und im V. Buche folgt mit 76 S. die
allgemeine Erdkunde, deren erstes Kapitel die mathemalische
Geographie für Untersekunda bieten soll. Ihre Anordnung und
Darstellung ist klar und ansprechend, aber „elementar", wie sie
nach den Lehrplänen sein sollte, ist sie an gar vielen Stellen
nidtt, so in den §§ 664 — 672, zu deren Bewältigung den Schulern
der IIb die notwendigen physikalischen Kenntnisse abgehen. Zahl-
reich sind Fragen und Aufgaben eingestreut, im allgemeinen gut
gewählte und anregende; einige, wie die in § 649, 650 und 663
scheinen von geringem Interesse, auch sind den Untersekundanern
die zu ihrer Lösung erforderlichen Formeln nicht bekannt. Die
fragende Lehrweise zieht sich durch das ganze Werk, vielfach in
Form der Aufforderung, die leergelassenen Stellen der Tabellen
for Einwohnermengen, Volksdichte u. s. w. mit Zahlen zu füllen,
die aus den gegebenen zu berechnen sind. Den Schiufs bildet
ein Kapitel „statistische Geographie'', das meist beachtens-
werte Punkte des staatlichen Lebens der Völker und ihrer Ver-
kehrsbeziehungen beröhrt. Neu sind 7 S. über die deutschen
Schutzgebiete. Sie enthalten sehr g(^drängte Mitteilungen und
sind durch den Hangel an einer gewissen Wärme des Tones nicht
gerade geeignet unter der Jugend Freunde kolonialer ßethäligung
zu erwecken. Es fällt auf, dafs die Einwohnerzahlen mit solcher
B^timratbeit gegeben sind; die Schreibung der Namen ist eine
andere als die amtliche. Kassada statt Kassa ve (S. 220) ist
ein ▼ereinzeiter Druckfehler in dem sehr sorgfällig durchgesehenen
Texte.
Das Buch enthält manche einsichtig gewählte und wohl aus-
tunatzende Weisungen und reichlich eingestreute Angaben über
klimatische und geologische Verhältnisse, aber diese, die endlosen
Verweisungen auf andere Paragraphen und die Zerlegung in kleine
und kleinste Abschnitte bewirken auch, dafs es sich sehr unruhig
und zerrissen liest.
Hannover-Linden. E. Oehlmann.
H. Müller, Die KlemeDtar-Plaoimetrie. Bin methodisches Lehrbuch
for dea Sehol- and Selb stiint er rieht. Berlin 1891, Jalius Springer.
188 S. 8. Kert 2,40 M.
Es kann als ausgemacht gelten, dafs einem heuristischen
ÜDterrichtsverfabren in der elementaren Planimetrie die analytische
2ttti«farifl f. d. OjiniMiUlwMeii XLyin. 1. 4
50 H* Müller, Die Blementar-Plaoimetrie^ a^x. v. A. Emmerich.
Beweisform sich als die naturliche ganz von selber darbietet, die
planmäfsige Auffindung des Beweises eines vorgelegten Satzes ist
eben nur auf analytischem Wege möglich; ebenso sicher ist, dafs,
wenn de Beweis auf nickläufigem Wege gefunden, alle Beweis**
gründe klar durchschaut sind, nunmehr die synthetische Beweis*
form als die logisch einfachere zur Fixierung des Gefundenen in
ihre Rechte zu treten hat. Irren wir nicht, so betrachtet die
überwiegende Mehrzahl der Facbgenossen das Auffindenlehren der
zum System gehörigen Beweise als ureigenste Aufgabe des münd-
lichen Unterrichts, deren Lösung durch Zuhülfenahme der Drucker-
schwärze unbedingt erschwert wird. Nach dieser Ansicht, der wir
auf Grund fünfzehnjähriger Erfahrung beipflichten, sind Bücher,
die, wie das vorliegende, zunächst die ,,Entwickelung'' der Be*
weise vormachen, für die Hand der Schüler nicht zu empfehlen;
um so mehr können sie dem angehenden Lehrer zur Vorbereitung
auf die Unterrichtsstunden sich als zweckdienlich erweisen. In
dieser Hinsicht verdient unsere Vorlage entschieden als fleifsige
und tüchtige Arbeit bezeichnet zu werden. Nur nach einer Seite
hin müssen wir unser Lob einschränken: es scheint uns, als ob
der der Dreieckslehre vorangehende Teil zu schwierig sei, zu
wenig der Fassungskraft der Quartaner entgegenkomme. Die De-
finition der Geraden als Rotationsachse eines in zwei Punkten
festen Körpers liegt denn doch dem kindlichen Verstände zu fern.
Der Satz: „Alle flachen (ebenso alle rechten) Winkel sind ein-
ander gleich'* hat im System keine Berechtigung, er besagt Selbst-
verständliches. Offenbar ist die Definition: „Ein rechter Winkel
ist ein Winkel, der seinem Nebenwinkel gleich ist^* zu künstlich.
Die Grundsätze besonders zu behandeln und einzuprägen halte
ich am Anfange für übel angebracht; die Kinder begreifen nicht,
warum man Selbstverständliches durch einen ihnen meist schwer
verständlichen Satz begründen soll. Als Übungsmaterial für die
Winkellebre eignen sich neben Zeichen- und Rechenaufgaben
Übungssätze nur dann, wenn sie als einfache Folgerungen in
einfachster Weise bewiesen werden. Man darf also z. B. den
Satz: „Die Halbierenden zweier Nebenwinkel stehen aufeinander
senkrecht'* nicht durch eine Kette von Gleichungen beweisen —
in der Vorlage füllt die Entwickelung des Beweises 5, der Beweis
selbst 6 Zeilen — , sondern die Frage des Lehrers: „Wieviel
machen die ganzen Nebenwinkel zusammen aus?** muCs ge*
nügen. Die Parallelentheorie macht dem Quartaner jedesmal
grofse Schwierigkeiten, wenn sie, wie im vorliegenden Buche
(nach Hehler), auf nur einem Anschauungssatze begründet wird.
Soviel ich weifs war Hubert Müller in Metz der erste, der für die
pädagogisch unbedingt zu fordernde Vereinfachung dieser Theorie
durch Hinzunahme eines zweiten Anschauungssatzes eintrat. Ober
die beste Wahl der beiden Anschauungssätze kann man verschie-
dener Ansicht sein. Man kann z. B. aufser dem Grundsatze voa
R. Olbriekt, Die wichtigsten Reehearegelo, agz. v. Kallios. 51
der einzigen ParaOele die Gleichheit der Gegenwinkel an Parallelen
als eine anschauliche Wahrheit betrachten, die keines Beweises
bedarf. Man wird die eine Parallele bis zum Zusammenfallen
mit der anderen verschieben, wobei sich dann die Verhältnisse
dtf Wechselwinkel und entgegengesetzten Winkel an Parallelen in
einEachster Weise erledigen. Der Beweis für die Umkehrsätze stellt
sich etwa folgendermafsen: Es giebt durch den Punkt F nur eine
Parallele zu AB, und es giebt im Punkte F nur einen gleichen
Gegenwinkel zu a; da nun die Parallele den gleichen Gegenwinkel
liefert, so mufs auch umgekehrt der gleiche Gegenwinkel die Pa-
rallele liefern, ahnlich für die anderen Winkelpaare. Möchte es
den Bemühungen der Didaktiker gelingen, diesen schwersten
Stein „an der schönen Strafse, die zur Geometrie führt/' hin-
wegzuräunaen.
Mülheim a. d.Ruhr. A. Emmerich.
1) R. Olbricht, Die wichtigsten Rechenregeln oebst Mosterbeispielen,
iosbesoodere LSsaog aller Aufgaben der Regeldetri und der darauf
beruhendeo Rechouogsarteo vermittelst eioheitlicber BehaodluDg des
Aosatzes. Zur Wiederholung für die Schüler aller Anstalten. Leisnig
1893, Herrn. Ulrich. 4S S.
Der Verf. giebt in dem vorliegenden Buche nach einer kurzen
Obersiebt über die vier Species in ganzen und gebrochenen un-
benannten und benannten Zahlen eine sehr eingehende Behand-
lung der Regeldetri nach Regeln, die er „für aufserordentlich
vorteilhaft, übersichtlich, auf alle Fälle anwendbar und mit grofser
Leichtigkeit zu erlernen" hält. Er verwirft wie alle Rechenlehrer
zur l>ösQng einer Regeldetri -Aufgabe die Anwendung der Pro-
portion und empfiehlt den sogenannten Bruclisatz mit dem Schlufs
aof die Einheit, der sich von der sonst gebräuchlichen Darstellung
aber darin unterscheidet, dafs die Unbekannte nicht nur an vierter
Steile, sondern auch an anderer steht. Durch diese Anordnung
erreicht der Verf., dafs bei gewissen Aufgaben der Prozentrechnung
nicht jedesmal ein neuer Ansatz aufgestellt werden mufs, dafs
vielmehr ein einziger dasselbe leistet. An vielen vorgerechneten
Beispielen zeigt er die Vorteile seiner Methode, der dazu aufge-
stellte Apparat zur Lösung selbst recht einfacher Aufgaben ist aber
nicht imstande uns von der Einfachheit der Lösung zu überzeugen
und ich kann mich bei vielen Auflösungen nicht der Wahrnehmung
verschliefsen, dafs man dabei mit der gebräuchlichen Anordnung
des Bruchsatzes viel schneller zum Ziele kommt; auch die An-
wendung von Figuren kann nicht als eine Vereinfachung angesehen
werden, ja es liegt hier die Gefahr nahe, dafs die Schüler sich
an ein recht mechanisches Rechnen gewöhnen, indem sie bei
einander ähnlichen Aufgaben die gleichartigen Zahlen an dieselben
Stellen setzen und dann die Multiplikation bezüglich Division
vornehmen: dadurch wird aber ein wesentlicher Zweck des Unter-
4*
52 A. Böhmes Reehenbnolier, tingez, yon A. Kallias.
lichtes, die Gewöhnung an eine Überlegung, durchaus vereitelt.
Die vielen Regeln, die der Verf. aufstellt, sprechen wohl auch
ziemlich deutlich für diese meine Ansicht. Trotzdem wird der
Rechenlehrer, dessen Unterricht sich vornehmlich mit den Auf-
gaben des praktischen Lebens beschäftigt, durch die Darstellung
des Verf.s auf viele neue Gesichtspunkte gelenkt werden, die er
mit Vorteil bei seinem Unterrichte wird verwenden können. —
Bei der Aufstellung der Regeln vermisse ich zuweilen die durchaus
notwendige mathematische Scharfe. Regeln wie: „Dezimalbrüche
werden addiert, indem man sie sorgfältig untereinander setzt
und bei der letzten Stelle beginnt*S „Gleichnamige Bruche werden
addiert, indem man die Zähler addiert und den Nenner darunter
setzt'' u. s. w. sollten durchaus vermieden werden, zumal sich
solche Regeln ebenso kurz und vielleicht noch kürzer vollständig
richtig aussprechen lassen. Auch im Rechenunti'rrichte sollte
man es nicht versäumen, die Schüler an eine richtige sprachliche
Darstellung der ausgeführten Rechnung zu gewöhnen.
2) A. Böhmes Rechenbücher. Neabearbeitong. Recheobach für höhere
Lehranstalten und Lehrer-Seminare. Bearbeitet von K. Schaf Ter.
Sechstes Heft der Antraben u. Obongsbücher. Zahlensystem, Verhalt-
nisbestimmungen, Proportionen. Regeldelri. Prozent-, Zins-, Rabatt-,
Termin-, Gcsellachafts-, Mischongs-, Kors-Rechnong. Gleichungen.
Kettensatz. Quadratwurzeln. Raamberechnuogen. Vermischte Auf-
gaben. Berlin 1893, G. \V. F. Müller. 188 S. 1,30 M.
Die bekannten Böhmeschen Rechenbücher erscheinen hier in
einer neuen Form, indem die Hefte 11, 12 und 13 zu einem
Rechenbuch zusammengefafst sind. Ob der Titel richtig gewählt
ist, möchte ich bezweifeln, denn das Buch enthält eigentlich nur
die sogenannten bürgerlichen Rechnungsarten, mit Ausnahme der
ersten 22 Seiten, die die vier Spezies in ganzen und gebrochenen
Zahlen behandeln ; die hier gegebenen Aufgaben sollen zur Wieder-
holung der Spezies und zur weiteren Ausführung derselben dienen,
indem das Rechnen mit Summen, Differenzen, Produkten und
Quotienten, die Anwendung der Klammern und die abgekürzte
Rechnung mit Dezimalbrüchen kurz behandelt sind. Damit ist
aber dem Rechenunterricht in den drei unteren Klassen der
höheren Lehranstalten wenig genügt, denn in diesen handelt es
sich doch nicht um eine Wiederholung der angeführten Rech-
nungen, sondern um eine ganz eingehende Durcharbeitung. -—
Über die gegebenen Aufgaben selbst hier näheres mitzuteilen, halte
ich für überflüssig, da sie ja hinreichend bekannt sind, und so
möge es genügen, hier das Erscheinen des Buches angezeigt zu
haben.
Berlin. A. Kallias.
Machs Gmadrirs der Physik, asgez. von R. Schiel. 53
1) Machs GrandriTs der Physik für die höheren Schul eo des Deutschen
Reiches bearbeitet von Ferd. Harbrodt nod Max Fischer. I.Teil:
Vorbereitender Lehrgang. Ausgabe für das Gymoasium. Mit 306 Ab-
bildaogen nnd 175 S. Leipzig 1893, G. Freytag. Geb. 2 M.
Machs Arbeiten verdankt in den letzten Jahren eine Reihe
treflnicher Lehrbücher der Physik ihre Entstehung. Halten die
ersten Ausgaben nach unserer Ansicht den fiedürfnissen der
Schule zu wenig Rechnung getragen und waren sie oft über das
Ziel insbesondere der Gymnasien und die Grenzen hinausgegangen,
die man an die Fähigkeiten selbst besserer Schüler zu stellen be-
rechtigt ist, so ist uns jetzt durch Machs Grundrifs der Physik
I. Teil ein Buch überreicht worden, welches von den Fachgenossen
mit der gröfsten Freude und Anerkennung begrüfst werden durfte.
Zwei Eläässer Kollegen, Ferdinand Harbrodt und Max Fischer,
haben sich mit grofsem Geschicke der Aufgabe unterzogen, den
für die österreichischen Schulen herausgegebenen ,,Grundrir8 der
Naturlehre" von Mach im Anschlufs an die Lehrpläne für die
höheren Schulen des Deutschen Reiches und unter besonderer
Berücksichtigung der preufsischen Lehrpläne von 1891 zu be-
arbeiten. Der Grundsatz, nach welchem erst die Erscheinungen
geboten, dann die Gesetze abgeleitet werden, und dafs Hypothesen
erst dann zur Sprache kommen dürfen, wenn sich dafür ein Be-
dürfnis herausstellt, ist überall mafsgebend gewesen. Die Auswahl
des Stoffes, insbesondere der Experimente, die möglichst das
historisch Wichtige zur Darstellung bringen, ist angemessen und
durchaus praktisch. Manche hübschen, einfachen und lehrreichen
Versuche wird man hier finden, die sonst seltener in Lehrbüchern
verwertet werden. Das historische Moment ist, wie billig, in aus-
giebiger Weise benutzt worden. Als Anhang ist ein sehr brauch-
barer und methodisch vortrefflich durchgearbeiteter Abrifs der
Chemie und Krystaliographie beigegeben. Nehmen wir noch hinzu,
dafs die Abbildungen sehr deutlich und korrekt, die Ausstattung
des Buches sehr gut ist, der Preis aber niedrig gestellt ist, so kann
man dem Grundrisse nur die weiteste Verbreitung in unseren
Schulen wünschen.
2) H. Poniog, Graadzüge der Physik. Mit elaem Anhaoge: Chemie
Did Mioeralogie. Zorn Gebrauche für die mittleren Klassen höherer
Lebraostalten bearbeitet. Münster i. W. 1893, Ascbendorff. 208 S. 8.
Der Verfasser der Grundzüge, dem eine zwanzigjährige Praxis
zur Seite steht, bat die Frage, was denn von dem reichen Inhalte
der Physik für einen anderthalb- bis zweijährigen ersten Lehrgang
auszuwählen sei, als eine leicht zu entscheidende hingestellt. Als
mafsgebenden Gesichtspunkt nimmt er den Gedanken, welcher
auch der Aufstellung der neuen Lehrpläne mit als Grundlage ge-
dient hat: es soll denjenigen Schülern, die nach Abschlufs der
Untersekunda die Schule verlassen, ein abgerundetes Bild der
wichtigsten physikalischen Lehren mit auf den Weg gegeben wer-
54 0* Lubarsch, Metb. Lehrb. f. d. chem.-mineral. Uoterr.,
deD. Wenn dies Ziel sich schon an und für sich an unseren
Gymnasien nicht als erreichbar herausstellt, so vermifst man in
den Überlegungen des Verfassers besonders die Röcksicht auf die
übrig bleibende Mehrheit der Schuler der mittleren Klassen, welche
die Schule ganz zu absolvieren beabsichtigen. Es wird aus dem
oben angeführten Gesichtspunkt eine Reihe von Thesen abgeleitet,
die man alle wohl gelten lassen könnte, allein es fragt sich, in
welchem Mafse jenen Forderungen Rechnung getragen werden
soll. Dies allein schon durfte die Frage nach einer richtigen
Auswahl des Stoffes als recht schwierig erscheinen lassen und
eine Erklärung dafür liefern, dafs in der kurzen Zeit nach Ver-
öffentlichung der neuen Lehrpläne eine grofse Zahl von Lehr-
buchern der Physik für die Unterstufe erschienen sind, die in
der Regrenzung und Auswahl des Stoffes alle möglichen Unter-
schiede darbieten. In dem vorliegenden Ruche ist nach meiner
Ansicht die Rucksicht auf die praktische Anwendung im täglichen
Leben und im Gewerbsleben für einen Leitfaden, der an einem
Gymnasium im Unterrichte Verwendung finden soll, bei der Aus-
wahl des Stoffes wohl zu sehr mafsgebend gewesen Die Dar-
stellung ist breiter, als es wünschenswert erscheint, denn der
Umfang des Ruches ist dadurch sehr beträchtlich geworden, wie
schon aus der grofsen Zahl von 205 Textseiten hervorgehen durfte«
Im übrigen ist das Ruch gewifs von sachverständigster Hand ge-
schrieben, die Ausstattung ist gut, so dafs das Ruch den Kollegen
zur weiteren Prüfung empfohlen sein mag.
Rerlin. R. Schiel.
1) 0. Labarseb, Methodiscbfs Lehrbuch für deo chemisch-
mineralogischeD Unterricht auf höhereo BUrgerschuleo ood
aoderen höherea Schuleo mit einjährigem chemisch- mineralogUchea
Kursus. Mit 182 in den Text gedruckten Abbildungen. Breslau 1891.
Ferdinand Hirt. 184 S. 8. 2 M.
In der 16 Seiten umfassenden Einleitung wird zunächst ein
vollständiger Überblick über die hauptsächlichsten Theorien und
Hypothesen der Chemie gegeben. Heiner Ansicht nach hätten
die wichtigsten Regriffe aus der allgemeinen Chemie erst an der
Stelle des Lehrgangs ihre Stelle finden dürfen, wo sie sich als
Ergebnisse eines methodischen Unterrichtsganges hätten darstellen
lassen. Da dieses Lehrbuch hauptsächlich für Schulen mit ein-
jährigem mineralogisch-chemischen Kursus bestimmt ist, so scheint
mir die ganze Einleitung von einem zu hohen Standpunkte aus
abgefafst zu sein. So findet sich schon auf der zweiten Seite
folgender Satz: „Nach Mayers später durch Versuche bestätigter
Ansicht können die verschiedenartigen Rewegungsarten der Mole-
küle nie vernichtet, sondern übertragen und in andere umgewan-
delt werden. Remerkbar werdende Kraftverluste sind daher nur
scheinbar vorhanden; es kann weder Kraft verloren gehen, noch
r
«■9 es. voD F. Traomiil ler. 55
wiche neu erzeugt werden/* Derartige Betrachtungen über die
Verwandlung der Energie gehören höchstens an das Ende des
Lehrkureus, aber nicht in die Einleitung. Nach diesen hypothe-^
tischen Betrachtungen werden an einigen einfachen Versuchen die
bd chemischen Proxessen wirksamen Agenlien erläutert; dabei
hätten zugleich die Begri/Te „mechanische Arbeit'^ und „Energie**
ihre Erklärung finden können. Wenn S. 11 gesagt wird, dafs
die Zersetzung des mit Schwefelsäure angesäuerten Wassers durch
Galranismus bewirkt werde, so hätte der Vorgang doch genauer
erklärt werden müssen; denn es steht doch jetzt fest, dafs
chemisch reines Wasser durch den galvanischen Strom nicht zer-
legt wird, und dafs die Elektrolyse des Wassers nur ein sekun*
därer Pi*ozefs ist. Sowohl die Daltonsche Hypothese als auch
das Gesetz der multiplen Proportionen gehören entschieden nicht
in die Einleitung.
Aaf die Einleitung folgt zunächst die Betrachtung der
chemischen Grundstoffe, jedoch stets so, dafs der Auseinander-
setzung ihres Verhaltens ihre Darstellung aus allgemein bekannten,
in der Natur oder im Handel vorkommenden Substanzen voran-
gestellt ist. Die wichtigsten Mineralien sind bei den Elementen
beschrieben, auf die sie in chemischer Hinsicht Bezug haben;
erst am Schiais ist eine systematische Übersicht des Mineral-
reiches gegeben. Auch die Elemente der Krystallographie werden
zuerst Dur an geeigneter Stelle entwickelt, und erst später wird
die Krystallographie systematisch vorgetragen. Bei der Zusammen«
Stellung der Krystallsysteme hätte das dikline System nicht einmal
erwihnt zu werden brauchen, da ja doch kein einziges Mineral
in demselben auftritt. Die Technologie ist nur so weit wie nötig
berficksichtigt. Bezöglieb der sogenannten trockenen Reinigung
des Leaehtgases ist zu erwähnen, dais in Deutschland jetzt fast
allgemein ein Gemisch von Eisenoxydbydrat und Sägespänen ver-
wendet wird. Die Behandlung der Nichtmetalle sowie der Metalle
verdieDt volles Lob. Dadurch ist dem Lehrer freie Hand gelassen
in der methodischen Behandlung des Stoffes. Für eine zweite
Auflage erlaube ich mir, dem Herrn Verfasser vorzuschlagen, zur
Erläuterung des Gesetzes von der Erhaltung der Masse und den
chemischen Umsetzungen überhaupt die Elemente der Mafsanalyse
in sein Buch aufzunehmen.
2) H. Rraofe, Mineralogie für GyrnDasien. Mit 49 io dea Text
eiogedrocktea Abbildoogeo. Haoaover 1891, Helwiagsche Verlags-
bnehbaDdlaog. 38 S. 8. i M.
In diesem Büchlein werden 66 Mineralien beschrieben, und
zwar sind die ersten 10 so ausgewählt, dafs auf jedes Krystall-
System ein oder mehrere Vertreter kommen, die technisch von
Bedeutung sind. In besonderen Anmerkungen, die den Beschrei-
bungen der einzelnen Mineralien beigefügt sind, haben Definitionen
56 GbeÜDgp, Leitf. d. Chemie f. Retlsch., agz, v. TraumSiler.
und Beschreibungen von Krystallen Platz gefunden. Die Angaben
über die prozentische Zusammensetzung der Mineralien scheinen
mir in einem Buche, das für solche Schüler bestimmt ist, denen
chemische Vorkenntnisse abgehen, überflüssig zu sein. Die Be-
schreibungen einiger wichtiger Mineralien hätte etwas ausführ-
licher sein und dafür hätten weniger wichtige Mineralien, wie
Cölestin, Olivin, Analcim, wegbleiben können.
3) M. fibeliDg, Leitfadeo der Chemie für ReaUchaien. Mit 225
Abbilduageo. Berlin 1892, Weidmanosche Bacbhaodlung. 157 S. 8.
2,20 M.
In dem vorliegenden, für Schulen mit einem einjährigen
chemisch-mineralogischen Unterricht bestimmten Leitfaden werden
die chemischen Grundstoffe mit ihren wichtigsten Verbindungen
in der früher üblichen Reihenfolge abgehandelt; dabei werden,
dem Zwecke des Buches entsprechend, die Stoffe, die im Welt-
handel eine hervorragende Rolle spielen, in erster Linie berück-
sichtigt, z. B. die Eisengewinnung, die Glas- und Porzellanfabri-
kation. Da es dem Verfasser wohl bekannt sein dürfte, dafs den
neueren Forschungen zufolge chemisch reines Wasser durch gal-
vanischen Strom nicht zerlegt wird, so dürfte es sich wohl
empfehlen, die Einleitung etwas umzugestalten und vielleicht die
Zerlegung des Wassers durch Überleiten von Wasserdampf über
rotglühendes Eisen zu zeigen. Die prozentische Zusammensetzung
des Wassers kann man durch einen Versuch, den Roscoe in
seinem Elementarbuch beschreibt, in völlig überzeugender Weise
vor den Schülern zeigen. Es empfiehlt sich überhaupt, den
messenden Versuchen vor den qualitativen den Vorzug zu geben;
daher sollten namentlich die Grundbegriffe der Mafsanalyse in
den chemischen Unterricht aufgenommen werden, um an dem
Austausch der Stoffe zwischen Säure und Basis die bei chemi-
schen Prozessen stattfindenden Geselzmäfsigkeiten zu veranschau-
lichen. Der Verfasser hat an geeigneten Stellen auch die Ele-
mente der Krystallographie in den Rahmen seines Lehrganges
aufgenommen. Der Verleger hat das Buch vortrefflich aus-
gestattet.
Leipzig. F. TraumüUer.
DRITTE ABTEILUNG.
BESICHTE ÜBER VERSAMMLUNGEN, NEKROLOGE,
MISCELLEN.
30. Versammlung des Vereins Rheinischer Schulmänner.
Am 4. April hatten sich 132 Mitglieder des Vereines Rheinischer
ScholBanner im Isabelleosele des Giirseoieh in Köln verssmaelt; das erste
der auf der Tagesordnong stehenden Themata „Uomarsge bliche Erfahrungen
wt des neaen Lehrplänen nod Lehranfgabea ans dem ersten Jahre ihrer
Galti^keii*% das von Dir. Matthias (Düsseldorf) aufgestellt worden war,
hatte wohl die stattliche Zahl herbeigeführt. Nach den begrüfsenden und
eiaieiteDdea Worten des Vorsitzenden Dir. Kiesel aus Düsseldorf, welcher
den in der vorigen Versanunlong geänfserten Besorgnissen gegenüber trotz
der kurzen Daner der bisherigen Erfahrungen doch eine etwas bessere Stirn-
■ng bemerken zu köoneo glaubte, verbreitete sich Dir. Matthias in
einem anfaerordentlich klaren, interessanten und mit grofsem Beifall auf-
genommenen Vortrage über das von ihm gewählte Thema. Er habe seinen
Vortrag „Unmarsgebliche Erfahrungen mit den neuen Lehrplänen u. s. w.
genannt, da es die Erfahrungen nur eines Jahres und eines Mannes seien,
persönliche Erfahrungen aber immer etwas einseitiges und uomafsgebliehes
bitten. Dan schicke er voran, um nicht in diesem oder jenem Punkte bei
äner künftigen Änderung festgenagelt zu werden. Ebenso habe er vorher
de lege ferenda energisch seine Wünsche und Ausstellungen über die neuen
Lekrplane nosgesprochen, aber lege lata habe er denn doch versucht, rück-
haltlos die neue Ordnung durchzuführen. Redner sprach nun über das
Denis ehe and zwar über die Wortbildungslehre in IV. Man müsse sich
Inm hallen von jeder Systematik und vor allem von wissenschaftlich syste-
matisdien Ausdrücken, welche die Quartaner nicht verstehen könnten. Man
soUe sich ao die Vorschriften über Rechtschreibung halten und das, was in
¥1 und V gelernt sei, wiederholen und bei dieser Wiederholung an prak-
tischen Beispielen die Schüler auf die Geschichte der Wörter hinweisen.
An etwas Bekanntes müsse man anknüpfen und vor allem die leidige Wort-
hüdangslehre fernhalten. Über die freien Vorträge im Dentsohen bemerkte
ftedncr, dafs man mit ihnen nicht zurechtkomme, wenn man nicht vorsichtig
sei «nd nicht den Primaner anwiese, dafs er nur 6 — 7 Minuten sprechen
dürfe. Doch müsse man auch darauf sehen, dafs man den Primaner nicht
aniBscharf nech einem solchen Vortrage beurteile; denn der Bescheidene sei
an dieser Stelle — ex cathedra — viel scheuer als der Dreiste, da jener
imier etwas von dem Lampenfieber haben würde. Redner legt eine Reihe
▼ea Fragen vor, welche er den Schülern in einem Vortrage zu beantworten
gegeben hahe, Z. B. Welche verwandte Gedanken finden sich in der 7. Be-
tracktang der Glocke und dem eleusischen Feste? Zweck einzelner Monologe,
58 30* VersammlaD^ d. Vereins Rheioisclier Schulmänoer,
Gebet der Iphi^eaie? u. s. w. lo betreff der kleioea deutschen Arbeiten
voa IV an bemerkt Redner, dafs er direktes Niederschreiben in die Rein-
schrift für n'öiii; halte ; man könne nicht verlangen, dafs der Schüler Kladde
und Reinschrift in 50 — 55 Minaten herstelle. Der Stoff müsse bereit liegen*
nicht dürfe man in das unglückliche Extemporale hineinkommen. Der Stil
sei die Haaptsache. Für IV seien derartige Arbeiten sehr schwer, man
würde vielleicht erst besser mit III beginnen. Die Gefahr liege dann nahe,
dafs man zu viel von diesen Arbeiten verlange, dafs man auch zu viel za
korrigieren habe. Deshalb habe er angeordnet, dafs in jedem Semester jeder
Lehrstoff einmal behandelt werden solle nnd, wenn mehrere Gegenstände in
einer Hand vereinigt seien, eine mafsvolle Aoslese zu treffen aei. Auch
gäbe nicht jeder Stoff ein bestimmtes Thema. Um Überbürdong durch An-
häufung der Arbeiten zu verhindern, könne man von den Lehrern die An-
fertigungstermine in einem Buche eintragen lassen. Bei diesen sehr niitz-
liehen Arbeiten habe er nun die eigentümliche Beobachtung gemacht, dafs
Schiller, die sonst keine guten dentsehen Aufsätze geschrieben, in andern
Fächern recht gut gearbeitet hätten: so könnten diese Arbeiten ausgleichend
wirken, dafs ein Schüler, der im Deutsehen nicht genügend habe, dies dnreb
diese Arbeiten kompensieren könne. Es habe sieh aber auch bei diesen
Arbeiten ein Obelstand gezeigt, den man nicht verschweigen dürfe, das sei
die sich in hohem Mafse äofsernde Unsicherheit im Deutschen. Man sei
noch immer der Meinung, als flöge uns das Deutsche selbst zu. Alle Kräfte
müfsten angespannt werden, um die stilbildende Kraft der Schüler zu stärken.
Dazu könnten diese von den Fachlehrern korrigierten Arbeiten sehr viel
helfen. Die Anforderungen im Lateinischen w ürden bedeutend beschränkt
werden müssen. Dafs eine verbesserte Methode dasselbe leisten solle, was
bisher in den alten Sprachen bei gröfserer Stundenzahl erreicht sei, davon
könne er sich nicht überzeugen. In VI und V würde man beim Übersetzen
vom Deutsehen ins Lateinische kaum über die Übersetzung eines sogenannten
naekten Satzes hinausgehen können, dagegen beim Übersetzen aus dem Latei-
nischen ins Deutsche nicht zurückzugehen brauchen. Der Grundsatz für die
Oberstufe, dafs nur vom Lateinischen ins Deutsche übersetzt werden solle,
müsse nach seiner Ansicht auch auf die Mittelstufe angewandt werden. An
schlimmsten sähe es mit dem lateioisehen Unterrieht in der IIb des Renl-
gymnasiuras aus; bei den 8 Stunden sei die Forderung einer Obersetznng
aus dem Deutschen in das Lateinische, zumal auch für die Absehlufsprüfnng
viel zu hoch; sie schaffe Oberbürduug und üefse so und so viel sonst ganz
guter Sehiler dnrehfallen. Bei dem Unterrichte in den neueren Sprachen
habe er Schwierigkeiten gehabt mit dem Pensum der lllinf.; hier könnten
mit den Forderungen der neuen Lehrpläne die gröfsten Fehler gemaeht
werden, wenn man sich nicht sehr bescheide und beschränke. Bei den
Mangel eines guten Kanons der Lektüre wähle man oft in das Blaue hinein:
die Lektüre könne sich sehr gut von lli Inf. bis II iaf. im gescbiehtliehen
Gesichtspunkte bewegen. Für die oberen Gymnasialklassea seien die Be-
stimmungen viel zu eng bemessen, hier wäre eine Änderung sehr wünsehena-
wert. Von den Sprechübungen dürfe man, zumal bei einer Klasse voa
40—50 Schülern, nicht zu viel erwarten. Für diese Sprechübungen bildeten
die Vorkommnisse des tä^liehen Lebens einen guten Anhaltspunkt; das sei
aber nur für die untere Stufe empfehlenswert, da es auf dieser den Reis
voB Fr. UoldoDkauer. 59
ler Nenkeit hab« : ia itü oberen Klassen könnte es leicht trivial werden.
ftat diese aei eine AnkniipfiiDg in der Lektüre za soeben, die mSgliehst ans
der Bodemea Zeit (gewählt werden mässe. Beim mathematiseben und
physikalischen Unterricht scheine das Pensom der Ilinf. die meisten
ScbwierigkeitCB zu machen, weil dort eine Fälle von Lehrstoff znsammen-
ksmme. Man mösae nnr Teile des mathematischen und physikalischen Unter-
rtdites elementarer, oder besser noch populärer bebandeio. Die Lehre von
den Korpern s. B. würde fast anf das Niveaa der Volksschule herahzasetzea
sein. Vorbaaen kSone für diesen Unterricht der Zeichenunterricht aaf III,
indem die Schüler dieser Klassen ei o fache stereometrische Gebilde zeich-
aeCen. Für die Physik freite dasselbe; Elektrizität sei in den Vordergrnad
SB stellen, Akustik ond Optik mehr populär zn behandeln. So liefsen sich
die neneo Lebrpiäae mit einif^en Aoderiiogeo ganz gut dnrchfShren, beson-
dert weno guter Wille vorhanden wäre und wenn man den Znsammenbang
der ▼erschiedenen Uoterriehtsgegenstände im Auge behalte. Vor allem
werde man auf den deutschen Unterricht Rücksicht nehmen müssen; die
Schaler, noch die der unteren Klassen müfsten im Bilden von Sätzen geübt
werden, jede Frage und jede Antwort müfste den Anforderangen des guten
Dsalaeh entsprechen. Er wolle sieh, während Dir. Jäger im vorigen Jahre
aeiB y,inagaa pegna victi snmas'^ g^sigt habe, an Hesiod halten, weleher die,
die ikm sein Gat entrissen, Thoreo genannt hat, die nicht wüfsten, dafs die
Hälfte mebr sei als das Ganze. Und dieses nXioy ^fnav navtog habe er so
erklärt: er strenge sich an, den Rest seines Vermögens so gut zn ver«
walten, dafs es den Anschein habe, als habe er niehts elngebüfst.
ia der anf diesen Vortrag folgenden Besprechung ergriff zuerst Dir.
Jäger (K51a) das Wort und sprach sich sehr bitter und entschieden über
die aeaea Lehrpläne aus. Anknüpfend an das von Matthias gebrauchte Wort
Bcsiods meinte er, dafs es doch wohl nicht möglich sei, den Männern,
weiche die Schulreform gemacht, nachzusagen, sie hätten nicht gewufst, was
sie erzieiea wollten, und stellte dem zweischneidigen Wort von der Hälfte,
die mehr sei als das Ganze, die Stelle aus Wallenstein entgegen, in welcher
der Waehtmeister zu dem Verluste des kleinen Fingers an der Rechten sagt:
Habt ihr mir dea Finger blofs genommen?
Nein, beim Kuckuck, ich bin um die Hand gekommen!
's ist nnr ein Stumpf und nichts mehr wert.
Fir den eentralea Uaterricht des Gymnasiums sei zu wenig Zeit geblfeben,
darwber kSnne man nicht mit schönen Worten und sogenannten Methoden
Uaweg. Br könne den Ansrdhrnngen des Dir. Matthias über das Obersetzen
aas dem Dentsehen in das Lateinische und umgekehrt nicht zustimmen,
beides atehe ia engem Zusammenhang. Schoa nach diesem einen Jahre habe
ia dea eberu Klassen das Lateia angefangen, die Spuren des beginnenden
Verfalla za zeigen, was werde erst kommen, wenn die mit solchem Unter-
riebt erzegeaen Sextaner hinauf kämen? In betreff der Sprechübungen
stimme er Matthias bei, die Fähigkeit im Sprechen jeder Sprache schreite
aidt ^radiiaif vor, in der Mitte der Bntwickelnng trete ein Rückschritt
eoy in Sexta sei der Schüler noch naiv, in den obern Klassen zeige sieh
dagi^ea gewisse natürliche Scheu, weil der Schüler wisse, dafs er eine
kseadere Leiataag za bieten habe.
ProL Matzbauer (Köln) verbreitet sich über das Übersetzea aus
60 ^0* VersammlaDg d. VereioB RbeiDischer Schalmänoer,
dem Latein liehen ins DeoUche aad die RUckiiberfetzaDg. Seit einer Reihe
von Jahren habe man bei diesen Obersetzungen den Wert auf die Denk-
übung gelegt, infoige dessen sei auch das Räek übersetzen überflüssig; der
3ehaier würde anfangen za raten. Die Stoffe zam Obersetzen müsse man
<— und damit habe Matthias Recht — ans dem Antiken nehmen, aber nicht
aus dem Bereich der Lektüre.
Dir. Uppeokamp (Düsseldorf) giebt zu, dafs die Rückübersetzung io
bedenklieber Weise vorzogsweise das Gedächtnis besehüftige, er würde
empfehlen, kleinere, leichtere Sätze anfzogeben); aber er sähe nicht ein, wes-
halb sich diese Übungen nicht an die Schriftsteller ansehliefsen sollten.
Man thue am besten, deu verkürzten Inhalt eines Schriftstellers zum Ober-
setzen zu geben ; reines Retrovertieren schiene ihm nicht zweckmäfsig zu sein.
Prof. Evers (Düsseldorf) wünscht keine streng wörtliche Rncküber-
setzong: man solle nicht mechanisch vorgeben, sondern Auseinanderlirgeo-
des zusammenfügen, Zusammenstehendes auseinanderziehen. Die Betonung'
des Extemporierens habe er mit Freuden begrüfst« Das sei gut roSglich,
wenn man sich nur im Stoff etwas beschränke ; bei der verringerten Stunden-
zahl müsse man sich allerdings mehr anstrengen.
Prof. Lauer (Köln): Beim Obersetzen aus dem Deutschen ins Latel-
nisohe müsse man zwischen den Klassensrbeiten und den häuslichen Pensen
unterscheiden. Für die Klassenarbeiten halte er einen mehr oder weniger
engen Aoscblufs an die Lektüre für nötig, bei den häuslichen Pensen würde
das dem Schüler Langeweile machen. Es würde auch mancher Schriftsteller,
wie z. B. Tacittts, in diesem Sinne schwer zu behandeln sein.
Schulrat Münch (Coblenz): An dem Vortrage des Dir. Matthias habe
er deshalb Freude gehabt, weil er aus der Praxis hervorgegangen sei* Bei
der Wortbilduogslehre möchte er wünschen, dafs die Schüler dazu angeleitet
würden, die Worte sinnig aufzufassen, ihr Gerdhl für die Mottersprach«
reger zu machen. Die Unfähigkeit der Schüler, für das Gedachte einen
guten Ausdruck zu finden, sei noch zu grofs ; das käme daher, dafs die vor-
gesprochenen Worte von ihnen einfach nachgesprochen würden. Im Latei-
nischeu gelte es das Ziel zu verschieben, das sei allerdings keine leichte
Aufgabe. Doch lasse sich Neues, Schönes, Grofses leisten und dann werde
man nach Jahrzehnten sagen können: das Alte ist verschwunden, aber es
ist etwas anderes Gutes an die Stelle getreten. Dafs in der Lektüre der
neuem Sprachen noch immer ein Kanon nicht gefunden sei, sei gar nieht
so sehr zu beklagen. In betreff der Lehrbücher sei der Wunsch ausge-
sprochen, dafs die Zahl der verschiedenen Bücher gemindert werden möge;
das sei möglich, wenn die Herren, die nahe zusammen wohnten, die Sache
bei Zeiten besprächen. Dann drückt Redner seine Freude darüber aus, dafs
er einen Optimisten gehört habe; was Dir. Jäger sage, dafs er in der Praxis
optimistisch sei, das sei ganz vorzüglich. Als die neuen Lehrpläne so viele
strenge Kritiker gefunden, sei er zuerst sehr erschrocken gewesen; dann
aber habe er sich etwas beruhigt gefühlt, als Fachmann A in Stadt N sich
über dieses beklagt und am andern Tage Fachmann B in Stadt X gerade
das gelobt habe, was A tadelte.
Dir. Becker (Düren) sieht die Dinge auch nicht mehr so tragisch
an als im vorigen Jahre, namentlich habe er seine Meinung über die freien
Vorträge geändert Er habe gefunden, dafs wenn man z. B. in II inf. eine
▼OD Fr. Moldeohaaer. Qt
Seletene Sx«ae for die oSehst« Stnode unter eioem befttimmten GesicbU-
fuktß sam Vortrag^e aofgebe, man sebr viel danit machen könne. Ancb
»eine Bedealien wefpen der denUeben Arbeiten seien (gefallen, die von
Lebrern der oicbt-dentacben Facber aufgegeben würden. Sie bitten den
Verteil, dafs der Lebrer, der dentscbe Febler babe verbessern müssen, naeb-
bcr um so sorgfältiger auf den dentscben Aasdrnck acbte.
Dir. Ilppenkamp wSoscbt, dafs die freien Vortrage niebt sebriftlicb
geaMcht worden; er siebt das Wesentlicbe dieser Arbeit darin, dafs allen
Sehälero dieselbe Aufgabe gegeben werde. Dann könnten sieh alle dabei
beteiligeB; mache einer allein den Vortrag, so w&re es ancb, wenn derselbe
km wäre, mifslicb.
Dir. Matthias bemerkt dazu, dafs beides sich vereinigen lasse. Er
babe z. B. im Anschlafs an die Lektüre der Iphigenie 44 kleine Themata
aafgestcllty die alle in einander griffen, so dafs die ganze Klasse sich daran
bcIcili^eD könne. Ober schriftliche Ansarbeitong könne man dem Schüler
keine Vorschrift maeben; aber das verlange er, dafs er sich die Haupt-
gesichtjpvokte anfschreibe; dagegen aosgearbeitete deutsche AufsXtze vor-
Iragea zu lassen, halte er fdr ausgeschlossen.
Oberlehrer Gloel (Wesel) wirft die Frage auf, ob freiere selbständige
Themata aosznscbliefsen seien, welche die ganze Klasse interessierten. Nach
seiner Ansicht könne man z. B. an die Iphigenie eine Inhaltsangabe der
Orestie anscbliefsen. Kein Vortrag aber dürfe langer als 10 Minuten danern.
Ümck einer halbstündigen Pause werden die Verhandlungen mit einem
Vortrage des Dir. Jäger ,,Bioige Bemerkungen über Einrichtung und Ver-
teilnog des geographischen Unterrichts'' wieder aufgenommen. Ehe er die
Aufmerksamkeit auf den Lehrpian der Geographie lenke, so führt Bedoer
ans, aSchie er den allgemeinen deutschen Sprachverein um Verzeihung
bitten, wenn er doch Geographie statt Erdkunde sage. Er erinnert dabei
an die Vorrede zur ersten Ausgabe von Jacob Grimms deutscber Grammatik,
wo Grimm sieb nachdrücklich gegen Obersetzuog geschichtlich gewordener
Worter erklart, und betont, dafs er einen besondern Patriotismus in solchen
aeaea Wortprägungen nicht finden könne, er werde nach wie vor Geogra-
phie sagen, besonders auch, weil alle europäischen Colturvölker dieses
Wort gebranebten. In dem geographischen Lehrplan für VI hebt er als
wichtig hervor, dafs der Ausdruck „Heimatskuode*' vermieden sei: der Lehr-
pian fübre auf verständige Weise die Knaben in den Unterricht ein. Ganz
verfefalt erscheine ihm aber das Pensum der V. Man habe vielleicht ge-
meiat, man könne den Patriotismus nicbt früb genug in die Schaler binein-
kfiagea : er glaube, dafs für das Vaterlandsgefnbl in V ausreichend gesorgt
sei dorcfa Taterländiscbe Feste u. s. w. Nach dem Gange unserer Gymnasial-
arbeit sei es immer früh genug, wenn die Geographie Deutschlands in III
bebaadelt werde. Auf den ersten Stufen solle man die Knaben binausfübren
in die weite Welt, das mache ihre Neugier rege, und diese sei die erste
Stvfe za wissenschaftlicher Betrachtung. Er schliefse auch die Behandlung
anlserearopaiseher Erdteile unmittelbar an das Vorhergehende an. Der
aatargemaTse Weg sei der, dafs, wenn man in VI den Gang durch die Welt
gmacbt habe, man in V die aufserenropäischen Erdteile durchgehe, in IV
Eoropa aalser Dentsebland, wie für diese Klasse sebr verständig im Lebr-
pkae TOJigeacfariebeD sei. Der Schüler lerne dort zum ersten Male Ge*
62 30. VersammluDi; 4. Vereins Rheinitcber Scbulminner ,
schichte, «n welche sich die Geographie GriecheoIaDds, Italiens o. s. w.
get aoschlÖsse. Der woodeste Punkt aber sei nan die Geographie in Olli
und U III. Bei der Verteilung des Lehrplanes stände ihm sein bischen Ver-
stand still, er frage, sich, ob nicht irgend ein Druck- oder anderer Fehler
%a Grunde liege. Der Lehrplan setze die Wiederholung der politischen Geo*
graphie an den Anfang; er sei der Ansicht, dafs eine „Wiederholung'^
der politischen Geographie in die 0 III gehören würde, wenn der Schüler
zwei Jahre deutsche Geschichte getrieben habe; zu Anfang wSre dagegen
eine Wiederholung der physischen Geographie am Platze. Mit der
Wiederholuog aber werde es überhaupt nicht zu glänzend hestellt sein;
es werde eben so gut wie nichts mehr ans dem Pensum der V zu wieder-
holen sein. Das habe doch bisher als unbestritten gegolten, dafs mit der
deutschen Geschichte in III der geographische (jnterricht eoge Beziehung
haben müsse, so dafs in Olli physische Geographie Deutsehlands: Wieder-
holung des Pensums der V, aufsereuropäische Erdteile und in U III politische
Geographie Deutschlands unter Berücksichtiguog seiner überseeischen Be*
Ziehungen zu treiben sei. Die Behandloog der Kolonien sei übrigens nicht
ao die physische Geographie sondern an die politische anzuschliefsen und
nicht als Hauptpensum der Ulli hinzustellen. So stelle er denn folgenden
Lehrplan für die Geographie auf: VI wie der Lehrplan; V die anfsereurö-
päischen Erdteile; IV Europa aufser Deutschland, III in Verbindung mit
dem geschichtlichen Unterricht eine möglichst tiefgehende Kenntnis der
Geographie Deutschlands und zwar der physischen und der politischen.
Dann könne man iu Uli in sehr nützlicher Weise die Verhältnisse der
europäischen Staaten behandeln, indem man sie stets mit den dentscheo
Verhältnissen vergleiche. Ein solcher Unterricht sei utilitarisch, aber au<^
wissenschaftlich; beides schliefse sich durchaus nicht aus. Den geographi'-
schen Unterricht in den obern Klassen möchte er lediglich als AnwenduDg
der erlangten geographischen Kenntnisse beim Geschichts- und sonstigen
Unterricht bezeichnen. Gerade beim Geschichtsunterricht müsse der Schüler
sich gewöhnen, nicht einen Ort gedankenlos nennen zu hören, ohne ihn io
Verbindung zu bringen mit irgend einer geographischen Beziehoog. Der
Vortrag wurde von der Versammlung mit lautem, allgemeinen Beifall aaf-
genommen. In der darauffolgenden Besprechung legte Dir. Menge (Boppard)
im Namen des deutschen Sprachvereins Verwahrung ein gegen Jägers Be-
mängelung des Ausdruckes: „Erdkunde*^ Im übrigen stimmte er den Aas-
führungen Jägers bei.
Schulrat Münch spricht den Worten Jägers seinen Beifall aus, nament-
lich was er über die III gesagt habe; dagegen könne er ihm in betreff der
V nicht zustimmen. Das Gefühl, dafs man erst Kunde von der heimatlichen
Welt haben müsse, ehe man weiter gehe, finde man auch sonst wohl. Die
Geographie Deutschlands zweimal durchzunehmen sei nach seiner Ansicht
sehr wünschenswert, was ja auch die Praxis der meisten Schulen zeige.
Es komme darauf an, dafs die Geographie in V besonders anregend gegeben
werde, dann lasse sieb doch etwas erreichen. In betreff der Behandlung
der Kolonien gebe er JÜger Recht; dafs man denselben ein paar Standen
widme, tbörichte Anschauungen bekämpfe, das halte er für ganz riehtig. In
den ebern Klassen solle allerdings die Geographie dem geschichtlichen
Unterricht dienen, aber nicht ausschlierslich.
TOD Pr. Moldenhaoer. 63
' Prof. PoklmaDo (Werden) fragt ia beireff der V, ob nieht mit dem
ubedio^B Vergchiebeo von DeotscblaDd bis Hl der Erdbescbreibuog der
Volksschule das Todesurteil gesproeheo wurde aad ob oicbt die Sebüler zu
karz kamea, welche mit IV die Sohule yeriierseoT
Prof. BrauD (DusseldorO bat auf Grund seiner Thätigkeit io V gute
Erdhi-Bu^B mit dem neuen Lebrplane gemacht und balt Jäger entgegen,
ials ciu aoleher Uaterrieht, der allerdings nicht trocken gegeben werden
dirfe, doch wohl auf den richtigen Boden fallen werde. Er glaube, dafs die
KaahcD recht viel Wertvolles mit in die folgende Klasse genommen hätten.
Prof. Moldenhaner (Köln) giebt wohl an, dafs der Lehrer in V dea
Cnterricht recht anzieheud machea koone und müsse, aber ebenso sei er nach
seiaer Erlafaroog davon überzeogt, dafs die Schüler nieht weniger freodig
dem Lehrer in die Steppen Amerikas, in die Wüsten Asiens, in das Innere
Afrikas folgen würden: und wenn man bedenke, mit wie viel Anteil Schüler
dieses Alters Fremdartiges, z. B. Indiaaergeschichten lasen, dann käme man
■ic dem Uoterricht in dea anfserenropäischen Erdteilen Ihrer Phantasie doch
mehr entgegen, was zugleich auf den Unterricht gat einwirke. Dann möchte
er firageo, wann der eigentliche Unterricht in den anfserenropäischen Erd-
teilen an die Reihe käme?
Dir. Jäger: Die Verhältaisse der Volksschule und die Frage der von
IV abgehenden Seh&ier darf man nicht heranziehen; der Lehrplan müsse sich
nach der grofsen Mehrzahl richten, welche die Schule länger besuchten.
Wenn er gebort habe, wie entzackt die Schuler in der V von der Geogra-
phie Deutschlands seien, dann könne er sich gar nicht mehr vorstellen,
ia welchem Himmel der Tertianer schweben müsse, wenn ihm die Geogra*
phie seinen Vaterlandes so lebendig gemacht würde. Was der Vorredner
habe beweisen wollen, habe er in Wahrheit nicht bewiesen; denn er selbst
habe nicht sagen wollen, dafs fdr den Schüler der Uoterricht io der deut-
schen Geographie nicht nötig sei, sondern noch oicbt auf dieser Stufe.
Mit Schulmt Münch wolle er einen Kompromifs machea derart, dafs man
ia VI den Unterricht mit Deotschland schliefse, ihn ia V so fortsetze, dafs
dea Schillern das Notwendigste von Dentschlaod gessgt werde, dafs aber
die Haoptsache die Geographie der aofsereoropäischen Erdteile bilde, in III
umgekehrt, die anfserenropäischen Länder zor Nebeoaufgabe, die deutsche
Geegraphie znr Hanptsache werde.
Dir. Matthias spricht sieh entschieden für den Lehrplan ans, wie er
jetzt für die V festgesetzt sei; die Schüler hätten viel gelerot, und für die
aalserearopaischea Erdteile sei Zeit genog vorhanden. Der dritte von
Prof. Evers (Düsseldorf) angekündigte Vortrag: „Gedanken über die deutsche
Lektüre in den Oberklassen mit besonderer Beziehung auf Schilters Ab-
handlnng über naive und sentimentale Dichtnng" mufste der vorgerüekten
Zeit wegen der nächsten Versammlung aufgespart werden. An Stelle der
satmngsmnfslg ausscheidenden Mitglieder des geschäftsfÜhrenden Ausschusses
Dir. Schmita (Köln) und Evers wurden gewählt Dir. Jäger und Prof. L. Stein
(Koln-Marzelien). An die Verhandlungen schlofs sich das gut besuchte
Mittagsmahl an, bei welchem Sehnlrat Münch das Hoch auf den Kaiser,
an/ das Provinzial-Schnlkolleginm ausbrachte.
£glii. F* Moldenhaucr.
VIERTE ABTEILUNG.
EINGESANDTE BÜCHER.
1. H.Kraenkel, Hermaoo der Befreier. Ein vaterländisches Fest-
spiel fSr die deotsehe Jagend. Programm Lahr 1893. 44 S. 4.
2. Leo Bahlsen, Schalfestspiele ans der Geschichte des
Vaterlandes. Für die Dilettantenbiihoe. Leipzig, Ph. Reclam juo. 72 S.
0,20 M. — Inhalt: 1) Aus Karls des Grofsen Tagen; 2) Im FrUbrot eioer
neuen Zeit; 3) Des Vaterlandes Not nod Erhebung; 4) Durch Sieg zur
Einheit
3. Bötticher nnd Kinzel, Denkmäler der alteren deutschen
Litteratur. III 1: Hans Sachs, ausgewählt und erläutert von K. Kinzel.
2. Auflage. VIII u. 120 S. 0,9U M. IV 2: Die Litteratur des 18. Jahrhunderts
vor Klopstock, ausgewählt und erläutert von G. Bötticher. VIII u. 122 S.
0,90 M. Halle a.S. 1893, Buchhaudluog des Waisenhauses.
4. F. Linnig, Deutsches Lesebuch. Zweiter Teil. Für die
mittlereo Klassen höherer Lehranstalten einschliefslich Sekunda. Achte, ver-
besserte Auflage. Paderborn 1893, F. Schöningh. XVUI n. 581 S. 3,5011.
— Vgl. diese Zeitschrift 1892 S. 312.
5. Ed. Büttner, Orthographisches (Ibungsheft für Schüler
Beigabe zu dem „ÜbungsstoGT für den üuterricht in der deutscheo Recht-
schreibung". Dritte Auflage. Berlin 1893, Weidmaonsche Bnchhandluog.
76 S, hart. 0,60 M.
6. W. Berg, Aufgaben zu deutschen Aufsätzen und Vor*
trägen in den oberen Klassen höherer Lehranstalten. Aus den Jahres-
berichten der höheren Lehraostalten der Provinz Sachsen zusammeogestellt
und systematisch geordoet. Berlin 1893, R. Gärtners Verlagsbuchhandluog
(H. Heyfelder). XX u. 202 S. 2,80 M.
7. Symbolae Pragenses. Festgabe der deutschen Gesellschaft für
Altertumskunde in Prag zur 42. Versammluag deutscher Philologen und Schul-
männer in Wien. Prag 1893, Tempsky. 221 S. gr. 4.
8. J. Rappold, Chrestomathie aus griechischen Klassikern,
X u. 93 S. kart.l,40M; Chrestomathie aus lateinischen Klassikern,
XIV u. 193 S. kart. 2 M. Wien 18 J3 , C. Gerolds Sohn. — Die Hefte
sind bestimmt „zur Erleichterung und Förderung des Übersetzens aus dem
Stegreife" und erfüllen diesen Zweck vortrefflich, da der Herausgeber seine
Auswahl mit Sachkenntnis und Geschmack getroffen hat.
9. P. Harre, Lateinische Schnlgrammatik. Teil II: Lateinische
Syntax. Zweite Auflage. Berlin 1893, Weidmaonsche Buchhandlung. VIII
u. 160 S. nebst Anhang XLV S. 1,80 M.
10. L. Bauer, Handschriftliche und kritisch-exegetisehe
Erörterungeo ku den Punica des Silius Italiens. Programm Augs-
burg 1893. 55 S. -— Die Abhandlung bildet eioe Art Ergänzung za der
Praefatio der Silius-Ausgabe des Verfassers.
11. Plaut! comoediae. Rec. G. Goetz et Fr. Schoell. Fase. I.
(Amphitruo, Aslaaria, Aulularia). Leipzig 1893, B. G. Teubner. XXXIII
tt. 158 S. 1,50 M.
12. Scholia Terentiaoa. Collegit et diaposnit Fr. Schlee. Leip-
zig 1893, B. G. Teubner. 184 S. 2 M.
13. C. Stande, De Arnobii oratione. Progr. Saargemünd 1893.
86 S. 4.
E EISTE ABTEILUNG.
ABHANDLUNGEN.
Waa ist der Einheitssoliule entgegenzusetzen?
Wir können uns der Besorgois nicht verschlierseo, dafs die
Reform des höheren Schulwesens darauf hinauslaufen möge, dafs
Gfmnasium und Realgymnasium in die „Einheitsschule" aufgehen
werden, dab, wie Paul Cauer in der Deutschen Litteraturztg.
V. J. Nr. 34 sagt, an der entscheidenden Stelle bereits erwogen
wird, das in Hoffnung auf einen gönstigen Erfolg gestattete Frank«
iarier Experiment nachher als erprobtes System einer allgemeinen
Ofganisation des höheren Schulwesens zu Grunde zu legen. Ver-
matlicb ist das nicht bestimmte Absicht, aber doch wohl in Aus-
sicht genommen, zur Beschwichtigung des Reformstreites die
Binheitsschule als eine besondere Form neben den anderen zu
dulden. Nach einer solchen Anerkennung des Prinzipes werden
die Torläufig eingestellten AgitationsstQrme, wie bereits angekündigt
ist, wieder losbrechen, und sobald jene Form in einer gröfseren
Zahl Ton Anstalten Wurzel gefafst hat, wird sich herausstellen,
daCs — schon wegen der Verwickelungen des Übertritts — die
Gymnasien daneben nicht bestehen können. Dafs diesen durch
die Lehrpläne Yon 1892 neue Lebenskraft eingehaucht sei, wird
schwerlich jemand behaupten; und doch bieten sie eine Grund-
lage, die sich so ausgestalten liefse, daüB es wohl geschehen
könnte. Die Reform ist, wie Paulsen es ausspricht, obgleich
sie das richtige Ziel verfolgte, unser höheres Schulwesen den Be-
diirfDiss^i der Gegenwart anzupassen, nicht ganz auf das richtige
Geleise gekommen. Unter diesen Umständen wäre es möglich,
dals der Versuch einer Vermittelung, die ich seit längeren Jahren
angestrebt nnd in mehreren Schriften vorgeschlagen habe, jetzt
aber aof Grundlage der neuen Lebrpläne besser und entschiedener
ausgefahrt vorlegen kann, Beachtung und eine günstigere Beur-
tdlang fände.
Zuvor muts ich zeigen, weshalb ich den Bau der Einheits-
idnile, obgleich ich deren Grundsätze in ihrer Allgemeinheit
durchaus ab berechtigt anerkenne, nicht billigen kann.
65 W»s ist der Eioheitsschale entgegenzusetzea?,
Eine Hauptstutze der Gegner ist der äufserliche, praktische
Grund, dafs durch die Einheitsschule die Entscheidung über die
Wahl des Berufes länger hinausgeschoben werde. Es ist nicht
zu leugnen, dafs dies in manchen Fällen wünschenswert sein kann,
aber so allgemein, wie es als Bedürfnis hingestellt wird, ist es
nicht. Recht oft pflegen Eltern, sei es genötigt durch das Mafs
der zur Verfügung stehenden Mittel, sei es aus Vorliebe für einen
Stand, oder aus Ehrgeiz, oder nach Überlegung, was für das Fort-
kommen am vorteilhaftesten sei, schon früh Beschlüsse oder
Wünsche für die Wahl der Berufsgattung der Söhne zu fassen;
diese Wünsche wirken auf die Kinder eiu und bilden gewöhnlich
die Neigung zu dem einen oder anderen Berufe in ihnen aus.
Glücklicherweise ist die geistige Begabung der grofsen Mehrzahl
eine mittlere, die für das Durchschnittsmafs der Befähigung zu
jedem Berufszweige ausreicht, so dafs die Wahl nach jenen Wünschen
oder Einflüssen in den meisten Fällen sich als eine angemessene
oder ausführbare erweist. Alle diese werden es vorziehen, eine
Schule zu haben, die schon früh in der Richtung auf den in
Aussicht genommenen Beruf hinarbeitet. Aber es war der Mehr-
zahl gleichsam Trotz geboten durch die Norm, dafs alle höheren
Schulen den spezifischen Unterbau haben sollten, wie er für einen
Fortgang im Gymnasium verlangt wurde. Eine grofse Menge von
Schülern, denen es längst feststand, dafs sie mit dem t5. Normal-
lebensjahre in das bürgerliche Leben eintreten würden, fanden
zu wenig, was sie bedurften, und mufsten sich gefallen lassen
behandelt zu werden, als ob sie die Maturitätsprüfung machen
sollten. Dieser Druck hat seit langen Jahren immer weiter ver-
breiteten Verdrufs erregt und läfst jetzt einen indifi'erenten Unter
bau als erlösende Panacee erscheinen. Daher der grofse Anhang.
Wenn damit aber die Schüler im 12. bis 13. Lebensjahre vor ein
Entweder-Oder gestellt werden, so mag das in den meisten Fällen,
wo nur die vorher schon gefafsten Absichten sich bestätigen,
unbedenklich sein, in anderen auch genügender Anhalt zu einer
Änderung des früheren Wunsches sich darbieten, aber ihn durch-
weg als Scheidepunkt hinzustellen, dazu ist er keineswegs beson-
ders geeignet. In diesem Alter haben die Knaben noch zu weaig
Kenntnis von den Lebens- und Berufsverhältnissen, sie lassen
sich leicht durch zufällige äufsere Eindrücke bestimmen. Auch
den Eltern fällt, wie Lehrer aus Erfahrung wissen, ein Entscblufs
in der Regel recht schwer, wenn sie von früher gehegten Wünschen
und Hofl'nungen dann schon ablassen sollen; und höhere Pläne
zu fassen oder gar dazu zu raten ist auch noch eine unsichere
Sache. Nicht selten tritt nach der Pubertät ein Umschwung des
Geistes ein; bis dahin schwache Schüler zeigen sich als tüchtig,
kleine Musterschüler der unteren Klassen täuschen die gehegten
Erwartungen. Bei zweifelhaften Naturen und in den gleichfalls
nicht seltenen Fällen, daIJs Eltern trotz der entgegenstehenden
von J. Lattmano. 67
Bedeoken den Weg zu einem höheren Ziele noch offen halten
wollen, IriU in Wirklichkeil die Entscheidung auf der Stufe der
Miiilärberechtigung ein; da wird die Frage durch die Lage der
Dinge gestellt. Meistens sind gerade die alten Sprachen der Prüf-
stein, an dem nach und nach bei den sich steigernden Anforde-
rungen zum Bewufstsein kommt, dafs wissenschaftliche Studien
oder ein längerer Schulbesuch der Natur des Schülers nicht ent-
sprechen, womit keineswegs immer gesagt ist, dafs die geistige
Befähigung überhaupt eine geringe sei; es handelt sich meist nur
am die Art ihrer Bethätigung und die entsprechenden Charakter-
eigenschaften. Jene Probe sollte der Entscheidung vorausgehen,
nicht nachfolgen. Und auch bei denen, die ohne erheblichen
Anstofs durch die höhere Schule hindurchgehen, kommt die Ent-
scheidung oft erst bei der Reifeprüfung; nicht selten wird auch
da noch ein Beruf oder Studium angegeben, das in letzter Stunde
wieder gewechselt wird. Die Ansetzung jenes Termins für die
Berafswahl durch eine Schuleinrichtung ist also keineswegs so
allgemein praktisch, wie gerühmt wird. Die Bequemlichkeit des
ganz gleichen Unterbaues wird erkauft mit einem in eine be-
stimmte Zeit gelegten Zwange, dessen Verlegenheiten übersehen
werden. Und ob die „Einheitlichkeit der Bildung'', die durch den
ganz gleichen Unterbau erzielt werden soll, durch den vom ihm
80 scharf geschiedenen Oberbau nicht wieder aufgehoben und
der Unterschied und Gegensatz vielmehr geschärft werde, ist gleich-
falls eine noch unbedachte Frage. Eine Gestaltung des höheren
Schulwesens, die mehr Gleichartigkeit der Bildung und mehr
Freiheit der Berufswahl gewährt, ist notwendig, aber sie ist auf
anderem Wege zu erstreben. S. unten.
Die gröfste Kraft der Gegner liegt in der innerlichen,
idealen*' Stütze ihrer Bestrebungen, dafs die fortgeschrittene
Kulturentwicklung der Neuzeit eine gröfsere Ausdehnung und
Wertschätzung der modernen, darunter insbesondere auch der
nationalen Elemente in der Jugendbildung gebieterisch fordere.
Die Berechtigung dieser Forderung und die Notwendigkeit ihr
mehr nachzukommen, als geschehen ist, ist unzweifelhaft; die
Frage ist nur auch hier: welches ist der richtige Weg der prak-
tischen Ausführung? Da möchte es angebracht sein daran zu er-
innern, dal^ dieser Weg schon vor 50 Jahren von mifsliebigen
„Reformern'' eingeschlagen wurde. Wie haben damals Mager,
Scheiben, Langbein in der Pädagogischen Revue (Archiv)
und viele andere darum gekämpft, die lateinlose „Realschülers
das „Börgergymnasium'', die „Höhere Bürgerschule'' ins Leben
zu rufen oder ihr Dasein zu sichern! Es war ein Kampf, der an
Heftigkeit den neueren Reformslreitigkeiten nicht nachstand, er
wurde jedoch auf schuitechnischem Gebiete von Lehrern gefuhrt.
Weil aber einer aus den Lebensbedürfnissen herauswachsenden,
von berufenen Vertretern angeratenen Reform nicht Genüge ge-
5*
68
Was ist der Eiolieitssehole eatgegeosasetzaDT,
schab, darf man sich nicht darüber wandern, dafs darauf die
Laien die Agitation in die Hand genommen und die soziale Seite
der Frage heftiger gellend gemacht haben. Das hat ja auch ge-
holfen. Dieselbe Hand, die froher die Real- oder auch die Höhere
Börgerschule nicht gedeihen liefs, fördert jetzt die „lateinlose
Schule*^ mit aller Macht. Dieser Umschlag bringt es nun mit
sich, dafs, wie früher alle höheren Schulen der Norm des Gym-
nasiums unterworfen wurden, jetzt umgekehrt das Prinzip, das
Gymnasium nach dem Mafse der lateinlosen Schule umzugestalten,
die Oberhand gewinnt. Die frühere Realschule, selbst noch als
sie aus äufserlichen Rücksichten sich gezwungen sah nach einer
Gleichstellung mit dem Gymnasium zu streben, wollte nur nebea
das Gymnasium, die Einheitsschule will an dessen Stelle treten.
Die Einheitsschule mit gleichem Unterbau ist übrigens nichts so
Neues, wie manche anzunehmen scheinen; der Idee nach wurde
sie gleichfalls schon vor fast 50 Jahren einmal versucht. Es ist
charakteristisch, den „Unterbau'* mit „Bifurkation'\ wozu sich
1849 die Realschulmänner in einer gewählten Konferenz ver*
standen, mit der jetzigen Einheitsschule zu vergleichen. Damals:
Uotergymoasium
VI
IV
Obergymnasiom
m
II
I
RealfymDulam
m
II
Deutsch . .
Lateioiseh
Französisch
6
6
4
6
4
4
6
4
3
8
2
3
8
2
6
3
8
2
6
Engl. 3
4
3
Griech. 6
o. s. w.
Man sieht, für wie unüberwindlich damals noch das einseitige
Prinzip galt, der Unterbau der höheren Schule müsse den Cha-
rakter der lateinischen Schule haben. Ist nun nicht der latein*
lose Unterbau das ebenso einseitige Gegenstück dazu? In dieser
Beziehung ist die Einheitsschule ebenfalls auf ein nicht richtiges
Geleis gekommen; ihr ganzer Bau ist doktrinär konstruiert und
das Gesetz einer gesunden Fortentwicklung nicht beachtet, dafs
eine solche von dem Boden des geschichtlich Überlieferten aus-
gehen mufs. Aber freilich lastet auf der anderen Seite die Schuld,
dafs sie immer noch an diesem Boden haften bleiben will; wenn
das auf der einen Seite geschieht, geht es ohne einen einseitigen
Vorstüfs von der anderen nicht ab.
Mit der Behauptung, dafs der altsprachliche Unterricht das
einzig wahre Mittel der „formalen Bildung'* sei, das „Cen-
trum'', an das sich die übrigen Disziplinen anlegten, um im
wesentlichen nur das notwendige reale Wissen herbeizubringen
und die ethischen Seiten der Religion und der Nationalität anzu-
fügen, ist das Gymnasium nicht mehr zu halten. Das mochte
geschehen in der Zeit, wo diese Idee des alten Gymnasiums seine
Stütze an einer wenigstens noch vorherrschenden allgemeinen
voa J. Lattmasn. g9
Meinung und an einer staatlichen Protektion hatte, jetzt aber ist
die Lage der Dinge die, dafs wir einer überwältigenden Zeit-
strömung entgegen, die auch die Regierungen als eine berechtigte
mehr als früher anzuerkennen nicht umhin können, die huma-
nistischen Elemente als einen Teil der höheren Bildung, aller-
dings als einen sehr wesentlichen Teil, als ein notwendiges und
starkes Glied des Ganzen zu erhalten streben müssen. Das
scheint die Einheitsschule ja auch zu wollen, da sie den alten
Sprachen in der einen Gabelung einen sehr weiten Raum zu-
gesteht. Ja, man lärst den Baum stehen, sticht ihm aber seine
Wurzeln ab, indem aus dem allgemeinen Bildungsmittel
eine konzentrierte Vorbereitung auf Fachstudien gemacht wird.
Das mögen einige der Väter oder Freunde der Einheitsschule
nicht beabsichtigen, aber die Mehrzahl glaubt wohl nur der noch
sehr verbreiteten Hochschätzung des altsprachlichen Unterrichts
einige Rücksicht schenken zu müssen, während sie im Grunde
kein Herz dafür haben und meinen, dafs er nur denen, die ihn
für ihr Fachstudium bedürfen, von Wert sei, da die Kenntnis
vom Altertum, soweit sie nötig sei, auf anderen Wegen erlangt
werden könne. Darauf treibt die Einheitsschule hin. Ihre Ver-
teilang der Disziplinen führt zu einer noch stärkeren Ausbildung
des Facblehrertums. Alsdann, sobald sie zur Grundlage der all-
gemeinen Organisation des höheren Schulwesens erhoben sein
wird, werden alle Schüler, die nicht ein Universitätsstudium be-
absichtigen, zu dem noch allein eine humanistische Reifeprüfung
als berechtigend festgehalten wird, der realistischen Gabelung sich
zowenden. Die späteren Jahre der Schulbildung in so ausge-
dehntem Mafse, wie es die humanistische Gabel verlangt, diesen
femliegenden Studien zu widmen und dazu noch zweimal die
saure Arbeit der Erlernung der Elemente der alten Sprachen auf
sich zu nehmen, das mufs jeden, der nicht dazu genötigt wird,
afaecbrecken. Solchen Forderungen gegenüber werden auch wohl
diejenigen Mediziner, die bisher noch gern an dem Gymnasium
festhalten wollten, der realistischen Gabel den Vorzug gebeo, die
obeoein dem Lateinischen noch etwas Besseres gewährt als der
Lehrplan des Realgymnasiums. Es würden also in der huma-
nistiscben nur Theologen, Philologen und Juristen bleiben. Wie
lange aber die letzteren eine so konzentrierte Beschäftigung mit
dem Altertume, insbesondere mit dem zuguterletzt noch zu be-
ginnenden Griechisch auszuhalten bereit sein möchten, ist sehr
fraglich. Wir würden wohl bald das Griechische auf die Theo-
legen und die sehr verminderte Zahl der Altphilologen beschränkt
und damit den bisherigen Begriff vom Gymnasium ganz beseitigt
sehen. Ohne den Rückhalt an einem Vollgymnasium aber wird
auch das dürftige Latein der realistischen Gabel immer mehr er-
matten und abbröckeln.
Man sollte sich nicht durch das Bild, in welchem die Ein-
70 Was ist der Einheitsschule eDtgegeozusetzen?,
heitsschule, noch getragen und gehoben von der Tradition des
Gymnasiums und der Rivalität mit diesem, auftritt, täuschen lassen,
sondern bedenken, was ihrer Natur nach daraus werden mufs.
Welches ist denn nun der Stein, an dem die Reform sich
gestofsen hat und in das nicht ganz richtige Geleis abgelenkt
ist? — Es ist den Vertretern der Einheitsschule nicht zu ver-
denken, wenn sie den Eindruck empfunden haben, dafs man (um
das Antistrophon eines froheren Ausdrucks zu benutzen) den
realistischen Forderungen der Neuzeit zwar Röcksicbt schenke,
aber kein Herz dafür habe. Ihr gröfster Gewinn ist die lateinlose
Realschule, im Gymnasium selbst aber sind die Zugeständnisse
trotz der grofsen Opfer an den alten Sprachen problematisch oder
den Wünschen nicht entsprechend. Dagegen spurt man durchweg
das Streben, gleichsam im Gegensatze zu der „lateinlosen'', an
dem spezifischen Charakter der „lateinischen Schule*' festzuhalten.
Es ist bekanntlich ein Grundsatz dieser, dafs das Lateinische die
Grundlage alles Sprachunterrichts sein müsse; deshalb wird an
dem Beginne mit dem Latein in Sexta wie an einer heiligen
Satzung festgehalten und der so dringende Wunsch der Vertreter
der Neuzeit, mit einer neueren Sprache den fremdsprachlichen
Unterricht beginnen zu lassen, zurfickgewiesen. Ja man könnte
die Verschiebung des Französischen nach Quarta so deuten, als
ob sie geschehen wäre, um nur ja das Fundament des Lateinischeu
in aller Breite und Festigkeit zu legen, obgleich andere Gründe
dafür geltend gemacht werden; aber die Wirkung ist doch die,
dafs der Charakter der lateinischen Schule gleich von unten auf
recht hervorgekehrt wird. Man steift sich auf den alten Satz,
dafs die Formen zu einem unverlierbaren Gedächtniseigentum ge>
bracht, Gedächtnissachen • aber möglichst früh begonnen werden
müfsten. Das war richtig, solange das Latein als eine notwen-
dige Realkenntnis für mündlichen und schriftlichen Gebrauch im
späteren Leben gelehrt werden mufste, mochte auch noch gelten,
solange der lateinische Aufsatz als Endziel und Pfeiler des Gym-
nasiums angesehen wurde; nachdem aber diese Zwecke beseitigt
sind, dagegen eine tüchtigere Kenntnis der neueren Sprachen
oder wenigstens einer von ihnen sowohl mehr als ein notwendiges
Stuck der allgemeinen Bildung, als auch für praktischen Gebrauch
wünschenswert geworden ist, wird mit Recht verlangt, einer solchen
diejenige Stelle einzuräumen, wo in der That die Grundlagen einer
fremden Sprache, die zu künftigem Gebrauche dauernd festgehalten
werden soll, am zweckmäfsigsten gelegt werden. Dafs wir im
Prinzipe mit jener Tradition der allen lateinischen Schule brechen
und sehr wohl einer neueren Sprache den Anfangsplatz einräumen
können, habe ich in einem Clausthaler Programme von 1888 zu
begründen gesucht und dann auch in einem „Lern-, Lese- und
Übungsbuch für den in Quinta zu beginnenden lateinischen
von J. LattmanD. 7}
Unterricht^' 1889 praktisch dargelegt, dafs die grammatischen An-
forderungen, die wir jetzt noch an den Elementarunterricht stellen
mössen, auch unter dem Verlangen der „Gründlichkeit'* der
Lektüre, in kürzerer Zeit befriedigt werden können. Nur Rück-
sichtnahnaen auf einen Ultrakonseryatismus, den in den oberen
Klassen stark zu beschneiden notwendig erschien, mögen es ver-
ursacht haben, dafs ihm sein umstrittener Unterbau erhalten und
der Beginn des fremdsprachlichen Unterrichts mit einer neueren
Sprache nicht als allgemein berechtigt anerkannt wurde. Und
irunderbar genug, dafs dieser daneben in einer extravaganten
Ausführung bereitwillig zugestanden wird!
Seitdem man merkte, dafs das Latein immer mehr seine
praktischen, realen Stützen verlor, hat man allerlei Mittel benutzt,
ihm neue Stützen zu verschaffen. So beseitigte man den in den
ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts noch eifrig (allerdings
onzweckmäfsig) betriebenen grammatischen Unterricht im Deutschen
und koppelte ihn mit dem lateinischen zusammen. Daher, trotz-
dem dafs der Fehler von deutscher Seite erkannt ist, das auch
in den neuen Lehrpiänen noch festgehaltene Axiom, dafs der
deutsche und lateinische Unterricht der Sexta in die Hand des
nimlichen Lehrers gelegt werden solle. Diese Verkoppelung wurde
noch weiter verfolgt, indem man den naturgemäfs dem altsprach-
lichen Unterrichte zukommenden Inhalt, die alle Sage und Vor-
geschichte, auch in den deutschen und den Geschichts-Unterricht
hineinschob. Beide Selten der Verkoppelung wurden von der
ueneren Pädagogik mit Eifer aufgegriffen, um dem autorisierten
Gedanken, daCs in dem altsprachlichen Unterricht als dem „Cen-
tnim^' des Gymnasiums sich der übrige „konzentrieren'' solle, zu
Diensten zu sein. Hit diesem Kunststuck ist in den oberen und
mittleren Klassen wenig zu machen, dagegen kann man die unter-
sten in dieser Art Konzentration schwelgen lassen, indem man
den inhaltlichen Stoff danach präpariert. Da holt man den antiken
Sagenstoff, mit dem man in den deutschen und den Geschichts-
stunden die Köpfe der Kleinen angefüllt hat, aus diesem Unter-
richte in den lateinischen zurück, — und um die Konzentration
vollständig zu machen, läfst man sie neuerlich auch über „heimat-
lichen und vaterländischen'' Boden auf lateinischen Stelzen einher-
spazieren. Die neuere Pädagogik hat über dem Eifer für die
Th<»rie den Blick für die praktischen Forderungen der Zeit ver-
loren; sie sucht sich nur den gegebenen Normen einzufügen, zu
der ganzen Heformbewegung steht sie kaum in ^Beziehung und
ist ohne Einfluls darauf geblieben.
Ganz gewifs ist die alte Heroensage und Vorgeschichte ein
ganz vorzüglicher Unterrichtsstoff für das frühere Knabenalter.
Zugleich ist sie ein sehr wesentliches Stück des Altertums, nicht
our als lehrreiches Bild der Kulturentwicklung der Menschheit,
sondern sie durchzieht auch die alte Litteratur und ist von daher
72 Was ist der Einheitsschale entf^eg^eozasetzen?,
in die schöne Litleralur der neueren Völker tief eingedrungen.
Wenn wir die Kenntnis vom Altertume als einen notwendigeD
Teil unserer höheren allgemeinen Bildung betrachten, so ist jener
Sagen- und Geschichtskreis wohl das am meisten populäre Stück
davon. Da wäre es nun eine vortreffliche Stütze für den alt*
sprachlichen Unterricht, wenn man sich darauf berufen könnte,
dafs dieses ohne Zweifel allgemein geschätzte Stück der höheren
Bildung durch ihn der Jugend zugeführt werde, und dafs das
der Natur des Gegenstandes geroäfs in einem frühen Lebensalter
geschehen müsse. Diese vorzügliche Stütze eines frühzeitigen
Beginns des lateinischen Unterrichts, der naturgemäfs an diesend
Stoffe betrieben wird, hat man weggerissen durch die ausgedehnte
Verwendung desselben im deutschen und für den geschichtlichen
Unterricht der unteren Klassen. Hit Recht können die Gegner
sagen, dafs der ganze lateinische Unterricht von Sexta bis Quarta
inhaltlich wertlos sei, da dieser Inhalt den Schülern ja ander-
weitig zugeführt werde. Wenn man ihn auch in den lateinischen
Stunden benutze, so geschähe das nur, um daran die Elemente
der Sprache zu lehren, um „auf die Lektüre des Cäsar vorzu-
bereiten''; die dazu nötige Vorbereitung lasse sich in vorgerück-
terem Lebensalter weit schneller erreichen. Darin haben sie
recht; wenn man von dem lateinischen Unterrichte in den unteren
Klassen nichts weiter will, als sprachlich auf die Lektüre der
Schriftsteller vorbereiten, so braucht man die drei Jahre dazu
nicht. Dieser Unterricht läfst sich nur halten, wenn er auch
seinem Inhalte nach als ein selbständiger, d. h. als ein aus den
Schriftstellern selbst entnommenes oder abgeleitetes, der betreffen-
den Altersstufe zustehendes und allein durch ihn vermitteltes
Stück des Altertums sich erweist. Diesen durchschlagenden Grund
gegen die zu weite Verschiebung des altsprachlichen Unterrichts
hat man preisgegeben, ohne zu merken, dafs man damit der
Meinung der Gegner, das Altertum brauche nicht aus den Quellen,
sondern könne in anderer Weise übermittelt werden, entgegen-
gekommen ist.
Während man dem lateinischen Unterrichte in den unteren
Klassen die einzige reale Stütze, die er in unseren Zeiten noch
haben kann, entzog, verdarb man auch den deutschen Unter-
richt, indem man ihn antikisierte. Die deutschen Lesebücher von
Sexta bis Tertia enthalten etiya zum dritten Teile antike Stoffe.
Vgl. „Verirrungen des deutschen und lateinischen Elementarunter-
richts" S. 57 ff. Wie viel Zeit würden wir für das Deutschtum
gewinnen, wenn dieser ungehörige Stoff aus den Lesebüchern
entfernt würde! Die Abneigung gegen den grammatischen Unter-
richt im Deutschen, die sich auf Jakob Grimm zu berufen pflegt,
ist unberechtigt, wenn man ihn eben nur nicht, wie das zu
Grimms Zeiten geschah, nach dem Muster oder unter dem Ein-
flüsse des Lateinischen treibt, sondern als eine Bewufstmachung
von J. LattmaDD. 73
des deutschen Sprachgefilbls. Das wird durch die Vermischung
mit dem Lateinischen gerade beeinträchtigt; erst wenn dieses Be-
wafstsein selbst genügend entwickelt ist, kann der Vergleich des
Lateinischen stärkend und weiterführend eintreten.
Ähnlich ist es mit dem Geschichtsunterrichte gegangen.
Der neueren Geschichte wird von den neuen Lehrplänen weiterer
Raum gegeben; dennoch macht sich die humanistische Tendenz
dadurch noch immer bemerklich, dafs von den Geschichtsstunden
der drei Jahre des Unterbaues zwei Jahreskurse, die der Quinta
und Quarta, der alten Geschichte gewidmet sind. Man beruft
sich dafür wohl auf Herbart; aber es liegt eine Verkehrung darin,
da£s man das, was der zur Begründung eines frühen Beginns des
allsprachlichen Unterrichts, insbesondere des Griechischen sagt,
auf den Inhalt des Geschichtsunterrichts anwendet. Vgl. Verirr.
S. 60. Attfserdem wird der Plan dieses beeinflufst durch die
Absicht, eine ausgiebige sachliche Vorbereitung auf die künftig zu
lesenden Schriftsteller zu schaffen, was man in dem Elementar-
unterrichte der alten Sprachen über den zu exklusiven sprach-
lichen Zwecken vernachlässigt oder nicht als zweite eigentliche
Aufgabe bebandelt. Und das fällt nun gerade in die Lebensjahre,
in denen der Unterricht besonders erziehend auf das Gemüt, auf
den ganzen Sinn der Jugend wirken soll Der Schüler wird, wie
es schon in den lateinischen Stunden geschehen mufs, wo es
jedoch in Verbindung mit der Erlernung der Sprache seinen guten
Grand bat, auch noch in diesen Geschichtsstunden zwei Jahre
lang von seinem vaterländischen Boden losgerissen und in ein
fremdes Volksleben gestellt; das mufs in einer Zeit, wo das natio-
nale Bewufstsein so lebhaft pulsiert, wie in der unsrigen, als eine
Dngehörigkeit erscheinen. Also: der altgeschichtliche Unterricht
in Quinta und Quarta ist zu streichen und die Stunden sind dem
deutschen Unterrichte anzuschliefsen, der auch die deutsche Ge-
schichte planmäfsig zu lehren hat. (Verirr. S. 72 ff.) Das ist eine
richtige Konzentration. Der Schüler mufs in die deutschen
Stunden voll und ganz mit dem Bewufstsein kommen, dafs er
Deatsch habe und nichts anderes; dann aber ebenso in die
lateinischen, dafs er da in das Altertum eingeführt werde, nicht
nur in die Sprache, sondern auch in das Leben der alten Völker.
Das ist das richtige sich konzentrieren. Zu diesem Zwecke ist
es erforderlich, dals der lateinische Lesestoff der unteren Klassen
möglichst aus den Schriftstellern entnommen und seinem
inhaltlichen Zusammenhange nach ausgewählt und geordnet
sei Ich habe dies praktisch auszuführen gesucht; ob es immer gut
gelungen, stehe dahin, aber wer meine lateinischen Lesebücher
(or Quinta und Quarta, auch Untertertia (Cornelii Nepotis liber in
osum scholaruro dispositus et emendatus, ex . . . scriptoribus sup-
pietus) und die Inhaltsangabe in den Geschichtstabellen S.21 1—220
Audi memoria tenendi ansehen will, die mit der Sprache und
74 WtiS ist der EiDheitsschnle entgegeosasetzen?,
diese wieder mit dem Inhalte durch die und bei der Lektöre
eingeprägt werden sollen, wird sich überzeugen, welche Fülle der
alten Geschichte auf diesem Wege dem Schuler zugeführt werden
kann. Eine vollständige Ausbildung dieses Planes könnte natur-
lich nur unter angemessenen Verhältnissen in der Praxis gewon-
nen werden.
Übrigens ist zuzugestehen, dafs der Gedanke, die Bildungs-
elemente des Altertums könnten auch auf indirektem Wege über-
mittelt werden, seine Berechtigung hat, wenn man ihn da geltend
macht, wohin er gehört, nämlich für die eigentlichen Realschulen.
Diese müssen zwar auf die Sprachen und die Quellen des Alter-
tums verzichten, aber um so mehr sollen sie das Inhaltliche des-
selben durch eine abgeleitete Darbietung den Schülern zuführen.
Wenn nun ,Xehrziel, Lehraufgaben und methodische Behandlung
des Geschichtsunterrichts und des deutschen Unterrichts für die
entsprechenden Stufen aller Arten von höheren Schulen im
wesentlichen als die nämlichen*' festgesetzt sind, so ist das eine
erklärliche Folge der oben erwähnten Antikisierung dieser Unter-
richtszweige in den unteren Klassen. Sobald man von dieser
Vermischung abläfst und jenen sowohl wie dem Lateinischen den
Inhalt zuweist, der einem jeden seinem Wesen nach zusteht, tritt
sogleich hervor, dafs ein Unterschied in dem Plane zu machen
ist, dafs die Heroensage und die Geschichfsteile, die auf den
Gymnasien lateinisch gelesen werden, und Mitteilungen aus der
alten Litteratur, die in den oberen Gymnasialklassen gelesen wird,
durch Übersetzungen (die ja auch ein Stück der deutschen Litte-
ratur geworden sind) dem geschichtlichen und dem deutschen
Unterrichte der Realschulen als besondere, ihnen eigentümliche
Stücke hinzugelegt werden müssen. Mit diesen soll der Real-
schüler den Gymnasiasten auf seinem Gange durch das Altertum
begleiten« — ebenso wie der Gymnasiast in den übrigen Dis-
ziplinen, namentlich aber auch in dem neusprachlichen Unter-
richte, der ja vorzugsweise das Moderne repräsentiert, sich mit
dem Realschüler auf gleichen Boden gestellt fühlen soll. In diesen
gegenseitigen Beziehungen wird das Band, das die verschiedenen
Schularten unter einander verbindet, erst vollständig durch alle
Unterrichtszweige hin und von unten auf geschlungen und da-
mit die „Einheitlichkeit der Bildung'' gesichert.
Über die Frage, mit welcher der beiden in Betracht
kommenden neueren Sprachen der Anfang zu machen sei, ist
viel gestritten. Das Französische scheint die Oberhand zu be-
halten, wahrscheinlich hauptsächlich aus dem von Ostendorf
nach Bra tuscheck besonders hervorgehobenen Grunde, dafs es
„der Hauptnorm für die formale Sprachbildung ganz vorzuglich
genüge'S ebenso gut oder noch besser als das Latein. Dieser
Gedanke stammt aus der Zeit des Kampfes der Realschule gegen
das Gymnasium, wo man die Humanisten mit ihren eigenen
voo J. LattmaDD. 75
Waffen, mit denen sie das Latein schützten, schlagen wollte. Aber
der in Beziehung auf die Syntax und Stilistik richtige Gedanke
bat Dur sehr beschränkte Gehung von dem elementaren Anfangs-
unterrichte; denn die allgemeinen Vorstellungen und Begriffe, die
der Schüler von Sinn und Zweck der Formen haben mufs, um
sie zu lernen und zu üben, kann er nur aus und an seiner
Mattersprache gewinnen, und nur weil man dieses BewuTstmachen
der grammatischen Elemente mit dem Latein verschmolzen hat,
kann man sagen, dafs „die Gesetze der deutschen Sprache im
lateinischen Unterricht erkannt werden'^ Überhaupt aber, so
hoch die Wirkung einer Sprache für „formale Sprachbildung" zu
schätzen ist, so ist doch, wenn die Frage gestellt wird, in welcher
Reihenfolge wir sie lehren sollen, eine andere Seite von weit
gröfserer Bedeutung, nämlich in welcher Reihenfolge die Aneignung
des Wortschatzes am leichtesten sich vollzieht. Da bat man
nun, um dem Französischen den Vorrang zuzuweisen, daran er-
innert, wie leicht der französische Knabe sich das Lateinische an-
eigne, ohne den grofsen Unterschied zu schätzen, dafs der deutsche
Knabe die W^örter und Formen, die der französische weifs, erst
lernen roufs. Wenn beides gelernt werden soll, so ist es doch
das Natürliche, dafs die Tochtersprache der Mutter nachfolge.
Dafar spricht bei dem Französischen noch der Umstand, dafs die
Ähnlichkeit in vielen Fällen nicht im Laute, sondern erst in der
Schrift hervortritt, so dafs gerade für manche stumme oder uns
anders klingende Schriftzeichen die Ableitung aus dem Lateinischen
einen guten Halt giebt. Daran ist nicht zu zweifeln, dafs der
franzöeische Knabe am besten mit dem Lateinischen seinen fremd-
sprachlichen Unterricht beginnt; aber man sollte diesen Vergleich
our nicht äufserlich, sondern nach seinem psychologischen Grunde
auf den deutschen Knaben übertragen. Dieser kann von seiner
angeborenen Sprache freilich nicht zu einer Mutter zurückgehen,
wohl aber einer Schwester sich zuwenden, die in Wortschatz und
Formenbildung eine reiche Fülle von Anklängen an das Deutsche
hat. Das ist für eine Pädagogik, die sich nicht durch Traditionen
oder gesuchte Theoreme, sondern durch psychologische Beobach-
tung leiten läfst, ein durchschlagender Grund für den Beginn mit
dem Englischen. Infolge dieser Verwandtschaft ist auch die eng-
lifche Litteratur unserer Natur und unserm nationalen Sinne weit
sympathischer als die der romanischen Völker, und namentlich
lar das deutsche Gemüt des Kindes- und Knabenalters bietet sie
uns eine weit reichere Auswahl dar, während die französische
Litteratur, auch deren Kinderschriften, ein esprit durchzieht, der
uns weniger nahe liegt, so dafs zu seiner Auffassung ein reiferes
Älter erforderlich ist. Die Bevorzugung des Französischen war
20 der Zeit, als unsere höhere Bildung und Gesellschaft von
Frankreich beherrscht wurde, ganz berechtigt, und dazu um so
mehr, ah der B^inn mit dem Lateinischen aufser Zweifel stand,
76 ^«8 ist ^^^ EiDheitsschole entgegencnsetzeD?,
an das sich naturlich das Französische richtig anschlofs. Aber
wenn man jetzt, wo es sich um die Voraufstellung einer neueren
Sprache vor das Lateinische handelt, noch an jener Bevorzugung
wie an einer selbstverständlichen Sache festhält, so ist das wohl
nur ein unseren Philologen, den alten wie den neuen, anhaften-
des Stuck Romanismus. Die Stimmung wurde sich wahrschein-
lich bald ändern, wenn erst in den oberen Klassen dem Alt-
deutschen ein etwas ernstlicherer Betrieb zugestanden würde;
eine gewisse Stärkung des Germanismus im Sprachunterricht
gegenüber dem Romanismus ist doch wohl die notwendige Kon-
sequenz der Umwandlung der „lateinischen'' Schule in eine
„deutsche'*. Für deutsche Schüler ist die rationelle Sprachen-
folge: Deutsch, Englisch, Latein, Französisch; für Franzosen:
Französisch, Latein, Englisch, Deutsch.
Hier mag eine bedeutsame Äufserung des Wirkl. Geh. Ober-
Regierungsrats Wiese angefügt werden, die dieser im J. 1888
auf Zusendung meines Programms in einem Briefe vom 26. April
machte, deren gelegentliche Veröffentlichung mir gestattet ist.
„Dem Enthusiasmus, mit dem einst Ostendorf für seinen Lehr-
plan eintrat, und womit er auch alle seine Lehrer erfüllt hatte,
gab ich gern nach; aber eine allgemeine Anordnung, den fremden
Sprachunterricht auf allen höheren Schulen mit dem Französischen
zu beginnen, würde ich beklagen. Unter meinen Gründen da-
gegen nimmt der ethische, den Sie wie Völcker aufser Acht lassen,
eine der ersten Stellen ein. Die Franzosen hätten dann eine
nicht gering anzuschlagende Revanche, wenn allgemein die deutsche
Jugend so früh französische Sprachformen und Vorstellungen zur
Geistes-Nahrung und Bildung erhielte, zumal da der Unterricht
aufs Parlieren über die täglichen Vorkommnisse eingerichtet werden
soll". Übrigens wurde auch der Beginn mit dem Englischen nicht
gebilligt. In beiden Fällen „wäre damit der gymnasiale Charakter
der Schule in der Grundlage des Sprachunterrichts aufgegeben''.
Dies ist nun jetzt durch Zulassung der Einheitsschule dem Prin-
zipe nach geschehen, so dafs man mit dieser Voraussetzung
rechnen darf.
Das Englische ist in den neuen Lehrplänen als ein Bestand-
teil der höheren Schulbildung anerkannt; aber man kann doch
den grofsen Übelstand nicht verkennen, dafs dadurch die oberen
Klassen mit einer neuen Disziplin belastet werden. Diesen Übel-
stand damit zu verdecken, dafs das Englische als fakultativ ange-
setzt wird, ist nicht zu billigen; als Extralast wird es vielen
verleidet werden. Und wie soll es sich in die schon reichliche
Menge der fakultativen Fächer — Singen, Zeichnen, Hebräisch
nebst dem Turnen — hineindrängen? Vgl. „Eine ausgleichende
Lösung der Reformbewegungen" 1890 S. 17. Diese Übelstande
werden beseitigt, wenn man unten mit der einen neueren Sprache
beginnt und die andere in den oberen Klassen allein darauf folgen
von J. LtttmanD. 77
li&t. Bei dieser Teilung geht aber wiederum das Englische am
zfreckmäCsigsten Torauf, nicht nur weil es für den Anfang am
leicihlesten ist, sondern auch weil deshalb in ihm die schnellsten
Fortschritte za machen sind, so dars mit der IIB ein Verhältnis-
mäTsig vollkommener Abschlufs, namentlich auch in der Sprech-
fertigkeit, sich gewinnen lälst, soweit man einen solchen von
einem Gymnasium beanspruchen kann. Danach ist dann ein
Abbrach dieses Unterrichts um so eher zulässig, als in dieser
uns nationalsympathischen Sprache eine private Fortsetzung der
Lektüre und Sprechübung erwartet werden kann. Vgl. Bern. e.
Aus diesen Gründen habe ich in dem Lektionsplane S. 78
das Englische dem Französischen voraufgesetzt. Will man es aber
anders haben — und die praktischen Interessen der Grenzdistrikte
könnten das für sie als zweckmäfsig erscheinen lassen — , so
möge man die beiden Sprachen vertauschen; an dieser Frage hängt
nein Plan nicht notwendig.
Nun habe ich noch einen Einwurf zu widerlegen, der vielen
ab ein sehr gewichtiger erscheint, nämlich dafs nicht zwei fremde
Sprachen Jahr auf Jahr hintereinander begonnen werden durften,
namentlich nicht in früherem Lebensalter. Der Satz ist im all-
gemeinen wohl richtig, namentlich unter den Voraussetzungen,
die man nach dem Mafsstabe der Lateinschule zu machen sich
gewöhnt hat, dafs jeder Sprachunterricht nach dem Huster des
lateinischen zu beginnen sei. Trotzdem ist es bei dem Gedränge
der Fremdsprachen auf dem Gymnasium kaum möglich, ihm immer
nachznkommen; die neuen Lehrpläne lassen Französisch und
Griechisch in IV und III auf einander folgen. Die Sache gewinnt
aber auch auf den unteren Stufen ein anderes Ansehen, wenn
man sich entschliefst, die neuere Sprache, insbesondere das Eng-
fische, in VI ganz streng nach der natürlichen Unterrichtsmethode
zn lehren und dies auch in V noch eine Zeitlang fortzusetzen,
das Latein daselbst aber in einer Kombination der deduktiven
und induktiven Methode zu beginnen. Bei dem Englischen be-
gleitet den Schüler immer das Bewufstsein der Anlehnung an die
Mattersprache; erst das Lateinische erscheint als ein ganz Neues.
Eine weitere Demonstration glaube ich unterlassen zu können,
wenn man mit dem Urteile nur so lange zurückhalten will, bis
man sich von den genannten methodischen Verfahrungs weisen
eine genügende und richtige, nicht durch Konzentrationskünsteleien
entstellte Vorstellung gemacht und durch angemessen ausgeführte
Proben eine hinreichende Erfahrung verschafft hat. Leider läfst
sidi auf solche pädagogische Proben, die nicht eine gewaltige
Agitation hinter sich haben, kaum hoffen.
Nachdem ich die Grundzüge einer Umgestaltung des Gym-
nasiums dargelegt habe, möge sogleich der entsprechende —
ibrigens auf Grundlage der sachlichen Anforderungen der Lehr-
pläne von 1892 gestaltete — Lehrstundenplan aufgestellt werden;
78
Was ist der Eioheitsscbale ent^epe ozosetzeB?,
denn Neuerungen dürfen wohl nicht vorgebracht werden, ohne zu
zeigten, wie sie in das Ganze einzufügen sind. Einige andere ab-
weichende und auffällige Punkte sollen hinterher noch in Be-
merkungen besonders begründet werden; man lasse sich durch
diese Anstöfse nicht gleich von vornherein stören.
VI
V
IV
HIB
IIIA
HB
HA
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Sa.
Lpl.
Religion . .a)
S. 4
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3
3
4
4
28
26
Geschichte
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3
3
3
3
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26
26
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8
8
8
8
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Griechisch .
—
—
6
6
7
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38
39
36
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Englisch . . e)
6
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6
4
4
5
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-
29
d»)
Französisch
—
—
—
4
4
(3)
4
(2)
12
19
(6)
Mathematik
6
4
4
3
3
4
4
4
4
36
34
Natarwiss. f)
S. 2
W.-
2
2
2
2
2
2
2
2
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18
Schreiben .
4
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6
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Zeichnen .
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2
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(1)
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Hebr.
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6
4
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tionen . . h)
30
32
32
32
32
32
32
32
32
286
ab aafser-
ord. Pansen
4,30
4,30
2,80
2,80
2,20
2,20
2,20
2,20
2,20
25,80
Sa. der Un-
terrichtszeit
25,80
27,80
29,40
29,40
29,40
29,40
29,40
29,40
29,40
260,40
262
An zweiter Stelle ist zu untersuchen, welche Umwandlung
das Realgymnasium zu erleiden habe. Diese Anstalt hat von
jeher um ihr Dasein schwer ringen müssen, und es war bekannt-
lich nahe daran, dafs ihr ein Ende gemacht wurde. Diese Absicht
war sehr erklärlich und nicht ohne guten Grund. Denn es ist
nicht zu leugnen, dafs die Anstalt nach einer gesunden Geburt
zwitterhaft aufgewachsen ist. Sie entstand als lateinlose Real-
schule mit sechs- bis siebenjährigem Kursus; aber niedergedrückt
vom Berechtigungsmonopol des Gymnasiums suchte sie sich da-
durch zu retten, dafs sie sich nach oben hin ausreckte und
„Koordination mit dem Gymnasium'' erstrebte. Diese wurde ihr
der Theorie nach zugestanden, jedoch unter der Bedingung, dafs
sie Latein aufnehme. Das war gegen ihre ursprüngliche Natur,
aber anderseits ein richtiges Postulat, wenn eine Gleichstellung
mit dem Gymnasium gefordert wurde. Sie verstand sich dazu;
aber da sie zugleich eigentliche Realschule bleiben wollte, konnte
das Latein nur so dürftig betrieben werden, dafs, um von Philo-
von J. LattmaDD. 79
logen und Theologen zu schweigen, auch den Juristen und Medi-
dnern ein solcher Brocken der humanistischen Bildung nicht ge-
Dägle; die Anstalt war für sie zu realistisch. Das mufste sie
aber sein, weil sie ja zugleich und vorzugsweise denen dienen
wollte, für die man jetzt die lateinlose und die Oberrealschule
eingerichtet hat. Nachdem diese beiden Anstalten selbständig
hingestellt, gleichsam aus dem Realgymnasium herausgezogen sind,
konnte es allerdings scheinen, dafs seine Existenz nicht länger
berechtigt sei. Dennoch ist wohl anzuerkennen, dafs das Real-
gymnasium einen richtigen Gedanken in sich trug, der aber jetzt
erst zu einer klaren Entwicklung kommen kann, nämlich dafs es
eine Mittelstellung zwischen Gymnasium und den eigentlichen
Realanstalteu einzunehmen habe. Ein annähernder Schritt dazu
war 1882 geschehen durch Verstärkung des Lateinischen; statt
aber auf dieser Bahn fortzuschreiten, was eben nach Absonderung
jener Realanstalteu zulässig wurde, ist vielmehr das Latein wieder
auf den Stand von 1859, d. h. die Anstalt ist auf ihre frühere
Haltlosigkeit zurückgebracht. Sie wird sehr bald von der Ein«^
beitsschule verschlungen werden und dieser breiten Raum ver*
schaffen.
Lange Zeit war das Gymnasium die einzige höhere Schule,
eine wirkliche Einheitsschule, in dem MaCse, dafs es häufig auch
die Volksschule mit umschlofs. Alsdann aber drängte die Weiter-
entwicklung nach einer Differenzierung der Schulen in der
Weise, dafs man zwar den Grundcharakter einer allgemeinbilden-
den Schule festhalten, aber doch auf die besonderen Bedürfnisse
der grofsen Berufskategorieen Rücksicht nehmen wollte.
Dem so lange hingehaltenen Begehren, dafs einer auf frühzeitigen
Eintritt in das bürgerliche Leben vorbereitenden Schule eine
sichere staatliche Stütze gegeben werde, ist jetzt endlich voll Ge-
nüge geschehen. Daneben kann und soll das Gymnasium an
seiner ursprünglichen besonderen Aufgabe festhalten, nämlich
Diener der Kirche (und Schule) und des Staates, d. h. alle, die
weitergehender, geschichtlich in das Altertum zurückgreifender
Studien bedürfen, vorzubilden. Dazwischen aber ist in neueren
Zeiten das Bedürfnis der Ausbildung einer grofsen Menge von
Slaatsdienern getreten, die früher bei der kleineren Anzahl und
bei geringeren Anforderungen durchweg von dem Gymnasium
mit geschehen konnte: von Bau-, Berg-, Forst-, Post-, Steuern-
Beamten und manchen anderen wird eine der Gymnasialbildung
analoge Schulbildung verlangt, die zwar wegen der unmittelbaren
Berührung dieser Beamten mit dem praktischen Leben und mit
den gewaltigen Fortschritten der nationalökonomischen Yerhällnisse
die reah'stischen Elemente stärker pflegen, aber auch, um zu den
höheren Stellen zu befähigen, ein gut Stück der humanistischen
Kidang in sich tragen soll. Man hat es getadelt, dafs dieses
TerJaogen, teilweis auch bei den Ärzten, aus einem „Standesdünkel'^
hervorgegangen sei; doch läfst sich nicht leugnen, dafs es sich
auf einen berechtigten Hintergrund stützt. In der That ist diesen
Männern (abgesehen von einigen auch für ihre Berufsthäügkeit
erforderlichen oder nützlichen humanistischen Kenntnissen) der
hochentwicJLeiten Bourgeoisie gegenüber ein gewisses Obergewicbt
an allgemeiner Bildung zu wünschen, das ihnen auch eine den
Studierlen nahe stehende persönliche Stellung verleiht
Beachtenswert ist auch, dafs die Kadettenhäuser, deren
Unterrichtsplan früher dem Gymnasium konform war, zu dem
Schema des Realgymnasiums übergegangen sind. Als allgemeine
Bildungsanstalten verfolgen sie die nämlichen Zwecke, wie sie für
andere Staatsdienerkategorieen dem Realgymnasium zugeschrieben
sind, sie unterscheiden sich nur dadurch, dafs sie Alumnate sind
und die Vorbereitung auf einen einzelnen Stand stärker betreiben.
Für den Zuzug zu dem Offizierstande von öffentlichen Schulen
her ist ein entsprechend organisiertes Realgymnasium (s. unten)
doch wohl das Zweckmäfsigste. Wir mögen es loben oder tadeln,
es ist einmal so, dab der erste „Abschlufs"' der höheren allge-
meinen Bildung von Seiten des Militärstandes festgesetzt ist Dem
entsprechend ist wahrscheinlich das auffällige Hinaufschrauben der
Anforderungen an die Schulbildung der unmittelbar in den Dienst
eintretenden, Uniform tragenden Staatsbeamten daraus zu erklären,
dafs man glaubte, das Mafs der allgemeinen Bildung dieser
nach einer Gleichsteilung mit den entsprechenden Anforderungen
an den aktiven Oftizierstand bestimmen zu müssen.
Aus alle diesem ist der Schlufs zu ziehen, dafs eine mitt-
lere Anstalt zwischen Gymnasium und Realschulen ein praktisches
Bedürfnis geworden ist, welche ein Stück Humanismus, nicht in
verkümmerter Gestalt, sondern soweit als möglich in gleicher Kraft
wie das Gymnasium in sich trägt Das heifst: das Realgymnasium
mufs das Lateinische, wenn auch nicht ganz in dem nämlichen,
so doch in nahezu gleichem Umfange und mit gleichem Nach-
druck treiben, wie das Gymnasium. In diesem Sinne fasse ich
den Satz Pauisens auf: „Das Gymnasium will jetzt sein eine
deutsch-humanistische Schule ... Weltgeschichtliche That*
Sachen machen (daneben) das Realgymnasium notwendig: eine
Schule, welche die Sprache unserer geschichtlichen Welt
lehrt, aber nicht Griechisch''.
Blicken wir von diesem Standpunkte aus auf den Lehrplan
von 1892, so mufs es auffallen, dafs der Unterbau zwar mit dem
des Humangymnasiums übereinstimmt, in dem daraufgesetzten
Oberbaue aber das Latein zu einer dünnen Säule von je 4 Stunden
in den zwei mittleren, und je 3 in den vier oberen Klassen zu-
sammenschrumpft. Wahrscheinlich hat man gedacht: weniges,
aber gründlich. Ohne Zweifel ist tüchtige Kenntnis der Gram-
matik eine notwendige Vorbedingung, aber zu einem gründlichen
Verständnis der alten Schriftsteller, ihres Inhalts» ihrer Gedanken,
von J. Lattmaan.
81
ihrer Lebens- und Weltanschauang, dazu gehört doch mehr, und
iwar gar manches, das auch erst gelernt und länger und viel-
seitig geübt sein will. Mit Recht ist gesagt, es komme nicht
uur darauf an, dafs in der Reifeprüfung irgend welche Schrift-
steller grammatisch richtig übersetzt werden könnten, sondern
daÜB die Schüler auch eine angemessene Menge von oder aus
ihnen wirklich gelesen und in sich aufgenommen hätten. Wenn
nun das Griechische dem Realgymnasium ganz erlassen ist, so
muls im Lateinischen wesentlich Gleiches, wie auf dem Gymnasium,
gefordert werden, namentlich müssen gerade in den oberen Klassen
an die Lektüre die nämlichen Anforderungen gestellt werden. In
dieser Beziehung könnte man selbst dem Frankfurter Lehrplane
noch den Vorzug vor dem staatlichen geben. — Die, denen die
überwiegende Zahl der lateinischen Stunden auffallt, mögen sich
erinnern, dafs diesen der altgeschichtliche Unterricht eingelegt ist,
der dem Geschichts- und deutschen Unterrichte der unteren
blassen abgenommen werden soll.
Nun muls ich, um Mifsdeutungen zu verhüten, ausdrücklich
erklären, dafs ich in dem S. 79 Gesagten nur den konkreten, die
Spezies bestimmenden Boden des Realgymnasiums (wie den des
Gymnasiums) festzulegen gesucht habe, dafs ich ihm aber noch
eine weitere allgemeine Bedeutung zuschreibe, worüber besser zu
sprechen sein wird, nachdem ich seinen Lehrplan vorgelegt habe.
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V
IV
HIB
III A
IIB
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Lpl.
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28
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terrichCszeit |
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29,40
29,40
29,40
29,40
29,40
29,40
260,40
263
Ein solches Realgymnasium, das beide TeUe seines Namens
mit Recht führen kann, wurde sicherlich von allen Medizinern,
r. £ d. OjrmiuwUlwMea XLVIU. 8. 8. $
82 y^tis ist der EinheiUschule entgeg^eoznsetzeo?,
und wahrscheinlich auch von den Juristen als eine unbedenklich
zulässige Vorbereitungsanstalt tur ihre ßerufe anerkannt werden.
Selbst Theologen und Philologen brauchten nicht ausgeschlossen
zu werden, wenn man ihnen eine Ergänzungsprüfung im Griechi-
schen gestattete (im Hebräischen wäre sie nicht zu verlangen),
korrespondierend den Bestimmungen für die Zulassung zum Studium
an technischen Hochschulen bezüglich der gymnasialen Reifezeug-
nisse; s. unten. Beides sind Ergänzungsprüfungen, die im Inter-
esse des betreffenden Fachstudiums verlangt und deshalb von
jedem bereitwillig übernommen werden, während nach dem be-
stehenden Zustande die medizinischen und juristischen Abiturienten
des Realgymnasiums noch bei oder nach dem Eintritte in ihr
Fachstudium mit einer Ergänzungsprufung ihrer allgemeinen Bil-
dung gepeinigt werden.
Ein solches Realgymnasium, das eine Mittelstellung unter den
höheren Schulen einnimmt, ist nun der rechte Mittelweg für
alle, die zweifelhaft über die Berufswahl sind. Sein
Unterbau, mit dem der des zeitgemäüs umgestalteten Gymnasiums
(S. 78) vollständig übereinstimmt, beginnt mit den modernen
Bildungsmitteln und gewährt diesen einen gröfseren Baum, als
das alte Gymnasium es that, läfst dann aber auch bald die An-
fänge der humanistischen Seite folgen, so dafs die kleinen Geister
bei Zeiten und hinlänglich geprüft werden können, für welche
Schulart sie mehr geeignet oder geneigt sind; bleibt die Ent-
scheidung aber im 12. Normaijahr noch zweifelhaft, so ist es auch
weiterhin der Mittelweg, von dem aus bis zu seinem Abschlüsse
die Wahl frei steht. Dafs dann, wenn die Entscheidung weit
hinausgeschoben wird, einige aufserordentliche Forderungen (S. 83)
gestellt werden müssen, liegt in der Natur der Sache und erregt
keinen Unwillen gegen die Anstalt als solche. Auch die, welche
mit dem Abschlüsse der Militärberechtigung in das praktische
Leben übertreten, werden mit der gewonnenen Vorbildung recht
wohl zufrieden seiu können.
Als die bedeutendste Empfehlung der dargestellten Form des
Realgymnasiums ist es anzusehen, dafs es die richtige Form
der höheren Schule für alle die kleineren Städte sein
würde, die nur eine solche Anstalt haben können. Selbst wo
nur eine Anstalt mit sechsjährig(?ni Kursus möglich ist, wird ein
solches Prorealgymnasium richtiger sein als eine laleinlose
Realschule. Die Beamten, Prediger, Lehrer solcher Orte und deren
Umgebung und auch andere besser situierte Familien wünschen
eine solche Anstalt. Wenn daneben, was erwartet werden kann,
eine gehobene Volksschule besteht, werden nur wenige Schüler,
die schon mit der Konfirmation abgehen wollen, in jene eintreten;
die dieser Art es doch thun, haben eben die Absicht, einen solchen
Versuch zu machen, oder einer Eitelkeit zu fröhnen, der wir keine
von J. LattmiDn. g3
Rücksicht schuldig sind. Diejenigen aber, weiche bis zur Erlangung
des üilitärzeugnisses bleiben, werden in der Regel keine Beschwerde
darüber erheben, dafs sie das Latein mitlernen sollen, wenn nur
den moderDen Disziplinen gleich von unten auf der nötige
Raum und die gebührende Schätzung zu teil wird. In Wahrheit
ist es nicht das Latein an sich, das den Unwillen erregt, sondern
das hartnäckige Hallen an seinem Privilegium, dem zu Diensten
die neueren Sprachen zurück- und beiseitegeschoben werden;
dazu dann der zu exklusiv formalistische Betrieb, der unserem
realistischen Zeitalter anstöfsig ist Wenn diese beiden Ungebühr-
liebkeiten beseitigt wären, würde es sich bald zeigen, wie sehr
auch in unseren bürgerlichen Ständen das Latein noch geschätzt
wird als ungewöhnlich wirksames Geistesbildungsmittel und als
eine innerliche Brücke zu den studierten Ständen.
Wo ein Realgymnasium allein steht, wird man parallel mit
der zweiten neueren Sprache einen fakultativen Unterricht im
Griechischen einrichten müssen, dem auch wohl von dem
naturwissenschaftlichen Unterrichte eine oder zwei Stunden zu-
gelegt werden könnten. Sich mit der zweiten neueren Sprache
einigerniafsen bekannt zu machen, mu£s der Privatthätigkeit dieser
Schüler überlassen werden, wie das ja auch bei dem staatlichen
Lehrplane des Gymnasiums in fakultativen Stunden geschieht,
nach meinem Plane aber um so eher geschehen kann, da anderer
fakultativer Unterricht wegfallt. Ob die Anstalt dazu eine Hülfe
bieten soll oder nicht, mufs für den Spezialfall entschieden werden.
Es ist ein Übelstand der Einheitsschule, dafs sich auf ihrer
Grundlage eine alleinstehende Anstalt, die nicht die nötige Schüler-
menge hat, um beide Gabelungen zu füllen, nicht gut bilden
lädst, namentlich nicht wenn sie nur eine sechsklassige sein kann.
Daher denn die Neigung, den kleinen Städten dieser Art die
lateinlose Realschule aufzunötigen, wobei man nicht umhin können
wird, in den meisten Fällen mit einem fakultativen Unterricht im
Lateinischen auszuflicken.
Städte, welche ihrer Gröfse oder Schuifreqnenz nach zwei
oder mehr höhere Schulen haben wollen, von denen die eine
jedenfalls eine lateinlose Realschule sein wird, müssen als zweite
ein Gymnasium, d. h. in der S. 78 aufgestellten Form, ein-
richten. Dieses mit einer solchen Bestimmung zu fordern, ist
wünschenswert, weil dadurch der Standard des humanistischen
Gymnasiums hochgehalten wird. Es wird vorausgesetzt, dafs
Schäler, die nur die Militärberechtigung erreichen wollen, in diese
Anstalt nicht eintreten; rereinzelte, die es versuchsweise dennoch
than, werden sich den Unterrichtsplan natürlich gefallen lassen.
Oberhaupt aber werden wohl auch die, deren künftiger Beruf das
Griechische nicht notwendig verlangt, doch, wo etwa die Verhält-
nisse dazu nötigen, ihre Befriedigung mit jener modernisierten
Form des Gymnasiums dadurch nicht stören lassen; ja wir dürfen
6*
g4 WtiS ist der Einheitsschule eutgef^enzosetzen?,
die IlofTnung hegen, dafs die Anziehungskraft, die das Griechische,
richtig beirieben, üben kann, auch manchen Schüler der Art zu
dem llumangynmasium hinziehen werde. Nur für solche Schüler,
die auf eine technische Hochschule gehen wollen, sollte in der
Prima ein erweiternder Nebenunterricht für Naturwissenschaft
und Mathematik eingerichtet werden, dessen Stunden den alten
Sprachen abzunehmen wären, etwa die der grammalischen Übungen
und der Lektüre einzelner Schriflsleiler oder Schriftwerke.
Die Lösung des Reformstreites ist in der Hauptsache treffend
mit der laleinlosen Realschule begonnen, aber ihre richtige Fort-
führung beruht auf der Zurückziehung des Lateinischen aus Sexta
und auf der richtigen Organisation des Realgymnasiums. „Der
Schulfriede wird nicht kommen, bis man dem Phantom der Ein-
heitsschule nachzujagen aufhört und Wahlfreiheit für verschiedene
Wege giebt" (Paulsen). Dieses Phantom wird nur gestärkt,
wenn die „geschlagene Armee" in eitler Hoffnung auf höchst un-
wahrscheinliche Chancen ihren Kampf fortsetzt oder nur resigniert
in ihr Schicksal sich ergiebl, statt einen gerechten Frieden zu
suchen, der ihr das, was ihr auch in der jetzigen Zeit mit gutem
Rechte zusteht, für die Zukunft mehr sichert Das Gymnasium
mufs aus seiner traditionellen exklusiven Stellung heraustreten
und sich einem einheitlichen Systeme der höheren Schulen
einfugen, dessen Arten sich nach den grofsen Berufskategorieen
differenzieren, aber in der Gemeinschaft aller Elemente der
höheren allgemeinen Bildung, die sie die eine wie die andere nur
in einer gewissen Abstufung pflegen (über das Verhältnis des
humanistischen Elements auf den Realschulen zu den Gymnasien
s. S. 74), ihre Einheitlichkeit finden. In diesem Systeme müssen
wir einem Realgymnasium der oben beschriebenen Form die Stelle
des Hauptstammes zugestehen, dem einerseits das volle Human-
gymnasium, anderseits die Realschulen zur Seile treten. Auch
der Zahl nach würde diese Schulart häufiger werden als die
eigentlichen Gymnasien. Aber gerade der Rückzug des Gym-
nasiums auf sein zweifellos berechtigtes Gebiet und die Harmonie,
in welche es mit dem Realgymnasium tritt, würde ihm seine feste
Stellung geben.
Bemerkungen zu den Lehrplänen S. 78 u. 81.
a. Um die Unterbrechung des Religionsunterrichts in
HB zu rechtfertigen, mufs ich etwas weiter ausholen. Für die
Schule ist „Religion'' zunächst ebenso, wie jede andere Disziplin,
ein Lehr gegenständ, aber in diesem ist das erziehliche Element
von einem Umfange und einer Bedeutung, wie in keinem anderen.
Gleichwohl ist der Lehrplan des Religionsunterrichts, ähnlich wie
der der Naturwissenschaften, nach dem Schema gemacht, dafs der
Lehrstoff in gleichen Portionen durch alle Klassen hindurchgefuhrt
werde. Es wäre vielmehr die Frage zu stellen: auf welchen
voQ J. Lattmann. g5
Stufen und in welchen Formen kann dieser Unterricht seiner und
der Schuler Natur nach seine erziehende Kraft besonders entfalten,
wo sind die Verhältnisse dafür mehr oder weniger gilnstig? Die
höheren Schulen nehmen den Schüler in einem Lebensalter auf,
in dem die willige, unbefangene kindliche Hingabe an das Religiöse
noch grofs ist. Dem sollten wir in der Sexta mit einer gröfseren
Anzahl von Religionsslunden, möglichst mit jeder ersten Morgen-
stunde, entgegenkommen. Die Pensenteilung der Lehrpläne: VI
Biblische Geschichte des A. T., V Bibl. Gesch. des IV. T. ist zu
sehr nach dem Lehrstoffe gemacht, zu wenig nach der Natur der
jungen Seelen. Die Patriarcbenzeit und die Könige bis Salomo
sind allerdings so ganz der rechte Stoff für das Alter der Sexta,
aber die Geschichte von der Teilung des Reiches an ist dafür
weniger geeignet. Alsdann sollen „die betreffenden Geschichten
des N. T. vor den Hauptfesten" behandelt werden. Man wird die
erste Bekanntschaft damit wohl als aus den Vorschulen mitgebracht
voraussetzen können, aber übel ist es doch, dafs mit Himmelfahrt
und Pfingsten der Anfang gemacht werden mufs. Überhaupt
können diese Festgeschichten nicht zu rechter Wirkung kommen,
wenn sie nicht aus dem ganzen Zusammenhange des Lebens
Christi hervorgehen, und gerade dieses recht voll und eindringend
vorzuführen entspricht der oben bezeichneten Aufgabe des ersten
Religionsunterrichts. Der Sexta ist also als zweiter Teil ihres
Pensums das Lesen der drei ersten Evangelien zuzuweisen. Keine
,3fnopse*% sondern Wiederholung und gegenseitige Ergänzung.
Die ausznglichen „Biblischen Geschichten*' sind von dem A. T.,
auch vom N. T. für die Vorschule zweckmäfsig; aber in der Sexta
ist das N. T. im deutschen Originaltexte zu lesen. Man lasse
weniger geeignete Stellen überschlagen oder durchlesen, ohne dabei
zu verweilen. In dem Religionsunterrichte der unteren Klassen
mufs sehr viel dem Gedächtnisse der Schüler eingeprägt werden.
Dabei wird viel gesündigt, indem man immer noch an der den
ganzen Unterricht der früheren Jahrhunderte beherrschenden
camificina memoriae festhält. Es ist nichts wichtiger, als den
Kleinen das Lernen zu lehren, das Gedächtnis richtig auszu-
bilden. Ober das entsprechende Verfahren vgl. Methodische An-
leitung zu Latein. Elementarb. f. Sexta. 1891. Der Lernstoff ist
ans dem Gelesenen, aus seinem Zusammenhange zu entnehmen;
so die zu behaltenden Sprüche, wozu auch 2. Mos. 20, Matth.
6,9; 26,26, Teile der Bergpredigt gehören; ebenso aber auch
längere erzählende Stellen, wie z. B. 1. Mos. 4, 3 — 16, Matth.
4,1 — 11, Luk. 10,25 — 37, Teile der Leidensgeschichte. Alles
dies ist in den Stunden einzuprägen, nicht zum Lernen im Hause
aufzugeben. Jedoch s. bei V und IV. Dagegen ist das beliebte
aus dem deutschen Unterrichte entnommene „Nacherzählen'', halb
mit eigenen, halb mit zufallig hängen gebliebenen Textesworten,
Dicht zu biliigen. Entweder wörtlich nach der Heiligen Schrift,
gg Was ist der Einheitsschule eotgepeozusetzeo?,
oder nur kurze InhaltsaDgabe mit Einfügung der zu merkenden
Sprüche.
Dasselbe Verfahren ist in Quinta fortzusetzen. Zu lesen:
die alttestamentliche Geschichte seil der Teilung, dann die
Apostelgeschichte, Stücke aus den Briefen, wichtige Psalmen. -Dazu
mündliche Wiederholung, hi^r freie Nacherzählung des Lebens
Jesu, wobei auf die in Sexta gelernten Stellen und Spräche hin-^
zuführen ist. Sitzen diese noch nicht fest, so ist hier ein Nach-
lernen im Hause aufzugeben. So müssen die Schüler in den
beiden unteren Klassen mit dem Spruchinhalte des Katechismus
recht bekannt gemacht werden; der Katechismus als Lehrbuch ist
nicht zu benutzen.
Nachdem aber so die Hauptmenge des Stoffes aus dem Lesen
der Heiligen Schrift aufgenommen ist, tritt in Quarta der Ka-
techismus als Lehr- und Lernbuch ein. Das heifst: der Reli-
gionsunterricht soll in analoger Weise, wie es jetzt von dem
Sprachunterrichte verlangt wird, induktiv verfahren. Das System
darf erst eintreten, nachdem der Iniialt im einzelnen schon be-
kannt und geläufig geworden ist. Nur Luthers kleiner Katechis-
mus ist zu benutzen; es ist Sache des Lehrers, die Erklärung
aus und mit dem schon bekannten, event. wieder nachzuschlagen-
den Spruch- und Stellenmaterial zu entwickeln. Wo Ejgänzungen
aus anderen Teilen der Bibel herangezogen werden müssen, sind
diese — nach „dem Allgemeinsten von der Einteilung der Bibel
und der Reihenfolge der biblischen Bücher'* — nachzuschlagen.
So sind die „Übungen im Aufschlagen von Sprüchen*', die „Lesung
wichtiger Abschnitte des A. und N. T. behufs Wiederholung", auch
die „Kirchenlieder** dem Unterrichte einzugliedern. Vielleicht ein
Spruchbuch, um Schwachen oder Trägen ein häusliches Nachlernen
aufzugeben.
Die Pensen der HIB und A in den neuen Lehrplänen zeigen
wieder die systematische Teilung: das Reich Gottes im A. T. —
im N.T. Auffällig ist es, dafs die Lektüre des Ev. Johannis
und dor Briefe der Prima zugewiesen ist, da doch vom Reiche
Gottes im N. T. kaum anders die Rede sein kann, als unter Ver-
weisungen auf diese Schriften, die auch schon vor der Konfirma-
tion den Schülern in ihrem Zusammenhange näher bekannt werden
sollten. Es erscheint richtiger, sie der lüB zuzuweisen, selbst
wenn einzelne Partieen daraus überschlagen oder nur oberflächlich
behandelt werden müssen, alsdann aber „das Reich Gottes im A.
und N. T.** nach 111 A zu legen, da das eine doch immer unter
Bezugnahme auf das andere zu lehren ist. Auch in dem Lehr-
plane von 1859 ist beides zusammengestellt der IIB zugeteilt; die
Ansetzung für IIIA ist richtiger. Aber es ist dann auch anzu-
erkennen, dafs damit ein Abschlufs bezeichnet ist, und zwar
sehr tretfend, weil er mit dem Normalalter der Konfirmation zu-
sammenfällt. Der neue Lehrplan thut dies in Wirklichkeit auch
v«o J. Lattmaon. g7
dadurch, dafd er eine „Reforinationsgeschichte^' hinzufügt. Aber
auffälliger Weise wird dieser faktische Abschlufs ignoriert und es
heifst: „Ein erster Abschlufs wird in dem sechsten Jahreskursus
UlB) erreicht, indem ein synoptisches Evangelium behufs zusammeu-
fasaeoder Auffassung des Lebens Jesu gelesen und erklärt wird*S
Das ist die eine Hälfte des Reiches Gottes im N. T. Dieses um-
(afsi doch daneben auch die Gründung der Kirche, wie sie in
der Apostelgeschichte und in den Briefen dargestellt wird; diese
werdea ,.ais Einleitung in die Geschichte der Kirche" der IIA
zttgewieseo. Beide Pensen sind im Grunde also nur eine er-
weiterte Wiederholung des Fensums der 111 A. Übrigens ist an
den neuen Lehrplänen zu rühmen, dafs ihre Pensenverteilung
iosofem eine bessere ist als die der früheren, als sie faktisch
den richtigen Abschlufs in III A machen, anderseits den Eintritt
io eine höhere Unterrichtsform — eine kirchengeschichtliche und
dogmatische, also mehr auf wissenschaftlichen Grundlagen be-
ruhende Behandlung — bestimmter auf die Prima verschieben,
während der frühere Plan die Abgrenzung der beiden verschiedenen
Standpunkte mehr verwischte. Freilich ist auch jetzt nicht recht
verständlich, welcher Unterschied stattfinden soll zwischen dem für
JB Angesetzten „das Judenchristentum, die Paulinische Auffassung
über Person und Werk Christi" und einerseits dem Pensum der
IIa, anderseits der Lektüre des R6merbriefes in lA. Denn jene
Lehren k6nnen doch nur gegeben werden auf Grundlage einer
,,Eridärung der ganzen Apostelgeschichte und Lesung von Abschnitten
anderer neutestamentUcher Schriften'', also der Briefe, namentlich
auch des Römerbriefes. Das beides aber so auseinanderzunehmen,
daJs in IIA und lA die Quellen gelesen und „erklärt'' werden,
in IB aber die daraus abstrahierte Darstellung zu bieten sei,
kann nicht angemessen erscheinen. Hier liegt doch das eine zu
sehr in dem andern. Kurz, von welcher Seite aus man die für
IIB und A angesetzten Pensen betrachtet, man kann sich des
Eindrucks nicht erwehren, dafs sie herbeigesucht sind, um den
einmal angesetzten Stunden einen Inhalt zu verschaffen. Und
am die Lücke mehr zu füllen, heifst es für beide Klassen:
„Wiederholung von Katechismus, Sprüchen, Liedern'*. Obenein
hieb es schon in HIB: „Wiederholung des Katechismus nebst
Sprächen .. und Kirchenliedern" und inlllA: „Sicherung der
erworbenen Kenntnis des Katechismus und Spruch- und Lieder-
schatzes".
Macht man sich los von äufserlichen Rücksichten und eng-
herzigen Meinungen und betrachtet dagegen einmal ernstlich, in
welcher Weise die religiöse Bildung in der Seele des Schülers
sieh entwickelt, so kann man nicht verkennen, dafs es ein natur-
gemälses Bedürfnis ist, mit dem Abschlufs der Konfirmation auch
wirklich einen Abschlufs zu machen und — ähnlich wie es bei
jedem Abschlüsse, wie auch nach dem der Abgangsprüfung der
88 Was ist der EiDheitssehnle 6d tgpegeDzasetzeo?,
Fall ist — vorläufig die Sache einmal ruhen zu lassen, fürs
erste wenigstens nicht weiter mit ihr bearbeitet zu werden. Eine
so tiefgreifende Erregung, wie die Konfirmation ist, wie wir
wünschen müssen dafs sie sei, fordert eine Periode der Ruhe,
wenn diese auch nicht immer genau mit jener zusammentrifft.
Mufs nicht jenes unausgesetzte schulmäfsige Bibellesen und
Katechismustreiben dazu beitragen, gute Keime, die in früheren
Jahren gelegt sind, mehr zu ersticken als zu fördern?
Für die IIA scheint mir als Vorbereitung auf den Unterricht
der Prima das passendste Pensum eine eingehendere Bibelkunde
zu sein, an die sich (in der Form von Inhaltsangaben) Wieder-
holungen des früher Gelernten anschliefsen; in dem Gymnasium
könnten . solche Auffrischungen auch nach einer trefflichen Be-
stimmung des alten Lehrplans geschehen an „Lesung und Er-
klärung der biblischen Bücher des N. T. . , wobei die Schüler sich
des griechischen Grundtextes, auch mit Luthers Obersetzung
zur Seile, bedienen^'.
Aber ich sehe voraus, dafs Theologen die Unterbrechung des
Religionsunterrichts in HB mifsbilligen werden; hat man neuerlich
doch umgekehrt eine Vermehrung verlangt. Es ist eine traurige
Vorstellung, wenn man meint, die Bedeutung und die Wirksamkeit
dieses Unterrichts nach der Stundenzahl bemessen zu können.
So verbitte ich es mir denn, den vorgeschlagenen Ausfall des
Religionsunterrichts in IIB als eine Geringschätzung desselben zu
deuten. Wie ich die Verschiebung des Latein nach Quinta an
erster Stelle im Interesse des Lateinischen selbst gefordert habe
(schon 1871 in Progr. Clausthal S. 14 über „die grofsen päda-
gogischen Übel des unverhältnismäfsig langen Hinziehens dieses
Unterrichts durch drei Klassen'*, dann Progr. 1888 S 11, b und
„Verirrunger" im Nachwort S. 163 ff.), ebenso betrachte ich jene
Unterbrechung des Religionsunterrichts als einen Segen für ihn
selbst. — Aber für den Fall, dafs meine Rechtfertigung nicht
anerkannt wird, habe ich mit kleinen Zahlen eine andere Stunden-
ansetzung zur Wahl gestellt.
b. Über den deutschen Unterricht und die damit zu kon-
zentrierende deutsche Geschichte habe ich gehandelt in der Schrift
„Die Verirrungen des deutschen u. latein. Elementarunt/* 1892
S. 69 ff. Danach ist mein Lehrplan aufzufassen.
c. Die vierte Stunde in IIA des Realgymnasiums soll der
Geographie zugute kommen.
d. Die siebenten Stunden für Latein und Griechisch in
IIA und die zwischen beiden geteilten siebenten Stunden der
Prima sind als die Grammatikstunden gedacht, um die übrige Zeit
ganz der Lektüre widmen zu können. Ich denke, die sechs den
Klassen IV — I zugelegten Stunden des Latein sind mehr wert als
die acht der Sexta genommenen. Dazu im Griechischen +3.
e. Die Abminderung der Stunden des Englischen in V soll
von J. Lattmann. g9
dem Beginne des Lateinischen mehr Raum und Arbeitskraft des
Schälers frei lassen. Er soli sich in VI und im ersten Halbjahre
der V zunächst ein reichh'ches Sprachmaterial praktisch, mündlich
aneignen (wo nötig, nur für den einzelnen Fall ausreichend er-
klärt), der eigentliche, syi^tematische Grammatikunterricht im
zweiten Halbjahre der Y einsetzen. — Bei der ersten der neueren
Sprachen ist es vorzugsweise auf Sprech- und Schreibfertigkeit
abgesehen. Man nenne das nicht eine banausische Absicht; die
Fähigkeit, seine Gedanken in einer fremden Sprache auszudrücken,
^tt als ein hervorragendes Stück der höheren Bildung. In dieser
Beziehung tritt die neuere Sprache an die Stelle einer dem La-
teinischen verloren gegangenen Seite. Vgl. Progr. 1888 S. 22f.
Man darf erwarten, dafs nach einer Anleitung und Übung, wie
die angesetzten Stunden sie bieten können, die Schüler Interesse
daran gewinnen, weiter in dieser Sprache zu lesen, unter einander
zu sprechen, einen Brief zu schreiben; auch dafs sie darin dem
Lehrer „freie Privatarbeit'' entgegenbringen werden. Bei der
zweiten neueren Sprache ist mehr Gewicht auf die Lektüre auch
der höheren Litteralur des betr. Volkes gelegt. Hier ist die Stelle,
wo Wert und Wirkung einer tüchtigen Kenntnis des Latein für
Erlernung fremder Sprachen, namentlich der romanischen, stärker
in die Wagschale fallen kann; ohne Zweifel wird man in den vier
Stunden der lA mehr lesen können, als Latein in den sechs lateini-
schen Stunden. — Es ist die Meinung, den aus IIB des Real-
gymnasiums Abgehenden in einer neueren Sprache eine tüchtige
Ausbildung za geben, von der zweiten nur die Elemente zu lehren.
Dieses ist zwar kein Abschlufs, aber ein schätzenswertes viaticum,
dem auch ein weiterer Fortschritt im Lateinischen zugute kommen
wird. Beim Gymnasium, das niemals allein steht, wird voraus-
gesetzt, dafs nur ausnahmsweise ein Abgang aus II B stattfindet.
Die Fertigkeit des Schreibens in Sexta mehr zu üben, ist
sehr nötig. Auch dem Rechnen ist eine Mehrung der Unter-
richtsstunden nützlich; jedoch erleiden die angesetzten sechs eine
zeitweilige Abmindening nach f.
f. Der naturgeschichtliche Unterricht der Sexta sollte in
höherem Mafse ein induktiver, ein „natürlicher** sein, als er es
wohl schon ist; er sollte den Ausgang von einer unmittelbaren
Beobachtung der Natur selbst nehmen, d. h. der Lehrer hat so
oft wie möglich die Schuler in das Freie zu führen und sie da
zum Beobachten anzuleiten, und zwar ohne Systematik zum Be-
obachten der Pflanzen und Tiere, wie gerade die Gelegenheit oder
die Jahreszeit sie darbietet, Käfer, Insekten, Vögel, Fische, Säuge-
tio«, auch die Haustiere. Warum sollte man nicht auch Stein-
nnd Erdarten betrachten lassen, oder auf physikalische Gesetze
aufmerksam machen, die in ihren Wirkungen bemerklich sind
oder von den Schülern bei ihren selbstangefertigten Spielzeugen,
wie KDailbficbse, Drachen, Fontäne, Elektrophor u. dgl, praktisch
90 ^tiS ist d. Einheitsschule entg^e^^eozasetzen?, V. J.LattmtDD.
verwertet werden? Also in Sexta Anleitung zur Nalurbeobachtung
überhaupt nach allen diesem Alter zuganglichen Teilen hin. Ein
solcher ünterrichl kann nur im Sommer erteilt werden. Dasselbe
gilt von der Heimatskunde. Beide sind deshalb in vier Nach-
mittagsstunden zu legen. Daneben zwei Rechenstunden, die zu
den Ausgängen an jedem Tage, wo das Wetter es erlaubt, mit-
benutzt werden. Abwechselnd wird auch der seminaristisch ge-
bildete Rechenlehrer die Führung übernehmen können, wofern er
nicht schon einen jener Unterrichte hat. In den ersten Wochen
nach Ostern und an allen ungeeigneten Tagen wird der Unter-
richt im Klassenzimmer gegeben: Vorbereitungen auf die Beob-
achtungen, Wiederholung des Beobachteten an kunstlichen An-
schauungsmitteln, Elemente der Systematik.
g. Der Sing unter rieht sollte in den unteren Klassen
weiter gelrieben werden bis HIB, mindestens bis IV; und zwar
unter Vereinigung dieser Klassen mit der V, um rechte Sicherheit
m zweistimmigen Gesänge zu erzielen. Eine Anzahl zwei-
stimmiger Lieder ist zum geläuGgen Auswendiglernen einzuüben;
ebenso mehrere Choräle, um es später der Mehrzahl der Männer
möglich zu machen, in der Kirche mitzusingen, was sie bei der
hohen Lage der Melodieen nicht können. Nachdem so die
Knabenstimmen recht tüchtig geschult sind, werden sich später
die Männerstimmen leicht von selbst zu finden wissen; ein be-
sonderer Unterricht ist ihnen nicht zu erteilen. Nur vor dea
Schulfesten haben sich die Stimmbegabten zu einigen Stunden
einzufinden, um die erforderlichen vierstimmigen Gesangstücke
einzuüben. Aufserdem wird den Schülern der oberen Klassen er-
laubt einen Singverein zu bilden, zugleich als gesellige Vereinigung^
in den auch gleichalterige junge Leute des Ortes mit guter Stimme,
die die Anstalt besucht aber früher verlassen haben, als Mitglieder
aufgenommen werden können. Die Kunst führt am leichtesten
zur Ausgleichung der Stände. — In ähnlicher Weise ist das
Zeichnen der oberen Klassen einer freien Vereinigung der Schüler
zu überlassen. (Auch Anleitung zum Zeichnen und Skizzieren
nach der Natur!) Beiden Vereinen wird von der Anstalt äufsere
Unterstützung gewährt, im übrigen aber eine gewisse Selbst-
verwaltung zugestanden; natürlich unter Oberaufsicht des Direktors
und Vorbehalt der Schuldisziplin.
Für den fakultativen Unterricht im Hebräischen sind die
Schüler des Gymnasiums von je zwei Stunden des neusprachlichen
Unterrichts in Prima zu dispensieren.
Demnach fällt aller eigentliche Unterricht in die 32 Stunden
der gewöhnlichen Schulzeit, aufserhalb derselben nur das Turnen
und die der freien Vereinigung überlassenen Kunstübungen.
h. Die neuen Lehrpläne sind besonders darauf ausgegangen,
die ganze Unterrichtszeit, namentlich die der unteren Klassen zu
kürzen. Sehr mit Recht; aber die Weise, wie es geschehen ist.
Erfolg und Mifserfolg, von W. Schuppe. 9t
scheinl mir nicht die richtige zu sein. So lange ich selbst in
den unteren Klassen unterrichtet und später Kandidaten eingeführt
habe, ist mir immer aufgefallen, dafs für dieses Lebensalter
die Stunden zu lang sind. Die Kleinen können nicht eine
volle Stunde lang ihre Aufmerksamkeit auf denselben Gegen-
stand heften, sie erschlaffen gegen das Ende, ihre Natur ver-
langt schnellere Abwechselung und Erfrischung. Danach meine
ich, dafs ihre Lektionen nicht länger als 45 Minuten dauern
sollten. Man lasse sie für VI und V morgens erst um 81 Uhr
beginnen, um 9 Uhr die übliche Pause von 5 Min., aber Schlufs
dieser Stunde um 9,50. Der Lehrer fuhrt die Schüler auf den
Hof oder in die Turnhalle und läfst sie in ruhiger Bewegung ihr
Fröhstfick verzehren, das sonst im Spieleifer häußg weggeworfen
oder heimlich genossen wird; nach 10 Uhr mögen sie zum übrigen
Haufen springen. Dritte Stunde von 10,i5 bis 11, vierte von
11,5 bis 11,50; dann entlassen. Auch die übrigen Klassen
sciiiiefsen um ll,5o. Nachmittags, wo allen die langen Stunden
drückend sind, beginnt der Unterricht überhaupt um 2,io und
wird am 3,50 geschlossen. Damit erhallen die unteren beiden
Klassen eine wöchentliche Verkürzung um 4$ Stunde, die übrigen
am 2 Stunden 20 Minuten. Die wöchentliche Unterrichtszeit nach
meinem Ansätze ist also einschliefslich des Singens und des
fakultativen Unterrichts noch um etwas geringer als die der
neuen Lehrpläne.
Göttingen. J. Lattmann.
Erfolg- und Mifserfolg.
Ich weifs nicht, ob und in wie weit es angezeigt ist, an dieser
Stelle den bekannten Klagen über den Mifserfolg unseres Unter-
richts entgegenzutreten. Doch da ich auch selbst aus Lehrer-
kreisen das Urteil gehört habe, dafs die Leistungen der Schüler
trotz der gewissenhaftesten und eifrigsten Bemühungen ihrer
Lehrer fortwährend schlechter wurden, so mag ein kurzes Wort
gestattet sein, wenn es auch für manche überflüssig ist. Wenn
dieses Urteil wahr ist, so ist nur folgender Schlufs möglich : ent-
weder ist der Erfolg überhaupt unseren Bemühungen gänzlich
entzogen und hängt von einem Fatum ab — welcher Annahme
Konsequenzen ich nicht weiter verfolgen mag — , oder unser bis-
heriger Unterricht i^t in allen seinen Prinzipien von Grund aus
verfehlt Und wenn nun doch nicht klar werden will, warum
diese Prinzipien falsch sind und welches (wenn wir uns an das
unter den gegebenen Umständen Mögliche halten) die besseren
sind, so bleibt nur Verzweiflung, nur ein begriflloses Herumtappen
92 Erfolge nod Mifserfolg,
fibrig. Sollen wir lieber gar nicht mehr unterrichten? oder soll
es des Nachts geschehen, statt am Tage? oder sollen wir mit der
Lektüre des chinesischen Gesetzbuches beginnen? oder was sonst?
Glücklicherweise erinnern wir uns, dafs die Klagen über den
Verfall der Jugend nie verstummt sind und bis ins graueste Alter-
tum zurückreichen. Und glücklicherweise haben die Ankläger aller
Zeiten den Verfall immer erst von der Jugend ihrer Zeit an
datiert, sich selbst dagegen noch zur guten alten Zeit gerechnet.
„Da waren wir doch anders'S sagen sie alle mit selbstgefälliger
Bliene, ohne zu bedenken, dafs ihre alten Lehrer in betreff ihrer
selbst dasselbe gesagt haben. V^enn sie alle recht hätten, mufste
vor Alters ein vollkommenes Geschlecht bestanden haben, dem es
doch bei aller Vollkommenheit nicht gelungen wäre, schon die
nächste Generation vor dem Verfalle zu bewahren; und das wäre
nun immerfort so weiter gegangen bis zu uns. Die heutige Jugend
müfste schon tief unter die Stufe des Menschentums hinabgesun-
ken sein. Aber in Wahrheit hat jenes vollkommene Geschlecht
nie existiert, und in Wahrheit gehört der stete Verfall der jungen
Generation zu den Trugbildern.
Als ich ein junger Lehrer war, sagte mein alter Direktor
mit bekümmerter Miene zu mir: „Seit 25 Jahren lehre ich nua
das Lateinische in Prima; ich kann Ihnen versichern, mein lieber
Herr Doktor, die Leistungen werden von Jahr zu Jahr schlechter^*.
Er mag Recht gehabt haben, aber die Schuld war bei ihm. Man
wird es müde, dieselben Irrtümer und Mifsverständnisse alljähr-
lich aufs neue zu bekämpfen. Die freudige Lebendigkeit und
Eindringlichkeit der Belehrung nimmt ab, und mit ihr zugleich
die Anpassung an den Schülerstandpunkt und die verständnisvolle
Nachsicht mit den natürlichen Schwächen, welche in jedem Jahr-
gange aufs neue hervortreten. Aber auch der Irrtum wäre eben
daher erklärlich. Der Alte vergifst, dafs es immer andere sind,
denen er alljährlich nun schon so lange Zeit dasselbe erklärt;
und je langweiliger es ihm mit der Zeit wird, desto ärgerlicher
ist er, dafs es immer noch nicht begriffen ist, und desto schlechter
fällt sein Urteil über die Leistungen aus. Ganz ebenso beurteile
ich die Klagen mancher Universitätslehrer, welche „den Füchsen**
Anfangsgründe mitzuteilen haben, dafs die Jünglinge von Jahr zu
Jahr schlechter vorbereitet auf die Universität kommen.
Vieles kommt zusammen, woraus die stete Wiederkehr des
falschen Urteils erklärbar wird. Mancher gefällt sich in der Rolle
des strengen Richters. Sein Auge sieht schärfer als andere; je
gröfser seine Entrüstung über die vorhandenen Übelstände ist
und je schwärzer er sie zu zeichnen, je ausdrucksvoller zu be-
klagen vermag, desto höher scheint er selbst zu stehen. Nur
seine eigene Gröfse kann ihn ja so feinfühlig machen.
Und sodann ist die wichtige psychologische Thatsache in
Erwägung zu ziehen, dafs unser geistiges Wachstum in der Regel
von W, Schuppe. 93
sich IQ unmerklichen Zunahmen vollzieht. Nur sehr selten erinnern
ivir uns, durch eine gluckliche Verkettung äufserer Umstände oder
durch die überwältigende ÜberzeugMOgskraft eines Lehrers plötz-
lich auf eine höhere Stufe gehoben worden zu sein, und können
zugleich festhalten, wie unser Geisteszustand vor dieser Erhebung
gewesen ist. Gewöhnlich schreiten wir so allmählich fort, dafs
wir den Eintritt der später errungenen Einsicht nicht zu datieren
wissen und ihn demgemäfs in Lebensjahre versetzen, in welchen
wir noch weit davon entfernt waren. Dazu kommt nicht nur
die Eitelkeit, sondern auch der Leichtsinn und die naturliche
Folge der Dummheit, dafs der Dumme nie weifs, wie dumm er
ist; natörlich ist auch treue Erinnerung daran in späteren Jahren
wenn nicht unmöglich, so doch schwer und selten.
Ais ich selbst schon den Unterricht des Deutschen in Prima
gab, habe ich einen Aufsatz aus meiner Primanerzeit, den mein
Lehrer mit „gtif* censiert hatte, wiedergefunden. Geschämt habe
ich mich, als ich ihn durchlas. Ich hatte nie geglaubt, dafs ich
ab Achtzehnjähriger so schlottrige Sätze und so quatschiges Zeug
geschrieben hätte. Solche Erfahrungen wurden gewifs die meisten
machen, wenn sie Gelegenheit dazu hätten. Wenn ich über den
zaweilen unglaublichen Unverstand der jungen Studenten unwillig
werde, pQege ich mir zu sagen: „So bist du auch gewesen''.
Gerade dasjenige, worauf es am meisten ankommt, die Klarheit
der Begriffe, stellt sich so ganz allmählich in stetigem Flusse ein,
da£s die meisten wähnen, als Jünglinge und Knaben viel verstän-
diger gewesen zu sein, als sie wirklich waren.
Vieles noch liefse sich anführen, um die Irrtümlichkeit der
Klagen zu beweisen und zugleich den Irrtum psychologisch be-
greiflich erscheinen zu lassen. Doch es sei genug.
Oft mag hier und da ein Schwanken vorkommen, nament-
lich in einzelnen Fächern eine Zeit schlechterer Erfolge eintreten,
aber im allgemeinen kommen die Junglinge hent nicht mit
schlechteren, sondern eher mit besseren Kenntnissen zur Uni-
versität als früher.
Nach dieser Erklärung werde ich nicht als laudator temporis
acti abgethan werden können, wenn ich Mängel hervorhebe, welche
n. E. der Gegenwart eigen sind. Ich betone den engsten Zu-
sammenhang derselben mit allen charakteristischen Zögen unserer
ZeiL Die Klage erscheint begründeter und läfst zugleich mehr
Hoffnang auf Besserung hegen, wenn der Gbelstand in dem Ganzen
des sog. Zeitgeistes seinen Platz bat, wenn er, zum Teil wenig-
stens, als die unvermeidliche Nebenwirkung wirklicher Verbesse-
mngen erscheint, und wenn er auch auf nennbare bestimmte
Einrichtungen bezogen werden kann, als wenn er einem blinden
ferhängnis zugerechnet wird, dem wir vergeblich Widerstand zu
lebten versuchen. Ich bin zwar weit entfernt, für so allgemein
auftrelende Erscheinungen nur vereinzelte Einrichtungen bezw.
94 Erfolg uod Mifserfolg,
Anordnungen einer Behörde verantwortlich zu machen, aber voll-
ständig wirkungslos sind sie nicht gewesen, und so mag auch ihr
Anteil an dem Gesamtresultat* erwähnt werden.
Viel geringer ist gegenwärtig der Prozentsalz derjenigen
Studenten, welche ihr Ziel ganz und gar verfehlen, welche volU
ständig verbummeln, um schliefsiich als Strolche zu enden —
gewifs höchst erfreulich! — , aber viel geringer auch der Prozent*
satz derjenigen, welche von eigenstem Wissensdrang getrieben sich
ihren Weg suchen, in urwüchsigem Ringen nach Erkenntnis die
Schwierigkeiten finden und — so gut es eben gehen will — zu
überwinden lernen. Viel breiter ist der Strom der Mittelmäfsig-
keit geworden. Es fehlt an der rechten Spontaneität des Denkens,
an Initiative, an eigenem wirklichem Interesse an der Erkenntnis.
Einst kam man mit weniger positiven Kenntnissen zur Uni-
versität, aber man schätzte sie höher und sah in dieser allgemeinen
Bildung etwas um seiner selbst willen unbedingt Wertvolles. In
dieser Schätzung lag zugleich das Gefühl des Wertes, den mensch-
liche Kunst und Wissenschaft überhaupt haben. Beides geht
zusammen und ging zusammen: die idealere Auffassung des Fach-
studiums und nebenbei noch lebendiges Interesse für allgemeine
Bildung, namentlich für Poesie und Philosophie. Und das Fach-
studium kam gut dabei weg. Mehr Schwung und Frische lag
darin; oft sogar gewann es gerade dadurch die heilsame Direktion
auf das entscheidend Wichtige, dafs es in dem Ganzen höchster
menschlicher Interessen seine Stelle fand und Saft und Leben aus
der gemeinsamen Wurzel zog. In der lebendigen Berührung mit
allen andern Interessen dos geistigen Lebens konnte der Buch-
stabe des Spezialfaches nicht so seine tötende Macht üben, konnte
die durch dasselbe gesetzte Einseitigkeit nicht zu so krankhaften
Auswüchsen führen, nicht zur vollständigen Verkehrung des Wesens
der Sache, welche auch heut noch „Vernunft Unsinn, Wohlthat
Plage'* werden läfst. Tausendfach ist die richtige Würdigung der
Einzelheiten eines Gebietes von der Erkenntnis abhängig, welche
Stellung und Bedeutung dieses Gebiet in dem Ganzen hat, zu dem
es gehört.
Das ist alles anders geworden. Die jungen Leute kommen
mit besseren Kenntnissen zur Universität, als wir Alten einst,
aber sie scheinen diese ihre Bildung gar nicht als ein grofses
Gut zu schätzen. Oft sogar sind sie von der Frage angekränkelt,
warum und wozu eigentlich sie dies alles hätten lernen müssen.
Was Verstandesgebrauch und Lebensauffassung anbetrifft, so
halten sie sich für fertig, und meinen, dafs es nun blofs noch
der Aneignung der für eine Lebensstellung erforderlichen Fach-
kenntnisse bedürfe. Mit nüchterner Verständigkeit wird mehr
oder weniger eifrig auf das Examen losgearbeitet. Zeit genug
bliebe zu wissenschaftlicher Nebenbeschäftigung, nur der Sinn
dafür fehlt. Die deutsche klassische Dichtung hat für diese Ge-
voD W. Schuppe. 95
Seilschaft keinen Geschmack mehr. Die Mehrzahl unserer Stu-
denten hat von Lessing, Schiller und Goethe nicht mehr gelesen,
als was in der Schule gelesen wurde und was ein Aufsatzthema
zu lesen zwang. Wie viele haben den Faust gelesen? Es ist
jammervoll, die verwunderten Gesichter zu sehen, wenn man
Stellen aus ihm citiert, die den Alten allen vollständig ge-
läufig sind.
Hand in Hand mit der Poesielosigkeit unserer Jugend geht
ihre Abneigung gegen Philosophie. Daraus erklärt sich auch die
Frage ,,wozu eigentlich sie dies alles hätten lernen müssen*'.
Probleme quälen sie nicht. Was zu dem erstrebten Ämtchen
nicht nötig ist, zum Examen nicht gefordert wird, existiert für
sie nicht.
Einen Vorzug wiederum will ich ihr bereitwillig zugestehen.
Die Examenleistungen sind in Bezug auf feste Kenntnisse un-
zweifelhaft bessere als früher — sind doch auch überall die
Anforderungen erhöht worden — , aber geringer geworden ist
Neigung und Fähigkeit zu durchdringender Reflexion, zur einheit-
lichen Gestaltung der Masse durch beherrschende Gesichtspunkte.
Die mechanischen Köpfe nehmen zu. Ein Versuch „tiefer zu
bobren^^ findet kein Verständnis, und es ist schon viel, wenn er
nicht als Spielerei oder wertloses Gerede, sondern nur als ent-
behrlicher Luxus angesehen wird.
Das liegt nun ganz im „Geiste'' der Zeit, und die Jugend
steht nicht nur unmittelbar unter seinem EinQusse, sondern auch
unter dem der Verbesserungen des Unterrichts und der Prüfungs-
ordnungen, in welchen er sich sehr wirksam geltend macht.
Ich hoife, mich nicht dem Verdachte, dafs ich die wohl-
gelungene Feststellung von Thatsachen nicht nach Gebuhr zu
schätzen wüfste, auszusetzen, wenn ich es beklage, dafs unsere
Zeit die Reflexion, welche das Thatsachen material zur Einheit ge-
staltet und dadurch erst wirkliche Einsicht gewährt, nicht nach
Gebuhr zu schätzen weifs. Man ist von dem oberflächlichen Ein-
drucke beherrscht, dafs das doch nichts Positives, sondern nur
ein hifschen Hin- und Herreden ist, kann die inhaltlichen Unter-
schiede dieser „Gerede'' nicht taxieren und weifs nicht, dafs,
während das eine in der That wertlos ist, ein anderes den höch-
sten Wert menschlicher Wissenschaft haben kann. Deshalb gilt
eigentlich nur Feststellung von Thatsachen als rechte That, Reich-
toin an Kenntnissen als Bildung. Es ist der Materialismus in der
Wissenschaft und in der Pädagogik.
Daraus ist die überreiche Entwicklung des einseitigsten Spe-
nalistenturos erklärlich, daraus zugleich die gedankenlose Hinnahme
überlieferter Theorieen und Standpunkte und die Unfähigkeit, ja
die Abneigung dagegen, ihre Unzulänglichkeit und ihre inneren
Widersprüche zu sehen, und daraus endlich, wenn doch im klein-
üen Einielgebiei der Trieb zu systematisieren, d. h. Einklang und
96 Erfolg and Mifserfolgp,
Einheit herzustellen, sich unbewufst und unwiderstehlich geltend
macht, eine BegrilTsverwirrung, welche jeder Beschreibung spottet.
Was nur methodische Überlegung im grofsen Zusammenhange
leisten kann, soll dann eine kurze Anstrengung diiettantenbaften
Nachdenkens leisten, welche sich natürlich kritiklos in über-
kommenen Redensarten bewegt. Der Widerwille gegen tief-
dringende Begriüsprüfung, welche ja vermutlich ein ganzes mor-
sches Gebäude zu Falle bringen und wer weifs was noch alles in
seinen Fall hineinziehen könnte, ist gröfser als je. Und eben
deshalb ist auch die geistige Unselbständigkeit und die Herrschaft
der Phrase gröfser als je.
Nichts ist charakteristischer als dies, dafs die jungen Leute
zwar im allgemeinen nicht positiv gläubig sind, aber doch nur
verschwindend wenige unter ihnen von der Frage gequält werden :
„wie ist es nun? hat wirklich der Materialismus recht ?*^ Von
der Theorie desselben mit allen ihren Voraussetzungen und Kon-
sequenzen Kenntnis zu nehmen, um sich von ihrer Unmöglichkeit
zu überzeugen, ist zu langweilig, und erst recht natürlich die
Erkenntnistheorie, welche entweder mit einem klaren non liquet
die Zurückhaltung des Urteils rechtfertigen läfst, oder neue Wege
mit neuen Aussichten eröffnet. Solche Bedürfnisse sind nicht
vorhanden.
Ich sehe das freilich für einen moralischen Mangel an, be-
tone aber zugleich, dafs von einem moralischen Verfall im ge-
wöhnlichen engeren Sinne des Wortes keine Rede sein kann.
Entehrende Vergehen sind bei den heuligen Studenten ebenso
seltene Ausnahmen, wie früher, und die jugendlichen Exzesse in
Baccho et Venere kommen verhältnismäfsig nicht häufiger vor als
vor 30 und vor 60 Jahren.
Wenn ich nur darüber Klage erhöbe, dafs das junge Ge-
schlecht im allgemeinen keinen Sinn für Philosophie hat, so
würde ich vielleicht wenig Teilnahme finden; denn die Abnahme
desselben ist schon Jahrzehnte alt. Aber vermutlich wird es nicht
ganz ohne Eindruck bleiben, wenn ich davon überzeugen kann,
dafs alle die aufgezählten Mängel und Schwächen derselben Arl
sind und zusammengehören, sich gegenseitig setzen und bedingen.
Die Geisteserhebung in der Poesie berührt in ihrem Wesen
dieselben Gegenstände, deren theoretisches methodisches Durch-
denken Philosophie genannt wird. Die Werke der Dichter sind
voll von philosophischen Gedanken, und nur die Untergeordnetsten
machen Verse und leimen Schauspiele oder Romane zusammen«
ohne von der Tiefe etwas zu wissen, in welcher der philosophische
Gedanke mit den Gegenständen der höchsten Kunst und des höch-
sten Gefühls zusammentrifil. Von der schulmäfsigen Erlernung
mag wohl manchen gefühls- und phantasiereichen Jüngling die
Abstrusität dessen, was und wie es ihm gerade sein Lehrer bot,
abgeschreckt haben, aber echte dichterische Begabung und tieferes
von W. Schappe. 97
Interesse an Dichterwerken hat noch immer zu den Fragen
der Philosophie hingeführt. Soll ich erst Namen nennen? Und
wirkliches sch(^pferisches Philosophieren ohne die Gemütstiefe,
welche zur Poesie hindrängt, lafst sich kaum denken.
Und ferner wird es vermutlich nicht ohne Eindruck bleiben,
wenn sich zeigt, dafs diese Poesie- und Philosophielosigkeit zu-
gleich gesetzt ist mit Gleicbgöltigkeit gegen alles, was nicht
das Amt bezw. das Spezialfach und das höchst persönliche Ver-
gnügen betrifft, namentlich mit Gleichgültigkeit gegen alle religiösen
Dinge, dafs sie zugleich gesetzt ist mit dem Handwerkertum im
Spezialfach und im Amt, mit der Kritiklosigkeit gegen die Tages-
phrasen und aller geistigen Unselbständigkeit, mit der Bescheiden-
beil, welche sich mit dem Notwendigsten für das Examen begnügt
oder dem einseitigsten und borniertesten Spezialistentum. Das
gehört und geht alles zusammen.
Ich bekenne nun gern, dafs die obige Darstellung an starker
Übertreibung leidet. Ich selbst kenne Jünglinge, denen es an
echtem Erkenntnistrieb, an eigener Regsamkeit des Denkens und
lebhaftestem Interesse für alles Wahre und Gute nicht gebricht.
Aber Tollständig falsch ist das entworfene Bild doch nicht. Nach
Abzog des Obertriebenen bleibt noch etwas dieser Art zurück,
and diese Art ist schlimm genug, um auf Abhülfe sinnen zu
lassen. Ich erlaubte mir die Übertreibung, um die Richtung, in
weldier das Übel liegt, recht unverkennbar zu machen.
Ich bin auch weit entfernt von einer ungünstigen Prognose;
mein Vertrauen zum deutschen Volke ist viel zu grofs. Aber es
ziemt sich nicht, nur von der Zeit Hülfe zu erwarten; mein Ver-
trauen zum deutschen Volke schliefst eben auch dies in sich, dafs
die Berufenen in ihm das Übel ins Auge fassen und zu bekämpfen
wissen.
Fragen wir: wie ist es gekommen?
Es wird bereitwillig von allen Seiten wie eine Naturnotwen-
d%keit zugestanden, dafs der Zeitgeist sich ändern, dafs die Inter-
essen, welche die Generationen beherrschen, abwechseln müssen.
Und es ist gewifs nicht schwer zu verstehen, dafs seit Jahrzehnten
die politischen und wirtschaftlichen Interessen im Vordergrund
stehen. Noch bei keinem Volke haben sich Dichtkunst und Philo-
sophie dauernd auf gleicher Höhe gehalten. Blute und Verfall
wechseln ab und mit ihnen zugleich steigt und sinkt das Interesse
der grofsen Menge. Und die letzte Blüte der deutschen Philo-
fophie — wie sehr auch der Fachmann Genie und Scharfsinn
ihrer Vertreter zu würdigen weifs — hat wahrlich dem grofsen
Publikum Anlafs genug geboten, l^^sein Interesse von ihr abzu-
wenden.
Doch auch speziellere Gründe lassen sich anführen. Merk-
würdigerweise haben ganz verschiedene Mächte, welche sich sonst
bekämpfen, auf dasselbe Ergebnis hingewirkt. Der nüchtern
t L OjmiuMialweMii XLVUL a. 8. 7
98 Brfolg und Mifserfolg,
praktische Sinn iäfst nur nahe Ziele setzen, deren Erreichbarkeit
aus den vorhandenen Umständen und yerfugbaren Mitteln ein-
leuchtet. Er fällt keineswegs mit Materialismus zusammen, aber
auch der letztere ist geeignet, hochfliegende Begeisterung zu
dämpfen und nur das praktisch Verwertbare anzuraten. Die sog.
konservativ-klerikale Richtung ist sein programmmäfsiger Gegner,
aber thatsachlich hat sie ihm stets in die Hände gearbeitet. Motive
und Ausdrucksweise sind verschieden, aber die Furcht vor der
philosophischen Reflexion („Geist ist Teufel'^ hat immer nur den
Bann der sinnlichen Auffassung befestigt: was nicht im Bauche
kollert, das nützt nichts, und was überhaupt existieren soll, mufs
wie ein räumlich-zeitliches Ding gedacht werden.
Wie verschieden auch die Beweggrunde waren, man fand
sich in dem Programm: keine fahrige unklare Begeisterung für
höchste Zwecke, sondern festes positives Wissen für die nächsten,
kein Herumtappen, sondern schrittweises methodisches Vorgehen,
immer sichere Schulung und Führung, durchweg Zugein, Gängeln,
Abrundung, Konzentration des Unterrichts, und vor allem Fern-
haltung alles desjenigen, was doch nicht recht verstanden werden
könnte, also vermutlich nur Verwirrung und unreife Parteinahme
zur Folge haben würde.
Beachten wir die verschiedenen Seiten des Ergebnisses. Wenn
die weise Vorenthaltung alles desjenigen, was nur verwirren und
von den nächsten dringendsten Aufgaben ablenken könnte, wenn
das Gängeln und Anleiten und Abrunden zu besseren und festeren
Kenntnissen führt, und wenn letzteres doch eben die Hauptsache
ist, so kann es in der Tbat nichts Vorteilhafteres und Verstän-
digeres geben als dies. Und wirklich ist solcher Vorteil, wie ich
eingangs behauptet habe, erreicht worden.
Wenn aber das Selbstdenken aus eigensten inneren Antrieben
nur zuerst die Sammlung geordneter Kenntnisse erschwert, dafür
aber um so energischer vorwärts treibt und das Unbefriedigende
der jedesmal errungenen Stufe um so lebendiger fühlen läfst, und
wenn andererseits eine begeisterungslose trockene, nie aus eigenem
Drang, sondern stets unter genauer Anleitung erfolgende Aneignung
von Kenntnissen zwar zuerst bessere Erfolge hat, um so früher
aber stillstehen läfst, zwar vor manchen Tollheilen und Störungen
bewahrt, dafür aber das Unzulängliche und die inneren Wider-
sprüche der mitgegebenen Gesichtspunkte niemals fühlen, sondern
behaglich auf dem Faulbett der Tradition ruhen läfst, so wird es
sehr fraglich erscheinen, ob wirklich das letztere dem ersteren
vorzuziehen ist.
Mit Recht wird man entgegenhalten, da£^ wir ja gar nicht
einfach zwischen letzterem und ersterem zu wählen haben, dafs
wir den jugendfrischen inneren Trieb, wenn er fehlt, nicht schaffen
können, und dafs es aufserdem noch keine gewaltthätige Unter-
drückung desselben ist, wenn wir durch sorgfältige Führung und
von W. Schuppe. 99
Leilaog dea Jungen und Jüngling vor Irrwegen bewahren. Hat
doch manchen der unreife Drang nach Selbständigkeil in eine
Begriffsverwirrung gestürzt, aus welcher er sich nie wieder heraus-
gefunden hat. Das mag ganz richtig sein, trifft mich aber nicht.
Denn ich denke gar nicht daran, eine radikale Reform vorzu-
schlagen oder einfache Umkehr anzuempfehlen. Anregen will ich
and auf das Bekannte hinweisen, dafs die menschlichen Verbesse-
rangea sehr oft neue Übelstände einfuhren. Mögen die letzteren
geringer sein, als die alten beseitigten, mag das gewonnene Gute
die neuen Gbelstände, welche ihm anhängen, überwiegen, immer
lohnt e« sich doch auch auf die Abstellung der letzteren bedacht
zu sein. Um Vervollkommnung handelt es sich, nicht um Um-
kehr. Ich will auch gern zugeben, dafs dasjenige, was ich de-
sideriere, viel weniger die sicher voraussehbare Wirkung bestimmter
Einrichtungen ist, welche schleunigst ins Werk gesetzt werden
inülsteD, um Deutschlands Jugend vor dem Verfall zu retten, als
vielmehr Sache der persönlichen Kunst des Lehrers. Aber auch
dann wäre doch mein Hinweis nicht überflüssig.
Wenn wir die frische eigene Regsamkeit des Denkens und
Strebens, wo sie fehlt, nicht hinzaubern können, so versteht
sich doch von selbst, dafs ich nur solches zu thun anempfehlen
will, was sich thun läfst. Es ist aber weltbekannt, dafs diese,
wie jede andere Anlage, in verschiedenen Graden vorhanden sein
kann und dafs sie durch die Art des Unterrichts gefördert oder
gehemmt, entfallet oder unterdrückt werden kann. Es giebt an-
regenden, den geistigen Blick erweiternden, Interesse erweckenden
Unterricht, und es giebt auch solchen, der von alledem das
Gegenteil ist Geschick oder Ungeschick des Lehrers bezw. seine
unabsichtlich im Unterricht sich geltend machende Natur und
Geffitesbeschaffenheit ist imstande das glimmende Fünkchen zur
bellen Flamme anzufachen oder auch es auszutreten. Bedürfnisse,
die dauernd unbefriedigt bleiben, verlieren sich allmählich; Kräfte,
die nie zur Ausübung kommen, gehen ein.
Was habe ich nun vorzuschlagen, um den Erkenntnistrieb
zu beleben, die Studien zu vergeistigen, das Handwerkertum fern-
zuhalten, um die rechte Feinfühligkeit für vorhandene Schwierig-
keiten zu erwecken, welche nicht ruhen läfst und immer tiefer
zn dringen treibt? was speziell habe ich zu widerraten, damit
der vorhandene Trieb nicht erstickt, das Fünkchen nicht ausge-
treten werde? Vieles könnte ich anführen, aber ich will mich
auf eins beschränken, und zwar will ich dieses, um es einleuchten-
der zu machen, an eine allbekannte Ansicht anschliefsen, indem
ich zeige, dafs es eigentlich in dieser als einer zugestandenen
Toraussetzung enthalten ist.
Niemand zweifelt, dafs der Unterricht im Deutschen in her-
vorragender Weise berufen ist, geistig anzuregen und zu beleben.
Wer im „deutschen Aufsatz'* auf die eigenen Gedanken der Schüler
7*
JOO Erfolg ond Mifserfol^,
eingebt, wer mit ihnen deutsche Dichtungen liest, wer ihnen von
Lessings, Schillers, Goethes geistigem Leben und den Triebfedern
ihrer Zeit erzählt, vermag naturgemäfs auch am meisten in die
Gedankenwelt der Schüler einzugreifen und ihr Interesse für alles
Wahre und Scliöne zu erwecken, und nun behaupte ich: wer
dies am besten und nachhaltigsten versteht, verdankt diese Kunst
nicht seiner deutsch - philologischen Gelehrsamkeit. Ich bin
keineswegs gesonnen, den Wert dieser Studien herabzusetzen,
sondern will nur darauf aufmerksam machen, dafs auch der Lehrer
des Deutschen in den oberen Klassen, von welchem vorzugsweise
die verlangte Anregung erwartet und wirklich auch oft geleistet
wird, diese seine Kraft aus anderen Wurzeln zieht, als denen
historisch-philologischer Kenntnisse. Die allgemeinen Interessen,
welche er belebt, weil sie iu ihm so lebendig sind, sind philo-
sophischer Natur. Wer unserer Dichterheroen inneres Leben und
die Bewegung ihrer Zeit versteht und verstehen lehren kann,
mufs auch ihr Philosophieren verstanden haben und dafür zu
interessieren wissen. Die feinsinnigen Bemerkungen, welche die
Schönheit ihrer Dichtungen dem Schuler zugänglich zu machen
vermögen, sind zum gröfsten Teil ihrem Inhalte nach philosophische
Gedanken (wenigstens wenn man die Psychologie mit zur Philo*
Sophie rechnet). Und gerade je besser ein Lehrer die Gelegenheit
zu solchen Einwirkungen wahrzunehmen weifs, je weniger er in
steif pedantischer Manier mit philosophischen Terminis und Lehr-
sätzen wirtschaftet, welche nur abschrecken könnten, desto gründ-
licher sind seine philosophischen Studien gewesen, freilich auch
desto gröfser sein angeborenes Talent. Die Philosophen haben
zum Verständnis des geistigen Gehaltes unserer grofsen Dichtungen
mehr beigetragen als die germa^iistiscben Philologen.
Und wer in der Besprechung der Schülerleistungen in her-
vorragender Weise klärend auf ihre Auffassungsweise und Begriffs-
bildung einzuwirken vermag, hat auch dies (die unentbehrliche
Anlage vorausgesetzt) wesentlich seiner philosophisdien Bildung
zu vei^anken. Nicht natürlich einzelne Paragraphen eines Lehr-
buches der Logik und der Psychologie haben es gemacht (viel-
leicht verfiele ein findiger Kopf darauf, sicli diese allein anzu-
sehen), sondern das Durchdenken der Probleme und des ganzen
Zusammenhanges ihrer Lösungsversuche. Mag mancher Lehrer
des Deutschen, auch ohne ernstliche philosophische Studien ge-
macht tu haben, in der bezeichneten Richtung Tüchtiges geleistet
haben; dann ist er jedenfalls ein philosophisch beanlagter Mann
gewesen; nur Zufälle haben ihn von diesen Studien abgehalten,
und wenn er sie gemacht hätte, würde er jedenfalls noch Vorzug-
Ucheres geleistet haben.
Der Unterricht im Deutschen, sagte ich, gilt als das vor-
nehmste und direkteste Mittel, alle höheren geistigen Interessen
anioregen und zu beieben, wie auch die Letslungea des Jünglings
von W. Schuppe. \Q\
in diesem Punkte das sicherste Mittel zur Beurteilung seiner
geistigen Höhe sind. Aber es versteht sich von selbst, dafs jeder
Dnterricht zu diesem Enderfolg beiträgt, keiner blofs niitzh'che
Kenntnisse zu praktischer Verwertung geben will, und dafs unter
allen andern Unterrichtsgegenständen wiederum die Lektüre, dies-
mal die der fremdsprachlichen Dichter und Denker, eine hervor-
ragende Stelle einnimmt. Naturliche Begabung und pädagogisches
Interesse lassen auch ohne philosophische Bildung oft genug die
richtigen Worte der Belehrung und die richtigen Fragen finden.
Aber es sei gleich hinzugesetzt, dafs „die naturliche Begabung'',
welche dies leistet, nicht die für das Spezialfach ist, sondern die
fior feine psychologische Beobachtung, die, welche aus den Worten
des Schulers merken läfst, was es ist, was ihm in seinem Denken
fehlt, was in seinem Kopfe vorgeht und wie er es eigentlich
iDeiot, dafs sie also eine philosophische Begabung ist, und dafs
femer zu ihr die logische Begabung gehört, welche auch nicht
mit dem Talent für das Spezialfach zusammenfällt. Während
dieses oft instinktiv die Eindrücke erfafst und zu Kombinationen
verwendet, befähigt jene mehr zur scharfen BegrifTsanalyse und
setzt gerade dadurch in den Stand, auch den Schuler bei der
Zergliederung seiner Antworten und durch in diesem Sinne
passend gestellte Fragen zur richtigen BegrifTsbildung bezw. Kor-
rektur der falschen Begriffe zu fuhren, also im eigentlichen Sinne
nicht blofs Kenntnisse möglichst fest und schnell zu übermitteln
and zum Spezialfach vorzubereiten, sondern die Köpfe zu klären.
Es wird nicht zweifelhaft sein, dafs die Fähigkeit zu diesen
f^istuogen durch grundliche philosophische Studien erhöht wird,
nnd dafs letztere also, wie grofs oder gering die angeborene Anlage
sein mag, ceteris paribus den vorzuglicheren Lehrer ausmachen.
Gilt es, in den sogenannten „Geist'* einer fremden Sprache, eines
Schriftstellers einzuführen (das Wort ist banal, aber ich überhebe
mich der Kürze halber an dieser Stelle der Mühe, das Wirkliche,
was damit gemeint sein kann, auseinanderzusetzen), so wird die
erwähnte Kunst von ausschlaggebender Bedeutung.
Vor allem wird aber die Übung in philosophischer Beflexion
allein imstande sein, den Gedankenscliatz und die Weltansichten,
welche doch wohl zum „Geist" des klassischen Altertums gehören,
der Jugend verständlich zu machen.
Der Sinn für philosophische Beflexion und das Verständnis
ihrer Probleme ist also dem Lehrer zu wünschen, denn es wird
seine pädagogische und didaktische Kunst vervollkommnen; es
gehört aber auch zu demjenigen, was bis zu einem gewissen Grade
fnr den Schüler notwendig, also zum Unterrichtsstoffe zu rechnen
ist. Denn er wird, wovon oben schon gehandelt wurde, ihre
Berafsstudien vertiefen und beleben, ja sogar auf ihre künftige
Berafsaosubnng heilsam einwirken, überhaupt den Ernst der
LebensanfTassung erhöhen. Es handelt sich um den Wert der-
102 Brfolg aod Mirfle.rfolgp,
jenigen Geistesverfassung und Denkrichtung, welche durch die
Klärung der Grundbegriffe, durch die gründliche Kenntnis der
philosophischen Probleme und durch das lebhaft gefühlte Bedürf-
nis ihrer Lösung und einer einheitlichen Weltauffassung natur-
notwendig hervorgebracht werden mufs (Grdzge d. Eth. S. 162 ff.
u. 198 — 201). Diese Geistesverfassung schliefst den Materialismus
aus. Ich betone: nicht von dem Inhalte eines philosophischen
Systems, welches eben deshalb wie ein Dogma gelehrt werden
müfste, erwarte ich diese Wirkung, sondern blofs von dem ernst-
haften Eindringen in die Probleme. Das preufsische Kultus-
ministerium hat oft die Absicht bekundet, dem Materialismus
entgegenzuwirken, aber es wird dieselbe sicherlich nur so er-
reichen, dafs es sich bemüht, die Klärung der Begriffe zur
konstanten Denkrichtung zu machen. Wer zu der Er-
kenntnis gebracht worden ist, dafs die Wissenschaft, welche die
Grundbegriffe in ihrer Wurzel und in ihrem Zusammenhange
kennen lehrt, das Fundament sein mufs, der wird alle blofsea
Redensarten verschmähen und vor allem durch seine Einsicht in
jene Begriffe den materialistischen Redensarten unzugänglich sein.
Blofse Gelehrsamkeit hat noch nie vor ihnen geschützt.
Demnach ergäbe sich die Aufgabe, die philosophischen Studien
auf der Universität überhaupt möglichst zu fördern. Wie kann
das geschehen?
Einst bestand für alle Studenten die Verpflichtung, Logik
und Psychologie zu hören. Sie ist vor ungefähr 30 Jahren auf-
gehoben worden, und ich wage nicht ihre Erneuerung zu empfehlen.
Vielleicht könnte allen Studenten ein Examen in der Philosophie
auferlegt werden, doch auch dieser Vorschlag hat vieles gegen
sich, was ich hier nicht ausführen will. Nur eine beherzigens-
werte Thatsache will ich hervorheben.
Es bedarf keines Beweises, obwohl ein solcher sich aus
psychologischen Gründen leicht erbringen liefse, sondern ist ein-
fach Erfahrungsthatsache, dafs diejenigen Studenten am meisten
Neigung zur Philosophie haben, welche auf dem Gymnasium in
der philosophischen Propädeutik zweckentsprechend unterrichtet
worden sind und auch in den anderen Unterrichtsgegenständen
philosophisch gebildete Lehrer gehabt haben, und dafs umgekehrt
diejenigen Studenten Philosophie als Unsinn verachten, welche auf
dem Gymnasium nie etwas davon kennen gelernt haben, dabei
aber um so ungenierter mit allen philosophischen Begriffen und
Voraussetzungen umgeben, ohne zu ahnen, dafs Schwierigkeiten
in ihnen stecken, immer meinend, das sei alles ganz selbstver-
ständlich, ganz so wie es auch ihre philosophisch ungeschulten
Lehrer gemacht haben.
In derselben Zeit, welche die Verpflichtung aller Studenten
zum Hören philosophischer Vorlesungen aufheben liefs, ist auch
der Unterricht in der philosophischen Propädeutik auf den Gym-
von W. Schuppe. 103
nasien aufgehoben worden (die blofse Erlaubnis desselben ist in
der Wirkung einer Aufhebung gleichgekommen). Kann jene Ver-
pflichtung wiederherzustellen unthunlich erscheinen, so scheint es
dagegen nicht nur nicht unthunlich, sondern sogar sehr empfeh-
lenswert, den Unterricht in der philosophischen Propädeutik wieder
allgemein einzufahren.
Jene Aufhebung hat man vielfach auf die Meinung, dafs die
philosophischen Studien religionsgefahriich seien, zurückgeführt.
Ich könnte diese Meinung nur als einen bedauerlichen Irrtum be-
zeichnen. Die Entfernung von dem methodischen philosophischen
Denken hat thatsSchlich nicht der Religiosität, sondern nur der
OberOächlichkeit und dem Materialismus Vorschub geleistet.
Vielleicht hat einst die Verirrung philosophischer Spekulation
zur Oberschätzung des blofsen Thatsachenmaterials, vielleicht hat
die Nichtigkeit und Leerheit der sog. formalen Logik zur ünter-
schätzung aller Unterweisung in der Logik geführt; heut liegt
längst kein Grund mehr vor, einen Rückfall in jene verfehlten
Methoden zu befürchten.
Was die Meinung anbelrifft, dafs der Unterricht in der
philosophischen Propädeutik, wenn doch keine geeignete Lehrkraft
dazu vorhanden ist, besser unterbleibe — was, nebenbei gesagt,
noch für viele Unterrichtsgegenstände gelten würde, z. B. für die
Mathematik — , so kann ich daraus nur die Aufforderung ent-
nehmen, mit allen Kräften dahin zu wirken, dafs stets genug
tüchtige Lehrer für dieses wichtige Fach vorhanden seien.
Diese zulet/t genannten Rücksichten haben gewifs nicht den
Ausschlag gegeben, die Entscheidung schreibe ich vielmehr der
oben schon erwähnten Verbindung der Furcht vor den Gefahren
der philosophischen Reflexion mit der bornierten Verständigkeit
zo, welche unter Fernhaltung alles dessen, was vielleicht störend
und ablenkend wirken könnte, nur das Nächste, d. i. den Erwerb
der nötigsten positiven Kenntnisse erstreben, unter Abscheu vor
aller „Verstiegenheit'* nur „das Reale*' ins Auge fassen läfst Die
Schüler verstehen ja doch von philosophischen Fragen noch nichts.
Sie werden durch Behelligung mit dem für sie Unverständlichen
nur verwirrt, eventuell wenn sie sich doch etwas davon angeeignet
haben, naseweis und dünkelhaft. So etwa läfst sich die anti«-
pfailosophische Weisheit vernehmen. Gerade umgekehrt ist es.
Die philosophischen Probleme haben sich von selbst dem denken-
den und beobachtenden Menschen aufgedrängt und thun es noch
beut. Thatsächlich philosophiert oder philosophelt jeder ein
bi&chen, auch der Ungebildetste, auch der, welcher der Philo-
sophie Feindschaft geschworen hat, nur mit mehr oder weniger
Unverstand. Unser ganzes Denken der Welt mit allen den Einzel-
gebieten, welche Gegenstand der SpezialWissenschaften sind, ist
durchzogen von philosophischen BegriiTen, d. h. solchen, welche
philosophische • Schwierigkeiten in sich haben, Sein, Substanz,
104 Erfolg and Mifserfolg,
Thätigkeit, Einheit, Kraft, Stoff, Subjekt, Objekt, Ursache, Be-
diDgung u. dergl. Wer ist wohl mehr verwirrt in seinem Denken,
derjenige, welcher von den Schwierigkeilen etwas kennen gelernt
hat, oder derjenige, welcher nichts davon ahnt, demgemäfs auch
gar nie merkt, in wie viel verschiedenen Sinnen er und andere
diese Wörter gebrauchen, und sich vollständig daran gewöhnt hat,
gar nichts dabei zu denken oder immer nur etwas Sinnliches
oder nach Analogie des Sinnlichen? Ich habe Vertreter dieser
Verständigkeit sich aussprechen hören und kann nur erklären:
ihre eigene Begriffsverwirrung, sobald sie die positiven Thatsachea
ihres Spezialfaches nur um Haares Breite verliefsen, überstieg
jedes Mafs; schlimmer kann sie bei keinem Schuler sein.
Und wenn die philosophischen Fragen sich nicht von selbst
im Schüler regen, die Umgebung verschont ihn nicht damit.
Schon im Beligionsunlerricht müssen sie auftauchen, der unver-
meidliche Zweifel führt sie mit sich; in ihrer Lektüre, oft genug
in einem Zeitungsblalt stofsen sie darauf. In den verschiedensten
Wendungen und Redensarten ist ein Gedanke enthalten, der seine
Klärung nur im Zusammenhange philosophischer Reflexion fin-
den kann.
Wenn das gesamte Lehrerkollegium von alledem nichts zu
wissen scheint, so kann das nur das Vertrauen und den Respekt
des Schülers vor diesen Lehrern herabsetzen. Und nur zu leicht
lernen die Jünglinge sich über die Schwierigkeiten mit Phrasen
hinwegsetzen. Oft genug lernen sie es von den Lehrern, welche
die höchste pädagogische Weisheit zu üben meinen^ wenn sie über
das dem Schüler „doch noch nicht recht Verständliche*' schnell
mit einigen verdeckenden täuschenden Worten hinweggehen. Ent-
weder wird sein Sinn für ernstes Nachdenken überhaupt erstickt,
oder er kommt in seiner Unklarheit zu dem Tollsten, was es
giebt, dem blödsinnigsten Radikalismus oder der wüstesteu
Schwärmerei, hi seinem Kopfe kompliziert sich die philosophische
Schwierigkeit mit prinzipalen Mifsverständnissen in einer Art und
Weise, welche der wahren Aufklärung viel gefährlicher ist, als es
je eine nicht ganz richtig verstandene Erörterung der Sache von
Seiten des Lehrers sein kann. Dieser soll selbstverständlich nicht
etwa philosophische Dogmen einpflanzen wollen, sondern Richtung
geben, Ziele und Wege zeigen, für die Probleme mit ihren eigen-
tümlichen Schwierigkeiten und ihre Bedeutung Verständnis erwecken.
Dünkelhaft macht nur die Borniertheit; wer nicht weifs, was
und wie viel er nicht versteht, der verfällt dem unerträglichsten
Dünkel, der auch immer ungerecht macht; wer aber die Schwie-
rigkeiten gekostet und die Fernsichten gewonnen hat, von denen
ich spreche, ist am meisten vor dieser Gefahr gesichert.
Zu unverständlich soll's dem Primaner sein! Was hat das
für Sinn, wenn doch bei den meisten diese gefährlichen Gedanken
sich einmal von selbst einstellen? Und was hat das für Sinn,
voD W. Schuppe. 105
wenn doch keines Unterrichtsgegenstandes Wesen und Wert von
den Schülern ganz verstanden wird? Wie verstehen und würdigen
die meisten ihre lateinischen und griechischen Schriftsteller? wie
die Mathematik? Und doch halten wir an diesen Unterrichtsgegen-
ständen fest Etwas geht doch ein, meinen wir, und dieses Etwas
ist wichtig genug, und die Hauptsache ist, dafs es noch in der
Erinnerung sich klärt und zu den AuiTassungen des späteren
Lebens seinen Beitrag leistet.
Wenn der Primaner mit diesem für ihn doch noch nicht
Verständlichen verschont werden soll, hat denn das Reifezeugnis
die Zauberkraft, es ihm nun sogleich verständlich zu machen?
Wenn er, gänzlich unvorbereitet, als junger Student in ein philo-
sophisches Kolleg kommt, so versteht er erst recht nichts, und
da er keinen Zwang sieht, sich mit besonderer Muhe hineinzu-
bohren, so bleibt er nach den ersten Stunden weg.
Und endlich, wenn die Fragen der Philosophie, welche seit
Jahrtausenden das Menschengeschlecht bewegen, doch noch zu
keinem befriedigenden Abschlufs gebracht worden sind, wenn also,
am mit Fichte zu reden, „die unendliche Aufgabe'^ das Wesen
des Menschen ausmacht, so kann die Schwierigkeit, welche mit
der ersten Einführung verbunden ist, kein Grund sein, von dieser
abzustehen. Dem Junglinge den Blick in diese Tiefen ersparen
woUen, heifst ihn über sein eigenes innerstes Wesen täuschen
and allem dem, was aus diesem folgt und zu ihm gehört, d. i.
seinem Berufe entfremden.
Was soll, was kann nun geschehen?
Die preufsische Prüfungsordnung verlangt von allen Kandi-
daten des höheren Schulfaches den Nachweis allgemeiner Bildung
in der Philosophie. Sollen die Anforderungen verschärft werden?
Die Frage ist schon deshalb schwer zu beantworten, weil diese
Anforderungen sich äufserst schwer fixieren lassen. Doch sehen
wir von dieser Schwierigkeit ab; auch dann würde es sich nicht
empfehlen, einfach Verschärfung der Anforderungen anzuordnen.
Manchem armen Teufel, der seine liebe Not und Muhe hat, einige
Fakultäten für die unteren und mittleren Klassen zu erwerben,
erscheinen sie schon jetzt furchtbar scharf. Diese Sorte aus der
Well zu schaffen, wäre freilich das Beste. Aber wie? Meine
Erwägungen müssen sich an die gegenwärtig vorhandenen Um-
stände halten. Da hätte die blofse Anordnung höherer Anforde-
rongen keinen Wert. An der bestehenden Prüfungsordnung ist,
was die allgemeine Bildung in der Philosophie anbetrifft, nichts
ZD ändern. Ganz der Natur der Sache entsprechend ist die Be-
stimmung, dafs der Fachexaminator auch allein über den Erfolg
der Präfang in seinem Fache entscheidet. Der Einfall, durch
Majorität entscheiden zu lassen, ob die Prüfung in der allgemeinen
Bildung bestanden sei oder nicht» wobei Kompensationen statt-
finden, miisversteht das Wesen der Sache.
106 Erfolg DDd Mifierfolg;,
Die Entscheidung durch Hajoritätsvotum ist nur nach Analogie
der juristischen Examina gedacht; denn auch bei den Medizinern
entscheidet jeder Examinator allein in seinem Fache, und auch
bei ihnen ist die in einem Fache mifslungene Prüfung in diesem
zu wiederholen. Bei den Juristen liegt die Sache insofern ganz
anders, als jeder von den Examinatoren das Fach der anderen
doch soweit versteht, um die Antworten des Kandidaten beurteilen
zu können. Aber die Milexaminatoren im Examen für allgemeine
Bildung (Geschichte, deutsche Litteratur, Religion) sind gewöhn-
lich nicht entfernt zu beurteilen imstande, wie klug oder dumm
die Antworten des Kandidaten in der Philosophie sind.
Aufserdem mufs die ganze obige Erörterung lehren, dafs das
verlangte bescheidene Mafs philosophischer Bildung ein so drin-
gendes Bedürfnis ist, dafs sein Mangel jedenfalls nicht durch ein
Mehr an geschichtlichen Kenntnissen ersetzt werden kann.
Besonders wertvoll ist die Bestimmung der bestehenden
Prüfungsordnung, dafs der Examinator für Philosophie zugleich
in der Pädagogik zu prüfen hat. Ich erwähne es deshalb, weil
die neueren Einrichtungen, welche die pädagogische Vorbildung
des jungen Lehrers betreffen, wohl schon manchem den Gedanken
nahe gelegt haben, dafs die praktischen Lehrer allein imstande
wären, den Kandidaten zur Lehrpraxis vorzubereiten. Ich unter-
schätze den Wert der Erfahrungen, welche die Praxis bietet,
keineswegs, und heifse jene Einrichtungen willkommen, aber die
Pädagogik ist und bleibt eine philosophische Disziplin. Aus Psycho-
logie, Ethik und Logik setzt sie sich zusammen, und ihre Ge-
schichte zeigt ihre Abhängigkeit von der Philosophie auf das
handgreiflichste. Auch die philosophische Pädagogik stützt sich
auf Erfahrung, wie es bekanntlich die Psychologie auch thut Zu
befürchten ist nicht, dafs apriorische Spekulation zu undurchführ-
baren oder gar schädlichen Vorschlägen führte. Ich bin auch,
wie schon gesagt, ganz damit einverstanden, dafs die jungen
Lehrer von den alten sozusagen „angelernt'' werden. Aber nicht
immer sind diese Praktiken völlig einwandsfrei. Nicht jeder hat
beobachten gelernt; die angeblichen „Erfahrungen'' sind zuweilen
grundfalsch. Die Unannehmlichkeiten der Praxis, die gegebenen
ungünstigen Umstände, die Mifserfolge, welche sich vorzugsweise
dem Bewufstsein aufdrängen, können zuweilen auch den Blick
trüben und verengen und nichts anderes mehr sehen lassen, als
das Nächstliegende, täglich Beängstigende und immer aufs neue
Verstimmende, und so allmählich zu einer Art von Handwerker-
tum hindrängen, wie es bekanntlich bei allen Ständen und Berufs-
arten vorkommt. Was die tägliche Praxis lehrt und fordert und
was der junge Lehrer nur von seinen älteren Kollegen erfahren
und durch ihr Beispiel lernen kann, und andererseits die Ge-
sichtspunkte der philosophischen Theorie, welche aus den Prin-
zipien der Ethik, der Psychologie und Logik Erziehungs- und
von W. Schuppe. 107
Unterrichtsziele und Erziehungs- und Unterrichtsmethoden über-
sehen läfst, sollen deshalb einander ergänzen. Letztere ist im-
stande, die geistige Frische und die Weite des Blickes länger
bewahren zu lassen, vor allem die für pädagogische, sowie
für alle andern Beobachtungen, unentbehrlichen Gesichtspunkte zu
bieten and die (nicht alJzu häufige) Fähigkeit zu geben, aus ein-
zelnen wahrnehmbaren Thatsachen eine Erfahrung zu machen.
Also weil bezw. insoweit die bestehende Prüfungsordnung
den Studenten anweist, sich auch um diejenige Pädagogik zu
kümmern, welche die Philosophie lehren kann, wünsche ich sie
erhalten zu sehen. Dafs der Nutzen, welchen das Examen in der
Philosopliie und Pädagogik bisher gestiftet hat, nicht grofs ge-
wesen ist, kann man ja behaupten. Wie wird die Gröfse des-
selben gemessen? wer weifs genau, wie es aussähe, wenn diese
Forderung nicht bestände? Jedenfalls darf sie nicht aufgegeben
werden, auch wenn sie — was ja oben zugestanden wurde -^
der berechtigten Wünsche Erfüllung nicht gebracht hat.
Das Mittel, ihr gröfsere Wirksamkeit zu geben, d. h. die
philosophischen Studien zu beleben, würde darin bestehen, dafs
an die bessere Erfüllung der Forderung auch bestimmte Vorteile
geknüpft würden. Auch bei der idealsten Gesinnung sieht sich
doch jeder zuletzt darauf angewiesen, sich nach den realen Be-
dingungen des Lebens zu richten. Studienzeit und Mittel sind
beschränkt; also mufs jeder sie so verwenden, dafs er möglichst
bald Anstellung, später Beförderung zu finden und bei Bewer-
bungen als der Vorzüglichere zu erscheinen hellen kann. Wenn
wirklich, wie oben behauptet wurde, der philosophisch gebildete
Lehrer (ceteris paribus) der bessere ist, so darf er nicht blofs
auf den heimlichen Genufs angewiesen werden, sich dieses Vor-
zuges bewufst zu sein, sondern dieser Vorzug mufs auch irgendwie
durch Gewährung eines Voiteils Anerkennung linden. Wird diese
Tersagt, so ist ja eigentlich auch jener Genufs nicht als berechtigt
anerkannt. Jedenfalls würden die philosophischen Studien von
vielen eifriger betrieben werden, wenn sie die Überzeugung ge-
winnen könnten, dafs das Mehr an Zeit und Arbeitskraft, was sie
auf dieselben verwenden, auch für ihr Fortkommen Frucht tragen
würde. Gegenwärtig glauben sie zu sehen, dafs es in der ge-
nannten Beziehung für sie ganz gleichgültig ist, ob sie in der
Philosophie ein gutes oder ein schlechtes Zeugnis haben.
Dafs es schwer ist, für die verlangte Gewährung von Vor-
teilen bestimmte Vorschläge zu machen, will ich gern zugestehen.
Vorläufig wollte ich nur die Aufmerksamkeit auf diesen Punkt
lenken. Dagegen kann ich in betrefif der Lehrbefähigung in der
philosophischen Propädeutik einen Vorschlag machen.
Unser Prüfungsreglement giebt ihr den Wert einer Lehr-
befahigang für die mittleren Klassen. Wie kann die Befähigung,
in Prima zu unterrichten, eine Lehrbefähigung für die „mittleren''
108 Erfolg nod Mifserfolg, voo W. Schuppe.
Klassen genannt werden? Die Anforderungen, welche an den Be-
werber um eine Fakultas für obere und um eine solche für mitl-
lere Klassen gestellt werden, unterscheiden sich als Grade wissen-
schaftlicher Durchbildung in einem Fache. Die Bezeichnung der
preufsischen Prüfungsordnung kann also wohl nur den Wert
meinen, welchen das Zeugnis über erworbene Lehrbefähigungen
in Anbetracht der praktischen Verwendbarkeit seinem Besitzer
beilegt. Aber unter Umständen liegt doch an der richtigen Be-
zeichnung der Sache recht viel. Wer seine Zeit und Kraft zur
Lehrbefähigung in der philosophischen Propädeutik verwertet,
bringt doch schon dadurch der edeln Neigung ein Opfer, dafs er
— wenn seine Arbeitskraft nicht so grofs ist, dafs er auch ohne
sie schon ein Oberlehrer-Zeugnis erwerben kann — seine that-
sächliche Verwendbarkeit herabsetzt. Ist das nicht genug? Warum
soll er auch noch dadurch für sie bestraft werden, dafs der Grad
der wissenschaftlichen Bildung, welche er in diesem Fache er-
reicht hat, mit demjenigen, welcher in anderen Fächern für die
mittleren Klassen genügt, offiziell gleichgestellt wird? Diese Gleich-
stellung ist eine Unwahrheit.
Nebenbei die Fakultas für die mittleren Klassen in Geschichte
oder Deutsch zu erwerben ist für den klassischen oder modernen
Philologen, die für Latein oder Französisch für den Historiker
oder Germanisten unvergleichlich leichter, kostet lange nicht soviel
Kopfzerbrechen und ernste echt wissenschaftliche Arbeit, als die
in der philosophischen Propädeutik. Die offizielle Geringschätzung
dieser Lehrbefähigung kann natürlich nur abschrecken. Sie müfste
zu den wichtigsten und wertvollsten gerechnet werden, wobei
selbstverständlich nicht vergessen sein soll, dafs sie ihren hervor-
ragenden Wert nur dann haben kann, wenn sie nicht allein,
sondern zusammen mit einer oder zwei anderen Fakultäten für
die oberen Klassen erworben wird.
Wenn jemandem bei meinen Erörterungen das bekannte Wort
„der beste Unterricht ist der schlechteste" eingefallen ist und
sein Nachdenken in Anspruch genommen hat, so habe ich er-
erreicht, was ich wollte. Natürlich haben wir den „besten'*
Unterricht wieder etwas schlechter zu machen, schlechter im Sinne
derjenigen, welche in der philosophischen Bildung des Lehrers
keinen Gewinn zu sehen vermögen und auch die geschickteste
Aufklärung über die ungelösten Schwierigkeiten, welche die Einheit
des Seins und die der Wissenschaften, welche es zu ihrem Ob-
jekte haben, betreffen, nur als Störung und Verwirrung ansehen
können, während doch die Ordnung und Übereinstimmung, welche
da gestört wird, in Wirklichkeit nur vorgetäuscht ist, nur durch
flache Bedensarten erhallen wird und schliefslich, wenn letztere
nicht dauernd den Sinn für Erkenntnis untergraben, doch zu
Bruche geht und einem begriGTlosen Phantasieren Platz macht.
Greifswald. Wilhelm Schuppe.
ZWEITE ABTEILUNG.
LITTERARISCHE BERICHTE.
1) Hartfelder, M elaacbthoniana Paeda^ogica. Mit eioem Bildnii
MelanchthoDS. Leipzig 1892, B. G. Teuboer. XVIII o. 287 S. 8 M.
2) Monumenta Germantae Paedagogica. Unter Mitwirkung einer
Anzahl von Fachgelehrten herausgegeben von Karl Kehrbach.
Band Xni: Die siebenbärgisch-säcbsischen Schulordnungen
mit Binleituug, Anmerkungen und Register herausgegeben von Fried r.
Teutsch, zweiter Band 1782—1883; LXXXVlll u. 623 S. Berlin
1892. 20 M. — Band V1I1: Braunschweigische Schulordnungen,
heraasgegebeo von Fried r. Koldewey, zweiter Band ; GXIV u. 8 ] 0 S.
Berlia 1890, T. Hofmann fr Comp. 24 M.
1. Nicht ohne ein Gefühl der Webmut zeige ich die unter
^r. l benannte Schrift an, da der Herausgeber seit ihrem Er-
scheinen mitten aus voller Wirksamkeit abberufen ist, weiche noch
manche Frucht aus einem grofsen Arbeitsfelde versprach. Be*
kannllich halte uns der Professor Hartfelder schon den Prae-
eeptor Germaniae (Mon. Germ. Paed. VII) und die Bedeutung der
Humanisten für unsere Schulen (Schmid, Gesch. der Erzieh. II 2)
ge:»childert; vergl. Jahrg. 45, S. 23 — 30 dieser Zeitschr. Er liefert
Dan in den Melanchthoniana eine Ergänzung sowohl zu seinen eben
genannten Werken als zu sonstigen Schriften über den grofsen
Reformator des deutschen Schulwesens, gleichsam ein Urkunden-
bacfa, um seine Schiiderungen durch zeitgenössische Zeugnisse zu
bekräftigen und zu beleben. Den Inhalt hat er nicht nur aus
seltenen Drucken und schwer zugänglichen Gelegenheitschriften,
sondern auch aus Handschriften entnommen, unter denen einige
Mondiner und eine St. Galler sich als besonders ergiebig erwiesen.
Auch die Mehrzahl der schon gedruckten wird man hier gern
vereinigt finden ; nur mufs von vorn herein der irrigen Erwartung
begegnet werden, als ob hiermit der schier unermefsliche Reich-
tarn der Schriftzeugnisse aus jener grofsen Zeit ausgeschöpft sei
und andere grofse Quellenwerke, z. B. das corpus reformatorum,
irgendwie entbehrlich werden könnten. Dieser Anspruch hat dem
Herausgeber durchaus fern gelegen ; er hat offenbar nur gemeint,
durch das Dargebotene das Bild jener deutschen Humanisten- und
Pidagogenweit, insbesondere die Zeichnung Melanchthons mit mehr
]iQ Hartfelder, MelaDchthoniana Paedagogica,
Licht und Farbe auszustatten. Bei weitem nicht alles Gegebene
ist von Melanchthon; unter den Briefen des zweiten Abschnitts
sind dreizehn von ihm, fünfzehn an ihn erlassen. Auch sonst
findet sich namentlich unter den Studentenbriefen in Abschn. IV
vieles, das sich zwar auf ihn, auf seinen gröfseren Genossen, auf
Wittenberg und die Giaubenserneuerung bezieht, aber weder an
Luther noch an Melanchthon gerichtet und nur als gleichzeitiges
Zeugnis von Wert für das Verständnis der damaligen Bewegung
in Kirche und Schule ist. Gerade nach dieser Richtung sind die
Briefe anziehend, in denen Wittenberger Studenten ihrer Ehr-
furclit vor Luther, ihrer Liebe zu Melanchthon, ihrer religiösen
Umwandlung begeisterten Ausdruck gaben. Die hervorragende
Tugend des Philippus, so schreibt ein Wittenberger Student 1524
(S. 124), und sein Lchrgeschick haben dahin gefuhrt, ihm wider
das Herkommen das Rektorat cum maxima gloria zu übertragen,
weiches sonst nur Unverheirateten zuteil werden durfte. Wohl-
thuend tritt in diesem und in ähnlichen Briefen die frische
Glaubensfreudigkeit zu Tage, welche die studierende Jugend vollen
Herzens und aus innerem Drange bekannte, noch unberührt von
den scholastischen Zänkereien, die nach des grofsen Reformators
Tode sein Werk so schwer beschädigten und die letzten Jahre
seines milden und doch innerlich festen Freundes so schmerzlich
verdüsterten.
Wie schon bemerkt, erhebt unser Band keineswegs den^^n-
Spruch, den QuellenstolT für die pädagogische Wirksamkeit Melanch-
thons vollständig zu liefern. Immerhin mufs diese geschickt an-
gelegte Urkundensammlung, welche anziehende Bilder aus jener
grofsen Bewegung des deutschen Geistes bietet, als eine erwünschte
(Ergänzung zu des verewigten Verfassers Melanchthon und auch an
sich als wertvoll gelten. Die Sammlung gliedert sich in zwölf
Abschnitte von ungleicher Länge, unter denen besonders in II
die Briefe von und an Melanchthon, in IH die Aktenstücke zur
Geschichte der Wittenberger Universität, namentlich aber in IV
die Sludentenbriefe, dann in V die Ordnung der theologischen
Promotion für Frankfurt a. 0. (der von den Wittenbergern für
Tübingen gelieferten ziemlich gleich), und unter den Lobgedichten
auf Melanchthon in XII das Enkomion von Edo Hilderich oder
nach des Herausgebers richtiger Ermittelung S. 231 von Hildersen
von Bedeutung sind. Alles ist mit Anmerkungen meist bibliogra-
phischer und litlerargeschichllicher Art ausgestattet, welche von
neuem die sehr achtungswerte Litteraturkenntnis des Heraus-
gebers bekunden.
Ob unter Nr. 1 die beiden erst mitgeteilten Schulordnungen
von Melanchthon selbst herrühren, ist unsicher, obschon sie seinen
Anschauungen entsprechen. Die dritte, von Luther und Melanch-
thon gemeinschaftlich für eine dreiklassige Schule der Stadt
Hei*tzberg aufgestellt, zeichnet sich durch Klarheit und scharfe
aogez. voD W. Sehrader. 111
GliedeniDg aus. Unter den Briefen in Abschn. II liefert der
fierte S. 19, 1521 von Pellikanus (Kärschner) an Melanchthon
gerichtet, eine feine Zeichnung des vorsichtigen Erasmus: Eras-
muB nobtscum est, prudenter scribü et loquitur, ne veritati noti aBsit
fl pmculum nofi uribendi evadat. Expedit, ut sapienter dissmu-
lando mmdiam superet et pramoventis vos in sacris studiis non
änpedcri stnat. Egit sapienter id et catUe nuper cum Aleandro, —
omtiu atque sollicitns ad omnes semper. Non possvm nan cam-
mendare virum. Sed spiritum Lutheri non aequat. £in anderer
Brief, von Melanchlhon 1529 an seinen Bruder gerichtet, bezeugt
die Sehnsucht des Schreibers nach Eintracht unter den Reforma-
toren: „Die beiden Männer, Luther und Zwingli, können nicht
öbereiakomroen, welches doch mein sehnlichster Wunsch wäre.
Herr, wann wirst du Friede in deinem Reich schaffen! — Da
disputieren sie über das Abendmahl, gleich als ob sie in den
Himmel gesehen und Jesum gefragt hätten, wie er die Worte:
das ist mein Leib! verstanden habe. — Genug wenn wir nur wissen
und glauben, was zu unserem Heile nötig ist''. Und dieser Mann
des Friedens, dessen Gegenwart bei einer kirchlichen Disputation
selbst katholischen Professoren erwünscht schien (Hartfelder Me*
lanchth. S. 515), hält gleichwohl bei Abfassung der Augustana
seine Überzeugung selbst gegen Glaubensgenosen mit aller Selb-
ständigkeit fest, auch hier freilich zur möglichen Förderung der
Aussöhnung, womit er bekanntlich auch die volle Anerkennung
des abwesenden Luthers gewann.
Wichtig für die Methode des lateinischen Unterrichts ist so-
wohl der Brief, mit welchem die Lehrer der Torgauer Schule 1537
ihr Hilfsbuch Melanchthon widmen (Nr. 19 S. 49), als das Schreiben
Melanchthons 1538 an die Zwickauer Schuljugend (Nr. 24 S. 63).
Es ist der Freund der Jugend und der nie übertroffene Alt-
meister der Pädagogik, welcher die grammatische Unterweisung
mit den Worten empfiehlt: Äc plurimum refert semina gramma-
twes reete initio accipi, de quibtis etsi sdo quosdam hone habere
fenuastonemy sine regulis Latinam linguam ex kctione eorum, qui
reete locuti swU, et ex consuetudine loqnetidi disci posse: tarnen oro
et obtestar non solum eos, qui docent, sed etiam magistratus, qui
isupicnint studia iuventutis, ut acerrime ptignent, ut iuventus ad
regulas grammatices asmefiat, quod multis de causis necessarium
est. Etsi enim lectio suppeditat sermonem, volo enim et ipse addi
leäianem et loquendi consuetudinem, tarnen hi, qui sine regulis
qiialicunque verborum copia instructi sunt, quia saepe dubitant,
qiuomado verba iungenda sint, cum aetas firmior pudorem adferet,
nee scnbere nee loqui audebunt, und was er dann weiter über
die zum Verständnis des Sinnes unentbehrliche grammatische
Skberheit vorschreibt, und wie er diese Vorschrift ebenso klar als
»ffnig an den ersten Worten des Johannisevangeliums erläutert.
Möchten sich dies doch die gesagt sein lassen, welche heute so
112 Monnmeatt Germaniae Paedagogica,
unerfahren und so sinnlos gegen den grammatischen Unterricht
anstürmen und die Sprachlehre nicht nur zur dienenden Helferin
— das wäre in gewisser Form noch erträglich — , sondern zum
Notknecht, zur leidigen Krücke im klassischen Unterricht herab-
setzen wollen! Als ob die Sprache nur ein Verkehrsmittel und
nicht vielmehr der feinste und vollständigste, ja in dieser Aus-
dehnung der einzig mögliche Abdruck des volksartig und geschicht-
lich gewordenen Menschengeistes und als ob die Sprachlehre
etwas anderes wäre als die geordnete Analyse dieser obersten und
reichsten Geistesschöpfung.
Anziehend und von wohlthuender Frische sind die von
S. 110 — 146 Abschn. IV mitgeteilten Briefe suddeutscher Studenten
aus und über Wittenberg, welche zwar die Annehmlichkeiten
ihrer Heimat vermissen (S. 114: deest enim studiosis, nämlich in
Wittenberg, quicquid a literis eos avocare posset: loois inamoennsy
papulus incidtus, haud splendidae mensae, et quod potisstmum alienat
a Musis, Bacchus ignotus est und S. 140: nihil ego magis a Deo
optarim, quam ut hie liceret perpetuo vivere, incommoda nostri
potus pensant alia innumera hotia), aber sich glücklich preisen,
mit Luther und Melanchthon sein zu können. Der lateinische
Ausdruck dieser Briefsteiler ist öfters fehlerhaft, aber flüssig und
bequem.
Wichtig für die Geschichte unserer Universitäten ist der S. 147
mitgeteilte, wenn nicht von Melanchthon allein, so doch von den
Wittenberger Tbeologen überhaupt ausgehende Entwurf einer
theologischen Promotionsordnung für Frankfurt a. 0. von 1546,
ähnlich den gleichartigen Gutachten, die Melanchthon und Came-
rarius für Königsberg und Tübingen geliefert hatten. Die S. 150
nicht enträtselten Buchstaben de R. 0 mögen doch de reditu
Christi bedeuten.*)
Weshalb unter den S. 158 — 166 mitgeteilten Gedichten Me-
lanchthons die beiden ersten schon in desselben Verfassers Me-
lanchthon S. 648 veröffentlichten hier nochmals abgedruckt sind,
ist nicht einzusehen, unter den Lobgedichten auf Melanchthon
nimmt das schon erwähnte von Hildersen nach Umfang und Inhalt
bei weitem den ersten Rang ein; die übrigen sprechen meist in
epigrammatischem, übrigens geschmeidigem Ausdruck die Vereh-
rung aus, welche Melanchthon in den weitesten Kreisen genofs.
2. Dem ersten Bande der siebenbürgisch-sächsischen Schul-
ordnungen, welcher die Zeit von 1543 — 1778 umfafst (vgl. diese
Zeischr. Jahrg. 42, S. 675), hat der Herausgeber Herr Dr. Fr.
Teutsch, jetzt Seminardirektor in Hermannstadt, 1892 den zweiten
*) Die Vermatong Hartfelders, dafs in den Worten des Gelenins S. 60
hie (i. 0. Ariitophanes ) unus in eommuni crimine impetravit veniantj
rnmirum praerogativa Aiticae eloquentiae za lesen sei praerogativamt scheint
mir nicht zutreffend, wenn die Worte bedeaten: nämlich wenn die attische
Beredsamkeit entscheidet.
«Dgez. von W. Schrader. 113
6)od folgen lassen; dieser bietet in gleicher Vollständigkeit die
«icbligsten Urkunden über die Enlwickelung und leider auch die
Bedrängnis der deutschen Schulen in Siebenburgen bis 1883.
Aach an diese Erscheinung knüpft sich nach zweifacher Richtung
eine wehmutige Empfindung, zunächst sofern sie dem Vater des
Herausgebers, D. Georg Daniel Teutsch, dem Bischof dor
evangelischen Landeskirche Augsburgischen Bekenntnisses in Sieben-
burgen, gewidmet und dieser hochverdiente Mann seitdem heim-
gegangen ist. Seiner hat der Dr. Hermens in den deutsch-evan-
^ischen Blättern von 1893 S. 555 in ebenso gerechter als warmer
Weise gedacht. Noch mehr stimmt die Wahrnehmung zur Trauer,
daCs die deutschen Schulen jenes Landes, welche sich früher des
iesoitismus zu erwehren hatten, seit 1848, besonders aber seit
iS6S durch den vordringenden Magyarismus gefährdet werden
trotz des Schutzes, den sie hiergegen im 43. Artikel des Gesetzes
aber die Vereinigung Ungarns und Siebenburgens hätten finden
sollen; vgl. S. 427 dieses Bandes.
Nicht weniger als 131 Aktenstücke, Schulordnungen und
Stondenpläne, Reformentwurfe, endlich auch Vorstellungen g(*gen
nitionale Bedrängung sind in dem neuen Bande enthalten, ver-
sehen mit einer Einleitung über ihren Anlafs, ihre Verfasser und
die Art der Abfassung. Diese Einleitung entspricht zwar nicht
völlig dem Wunsche nach einer pragmatischen Darstellung des
Mclttisch-siebenburgiscben Schulwesens, welchen ich in der An-
zeige des ersten Bandes geäufsert habe; aber sie ist wohl ge-
eigoet, den aufmerksamen Leser über die einzelnen Stadien dieses
eigenartigen Schul- und Geisteslebens zu unterrichten. Vielleicht
entschlieCst sich der geehrte Herausgeber doch noch zu einer
solehen gesonderten Arbeit; sie wurde um so anziehender sein,
>ls er in der Vorrede S. I mit Recht bemerkt, dafs die Geschichte
dieses Schulwesens mit der gesamten Geistesentwickelung des
dortigen Volksstammes in engster Verwandtschaft steht. Auch in
der vorliegenden Gestalt liefert das Werk ein klares Bild des
nstlosen und doch besonnenen Strebens, mit welchem jene Volks-
vf, zähe und aufgeschlossen zugleich, ihre Kirche und Schule als
hoheitlichen Bau weiter zu führen und zu schützen bemüht war.
Aoch was schon für die frühere Zeit bemerkt werden durfte, dafs
dieser Baa in stetigem Hinblick auf die geistigen Schöpfungen des
grofsen Mutterlandes entworfen und befestigt sei, giebt sich hier
vieder deutlich zu erkennen. Deutsche Anregungen, deutsche
Methoden und Schulbücher begegnen uns überall, sei es in der
nihigen Schularbeit oder in dem Kampfe um die Erhaltung deut-
xber Sprache und deutschen Volkstums, und diese Verbindung
nährt trotz aller trüben Erlebnisse die Hoffnung, dafs das so
tapfpjr und einsichtig verteidigte Kleinod des sächsischen Stammes
SQDem Wesen nach sich durch alle Drangsale erhalten werde.
Unter den mitgeteilten Urkunden, welche eine wachsende
Zettidtf. 1 d. Gymnasialwesea XFiTUI. 3. 3. 3
114 MoDumeota GermtDiae Paedago^ica,
Klarheit über die Aufgabe, die Gliederung und die Mittel der
höheren Schulerziehung erkennen lassen, treten einige als beson-
ders wichtig hervor. Hierzu möchte ich zunächst die neue Ord-
nung für die sächsischen Landschulen in dem Burgenländer Distrikt
von 1791 rechnen (Nr. 84 S. 82), welche ihre äufseren und in-
neren Angelegenheiten, die Wahl der Unterrichtsfächer und be-
sonders die Schulaufsicht genau regelt und der methodischen
Vorschriften mehr als gut ist bietet, auch dies in Nachahmung
der Bestrebungen, zu denen sich im Mutterlande die Schulen des
Philanthropinismus bekannten. Ähnlich fällt in den Schulgesetzen
des Kronstädter Gymnasiums (Nr. 88 S. 122), welche eine Er-
weiterung der von dem verdienten Honterus (Bd.! S. XXXI)
gegebenen Vorschriften enthalten^ die kasuistische Aufzählung der
Vergehen, dazu die häufige Anwendung der Geldstrafen auf. Aus
dem Volksschulplan des D. Neugeboren von 1821 (Nr. 95
S. 189) hebe ich den Vorschlag hervor, dafs niemand ein Pfarr-
amt erhallen solle, der nicht zuvor Lehrer gewesen sei. Nach
der Bildung eines besonderen Lehrstandes für die höheren Schulen
seit F. A. Wolf und bei der leidigen, womöglich noch immer
wachsenden Zersplitterung der Lehrfakultäten wurde dies bei uns
nicht mehr durchführbar sein; aber leugnen läfst sich nicht, dafs
dieser Durchgang auch einige Vorteile für beide Ämter schaffen
und namentlich unsere Gymnasien vor manchem Angriffe schützen
wurde, den sie jetzt aus Unkenntnis ihres Lebens so häufig aus
der Mitte der Geistlichkeit erfahren. Übrigens liefert dieser Plan
und noch mehr der folgende (Nr. 96 S. 26), welcher sich wesent-
lich auf das Gutachten des Konrektors Binder zu Schäfsburg
stutzt (Einl. S. XXXVl ff.), den Beweis sorgfältigen und sach-
kundigen Nachdenkens, in der Gliederung auch Bucksicht auf die
psychologischen Stufen der Jugendbildung, so manches in ihnen
uns auch fremd anmutet. Wiederholt treten uns Ansätze zur
Gründung einer mit den obersten Schulklassen irgendwie zu ver-
bindenden juridischen Fakultät entgegen, sehr erklärlich bei der
Abgelegenheit der dortigen Bewohner, welche häufig genug zum
Besuche der deutschen Universitäten weder die Zeit noch die
Mittel hatten, auch sonst hierbei manchem Hindernis begegnen
mochten. Von Bedeutung sind auch die unter Nr. 106 und 107
erwähnten gegenseitigen Besuche der Schulen, dort Lustrierungen
genannt; nichts kommt der Schule mehr zu gute, als dafs kundige
und von Liebe zur Sache erfüllte Männer sich unter einander
über die wahrgenommenen Mängel und Vorzüge verständigen.
Unter Nr. 1 17 S. 385 werden mit richtigem Blicke die Bedenken
dargelegt, welche gegen das von Bonitz und Exner entworfene
Organisationsstatut überhaupt und insbesondere gegen seine Ein^
fuhrung in die siebenbürgischen Gymnasien obwalteten. An die
unter Nr. 123 u. ff. mitgeteilten Vorstellungen gegen das Auf-
drängen des Unterrichts in der magyarischen Sprache knöpfe ich
anges. von W. Scfarader. 115
bei aller Anerkennung der reichen Anlagen dieses Volkes die
Hoffnung, dafs das Uorazische Graecia capta u. s. w. sich auch für
unsere Landsleute so weit bewähren werde, um ihnen ihre Eigen-
art EU schützen. Immer noch iafst sich trotz mancher Rock-
ond Querschritte, trotz zeitweiliger Verdunkelung der obersten
Unterrichtazwecke und trotz falscher Nachgiebigkeit gegen unklare
Zeilsti'ömungen wohl behaupten, dafs das höhere Schulwesen in
Deutschland nach Einheit, Gliederung und Wahl der Mittel den
mebten voran — , keinem nachsteht.
Unter den verdienten Schulmännern dieser Zeit sind beson-
ders die schon genannten Neugeboren, Binder und der Bischof
Teutsch zu 'erwähnen. Eine wohlthuende Erscheinung ist der
Jugcodbund, der sich dort 1848 bildete und in idealer Weise um
die Hebung der Volksbildung bemühte; schmerzlich freilich, dafs
seine beiden Leiter, Roth und Fabini, ihre Beteiligung an diesen
Kämpfen mit dem Leben bufsten. Wenn manches in den vor-
gelegten Plänen und Entwürfen unbeholfen erscheint, so erklärt
sich dies leicht aus der dortigen Äbgescbiedenheit; überall ist aber
eine verständige und zugleich gemötswarme Abwägung der Ent-
sdieidungsgrunde sichtbar. Unrecht würden wir thun, wenn wir
lediglich die deutschen Unterrichtsnormen dort wiederzusehen er-
warteten; jene Schulen haben für mancherlei Bedürfnisse zu
Mrgen, auch mögen die Mittel spärlich fliefsen. Aber das Streben
dieser Volksart ist hochachtbar, und ich spreche zum Schlüsse
nochmals meine Freude darüber aus, dafs ihre Schulordnungen
in das grofse Sammelwerk aufgenommen und dafs diese von so
sachkundiger tJand und mit so warmem Herzen vor uns ausge-
breitet sind.
3. Dem zweiten Bande der braunschweigschen Schulordnungen
von Dr. Koldewcy gebührt dasselbe anerkennende Urleil wie
dem ersten; er bringt einen reichen, gut gewählten und wohl-
geordneten Stoff, beweist eine ansehnliche Quellen* und Litteratur-
kenntnis und liefert zu der Geschichte des deutschen Schulwesens
einen wertvollen Beitrag von wissenschaftlichem Gepräge. Die
Einleitung dient der Erläuterung der nachfolgenden Urkunden
Bnd giebt hierin einen Überblick über die Entwickelung der braun-
schweigischen Schulen mit Ausschlufs der in dem ersten Bande
behandelten Hauptstadt, obschon gelegentlich auch deren Einrich-
longen gestreift werden; sie beschreibt hierbei die verschiedenen
Arten von den anfanglichen Stifts- und Klosterschulen bis zu den
heut bestehenden Schulgattungen ^twa bis 1830 nach ihrer all-
gemeinen «Gestalt, ihren Mitteln, ihrem gegenseitigen Verhältnis.
Wenn seitdem ihr inneres Leben und Wirken manche Änderung
and Förderung erfahren hat, so wird hierdurch ihre gesetzliche
Form wenig berührt. Eine zusammenhängende Schulgeschichte
wird hiernach freilich nicht überflüssig; innerhalb dieser würde
auch eine beurteilende Musterung der jeweiligen Schulbücher und
8*
11g Monumenta Germaniae Paedag^ogpica,
Unterrichtsmittel unentbehrlich sein. Der Herr Herausgeber hat
diese Aufgabe, deren Bedeutung und Schwere er in der Vorrede
S. VIIl f. richtig schildert, als zu wenig vorbereitet noch von der
Hand gewiesen; es ist mein dringender Wunsch, dals er für sie
später noch Zeit und Neigung gewinne. Bei aller Anerkennung
der Leistungen, welche wir auf diesem Gebiete Specht, Kämmel,
G. Schmid u. a. mehr freilich für die Pädagogik als für das Leben
in der Schule selbst verdanken, sind wir noch weit entfernt Ton
einer pragmatischen Geschichte unseres Erziehungswesens, welche
dessen Bahnen und Bedingungen, seine wechselnden und doch
geschichtlicher Notwendigkeit entspringenden Gestalten und
seinen Zusammenhang mit der Gesamtentwickelung des nationalen
Geistes verständlich machte. Dafs in einer solchen Geschichte,
welche sich naturlich nicht auf ein einzelnes Landesgebiet be-
schränken könnte, die Lehrbücher, sowohl Mittel als Schöpfungen
des Unterrichts, eine eingehende Betrachtung verdienen, bedarf
des Beweises nicht.
In der Einleitung, welche die Schulgesetzgebung des Landes
in sieben Abschnitten beschreibt, werden die niederen und höheren
Schulen nicht gesondert, da beide ursprünglich in den Trivial-
schulen einen gemeinsamen Boden haben und überdies wichtige
Vorgänge, so die Schulordnung des hochverdienten Herzogs Julius
von 1569 S. 25—78 und des Herzogs August von t651 S. 144
bis 168, sich auf beide Gattungen erstrecken. Einzelnen Anstallen,
welche an sich oder nach ihrem Einflufs von Bedeutung waren,
so dem Pädagogium zu Gandersheim, das die eigentliche Pflanzschule
der späteren Universität in tielmstedt bildete, der Klostei*schule in
Walkenried, den Schulen und der Ritterakademie in Wolfenbültel, ist
eine breitere Betrachtung gewidmet; ihi*e Ordnungen liefern ein
lebendiges und belehrendes Bild der damaligen Einrichtungen und
Erziehungszwecke. Manches bestand vorübergehend, wenn auch
nicht ohne Wirkung; hierzu ist das philologisch - pädagogische
Seminar zu rechnen, welches Wiedeburg an der Helmstedter
Stadtschule und neben der dortigen Universität errichtete, mit
deren Aufhebung 1810 auch dieses Seminar einging; vgl. S. LXVH
u. 463 — 477. Wenn in früherer Zeit die Vermehrung der Kennt-
nisse neben der Erziehung zu Sitte und Ordnung das Hauptziel
war, so setzte sich dieses Seminar die Bildung der geistigen Kraft
zum allgemeinen Zwecke. Der Herr Herausg. hat ganz Recht mit
der Bemerkung, dafs ich diese Anstalt in meinem Aufsatze über
pädagogische Seminare (Schmiffs Encykl. V) übersehen habe; sie
hätte mir um so eher bekannt sein sollen, als ich später selbst
das Gymnasium in Helmstedt besucht und dort auch die Vorteile
der Stiftung genossen habe, welche von der brandenburgischen
Prinzessin Anna Sophia an dem Gymnasium in Schöningon be*
gründet und von dort nach Helmstedt übertragen wurde; vgl.
S. LXXVIH u. 177.
angez. von W. Schrader. 117
\iiz\ebeud ist S. CXXXI dargestellt, wie gering trotz Campes per-
sönticbem Einnusse die Wirkung, namenllich die Nachwirkung des
PhWanlhropmismus im Herzogtum gewesen ist; dies mag uns ein
Trost unter den Bekümmernissen sein, welche heute über uns
durch die Versuche und zeitweiligen Erfolge ungeberdiger Schul-
verbesserer heraufgeführt werden. Umgekehrt ist die Wahrneh-
mang erquickUch, dafs die Ordnung der Maturitätsprüfungen an
den braunschweigischen Gymnasien nicht sofort von oben herab
vorgeschrieben wurde, sondern sich allmählich und in Freiheit an
den einzelnen Anstalten bis zu allgemeinen Normen entwickelt
hat. Ich kann aus eigener Beobachtung versichern, dafs die For-
derungen in dieser Prüfung z. B. an dem Gymnasium in Helmstedt
nicht geringer, die Leistungen in den sprachlichen Fächern höher
wenn auch nicht so gleichförmig waren, als dies bei uns heut
zn Tage der Fall ist. Nicht ebenso möchte ich über die Prü-
fungen der Schulamtskandidaten urteilen; der damalige Mangel an
einheitlichen Bestimmungen hat sicher manchem Unberufenen den
Zugang zum Lehramt erleichtert. Nur dafs auch hier die Gleich-
mäl^igkeit nicht übertrieben und den Prüfungsbehörden eine nicht
zu eng bemessene Freiheit verstattet werden sollte! Da das
Prüfungsgeschäft jetzt überwiegend in den Händen der Universitäts-
lehrer liegt, so ist nicht zu besorgen, dafs die Fachbildung der
Wünftigen Lehrer zu kurz komme. Es mufs nur irgendwie dafür
gesorgt werden, dafs auch der allgemeinen und einheitlichen
Geistesentwickelung ihr Recht innerhalb der Prüfung werde. In-
des ist diese Frage zu schwierig und inhaltsreich, um hier auch
nur andeutungsweise behandelt zu werden. Wichtig sind hierfür
die mitgeteilten Protokolle und Zeugnisse über die Lehramts-
prüfungen von 1653 — 1815 S. 541 fT.: auch abgesehen von ein-
zelnen Dokumenten der Unwissenheit zeigen sie deutlich, wie man
von geringen und einfachen Forderungen zu wissenschaftlicher
Strenge und Vervielfältigung fortgeschritten ist. Arbeiten und
Präfungsergebnisse aus den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahr-
hunderts, welclie ich früher durchzusehen Gelegenheit hatte, er-
reichten nicht ganz das Mafs der Kenntnisse, welche unseren
abgehenden Gymnasiasten nach den Prüfungsordnungen von 1834
und 1856 abverlangt wurden. Jene Zeit fiel freilich vor die
Wirksamkeit des grofsen Wolf.
Auch in anderer Richtung ist der Vergleich zwischen früher
und jetzt lehrreich : unser Buch teilt verschiedene Speiseordoungen
mit, so namenllich für das Pädagogium in Gandersheim S. 104
und für das Alumnat in Walkenried S. 176. Es erhellt aus ihnen
klar genug, daOs die Jugend in jenen Schulen damals reichlichere
Kost erhielt, als dies jetzt innerhalb und aufserhalb solcher An-
stalten die Regel ist. Dieselbe Beobachtung ergiebt sich aus dem
Küchenzettel des 1701 zu Königsberg gestifteten Waisenhauses,
selbst aus der Speiseordnung der Freitische an der Halleschen
Ilg E. Horo, DispiitatioDen ao den deutschen Universitäteo,
Univcrsiläl um 1700, wiewohl diese doch wahrlich nicht auf
Üppigkeit berechnet waren. Dergleichen Thatsachen verdienen
auch Ueachlung, wenn man das Aussehen unserer heuligen Jugend
allzu schmächtig finden will.
Für die Kenntnis des braunschweigischen Schulwesens liefert
unser Werk reichen Stoff; wenn sich doch hierzu eine wissen-
schaftliche Geschichte der zu ihrer Zeit so bedeutenden Helm-
stedter Universität aus berufener Feder gesellen wollte! Jenes
Schulwesen hat sich, der Eigentümlichkeit des Landes entsprechend,
im ganzen stetig und konservativ entwickelt und verdankt diesem
Gange unschätzbare Vorteile. Der Kenntnis dieser Entwicklung
dient auch eine kleinere Schrift desselben Verfassers, auf welche
ich mir gestatte hiermit aufmerksam zu machen. Dies ist die
landeskundliche Litteratur auf dem Gebiete der Kirche und des
IJnterrichtswesens im Herzogtum Braunschweig, welche der Verein
für Naturwissenschaft zu Braunschweig in seinem VH. Jahres-
berichte veröfTentlicht hat.
Halle a. S. Wilh. Schrader.
ß. Hörn, Die Disputationen und Promotionen an den deutschen
Universitäten, vornehmlich seit dem 16. Jahrhundert. Mit einem
Anhangs, enthaltend ein Verzeichnis aller ehemalij^en und gegenwärtigen
deutschen Universitäten. Leipzig 1S93, 0. Harrassowitz. 8.
Wenn Hörn von seiner Schrift sagt fKafAijaszai v^g fiäXXov
^ ln$fiij<f€Tai, so hat er recht mit der Annahme, dafs wohl keiner
ihm seine Arbeit nachmachen wird; denn tausende von alten
Dispulationsschriften und Dissertationen auf ihre Titelblätter, ihren
Inhalt uud ihre Beigaben hin gründlich durchzustudieren, das ist
weder eine kleine noch eine lockende Arbeit Dagegen hat er
das fji(io(iä<fd'ak kaum zu befürchten, ist es ihm doch gelungen,
aus spr5dem StoiT die Farben zum anschaulichen Bilde eines
wichtigen Teiles des früheren Universitätsunterrichtes zu gewinnen
und dadurch ein wertvolles Hülfsmittel für die Bibliographie der
Universitäten und einen sehr schätzenswerten Beitrag zur Ge*
schichte der Pädagogik zu liefern.
Die Grundlinien dieses Bildes sind folgende. Die Universitäten
haben seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine wesent-
lich andere Stellung und Bedeutung, als sie vor dieser Zeit hatten.
Während sie jetzt Forschungsanstalten sind, fiel ihnen in der Zeit
vom 14. — 17. Jahrhundert die Aufgabe zu, die heutzutage die
Gymnasien und anderen höheren Lehranstalten haben, nämlich
den überkommenen wissenschaftlichsn Stoff besonders in der Ge-
stalt, wie ihn die Schriftsteller des Altertums und ihre Erklärer
festgestellt haben, vorzutragen; ferner sollten sie die Studenten
in den Stand setzen, ein zu beweisendes Thema nach allen Regeln
und mit allen Künsten der Dialektik zu behandeln. Das docere
und disputare sind also die beiden Bestandteile des akademischen
angez. von H. Schmitt. 119
DnterriGhts gewesen. Das Dozieren vollzog sich in den Vor-
lesungen (lectiones, lecturae, scholae), die zum gröfsten Teil
öffentlich waren. Durch die Vorschriften der Universitätsstatuten
war den Professoren aufgetragen, an bestimmten Wochentagen zu
bestimmten Stunden bestimmte Bücher ihres Faohes zu lesen, zu
analysieren, zu interpretieren. Da kursorisch gelesen wurde über
eine Disziplin, die sich mehrere Jahre hindurchziehen konnte, so
war es leicht möglich, dafs die Studenten, die kamen und gingen,
bei einer solchen Lehrweise nur bruchstücksweise Einblicke in
die verschiedenen Zweige ihrer Wissenschaft erhielten. Um diesem
Lbelstande abzuhelfen, richtete man Privatvorlesungen ein. Wäh-
rend die öffentlichen Vorlesungen in den Auditorien der Uni-
versität gratis gehalten wurden, versammelten sich die Studenten
zu diesen in einem privaten Räume, etwa im Hause des Pro-
fessors, und bezahlten ihn für die hier gehaltenen Vorträge be-
sonders. Wichtiger beinahe als die Vorlesungen waren die Dis-
putationen, denen man, wie es scheint, einige Tage in der
Woche ganz und von den übrigen Tagen die Zeit widmete, die
nicht durch Vorlesungen in Beschlag genommen war. Der Zweck
der Disputationen war ein doppelter, ein objektiver und subjektiver;
sie zielten erstens auf die Ermittlung der Wahrheit, zweitens auf
dialektische Fertigkeit und Handhabung der Autoren ab. Der Form
nach unterschied man disputationes publicae, circulares und
privatae.
Bei den disputationes publicae ging es folgendermafsen her.
Durch öffentlichen Anschlag war bekannt gemacht, dafs nach acht
Tagen unter dem Vorsitze des Praeses N (meistens eines Pro-
fessors) der Respondens N (ein dem Professor - Praeses nahe-
stehender Student) über die gleichfalls öffentlich angeschlagenen
Thesen (später wurden aus den Thesen vollständige Disputations-
schriften mit angehängten Thesen) disputieren werde. An dem
betreffenden Tage war das Auditorium festlich geschmückt, die
Subseliien waren mit Teppichen belegt; auf dem oberen Katheder
safs der Professor-Präses; auf dem unteren stand vor ihm der
Respondent; diesem gegenüber nahmen die zwei oder drei ordent-
lichen Opponenten Platz. Die Corona bildeten die Professoren,
Magistri und Baccalarien der Fakultät, alle in Amtstracht; zu-
gegen waren auch der Dekan als Aufsicht führende Amtsperson
und, seiner Befehle gewärtig, die Pedellen. Der Präses eröffnete
die Disputation, die opponentes ordinarii brachten ihre Einwände
gegen die Thesen vor; der Respondent antwortete. Es folgten
die Einwände der aufserordentlichen Opponenten, der Professoren
nnd Magistri der Corona, nach Rang und Alter; jedem war dabei
eine bestimmte Zeit und eine bestimmte Anzahl Argumente zu-
gemessen. Der Präses gab Acht, dafs die Ordnung aufrecht er-
halten und nach der Regel verfahren wurde, bisweilen half er
auch dem von ihm bestellten Respondenten ein. Zur Abhaltung
t20 K. Ilorn, Dispotatiooeo an deu deatschea Universitäten,
einer Anzahl von solchen disputationes publicae waren die Pro-
l'HSSoren aller Fakultäten verpflichtet; sie waren die Verfasser der
Thesen bezw. der Disputationsschriflcn, für deren Druck die Uni-
versiiät sorgte oder wenigstens den Professoren bestimmte Beträge
zahlte; sie hatten sich auch den Respondenten zu beschaffen;
fanden sich keine freiwilligen Uespondenten, so nahm man sie
aus der Zahl derer, die eine der drei akademischen Wurden, des
Uaccalareats, der Licentiatur, des Doktorats erstrebten. Diese
Art der disputationes publicae hiefsen ordinariae. Viel zahlreicher
waren die nun zu besprechenden disputationes publicae extra-
ordinariae. Die Studenten hatten in einer Reihe von Fällen ein
Interesse daran, als Respondenten aufzutreten; dann wandten sie
sich an einen ihrer Professoren mit der Bitte, eine dispulatio
publica zu veranstalten und als Präses zu fungieren. Auch in
diesen Fällen verfafste meistens der Professor, selten der Respon-
dent die Thesen bezw. die Disputationsschrift; im übrigen verlief
die Disputation in derselben Weise wie bei den disputationes
ordinariae, nur dafs hierbei die Respondenten für die Druckkoslen
aufkommen mufsten. Die Disputationsschriften waren somit für
die Professoren eine gunstige Gelegenheit, die Ergebnisse ihrer
Studien auf billige Weise zur Drucklegung zu bringen und ihnen
die Feuertaufe der ersten Kritik zuteil werden zu lassen. Solcher
Anlässe zur Veranstaltung von Disputationen gab es für die Stu-
denten folgende: erstens mulslen alle, die baccalarei, licentiati
oder doclores werden wollten, nachweisen, dafs sie in einer be-
stimmten Anzahl von Disputationen als Respondenten aufgetreten
waren; ferner diente der durch die Disputationsschrift erbrachte
Nachweis (die öfl'entliche Bekanntmachung der Disputation war
zugleich Titelblatt zu den Thesen oder der Disputationsschrifl) in
manchen Staaten geradezu als Fakultätsexamen, so in Sachsen,
wo man auf Grund solcher juristischen Disputationen zur niederen
Gerichtspraxis zugelassen wurde; sodann galten diese Disputations-
schriften als specimina eruditiouis zur Erlangung von Stipendien
oder als Zeugnisse des Studienfleifses Eitern, Verwandten und
Gönnern gegenüber; auch pflegte man, wenn einer zu einer
anderen Universität überging, die Abhaltung einer Valedictions-
disputation zu veranlassen und die Schrift, auf der man als Re-
spondent genannt war, als eine Art Studienzeugnis dorthin mit-
zunehmen; manche wohlhabende und dialektisch geschulte Studenten
veranlafsten eine Disputation wohl auch aus reiner Lust am Dis*
puderen; endlich pflegte man hochstehenden Persönlichkeiten, die
die Universität mit ihrer Anwesenheit beehrten, das Schaugepränge
einer Disputation als eine Art Paradestück vorzuführen. Wegen
der Entfaltung dieses Prunkes hiefsen die disputationes publicae
auch solennes; die ordinariae waren durchweg solennes, bei den
extraordinariae schenkte man sich bisweilen, wohl um der Kosten
willen, die Entfaltung des Prunkes. — Abweichungen von dieser
an^ez. von H. Schmitt. 121
{*e«^&hDlichen Ordoung der Dispulatioaeii fanden nur in seltenen
Fällen statt, hauptsächlich in folgenden. In manchen öffentlichen
Disputationen, die wohl durch die Universitälsstatuten genauer
bestimmt waren, fungierten Baccalarien oder Magistri als Präsiden.
Ferner ^cnn ein Student eine der akademischen Wurden erringen
wollte, so mufsle er zu der betreffenden Inauguraldisputation die
Thesen oder die Disputationsschrift liefern und disputierte ohne
Präses vom unteren Katheder aus. Umgekehrt wenn ein Doktor
üch als Professor habilitieren wollte, so disputierte er über die
ron ihm verfafslen Thesen oder die Schrift vom oberen Katheder
herab als Präses ohne einen Respondenten.
Da die disputationes puhlicae für die Studenten vielfach sehr
kostspielig waren, manche auch wohl die Öffentlichkeit abgeschreckt
haben mag, so scheint es, als ob dadurch ihre Frequenz allmählich
abgenommen habe und als ob daneben eine einfachere, minder
kostspielige Form aufgekommen sei, nämlich die disputationes
circolares. Darunter sind Übungen zu verstehen, die ein ge-
schlossener Kreis von Studenten, ein „Disputierkränzchen'^ unter
der Leitung eines Professor- Präses anstellte, und zwar unter Zu-
grundelegung eines Autors (z. B. der Institutionen), der durch-
disputiert wurde, oder von geschriebenen Thesen oder einer
diktierten Streitschrift. Der Name erklärt sich daraus, dafs die
Mitglieder in einem bestimmten Zirkel, d. h. in einer durchs Los
bestimmten Folge abwechselnd als Respondenten oder Opponenten
thätig waren. Den Vorsitz führte ein Professor, den die Studenten
sich wählen konnten, aber nicht besonders zu honorieren brauch-
ten, weil die Professoren für diese Zirkulardisputationen einen
Teil ihres Gehaltes bezogen; auch hier stammten die strittigen
Salze oder die Streitschrift meistens von dem Professor-Präses
her; doch kam es bisweilen vor, dafs über Arbeilen der Teil-
nehmer disputiert wurde. Diese Übungen fanden in einem Audi-
torium der Universität statt unter Anwesenheit von Zuhörern, die
sich jedoch, anders als bei den öffentlichen Disputationen, stumm
verhielten.
Aber selbst diese vereinfachte Art der Disputationen mochte
schüchternen Naturen noch zuwider sein. Hatten sie das nötige
Geld, so veranlafsten sie den einen oder andern Professor, wie
private Vorlesungen so auch private Disputationen zu veranstalten.
Für diese disputationes privatae mufsten sie natürlich besonderes
Booorar zahlen ; der Verlauf derselben war im übrigen wohl der-
selbe _wie bei den Zirkulardisputationen.
Ähnlich wie an den Universitäten wurden die Dispulations-
übungen auch an den akademischen Gymnasien, jenen nicht voU-
berecdbtigten Universitäten, insofern als sie die akademischen
Wurden nicht verleihen konnten, gehalten. — Schon frühe kom-
men Klagen vor ober den abusus disputandi, über Spiegelfechterei
und leeres Scbarigepränge bei dieseu Disputationen. Die Achtung
122 ^* BftumaoD, Volksschnlea etc.
vor diesen Übungen sank daher allmShIicb, ihre Frequenz nahm
mehr und mehr ab. Vergeblich war es, dafs zu Ende des 17. und
im Anfang des 18. Jahrhunderts eine Anzahl Hallenser Professoren
der leeren Form neuen Gehalt zu geben suchten; ein neuer Geist
war seit dem dreifsigjährigen Kriege in die studentische Jugend
gefahren; auch die Bemühungen jener Männer konnten den Dis-
putationen ihre alte Bedeutung an den Universitäten nicht wieder-
geben. Nur ein spärlicher Rest dieser einst so eifrig gepfleg-
ten Übungen hat sich auf einigen Universitäten in der öffentlichen
Disputation aus Anlafs der Doktorpromotion bis in die Jetztzeit
erhalten, ebenso wie es bis in den Anfang unseres Jahrhunderts
an einigen süddeutschen Universitäten noch Sitte war, dafs die
Doktordissertationen von den Professoren verfafst oder doch über-
arbeitet wurden.
Dies die wichtigsten Ergebnisse der auf einem umfassenden
Studium beruhenden, überaus sorgfältigen und durchweg mit über-
zeugender Beweiskraft geschriebenen Ausfuhrungen des Verf.s über
die Disputationen. Sie haben ihn unvermerkt auf die Promotionen
hingeführt, und nachdem er vorher gelegentlich über das Wesen
und den Ursprung der drei akademischen Grade gehandelt hat,
spricht er in den letzten Abschnitten seines Buches über deren
weitere Entwicklung und die Doktorpromotionen einst und jetzt.
Hervorheben möchte ich aus diesen Kapiteln die lehrreichen und
teilweise ganz Neues bringenden Abschnitte über die doctores
bullati und die doctores legitime promoti sowie über die Privi-
legien, die den Doktoren zustanden. Wichtig und teilweise neu
ist auch das, was Hörn über die akademischen Gymnasien mit-
teilt; sein Verzeichnis derselben ist jedesfalls vollständiger als alle
bisher bekannt gewordenen. Wir schliefsen unsere Besprechung
des gehaltvollen Werkes mit dem Wunsche, dafs der Verfasser
seine reichen Kenntnisse benutzen möge, um weitere Aufschlüsse
über die Geschichte des akademischen Unterrichts zu geben.
CasseL H. Schmitt.
Jalius BtnmaDD, Volksschulen, höhere Schalen und Universi-
täten. Wie sie heutzutage eingerichtet sein sollten. GÖttingea
1893, Vandenhoeck und Ruprecht. VIII u. 144 S. 8. 2,40 M.
Der Verf. bestimmt zunächst die moderne CivilisatTon , als
deren Ilauptstücke bezeichnet werden : Vermehrung von Kraft und
Wohlsein auf Grund der Naturwissenschaft, Streben nach gröfserer
Ausgleichung in Verteilung der Güter, ausgebreitetere Teilnahme
am Staatsleben und religiöse und wissenschaftliche Freiheit. Von
dieser Grundlage aus wird in grofsen Grundzugen dargelegt, wie
unser gesamtes Schulwesen eingerichtet werden müfste, wenn es
dem heutigen Standpunkte der ganzen Weltauffassung und Lebens-
bebandlung entsprechen soll. Die Alimacht der Erziehung, die das
vorige Jahrhundert proklamierte, wird von dem Verf. verworfen.
aoges. von H. Schiller. 123
Die Volksschule hat den Schäler so weit zu bringen, dafs er
sich im Leben durch eigne Kräfte forthelfen kann. Dazu sind
aber nur die Elemente des Lesens, Schreibens, Rechnens und
Zeichnens, sowie der Naturwissenschaft erforderlich, auch Hand*
fertigkeitsunterricht , einige Kenntnis der deutschen Sprache —
die Orthographie wird heute überschätzt — , Geographie, Geschichte,
eio^e nationalökonomische Kenntnisse, einige Kenntnis der Lan-
des- iinil Gemeindeverfassung, die Grundbegriffe von der Macht
des Menschen gegenüber der Natur, von Naturgesetzen, der Er-
haltung der Masse, der Verwandlung der Naturkiäfte in einander.
Ein besonderer Moralunterricht ist nicht erforderlich; denn das
Ganze, was den Schülern in dem Unterrichte vorgeführt wird,
rathäit schon ein praktisches Lebensideal, n<imlich dasjenige, das
Locke einmal so ausgedruckt bat, die moralische Aufgabe des
Menschen sei, seine Kräfte auszubilden zur eigenen Subsistenz
und zum gemeinsamen Gebrauche des Lebens. Auch das wird
bei dieser Art des Unterrichts ganz von selbst in dem Kinde ent-
stehen, was man das religiöse Gefühl nennt; denn dieses ist etwas
ganz Natürliches, in jedem Menschen von selbst Entspringendes.
Das Lesebuch soll eine ganz objektive Darstellung der Haupt-
rel^ionen geben, derer, die bei uns sind, und auch derer, die
bei uns nicht sind; letztere werden kurz behandelt. Wenn nun
auch ein besonderer Religionsunterricht nicht notwendig ist, so
ist ein kirchlicher Unterricht doch wünschenswert; er soll blofs
die Grundzüge der christlichen Lehre vermitteln und von vorn-
herein darauf rechnen, dafs erst im späteren Leben die eigent-
Uclie Wirksamkeit dieser Lehren eintreten werde. Zwang zu die-
sem Religionsunterrichte soll nicht stattfinden; die Kirche mufs
ihn durch ihre Geistlichen erteilen lassen; denn der Lehrer hat
nicht die dazu erforderliche theologische Bildung, die ihn be-
^higte, zu der Entwickelung der im steten Flufs begriffenen reli-
giösen Dinge Stellung zu nehmen und zu behaupten. Der Verf.
schwärmt für eine allgemeine Volksschule bis zum 14. Jahre, ver-
kennt aber nicht, dafs bei der heutigen sozialen Lage dieses [deal
Doch nicht durchzuführen ist. Wir fürchten, dafs es mit seinen
übrigen Aufstellungen nicht anders sein wird. Gerade die Lehrer
wünschen den Religionsunterricht beizubehalten und zu erteilen;
darin sind Konservative und Liberale völlig einig, wie sich erst
wieder auf der Allgem. Lehrerversammlung in Leipzig Pfingsten
1893 konstatieren liefs.
Unter höheren Schulen will der Verf. alle umfafst wissen,
.,deren Unterricht über das 14. Lebensjahr hinauszielV'. Was im
allgemeinen über die höheren Schulen gesagt wird, ist nicht neu,
so z. B. dats der mathematisch -naturwissenschaflliche Unterricht
eine zu geringe Stundenzahl habe, die Bedeutung der Geschichte,
fonnaJe Bildung u. a. Das Mittelalter wird für die Litteratur un-
seres Volkes als nicht so wertvoll betrachtet, „dafs auf den vor-
X24 J* BanmaDiiy.Volksschaleii etc.,
bereitenden höheren Schulen dasselbe einen Teil des deutschen
Unlerrichtes als solchen bilden miifste". Das Englische tritt sehr
in den Vordergrund, obgleich das Französische nicht vernach-
lässigt wird; die methodischen Vorschläge des Verf.s bleiben
hinter dem, was auf diesem Gebiete an guten Anstalten that-
sächlich bereits geleistet wird, zurQck. Nationalökonomie wird
gefordert, ebenso Bekanntschaft mit den Grundzugen des recht-
lichen Lebens und den Einrichtungen des Staatslebens, eigent-
licher Moralunlerrichl ist nicht nötig, Religionsunterricht nach der
Konfirmation ist wünschenswert, „mufs aber mehr in geschicht-
licher Weise gegeben werden''. Das griechische und römische
Altertum müssen immer in der höheren Jugendbildung eine Rolle
behalten; aber Griechisch und Lateinisch sollen erst ?on Ulli ab
eintreten (also das Frankfurter System); aber das Griechische
möfste in U III beginnen, das Latein erst in U II. Privatanstalten
sind wünschenswert; das Abilurientenexamen als solches müfste
beseitigt werden. Die höhere Mädchenerziehung mufs sich von
der der männlichen Jugend durch Anschlufs an das Konkrete und
das Helfen im Detail unterscheiden; denn diese beiden Züge bil-
den die Hauptstärke der Mädchen. Damit werden die Mädchen-
gymnasien mit Recht verworfen, insofern sie einfach die Gym-
nasien kopieren.
Auch für die Reform der Universitäten macht der Verf. Vor-
schläge. Das Allgemeine und blofs Angedeutete übergehen wir;
denn man würde vielleicht manches irrig auffassen, was bei dem
Mangel an präzisen Vorschlägen fast unvermeidlich ist. Gegen
das Studium nur für das Examen, das mit Recht als recht
verderblich bezeichnet wird, und gegen die Übertreibung der
Doktordissertationen, die stets eine neue wissenschaftliche Ent-
deckung enthalten sollen, zieht der Verf. sehr glücklich zu Felde ;
aber wirklich brauchbare Vorschläge zur Abhülfe macht er nicht,
da das, was er vorschlägt, so gut gemeint es ist, praktisch durch
führbar sich nicht erweisen wird.
Das Einjährigenjahr soll entweder vor oder nach dem Univer-
sitätsstudium abgedient werden, Einberufungen nur in den Ferien
erfolgen. Die körperlichen Übungen treten künftig allgemein her-
vor, Fechten und Tanzen wird allgemein gelehrt, auch Anleitung
zu feineren künstlerischen oder mechanisch-technischen Arbeiten
wird gegeben. Hier wie überall stimmt der Verf. in die über-
triebenen Erwartungen vom Handfertigkeitsunterrichte ein. Da
ich denselben bereits vor 42 Jahren selbst erhalten habe, gestatte
ich mir, an die weltumgestaltende Wirkung desselben nicht zu
glauben; er wird vielmehr, wie alle Wunderdinge, allmählich auf
das ihm gebührende Mafs der Wertschätzung zurückgeführt werden.
Die Stipendien werden abgeschafll, an ihre Stelle treten
„Häuser mit Selbstverwaltung", in die der Student vom dritten
Semester ab eintreten und „in denen er sich halbe oder ganze
angez. von H. Schiller. 125
freie Station verdienen kann durch Nachweis von Kenntnissen
und freiwilligen Arbeiten*^ In jedem solchen Hause wohnt ein
Privatdozent; für diese Häuser werden die bisherigen Stipendien
verwendet. Die Honorare werden zu einer Gesamtsumme erhöht,
für welche 18 — 24 Kollegienstunden beliebig belegt werden können;
wer sich einem strengen Examen unterzieht in irgend einem
wahrend der Ferien selbständig betriebenen Zweige, erhält das
Honorar erlassen, für das die Regierung eintritt. Die Ferien be-
tragen vier Monate, verteilt auf zweimal zwei Monate, die nach je
vier Monaten Vorlesungen eintreten. Bezüglich der Zulassung zur
Doktor- und Staatsprüfung bildet nur der Ausweis über die
wissenschaftliche Vorbereitung durch eine Arbeit die Vorbedingung.
Für die einzelnen Fakultäten werden ebenfalls grundlich ein-
gehende Vorschläge gemacht. Wir beben nur hervor, was sich
auf die Lehrerbildung bezieht. Jeder künftige Lehrer der Mathe-
matik und Naturwissenschaften sollte drei Semester nur Wissen-
schaft als solche studieren und nach dieser Zeit ein Examen
machen in dem, was er gelrieben, mündlich oder schriftlich; für
die künftigen Gymnasiallehrer sollten dann etwa vier Semester
gelehrt werden: Algebra, Elemente der Integralrechnung, dann
sphärische Trigonometrie und praktische, analytische und dar-
stellende Geometrie, Physik, Astronomie, Botanik, Anatomie und
Physiologie, Zoologie, Mineralogie und Geologie, Elemente der an-
organischen, Grundbegriffe der organischen Chemie, Hygiene.
Doch kann man auch den Lebrerkursus zuerst durchmachen und
die drei wissenschaftlichen Semester nachfolgen lassen. Später
erhalten die Lehrer alle fünf Jahre einen dreiwöchigen Kurs an
einer Universität, wo ihnen die Fortschritte der Wissenschaft vor-
geführt werden. Die Bildung der alten Philologen soll haupt-
sächlich durch Lesen und bei den neueren durch die Übung in
den lebenden Sprachen erworben werden, wozu drei Semester
eigentlich wissenschaftliche Studien kommen; von der Pädagogik
wird nur die wissenschaftliche Grundlegung der Universität zuge-
wiesen. Der Bildungsgang der Geschichtslehrer ist dem der hu-
manistischen und modernsprachlichen Pädagogen analog; etwa
drei Semester historisches Fachstudium, dann drei bis vier Se-
raester Geschichte und Geographie mit besonderer Rücksicht auf
^e vorbereitenden höheren Schulen. An keiner Universität dürfte
ein wöchentlicher orientierender Vortrag über die neuesten Tages-
ereignisse oder sozialpolitischen Inhalts fehlen. Die Professoren
werden sich noch mehr als bisher in folgende Arten scheiden:
1. Forscher, die, indem sie die Wissenschaft fortbilden, auch ihre
Scfanler anleiten, dasselbe zu Ihun. 2. Lehrer der Wissenschaften,
die ihr Fach im ganzen vortragen und dem Studenten ein Bild
davon geben, und 3. diejenigen, welche besonders den künftig
praktisch-geistigen Beruf im Auge haben, die theoretischen Grund-
lagen desselben geben und darauf hinweisen, was von dem Ge-
126 0. Frick, Schulreden,
triebenen für die Praxis als besonders wertvoll auszusondern ist.
Die zweite Art mufs dem Studierenden die Einfölirung geben auf
der Universität, der ersten mufs dieser mindestens zwei Semester
widmen; will er nicht wissenschaftlicher Forscher werden, so gebt
er dann zur dritten über. Über die Behandlung dei* Prüfungen
wird manches Interessante gesagt, und aucli über die Umgestal-
tung des studentischen Lebens durchaus wünschenswerte Ände-
rungen empfohlen, llis zur Durchfutirung einer gröfseren Frei*
heil im Unterrichtswesen wird die Einsetzung eines Ober-Unter-
richtsrates vorgeschlagen, der dem Unterrichtsminister als beratende
Behörde zur Seite stehen soll.
Die Schrift ist sehr wohlgemeint, und theoretisch findet sich
auch manches Wertvolle. Aber dafs sie von praktischen Folgen
begleitet sein wird, kann ich mir nicht vorstellen — namentlich
weil das Vorgeschlagene häufig recht unpraktisch ist.
Giefsen. Herman Schiller.
0. Frick, Schalrede n. Herausgegeben vod Georg Prick. Gera 1893,
Theod. Hofmaon. 117 S. gr. 8. 1,50 M.
0. Frick, Pädagogische und didaktische AbhandloogeD.
Herausgegeben von ^ Georg Frick. Band I und IL Halle a. S. 1893,
Bochhaodlnng des Waisenhauses. VI u. 580, bezw. 739 S. gr. 8. 9,
bezw. 12 M.
Nicht nur von den Freunden des entschlafenen bekannten
Direktors der Franckeschen Stiftungen, sondern gewifs auch in
weiteren Kreisen werden diese Sammlungen seiner Schulreden
und pädagogischen Abhandlungen willkommen geheifsen werden.
Sie ermöglichen einen tieferen Einblick in die reiche Gedanken-
welt des Mannes, der wie kein zweiter in den letzten Jahrzehnten
anregend auf die Gestallung des Unterrichts an höheren Schulen
eingewirkt hat. Sie zeigen, dafs die vielen weit verstreuten, zum
Teil gar nicht mehr zugänglichen VeröfTentlichungen Fricks durch
ein starkes inneres Band, eine wohlbegründete, einheitliche Grund-
anschauung zusammengehalten werden. Die Grundlinien der spä-
teren Ausführungen sind bereits in den meist der früheren ^eit
angehörigen „Schulreden'' intuitiv, ohne die Rechensdiafl eines
Systems, mit kühner Freiheit hingeworfen.
Der Verf. trieb eben nie seinen Beruf mechanisch, in be-
quemer Anlehnung an die Überlieferung, sondern mit ernster
Besinnung auf das wahre Ziel seiner Arbeit und auf die besten
Mittel und Wege das Ziel zu erreichen. Dabei kam es seiner
Entwickelung sehr zu statten, dafs ihm bereits in dem Jugend-
lichen Alter von 32 Jahren der ebenso verantwortungsvolle wie
ehrenvolle Auftrag wurde, die Realschule zu Burg zu einem Gym-
nasium auszubauen. Damit wurden die praktischen pädagogischen
Berufsaufgaben in den Mittelpunkt seines Denkens und Strebens
gerückt, und obwohl er als Student, Kandidat und angehender
aDg«z. von F. Ztng«. 127
Lekrer mit höchster Begeisterung seiner Spezialwissenschaft, der
Philologie, und den ihr dienenden allgemeinen Wissenschaften,
Philosophie und Geschichte, gelebt und die philologische Wissen-
schaft durch bedeutsame Spezialforschungen wie über die Schlan-
gensänle in Konstantinopel bereichert hatte, war von nun an,
nachdem ein Mann wie Schulrat Heiland ihm die Gröfse seiner
pädagogischen Aufgabe mit heiligem Ernst vor die Seele gemalt,
die Fürsorge für die liebe Jugend, für ihre Erziehung, für die
erzieherische und wahrhaft bildende Gestaltung des Unterrichts
das oberste Ziel alles seines Strebens, in dessen Dienst sich alle
weiteren wissenschafth'chen Studien stellen mufsten.
Die erste Frucht dieser Bemühungen waren die ausgeführten
Lehrpläne für den deutschen, den lateinischen und griechischen
und den französischen Unterricht, welche zuerst den Programmen
des Borger Gymnasiums als wissenschaftliche Beilage hergegeben
worden und nun mit Recht in den zweiten Band der Abhand-
longen aufgenommen sind. Über sie wie über die in dieselbe
Zeit gehörige Abhandlung zur Programmfrage hat sich Ref. bereits
früher in dieser Zeitschrift ausgesprochen (Bd. XLVl Heft 6).
Desgleichen über die bis dahin zugänglichen Schulreden. In der
vorliegenden Sammlung sind diese nun vereinigt und durch neue
bis dahin noch ungedruckte erweitert worden. Das Ziel der Gyni-
nasialbildung, wie der Bildung überhaupt, ist auch in den neuen
Reden das gemeinsame Thema.
Die in Rinteln bei seiner Einfuhrung Ostern 1874, bei der
Grundsteinlegung des neuen Gymnasialgebäudes am 2. Juni 1875
and l>ei der Einweihung am 18. Oktober 1876 gehaltenen Reden
fuhren die Beschreibung des Zieles der Gymnasialbildung einfach
weiter fort. Pflege des Naturgefühls, Weckung und Pflege wissen-
schaftlichen Lebens, der Freude am Schönen, des Trachtens nach
dem Guten, Umsetzung des ästhetischen und wissenschaftliciien
Lebens in ein sittliches, wodurch allein erst das ideale Leben, in
das die Schüler eingeführt werden, jene Bildung wirkt, welche in
der Ausprägung eines gehaltvollen Bildes, d. h. eines Charakters
besteht, dazu Erhebung des durch die Ideale erhöhten persön-
lichen Lebensgeföhls zum Volks- und Nationalgefühl und endlich
die Einsenkung dieses ganzen idealen Lebens in den Ernst und
äie Tiefe des religiösen Lebens, ohne welche es doch ein „leerer
Klang*' bleibt, das sind die l\e\e, die hier aufgestellt werden.
Das Bild Christi, der die Wahrheit, der Weg und das Leben ist,
io die jungen Seelen zu prägen, daCs er ihnen wird zum Centrum
nicht nur religiöser Erkenntnis, sondern zu dem Centrum, von
den alle Erkenntnis Klarheit empfängt, und zum Ruheport ihres
vlösongsbedurftigen Herzens wie zum Quell des Lebens, in dem
alles sonstige ideale Leben erst seinen tiefsten Grund und sein
iiöcbstes Ziel findet, das ist die höchste Aufgabe, welche er hier
ailfr gymnasialen Unterrichtsarbeit stellt
128 0. Frick, SchalredeD,
Gekrönt werden alle diese Gedankengänge durch die in Halle
gehaltenen Reden über das Wesen der sittlichen Freiheit (am
22. März 1879) und über die Idee der Persönlichkeit, beides zu-
gleich Entlassungsreden.
„Dadurch, dafs wir in freier Wahl unsern Willen einordnen
in den göttlichen, den kategorischen Imperativ der Gewissens-
stimme, dadurch allein überwinden wir den Dualismus zwischen
angeborener Freiheit und entgegenstehender Notwendigkeit eines
anderen höheren Willens, den Zwiespalt, welchen der unlautere
Eigenwille in unsere Seele hineinträgt; und Gewissensrulie, höch-
ster Seelenfriede, das wahre, unverlierbare Freiheitsgefühl tritt ein,
welches zusammenfallt mit dem Leben in Gott'*.
Zu dieser Freiheit zu führen, ist Aufgabe der Bildung und
Erziehung:
„Wie äufserlich, freudeleer wäre unsere Arbeit — ein
Stundengeben , nicht Bildungsarbeit; mechanische Abrichtung,
nicht Seelenleitung; geistloser Unterricht, nicht Erziehungskunst
— , wenn sie nicht auch euer Inneres anzufassen, aufzurühren,
hineinzuheben suchte fort und fort in die Welt des Jenseitigen
und Ewigen und dadurch zu sittlicher Freiheit zu entbinden?'*
Besonders fein und tief ist die Erörterung der „Idee der
Persönlichkeit'*. Wie schon die vorhergehende Entlassungs*
rede, veranlafst durch die gleichzeitige Feier des Geburtstages des
Kaisers Wilhelm I, sich von dem Blick auf diesen einzigartigen
Herrscher halte das Thema diktieren lassen und aus seinem Bilde
die schönsten konkreten Zuge entlehnt hatte, so ist es auch in
dieser Entlassungsrede zum 22. März 1880 die erhabene Gestalt
unseres unvergefslichen grofsen Kaisers Wilhelm I, welche den
Redner begeisterte und ihm eine Erörterung gelingen liefs, welche
zu dem Besten gehört, was über diesen wichtigen, aber schwie-
rigen Begriff gesagt worden ist. „Was in beiden Welten lebt,
der diesseitigen und der jenseitigen, der irdischen und der gött-
lichen, das erst führt ein ganzes Leben und solch ein ganzes
Leben erst erzeugt geschlossene, volle harmonische Bildung. Diese
Bildung erst reift wahre Persönlichkeiten, d. h. annähernde Aus-
gestaltung der Gottesebenbildlichkeit, zu welcher der Mensch von
Anbeginn berufen war. Solche Persönlichkeiten sind unabhängig
von dem Mafs irgend einer sogenannten Bildung, d. h. von dem
Mafs irgend eines gelehrten Könnens oder Wissens. Ob Kind,
ob Greis, ob Weib, ob Mann, ob Farbig oder Weifs, gleichviel,
führen sie nur ein ganzes Leben, d. h. ist ihr irdisches Dasein
gegründet auch im ewigen, und dieses Zusammengehen zu har-
monischer Ausgestaltung einer geweihten Persönlichkeit gelangt,
so haben sie die höchste Bestimmung des Erdenlebens erfüllt,
und es kann ihr Dasein darum wieder fruchtbar werden, dafs
von ihnen ausgehen Ströme lebendigen Wassers, Impulse auf viele
andere zu einer ewigen Bewegung**.
angez. voD F. Zaoge. 129
So weit, 80 frei ?on aller Eagherzigkeit gelehrter und so-
genannter „gebildeter^' Kreise wird der Begriff der Persönlichkeit
bestimmt. Um so überraschender ist der Nachweis, der im Fol-
genden ans dem allgemeinen, wie an der besonderen hehren Ge-
stalt Kaiser Wilhelms geführt wird, dafs der König als der von
Gott bestellte („von Gottes Gnaden*'!) Hirle des Volkes, Hüter
seiner Sprache und Bildung, seiner Sitte und Ehre, als der Pfleger
seines religiösen Lebens, seiner Kunst und Wissenschaft, als der
Trager seiner Ideale, in Wahrheit als der erste seines Geschlechts
zur Idealpersönlichkeit, zum Vertreter der gesamten Volkspersön-
lichkeit, zur herrlichsten irdischen Erscheinung der Idee der Per-
sönlichkeit selbst wird. „Und kommt dann nun vollends in sol-
chen Trägern zu dem idealen Glänze, den das Königtum an sich
schon ober sie ausgiefst, noch ein eigenes Heroentum einer
grolsen Persönlichkeit hinzu, dann giebt das jenes Schauspiel
höchster irdischer Herrlichkeit, darüber alle Welt frohlockend
jauchzt, unendlichen, in alle Zeit sich ergiefsenden Segens jener
bahnbrechenden, auf Jahrhunderte fortzeugenden Herrscher-
oaturen, deren zwei von den wenigen, welche die Geschichte über-
haupt hervorgebracht hat, das Preufsenvoik sein eigen nennen
darf, den grofsen Kurfürsten und den grofsen Friedrich, und
denen die Geschichte dereinst anreihen wird auch den Helden-
könig, dem die heutige Feier gilt*'.
Das aber rühmt Frick zum Schlufs als den Vorzug aller Zög-
linge deutscher Gymnasien, dafs sie vor anderen den Umgang der
eMen Geister der Welt genossen, durch Eindringen in den Geist
antiker und moderner Klassiker dem Verständnis dieser grofsen
Persdnlicbkeiten näher gebracht worden sind. Nur so kann der
Nachwuchs eines von Idealen erfüllten, thatenbegeisterten, glauben-
haltenden Geschlechtes erstehen, dessen unsere Zeit so sehr be-
darf. So erhält auch diese historisch - philosophische Erörterung
ihre praktische, Ziel und Mittel der Pädagogik bestimmende Spitze.
Es folgen noch zwei Reden, welche ebenfalls wie die vorher-
gehenden nach Form und Inhalt Muster ihrer Gattung sind. Es
sind die beiden Gedächtnisreden auf Kaiser Wilhelm und Kaiser
Friedrich vom 22. März und 30. Juni 1888, Charakteristiken
beider Männer, so tief geschöpft, so umfassend und zugleich klar
erschaut, mit so innigem königstreuen Gefühl und vaterlands-
liebendem Empfinden entworfen, wie es nur ein den Gang der
Geschichte so klar überschauender, die Idee der Persönlichkeit so
tief erbssender, die höchsten Güter der Nation so richtig schätzen-
der, nur ein so treu und heüjs liebender Mann wie der Entschla-
fene vermochte.
Abgesehen von diesen beiden Reden, haben alle, wie wir
gesehen haben, dazu gedient, das Ziel der Bildung und Erziehung
Oberhaupt, im besonderen aber das der Gymnasialbildung immer
klarer herauszustellen. Als Abschlufs dieser Gedankenbewegungen
Satehr. f. d. GTmiutfulwMen XLVIII. 3. S. Q
130 0. Frick, Seholreden,
kann daher der Vortrag „Über das Wesen der wahren Bil-
dung" angesehen werden, welcher in den „Zeitfragen des Christ*
liehen Volkslebens'' Bd. II Heft 3 gedruckt ist.
Die Bildung ist ihm „Verklärung der menschlichen Persön-
lichkeit zur Harmonie des inneren Lebens mit der M^elt in sich,
um sich und über sich hinein in die Wahrheit des ewigen
Lebens".
Diese Definition kehrt ja auch in den „Abhandlungen", wie
es begreitlich ist, mehrmals wieder, und auch die übrigen Haupt-
gedanken finden sich unter anderen Gesichtspunkten hie und da
wieder. Trotzdem hätten wir es gern gesehen, wenn dieser Vor-
trag entweder den „Schulreden" als Anbang oder den „Abhand-
lungen" als Eingang beigegeben worden wäre, zumal er zugleich
ein Muster einer ebenso umsichtigen und in die Tiefe fährenden
wie klaren Begrißsentwickelung ist.
Mit dem Eintritt in das Direktorat der Franckeschen Stif-
tungen trat Frick wie in eine neue Sphäre praktischer Arbeit, so
auch in einen neuen Abschnitt seiner wissenschaftlichen und
lilterarischen Thätigkeit. Getreu dem Grundsatz, nicht nur das
überkommene Erbe A. H. Franckes zu wahren, sondern auch
Ideen und Einrichtungen des Stifters, welche man im Laufe der
Zeit fallen gelassen hatte, so weit sie zeifgemäfs waren, wieder
aufzunehmen, erkannte er es bald als eine der brennendsten Auf-
gaben, das Seminarium praeceptorum der Franckeschen Stiftungen
wieder ins Leben zu rufen, und dem Eifer, mit welchem er diese
Aufgabe angriff und unter schweren Kämpfen durchführte, danken
wir jene Fülle yon „Abhandlungen", welche zum ersten Mal
gröfstenteils in den zur Förderung einer besseren Lehrmethode
und der Lehrerbildung gegründeten „Lehrproben und Lehrgängen'^
veröffentlicht wurden und nun durch die Mühewaltung des Sohnes
des Entschlafenen, Herrn Dr. Georg Frick, in zwei starken Bän-
den von 580 und 739 Seiten vor uns liegen.
Der Herausgeber hat die sämtlichen Abhandlungen nicht
chronologisch, sondern nach rationellen Gesichtspunkten geordnet,
so dafs zuerst unter I alle Abhandlungen über Fragen der allge-
meinen Pädagogik, sodann unter H Abhandlungen über einzelne
Unterrichtsfächer zusammengestellt sind. Nr. I zerfallt wieder in
die Abteilungen: a) Prinzipielle Fragen der allgemeinen Pädagogik,
b) Fragen zur allgemeinen Didaktik, c) Pädagogische Seminare.
Man kann über die Gruppierung anderer Meinung sein. Hier
genügt es, einen Überblick zu geben und auf die bedeutsamsten
Arbeiten mit besonderem Nachdruck hinzuweisen.
Alibekannt sind die beiden grundlegenden Arbeiten: „Inwie-
weit sind die Herbart- Ziller-Stoyschen didaktischen Grundsätze
für den Unterricht an den höheren Schulen zu verwerten?'*
(IL Band, Abb. 9) und „Das Seminarium praeceptorum an den
Franckeschen Stiftungen zu Halle, ein Beitrag zur Lehrerbild ungs-
angez. von F. Zange. 131
frage'' (IL Bd. S. 188 IT.), welche Ref. ebenfalls Bd. XXXXIV H. 6
dieser Zeitschrift bereits besprochen hat. Neben diesen verdienen
folgende Abhandlungen hervorgehoben zu werden:
1. „Was fordert die Gegenwart von uns, damit der
Jugend unseres Volkes die Güter des Evangeliums be-
wahrt werden?'', ein Vortrag, der schon im Jahre 1876 auf
dem XVIII. RongreCs für innere Mission zu Danzig gehalten
wurde.
Mit Recht ist er dieser Sammlung einverleibt worden. Kenn-
zeichnet er doch ebenso die ernst christliche Lebensauffassung
des Verewigten, wie sein warmes Herz fürs Vaterland, seinen
weiten geschichtlichen Blick, seine weise Erkenntnis dessen, was
dem Volke notthut. Besonders beachtenswert sind in diesem un-
gemein umsichtigen und praktischen Aufsatz die Erörterungen
fiber die Simultanschule, der Nachweis aus dem Begriff der wahren
Bildung, dafs durch die Simultanscbule systematisch nur jene
seichte Halbbildung grofsgezogen wird, welche für das kirchliche,
staatliche und soziale Leben im höchsten Mafse gefahrvoll ist, so
dafe prinzipiell an der konfessionellen Schule, der Volksschule so-
wohl wie der höheren überall festgehalten werden mufs, wo sie
nidit durch ganz besondere Verhältnisse gerechtfertigt erscheint.
Mit Nachdruck wird auch schon in diesem Vortrag vom Jahre 1876
darauf hingewiesen, was heute keinem, der Bescheid weifs, mehr
verborgen ist, dals öberall da, wo zu Gunsten der Simultan-
schulen die sogenannte Parität geltend gemacht wird, das evan-
gelische Element im Niedergang ist. Die Zustande in Öster-
reich reden eine laute Sprache. Zu beachten ist ferner der
Nadiweis für folgende Sätze: „Verleugnung des religiösen, des
christlichen, des evangelischen Faktors in unserem Volksleben ist
Yerieugnung deutscher Art". „Die Reichsgenossenschaft, welche
die Gläubigen um das Haupt der Kirche, Christus, schart, ist die
emzige Genossenschaft, in der die sozialen Unterschiede nicht
oor ausgeglichen und aufgehoben sind, sondern auch eine Ver-
sAhnong mit ihrem Druck und ihrem Leiden möglich ist". Für
Religionslehrer, Schulleiter, Hausväter, Kirchen- und Staatsmänner
enthilt diese Abhandlung eine Fülle wichtiger Anregungen für die
Gestaltung des kirchlichen, häuslichen. Schul- und öffentlichen
2. „Die Einheit der Schule. Referat gehalten am 1. Ok-
tober 1884 auf dem dritten Deutschen evangelischen Schulkongreis
zo Stuttgart'*.
Dieser Vortrag nimmt ähnlich wie die beiden Arbeiten des
Jahres 1883 eine programmartige Stellung in den pädagogischen
Abhandlungen ein. In ihm steigt der Verf. auf eine noch höhere
Warte, indem er einer einheitlichen Didaktik und Pädagogik für
bUere und niedere Schulen das Wort redet, die Förderung nach-
iretst, welche jede didaktische Durcharbeitung des Lehrstoffes,
9*
132 0. Frick, Schalredeo,
notwendig der wissenschafilichen Durchdringung des Materials
bringen mufs, und den Lehrern an den höheren Schulen die
Föhrerrolle in der Behandlung der unzähligen grofsen Fragen des
Unterrichts und der Erziehung zuweist.
3. Die Möglichkeit der Einheitsschupe. In diesem
Vortrag tritt der Verf. för eine Gymnasium und Realgymnasium
verschmelzende höhere Einheitsschule mit Beibehaltung des Grie-
chischen för alle Schuler ein. Bedeutsam bleiben in dieser Ab-
handlung auch für diejenigen, welche dem Verf. in der Forderung
der Kenntnis der griechischen Sprache^) för alle Gebildeten nicht
folgen können, die Richtlinien, welche hier bereits für die Aus-
wahl der Unterrichtsgegenstände gezogen werden. Sie werden
weiter geföhrt und tiefer begründet in den Aufsätzen der zweiten
Reihe Ib, 6: „Allgemeine Gesichtspunkte für eine didaktische
Stoffauswahl'\ 7. „Aphorismen zur Theorie eines Lehrplans be-
treffend die Klassenlektüre der Prima'* und 8. „Unmafsgebliche
Vorschläge zur Gestaltung des neuen Gymnasiallehrplans'', sowie
endlich in dem unter I a 4 eingeordneten Ref. über „Die Arten
der höheren Schulen", welches der Verf. för die bekannte Ber-
liner Konferenz 1891 ausgearbeitet hat. Das gemeinsame Thema
dieser Abhandlungen, die hätten zusammengestellt werden sollen,
ist die Theorie eines Lehrplans för die höheren Schulen. Als
Grundlage dienen diesen Aufstellungen noch die Untersuchungen
Ib4 „Über die praktische Bedeutung des Apperceptionsbegriffes
für den Unterricht" und I b 5 „Zur Charakteristik des elemen-
taren und typischen Unterrichtsprinzips'', welche zwar auch der
Unterrichtsweise im einzelnen die rechten Wege zeigen, vor allem
aber für die Ordnung des Lehrplans im einzelnen und im ganzen
die fruchtbarsten Anregungen geben, wie sie eben in den obigen
Abhandlungen verwertet sind. Es ist unmöglich, von der Fülle
der in diesen Abhandlungen vorgeführten Erwägungen auch nur
ein schattenhaftes Bild zu geben. Nur einiges Wenige sei an-
gedeutet.
Der landläufige Grundsatz: „För den Schuler ist das Beste
gerade gut genug'', ist berechtigt und wird anerkannt, aber er
reicht nicht hin. Soweit es auf das Objekt ankommt, mufs, wie
schon Kern gefordert, noch engere Beschränkung auf das „Ele-
mentare und Fundamentale" eintreten; nur diejenigen typischen
und wahrhaft klassischen Vertreter und Erzeugnisse der Litteratur
z. B. dürfen gewählt werden, welche ihr Wesen am vollkommen-
sten und durchsichtigsten zum Ausdruck bringen, nicht Äschylus
und Euripides, so fruchtbar sie auch an sich gemacht werden
mögen, sondern Sophokles, nicht Plutarch, sondern Xenophon und
Thukydides u. s. w.
>) Nor daram handelt es sich. Dicht om die EiofUhrung in die grie-
chische Litteratur, was bis zu einem gewissen Grade auch durch
ÜbersetzuDgeu geschehen kann.
angez. von F. Zange. 133
Aber es genögt überhaupt nicht, sich von der Rucksicht auf
das Objekt, den Lehrgegenstand leiten zu lassen; Einheitlichkeit
und ein geschlossenes Zusammenwirken kann in die Vielheit der
Gegenstände nur gebracht werden durch die Beziehung auf das
Subjekt des Zi^llngs, auf die an diesem zu treibende Bildungs-
arbeit. Es kommt an auf eine planmäfsige einheitliche Ausge-
staltang der gesamten Innenwelt des Zöglings, wie sie sich in
dem Wesen und den Strebungen der menschlichen Seele, dem
empirisch -ästhetischen, dem spekulativen, dem ethischen, dem
sympathetischen, dem soaialen, dem religiösen Interesse oOenbarL
Ausbildung von festen Gedankenkernen und Centren als Apper-
ceptions-Kernen und -Massen, das ist die andere Forderung, wel-
cher neben dem Zurückgehen auf das Elementare und Funda-
mentale genögt werden mufs bei der Aufstellung eines Lehrplans.
Beispiele wie die Zusammenstellung der gesamten Lektüre der
Prima I S. 487, Griechische Geschichte in Quarta I S. 421, StoiT-
pläne für Naturbeschreibungen im dritten, vierten, fünften, sech-
eten, siebenten und achten Schuljahr S. 451, StofTauswahl für den
Lebrplan der Gymnasien S. 430 und 508 in tabellarischer Ober-
siebt erläutern die aufgestellten Grundsätze.
Obwohl diese Proben zum Teil sehr ins einzelne gehen und
nberall die Fühlung mit der praktischen Erfahrung offenbaren,
so beansprucht doch der Verf. nicht, etwas Endgültiges vorgelegt
zu haben. Er weifs, dafs die energische Arbeit einer ganzen
Generation dazu gehört, um einen befriedigenden Lehrplan zu
schaffen. Aber wer es auch unternimmt, für eine ganze Schule
oder für einzelne Fächer einen neuen Lehrplan zu entwerfen, der
wird an diesen grundlichen und umsichtigen Arbeiten nicht vor-
beigehen dürfen. Man darf wohl sagen, dafs seit der Aufstellung
des ausgeführten Lehrplans für die achtklassige Volksschule von
Rein, Pickel und Scheller die Lehrplanarbeit nicht wieder so ener-
gisch und gründlich angefafst worden ist, als in diesen Vorarbeiten
for einen Lehrplan des Gymnasiums.
Neben diesen Abhandlungen, welche sich um die Theorie des
Lehrplans drehen, sind unter den Fragen zur allgemeinen Didaktik
noch besonders zu beachten diejenigen Aufsätze, welche die unter-
ricfaÜJche Arbeit selbst behandeln, wie der „Didaktische Kate-
chismus" mit den Hauptteilen A. betreffend den psychischen
Lern- und Lehrprozels in dem erziehenden Unterricht, B. betr.
die Kunst des erziehenden Unterrichts (Ib2), „Das Schöpfe-
rische in der unterrichtlichen Arbeit'* (Ib9), „Bemerkungen
ober das Wesen des Naturgefühls und seine Pflege im Unterricht'*
(Ib 10), „Bemerkungen über das Wesen und die unterrichtliche
Pflege des Heimatsgefühles*' (Ib 11), „Bemerkungen über die Art
und Kunst des Sehens** (Ib 12) und „Winke betreffend die An-
eignung der Kunst des Erzählens** (Ib 13), sowie im II. Band die
drü Aufsätze: „Robmaterial didaktischer Richtlinien zur ersten
134 0. Frick, Schalreden,
Handreichung für Anfänger'' (I b 14), „Die Memorierarbeit in den
untern Klassen'' (I b 15) und „Die Mission in der Schule".
Diesen allgemeinen Erörterungen wichtiger didaktischer Fra-
gen und Aufgaben gehen zur Seite Spezialabhandlungen über be-
sondere Unterrichtszweige und Unterrichtsgegenstände, wie „über
den Religionsunterricht an höheren Schulen" (I a 8), „über die
Mission in der Schule" (II b 16), ober ,,den grammatischen Unter-
richt in der Muttersprache'* (II 3) , ,,über die Lektüre der deut-
schen Lyriker in den oberen Klassen der höheren Schulen" (11 4),
„Aus dem Homerheft meiner Primaner"^n 7), Materialien für den
Geschichtsunterricht in Quinta (H 8), Aus dem Geschichtsheft
meiner Obersekundaner (II 13), „Typische Dispositionen aus dem
geographischen Unterricht" (ü 14), „Stoffauswahl für den Ge-
schichtsunterricht in Quinta" (II 9) und eine ganze Reihe ein-
zelner Lehrproben wie „Zur elementaren Behandlung von Thukyd.
VU c. 70, 71; „Tarent und Pyrrhus" (II 11), „Die römische Kö-
nigsgeschichte" (II 10) und eine ganze Sammlung unter dem Titel:
„Mitteilungen aus der Praxis des Seminarium" u. s. w.
Vier Abhandlungen sind der Lehrerbildungsfrage gewidmet,
die bereits besprochene über das Seminarium p., sodann „Mit-
teilungen aus der Arbeit im Seminar" (I c. 2), „Winke betreffend
eine pianmäfsige Anleitung der cand. probandi (I c. 3), und „His-
cellen zur Lehrerbildungsfrage" (I c. 4).
In allen diesen Arbeiten zeigt sich eine grundliche Vertraut-
heit mit der gesamten einschlagenden pädagogischen und wissen-
schaftlichen Litteratur, überall eine ebenso Achtung gebietende
Selbständigkeit der Anschauung und des Urteils wie ehrliche An-
erkennung und treue Verwertung fremder Leistung, überall das
redliche Bestreben, Theorie und Praxis in Einklang zu setzen,
alle Kräfte zur Ausgestaltung einer rationellen Didaktik heranzu-
ziehen und so dahin zu wirken, dafs „die Lehrer an den höheren
Schulen als führende die Behandlung der unzähligen grofsen Fra-
gen des Unterrichts und der Erziehung in die Hand nehmen".
Zum Schlufs müssen wir noch auf eine Arbeit die Auf-
merksamkeit lenken, welche wie eine Probe auf das Exempel der
Lebensarbeit des Entschlafenen dasteht. Es ist die Beantwortung
der sieben Kaiserfragen, jener Fragen, welche Kaiser Wilhelm II
der bekannten Berliner Konferenz als seine eigenste Willensmei-
nung vorlegte» zu bezeichnend für die Stellung des Entschla-
fenen in dem Kampfe um die Schulreform, als dafs wir sie in
dieser Besprechung übergehen dürften. Die Fragen lauteten be-
kanntlich:
1. Was soll aufser dem rationeller zu verwendenden Turnen
für die Schulhygiene geschehen?
2. Ist die Ermäfsigung der Lehrziele, also die Veriiainderung
des Lehrstoffs, scharf ins Auge gefafst und wenigstens das Aus-
zuscheidende genau festgestellt?
«Bgez. voD F. Zange. 135
3. Sind die Lehrpläne klassenweis für die einzelnen Fächer
festgelegt?
4. Sind Cur die neue Lehrmethode wenigstens die Hauptpunkte
aufgesteUt?
5. Ist der in den Prüfungen bisher zu Tage getretene Ballast
für immer beseitigt und dadurch
6. auch der noch durch andere Mittel zu bekämpfenden
Oberburdung für die Zukunft vorgebeugt? und schliefslich
7. wie ist die Kontrolle gedacht, ohne welche all das wohl-
meinend Geplante doch nur auf dem Papier bleibt? Ist hinrei-r
chend auf regelmäfsige und aufserordentliche Revisionen durch die
verschiedenen Oberbehörden Bedacht genommen?
Im Vorwort sagt Frick:
„Es ist sofort deutlich, dafs die Kaiserfragen eine sehr
weseDtlicbe Ergänzung der 14 von dem Ministerium gestellten
Fragen bilden. Es fehlte die Frage, in welchen Punkten und in-
wieweit die gegenwärtig in betreff der höheren Schulen erhobenen
Klagen begründet, wo sie als völlig unbegründet einfach abzu-
weisen, wo die etwaigen Mängel nur von besonderen Verhält-
nissen abhängig und darnach zu behandeln, wo sie schon durch
einzelne MaXsnahmen und Verordnungen, wo nur durch eine all-
gemeine Neuordnung zu beseitigen sind.
Eine Prüfung und Untersuchung gerade dieser Punkte kam
in den Verhandlungen der Berliner Konferenz nicht genügend zu
ibreoa Recht. Die vorhandenen Mängel wurden nur gelegentlich
gestreift ; auf Seiten der Schulmänner war die Neigung vorhanden,
die Schuldfrage allzusehr zu verneinen; die Laien hatten mancher-
lei anf dem Herzen, wurden aber fort und fort von den Vertre-
tern der Schule ermahnt, nicht zu „generalisieren'^ So blieb
vieles unausgesprochen oder wurde nur im Vorübergehen gestreift,
was doch in weiten Kreisen und sehr lebhaft als ein offenbarer
Schaden empfunden wird, z.B., um nur eines zu nennen: die
Extemporalenot. Hier treten nun die Kaiserfragen ergänzend ein.
Sie richten die Aufmerksamkeit auf diejenigen Punkte, wo Mängel
allgemeiner Art offenbar vorhanden sind, treffen den innersten
Kern derselben und verlangen eine Antwort, welche zugleich
die Wege einer Abhülfe weisen soll. Wer hat den Mut,
die Fragen 2 — 6 mit einem entschiedenen Ja zu beantworten?
Wer muls damit nicht auch zugestehen, dafs die Voraussetzung,
weldie den Kaiserfragen zu Grunde liegt, zutreffend ist, dafs in
recht wesentlichen Punkten unser höheres Schulwesen einer Re-
form fähig und bedürftig ist? Und wer wollte denn nicht auch
das einraomen, dafs diejenigen unter uns Lehrern den höheren
Schulen den besten Dienst erweisen, welche auf klar erkannte
MiDgel selbst den Finger legen, sich zum Organ berechtigter
Wünsche machen, die Mittel der Abhülfe aufzeigen und damit den
136 0. Frick, Schalreden, ungez. von F.Zange.
zunächst beteiligten Kreisen der Familie die sicherste Gewähr für
eine Abstellung solcher Obelstände bieten?
Die sieben Fragen geben zugleich aber auch planmäfsig den
Weg an, welchen die Prüfung solcher Schäden einzuschlagen hat.
Denn sie bilden unter sich ein geschlossenes System pädagogischer
Erwägungen.
So stellen diese sieben Kaiserfragen in einem einheitlichen
Gedankenzuge ein organisches Gebilde dar, wie es selbst die Pä-
dagogen von Fach nicht zweckmäfsiger, YoUständiger und zugleich
einfacher halten ersinnen können".
Schon dieses Vorwort läfst erkennen, wie und mit welchem
Rüstzeug die Kaiserfragen beantwortet werden. Die runde Ant*
wort auf Nr. 2, 3, 5, 7 ist „Nein", auf 6 „Noch nicht genügend**,
auf 4 „Ja — aber!" (!) Das Rüstzeug aber, womit gezeigt wird,
was zu geschehen hat, damit man auf alle Fragen mit einem
freudigen „Ja!" antworten könne, ist die auf den gründlichsten
wissenschaftlichen Studien und einer stets vom ernstesten Nach-
denken geleiteten dreifsigjährigen Erfahrung ruhende Pädagogik
und Didaktik des Verewigten, wie sie in den „Schulreden" und
„Abhandlungen" vor uns liegt.
Man hat Frick unter die Realisten auf dem Gebiete der Pä-
dagogik gezählt. Das ist sehr mifsverständlich. Ja, er war sehr
weltoffen. Er hatte einen so klaren und sicheren Blick für die
realen Bedürfnisse der Gegenwart, wie man ihn bei den Männern
der Schule selten findet. Und diesen Bedürfnissen der Gegen-
wart, frei von allen Vorurteilen, unbekümmert um traditionelle
Schulmeinungen auch bei der Gestaltung des höheren Unterrichts,
des klassischen wie des modernen, Rechnung zu tragen, darin
bestand sein Realismus. Er war frei von allem Doktrinarismus
und Formalismus. An wahrem Idealismus aber, dem die unsicht-
bare Welt ewiger Ideen als das allein wahrhaft Reale gilt, dürfte
er keinem anderen Pädagogen der Neuzeit nachgestanden haben.
Gerade von allem Scheinwesen einer blofs äufserlichen, zufalligen,
es sei formalistischen oder materialistischen Ausbildung die Gym-
nasialpädagogik freizumachen oder freizuhalten und wahre Bildung,
„die Verklärung der jungen Seelen zur Harmonie des inneren
Lebens mit der Welt in sich, um sich und über sich hinein in
die Wahrheit des ewigen Lebens" ihr als Aufgabe zuzuweisen,
das war das ebenso idealistische wie wahrhaft realistische Ziel,
welchem er vom Anfang seiner pädagogischen Wirksamkeit bis zu
seinem Ende nachstrebte. Mögen die vorliegenden Sammlungen
seiner Reden und Abhandlungen dazu dienen, den ernstgesinnten
Pädagogen auch noch nach seinem Tode unter uns lebendig und
die von ihm angeschlagene Bewegung im Flufs zu erhalten, zum
Segen für unsere Jugend und zum Heile des Vaterlandes!
Erfurt. F. Zange.
Heidrieli, B&lfsb. f, d. Religioosnoterr., tgz. v. Heidemann. 137
B. Heidrich, Hüirsbuch für deo ReligioDsuBterricht in den
obereD Klassen. Berlin 1893, J. J. Heines Verlag. 248 S. 8. 3 M.
Auf das für den Lehrer bestimmte Handbuch für den Re-
ligionsunterricht hat der Verf. in diesem Jahre ein Hülfsbuch
för den Religionsunterricht folgen lassen, welches den Schülern
der oberen Klassen in die Hand gegeben werden soll. Es lehnt
sich, 248 Seiten umfassend, durchweg an das erstere Werk an
und behandelt in drei Abschnitten, wie das Handbuch in drei Teilen,
die heilige Geschichte, die Kirchengeschichte und die christliche
Glaubenslehre, indem es die Hauptergebnisse des gröfseren Werkes
korz zusaramenfafst. Handbuch und Hülfsbuch ergänzen sich
somit, ]a erfordern einander, da die besondere Art und Weise, wie
der Verf. den Reh'gionsunterricht nach seinem Handbuche erteilt
wBsen will, einen entsprechenden Leitfaden zum Nachlesen und
zur Repetilion in den Fländen der Schüler wünschenswert er-
seheinen läfst. Es versteht sich von selbst, dafs das Hülfsbuch
in demselben Geiste geschrieben ist wie das Handbuch. — Bei
der Darstellung der biblischen Geschichte des A. und N. Test.
vermifst man freilich die Berücksichtigung der Bibelkunde, welche
gerade in dem Handbuche von dem Verf. sehr eingehend behandelt
worden ist und bei der Bibellektüre nicht wohl entbehrt werden
kann. Der Verf. giebt dem Schüler nur „einen Überblick über
die Entwicklung der heiligen Geschichte", erzählt dabei aber nicht,
wie das häufig geschieht, einfach die Thatsachen der biblischen
Geschichte, sondern er ordnet den Stoff nach allgemeinen, grofsen
Gesichtspunkten. In einem Abschnitte mit der Überschrift:
,,Die Gesetzesreligion nach ihrer Begründung und ihrem Wesen'^
fafst er die Hauptsachen der alttestamentlichen Gesetzgebung zu-
sammen, indem er den Schüler über den Namen Gottes, den Bund
Gottes mit Israel, den Dekalog, die Bundeslade, die Stiftshütte,
den Tempel, die Feste, Opfer, das Priestertum u. dergl. belehrt.
Ebenso zweckgemäfs sind die folgenden Abschnitte bearbeitet,
welche die Überschriften tragen: „Die Hoffnungen der Frommen
des A. Bundes; die Propheten und die Weissagung^*, und ferner:
,,Der Glaube der Frommen des A. Bundes nach den Psalmen, den
Spruchen Salomos und dem Buche Hiob". In ihnen ist weit
Zerstreutes und doch innerlich Verwandtes einheitlich zusammen-
gefafst nnd übersichtlich gruppiert. Gerade auf diesem Wege
wird es den Schülern leicht gemacht, „Inhalt und Zusammenhang
der Heiligen Schrift*' zu erfassen, wie es das Reglement für die
Reifeprüfung vorschreibt. — Um dem Religions- Lehrplane vom
6. Januar 1892 zu genügen, hat der Verf. dem Hülfsbuche noch
mehrere wertvolle Zugaben beigefügt. Da die christliche Glaubens-
lehre im AnscbluTs an die Lektüre des Römerbriefes oder der
Confesfiio Angnstana vorgetragen werden soll, so bietet das Buch
auch eine genaue, klare Analyse des ersteren und eine sachgemäfse
Gruppierung der Artikel der letzteren dar, in welcher die Artikel
13S Fr. Kirehner, Die deatsche Natiooallitteratar,
mit Terwandtem Inhalte zusammengestellt und autserdem durch
Anmerkungen erläutert sind. In einem besonderen Abschnitte,
genannt das Kirchenbuch, findet der Schüler Belehrung über
die Bibel, die Bibelübersetzungen, die evangelischen Bekenntnis-
Schriften, den Gang des evangelischen Gottesdienstes, das Gesang-
und Cboralbuch und das Kirchenjahr. Ein letzter Abschnitt end-
lich, das Lernbuch genannt, enthält den eigentlichen Memorier-
stoif, besonders Luthers kleinen Katechismus mit dem revidierten
Texte und eine Auswahl von Kirchenliedern. — Sprache und
Darstellung des Hülfsbuches sind im übrigen klar und einfach und
dem Verständnisse von Schülern angemessen. Nur die Bezeich-
nung des jüdischen Halljahres durch Jobeljahr (S. 10) hat für den
des Hebräischen nicht kundigen Schüler etwas Befremdendes. Da
das hebräische Wort Jobel dem Sinne nach unserem Jubel ent-
spricht, so würde der auch sonst übliche Ausdruck Jubeljahr
vorzuziehen sein. Schliefslich sei noch bemerkt, dals der Satz
S. 206, in welchem von „den würdigen Tönen der den ganzen
Kirchenraum ausfüllenden Orgel*' die Rede ist, einer leichten
stilistischen Änderung bedarf, denn es sind doch die Töne, welche
den ganzen Kirchenraum ausfüllen, nicht die Orgel.
Berlin. J. Heidemann.
Fr. Rirchner, Die deutsche Nationallitterator des oeonzehoteD
Jahrhunderts. Heidelberg 1893, Georg WeiTs. Lfg. 1— 2. Voll-
staodig iD 7 Lieferaageo. je 1 M.
Herr Professor Kirchner schreibt so ziemlich jedes Jahr ein
oder mehrere gelehrte Werke. Aus den Titeln seiner Bücher, die
ich zum gröfsten Teile erst aus dem vorliegenden neuesten Er-
zeugnis kennen gelernt habe, schliefse ich, dafs er von Haus aus
Philosoph ist, und diese seine Eigenschaft ist auch ganz besonders
dieser Litteraturgeschichte des 19. Jahrhunderts zugute gekommen.
Wo er sich sonst schon auf das Gebiet der Litteraturgeschichte
begeben hatte, z. B. mit seinem „Synchronismus der deutschen
Nationallitteratur** und jüngst mit seinem „Gründeutschland'S hat
er nicht viel Lob geerntet, aber für manche Strömungen unserer
Litteratur bringt er in seinen philosophischen Studien ein be-
währtes und geradezu unentbehrliches Rüstzeug mit. Die buch-
händlerische „Voranzeige^* dieses seines neuesten Buches hebt her-
vor, dafs er „Dozent für Litteraturgeschichte an der Humboldt-
Akademie zu Berlin'* sei, und das Buch verrät deutliche Spuren,
dafs es aus Vorlesungen vor dem bildungsbeOissenen Herren- und
Damenpublikum Berlins hervorgegangen ist. Es hat einen popu-
lären Zweck. Es soll *eine ebenso angenehme als nützliche
Lektüre' sein, und deshalb ist die Darstellung, wie die Voranzeige
sagt, 'gründlich ohne gelehrt-pedantisch, populär ohne seicht zu
sein'. Ich stimme dem zu, soweit die philosophische Behandlung
an^ez. voo G. Boetticher. 139
reichi, ui^d wenn auch die Ansprüche, die der Verf. an das Ver-
ständnis eines greiseren Leserkreises stellt, nicht gering sind, so
ist das kein Schade für das Buch. Die Transzendentalphilosophie
an der Schwelle des 19. Jahrhunderts läfst sich nun einmal nicht
popularisieren.
Auch sonst verdient manches Anerkennung. Verf. ver-
ehrt im wesentlichen biographisch und zeigt den Zusammen-
hang der Werke mit der ganzen Entwicklung und Eigenart
des Dichters. Diese Analysen sind kurz, heben das Wesent-
liche meist treffend heraus und sind zugleich so gehalten, dafs
der sittliche und nationale Wert der betr. Werke erkennbar
ist Der Mafsstab, den der Verf. hierbei anlegt, ist der einer
religiös bestimmten Sittlichkeit, ohne dafs sich darüber etwas
Näheres sagen liefse« Er läfst nur seine Abneigung ebenso gegen
die seichte Aufklärung wie gegen den Mystizismus, ebenso gegen
Fichteschen und Schleiermacherschen Pantheismus und Subjektivis-
mus wie gegen konfessionellen Dogmatismus durchblicken. Jeden-
falls haben wir es nicht mit einer einseitigen Parteirichtung zu
thuD, sondern mit im ganzen unparteiischer Würdigung des ethisch
Wertvollen auf allen Seiten. Um so lieber hätte man daher auch
auf gelegentliche kleine Ausfälle und Bemerkungen, die vieUeicht
für das Publikum der Humboldt-Akademie berechnet waren, ver-
zichtet. Aber auch des Bedenklichen ist in dem Buche nicht
wenig, r^ebenbei erwähnt sei nur die ganz unzureichende Be-
kanntschaft des Verf.s mit dem deutschen Hittelalter und seiner
Litteratur, wie sie S. 6 hervortritt. Störender ist, dafs er sich
in dem an sich löblichen Streben nach Kürze bei den Inhalts-
skizzen der Dichtungen öfter unklar ausdrückt oder doch dem
Gehalt derselben nicht gerecht wird. Von Kleists 'Penthesilea'
z,B. heifst es S. 103 ganz unverständlich: „Die Amazonenkönigin
ist voll Ehrbegier und Kriegslust vor Troja erschienen, um Achill
zu besiegen. Da er sie aber überwunden, wagen ihre Gefährtinnen
nicht ihr dies zu sagen, und der Held . . . bestärkt sie in ihrem
Wahne". Oder vom Käthchen von Heilbronn: „Käthchen . . . .
störzt sich, als einst Wetter vom Strahl in die Werkstatt tritt,
ihm nach aus dem Fenster und bricht die Beine'S Ähnliches
findet sich öfter.
Die ganze Besprechung von Kleists Dramen verrät ferner,
dafs Kirchner für manche Seiten der Romantik wenig Verständnis
hat. Gerade die mystische Richtung auf das Übersinnliche, dieses
Haschen nach den Geheimnissen des Seelenlebens, darf doch
nicht unterschätzt werden. Kirchner bebandelt diese bei Kleist
so stark hervortretende Seite nur obenhin als eine lächerliche
Beigabe der Romantik und insbesondere eine gewissermafsen
koraisehe Ader bei Kleist, aber damit nimmt er dem Käthchen
sowohl wie dem Prinzen von Homburg den Lebensnerv. Derselbe
MaogeJ tritt auch in der Beurteilung der Schicksalstragödie hervor.
140 G* Boetticher, Parzival von Wolfram v. Eschenbach,
Sie ist auch keine blolse Schrulle, wie sie Kirchner aufzufassen
scheint, sondern sie soll — so hat sich einmal HotTmann oder
Houwald selbst geäufsert — das Hineinragen einer übersinnlichen
Welt in die sichtbare, die Ohnmacht und Beschränktheit des
Irdischen gegenüber dem Ewigen zur Anschauung bringen. Mag
das ungeschickt, ja lächerlich ausgeführt sein, so mufs man doch
der leitenden Idee gerecht werden.
Schiiefslich noch ein Wort über den Entwickelungsgang der
Litteratur dieses Jahrhunderts überhaupt, soweit dazu die vor-
liegenden zwei Hefte ÄnJafs geben.
Kirchner stellt neben die Romantiker, zu denen er Fouque,
Ghamisso ohne weiteres zählt (erstes Kapitel), die „patriotische
Dichtung'' als zweites und den „schwäbischen Dichterkreis'^ als
drittes Kapitel. Später werden vielleicht die „österreichischen
Dichter*' als viertes folgen. Das ist das beliebte Schema der
populären Litteraturgeschicfaten, aber es entspricht dem Sachver-
hältnis nicht. Wir haben es mit der Romantik noch bis zum
jungen Deutschland zu thun, und gerade dieser Entwicklungsgang
von den Überspanntheiten der eigentlichen romantischen Schule
zu der reineren Herausbildung ihrer wirklich gesunden Gedanken,
wie sie diese späteren Zweige, die sogenannten Jungromantiker,
die Freiheitsdichter, die Schwaben, die Österreicher zeigen, hätte
meines Erachtens gezeichnet werden müssen. Dann hätten auch
die Brüder Grimm, die nur in der Einleitung erwähnt werden, in
diesem Gesamtbilde die ihnen gebührende Stellung erhalten. Sie
gehören entsc-hieden in die „Nationallitteratur des 19. Jahrhunderts**
„voll und ganz'' hinein. Erst das junge Deutschland, die Revolu-
tionspoesie, bricht grundsätzlich mit allem, was romantisch heifst,
und besonders mit der geläuterten Romantik. Hier tritt wirklich
ein anderer Geist ins litterarische Leben. So gefafst wird die
Entwickelung der Litteratur des 19. Jahrhunderts durchsichtig, klar
und verständlich, und Herr Kirchner hätte seinen Lesern gewifs
nicht zuviel zugemutet, wenn er die bequeme, allerdings populäre,
biographische Aneinanderreihung diesen höheren Gesichtspunkten
geopfert hätte. -^ Das Werk soll 7 Lieferungen zu 5->6 Bogen
umfassen. Die Ausstattung ist gut.
Berlin. G. Boetticher.
G. Boetticher, Parzival von Wolfram von Eachenbach. a) grofse
Aasgabe 410 S. 8. 2. Auflage. 3 M. b) kleine Ausgabe zum Ge-
brauche an hb'heren Lehranstalten. 199 S. 8. 1,20 M. Halle a. S.
1893, Buchhandlung des Waisenhauses.
Der Verf. hat die zweite Auflage mit Recht eine verbesserte
genannt, da er überall in der Dbersetzung wie in der Einleitung
und in den Anmerkungen viel wirklich zum Vorteil geändert hat.
Besonders angenehm berührt es, dafs eine recht erhebliche An-
anges. von C. Rothe. 141
lahl uDDützer Fremdwörter beseitigt und durch gute deutsche
WenduDgen ersetzt ist. Gleichwohl läfst sich in dieser Beziehung
hier in einer neuen AuOage noch manches nachholen, so „Beiwort''
für Epitheton, „im besonderen** statt speziell u. a. ; besonders stört
S. 66 (gr. Ausgabe) die Wendung: „Charakteristisch vermutet
auch im Hildebrandsliede Hadubrand . . /' und zehn Zeilen weiter
^and charakteristisch genug wird daher auch als Gruud-
charakter des Bösen die Untreue bezeichnet".
Die reimlosen Jamben, über deren Berechtigung die An-
sichten so geteilt sind, sind beibehalten. Vielleicht liefse sich
hier ein Mittelweg einschlagen und der Schmuck des Reimes in
besonders ergreifenden Stellen anwenden (wie es Schiller mit den
föDflufsigen Jamben nicht selten gethan hat), während für die
schlichte Erzählung der „Knittelvers** genügt. Geändert hat auch
hier der Verf. viel, und das meiste scheint mir entschiedene Ver-
besserung.
ÄuHserlich hat die zweite Auflage, namentlich aus Röcksicht
auf die kleinere, insofern eine Änderung erfahren, als die Ein-
leitung auch die früheren „Exkurse** am Ende des Buches mit
umfalst und so geteilt ist, dafs A Wolframs Leben und Werke
(S.1— 59), B Kulturgeschichtliche Erläuterungen (S. 61— 126)
enthält, während die früheren Anmerkungen unter dem Texte an
den Schlüfs des Buches getreten sind, wo sich aufserdem ein
,^'anien- und Sachregister*, eine Übersicht über „das Anjou- und
Gralsgeschlecht*' und endlich eine Probe des Originaltextes (Lachm.
116ts — llSio) beGndet. W^ir sehen auch in dieser Anordnung eine
entschiedene Verbesserung schon allein für das Auge, da nun der
Text regelmäfsig fortläuft
>Väbrend aber die gröfsere Ausgabe im wesentlichen dieselbe
geblieben ist, hat der Verf. in der kleineren Ausgabe etwas Neues
nnd wir können gleich hinzufügen recht Brauchbares geschaffen.
Der Preis der gröfseren Ausgabe und der Umfang des Gebotenen
ist für den Zweck der Schule zu grofs. Wenn es auch wün-
schenswert ist, dies gehaltreichste Werk der hößschen Dichtung
in der Schule ausführlicher zu behandeln als die anderen, so
reicht doch die Zeit nicht aus, um es mit der Ausführlichkeit
durchzunehmen, welche die gröfsere Ausgabe verlangt. Dadurch,
da£s in der kleinen Ausgabe die kulturgeschichtlichen Erläute-
rungen ganz weggefallen sind, wird ferner auch die Möglichkeit
geboten, die Schuler in Aufsäzten oder Vorträgen einzelnes sich
selbst zusammensuchen zu lassen.
Die Einleitung enthält so in 21 Seiten nur das Notwendigste
über das Leben und die Werke Wolframs. Sie lielse sich zum
Vorteil des ganzen sogar noch um drei Seiten kürzen, wenn
S. 16 — 19 der „Plan des Gedichtes** und die „Bedeutung der
Frage*' weggelassen würde. Wie weit ein Lehrer Punkte von
solcber Wichtigkeit wie diese beiden behandeln will, mufs jedem
142 Boetticher, Parzival v. Wolfram v. Eseheabach, agz. y.Rothe.
eiDzelnen überlassen werden. Auch 'werden die Ansichten darüber
weit auseinander gehen, und es ist immerhin mifslich, wenn die
Erklärung des Lehrers mit der im Buche gegebenen nicht über-
einstimmt. In solcher Körze, wie es der Verf. versucht, ist
endlich auch eine verständliche Erklärung kaum möglich, und so
erscheint mir auch wenigstens der Schlufs S. 19 sowohl in der
Deutung der Frage verfehlt wie für Schüler unklar und kaum
fafslich. B. schreibt nämlich : „Die Wirkung der Frage hängt
nach Wolframs Darstellung augenscheinlich von der sittlichen Be-
schaffenheit des Fragenden ab. Diese (?) zu erweisen, war zu-
nächst (?) die Bedingung gestellt, dafs er nicht „gewarnt'' werden
solle. Ist dieselbe (?) aber nun anderweitig erwiesen und zweifel-
los anerkannt, so wird jene Bedingung bedeutungslos, und die
Frage thul ihre Wirkung nicht blofs als opus operatum (?!), son-
dern weil sie aus dem Munde des jetzt sittlich vollkommenen
Parzivals kommt''. Ich sehe ab von der nicht glücklichen stili-
stischen Fassung der Gedanken, ich sehe ab auch von dem völlig
unverständlichen opus operatum, wofür in der gröfseren Ausgabe
„Zaubermittel'* steht, frage aber, wo ist auch nur die geringste
Andeutung im Parzival, dafs die Frage ihre Wirkung thue, weil
sie aus dem Munde eines sittlich vollkommenen Mannes kommt
Dieser Sinn ist unzweifelhaft hineingelegt; Wolfram weifs davon
nichts. Vielmehr befinden wir uns hier einem der zahlreichen
Widerspruche und Unebenheiten gegenüber, wie sie nicht nur bei
Homer, wo man sie so gern durch die Annahme verschiedener
Verfasser erklärt, sondern auch bei den verschiedensten älteren
und neueren Dichtem findet (vgl. meinen Jahresbericht über Homer
XIII S. 293 fr. , sowie XIX S. 133 ff. und „Die Bedeutung der
Wiederholungen für die Homerische Frage" S. 167).
Derartige Widersprüche sind offen zuzugeben und durch keine
kunstliche Erklärung zu beseitigen. Es ist allein zu zeigen, wie
der Dichter notwendig zu dem Widerspruch kommen mubte,
oder aus welchem Grunde er ihn nicht gescheut hat.
So hat in diesem Falle die Frage eine doppelte Bedeatun^;:
sie soll einmal Anfortas von seinen Leiden erlösen und anderer-
seits die sittliche Beife des Fragenden feststellen. Damit dem
letzteren Zwecke genügt werde, darf der, welcher fragen soU^
vorher nicht über die Bedeutung der Frage aufgeklärt werden.
Da er die Frage nun nicht gestellt und dadurch schwere Schuld
auf sich geladen hat, so ist es nötig, ihm zu sagen, worin diese
Schuld besieht, d. h. ihn über die Frage aufzuklären. Wena
dann die Frage doch noch den ersten Zweck, den Anfortas zu
heilen, erfüllen soll, so mufs dies genau so zu einem Wider--
Spruch fuhren, wie etwa in der Ilias, wo Zeus die Griechen noch
verfolgt, um Achilleus zu ehren, obwohl diesem volle Genug-
thuung zu Teil geworden ist, oder in der Odyssee, wo die Ver-
kappung des Odysseus, die im 13. Buche erzählt und lange not-
C. Beyer, Kleine Poetik, tDgeE. von U. Zeroial. 143
wendig ist, zuletzt Tergessen scheint, weil der Dichter die gemüt-
Hcfae ErzählaDg Yon der Wiedererkennung der Gatteo so ausfuhren
wollte, wie es jetzt geschieht. Lassen wir also auch hier den
Widerspruch offen vor den Schulern bestehen, so kommen wir
nicht nur der Wahrheit am nächsten, sondern geben ihnen auch
einen klaren Blick in die Werkstatt des Dichters.
Aufser der Einleitung ist auch der Text erheblich gekürzt
(roD 264 Seiten der gröfseren Ausgabe auf 164), und zwar
überall mit richtigem Takt. Es sind namentlich die Stellen weg-
gelassen» welche auf die Phantasie von Schulern gerade dieses
Alters Terderblich wirken können. Wegbleiben könnte wohl noch
S. 70 — 75 die Schilderung des zweiten Zweikampfes mit Klamide
(aacfa dem mit Kingrun), da ja zuletzt noch der mit Feireliz so
aosföfarlich beschrieben wird. Auch „Anfortas und der Gral**
S. 83 — 93 könnte gekürzt werden, während S. 152 wenigstens
Parzivals Bedenken (Lachm. 69526*^6964), an den Hof des Artus
zorückzukehren, wörtlich wiederzugeben waren, da sie auch er-
klären, weshalb er nicht früher Kondwiramur, nach der er sich
doch so sehnt, hat wiedersehen wollen.
Die Anmerkungen sind mit ganz wenigen Ausnahmen ange-
messen sowohl in der Auswahl des zu Erklärenden als in der
Erklärung selbst Einzelheiten werden sich auf anderem Wege
benchtigen lassen. Alles in allem genommen also ist diese Aus-
gabe ein gutes Hülfsmittel für die Behandlung des gröfsten mhd.
Dichters in der Schule.
Friedenau. C. Rothe.
C Beyer, Kleine Poetik. Für höhere Schalen und zum Selbstanter-
ricbt. Stuttgart, Deutsche Verla|fMD8talt, 1893. Vlirn. 127 S. 8. 1 M.
Das Buch, Seiner Majestät dem Könige von Württemberg Wil-
helm II zugeeignet, ist ein Abrilüs der vom kgl. wurttembergischen
Kttltnsminisienum zur Einführung in Schulen empfohlenen drei-
bändigen „Deutschen Poetik*' des gleichen Verfassers. Ziel dieses
grdlsaren Buches ist, die ihm noch von Fr. Rückert ans Herz ge-
legte deutsch-nationale Metrik und Prosodik durch den wissen-
schaftlichen Ausbau einer echt deutschen Beton ungslehre zu
schaffen und zu begründen, und an den Musterwerken unserer klas-
sischen Dichter hat er darzulegen sich bemüht, „wie der deutsche
6e»t sein Empfinden in einer Rhythmik zu entfalten vermag,
die auf den lieblichen Wellen des urdeutschen Accents — der
Allgewalt unseres Sprachgeistes die Schwingen löst*^ Jener
„hvndige Abrifs aus der Deutschen Poetik'* soll nun ein Leit-
Men für die Hand des Lernenden sein. Das Wissenswerteste
ans dem grofsen Gebiete der deutschen Poetik hofft der Verf.
geboten zu haben, soviel als ein poesieverständiger Lehrer ge-
iwermaAen als Diktat geben möchte, als aber auch ein Laie inne-
habeo mufs, wenn er sein gesteigertes Rhythmusgefühl schön und
144 C' Beyer, Kleine Poetik, angez. von (J. ZerBial.
richtig zum Ausdrucke briogen will, ja der Verf. möchte mit diesem
Abrisse gern einen thatsächlichen Beitrag dazu liefern, die Allge- '^
roeinbildung und das Allgemeinverständnis unserer Nation fär '
Poesie zu heben und dem Realismus unserer Tage gegenüber in
sonnige Gefilde des Idealismus zu geleiten.
Im ersten Teile (S. 1 — 82) wird nun die deutsche Verslehre =^
behandelt in sieben Hauptstucken: Vorbegriffe; Ästhetik; dichte-
rische Sprache; die Schönheitsblüten bildlichen Ausdrucks; Tropen
und Figuren; Betonungslehre (Prosodik und Rhythmik); Verslehre '*
(Metrik); Lehre vom Gieichklange (Reim); die Lehre ?on den ^
Strophen; im zweiten (S. 83—127) werden die Dichtungsgattungen
behandelt in fünf Hauptstücken: Charakter der Poesie, Einteilung :
derselben; Begriff und Umkreis von Lyrik, Didaktik, Epik und 3
Dramatik; die lyrischen, die didaktischen, die epischen, die drama- ^
tischen Diebtungen. '^
Wenn der Teil von der deutschen Verslehre (S. 82) mit der :
Hoffnung schliefst, dafs, wenn wir erst zum Bewufstsein von dem \
Vorhandensein guter deutsch-nationaler Strophen gelangt sind, für ^
die Folge die Bevorzugung fremder Strophen der Pflege an- :;
serer, dem urdeulschen Geiste eutblühten deutschen i
Strophen weichen mufs; dafs ferner man die fremden Stro-
phen zwar nicht ausrotten, sich aber nur mit ihnen beschäftigen i
wird, um das Gute derselben bei Handhabung jener dem deut- $
sehen Geiste entsprossenen Strophen in Anwendung zu bringen; i
dafs endlich unsere Losung sein wird: Im neuen deutschen i
Reiche eine deutsch - nationale Strophik! — wenn man «;
diese Worte liest und zusammenhält mit jenem oben erwähnten
Hinweise auf den Idealismus, so wird niemand sich dem Urteile ^
entziehen, dafs es dem Verf. heiliger Ernst ist mit seinem Gegen- ^
Stande, und dafs die Arbeit desselben auf streng wissenschaftlicher
Grundlage beruht.
Zweifelhaft nur wird es wie dem Ref., so auch manchem
andern erscheinen, ob es auch nur annähernd möglich sein sollte,
den ganzen oder auch nur den wesentlichsten Inhalt dieses Ab- l
risses in einer höheren Schule zu besprechen. Es scheint das
um so weniger möglich, als eine Fülle dem Schüler immerhin ^^^
fernliegender, fremdsprachlicher Ausdrücke zur Erklärung heran- ^
gezogen ist. So soll das Schöne sich enthüllen in der Proper- ^
tionalität, die den Gegensatz von Gleichheit und Verschieden-
heit auftiebt; so erstreben die Tropen und Figuren die ästhe-
tische Farbengebung; so werden die Metaphern geteilt in
vergeistigende, versinnlichende, materiale und gei-
stige; so werden naive Hyperbeln und Hyperbeln der Reflexion
unterschieden — alles sehr feine ästhetische Begriffsdefinitionen,
aber für Schüler teilweise schwer verständlich und sicherlich eine
doch heute um alles in der Welt zu vermeidende Abweichung
von der Beschränkung auf das AUernotwendigste.
Bra^maaD, Groodr. d. ver^l. Grammatik, agz. v. H. Ziemer. 145
Der Verf. ,,setzt der altklassischen quanlitierenden Prosodik
die deutsche accentuierende entgegen" — wenige Seiten spater
erscheinen die Namen Jambus, Trochäus, Daktylus, Anapäst, ohne
dafs aach nur mit einem Worte ausgesprochen wird, dafs diese
Namen doch eben nur der Einfachheit halber geborgte sind. —
Hit Interesse liest man, was im 4. Kapitel der Verslehre (Metrik)
„Ton den freien Versarten (Accentversen)" gesagt wird, aber auch
hier fehlt es wieder nicht an Ausdrücken, wie „symmetrischen
AceentTersen (Silbenzählungsversen), mafsföllenden Silbenzähiungs-
Tejrsen, strophisch vereinten Accentversen , freien Accentversen,
deotschen Hebungsversen und freien Volksversen*'.
Bei der Besprechung der Dichtungsgattungen wird die Di-
daktik ganz selbständig als vierte Gattung, als „subjektive Poesie
wie die Lyrik hingestellt. Sie will Wahrheiten der schönen Form
vermählen. Von der Lyrik des Gefühls unterscheidet sie sich
dadarcb, dafs bei ihr die Erregung des Gefühls keine unmittelbar
diktierte ist, dafs vielmehr die Erhebung auf den Gedanken
sich gründet In diesem Sinne ist die Didaktik als Verstandes-
logik aufzufassen: als Gedankenlyrik'^» Schiller und Rückert
werden als die eigentlichen Begründer einer echten didaktischen
Poesie in hohem Sinne bezeichnet, bei der die schöne Form
den tiefen Inhalt decken mufs.
Ob es richtig ist, dafs das dichterische Genie nicht ange-
boren ist, dafs es erworben werden kann durch angestrengten
FleiTs, durch eine Schule der Technik und des Handwerks, dafs
Voraussetzung ist Urkräftigkeit der Anlagen sowie Gesundheit des
Geistes? Das letzte ist unbedingt richtig, aber das, was wir im
Gegensatze zum Talente Genie nennen, ist auch auf dem Gebiete
der Dichtung angeboren.
Berlin. U. Zernial.
Karl Brasmano, Grnndrifa der vergleichenden Grammatik der
indosermaniachen Sprachen. Schlafaliefernng : Indicea (Wort-,
Sach- aod Aatoreniadez. Strafabarg 1893, Karl J. Tröbner. 236 S.
gr. 8. 6 M.
Nachdem die gewaltige Arbeit des Brugmannschen Grund-
risses vollendet worden ist, folgt nun als wertvoller Schluüsstein
ein aosföbrlicher Registerband, der Schlüssel des Gebäudes. Ein
R^ister dieses Umfangs dürfte zu den Seltenheiten gehören; aber
wie es einerseits beweist, welche ungeheure Formenfülle in dem
„Grundrisse'^ selbst behandelt worden ist, so zeugt es andrerseits
von dem unermüdlichen Bienenfleifs des Verf. und seiner bewun-
dernswertes Sorgfalt, der sich nicht hat verdriefsen lassen, die
notwendige, aber unendlich langweilige Arbeit der Registeranfer-
tigüDg selber zu leisten. Diese Arbeit war hier durchaus keine
JDechaniscfae oder leichte. Denn da im „Grundrifs** bei der Er-
örterung der Einzelheiten der Laut- und Formenlehre in der Regel
Z^ttehr, C ^ OjmaMialwes«! XLVHL 2. 8. IQ
146 Brag^mana, Grund r. d. vergl. Granimatik,agz. v. H.Ziemer.
als Belege eine gröfsere Anzahl von solchen Wörtern und Wort-
formen zusamnoengestellt ist, die sich in mehreren Sprachen zu-
gleich finden und auf dieselbe Grundform zurückzuführen sind,
so hat Verf. das Wortregister so eingerichtet, dafs es nebenher
zur Orientierung in etymologischen Fragen, in solchem, was
Gegenstand des vergleichenden Wörterbuchs ist, benutzt werden
kann. Es ist auch dem, der nicht Fachmann ist, die Möglichkeit
gegeben, sich in etymologischen Fragen Rats zu erholen.
Der Wortindex, 167 Seiten stark, beginnt mit Altindisch
(24 S.), darauf folgen die übrigen indog. Sprachen mit ihren Ab-
zweigungen un«l Dialekten, z. B. Phrygisch, Thrakisch, Altgriechisch
(32 S.); Lateinisch (20 S.); Romanisch, Faliskisch, Umbriscb,
Oskisch, Sabellisch (a. Sabinisch, b. Vestinisch, c. Marrucinisch,
d. Pälignisch, e. Marsisch, f. Volskisch) 8 Seiten umfassend; das
Keltische mit seinen Zweigen (12 S.); Gotisch, Althochdeutsch
(8S.); Niederdeutsch, Niederländisch, Friesisch, Angelsachsisch-
Englisch, Altisländisch, Schwedisch- Dänisch, Urnordisch (32 S.);
Litauisch, Lettisch, Preulsisch (13 S.); die slavischen Sprachen
(13 S.). Und jede Seite hat drei Kolumnen, so dafs auf einer
Seite etwa 120 Wörter und Wortformen stehen, auf den 167 S.
also rund etwa 20 000 Wörter nachgewiesen worden sind.
Der Sachindex (etwa 65 S. stark) beschränkt sich auf die
wichtigsten Kategorieen. Besonders interessant sind die Gruppen
der lautlichen Angleichung oder Assimilation, der Angleichung
gegensätzlicher BegrilTe (z. B. fneridianälis nach septentrionalis), der
Angleichung von Wörtern infolge BegrifTsverwandtschaft (vgl.
o^Tt;^ nach xoxxt;^ u. a., lat. ne(^o = Verbalstamm *ncdfc--f-pfecro),
ferner die Gruppen: Bildungselemente durch Analogiewirkung
doppelt gesetzt, graphische Ausgleichung (z. B. lat. urbs st. vrps),
Neubildung von Formen, bei der ein einzelner Laut der Musler-
form nur partiell nachgeahmt wird, Volksetymologie (z. B. snoip
nach aY&oifj, vinodsg nach nodsg, levir nach vir). Das Register
der Suffixe umfafst hier allein etwa 28 viergespaltene Seiten und
ist in sich nach Sprachen geordnet; 15 Spalten kommen auf die
griechische, 10 Spalten auf die lateinische Sprache.
Im Autorenindex fällt der Löwenanteil Bartholomae, Bezzen-
berger, Brugmann, Curlius, Danielsson, Hubschmann, Johansson,
Kluge, Leskien, G. Meyer, Miklosich, Osthoß', J. Schmidt, Stolz,
Thurneysen, Wackernagel, Windisch, Whitney und Zimmer zu;
aber auch die zahlreichen anderen Namen beweisen, dafs Verf.
Vertreter aller Richtungen hat zu Worte kommen lassen.
Indem wir diese Registerarbeit mit gebührendem Danke gegen
den Verf. begrüfsen, erwähnen wir noch zum Schlüsse, dafs nach
einer Ankündigung der Verlagshandlung die Fortsetzung zu Brug-
manns Grundrifs, B. Delbrücks Grundrifs der vergleichenden
Syntax der indogerman. Sprachen, soeben erschienen ist.
Colberg. H. Ziemer.
Rotkfaehs, Methodik d. altspracbl. Unterr.; agz. v. Maff. 147
Rothfuebs, Beitrage zur Methodik des altsprachlicheo Unter-
richts, iosbesoodere des iateioischeo. 3. Auflage. Mar-
barg 1893, Elwert. 156 S. 8. 2,70 M.
Ein für die Lehrer besUmmles Buch, das in 3. Auflage er-
scheint, braucht nicht noch besonders empfohlen zu werden; es
ist bekannt und geschätzt genug. Auch habe ich desselben Ver-
fassers „Bekenntnisse aus der Arbeit des erziehenden Unterrichts'',
eine Schrift, die in vielen Stücken der vorliegenden verwandt ist
und dieselben Vorzuge wie sie aufweist, in dieser Zeitschrift so
eingehend besprochen, dafs ich auf jene Besprechung verweisen
kaoou Ich beschränke mich also darauf, den Inhalt des Buches
kurz anzugeben. Unsere Schuler sollen von Sexta an reines,
echtes Latein lernen; denn das Lateinische erfüllt, wenn es recht
betrieben wird, eine hohe Aufgabe, es macht den Geist gewandt
und kräftig. An einer Reihe von Beispielen wird nachgewiesen,
wie die syntaxis ornata durch alle Klassen hindurch geübt werden
mufs, damit der lateinische Unterricht auch in formaler Beziehung
recht fruchtbar werde. Dann wird gezeigt, welchen Wert das
Konstruieren für die leichtere Auffassung der Schriftsteller hat,
und wie zum richtigen Konstruieren methodisch anzuleiten ist.
Hierauf wird vom Extemporieren und zuletzt vom Präparieren
eingehend gehandelt. Die Überschriften sind, wie man sieht,
schon verlockend genug; sie betreffen Dinge und Fragen, die von
hoher Bedeutung sind und jeden denkenden Lehrer oft und viel
beschäftigen. Aber wie die Titel viel versprechen, so bieten die
Ausführungen viel. Erfahrung und reifliches Nachdenken haben
zosammengearbeitet, um Rothfuchs in den Stand zu setzen, zu-
mal jungen Lehrern zu zeigen, wie sie den Unterricht anzugreifen
haben, um die Schuler für die Sache zu gewinnen und gute Er-
gebnisse zu erzielen. Es wäre zw wünschen, dafs auch die hier
niedergelegten wohlerwogenen Anschauungen recht fleifsig be-
herzigt würden; und das darf um so eher gehofft werden, als
der Gegenstand anschaulich, mit behaglicher Breite und doch in
fesselnder Sprache behandelt ist.
CasseL Christian Muff.
1) Max Engelhardt, Die Stammzeiten der lateioischen Kon-
jogation wisseosehaftlich and pädagogisch geordoet. Handboch für
Lateiolebrer. Berlin 1892, Weidmaoasche Buchbaodloog. 47 S. 8.
1,20 M.
Der Verf. führt seine Schrift ein als einen Versuch, die
wissenschaftliche Ordnung, wie sie sich in seinem Buche „Die
lateinische Konjugation'' (Berlin 1887, Weidmann) S. 108—140
darstelle, pädagogisch zu verwerten. Die erwähnte Schrift ist ja
mit Beifall aufgenommen, darum wird der vorliegende Nachtrag
dazu auch dankbar begrüfst werden. Für den Lehrer, der sprach-
wissenschaftUch gebildet ist, enthält das Büchlein freilich nicht
10*
148 EDgelhardt, Stammzeiten der lat. Rodj., agz. v. Pagner.
viel Neues, aber frischt doch manches wieder auf und liefert den
nötigen Stoff in brauchbarer Kürze; für die Philologen aber, die
auf Sanskrit und Gotisch mitleidig lächelnd herabblicken, und
solche gab's selbst in Leipzig zu Lebzeiten von Georg Curtius
übergenug, bringt der Verf. des Neuen vielleicht zu viel. Das
Buch ist aber auch ohne Renntnisse auf sprachvergleichendem
Gebiete verständlich und bietet viel Anregung. Es ist sorgfältig
gearbeitet, korrekt gedruckt und ausführlich genug, auch auf ab-
weichende Deutungen anderer Gelehrter ist bei streitigen Punkten
Rücksicht genommen. Ein Register ist angehängt, das seine Be-
nutzung erleichtert und Etymologisches und Verwandtes aus andern
Sprachen anschliefst.
Der Verf. hat laut dem Vorworte erst die Absicht gehabt,
ein Hülfsbüchlein für den Quintaner zur leichteren Erlernung der
Stammzeiten der 3. Konjugation zu schreiben, hat die Ausführung
dieses Planes aber „auf ruhigere Zeiten'* verschoben. Sehr mit
Recht; vielleicht erspart er sich diese Mühe nun überhaupt, da
anzunehmen ist, dafs die Schulgrammatiken seine Aufstellungen
berücksichtigen. Wenn das der Fall ist, braucht der Schüler ein
Buch weniger zu handhaben, was gewifs wünschenswert ist. Dann
ist aber die gleichmärsige Berücksichtigung der wissenschaftlichen
und pädagogischen Gesichtspunkte ein Ding der Unmöglichkeit.
So wissenschaftlich richtig es ist, nuo, suo u. s. w. als Verba zu
bezeichnen, in denen die Präsensverstärkung t (Engelhardt schreibt
genauer t) gänzlich ausgefallen sei, so unpädagogisch wäre es,
diese Verba unter die T- Klasse aufzunehmen. Das wäre sonst
ein Punkt, wo dem gegen die '„Wissenschaftlichkeit'' der Gram-
matiken eifernden Waldeck beizupflichten wäre. Im vorliegenden
Buche konnten aber die Komposita wegbleiben; der Verf. hat sie
beibehalten, ,.da ihm der Gedanke einer Umarbeitung zu einem
Schulbuch auch jetzt noch vorschwebt**. Ich fürchte, dafs es als
Schulbuch doch eine wesentlich einfachere Gestalt haben müfste
und die Hinzufügung der Komposita nur eine, und nicht die
wichtigste, der notwendig werdenden Veränderungen sein würde.
Im wesentlichen dürfte doch die Anordnung, wie sie z. B. Harre
giebt, den didaktischen Forderungen genügen, und nur das bliebe
zu erwägen, ob nicht hier und da mnemotechnische Hülfen hin-
zugefügt werden sollten, wie sie für den Schülerverstand passen.
Also, ich meine, man könnte nichts dagegen haben, wenn acuo
durch Beifügung des deutschen ,,Ecke**, ango durch „Enge, Angst*^
caedo durch „scheiden, Scheitholz**, cäno durch „Hahn** u. s. w.
dem Schüler näher gebracht würde, zumal es auch der Mutter-
sprache Dienste thut. Solcherlei hat ja freilich der Lehrer münd-
lich in Bereitschaft, aber es könnte gewifs nicht schaden, wenn
das Buch ihn und die Schüler dabei unterstützte.
BiedernaiiB, Lat IJbuofsbuch, aogex. von F. Füf ner. 149
2} Georg BiedermaDo, Lateinisches Obaogsbach für die zweite
Rlassedes Gymoasiams. 4. umgearbeitete Auflage. Miiocheo
1S92, Ackermaou. V a. 195 S. 8. 1,60 M.
lonerhalb der blau-weifsen GrenzpfShIe lebt sich's, wie es
scbeinl, auch nach der neuen Schulordnung noch behäbiger für
den Lateinlebrer als bei uns in Preufsen. Man braucht mit der
Hinute noch nicht so zu geizen, bei der Auswahl des Stoffes noch
nicht so ängstlich zu sein, man hat noch etwas mehr Zeit zur
Verfügung. So ist es zu erklären, wenn das zur Anzeige vorge-
legte Buch Biedermanns, ein lateinisches Übungsbuch für die Quinta,
sieb noch manchen Luxus in Vokabeln und Formen leisten darf, die
bei uns nicht mehr erlaubt wären. Ein munificentiar z. B. werden
wir unsern Schülern nicht zu übersetzen geben, es steht noch
nicht einmal im Neue, und mit evomere und resfuere plagen wir
sie auch nicht mehr. Aber das Buch ist sorgfältig gearbeitet und,
so weit ich sehe, ebenso gedruckt, so dafs ich glaube, es läfst
sich nach ihm ganz gut unterrichten. Die 4. Auflage beweist
dies ja aucii hinlänglich. Meistens bietet der Verf. Einzelsätze,
erst nach der 3. Konjugation mehren sich die zusammenhängenden
Stöcke. Zu Grunde gelegt sind die Grammatiken von Englmann
und Landgraf, die sogar ab und zu zitiert werden, was bei uns
auf dieser Stufe nicht üblich ist. Angehängt ist eine Sammlung
?on Synonymen nach Sepps bekanntem Büchlein; eine ebensolche
fon Phrasen wäre am Ende auch nützlich, aber nicht nur zum
Nachschlagen, wie B. es bei den Synonymen wünscht, sondern
zum festen Lernen. Die Sprache der Übungssätze in beiden
Sprachen genügt und übertrifft im Ausdruck manches andere
Übungsbuch ; die Schreibung milUa fällt auf. Cato (S. 73) hat
kein langes a; interemere S. 70 ist verdruckt; Quantitätsangaben
sind wohl zu spärlich, namentlich die Endungen sollten öfter be-
seichnet werden, als es geschieht. Bemerkenswert erscheint mir
schlieDslich die Abfolge der grammatischen Pensen. Nach den
Deklinationen und der Komparation werden die 1., 2. und 4.
Konjugation behandelt, dann aber erst Numeralia, Pronomina und
Adverbia, ehe die 3. Konjugation daran kommt. Es folgen Kon-
junktionen, Imperativ, Gerundium, Partizip, Conj. periphr., Infinitiv
und Acc. c. inf., später die Deponentia, endlich die anomalen,
ddißktiven und impersonalen Verben. Zwischen die syntaktischen
Vorübungen und die Deponentien sind zusammenhängende Ab-
schnitte geschoben, „Aus der römischen Geschichte*' und „Fabeln'',
ebenso beschliefsen „Fabeln'' und „Aus der römischen Geschichte"
das Ganze. Aber entgegen dem norddeutschen Usus überwiegen
die Einzelsatze zu stark, ist ihr Inhalt überdies zu bunt und die
gewünschte Vokabelmasse zu grofs. Wir könnten ihre Bewältigung
unsem Quintanern nicht zumuten.
150 M. Heynacher, Beitrage, aogez. von F. Fo^oer.
3) Max Heynacher, Beiträge zur zeitgemäfseo Behaudlaog der
lateinischen Grammatik auf statistischer Grundlage. Ber-
lin 1892, Weidmannsche Bochhandlang. 52 S. 8. 1 M.
Nach den Vorarbeiten über Nepos von Köhler, Sallust von
Braun, Livius vom Ref. und Cäsar von ihm selbst bat Heynacher
nun den Kreis geschlossen, indem er die sechs gelesensten Reden
Ciceros nach den bekannten Gesichtspunkten untersucht Aber
die kleine Schrift hat nicht nur das an sich schon grofse Ver-
dienst, die Lektüre Ciceros für die Behandlung der Grammatik
im Unterrichte nach der Seite der Statistik hin verwertet zu
haben, sondern sie bietet zugleich einen Rückblick auf die ver-
wandten Beobachtungen und Zusammenstellungen, die sich nun-
mehr über vier Unterrichtsjahre erstrecken, und zwar über die-
jenigen vier, in denen die Syntax den Hauptgegenstand der
grammatischen Unterweisung ausmacht. So entsteht in der That
eine Syntax auf Grund des Lektürebetriebes vor uns, die sich
dadurch auszeichnet, dafs ihre Aufstellungen sich sämtlich auf
sicherem und der unmittelbarsten Nachprüfung ausgesetztem
Boden erheben. Schon deshalb ist die Schrift von Belang für
den lateinischen Unterricht und wird hoffentlich recht oft zu Rate
gezogen, wenn man über die Grenze zwischen mehr oder minder
notwendigem Lehrstoff (und Lernstoff) ungewifs ist. Dazu kommen
als dritter Vorzug des Werkchens die Winke für verständige Aus-
nutzung des statistisch geordneten Materials, in denen der Verf.
wieder einmal aufs bündigste den Vorwurf widerlegt, als leide er
an Zahlenwut und Zifferngröfsenwahn. Es ist klar, dafs H. aus
den Eingangs genannten Schriften erst den wahren Nutzen ge-
zogen hat; nur soll der Lehrer nicht meinen, er sei, im Besitze
der Schlufslieferung des schulgrammatisch- statistischen Sammel-
unternehmens, der Heranziehung der früheren Lieferungen über-
hoben. Auch unter dem Verdachte pro domo zu sprechen, weise
ich vielmehr bei dieser passenden Gelegenheit empfehlend auf
jene Arbeiten hin, die zusammen ein Ganzes bilden wollen.
H. hat also ausgezogen die vier Catilinarischen Reden, die
Rosciana und Pompeiana. Dabei ist freilich der rhetorische Cha-
rakter zu berücksichtigen, der die Ergebnisse hier und da etwas
beeinflufst, aber da auch in die geschichtlichen Schriften Reden
eingeflochten sind und die lateinische Prosa selbst im nüchternsten
Chronikstil ihre Herkunft vom Forum nicht verleugnet, so sind
die Abweichungen der Statistik aus Cicero von der aus den
den Historikern nicht so grofs, wie man vielleicht erwartet hat
Die Geschlossenheit und Übereinstimmung des Stoffs ist immerhin
derartig, dafs man danach den Aufbau der syntaktischen Pensen
und ihre Verteilung auf die einzelnen Jahre recht wohl vornehmen
könnte, ohne in arge Künsteleien zu verfallen. Aber H. selbst ist
ja frei von der Einseitigkeit, die Statistik als alleiniges Einteilungs-
prinzip aufzustellen; ein sehr wichtiges bleibt sie jedenfalls. Wie
Friedersdorff^ Lat Scholgrammatik, agz. v. v. Kobilioski. 151
weit H. von der Überschätzung der Zahlen entfernt ist, erhellt
z. B. aas seiner Forderung, dafs eine Grammatik, die dem Schüler
verständlich und zweckdienlich sein solle, „gesprächig und aus-
fohrlicli^' sein müsse. Im einzelnen könnte das Ergebnis für den
grammatischen Unterricht noch etwas vereinfacht werden, wenn
H. TOD den Lebensbeschreibungen des Nepos nur die berücksich-
tigt hätte, die wirklich gelesen werden. Z. B. kommt reliquum
ta tu nur einmal im Atticus vor, der doch thatsächlich nicht in
Betracht kommt, und einschränkendes tantum ut begegnet nur
einmal in de regibus, auch das zweimalige fuam ut nach einem
Komparativ wird der Quartaner nicht zu sehen bekommen. Aber
im ganzen bleibt die Arbeit Heynachers ein beachtenswertes Hulfs-
mittel für jeden Lehrer, der es mit der Verwertung der Lektüre
im grammatischen Unterricht ernst nimmt.
Nienburg a. Weser. F. Fügner.
Franz Friedersdorf f^ Lateinische Schalgrammatik.
B«r]in 1893, Ferd. Diimmlers Verlassbnchhaodluog. 201 S. 8. ],S0 M.
Wer sich die grofsen Verdienste vergegenwärtigt, welche um
die lateinische Schulgrammatik ihr erster Meister Zumpt sich er>
Worten hat, der wird dem Verf. vorliegender Grammatik getvifs
zostimmenf wenn er es für eine Pflicht der Pietät erklärt (Vorw.
S. lU), eine Neubearbeitung des alten grundlegenden Lehrbuchs zu
versuchen. Und um so dankenswerter müssen die Bemühungen des
Verf.8 scheinen, da die Veränderung der Ziele des grammatisshen
Unterrichts eine völlige Umgestaltung der früheren Form nötig
machte. Die erste und schwierigste Aufgabe, den grammatischen Stoff
den heutigen Forderungen entsprechend zu Gxieren, ist nach des
Rez. Ansidit mit grofsem Geschick gelöst worden. Sowohl in der
Formenlehre als in der Syntax wird der Grundsatz, der im Vor-
wort aufgestellt ist, durchaus gewahrt, bei möglichster Kürze „Ent-
behrliches aus dem Lehrstoff auszuscheiden und doch den Rat
suchenden Schüler nicht ohne Auskunft zu lassen*'. Dieses Prinzip
scheint dem Rez. entgegen der augenblicklichen extremen Rich-
tung der äufsersten Beschneidung des Inhalts für die Brauchbar-
keit des grammatischen Lehrbuchs ausschlaggebend zu sein. Denn
eine derartig aufgebaute Grammatik leistet einmal denen Genüge,
welche von derselben mehr als den blofsen Lernstoff verlangen,
sie kann aber auch auf der andern Seite keine Beanstandung
finden, da bei richtiger Anlage, wie sie von Fr. getroffen ist, der
Lernstoff schon abgesondert dargeboten wird oder mühelos sich
ausscheiden Idfst. So wird trotz des geringen Umfangs der vor-
liegenden Grammatik (188 S.) der an den bisherigen Inhalt ge-
wöhnte Lehrer kaum eine Regel vermissen; überdies enthält sie
Bocb einen reichhaltigen grammatisch- stilistischen Anhang, ein
152 Friedersdorff, Lat Seholgrainmatik,
Kapitel über die Metrik und den römischen Kalender, und der
Formenlehre ist ein Abschnitt ober die Wortbildung angefägt.
Die Bewältigung des umfangreichen Stoffs auf so kleinem
Räume wird ermöglicht durch die kurze und treffende Fassung
der Regeln. So zeugt von dem pädagogischen Geschick des Vei^.s
z. B. die Behandlung der Wortbildungslehre, der Präpositionen,
der hypothetischen Sätze und der oratio obliqua. Besondere Be-
achtung verdienen ferner die Regeln über den Gebrauch der Tem-
pora, welche in den meisten Lehrbüchern die zahlreichen Einzel-
falle aneinander reihen, ohne ihren Zusammenhang genügend
hervorzuheben. Bei Fr. deckt den Gebrauch des Imperfektum z. ß.
vollständig die kurze Hauptregel (§ 155) : „Das Imperfektum dient
auf die Frage: was war? zur Angabe einer dauernden (unvollen-
deten) Handlung in der Vergangenheit'*, und diesem Gesetz wer-
den dann die Fälle, auf welche es Anwendung findet, untergeordnet:
„Es steht daher 1. zur Schilderung von Sitten, Gewohnheiten,
Einrichlungen, Stimmungen und wiederholten Handlungen (absolut).
2. Zur Angabe einer gleichzeitig mit dem Eintreten einer andern
Handlung noch dauernden Handlung (relativ)'*. Einen weiteren
Vorzug des Lehrbuchs bilden die vortrefllich gewählten Lehrbei-
spiele. Von einem guten Lehrbeispiel verlangt man mehrere
Eigenschaften, die sich schwer in einem Satze vereinigen lassen.
Es müfs kurz sein, damit die Aufmerksamkeit nicht von den
wesentlichen, die Regel zum Ausdruck bringenden Worten abge-
lenkt wird, ferner soll es in der Form als Muster dienen können,
und wird daher am besten den Klassikern entlehnt, dann darf es
eines gewissen der Beachtung würdigen Inhalts nicht entbehren.
Diese Forderungen erfüllen die Lehrbeispiele bei Fr. durchaus.
Die den Klassikern entnommenen Stellen sind zweckentsprechend
zu abgerundeten, den lateinischen Tenor wahrenden Sätzen ver-
kürzt: wo es nötig ist, wird nach dem Vorgange von Schmalz
eine deutsche Erklärung zum Verständnis des Zusammenhangs der
Sätze beigefugt. Noch mag auf eine Neuerung des Verf.s bei
der Anordnung der Genusregeln hingewiesen werden, die für ähn-
liche Fälle in der Schulgrammatik Nachahmung verdient. Die
Bestimmungen über das Genus werden in der bisher üblichen
Form von Reimregeln gegeben, daneben aber ist der neueren,
immer mehr wachsenden Strömung gegen die gereimte Form
Rechnung getragen, und die reimlose Regel der gereimten zur
Seite gestellt. Eine solche vermittelnde Stellung ist der Schul-
grammatik, zumal bei dem jetzt gerade aufserordentlich regen
Streben, ihre Form zu vervollkommnen, sehr ratsam, wenn sie
die schwierige Aufgabe lösen soll, für die verschiedenartigen Me-
thoden, die dem grammatischen Unterricht zu Grunde gelegt
werden können, als Lehrbuch zu dienen.. Zum Schlufs ist die
in den Regeln und Beispielen durchgeführte Hervorhebung der in
Frage kommenden Wörter durch den Druck anzuerkennen, die in
■ n^ez. von G. v. Kobilinski. 153
dieser Art als ein wesentliches Hölfsmittel zur Erleichterung der
Cbersichtiichkeit angesehen werden mufs.
Neben den besprochenen Vorzögen der Form, die überall den
kundigen Pädagogen verrät, dürfen manche Mängel, die den In-
halt der Grammatik betreffen, nicht unerwähnt bleiben. Zunächst
steht die Grammatik noch auf dem Boden des rigorosen Cicero-
nianismos, dessen Herrschaft schon lange bekämpft wurde und
nun nach den neuen Lehrplänen, wohl allgemein und endgültig
gebrochen ist Wenn der grammatische Unterricht in Wechsel-
besiehuDg mit der Lektüre stehen soll, bei der den Historikern
ein weit gröfserer Raum als den ciceronianischen Schriften zu-
gewiesen ist, so müssen die Regeln fallen, mit denen der Sprach-
gebrauch Ciceros vor der Weiterentwickelung der silbernen Lati-
Ditlt geschützt wurde. Deshalb darf der transitive Gebrauch des
Yerbum (nvadere^ der dem Schüler bei der Lektüre des Livius
geUofig wird, nicht verboten werden (§71), eben so wenig die
Anwendung der Phrase eo arrogantiae venit nach demselben klas-
suchen Muster (§ 94), und die Konstruktion des Participium
Futuri ohne Verbindung mit esse (§ 145). Aus demselben Grunde
empfiehlt es sich nicht, bei den mit cum zusammengesetzten
Komposita die Wiederholung der Präposition als Regel aufzu-
stellen (§81), noch die Gerundivkonstruktionen im Dativ und
Akkusativ trotz ihrer Häufigkeit bei den Historikern zu beschrän-
ken (§ 139 und 140). Auch die Anmerkung zu donecy in der
angegeben ist, dafs die Konjunktion bei Cäsar nicht vorkommt
und sonst nur mit dem Indik. Perf. verbunden steht (§ 185),
dürfte besser zu Gunsten des freien Gebrauchs im silbernen La-
tein aufgegeben werden. Zu eng ist ferner die Begrenzung der
Konstruktion von recoricr (§ 96), das selbst bei Cicero sächliche
Objekte nicht nur im Akkusativ bei sich hat, wie die Regel fest-
stellt, sondern auch im Genitiv, z. B. flagitiorum suorum recar-
dahäw in Pis. 12, und mit de, vgl. de Ulis (lacrimis) recordar
pro Plane 104. Weiter ist trotz der Stütze klassischer Beleg-
stellen unberücksichtigt geblieben der persönliche Gebrauch von
9pu$ e$i (§ 103), die Verbindung von similis und dissmilis mit
dem Dativ persünlicher Nomina (§ 79), die häufige Konstruktion
der Ortsbestimmungen, zu denen toius tritt, mit der Präposition
m (§ 1 16), und die Bestimmung, dafs die Präposition cum ebenso
gut vor dem pron. rel. stehen darf (§ 51). Gegen diese Bean-
standungen kann der Einwand erhoben werden, dafs die Schul-
grammatik nur die gebräuchlichsten Spracherscheinungen zu be-
ricksicbtigen habe und die Ausscheidung von mitberechtigten
Kooatruktionen zur Vereinfachung des grammatischen Unterrichts
beitragen müsse. Allein gerade dieser Grundsatz verdient die
schirfsfe Zurückweisung; denn seine Befolgung hat der Schul-
graoBmatik den schwersten Schaden zugefügt, indem sie durch
denselben in einen starren Formalismus getrieben wurde, der die
154 Friedersdorff, Lateinische SchalgrammatiiL,
Sprache in die engsten Fesseln zwang. Wo die Sprache die
Freiheit des mannigfaltigen Ausdrucks hatte, da wurde die relative
Häufigkeit der einzelnen Fälle, die nicht selten auf Zufall oder
individueller Vorliebe des Schriftstellers beruht, als Hafs ihrer
Güte festgestellt, und aus dem Sprachgebrauch Ciceros eine ge-
wissermafsen gereinigte Form gewonnen, in deren Grenzen der
Schüler sich bewegen mufste. Abgesehen von der Unnatur einer
solchen Sprache erzielt dieses sogenannte SchuUatein nicht einmal
die Verminderung des grammatischen Stoffs, vielmehr läfst es sich
beweisen, dafs gerade der weitere Umfang der Sprachgesetze ihren
Inhalt vereinfacht. Für die Phrase alicuiin mentem venu z. B. ist nach
dem überwiegenden Sprachgebrauch Ciceros die unpersönliche Kon-
struktion in der Verbindung mit Substantiven, die persönliche bei
dem Neutrum des Pronomens und Adjektivums Regel geworden.
Der dem silbernen Latein geläufige persönliche Gebrauch beim
Substantivum ist auch aus Cicero zu belegen: res et actio pro Cae-
cina 40, conluvio et eversio de bar. resp. 55, ratio de invent. 11 132,
res, genus epist. IV 13, 1, res ad Attic. XII 37, 2, mufs also zweifel-
los auch im engsten Sinne als klassisch bezeichnet werden. Die
Erweiterung der Regel aber, die diesen Punkt berücksichtigt, be-
deutet eine Vereinfachung derselben. Denn die Einschränkung
der persönlichen Konstruktion liegt so wenig in der Natur der
Phrase begründet, dafs diese, statt die Regel zu entlasten, der-
selben gerade ein neues, lediglich gedächtnismäfsiges Moment hin-
zufügt. Dazu kommt noch, dals solche Bestimmungen, die durch
die Logik der Sprache nicht gestützt werden, ohne häufige Wie-
derauffrischung dem Gedächtnis entschwinden, zumal wenn sie
auch in der Lektüre nicht genügenden Schutz finden. Die Lek-
türe aber tritt zu der Grammatik in ein gewisses feindliches Ver-
hältnis, das den Lehrer zwingt, nicht nur manche nachciceronianische
und deshalb in dem Lehrbuch unberücksichtigte Spracherscbei-
nungen zu behandeln, sondern auch die klassische Ausdrucksweise
diesen gegenüberzustellen und einzuprägen.
Aufser diesen Ausstellungen, welche die oben berührten Fälle nur
dann treffen, wenn das bekämpfte Prinzip, wie es jetzt und früher in
dieser Zeitschrift nachzuweisen versucht wurde, als unhaltbar anzu-
sehen ist, bedürfen noch einige Stellen in der Grammatik von Fr. der
Verbesserung. Unter den Parisyllaba, welche den Abi. auf e
bilden, wird imher besonders angeführt (§ 1 1) ; doch ist die En-
dung t häufig, nach Wagener (Gr. § 28) sogar der ersteren vorzu-
ziehen. Von den Adjektiven, die der konsonantischen Deklination
folgen, giebt die Reimregel (§11) neun an, nicht zehn, wie
vorausgeschickt wird; die seltenen Worte cadebs und sospes
könnten in dieser Reihe ohne Schaden fehlen, das klassische
pubes aber durfte nicht zu entbehren sein, ebenso wenig memor
und inops mit dem Abi. auf t und den Gen. auf um. Sehr selten
ist ferner in klassischer Prosa die griechische Akkusativform
an^ez. vod G. v. Kobilinski. 155
auf a, und deshalb empfiehlt sich auch für Salamis die latei-
nische Endung als Regel (§ 16). Auch die Bestimmung, dafs
die zweisilbigen Wörter nach der 4. Dekh'nation, die auf cus
ausgehen, den Dat. und Abi. Plur. auf ubus bilden (§ 13), trilTt
nicht zu. Am beslen erklärt man aus der Natur des Vokals t
das Schwanken der Schreibweise in dieser Endung, wie Harre
and Landgraf es thun; in keinem Falle aber darf die regelmäfsige
Form, die bei den Klassikern gebräuchlicher ist, verboten werden.
Bei den Verba defectiva ist inqtat (§ 49) zu kurz gekommen;
wenn schon inquidat und inquisti wegen ihrer Seltenheit zu ent-
behren sind, so darf doch das Perfekt inquit nicht fehlen. Dafs
rex TOT dem Beziehungswerte zu stehen pflegt, lehrt die An-
merkung (§ 63) mit Unrecht; denn in den Reden Ciceros allein
findet sich etwa zwölfmal die Apposition nachgestellt. Auch die
Konstruktion posco^ flagüo aliquod ab aliquo darf nicht eingeschränkt
werden (§ 76) ; flagiio z. B. ist nur einmal bei Cicero mit dem
doppelten Akkusativ, fünfmal mit der Präposition verbunden. In
der Regel über interest ist die Zusammenstellung 9ua interest (§ 100)
nicht möglich. Die Trennung der Konstruktion bei den Adjek-
tiven nudus, vaetius, orbus, liberj für die die Präposition a bei
Personen, der Abi. bei sächlichen Substantiven festgesetzt wird
($ 101), läfst sich nach bestem Sprachgebrauch nicht halten: vacui,
lAeri ab omni sumptu, molestia^ muntre Cic. in Verr. IV 23, ab
Att rebus vaetia, nuda ib. IV 3, vacua a furto^ scelere, crudelüaie,
ßagitio ib. I 34 u. s. w. Zu weit ist die Regel vom Abi. compa*
rationis, wenn sie bestimmt, dafs der Abi. statt fiiam zu stehen
pflege and ausscbliefslich in negierten Sätzen anzuwenden sei
(§ 105), zu eng fafst sie den Gebrauch, wenn der Abi. nur beim
Nom. and Subjekts-Akkus, gestattet wird. Für den ersteren Fall
icheinen Beispiele überflüssig; dafs das verglichene Objekt in den
Abi. gesetzt werden könne, mögen einige Stellen beweisen: nf'At'I
aienle praestabilius dedüset Cic. Cato 40, Herodottim cur vera-
d&rem, ducam Ennio? de div. II 116, quem . . auctarem de illo
laeupieiiorem Piaione laudare possumus? de republ. I 16; dahin
gehören auch die Phrasen omnia mferiora putare, ducere, äliquid
müqnhu habere aliqua re. Der Zusatz zu der Regel über domus
lautet (§ 115): „Die Possessivpronomina und der Name des Be-
sitzers treten zu dornt und domum ohne Präposition hinzu'*. Wes-
kaJli domo ausgenommen wird, ist nicht ersichtlich; domo mea,
nm sagt Cicero pro Caecin. 34, de dom. 111, domo eiuSj patroni
in Verr. H 89; III 155. Unter den Verba, welche mit dem noro.
c infin. in allen Formen des Passivum verbunden werden, steht
kabeor angeführt (§ 133), das in dieser Konstruktion kaum durch
ein Beispiel gestützt werden kann^). Dann folgt der Zusatz: „Der
^3 Naek Kichoer steht häbeor bei Tacitos mit dem Part, fut., z. B.
habetur.
156 Friedersdorff, Lat. Scholgrammatik, agi. v. v. KobiliDski.
Akk. c. iiifiD. steht bei den mit esse gebildeten Formen: traditum
e5^ memoriae proditum est, credendum est, ptUandtm est". Doch
wird memoriae prodere auch sonst nicht mit dem nom. c. infin.
angewendet, bei iudicare und existimare ist die zusammengesetzte
Form kein Hindernis, z. B. regnum appetisse est indieattu Cic.
de dom. 101, habuisse nimis magnam iudicatus est cupidüatem pro
Sulla 73, idem fedsse erit existimanduus in Verr. lü 214, tum
. . 8t(m existimandus de gestis rebus gloriari de dom. 93. Nicht
genau ist ferner die Regel über die indirekten Fragesatze (§ 169),
die zugleich die Erklärung liefert für die Entstehungsursache ahn*
lieber Fehler in der Schulgrammatik. Nach dem Sprachgebrauch
Ciceros ist für die Anwendung von nonne bestimmt, dafs die
Partikel nur nach quaero in der Bedeutung „ob nicht" gesetzt wer-
den darf. Bei Fr. wird die Regel fehlerhaft durch die Umkehrung
dieses Falles: „Doch heifst: ob, ob nicht, fte und num ohne Unter-
schied, nach quaero aber heifst ob nicht: nonne^\ Denn auch
nach qaaero findet sich bei Cicero im indirekten Fragesatz meist
die Partikel ne, z. B. quaero abs te drcumsessrnnt sis Lampsad
Cic. in Verr. I 78 > quaeram remotaene sint litterae ib. II 180, hoc
ex te quaero . . . pecunia pubUca . . . fueritne tibi quaestui ib.
III 165 u. 8. w. Zum Schlufs mögen einige Verbesserungen für
die beiordnenden Konjunktionen vorgeschlagen werden. Et zu-
nächst soll verbinden, was verschieden gedacht wird (§ 203).
Doch ist der Gebrauch der Konjunktion viel allgemeiner und hat
kaum einen geringeren Umfang als das deutsche „und"'. Dafs
dieselbe auch Zusammengehöriges anreiht, beweist ihre häufige
Anwendung in der Ciceronianischen Redefigur, die einen Begrifi
durch mehrere Wörter auszudrücken sucht, wie perdere et ad-
fligere, vexare et spoliare, tollere et delere, obicere et opponere etc.
Für etiam wird dann bestimmt, dals es an erster Stelle zu stehen
habe; an zweiter findet sich die Konjunktion sehr häufig, wie der
Vergleich in Merguets Cicerolexikon (Bd. II S. 239) ergiebt. Dann
folgt die Bemerkung: „Für etiam findet sich et vor: Ate, üUf",
Auch hier beweisen die Stellen aus Cicero, dafs die Konjunktion
in dieser Bedeutung keineswegs auf die beiden Pronomina be-
schränkt ist : et aln muUi pro Seit Rose. 92, ei tu pro Q. Rose. 32,
et Cluvio ib. 43 u. s. w.
Wenn nun diese Ausführungen ein wahres Bild von den Vor-
zögen und Mängeln der besprochenen Grammatik geben, ao ist
das abschliefsende Urteil des Ref. berechtigt, dafs die Grammatik
von Friedersdorff in der Form mit unsern besten Schulbüchern
sich wohl messen könne, dafs sie aber, was die Zuverlässigkeit
des Inhalts betrifft, hinter der Grammatik von Harre, Landgraf,
Schmalz- Wagener und auch Ellendt-Seyffert zurücksteht.
Königsberg i. Pr. G. von Kobilinski.
Nepos' LebeBsbeschreibaogeo, agz. v. Weisweiler. 157
Des Cornelias Nepos Lebeosbeschreibaogen io Auswahl bearbeitet
ond Termehrt durch eine Vita Alexaodri Magoi von Franz Fügoer.
I. Text 104S. 8. geb. 1,20 M. IL Erläuterungen 183 S. 8. geb. 1,20 M.
Leipzig 1893, B. G Teubner.
FögDers Corneiias Nepos bildet den Anfang eines umfang-
reicheren Unternehniens des Teubnerschen Verlages, einer Samm-
lung von Schöierausgaben lateinischer und griechischer
Schriftsteller, welche nach Möglichkeit den in den letzten Jahren
hl FachbUttem und Schuim2nnerversammlungen vielfach laut ge-
wordenen Wünschen entsprechen sollen. Der Verf. selbst hat
durch seine Anfsdtze und Rezensionen in den „Jahrb. f. Phil. u.
Pid." nicht nur die bedeutsamste Anregung, sondern auch man-
chen Beitrug zur Klärung und Ausgestaltung dieser Idee gegeben,
ond nachdem sowohl andere Verleger als auch Teubner selbst
bereits einzelne Schulausgaben nach verwandten Gesichtspunkten
haben Teranstalten lassen, will nun der Verf. durch die Heraus-
gabe des ersten Schulschriftstellers die Grundlage schaffen, auf
welcher die in Prinzip und Durcharbeitung der einzelnen Teile
innerlich und äufserlich übereinstimmende Sammlung aufgebaut
werden soll. Über die hauptsächlichsten Anforderungen an eine
gute Schülerausgabe, die Notwendigkeit eines klaren, deutlich ge-
gliederten Druckes, die angemessene Einführung in die Schrift
dveh Vorbemerkungen über den Schriftsteller und sein Werk,
knappe Skizzierong des Inhaltes, sei es am Rande oder in den
Übmchriften der einzelnen Abschnitte, kurze und klare Fassung
des nur für den Schülerstandponkt berechneten, lediglich auf die
Schrift beschränkten Kommentars und Illustration desselben durch
das nötigste Anschauungsmaterial in Karten u. dgl, herrscht ja
wohl jetzt ziemlich allgemeines Einverständnis, und der hier be-
sonders geforderte innere Anschlufs der einzelnen Schüierausgaben
aneinander und die enge Anlehnung derselben an den jeweiligen
Unterrichtsstand der Klasse läfst für die in Aussicht gestellte
Sammlung besonders viel hoffen. Die Schwierigkeit liegt hier
in der praktischen Ausführung, und gerade der Verf. der vorliegen-
den Schölerausgabe bat sich und seinen zukünftigen Mitarbeitern so
hohe Ziele gesetzt, dafs es schwer sein dürfte, alle Hoffnungen tu
erfnilen: am schwersten war die Aufgabe bei der Bearbeitung bezw.
Eriiaterang des „Lesestoffes für das erste Lektürejahr", welche in
zwei — einzeln käuflichen — Bandchen vorliegt, die bei nie-
drigem Preise an äufserer Ausstattung nichts zu wünschen übrig
lassen. Das erste Bändchen bietet die meist gelesenen Viten des
Gornei von MUtiades bis Hannibal mit Einfügung einer frei be-
arbeiteten vita Alexandri in einem ,,gereinigten** Texte: alles Un-
rcgelmäfsige und Ungewöhnliche der Sprache ist beseitigt, der
Satzbao ist durchweg vereinfacht und der Fassung des Schülers
angenähert, ond auch die sachlichen Unebenheiten des überlieferten
Hepos sind durch Ausmerzungen, Änderungen und Zusätze ge-
158 Nepos' Lebeasbeschreiboogeu, agz. v. Wei^weiler.
glättet. Im Drucke ist das Zusammengehörige durch Absätze
übersichtlich gekennzeichnet; alle indirekten Reden sind durch
kursiven, die durch den Gegensatz der Gedanken betonten Worte,
besonders oft die Hauptprädikate sind durch gesperrten Druck
hervorgehoben. Jeder Vita geht eine Gedankengliederung voraus,
und aufserdem ist fortlaufend auf dem Rande der Inhalt kurz
angegeben. Dem Texte ist eine Zeittafel der alten Geschichte
von Lykurg bis zur Zerstörung Karthagos und ein Verzeichnb der
Eigennamen mit fast vollständiger Stellenangabe beigefügt: nament-
lich wird bei geographischen Namen sorgfältig auf eine der drei
Karten am Schlüsse (Griechenland, Reich Alexanders, Besitzungen
Roms und Karthagos) verwiesen. — Der 2. Teil bietet in neun
Kapiteln nach einem kurzen Vorworte über den Text Winke für
die Präparation (in der Weise von Rolhfuchs), eine Anleitung zum
übersetzen (nach dem Vorgänge von Menges Cäsar), dann An-
merkungen zum Texte iS. 8 — 99), die durch 21 eingefügte Ab-
bildungen antiker Gegenstände illustriert sind, ein Wörterverzeichnis
nach Haake (ohne Stellenangabe) mit noch vier Bildern (S. 100
— 144), eine Obersicht der wichtigsten Synonyma, der vorgekom-
menen Phrasen (S. 149 — 163), eine Stellensamrolung zur Wieder-
holung der Kasuslehre, desgleichen zur induktiven Ableitung
grammatisch-stilistischer Regeln (S. 170 — 179), und zuletzt eine
Zusammenfassung der dagewesenen Realien. Kein Zweifel, wenn
ein Schüler dieses alles in einem Jahre bewältigen könnte, er
würde die Aufgabe der Quarta lösen, wie sie nie gelöst ist, auch
wenn er nur zwei Drittel des Nepos gelesen hätte. Aber es ist
sehr zu furchten, dafs die Menge der „Erläuterungen'' und die
Mannigfaltigkeit der aufgestellten Gesichtspunkte den Anfänger
verwirrt und ihn vielleicht von dem, was für ihn immer die
Hauptsache ist und bleibt, dem Texte des Schriftstellers und
seinem Verständnis bezw. seiner einfachen Verdeutschung, abzieht.
Der Verf. hat das wohl gefühlt und deshalb dem Lehrer ausdruck-
lich im allgemeinen und besonderen je nach dem Stande der Klasse
eine angemessene Auswahl des Gebotenen zur Pflicht gemacht.
Es scheint nämlich für diesen ersten Teil der Sammlung die Idee
der ganzen Sammlung in der Weise mafsgebend gewesen zu sein,
dafs mit Rücksicht auf die folgenden Stufen manche Rubrik und
manche Ausführung eingefügt wurde, die für den beschränkten
Standpunkt des Quartaners entbehrlich gewesen wäre. Namentlich
die Anleitung zur Präparation und Übersetzung geht für die be-
ginnende Neposlektüre zu hoch, und auch im Kommentar und
in den stilistischen und sachlichen Zusammenfassungen ist manches
geboten, was für den Tertianer und Sekundaner zu wissen an-
genehm, für den Quartaner aber m. E. unnütz ist. Ober den
gebotenen Text geben wir kein Urteil ab: wenn man den groben
Schritt thut, statt des Originales einen umgestalteten Autor dem
Schüler vorzulegen, dann giebt es keine objektive Norm mehr für
Nepos' LebensbeschreiboDgeo, agz. v. Heuer. 159
die Art der Umarbeitung. Doch hat der Verfasser die eigenartigen
Vorzöge des INepos unserer Jugend zu erhalten versucht, wenn-
gleich er die Sprache desselben mit besonderer Berücksichtigung
des Cäsar umgearbeitet hat.
Posen. Joseph Weisweiler.
Savmlnng lateinischer and gpriechischer Scbalaosgabeo, her-
aasgegebeo von H. J. Müller aod 0. Jäger. Verlag von Velhageo
& Klasiog io Bielefeld uod Leipzig.
Coroelins Nepos. Auswahl aus den LebeosbeschreibuDgeD. Bearbeitet
TOD Dr. P. Do et seh, Direktor des Progymoasiams za Easkircheo.
Mit zwei Karteo. 2 BÜDdcheo. 1894. Text X a. 91 S. geb. 0,90 M,
Rommeotar 1 16 S. geb. 0,90 M.
1. Der Text ist nach Vorwort S. VI, indem vorzugsweise
die Nepos-Ausgaben von Cobet, Andresen und Weidner benutzt
wurden, so gestaltet, dafs „ausgeschieden ist: 1) was irgendwie an-
stöfsig erschien; 2) was in der Darlegung der inneren slaatjichen
Verhältnisse dem Verständnis des Quartaners fern steht; 3) was
in der Charakierislik der Personen ohne Bedeutung ist; 4) was,
besonders in schwierigen Satzgefügen, unbeschadet des Zusammen-
hanges, sich entbehren läfst'*. Der Text ist überhaupt, und zwar
mit grofsem Geschick und einer Einsicht und Sorgfalt, die den
töcfaiigen Schulmann auf Schritt und Tritt erkennen läfst, so um-
giestaltet, dafs er dem Latein, welches der Schuler bisher gelernt
bat und fernerhin verstehen bezw. schreiben muls, weit mehr
entspricht als der Text des Cornelius Nepos mit seinen zahl-
reichen Abnormitäten und sprachlichen Mängeln. Die Auswahl
enthält dieselben Lebensbeschreibungen, wie das Lesebuch von H. J.
Möller (Oslermanns lat. Übungsbuch für Quarta), welches der Hsgb.,
wie er selbst Vorrede S. VI angiebt, bei Anfertigung seiner Ausgabe
hier und da benutzt hat: MiItiades,Themistokles, Aristides, Pausanias,
Cioion, Alcibiades, Lysander, Thrasybulus, Pelopidas, Epaminondas,
Hamilker, Hannibal; aufserdem Agesilaus und Dalames. Mit der
Reihenfolge der Lebensbeschreibungen, für welche „lediglich
der geschichtliche Zusammenhang mafsgebend war** (Vorrede S. V),
kaoD man ganz einverstanden sein. Zu Agesilaus könnte man
CoQon aufgenommen wünschen, weil beide Lebensbeschreibungen
zasammen Gelegenheit bieten, das Aufhören der herrschenden
Stellung Sparlas in Griechenland zu beleuchten. Die Lebens-
beschreibung des Datames, welche „zwar griechische Verhältnisse
nicht berührt, aber auf den Verfall des einst für Griechenland
bedrohlichen Perserreichs ein helles Streiflicht wirft'* (Vorrede
S. Vi), scheint dem Ref. von geringerer Wichtigkeit zu sein, weil
das in ihr Erzählte den Schulern im Geschichtsunterricht wohl
nicht vorgetragen wird und auch wohl nicht interessant genug für
•ie hl. Dagegen halten vielleicht die Lebensbeschreibungen des
Pbocfon und des Eumenes Aufnahme verdient, weil dieselben einen
Ansbljck bieten auf die Zeit des Demosthenes und auf die Kämpfe
160 Nepos' Lebeasbeschreibongen, agx. v. Heaer.
Alexanders d. Gr. und die der Diadochen. Die Einteilung der
Lebensbeschreibungen in einzelne Abschnitte ist praktisch. Die
vorausgeschickten Einleitungen sind sehr geeignet, das Interesse
an der Lektüre zu erregen ; anderseits allerdings könnte man der
Ansicht sein, dafs die einzelnen Inhaltsangaben bezw. z. B. in der
Vorrede zu Themistokles die unter II angegebenen Punkte nach
der Lektüre durch die Schuler unter Anleitung des Lehrers zu
finden seien. Das sorgfaltige Verzeichnis der Eigennamen und
die zwei übersichtlichen, im einzelnen hinreichend genauen Karten
am Ende des Rändchens beweisen ebenfalls das liebevolle Ein-
gehen des Verfassers auf das Interesse und das Verständnis
des Quartaners.
2. Der Kommentar soll „dem Schüler einerseits die
schwierige Einführung in die lateinische Lektüre erleichtern,
anderseits ihm durch Herausschälen allgemeiner Gesichtspunkte
für die Übertragung und durch Zusammenstellung häufig wieder-
kehrender Phrasen die Vorbereitung auf die weitere Lektüre in
Quarta und Tertia vereinfachen. In ersterer Beziehung sind die
Erläuterungen so gehalten, dafs sie ihn 1) der Benutzung eines
Wörterbuches überheben, 2) durch stetes Ausgehen von der
Grundbedeutung eines Wortes oder Ausdruckes zur richtigen und
stiigemäfsen Übersetzung anleiten, 3) durch Zerlegung und Ord-
nung schwieriger Konstruktionen zur schnellen und leichten Auf-
fassung des Inhalts führen. Nach der anderen Richtung sind aus
den Erklärungen zu den beiden ersten Biographieen anleitende
Winke gezogen, auf welche in den folgenden Erläuterungen Be-
zug genommen wird'* (Vorrede S. VI, S. VII). Diese ganz ver-
ständigen Gesichtspunkte sind so gut ausgeführt, die „Erläute-
rungen*' sind so sorgfältig, korrekt und gelungen, dafs der Kom-
mentar uneingeschränktes Lob verdient. Es ist aber Sache des
Lehrers, dafür zu sorgen, dafs der Gebrauch des vortrefflichen
Kommentars, insbesondere der äufserst ausführlichen Erklärungen
zu den beiden ersten Biographieen, mit der Forderung der neuen
Lehrpläne, wonach die Vorbereitung der Lektüre im ersten Halb-
jahre in der Klasse stattfinden soll, sich vereinbaren lälst; jeden-
falls darf der Kommentar nicht die Anleitung des Lehrers in der
Klasse entbehrlich machen. Der Lehrer hat insbesondere auch
darauf streng zu achten, dafs die auf Seite 10 ff. und auf Seile
27 ff. zusammengestellten „anleitenden Winke*' (für die Übersetzung)
zunächst durch gemeinsame Arbeit von Lehrer und
Schülern während der Lektüre gewonnen werden. Denn
der Unterricht mufs den Schüler zur Selbstthätigkeit anregen
und an selbständiges Denken gewöhnen. Bei richtigem Gebrauch
ist der Kommentar von Doetsch für den Schüler ein empfehlens-
werter Begleiter auf dem ersten Wege zur lateinischen Lektüre.
Die von D. angefertigte Zusammenstellung der Redewendungen,
die der Schüler erst aus der Lektüre kennen lernt, ist einerseits
Aly, Horaz, leio Leben nod seine Werke, agz. v. Becker, ig!
iKichtig für das Verständnis des Nepos und für die spätere Lektüre
des Cäsar, anderseits bietet sie dem Schiller eine nicht unwichtige
Hülfe zum Obersetzen aus dem Deutschen.
Die Ausstattung der anerkennenswert billigen, solid gebun-
denen Bändchen entspricht allen Anforderungen der Schulhygiene.
An denjenigen Anstalten , an welchen das oben erwähnte
Lesebuch von H. J. Müller (Ostermanns latein. Übungsbuch für
Quarta) nicht im Gebrauch ist, wird sich die Nepos-Ausgabe von
Doetscb gaoz besonders zur Einführung empfehlen* Der Kom-
mentar ist in vortrefflicher Weise geeignet, auf die Lektüre des
Cäsar vorzubereiten, und bietet, dem Programm der Müller*Jäger-
seheo Sammlung entsprechend, nicht mehr, aber genau das, was
der Schüler braucht.
Bettthen 0. S. E. Heuer.
1] Friedrich Aly, Horaz, sein Leben nnd seine Werke. Giiters-
loh 1893, C. Bertelsnann. 46 S. 8. 0,60 M. (Gymnasiai-Bibliothek,
15. Heft)
Nach einem kurzen Rückblick auf die früheren litterarischen
Leistungen der Römer stellt der Verf. Uorazens Leben und Dich-
tungen in enger Verbindung mit einander dar, und zwar nicht
nur so, dafs äufserlich in die jedesmalige Lebenszeit die hinge-
hörigen Werke eingefugt sind, sondern so, dafs sich sein Leben
und seine Anschauungen in seinen Gedichten abspiegeln, eine
Einheit, wie sie ja bei wenigen Dichtern in solchem Grade besteht.
Die Darstellung ist dabei durchweg anr^end und frisch, das Ur-
teil maJOsvoll und gesund. Man wird das Heft gern zur Privat-
lektöre in den Händen der Primaner sehen, ja, man könnte es
zum Leitfaden für die Lektüre machen, wobei dann freilich pri-
vate Lektüre der Horazischen Dichtungen im Urtext oder in der
Übersetzung als Ergänzung hinzutreten müfste.
Das Buch beginnt mit der Behauptung, der Niedergang des
römischen Freistaates habe um dieselbe Zeit begonnen, wo die
römische Litteratur ihre Geburtsstunde feierte; jener sei einge-
treten mit dem Oberschreiten der natürlichen Grenze Italiens, die
Geburt der Litteratur habe staltgefunden durch die Obersetzung
der Odyssee in römische Saturnier, die Livius Andronikus lieferte,
d. i. mit dem Oberschreiten der Grenzen der Nationalität. Nun
ist es ja wahr, dafs mit der Ausbreitung über die Grenzen Ita-
Heus der erste Keim gelegt ist zur Verderbnis des alten gesunden
Voiksgeistes. Aber für uns ist doch die kommende Weltherrschaft
Roms erst der Höhepunkt seiner Geschichte; sie allein ist es,
weshalb wir uns noch jetzt mit der Geschichte des römischen
Volkes zu beschäftigen haben, wodurch es weltgeschichtliche Wir-
kungen hervorgebracht hat. Jene Bemerkung so ohne Einschrän-
koii;^ Eingestellt, kann die Schüler nur verwirren.
StUaekr, t d. Ojmntmialwe»9n XLYIII. 2. S. W
102 SehDeider, Helleoische Welt- u. l^ebeosanschanaogen,
Ohne kritische Bemerkung wird S. 39 berichtet, dafs Horaz
Epist. 11 13 dem August die Dichter empfohlen habe, die für das
Auge, nicht für das Ohr dichteten, auch öfter berichtet, er habe
seine Gedichte nicht vorlesen lassen. Das mag nun damals be-
rechtigt gewesen sein, aber dürfen wir dem Scliüler verschweigen,
dafs es im Grunde ein Fehler ist? Wozu dient alle metrische
Feinheit, wenn die Gedichte nur mit dem Auge gelesen werden,
wenn die Metrik nur mit dem Verstände betrachtet, nicht mit
dem Ohr genossen wird, wofür sie einzig da ist? Bei Horaz ist
das ein Zeichen seiner gelehrten Stubenpoesie, die Schüler müssen
doch hören, dafs dies nicht das Ideal der Dichtung ist.
Ebenfalls ohne Beurteilung wird S. 3 die Erziehungsweise
von Horazens Vater geschildert. Ist sie nicht an sich bedenklich?
Wollen wir jemand stärken gegen die Verführungen der Zeit, so
nähren wir in ihm edle Gedanken, machen ihn vertraut mit hohen
Vorbildern, begeistern ihn für selbstloses Streben; wer wird es
aber versuchen, „den Sohn durch den Hinweis auf die verderb-
lichen Folgen eines wüsten Lebens gegen Versuchungen zu
festigen'^ und sich auf seine Einsicht berufen, wenn er ihn vor
Verschwendung und Unsittlichkeit warnt? Das ist rationalistisch.
Es hat freilich in Horaz den grofseu Satiriker herangebildet. Aber
allgemeingültig ist es nicht, und doch muts es den Schülern so
erscheinen, wenn es ohne Widerspruch bleibt.
So hätte ich noch an mehreren Stellen gewünscht, dafs der
Verf. über den blofsen Bericht hinausgegangen wäre zu Urteil
und Reflexion, auch zu vergleichenden Ausblicken auf analoge
Verhältnisse in Deutschland. Er wird vielleicht sagen, das gehört
in den Unterricht. Aber soll es deshalb aus dem zur Privatlektüre
bestimmten Buche ausgeschlossen sein? Ohnehin macht es der
eine so, der andere anders. Raum war da; einem so wichtigen
Dichter wie Horaz konnten auch ein paar Seiten mehr gewidmet
werden.
2) Gastav Schneider, Hellenische Welt- und Le bensaoschaa-
no^en in ihrer Bedeutnn^ für den gymnasialen Unterricht.
Gera 1B93, Th. Hofmann. 43 S. 8. 0,60 M.
Das Gymnasium, so ist der Gedankengang des Verf.s, trifft
oft und zum Teil mit Recht der Vorwurf, es vermittele seinen
Schülern zu sehr nur Wissen und Kenntnisse und Übung im lo-
gischen Denken, es biete zu wenig Erhebendes und Erfreuliches,
zu wenig Anregung für Gemüt und Phantasie. Wenn es diese
Einseiligkeit überwindet, wird es die Zuneigung des Publikums
die es verloren hat, wiedergewinnen. Das Mittel, sie zu über-
winden, ist die Einführung in die griechische Welt- und Lebensan-
schauung. Der alldurchdringende Lebenssaft dieser Weltanschauung
ist der Gedanke des Schönen. Er bestimmt erstens die Ge-
dankenwelt der Griechen, wie wir sie sowohl in dem Sprach-
gebrauch, als auch besonders in Piatos Philosophie finden.
an^ez. von Th. Becker. Ig3
(Schneider selbst ist begeisterter Platoniker, er erwähnt von sich
eine Schrift über Platonische Metaphysik, Leipzig 1884.) Er be-
stimmt aber zweitens auch die Kunst. Wollen wir nun dem
Scbdler Erhebung für das Gemüt und Anregung für die Phan-
tasie darbieten, so müssen wir ihn in beides lief hineinführen.
Wir müssen zeigen, wie Piatos ganze Gedankenwelt durchtränkt
ist Yon dem Begriff des Schönen, und da der Platonische Geist
„der griechische Geist in seiner vornehmsten Höhe und in seiner
gröGsten Erhabenheit'* ist (S. 27), so ist dadurch der Schüler in
die griechische Weltanschauung überhaupt eingeführt; wir müssen
aber auch Mittel finden, um den Schüler mit der griechischen
Kunst bekannt zu machen und zu zeigen, wie auch hier das Schöne
der alleinherrschende Begriff ist.
Die Platonischen Gedanken, auf die es hierbei ankommt,
hegen nur sehr stückweise vor in den Dialogen, welche die Schule
liest (Verf. schöpft bei seiner Darlegung derselben besonders aus
dem Staat, TimSus, Philebus, Gastmahl, Phädrus), aber es finden
sich doch überall Anklänge daran, sie sind zu entwickeln und
darch den Liehrer zu ergänzen.
Mit griechischer Kunst sollen die Schüler bekannt gemacht
werden durch Abgüsse und Abbildungen. Doch ist mit Vorsicht
zu verfahren. Das Vorzeigen soll nicht zerstreuen, es soll auch
nicht durch unbehülfliche archaische Darstellungen enttäuschen
oder ein Lächeln abzwingen; man soll immer ein Ganzes bieten,
also neben einer Büste im Abgufs ein Bild von der ganzen Statue,
nicht yerstümmelte, sondern ergänzte Bildwerke.
Das sind die Hauptgedanken der Schrift. Verf. beruft sich
auf seine Erfahrung, er hat den Unterricht lange Jahre so erteilt.
Er legt auch grofses Gewicht darauf, dafs dies eine Einführung
in die Philosophie sei; für dieses sein Streben beruft er sich
S. 8 auf Virchows Vortrag über Lernen und Forschen, wonach
Aditong vor der Philosophie schon auf der Schule sich anerziehen
lasse, und S. 36 führt er aus, wie die philosophische Propädeu-
tik einzuführen habe in Begriffe, „welche Begriffe der Wissen-
schaft überhaupt und der gebildeten Sprache geworden sind'^ die
„dem Schüler immer wieder begegnen, die er schon oft selbst
gebraaeht bat, und die er doch nicht versteht, die er aber ver-
stehen lernen muls, wenn er die Sprache der Wissenschaft ver-
stehen wiiP'.
Was der Verf. uns bietet, ist die Besprechung eines ein-
zelnen Gedankenkreises, der neben anderen auch im Unterrichte
▼erarbeitet werden kann, ja, wenn möglich, mufs. Andere Kreise
sind die sittlichen Begriffe der Ehre, Treue u. s. f. Bei seiner
Befaaodlaog des Schönen nun fehlt die Kritik, die griechische
Weftaoschauung gilt ohne weiteres als die allgemein gültige. Die
'eaCscbe Kunst, welche mehr Charakteristik, mehr innerliches
Lebea mehr Gemüt erstrebt, bleibt fern, und doch leistet sie
11*
154 Lao^e, Thukydides, angez. v. Th. Becker.
gerade, was der Verf. zur Gesundung des Gymnasiums wünscht,
Erhebung für das Gemüt und Anregung der Phantasie, in beson-
derem Grade. Überhaupt macht es einen eigentümlichen Eindruck,
dafs nach einer Einleitung, welche das ganze Gymnasium bessern
will, nur der griechische Unterricht in der Prima zur Sprache
kommt. Soll denn der griechische Unterricht wirklich der einzige
sein und Prima die einzige Klasse, wo solche Herz und Gemüt
erquickenden Gedankenkreise zur Sprache kommen?
3) EdmoDd LaDge, Thukydides und sein Geschichtswerk. Mit 3
Abbilduoseo. Gütersloh 1893, C. Bertelsmano. 76 S. 8. 1 M. (Gym-
nasial-Bibliothek, 16. Heft.)
Lange bespricht zuerst das Leben des Thukydides nach sei-
nem äufseren Verlaufe und zeigt, wie es die Ausbildung des Ge-
schichtsschreibers begünstigte. Es folgt ein Abschnitt über seine
Lebensanschauung, seinen tiefen Ernst an Stelle des sonst die
Athener kennzeichnenden leichten Sinnes, sein Verhältnis zum
Gölterglauben, zu den Naturerscheinungen, sein Urteil über das,
was den Wert des Menschen ausmacht, seine staatsmännischen
Fähigkeiten. Als Geschichtsschreiber ist er der erste, der Kritik
übt, der auch die Sage für geschichtliche Zwecke benutzt; im
Gegensatz zu Herodot scheidet er das Element des Wunderbaren
aus seiner Darstellung aus und sucht alles aus den Gesetzen der
menschlichen Natur herzuleiten; Xenophon übertrifft er an Tief-
sinn und Unparteilichkeit. Daran schliefst sich an S. 15—26 eine
ausführliche, sehr treffende und klare Charakterisierung seines
Geschichtswerkes, ich möchte zu diesem ganzen Teile des Buches
mir nur die Bemerkung gestatten, ob Xenophons Hellenika es
wirklich verdienen, so schlecht gemacht zu werden, wie es hier
und auch von anderen herkömmlich geschieht. „Dieser war über-
haupt kein Historiker im strengen Sinn, auch nicht in seinen
historischen Schriften. Er war vorwiegend Memoirenschreiber^'
u. s. f. Ich will gewifs seine Mängel nicht beschönigen, aber
wenn ich Hellen. III — VII nach der Auffassung von L. Breitenbach
als Einheit betrachte und sehe, wie der Grundgedanke durchge-
führt ist, dafs Sparta, durch sein Glück zu Übermut und Frevel
verleitet, selbst seinen Sturz herbeiführt, nnd dafs nun nach
Athens und Spartas Schwächung äxQiola xal tagaxij herrscht,
so ist das eine Auffassung der Dinge unter einem vieles um-
fassenden Gesichtspunkt, aber keine Zusammenhäufung der zu-
fälligen persönlichen Erlebnisse, keine Memoirenschreiberei. Aber
darüber werden wir ja bald im 9. Hefte Hoffmann vernehmen.
Das Eigentümlichste an^ Langes Arbeit ist der S. 26 — 76 ge-
machte Versuch, durch eingehende und übersichtliche Inhaltsan-
gabe dem Schüler eine Einsicht in das ganze Werk zu verschaffen,
die ihm beim stückweisen Lesen in der Schule notwendig fehlen
muCs. Wir erhalten also eine Art Geschichte des Peloponneaischen
H.Uhle, Griechisefae Scholgraniiuatik, agz. v. WeirsenfeU. Ig5
Krieges, im ganzen natörlich in strenger Beschränkung auf das,
was Tbukydides bietet, jedoch mit Einfügung zusammenfassender
Schilderungen vom Leben und Charakter des Perikles, des Kleon
und Brasidas, des Deroosthenes und des Alkibiades (bei diesem
jedoch mit bedeutender Überschreitung der Grenzen Ton Thu-
kfdides' Darstellung).
Dabei werden überall die Reden entsprechend ihrer Bedeu-
tung eingehender behandelt, einmal sogar die Übersetzung eines
ganzen Kapitels aus der Leichenrede eingeschoben. — Der Zweck,
den der Verf. hier verfolgt, ist sehr zu billigen. Wollen wir un-
seren Schülern eine Bekanntschaft mit dem Geiste des Altertums
vermitteln, so werden wir immer wieder darauf hingeführt, eine
Bekanntschaft mit den ganzen Werken ins Auge zu fassen. Aber
die Frage ist, ob wir dann nicht statt solcher litterarhistorischen
Inhaltsübersichten uns lieber zum Lesen einzelner wichtiger Ab-
schnitte in deutscher Übersetzung entschliefsen, .die doch eher
weitere eigene Kenntnisnahme von dem Werk erzielen. Man
könnte sie teils in Sekunda bei der griechischen Geschichte
heranziehen, teils in Prima bei der Lektüre des Tbukydides
selbst Freilich wurde wohl nicht mehr Zeit sein^ als dafs viel-
leicht einzelnes in der Klasse vorgelesen, anderes zu Schülervor-
tragen benutzt würde.
Die drei auf dem Titel genannten Abbildungen stellen antike
Büsten von Tbukydides, Perikles und Alkibiades dar. Dazu kommt
eine hübsche Skizze von Syrakus nach Lübker im Hafsstabe von
1:100 000, auf der nur für den vorliegenden Zweck stört, dafs
die Unagebungsmauern der Sladt unter Dionysios L eingezeichnet
sind. — Der Druck ist sehr korrekt, nur S. 11 ist mir aufgefallen
Mitylenaier statt Hytilenaier.
Neastrelitz. Th. Becker.
H.Uhle, Griechische Schalgramnifttik, io VerbiodoDg mit A. Procksch
ood Th* Bätto er- Wobst heraasgegebeo. Vierte, verkürzte Auflage.
Leipzig 1893, B. 6. Tenboer. VHI o. 210 wS. geb. 2,60 M.
Uhles Schalgrammatik ist jetzt aus dem Verlage von Grunow
in den von Teubner übergegangen und liegt in vierter Auflage
vor. Was ich 1884 im Novemberhefte dieser Zeitschrift von der
dritten Auflage geschrieben habe, sie genüge den wesentlichen
Anforderungen, die an ein Schulbuch zu stellen seien, in vollem
Mafse nnd sei eine recht erwünschte Bereicherung unserer Unter-
richtsmittel, kann ich auch der neuen .aus voller Überzeugung
nachröhmen. Freilich^ wer da glaubt, ein genügendes Verständnis
der Schriftsteller lasse sich auch ohne gründliche grammatische
Kenntnis erreichen, oder gar, eine grammatische Bildung von der
Art, wie man sie noch vor kurzem unbedenklich oberflächlich
genannt hätte, sei eine stille Forderung der neuen Lehrpläne, wird
166 H* Uhle, Griechische Schulgramniatik,
wie die ältere, so auch die neuere Auflage bald bei Seite legen
Ich kann weder das eine noch das andere denken; wer mit mir
verlangt, dafs ein Schüler die sprachlichen Gesetze, die auf jedem
Blatte eines griechischen Schriftstellers wiederkehren oder doch
wiederkehren könnten, wirklich beherrscht, wird entweder U.s
Grammatik benutzen müssen oder eine solche, die ihr sehr ähn-
lich sieht.
Es ist nun einmal im Wesen der griechischen Sprache be-
gründet, dafs eine Grammatik, selbst eine Schulgrammatik der-
selben, in ihrer Formenlehre ohne eine gewisse Zahl ?on Bildungs-
regeln undenkbar ist. Neuere Versuche, zur Vereinfachung des
Lehrstoffes an diesen zu streichen, haben zu einem kläglichen
Fiasko geführt, in das hoffentlich nicht erst die Schüler werden
hineingezogen werden. U. hat also ganz recht daran gethan, dafs
er, um seine Grammatik den neuen Bestimmungen entsprechend
zu gestalten, von derartigen Kürzungen abgesehen hat. Dennoch
ist es ihm gelungen, den Umfang der Formenlehre von 106 Seiten
auf 94 zu beschränken. Diesen Umfang wird man bescheiden
nennen müssen, wenn man bedenkt, dafs erstens Paradigmen von
U. in reichster Fülle geboten sind, und zweitens gleiche und ähn-
liche Formen unter dem Texte planmälsig und fast zu umständ-
lich auseinander gehalten werden.
Nach der eingehenden Anzeige der dritten Auflage habe ich
nicht nötig, mich über die allgemeine Anlage die Flexionslehre
weiter auszulassen, die, von vornherein wohl durchdacht, eine
einschneidende Änderung nicht aufweisen kann. Ich hebe daher
nur einiges aus dem Abschnitt heraus, um daran Vorschläge zu
weiteren Verbesserungen im einzelnen zu knüpfen. Den sämt-
lichen Paradigmen der Deklinationslehre ist der Stamm voran-
gesetzt, was in anderen Grammatiken allgemeiner nur in der
dritten Deklination geschieht. Diejenigen, die einen Gewinn auch
für die A- und 0- Deklination davon nicht abzusehen vermögen,
verweise ich auf Curtius' Erläuterungen S. 47 ff. Die Lehre von
der Steigerung der Adjektiva ist dadurch jedenfalls vereinfacht:
wer gewöhnt ist deiXo ßqaxv fieXav (Xaipea als Stämme der
Adjektiva dsMg ßqaxvq fiiXag caifqq zu betrachten, bedarf für
die Steigerung nur der einen Regel, dafs die Endungen t^qog
laiog an den Stamm des Mask. anzuhängen sind, und ist wohl-
vorbereilet für die Regel in der Konjugation, dafs die v. pura fast
alle von Nominalslämmen abgeleitet werden. Ich will nun nicht
die erste Regel unter den Vorbemerkungen der konsonantischen
Deklination beanstanden: den Stamm erhält man aus dem Genetiv
Sing, durch Abwerfung der Endung og\ denn eine Vorbemerkung
zumal die erste, soll nicht Ausnahmen berücksichtigen, und der
Schüler findet sie in den ersten Paradigmen, denen der Konsonant-
stärome, regelmäfsig bestätigt Aber wie schon die hier zuletzt
erwähnten synkopierenden Wörter, so weisen die meisten mit
aogez. VOR P. Weifseofels. 167
Yokablämmen und elidierenden Stämmen doch einen andern
Stamm auf; darum wäre wohl eine Bemerkung angebracht, die,
ohne vorhistorische Sprachwandlungen zu berühren, die jeden-
falls beachtenswerte Erscheinung feststellt. Der Ausdruck „reiner
Stamm'', der § 49 und zwar in der Deklinationslehre nur hier
gebraucht wird, wurde dann ausgemerzt werden können. —
Auf das Verhältnis des Nom. Sing, zum Stamme einzugeben, lag
die erste Veranlassung in der konsonantischen Deklination § 31
^Guttural- und Labialstämme*' vor. Leider kann nun in den
NominatiTen q>vla^j aV^j Ai&toif/j iflitp wie auch in den Dat.
Pinr. der Mischlaut nicht graphisch als die Summe des Stamm-
aosJautes und eines q (<;) dargestellt werden; infolge davon bleibt
es dem Schäler fürs erste dunkel, dafs für die Maskulina und
Feminina dieser Deklination g als Kasuszeichen des Nom. Sing.,
(f« als solches des Dat. Plur. anzusetzen sei. Darum wäre wün-
schenswert, dafs U. in der Erläuterung der Paradigmen der Regel
^mit €f wird jeder Guttural zu $, jeder Labial zu \fj'*' eine dahin
gehende Bemerkung vorausschickte. In § 32 „Dentalstämme*' ist
allerdings durch den Druck (xaxoTff-g, xaxoT^-at) das Kasus-
zetchen sinnlich wahrnehmbar geworden ; dagegen besteht zwischen
den Paradigmen und den Regeln über die Bildung des Vok. Sing.
ein kleiner Widerspruch. Der Vokativ der Oxytona, heifst es,
und aller Participia ist gleich dem Nominativ, aufser bei denen
auf ig und vg ; in den übrigen Fällen stellt der Vokativ den
reinen Stamm dar, soweit er im Auslaut möglich ist: xaxovijg
für »ccMOTiiv, KdXxäp von Kdlxäg, apnogy ''^QtsfAt von ''Aqvsikig,
tÖ0g u. s. w. Hiernach versteht der Schuler, dafs nach dem bary-
lonen Nominativ xaxoxti-g ein Vok. xaxor^g gedruckt wird, ver-
steht auch KdX%av und "AqTsikt und lernt aus der Anwendung in
konkreten Fällen, dafs die nach §6c unmöglichen Auslaute der Stämme
% und d bei der Vokativbildung in g übergehen (xaxotfig) oder ohne
weiteres ausfallen {KdX%av, ^Aqzsik^). Aber so richtig es ist, danach
als Vokativ des oxytonen Nominativs kafjbna-g wieder laf^na-g zu
dnidien, so geht es doch nicht an, nach dem ebenfalls oxytonen No-
minativ yvfäy^-g den Vok. r^fjbvijg anzugeben. Denn danach niüfsle
der Auslaut g ebenso wie in dem Vok. naxoTtjg gleich dem Stamme
lauten, nur dafs er dessen Auslaut t in g verwandelt hätte, wäh-
rend er doch wie der Vok. lafAna-g gleich dem Nom. lauten und,
wie dieser sigmatisch gebildet, vor g als dem Kasuszeichen den
Stammauslaut t eiogebüDst haben soll. Leider würde nun das
Ergebnis nach genauer Einprägung des Gebotenen zu dem Auf-
wsad an Mühe in keinem rechten Verhältnis stehen; es würde
sich daher m. £. empfehlen, den ungebräuchlichen Vok. Sing.
von xtxxoTifgj yvikv^g, lafj^nag und gleichgearteten Substantiven
ibcrhaupt nicht zu lehren, für die übrigen als Hauptregel die
Gleichheit des Nom. und Vok. Sing, hinzustellen und die Aus-
nahmen unter denen auf k^ vgj aov anzufügen. — Das Verhältnis
l()g H. Uhle, Griechisehe Schulgraminatik,
des Nom. Sing, zu dem Stamme ist unter „Liquidastlmme'*,
,, Vokalstamme**, ,,E)lidierende Stämme*' nicht weiter verfolgt. Man
kann dies eine Inkonsequenz nennen, Nvird aber doch damit ein-
verstanden sein müssen, da die vorher erwähnten Mittel der
Nominativbildung, Anhängung von g und organische Dehnung,
wiederkehren und damit das Verhältnis thatsächiich erschöpft ist,
vorausgesetzt dafs U., dem oben ausgesprochenen Wunsche ent-
sprechend, späterhin eine kurze Bemerkung Ober den in einigen
Fällen vom eigentlichen Stammvokal abweichenden Vokal des
Genetivstammes einschaltet. — Kaum ein zweites Lautgesetz ist
ven dem Griechen so streng durchgeführt wie die Ersatzdehnung
vor <r nach Ausfall von vt\ darum lohnt es sich, § 32 Anro. 1
XccQl€(fi und § 49 x^Q^^<^''^^Qog auf den Nebenstamm zurOckzu*
führen, wenn auch der Übergang von r vor t in a erst unter
den V. mutis von gröfserer Bedeutung wird. — vUog von einem
diphthongischen Stamm abzuleiten, liegt kein Grund vor;
dagegen wQrde die Bemerkung, vlog bilde Nebenformen nach
ifdi;^, nicht blofs praktisch sein, sondern auch das Richtige treffen,
da ja ein Nom. vivg nachweisbar ist. Anders mag es mit dem
homerischen vlog stehen.
Den Übergang zur Besprechung der Konjugationslehre mag
eine Bemerkung über die Tonangabe für kontrahierte Silben bilden.
„Bei der Zusammenziehung einer letzten und vorletzten Silbe,**
sagt U. § 9, „entsteht meist -, nur aus ^ ^ wird jl/' Das sieht
fast so aus, als sei für den Fall der Kontraktion eine offene auf
der vorletzten Silbe betoute Form in der Regel vorauszusetzen,
daneben und selten ein offenes Oxytonon, ein offenes Propar-
oxytonon aber undenkbar. Unglücklich wie diese Regel ist auch
die in § 87 für die v. contracla gegebene, die als „auf den all-
gemeinen Regeln über die Betonung zusammengezogener Silben
beruhende Spezialregel** eingeführt wird: die kontrahierte Silbe
wird betont, womöglich mit Zircumflex, d. h. wenn nach den all-
gemeinen Accentregcln der Zirkumflex stehen kann. Ausgenommea
sind der Singular und die 3 Plur. Imperf. Akt. und die 2 Sing.
Imp. Akt., welche vor der kontrahierten Silbe betont werden.**
Als Ausnahme von der Regel ist bezeichnet worden, was sich
durchaus einer andern, ebenbürtigen Regel fugt und nur dann
als Ausnahme erscheinen kann, wenn man jene erste Regel mit
Unterschälzung der andern über Gebühr erweitert hat. Die be-
kannten drei gleichwertigen Regeln, durch idv—ijpj voog — vovg^
hlfjLaop'hlfiooy erläutert, gehörten in § 9 aus wissenschaftlichen
Gründen und — aus praktischen. Denn die Ausnahmen, denen
die zweite in evvov, die dritte in XQ^^ovg unterliegt, w*erden,
wenn auch in der Grammatik vor den v. contractis behandelt, in
praxi erst erwähnt, wenn die Regeln selbst an den v. contractis
geübt sind; und von den weiteren Ausnahmen darf anXai dem
Schüler erlassen werden, svfj&aty aber ist durch § 10 „Komposita
aB(^ez. von P. Weirsenfels. 169
werden so weit wie möglich vom Ende weg betont** für U.
hiofiUig.
Unter den allgemeinen Vorbemerkungen zur Flexion des
Yerbums ist § 71 einer recht gründlichen Revision bedürftig;
voeh ist die Regel über die Endungen des Opt. § 72 nur im all-
gemeinen richtig iXvot'fyy ekvo-y). — Unter „Augment und Re-
duplikation'* werden Verba, die mit f^, Wj l^ v anlauten, schlecht-
hin augmentlos genannt; wenn es hiefse, durch die Dehnung
dieser schon langen Vokale entstehe kein neuer Laut, so bedürfte
der Ton in %a&^c%o keiner Erwähnung. Um die Reduplikation
als das notwendige Zeichen aller Perfekts Umme ansetzen zu
können, wird Reduplikation auch in itftQcersvxaj ii^t^xa, sQQ^tpa,
^cxiixa angenommen; durch diese Ausdehnung des üegriffes, die
seinem Inhalt geradezu widerspricht, wird nicht einmal die An-
eignung dem Schüler erleichtert. — Unter den Verben der Dehn-
klasse § 91 wird der Schuler aufgefordert, die später behandelte
Tempusbildong der Verba nal&siv und tqißshv zu vergleichen,
die offenbar beweisen soll, dafs die Präsensdehnung, aufser in den
starken Aoristen, in der ganzen Tempusbildung bleibe; das trifft
bei rgißsty nicht zu, dessen Perf. ja titQlipa lautet, auch nicht
bei (^ety^ X^^^^ Isint^Vj) nei&Biv wegen {iq^vfixa, ixvd^v^
UXoifia,) ninoi^a. — Als reiner Stamm von xqAtsiv ist § 93 b
Aom. und § 103. 2 xqäy angeführt; er ist vielmehr xqäy und daher
xocfCo» eins derjenigen Verba, die zwar durch die Versetzung des
Präaensstammes mit « zur vierten Klasse gehören, aber doch durch
die damit verbundene Dehnung auch Verwandtschaft mit der zweiten
Klasse haben (vgl. f*äXa— (AäXXov). — Ein reiner Stamm (fglx,
den wir § 103.2 lesen, ist nicht nachweisbar. — § 111 wird
a«fU$y als Form nach der bindevokalischen Flexion aufgeführt;
es ist unmöglich zu sagen, nach welchem Paradigma die Form
gebildet sein soll. Ein häufig sichtbares Streben, dem Schüler
bttges Grübeln über singulare Erscheinungen zu ersparen, hat
ebenda unter 2 U. veranlafst, über die Aoristform stifo hinweg-
zugehen und 3 Anm. von xQdfAWfiat abzusehen. Die letzterwähnte
Anm. hat überhaupt keine Rerechtigung, nachdem unter 2 ^dryta
— (inia%a<so) inUftw, ^niarw keine Stelle gefunden haben. —
{ 113. 2 sollte xst(Aa$ als Vertreter des § 110 einzuklammernden
Ti^€$f$ai> bezeichnet und damit der Accent in naqaxBta&at
erklart werden. Das ist auch But^fiai {xad'^if&ai) auszudehnen;
die Aufforderung in 9 11 4R zu xa&ijfievog (jedenfalls wegen des
Accentes) xtifAsvog zu vergleichen gewinnt erst Sinn, wenn beide
Verba als Perfekta aufgeführt sind. — Recht wünschenswert wäre
et, wenn § 116 die Aoriste Sßi^y, anidqav^ syvwv, idkoav, ißiooVj
üvy, Sipw (und iffß^y, das hier wie § 119.6 nicht behandelt
wird) in Beziehung zu iittfiy gesetzt würden, wenn also gelehrt
virde, daüs dort wie hier im ganzen Ind. und im Inf. derselbe
Vokal, die organische Dehnung des Stammvokals, steht und ebenso
170 H. (Jhle, Griechiselie Schalgi*amin«tik,
im Imper. ausgenommen die Form auf vttarj in der wie immer
vor VT die Kurze eintritt, dafs dort wie hier der Partizipialstamm
durch AnbSngung von yr an den Verbalstamm gebildet wird,
womit die Aneignung des Nom. Sing, wesentlich erleichtert wird,
der Optativ durch Anhängung von l^v an den Verbalstamm, der
Konj. durch Anhäogung von o> und Kontraktion, bei der die
Stämme auf a impurum und o dieselben Abweichungen von den
Konjunktiven zific^^ fintS-ä zeigen wie latdS und didä. § 124.9
könnte dann gekürzt werden, das schon jetzt in den Aoristformen
aufser dem § 116 vergessenen Inf. nur eine Wiederholung aus
§ 116 ist. Die Praxis lehrt, dafs eine nur mündlich hergestellte
Beziehung dieser Aoriste zu iifTijy Formen wie Yvoit^v, fvA^üLi,,
ypopiBg, aß^yat nicht für die Dauer einprägen kann. — Alle
Teile der Formenlehre sind von vereinzelten Besonderheiten und
Unregelmäfsigkeiten gereinigt worden, ganz besonders die S§ über
die Verba auf PVfkt und die unregelmäfsigen Verba der ersten
Hauptkonjugation. Neu aufgenommen sind nur einige weitere
Formen schon früher behandelter Verba« die vielleicht überflüssig
scheinen und mit denen vermutlich U. ausgesprochenen Wünschen
entgegen kommen wollte: xaToyä nach xaredy^y^ dyot^a^ nach
dviw^a, die Tempora von naqaßaivsiv nach ßaiveiv, alad^ia&ak
nach ^<J&6fi^yj Xd߀Ts nach Xixßd u.s.w. ; fernerhin und wieder
kurze Bemerkungen über die syntaktische Behandlung der Verba.
Dies weiter auszuführen halte ich für überflüssig.
Auch die Syntax hat in der neuen Auflage eine bedeutende
Kürzung erfahren: sie ist von 97 S. auf 79 beschränkt worden.
Neu ist § 244 „Vorbemerkungen über die oratio obliqua*' als Ein-
leitung der „Modi in Nebensätzen", nach dessen Einfügung der
frühere § 244 mit dem früheren § 245 unter der letzten Nummer
verbunden ist. Der jetzige § 244. 1 enthält auch den Inhalt der
nun gestrichenen Anm. 2 zu § 255 der älteren Auflage, wonach
die Verweisung des § 267. 2 b noch zu ändern ist. Die Fassung
der Regeln ist auch in diesem Teile meist präcis und dem Ver-
ständnis des Schülers angepaist. Leider aber haben gewisse An-
regungen, die ich in der Anzeige der dritten Auflage gegeben
habe, nicht die erwartete Beachtung gefunden. Ich bringe jene
also in Erinnerung und knüpfe daran folgende weitere Bemer-
kungen. § 218 ist nicht glücklich redigiert; denn die Fassung:
jjSidj lateinisch per, ob, deutsch durch, wegen steht A mit
Genetiv ... B mit Accusativ wegen, propter, ob (bei Personen
durch, opera alcjs)'' erweckt die Vorstellung, dafs did mit Gen.
ob, wegen, mit Acc. unter allen Umständen per, durch bedeuten
könne. Auch 220 nicht, wo die Worte: ^ypstd (mit) heifse A
mit Genetiv: mit, cum; B mit Accusativ: nach*' eine Sprachver-
gleichung treiben, die üble Früchte zeitigen könnte. % 223 A
würde besser b mit a verbunden und damit ini mit Dativ sur
Bezeichnung der Abhängigkeit als eine Art des die räumliche Mähe
angez. ym P. WeifseBfels. 171
bezeichnenden hingestellt. Der Schuler wird dann leichter ver-
stehen, dafs dieselbe Präposition mit demselben Kasus auch das
entgegengesetzte VerbäUnis der Überordnung ausdrucken kann
(ini xiVk slvak, yiyyec&at als Vorgesetzter bei jem. sein, zu
j^m. kommen). Diese Thatsache, die dem Schüler gar wohl be-
greiflich gemacht werden kann, ferner die Verbindungen ä&Xa
ini JlarQoxiMj XiyBiv ini riv» (am Grabe jem.) und die Kom-
posita innfzcnetVj in&ßovxolog lieferten eine erwünschte Er-
i^eiterung der Regel. Auch nsQi TioXlov nouta&ai^ könnte
i 225« zumal vor negulyai (mehr sein als) dem Verständnis des
Schülers näher gebracht werden als durch die Übertragung „viel
darauf geben^' geschieht — Die hypothetischen Fälle sind in recht
lehrbarer Form aufgeführt. So ist z. ß. löblich, dafs Ü. nicht von
einer realen Bedingung, sondern von einem reinen Conditionalfall
redet. Aber der Ausdruck „bestimmte (objektive) Annahme*', der
dand>en zu lesen ist, wird doch wohl besser vertauscht mit
,,blofise Annahme ohne Andeutung der Wirklichkeit oder Nicht-
wirkUchkeit*' ; im Nachsatze dieses Falles ist übrigens nicht nur
der ^Judikativ aller Tempora'* angewandt. Die gleiche Über-
setzung der Fälle sX ri ^oi, öidtafAt und iäy t» sxf^j didcofAi^
.,wenn ich etwas habe, gebe ich** sowie die Obersetzung des Falles
H t$ ixo^iiky didoifiv är „wenn ich etwas hätte, wurde ich
geben** ist ein übler Zusatz der neuen Auflage; die alte brachte
noch die griechischen Schemen ohne Obersetzung und vermied
damit auch den Fehler der neueren, die in einer Parenthese be-
zeichneten, auf Wechsel im Tempus beruhenden Varianten der
Schemen in der Obersetzung nicht zu berücksichtigen. — Zu den
Regeln des § 267 über ngly ist zu bemerken, dafs ngiv auch
nach negativem Satze den Infinitiv nach sich haben kann und
ngiy av mit dem Konj., n^iv mit dem Opt auch in iterativen
Fällen vorkommen. Xen. schreibt an IV, 5.30: {SsvoifAvza xal
%o¥ xüßfiaQxtjy) QvdafAoS'fy ätfUcay, nqly naga&etsy avzoZg
a^$atoy; wenn hier von vielen Herausgebern naqad'sXyai gesetzt
ist, so ist doch der Grund kein syntaktischer. — DaDi xwkvsiy
(f 274 b Anm. 2) stets den blofsen, nicht durch ^mIi resp. iati ov
verstärkten Inf. regiere, ist nicht richtig; vgl. Xen. hell. III, 2. 22.
— S 280 (über das attributive Partizipium) würde besser 1 und 2
klarer gestaltet. ^£s hat mindestens den Anschein, als ob U. das
zwischen Artikel und Substantivum gesetzte Participium und das
mit Wiederholung des Artikels nachgesetzte trennen will und meint,
dafs jenes dem deutschen attributiven Participium, dieses dem
deutseben attributiven Relativsatze entspricht; dieser Aufl'assung
aber läge ein Verkennen des deutschen und des griechischen
Sprachgebrauches zu Grunde. Wir entscheiden uns für die eine
oder die andere Art, das verbale Attribut auszudrücken, lediglich vom
Gesichtspunkte der Glätte aus und zwar so, dafs wir das blofse
Veitum im Participium einfügen, das eingeschränkte, besonders
172 H. Uhle, Griech. Schul(^rajnmatik, ägz. v. P. Weifsenfels.
das durch längere Zusätze eingeschränkte, in einem attributiven
Relativsatze folgen lassen. Der logische Wert beider Ausdrucks-
weisen ist aber derselbe, nämlich der eines distinguierenden Zu*
Satzes zu dem Substantivum. Jedenfalls kommt für U.s Haupt-
regel der Fall nicht in Betracht, in dem das eingefügte Partidp
nicht ein solcher Zusatz ist, sondern irgend eine Modalität des
Prädikats ausdrückt, wie in: die einziehenden Krieger wurden
bekränzt (ol atQattwta^ elgiiovxsg i(ST€(p(xy(i&fiaav)\ ein Fall,
der sein Analogon hat in den von U. hier unter dem Texte be-
sprochenen deutschen Relativsätzen wie: Tissaphernes, der dies
gemerkt hatte, eilte zum König (*0 T. xatayoijcag ravra noqsv-
sxah dg ßafftlia). Wie nun das attributive Parlicipium und der
attributive Relativsatz im Deutschen nur stilistisch unterschieden
werden können, so auch im Griechischen das eingeschobene
und das mit Wiederholung des Attributs nachfolgende Participium ;
dafs der Grieche häufiger die letztere Stellung wählt als der Deutsche
den attributiven Relativsatz, was wenigstens nach meinen Beob-
achtungen statt hat, ist eher ein Grund mehr, nicht zu lehren,
dafs ein mit Artikel nachgestelltes Participium zum Unterschiede
von einem eingeschobenen einem deutschen attributiven Relativ-
satze entspreche.
Die Beispiele sind mit Sorgfalt gewählt und lenken nicht
durch weitere Schwierigkeilen die Aufmerksamkeit von der ein-
zuübenden Regel ab. Allerdings hätte U. die Pietät gegen den
Schriflsteller nicht so weit treiben sollen, mit dem Satze auch
dessen logische Verbindung mit dem Vorhergehenden I/oq, di)
oder Folgenden (ja^p) aufzunehmen, es sei denn, dafs er durch
Beibehaltung derselben nicht das Metrum zerstören wollte; hätte
auch wohl grundsätzlich statt der Pronomina die Nomina einsetzen
sollen. Mifs verstanden ist von ihm (§246 Anm.) Xen. an. VII 1.31:
ovdip ßiaiov Ttoi^aovxeq nageXfilvd-aasv slg Tfjv, nohvy äiX'
fv fAiy dvvfiiksd'a naq' Vfitay ayad-ov t« stqitSuteiSd'a^^ was
beweisen soll, dafs „ob = um zu versuchen ob^* nach einem Haupt-
tempus durch idv mit dem Konj. ausgedrückt wird. Nehmen
wir den von U. nicht mehr abgedruckten Gegensatz zu i^v fiiy
dvvoifAsd-a hinzu : st di f^ij^ äkXd ö^Xditfoyreg ort ovx ^SaTraro»-
fievoi äXld nei&OfAepoi i^eqxoH'^^^i so ^ird klar, dafs als re-
gierendes Verbum für ^v [Air dvvcifie&a — svqlaxead'ah ein durch
einen Gestus ersetztes evQijtfOfiepoi vorschwebt. Genau so sagt
Plat. Prot. pag. 31 1 D dqyvq^ov insivw unf&vy itoifAO^ iffoft&d'ot
Tslcty vnig dov, av fiiv i^ixp^tak ta ijfk^Tsqa XQ^f^^^ ^^'^
rot'roic nel&Qdfjbev avxov (sc. lovzohq nsid-ovteq), sl di ju«^
xal td tmv ^iXoav nqoqavaXlfSxovtsq, Wir lesen also in i^if
dvvoif^ed-a bei Xenophon einen gewöhnlichen Bedingungssatz. Vgl.
auch Hom. A 135 [f. — Das Beispiel für die Konstruktion der
Kausalsätze (i 247) : o XotnoQ SXel^ep, ot$ offtog ov q>ai^ stdiva^^
0Z& avTW itvyxavs d'vydtfjq ixet naq* äydql ixdsöofkivti (Xen.
RoliBer, Grammatik d. ;r. Sprache, »gz. v. 0« Weirsenfels. 173
an. IV 1. 24) ist nicht gerade glöcidich gewählt, weil mühelos nur
demjenigen verständlich, dem der verwickelte Zusammenhang ge-
läufig ist. Auch aus einem andern Grunde eignet sich der Satz
Dicht als Musterbeispiel: der Grund, der zum Berichte des über-
lebenden Führers gehört, sollte als solcher eigentlich nach ov
faHi im (Indik. Präs. oder) Opt. Präs. stehen; Xenophon hat ihn
im Indik. Impf. gesetzU um ihn zu dem seinigen zu machen oder
ihm das Gepräge einer objektiven Thatsache zu geben. — Das
Beispiel aus Lyc. Leoer. 71 in § 248. 1 enthält keinen Potentialis,
radi nicht — wenigstens nicht nach griechischer Denkweise —
einen Irrealis; es würde also passender in dem grofs gedruckten
Teile des § stehen. — Der neuen Auflage ist ein kurzer Abrifs
des homerischen und des herodoteischen Dialektes beigegeben.
Wie die Form des Lernstoffes, so zeugt auch die saubere
Korrektur der Druckbogen von dem ernsten Willen des Verfassers,
eine mühelose Verwendbarkeit seines Schulbuches zu erreichen.
Mir ist nur ein Druckfehler aufgefallen: rorroi^ S. 116. Falsch
dtiert hat U. S. 25: | 32 sUtt 31, und S. 190 Z. 16 v. u. Sing,
statt Plur. gesetzt. Wie diese Irrtümer so werden hoffentlich in
einer neuen Auflage auch Verbindungen wie „Enklitiken und
Atona, Imperativ Aoristi, Indikativ Futuri'* beseitigt werden.
Züllichau. P. Weifsenfeis.
1) Rapkael Käkner, Ansf'dhrliche Grammatik der sriechiscben
Sprache. Erster Teil: Elementar- and Formeolehre. Dritte Avf-
la^e io zwei Bacdeo io neuer Bearbeitung besorgt von F r i e d r i e h
Blafs. Zweiter Band. Hannover 1892, Hahnscbe BucbhandluDg.
Xn u. 652 S. Lexikonformat. 12 M.
Der zweite Band dieser neuen Bearbeitung ist dem ersten
durchaus ebenbürtig. Oberall dieselbe staunenerregende Beherr-
schung des sprachlichen wie des bibliographischen Materials. Eine
Grammatik wie diese, welche vor allem das historische Griechisch
in seinem ganzen Reichtum darstellen will, wird ja zunächst
beim ersten Anblick den Eindruck einer ungeheueren Materialien-
sammlung machen. So vor allem der Hauptabschnitt dieses
zweiten Bandes, das Verbalverzeichnis, welches nicht weniger als
2M grofse Seiten umfafst und in welchem auch der gelehrteste
Kenner des Griechischen eine Fülle von Formen finden wird, von
denen er sich bis dahin nichts hatte träumen lassen. Aber es
nnd diese Hassen von sprachlichen Thatsachen nicht blofs einzeln
vor ihrer Zulassung von dem Herausgeber methodisch geprüft,
sondern auch lichtvoll geordnet worden. Auch folgt er überall
sicher leitenden Sternen. Gegen das Philosophische der heutigen
Sprachforschung verhält er sich ja nicht durchaus ablehnend.
Doch ist es begreiflich, dafs es ihm in einer Grammatik, welche
die Elemente des in zahllosen Inschriften und Litteraturwerken
mr Darstellung gelangten Griechischen zusammenfassen und grup-
174 Kühoer, Grammitik d. gr. Sprache,«^?., v. 0. Weifseofels.
piereD sollte, nicht in den Sinn kommen konnte, an spekulativer
Kühnheit mit den neuesten Forschungen Ober den Ursprung und
die Wandlungen der Sprache wetteifern zu wollen. His non erat
hie locus. Er trägt auch kein Bedenken, durch den Gebrauch
geheiligte, wenn auch in einem Irrtum wurzelnde Bezeichnungen
beizubehalten. Alte Terminologieen mit neuen zu yertauschen,
scheint ihm mifslich. Er kann sich deshalb nicht entschliefsen,
die sogenannten tempora secunda, die doch einer älteren Bildung
angehören, ältere Tempora, die tempora prima, die jüngeren Ur*
Sprungs sind, jüngere Tempora zu nennen. Vielfach angefeindet
worden ist Kuhners Ansicht vom Optativ. Beide, der Konjunktiv
und der Optativ, lehrt er, bezeichnen etwas Vorgestelltes. Der
Konjunktiv entspreche in seiner Bildung dem Indikativ der Haupt-
tempora, der Optativ dem Indikativ der historischen Zeitformen.
Der Optativ sei seiner Form wie seiner Bedeutung nach nichts
anderes als der Konjunktiv der historischen Zeitformen anderer
Sprachen. Der Aorist hat freilich beide Konjunktivformen. Daraus
schlössen die alten Grammatiker, diese beiden Formen mufsten
eine verschiedene Bedeutung haben. Da sie nun sahen, dafs die
eine Konjunktivform oft in Wunschsätzen gebraucht wurde, so
legten sie ihr den höchst einseitigen Namen Wunschmodus
(sifXTixij) bei. Kühner erklärt diese beiden Konjunktivformen des
Aorist so. Alle Modi des Aorist, sagt er, bezeichnen die Hand-
lung an und für sich ohne alle Rucksicht auf ihre Beschaffenheit
Deshalb bilde der Aorist in allen seinen Formen einen Gegensatz
zu denen der übrigen Tempora, welche entweder die Entwicke-
lung (den Verlauf, die Dauer) der Handlung oder das Bestehen
der Handlung in ihrer Vollendung ausdrücken. Daraus gehe deut-
lich hervor, dafs der Aorist zwei Konjunktive haben müsse. Stehe
doch der Konjunktiv des Aorist dem des Präsens und Perfekts,
der Optativ des Aorists dem des Imperfekts und Plusquamper-
fekts gegenüber.
Blafs erklärt in einer Anmerkung, sich nicht ohne weiteres
diesen Ansichten anschliefsen zu können. Wegen der Wichtig-
keit jedoch, die Kühner dieser Auflassung beigelegt hätte, habe er
den Abschnitt über die Stellung des Optativs in der Konjugations-
tabelle unverändert gelassen. Was die Gesamtdarstellung des
Verbums belrilTt, so bedauert der Hsgb. in dem Nachtrage am
Schlufs des Bandes, dafs ihm die Erkenntnis von der Verschie-
denheit eines Fut. praesentis und eines Fut. aoristi erst so spät
gekommen sei. Zwar hat er diese Lehre im systematischen Teil
dargelegt und auch im Verbenverzeichnis durchgeführt, aber sie
habe, gesteht er, notwendige Konsequenzen, die nicht zu ihrem
Rechte gekommen seien. So schon hinsichtlich der Ordnung der
Tempora. Statt in den Paradigmen die übliche Reihenfolge zu
beobachten (Präsens, Imperf., Perf., Plusqn., Aor., Fut, Fut
ezekt.) hätte er die drei Aktionen sondern sollen: I. (Aktion der
Rtpp, Grieehisehe Staatsaltertämer, «(TZ. v. 0. Weirsenfeli. 175
Dauer). 1. Pris., 2. lonperf-, 3. Fut. prfts. — II. (Aktion der
Volleodung). 1. fehlt, 2. Aor., 3. Fut. aor. — lil. (Aktion
der dauernden Vollendung). 1. Perf., 2. PJusqu., 3. Futur, perf.
— Er gesteht allerdings, dafs dieses System fast nur im Passiv
durchgeführt ist, und selbst da nur im Attischen, während das
lonisehe das Fut. aor. pass. nicht so entwickelt habe und die
spätere xotvij dasselbe als Fut. der Dauer verwende. Mit welcher
Grdndliclikeit der Hsgb. allen neu entdeckten Thatsachen des
griechischen Sprachschatzes Rechnung trägt, dafür bieten aus der
Fülle von Belegen, welche sich bis auf die Arbeiten der jüngsten
Vergaogenheit erstrecken, vor allem die Berichtigungen und Nach-
träge zum ersten Bande, welche er diesem zweiten Bande ange-
fügt hat, ein glänzendes Zeugnis. Wie viel Neues und Modifi-
zierendes hat er neu entdeckten Inschriften oder Litteraturwerken
abzugewinnen gewufsti Für den ionischen Dialekt ist besonders
viel aus Herodas zu gewinnen gewesen, dessen Mimiamben vor
zwei Jahren von dem ersten Herausgeber der Aristotelische Schrift
über den Staat der Athener veröffentlicht worden sind. Ich ver-
weise unter anderem auf die Nachweisungc^i Ober Kontraktionen,
Krasen, Synizesen, Diäresen im ionischen Dialekte. Auch über
die Dualformen des attischen Dialekts finden sich in den Nach-
tragen Berichtigungen des bisher für sicher Gehaltenen.
Doch es bedarf keiner weiteren Worte der Empfehlung. Das
Bkicfa ist ein Kompendium des Griechischen, welches bei dem
weiten Kreise, den es umspannt, von erstaunlicher Vollsländig-
keit und Zuverlässigkeit ist. Ein sorgfältig gearbeitetes Register
von 60 zweispaltigen Seiten im Lexikonformat erleichtert das
Auffinden. Man wird trotz des grofsen Umfanges gestehen müssen,
da& es ein handliches, knapp und übersichtlich angelegtes
Werk ist
2) \V. Kopp, Griechische Staatsaltertamer für höhere Lehranstalten
ob4 zum Selbststadiom. Zweite, gänzlich nmirearbeitete Auflage, be-
sorgt roo Viktor Thnmser. Berlin 1893, Jalius Springer. X a.
148 S. 8. 2 M.
3) W. Kopp, Geschichte der griechischen Litteratur. Fünfte
Auflage, nach der Umarbeitang von F. 6. Hobert besorgt von
Gerh. Heinr. Müller, Berlin 1893 y Jalius Springer. XII u.
240 S. 8. 3 M.
Beide Bücher I6sen ihre Aufgabe in geschickter Weise. Was
zuDäehst die griechischen Staatsalterlumer betriiTt, so sind sie in
dieser neuen Bearbeitung hervorragend geeignet, lernbegierigen
Schulern ein anschauliches Bild der wichtigsten griechischen
Staatsverfassungen entstehen zu lassen. Alles ist klar und knapp,
•ine trocken zu sein. Auch trägt der Abrifs nicht den Charakter
«■er trivialen Popularität. Der Verf. schöpft aus dem Vollen,
und an streitigen Punkten blickt eine genaue Kenntnis der wissen-
sdttOlicbea Forschung durch. Trotz des bescheidenen Um-
bqges de» Bucbes wird man nicht leicht etwas Wichtiges aus
176 K^PP> Gesch. d. gricch. Litteratur, agz. v. 0. VVeifseofelt.
der Enlwickelungsgescbichte der griechischen Staalen darin ver-
missen. Aufserdem besitzt es die Eigenschaft des evtfvvomoy
in hervorragendem Grade.
Der andere Band, die Geschichte der griechischen Littejratur,
bietet sich nur als eine Bearbeitung, nicht als eine Umarbeitung
dar. An einigen Stellen indessen hat der neue Hsgb., an ihn
gerichteten Wünschen Rechnung tragend, selbständige Erweite-
rungen hinzugefugt. So bietet er z. B. Inhaltsangaben von drei
Epinikien Pindars, von der neu aufgefundenen Aristotelischen
Schrift über den Staat der Athener, von den Adoniazusen Theo*
krits. An anderen Stellen sind die blofsen Titel durch kurze
Charakterisierungen ersetzt. Ferner sind einige neue Seiten den
Vertretern der christlichen Litteratur gewidmet worden. Schliefs-
lieh hat der Abschnitt über die byzantinische Litteratur in der
neuen Auflage beträchtlich an Umfang gewonnen. In der Anlage
des Ganzen ist insofern eine Änderung getreten, als die längeren
Gedichtproben weggelassen sind. Nicht zu billigen scheint es mir»
dafs die einzelnen Verse, welche der Darstellung eingewebt sind,
nicht griechisch, sondern deutsch geboten werden. Von dem be-
rühmten Epigramm des Simonides auf die dreihundert Spartaner
führt er den griechischen Vfortlaut an. Weshalb citiert er aber
Homerverse auf deutsch? Auch einige den bessern Schülern ge-
läufige Sentenzen aus Hesiod bringt er in deutscher Sprache
(S. 25). Ebenso wissen doch wohl die meisten Schüler die
Verse von den sieben Städten, die sich die Ehre streitig machten,
den Homer geboren zu haben, auf griechisch anzuführen. Was
soll da die ungelenke Übersetzung (S. 12)? Auch die zornigen
Verse, die Xenophanes gegen Homer und Hesiod schleuderte (S.27),
pflegen sich die Schüler gern auf griechisch zu merken.
Was die Anlage des Ganzen betrifi't, so glaube ich wohl, dafs
die Schüler der obersten Klasse, für welche doch das Buch be-
stimmt ist, es mit Interesse und Gewinn studieren können. Es
ist freilich eine schwere Aufgabe, auf so engem Räume einen so
umfangreichen Stofi' zu behandeln, ohne durch trockene Aufzäh-
lungen zu ermüden. Der Vollständigkeit wegen mufste eben vieles
wenigstens gestreift werden. Bei einer künftigen Auflage wird es
sich der Hsgb. angelegen sein lassen müssen, alle äufserlich ge-
lehrten Notizen zu unterdrücken und den so frei werdenden Raum
dem innerlich Bedeutsamen zu gute kommen zu lassen. Wozu
z. B. in einem solchen Abrisse die Notiz, dafs die Gesetze Plaios
wahrscheinlich erst nach des Lehrers Tode von seinem Schüler
Philippos von Opus veröffentlicht seien, dafs 1483 in Florenz
eine lateinische Übersetzung sämtlicher Platonischer Dialoge von
Marsilius Ficinus erschien? Um die Darstellung zu vertiefen,
werden an wichtigen Stellen kurze Inhaltsangaben gegeben. Nichts
ist schwerer, als den Inhalt eines bedeutenden Werkes in einer
wirkungsvollen und geschmackvollen Weise in einige Zeilen zu-
XeiophoBS Anabasis n. Helleoica io Aasw., igz. v. Gemoll. 177
sammenzudrängen. Hier bietet sich dem Verf. in künftigen Auf-
lagen ein weites Feld zu Verbesserungen. Hinsichtlich der Pro-
portion mufs für ein solches Buch der Satz gelten, dafs das beste
nnd das fär die Schale in erster Linie in Betracht Kommende
die eingehendste Behandlung verdient. Lege ich diesen Mafsstab
an, so finde ich, dafs manches Unbedeutende, Entlegene und bis
auf den Namen Verschollene selbst in diesen vorwiegend kurzen
Erwähnangen oft noch zu viel Raum einnimmt, während wichtige
Erscheinungen nicht ausführlich genug behandelt sind. Vor allem
wäre z. B. dem Abschnitte ober Homer eine Vertiefung und Er-
weiterung zu wünschen.
Gr.-Lichterfelde bei Berlin. 0. Weifsenfeis.
Xenophons Aaabasis nod Helleoica in Auswahl. Text und
Kommentar. Herausgegeben von F. G. Sorof. Erstes Bändchen:
Anabasis Buch I~IV. Leipzig 1893, B. G. Tenbner. Text 199 S.,
geb. 1,20 M, geb. 1,50 M. Kommentar 182 S., geb. 1,20 M, geb. 1,50 M.
Dem Ref. gefällt an diesem Buche vieles nicht, zunächst
Dicht, daft den Schülern eine Xenophon-Chrestomathie in
die Hand gegeben wird. Freilich verlangen die neuen Lehrpläne
Cberblicke und ,yDurchblicke'' durch das jedesmalige Pensum und
schnelieres Tempo der Lektüre; aber liefs sich das am unver-
kunten Xenophon nicht fernerhin ebenso gut machen, wie es
auch früher meistens schon geschah ? An die fable convenue von
den bittern Wurzeln der Bildung wird bald niemand mehr glauben,
wenn den Schülern die Arbeit, sich in einem Schriftsteller heimisch
za machen, zu sehr erleichtert wird.
Der Verf. hat Text und Kommentar gesondert herausgegeben,
— eine löbliche Einrichtung. Im ersten Bändchen folgt auf eine
karze Vorrede die Einleitung, welche den Schuler über Xenophons
Leben und Teilnahme am Feldzuge des jungem Cyrus orientiert,
darnach der Text, als Anhang eine Übersicht über das griechische
Heerwesen, ein sehr ausführliches Verzeichnis der Eigennamen und
dne Karte von Kleinasien. Was den Text einrahmt, so zu sagen
die aya^fjuxta datrog, ist gut und schön, aber die daig selbst,
der Text, ist nicht einwandfrei.
Einige Beispiele aus dem 1. Buch mögen das beweisen. Wir
lesen bei Sorof I 4, 15 VfAty di dg maxordvoig XQV^^^^^ ^> ^
f ßaa^Ximg Aqx^ (CD Schenkl t^ ßad^Xioag &QX^)y 6, 7 o ^Oqovvag
2 mal (Com. art), 8 o^'OQovxag (Com. art.), \\ sitfijx^ (CDBAE
tiif^dx^)j 7, 2 a(Mc vfj imovtffi ^(J^^Qff ^xov avzofjLoXoi naqä
l^eydXov ßaatXdtag, 16 ßaükksig notet (CBA add. (liyag), ib.
Tovtfy dff KvQog, 8, 3 ividv (C pr ivsdvezo), 8 al Xoyxctt
(CBA om. art.), 14 ikiXoi (CDB Krüger /i^Ac»), 21 nqogntvvov-
ft€ifog ^öij ((«pr ^?* ^- ßccifiXsvgj AB co^ ßatftXevg), 10, 15
i j^vMiog (Cpr om. art), 18 ^aav ö'avtat TevQaxoatai (CBadd.
Xaifnhr. £ d. OTimiMiftlwwen. XLYIIU 8. 8. 12
178 M. Banner, Französisches Lese- und Übnng^sbuch,
(ig iHyomo), I 4« 15 ist nach Kruger und Hug eDtschiedeo
worden, wahrscheinlicher ist aber doch, was Bachof bietet: fnov.
n€i&, cö^. nktst.j oder meine Streichung von max. (Progr. Kreuz-
burg 1888 S. 12). 1 7, 2 ist nach meinem Vorschlag a. a. O.
S. 14 inioviffi zu streichen und mitCpr zuschreiben ^x.av.n.
fi. ß, (fTQaTiäg, I 7, 16 ist Weidners Tavvfjp 6^ aufgenommen,
ich verweise nur auf Hartmans An. Xen. S. 65, wo ravVij mit
nicht verächtlichen Gründen empfohlen ist, und mein Programm
S. 16.
Der Verf. sagt Vorrede S. 4, dafs er als Grundlage seiner
Textgestaltung die Ausgaben von Hug, Weidner und Rebdantz-
Carnuth benutzt, mit andern Worten, dafs er selbst keine text-
kritischen Studien gemacht habe. Ich kann mich mit einem sol-
chen Standpunkte nicht einverstanden erklären ; bisher wenigstens
war es der Ruhm der deutschen Gymnasiallehrer, dafs sie auch
in Schulausgaben die Wissenschaft pro parte virili zu fördern
suchten und wufsten.
Das 2. Bändchen enthalt auf S. 1 — 124 den Kommentar, auf
S. 125 — 182 den syntaktische n Anhang. Die Notwendigkeil
oder auch nur Zweckmäfsigkeit des letzteren vermag ich durchaus
nicht einzusehen. Wozu hat der Schüler seine Grammatik? Diese
kann ihm der syntaktische Anhang nicht ersetzen. Aufserdem balle
ich es für ganz unpraktisch, wenn im Kommentar statt der dem
Schüler nötigen lirkiärung ein Hinweis auf eine solche Zusammen-
stellung gegeben wird. Der Kommentar ist nicht immer auf
das Bedürfnis des Obertertianers berechnet (vgl. S. 80 „Zum Ge-
danken vgl. Hör. od. 134, 11: valet ima summis mutare et in-
signem attenuat deus, obscura promens**); im allgemeinen aber
ist er sorgfältig und praktisch gearbeitet. An meinem Gesamt-
urteil über die vorliegende Ausgabe kann dies nichts ändern; ich
halte sie neben den vielen guten Ausgaben von Xenophons Ana-
basis, die wir schon haben, für überflüssig.
Liegnitz. Wilhelm Gemoll.
1) Max Banoer, Französisches Lese- und OboDg^sbueh. Zweiter
Kursus. Bielefeld und Leipzig 1893, Velhageo & Klasing. VIII u.
165 S. 8. 1,60 M, geb. 1,90 M.
Wie der erste Kursus (vgl. diese Zeitschrift 1893 S. 285 fr.)
hat auch der vorliegende zweite den doppelten Charakter des Lese-
und Übungsbuchs gewahrt: auch er „enthält nur zusammen-
hängende, französisch geschriebene Stücke, z. T. den besten Schrift-
stellern entlehnt, mehrfach auch in der Franzosen Land und Sitte
einführend und mannigfaltig wechselnde Stoffe in verschiedenen
Stilarten bietend; andrerseits dient jedwedes Prosastuck zur Be-
festigung und Erweiterung unserer Sprachkenntnis auf dem Ge-
biete des fremden Idioms*'. Auch hier also soll der Schüler die
aogez. voD K. Brandt. 179
in den französischen Lesestucken zum Ausdruck gelangte Sprach-
encheinung in der Formenlehre in knapper und präziser Fassung
«riederfinden. Während nun in dem ersten Kursus in der Weise,
daCs nach Absolvierung eines Prosastückes die Durchnahme und
Eioprägung bestimmter grammatischer Abschnitte folgt, die regel-
mäfsige Formenlehre, insbesondere avoir, ^tre und das regelmäfsige
Verbum behandelt worden ist, bringt der zweite Kursus die un-
regeimS£iige Formenlehre, hauptsSchlich das unregelmälsige Verbum
nach obiger Methode, so zwar, dafs auch hier dem Haupterforder-
nis, die mündliche Übung der Sprache zu pflegen, in den „questions'*
vielfach Rechnung getragen ist. Wir begrüfsen es als einen glück-
lichen Gedanken des Verf.s, diese in der Art gestallet zu haben,
dals sie, inhaltlich an Stucke des ersten Kursus anknüpfend, den
einmal gewonnenen Wortschatz durch stete Wiederholung be-
festigen, zugleich aber auch zur Einübung einer neuen Er-
scheinung auf dem Gebiete der unregelmäfsigen Formenlehre An-
lals bieten.
Die Stoffe der Lesestücke sind, wie schon beiläufig bemerkt,
lT. aus der Geschichte des französischen Volkes bezw. seiner
Utteratur genommen; daneben linden sich — eine gar willkommene
Abwechselung — kleinere Gedichte, Anekdoten, Fabeln, Sprüch-
w&rter u. s. w.
Von den Prosastöcken heben wir als solche, die den Anfor-
derungen der neuen Lehrpläne gemäfs die Verhältnisse des
realen Lebens kopieren und deshalb von besonderem Interesse
sind, namentlich hervor Nr. 11 (S. 8): Poste et tilegrapke\ Nr, 22
IS.16C): Le train de Versailks; Nr. 60 (S. 42): Les boutemrds;
Nr. 61 (S. 43): Le temps und Nr. 73 (S. 49): Au magasm du
b'tfO'uittrm
Unter den Gedichten eignen sich auch in diesem Kursus
zwei recht wohl dazu, „nach allgemein bekannten Melodieen ge-
sungen zu werden''. Es sind dies „£e petü Pierre'' (27) nach
der Melodie von „Üb' immer Treu' und Redlichkeit" und „Les
trm hraoes^' (53) nach der von „Es gingen drei Jäger wohl auf
£e Birsch".
Die „questions**, die einem bestimmt vorgeschriebenen Zwecke
dienen (s. o.), sind einfach und im ganzen und grofsen geschmack-
voll; einzelne könnten allerdings fortbleiben wie z. B.: Est-ce
fii'oii souffre de la fam ou de la $<nf, (^and im a la fievre?
(fir. 21. S. 16.) Qui d'entre vaus coudrait lui-mime au besain
m boHion d tes culottes? (Nr. 35. S. 25.) DestraierU-ih boire
M 9utnger pendatU la fUvre qu'äs avaient attrapee? (Nr. 41.
&28.)
Die Laut-, Formen- und Satzlehre dieses Kursus, welche auf
<& des ersten zurückgreift und in einem dritten Kursus, worin
fie Syntax propädeutisch behandelt werden wird, ihren Abschlufs
Boden soll, so dafs im einzelnen sich die Grammatik in drei kon-
12*
180 Banoer, Französ. Lese- u. Oboogsbuch, agz. v. Braodt.
zentrischen, von Jahr zu Jahr sich erweiternden Kreisen auf-
genommen darbieten wird (vgl. Vorrede z. I. Kursus S. VUI). ent-
hält auf den ersten Seiten die grammatischen Regeln in durch-
gängig unveränderter Fassung. Neu hinzu treten als höchst
vereinzelte Ausnahmen die Pluralbildung von Substantiven auf ou
und ail, die Regeln über die Unveränderlichkeit des part. frh.
und die Veränderlichkeit des part, passe reflexiver Verben. Nicht
ganz scharf und durchsichtig ist hier die folgende Fassung (S. 65):
„ebenso wie das letztere^' (d. h. das mit avoir verbundene Part.
Perf., welches nur dann verändert wird, wenn das Objekt voran-
geht) „wird das (abweichend vom Deutschen) mit etre verbundene
Part Perf. reflexiver Verba behandelt", wozu als Beispiel der Satz
gegeben ist: üs se sont lav4 les mains\ wir erwarteten eher ein
Beispiel wie: üs se sont vus au spectacle. Weiterhin ist § 17 des
ersten Kursus ergänzt durch Aufnahme des zweiten substantivischen
Fragefürwortes lequel, § 19 durch Hinzufugung der Bruchzahlen.
Mit Recht ist ferner in diesem Kursus die „Tafel zur Übersicht
über die Ableitung der Formen des regelmäfsigen Verbums'' der
Konjugationstabelle des Passivs und Reflexivs vorangestellt. Eine
Erweiterung hat auch § 26 (Umstandswort) erfahren durch die
Anmerkung über die Adverbialbildung der Adjektiven auf ant und
ent. Das Hauplpensum jedoch bildet der Abschnitt § 25, das un-
regelmäfsige Verbuni in tabellarischer Form gebracht. Die all-
gemeinen Bemerkungen über Eigentümlichkeiten einzelner Gruppen
der vier Klassen unregelroäfsiger Verben sowie über „gemeinsame
Eigentümlichkeiten aus dem Gebiete sämtlicher Verba'^ enthalten
in anschaulicher Weise die Grundgesetze der Unregelmäfsigkeit
und erleichtern dem Schüler das mechanische Auswendiglernen,
das doch nun einmal hier wenigstens nicht umgangen werden
kann. Was nun die Tabellen der unregelmäfsigen Verben selbst
betrifl't, so bat Verf. darin das Prinzip befolgt, welches Ref. in
der Praxis schon früher in Anwendung zu bringen gewohnt war
und noch jetzt befolgt : er will „feste Einübung der Verben nach
dem Averbo'' und hat zu diesem Zwecke die diesbezüglichen For-
men durch den Druck gekennzeichnet. Im allgemeinen ist an den
Tabellen die Übersichtlichkeit anzuerkennen, die zur Erleichterung
der Einprägung nicht unwesentlich beiträgt; auch finden wir es
billigenswert, dafs der I. Tabelle der unregelmäfsigen Verben auf
er aul'ser aller die Paradigmen solcher Verben einverleibt sind,
deren „Besonderheiten ausschliefsiich durch Rücksichten auf die
Aussprache hervorgerufen sind", wie appeler, jeter^ fcoer, repiter^
forcer, soiiger, employer, appuyer. Unter der Sippe o/frtr, <mvrir^
souffrir vermissen wir zwar couvrir, welches sich sonst in den
Grammatiken mit aufgezeichnet findet, erklären uns aber im Hin-
blick darauf, dafs es als ein Kompositum von oiwrir erscheint,
mit dem Wegfall einverstanden.
Was die „Präparationen zu den Lesestucken'* betrifift, so
Bibliotliek ^edieg. fraotösiseher Werke, agz. v. Brandt iSl
lassen sie den Scböler im ganzen und grofsen nicht im Stich;
folgende Phrasen hätten freilich noch Aufnahme linden können:
äre ä$tm aüe „wohlhabend sein*' (Nr. 12. S. 10 Z. 6 v. o.), faire
h mauvaise tete „eigensinnig sein'* (Nr. 66. S. 46 Z. 3 v. o.) und
äre bcn enfami „gutmütig sein'* (Nr. 76. S. 53 Z. 10 v. o.). In
das „alphabetische Vokabular*' ist vielleicht noch nachzutragen die
Bedeutung von meritant, welches sich in Nr. 76 (S. 53 Z. 13 v. u.)
findet: tl signdla le sotiB-Ueutenant camme Is seul meritanU
Ausstattung nnd Druck auch dieses Kursus verdienen An-
erkennung. In Bezug auf den letzteren ist dem Ref. nur fol-
gendes aufgefallen. S. 14 Z. 7 v. o. steht par statt pas; S. 16
Z. 18 ▼. o. lesen wir dans le temps les plus recules st dans les
ttwips L p. r., S. 133 Z. 17 v. u. ehere st. chere, S. 143 Z. 1 v. u.
fone f. St. gerne m., S. 153 particulere st. partmiUere. Im alpha-
betischen Vokabular war die alphabetische Ordnung zu wahren
auf S. 149 {marchi war vor marehepied zu stellen) und S. 155
iprecedent vor preceder). Nicht recht scharf ausgeprägte Typen
indeo sich auf S. 21 Z. 12 v. u.: a st. d und S. 100: fecris st.
feeris, Punktzeichen fehlen auf S. 67 Z. 3 v. u. hinter les lewrs
und S. 160 hinter socUti f.
Auch dieser zweite Kursus des Bannerschen Buches ist wohl
geeignet, die Übung im mundlichen Gebrauch der Fremdsprache
zu fördern und einige Geübtheit im schriftlichen Gedanken-
ausdruck zu erzielen: wir empfehlen deshalb denselben angelegent-
lichst den Facbgenossen. Dem Erscheinen des dritten Kursus
sehen wir gern entgegen.
2)Bibliothek gediegener nod interessanter französischer Werke.
Zum Gebrauche höherer Bildangsanstalten ausgewählt und mit den
Biographieeo der betrefienden Klassiker ausgestattet von Anton
Goebel, fortgesetzt von Johannes BriiJI. Münster, Drnck und
Verlag der Theifsingschen Buchhandlung, gr. 16.
Das Verdienst, den namhaftesten Klassikern der französischen
Liiteratur und ihren hervorragendsten wie interessantesten Werken
in die höheren Bildungsanstalten Eingang verschafft zu haben,
gebührt unstreitig dem Herausgeber dieser „Bibliothek'', Anton
Goebel. Wenn vordem auch hier und da neben den vielfach
benetzten Chrestomathieen einzelne ganze Werke im Gebrauche
waren, so fehlte es doch damals noch an der für die Zwecke des
gymnasialen Unterrichts so nötigen Sichtung bezw. Ausscheidung.
Dienn worauf es heutzutage hauptsächlich bei der Lektüre eines
Klassikers ankommt, nämlich mit ihm möglichst genau bekannt
zu werden, erheischt entweder die Kenntnis seines Gesamtwerkes
oder einer in sich abgeschlossenen bezw. durch Ausscheidungen
zu einem einheitlichen Ganzen abgerundeten Partie. Da nun aber
<tie klassischen Werke der französischen Litteratur nicht selten
«SDen ziemlich grofsen Umfang haben, so dafs es nicht gut an-
iS2 Bibliothek gediegener französischer Werke,
gängig ist, bei der beschränkten Stundenzahl, die namentlich auf
Gymnasien dem Französischen zugemessen ist, ein Werk in seiner
Vollsländigkeit zu bewältigen^ so ist man nicht zum geringsten
auf eine Kürzung angewiesen. Dafs indes die Kürzung der Texte
für Schulen ihre grofse Schwierigkeit hat, bedarf wohl kaum der
Erwähnung, wenn man bedenkt, dafs der volle Zusammenhang
und die Verständlichkeit gewahrt bleiben mufs. Und gerade das
ist zunächst ein wesentlicher Vorzug, weicher die „Bibliothek'^
auszeichnet, und der ein Grund davon ist, dafs sie sich in ihren
einzelnen Bändchen einer ganz besonders günstigen Aufnahme zu
erfreuen gehabt hat.
Was sodann die Stoffe anlangt, welche die „Bibliothek''
bietet, so ist eine ergiebige Auswahl getroffen : Geschichtliche Dar-
stellung grofser Zeiten, wichtige Ereignisse des Altertums, Mittel-
alters und der neueren Zeit, Biographieen hervorragender Fürsten,
Staatsmänner, Feldherren, Naturforscher, Schriftsteller, Bilder aus
der Natur und dem Völkerleben, Unterhaltungslektüre, Märchen,
Novellen, Erzählungen, Konversationsstücke, Meisterwerke der Be-
redsamkeit und Poesie.
Aber auch die Grundsätze, die bei der Herausgabe der „Bi-
bliothek" mafsgebend gewesen sind, müssen allseitige Billigung
Gnden, stimmen sie doch mit den Forderungen überein, welche
die neuen Lehrpläne und Lehraufgaben an die Lektüre stellen.
Die Bibliothek will „nur stilistisch Mustergültiges, nur Klassisches''
berücksichtigt wissen, „nur gesunde Geistesnahrung, nur wahrhaft
veredelnde. Verstand und Herz bildende Lektüre*' bieten und
„durch Biographieen der betr. Schriftsteller die Bekanntschaft mit
der französischen Litteraturgeschichte'' anbahnen; sie will aber
,, fernhalten bezw. ausscheiden im ganzen wie im einzelnen Alles
und Jedes, was in religiöser, moralischer, politischer Hinsicht ver-
fänglich sein könnte*'. Auf solchen Grundsätzen fufscnd, gewährt
diese „Bibliothek'* eine höchst passende und wertvolle Jugend-
lektüre, und es ist erfreulich zu vernehmen, dafs der Fortsetzung
derselben ein naher Verwandter des Herausgebers seine hilfreiche
Hand zugesichert und die Zusage bereits bethäligt hat.
Jedem Bändchen ist eine biographische Notiz über den betr.
Klassiker vorausgeschickt, welche in kurzen Zügen das Wissens-
würdigste aus dem Leben des Autors sowie eine summarische
Übersicht über seine bedeutendsten litterarischen Erzeugnisse
enthält.
Dem Referenten liegen von dieser „Bibliothek'* drei Bändchen
zur Besprechung vor: Bd. 19, 57, 58.
1. Neunzehntes Bändchen. J.-F. Michaud. Histoire de
la troisi^me croisade. Suivie d'un commentaire historique
et geographique. Edition stereotype. Munster, imprimerie et
librairie de Theissing. X u. 220 S. 12. 0.80 M, geb. 1,05 M.
Gewifs nicht mit Unrecht ist von dem Herausgeber aus der
9Lügez. von K. Brandt. Ig3
Histoire des croisades neben der Geschichte des ersten Kreuzzuges
die des dritten von demselben Verfasser gewählt worden. Denn
abgesehen davon, dafs man der Lektüre eines Schriftstellers, wel-
cher sich ebensowohl durch Reichtum und Neuheit der Gedanken
via durch edle und geschmackvolle Sprache auszeichnet, ein
warmes Interesse entgegenbringt, fesselt die jugendlichen Gemüter
ganz besonders der Inhalt des dritten Kreuzzuges, nächst dem
ersten nnslreitig des bedeutendsten und, wie der Herausgeber
ihn so treffend bezeichnet, des romantischsten, dadurch dafs hier
drei ritterliche Gestalten in den Personen eines Friedrich Barba-
rossa, Richard LAwenherz und Philipp August handelnd vorgeführt
werden.
In 20 Kapiteln sind die wichtigsten Begebenheiten des dritten
Kreazzuges in gedrängter, den Zusammenhang und das Verständnis
nicht beeinträchtigender Kürze zusammengefafst, und die Auswahl
ist unseres Erachtens als eine glückliche zu bezeichnen.
Was die Ausstattung des Bändchens betrifft, so ist als ein
wesentlicher Fortschritt gegen die früheren Ausgaben der ge-
schmackvolle Kaliko - Einband anzuerkennen, in welchem jetzt
sämtliche Bändchen der „Bibliothek'' fertiggestellt sind. Ehe wir
sodann das Verzeichnis der verhältnismäfsig zahlreichen Verstüfse
aufstellen, die uns im Druck begegnet sind, möchten wir im all-
gemeinen darauf hinweisen, dafs die academie fran^aise 1S78
innerhalb eines Wortes das e, auf welches ein stummes e folgt,
uieisi als ein oflenes e (e), nicht als ein geschlossenes e (e) be-
handelt, dafs also Wörter wie avenement, pelerin, piege, auch ste^e,
nglement zu schreiben sind: avenemmt, pelerin, piege, siege, regle-
«en/. Auf diese Weise wird wenigstens die Grundregel möglichst
gewahrt, was in einer Sprache, welche so gar viel Eigenartiges
enthält, höchst wünschenswert ist (vgl. neben avenement: evine^
Menl u. a.). Als mehr oder weniger starke Versehen im Druck
haben wir folgende notiert: S. 18 Z. 15 v. u.: resister st. resister;
S. 20 Z. 8 V. u. : potit;ous st. pouvons; S. 24 Z. 9 v. o.: couverts
st eauvertes; S. 28 Z. 7 v. u.: delai st. delai; S. 30 Z. 10 v. o.:
cre a st. crea; S. 32 Z. 6 v. u.: d'lbelin st. dlbelin; S. 39 Z. 8
v.u.: dcH$ st dans; S. 56 Z. 9 v. o.: d^ance st. d'onces-, S. 69
Z. 3 V. o. : Le duc de Souabe chef de Vartnee st. Le d. d, 5., eh.
de farmee; S. 83 Z. 1 v. o.: fvU-rent st fu-rent; S. 83 Z. 14 v.o.:
CoKrad fäs du m. d. M. st. Conrad, füs d. m, d. M.\ S. 91 Z. 13
V. o.: neufmille st. neuf mtlfe; S. 93 Z. 5 v. u.: surpit st surprit;
& 99 Z. 1 V. u.: mulHdude st multitude; S. 119 Z. 13 v. o.: reussit
9t. reuMsä; S. 123 Z. 1 v. o.: qni pendcent les tr. d. C, st. qui,
pendmU ks tr. d. C; S. 152 Z. 8 v. o.: deux st. d'eux; S. 189
Z. 11 V. o.: Mesapotamie st Mesapotamie; S. 183 Z. 16 v. o.: perdu
sl perdus; S. 198 Z. 14 v. o. : mon-fra st mon-tra.
Aufserdeni sind nachstehende kleinere Ungenauigkeiten beob-
achtet: S. 19 Z. 14 V. u.: plan ter st plan-ter'^ zu kehren ist das
Ig4 Bibliothek gfediegeoer französischer Werke,
s in auires (S. 21 Z. 11 ?. u.), das x in aux (S. 24 Z. 10 v. u.)*
das r in Autriche (S. 124 Z. 8 v. o.), das s in tous (S. 125 Z. 10
V. u.), das s in parts (S. 161 Z. 12 y. u.)» das s in poursutViit (S.
180 Z. 15 y. u.) und das s in rwus (S. 192 Z. 11 v. o.). Ferner
fehlen I-Punkte auf S. 24 Z. 9 y. u. in faisaü, S. 34 Z. 6 v. o. in
ainsij S. 97 Z. 15 y. u. in premier, S. 148 Z. 14 y. o. in chrelimne,
S. 172 Z. 12 y. u. in Quoique und S. 183 Z. 1 y. u. in S'ih. End-
lich sind uns in den „Erläuterungen^' folgende Ungleichmäfsig-
keiten bezw. Inkorrektheiten aufgefallen: S. 205 Z. 14 y. o.: irr-
thümlich gegen irrtümlich (S. 218 Z. 7 y. u.); S. 206 Z. 6 y. o.:
geehlicht gegen ehelichte (S. 207 Z. 7 y. u.) und vereheUcht (S. 209
Z. 14 y. 0.); S. 208 Z. 7 y. o. : Kaukasus gegen Kaucasus (S. 208
V. 10 y. o.); S. 211 Z. 9 y. o. und Z. 17 y. u.: Jerusalem gegen
das oft wiederkehrende Jerusalem; S. 215 Z. 1 o.: Athiopen sU
Äthiapen; S. 217 in der Überschrift: Erläuterungen st. Erläu-
terungen; S. 218 Z. 6 y. 0.: Ägypten st. Ägypten; S. 219 Z. 15 f.
V. 0. ist zu bessern : Thuron nordöstlich van PtolemaU 91.
2. Siebenundfunfzigstes Bändchen. Madame Göttin. Eli-
sabeth ou les exiles de Siberie. Edition r^digee pour la
jeunesse et les ecoles. Munster, imprimerie et librairie de
Theissing. 111 u. 184 S. 12. 0,60 M, geb. 0,85 M.
Kaum findet sich in der Litteratur ein lieblicheres und das
menschliche Herz ansprechenderes Denkmal kindlicher Pietät als
„Elisabeth'^ das Werk derselben Romanschriftstellerin, welche, mit
Michaud befreundet, diesen bat, für ihren Roman ,.MathiIde'' eine
Einleitung über die Kreuzzöge zu schreiben, aus welcher später
das bekannte historische Meisterwerk Michauds, Histoire des
croisades, heryorging, und es ist nicht zu verwundern, dafs man
„seit Jahren die Aufnahme der „Elisabeth'' in die Goebelsche
Bibliothek yerlangt hat'*.
Äufserst einfach in der Handlung bei grofsem Reichtum der
Schilderung und gekleidet in eine gewählte, leichte und Oiefsende
Sprache, ist „Elisabeth'' recht eigentlich eine Jugendschrift, welche
das Gemüt des Lesers packt und ihn für die edelsten Triebe
eines reinen^ unyerdorbenen Menschenherzens begeistert.
Anfangs wollte es allerdings dem Ref. scheinen, als ob der
Inhalt dieser Schrift sich mehr für die Lektüre an den höheren
Mädchenschulen eigne, eben weil dieselbe „nichts mehr, aber auch
nichts weniger als der unmittelbare Ergufs eines edlen Frauen-
herzens, mit dem Herzen genossen sein will'S allein bei genauerer
Prüfung und wenn man bedenkt, dafs, Gott sei's geklagt, die
Pietät bei der so sehr materialistischen Richtung unserer Zeit in
höchst erschreckender Weise abzunehmen droht, dürfte die Lektüre
der „Elisabeth*' auch an höheren Unterrichtsanstalten für die
männliche Jugend recht erspriefslich erscheinen.
Ein Vorzug, welchen die Goebel-Brüllsche Ausgabe yor andern
aufzuweisen hat, besteht darin, dafs das Schriftchen in zwei Teile
angez. von K. Braodt. ]^g5
mit tl und 9 Kapiteln eingeteilt ist, und dafs diese Kapitel mit
Überschriften versehen sind, eine Anordnung, welche die Obersicht
wesentlich erleichtert und das Anmutige der Erzählung erhöht
Was die Ausstattung des Buches betrifft, so verweisen wir
im allgemeinen auf das bei Gelegenheit der Besprechung des
neunzehnten Bändchens Gesagte. Im Druck sind uns aufser den
bereits am Ende verzeichneten Errata noch folgende weitere Ver*
stölse begegnet: In der Vorbemerkung Z. 7 v. o.: annonym st.
anarnftn; S. 10 Z. 2 v. u.: mere st. mere; S. 12 Z. 6 v. o.: tres-dair
St. tres darr; s. 13 Z. 15 v. o. ist nach les chatnps ein Komma zu
letzen bei zu ergänzendem Prädikat (se couvrent) [vgl. Goebel-
Brüll, Higuet, Histoire de la r6v. fr. S. 36 Z. 9 u. 8 v. u.]; S. 17
Z. 7 ▼. u. : iustrttction st. mstruction\ S. 20 Z. 16 v. o.: e $es moindres
dain st ä s. m. d. ; S. 20 Z. 2 v. u.: etait st. äait] S. 25 Z. 3 v. o. :
Pelerdfcurg st. Fetersbourg; S. 25 Z. 4 v. o.: pere st pere\ S. 34
Z. 12 T. u. : generale st. generale; S. 36 Z. 12 v. o«: carresse st
caresse; S. 39 Z. 7 v. o.: partemd st patemel; S. 41 Z. 7 v. u.: sous
$L pous; S. 42 Z. 11 v. o.: abbattre st abattre; S. 46 Z. 9 v. o.:
/itt^ en st /U5^'«f»; S. 48 Z. 13 v. u.: s'apercöf st. s'aper^üt;
S. 50 Z. 6 V. u.: mois st. mot; S. 54 Z. 5 v. o.: j^ronocerenr st
pnmoncerent; S. 57 Z. 15 v. u.: qu'elle st juelte; S. 71 Z. 8 v. o.:
kfemlles st. [es feuiües; S. 71 Z. 16 v.o. : ineffa^ab-les st meffa^a-bles;
S. 86 Z. 16 v. u.: si'I st. sVI; S. 91 Z. 3 v. o.: benir st. (enrr;
S. 99 Z. 15 V. u.: potissstere st potisstera; S. 103 Z. 13 v. u.: ili-
itthetk st Elisabeth; S. 109 Z. 8 v. o.: vos st votis; S. 114 Z. 16
f. 0.: $an$ faire de bien st sans faire du bien; S. 116 Z. 9 v. o.:
traca st. tra^a; S. 129 Z. 2 v. u.: de mal st du mal; S. 139
Z. 10 T. u.: Jaques st Jacgties; S. 140 Z. 13 v. u.: sontiendra st.
tmaiendra; S. 140 Z. 5 v. u.: Int st lui; S. 146 Z. 2 v. o.: jtcetle
sL 9i»'e//e; S. 147 Z. 8 v. o.: liberte st liberte; S. 149 Z. 8 v. o.:
rteampense st recompense; S. 151 Z. 10 v. o. : reneonnait st recon-
iwil; S. 152 Z. 1 v. u. : at je st ai-je; S. 155 Z. 5 v. u.: (ie ces
imc9fuiaH€e$ st. de «es inccmstances. Ungenaues in Bezug auf Inter-
punktion bemerkten wir S. 20 Z. 4 v. o. : plus, st plus.; S. 57
Z. 14 V. o. : £n t;oyatU Smoloff eile st. £. v. S., eile; S. 61 Z. 14
V. 0.: id s'ü St. tct, s't7; S. 62 Z. 14 v. o.: rinfortnne eile st. Vin-
/orTioie, eUe; S. 63 Z. 9 v. o.: d lui tu m'as st d lui, ^u m'os;
S. 120 Z. 2 v. o.: s'arreter ilisabeth st. s'arreter, Elisabeth,
3. Achtondfönfzigstes Bändchen. Mignet, Histoire de la
revolution fran^aise depuis 1789 jusqu'en 1814. Texte
abrege et commente pour les ecoles. Munster, imprimerie et
fibrairie de Tbeissing. VIII u. 535 S. 12. 1,50 M, geb. 1,80 M.
Wenn auch diesem drittletzten der bis jetzt erschienenen Bänd-
eben der ,JBibJiothek*S dessen Lektüre allerdings bei ungeschicktem
bezw. absichtlich falschem Gebrauche die Unverdorbenheit jugend-
bcfaer Gemüter gefährden kann, von vornherein mit einigem Mifs-
traoeo begegnet ist und gegen seine Verwendung als Schullekture
186 Bibliothek ge&ieg, frtazösischer Werke, ags. v. Brandt
an UDsern höheren BilduDgsaDstaiten zuerst Bedenken erhoben
worden sind, so hat es sich doch nach und nach in denselben
eingebürgert und bildet gerade jetzt, wo die Forderungen der
neuen Lehrpläne und Lehraufgaben eine Vertiefung der Einsicht
in die historischen Vorgänge und die inneren staatlichen Verhält-
nisse unserer westlichen Nachbarn betonen^ einen beliebten und
wiilkommnen Unterrichtsstoff. Freilich ist die Kürzung vornehm-
lich dieser Schrift, auf deren vollständige Bewältigung das Gym-
nasium bei der schon erwähnten beschränkten Stundenzahl
unbedingt verzichten mufs, eine ebenso schwierige wie verant-
wortliche Aufgabe, aber diese Aufgabe in höchst geschickter und
anerkennenswerter Weise gelöst zu haben, ist das Verdienst der
Goebei-Brüllschen Ausgabe: ihre Sichtung und Auswahl ist unseres
Erachlens mustergültig. Die dieser Ausgabe beigegebenen Noten,
welche Besonderheiten teils geschichtlicher, teils sprachlicher Art
enthalten, sind wohl dazu geeignet, das Verständnis zu erleichtern
und das Interesse des Lesers zu wecken und zu erhalten. Wir
empfehlen deshalb diese Ausgabe der wohlwollenden Berücksichtig
gung der Fachgenossen aufs angelegentlichste.
Von der Ausstattung auch dieses Bändchens gilt das bereits
über Bd. 19 und 57 Gesagte. Im Druck haben wir aufser den
am Schlüsse des Buches unter den Errata aufgeführten Verstöfsen
noch folgende Versehen gesammelt: Titelblatt Z. 4 v. u.: abregt
st abrege-y S. 1 Z. 9 v. o. : ih ichoue st. iledioue; S. 25 Z. 15 ▼. u.:
promvit st. proscnvit\ S. 30 Z. 11 v. u.: prmier st premier; S. 32
Anm. Z. 2 V. o.: evSques st eveques; S. 45 Z. 6 v. u.: de la part
st de la part; S. 49 Z. 11 v. u.: dn st du\ S. 50 Z. 14 v. o.:
beaucaup st. beaucoup\ S. 60 Z. 7 v. u.: Fayei e st Fayelte; S. 74
Z. 10 V. u.: declaration st. declaration\ S. 75 Z. 11 v. o. : audeseus
St. au'dessus; S. 82 Z. 6 v. o.: revolutionnaires st revolutionna(res\
S. 83 Z. 1 V. u.: lou8 st tons; S. 90 Z. 11 v. o.: des st des: S. 92
Z. 8 V. u.: departement st dipartement; S. 106 Z. 7 v. u.: Les st,
Les und deciderent st deciderent; S. 129 Z. 6 v. o.: defendre sU
defendre; S. 130 Z. 3 v. o.: grauche st. gauche; S. 135 Z. 9 v. o.:
a l'egard st d legard; S. 157 Z. 10 v. u.: sueces st su€ces\ S. 162
Z. 10 V. 0.: in fermi kursives e; S. 164 Z. 2 v. o.: on st ow^
S. 169 Z. 1 V. 0.: chä*teau st. chd-teau; S. 179 Z. 11 v. o. : mini-
stres st minis'tres (vgl. S. 144 Z. 10 v. o.); S. 183 Z. 10 v. u.:
in cwistitutiannel kursives s; S. 209 Z. 2 v. u.: preUde st. pricide\
S. 209 Z. 1 V. u.: ectte st ceUe\ S. 216 Z. 11 v. u.: ConventionneUe
st. conventionneUe\ S. 216 Z. 1 v. u.: in st il\ S. 249 Z. 12 v. u. :
etaient st. itaient; S. 266 Z. 6 v. o.: long-temps st. longtemps; S. 279
Z. 10 V. u.: geniale st generale; S. 286 Z. 4 v. o.: republique sl.
republique; S. 299 Z. 3 v. o.: ecoutie st fcoiiree; S. 304 Z. 9 v. o.:
disinterresse st disintiresse; S. 360 Z. 1 v. o.: rependre st reprendre*
S. 373 Z. 1 1 V. u. : se st. se; S. 375 Z. 3 v. o.: dkretes st. decr^fes;
S. 377 Z. 1 V. 0,: surperflue st «uper/Iue; S, 384 im Zitat Z. 2 ij
Porekat, Trois mois soos la neige, angez. von Forcke. Ig7
T. 0.: ta$$<isms st. d'assassins; S. 387 Z. 5 v. u.ijusq'au st. /uäfM'au;
S. 390 Z. 16 V. u. : il st. tb; S. 393 Z. 5 v. o.: eonfre-rei^ohUtonnatre
d. eonire-rioolutionnaire; S. 393 Z. 13 v. u.: defendre st. difendre;
S. 404 Z. 8 V. a.: p€nit st. perit; S. 409 Z. 13 v. u.: quils st. qu'ils;
S. 429 Z. 2 ▼. o.: Eies-wnis st. i/e^-votis; S. 430 Z. 10 v. o.: fejrts-
{ofMrrs sL legülateur$\ S. 432 Z. 5 v. o.: Mlections st. ^lecfto»«;
S. 433 Z. 13 y. a.: tMgrocta st. negocfa; S. 436 Z. 10 v. u.: de$ir
St. de$ir; S. 454 Z. 4 v. o.: Luxemburg st. Iua;ein6otir^; S. 463
Z. 4 ▼. o.: penetre st. p^n^rre; S. 478 Z. 14 v. u.: riligieuse st
re%etm;, S. 479 Z. 8 v. u.: «s st. et; S. 480 Z. 14 v. o.: Citait
gl C*etei«; S. 491 Z. 4 v. o.: Sirrurier st. Serrurier; S. 501 Z. 9
T. a.: quü st. 9u'i7; S. 512 Z. 5 v. u. ein et zu streichen; S. 514
Z. 6 T. tt.: rest-stonce st. risis-tance; S. 532 Z. 4 v. u.: d st. a;
Kommata sind zu setzen auf S. 37 Z. 9 v. o. nach Paris; S. 56
Z. 15 T. u. nach partir; S. 180 Z. 12 v. u.: nach qui; S. 215 Z. 11
T. 0. nach Moi; S. 448 Z.7 v. u. nach brillante. Auch in dem
Verzeichnisse der Errata sind zu vermerken Z. 2 v. o. : S. 11 st.
S. 16; Z. 6 V. u. : legislative st. legislative und auf der letzten
Seite Z. 7 v. o.: 5. 75 Z. 3 v. o. st. S. 76 Z. 12 v, o.
Salzwedel i.A. K. Brandt.
S. J. Porchat, Trois mois sons la neige. Journal d'un jeune ha-
bitantdaJura. Im Auszöge mit Anmerkangeo ond Fragen nebst
einem Wörterbuch znm Schul- und Privatgebraueh neu herausgegeben
von C. Th. Lion. 9. Auflage. Dresden 1892, Gerhard KUhtmanu.
145 S. 8. 1,30 M.
Madame E. de Pressenge, La maison blanche. En deux parties.
In Auszügen mit Anmerkungen und Fragen nebst einem Wörterbuch
zum Schulgebranch herausgegeben von C. Th. Lion. 2. umgearbeitete
Auflage. Dresden 1892, Gerhard Kuh tmann. 191 S. 8. 1,60 M.
Die von Professor Dr. C. Tb. Lion bearbeitete Biblioth^ue
fran^aise, die Auszüge aus Werken der modernen französischen
Utleratur enthält, hat manche vorteilhafte Wandlungen durch*
gemacht Die Ausgaben sind mit Anmerkungen, Fragen und
einem Wörterverzeichnis versehen. Die Anmerkungen (am Fufse
jeder Seite) sind in der neuesten Auflage auf das geringste Mafs
beschränkt und geben nur sachliche und grammatische Erklärungen,
sowie Übersetzungen schwieriger Ausdrucke, während alle Wort-
erUäruDgen getilgt und in dem Wörterverzeichnis aufgenommen
sind, das dadurch zu einem Wörterbuch geworden ist. Der Vor-
teil ist klar: Der Schüler kann nicht mehr gedankenlos die
deutsche Bedeutung eines französischen Wortes ablesen — oft
hat er wohl weniger das unbekannte Wort als die nebenstehende
Ziffer angesehen — , sondern er wird zur schriftlichen Vorberei-
lang gezwungen, er mufs die unbekannten Wörter aufsuchen und
aobchreiben, und schon dadurch wird ihm das Lernen und Be-
hahen derselben leichter. Die Fragen folgten früher nach jedem
einzelnen Kapitel, jetzt sind sie an das Ende des Buches gestellt.
Igg de Presseoge, La maison blanche, ao^ez. v. Forcke.
Willkommen ist auch die bessere Übersichtlichkeit des Textes
durch Bezeichnung der Zeilenzahl am Rande mit 5, 10, 15 u. s. w.
Das Questionnaire erleichtert dem Schüler sowohl als dem
Lehrer die Arbeit. Ersterem bietet es die Möglichkeit einer ge-
wissen Vorbereitung auf die Fragen über den Inhalt des be-
treffenden Kapitels, während es dem Lehrer naturiich unbenommen
bleibt seine Fragen nach eigenem Ermessen einzurichten.
Trois mois sous la neige bringt ein Knabe mit seinem GroDs-
vater in einer Sennhütte auf dem Schweizer Jura zu. Sie sind
vom Winter überrascht, und die Schneemassen hindern sie, den
Rückweg anzutreten. Eine Ziege, die zurückgeblieben ist, bildet
ihre einzige Gesellschaft und macht es ihnen möglich, ihr Leben
zu fristen. Tinte, Federn und Papier finden sich in einem
Schranke vor. Diese benutzt der Knabe, um seine Erlebnisse
aufzuschreiben, die in Form eines Tagebuches erzählt werden.
Trotz der Einförmigkeit ihres Lebens versteht es der Verfasser
durch lebhafte und anschauliche Schilderungen — die Schrecknisse
des Winters im Gebirge, das Nahen der Wölfe, der Tod des
Grofsvaters, sein Begräbnis, der Trost des Knaben in seiner Ein*
samheit — das Interesse für die Erzählung rege zu erhalten; man-
nigfaltig sind die Mittel, die die Unglücklichen gegen die Lange-
weile erfinden; dazu kommen die vielseitigen Belehrungen des
Grofsvaters, die nach seinem Tode den Enkel in den Stand setzen,
weiter zu leben, bis er endlich vom Vater befreit wird.
Von Berichtigungen, die nicht im Eingange des Buches an-
gegeben sind, erwähnt Ref.: S. 24 Z. 27 lies bais st. hoü; S. 81
Z. 16 lies le malade st. la malade; S. 93 Z. 2 lies la priere st.
le priere,
La maison blanche im Dorfe Saint-Real ist das Heim einer
glücklichen Familie; zwei Söhne und zwei Töchter bilden die Freude
der Eltern ; die letzteren sind in der glücklichen Lage, sich ganz
der Erziehung der Kinder widmen zu können. Der erste Teil
schildert uns das Leben im Elternhause; im zweiten Teile finden
wir die Knaben in einem Pariser Pensionat, aus dem sie nach
einjährigem Aufenthalte zurückkehren, um ihre Ferien bei ihren
Eltern zu verleben. Warum soll sich diese Erzählung gerade be-
sonders für Oberklassen in Mädchenschulen eignen? Warum sollte
sie keine passende Lektüre für vorgeschrittenere Knaben sein, da
die Knaben doch überall in den Vordergrund treten?
Aufser den im Eingange des Buches angegebenen Berichti-
gungen sind Ref. aufgefallen: S. 24 Z. 13 lies Jiröme pensa que
son oncle ne savait pas statt Jerdme pensa son ancle ne savaU pos;
S. 42 Z. 14 lies fit statt ß; S. 84 Z. 24 lies k statt la\ S. t26
Z. 14 lies faites statt faücs.
Der Stil beider Erzählungen ist fliefsend und gefällig und
hält sich nach Möglichkeit frei von schwierigen Konstruktionen.
Die Sprache ist dem Charakter der Erzählungen angepa£$t. Ab
Let Hohenzollern et rAllemagoe, an^^es. vod Mangold. tg9
and SU fallen uns Wendungen auf, die den Regeln unserer fran-
zösischen Grammatiken widersprechen, Freiheiten, die in mo-
dernem Französisch nicht gerade selten zu fmden sind.
Druck und äufsere Ausstattung lassen nichts zu wünschen
übrig. Somit eignen sich die Bücher in jeder Hinsicht zum
Schul- und Privatgebrauche.
Gotha. W. Forcke.
Las HoheDSollera et rAllemagDe, Recoeil des biographiea des soa-
venÜDS de Prosse depais le graod electear josqa'a Teaipereor Frid^ric.
Berlia 1892, Lackhardt. VIII u. 175 S. 8. 2 M.
Schöne Worte sind dem Mifsbrauch ausgesetzt, auch in der
pädagogischen Litteratur. Um nicht junge Franzosen zu erziehen,
sondern junge Deutsche, sagt die Vorrede, müssen wir „die vater-
ländische Geschichte in ihrer Mannigfaltigkeit unter verschiedenen
Gesichtspunkten betrachten''. Für einen solchen Gesichtspunkt
hält der Verfasser die Vorführung im französischen Gewände zum
Zwecke von Sprechübungen. Welche Gründe alle gegen diesen
Gedanken sprechen, brauche ich nicht erst zu erörtern. Wird im
französischen Unterricht Geschichte behandelt, so sei es in erster Linie
französische Geschichte, vor allem aber sei sie anziehend geschrieben.
Dies läfst sich hier nur von einem Teile des Buches sagen, von
dem, der Friedrich dem Grofsen gewidmet ist, sowie von einigen
kleineren Abschnilten, z. B. dem Tode Wilhelms I., dessen Bio-
graphie im übrigen ebenso ungenügend behandelt ist wie die
Napoleonische Zeit unter Friedrich Wilhelm III. Der Verfasser
(E. F. Riemann) schreibt in Anlehnung an französische Quellen,
die er leider nicht nennt, die aber zum Teil unzuverlässig sind.
Sie haben ihn zu manchen Fehlern verfährt, deren gröbster wohl
der erste Satz des Buches ist: „Frederic-Guillaume, fils de Jean
Sigismond'M Auf derselben Seite ist fälschlich von einer „regence"
des grofsen Kurfürsten die Rede; S. 6 der Todestag desselben
fälschlich 9. Mai datiert; S. 9 25 000 st. 250 000 r.; ib. Zeutha
St. Zenta; S. 70 Laddick st. Haddick; S. 11 ist von einer Eheschei-
dung Eriedrichs III. mit Sophie Luise die Rede, die nicht statt-
gefunden hat; S. 17: 1738 st. 1732 für die Vertreibung der
Salzburger angegeben; S. 26: 1734 st. 36; S. 35: 4. Juni st.
5. Juli; S. 45: 20. st. 25. December: S. 68: 14. st. 16. (Pirna);
6. sL 5. Mai (Prag) u. s. w., von umständlicher zu erklärenden
Fehlern abgesehen: kurz das Buch ist nicht zuverlässig, nicht
einmal das Datum der Kapitulation von Paris ist richtig angegeben.
Am Teite ist mir, von Druckfehlern abgesehen, nichts Un-
französisches aufgefallen. S. 54 — 65 sind Gedichte Friedrichs des
Grofsen mitgeteilt, die man nie ohne Interesse liest.
FriedeDau bei Berlin. W. Mangold.
190 JäolcLe u. Hähne], GesohichtserzahluogeD, a^K. v. Priebe.
H. Jäoicke und G. Hähnel, Hiilfsbuch für die Geschicbtserzah-
luDgen in Sexta ood Quinta. Im Anschlafs au die (^eschichllichen
Lehrbücher von Janicke. Berlin 1893, WeiduianDsche BnchhandlnDgr.
VI u. 70 8. kart. 0,80 M.
H. Janicke, der den Lesern dieser Zeitschrift durch seine
geschichtlichen Lehrbücher für die Klassen von Qaarta bis Prima
schon bekannt ist, hat jetzt, und zwar im Verein mit G. Hälinel,
noch ein Hülfsbuch erscheinen lassen, welches den Stoff für die
Geschichtserzählungen in Sexta und Quinta enthält. Die neuen
Lehrpläne verlangen ein solches Buch nicht; es heilst im Gegen-
teil in den methodischen Bemerkungen zu diesen Lehrpiänen:
„Begeisterung des Lehrers selbst, schlichte, aber lebenswarme
Schilderung der vorgeführten Helden in freier Erzählung ohne
Anschlufs an ein Buch thun hier fast alles*^ Das übrige soll
das deutsche Lesebuch thun. Demgegenüber bemerken die Ver-
fasser des vorliegenden Buches in ihrem Vorworte, es habe schon
im ersten Jahre des Bestehens der neuen Lehrpläne die Erfah-
rung an ihrer Anstalt gelehrt, dafs ohne Anschlufs an ein Buch
der geschichtliche Unterricht auf den untersten Stufen einen
nennenswerten Erfolg nicht erzielen könne. Die Schüler hätten
von acht zu acht Tagen nahezu alles vergessen, was der Lehrer
mit auch noch so grofser Anschaulichkeit vorgetragen hätte, und
am Ende des Schuljahres sei bei dem gesamten Unterricht nichts
Erspriefsliches herausgekommen. Die Schüler hätten selbst häufig
den Wunsch geäufsert, man möchte ihnen ein Hülfsbuch be-
zeichnen , in dem sie das in der Klasse Durchgenommene zu
Hause nachlesen könnten. Da die beiden Herren annehmen zu
können glauben, dafs diese Erfahrung nicht nur am Gymnasium
zu Kreuzburg, sondern auch an vielen anderen Schulen gemacht
worden sei, und da sie andererseits der Ansicht sind, dafs das
deutsche Lesebuch nicht auch noch den Stoff für den Geschichts-
unterricht aufnehmen dürfe, sind sie zu der Herausgabe eines
besonderen Hülfsbuches geschritten. Dafs sie mit ihrer Ansicht
nidit allein stehen, beweist der Umstand, dafs schon mehrere
Hülfsbücher für die Geschichtserzählungen in Sexta und Quinta
erschienen sind, welche sich genau an die neuen Lehrplänen an-
schliefaen. Ich für meine Person möchte mit der Einfuhrung
eines solchen Hülfsbuches noch warten und erst weitere Erfah-
rungen sammeln. Wer aber den Standpunkt von Janicke und
Hähnel teilt, dem kann ich das von ihnen herausgegebene Hülfs-
buch zur Einführung warm empfehlen. Es behandelt in der
ersten für Sexta bestimmten Hälfte der Reihe nach König Wil-
helm L, Friedrich HL und Wilhelm IL, Arminius, Karl den Grofsen,
Heinrich L, Otto den Grofsen, Friedrich Barbarossa, Rudolf von
Habsburg, den grofsen Kurfürsten und die preufsischen Könige
Friedrich L, Friedrich Wilhelm L, Friedrich den Grofsen und
Friedrich VVilhelm Hl. Persönlichkeiten aus der Reformationszeit
H. Stieb, Lehrbach der Geschichte, agz. v. F. Ohly. 191
und aas der Zeit des dreifsigiährigen Krieges werden von den
Verfassern nicht besprochen, sondern dem Religionsunterrichte
Obertassen; was durchaus zu billigen ist. Die zweite für Quinta
bestimmte Hälfte behandelt den Argonauten zug, den trojanischen
Krieg, Odysseys, die Kämpfe um Theben, Lykurg, die messenischen
Kriege, Theseos, Kodrus, Solon, die Gründung Roms, die Königs-
zeit, die Kämpfe der Republik gfgen Tarquinius Superbus, die
Auswanderung der Plebejer auf den heiligen Berg, Coriolan, die
DecemTirn, die Kämpfe gegen die Äquer, Volsker, Etrusker,
Gaiüer, Latiner, Samniter und gegen Pyrrhus. Die Auswahl der
Fersdnlichkeiten ist zweckentsprechend; die Auswahl des ge-
schichtlichen Stoffes bei den einzelnen Helden ist zwar im ersten
Teile stellenweise etwas reichlich ausgefallen, doch thut dies dem
Werte des Buches keinen Eintrag. S. 6 ist die Aussprachebe-
zeichnung von Versailles falsch. — S. 7, Zeile 18 ist für Bundes-
kanzler „Reichskanzler"' zu setzen. — S. 14, Z. 14 ist die Wen-
dung „liefs auswandern'' zu beseitigen. — Der auf derselben
Seite Zeile 16 beginnende Satz ist zu lang. — S. 60 darf im
letzten Satze das Prädikat nicht im Singular stehen. — Die Sprache
des Buches steht mit dem kindlichen Standpunkte der Schiller,
für die es geschrieben ist, in gutem Einklänge; die zweite Hälfte
liest sich ganz besonders glatt und angenehm.
Fraustadt. Moritz Friebe.
B. Stich, Lehrbuch der Geschichte für die oberen Klassen der
Mittelschnlen. lif. Teil. Die neuere Zeit. München, Bamberg^, Leip-
xig 1892, C. C. Buchner. 263 S. 8. geb. 2,40 M.
Aus äufseren Gründen ist, wie der Verf. in dem Vorwort
sagt, der yorliegende HI. Teil des Lehrbuches zuerst herausgegeben
worden, und von der Aufnahme dieses Bandes soll es abhängen,
ob der Verf. auch eine Bearbeitung der alten und mittleren Ge-
schichte veröffentlichen wird. Es gilt deshalb schon jetzt, mit
den Grundsätzen, nach denen der Verf. gearbeitet hat, sich aus-
einanderzusetzen. „Das Buch ist aus dem Unterricht hervor-
gegangen und soll dem Unterricht und zwar zunächst an den
oberen Klassen des Gymnasiums dienen, in weiterer Linie aber
auch den Schülern anderer Lehranstalten, sowie Privatstudie-
renden einen brauchbaren Leitfaden bieten, sich indem
grolseo Gebiet der Weltgeschichte zurecht zu finden''. Es ist
bezeichnend, wie hauiig man in den so zahlreich erschienenen
„Uölbbachern für den Geschichtsunterricht in den oberen Klassen
höherer Lehranstalten'* neuerdings die doppelte Bestimmung aus-
gesprochen findet, ein fiülfsmittel für Unterricht und Studium
tugleieb zu sein. Man soilte sich doch darauf beschränken, ein
^irkücb gutes Schulbuch zu schauen, das ist wahrlich eine Auf-
gabe schwierig genug und „des Schweilses der Edlen wert", denn
192 H. Stich, Lehrbach der Geschichte,
für unsere Jugend gilt, wenn irgendwo, das Wort: das Beste ist
gerade gut genug! Und wie weit wir noch von diesem erstrebens-
werten „Besten'* entfernt sind, das beweist doch zur Genüge die
noch immer mehr sich steigernde Anzahl von Hülfsbuchern, von
denen eins immer besser als die anderen sein will. Das Ziel
aber kann nur erreicht werden, wenn man „auf Grund einer
langjährigen Praxis'* nun auch wirklich nur das eine im Auge
behält, was unserer Schuljugend frommt und notthut, nicht aber
daneben noch andere, seien sie nun wirklich Studierende oder
„Privatstudierende'S befriedigen zu können und befriedigen zu
müssen glaubt^)! Der eine Zweck kann nur auf Kosten des
anderen erreicht werden, und wir werden sehen, dafs auch der
Verf. des vorliegenden Lehrbuches allzu viel dem Nebenzweck zu
Liebe aufgenommen hat, was im Hinblick auf die Ziele des Gym-
nasialunterrichts besser beiseite gelassen wäre.
Die besonderen Gesichtspunkte nun, nach welchen der
Verf. sein Buch entworfen hat, sind folgende:
1. Übersichtliche Gruppierung und Einteilung des Stoffes;
Scheidung der Hauptsachen von den näheren Ausführungen
durch den Druck.
2. Andeutung der leitenden Ideen und Hervorhebung der
grofsen Ereignisse, sowie des inneren Zusammenhangs der
Geschichte.
3. Beschränkung der Kriegsgeschichte zu Gunsten der Kultur-
geschichte im weiteren Sinne des Wortes: Verfassung und
wirtschaftliches Leben miteinbegriffen.
4. Mitteilung einzelner Quellen sowie einiger weniger Sätze aus
mustergültigen neueren Darstellungen.
Der Verf. weifs wohl, „dafs diese Punkte keineswegs der
allgemeinen^ und unbedingten Billigung gewifs sind", und glaubt
sie deshalb eingebend im Vorwort verteidigen zu sollen. Am
meisten gefährdet und Angriffen ausgesetzt erscheint ihm der
zweite Punkt, dessen Besprechung wir deshalb gleich vorweg
nehmen. Ref. ist der Ansicht^ dafs der Verf. die Bedenken, die
diesem Punkt gegenübergestellt werden könnten, sich denn doch
zu schwarz ausmalt; er braucht wahrlich nicht so ängstlich be-
sorgt zu sein, dafs man ihm, wenn er in einleitenden Überblicken
auf „die leitenden Ideen der Geschichte*' hinweist oder sonst bei
passender Gelegenheit „den inneren Zusammenhang der Geschichte*'
enthüllt, alsobald den Vorwurf „einer geschichtsphilosophischen
Betrachtungsweise*' oder eines wenig angebrachten „Raisonnements**
über die Tliatsachen machen werde. Die Ausdrücke lauten ge-
*) Eio wirklich gntes Schnlbach wird, wenn durch dasselbe
im Unterricht eio gesicherter Grund tüchtiger Geschichtsieontnis gelegt ist,
sowieso auch im späteren Leben eio treoer Berater bleiben^ der noch dem
Erwachsenen vertraat ist, aof den er schon deshalb gern sorüekgreift.
angez. vob F. Uhly. 193
fibriicher, als sie sind, und es ist gottlob ein überwundener
Standpunkt, dafs raan mit „dem oft wiederholten Wort eines
verstorbenen Staatsmannes** operierend sich im Geschichtsunter-
ricbt auf den Gymnasien mit der blofsen Einprägung der Daten
begnügen zu müssen glaubte, dafs man z. B. in der Reifeprüfung
die Geschicbtskenntnis des Abiturienten darnach bemafs, ob er
auch ja alle einzelnen Römerzöge Barbarossas, alle einzelnen
Kriege zwischen Karl V und Franz I mit genauer Angabe der
Jahreszahlen und „Hauptschlachten** herschnattern könne, unbe-
kümmert darum, ob er auch ein Verständnis habe für die
folgenschwere Bedeutung der Römerpolitik, des Kampfes zwischen
Kaisertum und Papsttum, der Rivalität zwischen dem Hanse Habs-
burg und der Krone Frankreich 1 Es ist wahrlich an der Zeit, offen
and rückhaltlos wieder und immer wieder zu betonen, dafs der Ge-
schichtsunterricht auf den oberen Klassen — denn nur um diese
bandelt es sich hier — nicht in der möglichst grofsen Be-
lastang des Gedächtnisses mit einer Fülle von Einzelkennt-
Bissen sein Ziel suchen soll, sondern vielmehr in der An-
bahnung des Erkennens von Ursache und Wirkung, eines
Verständnisses für den Gang der geschichtlichen Entwicklung,
tor den Umschwung, mit dem z. B. gewaltige Männer, die doch
wiederum nur als Kinder ihrer Zeit zu verstehen sind, eine neue
Zeit heraufgeführt, derselben das Geprflge ihres Geistes aufgedruckt
haben. Wenn nun noch so oft gerade von älteren und wohl-
meinenden Schulmännern unter Berufung auf die Geschichts-
unterweisung, die ihnen selbst zuteil geworden sei, eingewendet
wird, man solle dem Schuler nur die Thatsachen und Zahlen
darbieten, das Verständnis werde, wenn nicht sogleich, so doch
sicherlich in den späteren Jahren von selbst sich entwickeln, so
giebi der Verf. mit vollem Recht zu bedenken, dafs die jungen
Leute, die heute das Gymnasium verlassen, „zu einem grofsen
Teile keine Gelegenheit mehr suchen und finden, ihr geschicht-
liches Wissen zu ergänzen und zu vertiefen**. Ref. glaubt darin
noch viel weiter gehen zu sollen. Denn es ist leider eine unbe-
streitbare Thatsache, dafs die grofse Mehrzahl nicht nur der
jimgen, sondern auch der herangewachsenen Leute sich mit der
Ge^chichtskenntnis begnügen und von derselben auch späterhin
zehren, die ihnen die Schule vermittelt hat. Die Zeiten beschau-
lieher Betrachtung, wo es auch dem Nichtfachmann ein Genufs
war, in ein gutes Geschichtswerk sich zu vertiefen, sind dahin;
in dem Hasten und Treiben des Zeitalters des Dampfes und der
EldJLtrizitflt findet man keine MuiÜBe mehr dazu. Wenn schon von
den Lehrern des Deutschen so bitter darüber geklagt wird, dafs
unsere Klassiker so wenig mehr gelesen werden, während es doch
Bodb zum „guten Ton** gehört, dafs sie wenigstens in feinen
Uebhaber-Einbänden in einem stilvollen Bücherschrank im „Salon'*
prangen: wo findet man neben ihnen in den Häusern der Ge-
Zcitoifar. t a. &TiDnMUlw«Mii XLVin. a. 8. 13
194 H. Stich, Lehrbueh der Geschichte,
bildeten jetzt noch gute Geschichtswerke und in welchen Häusern
werden sie gelesen? Höchstens ein so epochemachendes Werk wie
Sybels „Die Begründung des Deutschen Reiclies durch Wilhelm I''
findet auch aufserhalb der Fachgenossen noch einen Leserkreis,
doch in erster Linie nur deshalb, weil es die Geschichte der Zeit
behandelt, in der unser Geschleclit lebt und wurzelt. Diese Er-
scheinung ist betrübend genug, aber nicht abzuleugnen, und io
richtiger Erkenntnis derselben haben denn auch die neuen Lehr-
pläne ^) S. 44 das Ziel des Geschichtsunterrichts höher gesteckt,
wenn sie sagen: „Zwar ist das Vorfuhren von Tbalsächlichem
und das gedächtnismäfsig geordnete Festhallen desselben auch
hier erforderlich, aber die inneren Verhältnisse müssen vor den
äufseren in den Vordergrund treten» das Verständnis für den
pragmatischen Zusammenhang der Ereignisse und für
ein höheres Walten in der Geschichte, die Fähigkeit
zum Begreifen der Gegenwart aus der Vergangenheit
müssen vor allem geweckt werden''. Daijs diese hohe Auf-
gabe aber nicht dem mündlichen Vortrage des Lehrers allein
überlassen werden kann, sondern dafs es „erwünscht ist, auf das
Lehrbuch verweisen zu können'', ist ohne weiteres zuzugeben.
Bedenken endlich, „in konfessioneller Beziehung Anstofs zu er*
regen'', die der Verf. auch noch glaubt zerstreuen zu müssen,
dürfen unseres Ei*acbtens für die Bearbeitung eines historischen
llülfsbuchs gar nicht ernstlich in Frage kommen.
Auch gegen den vierten der vom Verf. aufgestellten Gesichts-
punkte — Mitteilung einzelner Quellen sowie einiger
weniger Sätze aus mustergültigen neueren Darstellungen — hat
Ref. nichts Wesentliches einzuwenden. „Nur in sehr beschränktem
Mafse" ist von diesem Hulfsmittel Gebrauch gemacht, und in
durchaus ansprechender Weise sind „für die früheren Zeiten solche
Stücke ausgewählt, welche zugleich ein ungefähres Bild von der
damaligen Schreibweise geben können". So finden wir einige
Sätze aus Luthers Sendschreiben „An den christlichen Adel deut-
scher Nation", einen bezeichnenden Vei*s eines katholischen Ge-
dichtes über Karl V, S. 2S, einen Satz aus dem „reservatum
ecciesiasticum" S. 30/31, den Brief Wallensteins an den Kaiser
über den Kampf bei Nürnberg S. öO, des Kaisers Brief an Wallen*
stein nach der Schlacht bei Lützen S. 61, das Glückwunach-
schreiben Maximilians an den Kaiser (nach der Ermordung Wallen-
steins)^) S. 62, einen Abschnitt aus dem ausführlichen Bericht
des Speierer Dorodechanten von fiollingen über die Verwüstung der
Pfalz S. 81, verschiedene Stellen aus Briefen Friedrichs des Grofsen
') Von deoselben oimmt der Verf. als Bayer keioe Notiz^ er spricht
uor ^auz allgemein von den y^oeuereo ScholordDungea aller deotschen
Staate Q*'.
') Dieseu Beispielen der ,,damaligen Sprachmengerei^' wird S. 66 das
Sinngedicht Logaus: „Die deutsche Sprache^* angereiht.
«Dgez. voD F. Ohly. 1Q5
(aber seinen Einfall in Schlesien S. 111, über Lowositz S. 114,
aber Leuthen S. 116, den Brief an den Hinister von Finckenstein
12. Aug. 1759 S. 117), sowie die Eingangsworte seines Testaments
f. i. 1769 S. 123, die Schilderung der Schlacht bei Rofsbach
aas einem Briefe des Feldmarschalls Keith an seinen Bruder
S. 116, die Proklamationen Napoleons an die italienische Armee
S. 153, S. 154 aus seinem Briefe an den Erzherzog Karl 31. März
1797, an sein Heer ror dem Feldzuge gegen Preufsen 1806
S. 165, desgleichen von 1809 S. 169, die Proklamation des Erz*
herzogs Kari an die „deutsche Nation'' (1809) S. 169, die be-
zeicbnendste Stelle aus der Abdankungsurkunde Kaiser Franz II
(1806) S. 164, S. 201 : Worte König Wilhelms I bei seinem Re-
gierungsantritt, den bekannten Brief Napoleons III nach der Schlacht
bei Sedan S. 214, die Kaiserproklamation vom 18. Januar 1871,
S. 219, und endlich einen Abschnitt aus der kaiserlichen Botschaft
vom 17. November 1881 S. 225. Dazu kommt eine ganze Reihe
charakteristischer Ausspruche bedeutender Männer, die, in die
Darstellung eingestreut, wesentlich beitragen, dieselbe belebend
ond anregend zu gestalten. Auffallend ist, dafs der berühmte
„Aufruf an mein Volk'' vom Jahre 1813 der Aufnahme nicht ge-
würdigt ist. Es erklärt sich das wohl nur aus dem bayerischen
Standpunkt des Verf., durch welchen die preufsische Geschichte
überhaupt in einzelnen Parlieen eine etwas kärgliche Behandlung
erfahren bat. Aus mustergültigen neueren Darstellungen') sind
in der That nur sehr spärlich Citate angeführt, so S. 59 einige
Zeilen aus Schillers Geschichte des dreifsigjährigen Krieges (über
Gustav Adolb Siegeslaufbahn nach dem Tage von Breitenfeld),
S. 72 das Urteil Rankes über Karl I (von England) und seine
Richter, S. 123 Häussers Urteil über den Furstenbund, S. 134
Rankes Urteil über die Forderung der nordamerikanischen Kolo-
nisten dem englischen Parlament gegenüber, S. 152 Häussers
Schilderung der Lage nach dem Baseler Frieden, S. 117 die Zu*
sammenfassung, mit welcher Moltke seine Darstellung des Krieges
von 1870/71 schliefst. Die Auswahl dieser Citate ist eine etwas
eigenlamliche, und man ist versucht, sie durch eine Reihe anderer,
ebenso charakteristischer zu vermehren, was der Verf. nicht gethan
hat, um den Umfang des Buches nicht über die Gebühr anschwellen
ZD lassen. Dem Prinzip selbst aber läfst sich die Berechtigung
sieht wohl absprechen.
„Obersicbtiiche Gruppierung und Einteilung des
Stoffes**, der erste besondere Gesichtspunkt, den der Verf. auf-
stellt, bezeichnet eine Forderung, deren Beobachtung heutzutage
von einem historischen Hulfsbuch als selbstverständlich voraus-
*) Dia Worte über iie Nördlieger Niederlas® «Q* ^^^ „Geschichte des
•dbwcdisehee lo Teotschieod geführten Krieges^' vod Chemoitz, dessen
Tedesjahr sogar aogemerkt ist, erscheint mindestens entbehrlich.
13*
196 H. Stich, Lehrbach der Geschichte,
gesetzt wird. Der Verf. weist die „regressive Methode'' ohne
weiteres, die synchronistische Beha ndiuDg der neueren Geschichte
mit dem wohlbegründeten Bemerken zurück, dafs „die Aneignung
des geschichtlichen Stoffes durch die synchronistische Betrachtungs-
weise nicht erleichtert, während dieselbe bei Überblicken und
Wiederholungen mit Erfolg angewendet wird'^ Um nun noch
mehr Übersichtlichkeit zu gewinnen, hat der Verf. die „Schei-
dung der Hauptsachen von den näheren Ausführungen
durch den Druck'' beliebt, ein Verfahren, das ja im Prinzip
nicht neu und gewifs auch zu billigen ist. Aber während in
früheren Hulfsbüchern der kleinere Druck nur angewendet wurde,
um z. B. Biographisches aus dem Leben bedeutender Männer oder
aus der Jugend der Herrscher, oder endlich um die „Vorgeschichte''
eines Landes, wie Brandenburg-Preufsens, Rufslands u. a. auszu-
führen, ist dieser Grundsatz hier in solchem Mafse und so durch-
gängig angewandt, dafs dagegen doch schwerwiegende pädagogische
Bedenken sich erheben. Für den Verf. eines historischen Hülfs-
buches ergeben sich zwei Wege: er wird entweder auf eine gute
erzählende Darstellung Wert legen und dadurch ein Buch schaffen,
das nicht nur als Lernbuch, sondern auch als Lesebuch von
dem wifsbegierigen Schüler gern in die Hand genommen wird
und ihm die Möglichkeit bietet, an diesem Muster auch seine
eigene mündliche Vortragsweise, auf die mit Recht neuerdings^)
der gröfsle Wert gelegt wird, zu bilden, oder er wird unter Ver-
zichtleistung auf eine stilistisch abgerundete Darstellung in mehr
abgerissenen Sätzen dem Schüler nur ein Mittel in die Hand geben
wollen, den Vortrag des Lehrers nach seinen Hauptpunkten zu
rekapitulieren. Den letzteren Weg verfolgen die in ihrer Art ja
vorzüglichen Lehrbücher von W. Herbst, den ersteren wohl mit
Recht die meisten übrigen (älteren und) neueren Geschichtsbücher.
Der Verf. des vorliegenden Buches schlägt einen Mittelweg ein,
in den durch den Druck als „Hauptsachen" bezeichneten Partieen
nähert er sich mehr der Herbstschen Manier, in den kleingedruckten
„Ausführungen" erzählt er, doch ist auch diese Verschiedenheit
nicht konsequent durchgeführt. Jedenfalls aber wird hierdurch
Zusammengehöriges allzu sehr auseinandergerisseu,
und Ref. kann sich schon deshalb für diese Methode nicht er-
wärmen. Und wenn der Verf. sich noch recht klar wäre über
die Begriffe „Hauptsachen" und „Ausführungen"! Sollen die «Haupt-
sachen" etwa das Minimum dessen angeben, was der Lehrer als
Memorierstoff von dem Schüler verlangen soll? Das kann die Ab-
sicht des Verf. nicht gewesen sein; denn unmöglich können wir
mit dem, was die grofsgedruckten Abschnitte bieten, für die
^) Lehrpläoe and Lehraof^abeo, 8.45: „Der mÜDdliche freie Vor-
trag der Schüler muls io dem Geschichtsaoterricht besonders ^eUbt
werden".
aofcez. von P. Obly. t97
Primaner uns begnügen. Nehmen wir dagegen alle „Ausfuhrungen"
als wissenswert an, so begegnen wir einer Fülle von Stoff, die
geradezu beängstigend wirkt'). Unseres Erachtens hStte eben
gar vieles in die grofsgedrucklen Hauptsachen gehört, was wir in
den kleingedruckten Ausführungen finden. So wie sie hier vor-
liegt, könnte die Unterschiedlichkeit des Druckes höchstens den
Wert haben, dafs durch den grofsen Druck der Gang der Ereig-
nisse vorweg genommen, gewissermafsen nur eine Disposition
gegeben und diese dann in den einzelnen Unterabteilungen aus-
geführt wird. Dies geschieht in der That vielfach, besonders
charakteristisch in § 14 (Bildung und Höhepunkt der spanischen
Weltmacht; Abschnitte: 1, a, b, c, d, e; 2, 3, a, b, c; a, b, c
mit Ausführungen zu den einzelnen Teilen), in § 16 (Frankreich
im Zeitalter der Reformation etc.). wo z. B. in Nr. 4 die letzten
?alois einfach aufgezählt, in vier Zeilen gesagt wird, dafs „Frank-
reich in lange Religions- und Bürgerkriege (die Bartholomäusnacht
in Klammem!) gestürzt wird, welche erst von Heinrich IV, dem
ersten Könige Frankreichs aus dem Hause Bourbon, durch das
Edikt von Nantes (1598) beendigt wurden'', diese kurzen An-
deutungen dann durch zwei ganze Seiten kleingedruckter Aus-
fuhmngen erläutert werden. Ganz ebenso wird z. B. auch S.70 — 74
in der englischen Geschichte unter Jakob i und Karl I (8 Zeilen
zu li Seiten)'), der Geschichte der nordischen Reiche (8 Zeilen
zo i| Seiten) und Katharinas II S. 130/131 (4 Zeilen zu 1^ Seiten)')
verfahren. Wäre dieser Grundsatz folgerichtig durchgeführt, so
liebe sieb darüber reden. Dagegen finden wir S. 77 ff. zwar auch
erst eine Übersielit über die „3 Angriffskriege und die sogenannten
Reanionen'' Ludwigs XIV, dann die einzelnen Abschnitte näher
ausgeführt, doch fast alles in grofsem Druck (auch z. B. das ius
devolutionis, Senef und Safsbach!), ebenso die Geschichte Eng-
lands 1649—1702 S. 88— 92, den ganzen spanischen Erbfolge-
krieg S. 94/95 (auch z. B. die Erhebung des Tiroler Landsturms
unter dem Amtmann Sterzinger (1703) und den Sieg Vendomes
bei Villaviciosa (1710)!), alle Abschnitte des Nordischen Krieges
(auch Travendahl, Fraustadt, Altranstädt, Mazeppa!). Man wird
einwenden, dafs diese Ereignisse zu wichtig seien, um nur in
kieingedruckten Ausführungen Platz zu finden. Aber gehören denn
z.B. die Quadrupel-Allianz von 1718 und der polnische Erbfolge-
krieg 1733—38, gehören die fast ereignislosen Türkenkriege von
1736—39, die S. 103/104 grofsgedruckt sich finden, auch zu
solchen Hauptsachen? Was ist das für ein Verhältnis, wenn die
preuDsische Geschichte bis 1740 kleingedruckt auf 4 Seiten (Ge-
^) Ober dai Obermafs von Stoff vgl. nnteo.
*) Die Siege CromwelU (Marstoomoor-Naseby) and der ganze P 2 zefs
RarbJ nor im Kieingedruckten I
^ Die 2. oad 3. Teilung Polens (Roscinsko) finden sich hier nur im
lEkiDgedniektan.
198 H. Stich, Lekrboch der Geschichte,
schichte des Grofsen Kurfürsten j Seitel), dagegen die schwedische
und russische Vorgeschichte grofsgedruckl, wenn S. 124 sämtliche
Reform versuche Josephs II grofsgedruckt, dagegen die Geschichte
Preufsens his Austerlitz im kleinen Druck sich finden!^) Diese
Andeutungen mögen genügen, um die ungleichmäfsige Be-
handlung des Stoffes zu erweisen.
Doch noch einen anderen Übelstand hat die Anwendung des
kleinen Drucks im Gefolge gehabt, eine Überfülle von Stoff,
die die ernstesten Bedenken wachruft. Es scheint fast, als sei
eben dadurch dem Verf. der richtige Mafsstab Yöllig abhanden
gekommen. Vorweg sei bemerkt, dafs die Behandlung der Ge-
schichte der aufserdeutschen Staaten seit 1815 S. 227
— 255 über alles Mafs hinausgeht. Nicht genug, dafs z. B« in der
französischen Geschichte „die dreifache Gegnerschaft des
Juliköniglums'' ausführlich auseinandergesetzt wird: über die
„Hauplwaffenthaten in Algier*' finden wir ebenso viel, wie ober
die Schlachten um Metz, die viertägigen Strafsenkämpfe unter
General Cavaignac, die Eroberung von Saigun in Anam sogar in
grofsem Druck, selbst die Anlage Bisertas zu einem Kriegshafen
ersten Ranges erscheint der ErwähnuDg wert, naturlich auch
die „Patriotenliga*' und Boulanger. Die fast ununterbrochenen
Bürgerkriege in Spanien unter Isabella, selbst die Kämpfe der
baskischen Provinzen für ihre „fueros'\ die Thätigkeil der Gene-
rale Espartero und Narväez, sowie Prim und Serrano u. dgl. m.
sind als Hauptsachen dem Gedächtnis des Schulers aufgebürdet,
ja selbst für das unbedeutende Portugal werden sämtliche Re-
gierungswechsel und die sie begleitenden Unruhen, in der Ge-
schichte des zerrissenen Italiens sogar Sachen wie die Ermor-
dung Rossis im KircheDstaat, die Erneuerung der Republik Venedig
unter Manin angemerkt und teils durch grofsen, teils durch ge-
sperrten Druck hervorgehoben. In der englischen Geschichte
begnügt sich der Verf. nicht etwa mit der Darstellung auswärtiger
Unternehmungen, unter denen auch Dinge, wie der sogenannte
Opiumkrieg gegen China, „die Einnahme der Bergfeste Magdala'*
in Abessinien, die Unternehmungen gegen die Aschantis und Zulus,
nicht fehlen, sondern zieht auch „die wichtigsten Reformen im
Innern'*, die Emanzipation der Katholiken 1829 (mit einer „Aus-
führung*' von 8 Zeilen), die gleichmäfsige Verteilung des Wahl-
rechts 1832 (die „Ausführung" von 6 Zeilen spricht sogar von der
Übertragung desselben von den „verfallenen Flecken** (rotten
boroughs) auf die noch nicht vertretenen Städte), die Einführung
einer Einkommensteuer 1842 („die grofsen Einkommen wurden
zur direkten Besteuerung (3%) herbeigezogen**), die Beförderung
des Freihandels und die Aufhebung der Kornzölle (!) 1 846 in den
M S. 191/192 fioden wir z. B. daa Wartburgfest im KleiofedroekteD,
das Haiiibacher Fest grofsd^edrackt.
ao^ez. voD F. Ohiy. 199
Kreis seiner Darstelluog^). Und in derselben Ausführlichkeit,
mit derselben Fülle von Einzelheiten werden in § 47 Schweden
und Norwegen, Dänemark, die Niederlande (Belgien und Holland),
die Schweiz, in § 48 Rufsland und die übrigen slavischen Staalen
im t9. Jahrhundert, in § 49 die Türkei seit dem Bukarester Frie-
den von 1812 und die Befreiung Griechenlands, in § 50 endlich
Amerika und die übrigen aufsereuropäischen Erdteile im 19. Jahr-
hundert bebandelt'). Dem Ref. ist es unerfindlich, wie der Verf.,
der doch sein Buch als aus der Praxis heryorgegangen bezeich-
net, es fertig bringen will, die Stoffmenge zu bewältigen, diese
zum Teil so verwickelten, für den Schüler so entlegenen und
deshalb auch vielfach so wenig durchsichtigen und unklaren Ver-
hältnisse dem Verständnis des Schulers nahe zu bringen, sie so
einprägen zu lassen, dafs sie wirklich im Gedächtnis haften, nicht
nur als GedächtnisstofT, sondern aU wohlverstandene geschichtliche
Entwicklung. Unseres Erachtens könnte das nur auf Kosten der
deutschen vaterländischen Geschichte geschehen, und das wäre
docli aofs strengste zu verurteilen.
Hat der Verf. so in diesem letzten Teile seines Buches seinem
Sammel- und Forschungstrieb ganz über Gebühr die Zügel schiefsen
lassen und sich eben damit an dem Standpunkt der Schule
entschieden versündigt, so kann es nicht auffallen, wenn
wir auch im allgemeinen denselben Vorwurf der Überfülle
des Stoffes, des Sichverlierens in Einzelheiten gegen das Buch
erheben müssen. Derselbe erklärt sich, wie schon angedeutet,
zom Teil aus einem rein äufserlichen Grunde: 254 Seiten (ohne
die Zeittafel) für ein Lehrbuch der Geschichte von 1492 — 1888*)
sind scheinbar nicht zu viel; wie hoch aber würde sich wohl die
Seitenzahl belaufen, wenn von den so zahlreichen „Ausführungen"
die wissenswerten, ja nur die unbedingt notwendigen durch gleich
groCsen Druck ausgezeichnet wären? Wir sind überzeugt, dafs
^) ftatSrlich fehlen S. 239 die Homerale-Bestrebongen, „die Ermorduos
der bochstcD eoflischeo Beamten io Dublin (1882)^* und das dritte Ministerium
dea „ireofreundlichen, greisen Staatsmannes Giadstone (Aug. 1892)^^ nicht.
*) Nor einige Proben : S. 242 „Antwerpen hielt sich, von dem holländi-
sckem General Chasa^ verteidigt, bis 1832"; die Militärverschwbraug der
^Deeabriaten'' in Rafaland S. 244 in 9 Zeilen; Alexander Kasa (S. 246) Fürst
von Ramänien (2^3 Zeilen) ; S. 247 die „neue Erhebung Polens unter Mie-
roslawaki und Langiewicz (t)^' sowie die „Festsetzung der Russen in Kho-
kand (!)*' im Grofsgedrociiten; S. 248 der serbisch-bnlgarische Krieg und
Slivniiza (1885). S. 252: „Chile befreite sich unter San Martin"; die
II o a r 0 e - Doktrin (1823) 2V2 Zeilen; S. 253 die Erwerbung von Louisiana,
Florida, Alaska, ^eu-Mexiko und Kalifornien einzeln mit Angabe der Jahres-
lahl aogemerkt n. dgl. m.
*) h vielen Einzelheiten geht der Verf. noch weiter, sogar bis
1892, z. B. Mioisteriom Giadstone (1892), die Mac Kinley-Bill (1890) S. 252;
Tod Wilkelmg III von Holland, Thronfolge der jungen Wilhelmine in H., des
Herzogs Adolf v. Nassau in Luxemburg S. 243 (8 Zeilen) ; „das Ablcommen
ailEaglaod foid J* ^^^^ 1890^' (Abtretung von Helgoland) im Grofsgedruckten ;
Verfiageran^ dcM Dreibundes (1891) S. 226 u. dgl. m.
200 H. Stich, Lehrbuch der Geschichte,
der Verf., wenn er diese Frage in ihrer Tragweite sich vorgelegt
hätte, ganz gewifs statt der Feder vielfach die Schere zur Hand
genommen und eifrig gekürzt hätte, in der richtigen Erkenntnis,
dafs ein Schulbuch nicht ein Sammelwerk und Nach-
schlagebuch für alle möglichen Cinzelnachrichten sein
soll und darf. Ref. enthält sich weiterer Ausführungen und giebt
im folgenden nur eine Zusammenstellung von Nachrichten, die
seiner Ansicht nach über den Rahmen eines Schulbuches ent-
schieden hinausgehen. Dabei soll das, was der Verf. durch ge-
sperrten Druck hervorgehoben hat, auch hier so bezeichnet werden.
S. 5 „Nautische Kenntnisse vermittelte u. a. der Nürnberger Pa-
trizier Martin Behaim den Portugiesen^S S. 14 in den Kriegen
Maximilians die Schlachten bei Ravenna (1512, Gaston de Foixf;
Bayard, der „Ritter ohne Furcht und Tadel''), bei Novara (1513),
„die dreitägige Schlacht von Marignano (1515)'^; S. 20 die
Niederlage der Bauern bei Pfeddersheim; S. 25 die Fehde des
fränkischen Ritters Grumba.ch (5 Zeilen mit 2 Jahreszahlen) ; S. 37
„der Aufstand der sog. heiligen Junta unter Don Juan dePadilla
wurde blutig unterdruckt"; S. 41 die Eroberung Antwerpens
1585 durch Alexander von Parma (Giani belli s Anstalten); S. 43
Religionsgespräch zu Poissy (1561) und Toleranzedikt von
St. Germain (1562), „Blutbad von Vassy<< (1562); S. 44
der „Krieg der 3 Heinriche" (8 Zeilen); S. 47 sämtliche
6 Gemahlinnen Heinrichs VIII; S. 52 die Brüder des Kaisers Mat-
thias („Maximilian von Tirol, zugleich Hochmeister des 1530
nach Mergentheim übergesiedelten Deutschherrenordens, und
Albrecht, spanischer Statthalter in Brüssel"); S. 53 Rettung
König Ferdinands „durch 500 Kürassiere, welche der bei Budweis
siegreiche General Boucquoi schickte"; S.63/64 „die 4 Schlachten
in Schwaben" im schwedisch-französischen Kriege, Tuttlingen,
Mergentbeim, Alerheim, Zufsmarshausen, „ein Calvinist,
der frühere hessische General Melander, führte zuletzt das
kaiserliche Heer^' (im ganzen 9 j Zeilen mit 5 Jahreszahlen I); S. 69
,, Aufstand der Neapolitaner (1647 unter dem Fischer Thomas
Aniello oder Masaniello) unterdrückt"; S. 73 Friede zu Brömsebro
(1645) mit genauer Angabe seiner Bestimmungen; S. 85 wird als
Anführer der venezianischen Flotte, die die Küsten von Morea
erobert, sogar im grofsen Druck Morosini genannt, ebenso S. 99
im nordischen Kriege Karls XII „Landung im Hafen von Pernau*'
und S. 104 „das von Münich, dem „Eugen des Nordens" zurück-
eroberte Asow" im Grofsgedruckten; S. 107 Albrecht Achilles »»als
Kurfürst und Feldherr des Kaisers Friedrich HI von dem Witteis-
bacher Ludwig dem Reichen bei Giengen besiegt (1462)*); S. 128
^) Die Aufoahme dieser Schlacht erk)ärt sich, wie noch manches andere»
aas dem bayerisheo Standpunkt des Verf.; vgl. z. B. die £rwähouiig
Ndrobergs S. 66, Franz Ludwigs von Ertbal S. 119, die Reformen in
aagez. von F. Ohiy. 201
,,der Minister Pombal (1750 — 77) Vertreter des aufgeklärten Ab-
»olotismus in Portugal" (im grofsen Druck» dazu in 10 Zeilen ,,die
Ziele der Thätigkeit Pombals'*); S. 130/131 sind die beiden Türken-
khege 1768 — 74 und 1787 — 92 viel zu ausfuhrlich und unter
Beifügung allzu entlegener Namen (z. B. Friede zu Kutschuk Kai-
nardscbe bei Silistria 1774 — die Festung Oczakow) behandelt');
S. 132 Dänemark im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus,
BerDstorff und Struensee, 12 Zeilen, grofsgedruckt; S. 157
die Siege der verbündeten Österreicher und Russen bei Cassano,
an der Trebbia und bei Novi in grofsem Druck (desgleichen
Korsakow S. 158), S. 172 Wellingtons Sieg bei Toulouse
(Äpril 1814); S. 197 das Rumpfparlament „durch den württem-
bergisclien Minister Römer aufgelöst'* (im grofsen Druck I); S. 198
die Erschiefsung Robert Blums (2j Zeilen), die Berufung
T. Schmerlings. Wir wollen nicht durch weitere Aufzählungen
ermudeD und überlassen das Urteil darüber, ob solche Sachen in
ein Schulbuch gehören, dem Ermessen des unbefangenen Lesers.
,,Wa8 weiter die Beschränkung der Kriegsgeschichte
zu Gunsten der Kulturgeschichte anlangt, so glaubte ich,
darin nicht so weit gehen zu dürfen, wie z. B. Biedermann in
setner Deutschen Volks- und Kulturgeschichte . . . Auch glaubte ich,
dem Unterricht in der deutschen Litteraturgeschichte nicht vor-
greifen zu dürfen; die betreffenden Abschnitte meines Lehrbuches
sollen nichts sein als Fingerzeige zur Auffindung des Zusammen-
hangs zwischen politischer und Kulturgeschichte" — so sagt der
Verf. in seinem Vorwort, und Ref. denkt nicht daran, diesem
Grandsatz als solchem die Berechtigung absprechen zu wollen.
Nnr geht leider auch hier die Ausfuhrung zum Teil über
alles Mafs hinaus. „Gewifs soll der Schüler auch für die
Geistesthaten und für die Fortschritte des materiellen Lebens
Interesse gewinnen^S gewifs sollen die Namen der Geistesheroen
in allen Zweigen von Kunst und Wissenschaft dem Schüler der
Prima nicht vorenthalten werden, aber taktvolles Mafs halten
ist hier mehr denn irgendwo dringend geboten. Herangezogen
wird hier aber so ziemlich alles, Philosophie und Theologie
(Kirchengeschichte), Philologie und Historiographie, Litteratur und
Kunst (Architektur — Plastik — Malerei — Musik), Naturwissen-
schaften nebst Er6ndungen und Entdeckungen, und man mufs
staunen, welch' ein umfassender Gesichtskreis bei dem Schüler
Toraosgesetzt, welch eine Fülle von zum Teil sogar nur dem Fach-
mann und Kenner vertrauten Namen vorgeführt wird, deren
Würdigung unmöglich Sache der Schule sein kann. Zudem kann
man es wahrlich nicht immer blofs einen „Fingerzeig'' nennen,
%uj€rm ODter Mootgelas S. 159 (7 Zeilen), die röhmeode Hervorhebung
G4ft JbartBickjgeo Kampfes Wredes bei Hanau*' S. 177, die Erwähuaus der
eefadtf« bei flaJmalädt, Rofsbrnno (im GrofsgedrackteB) S. 207, während z. B.
HihserwaMer noerwälint bleibt!
202 H. Stich, Lehrbneh der Geschichte,
was der Verf. bietet. In der Philosophie zumal finden wir
fast ein vollständiges Kompendium derselben. Schon bei Bacon
wird S. 49 in 8 kleingedruckten Zeilen nicht nur seine Bedeutung
als Vater der induktiven Methode, als „Begründer der auf Empirie
begründeten neueren Wissenschaft" hervorgehoben, sondern auch
sein Hauptwerk, novum organon scientiarum, mitgeteilt, das „erst
nach seinem Tode, 1630 erschienen'' seil In ähnlicher Weise
werden S. 83 Descartes (sogar das „cogito, ergo sum'' in
Klammern!), Bayle und Spinoza, S. 87 Leibniz und seine
Lehre von den Monaden, S. 125 Kant (Kritik der reinen Ver-
nunft, Kritik der praktischen Vernunft, Kritik der Urteilskraft),
S. 136 John Locke (nihil est in intellectu, quod non prius fnerit
in sensibus), George Hume, die Deisten, Materialisten und
Encyklopädisten behandelt^)! Auch in der Religion wird ent-
schieden dem Unterricht in der Kirchengeschichte vorgegriffen.
Hören wir doch z. B. S. 15 von den „Brfidem vom gemeinsamen
Leben" und der von ihnen gegründeten Schule zu Deventer, von
Thomas von Kempen (f 1472), „der für den Verfasser des in
viele Sprachen übersetzten, nächst der Bibel am meisten ver-
breiteten Andachtsbuches De imitalione Christi gilt^S von Johann
Wessel und Johann von Wesel (um 1490). Auch das Genauere
von § 1 1 über Calvins Leben, Schriften (institutio Christianae re-
ligionis), Lehre und Wirken (Servet), über die strengen Lutheraner
(Fiacius), Melanchthons „Kryptocalvinismus'' und die Konkordien-
formel S. 32 gehört der Kirchengeschichte an, ebenso wie das
meiste des § 12 über den Jesuitenorden (z. B. „Canisius, Ver-
fasser eines Katechismus (1554), führte den Orden in Deutsch-
land, zunächst an der bayerischen Universität Ingolstadt ein'' —
collegium germanicum, congregatio de propaganda fide) und aber
„die Neubelebung und innere Vertiefung der katholischen Kirche"
Gesagte. Finden sich doch hier neben einem Karl Borromeo*)
sogar Männer wie Phihpp Neri (tl595) und Franz von Sales
(t 1622) im Grofsgedruckten. Ebenso würde Ref. den Streit
zwischen Arminianern und Gomaristen S. 42 und die Lehre der
Jansenisten S. 84 (8 Zeilen) lieber der Kirchengeschichte zuweisen.
Mit besonderer Vorliebe scheint der Verf. Männer der Philologie
und Geschichtswissenschaft namhaft zu machen. Schon S. 9
hören wir, dafs „seit 1396 der Byzantiner Manuel Chrysoloras
in Florenz Griechisch lehrte'S dafs „der gewandte Latinist Lau-
rentius Valla, welcher die Unechtheit der sog. Konstantiniscben
^) Natürlich bleiben auch „die Natarphiiosophie Schelling^s (tl854)
und die Lehre Hegels (f 1831), welche viele Deatoogea ood Pol^eraogen
zaliefs'*, nicht anerwähnt. S. 194.
') Der Verf., der sonst immer die Beziehungen der Lttteraturipeseliichte
geflissentlich hervorkehrt, hatte bei diesem Namen auf Manzoais Charak-
teristik dieses Kircheafürsten hiaweisen können, da er doch S. 257 Maasoai
nnd seinen Roman „Die Verlobten" erwähnt.
ani^ez. vdn F. Ohly. 203
Schenkung nachwies, durch geistige Bedeutung und vielseitige
Wirksamkeit die übrigen Humanisten Italiens überragte''. S. 11
werden Alexander Hegius (um 1480; „alle Gelehrsamkeit ist
rerderblich, die mit dem Verlust der Frömmigkeit erkauft wird''),
Dringenberg (tl490), „der in Scblettstadt einer vielbesuchten
Schule Yorstand", und „der patriotische Wimpheling in Strafs-
burg (tl528), der Verfasser einer deutschen Geschichte (Epitome
rerum Germanicarum usque ad noslra tempora)" erwähnt. Was
sollen, so fragen wir biUig, solche Namen dem Schüler? Aber
so geht es weiter durch das ganze Buch. S. 45 werden uns der
Historiker Nie. de Thou und Casaubonus, „der erste Philo-
loge seiner Zeit", „der Latinist Muretus, die gelehrten Buch-
drucker Robert Stephanus und dessen Sohn Heinrich Stephanus,
sowie der Chronolog Scaliger" vorgeführt, 8.46 Thomas More,
^der gelehrte Verfasser der Utopia", $.67 Johann Turmayr
aus Abensberg a. d. Donau (Aventinus f 1534) und Sleidanus
(de statu religionis et rei publicae Carolo V imperatore), 4^ Zeilen!
S. 87 y,der Staatsrechtslehrer Samuel v. Pufendorf (tt694) wies
in seiner Schrift De statu imperii Germanici die Mängel der deut-
scheB Reichsverfassung nach". S. 126 wollen wir uns die Er>
wihoung eines Johannes v. Müller und Justus Moser gefallen
lassen: wozu aber daneben einen Schlözer und Spittler, deren
blofse Namen doch gar nichts besagen, und den Altertumsforscher
Heyne? Das Höchste aber leistet sich der Verf., wenn er S. 194,
wie billig, die Bedeutung Niebuhrs und Leopold v. Rankes, sowie
die Herausgabe der Monumenta Germaniae historica erwähnt und
dann wörtlich fortfahrt: „Aber aiuch die Geschichtsschreiber ver-
suchten eine Einwirkung auf den Zeitgeist, indem sie teils (wie
Fr. Yon Raumer, Leo, Görres) für die Erhaltung der alten Zu-
stande eintraten, teils (wie Schlosser, Dahlmann und Gervinus) in
doeno Verfassungsleben nach dem Muster des englischen das Ziel
Deutschlands erblickten, teils (wie Rotteck) geradezu demokratische
Bestrebfingen verfolgten''! Ref. mufs ofiTen bekennen, dafs ihm
etwas Ähnliches bisher in einem Schulbuch noch nicht vorge*
kominen ist! Ganz abgesehen davon, dafs die hier so kurz und
bändig gegebene Charakteristik durchaus nicht über alle Anfechtung
erhaben ist: was soU der Schüler mit diesen Namen? soll er
oiioe weiteres dies Urteil Ober Männer zu seinem eigenen machen,
deren Werke er zum weitaus gr&fsten Teile, falls er nicht Ge-
schichte studiert, höchst wahrscheinlich niemals zu Gesicht be-
kommt? Wir können nicht anders als annehmen, dafs der
Verfasser diese Ausführung für die im Vorwort erwähnten
rJ^Tatsludierenden'' bestimmt hat; die Schule wenigstens möge
er dasiit verschonen. — Zu den weitestgehenden Konzessionen
könnte man sich noch in der Litteraturgeschichte bereit
erklaren, zumal in der deutschen. Hier mögen immerhin nicht
nur die j^oryphäen, sondern auch einige Pygmäen, wenn anders
204 H. Stich, Lehrbuch der Geschichte,
sie und ihr Auftreten fiir ihre Zeit besonders charakteristisch
sind, ihr bescheidenes Plätzchen finden, das wir deshalb auch
einom Kaiser Maximilian (Theuerdank und Weifskunig S. 14),
einem Rabelais (Gargantua und Pantagruel S. 42), einem Mosche*
rosch, Gryphius, Albrecht von Haller und Gottsched (S. 125), wenn
auch mit einigem Widerstreben, gönnen wollen. Aber verdienen
denn z. B. Martin Opitz („im Jahre 1624 erschien Opitzens Buch
„von der deutschen Poeterei'*) und die „fruchtbringende Gesell*
schaff' zu Weimar seligen Angedenkens in einem Lehrbuch der
Weltgeschichte eine solche Würdigung, wie sie S. 68 ihnen zuteil
wird? Und nun die Namen der ausländischen Litteraturen : der
Spanier Cervantes, Lope de Vega, Calderon (S. 69), der Fran-
zosen Boileau, Bossuet, Pascal, F^oelon (Telemach) (S. 83),
Chateaubriand, Stael (S. 161) bis herab auf Victor Hugo, B^ranger,
Lamartine, Dumas und last not least Emile Zola (S. 232), der
Engländer John Dryden (S. 91), Defoe, Thomson, Young,
Macpherson, Burns (S. 136), der Italiener Alfieri und Goldooi
(S. 129, 3 Zeilen), Leopardi und Hanzoni (S. 237, 4 Zeilen), ja
sogar der Amerikaner ßeecher- Stowe und Washington Irving
(S. 254, 4 Zeilen)! WJr enthalten uns angesichts dieser Über-
fülle von Namen jeder ins Einzelne gehenden Kritik, aber ebenso
wie hier steht es auf dem Gebiete der Naturwissenschaften,
wo neben Namen wie Paracelsus, Tycho de Brahe^) (S. 67),
Newton (S. 92), Herschel (S. 126), Darwin (S. 189) aucJi solche
wie „der Magdeburger Burgermeister Guericke*\ der Erßnder der
Luftpumpe, „der Naturforscher BufTon (tl788), der Er6nder des
naturlichen Systems der Pflanzen'* (8. 127), Cuvier, Laplace, La-
marck (S. 171), Sennfelder, Daguerre, König (S. 188) und selbst
Pasteur (S. 232) erscheinen, auf dem der Musik, wo S. 10
„Palestrina, der seit 1555 päpstlicher Kapellmeister war*', den
Reigen eröffnet und nun den berühmten Namen Bach, HSndel,
Gluck, Haydn, Mozart, Beethoven (S. 125), Schubert, Karl Maria
von Weber, Mendelssohn-Bartholdy, Schumann (S. 194) auch ein
Mehul, Auber (S. 232), Bellini (S. 237) u. a. m. sich anreiben,
und ganz besonders auf dem Gebiete der bildenden Kunst.
Auch hier neben den Heroen*) eine Reihe von Meistern, deren
Werke gewifs zum Teil bewunderungswürdig, deren Verdienste
hoher Anerkennung wert sind, die aber nun und nimmer in ein
Schulbuch gehören, ja deren Namen zum Teil dem grofsen Kreis
^) Dafg Dttärlich Copernicos, Kepler, Galilei o. a. nicht feUeo,
ist klar.
*) Wir sind bereit, uoter diese, selbst vom StADdpuakt der Schale
aus, einen Veronese, Marillo, Poassio, Claude Lorrain, Cornelius zu rechnen^
obwohl wir das Bedenken nicht unterdrücken können, ob dem Schiller, der
noch so wenig aus ei§;ener Anschauung kennt, auch nur annähernd ein Be-
griff von der Bedeutung dieser Meister, zumal des letztgenannten, klar
gemacht werden kann.
«oges. voD F. Ohly. 205
der sog. Gebildeten fast unbekannt sind, deren Würdigung man
daher billig einer Kunstgeschichte oder dem neuerdings ja mehr
und mehr uuentbehrlicben Konversationslexikon überlassen mag.
Man höre und slauneP) In der Architektur: „Brunelleschi
(t 1466), der Erbauer des Domes zu Florenz, sowie Uramante,
der Erbauer der Peterskirche zu Rom'' (S. 10); „Meister des
Barocks der Spälrenaissance warMansard (f 1708), der Erbauer
des V'ersailler Schlosses und des Invalidendomes'' (S. 83); in der
Malerei: S. 70 „in der Malerei herrschte der sog. iSaturalismus,
vertreten durch Caravaggio''; Rafael Mengs flllQ, Hackert
(tl806) und Angeiica Kaufmann (S. 125); der Maler Carstens
(aus Schleswig tl798) neben dem Bildhauer Thorwaldsen S. 129
io einer Anmerkung genannt; „die antikisierende Richtung fand
ihren Ausdruck in dem bedeutendsten Maler dieser Zeit, David*'');
die Charakteristik der Düsseldorfer Schule in 3 Zeilen auf S. 193;
die Historienmaler Dela röche (tl856) und Vernet (t 1863). In
der riastik Gndet sich Adam Kraft S. 11 sogar im Grofsge-
druckten, seine „Stationen"' und das „Saki*amenlshäuschen** in
der Ausführung. Manche Namen, wie die Meister der Baukunst
Leo von Klenze (tl864) und Gärtner (tl847), der Biidhauer-
kuDst Schwanthaler (tl848) u. a. erklären sich aus der bei der
bayerischen Herkunft des Verfassers erklärlichen Neigung, die Be-
deutung der kunslsinnigen Herrscher Bayerns gebührend hervor-
zuheben.
Auch Verfassung und wirtschaftliches Leben werden
rom Verf. und zwar mit Recht bei den verschiedenen Gelegen-
heiten behandelt. So wird S. 65 die Reirhsverfassung in der Zeit
nach dem Westfälischen Frieden, S. 219ir. auf 3j kleingedruckten
Seiten die Verfassung des neuen Deutschen Reiches dargestellt,
auch die anderer Staaten, z. B. S. 37 das Aufkommen der Cortes
and selbstverständlich auch das Wichtigste aus der englischen
nnd französischen Verfassungsgeschichte. In Bezug auf Handel
and Wandel hören wir z. B. von dem Emporkommen der Weberei
in England (S. 49), von der Ausbildung des Merkantilsystems
in Frankreich (S. 83), von der steigenden Bedeutung der Presse,
der Umbildung der Arbeitsweise und der sozialen Frage
(S. 188/189) io neuerer Zeit. Doch scheint uns der Verf. auch
hierin zu weit zu gehen, wenn er z. B. dem „Versuch des Schotten
Law, durch Gründung einer Zettelbank und einer Handelsgesell-
schaft anf Aktien dem französischen Handel und zugleich der
Staatskasse aufzuhelfen,** S. 126 ganze 9 Zeilen widmet, wenn er
S. 188/189, wo er von der Neubegrunduog der Wissenschaft der
Nationalökonomie und ihren Versuchen, theoretisch die sozialen
') Aaeh hier heben wir, wie obeo, die Mamen durch den nrack hervor,
die tQcfc im Boeh gesperrt gedrackt siod.
*) S. 232 noch einnal erwähnt
206 H. Stich, Lehrbuch der Geschichte,
Fragen zu lösen, redet, nicht nur John Stuart Mill (1806—73)
erwähnt, sondern auch die Ansichten der sog. IManchesterschule
und der sog. Kathedersozialisten charakterisiert, und ebenso
den Grafen Saint-Simon (t1825 „der erste, welcher den Gegen-
salz zwischen dem besitzenden ßörgerstand, bourgeoisie, und dem
niederen Volk, peuple, dem vierten Stande, betonte"), wie Karl
iMarx (tl883 in London) und Ferd. Lassalle (tl864) und
dessen „ehernes Lohngesetz'* (5 Zeilen) verhältnismSrsig eingehend
berücksichtigt. Liegt hier nicht die dringende Gefahr vor, dafs
das gerade Gegenteil von dem Gewollten erreicht und in den
jugendlichen Köpfen eine heillose Verwirrung betreffs dieser für
das Verständnis ohnehin so schwierigen Fragen erzeugt wird?
Im allgemeinen zeichnet sich das Buch durch grofse Zu-
verlässigkeit seiner Angaben aus, wenn auch im einzelnen
Mängel sich finden. So ist es S. 150 nicht richtig, daCs Keller-
mann bei Valmy „eine starke Verteidigungsstellung bezogen*' habe
(vgl. darüber Sybel, Gesch. der Revolutionszeit), ebenso wenig wie
S. 170 Schill „eine Zuflucht auf englischen SchifTen gesucht halte*%
während er doch seine rechtzeitige Rettung auf diesem Wege ver-
säumte, da er hoffte, Stralsund zu einem zweiten Saragossa zu
machen. S. 200 ist das Zurücktreten Preufsens vom dänischen
Kriege nicht ersichtlich, die Bedeutung der Demütigung von Olmutz
nicht zu erkennen. Auch kommt es bei dem ureigensten Werke
König Wilhelms I nicht nur auf eine Vermehrung des preufsiscben
Heeres, sondern auf eine völlig neue Organisation an, von der
wir kein Wort hören. „Während des italienischen Krieges ver-
harrte Preufsen in seiner abwartenden Stellung'' (S. 202) — ja,
aber weshalb? S. 205 „Baden vereinigte seine Truppen mit denen
der übrigen süddeutschen Staaten" — ja, aber der Not gehorchend,
nicht dem eigenen Triebe. Auch der Ausdruck ist, allerdings
nur vereinzelt, nicht ganz glücklich, wenn es z. B. S. 108 heifst:
„Auf den prachtliebenden und eleganten Friedrich I folgte sein
sparsamer und derber Sohn Friedrich Wilhelm P', oder S. 207
von der Schlacht bei Königgrätz gesagt wird: „Aber einzelne
Generäle des rechten österreichischen Flügels hatten sich in den
anscheinend erfolgreichen Kampf gegen das preufsische Centrum
ziehen lassen, so dafs der Vorstofs der preufsischen Garde atif
Ghlum gelang". Das klingt ja gerade, als hätten wir unseren Sieg
nur den Fehlern der Österreicher und nicht der unvergleichlichen
Strategie Moltkes zu verdanken! Merkwürdig ist die S. 29 ge-
gebrauchte Pluralform „die fnterime", sowie die Schreibweise
des Wortes Chauss6 (S. 120 statt Chaussee oder Chaussee), der
Eigennamen ZrinI (statt Zriny) S. 35, de Seize (statt de S^ze)
S. 145 und Wttndischgrätz S. 198 u. 199 (statt Windischgrätz.)
Weshalb S. 146 „Cintrachtsplatz" und nicht Place de la Concorde
gesagt, weshalb die Stelle aus dem Briefe der Madame Roland in
der deutschen Übersetzung geboten wird, während doch das Buch,
aoipez. TOD F. Ohly. 207
durchaus nicht mit Unrecht, französische Citate, zumal aus Briefen,
in ziemlicher Anzahl enthält, versteht man nicht.
Auffailend ist endlich das fast gänzliche Fehlen biogra-
phischer Notizen. Nur von den drei Paladinen Kaiser Wil-
helms 1, Roon, Mollke, Bismarck, Gnden wir S. 201 die wichtig-
sten Angaben, dagegen nicht das Geringste über Stein und Scharn-
horst, Blücher und Gneisenau, York und Büiow, geschweige denn
über die Helden des siebenjährigen Krieges, wie Seydiitz und
Ziethen! Fast könnte man versucht sein, anzunehmen, ein ge-
wisser, ja auch sonst hervortretender bayrischer Partikularismus
habe den Verf. dazu verleitet, in diesen Männern nur spezifisch
preufsische Gröfsen und nicht zugleich deutsche Helden zu er-
blicken, zumal wenn man sieht, wie gerade die Thaten, die an
die Namen dieser unvergefslichen Männer sich knüpfen, im Ver-
hältnis zu der sonstigen Ausführlichkeit des Buches geradezu
stiefmütterlich behandelt sind. Ganz besonders gilt das von den
Befreiungskriegen, deren Darstellung den unsterblichen Verdiensten
der Männer der schlesischen Armee, zumal eines Blücher, durchaus
nicht in gebührendem Mafse gerecht wird.
Anerkennenswerte Vorzüge des Buches sind, wie schon
bemerkt, seine hervorragende Zuverlässigkeit, die es zu einem
recht brauchbaren Nachschlagewerk macht, Unbefangenheit in
konfessioneller Beziehung, z. B. durchaus vorurteilsfreie Würdigung
Luthers, sowie recht hübsche und lehrreiche Vergleiche zwischen
sonst und jetzt, z. B. bei den Einwohnerzahlen von Städten und
Uiidem, den Religions-, bezw. Konfessions -Verhältnissen, der
fieise um die Welt im 16. und 19. Jahrhundert (S. 7) u. dgl. m.
Recht belebend wirkt auch der Hinweis auf einschlägige, zumal
zeitgenössische Gedichte, wobei freilich ein Mafs von Litteratur-
kenotnis vorausgesetzt wird, das über den Umfang des von einem
Schuler zu Erwartenden denn doch zum Teil bedenklich hinausgeht.
Vgl. z. B. S. 174 Rückerts Sonett „Der grofse Donnerer ist nun
aach erschrocken''; S. 182 Schenkendorfs Gedicht: „Wollt ihr
keinen Kaiser küren?''; S. 184: die von Goethe übersetzte Ode
Hanzonis „II cinque maggio"; S. 192: Uhlands Gedichte „Zum 18. Ok-
tober 1S15 und 1816'*; S. 193 „das scherzhafte Gedicht von tlof-
maan von Fallersleben auf den deutschen Zollverein*' u. dgl. m.
Fassen wir unser Urteil noch einmal kurz zusammen, so
mässen wir sagen, dafs das Buch bei manchen Vorzügen im
einzelnen wie in der Anlage dennoch den Standpunkt der
Schule zu wenig als Richtschnur nimmt, als dafs seine
Einführung als Schulbuch empfohlen werden könnte, während
CS als Leitfaden für den „Privatstudierenden" oder als ergänzen-
des Naciiscbiagebuch neben einem Hülfsbuch für den Geschichts-
wtterricbt als brauchbar und in mancher Beziehung anregend
smA erweißen mag.
inden i* ^* Ferdinand Ohly.
208 Hölzels Geogr. Charakterbilder, agz. v. A. Kirchhoff.
1) HölzeU Geographische Charakterbilder. Zweites Sopplemeot.
Wieo, £d. Hölzel. Blatt 33 und 34 (zu je 4 M) oebst erläuterodem
Textheft (zu 0,90 M).
Die ihrem Werte gemäfs vielfach auf unseren Schulen be-
nutzte schöne Sammlung geographisch bezeichnender Landschafts-
bilder, die wir dem Hölzelschen Verlag zu danken haben, erfährt
durch die vorliegenden zwei neuen Bilder eine zweck mäfsige Er-
weiterung.
In den norwegischen Norden fuhrt uns das Bild „Reine auf
den Lofoten**. Es zeigt das kleine Fischerdörfchen Reine im Vor-
dergrund am Strande, samt den Mastenschiffen und Fischerboten
sich im klaren Wasser des nordischen Meeres freundlich spiegelnd ;
dahinter ein Streifen jenes eigentümlich iichtgrönen Rasens» wie
er unter der langscheinenden Sommersonne des Nordens gedeiht,
dann die kühn aufragenden Granitfelsen, unbewachsen, noch mit
Schneeschmitzen bedeckt, im Hintergrund in fjordenhaft Jäher
Wand zum Meeresspiegel abfallend.
Das andere Bild zeigt uns die zweithöchste Erhebung der
Gentralpyrenäen , den Mont Perdu, von der Nordseite aus nebst
dem zu ihm hinanziehenden Thal von Gavarnie, das hier seinen
grofsarligen, halbkreisförmigen Thalschlufs im „Circus von Ga-
varnie'' findet. Der Schuler erhält einen trefflichen Eindruck
pyrenäischer Gebirgsnatur: über vom gelagerten braunen Schie-
fern sieht er in Blaugrau die etwas wellig gebogenen massigen
Bänke des Kreidekalks der Centralkette in steilem Nordabbruch,
auf den Simsen der Steilwände mit Schaeelagen; ringsum Ode,
wenig grüne Weide, fast kein Wald, kein See, keine Sennhütte.
Er empfängt einen naturwahren Begriff davon, was es heifst, der
Mont Perdu (wie die Maladetta) sei nicht ein einzelner Berg,
sondern ein viele Kilometer langer Gebirgszug, ein ganzes
„Massiv".
Der ausführliche liegleittext des ersten Bildes ist von V. von
Haar dl, der des zweiten von Prof. A. Penck verfafst; letzterer
enthält eine recht gute orographische Charakteristik des Pyrenäen-
gebirges überhaupt.
2) Fr. Simooy, Das Dachsteiogebiet. Ein geographisches Charakter-
bild aus den Österreichischen Nordalpen. Lfg. 2. Wien und Olmtttz
1893, Bd. Hölzel. 14 N.
Diese zweite Lieferung des grofsartigen Simonyschen Dach-
steinwerkes ist weit über ihren ursprunglich geplanten Umfang
erweitert worden. Sie bildet daher mit der ersten Lieferung zu-
sammen eigentlich schon eine im wesentlichen abgeschlossene
Gesamtdarstellung der herrlichen Kalkalpengruppe, die nach dem
Hauptmassiv, dem Dachstein, ihren Namen trägt.
Abgesehen von den zahlreichen, ganz ausgezeichneten Photo-
typieen, die in den beschreibenden Text eingedruckt sind, bringt
die neue Lieferung rund 30 weitere grofse Landschaftsbiider der
Dachsteingruppe, teils nach vorzüglichen photographischen Auf-
Aodrees Wlgemeiner Handatlts, aogez. von A. Kirchhoff. 209
nahmen, teils nach Zeichnungen, die der Verf. an Ort und Stelle
panoramaartig entworfen hat, mil peinlichster Sorgfalt jede Ter-
rainform bis ins einzelnste nachbildend, wie man es selbst von
der genauesten Photographie (namentlich für weiter abliegende
Gebirgsmassen) nie erwarten dürfte.
Wir sollen den Schulern in der erdkundlichen Stunde yor
allem den Bodenbau klar beschreiben. Das läfst sich nur mit
Bildern von solcher Naturwahrheit, wie sie die vorliegenden adelt,
gründlich erzielen. Dem Dachstein allein können wir freilich
nicht so viel Zeit beim Unterricht widmen, um speziell hierzu dieses
reichhaltige Meisterwerk Simonys zn verwerten. Aber, wie schon
bei Anzeige der ersten Lieferung desselben an dieser Stelle her-
forgeboben wurde, es gestatten viele der prächtigen Bilder generelle
Verwendung zur Yeranschaulichung heimischer Hochgebirgsnatur,
so för Erosionserscheinungen in den Kalkalpen, Seeenbildung da-
selbst, Dolinen im Karrengebiet, Eisfelder, Aussehen eines Glet-
Scherbettes beim zeitweiligen Rückzug der Gletscherzunge aus
dessen unterstem Teil u. a. m.
3) Aodrees Allgemeiner Handatlas ia 91 Haopt- and 86 Nebenkartea
oebst volistäDdigein alphabetischem Namen verzeichois. Dritte, völlig
neubearbeitete and vermehrte Auflage. Herausgegeben von der Geo-
graphischen Anstalt von Velhagen & Klasing in Leipzig. Bielefeld
nod Leipzig 1893, Velhagen & Klasing.
Nachdem über den Umfang der Erneuerung dieses weitver-
breiteten Kartenwerkes schon nach dem Erscheinen der ersten
Abteilungen desselben an dieser Stelle berichtet worden ist, er-
abrigt nur noch die Versicherung, dafs auch in den nachfolgenden
Lieferungen bis zum nun erreichten Abschlufs des Ganzen das
Versprechen im wesentlichen eingelöst ist, diesen Handatlas auf
die Höhe der Gegenwart zu erheben.
Nur bei wenigen Karten bleibt einiges nachzutragen. So ver-
mil^t man auf der Karte von Griechenland die Angabe des für
deo södosteuropäischen Seeverkehr so wichtigen Kanals durch den
Korinther Isthmus mit Hellas' zwei jüngsten Seestädten an den
beiden Endpunkten des Kanals, Posidonia und Isthmia. Dringend
bedarf vor allem noch die Zeichnung von Kaiser Wilhelms-Land
(auf Karte 138) der Modernisierung. Nicht einmal die Ortssignatur
för den jetzigen Verwaltungssitz Friedrich Wilhelms-Hafen ist an-
gegeben, sondern nur die Lage des Hafens; wozu ferner der eng-
lische, wohl vordem berechtigte Name ,,Kap Fortification'' statt
d^ deutschen „Pestungs- Vorgebirge^'?
Doch das sind bedeutungslose Kleinigkeiten gegenüber der
des Uotadelhaften, die dieser Atlas darbietet. Freuen wir
ans Tor allem der höchst inhaltreichen ganz neuen Karte des
Deutschen Reiches, die hier fast durchweg in dem grofsen Mafs-
stab 1:1^ MilJ. ihrer Sektionen gegeben ist, folglich in der Reich-
haltigkeit topographischer Einzelheiten sogar die soeben fertig ge-
ZdtHbrift C d. OTmnMialwMen XLVm. 9. 8. X4
210 Radolph, Heimatk. d. Reichsl. Bisars-Lothringeo,
wordene klassische Arbeit Karl Vogels („Atlas des Deutschen Reichs")
in nur ^/s jenes Linearmafsstabes überbietet.
Halle a. S. A. Kirchhoff.
E. Rudolph, Heimatkande des Reichslaodes EIsars-Lothriae^eo.
Zunächst zur Ergäocuag der Schul (^eog^raphie von B. vod Seydlitz.
Breslau 1893, Ferdioaud Hirt. 48 8. 8. 0,60 M.
Die auf dem Gebiete der Geographie, besonders der Schul-
geographie, so rührige Yerlagshandlung von Ferd. Hirt hat seit
einigen Jahren eine Anzahl Hefte unter dem Titel „Landeskunden*'
erscheinen lassen, welche die Einzellandschaften des Deutschen
Reiches nach mancher Richtung hin eingehender behandeln, als
dies in den verschiedenen Ausgaben der Seydlitzschen Geographie,
zu deren Ergänzung sie zunächst bestimmt sind, möglich war.
Die Sammlung (im ganzen 23 Hefte, alle mit Bilderanhang, einige
auch mit einer Heimatkarte ausgestattet; der Preis schwankt
zwischen 0,30 und 0,50 M; das Heft für Hamburg kostet 0,75,
das für das Reichsland 0,60 M) liegt jetzt abgeschlossen vor; nur
das Heft für Westfalen mit Lippe und Wahleck ist noch in Vor-
bereitung. Diese Bändchen scheinen mit Recht weite Verbreitung
gefunden zu haben, mehrere sind bereits in 2. Auflage erschienen.
Die vor kurzem erschienene, von Oberlehrer Dr. E. Rudolph
in Strafsburg herausgegebene Heimatkunde des Reichs-
landes reiht sich den früher erschienenen Bändchen würdig an.
Auswahl und Behandlung des StofTes sind sehr geschickt, und das
Büchlein wird in den niederen und höheren Schulen Elsafs-Loth-
ringens von Lehrern und Schülern mit Nutzen gebraucht werden
können; was die höheren Schulen betrilTt, so soll nach den ,, All-
gemeinen Vorschriften für die höheren Schulen in Elsafs-Lothringen
vom 20. Juni 1883'' die Beschreibung Elsafs-Lotbringens und des
übrigen Deutschlands den Mittelpunkt des geographischen UDter-
richts auf den drei unteren Klassen der Gymnasien und Real-
schulen bilden. Aber auch in anderen Staaten des Reichs wird
wenigstens der Lehrer zu seiner Vorbereitung das Büchlein mit
Nutzen zu Rate ziehen können.
Der Verf. hat den StoiT in sechs Abschnitten behandelt:
1) Lage, Grenzen, Gröfse (S. 1 — 2), 2) Oberflächengestalt und
Bewässerung (S. 2 — 17; mit den Unterabteilungen: das Gebirgs-
land der Vogesen, S. 2 — 11, das lothringische Stufenland, die
Vorhügel, Jura und Sundgau, das Tiefland, der Rhein); 3) das
Klima (S. 17—18); 4) Bevölkerung und Kultur (S. 18—26); 5) ge-
schichtliche Entwicklung (S. 26 — 28); 6} Verfassung und Verwal-
tung (S. 28—32).
Den besonders reichhaltigen Abschnitt über Oberflächen-
gestalt und Bewässerung des Landes möchte ich zugleicli
als den besten bezeichnen. Trefflich hat der Verf. die im Vor-
anges. von E. Napp. 211
wort ausgesprochene Absicht erreicht, „durch scharfe Gliederung
der Oberflächenformen die Auffassung des vertikalen Reliefs des
Landes zu erleichtern*'. Selten, selbst in grölseren geographischen
Handbüchern, wird man eine ebenso klare und übersichtliche wie
in der Form schöne Darstellung namentlich des Gebirgsiandes
und seiner Bewässerung Onden. Allen Punkten, die bei der Be-
schreibung in Betracht kommen, wird der Verf. gleichmäfsig ge-
recht, und der Kenner des schönen Landes wird in diesem, dem
wichtigsten Abschnitte kaum etwas Wesentliches vermissen.
Im einzelnen möchte ich zu diesem Abschnilt folgendes be-
merken. Da der Verf. nur das Reichsland behandeln will, so
beschreibt er die Vogesen (dieser Name Gndet sich durchweg
statt der deutschen Bezeichnung „Wasgen wald'') nur innerhalb
der politischen Grenzen desselben. Der Anteil Frankreichs am
Gebirge ist nicht berührt, obwohl er im Süden und auch in der
Mitte, bis über den Donon hinaus^ nicht unbeträchtlich ist. Auch
hätte jedenfalls gesagt werden sollen, dafs manche Geographen
auch das politisch zur bayrischen Pfalz gehörige Gebirgsland von
der Lauter bis zur Queich den Nordvogesen hinzurechnen, wäh-
rend andererseits Lepsin s („Die oberrheinische Tiefebene und
ihre Randgebirge** S. 43) meint, schon nördlich der tiefsten
Senkung des Kammes bei Pfalzburg und Lülzelstein, der im Osten
der Ebene die ebenso tiefe Einsenkung zwischen Schwarzwald
and Odenwald entspreche, solle man nicht mehr von Vogesen
sprechen, das „Bitscher Land*' gehöre bereits zur Haardt. —
S. 3 wird richtig gesagt, dafs die im Süden nur etwa 12 km
breiten Vogesen nach Norden zu an Breite bald erheblich zu-
oehmen; nicht erwähnt aber ist, dafs an der schmälsten Stelle
des Gebirges, am Zaberner Pafs, die Entfernung zwischen der
rhetoischen Tiefebene und der lothringischen Hochebene kaum
9 kai beträgt, während nördlich von Zabern die Breite des im
Durchschnitt allerdings selten über 400 m hohen Gebirgslandes
wieder beträchtlich wächst. — Die isolierte Sandsteinmasse des
auch in seiner Totalansicht so charakteristischen Climont als
htefasten Punktes am Nordende der Südvogesen wird mit Recht
etwas ausführlicher beschrieben. Wenn Rudolph meint, dafs
»«dichter Wald ein Besteigen erschwere**, so ist das doch weniger
richtig, als dafs vielmehr bis zur Vollendung des geplanten Aus-
akhtsgerüstes die Aussicht erschwert ist Auch hätte hinzu-
gefügt werden sollen, dafs der Berg auf manchen Karten eine
andere Bezeichnung hat: auf der neuen im Erscheinen begriffenen
^Karte des Deutschen Reichs** 1 : 500 000 (Gotha, Perthes) heifst
er „Weinberg**; auf der Generalstabskarte 1:100000 finden
»cfa beide Namen (Climont und Weinberg). — Von den Burg-
mineii des vielleicht burgenreichsten aller Länder sind viele ge-
■annt, zwei der mächtigsten und schönsten (nächst der S. 8 er-
wibnlen Hah&öoigsburg) aber übergangen, nämlich Gir baden
212 Rudolph, Heimatk. d. Reichsl. Elsa rs-Lothriogen,
(bei Niederhafslach) und Hohbarr bei Zabern, „des Landes
Auge'^ — Über die Bedeutung der zu den verschiedensten Zeiten
hartumstrittenen Burgundischen Pforte (trouee de Beifort)
als Wasserscheide und vor allem als eins der wichtigsten euro-
päischen Völkerthore mit ihren vielen weltgeschichtlichen Er-
innerungen (Cäsar gegen Ariovist, Alemannen und Römer, Attila,
Friedrich i vor dem Konzil von Besannen, die Kämpfe im dreifsig-
jährigen Kriege, im Befreiungskriege 1814 und 1815 und zuletzt
in den furchtbaren Januar- Tagen 1871) hätte wohl einiges mehr
gesagt werden können, als es S. 14 geschieht. — Von der Mosel
heilst es etwas ungenau S. 12, dafs sie zwischen dem Elsässer
Beleben und dem Col de Bussang aus mehreren Quellbächen ent-
stehe; als eigentliche Moselquelle wird doch in der Regel die
starke, von einer Bretterbude überdeckte, auf französischem Boden
beGndliche Quelle am Col de Bussang, westlich von dem Grenz-
tunnel, etwa 9 km nordnordöstlich vom Ballon d'Alsace, ange-
sehen. — Die Quelle der Meurthe (s. S. 5) befindet sich 2 km
nördlich vom Hohneck, etwa 1 km von der Grenze, aber ebenfalls
auf französischem Boden, hart an der grofsen Strafse, die von
Colmar über Münster, die Schlucht, Gerardmer nach Epinal führt.
— Ganz auf deutschem Boden fliefst die Saar samt ihren beiden
Quellflüssen, der Roten und der Weifsen Saar, von denen die
letztere allerdings auch unweit der französischen Grenze entspringt;
es hatte S. 11 hinzugefügt werden können, dafs die Vereinigung
der beiden Quellflüsse bei Hermelingen, etwa 7 km südlich von
Saarburg, erfolgt.
Der Abschnitt 3 (über das Klima) ist lobenswert. Am
Schlüsse desselben wird mit einigen Worten des Einflusses des
Klimas auf die VVeinkultur gedacht. Im übrigen aber vermifst
man jede Berücksichtigung der Vegetation in den Vogesen,
die doch, namentlich im Vergleich mit dem benachbarten, ähnlich
gebauten Scbwarzwald, manches Charakteristische aufweist. Die
Pflanzen der Ebene haben in den Vogesen freieren Zutritt durch
die tief eingeschnittenen Thäler auf die Höhen als im Schwarz-
wald, die Vegetation auf den Vogesenhöhen ist daher im all-
gemeinen viel reicher als auf denen des benachbarten Gebirges.
Vor allem aber hätte bemerkt werden sollen, dafs die Pichle
(Rottanne) auffallend hinter die fast ausschliefslich herrschende
Weifstanne zurücktritt und dafs wir nur in wenigen Gebirgen
Europas so viele grofse, geschlossene und zugleich schöne Tannen-
waldungen finden wie im Wasgenwalde.
Die Bemerkungen über Bodenkultur, Industrie und
Verkehr im 4. Abschnitt sind mit Recht ziemlich ausführlich ge-
halten, dabei ist im allgemeinen die Kreiseinteilung zu Grunde
gelegt, jedoch so, dafs mehrere Kreise mit gleichartiger Kultur
und Industrie zusammengefafst sind. Bei Forbach hätte die grofse
Papier-mache-Fabrik Erwähnung verdient. Vermifst wird ein Hin-
«Dgez. voD E. Napp. 213
weis auf die namentlich auf den Höhen (z. B. auf dem fast 1100 m
hohen Hochfelde) in sehr ergiebiger Weise betriebene Rindvieh-
zacht und Milchwirtschaft, ferner auf die Alpen Wirtschaft mit
Sennhütten und Käsefabrikalion in der Umgebung von Munster,
ßetrefiend den Weinbau hätte S. 24 hinzugefügt werden können,
dafs im Elsafs fast nur Weifswein, in Lothringen fast ausschliefst
lieh Rotwein angebaut wird. Unter den bereits im 2. Abschnitt,
S. 14, aufgezählten Mineralquellen ist nicht aufgeführt die schon
im Mittelalter bekannte, 1888 wieder aufgedeckte Quelle bei
Rappoltsweiler. — S.25 f. findet sich eine übersichtliche Zusammen-
stellang der wichtigsten Kanal- und Eisenbahnlinien, während die
sechs Hauptstrafsen, welche innerhalb der (südlichen) Hochvogesen
den Verkehr zwischen dem Elsafs und Frankreich vermitteln, be-
reits S. 5 aufgezählt sind, ßei der Beschreibung des Rhein-Marne-
kanals S. 25 hätte als Merkwürdigkeit erwähnt werden sollen,
da(s im Zornthal von Lützelburg (im Gebirge) bis Brumath (in
der Rbeinebene, etwa 18 km nördlich von Strafsburg) Flufs,
Kanal, Landslrafse und Eisenbahn stets nebeneinander laufen.
Die Bemerkung S. 18, dafs „die überwiegende Mehrzahl der
Bevölkerung deutsch spreche und nur im westlichen Lothringen
und in einigen Tbälern der Vogesen französisches Patois gesprochen*'
werde, ist zu allgemein. Genauer liegt das Verhältnis so, dafs die
Einwohnerzahl der deutsch redenden Gemeinden etwa 80 Prozent,
die der französisch redenden 11,5 Prozent, die der sprachlich ge-
mischten etwa 8,5 Prozent der Gesamtcivilbevölkerung ausmacht.
Von der französisch redenden Bevölkerung finden sich über drei-
viertel, von der beide Sprachen redenden nicht ganz dreiviertel in
Lothringen. In Lothringen ist die Zahl der französisch redenden
bezw. sprachlich gemischten Gemeinden derjenigen der deutsch
redenden fast gleich, jedoch so, dafs die Einwohnerzahl der letz-
teren die gröfsere Hälfte der Gesamtbevölkerung ausmacht. —
Französisches Patois wird übrigens innerhalb des Elsasses nicht
blofis im oberen Weifsbachthale, sondern auch gröfstenteils im
Steinthal vom Breuschthal zwischen Rothau und Urbach östlich
etwa bis (zum Hochfed) gesprochen. Im übrigen hat Rudolph
den Laaf der Sprachgrenze ebenso kurz als zutreffend angegeben.
Der Überblick über die geschichtliche Entwicklung des
Landes (Abschnitt 5) erscheint selbst für einen so knapp ge-
haltenen Abrifs, wie ihn die „Landeskunde'' bieten kann, etwas
dürftig. So sind z. B. Rudolf von Habsburg, der Aufstand des
Bantschub, Bernhard von Weimar gar nicht erwähnt, obgleich sie
doch in die Geschichte des Landes tief eingegriffen haben. —
Die Sage ist gar nicht berührt, obwohl doch das Elsafs der
Schaoplatz einer der schönsten Heldensagen ist: ganz im Norden
des Landes, hart an der pfälzischen Grenze, steht im Walde ver*
steckt die Raine des Wasigensteines, an den das Waltarilied
den Kampf seines Helden mit den Recken Günthers verlegt. —
214 Rudolph; Heimatk. d. Reiclisl. v. Elsafs-Lothriag^eD,
Auf die Bedeutung des RIsasses für die Geschichte der
Kunst und Litteratur ist fast gar nicht eingegangen.
Zwar finden sich bei der Beschreibung der einzelnen Orte einige
architektonisch interessante Gebäude erwähnt, die auch zum Teil
im Biideranhang zur Abbildung gebracht sind. Aber es ist doch
auffallend, dafs bei der sonst recht guten Beschreibung Strafs-
burgs das (allerdings im Bilderanhang trefflich abgebildete) Münster
und der Name seines Erbauers mit keinem Worte erwähnt sind.
Von hervorragenden Männern ist nur (S. 27) Jakob Sturm ge-
nannt. Namen wie Olfrid, den Minnesänger Reinmar den Alten
von Hagenau, Meister Gottfried von Strafsburg, die Mystiker Eckard
und Johann Tauler, Gutenberg, die Humanisten Wimpheling und
Beatus Rhenanus, die Reformatoren Capito und Butzer, den Ge-
schichtsschreiber der Reformation Sleidanus, den Pietisten Spener,
den Historiker des Elsasses Job. Dan. Schöpflin, die Dichter Kon-
rad PfefTel und Aug. Stöber sucht mau vergebens. Besonders ist
das Elsafs zu den verschiedensten Zeiten die Geburtsstätte gerade
der hervorragendsten deutschen Satiriker gewesen: ich nenne
nur Joh. Geiler von Kaisersberg, Seh. Brant, Job. Pauli, Thomas
Murner, Jörg Wickram, den genialen Job. Fischart, Moscherosch
(Philander von Sittewald). Auf die Bedeutung dieser Männer bade
doch, ohne den Umfang des Büchleins allzu sehr anschwellen zu
lassen, entweder in kurzer zusammenhängender Darstellung oder,
wenigstens zum Teil, bei Erwähnung ihrer Geburtsorte in Ab-
schnitt 4 mit wenigen Worten hingewiesen werden sollen.
[m 6. Abschnitt ist das Wichtigste über Verfassung und
Verwaltung zusammengestellt. Die Tabelle auf S. 30 und 31
giebt Flächeninhalt und Bevölkerungsziffer der einzelnen (22) Kreise
des Landes nebst deren Anteil an Acker- und Gartenland, Wiesen,
Weiden, Weinbergen und Forsten (in Hektaren) sowie die wich-
tigeren Orte und deren Einwohnerzahl nach der Volkszählung vom
1. Dezember 1890 an. Es hätte aber ausdrücklich bemerkt werden
sollen, dafs das Militär in der Bevölkerungsziffer ein-
geschlossen ist. So beträgt z. B. die Givilbevölkerung von Metz
rund 46 000, während mit Einrechnung der Garnison (der stärksten
im Deutschen Reich nächst Berlin) die Gesamtzahl der Bewohner
sich auf rund 60 000 (1893: 63 000) beläuft. Besonders wird
das Zahlenverhältnis bei den kleinen, mit Militär stark belegten
Orten in Lothringen alteriert. Der Flecken Mörchingen z. B.
hat eine Givilbevölkerung von rund 1100; mit Einscfalufs des
Militärs zählt der Ort rund 3700 E. Das Städtchen Saarburg
(3000 E.) wird durch die starke Garnison (ein Regiment Infanterie,
zwei Regimenter Kavallerie, zwei Batterieen Artillerie) auf 5500 E.
gebracht. — Überhaupt hätte über die militärische Bedeutung
des Reichslandes als Grenzland einiges gesagt werden können.
Die dürre Bemerkung am Schlüsse des Abschnittes, dafs „vom
Reichsheere zwei Armeekorps im Reichslande stehen, das 15. im
aogez. von fi. Napp. 215
Elsafs, das 16. in Lothringen'S genügt um so weniger, als sie
nicht ganz zuirelTend ist. Denn aufiserdem sieht mehr als ein
Drittel des 14. Korps im Oberelsafs und fast ein Viertel des grofsen
2. Bayrischen Korps in Lothringen.
Sehr reich ist der Bilderanhang, reicher als in fast allen
andern Bandchen der „Landeskunden''; er umfafst ein Drittel
der Seitenzahl des ganzen Buchleins (S. 33 — 48). Die Auswahl
ist recht geschickt getroffen. Aufser ?ier Kartenskizzen und
Plänen finden sich zwölf Ansichten ¥on Landschaften, elf von
merkwürdigen Bauwerken, Tier Trachtenbilder und je eine Dar-
stellung des fränkischen und alemannischen Hauses. Die Aus-
f&brung der Bilder verdient alles Lob. Doch ist der Plan der
Stadt Strafsburg in zu kleinem Mafsstab gehalten, die blofse
Zeichnung des Strafsengewirres mit nur sehr wenigen eingestreuten
Namen ohne sonstige blrläuterung orientiert nicht. Eine Karte ist
leider nicht beigegeben; der Verf. sagt im Vorwort, dafs er sich
nach den Ueimatkarten von H. Ilabenicht (Gotha, J. Perthes) ge-
richtet habe.
Druck und Ausstattung sind tadellos. Aufgefallen ist
mir nur, dafs S. 10, Z. 4 v. u. „Zaberne Tieflandsbucht'^ und
S. 11, Z. 18 V. 0. „Zaberne Steige'' statt „Zaberner'' gesetzt ist.
So reiht sich denn das Buchlein den früher erschienenen
„Landeskunden'' desselben Verlags würdig an und sei, ungeachtet
mancher oben gemachten Ausstellungen, Lehrern und Schulern
und überhaupt jedem Freunde des Beichslandes innerhalb und
aufserhalb desselben aufs beste empfohlen.
Zum Schlufs möchte ich für spätere Auflagen nicht nur
dieser, sondern auch der übrigen „Landeskunden" noch einen
Wunsch geltend machen, der meines Wissens bisher noch nicht
ansgesprochen ist, vielleicht aber von manchem Benutzer derselben
geteilt wird, nämlich jedem einzelnen Bändchen ein Verzeichnis
der wichtigsten und am leichtesten zugänglichen lilterarischen
Hülfemittel sowie der auf das behandelte Gebiet fallenden Sektionen
der vom Generalstabe herausgegebenen Karte des Deutschen
Reiches 1:100 000 beizugeben; vielleicht empfiehlt sich statt
des letzteren Verzeichnisses noch mehr ein Ausschnitt aus dem
von der Verlagshandlung von R. Eisenschmidt in Berlin zu be-
ziehenden Übersichtsblatt. — Zur Aufnahme in Rudolphs „Heimat-
kunde des Reichslandes Elsafs- Lothringen" möchte ich, ohne den
Anspruch auf Vollständigkeit und richtigste Auswahl zu erheben,
etwa die Aufführung folgender Schriften für geeignet hallen:
Lorenz und Scherer, Geschichte des Elsasses, 3. Aufl., X u.
574 S., 1887; Aug. Stob er, Die Sagen des Elsasses, Neue Ausg.,
besorgt v. C. Mündel. In 2 Teilen. L Teil: Die Sagen des Ober-
Elsasses. XV u. 151 S., Strafsburg, Heitz, 1892; Schmoller,
Strafsburgs Blüte u. die Volkswirtschaft!. Revolution im 13. Jahrb.,
35 5., Stra&burg, Trübner, 1875; Schmoller, Strafsburg zur
216 Die Arithmetik n. b. w. des Diophantus,
Zeit der Zunflkämpfe u. die Reform seiner Verfassung u. Ver-
gällung im 15. Jahrb., 164 S., ebenda; Baumgarten, Jacob
Sturm, 34 S., ebenda 1876; Mitscher, Zur Baugeschichte des
Strafsburger Munsters, 60 S., Strafsburg, R. Schultz 8: Comp., 1876;
Beiträge zur Landes- und Volkskunde von Elsafs-
Lothringen, Strafsburg, Heilz, seit 1887 (besonders Heft 1 :
Constant This, Die deutsch-französische Sprachgrenze in Loth-
ringen, 34 S., 1887; Heft 5: This, Die deutsch -französische
Sprachgrenze im tllsafs, 48 S., 1888, beide Hefte mit Karte); Die
Bewegung der Bevölkerung in Elsafs-Lolhringen. Sta-
tistische Mitteilungen XXIH: 1. Rückblick auf den Zeitraum von
1880—1889; 2. Tafeln für die Jahre 1887—1890. Herausgeg. v-
Statist. Bureau des Kaiser!. Minist, f. Elsafs- Lothringen, lOVa Bogen,
Strafsburg, C.F.Schmidt, 1893; Lepsius, Die oberrhein. Tief-
ebene u. ihre Randgebirge (Forschungen z. deutschen Landes- u.
Volkskunde, I. Bd., 2. Hefl, S. 33—92). Mit Übersichtskarte, Stutt-
gart, Fngolhorn, 1885; Curt Mündel, Die Vogesen, 6. Aufl.,
Strafsburg, Trübner, 1891, 518 S.
Saarbrücken. E. Napp.
1) Die Arithmetik und die Schrift jiber Pol ygODalzahleo des
Diophantus von Alexandria. Übersetzt aod mit Anmerkuoi^eD
begleitet von G. Wertheini. Leipzig 1890, B. G. Teabner. IX n.
346 S. 8. 8 M.
Nachdem man in weiterem Kreise begonnen hat, die Mathe-
matik in ihrer geschichtlichen Entwickelung zu verfolgen, ist auch
die Thatsache zu allgemeinerer Kenntnis gelangt, dafs die „Dio-
phantischen Gleichungen'* diesen Namen zu Unrecht führen, sinte-
mal Diophant bei seinen Problemen nicht auf ganzzahlige, sonderu
nur auf rationale Lösungen abzielte, so dafs die Gleichung
ax -{- by = c aufserhalb seines Interesses lag. Wer sich nun
bisher genauer über die von Diophant behandelten Aufgaben und
über die Art seiner Behandlung aus deutsch geschriebenen Büchern
unterrichten wollte, war, abgesehen von Nesselmanns Algebra der
Griechen (1842), auf die Übersetzung von 0. Schulz (1822) an-
gewiesen, die aber sprachlich etwas veraltet und überdies nur
mehr schwer zu beschaffen ist. Es war daher ein glücklicher
Gedanke des durch seine deutsche Bearbeitung von Serrets Höherer
Algebra bei vielen Fachgenossen im besten Andenken stehenden
Verf.s, nun auch die noch vorhandenen Werke des grolsen grie-
chischen Algebraikers einem weiteren Leserkreise zugänglicl) zu
machen.
Wenn man das Hauptwerk des Alexandriners, die W^*^/irij^T»xa,
von deren 13 Büchern uns sechs erhalten sind, nach heutigen Be-
griffen klassifizieren wollte, so müfste man sie als eine Sammlung
von A« Bminerich. 217
Ton gelöslen, teils bestimmten, der Mehrzahl nach unbestimmten
arithmetischen Textaufgaben definieren, die in allgemeiner Form
gestellt sind, bei deren Lösung jedoch die etwa gegebenen Gröfsen
als bestimmte positive ganze Zahlen gewählt werden, und wo
durch geeignete Nebenannahmen jede Unbestimmtheit so weit
beseitigt wird, dals es sich schlieCslich um eine Gleichung 1. oder
2. Grades handeil, die zu einer einzigen rationalen positiven Lö-
sung führt. Was die Bedeutung des Werkes für den heutigen
algebraischen Unterricht anbetrifft, so liegt diese vorzugsweise auf
Seite der bestimmten Aufgaben oder vielmehr ihrer Lösungen,
da man die Aufgaben selbst, wenn auch in anderer Form, heut-
zutage in jeder algebraischen Sammlung wiederfindet. An zahl-
reichen Beispielen zeigt uns Diophant, wie man durch geschickte
Wahl der Unbekannten auf einfachstem Wege zur Gleichung,
oder aber zu einer möglichst einfachen Gleichung, z. B. statt
zu einer gemischt quadratischen zu einer rein quadratischen,
gelangt. Sollen z. B. zwei Zahlen gesucht werden, deren Summe
= 10 and deren Kubensumme = 370 ist (IV, 1), so wählt er
die Abweidiung der Zahlen von ihrer halben Summe als Unbe-
kannte und findet nach unserer Schreibweise 30 x' -f" ^^^ = 370,
sonach 3 und 7 als Werte der gesuchten Zahlen. Während so
die bestimmten Aufgaben nach mehr als 1500 Jahren in lebendiger
Beziehung zum mathematischen Unterrichte stehen, liegt das Inter-
esse bei den unbestimmten Aufgaben mehr auf Seiten des
Mathematikers, um so mehr, als bei ihnen von einer methodischen
Behandlung, die eine Anleitung für den Anfanger böte, kaum die
Rede sein kann. Hit Genufs folgt man „dem gewaltigen Virtuosen
in der Kunst der unbestimmten Analystik", wie er auf vielver-
schlungenem Pfade mit Benutzung von allerlei unerwarteten
HülCsmitteln sich zu dem erstrebten Ziele hindurcharbeitet. Dio-
phant stellt z.B. die Aufgabe (iV, 24): ürei Zahlen zu finden,
deren Produkt, wenn es um jede der Zahlen vermindert wird, ein
Quadrat bildet. Er bezeichnet die erste Zahl mit x (im Original
mit ^), setzt das Produkt der drei Zahlen s= x* -{- x, findet mit-
hin als Produkt der beiden anderen Zahlen (C-j- 1, wählt für die
zweite Zahl \, also für die dritte o; -j- 1, und gelangt so zu zwei
Forderungen, die in unserer Schreibweise folgendermafsen dar-
gestellt und nach Diophants Gedankengange erledigt werden:
flp*-f-a?— l = tt*, a?* — l=t?*;
x = u* — 17*; ^•2x={u — t?)(u-f-t?);
u — t7 = i, u^v = 2x\
v = x — j; AD* — i = (x — l)*.
Die Auflösung der letzten Gleichung liefert x = 2%; die gesuchten
Zahlen sind daher 2\i, l und 3%. Solche in speziellen Zahlen
errechneten Lösungen hat nun der Herausgeber durch Anwendung
218 BrockmtQD, Lehrbuch d. elemeutaren Geometrie,
der Buchstaben verallgemeinert und damit das Versläudnis des
Werkes erleichtert und seio Studium mehr fruchtbringend gemacht;
nur so auch wird es ihm in vielen Fällen möglich, eine Würdi-
gung der von Diophant gegebenen Determinationen der Aufgaben
zu erzielen. In anderen Fällen, bei Aufgaben mit verwickelter
Lösung, hat er den Gang dieser Lösung kurz und allgemein
wiederholt. Noch einer anderen wichtigen Zugabe ist dann Er^
wähnung zu thun. Gehörigen Ortes giebt uns nämlich der Verf.
neben den Anmerkungen von Bachet die Zusätze und Bemerkungen,
die ehedem Paul Fermat an den Rand seines Exemplares von
Bachets üiophantausgabe geschrieben, und die 1670 in einer neuen,
durch Fermats Sohn besorgten, Ausgabe erstmals ihren Abdruck
fanden. Diese Zusätze des Toulouser Ratsherrn gewähren uns
einen Blick in den zauberhaften Morgenglanz der Zahlentheorie;
es sind Dokumente von unvergänglichem Werte für die zahlen-
theoretische Wissenschaft und Forschung.
Die Schrift über die Polygonalzahlen fafst 20 Seiten. Dio-
phant beweist unter Zuhulfenahme von Strecken auf umständ-
lichem Wege einige Eigenschaften, die sich bei Übertragung in
die algebraische Zeichensprache in wenigen Zeilen erledigen lassen.
Um das Studium der Abhandlung genufsreicher zu machen, be-
handelt der Herausgeber in einem ersten Anhange die figurierten
Zahlen vermittelst der Lehre von den Binomialkoeffizienlen. — Ein
zweiter Anhang bringt Lagranges Beweis, dafs sich jede ganze
Zahl als Summe von höchstens vier Quadratzahlen darstellen lasse.
Der letzte Anhang bietet das Rinderproblem des Archimedes und
die arithmetischen Epigramme der griechischen Anthologie, in
deren einem („Hier dies Grabmal . . .'') alles enthalten ist, was
wir über Diophants persönliche Verhältnisse wissen.
In dem gleichen Verlage wie die vorliegende Verdeutschung
des Diophant ist vor kurzem der erste Band einer neuen Ausgabe
des griechischen Originals (Diophanti Alexandrini Opera omnia.
Edidit et latine interpretatus est Paulus Tannery. Vol. 1)
erschienen.
2) F. J. BroekmaDD, Lehrbuch der elementareo Geometrie. Für
Gymnasien and Realscholen. Zweiter Teil: Die Stereometrie.
Zweite, revidierte Auflage. Mit 84 Figuren in Holzschnitt. Leipzig
1892, B. G. Tenboer. 8. VIII u. 144 S. geb. 1,80 M.
Der Inhalt dieses Buches geht an einzelnen Stellen über das
übliche Pensum hinaus. So werden die Poinsotschen Stern-
polyeder abgeleitet und beschrieben, und man mufs zugeben, dafs
die Behandlung dieser Körper ohne besondere Figuren, nur unter
Zugrundelegung des Bildes der Kernform, eine nützliche, das
räumliche Anschauungsvermögen fördernde Übung bildet. Bei der
Körperberechnung wird auch die Guldinsche Regel für mehrere
wichtige Sonderfälle hergeleitet, ferner die Kubatur des Prismen-
stumpfes nicht übergangen.
angez, von A. Brnmerich. 219
Die Gliederung des StofTes und die Anordnung der Sätze
innerhalb der einzelnen Kapitel halten wir für angemessen. Nur
wünschten wir die Definition des Senkrechtstehens einer Geraden
auf einer Ebene hinter den bekannten Lehrsatz 1 gestellt und
temer in der Einleitung zu diesem Satze den Anschauungssatz
gestrichen: ,, Dreht sich ein rechter Winkel um den einen Schenkel,
so beschreibt der andere Schenkel eine Ebene''; denn sonst hat
der Lehrsalz 2 : ,,Steht eine Gerade zugleich auf dreien anderen
io ihrem gemeinschaftlichen Durchschnitte senkrecht, so liegen
diese in einer Ebene'' keine Berechtigung.
Die Darstellung des Lehrstoffes ist klar und hinreichend um-
finglich. In den ersten Kapiteln wird mehrfach auf die Plani-
metrie des Verf. (3. Aufl. 1887) verwiesen. Zu den methodischen
Eigenlumiichkeiten des Buches gehört, dafs der Winkel zweier
Windschiefen nicht nur eingeführt, sondern auch benutzt wird;
ferner, dafs vor falschen Umkehrungen gewarnt wird. Mängel im
Ausdruck sind uns nur in geringer Zahl aufgefallen, z. B.: Zwei
Gerade bilden eine Ebene; „Ergänzung" eines Obelisken als Be-
zeichnung einer Fläche ist wohl nicht angängig.
Die im letzten Abschnitte auf 44 Seiten zusammengestellten
(366) Übungssätze und Aufgaben sind nach den einzelnen Kapiteln
geordnet und eignen sich zur Bearbeitung in den obersten Klassen.
Vielfach sind Resultate oder Andeutungen zur Lösung beigegeben;
hier und da wird auch die Lösung ausführlich mitgeteilt,
z. B. bei der Berechnung der Um- und Inkugeln der regulären
Polyeder.
Der Druck ist sehr deutlich und korrekt, nur zwei Druck-
fehler (S. 3 Z. 8, S. 71 Z. 21) sind uns vorgekommen.
Ref. trägt kein Bedenken, das Buch zum Gebrauche in der
Prima unserer höheren Lehranstalten zu empfehlen.
3) H. Servas, Ausführliches Lehrbuch der Stereometrie and
sphärischeo Trigoa ometrie. Zam Gebrauch an höheren Lehr-
aasUlten und zum Selbststudium. Mit zahlreichen Figuren im Texte.
In 2 Teilen. I. Teil: Von der Lage der Linien und Ebenen im Räume.
Von den körperlichen Ecken, II. Teil: Prisma, Parallelepipedon, Pyra-
mide, Kegel, Cylinder und Kugel. Von den regulären Körpern und
Polyedern (sie!). Die sphärische Trigonometrie. Leipzig 1891,
B. 6. Teubner. 48 u 144 S. 8. geb. 0,80 u. 2 M.
Die Zweiteilung dieses „ausführlichen Lehrbuches" beruht auf
der in den neuen Lehrplänen abgelehnten Auffassung, dafs sich
die Beziehungen zwischen Punkten, Geraden und Ebenen, in-
sonderheit die Lehrsätze von der körperlichen Ecke als Lehrstoff
far den Anfangsunterricht in der Stereometrie empfehlen. Wenn
Terf. sich im Vorworte zu der seltsamen Äufserung versteigt:
^Darum fort mit den reinen VerstandesbegrifTen aus den mittleren
liassen, man setze die Anschauung dafür und man wird mit den
beslen Erfolgen belohnt werden", so sollte man erwarten, dafs er
QiM, wenigstens im ersten Teile, mit einer Vorschule der Stereo-
220 Servus, Lehrbuch der Stereometrie, agz. v. fimmerich.
nietrie beschenken will, die sich als wesentlicher Hulbmittel des
Zeichnens und der Modelle bedient. Aber gerade im Gegenteil,
er scheucht uns tief in die Abstraktion, erwähnt keine Modelle,
giebt keine Übungsaufgaben, zeigt uns nicht im mindesten, wie
räumliche Gebilde durch Zeichnungen in der Ebene dargestellt
werden, und verfährt im übrigen, von Einzelheiten abgesehen, ganz
nach der Methode bewährter Vorgänger. Die auf dem Titel be-
tonte Ausführlichkeit bezieht sich im Vergleich mit unseren gang-
baren Leitfäden viel weniger auf Reichhaltigkeit des Inhalts als
auf i. a. vollständig ausgeführte Beweise. Vielfach wird ein vorher
angegebener und bewiesener Satz bei der Anwendung seinem
vollen Wortlaute nach wiederholt; dann müfste wenigstens auch
noch der Paragraph angegeben werden, wo der Satz gedruckt
steht, um keine wesentliche Verschlechterung im Vergleich zu der
üblichen Darstellungsweise zu erzielen. Unvorteilhaft ist ferner
eine Ausführlichkeit, die in den Beweis Bemerkungen verwebt,
die seinen Gang hemmen. Pleonasmen, wie: „Die Neigungs-
winkel der von einem Punkte nach einer Ebene gezogenen Linien
sind um so gröfser, je . . ., sie sind um so kleiner, je . . .; wir
setzen voraus, dafs x von a bis b stets zunimmt, aber von b bis
a stets abnimmt; eine Funktion, welche nur den 2. Grad erreicht,
nicht aber den 3. übersteigt", darf man m. E. auch im münd-
lichen Unterrichte nicht zulassen.
Was die Einteilung des Buches anbelangt, so fallt uns auf,
dafs der Stoff zu wenig und nach den Überschriften im Texte
meist fehlerhaft gegliedert ist, doch wollen wir den Leser mit
einer Aufzählung dieser Mängel nicht behelligen sondern statt
dessen einige Eigentümlichkeiten des Inhaltes erörtern. Mit grofser
Weitschweifigkeit wird auf 7 Seiten die Kubatur der Kugel und
Kugelteile traktiert, nachdem die Oberflächenberechnung schon er-
ledigt ist. Mitten eingeflochten zwischen Pyramide und Cylinder
findet sich die Simpsonsche Regel, die dann aber nur auf die
elementaren, auch auf anderem Wege berechneten Körper ange-
wandt wird. Bei der Berechnung des Mittelschnitts des Pyramiden-
stumpfes zieht Verf. die Höhe herbei und kommt daher nur durch
höchst umständliche Rechnung zum Ziel. Wenn einmal die
Simpsonsche Regel gelehrt wird, so sollte auch ihre Anwendung
auf solche Körper gezeigt werden, die sich nach den elementaren
Methoden nicht berechnen lassen, z. B. auf das Sphäroid und das
Rotationsparaboloid. Und auf Anwendungen wäre dann der Nach-
druck zu legen, z. B. auf die Bestimmung des Erdvolumens oder
auf den schönen Satz, dafs eine in einem cylindrischen Gefäfse
um dessen Achse rotierende Flüssigkeit ebenso viel in die Höhe
steigt, wie sie sich unter den ursprünglichen Spiegel senkt.
Leichter zu beweisen und praktisch wichtiger als die genannte
Regel sind freilich die Pappus-Guldinschen Sätze, von denen sich
in dem ausführlichen Lehrbuche ebenso wie vom Prismenstumpf
Handel, Regelschoittslehre, angos. von M. Simon. 22t
nichts findet. — Unter der Hauptüberschrift: Allgemeines über
die Polyeder steht 30 Seiten später: Elementare Theorie der
Maxiroa und Minima. Hier wird auf 12 Seiten eine Aufgabe vom
Kegel abgehandelt, die unglücklich gewählt ist, da sie aus zwei
Teilen besteht, die nichts miteinander zu thun haben. Der Ab-
schnitt: Sphärische Trigonometrie kann für die Zwecke unserer
höheren Schulen schwerlich in Betracht kommen, da des recht-
winkligen Dreiecks erst nachträglich gedacht und möglichst direkt
auf die Herleitung der allgemeinsten eleganten Formeln losge-
steuert wird.
Bedenkliche Konfusionen ergaben sich bei der Durchsicht des
ersten Teils. So wird der Satz: „Steht eine Gerade auf zwei
Ebenen senkrecht, so sind diese parallel** beim Beweise des Satzes
} 17, 2 als selbstverständlich benutzt, im § 32 aufgestellt und
richtig bewiesen; im § 34 wird dann § 17, 2 in anderen Worten
ausgesprochen und § 17,2 (ohne Verweisung) als Grund angeführt.
Eine Behauptung im § 10 wird im § 40 wieder aufgestellt und erst
hier bewiesen. Der Satz im § 12 entbehrt jeder Andeutung des Be-
weises, wird aber im § 39 wieder aufgetischt und unklar bewiesen.
Nachlässigkeiten im Ausdruck finden sich vielfach, z. ß.: eine
Ebene verlängern, die kürzeste Verbindungslinie der Punkte einer
Ebene mit einem äufseren Punkte, ein Punkt innerhalb zweier
sich schneidender Ebenen u. s. w.
Ein Vergleich mit unseren verbreiteten Leitfäden der Stereo-
metrie fallt zu Ungunsten der Vorlage aus.
Mulheim a. d. Ruhr. A. Emmerich.
1) Haadel, Elementar ^ synthetische Kegelschnittslehre. Zorn
Gebraoch an höheren Lehranstalten bearbeitet. Mit 60 in den Text
gedruckten Figaren. Berlin 1893, Weidinanusche BuchhandluDg. IV
Q. 91 S. S. 1,40 M.
2) J. Lange, Synthetische Geometrie der Kegelschnitte nebst
Obangsanfgaben für die Prima höherer Lehranstalten. Mit 55 Figuren
im Text. Berlin 1893, H. W. Möller. II u. 68 S. 8. 1,20 M.
In Bertrams vorzuglichem Artikel „ Mathematik '% in der
zweiten Auflage von Schmids Encyklopädie, findet sich die Stelle:
.^Dals Ton den Resultaten mathematischen Denkens eine wenn
auch langsame doch stetig wachsende Zahl den Charakter der
Elemente annimmt, die das Leben der Kulturvölker so durch-
dringen, dafs ein ihrer Unkundiger wie ein PVemdling im eigenen
Lande erscheinen wurde''. Am Schlüsse tritt dann Bertram warm
für die Aufnahme der Kegelschnitte in jenen Kreis der Elemen-
taren ein. Von Desargues und Pascal an läfst sich die Arbeit
verfolgen, die Lehre von den Kegelschnitten zusammenfassender
und damit einfacher zu gestalten, bis Poncelet in der Projection,
Steiner in der Projectivität Methoden schufen, die Eigenschaften
222 Lange, Synthetische Geometrie der Kegelschnitte,
des Kreises auf die Kegelschnitte zu übertragen. Steiners Lieb-
lingsbeschäftigung war es geradezu, jene elementarisch zu behan-
deln. Wenn ich nicht irre, war die Vorlesung, welche das Problem,
die Kegelschnitte mit den Mitteln der Schule zu bewältigen, end-
giltig löste, die letzte des gröfsten deutschen Geometers: „Die
wesentlichen Eigenschaften der Kegelschnitte , synthetisch und
elementarisch entwickelt. Mich. 1860— Ost. 186^^ Ihr Inhalt
wurde, erweitert von Geiser, 1867 veröffentlicht (Jacob Steiners
Vorles. ober synth. Geom. Teil 1). Seit der Zeit hat die Arbeit
der direkten und indirekten Schüler Steiners nicht geruht. Ret
veröflentlicbte 1878 eine Monographie über die Parabel, in welcher
das Mafs der benutzten Sätze nicht über die Obertertia des Gym-
nasiums hinausging, und in welcher zum ersten Male die har-
monischen Eigenschaften eines Kegelschnittes ganz direkt, ohne
Übertragung vom Kreise abgeleitet wurden. Die kleine Schrift,
viel benutzt und wenig citiert, war eine Gelegenheitsschrift, welche
in sechs Wochen fertig gestellt werden mufste, sie enthielt Pascal
und Brianchon nicht. Diese Lücke fällte Milinowski aus, jener
hervorragende Schüler Steiners, der der Wissenschaft so früh
entrissen wurde (Die Kegelschnitte, behandelt für die oberen
Klassen höherer Lehranstalten von M. Simon und A. Milinowski,
zweite Abteilung: Ellipse und Hyperbel, Berlin, Calvary, 1879).
Er bediente sich der schon von Möbius gebrauchten harmonischen
Verwandtschaft, was um so mehr zu rechtfertigen, als die har-
monische Teilung längst in den Gymnasien Aufnahme gefunden
hat. Ich möchte auf jene Schrift Milinowskis nachdrücklich hin-
weisen. Seit jener Zeit folgen sich die Bemühungen und haben
jetzt einen abschliefsenden Erfolg insofern erzielt, als der neue
preufsische Lehrplan die Kegelschnitte allen neunstufigen höheren
Lehranstalten vorschreibt. Es liegen dem Ref. gleichzeitig zwei
Arbeiten vor, welche sich das Ziel setzen, die Kegelschnitte in
Rücksicht auf jenen Lehrplan synthetisch und elementar zu be-
handeln. Was nun die Arbeit von Dr. Handel betrifft, so zeigt
sie gegenüber den genannten Schriften in einer Hinsicht einen
entschiedenen Fortschritt. Sie enthält, nicht sowohl in dem Satz,
dafs der Schnittpunkt zweier Tangenten von den Brennstrahlen
der Berührungspunkte gleichen Abstand hat, wohl aber in der
Anwendung dieses Satzes zur direkten Ableitung der harmonischen
Eigenschaften eine eigene wissenschaftliche Leistung des Verf.
Die Ableitungen sind überhaupt fast sämtlich einfach und klar,
die Darstellung, wie es sich gehört, entwickelnd, der Gang ein
ruhiger, da eine Kurve nach der andern in ihrer Gestalt und mit
ihren Eigenschaften dem Schüler sich zu eigen giebt. Der Verf.
beginnt mit der Parabel, die Behandlung hat den Ref. sehr an
seine Jugendarbeit erinnert, wie auch die Aufgaben über die Pa-
rabel sich dort vorfinden, nur dafs dort auch noch der Menelaos
als zu kompliziert vermieden und manches wie der Beweis, dafs
• Dgez. von M. Simoo. 223
die Parabel Kurve zweiten Grades ist, noch einfacher gezeigt
worden ist Auch die sehr zweckmäfsige Unterordnung des Aut-
gabenmaterials unter die einzelnen Paragraphen ist dieser Schrift
mit jener gemeinsam. Das Aufgabenmateriai (402) ist reichlich,
die Auswahl wohlgelungen. Ellipse und Hyberbel werden zu-
nächst durch die Konstanz der Summe bezw. Differenz der Ab-
stände von den Brennpunkten definierU Wenn man, wie Ref.
billigt, von der Parabel ausgeht, so ist es richtiger, von Leitlinie
und Brennpunkt auszugehen, weil dadurch die Verwandtschaft der
Kurven von vorn herein klargestellt wird. Die Ellipse wird am
einfachsten als Zusammendruckung des Kreises behandelt, wie dies,
wenn ich nicht irre, vor etwa 39 Jahren in Grunerts Archiv
geschehen ist. Zum Beweis des Pascal hat sich der Verf. leider
veranlafst gesehen, die Projectionsmethode zu benutzen, damit
zerstört er den Vorzug seiner Behandlung der harmonischen Eigen-
schaften gröfstenteils; Verf. mufsle hier durchaus den Weg Mili-
nowskis einschlagen oder, was noch weit vorzüglicher, den Pascal
direkt ableiten. Dabei wäre vom Viereck auszugehen, denn der
Satz : , Jn dem einem Kegelschnitt eingeschriebenen und dem zu-
gehörigen umgeschriebenen Vierecke schneiden sich die Diagonalen
im selben Punkte*' ist eine einfache Folge der harmonischen
Eigenschaften. Hoffentlich nimmt der Verf. in einer zweiten Auf-
age der empfehlenswerten Schrift Gelegenheit, diese Änderung zu
bewirken. — Die Arbeit des Herrn Dr. Lange hält sich eng an
die von Geiser, die Vorrede ruft die Autorität Steiners an, um
damit zu rechtfertigen, dafs am Schlüsse in den §§12 und 13 die
projecti vischen und involutorischen Beziehungen entwickelt sind.
Nun mufs man zugeben, dafs diese Entwickelungen keineswegs über
das Pensum der Oberrealschule hinausgehen. Die projectivische
Beziehung giebt die im Grunde einfachste Erzeugung der Kegel-
schnitte, sie liefert Pascal und Brianchon unmittelbar aus der
Definition, und darin besieht ihr Vorzug vor jeder andern. Sie
am Schlüsse, nachdem die harmonischen Eigenschaften und der
Pascal durch die geistlose und nicht plani metrische Projections-
methode abgeleitet sind, hinten anzuhängen, hätte niemand mehr
verurteilt als Steiner. Unpraktisch ist es, dafs wie bei Geiser,
der aber für Studenten schrieb, die Kegelschnitte nebeneinander
behandelt sind, dadurch kommt eine Unruhe hinein, welche
schädlich ist. Die Darstellung ist nicht entwickelnd und nicht
durchsichtig genug, es schneit gelegentlich im § 38 ein ganzes
Stock analytischer Geometrie hinein, § 90 sogar einige Flächen
zweiter Ordnung, deren Volumina bestimmt werden. Die Inhalts-
bestimmung ist unelegant, die der Hyperbel stellt an Gedächtnis
und Zeit der Schüler viel zu hohe Ansprüche und gehört nicht
auf die Schule. Das Aufgabematerial (250) ist ausreichend, aber
nicht geordnet, und vielfach zu schwierig. Die Figuren, welche
in der ersten Schrift ausgezeichnet deutlich sind, sind in viel zu
224
Beweis des Pasctl, von M. Simoo.
kleinem Mafsstabe und erscheinen daher oft überladen, ich er-
wähne aufser der Titelvignelte Nr. 13 noch: 8, 9, 20, 27, 30, 31,
32, 49. Der Vergleich fällt ohne Zweifel zu Gunsten der Arbeit
des Herrn Handel aus, welche auch für das Gymnasium recht
brauchbar ist.
Elementarer und direkter Beweis des Pascal.
Dieser Beweis, das letzte Glied in der Kette der „Elementa-
risierung'' der Kegelschnitte, ist gefuhrt, sobald man zeigen kann,
dafs die Potenz eines Punktes P auf einer Sehne s einer Kurve K
die Form annnimmt: Pgz=q>(P) .f(8), wo (p nur von Pund f nur
von 8 abhängt. [Multipliziert man die 3 Gleichungen des Meneiaos,
so kommt auf jeder Seite jede der drei zusammenhängenden
Sehnen und jeder der drei Eckpunkte ihres Dreiecks vor.] Der
Satz selbst findet sich Salmon- Fiedler 110; hier sein elementarer
Beweis :
1. Parabel (Fig. 1). Sei AB eine Sehne S, P ein Punkt
auf ihr, 0 die Mitte von AB, Q
der zu P conjugierte vierte har-
monische auf S, C der Pol von
AB, CQ also die Polare von P,
D der harmonische Pol von P, DP
und CO also Durchmesser, AO=-s.
Es ist ganz allgemein: Pg=OP'PQ
und s'^OP'OQ, somit P,=
^-^s^CO=DP.^-.
Da
DP nur von P abhängt und s* : CO
(=p* dem Parameter des Durchmesser CO) nur von S, so ist
der Satz bewiesen.
2. Ellipse und Hyperbel (Fig. 2). DP und CO sind
nicht mehr parallel, sondern schnei-
den sich in M, dem Centrum der
Kurve.
Es ist '^=
sin<f
Pg = PM DP
OP PQ «WITT ,
I — • — -=^=s . also
PM' DP sin»'
stnjt sin u , ^
-T— • -7—5 ; ^ und (T
sm (X sin&
sind Winkel zwischen conjugierten
Durchmessern, von denen n nur von
P, er nur von S abhängt, /u und &
sind ein Paar conjugierter Winkel,
^ d. h. Winkel zwischen zwei Durch-
Fig- 2. messern und deren conjugierten. Sei
der Halbmesser, auf dem OM liegt, b^ sein conjugierter;
BresVielkU.Roepert, Bilder a. d. Tierreiche, ag^z. v. Paeprer. 225
c' der auf PMy d} sein Partner, so ist wegen der Fläcliengleich-
heit der Dreiecke -r-S=-r-T w. z. b. w. (Wegen der Konstanz
der amgeschriebenen Parallelogramme ist: Jtn7r=-Y-T^, nn^ =
^„ also P,=P,^ . 6,« : c,«).
SraTsbarg i.E. Max Simon.
W. Breslich u, 0. Koepert, Bilder ans dem Tier- und Pflanzeo-
r eiche. PSr Schole und Haus bearbeitet. Heft II. Vögel, Rep-
tilieo, Amphibien, Fische. AUeoborg 1893, Stephan Geibel.
IV D. 244 S. 8. 3 M, geb. 3,80 Bf.
Das vorliegende zweite Heft umfafst 37 Bilder gegen 33 des
ersten, und zwar häußger Schilderungen ganzer Gruppen verwandter
Tiere. Der gröfsere Teil des Buches handelt von den Vögeln,
denen ja auch im Unterrichte eine eingehendere Berücksichtigung
zuteil wird. Die Auswahl des Stoffes, die Sammlung des Materials,
die Darstellung sind ebenso wie im ersten Hefte wohl gelungen.
Wieder sind nur wenige Bemerkungen zu machen. Nicht das
Herz, sondern die Leber frifst der Adler dem Prometheus ab.
Dafi» der Storch auch Regenwurmer vertilgt, kann ihm nicht als
Nntzenstiflen angerechnet werden. S. 164 wird angegeben, dals
die Oberhaut über den Augen der Schlangen sich nicht mit
häutet. „Nicht^^ ist zu streichen, wie auch aus den folgenden
Zeilen hervorgeht. Ob die Frösche überhaupt gröfsere Fische zu
verletzen im stände sind, ist zweifelhaft; unmöglich aber können
sie denselben die Augen auskratzen, da ihnen die Krallen fehlen.
Zu ändern ist S. 126 ,,Wie alle Schwimmvögel, so ist auch das
Gefieder der Wildente dicht und fest anliegend^*. „Die Amphibie'*
för „das Amphibium'* durfte nicht anerkannt werden.
Wie das erste Heft, das sich inzwischen im Gebrauche wohl
bewährt hat, wird auch das zweite dem Lehrer die Vorbereitung
oft erleichtern, dem Schüler passenden Stoff zu Wiederholungen
und zu eigenem Studium darbieten. £s ist in gleicher Weise
wie das erste warm zu empfehlen. Möge der zweite Teil bald
nadifolgen.
Seehausen i. d. Altmark. M. Paeprer.
P. Wossidio, Anfangsgründe der Mineralogie für Gymnasien,
Real- und höhere Bürgerschulen. Mit 373 in den Text gedruckten
Abbildungen. Berlin 1892, Weidmannsche Buchhandlung. 111 S. 8.
geb. 1,80 M.
Diese „Anfangsgrunde*' zeichnen sich ebenso wie die andern,
bereits in dieser Zeitschrift angezeigten naturwissenschaftlichen
ZsiiNkrill L d. GTmnMialweten XLVIIL S. 8. 15
226 Wossidlo, Anftog^sg^r. d. Mineralogie, agz. v. TraumüUer.
Schulbücher desselben Verfassers durch eine klare und elemen-
tare Darstellungsweise vorteilhaft vor ähnlichen Büchern aus. Die
Krystallographie ist nur insoweit behandelt, als sie für das Ver-
ständnis des gesetzmäfsigen Baues der Mineral-Individuen unent-
behrlich ist. An etwa 20 Mineralien werden die wichtigsten
mineralogischen Grundbegriffe, insbesondere aber die Elemente
der Krystallographie entwickelt und im zweiten Abschnitt über-
sichtlich zusammengestellt.. Auf etwa 40 Seiten giebt der Ver-
fasser einen mit vielen schönen und charakteristischen Figuren
geschmückten Abrifs der Geologie. Der Verleger hat das kleine
Buch vortrefflich ausgestattet.
Leipzig. F. Traumüller.
DRITTE ABTEILUNG.
BERICHTE ÜBER VERSAMMLUNGEN, NEKROLOGE,
MISCELLEN.
Zar Seminarfrage.
Die Oberscbrift ist oatürlich nicht so za versteheo, als ob die Existenz
eines Seminars für höhere Schalen noch in Frage zo stellen wäre, oder als
•b die Absicht sei, in einer Kontroverse über das Seminar das Wort zu
ergreifen. Heines Wissens hat bisher über das Seminar, abgesehen von
eiaigen sachlichen Berichten aas ihm, noch wenig verlautet. Und das scheint
jedenfalls das Richtige. Das Werdende soll heimlich wachsen und unge-
stört KraAe sammeln zur Reife: es vertragt keine rauhe Berührung, keine
scharfe Beleuchtung, keine bohrende Kritik. Darum wäre der Einwand nicht
ohne Grund, die bisherige Erfahrung reiche nicht bin, schon jetzt Mifs-
i&üde aufzuzeigen , Neuerungen anzuregen und die kaum Wurzel fassende
Pflanxe in ihrer Bntwickelung anzukrankeln. Sollte das Folgende mein Be-
giaaeo nicht rechtfertigen durch den Nachweis, dafs eben der Boden, auf dem
das Seminar gestellt ist, seinem Gedeihen wenig günstig und daher eine Ver-
^fUazung auf anderen, besseren Boden notwendig sei, kurz dafs diese Ein-
richtunfT fundamentaler Wandlung bedürfe, um ihren Zweck ganz zu genügen,
so wurde der Vorwurf der Voreiligkeit allerdings auf mir sitzen bleiben.
Ein Kandidat des ersten Jahrganges führte sich bei mir höchst unbe-
Cangen mit der Bemerkung ein, das neu geplante Seminar sei ja doch nur
ein tatgebornea Kind: so habe sich auch ein hochgestellter Schulmann zu
ihm geänfsert. In der That begegnete Einrichtung und Organisation der
Seminare für die höheren Schulen bei Lehrern wie Kandidaten anfangs
aiaigera Hibtrauen. Die einen wufsten nicht recht, wie das Ding anzufassen
sei, die anderen glaubten durch ihre wissenschaftliche Vorbildung für den
Lehrberuf hinlänglich ausgerüstet zu sein. Es war und ist auch wohl heute
nach das bequeme Vorurteil rege, dafs die philosophische Vorschuluog, die
wiaaenschaltliehe Methode des Studiums und die Gelegenheit und Übung des
Unterrichts hinreiche, um einen brauchbaren höheren Lehrer zu erzeugen.
Wir machten jedesmal zu Anfang eines neuen Jahres die Erfahrung, dafs
die jungen Leute trotz aller Kollegien, die sie auf der Universität über
Pädagogik gehört hatten, in der Regel nicht darauf gefafst waren, in der
Scialmeisterei eine Kunst zu finden, deren Technik mit einiger Selbst-
iberwiaduag und Mühe von den ersten Anfängen zu erlern eu sei. Sie waren
15*
228 Zar Seminarfra (^e,
höchlich verwundert, dafs von ihnen keine Referate aber profunde wi«B«n-
schaftliche Themata, sondern über die einfachsten Schulfrag;en verlang
wurden. Meist währt es gerttume Zeit und fordert selbst einigen Druck
heraus, den Kandidaten eine gewisse akademische Überhebnng zn nehmen,
sie in die kleinlich scheinende Praxis unterzutauchen und Verständnis ood
Geschmack für die persönliche Darstellung des Lehrers vor der unteren
Klasse zu erwecken. Zur Eotschuldigaog für sie mag dienen, dafs kaum io
einem anderen Berufe das Vorstudium mit der Praxis io so entferntem Zu-
sammenhange steht.
Ein besonderer Vorzug der Instruktion besteht darin, dafs sie sich mit
allgemeinen Direktiven begnügt and den betrauten Lehrern in der AusrdhroDg
ziemlich freien Spielraum läfst. Freilich wird die nächste Folge sein, dafs
die Auflassung der „Ordnung*^ nicht überall dieselbe ist und daher die Wege,
um ihr nachzukommen, gar sehr auseinandergehen. Hier lehnt man sich
vielleicht an eines der gangbaren Lehrbücher der Pädagogik an und glaubt,
mit seiner eingehenden gemeinsamen Lektüre, illustriert und belegt durch
Muster- und Probelektionen, der Anleitung eine genügend feste und breite
Basis zu geben; dort versucht der Dirigent aus der allmählich gesteigerten
und umfangreicheren Obung heraus die methodischen Grundlagen in der Be-
sprechung selbst finden, formulieren uud zusammenstellen zu lassen; am
dritten Orte endlich wird weniger Wert auf die Oberlieferung eines ge-
schlossenen Systems gelegt als auf reichhaltige Anschauung und intensive
Obung, auf selbständig erworbenes Urteil über methodische und sachliche
Fragen, wobei die vorhandenen Lehrbücher mehr zum gelegentlichen Nach-
schlagen und Vergleichen dienen. Anderswo mag das Verfahren ein noch
anderes sein. Diese Freiheit, die den Seminarlehrern in der Ausführung der
Bestimmungen beUssen ist, hat nun zwar den Nachteil, dafs die Ausbildaog
der Kandidaten sich verschieden gestaltet, dafs nicht allenthalben im Durch-
schnitt dieselben Resultate erreicht, dieselben Lehrpotenzen ins Probejahr
und weiterhin ins Amt geschickt werden. Der natürliche Gang der Dingo
wird jedoch durch Abwägen, Vergleichen, Anlehnen mehr und mehr ein einheit-
liches Verfahren herausbilden. Dazu wirken auch die neueren ministeriellen
Verfügungen mit, wonach die Protokolle der Seminarverhandlungen inner-
halb der Provinz ausgetauscht und die Seminare selbst möglichst lange bei
den einmal ausgewählten Anstalten verbleiben sollen. Die erstere Bestim-
mung verbürgt gegenseitige Anregung, Belehrung und Klärung, die zweite
die einer reifenden Erfahrung notwendige Stetigkeit.
Anfangs besorgte man, dafs die Seminare aus Kandidaten derselben
oder doch verwandter Fakultäten zusammengesetzt sein wurden. Das Ge-
schäft der Ausbildung wäre dadurch ohne Zweifel erleichtert worden, aber
zugleich eine verhängnisvolle Einseitigkeit grofs gezogen. Zum Glück bat
sich diese Befürchtung nicht bestätigt: soweit die Verhältnisse es gestatten
und mein Wissen reicht, sind im Seminar die verschiedensten „Lehr-
berähigungen'^ vereinigt. Die angehenden Lehrer werden sofort gewöhnt,
sich in der Gemeinschaft des praktischen Berufs zusammen zuschliefsen, statt
nach der Verschiedenheit der speziellen Fächer auseinanderzugehen. Sie
lernen den Beitrag anderer Disziplinen kennen und schätzen, die Bedeutung
und Aufgabe der eigenen schärfer erfassen, sich bescheiden, gegenseitig
stützen und in die Hände arbeiten. So wird die rechte, sozusagen persönlich
von 0. Vogel. 229
«■enogene Konzentratioo des Unterrichts angebahnt, wirksamer als alle
späteren firwägnngen nnd Vorschlage in Konferenzen und Programmen. Nicht
Bor, dafs die Kandidaten im Seminar Urteil and Einblick in die Ziele, Zwecke
ond Leistungen samtlicher, anch ^dnrch Ihresgleichen vertretenen Fächer
erhalten: ganz besonders trägt znr pädagogischen Erziehung bei die An-
regung, welche sie selber unter sich in freier Aussprache, in ihren durch
keine Autoritäten gestörten Auseinandersetzungen und Disputen geben. Es
kann wohl sein, dafs sie dabei ebensoviel lernen als ans mancher offiziellen
»Besprechung*'.
Nur wer die Notwendigkeit jeder straffen organisierten praktischen
Vorbildung leugnet, sei es von dem ideal schillernden Standpunkt aus, dafs
die freie Lehrkunst eben selbst nicht gelehrt werden könne — „wer Geist
hat, wird Geist wecken'* — , oder in dem selbstgefälligen Bewofstsein, dafs
es doch früher auch ohne das sehr gut gegangen sei, wird den ungemeinen
Vorzug verkennen, mit dem jetzt die jungen Lehrer vor die Klasse treten.
Sie wissen sich zu bewegen, die Schüler anzufassen, den Lehrstoff zurecht-
zulegen und dem jeweiligen Verständnis anzupassen, methodisch Rat zu
finden y fordernde Fragen zu stellen und auch disziplinarisch die gröbsten
Mifsgriffe zu vermeiden. Natürlich sind und bleiben sie vor der Hand An-
fänger, und nichts wäre für sie geHihrlicher als die Einbildung, nach
einem Jahre tastenden Versnches der Sache Meister zu sein, eine Einbildung,
die übrigens die rauhe V^irklichkeit ihnen bald benimmt. Ein weiterer Vor-
zug, den die „Ordnung** allerdings nicht ausdrücklich in Aussicht stellt,
dessen Mitgabe aber kein Semioardirigent versäumen wird, ist die Richtung
auf die allgemeinen ethischen und phychologischen Grundlagen der Erziehung
nad des Unterriehts, in denen jedes Fach gleichmäfsig seine Voraussetzungen
und seine Mittel findet nnd in die es mit seinem menschlich bildenden Er-
folge wieder einmunden soll. Das noch empfängliche Gemüt mit seinen
jugendlichen Idealen ist hierfür jungfräulicher finden und das praktisch ge-
weckte Interesse die beste Schutzwehr gegen späteres Philister- und Banausen-
tuB, auch wenn die Erfahrung manche Illusion zerstört. lu Summa: wir
älteren Lehrer können die jungen Kollegen nur beneiden, dafs uns auch nicht
annaherud eine solche Anleitung zuteil geworden ist. Sie hätte uns nnd
anseren Schülern vieles an Zeit, Ärger, Mifserfolgen und üblen Angewohn-
heiten erspart
Man wird den bisherigen Ausführungen das Zugeständnis nicht ver-
sagen wollen, dafs sie gern und unbefangen alle Vorteile der bestehenden
Seminar - Einrichtung aufzählen nhd anerkennen , und ungeduldig die Frage
stellen: wenn sich die Einrichtung so trefflich bewährt und wirklich alles
leistet, was von ihr gerühmt wird, wo fehlt's da noch? wozu und wie eine
„faadamentale Wandlung** vornehmen?
Jedenfalls ist mit dem Seminar, sowie es ist, ein positiver Anfang ge-
geben, der die treibende Kraft weiterer Entwickeluog in sich trägt. Die
Staatsbehörde wird selbst nicht der Meinung sein, mit dieser überaus dankens-
werten uad a priori wohlerwogenen Organisation das endgültig Richtige ge-
treffen zu haben. Beginnen wir mit den Bedenken oder Ausstellungen, welche
weniger ins Gewicht fallen und am Ende auch unter den gegenwärtigen Ver-
haltaissen beseitigt werden könnten.
1. Die Instruktion setzt für die Kandidaten ein Vierteljahr des Hos-
230 Zar Semiuarfraf^e,
pitierens an, ohoe sie zam Uoterricht zuzulassen. Dieser Zeitraum der
blofseo Rezeptivität ist sicher zu laof^. Erstlich wirkt das An-
hören selbst der interessantesten Lektionen auf die Dauer abspannend und
ermüdend, dann begehrt der jugendliche Drang sich baldigst zu bethätigen,
und endlich entbehren die Besprechungen so lange des konkreten Ver-
ständnisses, als nicht eine eigene, wenn auch nur sozusagen vorläufige Er-
fahrung mitspricht.
2. Die durch die Ordnung verlangte schriftliche Vorbereitung auf
jede Lehrstunde erreicht leicht entweder zu viel oder zu wenig. Geht
diese Vorbereitung sehr ins Einzelne, so ist der Lehrende so gebunden und
befangen, dafs er wider sein besseres Wissen und Wollen im Augenblick
zum Richtigen nicht zu greifen wagt, falls seine Voraussetzungen, was doch
oft der Fall sein wird, nicht zutreffen. Ist sie allgemein gehalten, so ge-
währt sie weder dem Unterrichtenden noch der Kritik rechten Anhalt. Zu
Anfang mag die schriftliche Vorbereitung auf die Versuchsstunde wohl nütz-
lich sein; bald bietet bessere Übung die ausführliche schriftliche Bearbeitung
derselben Lehraufgabe in Frage und Antwort, von allen Seminaristen durch-
geführt und gegenseitig beurteilt, auch wenn das Thema nicht in das spezielle
Fach fallt. Es stellte sich bisweilen heraus, dafs der Fachgelehrte nicht
immer auch die beste Methode befolgt und von Laien noch manches lernen
kann. Von Beginn des zweiten Semesters an scheint die Führung eines
pädagogischen Tagebuchs am besten den praktischen Lehrversuchen
Halt und Znsammenhang zu geben. Ein solches Tagebuch hat besonders
folgende Punkte zu berücksichtigen: die Znrechtlegung des Pensums zu jeder
Lektion, die spezielle Durchführung, die Angabe der Methode, den firfolg,
bezw. Mifserfolg, Ursachen des letzteren, die Aufmerksamkeit der Schiller,
die Disziplin, Beurteilnng und Behandlung einzelner anormaler Schüler —
sonstige Vorkommnisse und Wahrnehmungen, Vorsätze, Zweifel, Bedenken n. a.
Diese Einrichtung hat sich nach meiner Erfahrnog vorzüglich bewährt. Das
Tagebuch nötigt den Verfasser zu stetiger Selbstkontrolle, giebt seiner Tbätig-
keit durch gleichmäfsigen Rück- und Vorblick Zusammenhang, seiner Er-
fahrung Klärung, seinem Streben bewufstes Ziel. Die schriftliche Fixierung
zwingt eben Beobachtung und Urteil zu gröfserer Ausgiebigkeit und Schärfe.
Die anfängliche Befürchtung, dafs das Tagebuch zu Schönfärberei und Selbst-
bespiegelung führen könnte, ist nirgends eingetroffen. Die meisten Kandidaten
haben es mit grol'sem Interesse an der Sache und ernstlicher, auch erfolg-
reicher Arbeit an sich selbst geschrieben. Andererseits gewinnt der Seminar-
lehrer, dem allein der Einblick in das Tagebuch freisteht, einen oft öber-
raschenden Einblick in das pädagogische Wollen und Können des Verfassers
und tritt mit ihm in eine Art Privatverhältnis, welches ihn befähigt, Zweifel,
Mifsgriffe, schiefe Urteile zu beseitigen und mit vertraulicher Mahnaog ond
Rat nachzuhelfen.
3 Die Kandidaten werden nicht vollauf beschäftigt. Es ist ja nicht
schwer, mit Hospitieren und häuslichen Arbeiten ihre Zeit reichlich io An-
spruch zu nehmen; aber der Nutzen des Hospitierens hat doch auch seiue
Grenzen, die Arbeiten nehmen den Besprechungen viel Zeit und belasten
durch die notwendige Kontrolle die Seminarlehrer noch mehr. Die eigent-
lich praktische Ausbildung, die ßethätigung im lebendigen Unterricht, kommt
nicht zu ihrem Rechte. Man l<»hrt die jungen Leute wohl am Gerät schwimmen^
von O. \oge\. 231
aber nicht im vollen Strom sieb über Wasser halten; man läfst sie neben-
her traben, statt sie in das Getriebe intensiver BerufsthÜtie^keit zu spannen,
ia dem auch der Anfänger, oder gerade er, gehen lernen sollte. Drei bis
vier Standen wöchentlichen fJnterrichts am Schlafs des Jahres in weit
aoseinanderliegenden Lektionen sind mehr blofses Tasten als Arbeit und
Eitschalang.
Sollten sich, wie voraosznsehen ist, gegen die Mehrbeschäftignog der
Kandidaten Bedenken erbeben and der bisherige Usus vorgezogen werden, so
begegnen wir im Folgenden Schwierigkeiten, die sich unabweisbar geltend
■achen, and denen bei der bestehenden Einrichlong nicht abzuhelfen ist.
4. Die durch die Übungslektionen der Kandidaten herbeigeführten Unter-
breehungea wirken auf Gang nnd Ergebnisse des regalären Unterrichts höchst
aaehteilig ein. Selbst wenn der Kandidat das Pensum ziemlich geschickt
weiterführt, so lenken doch die neue Persönlichkeit, sei es auch, dafs sie
nur als Stern fünfter oder sechster Gröfse am Schülerhimmel aufgeht, die
zahlreiche Begleitung, die neue Methode, die Unsicherheit in der Behand-
lung der Schüler die letzteren so ab, dafs es um ihre Besinnung und Samm-
Inng meist geschehen ist und das Erträgnis der Lektion erst hinterher
vom ordentlichen Lehrer gesichert werden mufs. Wird nun gar am Ende
des Jahres, besonders beim Osterkursus, dem Kandidaten eine umfangreichere
und selbständigere Lehraufgabe gestellt, so kann es sich wohl ereignen, dafs
itr betreifende Lehrer gegen diesen Ersatz protestiert, da er die Verant-
wortlichkeit für den Erfolg, die Versetzungsreife seiner Schüler, zu tragen
habe. Kleinere Anstalten, die den Vorzug bieten, dafs die Seminaristen mit
den eiazeloen Klassen und Schülern vertraut werden, können die stete Er-
sebütterang des Lebrbodens und den Wechsel der Lehrindividuen auf die
Daner nicht ertragen, während gröfsere Anstalten zwar von diesem Mifs-
stand weniger betroffen werden, dafür aber die jungen Lehrer schwer heimisch
werden lassen, indem sie ihnen nur Klasseotypen vorführen, statt Gelegen-
heit za geben, einzelne Schüler beobachten, beurteilen und behandeln zu
lernen.
5. Die Bestimmung, dafs bei jeder Lektion der Kandidaten der Dirigent
oder ein beauftragter Lehrer zugegen sein soll, ist ohne schwere Schädigung
des regalären Unterrichts nicht durchfuhrbar. Soll die Lektion, wie doch
veraasgesetzt werden mufs, in die planmäfsige Stande fallen, so kollidiert sie
aar zu oft mit den Lehrstundeo der Seminarlehrer, nötigt zur Verschiebung
nad schafft auch hier Unruhe und Störung. Soll ferner der Dirigent ein
selbsigewonnenes Urteil ^ber die Schlufsle istungen der Kandidaten abgeben,
das Urteil der Seminarlehrer aus eigener Erfahrung bestätigen, wie doch
seine Pflieht ist, so steigert sich seine Arbeit um 6 — ]0 Stunden wöchentlich,
die Besprechungen einbegriffen: eine Mehrleistung, deren Aufwand seiner
sonstigen amtlichen Tbätigkeit, zum Teil wenigstens, abgebrochen werden
■afs. Dieser Obelstand macht sieh, nicht zum Vorteile der ihm anvertrauten
Anstalt, besonders dann fühlbar, wenn der Schlafs des Seminarjahres mit
dem Schlafs des Schaljahres zusammenfällt, also zu Ostern, wo Versetzungs-
aad andere Geschäfte Zeit und Kraft des Direktors in erhöhten Anspruch
nehmen. Endlich erscheint jene Vorschrift durchgehender Beaufsichtigung
nA im Interesse der Kandidaten selbst wenig zweckmäfsig. Sie haben so-
zosagea ein menschliches Recht auf eine gewisse Freiheit der Bewegung.
232 Zar Semioarfrafl^e,
Sie müssen lernea aaf eifpenea Füfsea stehen, die volle Veraatwortlichkeit
übernehmeD, ihr p'adafpoglsches Vermb'g^en anbedrückt von dem oaehsichtigeo
Wohlwollen der Lehrer ood nnbemiikeU von merkendea Genossen erproben.
Aus Gründen, die schon vorhin angedeutet sind, kann die Schale eine solche
Dressur in Freiheit — man verzeihe den hippologischen Ausdruck — in dem
erforderlichen Mafse nicht g^ewähren.
Aber dafür ist ja das Probejahr da! Das Probejahr ist, beiläufig ge-
sagt, ein recht wunder Punkt. Die wenigsten Herren Direktoren haben eine
Vorstellung davon, was das Seminar leisten soll and im annähernden Grade
auch wirklich leistet. Sie behandeln die sog. Probekandidateo nach alter
Weise als ganz unerfahrene Neulinge, lassen sie wiederum wochenlang hos-
pitieren, versehen sie mit gelegentlichen elementaren Belehrungen, über-
lassen sie im übrigen sich selbst und entlassen sie am Schlnfa mit wohl-
wollendem Zeugnis. Die Kandidaten selbst führen mit ihrer geringen Stunden-
zahl nach der verhältnismäfsig straffen Arbeit im Seminar ein bequemes Da-
sein und finden kaum Gelegenheit, ihre Erfahrung in weiterer geordneter
Anleitung zu befestigen und zu vertiefen. Der Hauptvorteil, den das Probe-
jahr bringt, ist bei der herrschenden Misere die Möglichkeit, durch Privat-
stunden den Lebensunterhalt zu sichern. Item: das Probejahr in der jetzigen
Handhabung stellt eher eine Hemmung, einen Rücklauf, einen unnötigen Zeit-
aufwand dar. Ich bitte ausdrücklich um Wiederlegung dieser scharfen
Äufserungen. Sollten die Ausnahmen wirklich überwiegen, so bin ich zum
Widerruf gern erbötig.
Die angegebenen Mifsstände und Mängel des Seminarjahres lassen sich
in der Hauptsache auf zwei Punkte zurückführen. So richtig es war, die
Vorbildung der Lehrer nicht der Universität, sondern der Schule anzavar-
trauen, so geraten doch bei der bestehenden Einrichtung die Aufgaben und
Interessen beider Anstalten in solchen Widerstreit, dafs sie sich gegenseitig
empfindlich gefährden. Namentlich ist die Schule auf die Daner nicht im
Stande, das in sie gelegte fremde Ei zu hegen, ohne der eigenen Brut Zeit
und Kraft zn entziehen. Zweitens nutzt das Seminarjahr weder die Arbeits-
kraft der Kandidaten noch die Gelegenheit aus, um sie zu dem zu machen,
was sie werden könnten und müfsten. Die Anzahl der Probelektionen, Um-
fang und Bedeutung der behandelten Pensen reichen weder zur Befestigung
in der Methode, noch zur Gewöhnung sicheren Auftretens und selbständiger
Verantwortlichkeit aus. Es liegt auf der Hand, dafs die Hebung des einen Obel-
standes den andern nur verschärft. So weist das Conto des bisherigen Versoclis,
die Vorbildungsfrage praktisch zu regeln, im Verhältnis zum Aufwände, den
sowohl der Staat wie die Kandidaten machen, ein bedenkliches Manco aaf.
Aber was soll geschehen? Um sogleich und kurz die Antwort zu
geben: Das Seminar für höhere Schulen wird seinen Zweck erat
ganz erfüllen, wenn es nach dem Vorbilde der Sehnllehrer-
Seminare mit einer in seinen Diensten stehenden Übunga-
schule verbunden ist. Der Gedanke an sich ist keineswegs neu, aber
bisher noch nicht mit Bestimmtheit und Nachdruck ausgesprochen. Haupt-
sächlich scheint die Schwierigkeit der Organisation und die Furcht, dafs die
Schüler in den Händen unerfahrener Pädagogen Schaden leiden könnten^ zu*
rückzuschrecken. Und doch sind diese Hindernisse, wenn man sie nur
ücharf ins Auge fafst, keineswegs unübersteiglich. Wenn ich im Folgeodeo
voDO.Vojel. 233
die GrvadzQge der Orgaoisatioo entwerfe nod diejenig^ea EinwSode za eot-
krüfteB svehe, welche sieb sofort aofdrängeo, so bio ich mir wohl bewafst,
dals noch weitere Sehwierigkeiteo zn beheben bleiben, die deshalb nicht ge-
ringer sind, dafs sie sich dem ersten Blick verbergen.
Seminar nebst Obungsschale sind in gröfsere Städte zn verlegen, wo
sich verschiedene Arten höherer Schulen befinden. Als Lehrer fangieren
der Dirigent mit einem Stabe von etwa vier Lehrern, welche verschiedene
Fächer vertreten. Die Anzahl der Seminaristen mag sich aaf zwanzig oder
vtni^ mehr belaafen. Woher die Schüler nehmen? Wenn ich vorschlage,
das Material aas den Preisehölern und solchen za bilden, welche sich am
Sehnlgeldbefreinng bewerben, so wird sofort der Einspruch lant, dafs dies
S^&ler zweiter Ordnung schaffen, die Seminarschüler za Versachsobjekten
herabsetzen und ihre Aasbildang dorcb anerfahrene Anfiinger verpfuschen
hiefse. Der Binwand entbehrt nicht jeder Berechtigung, ist jedoch nicht so
darehsehlagendy wie er sich anhört.
Zar EinfHhrang in die eigentliche Unterrichtstechnik und zur Grand-
legang in der Methode braucht die Obungsschale nur aus unteren und mitt-
leren Klassen za bestehen. Um auch mit dem Unterricht in den oberen
Klaaseo, dessen Erfordernisse schon weniger durch Oberlieferaog erlernbar
sind, bekannt zn maehen, genügt für die Kandidaten das Hospitieren bei ge-
schickten Lehrern der vorhandenen höheren Lehranstalten nebst einigen dort
abzohaltenden Versuchslektionen.
Die Seminarscholer gehen nach vorschriftsmafsig bestandener Absehlufs-
prifaag io die höheren Klassen der von ihnen gewählten Vollanstalten über.
Verlaaaen sie nach der Abschlufsprüfung die Schale überhaupt, so wird
niemaBd ihnen den Vorwarf machen, dafs sie Seminarschüler gewesen sind;
gehen sie weiter, so haben sie zu zeigen, dafs ihre Vorbildung sie voll-
kommea befähigt, mit den übrigen Schülern gleichen Schritt zu halten. Aber
das ist ja eben der Punkt, wird man sagen, wo es hapert l Werden solche
Schaler die Abschlufsprüfung innerhalb der ausgeworfenen Zeit überhaupt
bestehen? Können die undisziplinierten „Lehrkräfte^* des Seminars dieselben
Erfolge erreichen, wie die alten gedienten Lehrer der regulären Schule?
Der Beweis dafür läfst sich auf dem Papier allerdings schwer fuhren.
Wenn ich mich zn der Meinung bekenne, dafs die Seminarschule
ceteris paribus, d. h. namentlich gleiche Veranlagung der Schüler voraos-
geaetzt, mit ihren Leistungen nicht hinter dem Durchschnitt anderer Schüler
lorickzastehen braucht, und nicht anstehen würde, im Ernstfalle für diese
Behanptong persönliche Bürgschaft zu übernehmen, so mag das unüberlegt
Bad anmafslich genug klingen. Und doch bin ich — man verzeihe die
wiederholte, unbescheidene, aber leider unumgängliche Anweodong der 1. Pers.
Siig. — doch bin ich ebensoweit von einer Überschätzung meiner eigenen
tidaktischen Befähigung als von der Unterschätzuog der Wirksamkeit des
•rdeatlichen Lehramts entfernt.
Noch mehr. Unter Voraussetzung der vorgeschlagenen Organisation
Um die gesamte Vorhereitnngszeit der Kandidaten, welche jetzt auf zwei
ithrc bemessen ist, auf drei Semester beschränkt werden und doch un-
gleich günstigere Resultate reifen. Im ersten Semester werden die Neulinge
trieatiert, eingewiesen und vorgeobt, in den beiden letzten Semestern haben
üt Kandidaten dagegen regulären, zosammenhängenden Unterricht za er-
234 Zoi* Semioarfrage, von O. Vogel
teileu. Im letzten Semester bildet sich schon eine Anzahl zaverlässiger
„Stützen'^ heran, die mit dem Ordinariat betraut werden können und deren
erziehlicher Einflufs auf ihre jüngeren Kollegen sicher nicht zu uoterschätzen
ist. Die Zahl der wöchentlichen Unterrichtsstunden im letzten Jahre beträgt
mindestens zwölf, was mit dem immer noch fortzusetzenden [lospitieren, Be-
sprechungen, Konferenzen, Referaten und Schlufsarbeiten eine ausreichende
Summe intensiver Arbeit nnd energischer Förderung abgiebt. Genügen Be-
fähigung und Leistungen eines Kandidaten nicht, so tritt entweder Wechsel
ein, oder der beaufsichtigende Lehrer übernimmt selbst den Unterricht
Freilich, der vorhin beklagte Übelstand, dafs durch den häu6gen Wechsel
der Lehrer der Unterricht gelähmt oder ins Schwanken gebracht werde,
bleibt bei der Seminarschule in erhöhtem Mafse, wie es scheint, bestehen.
Es giebt jedoch ein Mittel, um diesen Mifsstand , wenn auch nicht zu be-
seitigen, so doch in seinen üblen Folgen zu mildern. Jedem Seminaristen
wird nämlich als Tutor eine gewisse Anzahl von Schülern aus verschiedenen
Klassen zuerteilt, deren Verhalten und Fortschritte er zu fiberwachen hat.
Auch aufserhalb der Schule ist er verpflichtet den häuslichen Fleifs zn kon-
trollieren, wenn nötig, einige Nachhülfe zu gewähren, kurz ihrer sich in
schul väterlicher Weise anzunehmen. In den Konferenzen berichtet er über
seine Totelaren und vertritt sie überall nach bestem Vermögen. Diese Ein-
richtung scheint für beide Teile gleich nützlich. Während der Seminarist
verschiedene Schülernaturen kennen und behandeln, ihnen menschlich nahe
treten, das Vermögen der Altersstufen abschätzen, Mafs und Art der häus-
lichen Arbeit beurteilen, und — was besonders wichtig ist und dem Lehrer
sonst nnr spät in dem Falle ermöglicht wird, wo eigene Söhne die AbsUU
besuchen — die Schule in Ansprüchen und Leistung auch von aufseo an-
sehen lernt, gewährt er seinen Pflegebefohlenen, die aulserhalb der Schule der
Anleitung und Anregung in der Regel entbehren werden, persönlichen An-
halt und geistige Förderung. Diese erzieherische Bethätigungp der
Kandidaten, welche durch die Seminarschole geboten wird, wäre ein sehr
wesentlicher Vorzug, der manche sonstige Mängel aufwiegt.
Die Klassen der Seminarschule teilen sich von der Untertertia ao in
gymnasiale und reale. Dem Dirigenten steht es frei, je nach Befinden and
Bedarf, Parallelcöten zu sondern oder, etwa zur Übung in der Beherrschung
gröfserer Schülermassen, solche wieder zusammenzulegen. Wie denn über-
haupt bei der Lockerheit des Gefüges manche didaktischen Ver-
suche angestellt werden können, welche sich in der regulären Sehnte
von selbst verbieten.
Berücksichtigen wir, dafs der Unterricht in der Seminarschule straf-
ferer Direktion, eingehenderer Beaufsichtigung nnd durchgreifenderer Korrektor
unterliegt, als an anderen Schulen möglich ist, dafs daran auch bewährte
Lehrer mitwirken und fast jeder Schüler, besonders aber die schwächereo,
sich individueller Fürsorge erfreuen, so wird die Behauptung, dafs er sehr
wohl das leisten kann, was von einer entsprechenden höheren Schale ver-
langt wird, nicht zu gewagt erscheinen.
Perleberg. 0. Vogel.
J
LatiDog^ermsDismeD, von O.Storch. 235
LatinogermanismeD.
Mit obigem Ausdruck bezeichoe ich diejenigeo GermaDismcD, io deren
VersehnHang sich die fremde wie die Muttersprache gewissermafsen teilen.
Dadarch oämlich, dafs das Latein Jahrhunderte lang die Sprache a]]er Ge-
bildeten war, haben sieb eine Masse spät- oder gar neulateinischer Vokabeln
und Phrasen, wie in anderen Sprachen, so auch im Deutschen eingebürgert,
die im klassischen Latein entweder gar nicht oder doch in anderer ßeden-
toag vorkommen, so dafs mau nicht berechtigt ist, sie ins Latein zurückzu-
ibertragen. Diese Latinogermanismen zerfallen in solche Wendungen, die
vir mit lateinischem Wortlaut beibehalteu und im Monde führen, und io
solche einzelne Worter, die wir germanisiert, d.h. mit deutscher Flexion
versehen haben; manche der letzteren sind uns so in Fleisch und Blut über-
gegangen, dafs wir dabei das Bewnfstsein ihrer Herkunft ans der fremden
Sprache fast eingebüfst haben ; einige unterscheiden sich , aufser durch die
dentsche Flexion, nur durch den Zusatz einer Präposition von den ent-
sprcehenden Ausdrücken des klassischen Latein, andere wiederum weichen
nur im Numerus, noch andere nur in der Konstruktion von den richtigen
lateinischen Vokabeln ab; jedoch sind dies alles nur Ausnahmen: der über-
wiegenden Mehrzahl nach wird die folgende Obersicht, die zum gröfsten Teil
der Schulpraxis entnommen ist, solche Ausdrucke enthalten, die im guten
Latein einer durchaus abweichenden Wiedergabe bedürfen. Ich beginne mit
desjenigen Wendungen, die wir lateinisch im Munde führen, unter Bei-
fügung der richtigen lateinischen fJbersetzung, und reihe daran diejenigen
ans dem Lateinischen stammenden Adverbia, Adjektiva, Verba und Snbstan-
tiva, vor denen ein in klassischem Latein abzufassendes Skriptum sich zu
hiten hat, in alphabetischer Reihenfolge. Selbstverständlich macht meine
Aafzühlung auf auch nur annähernde Vollständigkeit nicht die geringsten
Ansprache.
L ffo/eiu vo/eftf (etwas thun): richtig invüus'^ pro und contra (sprechen):
r. tff itiramque pariem; verbotenus (etwas aufsagen): r. adverbum oder wer-
tem ex verbog proforma: r. spedei causa; inabsentia (jemanden verurteilen):
r abtetUeni'^ ad oculos (jemandem etwas demonstrieren): r. plane oder
a?wrfe; post festum (kommen): r. sero; praeter propter (bei Zahlbegriffen):
r. dreüer oder/ere; iunior und senior nach einem Familiennamen: r. fiUus
nad pater\ terminus technicus: r. vox sollemnis oder artis vocabukitn; ho-
noris causa: r. officii causa; in flagranti (jemanden ertappen): r. in facinore
ipso oder in manifesto; ex tempore (sprechen): r. subäo; pro domo (sprechen) :
r. sua causa; praemanerando (zahlen): r. antea; composita (Verba): r. con-
imtda; ad Ubiium (sprechen): r. ut libet, ad libidinem, arbitratu suo; alias
(bei HInzufugong eines Nebennamens zu einem Familiennamen): r. alio no-
anwe; vice versa («»umgekehrt): r. vicissim oder rursus; nomen proprium:
r. blofs nomen; brevi manu (etwas beantworten): r. breviter.
n. a) korrekt (sprechen): richtig reiste; strikt (befolgen): r. diligenter
oder religiöse; snceessiv (sich nähern): r. sensim,
b) abstrakt: richtig infinittiSy universus; civil (in der Zusammensetzung
Gvilprozefs) : r. {causa) privata; direkt (d. Rede): r. (oratio) recta; degene-
236 LatiDogermanisnen,
riert: r. qui d^g^erauit; diskret: r. urbanus; disponiert (gut oder schlecht):
r. 1) affectuM («= gestimmt), 2) divisus («» eiogeteilt); diverse: r. muHi,
.complures; emaozipiert: r. nimis liberi extraordinär: r, smgularis, eagimius,
insignUf unieui] famos: r. praeclarut; fatal: r. tniser, trUtü, lugvbriSf in^
fdue; fidel: r. hilarü, laetu*; historisch (h. Treae): r. kistoriae (fides); in-
diskret: r. inurbamUy ineptus, inhwnanuM, rtuticus; inspiriert: r. numme
(spiritu) divino afftatut {inHmeitui)\ intakt: r. inieger, sospeM^ ineoUtmU\
intim (bei Personen): r. familiaris; kardinal (z. B. Kardinaltn(^end): r. summa
{ofrius); klassisch: r, optimtu, praesiantistimtu \ konfSderiert: r. foederatus^
socius; konkret: r. definihts, proprüUy eertus^ konsequent: r. consUms; kri-
minal (s. Prozefs): r. (causa) publica; knrios: r. mirificuSy memorabiUs;
miserabel: r. contemnendu^ (homo); moralisch (z. B. Haadlnng): r. himestus;
natürlich: r. 1) amsentaneum (eiQ, 2) z. B. mors necessaria; negativ: r.
neg^ans; neutral: r.medius; nobel (z. B. Gesinnung): r. honestus, gmerosus\
ordinär: r. vulgaris , tritus^ cUidiamu; orientalisch: r. ad orieniem vergens\
populär: r. civilis; positiv: r. a/firmans; revolutionär: r. seditiosus, nova-
rum rentm cupidus; solide (z. B. Lebensweise): r. integer, honestus, fru-
galis; sozial (z. B. Leben): r. {vitae) societas; stnpende Gelehrsamkeit: r.
admiranda dodrina; trivial: r. vulgaris, trüus, eof^ui/rtfi (ebenso : vulgär);
universal: r. generalis, universus,
c) acquirieren: r. eomparare; applaudieren: r. plaudere; attestieren:
r. testari, conßnnare; deklamieren: r. pronuntütre; disputieren: r. eonten-
dere, altercari; excerpieren (ein Buch): r. ex libro exeerpere; existieren: r.
esse; expedieren: r. asportare; exponieren (sich): r. (se) opponere; extempo-
rieren: r. sidrt'to vertere, dicere; florieren: r. v^ere; ignorieren: r.neglegere^
contemnere; imponieren: r. admirationi esse; inspizieren: r. specuJÜtri, ea>-
plorare; instruieren: r. docere, eerOorem facere; insnrgieren: r. solUciiare;
interpellieren: r. alloqui, increpare; involvieren: r. eontinere, oompledi, ha--
bere; kalkulieren: r. eomputare; kollidieren: r. repugnare, pugnare cum;
komponieren: r. modos facere; kondolieren: r. dolorem suum testari; kon-
kurrieren: r. coniendere; konspirieren: r. coniurare; koordinieren: r. ad"
lungere; korrespondieren: r. 1) per Utteras colloqui, Utteras seribere et acei"
pere, 2) convenire und congruere cum, respondere alicui; kurieren: r. mederij
sonore; molestieren: r. incommodare; monieren (etwas): r. notare, vitupe--
rare ; numerieren : r. ordine expUcare; opponieren : r. adversari; präparieren
(etwas): r. parare, (sich): r. commeniori, medäari; probieren: r. experiri;
produzieren: r. efßcere, gignere, fabricari; proklamieren: r. renwUiare;
prolongieren: r. propagare, prorogare, producere; protegieren: r. patrod-
nari, tueri; protestieren!: r. contra dicere, fldversari, intercedere; provozieren
(jemanden): r. lacessere, (etwas): r. auctorem eise; publizieren: r. edere,
promulgore; reflektieren (auf): r. oppetere, (über): r,r^näare, considerare;
reformieren: r. emendare , eorrigere; regleren (einen Kasus): r. eoniungi
cum; rekognoszieren: r. 1) explorare {ein Terrain), 2) o^oaeere (jemanden) ;
reparieren: r. {clodem, damnum) sarcire; residieren: r. sedem regiam ha-
bere; restaurieren: r. instaurare, reficere; revidieren: r. perquirere, per-
scrutari, explorare; rezensieren: r, existimare de; rezitieren: r, pronunHare;
sekundieren: r. adesse, assentiri, auxiUari, adiuvore ; spekulieren (auf): r.
sperare, (mit): r. quaestum facere ex; studieren: r. diseere, eognoseere; sub-
ordinieren: r. subiungere; taxieren: r. aestimare; triumphieren (über): r.
von 0. Storch. 237
tufmorem ducederey (absolut): r. esesuitare; usurpieren: r. arnpere^ vi
eapere'j zitiereo (eiae Stelle): r. afferre^ commernorare ^ (jemaDden) : r. ar-
tetstrw.
d) Advokat: r. patronus] Äquator: r. eireulus meridianu* ; Affekt: r.
animimotus, eomtnotio, perturbatio] Akt: r. 1) faetunty 2) pars; Assistent:
T. mHutori Andieoz: t, adüus\ Auditorium: r. eoruessusy frequentia; Autor:
r. tcriptor; Autorität (voo Personeo): r. auctor, princeps. Datum: r. dies;
Defekt: r. frausy viUum; Defizit: r. damnutn, deirimentum ; Disposition: r.
1) divitiOf 2) (=» StimmuDf^) affectio animi; Dokument: r. tabula publica,
momtmmdum^ Duell: r. certamen singulare, Effekt: r. vir; Elemente: r.
uidto, semina\ Exemplar: 1) eines Schriftstellers: r. Über, 2) = Musterbild :
r. exempium; Exkurs: r. digressio; Expedition: r. 1) coeptum, inceptutriy
muAus, 2) üer\ Exzefs: r. 1) delictumy peccatumy 2) immoderatio. Fak-
toreo: r. res\ Familie: r. 1) gensy 2) possessivum (z. B. venit cum suis)'y
Pestivitüt: r, dies festus (festtvitas ^^ heilere L^unt); Fragmente: r.reliquiae.
Genie: r. ingemum'y Gestikulation: r. gestus\ Grazie: r. decor. Honorar:
r. merees, stipendium'y Hospiz, Hospital: r. receptaculunty Sanatorium, vale-
tudinarium; Humor: r. lepos, facetiae, urbanitas, Ignorant: r. homo rudis;
ladisposiiioo: r. mala affectio, crudäas; Individuum: r. homo; Instinkt: r. appe-
täusi Institution: r. institutum; Insubordination: r. immodestia; Insurrektion:
r. motus, seditio, tumultus; Intention: r. consilium,^ mensy propositum, animtis,
tülmäas; Interesse: r. Studium-, Introduktion: r. principium, prooemium; lova-
sioo: r. mcursio; Jurisprudenz: r. iuris scientia. Kalender: r. fasti\ Kammer: r.
cendave, eubiculum; Kapazität: r. 1) ingenü vis, inteüeffentia, 2) (konkret)
audor, princeps; Kaution: r. sponsio; Klasse: r. ordo, genus; Kommission:
r. 1) negotium, munus, mandaium, 2) (Vereinigung von Personen) consiliurn;
Konstitution: r. 1) staatlich reipublicae conformatio, 2) körperlich tempe-
ratio y habitus; Konzept: r. scriptum; Kopie: r. exemplum; Korrektur: r.
cmrectio; Kreatur: r. 1) quod procreatur, gignitur, 2) homo, 3) jemands
essentisior; Krone: r, \) insigne regium, 2) bildlich /umeA; Kultur: r, animi
tuUus, kumanitas; Kur: r. curatio. Lektion: r. schola; Linie (= Zeile):
r. versus; Litteratur: r. litterae; Lokal: r. locus, conclave; Luxus (treiben):
r. luxuria. Manuskript: r. scriptum; Matrone: v, anus; Medizin (konkreti):
r. nena^mm; Mode: r. consuetudo; Moment: r. punctum temporis. Nation:
r. gens; Notiz (nehmen): r. ratumem {habere); Nummer: unter Nr. 1:
r. primo loeo. Objekt: r. res; Occideot: r. regio ad occidentem vergens;
Orieot: r. regio ad orientem vergens. Passion: r. 1) per/Mr#rto (das Leiden),
2) eupiditas (die Leidenschaft), Studium (Vorliebe); Person: r. homo; Pest:
r. pestäentia; Pflanze: r. quod gignäur e terra; Pirat: r.praedo (marilimus);
PosHioa: r. locus; Prädikat: r. attributum; Präludium: r. praefprojktsio;
Prisideat: r. praefectus, praepositus; Primat: r. principatus; Prinz: r.regis
fHuSy regulus; Prinzip: r. ratio, institutum; Privileg: r. beneficium, ius
fraecipuum; Produkt: r. quod efficitur, ingenü monumentum, arteficium;
Profession: r. munus, negotium; Prosa: r. oratio soluta; Protektion: r. pa-
treeüdum, iuida, praesidium, defensio; Provinz (ohne Genetiv des Besitzers):
r. regio; Provinzialen: r. socii; Prozefs: r. causa, iudicium; Publikum: r.
fre^ientia, consessus. Qualität: r. natura, proprietas (gute Qualität virtus,
aeUecbte Qualität xntium); Quantität: r. multitudo, numerus. Regel: r. lex,
fneeeptumi Kog^nt: r. rex, dominus; Regiment: r. 1) regnum, dominatio,
238 LatinogermaDismeD, von 0. Storch.
2) legio; Rekonvaleszent : r. qtä convaluit; RemiDiacenz: r. recordatio, me-
moria; Repablik: r. ewä<u libera; Residenz: r. »ede* reß^a; Respekt: r.
verecimdiay obsequium; Revolotioo: r. verum eiviUum conversio, sedUtOf
tumuäus, motus; Rain: r. interüus^ lahe$\ Roineo: r. parietinae, Sektion:
r. pars; Session: r. consessuty conciUum; Skalptar: r,ars fingendi, ars eta-
tuaria; Spektakel: r. tumultut, fremüus; Spekulation : r. quaestus; Statne
(eines Gottes): r. eimulacrum, sigyitem; Studiom (allgemein): r. studio
Uüerarum; Subjekt (von Personen): r. homo; Subordination: r. obsequiumj
modesHa. Temperament: r. animi affedio, temperetio; Temperatur: r. eoeU
temperatio; Termin: r. dies; Text: r. ver^n, oratio , scriptum; Titel: r.
nomeHf inscriptio; Tradition: r. fabula^ narratio^ opinio tradüa; Traktat: r.
foedusj pactum, Universität: r. sedes liUerarum. Vagabund: r. erro, homo
vaffus; Viktualien: r. victus, alimenta, commeatus; Vision: r. visunt^
ostentum, species; Votum (abgeben): r. sententiam {dicere), suffragium (ferre),
Waiden bürg i. Schi. 0. Storch.
VIERTE ABTEILUNG.
EINGESANDTE BÜCHEB.
1. LehmaDn-Hohenberg, Einiges Christentum. Volksschrift
xor ForderiiDg der Bestrebaogeo Bf. v. Egidy's. Heft 5. 121 S. 0,50 M.
2. G. Glode, Die deutsche Interpuoktiouslehre. Die wichtig-
«ten Regeln über die Satz- und Lesezeichen und die Redestriehe, dargestellt
and durch Beispiele erläutert. Leipzig 1893, B. G. Teubner. 33S»kart. 0,30 M.
3. Aasgewählte Balladen Goethes und Schillers. Mit aus-
ührUehen Erläuterungen für den Schulgebrauch und das Privatstndium >'on
J. Heowes. Paderborn 1893, F. Schöningfa. 129 S. IM. — Die Erläu-
teroogeo, auf den gründlichsten Studien berubend| sind für den Schalgebrauch
sehr geeignet.
4. Goethe and Schiller. Beiträge zur Ästhetik der deutschen
Klassiker. Nach seinen an der Universität Berlin gehaltenen Vorträgen
aafgezeiehoet von K. H. v. Stein. Leipzig, Ph. Reclam jun. 127 S. Oj20 M.
5. Dionis Prusaensis, quem vocant Chrysostomum, quae
eztant omnia. Edidit, apparatu critico instruxit J. de Arnim. Vol. L
Berlin 1S93, Weidmannsche Buchhandlung. XL u. 338 S. gr. 8. 14 M.
6. Flaminio Nenzini, Sul proverbio an* ovov {ano x^^Sf
dnb jvfißov) xaianeatlv, Firenze-Roma 1893. 15 S
7. H. Perthes, Lateinisches Lesebuch für die Quinta.
Vierte Auflage von W. Gillhausen. XIV u. 77 S. Dazu H. Perthes,
Granraatiscb-etymologisches Vokabularium. Vierte Auflage von
W. Gillhausen. 107 S. Zusammen 2 M. Berlin 1893, Weidmannsche
Bochhandlang.
8. Ciceronis Cato maior de senectute. Für den Schulgebrauch
heraasgfgeben von Th. Schiebe. Zweite, verbesserte Auflage. Leipzig
1S93, G. Prevtag. XVIII u. 42 S. 0,40 M, geb. 0,70 M. — Im Tejtt ist
die La. an eli Stellen geändert.
9. Edw. Capps, Vitruvius and the Greek stage. Chicago
1893, The University Press of Chicago. 23 S.
10. S. v. Räumer, Die Metapher bei Lukrez. Erlangen 1893,
Th. Bläsings Unxv.-Bachbandlung. 129 S.
11. Lueianus. Recognovit J. Sommerbrodt. Voluminis 11 pars 1.
BerUn 1893, Weidmannsche Buehhandluog. X u. 344 S. 6 M.
12. S. Sepp, Pyrrhoneische Studien (Teil I: Die philosophische
Bichtaog des Cornelias Celsus ; Teil II : Untersuchungen auf dem Gebiete der
Sepsis). Diss. von Erlangen. Freising 1893. 149 S. gr. 8.
13. A. Amend, Ober die Bedeutung von fieigdxtov und AvtI-
uais. Progr. DilHngen 1893. 74 S.
14. F. Rnst, Atalante. Dramatische Dichtung mit Tanz in 3 Auf-
zigen mit einer Vorbemerkung. Kommissionsverlag von P. Schweitzer, Buch-
haadlong in Breslau. XVI o. 55 S. — Die Hauptrolle (Atalante) ist durch
eine Taozerin darzostellen ; es ist vermieden, „ihr auch nur ein einziges
Wart abzofordern''.
240 Eingesandte Büeher.
15. A. Holder, Alt-Celtischer Sprachschatz Vierte Lieferong
(GaraDt-o(n) bis Cintu-smas). Leipzifp 1893 B. G. Teoboer,. Sp. 769— 1024.
16. W. Sauer, Mababharata und Wate. Eine indof^ermanische
Studie. Stuttgart 1893, A. F. Prechter (Wildtsche Buchhandlung). 74 S. 4.
2 M. (Progr. Eberhard-Ludwigs-Gymn.).
17. J. Bauer, A. Englert und Th. Link, Wörterverzeichnis
zu: Französisches Lesebuch von Bauer, fingiert, Link. München, R.Oldenboargf
o. J. 112 S. 1,50 M. — VgL diese Zeitschr. 1890 S. 467 ff.
18. K. Kühn, Kleine französische Schulgrammatik. Zweite
umgearbeitete Auflage. Bielefeld und Leipzig 1893, Velhagen & Riasing.
VIII u. 120 S. geb. 1,30 M. — Vgl. diese Zeitschr. 1892 S. 314.
19. Sandeau, Mademoiselle de la Seigliire. Erklärt von
K.^Kaph engst. Zweite Auflage. Berlin 1893, Weidmannsche Buehhand-
lung. XV n. 148 S. 1 M.
2(1. G. Plötz, Elementarbuch der französischen Sprache.
Ausgabe C (für Realschulen und Oberrealschulen). Berlin 1893, F. A. Herbig.
XVI u. 242 S. 1,80 M.
21. H. K. Stein, Handbuch der Geschichte für die oberen
Klassen der Gymnasien und Realschulen. Zweiter Band: Das Mittelalter.
4. Auflage. 238 S. 1,80 M. Dritter Band: Die neuere Zeit. Vierte Auf-
lage. 324 S. 2,25 M. — Vgl. diese Zeitschr. 1882 S. 378. 1886 S. 296.
1889 S. 624.
22. C. Frenzel und G. Wende, Deutschlands Kolooieen.
Kurze Beschreibong von Land und Leuten unserer anfserenropäischen Be-
sitzungen. Nach den neuesten Quellen bearbeitet. Dritte, vermehrte Auf-
lage. Hannover 1893, C. Meyer (G. Prior). 180 S. kart 3 M. — Vgl.
diese Zeitschr. 1889 S. 490.
23. E. DÜDzelmann, Das römische Strafsennetz in Nord-
deutschland. Mit 3 Karten. Leipzig 1893, B. G. Teubner. (S. A. aus
dem 20. Suppl.-B. der Jahrb. f. klass. Phil.) 60 S. 2 M.
24. A. Schaeffer, Der geometrische Unterricht auf psycho-
logischer Grundlage. Progr. Strafsburg 1893. 28 S. 4.
25. E. Bardey, Algebraische Gleichugen nebst den Resultaten
und den Methoden zu ihrer Auflösung. Vierte Auflage. Leipzig 1893, B. G.
Teubner. XI u. 378 S. 6 M.
26. M. Krafs und H. Landois, Das Pflanzenreich in Wort
und Bild. Siebente, verbesserte Auflage. Freiburg i. B. 1898, Herdersche
VerlagshandluDg. XI u. 218 S. 2,10 M, geb. 2,45 M.
27. J. Buschmann, Sagen und Geschichten für den ersteo Ge-
schichtsunterricht. Dritter Teil: Erzählungen aus der preufsischen Geschichte.
Zweite, vermehrte Auflage. Padernborn 1893, F. Schöningh. 193 S. 1,20 11.
— Vgl. diese Zeitschr. 1888 S. 487.
28. J. Hoffmann, Turnen und Bewegungsspiel. Esehweiler 1893,
Verlag des Verfassers. 30 S. 0,50 M.
29. Neues Taschenbuch für die Lehrer an den Mittel-
schulen auf das Schuljahr 1893/94. Fünfter Jahrgang. München 1893,
Lindauersche Buchhandlung, geb. IM. — Die Einrichtung Ist unver-
ändert geblieben.
30. G.H. Müller, Stereometrische Konstruktionen. Projek-
tionslehre für die Prima des Gymnasiums. Progr. Kaiser-Friedrichs-Gyma.
Frankfurt a. M. 1893. 32 S. u. 6 Tafeln in 4.
31. G.Neufflann, Die Haupt-jund Brennpunkte eines Linsen-
Systems. Zweite Auflage. Leipzig 1893, B. G. Teubner. VIII a. 42 S.
gr. 8. 1,20 M.
32. G. Weinländer, Zur Würdigung der v. Köcheischen
Mineraliensammlung. Progr. Krems 1893. 24 S.
ERSTE ABTEILUNG.
ABHANDLUNGEN.
Der PhysikunteiTicht nach den neuen Lehrplänen.
Durch die neuen Lehrpläne vom 6. Januar 1892 sind nicht
nur wichtige Änderungen auf dem Gebiete des humanistischen
Unterrichts herbeigeführt worden, sondern es hat auch in dem
naturwissenschaftlichen Lehrgänge eine bemerkenswerte Verschie-
bung stattgefunden. Die ,,Zeitschrift für das Gymnasiaiwesen'^ hat
diese Wandlungen nach den einzelnen Fächern kritisch beleuchtet,
nur die Physik hat eine entsprechende Bearbeitung bisher nicht
erfahren. Da die neuen Lehrpläne sich in vielen Punkten noch
abwartend verhailen, so haben die Physiklehrer die Pflicht, ihrem
Urteile über die Reorganisation Ausdruck zu geben, und so sind
denn in Fachzeitschriften, in Verhandlungen von Direktoren- Ver-
sdfliiDlungen und an anderen Stellen die bezüglichen Fragen
eingehend erörtert worden. Indem ich diese Erörterungen prüfte
und meine eigenen Erfahrungen zu Hülfe nahm, gelangle ich zu
den folgenden Ansichten, die ich als einen Beitrag zur Verständigung
über eine angemessene Gestaltung des Physikunterrichls der Gym-
nasien beurteilt wissen möchte.
Zunächst darf man es mit Freude begrüfsen, dafs die Physik
einen Zuwachs von einem Semester zu zwei Stunden
wöchentlich erfahren hat, wenn auch auf Kosten des nalur-
geschichtlichen Unterrichtes. Zwar hat diese Eiobufse, welche die
.Naturgeschichte betroffen hat, hier und da zu Klagen Veran-
lassung gegeben, doch glaube ich, daTs ein Verlust sich an
dieser Stelle noch am leichtesten ertragen läfst, und dafs er
durch den Gewinn, der aus dem Physikunterrichte infolge des
Zuwachses an Zeit nunmehr hervorgehen wird, hinreichend aus-
geglichen werden dürfte. Als zweite wichtige Änderung ist die
Einrichtung eines vorbereitenden Lehrganges hervorzuheben,
der ein Semester der Obertertia und zwei Semester der Unter-
sekunda umfafst und dem eigentlichen wissenschaftlichen Kursus
der oberen Klassen vorangeht. Eine Teilung des physikalischen
l'ntcmrhts in zwei solche Stufen ist wohl unser aller Zustimmung
Zcitachr. f d. OjimiMialweien XLVIU. 4. Iß
242 D^i* Physikuuterr icht nach den neuen Lehrpläneo,
sicher, hat man doch schon vor den Verhandlungen der Dezember-
Konferenz den Vorschlag der Bildung zweier konzentrischer Unter-
richsstufen in der Physik zum Ausdruck gebracht und begründet*).
So sehr den Wünschen der Physiklehrer nach dieser Richtung hin
Rechnung getragen zu sein scheint, so wenig sind die Beweggrunde,
welche von seiten der in diesem Sinne wirkenden Lehrer geltend
gemacht wurden, in den Kommissionen und bei den Behörden
ausschlaggebend gewesen. Um so tiefer muTs unser Bedauern
darüber sein, als diese Gesichtspunkte nicht nur für die Zeit-
bemessung, sondern auch für die Feststellung der Aufgaben und
Ziele der beiden Stufen, sowie für die Lehrpläne hätten mafsgebend
werden können. Eine äufserliche Begründung der eintretenden
Veränderungen aus praktischen Rücksichten und eine rein technicbe
Aufzählung der Kapitel, die auf den einzelnen Stufen behandeil
werden sollen, ist in dem neuen Reglement statt eines allge-
meinen, idealen Lehrzieles geboten worden und läfst deutlich
erkennen, dafs die Verfasser der neuen Lehrpläne von dem exakt-
naturwissenschaftlichen Unterricht die Förderung einer eigentlich
inneren Bildung nicht erwarten'). Der innere Gegensatz, den ich
soeben angedeutet habe, mufs zu grundsätzlich verschiedenen An-
sichten über die Lehraufgaben des Physikunterrichtes und die
nötige Zeilbemessung fähren. Deshalb möchte ich im Folgenden
auf diesen Gegensatz näher eingehen und zwar zunächst die Ab-
sichten, die den neuen Lehrplänen zu Grunde liegen, und die
Möglichkeit ihrer Verwirklichung und dann die Auffassung von
dem idealen Bildungswerle der Physik und ihr Verhältnis zu den
neuen Verordnungen besprechen.
In den Erläuterungen zu den neuen Lehrplänen wird auf den
hohen Prozentsatz von Schülern") hingewiesen, die das Gym-
nasium nicht absolvieren. Nur 20,5 Prozent sämtlicher Schuler
erreichen das Ziel der Schule und 40,2 Prozent gehen mit dem
Zeugnis der Reife für den Einjährig-freiwilligen-Dienst ab. Hieraus
ergiebt sich die Notwendigkeit, für diese letzteren Schüler einen
Abschlufs ihres Bildungsganges herbeizuführen. Zu diesem Zwecke
ist der propädeutische Physikunterricht eingerichtet worden,
durch den dem abgehenden Sekundaner „ein möglichst abge-
rundetes Bild der wichtigsten Lehren auf dem Gebiete
der Physik, Chemie und Mineralogie mit in das Leben
gegeben werden soll''^). Hit Rücksicht auf die gewaltige
Fülle des LehrstoiTes hat man einerseits die Unterrichtszeit um
ein Semester erhöht und andererseits es zur Pflicht gemacht, auf
eine angemessene Stoffauswahl die gröfste Sorgfalt zu verwenden.
^) Vergl. Glatzel, Zur Methodik des physikalischen Unterrichts. Prof r.
Friedr.-Realg. Berlin 1889.
<) Zeitschrift fdr die Reform der höheren Schulen 1892, iSr. ].
•) Lehrpläne Briäat 1 (S. 67).
*) Lehrpläne S. 54.
voD R. Schiel. 243
Im übrigen hat man sich darauf beschränkt, die Namen derjenigen
Kapitel ansugeben, die auf den einzelnen Stufen zu behandeln sind.
Schliefslich ist die Lebrbuchfrage noch offen gehalten.
Der hohe Prozentsatz von Schälern, die nach der Ab-
schlufsprüfting die Schule verlassen, ist ein Obelstand, der für
unser ganzes höheres Schulwesen eine beträchtliche Last reprä-
sentiert. Durch die Bildung von Realschulen hofft man mit der
Zeit hierin Wandel zu schaffen und den druckenden Prozentsatz
zu vermindern. Solche Folgen sind nicht mit Sicherheit zu erwarten,
und eine wesentliche Besserung auf diesem Gebiete wird voraus-
sichtlich noch lange auf sich warten lassen. Daher bat man dem Zwange
äolserer Verhältnisse nachgeben und dem Schulorganismus einen
Abschinfs einfugen müssen, der in seiner Natur nicht begründet liegt.
In der Physik wurden bis dahin dem abgehenden Unter-
sekundaner einige Kenntnisse aus der Chemie und der Mechanik,
zuweilen auch aus eine der anderen Kapitel der Physik über-
liefert. Vom Magnetismus und von der Elektrizität hatte ein
solcher Schüler auf der Schule meist ebenso wenig, wie von den
Gesetzen der Optik und der Wärme gehört. Selbstverständlich
hatte eine so rudimentäre physikalische Bildung für den in das
praktische Leben übertretenden jungen Menschen nur sehr geringe
Bedeutung, so dafs der Wunsch, es möchte den abgehenden
Schülern etwas Ganzes und Festgefügtes mitgegeben werden, ge*
rechtfertigt erscheint. Die Einrichtung eines Vorkursus und sein
Beginn in der Obertertia ist von seiten einzelner Physikiehrer
angefochten worden, indem sie den Physikunterricht als über das
geistige Niveau so junger Schüler hinausgehend bezeichnen und
die Gefahr betonen, es könnte durch Vorwegnahme der Experimente
auf d^ Unterstufe das Interesse im späteren Unterricht lahm-
gelegt werden. Diese Einwände sind durch die nach dieser Rich-
tung hin günstigen Erfahrungen, die man im österreichischen
Schulwesen^) gemacht hat, und, wie es scheint, auch durch die
Erfahrungen der letzten beiden Jahre auf den preufsischen Schulen
eotkriftet, femer dürfte die Überlegung dagegen sprechen, dafs
auf den beiden Stufen die Auswahl der Experimente nicht über-
emstimmen kann und auch die gleichartigen Versuche doch in
verschiedener Weise behandelt und von verschiedenen Gesichts-
punkten aus im Unterrichte verwendet werden müssen.
Der neu eingerichtete Vorkursus umfafst nun leider nur drei
Semester zu wöchentlich zwei Stunden. Dabei sollen die Schüler,
indem der Versuch in den Vordergrund des Unterrichtes tritt,
^zu eigenem Denken und Beobachten angeleitet werden
und ein abgerundetes Bild der wichtigsten Lehren auf
*) Zeitschrift für den physikalischeD uod chemischen Unterricht V: Die
nenen österreichischen Verordnungen für den Unterricht am Untergyninasiam;
VI: Hofler, Der Zosammenhans zwischen dem physikalischen Unterricht in
dei unteren and oberen Klassen der Gymnasien.
16*
244 D^>* Pbysili Unterricht oach deo neuen LehrplaneD,
den Gebieten der Physik, Chemie und Mineralogie er-
halt en'^ Unter den wichtigsten Lebren werden wir die
höchsten und allgemeinsten Grundgesetze verstehen
müssen, deren Wirkung in den verschiedenen Formen physischer
Erscheinungen erkannt werden sollen. Die so formulierte Aufgabe
hake ich für unlösbar mit Schülern so jugendlichen Alters und
auch nicht ffir annähernd lösbar in der gebotenen Zeit, und ich
schliefse mich in dieser Hinsicht nur den Anschauungen an, die
bereits von sehr namhaften Physiklehrern zum Ausdruck gebracht
worden sind. Besonders lehrreich sind in dieser Hinsicht die
Verhandlungen der Direktoren-Versammlung der Rheinprovinz, die
im Juni v. J. stattfand. Sie bewegen sich streng auf dem Boden
der durch die neuen Lehrpläne geschaffenen Verhältnisse und
bringen die Resultate und Erfahrungen zur Darstellung, die den
Physiklehrern der Rheinprovinz aus sorgfaltiger Beobachtung der
neuen Vorschriften erwachsen sind. Der Berichterstatter berichtet
u. a. über die Erfahrungen, die man gemacht hat in dem Be-
streben, das Ziel der Unterstufe in der vorgeschriebenen Zeit zu
erreichen'). Darnach glaubt man in ausreichender Weise das
Pensum erledigen zu können, wenn man für die Behandlung der
aligemeinen Eigenschaften der Körper 7 Stunden, der Mechanik 31,
des Schalles 5, des Lichtes 14, der Wärme 11, des Magnetismus
und der Elektrizität 40, der Chemie und Mineralogie 20 Stunden,
zusammen 128 Stunden ansetzt unter der Voraussetzung, dafs
in jeder Stunde das in der vorigen Durchgenommene wiederholt
werde. Wenn ich auch der Ansicht bin, dafs man in der ange-
gebenen Zeit den Schülern einige Kenntnisse übermitteln kann,
so halte ich doch dafür, dafs diese Zahlen nur als untere Grenze
bei nicht zu grofsen Klassen gelten können, und dafs man bei
dieser Unterrichtseinteilung auf die Anleitung der Schüler zum
eigenen Denken und zum Beobachten doch fast ganz wird
verzichten müssen und ihnen mehr fertiges Wissen bieten als
Resultate wird erarbeiten können. Damit aber die so ge-
wonnenen Kenntnisse nun auch zu einem sicheren Besitze werden,
sind häufigere zusammenfassende Repetitionen nicht zu entbehren.
Ferner sollen nach dem neuen Reglement schriftliche Ausarbei-
tungen und ihre Besprechungen in der Klasse regelmäHsig statt-
finden. Diese Forderungen erhöhen die eben als notwendig
aufgestellte Stundenzahl beträchtlich. Eine Berechnung, die
nicht einmal Rucksicht nimmt auf die oft zahlreichen Ausfälle an
Unterrichtsstunden bei gelegentlichen Veranlassungen, ergiebt aber,
dafs dem vorbereitenden Physikunterricht auf dem Gymnasiam
nur ca. 123 Stunden im ganzen zur Verfügung gestellt sind.
Somit scheint mir erwiesen zu sein, dafs die Forderungen der
neuen Lehrpläne bezüglich des Vorkursus in der ge-
1) VerhandluDgen der Direktoren- VersammloDseo inPrenfsen (Berlia 1898).
von R. Schiel. 245
gebenen Zeit sich nicht erfuDen lassen. AU Resultat des
vorbereitenden Untemchtes kann sich unter den vorgeschriebenen
Bedingungen nur ergeben, dafs den Schulern ein lückenhaftes
KoDglomerat unsicherer chemisch - mineralogisch - physikalischer
Kenntnisse überliefert wirdM. Diese Schwierigkeiten sind schon
gleich nach Veröffentlichung der Lehrpläne erkannt und in Berichten
iierrorgehoben worden. Darauf ist einigen Berliner Gymnasien
ihren Anträgen gemäfs gestattet worden, beide Semester der Ober-
tertia dem vorbereitenden Lehrgänge zu widmen. Die Erfahrungen,
die mit diesem erhöhten Zeitmafse bisher gemacht wurden, unter*
stützen meine Bedenken durchaus; denn es zeigt sich, dafs der
um ein Semester vermehrte Zeitaufwand den Lehraufgaben nur
knapp genögt.
Aus meinen bisherigen Ausföhrungen ergiebt sich also die
Forderung, den vorbereitenden Kursus um ein Se-
mester zu vermehren'), wozu die dem naturkundlichen Unter-
richt noch zugewiesene Zeit der Obertertia sich verwenden läfsL
Ferner erscheint es notwendig, den Begriff der wichtigsten
Lebren nicht auf die obersten und schwierigsten Prinzipien der
Physik zu beziehen, wie oben angedeutet wurde, sondern ihm eine
andere Deutung zu geben, die aus den folgenden Überlegungen
hervorgehen soll.
Es scheint, dafs die praktischen Erfolge naturwissen-
schaftlicher Entdeckungen und Erfindungen im Publikum den
Wunsch rege gemacht haben, es möchten unsere abgehenden
Sekundaner eine bessere Kenntnis dieser Erfolge mit ins Leben
nehmen, und dieser Wunsch scheint zu der Forderung des Lehr-
planes geführt zu haben, nach welcher jene Schuler ein abge-
rundetes Bild der wichtigsten Lehren der l^hysik in sich aufnehmen
sollen. Solche praktischen Rücksichten halte ich mit Prof. Höfler')
nicht für ausreichend, um selbst nur die Aufnahme der Physik in
den Gymnasiallehrplan zu begründen ; denn kein Unterrichtsgegen-
stand darf seine Bedeutung nach solchen realistischen Werten
bemessen. Der Realismus, der die Bedeutung des Physikunter-
ricbtes ausmacht, liegt vielmehr in seiner Aufgabe, „die klare Er-
kenntnis und besonnene Wertschätzung des Wirklichen in der
physischen, wie in der psychischen Welt zu begründen*', und ist
eine notwendige Ergänzung des humanistischen Prinzips. Diese
Auffassung wird in weiten Kreisen der Kollegen geteilt, sie hat
*) Zeit5chr. f. d. phys. o. ehem. Unterricht IV: Pietzker, Die Stelluoc
<er Pkffik im Gymotsialaoterrieht S. 233; V: Poske, Propädentiscbe Physik
im Lehrplao der GymoasieD.
*) für eiftc Vermehraog der ÜBterrichtszeit ^iod oachdrücklieh eioge-
tretea die VersammlaDg der Physiklehrer za Jena, die Herren Pietzker,
P«fke n. a.
*) Zcltsehr. f. d. pbys. o. ehem. Unterr. 11: Höfler, Die hnmanietische
4i%abe dea phyiikalischeo Unterrichts.
J
246 ^^^ Phyjiikontei'rich t aach den neuen Lehrplänen,
ZU folgender eingehender Feststellung des Unterrichtszweckes der
Physik geführt^). Durch richtig geleitete Übung sollen die Sinnes-
organe gebildet und geschärft und die Beobachtungsgabe entwickeil
werden, die Beobachtungen sollen zu sicheren Urteilen führen und
diese zu richtigen Schlössen verarbeitet werden. Die als Unter-
richtsstoff überlieferten Kenntnisse sind so auszuwählen, dafs sie
zum Verständnis der Natur und der Verhältnisse der gegenwärtigen
Kultur dienen können. Dabei sind die Schuler zu einer ästhe-
tischen und gemütvollen Auffassung der Natur anzuregen, ins-
besondere wird die wichtige Aufgabe zu erfüllen sein, eine rein
materialistische Denkweise zu bekämpfen. Demnach hat der Physik-
unterricht als nächste Aufgabe die Einführung in die Methode
des induktiven Denkens, und zwar, wie von vielen Seiten
verlangt wird, unter möglichstem Anschlufs an die histo-
rische Entwickelung^) zu erfüllen. Nun ist mit Recht darauf
hingewiesen worden, dafs Knaben den naturwissenschaftlichen
Dingen ein besonderes natürliches Interesse entgegenbringen, dafs
ihr Geist in diesem jugendlichen Alter noch besonders bildsam isL
Daraus ergiebt sich die Forderung, den Anfang des Physikunter-
richtes schon auf eine frühere Stufe zu verlegen, wobei der Auf-
fassungsfähigkeit der Schüler Rechnung zu tragen und insbesondere
bei der Auswahl des Stoffes auf das natürliche Interesse Rücksicht
zu nehmen ist. Auf dieser Stufe wird sich die Physik nicht voll
für die geistige Bildung der Schüler ausnutzen lassen, schwierigere
und zwar die wertvollsten Teile werden unberührt bleiben müssen,
der Unterricht wird nur ein propädeutischer sein können, und
es wird ein zweiter Kursus für die gereifteren Schüler folgen
müssen. Der Vorkursus hat demnach in erster Linie die Auf-
gabe, den Hauptkursus vorzubereiten, in zweiter Linie
wird er erst die Vorbereitung der abgehenden Sekundaner für die
Bedürfnisse des praktischen Lebens ins Auge zu fassen haben.
Die Mittel, welche gegenwärtig im Physikunterrichte zur
Anwendung kommen, bestehen zunächst in Versuchen, welche auf
der Unterstufe im wesentlichen nur qualitativer Art sein können.
Um die Anschauungen der Schüler sicherer zu festigen, wird man
schematische Zeichnungen von Apparaten und Versuchsanordnungen
verlangen müssen. Die mündliche Beschreibung des Angeschauten
und Begriffenen bildet ferner einen wichtigen Teil der Thätigkeit
der Schüler, und schriftliche Ausarbeitungen geringeren Umfanges,
die durch die neuen Lehrpläne eingeführt sind, haben sich als
sehr fruchtbar und nützlich erwiesen. Indem die Entwickeluug
des Unterrichtes hauptsächlich in Dialogform fortschreitet und von
den genannten Mitteln fortwährend Anwendung macht, ist sie der
geistigen Anregung der Schuler sicher und wird als Frucht einen
^) Verhandlungen derDirektoreu-Versamniluogen inPreafsen (Berlin 1893).
') Vgl. £. Mach, Mechanik in ihrer ßntwickelung historisch- kritisch
dargestellt.
von R. Schiel. 247
Lerneifer hervorbringen, der mit Überbürdung nichts zu thun
hat^). Soll der propädeutische Unterricht die angeführten Aufgaben
lösen, so mufs er mit Ruhe und Freudigkeit gegeben werden
können. Dies verlangt aber ausreichende Zeit und eine dem
Schüierinteresse durchaus entsprechende Auswahl und Be-
schränkung des Stoffes, welche zwar auch in den Lehrplänen
den Lehrern ausdrücklich zur Pflicht gemacht^), aber wieder durch
die Formulierung der Lehraufgabe auf der Unterstufe aufgehoben
wird. Nicht die Lehre von der Erhaltung der Arbeit, nicht der
Energiebegrifl\ nicht die Wandlungen der Energieformen und
Ähnliches, was doch sicher zu den wichtigsten Lehren gerechnet
werden muls, eignet sich für diese Stufe, sondern die elemen-
tarsten und einfachsten Dinge^) sind auszuwählen und in
Zusammenhang zu bringen, so dafs sie ein abgerundetes Bild
liefern können. Auch diese Beschränkung wird noch nicht aus-
reichen, um mit Sicherheit das Gesamtgebiet der Physik im Vor-
kursus durchwandern zu können, sondern es wird den Lehrern
noch längere Zeit gestattet sein müssen, die Stoffauswahl nach
bestem Ermessen derait zu treffen, dafs einzelne Gebiete, z. B.
die Akustik, die Mineralogie u. a., nur gestreift werden, während
andere Teile, z. B. die Elektrizitätslehre, ausführlicher behandelt
werden, — bis die gesammelten Erfahrungen zu einem geeigneten
Spezial-Lehrplan gefuhrt haben werden. Dabei erachte ich es,
wie schon oben begründet, als eine notwendige Voraussetzung,
dafs das aufzuwendende Zeitmais etwa um ein Semester zu
wöchentlich zwei Stunden erhöht werde.
Der Oberstufe stehen nunmehr sechs Semester zu zwei
Stunden wöchentlich zur Verfugung, in denen das in dem Vor-
kursus gewonnene „Wissen zu vertiefen und zu erweitern'^
ist, wie die Erläuterungen zu den Lehrplänen bestimmen. Auch
hier sind für die einzelnen Klassen nur die Namen der Kapitel
der Physik angeführt, die in der vorgeschriebenen Zeit zu be-
handeln sind. Bemerkenswert ist dabei die Bestimmung, nach
welcher die Wärmetheorie und die Wellenlehre ausgeschlossen
werden dürfen^).
So sehr es von manchen Seiten befürwortet wird, es möchte
dem Physikunterrichte auch auf der Oberstufe, entsprechend seinem
hohen Bildungswerte, ein ausgedehnteres Zeitmafs zugewiesen
werden, und so sehr ich von den Vorteilen überzeugt bin, die
eine noch tiefergehende physikalische Bildung unseren Schülern
bieten würde, so wenig kann ich mich mit Rücksicht auf den
*) ZciUchr. f. d. phys. n. ehem. (Jot. IV: Pietzker, Die Stelluogp der
Pkysik im GymDasialuoterricht S. 217 ff.
*) Lehrpläoe S. 55.
^ Zeitsehr. f. d. phys. u. ohem. Uot V: Poske, Propädeutische Physik
ia L«iirplao der Gymoasieo.
*) Lehrpläoe S. 54.
248 I)cr Physikunterricbt oach d. neuen Lehrpl., v. R. Schiel.
Charakter unserer Gymnasien für eine Erfüllung dieser Forderungen
schon jetzt aussprechen. Wir leben in der Unsicherheil vielum-
stritlener Versuche; es mufs die Wirkung der Reorganisation
auf den Erfolg unseres jetzigen Unterrichtsbetriebes in dem hu-
manistischen Fächern abgewartet werden, um zu erkennen, ob
eine weitere Beschränkung dieser Fächer geraten erscheint^),
ohne die Erfüllung ihrer wichtigsten Aufgaben ernstlich zu ge-
fährden. Auch für die Oberstufe müssen wir daher als Grund-
satz festhalten: Beschränkung des Stoffes, aber gründliche
Ausnutzung der verfügbaren Zeit und der gebotenen
Bildungsmittel'). Die neuen Lehrpläne sprechen nur von der
Vertiefung und Erweiterung des physikalischen Wissens als Auf-
gabe des zweiten Lehrganges. Eine solche Vertiefung und Er-
weiterung wird von selbst sich als Frucht des Unterrichtes ergeben,
wenn auf der Oberstufe an der Erreichung von Bildungszielen
gearbeitet wird, die sich nicht wesentlich von denen der Unter-
stufe unterscheiden, sondern nur höher als jene gesteckt sind.
In erster Linie ist die Übung in der Anwendung induktiven
Denkens gemeint, welches nunmehr nicht blofs zum wohlver-
standenen Wissen, sondern zum wohigeObten Können führen
soll^). Es tritt jetzt die Reflexion auf diese Methode hinzu^}, so
dafs sich das Verfahren zu einem bewufsten logischen Akte ge-
staltet. Dementsprechend mufs die Methode schärfer werden und
zwar im wesentlichen unter Benutzung messender Versuche, deren
Verwertung eine ausgedehntere Anwendung mathematischer Hülfs-
mittel verlangt. Die Thätigkeit der Schüler wird zum gröfsten
Teile in der Auffassung und korrekten Wiedergabe zusammen-
hängender Untersuchungen und Entwickelungen bestehen, wobei
besonders eine scharfe Gliederung der Gedankenreihen zu fordern
ist^). Dazu treten Aufgaben, an deren Bearbeitung sich die Selbst-
(hätigkeit entwickeln soll. Endlich wird die Zusammenfassung der
gewonnenen Kenntnisse unter dem Gesichtspunkte der höchsten
und wertvollsten Prinzipien der Physik das letzte materielle Ziel
bilden müssen. Wenn der physikalische Unterricht auf der Ober-
stufe diese Aufgaben löst, so erfüllt er damit auch die Forderungen
des Reglements, es wird aber nicht nur das Wissen der Schüler
vertieft und erweitert, sondern es erfährt auch ihre geistige
Bildung einen wertvollen Zuwachs.
^) Jahrb. f. Phil. a. Päd. 1893, Heft 6: Scbrader, Über den vorbereitenden
physikalischeo Lehrgang an Gymnasien S. 284 ff.
') Zeitscbr. f. d. phys. u. ehem. Unt. IV: Noack, Bemerkangeu zum
physikalischen Gymnasialunterricht 8. 161 ff.
3) Zeitschr. II: Höfler, Die hamanistische Aufgabe des physikalischen
Unterrichte.^.
*) Zeitschr. VI: Höfler, Der Zusammenhang des physikalischen Unter-
richtes auf den unteren und den oberen Klassen der Gymnasien.
^) Zeitschr. IV: Noack, Bemerkungen zum physikalischen Gymoasi«!-
unterricbt.
Za den Kiep er Ischen A t lauten der alte o Welt, v. S. George. 219
') In den oberen Klassen wird der Physikunterricht nunmehr
Scbülern erteilt^ die schon eine gewisse Vorbildung in den ße-
griifen und Methoden physikalischen Denkens durch den vorbe-
reitenden Lehrgang erhalten haben, docli darf die Thatsache nicht
übersehen werden, dafs tut die eingehendere Behandlung des ge-
samten Gebietes nicht mehr vier, sondern nur drei Jahre zur
Verfügung stehen. Wenn sich auch ein Teil des Pensums in
Form einer Repetition wird erledigen lassen, so mufs doch das
meiste jetzt von einem h5heren Gesichtspunkte aus von neuem be-
handelt werden, es kommt eine Fülle z. T. recht schwieriger
Kapitel, sowie eine ausgedehntere Anwendung der Hypothesen
hinzu. So ergiebt sich auch auf der Oberstufe ein beengender
Mangel an Zeit, dem sich, wie oben bemerkt, gegenwärtig nicht
durch Vermehrung der Unterrichtsstunden, sondern nur durch
Ausscheidung selbst wichtiger Partieen der Physik abhelfen läfst.
.Nun ist durch das Reglement eine allgemeine Anordnung des
Stoffes getroffen worden, der ich durchaus beipflichte. Es haben
sich Stimmen erhoben, welche diese Vorschriften als wenig ge-
eignet bekämpfen und eine andere Stoffverteilung unter Anführung
von Gründen verlangen. Gerade die Mannigfaltigkeit der Forde-
rungen, für die sich gute Gründe anführen lassen, bringt mich zu
der Überzeugung, dafs es keine notwendig gebotene Anordnung
dt*r Pensen giebt, die nicht auch durch eine andere, sehr brauch-
bare ersetzt werden könnte: die in den neuen Lehrplänen vor-
geschriebene hat aber nach meiner Erfahrung viele Vorteile für sich.
Ebenso wenig wie über die letzte Frage, hat man sich über
die geeignetste Form eines Lehrbuches einigen können. Es ist
in der Zeit seit Veröffentlichung der neuen Lehrpläne eine Fülle
von Lehrbüchern insbesondere für den vorbereitenden Kursus
entstanden, unter denen sich eine Zahl vortrefflicher Arbeiten
findet, üie Richtung, welche durch Mach in Prag^) angegeben
ist, scheint mir mafsgebend zu sein, wenn man den neuen An-
schauungen in der Physik auf der Schule gerecht werden will.
Daher halte ich es durchaus für angemessen, dafs in den neuen
Lehr|)länen die Lehrbuchfrage noch offen gehalten ist.
Berlin. R. Schiel.
Bemerkungen zu den Kiepertschen Atlanten der
alten Welt.
Wohl mit bewufstem Hinweis auf den Kiepertschen Atlas an-
tiquus geschieht es, wenn Otlokar J^orenz in seiner Schrift „Über
Gymnasialwesen, Pädagogik und Fachbildung'*') behauptet, dafs
') £. Mach, Leitfadeo der Physik (1891).
') Wien 1879,. G. Gerold's Soha S. 17.
250 Bemerkao^eo z. den Kiepertdchen Atlanten d. alten Welt^
die Fortschritte in der Methodik von denen in der Wissenschaft be-
dingt sind, und den der modernen Anforderung der Wissenschaft
entsprechenden historischen Atlas dem noch von Herbart eine
gewisse Bedeutung beigelegten „Strom der Zeiten" entgegenhält. In
der That hat auch der Kiepertsche Atlas der alten VVelt seit sei-
nem Erscheinen^) den historischen Unterricht wesentlich gefördert
und sich als ausgezeichneter Lehrbehelf bewährt, ja seitdem auch
bei uns in Österreich^) nahezu die Alleinherrschaft in der ein-
schlägigen Schulbücherlitteratur behauptet. Dies rechtfertigt es,
wenn wir demselben hier einige besondere Worte in der Weise
widmen > dafs wir die unter Kieperts Namen im Geographischen
Institut zu Weimar erschienenen^) und die vom Autor bei Dietrich
Reimer in Berlin verlegten letzten Ausgaben^) einer vergleichenden
Betrachtung unterziehen.
Bekanntlich unterscheidet sich die letztere von der ersteren
schon äufserlich durch das gröfsere Format, eine geringere An-
zahl von Blättern und den Mangel eines erläuternden Textes.
Durch das erstere Moment, welches die Anwendung eines gröfseren
Mafsstabes gestattete, ist einerseits den jetzt mit Recht so be-
tonten hygienischen Rucksichten in der Schule mehr Rechnung
getragen worden, andererseits konnten dabei die in der Weimarer
Ausgabe auf besonderen Blättern zur Darstellung gebrachten Ta-
feln IV und V (Ägypten und Palästina), IX und XIU (Länder am
westlichen Mittelmeerbecken), sowie XIV und XV (Gallien, Bri-
tannien und Germanien) in der Reimerschen zu je einer Karte
vereinigt und so die Zahl der Blätter verringert werden, was uns
bei einem Schulatlas keineswegs als Nachteil erscheint, da es für
den Unterricht besser ist, sich weniger und übersichtlicher als
vieler und solchem Zwecke in geringerem Grade entsprechender
Karten zu bedienen. Würde nicht die Frage der Handlichkeit
des Formats, wie etwa hinsichtlich der Verpackung im Verhältnis
zur Gröfse der anderen Lehrbücher, hier mitspielen, so müfstc
man sich unbedingt für das gröfsere Format, namentlich bei so
schön und rein ausgeführten Karten entscheiden. Was schliefslich
den erläuternden Text anbelangt, so wird gewlfs niemand den
^) Historisch - geographischer Atlas der alten Welt. Weimar 1S48,
16 Blatt mit erläuterndem Text.
^) Die 8. Weimarsche Auflage von der österreichischen Unterrichts-
Verwaltung empfohlen, ddo. 25. März 1850, Z. 2121, die bei D. Reimer 1859
in 8 Blättern erschienene, ddo. 19. August 1861, Z. 7552, nach Matanscheks
„Normaliennachschlagebuch", 4. Auflage, Prag 1875, Bellmann. S. 264
und 266.
*) 19. Auflage in 16 Hauptkar teo, 1884, neu bearbeitet von Carl Wolf ;
über das Verhältnis Kieperts zu den späteren Weimarschen Auflagen von
1867 an vgl. man die Vorrede zu seinem „Lehrbuch der alten Geographie'%
Berlin 1878, D. Reimer.
^) 11. berichtigte Auflage in 12 Hauptkarteo, mit Namensverzeiehois;
wir werden uns für die beiden Ausgaben der Abkürzungen W. und R. be-
dienen.
vou S. Gorge. 251
Wert und die Bedeutung dieser ursprünglich vom Altmeister Kie-
pert herrührenden Unterweisungen verkennen, doch waren die-
selben mehr für den Lehrer bestimmt, der sich jetzt besser des
Kiepertschen „Lehrbuchs^', wie der Schuler des ,,Leilfadens der
alten Geographie'' bedienen wird^).
Wenn wir nun nach diesen Worten mehr allgemeiner Natur
aufs einzelne eingehen, so mag auch der kleinere Mafsstab der
Tafel 1 (W.), welche die ethnographischen Verhältnisse der den
Alten bekannten Erde, namentlich die Dreiteilung der mittellän-
dischen Rasse in den hamitischen, semitischen und indogerma-
nischen Zweig, wenn auch wenigstens in einer Ausgabe minder
ausdrucksvoll gezeichnet, zum Gegenstande hat, diesem Zwecke
genügen. Daneben enthält dieses Blatt zwei instruktive Seiten-
kartons, welche die Vorstellung von dem Umfang und der Gestalt
der Erde zur Zeit Herodots um 450 v. Chr. und des Alexandri-
ners Ptolemäus um 150 n. Chr. veranschaulichen sollen, weil
daraus zu ersehen ist, dafs in diesem Zwischenraum von 600
Jahren die Erdkunde hinsichtlich der Vorstellung von der Um-
schiffbarkeit Afrikas und der Annahme einer Landverbindung zwi-
schen dem Osten dieses Erdteils und dem Sudosten Asiens durch
eine terra australis incognita einen Rückschritt zu verzeichnen
hal^). Das korrespondierende Blatt I (R.) setzt statt Herodots
Eratosthenes um 200 v. Chr. ein, wodurch die Differenz weniger
augenfällig und das auch aus dem Grunde nicht so instruktiv er-
scheint, weil in anderer Beziehung, wie hinsichtlich der Vorstel-
lung von dem Zusammenhang des Caspisees mit dem nördlichen
Ozean, sowohl Eratosthenes als auch Ptolemäus Herodot gegenüber
einen Ruckschritt bezeichnen °).
Dagegen ist Tafel H (W.), das persisch- macedonische Welt-
reich darstellend, namentlich für die westlichen Gebiete: Klein-
asien, Syrien und Mesopotamien entschieden zu klein, was sich
beispielsweise beim Aufsuchen und Verfolgen 'der hier mit den
Nummern der herodoteischen Zählung^) versehenen 20 Satrapieen
fühlbar macht. Auf dem entsprechenden Blatt II (R.) sind infolge
des gröfseren Mafsstabes auch die erwähnten Gebiete noch deut-
lich wahrnehmbar, andererseits finden wir daselbst weder die Nu-
merierung noch die übliche Zahl der Satrapieen vielleicht wegen der
^) Mao v^l. die Vorrede zum „Lehrbuch**; der „Leitfaden' erschien
17^9 bei D. Reimer in Berlio.
'} Mao vgl. 0. Peschel, Geschichte der Erdkunde. München 1865,
CoUa. S. 447ff,j S. Gorge in Seiberts „Zeilschrift für Schul- Geographie"
Xni S. 245 und XIV S. 319 und „Zeitschrift für das Realschulweseu** XIX
S. 71, Wien 1892, 1893 uud 1894, Holder.
^) Peschel, ebds. S. 6f.; A. y. Humboldt, Kosmos 11 S. 175 und 225 ff.,
Slattgart und Augsburg 1847, Cotta.
*) Boeh HI Kap. 90ff. ; doch^ sind auf der Karte die Satrapieen-Num-
Bcra XVIII und XIX vertaascht, sowie Nummer XIV nicht ersichtlich.
252 Bomerkangen z. den Kiepertschen AtlaBten d. altea Welt,
nämenllich späteren Schwankungen in den Unierabteiiungen und
des Wechsels ihrer Grenzen^) beibehalten.
Blatt III (W.), das Indien, Arabien und das kontinentale Vor-
derasien mit besonderer Rücksicht auf die Staalenbitdungcn unter
den Seleuciden und Arsaciden umfafst, ist weder in der Ausfüh-
rung ganz glücklich noch überhaupt notwendig, daher die Rei-
mersche Ausgabe dieses Biatt' mit Recht ausgeschieden und auf
ihrer das persisch - macedonische Wellreich zur Darstellung brin-
genden Tafel II durch hübsch ausgestattete und übersichtliclie
Nebenkarten der Diadochenreiche hinlänglich ersetzt hat.
Blatt IV und V (W.), Ägypten und Palästina auf zwei beson-
deren Tafeln, von denen Palästina wenigstens in einer Ausgabe
auch etwas minder lesbaren Druck zeigt, konnten bei dem Rei-
merschen Format gut auf zwei karten in einer Tafel (ill) und,
von der besseren Lesbarkeit der Karte Palästinas abgesehen, zum
Vorteil der weiteren Erstreckung Ägyptens gegen Äthiopien statt
nach Libyen hin, sowie Phöniziens gegen Norden zur Darstellung
g<*langen. Dagegen erscheint hier (R.) der Seitenkarton mit der
Verteilung der zwölf Stämme Israels nicht so instruktiv als dort
(W.) der Wüstenzug der Israeliten wegen Nennung manches
alten Beduinenstammes der Sinaihalbinsel, andererseits weist die
Reimersche Ausgabe durch den interessanten und belehrenden
Spezialplan von Tyrus, mit seiner Inselstadt und dem Melkart-
tempel, dem Damm Alexanders d. Gr. und den im Laufe der
Zeit erfolgten Küstenveränderungen eine Bereicherung auf).
Blatt VI (W.) mit Kleinasien, Armenien, Mesopotamien and
Nordsyrien entspricht im wesentlichen der Tafel IV (R.), die aber
auch das südliche Syrien und selbst einen Streifen Ägyptens und
Libyens umfafst, zudem auch lesbarer ist. Doch hätten wir gern
bei letzterer gleich auf Blatt II bei dem Zuge Alexanders d. Gr.
auch hier die Route der „Zehntausend*' farbig dargestellt ge-
sehen.
Tafel VII (W.), das europäische Griechenland, den Arcliipel
und die Westküste Kleinasiens mit den griechischen Kolonieen
darstellend, ist namentlich für Mittelgriechenland entschieden zu
klein und wohl für die Kenntnis der einzelnen griechischen Stämme
und ihrer Kolonisation ganz gut, weniger aber für die der Landschaften
von Hellas und am wenigsten für die Topographie der besagten
Teile verwendbar, wie sich dies beispielsweise bei dem Zuge des
Xerxes hinsichtlich der Thermopylen zeigt, daher in diesem Falle
zur entsprechenden Karte V (R.) gegriffen werden mufs.
Tafel VIII (W.), das eigentliche Griechenland enthaltend, ent-
spricht im wesentlichen dem Blatt VI (R.), doch war es hier noch
^) „Erläateroder Text'' der Weimarer Ausgabe S. 4.
^} Mto ygL auch Kieperts „Lehrbuch der altaa Geosrraphie''. B^rlia
1878, D. Reimer. S. 170.
voD S. Gorge. 253
möglich, die Chalcidice zur Darstellung zu bringen, während das
Seitenkärtchen mit der Akropolis entfiel, wofür die Legende auf
dem Spezialplan Athens teilweise Ersatz bietet.
Tafel IX (W.), für den Gebrauch beim Unterricht der puni-
»rhen Kriege bestimmt, mit einem gröfseren Seitenkarton „Grofs-
griechenland'S macht, wie bereits früher angedeutet wurde, Blatt
Xllf (W.), das Spanien, Mauretanien und die Provinz Afrika dar-
stellt, in der That überflüssig, so dafs bei letzterem nur die
Seitenkarte mit Rücksicht auf den Periplus des Hanno ^) in ße-
U^cht käme. Zweckmäfsig hat die Reimer^che Ausgabe das
neslliche Mittelmeerbecken in einer Karte auf Tafel X mit der
farbigen Route Hannibals übersichtlich und deutlich zur Darstel-
lung gebracht.
Blatt X (W.), Mittelitalien, entspricht im ganzen — hervor-
siechend ist doch die Differenz bezüglich der Stammeszugehörig-
keit der Äquer und teilweise der Herniker und Aurunker') —
dem Blatt VIII (R.), nur dafs hier in Bezug auf das Anbringen
von Seitenkartons, gleichwie in anderen Tafeln, Verschiebungen
eingetreten sind. So hat die Weimarer Ausgabe auf dem ent-
sprechenden Blatte den Spezialplan Roms zur Zeit der Republik,
an dessen Stelle die Reimersche auf der korrespondierenden Tafel
den bereits erwähnten Seitenkarton „Grofsgriechenland'S vermut-
lich als Annex zu Mittelitalien der Hauplkarte eingesetzt und jenen
Spezialplan in schöner und deutlicher Ausführung im Zusammen-
hang mit anderen Stadtplänen Roms auf Blatt IX (R.) gebracht
hat. Schlielslich weist Tafel VIII (R.) durch ein Nebenkärlchen
des nordwestlichen Teils des Busens von Cumä mit Neapel und
dem Vesuv eine Bereicherung auf; nur schade, dafs Raummangel
die Darstellung dieses gesamten interessanten Gebietes verhin-
dert hau
Die Tafeln XI (W.), Stadtpläne Roms enthaltend, XIII (W.),
Geaamtitalien darstellend, decken sich im wescntUchen mit IX
ond VII (R.), — doch enthält die Nebenkarte der letzteren die
XIV Regionen des Augustus, die korrespondierende Weimarer die
iDhailsvolle, aber nicht ganz entsprechend ausgeführte der altita-
lischen Spracbstämme — ; von ersteren wurde auch teilweise, wie
wiederholt von Blatt XIII (W.) gesprochen.
Die Tafeln XIV (W.) , Gallien und Britannien, und XV (W.),
Germanien und Sarmatien, sind in der Reimerschen Ausgabe zu
einer Karte, Blatt XI: Gallien, Britannien, Germanien und statt
der schon auf Tafel I (R.) ersichtlichen sarmatischen Gebiete die
>) C. Tk Pisclier, De HanoonU Carthagiaiensis Periplo, I. Heft der
^^'■tersiicliaageo aaf dem Gebiete der alteo Länder- und Völkerkunde *^
Leipzig 1S93, Teobaer.
>} Maa vgl. aoch den Seitenkarton zu XII (W.), „Erlaaternden Text"
& 31 aad Kiepert Lehrbuch S. 417, wonach die höchstwahrscheinliche Ver-
waadtsehaft der Aqaer uad Sabiner sprachlich nicht nachweisbar ist.
254 Zu den K iepertscheo Atlanten der alten Welt, v. S. Gor^e.
DoDauproWnzen enthalteDd, vereinigt worden. Neben den metho-
dischen Gründen, welche die möglichste Obersicht, in unserem
Falle auch ohne Beeinträchtigung der Deutlichkeit, heischen,
sprechen wohl auch ökonomische für ein solches Zusammenlegen
der Karten, da sonst die Atlanten und ihre Preise zu sehr an-
schwellen müssen. Statt des Seitenkartons der Weimarer Aus-
gabe, das Reich am cimmerischen Bosporus, hai die Reimersche,
durch die diesbezüglichen Raumverhältnisse genötigt, auf einer
solchen Nebenkarte Dacien und Mösien gebracht, zumal in der-
selben auf Tafel H (R.) bei der Darstellung des persisch- mace-
donischen Weltreichs die milesische Kolonisation nicht wie im
Seitenkarton zu XV (W.) auf den Nordosten des Ponteuxin be-
schränkt, sondern an der ganzen Peripherie desselben anschaulich
gemacht wurde.
Schliefslich enthält Tafel XVI (W.) das imperium Romanum
zwiefach, einmal unter Gebrauch verschiedener Farben mit Rück-
sicht auf die Zeit der Erwerbung der einzelnen Provinzen, was
in der That instruktiv wirkt — das korrespierende Blatt XII (R.)
unterscheidet in Farben nur zwischen der Zeit vor und nach
Augustus und erläutert das Detail in einer Legende — , das
andere Mal gleichfalls das imperium Romanum mit der diocletia-
nisch-constantinischen Präfektur-,Diöcesan- und Provinzialabteilung.
Indem die Reimersche Ausgabe trotz ihres gröfseren Mafsstabcs
die letztere auf einen schönen farbigen Seitenkarton, der filr
diese Zwecke wohl ausreicht, beschränkte, konnte sie füglich für
imperium Romanum der Hauptkarte einen gröfseren Raum ge-
winnen.
Wien. S. Gorge.
ZWEITE ABTEILUNG.
LITTERARISCHE BERICHTE.
Oskar Jiger, Pro Domo. Reden ood Aufsätze. Berlio 1893, Oswald
Seehageo. 410 S. 8. 6 M.
Ein Buch von Direktor Oskar Jäger braucht, zumal in dieser
Zeitschrift, nicht besonders empfohlen zu werden. Ich i»rauche
auch kaum zu sagen, dafs das Haus, für welches Jäger spricht,
das humanistische Gymnasium ist, dieses gute alte vaterländische
Baus, das jetzt in Freufsen, Braunschweig und öberall da, wo die
neuen preufsischen Lehrpläne eingeführt sind, in seinen Grund-
festen erschüttert ist und in allen Fugen kracht. Wir müssen
und wollen ja hoffen , dafs wir das Verlornene einst wiederge-
winnen und dafs die eindringlichen Heden von Männern wie Jäger
nicht wirkungslos verhallen; aber in der Adventsstimmung: hebet
eure Häupter auf, darum dafs sich eure Erlösung nahet, sind wir
nicht. Nur den einen Trost haben wir: tiefer können wir nicht
gut sinken. „Da steh ich, ein entlaubter Stamm". Nicht biofs den
Schmnck der Zweige hat man weggehauen, man hat das Lebens-
mark angetastet. Das ist es, was jedem redlichen Verstand aus
dem dritten Teil des vorliegenden Buches zum Erschrecken klar
werden niufs. Wie begreiflich, iing ich von hinten an zu lesen:
es war ein Gang aus sonniger Tageshelle durch Abendschatten
hindurch in Nacht und Nebel hinein. Wie freudig der Ton in
den Reden bei Übernahme der Direktion des Friedrich-Wilhelms-
Gjmnasiums zu Köln 1865 und über das Verhältnis der Schule
zum öffentlichen Leben am 22. Mäi^ 1870! Apologetisch und nicht
ohne Ahnung der drohenden Gefahren klingt die Jubiläumsrede
aber das Verhältnis zu Staat und Haus vom 18. Oktober 1875.
Sieben Jahre darauf hebt das Unheil an, die Lehrpläne von 1882
sind da, und nun geht es more ruentis acervi bis hinab zu der
Niederlage von 1892: magna pugna victi sumus. Die Thesen
über Vergängliches und Bleibendes am humanistischen Gymna-
sium, erläutert in der pädagischen Sektion der allgemeinen deut-
schen Pbilologenversammlung in München 1891, sie sind ein Ver-
such, festes Land oder doch einen Ankerplatz für das sinkende
256 Oskar Jäger. Pro Domo,
Schiff zu entdecken. Jäger will nun zwar, dafs man pessimistisch
im Urteilen und optimistisch im Handeln sei, vielleicht rankt sich
auch die Hoffnung manches Kollegen an seinem Optimismus em-
por; ich aber kann mich nicht halbieren und thue meine Pflicht
als Kantianer, mir tönt es in den Ohren: lasciate ogni speranza.
Zur Zeit geht es in den beiden obersten Klassen allenfalls noch;
aber wenn erst die jetzigen Sextaner sich bis zur Prima herauf-
geturnt und herangespielt haben, dann wird das fivariJQioy r^g
fioogiag offenbar werden. Nur eins überdauert jeden Wechsel: die
Liebe zur Jugend, und unsere liehe Jugend wollen wir unter-
richten und erziehen, soweit wir dürfen, mit aller Treue., mit
allem Eifer: für die Folgen des anbefohlenen Unterrichts- und Cr-
ziehungssystems sind wir nicht verantwortlich.
Der zweite Abschnitt unseres Buches enthält Abhandlungen
und Vorträge meist historisch - philologischen Inhalts. Sie sollen
den Beweis erbringen, dafs gerade die Thätigkeit des Gymnasial-
lehrers auch den Trieb der Einzelforschung und dadurch den
wissenschaftlichen Sinn frisch erhält. Für seine Person hat Jäger
den Beweis glänzend erbracht. Wir heben nur hervor die Ab-
handlungen über Alexander den Grofsen als Regenten und über
M. Atilius Regulus, die indes vielen bereits bekannt sein werden.
Auch die realistischen Bemerkungen zu Horatius sind nicht neu,
wohl aber, sowiel ich weifs, die homerischen Aphorismen, in denen
Verstand und rechter Sinn gegen gelehrte Hyperkritik und Düftelei
kräftig zu Felde zieht. Ober die homerische Frage, meint Jäger,
dürfe man mit einer gewissen Unbefangenheit und ohne Scheu
reden: wie wenig auch zutreffe, was man vorbringe, in jedem
Fall sei schon Thörichteres in der Sache gesagt worden; und zwar
nicht blofs von Dilettanten, sondern von Meistern der Wissenschaft,
wie dies denn auch einem vom andern mit wenig höflichen Worten
vorgehalten zu werden pflege. „Oder kann es für einen, der ohne
Voreingenommenheit des Weges kommt, etwas Verkehrteres geben
als etwa dies: einen Widerspruch zu finden zwischen dem Anfang des
zweiten und dem Ende des ersten Buches der Uias? Giebt es hier
einen schwierigeren Denkprozefs zu vollziehen — für einen ein-
fachen Leser von heute und mithin für einen einfachen Hörer vor
3000 Jahren — als etwa Odyssee 15, 4 ff. oder auch selbst
Odyssee 20, Iff.? Und doch ist kein geringerer als Lachmann
der Entdecker dieses Widerspruchs, und ein so feiner und in
Wahrheit überfeiner Gelehrter wie Bonitz triumphiert über diesen
Stein des Anstofses, den Lachmann damit den Einheitsgläubigen
in den Weg gewälzt habe, und über die grofse Entdeckung, dafs
hier 'ein Abbrechen des Gesanges und neues Anheben anerkannt
sei', als ob es sich nicht für jeden Standpunkt von selbst ver-
stünde, dafs zuweilen der Gesang abbricht und wieder neu anhebt
— und schreibt über diese Stelle zwei der überflüssigsten Seiten,
die je geschrieben worden sind.'* Lachmanns Gröfse in Ehren,
■ ogpez. voo H. F. Maller. 257
aber ich finde, dafs in der Philologie gerade so wie in der Politik
di« Saggesiion ihr unheimliches Wesen treibt, und ich kann Jäger
Dor Kastimmen, wenn er im Hinblick auf den Scharfsinn und das
{[ombiDatorische Genie in Kirchhoffs und Wilamowitz' homerischen
Untersuchungen an ein Wort von Moriz Haupt erinnert, wonach
zwei halbe Gründe nicht einen ganzen Grund machen und tausend
halbe Gründe eben immer tausend halbe bleiben ohne irgend
welche überzeugende Kraft. Was Jäger sonst noch sagt über die
Widersprüche bei Homer mit Parallelen aus Goethe und nament-
lich Shakespeare, über die Einheit, Komposition und Ökonomie
der Dichtungen, über die Einheit und Individualität des Dichters,
ober Bild, Gleichnis und andere Kunstmittel: das alles atmet einen
gesunden Realismus und verständnisvolle Einsicht in dichterisches
Srhaffen. Sehr willkommen ist endlich die Anleitung, Homer mit
Schülern zu lesen. Weiter auf diesen zweiten Abschnitt einzu-
geben, rerbietet der Raum. Es stehen aber hübsche Sachen
darin.
Die Reden des ersten Teils über Schule und Vaterland wollen
dem Vorwurf begegnen, als sei der Vorkämpfer des humanistischen
Gymnasiums ein Stockphiiologe, der die Zeit oder den Zeitgeist
oder wie man das Irrlicht sonst bezeichnen mag, nicht verstehe.
Sie beweisen in der That, dafs Jäger das philologische Lehramt
und die gymnasiale Erziehung stets in ihrem Zusammenhang mit
den Aufgaben unserer Nation in diesem unserm 19. Jahrhundert
aofgefafst hat. Wer Veranlassung haben sollte, ähnliche Reden
zu halten, kann sich an den vorliegenden ein Beispiel nehmen.
Aus allen spricht ein warmes Herz, ein weiter Blick, ein gesundes
und gereiftes Urteil, vor allem auch ein herzerfrischender Freimut:
fkszä naQQfjaiag ndofig lalnv xov Xoyov.
Dnd nun verzeihe mir der geneigte Leser, wenn ich noch
einmal auf den dritten Teil zurückkomme. Es wird ja nichts
helfen, aber es ist mir ein Herzensbedürfnis, im Anschlufs an
Jägers pro domo meinen Kummer über die unglückselige Schul-
reform auszusprechen.
„Das humanistische Gymnasium kann seine Aufgabe als Vor-
bereitungsanstalt für akademische Studien nur dann lösen, wenn
in seinem Lehrplan ein zentraler Unterrichtsgegenstand, auf
allen Klassen mit überwiegender Stundenzahl ausgestattet, vor-
banden ist''.
Dieses Zentrum ist jetzt nicht mehr vorhanden, der Schwer-
punkt liegt nicht mehr in den Altertumsstudien, es ist überhaupt
kein Schwerpunkt mehr da, sondern ein Vielerlei von nebenein-
ander hergebenden Unterrichtsgegenständen, und dies Vielerlei zer-
splittert und schwächt die geistige Kraft der Schüler. Das Studium
des Lateinischen und Griechischen und in Verbindung damit der
alten Geschichte bindet die verschiedenen Unterrichtsfächer nicht
mehr zusammen, es schafft für ihren wissenschaftlichen Betrieb
Z«ttMhr. r. d Ojmaasialwesen XLYIIi. 4. 17
258 K* L. Leimbacb, Leitf. f. d. evaDpel. RelfgioosoDterrichC,
weder die historische Grundlage noch die psychologischen Vor-
aussetzungen.
Was uns an Boden, an Licht und Luft entzogen ist, kann
die Methode oder Virtuosität des Unterrichtens nicht ersetzen.
Denn diese gepriesene Methode kann weder die Natur der Lehrer
noch die Natur der Schuler verändern, sie trägt die Kraft der
Wiedergeburt nicht in sich. Unsere Väter sind auch keine Dumm-
köpfe gewesen, aber die alle Pädagogik legte ihre Eier ohne viel
zu gackern — sagt Jäger.
Dazu kommt als besonders erschwerender Umstand, dafs der
Jugend seit zwei Jahrzehnten Torgeredel wird, sie sei überbürdet. Dar-
über lächeln sie zwar, die robusten deutschen Jungen, wie weiland
die römischen Auguren; aber die Kinder, sie hören es gern und
machen es sich zu Nutze. Ferner: seit einem Menschenalter pfeifen
es die Spatzen von den Dächern, dafs Griechisch und Latein und
alte Geschichte recht unnütze Wissenschaften seien. Der Knabe
wird schon gewöhnt, nach dem Marktwert der Kenntnisse zu
fragen, und lernt nur mit Unlust, was ihm keinen unmittelbaren,
keinen greifbaren Nutzen verspricht. Die Erziehung zu wahr-
haft wissenschaftlicher, ernster, unerbittlicher Arbeit wird uns vom
Haus und vom Staat ganz erheblich erschwert, und darin er-
blicken wir den gröfsten Schaden für unsere Jugend und damit
für unser Volk.
Blankenburg am Harz. H. F. Müller.
Karl L. Leimbach, Leitfaden für den evtni^eliseheo Relifioas-
UDterricht io den höheren Lehranstalten. L Teil: Unterslufe und
Mittelstufe. IL Teil : Oberstufe. Zweite nach den neuen preufsischen
Lehrplünen vom 6. Januar 1892 umgearbeitete Auflage. Hannover,
1893, Carl Meyer (Gustav Prior). 237 und 164 S. 8. 1,80 N u. 1,60 M.
Das vorliegende Werk ist eine nach Mafsgabe der neuen Lehr-
pläne vom 6. Januar 1892 vorgenommene Umarbeitung eines von
demselben Verf. schon früher herausgegebenen Leitfadens. Die
Änderungen an dem ursprünglichen Werke, welche notwendig ge-
worden waren, betreffen vorwiegend das Mafs und die Gruppierung
des Unterrichtsstoffes; die innere Ausgestaltung desselben ist in
beiden Ausgaben im wesentlichen dieselbe. Der erste Teil, welcher
die Unterstufe mit umfafst, enthält eigentlich den Lehrstoff
für die Mittelklassen, denn auf der Unterstufe ist eine besondere
biblische Geschichte zu benutzen, und es kommen nur ein-
zelne Abschnitte des Katechismus und einige Kirchenlieder und
Bibelsprüche in Betracht. Den Hauptinhalt des 1. Teiles bilden
daher die Pensa der Mittelstufe : eine Erklärung des Katechismus,
die Bibelkunde, eine Übersicht (iber die Geographie von Palästina,
sowie über das Kirchenjahr, Lebensbilder kirchlich hervorragender
Persönlichkeiten von Luther bis auf die Neuzeit und endlich ein
Oberblick über die Entwicklung des evangelischen Kirchenliedes.
ao^fz. voD J. HeidemaoD. 259
Der 2. für die oberen Klassen bestimmte Teil enthält eine Ge-
schichte der christlichen Kirche von ihren Anfangen an bis heute,
und einen Überblick über die christliche Glaubens- nnd Sitten-
lehre, daneben die aligemeinen Bekenntnisse der Kirche, die Con-
fessio August., sowie eine Obersicht über die wichtigsten Unter-
scheidangslehren der christlichen Konfessionen. Der Verf. kann
daher mit Recht von seinem Bache sagen, dafs ein Lehrer, welcher
Dor nach dem amtlichen Lehrplane unterrichten will, keins der
rorgeschriebenen Lehrstucke in seinem Buche vermissen werde.
Es mufs daneben hervorgehoben werden, dafs der gesamte Lehr-
stoff übersichtlich geordnet, die Darstellung klar und lebendig
und überall das für den Schüler Bedeutsame geschickt in den
Vordergrund gestellt ist Niemand wird verkennen, dafs der Verf.
für sein Bach Erfahrungen verwertet hat, welche nur durch lang-
jahrige Unterrichtspraxis erworben werden können.
Diesen Vorzögen des Buches gegenüber mufs der Ref. je-
doch bekennen, dafs nicht jeder Lehrer in der Lage sein wird,
den fachwissenschaftlichen Angaben des Verf. durchweg beizu-
stimmen. Dies gilt im besonderen von seiner Darstellung der
Bibelkande, in welcher die Berücksichtigung mehrerer fast allge-
mein anerkannter Ergebnisse der neueren Bibelforschung vermifst
wird. Der Pentateuch z. B. ist nach IS. 123 ein Werk des Moses
and beruht auf mundlicher Überlieferung oder göttlicher Offen-
barung. Dafs jedoch die biblische Kritik von einer Komposition
des Pentateuches,_ von älteren und jüngeren Bestandteilen des-
selben redet und das Verhältnis des Deuteronomiums zu den
früheren Büchern erörtert, davon erfährt man kein Wort; und
do€h sind das Erörterungen, welche in einer Bibelkunde fuglich
nicht umgangen werden können, vielmehr eine kurze, orientierende
Darlegung erfordern. — In einer Anmerkung zu den Büchern
Saaiuelis(S. 127) werden zwei Schreibfehler im alttestamentlichen
Grandtexte nachgewiesen, nämlich 2. Sam. 21, 8, wo Merob statt
Miehal und ebendaselbst V. 19, wo statt Goliath Bruder des Go-
liath zu lesen ist. Dafs hier Schreibfehler vorliegen, ist zweifellos;
aber es ist nicht recht ersichtlich, wozu das hervorgehoben wird,
da jenes Kapitel mit seinem dem Schülerinterresse fern liegenden
Inhalte wohl kaum jemals in der Schule gelesen wird. Sollen
überhaupt Grand lextfehler berücksichtigt werden, um das Bibel-
verständnis zu erleichtern, so müfsten vor allem solche Bibelab-
schnitte berücksichtigt werden, welche für den Schulunterricht be-
sonders in Betracht kommen, wie z. B. die Geschichte Sauls
L Sam. 9 u. fg. Hier nennt V. 21 Saul sein Geschlecht das ge-
ringste der Stämme Benjamin, während es heifsen mufs: des
Stammes Benjamin, da es unter den 12 Stämmen Israels nur
einen dieses Plamens gab. Ein anderer Schreibfehler liegt vor
10, 3, wo die Eiche Thabor statt Deborah bei Bethel genannt
wird. Gemeint ist ein schon Genes. 35, 8 und Rieht. 4, 5 er-
17*
260 P* Hoffmao D, Deatsch es Lesebuch f. höhere LehraosUlteo,
wähnter Baum. Ferner: 10, 12 fragen die Leute: Wie kommt
Saul unter die Propheten? Wer ist ihr Vater? In der zweiten
Frage mufs es heifsen: Wer ist sein Vater? Denn es soll der Ver-
wunderung Ausdruck gegeben werden, dafs der Sohn des Land-
mannes Kis unter die Propheten gegangen ist. In 2. Sam.
5, 8, wo von der Eroberung Jerusalems durch David die Rede ist,
fehlt zum Vordersatze der ganze Nachsatz, welcher glücklicher-
weise I.Chron. 11 (12), 6 erhalten ist. Dieses Verzeichnis von
Schreibfehlern könnte fortgesetzt werden, wenn es überhaupt in
einen Leitfaden gehörte. — Die Frage, ob der Psalter auch Lieder
aus der Zeit der Hakkabäer enthält, entscheidet der Verf. S. 129
im negativen Sinne; ganz entgegengesetzt der neueste Psalmen-
erklärer Friedr. Baethgen in der Einleitung zu seinem Handkom-
mentar S. 31. — Die Lösung des Problemes im Buche Hiob findet
der Verf. nicht in der eindrucksvollen Rede Gottes, sondern in
der Rede des Elihu, welche schon der Sprache nach sich als der
Nachtrag eines späteren Autors kund giebt und die Einheit des
ganzen Buches stört. Eiihus Anwesenheit bei dem leidenden Hiob
wird weder im Prolog noch im Epilog erwähnt, und dennoch uht
er Kritik an den Reden Hiobs wie seiner Freunde, wobei man
nicht weifs, woher er Kunde von ihnen hatte. Bei der Annahme
eines späteren Verfassers der Elihu -Rede erledigt sich diese
Schwierigkeit von selbst, denn derselbe hatte die Reden Hiobs
und seiner Freunde geschrieben vor sich. — S. 136 wird dem
Jesaias auch die Abfassung von Jes. Kap. 40 — 66 zugeschrieben,
obgleich in ihnen bereits der Perserkönig Kyros und die Erobe*
rung Babylons im Jahre 538 v. Chr. erwähnt werden. — Auch
in betreff der Angaben über einzelne neutestamentliche Schriften
wird der Verf. Einspruch erfahren, wie z. B. hinsichtlich des 2.
Briefes Petri, dessen Authentie nicht beanstandet wird, obgleich
sich darin (III 15 u. 16) bereits ein Hinweis auf eine Sammlung
der paulinischen Briefe findet. — Zu ändern ist endlich der Satz
I 204: Auch in Brandenburg war 1539 Joachim L gestorben, und
sein Sohn Joachim IL führte die Reformation ein. Mit dem
„auch" wird auf dem Tod Herzogs Georg von Sachsen verwiesen,
welcher im Jahre 1539 erfolgte; Joachim I. aber starb schon im
Juli 1535.
Berlin. J. Heideroann.
F. HoffmaoD, Deatschea Lesebach für höhere Lehraostal ten.
Siebente Abteilao^: für Obersekonda. Auswahl ans der klassischen
Litterator des Mittelalters. (I. — 1IL Abteilang: rür Sexta, Quinta und
Quarta, von J. Hopf und K. Paolsiek, neu bearbeitet von K. Paalsiek
and Chr. Moff; IV.— VL Abteilang: für Untertertia, Obertertia uod
Untersekanda, von Chr. Muff.) Berlin 1893, G. Grotesche Verla^s-
buchhandlang. VIII a. 175 S. 8. geb. 2 M.
Die vorliegende Auswahl aus der klassischen Litteratur des
Mittelalters verzichtet aus guten Gründen darauf, „abgerissene
• ■gel. von il. Sohmitt 261
Brochsiucke aus zahlreichen Dichtern'* vorzuföhren; sie sucht viel-
mehr eine klare Vorstellung von den wichtigsten Erscheinungen
auf dem Gebiete der mittelalterlichen Litteratur zu geben durch
Anfnahme „gröfserer, möglichst abgerundeter und zusammen^
haogender Abschnitte aus den besten Dichtungen'*. Mit vollem
Rechte ist daher der gröfste Teil des Buches (HO von 140 Seiten
Text) den beiden Yolksepen, dem Nibelungenliede und der Gudrun,
gewidmet. Von dem höfischen Epos sollen die Schüler eine Vor-
stellung erhalten durch Vorführung zweier Werke Hartmanns
von Aue, des iwein und des armen Heinrich. Endlich ist die
Lyrik trefiflich vertreten durch die Aufnahme einer verhältnismäfsig
grofsen Anzahl der besten Lieder Walthers von der Vogelweide.
Da eine Wiedergabe der vollständigen Epen sich aus äufseren wie
inneren Gründen verbot, so bat HofTmann von diesen nur die
besten und wichtigsten Teile in der mhd. Form aufgenommen
und den Inhalt der ausgelassenen Teile in knapper, klarer Prosa-
erzahlung angegeben, so dafs die Schüler einen deutlichen Ober-
blick über die ganze Dichtung erhalten. Was die Auswahl aus
dem Nibelungenlied anlangt, so wird sie im allgemeinen gewifs
den vollen Beifall jedes Kenners der Dichtung erlangen; bedauert
habe ich nur, dafs Hagens Zusammentreffen mit den Nixen und
dem grimmen Fährmann an der Donau, ferner der nächtliche
Kampf im Baiernlande und endlich der Saalbrand im Hunenlande
keine Aufnahme gefunden haben, sondern nur in dem Prosabericht
erwähnt werden; diese drei Scenen enthalten soviel urwüchsige
Kraft und grausige Schönheit, die meiner Erfahrung nach niemals
ihren Eindruck auf die Schüler verfehlt, dafs es sich wohl ver-
lohnt hätte, hier und da an den anderen Aventiuren zu kürzen
und Raum hierfür zu schaffen. Rückhaltlose Anerkennung verdient
dagegen m. E. die Auswahl aus den Dichtungen Hartmanns und
aus der Gudrun. Mit Recht hat sich Hoffmanu darauf beschränkt,
von dem letztgenannten Epos nur die Teile wiederzugeben, die
nach Müllenhoffs Untersuchung und Martins Nachprüfung als die
ältesten angesehen werden; mag man auch die Versuche, die alten
Epen selbst aus den Überarbeitungen der Überlieferung wiederzu-
gewinnen, für nicht viel mehr als ein geistreiches und scharf^
sinniges Spiel kritisch und ästhetisch hochveranlagter Männer halten,
das eine Gute haben jene Untersuchungen jedenfalls gehabt, daf$
sie die besten Bestandteile der Epen klar erkannt und scharf her-
vorgehoben haben; und, da unsere Schüler unter keinen Um-
standen mit dem durch einen Wust von Überarbeitungen ent-
stellten Epos bekannt gemacht werden dürfen, wenn man ihnei^
dessen Lektüre nicht absichtlich langweilig machen will, so genügt
es, wenn ihnen dieses Beste vorgeführt wird. Sehr zu billigeq
ist ferner die Gruppierung der Lieder Walthers nach den Gesichts-
punkteu „Lenz und Liebe" und „Staat, Kirche und W^elt'*; die
Gedichte der letzten Gruppe hat Hoffmann chronologisch geordnet
262 Deutsches Leseb. f. höh. Lehranstalten, a^z. v. H. Schmitt.
und ihr Verständnis durch kurze Hinweise auf die Zeitereignisse
erleichtert. Bin ich demnach mit der Grundanlage des Werkchens
im ganzen durchaus einverstanden, so darf ich doch ein Bedenken
uud Bedauern nicht verschweigen, das nämlich, dals als Vertreter
des höGschen Epos Hartmauu von Aue mit seinem Iwein und dem
armen Heinrich und nicht Wolfram von Eschenbach mit dem
Parzival gewählt worden ist. Hoffmann sagt in der Vorrede, dafs
es aus verschiedenen Gründen ihm nicht rätlich und sogar aus-
geschlossen erschienen sei, auch den „Parzival'' oder ,, Tristan und
Isolde*' zu berücksichtigen. Eine Berücksichtigung von „Tristan
und Isolde" halte auch ich für ausgeschlossen; dagegen hätte ich
gewünscht, dafs die fünfzehn Seiten, die nun auf Hartmann ent-
fallen, ganz dem Parzival gewidmet worden wären. Ich zweifle
nicht, dafs Hoffmann seine guten Gründe gehabt hat; aber meines
Erachtens überragt die Parzivalsage die übrigen Sagen des höfischen
Epos so gewaltig an innerem Wert und an Bedeutung auch für
die Gegenwart, dafs, mochten auch die Schwierigkeiten der Aas-
wahl grofs sein, der Versuch hätte gemacht werden sollen, dies
Epos durch Wiedergabe einzelner Teile und Inhaltsangaben der
übersprungenen den Schülern im Zusammenhange vorzuführen. —
Der mhd. Text ist durchweg nach guten Textausgaben abgedruckt:
das Nibelungenlied nach Zarncke, die Gudrun nach Martin, der Iwein
nach Benecke-Lachmann, der arme Heinrich nach Schulz, diti Lieder
Walthers nach Wilmanns. — Dem Text der Dichtungen ist zunächst
hinzugefügt ein sorgfältig gearbeitetes Wörterverzeichnis, das alle
Wörter aufführt, deren mhd. Bedeutung von der neuhochdeutschen
abweicht, oder die sich im Neuhochdeutschen nicht mehr finden;
ferner nimmt es Rücksicht auf Formen, die für den Anfänger
nicht leicht zu erkennen sind, wie deich, deiz, bedaht, bekerä u. a.;
aufserdem giebt es hier und da Hinweise auf syntaktische Be-
sonderheiten (z. B. die Bemerkung über das suffigierte — ne)
und Anleitung zur Übersetzung mancher dem Mittelhochdeutschen
eigentümlichen Wendungen. Wünschenswert wäre es, wenn bei
Wendungen wie smaehe haben, fümames niht u. a. nicht ein-
fach die Übersetzung, sondern auch die Grundbedeutung der
Worte smaehe und fümames angegeben wäre, damit der Schüler
erkennt, wie diese W^endungen zu der Bedeutung „verachten" bezw.
„ganz und gar nicht" kommen; auch wäre es zweckmäfsig, wenn
die Bestandteile zusammengesetzter Wörter durch einen kleinen
Strich kenntlich gemacht würden, damit den Schülern der Unter-
schied der Silben er- und ge- in Wörtern wie er-manen und
ermen, ge-ruowen und gertoen schon durch den Druck deutlich
wird. — in dem grammatisch-litterarischen Anhang giebt Hoff-
mann zuerst einen kurzen Überblick über die Stellung der deutschen
Sprache zu den übrigen indogermanischen Sprachen, sowie über
ihre geschichtliche Enlwickelung, sodann einen knappen, aber völlig
ausreichenden Abrifs der mhd. Grammatik und das Wichtigste
Prejtags Sehulaasg. f. d. deutschen Unterr., agz. v. L. Ziirn. 263
Über die Verslehre ; in dem Abrifs der Grammatik sind als wohlge-
laogen her?orzaheben die Deklinations- und Konjugationstabellen,
weniger gelungen ist der Abschnitt über die Lautlehre. Endlich
fügt er noch einige Jitterarische Bemerkungen zu den im
Lesebuch enthaltenen Gedichten hinzu, die die wichtigsten Er-
gebnisse der Forschung über diese in gedrängter Form wieder-
geben. — Die Ausstattung des Buches ist, was Papier und Druck
anlangt, trefflich; die Schrift ist grofs und, was bei mhd. Texten
besonders wichtig ist^ klar und übersichtlich. Die Zeilenzahlen
sind überall angegeben; praktischer wäre es vielleicht gewesen, bei
den strophischen Dichtungen Strophenzahlen, und nur bei den
niebtstrophischen die Zeilenzahlen zu geben. Das Buch ist nach
alledem sehr wohl geeignet für die erste mhd. Lektüre und kann
zur Einführung an den höheren Lehranstalten warm empfohlen
werden.
Cassel. H. Schmitt.
Freytags Seholtnftgaben klassisclier Werke für den deotachea
üaterriebt: 1) Goethes Hermaon uod Dorothea, 2) Kleists Prinz
Friedrich von Horobarg, geb. je 0,50 M; 3] Kleists Hermannsschlacht,
4) Schillers Jangfran von Orleans, 5) Schillers Teil, geb. je 0,60 M.
Leipxig 1893, G. Frey tag.
Vorliegende Schulausgaben klassischer Werke der neuhoch-
deutschen Litteratur für den deutschen Unterricht, besorgt von
Dr. Haaffen, Dr. KhuU, Prof. Benedict, Prof. Ullsperger, Direktor
Straemcba, sind in erster Linie dazu bestimmt, den Schüler bei
seiner Vorbereitung oder Privatlektüre zu unterstützen. Sie bieten
zu diesem Zwecke den Text in der für die Schulen amtlich an-
geordneten Rechtschreibung. Eine dem Text vorangehende Ein-
leitung enthält die nötigen litterarhistorischen Angaben und Er-
örterungen über die stoffliche Grundlage des Kunstwerkes, die
dichterische Umgestaltung dieser slofQichen Grundlage, über Sprache,
Metrum, besondere Eigentümlichkeiten. Dem Text folgen Anmer-
kungen, die dem Schüler sachlich oder sprachlich schwierige oder
der Erklärung bedürftige Stellen und Ausdrücke erklären, so dafs
es möglich ist durch Ersparung von Unterrichtszeit eine gröfsere
Anxahl von Werken in der Schule zu behandeln. Einleitung und
Anmerkungen sind nach Inhalt und Umfang so bemessen, dafs
sie den Lehrer nicht überflüssig machen. Die Brauchbarkeit dieser
Schulausgaben wird noch erhöht durch Beigabe sorgfältig ausge-
führter Kärtchen und Bilder (Plan der Schlacht bei Fehrbellin,
Kärtchen von Frankreich und den Niederlanden, Kärtchen der Ur-
schweiz, Abbildung des Rütli, der Tellsplatte). Die äufsere Aus-
stattung (Papier, Druck, Einband) ist vortrefflich.
Freiburg i. B. L, Zürn.
264 Prinz Friedrich von Hombarf, aogez. von H, Neaber.
PrioK Priedrieh voo Homburg. Ein Schauspiel von Heinrich von
Kleist. Mit auaführlichea ErläatorunffCD für den Schiilgebraach und
das Privatstudiom von .1. Heawes. Mit einer Text - 111 ustratioo.
Paderborn 1892, F. Schöoingh. 176 S. 1,20 M.
Die Ausgabe ist eine von sorgfältigem Reifs und eindringen-
dem Verständnis des Yerf.s Zeugnis ablegende Arbeit, sehr wohl
geeignet, dem Zwecke zu dienen, für den sie bestimmt ist: das
Verständnis der herrlichen Schöpfung Kleists in Schule und Haus
zu fördern.
Die Anmerkungen unter dem Text — eine Einrichtung frei-
lich, welche den Gebrauch der Ausgabe in der Klasse selbst nicht
empfiehlt und überhaupt die Gefahr in sich birgt, die Aufmerk-
samkeit vom Text allzu leicht abzulenken und das eigene Nach-
denken zurückzudrängen, — diese Anmerkungen also führen
gründlich in die geschichtlichen Verhältnisse ein und enthalten
überhaupt das Wichtigste, was zum Verständnis des Dramas ge-
hört, namentlich auch treffliches Material für die Behandlung in
den oberen Klassen.
Sehr dankenswert sind hier z. B. gleich die dem Personen-
verzeichnis beigefügten Anmerkungen, die einen vorläufigen raschen
Einblick in wichtige, das Verhältnis der dichterischen Arbeit zur
Geschichte betreifende Punkte ermöglichen. In den Bemerkungen
zu den einzelnen Aufzügen und Auftritten ist zunächst immer —
auch äufserlich durch den Druck hervorgehoben — ihr Inhalt
kurz und treffend zusammengefafst und ihre Bedeutung im Zu-
sammenhang des Ganzen sowie für den Fortschritt der Handlung
hervorgehoben, dann das einzelne gründlich nach Inhalt und Form
erklärt unter besonderer Berücksichligung der sprachlichen Eigen-
art, gelegentlich mit Einflechtung sprachgeschichtlicher Hinweise.
Man wird hier kaum etwas Erwähnenswertes vermissen und eher
hin und wieder meinen, des Guten sei etwas zu viel geschehen;
das gilt auch von Anklängen an andre Dichtungen, die gewissen-
haft verzeichnet sind. Auf bedeutsame Wendepunkte im StQck
und psychologisch wichtige Vorgänge, die bei flüchtigem Lesen
leicht übersehen werden können, wird gebührend aufmerksam
gemacht und ihre Bedeutuug mit feinem Verständnis gewürdigt.
Dazu kommt ein 30 Seiten umfassender Anhang. In diesem
verbreitet sich der Verf. zunächst knapp und geschickt über den
Dichter und seine Werke im allgemeinen, sodann über die Ent-
stehung des „Prinzen von Homburg'', über die Schicksale der
Dichtung und ihre Beurteilung durch hervorragende Kunstkenner
sowie über die stoffliche Grundlage und das Verhältnis der dichte-
rischen Wahrheit zur geschichtlichen Wirklichkeit bezüglich der
Thatsachen wie Personen; hier fehlt auch ein Plan der Schlacht
bei Fehrbellin nicht aus Meriaus theatrum Europaeum. — Es folgt
eine eingehende Darlegung der Art und des Hauptthemas des
Schauspiels, wobei der Verf. die von Hans von WoLsogen ver-
H. Mnzik, Unterr. i. d. klassischen Spr., ags. v. Chr. Moff. 265
tretene, übrigens bereits von Bultbaupt in seiner ,,nramaturgie
der Klassiker*' überzeugend zurnckgewiesene Auflassung des Stuckes
als eines Lastspiels anziehend erörtert und seinen historiscli-
nationalen Charakter wie psychologischen Gehalt treffend würdigt.
— Der sechste Abschnitt giebt eine sehr anschauliche übersieht
über den Gang der Handlung mit graphischer Darstellung nach
Unbescheids bekanntem Vorgang. Darauf werden die sprachlichen
und metrischen Eigentümlichkeiten in einem besonderen Absclinitt
im Zusammhang besprochen. Zum Schlufs sind drei vaterlän-
dische Gedichte Kleists abgedruckt: „Germania an ihre Kinder'',
das Sonett „an die Königin von Preufsen'* mit Zollings und
Bernays' Würdigung des Gedichts und ,«das letzte Lied'* mit Fou-
ques schöner Einführung.
Das mag genügen zur Kennzeichnung des reichen Inhalts des
Bändchens, das in mancher Hinsicht die gediegene Arbeit Zürns
(Leipzig 1881, Verlag von Siegismund und Volkening) gerade für
die Zwecke der Schule ergänzt, ohne sie entbehrlich zu machen.
Dem Lehrer bietet es vortreffliche Anregung für die Vorbereitung
und auch in der Hand strebsamer Schüler wird man es gern
sehen. Mit der einschlägigen Litteratur ist der Verf. gründlich
>ertraut; doch ist ein Hinweis auf Otto Brahms Arbeit über Kleist
wohl am Platz. Die Ausgabe sei neben der erwähnten von Zürn
bestens empfohlen.
Wetzlar. H. Neuber.
Hugo Mazik, Stoff und Mittel des Uoterrichts in deo klassi-
schen Spracheo. Krems a.D. 1893, Österreicher. 71 S. 8. 1 M.
Dafs der Titel des Buches nicht glücklich gewählt ist, ge-
steht der Verf. im Vorwort selbst zu; es wird eigentlich nur von
lateinischen Schriftstellern und von den Grundsätzen, die bei Her-
stellung lateinischer Schulaufgaben befolgt werden sollen, ge-
handelt. Ganz nebenher ist von der rechten Schulzeit, den schäd-
lichen Freitischen, der wünschenswerten Einheit in der Ortho-
graphie, der Schwierigkeit bei Beurteilung der Schülerleistungeu
und der kläglichen Lage der Lehrer die Rede. Aber das Buch
leidet noch weiter an Einseitigkeit. Es befafst sich fast aus-
schliefslicb mit österreichischen Verordnungen, Gewohnheiten und
Zuständen und verwertet von der einschlägigen Litteratur nur
einen sehr kleinen Teil. Männer wie Schrader, Schiller und
Frick, die doch in solchen Fragen gehört zu werden verdienen,
werden mit keinem Worte erwähnt, selbst der grofse Pädagoge
an der Universität Prag, 0. Willmann, wird mit Stillschweigen
übergangen, und die Berichte der preufsischen Direktorenver-
sammlungen sind für M. nicht vorhanden. Indessen auch in der
Beschränktheit könnte sich der Meister zeigen; es könnte Muzik
von allen bisherigen Leistungen abgesehen uns doch etwas Brauch-
bares, eine Bereicherung der pädagogischen Litteratur geboten
266 ^* Kfibidr, Lat. Pensum für d. uotersle Gymaasialklasse,
•
haben. Dies ist aber nicht der Fall. Es soll nicht verkannt wer-
den, dafs der Verf. kerngesunde Anschauungen hat und sie mit
Eifer verficht. So tritt er warm für die Konzentration des Unter-
richts ein, ohne zu vergessen, dafs die Klassikerlektöre auch
Selbstzweck sein mufs; er will die Cicerolekture, die leider jetzt
sehr in den Hintergrund gedrängt ist, zum Mittel- und Kernpunkt
des lateinischen Unterrichts gemacht wissen; er eifert gegen
die Schülerkommentare; er wünscht dringend und aus guten
Gründen die Aufhebung des Nachmittagsunterrichts; er stellt eine
Reihe von Grundsätzen für Bearbeitung von Schultexten auf, die
Beachtung verdienen, u. a. m. Aber es finden sich doch auch
verfehlte Sachen in Menge. Die Verteidigung des Nepos i^t
mifsglückt, wie sie mifsglücken mufs; der Wert der Liviuslektüre
wird gewaltig unterschätzt; was das Schlimmste ist, Sophokles,
Herodot, Demosthenes und Thukydides werden kurzer Hand aus
dem Lehrplan des Gymnasiums gestrichen. Der Herr Verf. ver-
langt, und er ist mit seiner Forderung im Rechte, durch „Argu-
mente*' widerlegt zu werden (die Fremdwörter spielen in der
buntscheckigen Schrift eine grosse Rolle); ich bedaure, ihm hier
mit Gründen nicht dienen zu können, der Raum reicht dazu nicht
aus; ich bin aber in der glücklichen Lage, ihn auf die Verhand-
lungen der Pommerschen Direktoren - Konferenz v. J. 1885 ver-
weisen zu können; dort findet er eine Zusammenstellung der la-
teinischen und griechischen Schulschriftsteller, letztere von mir,
und ich denke, er findet sie auch hinreichend begründet.
Cassel. Christian Muff.
O. Kubier, Lateinifches PensDin für die unterste Gymoasial-
klasse (Sexta). Zweite, nach deo Lebrplioeo vom Jahre 1892 um-
gearbeitete Auflage. Berlio 1893, Wiegandt 8c Griebeo. Gramma-
tischer Teil IV Q. 42 S., Übungsbuch IV u. 67 S. 1,75 M.
Kühlers lateinisches Elementarbuch für Sexta besteht aus zwei
getrennten Teilen: aus dem grammatischen Teile und aus dem
Übungsbuche nebst einem Wörterverzeichnis zu den lateinischen
Übungsstücken. Der grammatische Teil ist im wesentlichen eine
Wiederholung des Sextanerpensums aus den „lateinischen Pensen
für die unteren Gymnasialklassen" desselben Verf.s, die Ref. in
dieser Zeitschrift 1888 S. 436 angezeigt hat. Die neuen Lehr-
plane vom Jahre 1892 nötigten den Verf. nicht, eine grundsätz-
liche Änderung vorzunehmen (vgl. die Darlegung der leitenden
Gesichtspunkte des Verf.s im Jahresbericht des K. Wilhelms-Gym-
nasiums in Berlin 1892), nur sind die Deponentia jetzt dem
Pensum der Quinta zugewiesen. Zur Ausarbeitung eines Übungs-
buches dagegen, das auch Beispiele zum Übersetzen aus dem
Deutschen in das Lateinische enthielte, ist der Verf. — sicher zum
Vorteile seiner Bestrebungen — durch die Forderungen der neueq
Lehrpläne gezwungen worden.
aii^es. voo R. Büttner. 267
Das Obungöbuch tritt der gediegenen Bearbeitung des gram-
matischen Teiles würdig zur Seite. Es wird von Einzelsätzen
aasgegangen, die zuweilen auch in einen gewissen Zusammenhang
unter einander gebracht sind, dann werden eine Anzahl Fabeln
und leicht verständliche Sagen und Erzählungen aus dem grie-
chischen und römischen Altertume in einer für die unterste Stufe
IMSsenden Form eingefugt und in den deutschen Sätzen wieder
verwertet Die Heranziehung einer weit gröfseren Anzahl von
später häutig vorkommenden Abstrakta, als wir gewöhnlich in
den Elementarbuchern linden, giebt auch den Sätzen einen an-
deren und zwar gehaltvolleren Inhalt Die Wiederholung des-
selben Gedankens unter mannigfachen Formen schadet nichts,
aber einige Sätze durften dem Verständnis der Sextaner Schwie-
rigkeilen bereiten. Doch wird der Lehrer diese leicht durch Vor-
führung irgend eines konkreten Beispiels heben können. Die
höchste Anerkennung verdient aber die aufserordentliche Sorgfalt
and das Geschick, das auf die Bestimmung der Wortbedeutungen
verwandt ist. Hier erkennt man nicht nur den erfahrenen Schul-
mann, der immer das Ganze und die Bedürfnisse aller Stufen
des lateinischen Unterrichts im Auge hat, sondern auch den feinen
Renner beider Sprachen. Der Kundige wird bald merken, wie
durch die gewählten Bedeutungen und Wortverbindungen manchen
in höheren Klassen häußg vorkommenden falschen Anwendungen
von vornherein vorgebeugt wird. Ref. mufs gestehen, dafs ihm
sogar die Durchsicht des Wörterverzeichnisses dadurch zu einer
interessanten Lektüre geworden ist
Der Druck des Buches ist sehr sauber und korrekt. Es sind
dem Ref. nur wenige Druckfehler aufgefallen. Im grammatischen
Teile sind S. 14 zwei Wörter durch Verschiebung des Satzes an
die unrechte Stelle gekommen; S. 34 ist wohl das Pf. assidi statt
osserfi nicht beabsichtigt, sondern nur ein Druckfehler, weil gleich
darunter consent steht und auch im Wörterverzeichnis atsedi sich
lindet. Im Wörterverzeichnis steht falschlich nex, neeis für nex,
neos, bei pes, pidis fehlt die Angabe der Quantität, bei rado steht
rati im Sup. statt rasum.
Das tüchtige Buch wird gewifs allgemeine Anerkennung lin-
den und nun, da dem Mangel eines Übungsbuches, der die Ein-
föhruog der ,,lateinischen Fensa" des Verf.s an anderen Anstalten
vor allem erschwert hat, abgeholfen ist, sicher auch eine weitere
Verbreitung finden. Im Interesse des lateinischen Unterrichts
können wir nur wünschen, dafs der Verf. sein in dem erwähnten
Jahr^berichte ausgesprochenes Vorhaben, die lateischen Pensa
in der neuen Gestalt bis Untersekunda fortzusetzen, recht bald
ausführt.
Gera. Richard Büttner.
^
268 ^- Wetiel, Griechisches Lesebaeh,
M. Wetzet, Griechisches Lesebuch mit deatschen (Ibaogsstückeo für
Unter- aod Ober-Tertia. Dritte, mit Rücksicht auf die oeaeo prea-
Isischeo Lehrpläoe umgearbeitete Auflage. Preibnrg im Breisgau 1893,
Herdersehe Verlagsbachhandlung. XI uad 217 S. 2,20 M, geb.
2,55 M.
Das griechische Cbuogsbuch von Wetzel hat in Verhältnis-
mäfsig kurzer Zeit die dritte Auflage erlebt, ein Beweis, dafs
seine Vorzuge Anerkennung Gnden und seine Mängel er-
tragen werden. Dennoch unterscheidet sich die neue Auflage sehr
von der früheren, wie auch diese sich von der ersten gar weit
entfernt hatte. Will der Verf., der durch die jüngsten Änderungen
den neuen preufsischen Lehrplänen gerecht zu werden meint,
diesen auch in Zukunft genügen , so wird er die jetzige Gestalt
seines Werkes in der Hauptsache als die endgültige betrachten
müssen und nicht wieder durch eine neuerliche Auflage die frühere
verdrängen dürfen.
Die leitenden Gedanken der zweiten Auflage zu ändern, sah
W. keinen Grund: er läTst auch jetzt den Tertianer zunächst
einen Kursus des Regelmäfsigen durchmachen, alsdann einen sol-
chen der wichtigsten Unregeimäfsigkeiten , nach deren Überwäl-
tigung von der für sein Verständnis zugeschnittenen Lektüre zu
der der Anabasis geschritten werden soll, und schliefst mit einer
erweiternden Wiederholung der Formenlehre, bei der fast aus-
schliefslich Paraphrasen der Anabasis durch Obersetzungen in das
Griechische den Stoff* zur Einübung liefern. Nur hat er ein
Dutzend unregelmäfsiger Verba, die bisher vor dem Übergänge zur
Anabasis geübt worden sind, dem Erweiterungskursus zugewiesen,
um der neuen Unterrichtsordnung entsprechend früher an die
Anabasis gehen zu können. Die Ausführung des Gedankens da-
gegen ist etwas anders ausgefallen. Waren früher Übertragungen
aus dem Griechischen und solche aus dem Deutschen als gleich
wirksame Übungsmittel in demselben Umfange geboten, so treten
jetzt, wir wissen aus welchem Grunde, die ersten mehr in den
Vordergrund, sowohl durch den eigenen Umfang als auch durch
das Verhältnis der deutschen Übungsstücke zu den griechischen,
an die jene sprachlich und inhaltlich angeschlossen sind; daher
ist auch der Titel des Werkes, der früher „Übungsbuch*' lautete,
geändert in „Lesebuch''.
Was ich über Inhalt und Form der Sätze in der zweiten
Auflage (Jahrgang XLIV S. 6260*.) gesagt habe, gilt auch für
die dritte Auflage. Einerseits bildet W. durch allerhand Kombi-
nationen aus einem verhältnismäfsig geringen Vokabelschatz gar
zu viel Sätze, die durch ihren Inhalt Bedenken erregen. Wie
soll ich mir die Sachlage ausmalen, in der i^ xqavyij zijv
ipvyipf xiaXvei'i Darf ich die Moral predigen, die aus den
Worten spricht: ädixa nqaTtsiB' axopiag ydg tovg äp&Qci-
novc ov deX ävayxd^eivt ist es wahr, was ein deutscher Satz
lehrt, dafs die Erde den Menschen freiwillig die Nahrung bietet?
ao^ez. voD P. WeifseBfeli. 269
Anderseits bescbleicht mich auf den ersten Bogen and in
sämtlichen zusammenhängenden Lesestucken gar zu häufig das
Gefühl, dafs der Grieche den Gedanken nun und nimmer-
mehr in der von W. gewählten Form ausgedrückt hätte. Das
Verbum i/xatfiidCBiv hat er jedenfalls nicht vom bildenden Künst-
ler gebraucht wie W. in den Worten ol rcx^rror» rrfv t&v &€wv
ngo^ Tövg yi/ayrag fidxv^ iyxcofud^oviXtv, und jedenfalls nur
von sittlichen Gröfsen oder sittlichen Regungen, während W.
schreibt: 'OfkijQog t^v tov ^Ax^Xkioag nqoq tovg ^AxQsidag ogyi^v
ijrxwiAtdZBt. Was wir an anderer Stelle lesen : oi atganeoTai Xid-ovg
sig toy noxaikov ^iTtrortsg d&aßaivovcfiv, soll zweifelsohne be-
deuten: Oft atQccTiärai tov noraaop dtaßaivovcft li&otg ye-
fpt*Qfa<savT€g, Ol dovXo^ (poßoy exovts^ tmv dsanoxMv ist so
wenig griechisch wie $ertn dommorum timorem habent lateinisch.
Vom Befragen des Apollo und dem Bescheide der IViesterin lesen
wir alle anderen Ausdrücke, nur nicht die richtigen in€Q(0Tcey
{hteqia&ai) und ayatQsty. Auch die zusammenhängenden Lese-
stücke, deren Zahl sehr vermehrt worden ist, kranken noch an
den Fehlern, die ich in der Anzeige der zweiten Auflage gekenn-
zeichnet habe, und zwar so, dafs diese in den ersten Stücken in
geradezu unerträglicher Menge sich finden, in dem Mafse, in dem
die Bekanntschaft mit der Formenlehre zunimmt, ihrerseits ab-
nehmen, aber nicht einmal in den letzten Stücken ganz ver-
schwinden. W. selbst hat sich laut Vorrede sagen müssen, „dafs
die zu früh gebotenen zusammenhängenden Stücke inhaltlich und
sprachlich manche Härte aufweisen müssen^*, und meint in der
Anfnahme solcher Stücke noch Mafs gehalten zu haben, insofern
er erst von der Komparation an regelmäfsig zusammenhangenden
l^hrstoiT darbiete. Aber noch diese Stücke unter „Komparation'^
um wie viel mehr die vorhergehenden, haben aufser den Vokabeln
kaum etwas Griechisches an sich und beweisen, dafs gut Ding
Weile haben will, und nicht schon ernten kann, wer kaum erst
gesaet hat. Gelingt es nicht, gröfsere zusammenhängende Stücke
in wirklichem Griechisch für den Anfänger zusammenzustellen, so
begtiiige man sich mit kleineren (z. B. Anekdoten); und sollten
auch diese mifslingen, was ich nicht für notwendig halte, so thäte
man besser, ganz auf Zusammenhänge zu verzichten, als den Kopf
des AnfSngers mit den irrigsten Vorstellungen über den Geist der
Sprache zu füllen, die später wieder ausgetrieben werden müssen.
W. bat sich übrigens diesen Teil seiner Aufgabe dadurch er-
schwert, dafs er einen zu geringen Teil der Konjugation parallel
mit der Deklination übt und, um die Aufmerksamkeit des Schü-
lers auf die jedesmalige Aufgabe zu konzentrieren, ihm Scheu-
klappen anlegt, die ihm nicht gestatten, auch nach den Seiten
tu blicken. — Zum Schlufs noch einige Bemerkungen, die die
syntaktische Seite betreffen. Mehrfach lese ich in den Stücken
Genetive, die attributiv gestellt sind und doch nicht als Attribute
270 Iwan T^lfy, Griechische Aassprache, «Dgez. von H. Rohl.
gellen dürfen; z. B. in al nokXwv oqvid-iav (fiaval xaXai etoip,
das, grammatische Korrektheit vorausgesetzt, nur bedeuten konnte :
vielstimmige Vogellieder sind schön; in 17 näci^g %ixvfi<; oiqxh
XaksTc^ iifTiv; in rä noXlw r^fjQdoy xgia totg ävx^Qcinoig
äyad-fjv TQO(pfiV naqi%Bh, Der Artikel ist fehlerhaft in t^^
nivQag S. 26 Z. 13 v. 0. (oder meint W. die Kadmea? Jeden-
falls setzt er Z. 22 dxQonoXig für nitga ein) und S. 91 Z. 12
V. u. ; sein Fehlen unzulässig § 32, 1 vor rvg yvpaixog, S. 78 Z. 6
v. u. vor xiyr«*, S. 89 Z. 6 v. u. vor naxfjq. Die Worte iv
avty stehen S. 68 Z. 13 v. u. sinnwidrig am Anfang des Satzes,
wo sie in ipsa, nicht in ea bedeuten. § 52 dürfte taSia ra ai-
Tia, äira aoi ^diCTÜ ia%tv zu ändern sein in aita aoi ijÖKTToi
iari' a^ria. Der Fotentialis in Tovg ä&Kovg^ ovg Sv ixeXpog
avTM iniö'dfiy relicai (S. 73 Z. 8 v. u.) ist in dem Bescheide
der Priesterin befremdend. Endlich hätte yqdipetv ontog „bean-
tragen, dafs'' nicht dem Plutarch entlehnt werden sollen.
Dafs ein Schüler aus W.s Lesebuch einen dem Umfange des
Werkes entsprechenden Teil des griechischen Sprachgeistes ein-
saugt, bestreite ich; gewifs aber ist für mich, dafs er die grie-
chische Formenlehre mit dieser Unterstützung sich aneignen
kann.
ZüUichau. P. Weifsenfeis.
Iwan T^lfy, Chronologie und Topographie der griechischen
Aussprache. Nach dem Zeugnisse der loschrifteD. Saxa loquuntor.
Leipzig 1893, Wilhelm Friedrich. 86 S. 8. 2 M.
Die Freude, die man über den schönen Titel der Schrift
empfindet, hält leider nicht lange vor. Statt einer Kritik sei
lieber eine Probe abgedruckt, aus der sich die Methode und die
Tendenz des Buches beurteilen lafst. Nachdem Verf. all-tberäische
Schreibungen wie 'Ps^apog = 'Pfj^wcoQj Ilsgatevg = llsiQa&evg
u. dgl. angeführt hat, unter die auch äfVTo =» avxov geraten ist,
fährt er S. 1 unten fort: „Damals schrieb man also auf der
Insel Thera diese homerischen Wörter (X£idc, sldov^ sXöioXoy^
stnop, ixaaTog, iXeZr, aviaxog, avegvco, Xeinev^ oidtv auf fol-
gende Weise: aeds, Fedovj FedoXov, Fenov, FBxaatog, Fsksv^
aFiaxHog^ aFsqvia^ Xsnsv^ odsv. Wenn also die Schrift damals,
wie die Erasmianer behaupten, phonetisch gewesen wäre, so hätten
die Bewohner der Insel Thera obige Wörter phonetisch aus-
sprechen müssen. Die Erasmianer sprechen sie aber so aus :
aeide, eidon, eidölon, eipon, hekastos« helein, auiachos und aüiakhos,
auerüo und aüreüo, leipein, uden. Folglich widerlegen sie sich
selbst. Denn einerseits sagen sie, die Schrift sei phonetisch ge-
wesen, und andererseits sprechen sie die homerischen Wörter
doch anders aus, als sie im 7. Jahrhundert auf der Insel Thera
geschrieben wurden''.
Durch solche Beweisführung wird es dem Verf. nicht schwer.
G. Schneider, Hellen. WeltaDschaaDBgen, agz. v. Chr. Moff. 271
das hohe Alter der bei den jetzigen Griechen herrschenden Aus-
sprache in einer seiner Überzeugung nach zwingenden Weise zu
erhärten.
Haiberstadt. H. Röhl.
Gastav SchDeider, Hellenische Welt- and Lebensanachao-
an gen in ihrer Bedeotnng Tür den gymnasialen Unterricht. Gera
1693, Hofmann. 43 S. S.
Es ist ein wärmer Freund des humanistischen Gymnasiums,
der hier daraber nachdenkt, wie der weitverbreiteten Abneigung
gegen das Gymnasium und namentlich gegen den Betrieb der
klassischen Sprachen am besten begegnet wird.
Von der Oberzeugung ausgehend, dafs sich unser Unterricht
bisher zu einseitig an das Gedächtnis und den Verstand und zu
wenig an das Gemüt und die Phantasie gewendet habe, legt der
Verf. auf die Lektüre, auf die Erfassung des Inhalts, auf die Er-
kenntnis des Kalturlebens das gröfste Gewicht und empfiehlt be-
sonders die gründliche Beschäftigung mit PJato. Ich meine zwar,
dafs der Verf. in seinem Eifer zu weit geht und mehr fordert,
als geleistet werden kann; aber was thut das? Wenn nur sein
Rat befolgt, die herrliche Persönlichkeit des Sokrates in den Mittel-
punkt gestellt und eine Anzahl wichtiger platonischer Gedanken
den Schülern zum Verständnis gebracht wird, so ist schon viel
erreicht Und zu solchem Thun anzuregen, ist die schöne Aus-
/ einandersetzung über das Schöne bei den Griechen wohl geeignet.
Recht ansprechend sind am Schlub die Bemerkungen über die
Einführung in das Verständnis der griechischen Kunst durch Vor-
ffihning von Modellen, Bildern und sonstigen Anschauungsmitteln.
Der Verfasser ist sehr für sie eingenommen und giebt gute Winke
für ihre Benutzung, versäumt aber auch nicht auf den Schaden
hinzuweisen, den ein unvorsichtiger Gebrauch derselben anzu-
richten imstande ist.
Ich habe die feinsinnige und schön geschriebene Abhandlung
mit Vergnügen und zu meinem Vorteil gelesen, und ich bin
überzeugt, diese Erfahrung macht jeder, der sie zur Hand nimmt.
Cassel. Christian Muff.
Boissier, Cic^ron dans la vie publique et priv^e. Edition adaptee
a rasage des ecoles. A. n. d. T. Bibliothek {^edieg^ener nnd inte-
reaaanter franzSsiseher Werke. Band 59. Münater 1893, Theiaainip.
X Q. 147 S. 12. 0,50 M.
Ein Verehrer Ciceros wird es mit Freuden begrüfsen, dafs
Boissiers gei8tvolIes Buch sich immer mehr als ständige Lektüre
in unseren Primen verbreitet, wie das ja auch die neuen Lehr-
plane im Interesse einer gröfseren Konzentration des Unterrichts
empfehlen. Es wird davon nicht nur der französische, sondern
vor allem der lateinische Unterricht den gröfsten Vorteil ziehen.
272 Boissier, CiceroD dang !• vie publique, tg^z. v. Fr. Aly.
Denn das Charakterbild Giceros, das uns der feinsinnige Franzose
zeichnet, ist sehr wohl geeignet, endh'ch einmal die Vorurteile zu
beseitigen, die Mommsens parteiische Darstellung hervorgerufen hat.
Und dabei ist Boissier keineswegs nach Art des Panegyrikers
Middleton ein unbedingter Lobredner; unparteiisch, aber billig und
wohlwollend geht er der Entwickelung des gröfsten Sprachmeisters
lateinischer Zunge nach. Allerdings besieht der Hauptvorzug des
trefflichen Buches in dem feinem Nachempfinden des Seelenlebens
Ciccros: in den Einzelheiten findet sich hin und wieder oine Uii-
genauigkeit, vor der die moderne Akribie fast erschrecken möchte.
Ein charakteristisches Beispiel mag hier genügen, da ich ja nicht
das Werk selbst, sondern eine Schulausgabe besprechen soll. Auf
S. 66/67' redet Boissier von ces vieux centurions qui avaient
vu la Germanie et la Bretagne, qui avaient pris Alesia et Gergovie
— Seltsam! Bisherhaben unsere Tertianer immer gelernt: Caesar
a Gergovia discessit, eben weil er es nicht hat erobern können.
Doch nun zur Sache. Die erschreckende Betriebsamkeit unserer
Schulbücherfabrikation hat in den letzten Monaten meines Wissens
nicht weniger als drei Chrestomathieen von Boissiers Werk zu Tage
gefördert. Nun bin ich gewifs kein Gegner von Chrestomathieen;
habe ich doch selbst eine solche aus Ciceros Briefen zusammen-
gestellt. Jedoch ist dabei zweierlei zu berücksichtigen: erstens
mufs das ausgewählte Buch durch seinen Umfang eine Abkürzung
notwendig machen, und zweitens mufs das Prinzip der Auswahl,
wenigstens in den Augen des Herausgebers, den Vorzug verdienen
vor den Leistungen der Vorgänger. Entspricht die vorliegende
Chrestomathie diesen Anforderungen? Zunächst möchte ich be-
zweifeln, ob der Umfang des Werkes eine Abkürzung erfordert.
Wenn man es als ständige Prosaiektüre in beiden Primen ein-
führt, was ich dringend empfehlen möchte, so könnte man ganz
wohl den gröfsten Teil des Buches lesen und den Rest der Privat-
lekiöre überweisen. Der Herausgeber der vorliegenden Auswahl,
J. Brüll, ist anderer Ansicht. Wenigstens wüfste ich nicht, warum
er das Werk in vier Teile zerlegt bat, deren erster uns vorliegt;
die folgenden sollen Atticus-Cälius, Cäsar-Cicero, Brutus-Octavius um-
fassen. Ferner hat er Kurzungen des Textes „in geringem Umfange ans
erziehlichen Rücksichten, in gröfserem zur Beseitigung alles dessen,
was für den deutschen Schüler als Länge zu betrachten ist,'* vor-
genommen. Die letzteren Abschnitte beziehen sich auf den Ver-
gleich der Cicero - Briefe mit denen der Frau v. Sevigne, die
ersteren vor allem auf die Polemik des Verfassers gegen Druraann
und Mommsen. Ich kann nicht finden, dafs der Herausgeber in
diesen Kürzungen sehr glücklich gewesen ist. Was Boissier z. B. auf
S. 19/20 über die Würdigung der Briefe sagt, ist eigentlich das
Beste in dem ganzen Buche, die Grundlage der späteren Aus-
führungen. Und bei alledem so mafsvoU und fein, dafs eine Aus-
lassung gerade dieser Stelle bedauert werden mufs. Oder gebieten
DeitflehbeiOy Irvin^-Macaalay-Leseb., agz. v. J. Jelinek. 273
es „erziehliche Rücksichten'*, die Autorität eines grofsen lebenden
Gelehrten zu schonen, der selbst so wenig Pietät bewiesen hat
bei der Beurteilung eines gröfseren verstorbenen Geistes? Ich
meine, es ist hohe Zeit, die Kunsturteile Mommsens, deren un-
zureichende Begründung icii in meiner soeben erschienenen „Ge-
schichte der römischen Litteratur'' nachgewiesen zu haben hoffe,
ernstlich und ohne falsche Schonung zu bekämpfen. Mcht anders
steht es um die Auslassungen, die sich im Original auf S. 26/27
finden. Dafs der Herausgeber auf Anmerkungen verzichtet, ist
verständig. Um so notwendiger ist ein erklärendes Verzeichnis
der Eigennamen, das sich in Vorbereitung befindet. In summa:
die vorliegende Chrestomathie hat wenig selbständigen Charakter;
sie wird die Lektüre des als Ganzes empfehlenswerten Buches
weder erschweren noch erleichtern.
Magdeburg. Friedrich Aly.
Deatschbeio, Irviag-Maeanlay-Lesebach mit zwei Vorstafeo. 228 S.
8 2,40 M; die Vorstnfeo besoDders 88S. 8. 1 M; Korzgefafste Bog-
liselie Grammatik. 78 S. 8. 0,80 M; CbuDgsbnch. 120 S. 8. 1 M.
Colhea 1893, Otto Scholzes Verlag.
Unter den Lehrmitteln für die engUsche Sprache, die bereits
vor der allgemeinen Aufnahme dieses Faches in den Lehrplan
des preufaischen Gymnasiums sich auswärts im Gymnasialunter-
ridite bewährt und von berufenster Seite rühmende Anerkennung
gefanden haben, stehen die eigens für das Gymnasium geschrie-
benen und bereits seit Jahren im Königreich Sachsen allgemein
eingeführten Bücher von Deutschbein in erster Linie. Da eine
Würdigung der in Rede stehenden Lehrmittel in Anbetracht des
früheren Lehrplans des Gymnasiums bis vor kurzem nicht zu den
Aufgaben dieser Zeitschrift gehörte und übrigens die im vorigen
lahre erschienene Bearbeitung nicht unerhebliche Abweichungen
von den früheren Auflagen aufweist, so dürfte eine Besprechung
dieser Bücher an dieser Stelle durchaus zeitgemäfs sein.
Das Lesebuch enthält in seinem Hauptteiie eine Auswahl
aus Irvings Sketchbook und besonders wichtige Abschnitte aus
Xacaulays History of England, als Anhang Sinnsprücke, Reden
und Szenen aus Shakespeare — ohne Zweifel ein höchst gedie«-
gener und eines Primaners würdiger Lesestoff. Die Schwierig*-
keiten des Textes werden durch mafsvoU beschränkte Verwei*
sangen auf die in Betracht kommenden Paragraphen der Gram-
natik und gelegentliche sachliche Erläuterungen gehoben. Ein
SpezialWörterbuch erleichtert die Präparation.
Vorausgeschickt sind diesem eigentlichen Irving -Hacauly-
Lesebuche die sogenannten zwei Vorstufen, weiche Fabeln, Anek-
doten, die Geschichte König Alfreds nach Dickens, diejenige Mac-
ketbs nnd Maria Stuarts nach Walter Scott, einen in einfacher
Sprache gehaltenen und zu Sprechübungen ganz besonders ge-
eigneten Abrils der Geographie von England, Briefe von Irving
r. 1 4. OTiDBMialwtMn XLVllL 4. 1$
274 Deutschbeio, Irviog-Macaula y-Leseb., ags. v. J. Jelioek.
und Macaulay, sowie eine Anzahl zum Teil bekaDnterer englischer
Gedichte enthalteo.
Diese Vorstufen, deren Lesestoff in seiner Sprache die Be-
ziehung auf bestininite Abschnitte der Aussprachelehre und Gram-
matik nicht verkennen läfst, sind jetzt auch als Sonderausgabe
eriicbienen. Das zeitraubende und verhältnismäfsig wenig frucht-
bringende Aufsuchen der Vokabeln im VVörterbucbe wird dem
Anfänger in der neuen Auflage der Vorstufen durch das im An-
hange enthaltene, dem Gange des Textes sich ansei) liefsende
Wörterverzeichnis erspart.
Die Grammatik ist in der Fassung der Regeln durchaus
dem Standpunkte der Schüler angemessen. Diesem Standpunkte
entspricht auch der auf drei Seiten zusammengedrängte laut-
physioiogische Abrifs, sowie der Anhang, der u. a. Wortbildungs-
lehre und in sehr übersichtlicher Form das für die Aneignung
des Wortschatzes so wichtige Gesetz der germanischen Lautver-
schiebung enthält. In der neuen Auflage der Grammatik hat der
eigentliche Lernstoff eine nur zu billigende, hier und da vielleicht
noch nicht weit genug gehende Einschränkung erfahren^ indem
das minder Wichtige unter den „Strich'' gesetzt ist.
Zur Einübung der Grammatik enthält das Übungsbuch
in seinen einzelnen „Übungen'' zuerst noch (nur bis zum Ab-
schlufs der Formenlebre) englische Einzelsätze, die aber ebenso
wie die in der Grammatik selbst zur Veranschaulichung der Re-
geln gewählten Sätze fast durchweg dem Lesestofl'e der Vorstufen
entnommen sind, dazu mei^t ein deutsches Stück, das eine Umfor-
mung eines entsprechenden Abschnittes aus den Vorstufen dar-
stellt und nicht nur das bezügliche Kapitel der Grammatik, son-
dern auch den im englischen Stücke vorkommenden Wort- und
Phrasenschatz durch die Rückübertragung fester einzuprägen be-
stimmt ist. Dazu kommen in einer grofsen Anzahl von „Übungen''
die zum gröfseren Teile in englischer Sprache abgefafsten Dia-
loge, in denen es dem Verfasser in bewundernswürdiger Weise
geglückt ist, das Wesen des Zwiegesprächs in ungezwungener
Weise mit dem einer grammatischen Übung in eins zu ver-
schmelzen und diese Form zugleich mit einem wertvollen Inhalte
zu erfüllen. Zur Kennzeichnung dieses letzteren, der in seiner
Gesamtheit als eine Darstellung englischer Realien gelten kann,
seien aus der grofsen Zahl (ungefähr 30) wenigstens einige StoflTe
angeführt: Sundays in London — the English language — the
Higher Schools in England — Englishmen and their autbors —
Proposal to go to the Crystal Palace — the London Police
Courts.
Alles in allem wird man den besprochenen Lehrbüchern, die
Rez. in zweijährigem Unterricht erprobt hat, bei näherer Prüfung
kaum das Lob vorenthalten können, dafs sie, was Gediegenheit
und Angemessenheit grammatischer Belehrung, abwechselungs-
Oskar Jäger, Weltgeschichte, angez. von M. Hoffmaoo. 275
neiche, auch inhaltlich anregende und lehrreiche Übungen, soi^
bequeme, auf möglichster Konzentration des Unterrichts be-
ruhende Vermittelung eines nach verschiedenen Seiten hin reichen
Wortschatzes betrifft, unter den für den gleichen Zweck in Be-
tracht kommenden Lehrmitteln nicht ihresgleichen haben.
Breslau. J. Jelinek.
]) Oskar Jäger, Weltgeschichte io vier Bäodeo. Zweite Auflage.
Bielefeld nod Leipzig 1894, Velbagea und Klasiug. Erster Band: Ge-
schichte des Altertums, mit 243 autbentischeo Abbildongeo im Text
ood 20 Beilagen in Schwarz- uod Farbeodruck, 579 S. Zweiter Band:
Geaebiehte des Mittelalters, mit 226 autbentischeo Abbilduageo im
Text aod 21 Beilagen in Schwarz- und Farbendruck, 561 S. Jeder
Band geb. 10 M.
Zu den mancherlei Versuchen, die Gesamtentwickelung der
Kulturvölker darzustellen, ist hier ein neuer hinzugetreten, aus-
gezeichnet durch lebhafte Darstellung, die nur bisweilen durch
moderne Ausdrucke in die alten Zeiten etwas Fremdes hineinträgt,
und durch zahlreiche, schön ausgeführte Abbildungen, die zumeist
den Zeiten selbst, welche sie veranschaulichen sollen, entnommen
sind (Wandgemälde, Skulpturen, Vasenbilder, Münzen, Inschriften,
Handschriften); doch sind für die Bauwerke auch Rekonstruktionen
zu Hilfe genommen, um den vollen Eindruck zu erzielen (Akro-
polis, Parthenon, römisches Forum u. a.). Das Werk ist auf vier
Bände beschränkt, um übersichtlich zu bleiben; es will besonders
der Jugend unserer höheren Schulen dienen, „welche der Verfasser
kennt, veil er sein Leben in ihrer Mitte zugebracht hat". Er-
gebnisse der neueren Forschung werden reichlich verwertet, das
rorzöglich Wissens würdige tritt mit Hilfe der wohlgewählten Ab-
bildmigen eindrucksvoll hervor. Die erste Auflage erschien 1887
bis 1889; die zweite, durchgesehen und verbessert, liegt bereits
ToUsländig vor; doch genügt näheres Eingehen auf die beiden
ersten Bände, um zu erkennen, dafs wir es mit einem anregenden
und gediegenen, wenn auch nicht ideal vollkommenen Werke zu
thuD haben.
Die Einleitung betont, dafs die Weltgeschichte eine religiöse
Betrachtungsweise voraussetzt, den Glauben an eine von Gott ge-
setzte Bestimmung der Menschheit und an göttliche Leitung der
Geschicke. Abgelehnt wird die naturwissenschaftliche Betrachtung,
welche die Menschheit nur als Gattung erfafst und gegen die
IndiTiduen gleichgiltig ist; abgelehnt wird auch die Betrachtungs-
weise Burkies, welche mit geflissentlicher Hintansetzung der so-
genannten grofsen Männer den Schwerpunkt in die Massen verlegt;
doch soll die Darstellung „etwas weniger Heroengeschichte und
etwas mehr Volksgeschichte'' geben, als oft geschieht. Unerfreulich
ist, da/s die zu Grunde gelegte Einteilung in Altertum, Mittel-
alter, 3feuzeit als verjährt, hausbacken und fast naiv unwissen-
icha/Uich bezeichnet wird (S. 3); wer so urteilt, mufs eine anderp
18*
276 Oskar Ja^er, Weltgpeschichte,
EinteiluDg wählen. Es zeigt sich hier, was öfters hervortritt, dafs
die Lebhaftigkeit der Darstellung den Verfasser zu weit führt.
Das erste Buch behandelt die orientalischen Völker bis auf
Kyros, mit angemessener Hervorhebung des Volkes Israel gegen-
über der hochentwickelten Kultur Ägyptens und Babylons. Das
zweite Buch stellt Perser und Hellenen einander entgegen; bei
den Hellenen zuerst entfaltet sich der Begriff der Freiheit, in
welchem die Einzelnen zu ihrem Rechl kommen (S. 84) ; es wäre
hinzuzufügen, dafs er ergänzt und gezugelt wird durch die den
Hellenen eigentümliche Tugend des Mafses. Bei der Besprechung
des athenischen Staates sind in der neuen Auflage die Ergebnisse
der 1890 gefundenen aristotelischen Schrift beröcksichtigt; doch
steht S. 142 noch fälschlich, dafs Aristides auch die Theten zum
Archontat zugelassen habe (vgl. Aristoteles c. 26). Die Abbildung
einer Kolumne des Papyrus, mit beigefügtem Text und Obersetzung,
läfst erkennen, wie schwer es war, diese Schrift zu entziffern. Die
Perserkriege sind veranschaulicht durch Abbildungen der Dareios*
vase, der Aristionstele, der Büste des Themistokles, des platäischen
Schlangengewindes; das Urteil über die griechische Kriegführung
ßllt sehr hart aus (S. 139). Beim perikleischen Athen wird treffend
hervorgehoben, dafs ein athenischer Bürger, dessen Jugend in die
Zeit der Perserkriege fiel, ,,früh den Eindruck empfangen hatte,
dafs sein ganzes Dasein auf ein Vaterland gepflanzt sei*', und wenn
er dann an dem Wiederaufbau und der Ausschmückung der Vater-
stadt sich beteiligte, so „wurde es ihm zu einer sich von selbst
verstehenden Sache, dafs man dem Staate lebe'*. Das folgende
Kapitel ist überschrieben „Die Auflösung der hellenischen Nation";
aber so schlimm der peloponnesische Krieg war, die reiche Lebens-
kraft des Volkes wurde durch ihn keineswegs vernichtet; ihre Zu-
sammenfassung durch die makedonische Macht wird mit Recht
(S. 205) als ein geschichtlicher Portschritt bezeichnet. Alexanders
Regententhätigkeit wird mit Begeisterung geschildert, aber ver-
geblich sucht der Verfasser zu rechtfertigen (S. 236), dafs er von
den Hakedoniern und Griechen die Anbetung verlangte und dafs
ihm das Heer als „Vehikel einer gleichartigen Zivilisation** (un-
schöner Ausdruck, S. 245) dienen sollte. Dadurch wurde er, trotz
seiner hellenischen Bildung, zum orientalischen Despoten; vergh
Schäfer, Demosthenes 3^ 146, 284, Holm, Geschichte Griechen-
lands 3, 396, 404.
Bei Alexanders Tode setzt die römische Geschichte ein, doch
wohl zu früh, da die griechischen Staaten noch bis 200 v. Chr.
ein selbständiges Dasein führen. Die Einfügung ihrer Geschichte
in die römische bei Pyrrhus und nach dem zweiten punischen
Kriege stört den Eindruck der römischen. Auch müfste die Ent-
faltung griechischer Kunst und Wissenschaft in der Zeit nach
Alexander eingehender geschildert sein, damit man das berechtigte
Portleben griechischen Geistes upter römischei* H^rrsch,aA erl^enoe;
äuget, von II. HoffmaDD. 27T
es ist docb nicht blofs „griechi8ch-asiatischeKorruplion"(S.344,345),
«^s zu Catos Zeit in Rom sich verbreitet. Die abschreckenden
römischen Bürgerkriege sind wohlthuend unterbrochen durch eine
Schilderung des Kulturzustandes der Hittelmeerländer um die
Zeit, als Sulla starb (S. 400). Auch der römischen Litteratur
nird gedacht, aber zwischen den beiden Hauptstellen S. 403 und
457 fehlt die Mitte (Lucrez, Varro, Cicero, Sallust); auch Livius
ist weggeblieben. Anziehend ist Cäsars und Augustus' Staats-
männische Thätigkeil geschildert; ebenso die Segnungen der Friedens-
zeit im zweiten Jahrhundert n. Chr. Die wellbewegende Macht des
Christentums wird beim Jahre 250 gewürdigt, dann folgt noch
ein gewaltiges Ringen um die Erhaltung des alten Kulturreiches;
mit dem Jahre 476 schliefst der erste Band.
Der zweite Band beginnt mit einem Rückblick auf die Vorzeit der
Germanen, die nun als Träger der weiteren geschichtlichen Ent-
Wickelung erscheinen; daran schliefst sich die Geschichte der Ger-
manen reiche auf römischem Boden und des ersten Kampfes gegen
den Islam; leuchtend tritt Karls d. Gr. Herrschergestalt hervor.
Er wird bei seiner Kaiserkrönung mit Alexander d. Gr. verglichen:
die verschiedenen Länder, welche er erobert hatte, konnte er nicht
mehr als König der Franken regieren, so wenig wie einst Alexander
sein grofses asiatisches Reich als König der Makedonier (S. 73).
Aber auch als Kaiser blieb Karl ein Deutscher; er nahm nicht
römische Sitten an, wie Alexander die persischen. Weiler wird
die deutsche Geschichte bis zum Jahre 1106 erzählt; dann folgt,
um die grofse Erscheinung des ersten Kreuzzugs vorzubereiten,
ein Umblick auf die aufserdeutschen Staaten, wohei die Länder
des Ostens und Nordens in die geschichtliche Betrachtung ein-
treten. Die deutsche Geschichte bildet, dem vorwaltenden Ansehen
des deutschen Reichs entsprechend, auch weiter den Hauptinhalt
der Darstellung bis zum Jahre 1254; die Kreuzzuge werden darin
eingefügt. Um ihre Folgen darzulegen, tritt dann wieder ein Um-
bück auf die anderen Staaten ein, ebenso beim Jahre 1410, weil
die dann beginnende Konzilienbewegung alle Staaten berührt.
Aber wo ist nun der Höhepunkt des Mittelalters? Wo beginnt der
Verfall? Das Kapitel über die Folgen der Kreuzzüge hebt das
schiiefsliche Hifslingen dieser grofsen Unternehmungen hervor und
schildert dann die Machtstellung der Kirche, die Entfaltung des
Rittertums und der ritterlichen Dichtkunst, die gedrückte Lage
der Bauern, das Emporkommen der Städte; darin erscheint Blüte,
Verfall, neues Aufstreben neben einander. Als Höhepunkt müfsle
vorher die Zeit um 1184 (S. 259) bestimmter hervorgehoben sein:
da ist Deutschland noch einig und mächtig, Kaisertum und Papsttum
haben sich gegenseitig anerkannt, Jerusalem ist noch im Besitz
der Christen, die Kirche hat ihre Macht noch nicht zu Ketzerver-
folgungen gemifsbraucht, Ritter und Städte sind noch nicht in
Feindschaft gegen einander.
278 Jalias Beloch, Griechische Geschichte,
In der Zeit des sinkenden Mittelalters möchte man vom welt-
geschichtlichen Standpunkt die meist vergeblichen Kämpfe der
deutschen Könige und Kaiser nach Rudolf von Habsburg kürzer
behandelt wünschen, ausführlicher dagegen das deutsche Siädte-
leben und die Entfaltung der Kunst in Italien. Letztere tritt in
den Abbildungen bedeutsam hervor durch das schöne Bild von
Giotto S. 291, im Gegensatz zu den oft recht mangelhaften Zeich-
nungen aus mönchischen Handschriften (S. 185, 247 — 249, 297,
243); doch mögen auch diese gelten, um zu zeigen, wie im Mittel-
alter Gutes und Unvollkommenes neben einander besteht. Den
Schlufs des Bandes bildet wiederum ein geographisch geordneter
Umblick auf die Ereignisse nach 1450, im Osten beginnend mit
dem Eindringen der Türken, im Südwesten endig(*nd mit Portugal,
Spanien, Italien. Was diese drei' Länder leisten, Entdeckungen
und Humanismus, arbeitet dem Eintreten der Neuzeit bedeutend
vor ; aber zur Thatsache wird es erst durch den deutschen Mönch,
„dem es mit dem Christentum ernst war'S der den geistigen
Bann der mittelalterlichen Kirche durchbrach, was die Humanisten
nicht vermochten.
Vom dritten und vierten Bande mag hier nur gesagt sein,
dafs die in ihnen gegebene Darstellung der neueren Geschichte
recht geeignet erscheint, religiösen und vaterländischen Sinn in der
Jugend zu erwecken und zu nähren.
2) Julius Beloch, Griechische Geschichte. Erster Band: Bis aof die
sophistische Bewe^ng uod den peloponnesischen Krieg. Strafsborg 1S93,
Tröbner. XII a. 637 S. 7,50 M.
Eine neue Gesamtdarstellung, nicht zur Einführung bestimmt,
sondern für Wissende, oft in Gegensatz zu bisher verbreiteten
Ansichten, jedenfalls beachtenswert, da der Verfasser aus umfäng-
licher Kenntnis schreibt und manche SpezialStudien schon früher
veröffentlicht hat, auch durch vielfache Anführung neuerer Schriften
den Fortgang der Forschungsarbeit auf diesem Gebiet vor Augen
stellt. Die Anlage des Buches ist auf den Überblick der hellenischen
Gesamtentwickelung gerichtet. Die Geschichte der Einzelstaaten
erscheint daher sehr verteilt, und die chronologische Übersicht ist
für die ältere Zeit schwer zu gewinnen, da manche bisher fest-
gehaltene Zeitansetzungen verworfen werden. Dafür aber bringt
der Überblick die verwandten Erscheinungen in ver^jchiedenen
Staaten besser zur Anschauung und hält uns gegenwärtig, dafs es
sich immer um ein weit ausgebreitetes und mannigfach gegliedertes
Volk handelt. Besonderen Nachdruck legt der Verfasser, nach
Böckhs Vorgang und entsprechend den neueren Behandlungen der
deutschen Geschichte, auf die Darlegung der wirtschaftlichen
Verhältnisse; doch auch dem Geistesleben sind besondere Ab-
schnitte gewidmet: die Betrachtung soll allseitig sein, denn „unsere
ganze moderne Gesittung ruht auf dem Boden der hellenischen*^
(S. 33).
an^ez. von M. Hoffmano. 279
Nach eioem einleitenden Blick auf die Überlieferung versucht
der Verfasser für die ältere Zeit eine möglichst scharfe Scheidung
zwischen dem, was wirklich geschehen ist, und der .^konventionellen
Irgeschicble^S wie sie von den Hellenen selbst schon im fünften
Jahrhandert geglaubt wurde. Geschichtlich ist die ursprüngliche
Ansiedelung des Volkes, nachdem es sich von der indogermanischen
Gemeinschaft gelöst hat, in der nach ihm benannten Halbinsel,
dann die allmähliche Ausbreitung über die nahen Inseln und
Kästen, die Ausbildung vieler Gaustaaten mit befestigten Königs-
burgen, die Entfaltung einer mit Asien zusammenhängenden Kultur,
deren Reste in den Ausgrabungen von Troja, Mykenai, Tiryns vor-
liegen, und deren Wesen wir aus den homerischen Schilderungen
kennen. Verworfen wird (mit Holm, Gesch. Griechenlands 1, 69 fT.)
die Annahme einer gleichmäfsig pelasgischen Urbevölkerung (S. 160);
sehr eingeschränkt wird (gegen Holm 1, 112 IT.) der Einflufs der
Phönicier in alter Zeit; ihre regelmäfsigen Fahrten nach Griechen-
land scheinen nicht vor dem achten Jahrhundert begonnen zu
haben, am ägäischen Meer haben sie keine Ansiedelungen ge-
gründet (S. 74 f.). Zurückgewiesen werden (S. 53, 166) alle aus
gleichen Orts« und Kultusnamen, sowie aus mythischen Genea-
logien gezogenen Schlösse; von den Heldensagen wird nur aner-
kannt, dafs im Epos „ein Niederschlag historischer Ereignisse mit
dem Mythos verbunden wurde'^ (S. 131, 143). Verworfen wird
aber auch die bisher noch unbezweifelte Wanderung der Dorier
(S. 147 ff.); sie sei nur erfunden, um zu erklären, warum das
Epos eine andere Verteilung der griechischen Stämme zeige als
die historische Zeit. Dafs diese Wanderung nicht mit einem
Schlage erfolgte und mit den Herakliden erst später in Verbindung
gebracht wurde, haben schon Curtius (1*, 146) und Holm aner-
kannt, aber hier wird das Vordringen der Dorier von Norden her
mit allen Folgen, die es gehabt haben soll, abgelehnt, trotz Herodot
und Thnkydides, die freilich auch an die Herakliden glauben. Für
die Entstehung der Stammnamen Dorier, Jonier, Äoler kann ein
bestimmter Grund nicht angegeben werden; sie sind vermutlich in
Klctnasien entstanden durch religiöse Vereinigung um bestimmte
Hetligtömer (S. 56) und dann nach dem Mutterlande übertragen
(S. 152); der Name Achäer scheint mit ihrem Fürsten Agamemnon
durch die Heldensage nach der Peloponnes übertragen zu sein
(S. 157). Auch Kodros und Lykurg sind unhistorisch; die Spar-
taner haben ihre kriegerische Organisation von Kreta empfangen
und erst im achten Jahrhundert das Eurotasthai allmählich unter-
worfen (S. 282 nach Tansanias 3, 2); dann erst konnte die Land-
teUuDg stattfinden. Lykurgs Name ist (nach Gilbert und H. Geizer)
m deuten als „Lichtbringer^S er ist, wie Minos bei den Kretern,
vom Gott zum Heros herabgesunken (S. 306), denn ursprünglich
galteo die Gesetze den Indogermanen als göttliche Oflenbarungen.
Das geistige Leben jener frühen Jahrhunderte zeigt eine
280 Julius Boloch, Griechische Geschichte,
reiche Ausbildung der Götter- und Heldensage; Belocb behandelt
dieses „mythopöische Zeitalter^' geringschätzig als ein Zeitalter der
Unbildung (S. 95). Er weist im einzelnen nach, wie aus den
Eindrücken der Naturvorgänge G6ttervorstellungen entstanden sein
mögen, hebt dann die Mannigfaltigkeit der griechischen Kulte
und die allmähliche Ausbildung eines Göttersystems hervor, aber
von der edlen Grundlage, die in dieser Religion mehr als in
anderen heidnischen Religionen vorhanden war, will er nichts
wissen; „die Begriffe vom Wesen der Gottheit mufsten naturlich,
dem Kulturniveau jener Zeit entsprechend, sehr rohe sein** (S. 123).
Doch giebt er zu, dafs in der homerischen Zeit eine höhere Auf-
fassung sich Bahn zu brechen beginnt (S. 124). Die Betrachtung
der epischen Poesie giebt ihm Anlafs, eine kritische Zergliederung
der beiden homerischen Gedichte einzufügen, im Anschlufs an die
neueren Forschungen von Niese, Kirchhoff, v. Wilamowitz, was
als Kern und was als später hinzugedichtet anzusehen sei.
In helleres geschichtliches Licht treten wir mit der weiteren
Ausbreitung der Griechen Aber den Westen und die Küsten des
schwarzen Meeres, doch beruhen auch hier die Grundungsdaten,
wie sie z. B. Thukydides 6, 2—5 für die sicilischen Städte giebt,
„auf Berechnungen nach Generationsreihen oder auf Kombinationen
von noch geringerem Werte** (S. 173). Mit dieser Ausbreitung
hängt eine bedeutende „Umwälzung im Wirtschaftsleben'* zu-
sammen: Aufschwung der Gewerbthätigkeit, der Schiffahrt, des
städtischen Lebens, Ausbildung von Mafs, Gewicht und Münze,
Anwachsen des Grofsgrundbesitzes und der Sklaverei. Auch die
geistige Entwickelung des Volkes ist im Aufstreben begriffen:
Veredelung der Sitte und Religion, glänzendere Feier der National-
feste, damit verbunden Ordnung des Kalenders, Fortbildung des
Epos durch die Rhapsoden, reiche Entfaltung der Lyrik, Erhebung
der bildenden Künste über den frühereu „mykenäischen Stil*'.
Darauf folgt die Übersicht der politischen Geschichte bis zu den
Perserkriegen, zuerst die „Anfänge der Einheitsbewegung**, die
delphische Amphiktionie, „unter deren Einflufs höchst wahr-
scheinlich der Name der Hellenen zur Bezeichnung des gesamten
griechischen Volkes wurde** (S. 272, so auch Curtius 1, 105,
Holm 1, 271), dann die landschaftlichen Einigungen in Attika,
ßöotien, Thessalien, Makedonien, Argos, Sparta. Pheidon von Arges
wird um 570 angesetzt, als Zeitgenosse des Kleisthenes von Sikyon
(Herod. 6, 127), während Holm und Busolt (IS 145) die Angabe
des Pausanias Ol. 8 = 749 festhalten. Auf den Inseln und
Küsten kommt es nicht zur Bildung fester Einungen; die asiatischen
Kolonieen werden um 560 dem Kroisos, dann den Persern unter-
than. Die inneren Verhältnisse betrachtet der folgende Abschnitt
„Die Adelsherrschaft und ihr Sturz**: Gesetzgebung in Kreta,
Sparta, Lokri, Drakon in Athen; die Tyrannis in Milet und Samos,
Leontini und Akragas, Sikyon, Korinth, Megara; Solon, Peisistratos,
«D^fs. von M. Hoffnann, 281
Kleislhenes in Athen. Die Einteilung der athenischen Bürgerschaft
in vier ¥erai6gensklassen wird nach der älteren Auffassung dem
Soloo, nicht Drakon zugeschrieben, dagegen die Einsetzung de&
RaU der Vierhundert dem Soion abgesprochen. Die Erlösung der
Arehonten statt der Erwählung wird erst 487 v. Chr. eingeführt
(&360 nach Aristoteles, Staat der Athener 2t, dessen entgegen-
slehenile Angabe Kap. 8 verworfen wird); die dritte Bfirgerklasse
wird erst 457 zum Archontat zugelassen (S. 441 nach Arist. 26).
Mit den Perserkriegen wird die Erzählung ausfuhrlicher,
die Kritik mehr in die Anmerkungen verlegt. Die übertriebenen
Angaben der Überlieferung über die persischen Heeresmassen
werden im Anschlufs an Delbrücks Schrift „Perserkriege und
Bargunderkriege" (1887) ermäfsigt, jedoch nicht so weitgehend:
bei Marathon landeten nicht viel über 20000 Perser mit wenigen
Reitern: ihre Schlachtreihe war nach Herodot 6, 111 nicht länger
als die griechische, ihr Verlust betrug nach Her. 6, 117 nur 6400.
Xerxes führte „etwa 100000 Kombattanten'' über den Hellespont;
Mardonios hatte bei Platää „etwa 50 — 60000 Mann asiatischer
Tnippen'S dazu griechische Bundesgenossen. Die Schlacht am
Eorrmedon wird „um 470" angesetzt mit der Bemerkung, dafs
die „Anekdote", wonach Themistokles auf seiner Flucht nach
Asien Naxos nahe kam, während es von den Athenern belagert
«urde, für die Chronologie nicht verwendet werden dürfe (S. 384):
aber es ist Thukydides, der dies erzählt (1, 137, vgl. 98, 100).
Beim Sturz des Pausanias wird, ebenfalls gegen Thukydides, seine
rerrJterische Verbindung mit Persien bezweifelt; der wahre Grund
sei seine Anflehnung gegen die Macht der Ephoren (S. 455).
Es folgt wiederum eine Zeit wirtschaftlichen Aufschwunges,
den wir namentlich in Athen an den Preisen und Steuern er-
boDen können; zugleicli breitet sich in den anwachsenden Städten
die Demokratie aus: Verfassungsänderung in Tarent um 473, dann
in Akragas, Syrakus, Kyrene, Theben, Argos, Elis. Athens um
sich greifende Politik mufs 445 auf die Landhegemonie verzichten;
der Seebund wird mehr und mehr zu einer Gewaltherrschaft.
Abennaliges Vordringen Athens führt den peloponnesischen Krieg
berbei, dessen Ausbruch Perikles durch Nachgeben noch hätte
binausscbieben können (S. 516, ebenso Duncker, Gesch. des Alter-
toms 9, 397); aber „er fühlte den Boden unter sich wanken und
war entschlossen, den drohenden Sturm nach aufsen abzulenken".
Diesen selbstsuchtigen Beweggrund hat Duncker ihm doch nicht
untergelegt; entgegengesetzt urteilt Curtius (2", 396): „Perikles
boote nicht verkennen, dafs der Krieg ihm persönlich wieder neue
^bren bereiten würde; nicht aus Selbstsucht, sondern aus
rräister Vaterlandsliebe mufste er wünschen, dafs der Krieg be-
ginnen möchte, so lange er noch die volle Kraft habe Athen zu
l^teD'^ Beloch zweifelt überhaupt, ob Perikles ein grofser Staats-
mann zu nennen sei (S. 466); die defensive Kriegführung seiner
282 Friedlander u. Zschech, Gruodrifs d. Weltgeschichte,
letzten Jahre tadelt er ebenso wie Duncker. Er erzählt dann den
weiteren Gang des peloponnesischen Krieges bis zum Jahre 416;
liier bricht er ab, um vor dem siciiischen Kriegszuge, welcher die
„Vernichtung des athenischen Reiches*' herbeiführte, das Wirken
der „geistigen Mächte'' zu schildern, die „dieser Umwälzung den
Boden bereitet haben'*. Damit ist für die nun folgende Betrach-
tung der Blute von Kunst und Wissenschaft ein einseitiger Stand-
punkt genommen. Allerdings hat die in der Wissenschaft auf-
tretende Sophistik dazu mitgewirkt, dafs Athens Politik mafslos
wurde und sich ins Unglück stürzte, aber die geistige Bewegung
des fünften Jahrhunderts hat doch viel reicheren Inhalt und bessere
Nachwirkung. Beioch urleilt leider geringschätzig über die sittlich
veredelnde Wirkung der Kunst (S. 592), dagegen schreibt er es
der wissenschaftlichen Aufklärung zu, dafs „die Griechen des
vierten Jahrhundorts sehr viel humaner gewesen sind, als die Zeit-
genossen des Perikles". Er setzt Sophokles in aufTälliger Weise herab
gegen Guripides (S. 575) und redet den Sophisten das Wort.
Wenn ihre Wissenschaft zum Atheismus führt, so ist das nur die
Konsequenz der Aufklärung, welche siegreich vorschreitet trotz
der von den Anhängern der Volksreligion ausgehenden Anfeindungen
(S. 628, 634, 637). Man ist nach dieser Darstellung gespannt,
wie im nächsten Bande Sokrates dargestellt werden wird. Einst-
weilen erkennen wir gern an, dafs dieser Band viel Anregung zu
erneutem Erwägen und weiterem Ausblicken giebt.
Lübeck. Max Hoffmann.
Konrad Friedländer nod Franz Zschech, Grundrifs der Weltge-
schichte. Für den Unterricht in den Oberklassen höherer Schulen
bearbeitet. Leipzig 1893 o. 94, R. VoigtlKnders Verlag. 2 Teile, 286
bezw. 315 S. ; 3 bezw. 4 M.
Jedes neue Lehrbuch der Geschichte wird vor allem darauf-
hin geprüft werden müssen, inwieweit es zur Lösung der unter-
richtlichen Aufgaben beiträgt: ein Grundrifs der alten Geschichte
zumal mufs nach der einen oder der anderen Seite hin die Seh wie-
rigkeiten zu beseitigen trachten, welche sich bei der Beschränkung
der alten Geschichte durch die neuen Lehrpläne ergeben. Denn
darin dürften alle Fachgenossen übereinstimmen, dafs die Frage
nach der Gestaltung des Unterrichts in der alten Geschichte die
bei weitem brennendste unter den mancherlei Fragen ist, welche die
Gestaltung des Geschichtsunterrichts überhaupt betreifen. Nach
den jüngsten eigenartigen Versuchen von Fechner und Schultz
liegt ein neuer Grundrifs der Weltgeschichte von Friedländer und
Zschech vor, von denen letzterer die griechische und römische,
ersterer die mittlere und neuere Geschichte behandelt hat. Ref.
will es scheinen, als wenn die beiden Teile einander nicht recht ent-
sprächen, denn schon äufserlich betrachtet übertrifft die Darstel-
an^ez. von Th. Sorgcofrey. 283
lung der alten Geschichte mit ihren 286 Seiten, die mittlere und
neo^e mit zusammen 315 Seiten nicht unerhebUch. Auch inner-
lich sind die beiden Teile nicht gleichwertig. Die Darstellung der
alten Geschichte ist ganz in der Weise geboten, als ob dem Lehrer
noch zwei Jahre zur Verfügung ständen. Mit allzu grofser Breite
hält sich Zschech bei den Wanderangen der griechischen Stämme,
bei Lykurg, bei den messenischen Kriegen auf, allzu ausfuhrlich
ist auch die römische Geschichte vor Pyrrhus behandelt. Die Ge-
schichte des Beginns der Völkerwanderung ist sowohl bei Zschech
als auch bei Friedländer behandelt: diese Behandlung ist nicht
nur gegen die für die meisten Anstalten geltenden Bestimmungen,
da io Unterprima mit Theoderich begonnen wird, sondern bei der
Jetzigen Beschränkung des Unterrichts in der alten Geschichte auf
ein Jahr geradezu unmöglich. Vor allen Dingen kommt es bei
den jetzt erscheinenden Grundrissen darauf an, in der Geschichte
der Griechen und Bömer das auszuscheiden, was weniger wichtig
und deshalb entbehrlich ist. Jeder Bearbeiter eines neuen Lehr-
bachs muTs zu dieser Frage Stellung nehmen, Zschech hat dies,
so scheint es, unterlassen. Nicht nur gilt es, die ältere Gechichte
Griechenlands und Roms zu beschränken, wie ja auch die preufsi-
schen Lehrpläne ausdrucklich vorschreiben, es gilt bei jedem Ab-
schnitte zu prüfen, was und wie zusammenzufassen ist. Die älteste
Geschichte der Germanen z. B. mufs in Obersekunda behandelt
und mit der Geschichte der römischen Kaiserzeit verbunden wer-
den: so lesenswert die Darstellung Friedländers im 2. Teile ist,
alles was dem Auftreten Theoderichs vorausgeht, gehört in den
1. Teil.
Wie der 1. Teil benutzt werden soll, hat Zschech nicht an-
gegeben, es fehlt jedes Vorwort — so, wie er ihn dargeboten
bat, kann die alte Geschichte nicht dargestellt werden. Auch die
litterarisch-kulturgeschichtlichen Teile bieten mancherlei, was in
der Schule kaum verwertet werden kann. Es ist doch wohl not-
wendiger, bei Praxiteles z. B. auf den Hermes hinzuweisen, den
mancher Schüler im Ellernhause oder auch in Schaufenstern zu
sehen bekommt, von dem vielleicht auch manche kleinere Anstalt
einen Abgufs besitzt, als auf die Aphrodite. Was wird den
meisten Schülern der Hinweis auf die GrafTsche Sammlung der
hellenistischen Porträts nützen? Nicht minder unzulässig erscheinen j
zum Teil die Ausführungen in den Abschnitten über Litteratur
und Bildung im silbernen Zeitalter und in der letzten Zeit des
römischen Kaiserreichs. Da sind Namen gebraucht, die dem
Schüler fremd bleiben können, ja fremd bleiben müssen. Lucanus,
Silius Italicus, Valerius Flaccus, Statius stehen dem Schuler ebenso
fem wie Cassius Dio und Herodian, von Martalis, Petronius und
Apuleius soll ein Schüler nichts hören. Würde der Verf. wagen
das „anziehende" Sittenbild des Petronius oder den „lehrhaften^'
Sittenroman des Afrikaners Apuleius seinen Schülern in die Hand
284 FriedlSnder d. Zschecb, Weltgescb., agi. v. Tfi. Sorfenfref.
ZU geben? Ebenso wenig angemessen wie die Berührung der ge-
nannten SchrifUteller scheint mir die für den Entwickelungsgang
Athens doch ganz gleichgültige Thatsache, dafs Ferikles (S. 84)
seine Gemahlin Aspasia wegen „Kuppelei'' verteidigt hat. Solches
Geklätsch (vgl. Adolf Schmidt, Das Perikieische Zeitalter 1288 f.)
sollte der Schule doch erspart bleiben, ganz abgesehen davon,
dafs der Begriff Kuppelei nicht in der Unterrichtsstunde erläutert
werden kann. An manchen Stellen wäre schärfere Fassung des
Ausdrucks angebracht. So wird S. 32 von Erziehungshäusern be-
richtet, die in Sparta von Lykurg errichtet worden sind, S. 182
wird von industriellen Anlagen in Italien, S. 193 von grofsartigen
Fabrikanlagen ebendaselbst gesprochen. Hier wäre ein erklärendes
Wort wohl am Platz gewesen, um jede falsche Vorstellung von
vorn herein fern zu halten. Unnötig dürften Abweichungen von
den gewöhnlichen Annahmen sein, wie die Zeitbestimmung für
die Errichtung der olympischen Spiele mit 777 oder die Benen-
nung der grofsen Entscheidungsschlacht des zweiten punischen
Kriegs als Schlacht bei Naragarra. Doch Einzelheiten sollen nicht
gehäuft werden. Anzuerkennen ist das Bestreben Zschechs, den
Grundrifs möglichst sorgfältig zu stilisieren und somit seine Arbeil
mit der manches seiner Vorgänger in Gegensatz zu bringen, nur
hätte der ailzuhäufige Gebrauch der Partizipien auf end vermieden
werden sollen. Für den Schulgebrauch wird Zschech seinen
Grundrifs fast um die Hälfte kürzen können, jetzt bietet er
für eine ausführliche Darstellung zu wenig, für einen Grundrifs
zu viel.
Fast im Gegensatze zu Zschech steht die Arbeit Friedländers.
Hier ist knapp zusammengefalst, was etwa dem Primaner geboten
werden kann, mit nicht zu verkennender Absicht tritt die Kriegs-
geschichte überall zurück, wo das Ergebnis der Kämpfe wichtiger
ist als die Kämpfe selbst. Die \\ örtlichen Anführungen aus be-
deutenden Geschichtswerken, von denen manches auch ausdrück-
lich genannt wird, beleben die Darstellung, die fortlaufenden Hin-
weisungen auf Kiepert - Wolfs trefflichen historischen Atlas er-
leichtern dem Schüler den Überblick. Dafs Zschech sich in dieser
Beziehung nicht an Friedländer angeschlossen hat, ist nur zu be-
dauern. W^ir begrüfsen in Friedländers Grundrifs einen wirklichen
Fortschritt und möchten wohl wünschen, dafs ihm der Eingang
in die Schule nicht verschlossen bleibt.
Der Preis des Grundrisses ist für ein Schulbuch ziemlich
hoch, werden die oben angedeuteten Kürzungen vorgenommen,
so läfst er sich wesentlich ermäfsigen. Die Ausstattung verdient
volle Anerkennung.
Neuhaldensleben. Th. Sorgenfrey.
Zweck o. Bernecker, Hulfsb. d. Geogr., ags. v. E. Oeh!iB«nD. 285
Zweck aod Bernecker, Hülfsbach für deo Uoterricht io der
Geographie. I. Teil. Lehrstoff für QoiDt« nod Qaarta. II. Teil.
Lehrstoff der nittlereo nod obereo Klassen. HaoDover 1893, Hahnsche
BnchhaodloDg. L Teil: VI a. 79 S. kart. 0,90 M. IL Teil: IV a.
2^1 S. geb. 2,40 M.
Dars im Scbulbetriebe der Erdkunde eine Rückstrom ung ein-
getreten ist, geboten darcb die Vorscbriften der neuen Lehrpläne,
durch die Verminderung der Stundenzahl, die tbatsäcbliche Be-
schränkung des Unterrichts auf die Klassen bis IIb, geboten auch
durch manche Erfahrungen, — das mag nicht mehr bestritten
werden. Verführerisch war es ja in der That, die „dürre Topik*'
Satz für Satz mit anregenden Beobachtungen über die, wenn auch
manchmal nur vermutete, ursächliche Entwickelung ihrer Gebilde
zu tränken und die erdkundlichen Begriffe durch Beziehung auf
mancherlei andere Erscheinungen und auf Hülfswissenschaften in
anziehende Beleuchtung zu rücken; und „interessanter'* war durch
dies Verfahren die Schulgeographie zweifellos geworden, jedoch
mit dem Zusätze: für die fähigen Köpfe. Dem Durchschnitts-
schüler aber ist, bei dem jetzigen Mafse der Ansprüche an die
Leistungen der Schüler auf höheren Lehranstalten vor allem,
nicht mehr zuzumuten, dafs er in einem Fache von so geringer
Unterrichtszeit soviel Denkstoff bewältigen soll. So sind wir denn
in rund 20 Jahren von der harmlos beschreibenden, zu der
..vergleichenden*', dann zur zeichnenden, weiter zur
wissenschaftlich entwickelnden und „ursächlich ver-
knüpfenden'* Erdkunde gekommen. Mit dem Erscheinen der
neuen Lehrpläne hat dann der eine mit der Verkehrskunde oder
mit volkswirtschaftlichen Beziehungen, der zweite mit der Terri-
torialgeschichte, der dritte mit der mathematischen Geographie
seinem Schiffe einen polynesischen „Ausleger** angehängt, der ja
bekanntlich bei unruhiger See zweckdienlich, bei engem Fahr-
wasser aber hinderlich ist. Andere endlich sind zur beschrei-
benden Schulgeographie zurückgekehrt, und in ihrem Zeichen
stehen die beiden vorliegenden Bücher.
Bei dem Lesen dieser Bücher bekommt niemand Kopfweh,
auch der Durchschnittsschüler nicht, denn alles ist einfach und
•m
verständlich. Ursächliche Entwickelungen oder Ahnliches berüh-
rende Winke sind nur in Form von Ellipsen angebracht, die
freilich häufig sehr störend wirken, wenn sie, zwischen zwei
Treonungsstriche gestellt, den Gedankengang zerschneiden. Aber
es wird zuviel beschrieben, der Lauf der Küsten, der Gang der
Stromrichtungen, der Wechsel eines Gebirgslaufes, Dinge, die der
Schüler aus dem Atlas herauslesen mufs und kann. Dann sind
lange Seiten mit ödesten Städtereihen gefüllt, nur mit Attributen
versehen wie: „Industrie, Handelsindustrie, Fabrikindustrie, Grofs-
indostrie** u. s. w. , ohne jede Andeutung über das Warum und
Wie. Die Ansicht der Vorrede des II. Teiles, dafs die Zahlen
1
286 Pntz^erd Historischer Schulallas, agz. v. A. Rirchhoff.
auf das Mindestmafs beschräokt seien (was nebenbei bemerkt
doch auch nicht nötig ist, denn sie brauchen ja nicht alle ge-
lernt zu werden), ist wohl kaum aufrecht zu erhalten. Im L Teile
ist allerdings ihre Verwendung durch verschiedene Hulfsmiltel der
Typographie vermieden, wie Punkte, Kreischen, Unterstreichungen,
weiche die Einwohnerzahl einer Stadt innerhalb gewisser Zahlen-
grenzen andeuten sollen, ein Verfahren, das den Verfassern viel-
fältige Mühe gemacht haben mufs und vermutlich recht nützlich
ist Im II. Teile flnden sich hingegen aufserordentlich viele Ein*
wohnerzahlen bei Städten angegeben und ohne ersichtlichen Grund
bald stark abgerundet, bald bis in die Hunderter genau. So hat
S. 116 Stade 10 190 Einwohner, gleich darunter Geestemünde,
das „die Vervollständigung von Bremerhaven bildet^S 16 T. E. =
16 000 Einwohner. An Einzelstellen bleibt noch mancherlei zu
verbessern. Der Druck ist sehr deutlich und sorgfältig durchge-
sehen, Bilder und Karten sind grundsätzlich fortgelassen.
Hannover-Linden. E. Oehlmann.
Putzgpers Historischer Schulatlas zor alteo, mittleren uod oeoea
Geschichte io 66 Haupt- aod 63 Nebenkarten. Neu bearbeitet von
A. Baldamas. Neanzehnte vermehrte ond verbesserte Aoflage.
Bielefeld und Leipzig 1883, Velhagen und Kissing. 2 M.
Der derzeitige Bearbeiter des wegen seiner Preiswürdigkeit
mit Recht beliebten Putzgerschen liistorischen Schulatlas hat den-
selben auch in der vorliegenden Neuauflage nicht unwesentlich
bereichert und verbessert. Insbesondere bezieht sich das auf die
Terrilorialentwickelung PreuCsens und der süddeutschen Staaten,
die ebensowohl im geschichtlichen wie im erdkundlichen Unter-
richt eingehendere Beachtung verdient. Die räumliche Ausgestal-
tung des preufsisclien Staates ist durch Verteilung auf drei Karten
viel deutlicher in dieser Auflage dargestellt worden als in dea
früheren.
Neu hinzugekommen sind 13 Haupt- und Nebenkarten zur
Territorialgeschichte Bayerns, Badens, Württembergs und der
Weltinischen Lande, die früher nur den für die Schüler dieser
Staatsgebiete bestimmten Exemplaren beigegeben zu werden
pflegten. Jedenfalls entspricht es der Einheitlichkeit deutscher
Schulbildung, dafs z. B. der Schüler eines preufsischen Gymna-
siums über die Grundzüge des Werdens auch der wichtigsten
aulserpreufsischen Teilstaaten des Deutschen Reiches klar wird,
und das gelingt am besten unter Beihilfe so vortrefl'lich sauber
und durch kräftigen Flächenfarbendruck eindrucksvoll hergestellter
Karten, wie sie diesen Atlas auszeichnen.
Höchst selten ist hie und da noch ein unbedeutender Stich-
fehler stehen geblieben, z. B. auf Karte 9 Mare Hyreanum (slatl
Ilyrcanum); auf Karte 6 verdiente wohl die Namenform Arachthiis
neben Arathus Erwähnung.
[
fl. Boroer, Leitf. d. Experimental-Pliysik, agz. v. B. Hatt. 287
Ein Originalwerk will dieser Schulallas nicht sein. Aber er
bietet nach besten Quelleowerken in didaktisch so zutreffender
Ausnahl den gesamten Stoff geschichtlicher Länderkunde aller
Zeiträume dar, wie man ihn sich für deutsche Schulen nicht
besser wünschen könnte.
Halle a. S. A. Kirchhoff.
H. Börner, Leitfadeo der Cxperimeotal -Physik für sechsklassige
höhere Lehranstalten. Berlin 1893, Weidmannsche Buchhandlang. V.
oDd 170 S. gr. 8. 2,20 M.
üas Buch ist im wesentlichen ein Ahdruck der ersten Stufe
des Ton demselben Verf. i. J. 1892 herausgegebenen Lehrbuchs
der Physik für höhere Lehranstalten. Letzteres ist in dieser
Zeitschrift 1892 S. 308 ff. besprochen worden. Alles, was dort
über Anlage und Inhalt des Buches, sowie Ober die Form der
Darstellung gesagt worden ist, gilt unverändert auch für unsern
Leitfaden und soll hier nicht wiederholt werden.
Nur das Folgende möge hinzugefügt werden:
Wahrend in dem „Lehrbuch'' die ziemlich allgemein übliche
l^eihenfolge der Abschnitte beibehalten war (Kräfte und Bewegung,
ScbaU, Licht, Wärme, Elektrizität und Magnetismus), folgt in dem
„Leittaden^^ auf die Mechanik die Lehre von der Wärme, dann
die Elektrizität jind der Magnetismus, die Akustik und die Optik.
IVef. bä\t diese Änderung in einem Buche, das dem elementarsten
physikalischen Unterrichte dienen soll, nicht für wesentlich, glaubt
auch nicht, dafs die Mehrzahl der Fachlehrer in der Schule dieser
Anordnung folgen werde. Die Reihenfolge der Unterabteilungen
in den einzelnen Abschnitten ist mit wenigen Ausnahmen unver-
ändert geblieben.
Der Inhalt ist durch manche treffende Bemerkung und
manche lebrreiche physikalische Wahrnehmung vermehrt, seltener
ist von dem früher vorhandenen Texte etwas gestrichen worden.
Wesentlich neu sind die Kapitel, welche von dem Begriffe der
Energie und der Erklärung der physikalischen Kräfte (Wärme,
Elektrizität, Schall und Licht) als besonderer Formen der Energie
handeln, ferner die Abschnitte von der spezifischen Wärme und
der Meteorologie, diejenige über das Auge und das Sehen und
einige irdische Lichterscheinungen, endlich die Zusammenfassung
der Endergebnisse, welche in dem „Lehrbuche" mit Recht der
zweiten Stufe vorbehalten war.
Eine weitere Vermehrung des Inhalts in späteren Auf-
lagen möchte sich kaum empfehlen.
Die Besprechung der Energie und der verschiedenen Formen
derselben in besonderen, wenn auch in kurzen, Kapiteln am
Schlüsse der Hauptabschnitte hält Ref. nicht für einen glücklichen
288 H. BSroer, Leitf. d. Expertincotal-Physik, agz. v. B. Hott.
Griff, hätte es vielmehr für ausreichend und zweckdienlich er-
achtet, wenn davon gelegentlich an passender Stelle das Not-
wendige gesagt worden wäre.
üafs die Vermengung von Grundbegriffen und Grundge-
setzen einerseits und den daraus abgeleiteten Begriffen und
Gesetzen andererseits zu beanstanden sei, wurde schon bei Be-
sprechung des ,,Lehrbuch8*' hervorgehoben. Auch anderen Bericht-
erstattern (Beiblätter zu den Annalen der Phys. u. Chemie,
Bd. 17, Stuck 9, S. 859) ist die daraus folgende grofse Anzahl
von Einzelgesetzen aufgefallen.
Die vorliegende neue Ausgabe der ersten Stufe des „Lehrbuchs*'
ist, wie ja auch der Titel andeutet, durch das Besti^ebeu beein-
flufst worden, den Anforderungen der sechs klassigen Realanstalten
zu entsprechen und kann wegen seiner vielen Vorzüge, welche
schon früher gewürdigt worden sind, zur Einführung an denselben
empfohlen werden. Die Brauchbarkeit des Buches für den vor-
bereitenden physikalischen Unterricht an neunklassigen Schulen ist
durch seine Umarbeitung vielleicht in etwas beeinträchtigt worden.
Druck und Ausstattung des Werkes sind gut
Bernburg. £. Hutt.
Verein zur Förderung des Unterrichts in der Mathematik
und in den Naturwissenschaften.
Die dritte Hauptversamalang soU zu Pfingsten t894 in Wiesbaden statt-
finden.
Anmeldangen zu Vorträgen für die allgeneinen wie für die Abteilanga-
Sitzongen dieser Versammlaog werden bis Ostern erbeten; dieselben sind
an die Adresse des Prof. Pietsker in ^ordhansen zu richten.
r
ERSTE ABTEILUNG.
ABHANDLUNGEN.
Die Gliederung des geometrischen Unterrichts nach
Lehrstufen.
Die Mathematik, sagt Paulsen in seiner Vorlesung über
Pädagogik, bietet eigentlich kein unmittelbares Interesse, wie
Liiteraturgeschichte, Weltgeschichte, Geographie und Naturkunde.
Dreiecke, Kreise, Logarithmen sind an und für sich uninteressant ;
sie können es nur werden durch die Form des Unterrichts. Daher
ist der Unterricht in der Mathematik schwieriger, weil er erst das
Interesse erzeugen mufs.
Vom Standpunkte der Schulermehrzahl aus betrachtet, wird
man Paulsen recht geben müssen. Es ist dem wissenschaftlichen
Mathematiker nur dienlich, wenn er sich bald mit dem Gedanken
vertraut macht, dafs die Lehre von der reinen Form, die er mit
Stolz Tertritt, in ihrer reinen Wirkung manches Knaben und
Jänglings Geist gleichgiltig läfst, ja sogar abstöfst. Unter dem
Druck dieser Erkenntnis wird er seiner pädagogischen Existenz
gar nicht anders Luft schaffen können als durch die methodische
Aasgestaltang seines Unterrichts nach einer solchen Seite hin,
dalüs die Schüler, wenigstens in ihrer überwiegenden Zahl, für
die Sache gewonnen, zu ihr hingezogen, durch sie gefördert und
dem gesteckten Ziele der Gesamtbildung näher gebracht werden.
Wenn wir die beiden grofsen Abteilungen der Mathematik
einzeln prüfen, so kann auf Grund der Erfahrung gesagt werden,
dafs auf den höheren Schulen der Unterricht in der Arithmetik,
im grofsen und ganzen wenigstens, nicht so vielen Schwierigkeiten
begegnet wie derjenige in der Geometrie. Im Gebiete der Zahl,
auch der allgemeinen, in Buchstaben gekleideten, überwiegt das
Scheroatische , und daher hängt der Erfolg nneistens allein von
der sorgfaltigen Behandlung eines geeigneten Übungsmaterials ab.
Beim geometrischen Unterricht aber ist mancherlei zu berück-
sichtigen und viel zu überlegen, wenn man die Schüler zu einer
Vertiefung in den oft recht schweren Stoff, zu einer gewissen
Beherrschung des durchgearbeiteten Gebietes führen will. Anderer-
Zeitaehr. t d. OjmaMUlweMo XLYIU. 5. 19
290 Gliederung des geometrischen Unterr. nach Lehrstofen,
seils darf hervorgehoben werden, dafs wohl kaum eine andere
Wissenschaft den denkenden, pflichteifrigen Lehrer in höherem
Mafse zur didaktischen Bearbeitung reizen möchte als die Geo-
metrie. Schon das blofse Bewufslsein, wie viel in diesem Fache
von einem guten Unterricht bezuglich des Erfolges abhängt, wird
den l^ädagogen locken und anspornen. Es kommen aber noch
andere Umstände hinzu, welche den Unterrichtenden bei der Aus-
übung seiner Thätigkeit mit einer gewissen Befriedigung erfüllen
können. Nicht nur, daCs das mechanische Auswendiglernen hier
zurücktritt, wodurch ermüdende Repetitionen alles gedächtnis-
mäfsig erarbeiteten Stoffes ausgeschlossen werden, so kann die
grofsartige Verknüpfung von Anschauung und logischem Denken,
wie die meisten Lehrgebiete der Geometrie und Stereometrie sie
darbieten, dem Pädagogen keinen Zweifel lassen, dafs durch dieses
Fach eine sehr günstige Gelegenheit zur Schulung in ernster
Geistesarbeit gegeben wird; es kann ferner der geometrische
Unterricht, nächst dem in der Naturkunde, die Lehren der neueren,
auf Psychologie gegründeten Methodik in ungekünstelter Weise zur
häufigen Anwendung bringen.
Auf den Unterricht in der Geometrie sollen sich die folgen-
den Erwägungen und Vorschläge beziehen, unter besonderer Be-
rücksichtigung der ncunklassigen höheren Schule.
Die Frage, warum dieser Unterricht Schüler und Lehrer oft
so wenig befriedigt, hat schon Karl von Raumer in dem Kapitel
über Geometrie im dritten Teile seiner Geschichte der Pädagogik
erörtert. Er urteilt, dafs die enge Anlehnung der Schulgeometrie
an das berühmte Lehrbuch des Euklid die Hauptquelle des Übels
sei. Der griechische Meister habe seine atoix^ia nicht für An-
fänger geschrieben, sondern für Männer, welche, schon ausgerüstet
mit mathematischen Kenntnissen, zu ihm nach Alexandria kamen
und weitere Förderung suchten. Der Titel seines Werkes kann
nur dahin gedeutet werden, dafs darin alle geometrischen Gebilde
aus den einfachsten Elementen aufgebaut werden.
So geistvoll und überzeugend Raumers Darlegungen in dem
erwähnten Kapitel sind, so sehr ist es zu bedauern, daCs er für
eine Umgestaltung des geometrischen Unterrichts keine positiven
Vorschlage macht, ausgenommen den einen, durch die Vorliebe
für sein Spezialfach eingegebenen, nämlich die Benutzung der
Kryslallkunde als Vorstufe für den eigentlichen geometrischen
Unterricht. Wenn Raumer dann noch besonders wünscht, dafs
dabei natürliche Krystalle vor Krystallmodellen den Vorzug haben
sollen — natürliche Krystalle zeigen bekanntlich fast nie mathe-
matische Genauigkeit und sind meistens von geringer Gröfse — ,
so dürfte dieser Vorschlag schwerhch die Mehrzahl der Mathe-
matiker befriedigen.
Wenn wir der durch Raumer ziemlich bestimmt ausgesprochenen
Verwerfung des Euklid für Schulzwecke auf den Grund gehen, so
voD T. Adrioo. 291
kann kurz gesagt werden, dafs die Lebrweise des geprieseoen
Griechen für Anfänger zu schwer ist und daher nur in Seltenen
Fällen vollständig erfafst werden kann. Ähnlich urteilt auch
Paulsen in seinem Kolleg über Pädagogik, indem er sagt: Der
synthetische Unterricht, dem Euklid Vorbild war, ist für Schuler
nicht geeignet.
Fast in allen Gebieten der Wissenschaft hat sich in den
letzten Jahrzehnten die Erkenntnis darchgehrochen , dafs man
zwischen exakt wissenschaftlicher Behandlung eines gegebenen
Stoffes und der Behandlung desselben im Schulunterricht strenge
zu unterscheiden habe. Manche bedeutsame Neuerung, welche
entschieden als Fortschritt anerkannt werden mufs, ist dieser
Erkenntnis entsprungen. Als eklatantes Beispiel möge die moderne
Gestaltung des naturkundlichen Unterrichts hingestellt werden,
weiche so überzeugend gewirkt hat, dafs man heutzutage ein
Schulbuch wie den früher so weit verbreiteten Grundrifs der
.Natargeschichte von Schilling geradezu verspottet.
Als Ergänzung dieser Erkenntnis hat in jüngster Zeit unter
den Pädagogen, besonders den Anhängern Herbarts, der Gedanke
immer mehr Raum gewonnen, dafs man zwischen Elementar-
unterricht und höherem Unterricht keinen prinzipiellen Unter-^
schied machen dürfe, sobald die Methode in Frage kommt, da
sich das Lernen stets nach denselben psychologischen Gesetzen
vollzieht. Wo dieser Gedanke offen ausgesprochen wird, da wird
zugleich darüber geklagt, dafs die Lehrweise der höheren Schulen
in mancher Beziehung zu abstrakt sei und dafs eine genaue Be-
obachtung der praktischen Gestaltung des Volksschulunterrichts
einer gesunden Förderung der Interessen der höheren Schulen
dienlich sein könne.
Was nun speziell den geometrischen Unterricht anbetrifft, so
wird heutzutage in der pädagogischen Litteratur die Forderung
einer schulmäfsigen Behandlung des Wissensstoffes schon vielfach
anerkannt und eine elementare Methode für den Unterricht auch
an höheren Schulen empfohlen. Aus den neuesten Veröffent-
licbongen mögen zwei Belege aufgeführt werden. F. Schultze,
Professor der Pädagogik an der technischen Hochschule zu Dres-
den, sagt in seinem jüngsten Werke: Deutsche Erziehung, Leipzig,
Ernst Günther, 1893 auf Seite 279 folgendes: „Da das rein
Formaie und Abstrakte dem kindlichen Geiste fern liegt und am
schwersten fallt, so mufs die Mathematik in der Erziehungsschule
and zumal in ihren Anfängen so konkret und anschaulich wie
möglich verfahren''. Ebenso Arnold Ohlert, der junge, rüstige
Kampfer für die centrale Stellung des deutschen Unterrichts, in
seiner: Allgemeinen Methodik des Sprachunterrichts, Hannover,
Carl Meyer (G. Prior), 1893 auf Seite 145: „Der mathematische
Unterricht auf unsern heutigen höheren Schulen ist in weitem
Umböge noch immer viel zu abstrakt und viel zu wenig ver-
19*
292 Gliederung des geometrischen Uoterr. naeh Lehrstofeo,
knöpft mit den übrigen Vorstellungskreiseu des Unterrichts und
des Leßens^S
In die Schulpraxis ist diese neue Anschauung, wie es scheint,
noch nicht tief eingedrungen. Immer noch ist das verbreitetste
Lehrbuch der Planimetrie dasjenige von Kambly, welches nach
synthetischer Methode abgefafst ist und schon in den ersten An-
fangen die ernsteste Wissenschaftlicfakeit walten läfst. Was die
andern plani metrischen Lehrbücher anbetrifft, die för höhere
Schulen bestimmt sind und auf ihnen benutzt werden, so zeigen
dieselben im Vergleich mit einander und mit Kambly meistens
nur geringe Unterschiede in der Anordnung und Behandlung des
Stoffes. Der von einigen Mathematikern angestellte Versuch, die
sogenannte neuere, auf Bewegung gegründete Geometrie für die
Schule zu bearbeiten, hat sich bis jetzt nicht sehr aussichtsvoll
erwiesen und wird gerade vom pädagogischen Gesichtspunkte aus
bekämpft.
Es ist wohl kein Zweifel mehr darüber, dafs dasjenige, was
die Würde und Hoheit der Mathematik ausmacht, das peinlich
genaue, wissenschaftliche Verfahren, die strenge Begründung jedes
weiteren Schrittes, den man nach vorwärts thut, die straffe Ver-
bindung aller Erkenntnisglieder zu einer unlösbar festen Kette,
dafs gerade dies einen starken Beibungsfaktor abgiebt, wenn man
die Wissenschaft des Mafses und der Zahl im Geleise der Schule
fortschieben will. Wie soll man sich dabei helfen? Soll man
auf die wissenschaftliche Behandlung der Mathematik beim Unter-
richt ganz verzichten und ähnlich verfahren, wie die Volksschule
dies thut?
Es giebt in unseren Tagen pädagogische Schriftsteller, welche
sich nicht scheuen, den Bruch mit der früheren Lehrweise der
Geometrie zu einem vollständigen zu gestalten, den Sprung in
das Neuland einer besonderen Schuigeometrie, wo gröfsere Frei-
heit herrscht als im alten Beiche Euklids, ohne jedes Bedenken
zu wagen. Man will alles Theoretische aus dem geometrischen
Unterricht ausgeschlossen und nur das gegeben wissen, was
praktisch für jeden Erwachsenen wertvoll und unentbehrlich ist.
Dafs bei der Durchführung dieses Standpunktes an eine streng
wissenschaftliche Behandlung der Geometrie nicht zu denken ist,
versteht sich wohl von selbst. Indessen schreckt dieser Gedanke
heutzutage nicht mehr so sehr. Werden ja doch zuweilen Stimmen
laut, welche ohne Einschränkung sagen, dafs eigentliche Wissen-
schaft, sofern man darunter Ableitung aus Prinzipien versteht, lo
den Schulen , selbst in den höheren , nicht gelehrt werden soll,
wie in dem Buche von J. Baumann: Volksschulen, höhere Schulen
und Universitäten. Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht, 1893.
Wer das psychologische Gesetz des Gegensatzes kennt, wird
sich nicht darüber wundern, dafs man bezüglich des geometrischen
Unterrichts von einem Extrem ins andere zu fallen in Gefahr
j
voD T. Adrian. 293
siebt, zunächsl wenigstens der theoretischen Anschauung nach.
In der Kunstgeschichte ist ja die Erscheinung des Übergangs zum
Extrem, sobald ein Ideal sich überlebt hat, etwas ganz Altes und
Bekanntes. Die Didaktik ist auch eine Kunst, und so darf es ihr
nicht verdacht werden, wenn sie gelegentlich eine ganz entgegen-
gesetzte Richtung einzuschlagen versucht. Aber immer sollte
man, wenn das Extrem die Menschheit zu reizen und zu be-
stechen beginnt, an den alten Erfahrungssatz denken, daüs die
Wahrheit in der Mitte liegt. Inter utrumque tene. Der Sinn,
welcher in diesen Worten Ovids steckt, hat meistens den Sieg
dayoDgetragen über die fast immer einseitige Thorheit des
Extrems.
Für eine ruhige, gemäCsigte Betrachtung der Frage des geo-
metrischen Unterrichts kann es sich also wohl nur um eine
richtige Ausgleichung zwischen dem alten und neuen Standpunkt
handeln. Auf dem alten Standpunkt unverändert zu beharren,
ist nach den mancherlei Anklagen, welche einsichtsvolle Pädagogen
dagegen erhoben haben, und nach den Thatsachen der Erfahrung
über die Unterrichtserfolge nicht ratsam. Der neue Kurs, welcher
den geometrischen Unterricht allein auf praktische Ziele verweisen,
aUes rein Wissenschaftliche, durch abstrakte Operationen Erreich-
bare dagegen aus demselben möglichst fern gehalten wissen will,
könnte vielleicht auf einer sechsklassigen Realschule eingeschlagen
werden; wollte die neunklassige höhere Schule, welche auf die
Universität und die technische Hochschule vorbereitet, ihn voll-
ständig annehmen, so würde dadurch eine nicht unwesentliche
Lücke in der Ausbildung zur Reife für ein gelehrtes Fachstudium
entstehen, so hätte man eine gute Gelegenheit versäumt, dem
zakänftigen Studenten mustergiltige Proben wissenschaftlicher
Methode zu bieten und dadurch den Geist wissenschaftlicher Ge-
nauigkeit und Gründlichkeit in ihm zu wecken. Diesen wichtigen
Punkt zu übersehen oder leicht zu nehmen, wäre unverant-
wortlich.
Wie soli man nun den rechten Ausgleich finden? Eine Ver-
mischung der beiden Tendenzen, ein abwechselndes Hervorheben
d« einen und der andern scheint nicht ratsam, da auf diese
Weise der Unterricht einen unbestimmten, schwankenden Cha-
rakter annehmen würde. Es giebt glücklicherweise einen andern
Ausweg aus diesem Dilemma, einen Ausweg, den man ohne
Schwierigkeit benutzen kann. Dies ist der Aufbau des geometri-
schen Unterrichts in Stufen, welche von derber Sinnlichkeit zu
immer feinerer Abstraktion, von niederer praktischer Fertigkeit
zur Höhe wissenschaftlichen Denkens heraufführen.
Zur Empfehlung dieser Idee erlaube man mir, den Finger
auf die beiden Hauptfehler zu legen, -die gewöhnlich beim geo-
metrischen Unterricht gemacht werden.
Der eine derselben betrifTl die Anordnung des Stoffes. Hier-
294 GliederoD(^ des f^eometrjsohen Uoterr. oaoh Lehrstofen,
bei läfst man sich fast ausschliefslich vom wissenschaftlichen
Gesichtspunkte leiten und vernachlässigt den pädagogischen, indem
besonders das Gesetz des Fortschreitens vom Leichteren zum
Schwereren übertreten wird. Die ziemlich schwierige Parallelen-
theorie z. B. wird in der Quarta abgehandelt. Man beginnt die
in ihren Anfängen recht leichte Kreislehre meistens erst dann,
wenn die Eigenschaften der Dreiecke und Parallelogramme er-
schöpft sind. Ober die einfachen Körper empfängt nach den
neuen preufsischen Lehrplänen erst der Sekundaner einige nutz-
liche Belehrungen; früher hütete man die Geheimnisse der Stereo-
metrie, die grofsen wie die kleinen, noch sorgfältiger und liefs
sie erst auf die Primaner los. Was soll überhaupt die strenge
Abgrenzung der einzelnen Kapitel? Es ist nicht wahr, dafs sie
für das Verständnis geometrischer Wahrheiten absolut notwendig
ist. Man könnte sehr oft eine neue Erkenntnis auf dem Gebiet
der Dreieckslehre sofort auf das Parallelogramm, den Kreis oder
das reguläre Polygon anwenden. Dadurch würde eine Verbindung
dieser Gebiete entstehen, die der Konzentration des Unterrichts
nur förderlich wäre. Man denke an die heutige Methode des
naturkundlichen Unterrichts, bei welcher die Kenntnisse in kon-
zentrischen Kreisen erweitert werden, während die systematische
Zusammenstellung den Abschlufs des Ganzen bildet. WiU man
dies Verfahren unwissenschaftlich nennen? Wenn wirklich ein-
seitige Facbgelehrsamkeit diesen Vorwurf erheben sollte, so wird
die Erziehungswissenschaft dagegen mit den stärksten Gründen
protestieren können.
Noch schlimmer aber ist der zweite Fehler, zu dem fast alle
für höhere Schulen geschriebenen Lehrbücher der Geometrie ver-
leiten. Dieser bezieht sich auf die Lehrform. Der Quartaner
bekommt die geometrischen Wahrheiten in derselben Einkleidung
wie der Sekundaner und Primaner. Die strenge Unterscheidung
von Definitionen, Grundsätzen, Lehrsätzen, Zusätzen und Um-
kehrungen, die akkurate Form der Beweisführung unter dem vor-
sichtigen Schutze von Voraussetzung und Behaiiptung, das sind
Dinge, die für alle Klassen der höheren Schule als unabänderliche
Norm zu gelten pflegen. Dem wissenschaftlichen System zu Liebe
soll gleich der Anfänger die Wahrheil, welche aus einer abstrakten
Verknüpfung von Begriffen und Schlüssen resultiert, höher stellen
als die deutliche, aus einer anschaulichen Zeichnung entspringende
Erfahrung. Er soll Umkehrungssätze aus indirekten Beweisen
erschliefsen , bei denen ihm entweder gar keine Figur hilft oder
wo die Figur absichtlich den wirklichen Thatbestand verhöhnt.
So passiert es leicht, dafs Lehrer und Schüler sich beim Unter-
richt mit einem teiiweisen Verständnis begnügen und dafs die
letzteren dann auch auf einer vorgerückteren Stufe der Geistes-
entwickelung, wo sie reif genug wären, um in den tiefen Sinn
dieser Lehrform eindringen zu können, sich bei solchem ober-
voo T. Adriao. 295
flächlicben, unvoUsländigen Erfassen des Dargebotenen beruhigen.
Man kann sogar sagen, dafs die äufserliche Gewöhnung an den
wisseDschaftlichen Zuschnitt des Stoffes, welche beim Unterricht
TOD Anfang an Platz greift, das tiefere Verständnis der Grofsartig-
keit und Bedeutsamkeit der mathematischen Methode bindert,
deon dasjenige, woran man lange gewöhnt ist, fordert Durch-
schnittsgeister nur selten zu wirklichem Nachdenken auf.
Beim Aufbau des geometrischen Unterrichts in Stufen, der
ron gewissen Gesichtspunkten aus geradezu als Notwendigkeit
erscheinen mufs, wären die beiden gerügten Fehler leicht zu
vermeiden. Die Lehrmethode mufste schrittweise von der em-
pirischen Wahrheit der geometrischen Zeichnung und der Über-
leugung, welche aus einer klaren sinnlichen Anschauung folgt,
zu der idealen Wahrheit einer geschlossenen logischen Deduktion
übergehen. Damit ist zugleich auch die Möglichkeit geboten, den
Lehrstoff anders zu ordnen, als dies bisher geschehen, die ein-
fachsten geometrischen Wahrheiten aus den verschiedensten Ge-
bieten zusammenzustellen und dann den Umfang der Kenntnisse
bei allmählicher Heranziehung der wissenschafth'chen Hilfsmittel
immer mehr zu erweitern, bis dann am Schlufs ein wissenschaft-
liches System der Geometrie geboten wird, welches, wenn auch
nicht mit Ausführlichkeit behandelt, doch überall die genaue Ab-
leiluDg aus den einfachsten Prinzipien und die enge Verkettung
aller Erkenntnisglieder nach wissenschaftlichem Muster deutlich
za erkennen giebL
Ober die Zahl der Stufen, welche der geometrische Unterricht
an einer neunklassigen höheren Schule aufweisen soll, lieEse sich
streiten. Der Verfasser dieses Aufsatzes würde darüber gern die
Meinung anderer hören und mit der seinigen vergleichen. Ihm
erscheint diese Frage erst in zweiter Linie wichtig; wenn er sie
hier nach seiner Auffassung in ziemlich einfacher Weise beant-
wortet, so geschieht dies hauptsächlich, um der Idee des stufen-
mllsigen Unterrichts eine deutlichere Form zu geben und ihr so
leichteren Eingang zu verschaffen.
In vollständigem Anschlufs an die schon lange eingeführte
Unterscheidung von unteren, mittleren und oberen Klassen
wollen wir für den geometrischen Unterricht drei Hauptstufen
ansetzen, eine Unter-, Mittel- und Oberstufe, deren jede ihren
besonderen Lehrstoff und ihre besondere Lehrmethode hat. Hier-
über einige Eriäuterungen zu geben, soll nunmehr unsere Auf-
gabe sein.
Der geometrische Unterricht pflegt in Quarta zu beginnen.
Vielfach wird vom Rechenunterricht der Quinta eine wöchentliche
Lebrstunde abgetreten und für eine geometrische Propädeutik
verwendet. Die preufsischen Lehrpläne vom Jahre 1882 empfehlen
dies ausdrücklich; die neuen Lehrpläne erwähnen nichts davon
und lassen es unbestimmt, ob dies noch ferner stattfinden soll.
i
296 Gliederung des geometrischen Unterr. nach Lehrstufen,
Mit der Quarta, eventuell auch der Quinta, wurde die Unterstufe
des geometrischen Unterrichts es also zu Ihun haben. Auf der-
selben lassen wir fast ausschliefslich die Wahrheit der geometrischen
Zeichnung zum Schüler sprechen. Die Betrachtung der Körper
wird entweder ganz ausgeschlossen oder in sehr knapper, sehr
elementarer Form als Vorstufe verwendet. Die wichtigsten gerad-
linigen Figuren und der Kreis werden teils einzeln, teils in ihrer
Beziehung zu einander zeichnend bebandelt, naturlich mit ange-
schlossenen Erläuterungen und mit Einübung der technischen
Bezeichnungen. An die vorgebrachten Namen sollen keine wirk-
lichen Definitionen angeschlossen werden; es genügt zunächst,
wenn das Kind die geometrischen Gebilde kennt und be-
nennen kann.
Der Stoff für diese Unterstufe würde mit der geometrischen
Formenlehre, wie die Volksschule sie lehrt, viele Ähnlichkeit
haben. Die zahlreichen, zum Teil recht praktischen Bücher, die
es hierüber giebt, könnte der Lehrer mit Nutzen beim Unterricht
in der Quarta verwenden; allerdings müfste man hier und da
abweichen und manches weglassen, wenn der Standpunkt der
direkten Belehrung durch Zeichnung und Messung rein erhalten
werden soll. Wir sind nämlich der Ansicht, dafs die Kongruenz-
sätze und die Anwendungen derselben auf Beweise nicht für die
erste Stufe passen, weil dabei längere Gedankenläufe zu durch-
wandern sind.
Neben der Messung von geraden Linien ist diejenige von
Winkeln auf der Unterstufe sehr zu üben. Die Gleichheit und
Verschiedenheit der Winkel wird empirisch durch die bekannte
Bogenmessung oder mit Hilfe des Transporteurs festgestellt. Alle
diejenigen Eigenschaften der betrachteten Figuren, welche durch
Messung von Linien und Winkeln klar gemacht werden können,
kommen zur Behandlung; sie werden in die Form kurzer Sätze
gebracht, die also eigentlich geometrische Lehrsätze sind, doch
ist es nicht nötig, die Bezeichnung „Lehrsalz'* schon jetzt zu
gebrauchen. Der Beweis dieser Sätze wird allein als empirischer,
aus der Zeichnung fliefsender gegeben. Der ausgebildete Mathe-
matiker darf sich bei einem solchen Beweise nicht beruhigen; für
das Kind aber hat er mehr Überzeugungskraft als die akkurateste
Deduktion aus Grundsätzen und Hilfssätzen. Eine grofse Reihe
von Sätzen aus der Dreiecks-, Vierecks- und Kreislehre läfst sich
auf diese Weise vorführen und, wenn auch nicht eigentlich be-
weisen, so doch zur klaren Einsicht bringen, z.B.: Im gleich-
schenkligen Dreieck sind die Basiswinkel gleich. — Die Summe
der Dreiecks Winkel ist = 2 R. — In jedem Parallelogramm hal-
bieren die Diagonalen einander. — Im Rechleck und Quadrat
sind die Diagonalen gleich. — Gleiche Sehnen haben gleichen
Abstand vom Mittelpunkt. — Die Tangente steht senkrecht auf
dem zugehörigen Radius, u. s. w. Die sogenannten Fundamental-
von T. Adrito. 297
aufgaben der Geometrie und einige andere leichter Art, die für
Konstruktionen von Figuren von Wert sind, werden ohne viel
Erläuterung durch Vorzeichnen des Lehrers zur Kenntnis der
Schäler gebracht.
Um einen bestimmten, bezeichnenden Ausdruck zu gebrauchen,
köooeo wir sagen, dafs auf der Unterstufe zeichnende und messende
Geometrie gelehrt vvird. Dafs die Schuler zum Zeichnen an der
Wandtafel und zu möglichst genauen Zeichnungen auf dem Papier
mit Bilfe von Lineal, Zirkel und rechtem Winkel — der letztere
darf durchaus nicht fehlen — anzuhalten sind, versteht sich von
selbst. Zu warnen ist vor jenen kombinatorischen Spielereien,
welche die Pestalozzische Schule in die geometrische Formenlehre
eingeführt, wo man untersucht, in wieviel Punkten sich zwanzig
Linien schneiden und wieviel Diagonalen ein Zwölfeck hat. Trotz
mancher scharfen Kritik treten sie immer noch in Schul-
büchern auf.
Während auf der ersten Stufe die Zeichnung von Figuren
und die Messung von geraden Linien und Winkeln, welche an
ihnen vorkommen, die Hauptrolle spielt, tritt auf der zweiten die
geometrische Anschauung in ihr Recht. Freilich ist es nicht die
Anschauung allein, welche uns geometrische Wahrheiten liefert,
sondern ihre Verbindung mit logischem Denken. Da das letztere
aber hier stets von der Anschauung ausgehen soll, so darf der
Ausdruck „Geometrische Anschauungslehre^^ oder „Anschauende
Geometrie'* zugelassen werden. Wir wollen den letzteren vor-
ziehen wegen der besseren Übereinstimmung mit der für die
erste Stufe gewählten Bezeichnung. Auf die zeichnend-messende
Geometrie der Quarta hätte also in den beiden Tertien und der
Dnter-SekuDda die anschauende Geometrie zu folgen.
Auf dieser Stufe kann der Ausdruck „Lehrsatz'' ohne Be-
denken angewendet werden. Das Wort „Beweis'' könnte hier
vielleicht durch „Untersuchung" ersetzt werden, wie dies zuweilen
in elementaren Lehrbuchern geschieht. Die Untersuchung über
die Richtigkeit des Lehrsatzes mufs im allgemeinen den Charakter
eines strengen Beweises tragen; in besonderen Fällen aber, wo
der wissenschaftliche Beweis zu abstrakt ist, darf der Lehrer auf
der Mittelstufe auch andere Wege suchen, um die betreffenden
Wahrheiten zu einer möglichst klaren Auffassung seitens der
Schüler zu fähren. Es ist auch durchaus keine Sunde, dann und
vann einen Lehrsatz ohne Beweis hinzustellen, indem man den
Schülern sagt, dafs es einen solchen wohl gebe, dafs derselbe
aber schwierig und umständlich sei und daher weggelassen werden
solle. Die Schuler werden dem betreffenden Lehrsatze darum
kein geringeres Vertrauen entgegenbringen, vorausgesetzt, dafs
der Sinn desselben ihnen durch gehörige Erläuterung klar ge-
worden ist. In anderen Wissenschaften beweist der Lehrer ja
anch bei weitem nicht alles, was er vorbringt. Besonders ist
L
298 Gliederani; des geometrischen (Joterr. nach LehrstnfeB,
von indirekten Beweisen entweder vollständig abzusehen, oder es
sind nur zuweilen solche leichterer Art als Proben zu geben.
Sehr wichtig und gewissermafsen das Charakteristikum der
Mittelstufe ist es, dafs als Lehrmethode die heuristisch-analytische
gewählt wird. Alles, was gegen die synthetische Methode gesagt
worden, parst besonders, wenn man sich einen Tertianer mit
seinem mathematisch noch zu wenig geschulten Denken als Ob-
jekt derselben vorhält. Vor allen Dingen kann die synthetische
Methode in ihrer strengen Durchführung auf einem solchen Stand-
punkt kein grofses Interesse erregen, da sie die Selbstthätigkeit
des Schülers nicht genügend in Bewegung setzt. Sie ist zu
wissenschaftlich, zu vornehm, zu wenig herablassend gegen das
unerwachsene Schälervolk, welches mit geringen Ausnahmen zu
einer wirklichen Wertschätzung der Geometrie in solcher Behand-
lung nicht gut kommen kann.
In der Praxis wird sicher manch denkender Lehrer, dem
die dogmatische Schablone nicht mehr genügte, trotz synthetisch
abgefafster Lehrbücher auf dieser Stufe mehr oder weniger analytisch
vorgegangen sein. Die schnelle Anerkennung der Verdienste Fenkners
um die Analysis des Beweises deutet darauf hin. Noch konsequenter
als dessen Unterrichtswerk geht ein kürzlich erschienenes, von
der Kritik sehr günstig aufgenommenes Lehrbuch der ebenen
Geometrie von Bensemann, Dessau, P. Baumann, 1892, vor. Es
ist vielleicht die methodisch bedeutsamste Erscheinung der letzten
Jahre auf diesem Gebiete. Nicht nur dafs der Verfasser päda-
gogisch klug genug ist, sich auf die Definitionen der Grundbegriffe
und die Grundsätze nicht einzulassen und die indirekten Beweise
fast ganz zu vermeiden, er ist auch mutig genug, eine Lehrweise,
derjenigen ähnlich, die auf der Oberstufe von Volks- und Hittel-
schulen (im norddeutschen Sinne) vielfach geübt wird, der höheren
Schule als Muster vorzuhalten. Mag auch mancher dies für Verrat
an der mathematischen Wissenschaft und an der Idee der höheren
Schule erachten, so werden Schulmänner, welche auf eine prak-
tische Gestaltung des Unterrichts Wert legen und gerne in jeder
Stunde von dem Erfolg ihrer Bemühungen deutliche Proben
empfangen mögen, ohne viel Bedenken diese Bahn betreten, falls
ihnen dieselbe frei gegeben wird. In den mittleren Klassen
höherer Lehranstalten halten wir sie für die einzig richtige und
die Lehrform des Bensemannschen Buches — Voraussetzung in
Form einer konstruierbaren Figur, Frage zur Feststellung des
Zieles, Untersuchung an Stelle des Beweises und schliefslich For-
mulierung des Lehrsatzes — für die beste.
Was nun die Behandlung von geometrischen Aufgaben an-
betrifft, die auch schon auf der Mittelstufe eine wichtige Rolle
spielen müssen, da sie die Anwendung des Gelernten ermöglichen
und das produktive mathematische Denken fördern, so sind die
Lösungsmethoden durch Sätze, durch Teildreiecke und durch
voo T. Adriao. 299
geometrische Örler zu besprechen und mit Beispielen zu belegen,
worauf dann selbständige Lösungen ähnlicher oder sonst passend
ausgewählter Aufgaben seitens der Schüler folgen müssen. Ge-
legentliche schriftliche Ausarbeitungen solcher Übungsaufgaben sind
sehr zu empfehlen, doch ist es auf dieser Stufe ratsam, die
sehriflliche Darstellung zunächst auf die Konstruktion zu be-
schränken and später — vielleicht hei den Verwandlungsaufgaben
anfangend — auch den Beweis hinzuzunehmen; die Analysis da-
gegen, deren wissenschaftlich genaue Darstellung oft ebenso
schwierig als umständlich ist, möge man den Schüler lieber in
Gedanken vollziehen lassen. Anders ist es, wenn der Lehrer
selbst die Aufgabe vorfuhrt; da kann er unbedenklich alle die
Überlegungen, welche zu ihrer Lösung hinleiten, in eine akkurate
Form zusammenfassen. Dies würde dann eine Vorbereitung sein
auf das, was die Oberstufe leisten soll, von der man Ausarbeitungen
mit Analysis, Konstruktion, Beweis und Determination zu fordern
hätte. Dabei wären denn die Aufgaben am besten so zu wählen,
dafs der Schüler ihnen ohne eine planmafsige Analysis gar nicht
beizokommen vermöchte.
Ehe wir uns nun dieser Oberstufe zuwenden, möge noch
die kurze Bemerkung Platz finden, dafs die Anfangsgrunde der
Trigonometrie und der Stereometrie, wie die neuen preufsischen
Lehrpläne sie für Unter-Sekunda vorschreiben, sich sehr wohl in
der gleichen Lehrart behandeln liefsen, wie wir sie für die Plani-
metrie deutlich gemacht haben, so dafs das Hineinziehen derselben
in eine mittlere Klasse die tragende Idee unserer Mittelstufe nicht
zerstören würde. Was die Stereometrie anbetrifft, so wäre*es
durchaus möglich, schon in der Tertia eine Reihe von einfachen
Wahrheiten auf analytisch -heuristischem Wege zu erschliefsen ; die
rrühe Anwendung der erworbenen planimetrischen Kenntnisse auf
die Eigenschaften der Körper dürfte sich überhaupt als ein be-
lebendes Moment des geometrischen Unterrichts erweisen, wie sie
andererseits dem arithmetischen Unterricht eine Aufgabensphäre
erschliefst, in die der Schüler mit Interesse und Nutzen ein-
treten kann.
Der Oberstufe gehört die wissenschaftliche Geometrie. Hier
kommt es zur Erörterung der Grundbegriffe und Grundsätze, auf
denen das ganze I^ehrgebäude ruht; hier wird der Schüler mit
der Anschauung vertraut gemacht, dafs die geometrischen Gebilde
etgentlicfa nur Gedankendinge sind, ideale Formen, welche weder
die Natur noch die Kunst verwirklichen kann. Unter Benutzung
des früher erworbenen Wissenstoffes werden häufige Übungen im
strengen Definieren angestellt, welche auf dieser Stufe aufser-
ordentlich nützlich sind, da sie die beste Einführung in den An-
lang der Logik, nämlich in die Lehre vom Begriff, zu geben ver-
mögen. Auch die beiden andern Teile der logischen Elementar-
iekre, welche vom Urteil und Scblufs handeln, können den
300 GliederuBg des geometrischen Unterr. nach Lehrstufeo,
Schülern der Prima an der Hand mathematischen Stoffes nahe
geführt werden.
Die Lehrmethode der Oberstufe ist, so weit dies möglich,
die synthetische, weil sich in ihr der wissenschaftliche Charakter
am deutlichsten ausprägt. Durch die beiden ersten Lehrstufen
genügend vorbereitet und auch dem Alter nach gröfseren Denk-
schwierigkeiten gewachsen, wird der Scbüler der oberen Klassen
diese Methode durchdringen können und ihren Wert einigermafsen
schätzen lernen. Die analytische Geometrie, welche gegenwärtig
in ihren Anfängen an allen neunklassigen preuCsischen Anstalten
gelehrt wird, pafst allerdings nicht zu dem aufgestellten Prinzip;
doch kann es dem Primaner nur nützlich sein, wenn er zu der
Einsicht geführt wird, dafs die Wissenschaft auch auf andern
Bahnen wandeln kann. Für die synthetische Lehrform bleibt in
der Ober-Sekunda und Prima ja immer noch genügender Stoff
aus den Gebieten der Planimetrie und Stereometrie; selbst die
Trigonometrie erlaubt diese Behandlungs weise, wenn auch nicht
ganz rein, so doch bis zu einem gewissen Grade.
Mehr als die andern Zweige der Geometrie mufs die Plani-
metrie in den oberen Klassen zu einem gehörigen Abschluts ge-
bracht werden. Um einen solchen gut zu erreichen, möchte es
sich empfehlen, dafs jede dieser drei Klassen einen bestimmten
Bruchteil der geometrischen Stunden des Schuljahres, vielleicht
ein Drittel, allein der Planimetrie zuwendete. Planimetrische
Aufgaben, deren Art und Behandlung auf dieser Stufe schon früher
besprochen wurde, könnten aufserdem auch in der übrigen Zeit
zur schriftlichen Bearbeitung gegeben werden und würden zur
Befestigung der erworbenen Kenntnisse dienen.
Was die Lehrsätze dieses Gebietes anbetrifft, so kommt es
auch hier nicht darauf an, dafs möglichst viele derselben bewiesen
werden, sondern darauf, dafs an möglichst geeigneten Beispielen
das Wesen des geometrischen Beweises aufgedeckt wird. Beweise
verschiedener Gattungen sind also vorzuführen und die verschie-
denen geometrischen und logischen Hilfsmittel, deren sich der
Beweis bedienen kann, klar zu stellen. Die Idee, welche Fenkner
vorschwebt, dafs der Schüler nicht die Beweise, sondern das Be-
weisen lernen soll, ist auf dieser Stufe der Verwirklichung einiger-
mafsen nahe zu führen.
Natürlich werden hier auch indirekte Beweise behandelt, vor
denen wir uns auf den früheren Stufen zu hüten haben. Um
die peinliche Genauigkeit des Mathematikers zu illustrieren, darf
man den Schülern der oberen Klassen auch dann und wann aus-
führliche Beweise von solchen geometrischen Wahrheiten bringen,
die sie früher als selbstverständlich hingenommen haben, wie
z. B. den Beweis des Satzes, dafs ein Kreis mit einer Geraden
nicht mehr als zwei Punkte gemeinsam haben kann. Wollte man
denselben bei der Behandlung der Kreislehre in Unter- Tertia
von T. AdritD. 301
Tortragen, wozu viele Lehrböcher verleiten, so mufs dem natQr-
licbeo Denken des Schülers dieser Klasse solch mathematisches
Gebahren wunderlich vorkommen.
Ein kleines Kompendium, die wichtigsten Wahrheiten der
Planimetrie zu einem kurzgefafsten System vereinigend, würde
aaf der Oberstufe dem Zweck der Wiederholung und der Kon-
zentration des erworbenen Wissens dienen können. Dieses System
müCste in seinem wesentlichsten Teile aus Definitionen und Lehr-
sätzen bestehen, welche nach Gruppen zu ordnen sind. Innerhalb
jeder Gruppe ist die Reihenfolge der Lehrsätze naturlich eine
solche, dafs der folgende immer durch die vorhergehenden ge-
stützt wird, also wie die geometrische Wissenschaft dies vorschreibt.
Die Beweise sind in diesem Systeme entweder wegzulassen oder
nur bei den Hauptsätzen kurz anzudeuten, damit der Gesamt-
überblick nicht gestört wird. Die wichtigsten planimetrischen
Aufgaben, die mit dem Lehrstoff dieses Gebietes in besonders
enger Beziehung stehen, dürften dabei auch nicht fehlen; sie
könnten entweder bei den einzelnen Gruppen oder am Schlufs in
besonderer Zusammenstellung aufgeführt werden.
Ein ähnliches, leicht und schnell zu übersehendes System
möchte sich auch für die Stereometrie empfehlen, während man
in der Trigonometrie mit einer Tafel von Formeln als Quintessenz
auskäme.
Das Gesagte möge genügen, um der vorgetragenen Idee feste-
Boden zn geben. Durch die Gliederung des geometrischen Untern
richts nach Lehrstufen hoffen wir den Zögling langsam und sicher
in die Tiefen der mathematischen Wissenschaft hinabzuführen,
während man ihn jetzt meistens hinabstöfst und sich vielleicht
noch wundert, dafs der Überraschte, Betäubte sich nicht zurecht
finden kann. Die Anpassung der Lehrform unserer drei Stufen
an den geistigen Entwickelungsgrad der Schüler liefert eine ge-
wisse Bürgschaft dafür, dafs eine blofs äufserliche Aneignung un-
verdauten Wissens zurückgedrängt, andererseits aber das Interesse
der Schüler durch die Möglichkeit, jederzeit zu folgen, ge-
hoben wird.
Ein sehr gewichtiger innerer Grund ist vorhanden, welcher
die Reibenfolge der Stufen, wie wir sie gegeben, als notwendig
und einzig richtig erscheinen läfst. Dies ist das biogenetische
Gesetz in seiner Anwendung auf die Geometrie.
Es ist wohl ziemlich klar, wie man sich den historischen
Entiftickelungsgang dieser Wissenschaft zu denken hat. Die An-
fange der Geometrie dürften wohl mit den Anfängen der dar-
stellenden Kunst zusammenfallen. In Verbindung mit ihr ent-
wickelte sich die Freude an regelmäfsigen Formen, welche zur
Nachbildung derselben durch die Zeichnung führte. Es ist kein
Zufall, dafs das kunstsinnige Volk der Griechen es in der Geo-
metrie so weit gebracht hat. Die genauere Ausführung von
302 GliederuDg des geometrischen Uoterricbts, von T. Adrito.
Zeichnungen machte Messungen nötig, auf welche die Menschheil
auch schon durch praktische Bedurfnisse hingeleitet wurde, und
dabei konnten dann gewisse geometrische Wahrheiten empirisch
festgestellt werden. Aufgaben über Mafsbestimmungen durch
Rechnung führten später zur genaueren Erforschung der Eigen-
schaften der Figuren, wobei Anschauung und denkende Betrach-
tung vereinigt wurden, unserer zweiten Stufe entsprechend.
Natürlich mufste man dabei auf analytischem Wege vorgehen,
wenn man etwas Neues finden wollte; die vorangegangene Unter-
suchung vertrat die Stelle des Beweises. Erst nachdem eine Menge
von Wissensstoff auf solche Weise gewonnen war, ging man daran,
denselben zu ordnen und ein wissenschaftliches System daraus zu
machen. Nun mochte es vorteilhafter erscheinen, die fertige
Wahrheit voran zu stellen und den Beweis folgen zu lassen. Der
Beweis aber konnte seine volle Überzeugungskraft nur dann ent-
falten, wenn er sich auf genaue Erklärungen der vorkommenden
Begriffe stützte; so mufste sich zugleich mit dem geometrischen
System die wissenschaftlich strenge Definition entwickeln. Darnach
erst konnte ein Euklid an die grofse Aufgabe herantreten, ein
synthetisches Werk über Geometrie zu schreiben.
Darf man die Kinder einen andern Weg fuhren, als diesen
durch die Entwickelungslehre vorgeschriebenen ? Dafs es geschehen
konnte und so lange geschehen ist, wird denjenigen nicht in
Verwunderung setzen, der da weifs, wie langsam sich die Idee
verbreitet hat, dafs der Lehrer beim Unterricht geistige Selbst-
entäufserung üben und sich auf den Standpunkt des Schülers
stellen müsse, und wie unendlich schwer die vollständige Durch-
führung dieser Idee in der Praxis ist. Dafs das biogenetische
Gesetz der Didaktik in dieser Beziehung beachtenswerte Finger-
zeige geben kann, wird wohl niemand bestreiten. In welcher
anderen Wissenschaft aber wollte man dem Leitstern dieses Ge-
setzes gröfseres Vertrauen schenken, als in der Wissenschaft von
der reinen Form mit ihren Wahrheiten, die für alle denkenden
Menschen gelten, die nie einen zeitlichen W'andel durchgemacht
haben? Wo könnte dieser Leitstern willkommener sein als beim
geometrischen Unterricht, der den Lehrer vor eine so schwierige
Aufgabe stellt mit der beunruhigenden Erkenntnis, dafs von seiner
Lehrmethode der wesentlichste Teil des Erfolges abhängt?
Ploen. T. Adrian.
J
ZWEITE ABTEILUNG.
LITTERARISCHE BERICHTE.
Leoolmrd Schmidt, Moemosyne, eioe psychologische Dichtung über
die Gedächtniskraft. Bromberg 1894. 32 S. 8.
Eine Studie philosophischen [nhalts, die aber mit ihrer poeti*
sehen Einkleidung — sie ist in fönffüfsigen Jamben geschrieben —
sich an einen gröfseren Leserkreis wendet. Dafs man heutzutage
jeder poetischen Behandlung abstrakter Begriffe, wie überhaupt
jedem Lehrgedicht zunächst mit einem gewissen Iklifstrauen be-
g^net, darüber wird der durch seine Bearbeitung des Gudrun-
liedes bekannte Verfasser sich nicht getäuscht haben. Offenbar
hat er gehofft, dafs Mnemosyne als die Mutter der neun Musen
ihm über die Gefahren seines Vorhabens glücklich hinweghelfen
werde. Und in der That rechtfertigt besonders der erste Ab-
Kiinitt, der das Glück der Erinnerung und den weltumfassenden
Stoff des Gedächtnisses schildert, diese Hoffnung. Schwieriger
war die Aufgabe des zweiten Teils, der uns das Wesen der Ge-
dächtniskraft und ihren Zusammenhang mit allen andern Kräften
der Seele erklären soll. Hier, wo der spröde Stoff mehr zu
abstrakter Reflexion zwang, werden dem Leser allerdings hin und
wieder Zweifel an der Berechtigung poetischer Form auftauchen.
Gewagte Spekulationen auf Grund der platonischen dpdfjtptjatg^
die man in einem dichterischen Ergüsse über das Gedächtnis
Termuten könnte, liegen dem Verfasser fern; seine Gedanken be-
wegen sich innerhalb eines besonnenen Idealismus, wie ihn etwa
Trendelenburg im AnschluCs an Aristoteles vertrat. Das Eigen-
artige und Anziehende der Schrift liegt eben in dem erfrischenden
Hauche persönlicher Begeisterung, welcher unbeschadet der Klarheit
der Gedanken das Ganze durchweht. Deshalb scheint mir die
kleine Dichtung gleichsam als Einleitung in die Psychologie auch
den Primanern zur Lektüre empfohlen werden zu können; wer
weiCs, ob nicht gerade der Reiz der Darstellung in manchem
jogendiichen Gemfite den leider immer seltener werdenden philo-
Bopfaischen Sinn zu erwecken imstande ist!
Berlin. Johannes Schmidt.
304 A. Biese^ Philosophie d. Metaphorischen, b^z. v. L. Spreer.
A. Biese, Die Philosophie des Metaphorischeoi In Grandlinien darge-
stellt. Hambarg uod Leipzig 1893, L. Vofs. VI u. 226 S. gr. 8. 5 M.
Die Grundgedanken des vorliegenden Buches haben sich dem
Verf. offenbar aus seinem früheren, bekannten Werk über die
Entwickelung des Naturgefühls ergeben. Was er da als Eigen-
tümlichkeit des menschlichen Geistes auf einem begrenzten Ge-
biet erkannt hat, weist er jetzt als notwendige Form nach, in
welcher der Mensch sich und die Welt erfafst.
Der Verf. spricht dies am gedrängtesten in folgenden Worten
der Einleitung aus: „Wer sich einmal die Mühe macht, in der
Sprache, im Denken und Dichten den Spuren des Metaphorischen
nachzugehen, der mufs finden, dafs, was gemeinhin in der
Sprache, besonders in der Poesie, als eine künstliche oder
künstlerische Redeweise, als ein rhetorischer Tropus gilt, viel-
mehr eine naturgemäfse und naturnotwendige Ausdrucksweise
ist, dafs das Metaphorische nicht nur in der Sprache, sondern in
unserem ganzen geistigen Leben von hervorragendster Bedeutung
ist, dafs die Synthese des Inneren und Äufseren, die Verinner-
lichung des Äufseren und die Verkörperung des Geistigen der
notwendige Ausdruck unseres geistigleiblichen Wesens ist. Das
Metamophorische, in welcher Form es sich auch kundgiebt, ist der
naturgemäfse Ausdruck jener centralen Nötigung unserer ganzen
geistigen Existenz — nennen wir sie das Anthropozentrische — ,
diese selbst zum Mafs aller Dinge zu machen, das Äufsere, also
das an sich Fremdartige, durch das einzig voll Bekannte, d. i.
eben unser eigenes inneres und äufseres Leben, uns zugänglich
zu machen und andererseits unser Inneres mit allen seinen Re-
gungen, Gedanken und Empfindungen auszugestalten in der
Sprache und in der Kunst, in der Religion und in der Pbilo-
sophie*^
An Aristoteles anknüpfend, der am richtigsten von allen
Früheren das Wesen der Metapher in der Annahme einer Ana-
logie gefunden habe, begründet und erläutert der Verf. den an-
geführten Grundgedanken durch eine Fülle von Beobachtungen,
Zeugnissen und Thatsachen aus dem Walten der kindlichen Phan-
tasie, aus dem Gebiet der Sprache, des Mythos, der Religion und
besonders der Kunst und der Philosophie.
Auf das Einzelne einzugehen, ist an dieser Stelle unmöglich.
Das Buch ist in dreifacher Beziehung von besonderem Werte.
Zunächst durch die Darlegung des Wesens alles Metaphorischen
in unserem Denken. Der Philologe wird an der Hand desselben
sich nicht mehr lange mit den äufserlich nach zufälligen Merk-
malen von den Rhetoren gemachten Unterscheidungen desselben,
wie Synekdoche, Metonymie u. s. w. aufhalten, sondern wird alle
Übertragungen, von der einfachsten Metapher bis zum Gleichnis
und der Allegorie, von einem höheren Gesichtspunkt aus zu er-
klären vermögen. Der Theologe wird in dem Gleichnis und
Kileoder f. d. boh. Schulw. Preafsens, ang«z. v. S. Adler. 305
Symbol die notwendige Darstellungsform des Obersinnlichen er-
kennen. Im Streit über theologische und philosophische Dogmen
wird man weniger am Wort hängen, wenn man sich z. B. klar
macht, dafs, wer die Ansicht von der Weltseele als etwas lange
Überwundenes ansieht und nun von der Kraft als dem Zweiten
neben dem StoiT redet, doch nur eine Metapher an die Stelle der
anderen setzt.
Daneben hat das Material, welches der Verf. aus eigner Be-
obachtung und aus einer erstaunlich umfangreichen Lektüre her-
beibringt, um seine Ansicht über das Metamophorische zu be-
gründen, als eine Blütenlese schöner und bedeutender Gedanken
etwas sehr Anregendes.
Endlich hat das Buch aber auch noch hohen Wert durch des
Verf.s eigene idealistische Weltanschauung, die überall hervor-
leuchtet, namentlich aber der Schlufsbetrachtung eine besondere
Wärme verleiht.
Putbus. L. Spreer.
Kalender für das höhere Schalwesen PrenTsens. Schuljahr
1894/95. Im Auftrage der Delegierten -Versammlnng der Provinzial-
Vereine der Lehrer der höheren Anstalten Prenfsens herausgegeben
von Karl Kunze. Teil I: Notizbuch; Teil II: Gesetze, Verordnungen,
DienstaltersHsten. Breslau, Preufs und Jünger. Zusammen geb. 2 M.
Mit dem Erscheinen von Kunzes Kalender ist ein wirkliches
Desideratum der Lehrerschaft erfüllt; mit Recht betont der Verf.
in der Vorrede, dafs der Kalender zum ersten Male die Lehrer-
schaft als eine grofse Gemeinde zeigt mit gleichen ideellen und
materiellen Interessen. Wenn wir bedenken, dafs K. bei Zusammen-
stellung der so mühsamen Dienstaltersiisten , die den hauptsäch-
lichsten Wert des Kalenders ausmachen, keinerlei Vorarbeiten vor-
fand, der Unterstützung der vorgesetzten Behörden entbehren
molste und lediglich auf die nicht immer freundlich gewährte
Mitwirkung der einzelnen Kollegien angewiesen war, so werden
wir trotz mancher UnvoUkommenheiten — namentlich in den
Angaben über die Hilfslehrer — dem Verf. unsere gerechte Be-
wunderung und aufrichtigen Dank zollen für all die Mühe und
peinliche Sorgfalt, die er bei der Aufstellung entwickelt hat: die
Delegierten-Versammlung der Pro vinzial -Vereine konnte, wie der
Kalender zeigt, in der That keine geeignetere Persönlichkeit zur
Herstellung der Alterslisten, deren Fehlen so schmerzlich empfun-
den wurde, gewinnen als ihren Vorsitzenden, der sein warmes
Herz für die Interessen der Lehrerschaft wiederholt bekundet
hat. Alle die Mifsstände, über welche die Lehrerschaft trotz
mancher Verbesserungen in den letzten Jahren noch immer zu
klagen hat, die geradezu jammervollen Verhältnisse, in denen die
Hilbiefarer sich beflnden, sie werden schonungslos durch die
Alterslisten aufgedeckt und holTentlicb an den geeigneten Stellen
bekannt und gewürdigt.
JBestMhr. f. d. GymuMialwesen XLVni. 5. 20
306 G* Lüddecke, BeobachtaogsuDterr. in IVaturwisseoschaft,
AuTser den Dienstalterslisten, die nicht weniger als 450 Seiten
des zweiten Teils einnehmen, enthält derselbe eine Fülle
dankenswerter Mitteilungen. Zuerst werden die Thesen der
Delegierten aufgeführt, die 1890 der Unterrichts-Enquele- Kom-
mission überreicht wurden, dann folgt der Normaletat von 1892,
das Gesetz, betreffend das Einkommen der Lehrer an den nicht-
staatlichen öffentlichen höheren Schulen, der Allerhöchste Erlafs,
betreffend die Amtsbezeichnung u. s. w. vom 28. Juli 1892, die
letzten Verordnungen über die Titel- und Rangyerhältnisse, über
die Anrechnung des Probejahres, die Anstellung u. s. w. Von
älteren Gesetzen hat der Verf. u. a. das Gesetz, betreffend die
Gewährung von Wohnungsgeldzuschüssen, die Unizugskosten,
Tagegelder und Reisekosten, das Pensions- und Reliktengesetz
aufgenommen. Unmittelbar vor den Dienstalterslisten werden die
vorgesetzten Behörden (Ministerium, Provinzial- Schulkollegien) auf-
geführt, ein alphabetisches Namensregister beschliefst das Buch.
Nicht minder reichhaltig und recht praktisch . ist der erste
Teil, der bei dem verhältnismäfsig billigen Preis des Kalenders
gleichsam als Gratisbeilage angesehen werden kann. In reichlicher
Anzahl finden wir hier nach dem Wochenkalender Stunden- und
Lektionspläne, Listen für den Ordinarius, Schüler- und Pensions-
listen, Listen für Gedenktage, Bücher und Adressen und schliefs-
lich eine Zusammenstellung der Ferien in den verschiedenen
preufsischen Provinzen.
Berlin. S. Adler.
G. Lüddecke, Der Beobachtan^Bnoterricht io Natarwissenscbaft,
Erdkunde und Zeichnen an höheren Lehranstalten, besonders als
Unterricht im Freien. Brannscbweig 1893, Salle. 151 S. 8. 2,40 M.
Als ich diese zweifelsohne hochinteressante und beachtens-
werte Schrift las, mufste ich unwillkürlich an die naturwissen-
schaftlichen Romane von Jules Verne denken. Die spannenden
Erzählungen dieses Mannes verlaufen ganz folgerichtig, sind aber
auf Voraussetzungen aufgebaut, die, wie z. B. der Scbufs aus^ der
Kanone, unmöglich oder doch unwahrscheinlich sind. Etwas Ähn-
liches findet in diesem Buche statt. Die Forderungen des Verf.s
sind wohibegründet, folgen eine aus der anderen, erscheinen im
ganzen als recht heilsam, vielleicht sogar notwendig, aber, wenn
wahr und wirklich werden soll, was er zunächst in der Theorie
so schön ausführt, mufs noch eine Voraussetzung erfüllt, miifs
seinem V^unsche gemäfs die bisherige verkehrte Stundenverteilung
geändert, mufs dem sprachlich-historischen oder Milteilungsunler-
richt, wie er ihn nennt, ein gut Teil seiner Stunden genommen und
dem Beobacbtungsunterricht zugelegt werden, so dafs dieser so
viel Stunden erhält vvie jener (84) und mit ebensoviel Kraft und
Wertschätzung erteilt wird.
Ich mufs diese Forderung wie die andere, dafs wöchentlich
an gez. von Chr. Moff. 307
zwei halbe oder dafür ein ganzer Tag auf den Unterricht im
Freien, die „Feldubung'^ verwandt werde, als übertrieben zurück-
weisen, und ich bin überzeugt, fast alle Lehrer höherer Bildungs-
aostallen thun es mit mir. Die Zeit, die dem Betriebe der Spra-
chen gelassen ist, reicht, so viel kann man jetzt schon sehen,
kaum noch aus, etwas Ordentliches zu leisten und die wunder-
berriichen Bildungsschäfze, die in der klassischen Litteratur liegen,
zu heben. Werden die Sprachen noch mehr in den Hintergrund
gedrängt, wie es der Verf. nicht nur wünscht, sondern, durch die
Vorgänge auf der Dezemberkonferenz von 1890 und die Zuge-
ständnisse in den Lehrplänen von 1892 ermutigt, mit Sicherheit
annimmt, dann wird der humanistischen Bildung die Möglichkeit
tieferen Einflusses für immer entzogen. Ob das ein Schade wäre?
Ganz gewifs, was auch die „Modernen" dagegen sagen mögen.
Ich halte also die Einführung der Zukunftsschule, die der
Verf. so schön aufbaut und so warm empfiehlt, für ein Ding der
Unmöglichkeit oder doch für ein Beginnen, das, wenn es wirklich
ins Leben gerufen wird, die Entwickelung der höheren Bildung
in hohem Grade schädigt. Das hindert mich aber nicht anzu-
erkennen, dafs Lüddeckes Schrift Gedanken von bleibendem Wert
enthält und auf Mängel und Schäden des bisherigen Unterrichts
hinweist, die dringend der Abhülfe bedürfen. Es ist recht und
gut, dahin zu wirken, dafs unsere Jugend zum genauen Sehen,
zum selbständigen Beobachten der umgebenden Well, zum den-
kenden Durchdringen thalsächlicher Verhältnisse angehalten wird.
Es kommt das jedem zu statten, oder vielmehr es ist unerläfslich
für jeden, welchen Beruf er auch ergreifen *mag. Männer, die
wohl theoretisches Wissen besitzen, aber der Fähigkeit entbehren,
thatsäcbliche Verhältnisse zu schauen, in ihrem Verlauf zu ver-
folgen und anschaulich darzustellen; Männer, die wohl in Büchern
Bescheid wissen, aber das Buch des Lebens und der Natur nicht
zu lesen vermögen; Männer, die wohl Gelehrsamkeit, aber keinen
Blick und kein Verständnis für die Fragen und Bedürfnisse der
Gegenwart haben: solche Männer sind uns nichts nütze. In die-
sem Punkte bin ich mit dem Verf. ganz einverstanden. Ich heifse
es auch gut, wenn er auf Mittel und Wege sinnt, wie der ein-
seitigen Buchgelehrsamkeit durch Erschliefsung der Natur, der
einseitigen Verstandes- und Gedächtnispflege durch Schulung des
Auges, der Sinne überhaupt, der Hand u. s. w. abzuhelfen ist. Ich
bin mit ihm einverstanden, wenn er das Fachlehrersystem und
die Zersplitterung in Einzelfächer beklagt und der Zusammen-
fassung verwandter Fächer, vor allem der Naturwissenschaft, der
Erdkunde, des Zeichnens, mit einem Worte, der Konzentration
das Wort redet. Ich freue mich, wenn er den Nachmittagsunter-
richt verwirft, wenn er Ausflüge in das Freie verlangt, wenn er
die Heimatkunde als den Anfang der Erdkunde bezeichnet, wenn
er überhaupt vom Gegebenen, Naheliegenden, Einfachen, Natür-
20*
308 Haodkommeatar zum Neaeo Testameut, angez. v. A. Jooas.
liehen ausgegangen wissen will und ein Geschlecht heranbilden
möchte, das mit den Dingen selber, nicht nur mit den allge-
meinen Formen umzugehen weifs, dabei durch häufiges Wandern
in Feld und Wald körperlich sich abhärtet, die Heimat und die
Natur liebgewinnt und in die gegebenen Verhältnisse sich zu
schicken, mit unvorhergesehenen Dingen fertig zu werden ver-
steht; kurz, ich gebe ihm in sehr vielen Punkten recht, freue mich
des Eifers, mit dem er für seine Sache eintritt, und halte dem-
nach das empfehlende Vorwort, das H. Schiller ihm mit auf den
W'eg gegeben hat, für wohl verdient: ich beklage nur, dafs er
mit seinen Forderungen zu weit gegangen ist und mit der Über-
lieferung in einer Weise zu brechen vorschlägt, die auch das an-
erkannt Gute wegnimmt.
Der Verf. hätte mehr erreicht, wenn er weniger gefordert
und mit seinen Vorschlägen sich an das Bestehende mehi* ange-
schlossen hätte, wenn er nicht sowohl als Kämpfer und Feind,
sondern als Freund und Ratgeber aufgetreten wäre. Aber auch
in der Übertreibung enthalten seine Ausführungen so viel Beach-
tenswertes, dafs sie keiner der Fachlehrer, die hier in Betracht
kommen, kein Schulvorsteher und kein Vorgesetzter unbeachtet
lassen sollte.
Cassel. Christian Muff.
H. J. HoltzmauD, R. A. Lipsias, P. W. Schmiedel, H. v.Soden,
Hand-Kommentar zum Neuen Testament. Erster Band: Sy-
noptiker und Apostelgeschichte von H. J. Holtzmana, XVI a. 432 S.
8 M. Zweiter Band, zweite Abteilnng: Die Briefe an die Galater,
Römer, Philipper v. R. A. Lipsias. VlII u. 254 S. 4,60 M. Dritter
Band, erste Abteilung: Die Briefe an die Kolosser, Epheser, Pbilemoo ;
die Pastoralbriefe von H. v. Soden. VIII u. 261 S. 4,50 M. Vierter
Band: Evangelium, Briefe und Offenbarung des Johannes von H. J. Holtz-
mann, X u. 363 S. Zweite, verbesserte und vermehrte Auflage.
6,50 M. Freiburg i. B. 1893, Akademische Verlagsbuchhandlung von
J. C. B. Mohr (Paul Siebeck).
Die erste Auflage der meisten Bände des Hand-Kommentars
ist schnell vergriflen und eine zweite notwendig geworden. In
dieser Zeitschrift sind die verschiedenen Kommentare in mehr-
fachen Anzeigen eingehend besprochen, gelobt und nachdrucklich
empfohlen worden. Darum genügt es, auf das Erscheinen der
zweiten Auflage hinzuweisen; die gelehrten Verfasser bezeichnen
dieselbe als verbessert und vermehrt; ganz besonders anerkennend
hervorzuheben ist, dafs der in manchen Exkursen der ersten Auf-
lage angewandte kleine Druck beseitigt und damit eine nicht un-
erhebliche Belästigung der Augen fortgeräumt ist. Ich empfehle
auch bei dieser Gelegenheit die Anschaffung des Hand-Kommentars
für Gymnasialbibliotheken.
Stettin. Anton Jonas.
f
H. Grober, evan^el. ReligioDslehre, agz. v. J. Heideina an. 309
H. Grnber, Repetitoriom der evanipeliflcheo Religionslehre fdr
obere und mittlere Klassen, sowie zar Vorbereitung für die Abgangs-
prüfung an höheren Schulen, Lehrer- und Lehrerinnensemioarien und
für die höhere Lehramtsprüfung. Erster Teil: Kirchengeschichte.
Leipzig 1893, Druck und Verlag von B. G. Teubner. 61 S. 8.
0,40 M.
Diese auch mit „Repetitorium der Kirchengeschichte^* bezeich-
nete kleine Schrift hält die Hitte zwischen einer Geschichtstabelle
and einem Leitfaden. Sie ist weder ein blofses Zahlengerippe
mit zugefügten Namen von Personen und Begebenheiten, noch
ein Leitfaden mit einer fortlaufenden, den ursächlichen Zusam-
menhang der geschichtlichen Ereignisse darstellenden Erzäh-
laog. Der Verf. des Repetitoriums hat vielmehr die Mittel-
stralse zmrischen beiden eingeschlagen, indem er in 61 kurzen
Abschnitten den kirchengeschichtlichen Lehrstoff zusammendrängte,
zu Jahreszahlen und Namen in kurzen Sätzen Bemerkungen über
Personen, Ereignisse und Zustände hinzufügte und durch Schlag-
worte die Ansichten hervorragender Vertreter der Kirche und ihrer
Lehre charakterisierte. Dals ein solches Buch, weil es einen
schuellen und leichten Überblick über ein weites wissenschaftliches
Gebiet gewährt, seine Berechtigung hat, kann nicht bestritten
werden; an dem vorliegenden aber dürften doch, damit es seinen
Zweck vollkommen erfülle, einige Änderungen vorzunehmen sein,
welche teils einzelne Angaben, teils die Gruppierung des Stoffes
betreffen.
Berücksichtigen wir zunächst die ersten Seiten des Buches,
so heilst es im 2. Abschnitte, der von Paulus handelt, dieser sei
zu Rom enthauptet worden. Diese Angabe müfste als auf einer
Sage beruhend gekennzeichnet werden, denn ein historisches
Zeugnis dafür ist nicht vorhanden. Im 4. Abschnitte, in dem die
ersten christlichen Sekten genannt werden, fehlen die Montanisten,
deren nur beiläufig im Leben des Tertullian (6. Abschn.) gedacht
wird. Im 5. Abschnitt überschrieben : „Die apostolischen Väter",
ist der anonyme Brief an Diognet angeführt, welcher doch in die
apologetische Litteratur gehört. Die Apologeten, die einen be-
sonderen Abschnitt verdienten, sind überhaupt nicht erwähnt. In
der Aufzählung der apostolischen Väter heifst es: 2, Hermes; Hirt
des Hermes (pastor). Der richtige Name aber ist nicht Hermes,
sondern Uermas. — Der Märtyrertod des Ignatius von Antiochien
unter Trajans Regierung ist jedenfalls später als in das Jahr 106
T. Chr. zu setzen. — Wenden wir uns zu den Abschnitten, welche
eine spätere Zeit betreffen, so ist auch hier stellenweise eine Än-
derung wünschenswert. Von den Bestimmungen des Wormser
Konkordates vom Jahre 1122 (23. Abschn.) heifst es, die Wahl
der Bischöfe durch die Kapitel solle in Gegenwart des Kaisers ge-
schehen, dann die Investitur mit Ring und Stab durch den Papst
und zuletzt die Belehnung mit den Regalien durch den Kaiser er-
folgen. Dies ist aber nicht die 1122 für Deutschland, sondern
310 M. Miller, Schillers Waileosteia, aa§:ez. vod A.Jonas.
für die aufserdeutschen kaiserlichen Vasallenländer festgesetzte
Reihenfolge der drei Akte. In Deutschland sollte vielmehr die
Belehnung durch den 'Kaiser der Investitur durch den Papst
vorangehen. — Bonifacius VIII. ferner lebte nicht um 1204, son-
dern kam erst 1294 zur Regierung. Wahrscheinlich liegt bei
jener Angabe ein Druckfehler vor. — Der 24. Abschnitt mit der
Überschrift: „Wichtige Konzilien" fuhrt neben denen von Pisa
(1409), Konstanz und Basel auch das Konzil zu Pisa vom J. 1511
auf. Allein dieses letztere war ein Werk nur der französischen
Politik. Es wurde bald nach Mailand, dann nach Asti und end-
lich nach Lyon verlegt, wo es 1512 resultatlos endete. Zu den
^,wichtigen'^ Konzilien kann es also nicht gerechnet werden.
Schliefslich sei noch daran erinnert, dafs in dem 46. Ab-
schnitte, welcher von dem Stifter und den Gelübden des Jesuiten-
ordens handelt, doch auch der Moralgesetze und der Kasuistik der
Jesuiten zu gedenken ist.
Berlin. J. Heidemann.
P. Hellwigp, P. Hirt, U. Zernial, Deutsches Lesebach für höhere
Schulen. 3. Teil: Lesebuch für Quarta. Dresden 1893, L. £hler-
maon. VIR n. 312 S. 8. 2 M, geb. 2,50 M.
Dieser Teil enthält aus der erzählenden Prosa Fabeln und
Parabeln, Märchen, Erzählungen, Sagen (griechische, germanische)
und Bilder aus der Geschichte des Altertums und der neueren
Zeit. Unter der Bezeichnung der neueren Zeit ist auch das Mittel-
alter inbegrilTen. Dann folgen aus der beschreibenden und schil-
dernden Prosa: Bilder aus der Natur und Erdkunde und kleinere
Beschreibungen und Schilderungen. Im poetischen Teile enthält
der Abschnitt „epische Poesie'*: Reinispruche, Fabeln und Parabeln,
Märchen, Legenden, Sagen und Geschichten, „Aus dem Menschen-
leben'*, während in die Sammlung der lyrischen Poesie weltliche
und geistliche Lieder Aufnahme gefunden haben. Ein gramma-
tischer Anhang behandelt aus der Satzlehre den einfachen und
zusammengesetzten Satz und Satzbilder und giebt einige Beiträge
zur Wortbildungslehre.
Die Auswahl des prosaischen und des poetischen Teils ist
durchaus zweckmäfsig und geschickt; für die poetischen Stöcke
läfst sich sehr gut eine innere Verbindung mit dem übrigen
Unterrichtsstoffe herstellen; für die prosaischen ist das selbstver-
ständlich, da die Auswahl in dieser Rucksicht getroffen ist
Giefsen. Herman Schiller.
Schiller, Wallenstein. Mit vielen Fragen und Aufgaben behofs An-
leitUDg zum Machdeukeo nad Selbstfiodeo u. s. w. herausgegeben voo
Max Miller. Trier 1693, Heinrich Stephanus. 292 S. 8. kart.
1,20 M.
Die Ausgabe will neben sauberer äufserer Ausstattung einen
korrekten Text bieten mit Ausscheidung aller Stellen, welche das
B. Delbrück, Syntax d. indogerm. Spr., ä§z, v. H. Ziemer. 3t 1
Sitdichkeitsgefühl irgendwie verletzen können und zugleich eine
AnleiluDg za wahrhaft geistbildender Lektüre und selbständiger
Auffassung und Erweiterung des Lehrstoffes. — Die Werke un-
serer grofsen Dichter, welche seit Jahren in den oberen Klassen
der höheren Schulen gelesen werden, bedürfen solcher Beschnei-
düngen in usum Delphini nicht, am wenigsten Schillers Wallen-
stein. Die Zeile aus der Kapuzinerpredigt: „Das Kalb nicht sicher
in der Kuh'* sollte doch fuglich ein Schüler der oberen Klassen
ertragen können, ohne Schaden an seiner Seele zu nehmen. —
Eine historische Einleitung wird nicht gegeben. In den Anmer-
kungen, welche unter dem Text gedruckt sind, hat Verf. Mafs zu
halten gewufst; sie konnten jedoch am besten ganz fortbleiben.
Besonderen Nachdruck legt Verf. offenbar auf die am Schlufs jeder
Szene von ihm zur Anregung des Nachdenkens aufgeworfenen
Fragen. Ich weifs nicht, wie sich Verf. die geistbildende Wir-
kung dieser Fragen denkt. Soll der still für sich lesende Schüler
diese Fragen sich zu beantworten suchen , dann wird ihm wohl
bald die Lust an dem Dichterwerke erlahmen; soll der unter-
riditende Lehrer dieselben den Schülern vorlegen, dann sind
sie überflüssig und können füglich dem nachdenkenden Lehrer
selbst überlassen bleiben. Ich habe schon eine gute Anzahl von
Klassikerausgaben mit Anmerkungen für Schüler besprochen,
komme aber stets zu demselben Ergebnis: weg mit denselben aus
den Schulen, sie schaden; ich wiederhole, was ich schon einmal
gesagt: für die Schüler Texte ohne Kommentar, für die Lehrer
Kommentare ohne Text.
Stettin. Anton Jonas.
I) B. Delbroek, Vergleichende Syntax der iDdogrermanischen
Spraeheo. Erster Teil. (Karl BrugmanD aad B. Delbrück, Grond-
rifs der vergleicheodeD Grammatik der iodogermaDischen Spracbea.
Dritter Baad). Strafsbarg 1S93, Karl J. Trübner. XXIV a. 795 S. 8.
20 M.
Bei der Anzeige des ersten Bandes dieses Grundrisses spra-
chen wir in dieser Zeitschrift den Wunsch aus, es möchte diese
Grammatik nicht wie so manche anderen Grammatiken unserer
Zeit sich nur auf die Formenlehre beschränken und so ein Torso
bleiben, sondern es möchte eine Syntax in gleichem Umfange und
gleicher Anlage hinzukommen. Der Verf. der ersten beiden Bände,
Brugmann, ging auf den Wunsch ein und versprach eine Syntax
zu bringen, wobei er auf Delbrücks Mitwirkung rechnete. Schliefs-
fith übernahm aber Delbrück allein die Syntax. In gewisser Hin-
sicht ist dies zu bedauern. Wir hätten es doch lieber gesehen,
wenn der Geist Brugmanns auch dieses Werk, das erste in seiner
Alt, mit geleilet und mit gefördert hätte. In syntaktischen Dingen
ist zwar Delbrück eine Autorität , und seine bisherigen Schriften
l^ecfatigen ihn ohne Zweifel zu einer solchen Arbeit. Sie ist
^cb, im grofsen und ganzen betrachtet, eine recht achtbare und
312 ß* Delbrück, Vergl. Syatax d. iudogeriiiAiiisclieD Spracheo,
auch für den Philologen brauchbare Leistung, aber ihr fehlt doch
manches, was bei einer Mitarbeit Brugmanns vermieden worden
wäre, ein Umstand, den nach dem Vorworte S. VI Verf. sich selbst
nicht verhehlt.
Im Gegensatze nämlich zu den von Brugmann bearbeiteten
Teilen mufste Delbr&ck von der Heranziehung des Armenischen,
Albanesischen und Keltischen völlig absehen. Wir Philologen
können dies eher verschmerzen als die Sprachforscher von Fach.
Weniger begreifen wir die aufserordentiich wohlwollende und
reichliche Behandlung des Slavischen und Litauischen gegenüber
den oft dürftigen Bemerkungen, mit denen das Lateinische abge-
funden wird. Man gewinnt oft den Eindruck, dafs der Verf. ab-
sichtlich lateinischen Sprachgebrauch übergeht, über den man
Aulschlufs erwartet, oder manches als selbstverständlich betrachtet,
was gar sehr der Erklärung bedarf. So vermissen wir zum Bei-
spiel bei der Lehre vom Akkusativ gänzlich eine Erwähnung des
Akkussativs bei den Impersonalien, der doch gewifs zu den ,,An-
wendungstypen*' gehört, auf welchen die ganze Darstellung natur-
gemäfs aufgebaut ist Oder wird dieser Typus erst später seine
Erklärung Onden? Für die zurücksetzende Behandlung des La-
teinischen durfte Verf. nicht als Grund anführen (S. 87), dafs wir
gerade jetzt eine historische Syntax des Lateinischen zu erwarten
haben. Im Gegenteil, die letztere hätte gerade der Anlehnung an
diese vergleichende Syntax gar sehr bedurft. Denn die „histo-
storische*' Syntax kann nicht vom Indogermanischen und Alt-
indischen ausgehen, sondern mufs sich auf eine Verfolgung des
Sprachgebrauches innerhalb der Einzelsprache beschränken; Auf-
gabe der vergleichenden Syntax ist es aber, alle einigermalsen
bedeutenden Gebrauchstypen der Einzelsprache im Lichte der
Sprachwissenschaft zu beleuchten und zu klären. Für die histo-
rische Grammatik und die Philologie überhaupt war daher eine
stiefmütterliche Behandlung des Slavischen eher erträglich als des
Lateinischen.
Andererseits hätte eine Mitarbeit Brugmanns vielleicht ver-
hindert, dafs die Litteraturangaben nur spärlich und nur hier und
da eingestreut erscheinen, dafs manches unentschieden gelassen,
ja die Beantwortung mancher Frage ganz abgelehnt wird. Zwei
sehen und wissen immer mehr als einer. W^ir tadeln nicht, dafs
Verf. in der Aufnahme neuerer Vermutungen zurückhaltend ge-
wesen ist, „so zurückhaltend, dafs ich gewifs manchen meiner
Fachgenossen veraltet erscheinen werde*' (S. VI). Aber auch
Vermutungen zurückzuweisen, ist sehr oft am Platze auf einem
Gebiete, wo so vieles unsicher und hypothetisch ist, wie denn
Verf. selbst oft genug sich genötigt sieht, eigene Vermutungen
zu bringen, welche vielleicht ein anderer, wie Brugmann, abge-
lehnt hätte.
Trotz dieser Unvollkommenheiten oder Lücken, die uns be-
aogez. voD H. Ziemer. 313
»
dauerljch erscheinen, stehen wir nicht an, das Werk, eben weil
es eiue erste Grundlegung auf einem bisher unbebauten Gebiete
hi und namentlich im Hinblick auf den fast unendlichen Stoff,
der Id ihm bewältigt worden ist, filr eine bewunderns- und dan-
kenswerte Leistung zu erklären. Was Delbrück bietet, ist noch
immer genug für jeden, der aus der vergleichenden Sprachbe-
IrachtuDg Aufschlösse ober die syntaktischen Grundbegriffe und
ifpischeo Erscheinungen erhalten will. Denn nur auf diese Typen
kann sich eine vergleichende Betrachtung ausdehnen. Die Ge-
brauchstypen sind entweder in den Sprachen noch lebendig und
weiterbilduogsfähig wie der Genitivus objectivus, oder erstarrt wie
der zeitbestimmende Genitiv des Tags u. ä. (aber nicht der Woche).
Soweit es irgend möglich ist, sucht Verf. die Grundbegriffe und
die typischen Gebrauchsweisen auf dem kombinatorischen Wege
in der Grundsprache, und in dieser scharfsinnigen, oft genialen
Anknüpfung und Verknüpfung der Thatsachen, die den Verf. man-
ches glückliche Ergebnis finden läfst, sehen wir die Hauptstärke
seines Buches.
Die Einleitung ist zwar etwas lang (88 S.), aber keineswegs
überflüssig. Denn sie zeigt, wie die wichtigsten der syntaktischen
Begriffe in der ?ielhundertjährigen wissenschaftlichen Entwickelung
allmählich hervorgetreten sind, sich vererbt und verändert haben,
liier kommt vor allem der Einflufs der Philosophie auf die Syntax
in Frage. Von der Techne des Dionysius Thrax bis auf Herrn.
Panls Prinzipien der Sprachgeschichte wird der allmähliche Fort-
schritt der syntaktischen Erkenntnis in durchsichtiger Klarheit
dargelegt. Das Urteil über die Leistungen der Vergangenheit,
2.ß. eines Dionysios Dyskolos, des Vaters der Syntax, eines
Sanctius, G. Hermann, VV. von Humboldt steht ja fest, aber auch
die Neueren wie Älfr. Ludwig, Brugmann, Steinthal, H. Paul wer-
den in aller Objektivität gewürdigt. Das sind nun alles hochbe-
deutende Männer, mit denen der Schreiber dieses sich in keiner
Weise messen kann und mag, aber vielleicht hätte es zumal hier
die Gerechtigkeit erfordert, wenn auch nur in einer bescheidenen
FnIsDote zu erwähnen, dafs Ref. zuerst psychologische Betrach-
tung auf die Syntax auszudehnen im Jahre 1879 versuchte und
seitdem weiter auf diesem Gebiete thätig gewesen ist, wie andere
nach ihm, dals einzelne Kapitel der mit Recht gefeierten „Prin-
zipien'' Pauls, soweit sie Syntaktisches behandeln, auf diesen Vor-
arbeiten fufsen. Es liegt mir aber fern, dem Verf. hieraus einen
Vorwurf zu machen, denn er ist selbst so bescheiden, seiner
eigenen Verdienste um den Ausbau der Syntax an jener Stelle
gar nicht zu gedenken.
Nach den geschichtlichen Erörterungen geht Delbrück zur
Vorfahrung seiner eigenen Ansichten über (S. 73 IT.). Er gelangt
Dach Abweisung anderer Definitionen zu folgender Definition des
^tzes: „Ein Satz ist eine in artikulierter Rede erfolgende Äu-
314 ^- Delbrück, Verg^l. Syotax d. indogermoDiucheo Sprachen,
fseruDg, welche dem Sprechenden und Hörenden als ein zusam-
menhängendes und abgeschlossenes Ganzes erscheint''. Eingliedrige
Sätze, an deren Existenz Delbrück festhält, sollen in dieser Defi-
nition ausdrücklich einbegriffen sein. Er teilt nicht ganz die Auf-
fassung Pauls vom Satze, ohne zu erwähnen, dafs Fr. Kern, der
also definiert: „Satz ist sprachlicher Ausdruck eines Gedankens
mit Hülfe eines finiten Verbums'' hiermit eine besonders beach-
tenswerte Definition aufgestellt und in seiner „Deutschen Satz-
lehre", 2. Aufl. S. 31ff. bereits nachdrücklich gegen Paul sich ge-
wendet hat. Für Delbrück lag so die Notwendigkeit vor, Kern
zu bekämpfen. Denn wenn man vom Vokativ und von der Inter-
jektion absieht, so bleiben nur noch die Impersonalien übrig, und
für diese pafst Kerns Definition jedenfalls. Es bleibt nur übrig,
alles andere wie das Jjessingsche Klagen, nichts ah Klagen! als
unvollkommene Sätze zu bezeichnen.
Es folgt eine Fünfteilung der Satzteile: Wörter als Substrate
der Aussage (Substantiva und Substantivierungen), Aussage- Wörter,
attributive, verbindende, hervorhebende Wörter. Einige Partikeln
freilich wie die Negationen und einzelne andere entziehen sich
dieser Einteilung. Unter Syntax versteht D. die Lehre vom Satze
und seinen Teilen, stellt aber in seinem Buche die Satzteile
voran, wobei er mit dem Nomen beginnt, und zwar mit dem
Geschlecht der Substantiva; hier geht Verf. von den alten Genus-
regeln, wie sie die Schultradition erhalten hat, aus, um hieran
die Bedeulungs- und die Formgruppen, sowie die Mehrgescblech-
tigkeit anzuknüpfen. Dann folgen die Numeri, die Kasus; zweck-
mäfsig wird letzteren ein längerer geschichtlicher Abschnitt über
die Grundbegriffe der Kasus, beginnend mit den Lehren der in-
dischen Grammatik, und über den Synkretismus, die Mischung
der Kasus, vorangeschickt. Ein ähnlicher einleitender Abschnitt
dispositiven Inhalts wird jedem einzelnen vorangeschickt. S. 400 ff.
folgen das Adjektivum, 460 die Pronomina, 522 die Zahlwörter,
536 dieAdverbia; ihnen wird eine allgemeine Übersicht über ihr
Gebiet, die Erstarrungsvorgänge und die hauptsächlich zu ihrer
Bildung verwendeten Begriffe vorangeschickt, worauf die sehr
zweckmäfsige Einteilung der Adverbialbildungen nach den Kasus
! folgt. Den Schlufs bilden die Präpositionen; nach einleitenden
I allgemeinen Bemerkungen werden sie in alphabetischer Folge ge-
trennt nach dem Gesichtspunkt, ob sie zugleich Präverbia (ge-
trennt vom Verbum) sind oder nicht. Endlich werden die Prä-
positionen nach den Einzelsprachen besonders aufgezählt (754 ff.)
und zwei Seiten Nachträge und Berichtigungen gegeben. Ein
! sehr dankenswerter Index umfafst die mit Kasus verbundenen
Verba und Adjektiva dieses Bandes; ein vollständiger Index soll
nach Schlufs des ganzen Werkes folgen.
Hiermit glauben wir unserer Aufgabe gerecht geworden zu
sein: auf die wertvolle Reichhaltigkeit wie auf gewisse Unvoll-
angez. voo H.Ziemer. 315
koiDDi«nheiten des Buches hingewiesen zu haben. Um diese An-
zeige nicht zu sehr auszudehnen, beschränken wir uns in dem
Eingehen auf Einzelheiten. S. 110 entwickelt Verf. die Gründe,
weshalb im Lateinischen Wörter auf -a als Maskulina auftreten.
Ohne mich dem Gewicht seiner Gründe zu verschliefsen , denke
ich doch, dafs Verf. den Einflufs alter Cognomina wie Scaevola,
irsoj Coila, Galba, Glaucia, Pansa u. ä. übersehen hat. Sie, die
ursprunglich appellative Feminina zu Maskulinen werden, können
sehr wohl darauf eingewirkt haben, dafs analogisch gebrauchte
AppellatiTB wie aurtga, vema zu reinen Maskulinen wurden.
Oberhaupt scheint mir Verf. den mächtigen Einflufs der Analogie
in den Gebilden der Syntax in seinem ganzen Werke nicht genug
berrorgehoben zu haben. Er hält den historischen Weg für den
vornehmlich gangbaren, mufs aber auch hier zu vielfachen Kom-
binationen greifen. Ohne diese kommt man eben nicht aus,
wenn man eine sprachliche Schöpfung alter Zeit erklären will
Unbedingt hat D. darin Recht, dafs der lateinische Gebrauch der
Wörter auf -a, die Maskulina sind, sich unabhängig von dem
Griechischen entwickelt hat, und dafs man höchstens von einer
Parallelerscheinung sprechen darf. — An der Auffassung des Ab-
lativs (S. 182), dafs er ursprünglich nur im Singular der Prono-
mina entwickelt war, später mit Dativ zusammenfiel, im Plural
schon seit Alters her, sodann auch mit dem Genitiv, und wie
dies kam — an dieser von Delbrück klar dargelegten Auffassung
lilst sicli nun wohl nicht mehr rütteln. Gerade die Erörterung
der Grundbegriffe des Kasus S. 172 ff. gehört zu den Glanzpunkten
des Werkes. Das Ergebnis ist kurz folgendes: die Kasus drücken
Verhältnisse des Substantivbegriffs zu dem Verbalbegriff aus. Er
kann Träger oder Mittelpunkt der Handlung sein (Nominativ),
oder von ihr betroffen werden, und zwar entweder nahe und
ganz (Akkusativ) oder teilweise (Genitiv), oder so dafs die Hand-
long mit Hinblick und Rückblick auf den Substantivbegriff ge-
sdiieht (Dativ). Dieser kann ferner bei der von dem Träger voll-
zogenen Handlung eine begleitende, helfende, dienende Stellung
donehmen (Instrumentalis). Endlich kann er den Punkt angeben,
von dem ans die Handlung erfolgt (Ablativ) oder den Ort, inner-
halb dessen sie sich abspielt (Lokalis). Das Ziel, dem die Hand-
lung zustrebt, wurde also ursprünglich durch Kasus nicht be-
zeichnet, entwickelte sich aber am Akkusativ und Dativ. Hieraus
folgt: unhistorisch ist die Auffassung Deeckes in seiner Latei-
nischen Schulgrammatik § 263. 274, der den Wenfall und den
Wemfall ursprünglich räumliche Fälle sein läfät,'die beide auf
die Frage wohin? das Ziel angeben, wohin die Bewegung sich
richtet otler erstreckt, bezw. wo sie zur Ruhe kommt. Eine solche
■nhistorisclie .'Auffassung sollte auch in einer Schulgrammatik nicht
gelehrt werden, namentlich kann, wie Delbrück S. 184 zeigt, am
allerwenigsten der Dativ seinem Ursprünge nach lokalistisch sein.
315 B. Delbrück, Syotax d. indogerm. Spr., agi. v. H. Ziemer.
Die Gründe für das Verschwinden des Abi. Lok. Instr. werden
S. 198 einleuchtend vorgeführt. — Bezuglich der §§ 92. 196. 197
(AJ)1. beim Komparativ, Berührung des Komp. und Superlativ in
Konstruktion und Bedeutung, dopp. Komp.) — wo Verf. mir die
Ehre der Erwähnung zuteil werden läfst — hätte ich gewünscht,
dafs derselbe die erneute Prüfung dieses Gegenstandes bei
0. Schwab, Hist. Syntax der gr. Komparation I (Würzburg,
Staber, 1893) bereits gekannt hätte, wo S. 38 sowohl Delbrücks
wie meine Aufstellungen in manchen Punkten korrigiert werden,
während er in der Hauptsache uns beistimmt. — S. 220 wird an
dem Lokativ in anmt pendere festgehalten. Trotz manchen Wider-
spruchs namhafter Grammatiker habe ich in meiner Lat. Gr. § 199
A. 2 den Kasus ebenso erklärt. — Eine vorzügliche Klarstellung
erhält S. 274 ff. der homerische Kasus auf -9». — Bemerkens-
wert, aber zunächst auffallend ist die S. 308 und 186. 333 ver-
fochtene Ansicht, dals der adverbale Genitiv älter sei als der ad-
nominale, eben weil er ein verengerter Akkusativ sei. Aus er
ifst des Brodei, .einen Bissen, sei man leicht zu er ifst des Brodes
einen Bissen gelangt, so dals auf diese Weise die Kategorie des
partitiven Genitivs bei Substantiven zuerst entstand. Diese scharf-
sinnige Hypothese würde an Wahrscheinlichkeit gewinnen, wenn
sich aus den nichtindogermanischen Sprachen analoge Prozesse
nachweisen liefsen. Aber die finnischen, drävidischen, kolarischen
Sprachen, das Koreanische behandeln den Genitiv rein adnominal
(v. d. Gabelentz, Sprachw. 442). Welches Verhältnis das ursprüng-
liche war, läfst sich also wohl nur durch Vergleichung der Aus-
drucksweise der verschiedensten Sprachstämme erkennen. — Dafs
der lat. Gen. pretii ein prädikativer Genitiv ist, wird jetzt auch
durch die Untersuchung von Landgraf, Beitr. zur lat. Kasus-
syntax (Bamberg 1894] bestätigt. Delbrück möchte S. 329 auch
den Genitiv bei den Verba iudicialia hier anlehnen. Wenn er
die oben genannte Schrift, die auch refert und interest ganz in
unserem Sinne erklärt, eingesehen, dürfte er von seiner An-
nahme, dafs re Nominativ ist, mit der er ganz allein steht, wohl
abkommen. — S. 387 würden wir die lateinischen Beispiele durch
iusta orator Plaut. Amph. 34, datar divitias ergänzen. — S. 393
vermissen wir den nhd. Akkusativ der Beziehung z. B. so lag er
da, die Glieder wie gelähmt, den Mund offen u. s. w. Sollte- dieser
Akkusativ, wie ich es in der Lat. Gr. § 172 A. gethan habe, sich
nicht mit dem lat. os hnmerosque deo similis, nudus membra ver-
gleichen lassen? Verf. erblickt in diesen lateinischen Wendungen
griechische Entlehnung, da aufser aind. näma und den Nachahnaun-
gen desselben, sowie den griechischen bekannten Konstruktionen
in den übrigen Sprachen dieser Akkusativ nicht mehr vorhandeu ;
zu sein scheine. — Sehr hübsch klärt sich nach S. 424 die Thai- !
Sache, dafs cder, princeps cet. nur Adjektiva einer Endung sind. 1
— Zu S. 538 möchte ich hinzufügen, dafs die von D. dort er-1
j
A. Pick, Wörterb. der indogerm. Spr., ags. v. H. Ziemer. 317
örterte Erstarrung auch ein Subst. mit Adjektiv trifft wie: einen
grofsen Bogen [weißes Papier (nicht: weifsen Papiers), wie bei
Grimm'y Uirtenbüblein zu lesen. — Ebenso zu S. 596 und 304
(Akk. der Richtung, des Zieles) noch das lateinische missum in
missum faeere^ das man nicht als Supinum erklären darf, auf
Grund yod Stellen wie cohortes ad me missum facias Cic. Att.
8, t2B, wo eine Emendation ganz überflüssig, vgl. Gromat. p. 351,
23 eolores . . . et genera notum faciam; Oribas. Syn. 7, 48 haee
omnia probatum habemus, einem französischen les lettres que j'ai
re^ues (receptas) entsprechend. Dieses mismm steht in gleichem
syntaktischen Verhältnis wie venum, pessum^ domumf deutsch heim^
und infiiias in infUias ire. — S. 672 fragt Verf., ob interrogare
wohl heifse „fragend dazwischen treten*'? Sicherlich, vgl. inter-
fMare. — S. 709 perdere heifst etymologisch genau verthun und
eBtspicht so ganz dem Sinne nach unserem deutschen Ausdruck.
Der Druck ist mit peinlicher Sorgfalt überwacht, die Aus-
stattung ebenso vortrefiflich mit Augen schonendem Drucke wie
in den früheren von Brugmann verfafsten Bänden. Es ist mir
nur aufgefallen S. 459 Z. 7 von unten nullus st. null i 8 (venit),
538 Mitte Mensehen st. Menschen. Für einen alten Grammatiker
eodlich klingt das Beispiel S. 773 ^,Tauno tenuSj vom Taunus
an gerechnetes komisch, da Tauro tenus aus Cic. Deiot. 13,36 jedem
Laieiner bekannt ist. Vielleicht liegt auch hier ein Druck-
fehler vor.
Die reichen Schätze der Belehrung, die in dieser Syntax
aufgespeichert sind, ganz dazu angethan, manchen Wissensdurst
zu stillen und zu weitereu Forschungen anzuregen, müfsten in
jeder Gymnasialbibliothek dem unterrichtenden Lehrer zugäng-
lidi sein.
2) Ao^QSt Fick, Verg^leichendes Worterbach dez indogerma-
nischeD Spracheo. 4. Aoflage. Zweiter Teil: Wortschatz der
keltischeo Spracheioheit (tJrkeltischer Sprachschatz) voo Whitley
Stokes. Übersetzt, überarbeitet ODd herausgegeben voo Adalbert
ßezzenberger. GöttiogcD 1894, Vandeohoeck und Raprecht. V1I1
n. 337 S. 8. 8,60 M.
Ober den Wert und die Vorzüge, die Anlage und Ausstattung
dieser neuen Auflage des Wörterbuchs von Fick haben wir im
46. Bande dieser Zeitschrift S. 477 fr. gesprochen. Mehr als drei
Jahre später ist nun der IL Band, den urkeltischen Sprachschatz
enthaltend, von der Hand des kundigen Keltologen Stokes ver-
£a(st und von Ad. Bezzenberger übersetzt, überarbeitet und her-
au^egeben, erschienen. Von ihm gilt im wesentlichen alles, was
dort über den I. Teil bemerkt worden war. Er ist auch nicht
miDder lehrreich nicht blofs für den Sprachforscher im allgemeinen,
sondern auch für den Philologen, der sich tiefer in die lateinische
oder griechische Sprache versenkt. Wir wollen zum Beweise
dessen nur einiges anführen.
Man ersiebt zunächst aus diesem Teile, welche lateinischen
31S A* Pick, Wörterb. der iDdogerm. Spr., agz. v. H. Ziemer.
Wörter echt gallischen Ursprungs sind. Da fällt zuerst alauda
die Haubenlerche auf, während das keltische kolombd (wir ci-
tieren stets urkeltische Grundform, wo nichts weiter angegeben
ist) eher aus dem Lateinischen entlehnt scheint. Ferner sind echt
keltisch: älce Elch; amhactos; Älbeis die Alpen; die Namen der
Wagen carpentum und reda; sagulum Kriegsgewand; vergohretus
(von verg wirken, also: celui dqnt le jugement (breta) est eflicace
nach d'Arbois de Jubainville, Etudes sur le droit celtique 108),
Vergilim; das spätlateinische cambiare wechseln, tauschen aus
kmbion, ir. cimb Silber; vgl. Gallia bracata (von brdka Bein-
kleid) u. a.
Ferner kann man hier die Erklärung der verschiedensten
latinisierten keltischen Namen Gnden, ein Umstand, der jedem
Cäsar-Erklärer interessant sein mufs. Nur einige Beispiele: Atre-
bates = possessores; Ällobroges etwa = die Welschen aus äU.og
und brog =mrog Land; Arnos = arnos Strom, Adda „die schnelle*',
Aremorici .,die beim Meer wohnenden'* = Pomerani, Pommern;
Argentoratum „Weifswand"; Dubis „der dunkle**; Benacus „der
spitzige'*; Bituriges „Weltherrscher" (von rix, rÄx Herrscher,
König); vgl. Caturiges von kam Kampf, Catuvolcus, Cingetotix von
kenget Krieger, also Ver-cingeto-rix = der über {ver) Krieger Herr-
scher; Tanaros „der brausende**; Mediolanum Mitte der Ebene;
der zweite Teil der Komposita zeigt -brigd Macht in Niiiobfiges;
'dunon Burg, Schlofs (ähnlich -duro: Ododums) in Noviodtmum
Neuenburg u. a.; -mdros grofs in Virdomaru$ cet. vgl. Maro, das
cognomen Vergils; -magos Feld, Ebene in Nomomagus Neufeld.
Dagegen Cassi in Cassivellaunus u. a. ist indogermanisch, vgl.
Cassandra, Oberhaupt verrät dieses Wörterverzeichnis fast auf
jeder Seite den engen Zusammenhang des Keltischen mit den
übrigen indogermanischen Sprachen, vor allen aber mit dem La-
teinischen. Wir finden hier hunderte von lateinischen Stämmen
und Wörtern wieder, wie angu = Schlange, arö pflöge, aratro =
Pflug, argento glänzend weifs, Silber, ardvos hoch, alo ernähre,
assan (irisch) Esel, aus asinm direkt entlehnt, edo ich esse; en-
sedon Kriegswagen, laL essedum, gr. ivedqa^ iVero = fortis, vgl.
gr. äv'qq Mann, germ. Nerthus. Kunos hoch, deutsch hünB. Got.
tisam ist aus dem Kelt. eisamo, ebenso ist nhd. btnne = Futter-
krippe von hier entlehnt; das Negativpräfix kelt. an- entspricht
dem griech. und osk. an-, lat. in- (auch als Intensivpräfix), ebenso
dem deutschen un-\ kelt. aballo unserem Apfelbaum; altkeit.
nomso Brauch, Gesetz dem. gr. yofiog^ lat. numerus und nummus
aus sicil. pov[ifiog. Albion ist „Weifsland'*.
Einiges vermissen wir. So fehlt Arkona bei arkunion Berg
S. 18, Brennus und der italienische Flufs Brenta bei brend (bre$ino)
schwellen S. 184. Zu dubron Wasser gehört vielleicht Duris und
Adour, zwei bekannte Flusse. Zu S. 182 brdgnt = Hals, Nacken
gehört auch wohl ndd. brägen Gehirn, Mark, Kopf, ags. braegen.
F. Härder, Ovids Metamorphosen, tD^ez. von M. Koch. 319
engl, brarn, holi. brein, mnd. bragen, bregen^ vgl. ir. brdge, iat.
cervix. Zu 152 doÄrlo = Franse, Locke läfst sieb vielleicht ndd.
docke Büschel, Bündel (vgl. eine Docke Seide) vergleichen. Gehört
ferner S. 234 zu rou = graben nicht arrügia Stollen im Berg-
werk? Und endlich warum ist in dem Verzeichnis der Wörter
von A bis C nicht der Name Alfred Holders erwähnt? Hält
Bezzenberger dessen „Altkeltischen Sprachschatz'* für so gering-
wertig ?
Kolberg. H. Ziemer.
Orids Metamorphosen. Auswahl für den Schol^ebraaeh von Franz
Härder. Zwei Bändeben, Bielefeld und Leipzig 1894, Velhegen &
Kissing. I. Text, XVII u. 164 S., IL KommenUr, 185 S. 8. geb. 1,20
n. 1,50 M.
Es ist unter allen Umständen mit Dank zu begrüfsen, dafs
die bekannte Verlagsfirma Velbagen und Klasing sich entschlosseu
hat, ihren deutschen, französischen und englischen Schulausgaben
auch solche für den Unterricht in den klassischen Sprachen folgen
zu lassen. Dafs die Ausgaben ihrem Zweck, wirkliche Schulaus-
gaben zu sein, entsprechen werden, dafür bürgt schon der päda-
gogische Ruf der beiden Herausgeber, der Direktoren H. J. Müller
in Berlin und 0. Jäger in Köln. Ohne Zweifel werden die Freunde
des klassischen Unterrichts mit den von den beiden genannten
Herren ausgearbeiteten Grundsätzen, welche die Verlagshandlung
wohl den meisten Kollegen zugänglich gemacht hat, sich rück-
haltlos einverstanden erklären können.
Nach diesen Grundsätzen, auf welche näher einzugehen der
Raum yerbietet, ist nun die vorliegende Auswahl aus Ovids Meta*
morphosen von Härder bearbeitet. Sie enthält nach einem kurzen
Yorwort knapp gehaltene, aber völlig ausreichende Mitteilungen
über Ovids Leben und Werke, die dem Standpunkt des Tertianers
bezvr. Sekundaners angepafst sind; sodann äufsert sich der Hsgb.
in sehr klarer Weise über den Begriff des Wortes „Metamor-
phosen'', wobei er auch des „Katasterismus'' und der „Apotheose"
gedenkt, und giebt einige Andeutungen über die Komposition, die
Qoelie und den Wert des Gedichtes. Hieran schliefst sich ein kurzer
Abschnitt über den Bau des Hexameters, der gleichfalls völlig dem
Standpunkt der jugendlichen Leser entspricht. Dann folgt der
Text, enthaltend 30 Erzählungen, und am Schlüsse des ersten
Bäodchens ein Verzeichnis der Eigennamen. Das zweite Bändchen
endlich enthält den Kommentar.
Was nun zunächst die aus dem Gesamtwerke Ovids ge-
(roflene Auswahl anlangt, so hat sich H. im ganzen dem her-
kömailichen Kanon angeschlossen; einige kleinere Stücke von ge-
ringerem Werte, die sonst fehlen (z. B. Invidia II 760 — 96), sind
aafjgenomnien, wie Herausgeber selbst sagt, um am Schlüsse des
Kargos etwa übrig bleibende Stunden auszufüllen. Die Auswahl
320 F. Härder, Ovids MetaniorphoseD, aogez. von M. Roch.
ist entsprechend der durch die neuen Lehrpläne eingetretenen
Beschränkung der Ovidlektüre bedeutend weniger umfangreich als
die von Siebeiis, enthält aber immer noch mehr, als das un-
mittelbarste Bedürfnis der Schule erfordert, so dafs dem Lehrer
eine gewisse Freiheit der Wahl gewahrt bleibt. Ref. erklärt sich
mit der getroffenen Auswahl einverstanden; wenn es ihm ver-
stattet ist, besondere Wunsche zu äufsern, so möchte er die sehr
schwere Schöpfungsgeschichte getilgt sehen und gleich mit den
Weltallern beginnen, dagegen wurde er gern mit den Schulern
gelegentlich die Abschnitte über Orpheus (X u. XI Anfang) lesen,
zumal sie sich durch ihre Kurze empfehlen und gleichfalls als
„Lückenböfser*' dienen könnten. Aus den späteren Buchern ver-
misse ich ungern den Kampf der Lapithen und Centauren (XII),
eher würde etwa die schwere Erzählung von Ceyx und Alcyone
(XI) zu entbehren sein, die freilich grofse poetische Schönheiten
aufweist.
Auch die Gestaltung des Textes entspricht durchaus den an
eine Schulausgabe zu stellenden Anforderungen; sie beruht na-
mentlich auf den Forschungen von H. Magnus, wie er sie teils
in seiner Ausgabe (Gotha 1885), teils in den „Studien zu Ovids
Metamorphosen'' (in Programmen des Sophien-Gymnasiums zu Ber-
lin), teils in den Jahresberichten des Philologischen Vereins nieder-
gelegt hat, ferner auf der neuen Ausgabe von A. Riese. Da Magnus
selbst für die Bücher VI — XV seine eigenen Forschungen noch
nicht in den Text setzen konnte, so ist dies in Härders Ausgabe
zum ersten Male geschehen. Ref. möchte an einer Stelle (VI 201)
die Magnussche Lesart vorziehen ; pro re („für die Veranlassung^*)
klingt doch gar zu nüchtern: wie viel lebhafter ist propere ttel
Auf die Zeichensetzung ist besonders geachtet, wie ein Vergleich
mit Merkels Ausgabe sehr zu Gunsten der vorliegenden ergiebt.
Am Rande des Textes sind kurze Notizen über den Inhalt ge-
geben, die dem Schüler zu schneller Orientierung von Nutzen
sein werden. Zu billigen ist auch, dafs die herkömmliche Zäh-
lung der Verse beibehalten wurde; mit Recht hat Härder darauf
verzichtet, jedes Stück für sich zu numerieren.
Der Kommentar ist, wie schon erwähnt, in einem besonderen
Bande beigefügt, so dafs der Schüler während des Unterrichts
nur den Text vor sich hat. Derselbe ist sehr sorgfältig gearbeitet
und fufst auf einer verständigen Benutzung der früheren Er-
klärer. Es versteht sich von selbst, dafs in einer Schulausgabe,
zumal auf so vielfach beackertem Felde, viel Eigenes und Neues
nicht gebracht werden konnte; doch verweise ich in dieser Hin-
sicht z. B. auf Vlil 336 f., wo ausführlich von den verschiedeuen
Rohrarten die Rede ist. In den mir zugänglichen Ausgaben
ist diese Stelle nur wenig berücksichtigt. Mafsgebend war für
den Kommentar der Gesichtspunkt, dem Schüler einerseits
das Vokabelsuchen in einem Lexikon zu ersparen, andererseits
F. Holiweiisig, Grieeh. Sckolgr., tgz. v. P. WeirseofeU. 321
ihm die Auflösung selbst schwierigerer Konstruktionen ohne Bei-
hilfe des Lehrers zu ermöglichen. Letzterer wird auf diese Weise
in den Stand gesetzt, schon nach kurzer Zeit zu einer umfassen-
deren Lektüre zu schreiten. Natürlich mufste zu diesem Zwecke
der Umfang des Erklärten ziemlich bedeutend sein; auch war es
selbstverständlich erforderlich, in zweifelhaften Fällen lieber etwas
zu yiel als zu wenig zu bieten ; immerhin bleibt aber der Thätig-
keit des Lehrers noch ein hinreichend weiter Spielraum. Die
Stücke, mit denen man die Lektüre gern beginnt, wie z. B.
Cadmas, Niobe, Daedalus, sind am reichlichsten mit Anmerkungen
bedacht; die für Vorgerücktere bestimmten, wie Ceyx und Armo-
rum iadicium, sind entsprechend weniger kommentiert. Aufser-
dem ist — ein entschiedener Vorzug — jedes Stück für sich be-
handelt , was natürlich Wiederholungen unvermeidlich gemacht
bat; dafür treten aber dem Anfänger fast nirgends lästige Ver-
weisungen entgegen, die ja erfahrungsgemäfs nur selten beachtet
werden.
Auch das Verzeichnis der Eigennamen hat Ref. einer ein-
gehenden Durchsicht unterzogen und kann sich fast durchweg mit
dem Gebotenen einverstanden erklären. Vielleicht hätten Artikel
wie „Herkules'* und „Perseus'* noch ausführlicher behandelt wer-
den können, etwa unter Hinzufügung einer genealogischen Tafel,
wie sie H. mit Nutzen mehrfach gegeben hat.
Nach Vorstehendem trägt Ref. kein Bedenken, die Hardersche
Auswahl zur Einführung in den Gymnasien aufs wärmste zu em-
pfehlen. Das Buch dürfte auch, was schliefslich nicht unerwähnt
bleiben mag, den weitgehendsten Anforderungen der Schulhygiene
genügen: der Druck ist weit und übersichtlich, die Ausstattung
sehr splendide. Auch ist die Drucklegung sehr zuverlässig; von
Fehlem habe ich nur bemerkt: im Text S. XVI bei Nr. 18: 527,
sUtt 528; S. V steht VIII 30 statt VH 30 ; S. 66, v. 285 mufs
ueUu für setae geschrieben werden, wie sonst überall zu fin-
den ist.
Berlin. Max Koch.
Friedrich Holzweifsig, Griechische Schalgrammatik in kurzer,
übersichtlicher Fassaog auf Grand der Ergeboisse der vergleicheoden
Spraehforschaog zum Gebrauch für Scholeo. Leipzig 1893, B. G.
Tenboer. XVI o. 240 S. geb. 2,80 M.
Auf vielseitigen Wunsch hat Holzweifsig seine 1886 bereits
in dritter Auflage erschienene griechische Syntax jetzt durch eine
nach denselben Prinzipien bearbeitete Formenlehre zu einer
Grammatik vervollständigt. Wir erwarten also eine Formenlehre,
die auf dem Grunde der Ergebnisse der vergleichenden Sprach-
forschung steht, ohne jedoch den Schüler merken zu lassen, „dafs
die leitenden Gesichtspunkte erst von selten der Sprachvergleichung
ihre nötige Kiarlegung gefunden haben'% und die „aus den er*
Zritoehr. t d. OjmnunMiwmw. XLVIll« 6. 21
322 P* Holzweifsig, Griechische Sduil^raramatik,
kannten Grundanschauungen der Sprache heraus die einzelnen
vorliegenden sprachlichen Erscheinungen selbst linden lehren
will'S da „die Aufzählung aller Einzelheiten das freie SchafTen der
Sprache ganz verkennen läfst und nichl minder unwissenschaftlich
als unpädagogisch ist'^ In der Beschränkung des Unterrichts-
stoffes befindet sich H. in einem bewufsten Gegensatz zu Kaegi:
um eine allgemeine sprachliche Erscheinung leichter zu erklären
oder durch Zusammenstellung des Ähnlichen Unregelmäfsigkeiten
verständlicher zu machen, meint er Formen, die sich in dem
ersten Schulschriftsteller finden, selbst dann aufnehmen zu müssen,
wenn sie sonst nicht gerade oft vorkommen. Doch läfst sieb
behaupten, dafs H. die seltener vorkommenden Unregelmäfsig-
keiten in der Nominal- und Verbalflexion der attischen Prosa, die
Kaegi in der kurzgefafsten griechischen Schulgrammatik §§ 60
und 112 zum Nachschlagen zusammengestellt hat, zum geringsten
Teile dem grofs gedruckten Texte einreiht, zum gröüsten durch
kleineren Druck als zum ungehinderten Fortschreiten in der Lektüre
nicht notwendig bezeichnet, sehr -viele derselben aber überhaupt
nicht erwähnt.
Da die Syntax unserer Grammatik bereits im Jahre 1886
zum dritten Male aufgelegt, ja sogar ins Italienische und Nieder-
ländische übersetzt worden ist, so läfst sich mit Sicherheit an-
nehmen, dafs von denjenigen Anstalten, die bisher die Syntax
benutzt haben, nunmehr die Einführung des ganzen Werkes min-
destens geplant werden wird. Um so mehr habe ich die Pflicht,
auch die Mängel der neuen Formenlehre an das Licht zu ziehen.
Ich beginne mit den allgemeinen. Zunächst hat H. die Quantität
der Vokale, wo sie für die Aneignung der Formenlehre von
Wichtigkeil ist, nicht planmäfsig angeben mögen und dadurch
recht häufig das unterstützende Eingreifen des Lehrers in An-
spruch genommen. Auch hat er die Bedeutung den Vokabeln oft
genug nicht beigefügt; die Entschuldigung, dafs in praxi die Be-
deutung aus späteren Abschnitten schon bekannt sei, wenn der
Schüler den früheren Abschnitt, wo die Bedeutung fehlt, vor-
nehme, kann sicherlich nicht für alle Fälle gelten. Inkonsequenzen
wie „die Enklitika'' und „das Enklitikon'*, fiov, fiolj [lij nov —
tlg, %iy no%i — toVj ztOj das untrennbare de harren ferner der
Beseitigung. Endlich aber hat H. in dem augenfälligen Streben,
präzise Regeln aufzustellen, auf Korrektheit der deutschen Kon-
struktion wenig Bedacht genommen und damit leider denjenigen
Waffen in die Hand gegeben, die von dem schädlichen Einflufa
altsprachlicher Studien auf den Gebrauch der Muttersprache als
von einem notwendigen Übel zu sprechen belieben.
Die Lautlehre ist in gedrängter Kürze gehalten und unter*
drückt bin und wieder eine Ausnahme, die dann später erwähnt
ist. Der Unterschied der Proklitika und Enklitika hätte wohl
schärfer ausgedrückt und der Ton in ^fjfjbi am Anfange, in ov
■ Dgez. von P. WeiTseofeU. 323
am Ende des Satzes aus dem Wesen dieser Tonklassen abgeleitet
werde» können; damit würde aach ein Licht auf 18 fallen, wo
ovx und ov dunkel genug scheinbare Ausnahmen von dem
Auslautsgesetze genannt werden. — In der Aufzählung der En-
klitika mnisten fiovj f^ol, (a^, die stets enklitisch sind, von aovj
coij ai und ov, ol, %, die es nur unter Umständen sind, strenger
geschieden und als stets orthotonierte Nebenformen der ersteren
Pronomina ifi^ov, ifkoi, i^4 angeführt werden. 72 Bern. 1 handelt
darüber klarer, irrt aber insofern, als hiernach die orthotonierten
Pronomina nach betonten Präpositionen gebraucht werden sollen,
nach denen gerade, wie auch das Beispiel (läXlov ini fte ^ avv
^0$ lehrt, Enklisis statthat. — Der Ausdruck „Lautstufe'' in 12, 3a
wäre zur Not verständlich, wenn 3 a nicht blois die doppelte Ein-
teilung der Muten, sondern auch das principium divisionis ent-
hielte; doch redet man deutlicher als von Lautstufen wohl von
Haucbstärken dieser Konsonanten. — 12, 7 wirkt verwirrend durch
den Stamm zax, da. ja nach 58, 1 vielmehr von einem Stamme
roxv =. Taxsf die Rede sein sollte. — 15 verlangt die Deutlich-
keit yiretf-og vor yiyt-og, — 17 mufste unter den Verände-
rungen des j die Ersatzdehnung in d-äaatAv, fiei^fav, XQÜ^ia,
Ikäilov mit demselben Rechte erwähnt werden, mit dem die in
naaa, doviSa u. s. w. erwähnt worden ist. — 19, 1 ist jf€»y ein
Plosquamperfekt genannt, 171 ein Imperfekt.
Doch nun zur Deklinationslehre. Hier fiUt uns zunächst
auf, dafs H. wohl in der zweiten und dritten DekUnation, aber
nidht zugleich in der ersten geglaubt hat vom Stamme ausgehen
zu sollen. Wenn manche nur den einzelnen Klassen der dritten
Deklination den Stamm vorausschicken, so geht allerdings, um mit
Curtius zu reden, durch diesen Mifsbrauch die Einsicht in die
Einheit der gesamten Deklination verloren ; aber man könnte doch
for diese Inkonsequenz geltend machen, dafs nach Streichung der
vollends für das heulige Geschlecht ganz überflüssigen Wort-
bildungslehre dvQct und vofAO als Stämme zu lehren kein drin-
gender praktischer Anlafs vorliege. Doch den Stamm vo^o lehren,
nachdem man den Stamm &v((a nicht zu lehren für gut befunden
hat, das hei/st in der Inkonsequenz inkonsequent sein. Die eben-
&lls inkonsequente Bezeichnung der Quantität der andpites (hier
des a in der letzten Silbe und des für die Betonung noch wich-
tigen doppelzeitigen Vokales in der vorletzten), dieser oben gerügte
aUgemeine Hangel mufs sich bei der Einübung der ersten Dekli-
nation nach unserer Grammatik ganz besonders fühlbar machen.
Ab Scbolbuch genügt diese noch nicht, weil der besonders Begabte
bei gutem Willen und mit kräftiger Unterstützung des Lehrers
aUen&Us die Paradigmen verständig lernen kann; sie sollte viel-
mehr so beschaffen sein, dafs jeder Schüler — naturlich das
wissenschaftliche it^iftop ax&oq aQovqtjg ausgenommen — nach
genügender Vorbereitung in der Klasse bei genügendem häuslichen
21*
324 ^- Holzweifgig, Griechische Schnlgprammatik.
FleiCse die Paradigmen verständig lernen mufs. Mir scheint es
fast, als unterschätze H« weit die Schwierigkeiten, die dem An-
fanger äj äj 17 in der ^-Deklination machen. Denn er behandelt
unter la „SubsL auf a, Gen. ag'\ unter Ib „Subst. auf a, Gen.
^g^'j ohne die wichtige Regel der Erwähnung zu würdigen, dafs
a impurum stets kurz, a purum teils lang, teils kurz sei. Er
sagt ferner: Diejenigen Subst. auf a, welche vor a einen Vokal
oder Q {a purum) haben, behalten a auch im Gen. u. Dat. Sing.
Zwar richtig, aber doch auch falsch; denn atpatqa vertauscht
zugleich ä mit ä. — In der zweiten Deklination entbehren einige
Regeln der Klarheit. „Die Komposita (der Kontrakta) haben den
Accent stets auf der vorletzten Silbe, z. B. nsqinXovg'*'. Da
nBqlnXovg aus neqinXooq kontrahiert ist, so enthält der Nom.
Sing., den ja doch H. als Beispiel anführen wird, nichts, das
gegen 8 Bem. verstiefse; dais das „stets** gerade andere Kasus
treffen soll, mufste durch einen Zusatz angedeutet werden wie
diesen: ixBqinXov u. s. w. gegen 8 Bem. Die Aegeln der attischen
IL Deklination : „co nimmt die Endungen soweit als möglich in
sich auf** (ebenso Kaegi) und: „der Accent des Nom. Sing, wird
jetzt in allen Kasus beibehalten** sind auch nicht die glücklichsten.
Begreift in der letzteren „jetzt** den Gedanken in sich: während
früher zwar vsoi (Gen. Sing.), aber vs^^ v^V^j veävj pamq ge-
schrieben wurde, oder den anderen: während früher aus dem
Proparoxytonon des Nom. Sing, in der Flexion unter Umständen
ein Paroxytonon wurde? Das erstere möchte ich nicht heraus-
lesen, da der Ausdruck alsdann doch gar zu dunkel wäre; und
ebenso wenig das zweite, da derjenige, dem zugemutet ist den
Accent des Nom. Sing. iXetag iJiemy ohne jede Erklärung sich
anzueignen, sich auch den Accent des Gen. mechanisch aneignen
könnte, wie umgekehrt derjenige, der beim Nom. Sing, eine Er-
klärung empfangen hat, beim Gen. einer neuen Regel ganz ent-
behren könnte. Kaegi drückt die zweite Regel folgendermafsen
aus: „Der Accent des Nom. Sing, wird durch alle Kasus bei-
behalten, für die Betonung der Barytona gilt w als kurz*'. Das
ist klar.
Unter den Kasusendungen der HI. Deklination, die unter den
Vorbemerkungen behandelt werden, begegnen uns »^ at und a
(Acc. Sing, der Mask. u. Fem. und Nom. u. Acc. Plur. der Neutra)
ohne Angabe der Quantität, die anderseits in der Endung des
Acc. Plur. der Mask. u. Fem. H. notwendig schien. Neben ceg
lesen wir als seltenere Endung v^, die zur Erklärung der Accusa-
tive Ix^vg, yQavg, ßovgj olg benutzt wird; ebenso bei Kaegi.
M. E. lehrt man damit von einer Thatsache der vergleichenden
Grammatik gerade denjenigen Teil, der ohne die übrigen Teile
als Ballast erscheint; denn diese Accusative eignet sich der Schüler
auch ohne die Erklärung mit ganzer Sicherheit an. Auch erweckt
dieser Teil die falsche Vorstellung, die Endung vg sei das Un-
tLugez. von P. Weifsenfels. 325
regdmälaige, ag das RegelmäDsige. Wer yg — wenn auch nicht
gleich bei der ersten Einübung — als die durchgehende Endung
der Äce. Plur. aller Masc. u. Fem. bezeichnet, in der die dritte
Deklination meist nach Ausfall des v den Hilfsvokal a setzt, lehrt
den wahren SachTerhalt und hat den Vorteil, späterhin verdeut-
lichen zu können, warum auch bei Homer der Acc. Plur. der A-
and Q-Deklination auf äg und ovgy nicht auf 17^ und evg endigen
muis. — Ob wir nicht blob dem Tertianer die attischen Formen
noleug^ nijxfüitg, äatecag, dem Sekundaner die homerischen
Formen noltjog und zur Erklärung der Differenz das Gesetz vom
Umspringen der Quantität schuldig sind, sondern auch — etwa
in der letzteren Klasse — von den ursprünglichen Auslauten der
Stämme / und /- sprechen müssen, die sich bei ihrem Schwinden
eine Art Ersatzdehnung verschaflt haben, scheint mir doch sehr
zweifelhaft; der Grund, der uns bestimmen kann in der Schule
einen Stamm ßatSiXs^j rQcc^j ßo^ zu lehren, nämlich die sicht-
bare Postexistenz des Konsonanten in vokalisierter Gestalt, liegt
ja in jenen Fällen nicht vor. Ebenso steht es mit ^de^, dem
älteren Bestände von ^dv. Übrigens ist die Fassung der bezeich-
neten Regeln in 46 und 48 derartig, dafs ein Schüler wohl
TtoXijogj ßaffiX^og^ ßaaiX^a für attische Formen halten könnte.
Die Komparation ßa&vtcQog, äX^-d-ia-Tsgog hat die Regel
veranlafst: „die Endungen -rsgog, -^atog treten an den reinen
Stamm des Mask.*^ Dieser Terminus entspricht nicht der Behand-
lung von ^dvg in 48, in der wohl die Stämme ^dv und ^d« aus
arsprflngUchem ^Sc^ abgeleitet, aber nicht als reiner und unreiner
Stamm unterschieden sind; auch nicht der von evysvijg in 42,
wo nur svytvsg als Stamm aufgeführt wird. — Manche Erscheinung
ist doppelt behandelt: nvq 51b und 52, aXxog (Stddtov 51c und
52; die zusammengesetzten adi. barytona 42 Bem. 2 und 59.
Oberflossig ist tö (pqiaq und der Acc. Plur. viiag (s. Meisterhans
Gr. d. a. L S. 113).
Die Konjugationsiehre hat H. in der üblichen Weise disponiert,
so also, dafs die Verba auf fi» das Mittelglied zwischen der regel-
mä£sigen und der unregelmäfsigen Flexion bilden. Er beginnt
mit Vorbemerkungen (82 — 111), die der ganzen Konjugation
gelten sollen. Unter dieser jedenfalls zutreffenden Voraussetzung
m'mmt sich freilich 83 „Verbalstamm und Präsensstamm'' höchst
I sonderbar aus, da hier der Verba auf /i*» mit keiner Silbe gedacht
' wird. Aber auch sonst enthält dieser Abschnitt des Auffallenden
genug, so dafs es sich wohl verlohnt, an dieser Pforte, die in
das Gebäude eines wichtigen Teiles fuhren soll, ein Weilchen
stehen zu bleiben. „Der Präsensstamm, sagt H., ist vom Verbal-
stamm (dafür 126 Tempusstamm) sehr oft verschieden; er ist oft
durch Erweiterung des Verbalstammes gebildet; nach seinem Ver-
hältnis zu letzterem unterscheidet man 8 Klassen'*. Da also die
Verschiedenheit der beiden Stämme sehr oft statthat, der Präsens-
326 P* Holzweifstg, Griechische Schalgrammatik,
stamm aber nur oft ein erweiterter Verbalstamm ist, so ahnt der
Leser, dafs in einigen Fällen die Verschiedenheit der Stämme
einen andern Grund oder andere Grunde hat als den oft vor-
liegenden. Welcher aber dieser ist, bezw. welche diese sind, sagt
U. nicht. Ich wurde vermuten, dafs H. hier Verba im Sinne
gehabt bat, deren Präsensstamm im Gegensatz zu der oft zu Tage
tretenden Verschiedenheit durch Vereinfachung des Verbalstammes
gebildet ist: an tifum, noUcHj p,nf&6a)^ vorausgesetzt, dafs H.
mit Hintner als Stämme dieser Verba vififj, notfi, fAia&(o an-
nimmt, die nach dem Gesetze vocalis ante vocalem corripitur den
Charakter im Präsens veriiörzt haben; ferner an diejenigen Verba
der £- Klasse, die gerade den Präsensstamm nicht durch e ver-
stärken. Aber H. hat im folgenden die Genesis der Präsensstämme
Ttfiaj TtotCj (iKf^o nirgends nach Hintner entwickelt, vielmehr
umgekehrt t^/lm; durch Verlängerung aus T«|i»a werden lassen, und
in der Aufzählung der 8 Klassen, die den jetzt behandelten Para-
graphen schliefst, unter £-Klasse nur solche Verba erwähnt, deren
Präsensstamm durch s erweitert ist, und damit in der skizzen-
haften KlassiGzierung gerade die — übrigens zahlreicheren — Verba
der f-Klasse unerwähnt gelassen, die über die obigen Bemerkungen
Licht verbreiten könnten. Der ganze Paragraph scheint mir aus
anderen Gründen recht überflüssig. Erstens ist der Unterschied
„Präsensstamm — Verbalstamm" nicht das Allernächste, das nach
der Aufzählung der griechischen Modi, Tempora u. s. w. zu lehren
ist. Zweitens wird der Begriff „unerweiterte Klasse" später nir-
gends durch Einreihung bestimmter Verba praktisch verwertet.
Drittens kehren die meisten Regeln später wieder und zwar ein
grofser Teil derselben abermals in fast systematischer Fassung. —
Auch der Lehre von der Tempusbildung, die sich unmittelbar
anschliefst, ist ein wenig vorteilhafter Platz angewiesen ; mindestens
wird sich sagen lassen, dals das Thema für eine vorläufige Über-
sicht zu eingehend, für eine Rekapitulation, die nach der Einübung
der Konjugation vorgenommen werden könnte, zu dürftig behandelt
ist. Denn zu einer vorläufigen Übersicht genügte die bloJse Auf-
zählung der verschiedenen Tempusstämme ohne Angabe der
Bildungsmittel; in einer Rekapitulation dagegen hätte neben &s
auch ^11 als Tempuscharakter des L Aor. Pass.-Stamme8, neben
dem Tempuscharakter er noch die Dehnung des kurzen Stamm-
vokales bei den v* liquidis als Bildungsmittel des L Aor. Akt-
Stammes (ganz abgesehen von sxecc, elna, ^reyna — B&^xa,
sdwxaj ^xa) angeführt werden müssen. Auch die Art, in der
hier der Reduplikation gedacht wird, ist mifslich. Da nämlich
aus der beigefügten Definition hervorgeht, dafs H. unter diesen
Begriff nicht wie andere auch das stellvertretende augmentum
syllabicum oder temporale zieht, so ist etwa die Hälfte der Verba
nicht bedacht; ebenso wenig später in der ausführlichen Behand-
lung der Tempusslämme der v. pura non contracta 116 und li7a.
anges. von P. Weifsenfels. 327
solange hier von dem Perfektum die Rede ist Dafs den Perfekt-
sUmm des Aktivums die Reduplikation (bezw. deren Ersatz) und
der Tempuscharakter, den des Passivums die blofse Reduplikation
ausmacht, ist 84 auch nicht deutlich zu ersehen. Noch weniger
freilich lehrt das 116, wo es heifst: Den Stamm des Perf. (I Akt.)
erhält man durch Reduplikation; Perf. I Akt. hat zum Tempus-
charakter X. — Von deu Terminis H.s ist unklar „Endung*', der
fielfach nehen dem stets klaren Terminus „Personalendung*^ ge-
braucht wird. Endung heifst z. R. 83, 2 wie auch sonst häufig
t» in naidsvwj also ein verlängerter Rindevokal; 88 o» in na$-
devot j Rindevokal und Hoduszeichen ; 119 v in iTtatdev&fjyj
Personalendung; ib. -d'iiriv in naidsv&eirjVj Tempuscharakter
mit Hoduszeichen und Personalendung; 139 cra» in xof/ktisvaij
Rindevokal und Personalendung. Man nehme dazu die Regeln
122: „(Die Verba auf dw, icoj oca kontrahieren a, e, o regel-
ffiäfsig) mit dem Rindevokale resp. den Endungen**, ferner 113
Bern. 1 g: „Die 2 Sing. Imp. (Präs.) Akt. (von naidevu) entbehrt
der Endung in Verbindung mit 158, 3, 2) d): „Im Imper. Präs. Akt.
(von Ti&iifibt) hat die 2. Sing, wie die Verba auf <o die Endung e^
welche mit dem Stammvokal kontrahiert** — und beantworte die
Frage: was ist nach H. in der Konjugation Endung? — Auf dieAccent-
r^elo, die zum gröfsten Teile später wiederkehren, folgen Regeln
über „Augment und Reduplikation*'. Sehen wir ab von der ganz
anzulässigen Fassung der Regel 97: „Verba, welche mit q anlauten,
haben als Reduplikation das Augment £**, ferner davon, dafs 100
si^xa nicht auf den Stamm |« zurückgeführt ist, wozu doch
Regel 100 selbst einladen mufste, und sim&a als von einem mit
Uquida anlautenden Stamme abgeleitet auftritt, so wird man die
Behandlung dieses Kapitels billigen müssen. Der Ausdruck Re-
duplikation ist hier auf das beschränkt, was er bedeutet, und
nicht auf das stellvertretende Augment ausgedehnt. Leider aber ist
das späterhin nicht festgehalten, vielmehr 116 und 117 allgemein
g^agt, den Stamm des Perf. erhalte man durch Reduplikation,
and von Stämmen geredet, „welche nur e als Reduplikation haben'*.
An das Paradigma natSsvio schliefst sich eine „Obersicht
über die Endungen der ersten Tempora*', in der die Endungen,
glekhgiltig in welchem Sinne wir das Wort nehmen, allerdings
als die Hauptsache, aber keinesfalls allein bebandelt sind. „Hat-
Ssvetg, sagt H. hier, entstand aus naidevsift; daher im Konj.
Jota sabso*.'* Eine kühne Folgerung. ^^llatdsv€$ aus na$d€V€T&
(% im Auslaut muTs wegfallen).** War denn in der ursprünglichen
Form T Auslaut? Der Bindevokal e in inaidsvas ist Obersehen;
Ton der Regel, dafs im Aor. I Pass. die aktiven Endungen ohne
Bindevokal an den Stamm treten, der Konj. nicht ausgenommen.
Da endlich H. unter „Aor. I Pass.** von etwa eintretenden Ver-
änderungen des Verbalstammes nicht geredet hat, so ist die Regel
uoter „Adjektivum verbale**, der Verbalstamm habe bei diesem
328 P- Holzweifsig, Griechische Schalgrammatik,
dieselben Veränderungen wie beim Aor. I Pass., in dem Zusammen-
hange ganz unverständlich. Die Regel gehört aber unter die
,, Veränderungen am Stamme bei der Tempusbildung'', würde auch
besser durch ein „in der Regel'' limitiert (vgl. navwj inav&ffv
und inavfSd'fiv — nccv<STio^\ xatoo, ixavd'^p — xavavo^ und
xavTog). — Das Kapitel „Veränderungen am Stamme bei Bildung
des Präs. und der ersten Tempora" behandelt nur die Haupt-
masse der regelmäfsigen Verba, contracta, muta, liquida, zunächst
mit Ausschlufs der zweiten Tempora. Diese folgen, ohne daCs
jetzt noch wie in dem eben genannten Abschnitte die verschiedenen
Klassen der v. muta und die liquida streng gesondert würden.
Nur die Behandlung der zweiten Tempora macht noch einige Be~
merkungen notwendig. Sie werden in dem einleitenden § 146 in
Obereinstimmung mit § 84, 3 als Tempora ohne Tempuscharakter
definiert. Wenn nun aber gesagt wird, Äor. II Pass. und Fut. II
Pass. haben die Endungen des Aor. I Pass. und Fut. I Pass. ohne
den Konsonanten des Tempuscharakters ^, so zeigt sich,
dafs zu völliger Klarheit entweder die Definition der Tempora
Sekunda aufgegeben werden muTs, insofern ja zwei derselben
immerhin einen Teil des in den entsprechenden ersten Zeiten
verwandten Tempuscharakters ^ (^£), nämlich fj (c) haben, oder
aber nicht &^ Tempuscharakter des ersten Aorists und dieser
selbst bindevokallos genannt werden müssen, sondern nur ^
Tempuscbarakter und ^ Bindevokal. — Sodann ist 154,2 nqäMi»
irrtümlich unter den Verben aufgeführt, die den Stammvokal, weil
sie ihn auch in andern Formen verändern, im Perf. II ablauten;
es gehört vielmehr in dieselbe Klasse wie (pqifSam.
Das Kapitel „Verba auf f*»" ist nicht frei von lästigen Wieder-
holungen; vgl. 156 und 110; 158, 2) g) Bem. 2 und ib. d)2;
169 Bem. 3, 171 Bem. 2, 172 Bem. 2, 174 Bem. und 161, 6b. Auch
hier könnte über manche Einzelheit mit noch gröfserer Klarheit ge*
handelt sein. So wird der Aor. II Sctuiv wieder und immer wieder
bindevokallos genannt, während er doch diese Eigenschaft in nicht
höherem Grade hat als die aktiven Aoristformen von %i&tifk&,
l^fAt, öidoüfAt, soweit diese ohne Tempuscharakter gebildet sind.
In der Bem. zu 162: „Bisweilen finden sich im Konj. und Opt.
Formen nach der Konjugation auf oi, z. T. mit unregelmäfsigem
Accent, z. B. tt&^Tat und zl^t^tat, tntaij ngo^ra^^' vergifst H.»
dals er in den Paradigmen rt^äfMx^j tiZfiatj didäfAUh, lavAfxa^,
S'cifAOHj äfiaij däfjka^ (sogar TtQlwfiatl) als Produkte einer
Kontraktion bezeichnet und damit diesen Konjunktiven des
Mediums wie ausdrücklich in den Vorbemerkungen den Konjunk-
tiven Ti&äj didäj IfTTCo die gewöhnlichen Bindevokale und
das heifst doch wohl die Konjugation auf <a zuerkannt hat —
Ein letzter Irrtum in dieser Beziehung ist II. in den Vorbemer*
kungen zu den Verbis auf vv(a& entschlüpft. Diese, lehrt er,
„zeigen nur im Präs. und Imperf. die Eigentümlichkeiten der Verba
aogez. von P. Weifseofels. 329
auf fft»; aber auch Konj. und Opt. Präjs. werden nach der ge-
wdhniicheo Konjugation auf w gebildet*'. Folgen denn die andern
Veriia auf fjn im Konj. Präs. nicht ebenfalls der Flexion auf ci>?
Haben sie nicht in diesem Modus eine offene Form mit dem
Bindevokal und zwar mit dem Konjunktivzeichen, der Verlänge-
rung, zur Voraussetzung? — Umgekehrt soll H. nicht den sämt-
lichen von den abgekürzten Perfektstämmen iara, TS&ya, dsdk
abgeleiteten Formen nachsagen, dafs sie des Bindevokals entbehren.
Hier fallt auch die Abteilung sfrja-i-fiVj ted-va-i-f^v auf, die
nicht in Einklang zu bringen ist mit den früheren Bemerkungen,
dafs in natdsv^sifjr (119) und in tk&eifiVj Itftaiijv u. s. w.
(158) «17 als Moduszeichen anzusehen sei. — Das Verzeichnis der
unregelmäfsigen Verba ist für Schulzwecke mindestens ausreichend.
Zur Erklärung der Tempusstämme sind sauber die verschiedenen
Verbalstämme angegeben; diese, Futurum, Aoristus und Perfektum
stehen horizontal nebeneinander, die Genera vertikal unter ein-
ander; eine letzte Kolumne enthält etwa noch notwendige oder
doch wünschenswerte Angaben über die Modusbildung, Bemerkens-
wertes der Komposita, Hinweisungen auf frühere Regeln u. dgi.
Unier ikiywiik fehlt der Stamm ^iy^ unter ia&tdo der Stamm
iie und die Bemerkung, die zu nivdd gesetzt ist, dafs das Futurum
ohne Tempuscharakter gebildet ist; zu ägjkip^ivvvfjbi und xad-svdw
ein Hinweis auf 106, 16, zu ^oivvvfjb^ auf 64, 2, zu ßovXofiai
und fiäiJim auf 90 Bern., zu alQicn auf 92, zu Xiyco und €l(AaQTa&
auf 100, zu ^^Vojua» auf 183, 9. Die Hinweisungen auf die
Angmentlebre sind falsch unter äXiaxofAai (92 für 94), (o^ico
(92 für 93), oQaw (93 für 94), wohl weil die Augmentlehre nach-
träglich anders redigiert worden ist.
Die homerische Formenlehre ist, soweit dies anging, nach
dem Muster der attischen disponiert und deshalb für diejenigen,
die sich die attische nach H. angeeignet haben, ganz besonders
übersichtlich. H. hat sich das Ziel ziemlich hoch gesteckt: er will
den Schüler nicht wie mancher andere im Anhange seiner Gram-
matik mit wenigen, kaum noch zusammenhängenden Thatsachen
des neuen Dialektes bekannt machen, sondern eine ziemlich ab-
gerundete systematische Darstellung desselben liefern und in der
Erklärung der Formen bis hart an die Grenze gehen, an der die
Unsicherheit der Forschung oder die Beschränkung des Lehrbuches
auf die Zwecke der Schule Halt gebieten. So behandelt H. aller-
dings manche Fälle, in denen c oder j^ oder c;^ vor dem Anlaut
bezw. unmittelbar hinter diesem ausgefallen ist, wegen des laut-
lichen Ersatzes und wegen der Nachwirkung, die sich im Metrum
ond im Falle der Augmentation zeigt; dagegen wird der Ausfall
inlautender Konsonanten nicht berührt und eine etwa darauf
bembende Erscheinung eben nur mechanisch verzeichnet. Im
folgenden Ratschläge zu noch gröfserer Abrund ung des Gebotenen
zu geben mufs ich schon deswegen unterlassen, weil eine systema-
330 ^* Holzweil'sig, Griech. Scholgr., agz. v. P. Wei fseofels.
tische Behandlung des epischen Dialektes, zumal eine erschöpfende,
nicht in den Rahmen des Unterrichts passen soll; vielmehr he-
gnuge ich mich einige Punkte aus H.s Darstellung herauszuheben,
die mir aus irgend welchem Grunde noch der Verbesserung^ be-
dürftig scheinen. Die Beispiele unter 341 c (Od. 1 16. 17) beweisen
nicht, was sie beweisen sollen, nämlich dafs vor ehemals kon-
sonantisch anlautenden Wörtern regelmäfsig lange Vokale in der
Thesis lang bleiben, da ja in beiden Versen der lange Auslaut in
der Arsis steht. — Die Accentregel zu 351, 2 ist zu weit gefafst,
da sie nicht auf xavvevaaq^ xaicxeiotneg, xadövcai u. s. w. An-
wendung findet. — Ebenso ist zu weit die Lautregel unter I. De-
klination: für ä tritt tj ein, die, Ton einigen recht geläufigen
Ausnahmen abgesehen, von denen nur d'sä angeführt ist, wohl
für den ganzen Sing, der Wörter mit ursprünglich langem a gilt,
aber nicht für den durch Ersatzdehnung lang gewordenen Acc.
Plur. — 388 unterscheidet H. von der Optativform dv^kev In-
dikativformen dviisv und sdvfAev. In Wirklichkeit kommen die
beiden letzteren Formen nicht vor; die erstere derselben müfste
aber ev. dvfisv lauten wie jene Optativform, da — natürlich von
idvy (3. Plur.) abgesehen — sämtliche nachweisbare Indikativ-
formen V haben. — 393 ist wegen aQaQvta die Abkürzung
aQijQoigj vtttj o^ unzulässig; ebenso die Zergliederung der Form
idtjdoTai in id-^d-o-^ai, in der ja o nicht Bindevokal, sondern
Ablaut des Stammes ids ist. — Die Singularformen sutav^ ima,
ovxa mit ihrem kurzen Vokal fügen sich 401 nicht der angeführten
Analogie von Satfiv, — Über die Zergliederung Tc-vXa-t-tjv s. o.
— Da Präsensformen von ärci/to sicher vorkommen, sollte 405, 6
äytoyoy nicht als Plusq. mit Übergang in die Analogie des Impf,
erklärt werden; dagegen konnte ySytovs {&ZOb. i2 703) hier seine
Stelle finden. — 409 ist in den Iterativformen ihxdatsxsj i^vi^-
(fdansTOj ovti](Sa(fx€ a irrtümlich zum Stamme des Aorists ge-
rechnet. — Dafs die Positionskürze in der Mitte eines Wortes (viog
^-) 339, die Kürze des » in den Komparativen auf icav 345, xoXoq
und Toaog 381 nicht Erwähnung findet, ist wohl nicht beabsichtigt.
Verdruckt ist 13 daifi6v(fi, 29 Hafen, 157 Vokalstämmen (für:
Verbalstämmen), 423 (AHhatsofjbsv. Endlich ist in die Klammer
zu stxTov und iTtini&fiev 404 irrtümlich auch ninocfd'S gezogen.
Die günstige Aufnahme, die H.s griechische Syntax gefunden
hat, wird nicht verfehlen den neuen Teilen seiner Grammatik
Leser zu verschaffen, ja ihnen zur Einführung zu verhelfen. Dringt
der Lehrer auf nachträgliche Einzeichnung der Quantität, wo diese
für die Aneignung des Stoffes wichtig ist, so wird damit ein
wesentlicher Mangel der Formenlehre ganz beseitigt werden ; auch
die sonstigen Mängel derselben scheinen mir nicht derartig zu
sein, dafs sie nicht durch den Lehrer paralysiert werden könnten.
ZüUichau. P. Weifsenfeis.
John Roch, Eoglisehe Lehrbücher, agz. von E. Goerlich. 331
t) Joho Koch, Rleioeres eoglisches Lesebuch, oebst forÜaafeodeD
Franken, sachlieheo nod sprachlicheo Annierkoog^eD uod eioem Wörler-
verzeichnia. Zweite, nach den neaen Lehrplänen bearbeitete Auflage.
Mit Karten von Grofsbritannien und eineoi Plan von London. Berlin
1894, Emil Goldschmidt. U o. 146 S. geb. 1,75 M.
2) John Roch, Die wichtigsten syntaktischen Regeln der eng-
lischen Sprache nebst ÜboogsstUcken. Berlin 1894, Emil Gold-
schmidt hart. 0,50 M.
Es giebt wohl kaum ein zweites Unterrichtswerk, das auf
einer so breiten Grundlage aafgebaut ist, wie das Fölsing-
Kochsche. An das Elementarbuch schlielüsen sich zwei Hittel-
stnfen: eine grofse, die ein englisches Lesebuch, eine kurzge-
faÜBte Grammatik und ein Wörterverzeichnis zum Lesebuch um-
Cafst, — und eine verkürzte, die ihrerseits in zwei Jahreskurse
zerfällt, Ton denen jeder ein besonderes Lesebuch und eine be-
sondere Grammatik in sich begreift. Als Fortsetzung der Mittel-
stufe ist dann die wissenschaftliche Grammatik anzusehen. Mir
will der Gebrauch von drei bezw. vier Grammatiken im Laufe
des englischen Unterrichts sehr bedenklich erscheinen. Der Schöler
mafs eine Grammatik haben, in der er sich sozusagen heimisch
fühlen lemty die ihm einen vollständigen Oberblick ober die
Formenlehre und Syntax der englischen Sprache bietet, die einer-
seits also den in der Klasse systematisch behandelten LehrstolT
enthalt, andererseits aber ihm auch die Möglichkeit gewährt, sich
darin über Fragen, die ihm bei der LektQre und bei Gelegenheit
der schriftlichen Arbeiten aufstofsen, selbst Rats zu erholen.
Wenn man im Elementarbuch eine besondere Grammatik nicht
entbehrt, so mufs die sich daran anschliefsende vollständige
Grammatik dem Schüler die Orientierung dadurch erleichtern, dafs
der bereits im Elementarunterricht durchgenommene Lehrstoff sich
darin in gleicher Anordnung findet. Koch giebt nun aber aufser
dem in dem Elementarbuch enthaltenen grammatischen Lernstoff in
seiner verkürzten Hittelstufe für das zweite Unterrichtsjahr als
grammatisches Hüifsmittel „die wichtigsten syntaktischen Regeln der
oiglischen Sprache** und für das dritte Jahr „Schulgrammatik der
eogliscben Sprache** ; für die „vorgeschrittenen Schüler'* ist dann als
„Nachschlagebuch** die „Wissenschaftliche Grammatik*' bestimmt.
Die Teilung desLek türestoffes für das zweite und dritte Un-
terrichtsjahr erscheint mir berechtigter, da ja auch an den Lehr-
anstalten, welche die Lektüre ganzer Werke vorziehen, in dieser
Zeit vielfach gewechselt wird. Das „Kleinere englische
Lesebuch** enthält die Lektüre für den zweiten Jahreskursus
and bringt L The Sovereigns of England (S. 1 — 16); IL Ä fieo-
grapUeal Outline of Great Brüain and Ireland (S. 17—32), IIL
SketeKes of Englüh Life and Manners (S. 33-48), IV. Useful
EnwOedge (S. 49—60), V. Skwt Tales (S. 61— 72), VL Poems
(S. 73 — 78), aufserdem „Erklärungen und Redensarten**. (S. 79 —
92) und ein Wörterverzeichnis (93 — 146). „Der Lesestoff soll.
332 John Koch, Eog^lische Lehrbücher,
aufser der Übung im «prachlichen Ausdruck, dem Schuler Ge-
legenheit geben, sich mit den wichtigsten Einrichtungen, Ge-
bräuchen und Anschauungen der Engländer und den bedeutend-
sten Ereignissen aus ihrer Geschichte bekannt zu machen**. Der
hier gebotene Lesestoff gefällt mir nur zum Teil. Die Realien
haben im neusprachlichen Unterricht gewifs ihren grofsen Wert,
und ich halte die Forderung nach gröfserer eingehenderer Be-
rücksichtigung derselben für voll berechtigt; aber man darf doch
nicht so weit gehen, dafs man dieselben geradezu in den Vorder-
grund stellt und es als erste Aufgabe der Lektüre hinstellt, dem
Schüler vor allem genaue und umfassende Kenntnisse der Ge-
schichte, Geographie, der Sitten und Gebräuche des betreffenden
Landes zu vermitteln. Die Lektüre hat doch, aufser der Meh-
rung der sprachlichen Kenntnisse, vor allem eine erziehliche
Aufgabe: Geist und Sinn des Schülers anzuregen und zu bilden,
Begeisterung für das Hohe und Edle zu wecken. Diese Aufgabe
erfüllt der hier gebotene Lesestoff nur zum Teil. Der kurze Ab-
rifs der englischen Geschichte, mit dem das Lesebuch beginnt —
so leicht und einfach Sprache und Stil sein mögen — , wird
schwerlich das Interesse des Schülers erwecken und rege halten;
eine solche allgemeine Obersicht über die englische Geschichte hat
grofsen Wert für Schüler, die bereits mit der englischen Ge-
schichte, oder wenigstens mit einzelnen Perioden derselben be-
kannt sind. Aber auf den mit der englischen Geschichte noch
nicht vertrauten Schüler wird die gewaltige Fülle des hier auf 16
Seiten zusammengedrängten Stoffes eher verwirrend als aufklärend
wirken. Das Gleiche gilt für die geographische Beschreibung von
Grofsbritannien und Irland und für die Skizzen über das Leben
in England. Als Lesestoff für die statarische Lektüre sind die
Beschreibungen von England und Wales, des Königreichs Schott-
land und Irland zu trocken und zu wenig unterhaltend« Und
glaubt der Verf. wirklich, dafs die Schiiderungen von der brit-
tischen Kolonial- und Seemacht, von London und dessen Nah-
rungsverhältnissen, die Beschreibung des* englischen Hauses den
Schüler anziehen und zu selbständigem Arbeiten und Denken an-
regen wird? Die englische Geschichte und Jugendlitteratur ist
doch wahrlich nicht arm an spannenden und fesselnden Erzäh-
lungen und historischen Darstellungen, die den jugendlichen Geist
der Schüler entflammen und begeistern und edle Regungen in
ihnen wecken können. Die aus solcher unterhaltender und nütz-
licher Lektüre gewonnenen geschichtlichen und kulturhistorischen
Belehrungen haben auch gröfseren und dauernderen Wert als die
in dem vorliegenden Lesebuch enthaltenen trockenen Aufsätze» die
zum Teil ganz aufserhalb der Interessensphäre unserer Ober-
tertianer liegen; das gilt besonders von den Statistical Facts
(S. 20->22), den Mitical Facts (S. 22), von London and üs Food
(S. 35 — 38). Ich wiederhole es: so wertvoll und nützlich diese
aogex. voD E. Goerlich. 333
Belehi'UDgen für vorgerücktere Schüler sind, die bereits mil eng-
lischen Verhältnissen vertraut sind, so wenig geeignet scheinen
sie mir für Schüler, die im ersten Jahre nur Anekdoten und ganz
kleine Erzählungen gelesen haben. — Die unter der Überschrift
üuftd Knowledge gegebenen Gespräche über die Atmosphäre, Wol-
ken, die Sinne, über die körperliche Gesundheit scheinen mir
auch zu schwer, um mit wirklichem Nutzen im zweiten Unter-
richtsjahr zu Sprechübungen verwandt zu werden. Ganz anders
werden sich diese gestalten, wenn sie sich an die fünf Erzählungen
(S. 61 — 72) anschliefsen. Das sind Stücke, die in dem Gedanken-
kreis des Schülers liegen und so recht geeignet sind, Geist und
Sinn anzuregen und zu beleben. Es ist zu bedauern, dafs der
Vert nicht solche Lesestücke in gröfserer Zahl an den Anfang
seines Lesebuches gestellt hat. Die beigefügten sieben Gedichte
sind sehr beliebt und werden gern gelesen und gelernt. — Das
Wörterverzeichnis ist mit grofser Sorgfalt ausgearbeitet.
Die zu diesem Lesebuch gehörende Grammatik umfafst auf
21 Seiten die wichtigsten syntaktischen Regeln der englischen
Sprache, an die sich 35 deutsche Übungsstücke (S. 22 — 40) nebst
einem deutsch-englischen Wörterverzeichnis (S. 41 — 50) anschliefsen.
Hinsichtlich der Anordnung der Regeln ist es auffallend, dafs der
Verfasser so wenig den Bestimmungen der neuen Lehrpläne Rech-
nung trägt. Diese setzen ausdrücklich als grammatisches Pensum
für die Obertertia die Syntax des Verbs fest, namentlich die Lehre
von den Hilfsverben, von dem Infinitiv, Parlicipium, Gerundium,
Gebrauch der Zeiten, Konjunktiv. Dieses Kochsche Lehrbuch,
das, wie ausdrücklich augegeben wird, für das zweite Unterrichts-
jahr bestimmt ist, beginnt merkwürdiger Weise aber mit dem
Pensum der Untersekunda und behandelt dieses im Verhältnis zu
dem der HIa, das auf 4^ Seiten (allerdings mit Hinweis auf das
Elementarbuch) zusammengedrängt ist, ziemlich ausführlich. Jedes
neue Lehrbuch mufs doch in erster Linie seiner ganzen Ein-
richtung und Anlage nach den Forderungen der neuen Lehrpläne
gerecht werden, was in einem Lehrbuch, welches die Grammatik
induktiv aus dem Anschauungsmaterial eines Lesebuchs gewinnen
lassen will, doppelt notwendig erscheint. Die natürliche Folge ist,
dals der Zusammenhang zwischen Lesebuch und Grammatik durch-
turochen ist, wenigstens insofern, als die in der Grammatik beige-
fügten Belege dem Schüler aus der Lektüre noch nicht bekannt sind.
Die Fassung der Regeln ist knapp, aber präzis und leicht verständlich.
Die Übungsstücke, die sich stofflich an die Lesestücke anlehnen,
sind mit grofser Sorgfalt und grofsem Geschick ausgearbeitet; nur
TermiTst man besonders im ersten Teil die notwendige Rücksicht auf
das praktische Ziel des Unterrichts. An Lehranstalten, die dem Eng-
fischen einen nicht so breiten Raum als die Realanstaiten einräumen
ktiooen, dürfte diese Grammatik eine passende Verwendung finden.
Dortmund. Ewald Goerlich.
334 P* VVessel, Lehrb. d. Geschichte f. d. Prima höh. Lehraost.,
P. Wessel, Lehrbach der Geschichte für die Prima höherer
Lehranstalten. 2. Teil: Die Neuzeit Gotha 1892, Friedrich
Andreas Perthes. 190 and XXVII S. 2,40 M.
Der erste im Jahre 1889 erschienene Teil dieses Lehrbuches
ist bereits in dieser Zeitschrift 1890 S. 561 einer kurzen Be-
sprechung unterzogen worden. Das dort ausgesprochene Lob
grundlicher Ausarbeitung und genauer Darstellung kann auch dem
vorlegenden zweiten Teile uneingeschränkt gezollt werden. Ja,
das Buch verdient sogar eine eingehendere Würdigung, weil der
Verf. in so vielfacher Beziehung seine eigenen Wege geht und
dadurch seinem Werke unter der Hochflut der zahllos erscheinen-
den Lehrbucher der Geschichte ein originales Gepräge und eigen-
artige Stellung gesichert hat. Dafs ein solches Buch, selbst wenn
es das Ergebnis langjähriger Praxis ist, nicht auf den ersten Wurf
sogleich frei von allen Mängeln sein kann, liegt auf der Hand,
thut auch dem Wert des Buches als solchen wenig Eintrag. Der
Verf. hat diesem IL Teile ein noch ausführlicheres Vorwort voraus-
geschickt, als dem ersten, und wir werden nicht umhin können,
die in demselben ausgesprochenen Grundsätze zu prüfen, wenn
anders wir dem Buche wirklich gerecht werden wollen.
Den gröfsten Wert legt der Verf. darauf, dafs „der Schuler
eine Übersicht des Ganzen gewinnen und den Zusammen-
hang der einzelnen Perioden erfassen lerne^S und er
glaubt von seinem Buche sagen zu dürfen, dafs in ihm „der Stoff
klarer geordnet und die innere Entwicklung deutlicher hervor-
gehoben sei als in den meisten andren Lehrbüchern". Der hier
vorangestellte Grundsatz mufs durchaus gebilligt werden und ist
auch vom Ref. in wiederholten Besprechungen eifrig verfochten
worden. Denn so lange die Geschichte lediglich als Memorierstoff
behandelt wird, kann sie, zumal in der obersten Klasse einer
höheren Lehranstalt, nicht das leisten, was sie soll, nämlich er-
zieherisch nicht blofs auf den Verstand, sondern auch auf Herz
und Gemüt einwirken. Auch ist es dem Verf. wohl gelungen,
diesen Grundsatz durchweg in ansprechender Weise zur Durch-
fuhrung zu bringen. Von ihm ausgehend ist der Verf. auch zu
einer anderen Perioden-Einteilung gelangt, die vom all-
gemein historischen Standpunkte aus vielleicht einigen Bedenken
unterliegen mag, pädagogisch betrachtet aber zweifellos hohe Vor-
züge bietet. Ausgehend von der Erwägung, dafs am Ende des
Mittelalters^) „der herangereifte germanische Geist kraft der ihm
') Der Verf. zieht die Zeit bis zum Aagsburger ReligioDsfrieden mit
zar mittleren Geschichte heran, weil die Reformation in Deatschland mit
znm Auflösangsprozers des weltbeherrscheoden Papsttums gehöre und daa
Wesen der neueren Geschichte auf dem selbständigen Nebeneinanderbesteheji
der verschiedenen Nationen beruhe, welches erst durch das Scheitern der
Pläne Karls V. gesichert sei, — eine Neuerung, die schon in der erwähnten
Besprechung des 1. Teiles beanstandet ist und über die wir hier deshalb mit
dem Verf. nicht rechten wollen.
«Dgas. voD Ferd. Ohly. 335
ionewohnenden Freiheitsidee die universalen Formen in der Re-
formation durchbricht", stellt er in der ersten Periode die Heraus-
bildung katholischer und protestantischer Staaten, in der zweiten
die Bedeutung der protestantischen preufsischen Grofsmacht unter
den GroEsstaaten Europas, in der dritten die Entstehung des
neuen Deutschen Reiches in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung
dar. Und es ist wohl ohne weiteres zuzugeben, dafs, nachdem
die neuen Lehrpläne für die Geschichte der aufserdeutschen Länder
ausdrücklich die Beschränkung auf Ereignisse von weltgeschicht-
licher Bedeutung fordern und dementsprechend der Verf. „das
Ausland nur so weit herangezogen hat, als es zur allgemeinen
und zur deutschen Entwicklung beiträgt**, gerade durch diese
Anordnung^) ein Aufbau erzielt wird, der auf breitem Fundament
ruhend und harmonisch sich verjüngend durch seine durchsichtige
Konstruktion vorzüglich geeignet ist, dem Schuler den Zusammen-
hang der Ursachen und Wirkungen zu erschliefsen, „das Verständ-
nis für die Gegenwart und insbesondere für die Stellung unseres
Vaterlandes in derselben mehr als bisher vorzubereiten**^). Dem-
selben Zweck aber dienen auch die Überschriften der einzelnen
Abschnitte, in denen der Verf., ebenso wie im Mittelalter, dem
Schüler „überall feste Ziele, gleichsam Themata gegeben, deren
Lösung versucht wird**. Gewifs werden diese Überschriften, zumal
wenn ein tüchtiger Lehrer in seinem mündlichen Vortrag immer
wieder auf sie als Themata hinzuweisen versteht, anregend und
belebend wirken, und mit Recht polemisiert der Verf. gegen die
Lehrbücher, die mit Fassungen wie „Deutschland nach dem
dreiDBigjährigen Kriege*^ oder „Europa nach dem Frieden zu
Utrecht** gar keinen Gedanken enthalten. Und mit den Über-
sdlriften allein hat sich der Verf. nicht begnügt, sondern denselben
jedesmal einen orientierenden Überblick folgen lassen. Diese Über-
blicke sind meist recht gut, stellenweise aber doch im Ausdruck
für den Scholerstandpunkt etwas zu hoch gehalten. Denn wenn
z. B. S. 34 von Preufsen gesagt wird, da& „der junge Militärstaat
sein Augenmerk nicht auf universale, sondern auf nationale Entwick-
lung, nicht auf Unterdrückung der Individuen, sondern auf Rechts-
sicherheit und Gewissensfreiheit richtete**, oder dafs Ludwig XIV.
^infolge der Lehre königlicher Allgewalt und unter jesuitischem
EinfluCs den fürstlichen Despotismus ausbildete, der keine rechtliche
und sittliche Schranke mehr kannte**, so ist das ja zweifellos
durchaus richtig, ob es aber dem Schüler, auch dem der obersten
^ Die herkömmliche, z. B. von Herbst eingehalteoe Anordnang, nach
««Icker das Zeitalter des Absolatiimus als 2. Periode der Neuzeit gilt, ver-
wirft der Verf.^ weil die inoereo Staatsformen ihm nicht geeignet erscheinen,
der Bildoog der Haaptperioden zo Grunde gelegt zu werden, und er weist
■it Recht daraof hin , dafs eben im Zeitalter des Absolutismus auch die
parlaneotarisehe Monarchie zur vollen Ausbildung gelangt.
^) Kaiserliche Kabinettsordre vom 13. Febr. 1890.
336 ^- Wessel, Lehrb. d. Geschichte f. d. Prima höh. Lehrcnst,
Klasse, verständlich ist und der Verf. nicht vielmehr Gefahr läuft,
die Neigung zum politischen Raisonnement und zum Doktrinarismus
in den Schülern grofs zu ziehen, ist eine andere Frage. Oder er-
innert es nicht vielmehr an den Ton eines KoUegienheftes als an den
eines Lehrbuches, wenn wir S. 37 lesen, dafs „gegen die Kasuistik
der jesuitischen Moral in der katholischen Kirche ein ernsterer Geist
sich regte'S dafs Joseph 11. (S. 63) „den von feudalen und hierarchi-
schen Ideen beherrsch len Staat vollständigumzubilden gesucht'* habe?
Bezüglich der Beschränkung des Stoffes bemerkt der
Verf. im Vorwort, dafs er die Kriege, die ohne klaren Verlauf und
grofse Entscheidungen sind, auf das geringste Haus herabgesetzt
habe. Doch gilt auch für das vorliegende Buch das im Vorwort
zum I. Teil Gesagte, dafs vermieden seien alle eingehenden Schil-
derungen und Charakteristiken, durch die der l^ehrer dem Stoffe
Farbe und Leben gebe, dafs das herausgehoben sei, was für das
Verständnis der Zukunft notwendig, und möglichst weggelassen,
was für das geschichtliche Verständnis entbehrlich ist, weil viel
zu sehr die meisten Lehrbücher die Freude am „einzelnen Leben'*
hätten. Der Beschränkung der Kriege wird wohl kaum ein ein-
sichtiger Beurteiler seine Billigung versagen, dagegen bat es mit
der Polemik gegen die Freude am einzelnen Leben doch so seine
eigene Bewandtnis. Auch wir wollen eingehenden Schilderungen
und Charakteristiken wahrlich nicht das Wort reden, aber von
den Einzelheiten ist doch gar vieles zu wichtig, als dafs es in
einem Lehrbuch für Prima hätte übergangen werden dürfen. Vor
allem vermissen wir in dem Buche biographische Notizen
selbst der bedeutendsten deutschen Staatsmänner und Feldherren.
Einem Manne wie Bismarck sind ganze 11 Zeilen in einer An-
merkung (!) gewidmet, von einem Moltke wird wirklich noch auf
der allerletzten Seite des Buches, wiederum in einer Anmerkung,
Geburts- und Todestag angegeben! Von Scharnhorst, der S. 119
als Vater des Gedankens der allgemeinen Wehrpflicht gar nicht
zur Geltung kommt, erfahren wir nichts, selbst seine Verwundung
und sein Tod finden nur in einer Anmerkung Platz, von Stein giebt
der Verf. nur die Stammburg des Geschlechtes an, von Blücher,
Gneisenau, dem eisernen York u. a. rein gar nichts! Aber
auch sonst fehlt manches, was dem Beferenten unentbehrlich
dünkt. Die Finanznot, die doch den äufseren Anlafs zum Aus-
bruch der französischen Bevolution bildet, und die verfehlten
Mafsnahmen, ihr abzuhelfen, die Thätigkeit Neckers u. s. w. hätten
S. 97 wenigstens in aller Kürze geschildert werden müssen, wenn
anders der Primaner die folgende Entwicklung verstehen solL
S. 104 fragen wir vergebens darnach, in welcher trostlosen Lage
die französische Armee in Italien bei der Übernahme des Kom-
mandos durch Napoleon^) sich befunden habe. S. 107 hören wir
') Auch NapoIeoDs private Notlage vor der Übertragung dieses Ober-
befehls fehlt, wie überhaupt Genaueres über sein Leben.
angez. vod Perd. 0hl y. 337
nichts Yon Saworows meisterhaftem Ruckzug und den Kämpfen
JD der Schweiz, deren Schilderung doch erst verständlich macht,
in welcher Notlage Prankreich damals war, wie das Wiederein-
greifen Napoleons ihm Luft macht. Wie stimmt das alles zu dem
Vorsatz des Verf.s, die bedeutenderen Kriege ausführlich behandeln
zu wollen? Jena und Auerstädt, die Niederwerfung Preufsens und
weiterhin die Befreiungskriege sind allzu kurz dargestellt, woför
Ref. hier nur die Erklärung weifs, dafs der Verf. geglaubt hat«
80 manches als bekannt voraussetzen zu dürfen, ein Grundsatz,
der mehr als bedenklich erscheint, denn dadurch wird die Be-
deutung dieser Ereignisse in den Augen der Schüler höchstens
geschmälert^), und mit dem Zurückgreifen auf früher erworbene
Kenntnisse hat es erfahrungsmäfsig immer einen Haken. Warum
wird dem Schüler der ruhmvolle Anteil der Preufsen unter L'Estocq
an der Schlacht bei Eylau, warum das ergreifende Schicksal des
llerzogs von Braunschweig vorenthalten? Was aus Kurhessen und
seinem Herrscher wird, mufs der Schüler erst aus dem Folgenden
erraten, ebenso wie er die Bedeutung der „neuen Länderverluste*'
für Österreich 1809 unmöglich würdigen kann, wenn nicht her-
vorgehoben wird, dafs Napoleon es geflissentlich vom Meere ab-
drängt. Desgleichen kann die Bedeutung der schlesischen Armee,
als des treibenden Elements im Befreiungskriege, aus der vor-
liegenden Darstellung unmöglich erkannt werden. In der neuesten
Geschichte wird u. a. der Anteil Mac Hahons an dem Siege von
Magenta gar nicht erwähnt, während doch der Herzog von Magenta
dem Schüler nicht unbekannt bleiben dürfte, zumal in unseren
Tagen. Die Behandlung der Luxemburger Frage S. 164 ist zu
dürftig, da nicht einmal die Räumung der Stadt durch Preufsen
und ihre Aufgabe als Bundesfestung erwähnt wird, und wenn bei
dieser Gelegenheit richtig von dem Gefühl der Schwäche gesprochen
wird, das Frankreich hatte, weil es noch keine Hinterlader be-
sessen habe, so ist es doch unumgänglich notwendig, weiterhin
von der Einfuhrung der Chassepots und Mitrailleusen und der
französischen Armeereorganisation (1867 — 69) zu reden. Wenn
ToUends nach der Forderung der neuen Lehrpläne in Prima die
innereii Verhältnisse vor den äufseren in den Vordergrund treten
sollen: wie kann man dann die Abdankung Ferdinands I. von
Österreich S. 153 nur in einer Anmerkung berühren, wie den
Strafsenkampf in Berlin von 1848 S. 140 gar nur in 1^ Zeilen
abmachen, und ohne die Flucht des Prinzen Wilhelm zu er-
wähnen!
Hat so der Verf. hier in der Beschränkung des Guten ent-
schieden zu viel gethan, so hätte er dagegen an anderen Stellen
getrost noch mehr streichen sollen. Denn manches ist nicht nur
') Wird doch selbst die heldenmötige Verteidigung Colbergs darch
Gaexsenan, Nettelbeck, Schiü in eine Anmerkaog verwieseo. Vgl. darüber
■■fea.
ZntaektUk t d. GjmnMUlwraen XLVIII. 6. 22
338 ^' Wessel, Lebrb. d. GeschicJite f. d. Prima höh. Lehranst.,
entbehrlich, sondern sogar überflüssig. Die Nachrichten über das
Leben Zwingiis, Calvins, Loyolas^) und zumal die eingehende
Darstellung ihrer Lehren gehören in dieser Ausführlichkeit*) in
ein Lehrbuch der Kirchengeschichte. Und fast noch mehr gilt
das von den dogmatischen Streitigkeiten im Protestantismus S. 21,
wo sogar dem Cryptocalvinismus und dessen Bekämpfung durch
das strenge Luthertum fast | Seite (Text) gewidmet wird. Ist es
nötig S. 9 die Steuerpläne Herzog Albas so eingehend zu be-
leuchten, dafs in einer zugefügten Anmerkung sogar der Prozent-
satz der einmaligen (1 % aller Vermögenswerte) wie der dauernden
(5^ bei Verkauf von Grundeigentum, 10^ bei Verkauf jeder Ware)
namhaft gemacht wird? Die fettgedruckte Jahreszahl 1587 als
Todesjahr der Maria Stuart — sogar das Datum ist im Text an-
gegeben — würde Ref. dem Schüler unbedenklich erlassen,
ebenso den Reichstag der Schweden zu Westeras 1527 (gleichfalls
fettgedruckt), desgleichen die Stiftung des Schwanenordens unter
Friedrich IL (S. 69). Auch die doch ohne Folgen gebliebene
Schlacht bei Allerheim (S. 31) scheint entbehrlich, noch mehr
aber Sachen wie z. ß. die Stiftung der Freimaurerlogen, denen
S. 91 ganze 5 Zeilen Text mit Angabe der nicht einmal einge-
klammerten Jahreszahl 1717 und dazu noch eine Anmerkung ge-
widmet werden. Geschichten wie das ärgerniserregende Verhältnis
Ludwigs L von Bayern zu der spanischen Tänzerin Lola Montez
S. 140 möchte Ref. schon aus pädagogischen Rücksichten aus
einem Schulbucbe verbannt sehen. Militärische Kenntnisse scheint
der Verf. unsei*en Schulern sehr wenig zuzutrauen. Hält er es
doch S. 118 für nötig, die Einteilung eines preufsischen Armee-
korps aufs genaueste darzuthun, ja in einer Anmerkung sämtliche
Chargen vom Regiments- Obersten aufwärts und abwärts mit An^
gäbe des von ihnen kommandierten Truppenteils einzeln namhaft
zu machen. Über andere Beschränkungen, die dem Ref. dringend
wünschenswert erscheinen, wird weiter unten bei der Betrachtung
von Wissenschaft und Kunst, Verwaltung und wirtschaftlichem
Leben zu handeln sein.
Vielfach aber ist die Beschränkung in der Auswahl des Stoffes,
die sich der Verf. auferlegt, eine nur scheinbare, da eine Fülle
von Notizen in geradezu zahllosen Anmerkungen niedergelegt ist.
In welchem Umfange dieses Verlegenheitsmittel der Anmerkung
^) Merkwiirdijf wirkt der Gegensatz zwischen den zahlreiclien Mo*
graphischen Notizen bei dieseo Männern und dem fast gänzlichen Fehlen
derselben bei nosern grofsen Staatsmännern und Generalen.
*) Das Gleiche gilt in mancher Beziehung von der „£ntwicklnn{^
des Ultramou tanismus im 19. Jahrhundert'^; werden doch dem Streit
mit dem Erzbischof Droste-Vischering von Cöln 10 Zeilen Text (S. 155) ge-
widmet« die Entwicklang des Kultus des heiligen Herzens Jesu, das Dogma
von der unbefleckten Empfängnis der Jungfrau Maria (mit Angabe der Jahres*
zahl!), die Encyclica von lb64, ja selbst die ephemere Berühmtheit der MariM
von Lourdes in den Kreis der Betrachtung hineingezogen.
aogez. voD Ferd. Ohly. 339
hier angewandt ist, wird ain klarsten aus der Thatsacbe erkannt,
dafs von den 190 Textseiten des Buches sage und schreibe 15
ohne Anmerkungen geblieben sind! Sechs Anmerkungen, ja sieben
auf einer Seite sind keine Seltenheit, S. 138 finden wir sogar
deren acht, pnd zuweilen ist, wie S. 148, die halbe Seite mit
kleingedruckten Anmerkungen bedeckt. So hat sich der Verf. mit
seiner Beschränkung des Stoffes selbst hinters Licht gefuhrt, denn
was er aus dem Text» seinen strengen Grundsätzen folgend, aus-
geschieden, das kommt durch das Hinterpförtchen der Anmerkungen
doch wieder ins Büchlein hinein. Und dabei ergiebt sich dann
Doch der grolse Übelstand, dafs so manche Notizen in den An-
merkangen sich finden, denen zweifelsohne eine Stelle im Text
selbst gebührt, z. B. der Sieg bei Peterwardein und die Eroberung
Ton Belgrad S. 61 (schon durch den Druck hervorgehoben, also
doch zu lernen I), Derfflinger und Frhc. von Sparr als Schöpfer
der brandenburgischen Reiterei und Artillerie S. 73, die Anlegung
des Friedrich - Wilhelmskanals ^) und die Regelung des Postwesens
durch den Grolsen Kurfürsten S. 74, die Reform der preufsischen
Infanterie durch Leopold von Dessau S. 76, der rühmliche Wider-
stand der schlesischen Festungen, der Städte Graudenz (Courbiere),
Danzig und Colberg S. 112, die Bildung von Freikorps, besonders
des Lützowscben') S. 119, der sonst gar nicht erwähnte helden-
mütige Freiheitssänger Theodor Körner und sein Heldentod bei
Gadebnsch S. 120. Wenn der Schüler solche erhebenden Züge
und Gestalten in den Winkel gedrängt sieht, so mufs er ja bei-
nahe irre werden an dem, was auf einer früheren Stufe ihm
vielleicht Rühmenswertes darüber vorgetragen ist, wenn anders
es noch in seinem Gedächtnis haftet. Und wozu auf der Ober-
stufe auf dieses köstliche Mittel zur Erregung und Belebung eines
wahrhaft patriotischen Sinnes Verzicht leisten? Oder soll das ganz
und gar dem mündlichen Vortrag des Lehrers überlassen werden?
Aber den mufs doch das Lehrbuch sinngemäfs unterstützen! An*
merkungen werden dem Schüler mit Recht meist als ein über-
flüssiges Beiwerk erscheinen, das dem Gedächtnis nicht eingeprägt
zu werden braucht. Und doch sind hier die Anmerkungen zu-
weilen zum Verständnis des Folgenden unbedingt notwendig. Dafs
der Schüler Schweden und nachher auch Bayern 1813 auf Seiten
^) Aach die An]ag^e des Planenschen, Fioow- und Bromberger Kanals
4areh Friedr. d. Gr. g^ehSrt io den Text.
*) Vielleicht kat der Verf. diese ÄDordaung in der Absiebt getrofTeo,
eise richtige Wertschätzung der früher häafig weit Uberschätztea kriegerischen
Leiataagen der Lötzower in den Augen der Schüler za gewinnen. Auch wir
sind weit entfernt, denselben allza grofse Wichtigkeit beiznlegeo; allein der
hcMennlitige Sinn and der anfopferougsfrendige Patriotismus dieser edelsten
Jiaglinge der deutschen Nation ist an und für sich schon rühmenswert genug
vad von unberechenbarer Bedeutung für die Weci^ung patriotischen Sinnes,
zumal im anfserprenfsischen Deutschland, gewesen. Aufgabe eines Schul-
buches kann es deshalb nimmermehr sein, ihre Leistungen kritisch zu
beleuchten.
22*
340 P. Wessel, Lehrb. d. Geschichte f. d. Prima höh. Lehranst.,
der Verbündeten, Dänemark dagegen auf Seiten Napoleons Gndet,
kann er sich nur aus den Anmerkungen S. 120 und 121 erklären.
Ereignisse wie der Aufstand in Braunschweig und die Verjagung
des Herzogs Karl S. 131, die Erhebung Hannovers zum selbstän-
digen Königreich und der frivole Verfassungsbruch Ernst Augusts
S. 139, die Niederwerfung des badischen Aufstandes durch preu-
fsische Truppen unter dem Prinzen Wilhelm von Preufsen S. 141,
der Gasteiner Vertrag und sein Bruch, dem S. 160 eine Anmerkung
von 8 Zeilen gewidmet wird, ja selbst der Helgoland -Vertrag v. J.
1890 sind Dinge, die entweder ihrer Zeit von so hervorragend
symptomatischer Bedeutung waren oder in ihren Folgen so sehr
in die Gegenwart hineinreichen, dafs sie als wichtige Glieder der
Entwicklung der deutschen Verhältnisse in den Text, wenn auch
vielleicht nicht in der Ausführlichkeit der Anmerkungen, einzu-
reihen sind. Und wenn wir auch möglichste Beschränkung in der
aufserdeutschen Geschichte durchaus biUigen, so können wir doch
unsere Verwunderung nicht unterdrucken, in der englischen Ge-
schichte ein solches Grundgesetz wie die Habeascorpusacte (S. 48),
in der österreichischen die Neuordnung von 1867 (S.187, 8 Zeilen!),
in der russischen die Aufhebung der Leibeigenschaft, die Ermor-
dung Alexanders H. und die Ausbildung des Nihilismus (S. 188
15 Zeilen) lediglich in Anmerkungen erwähnt zu finden.
Mit diesem Anmerkungsunwesen hängt zusammen eine auf-
fallende Ungleich mäfsigkeit in der Behandlung ziemlich gleich-
wertiger Nachrichten. S. 2 steht Zwingiis Leben im Text, S. 3
Calvins Leben in der Anmerkung, S. 12 die holländische Haler-
schule im Text, die brabantisch-flandrische (mit Rubens und van
Dyk!) in der Anmerkung, S. 35 die Unterwerfung von La Rochelle,
der letzten Burg der Hugenotten, in einer Anmerkung, S. 37 die
Aufhebung und Zerstörung der Abtei Port-Royal, des Mittelpunktes
des Jansenismus, (mit Angabe zweier Jahreszahlen!) im Text,
S. 128 die Griechenheder Möllers und Lord Byrons Gedichte, seine
Teilnahme am hellenischen Freiheitskampfe und sein Tod im Text,
Theodor Körners Kriegslieder und Heldentod, Röckerts „Geharnischte
Sonette^* in einer Anmerkung, S. 133 die Abdankung Ferdinands 1.
von Österreich in einer Anmerkung, die Karl Alberts von Sardinien
im Text. Eine ebenso merkwürdige Ungleichmäfsigkeit ist es,
wenn die verunglückte mexikanische Expedition Napoleons, bei
der ein kurzer Hinweis genügt hätte, denselben Raum im Text
einnimmt, wie der dänische Krieg von 1864. Soll der Schüler
etwa beiden Unternehmungen gleiche Bedeutung beimessen?
Ganz erheblich einschränken würde Ref. die unendlich zahl-
reichen geographischen Notizen, durch welche die Lage fast
jeder, auch noch so bekannten Stadt näher bestimmt wird. Verf.
mufs mit den geographischen Kenntnissen seiner Primaner sehr,
sehr traurige Erfahrungen gemacht haben, wie er denn auch im
Vorwort zum L Teile seines Buches oiTen den Grundsatz aus-
angez. vod Ferd. Ohly. 34}
spricht, da£s der Lehrer in der Prima in der Geographie nichts
toraussetzen, auch Fluls und Gebirge erst wieder anschaulich
machen müsse. Zugegeben, dafs es mit dem Wissen der Primaner
auf diesem Gebiete, wie die Entlassungsprüfungen oft genug zum
Entsetzen aller Anwesenden darthun, übel genug bestellt ist: der
hier eingeschlagene Weg ist aber wahrlich nicht der richtige, eine
gesunde Besserung herbeizufuhren, er spricht richtigen pädagogi-
schen Grundsätzen geradezu Hohn, stellt dem Lehrer wie dem
Schuler das denkbar schlechteste Zeugnis aus und befördert in
unverantwortlicher Weise Gedankenlosigkeit und Bequemlichkeit.
Oder was sollen wir dazu sagen, wenn der Verf. es für nötig hält,
die Lage Ton Genf, Pamplona, Nantes, Spandau (!), Mannheim
(zweimal S. 39 und 126 in demselben Buche!), Küstrin, Göltingen,
ja selbst der Burg Hohenzollern noch genau zu bestimmen? Sollte
nicht vielmehr der Lehrer es für seine heilige Aufgabe halten,
einen faulen Schuler, der solche Sachen nicht einmal weifs, mit
unnachsichtlicher Strenge dazu zu zwingen, selbst sich zu infor-
mieren und so die selbstverschuldeten, unverantwortlichen Lücken
seines Wissens sobald als möglich auszufüllen? Andere geogra*
phische Angaben des Buches muten uns mit Rücksicht auf den
Grundsatz des Verfassers, nichts als bekannt vorauszusetzen, recht
merkwürdig an. Wenn z. B. Donauwörth als am Einflufs der
Wömitz in die Donau (S. 23), Rastatt als an der unteren Murg
(S. 41), Narwa als an der unteren Narowa (S. 57), Soor als süd-
westlich von Trautenau an der Aupa liegend (S. 83) bezeichnet
werden, so wird der bequeme Primaner zweifelsohne schmerzlich
ausrufen: ja, wo liegen denn Wömitz, Murg, Narowa und Aupa?
Er wird die Bestimmungen geduldig lernen, vielleicht auch nicht,
jedenfalls aber um die Lage dieser Flufschen keine graue Haare
sich wachsen lassen. Ref. möchte vielmehr dem Verf. dringend
raten, *die Schüler mit aller Strenge zur eifrigen Benutzung des
heoer ja fast überall eingeführten historischen Atlas anzuhalten
und sie dann jeden Ort von Bedeutung selbst bestimmen zu lassen.
Aas diesem Grunde hält Ref. auch die dem Texte eingefügten
K arten bild er für gänzlich überflüssig.
Hit auDserordentlicher Gründlichkeit und tüchtiger Sachkennt-
nis hat der Verf. sich bemüht, auch das Wichtigste aus der Ge-
schichte der Verfassung und Verwaltung der einzelnen Staaten
in seine Darstellung zu verweben, und mit Recht rühmt er sich,
zum ersten Male in einem Lehrbuch den Versuch gemacht zu
haben, speziell für Preufsen „die innere staatliche Entwicklung
im Zusammenhange darzulegen, an dem preufsischen Beispiel die
allmähliche Entwicklung von dem Lehnsstaat zum modernen Ein-
heitsstaat zu verfolgen". Die Darstellung ist in den meisten
Partieen klar und gut, doch läuft der Verf. stellenweise auch
Gefahr, durch allzu liebevolles Eingehen auf Einzelheiten dem
Verständnis des Schälers zu viel zuzumuten. So ist der „Grün-
342 ^* Wessel, Lehrb. d. Geschichte f. d. Prima höh. Lehranst,
dung der prenfsischen VerwaltUDg*' durch Friedrich Wilhelm I. ein
Abschnitt von mehr als einer Seite gewidmet, die Schöpfung der
Lokal' (Steuerrat und Landrat), Provinzial- (Kriegs- und Domänen-
kammern) und Zentral -Verwaltung (General-Direktorium) wird ein-
gehend besprochen, und es ist dem Ref. doch mehr als zweifel-
haft, ob diese Organisation, von welcher nur noch der Landrat
in die Gegenwart hineinreicht, dem Schuler wirklich ein lebendiger,
mit vollem Verständnis erfafster Besitz wird, ob er mit diesen
Einrichtungen, bezw. ihren heutzutage zum Teil in ganz anderem
Sinne gebrauchten Benennungen wirklich die richtigen Begriffe
verbindet, oder ob sie nicht vielmehr eine unnötige Belastung des
Gedächtnisses darstellen. Denn ganz gewifs gilt doch hier der
Grundsatz, dafs die Schilderung vergangener Verhältnisse vor allem
dazu dienen soll, ein Verständnis für die in der Gegenwart voll-
endete Entwicklung anzubahnen, und ob das durch diese Dar-
stellung erreicht wird, ist mindestens fraglich. Ebensowenig will
es dem Ref. einleuchten, dafs bei der Neuordnung des Gerichts-
wesens durch Friedrich d. Gr. dem Schuler die Kompetenz der
Untergerichte (Gerichte erster Instanz) und staatlichen Appellations-
gerichte (Gerichte zweiter Instanz) zu wissen nötig sei. Wir
sollten zufrieden sein, wenn der Schüler Ober die heutige Organi-
sation des Gerichtswesens Aufschlufs geben kann, wozu der Verf.
S. 176 eine recht gute Anleitung giebt, wie denn überhaupt
die Verfassung und Verwaltung des neuen Deutschen Reiches,
sowie die Durchführung der Selbstverwaltung in Preufsen S. 176
bis 183 ausführlich und sehr ansprechend dargestellt und da-
mit der Forderung, dafs der ins Leben eintretende Schüler
auch über diese bisher leider so sehr vernachlässigten , kaum
als Unterrichtszweig geltenden und doch so unendlich wich-
tigen Verhältnisse (Bürger- und Gesetzeskunde) belehrt werde,
Genüge geleistet ist. Zu bedauern ist fjreilich hier, dafs
der Verf. die gerade diesem Abschnitt so besonders zahlreich
zugefügten Anmerkungen nicht fast sämtlich in den Text aufge-
nommen hat.
Auch die bedeutenderen Wandlungen im wirtschaftlichen
Leben hat der Verf. fast überall gebührend berücksichtigt. Sämt-
liche Erfindungen, die in unserem Jahrhundert eine so unge-
heure Umwälzung des gesamten gesellschaftlichen Lebens und
einen bis dahin in der Geschichte unerhörten Aufschwung in
Handel und Verkehr hervorgerufen haben, sind knapp und
doch in durchaus genügender Ausführlichkeit berührt, von der
Wattschen Dampfmaschine^) bis zur Einführung der landwirt-
') Wooderbar ist es, dafs der Verf. hier S. 172 derselben die ihr zo-
kommende Stelle im Text gewährt, wahrend er sie S. 51 bei der Eatwicklaog
Englands zum ersten indastriellen Staat Europas, ebenso wie die so überaas
wichtige Erfindung des Maschinenwebstahls, in eine Anmerkiing
verweist.
angez. von Ferd. Ohly. 343
schafllichen Maschinen und der Entdeckung des Rübenzuckers,
ton der Telegraphie (Gaufs, Weber, Morse, Wbeatstone) bis zum
£disonschen Phonographen, dem Bellschen Telephon und den
Siemensschen dynamo- elektrischen Maschinen. Und in sehr
glücklicher Weise ist an diese Umwälzung die Entstehung der
sozialen Frage angeschlossen, deren Auftauchen aus den Ver-
hältnissen erklärt und mit sicherem Takt so verständig beleuchtet
wird, dafs dem Schüler diese in unseren Tagen so unendlich
wichtige Frage kein Buch mit sieben Siegeln bleibt. Einiges, wie
z. B. das Proudhonsche Wort: la propri^te c'est le vol, die For-
deniDgen eines Louis Blanc und „den Satz des Engländers Ricardo,
dafo der Preis der Arbeitskraft (der Lohn) bestimmt werde durch
die zur Erhaltung des Arbeiters nötigen Lebensmittel'*, hält Ref.
freilich für entbehrlich und würde statt dessen lieber in An-
knüpfung an die Begründung der sozialdemokratischen Partei
(1863) durch Lassalle und Karl Marx das Eintreten sozialdemo-
kratischer Abgeordneten in den Deutschen Reichstag erwähnt
sehen. Denn dann könnte der Verf. an seine durchaus richtige
Kritik der sozialdemokratischen Lehren oder an seine ebenfalls
gute Darstellung der sozialen Gesetzgebung S. 184 den Vor-
wurf anknüpfen, dafs unsere sozialdemokratische Partei, wenn es
sich um Heilung der thatsächlich vorhandenen wirtschaftlichen
and gesellschaftlichen Schäden von Reichs wegen gehandelt hat,
last noch stets ihre thätige Mitwirkung versagt und nur im Säen
von Dnrafriedenheit und öder Negierung aller positiven Besserongs-
vorschläge ihre Aufgabe gesucht hat. — Im Zweifel kann man
darüber sein, ob es sich empfiehlt, die Anschauungen und Systeme
der neueren Volkswirtschaftslehre in ein Schulbuch auf-
zunehmen. Stellt man sich aber einmal auf den Standpunkt
des Verf.s, der dies für wünschenswert hält, dann gehören
AosfobruDgen z. B. über die im Gegensatz zum Merkantil-
sjstem^) infolge des Aufschwungs von Handel und Gewerbe
sich ausbildende, „durch Adam Smith in seinem 1776 erschiene-
nen weltberühmten Buche über die Ursachen des Nationalreich-
tums zum Siege gebrachte" neue Volkswirtschaftslehre (S. 51,
11 Zeilen) und über die durch Wilhelm Röscher^) begründete
deatsefae historische Schule (S. 148, 12| Zeilen) um so mehr
in den Text, nicht in eine Anmerkung, als u. a. S. 184 im Text
darauf Bezog genommen, die Bekanntschaft mit denselben also
gefordert wird.
Besondere Beachtung verdienen auch die vom Verf. am Schlufs
der einzelnen Abschnitte eingefügten Auseinandersetzungen über
die Fortschritte in Wissenschaft und Kunst, wie ja überhaupt
m tut allen neuerdings erschienenen Lehrbüchern diesem bisher
>) D»B MerkantlUystem selbst und der Name Roschers finden sich
merkwürdiger Weise im Text.
344 P- Wessel, Lehrb. d. Geschichte f. d. Prima höh. Lehraast.,
SO stiefmütterlich behandelten Zweige der Kulturgeschichte die
Beachtung zu teil geworden ist, die ihm gebührt. Ja, man kann
die Bemerkung nicht unterdrucken, dafs die Beaktion gegen diese
frühere Vernachlässigung bei den meisten Verfassern ein Obergehen
ins andere Extrem gezeitigt hat. Denn gesundes Mafs halten
ist hier mehr als irgendwo geboten und zu betonen, dafs es
unmöglich Aufgabe eines Schulbuches sein kann, gerade auf
diesem Gebiete etwa eine Fülle von Namen und Cinzelkenntnissen
zu bieten. Ein Lehrbuch der Geschichte auch für die Prima soll
und darf nicht zugleich eine Fundgrube für alle möglichen Daten
aus der Kirchengeschichte, aus der Geschichte der Naturwissen-
schaften, Litteratur, der Philosophie, der bildenden Künste sein
wollen, sondern mufs sich vielmehr auf kurz gehaltene Andeutungen
beschränken, die geeignet sind, den inneren Zusammenhang der
eigentlich historischen Ereignisse mit dem Aufschwung bezw.
Niedergang in Kunst und Wissenschaft den Schülern verständlich
zu machen, eben dadurch mehr zu späterem Studium anzuregen,
als abgeschlossene Kenntnisse und fertige Urteile — rasch fertig
ist die Jugend mit dem Wort! — zu vermitteln. Vor allem aber
müssen alle Ausführungen in Ausdruck und Ton dem Fassungs-
vermögen auch der schwächer begabten Schüler angepafst sein;
denn einfach auswendig lernen lassen sich doch solche Dinge
nicht, und toter Gedächtnisstoff würde eher verderblich als för-
derlich wirken. Beide Gefahren sind vom Verf. des vorliegenden
Buches nicht immer vermieden ^). S. 146 z. B. sind dem Peter
Cornelius allein 13 Zeilen Text (mit 4 Jahreszahlen) gewidmet,
und doch giebt es selbst unter den Erwachsenen so wenige, die
die Gedankentiefe dieses unsterblichen Meisters voll zu würdigen
wissen. Was soll nun vollends der Schüler damit anfangen, wenn
er hört, dafs Friedrich Wilhel^n IV. 1841 den Künstler nach Berlin
berufen habe, „um die in Form des berühmten Campo Santo in
Pisa geplante Friedhofshalle mit Gemälden zu versehen'^ deren
„Entwürfe, gestochen von Thäter, wegen ihrer Gedankentiefe und
genialen Formgestaltung zu dem Grofsartigsten gehören, was die
Kunst überhaupt geschaffen hat''? Wird dadurch etwa das eigen-
tümliche Wesen der Kunst des Meisters dem Schüler verständlich?
Ein Verständnis könnte doch höchstens, wenn nicht erreicht, so
doch angebahnt werden durch eigenes Beschauen von Abbildungen
der Entwürfe, und welchem Lehrer stehen denn solche Hilfsmittel
beim Unterricht zu Gebote? Wieviele Schüler werden selbst dann
imstande sein, den begleitenden Erklärungen eines auch kunst-
sinnigen und kunstbegeisterten Lehrers zu folgen? Bef. hält eben
solche abstrakten Auseinandersetzungen in einem Schulbuche für
verfehlt, und es erscheint ihm richtiger, lieber unter Verzicht-
^) Ref. greift hier yf'ie im folgeodeD nur Proben heraas, speziell die
Periode der Romaotik, wie sie der Verf. oeoot; von den früheren und späteren
Abschoitteo gilt jedoch im grofsen aod ganzen dasselbe.
aagez. von Ferd. Ohly. 345
JeistuDg aaf Vollständigkeit eines Abrisses der KunstentwickluDg
Dur solche Werke heranzuziehen, die wenigstens einem Teil der
Schuler durch vielfach verbreitete Reproduktionen zugänglich sind.
Von diesem Gesichtspunkte aus findet Ref. die Erwähnung Wil-
helm Kaulbachs, „der die symbolisch - historischen Darstellungen
für das Treppenhaus des neuen Museums in Berlin entwarf', viel
* natürlicher; denn dessen Zerstörung Jerusalems ist vielleicht
manchem Primaner schon aus dem Clternhause bekannt, des-
gleichen die Schnorrs, dessen treffliches Bibelwerk mancher viel-
leicht gesehen hat, vielleicht auch die L. Richters, „der das
deatsche Kleinleben mit der Sinnigkeit des deutschen Gemüts
geschildert hat'S Andere Maler dagegen, wie Overbeck, „das
Haupt der sog. Nazarener'S Veit (Ausmalung des Mainzer Doms),
Schadow, Lessing, Moritz von Schwind („Wartburgfresken 1852
und die 15 Aquarellbilder über das Märchen von den 7 Raben und
der getreuen Schwester 1858*') u. a. gehören in ein Schulbuch
unter keinen Umständen hinein. Bei den Meistern der Plastik
dieser Zeit läfst man sich die Auswahl der Namen und Werke
schon eher gefallen, aber auch hier verleitet den Verf. das Be-
streben, durchaus den Entwicklungsgang der plastischen Kunst
aufdecken, ihren „strengen Anschlufs an die Antike, an die Ideale
im Griechentum" erweisen zu wollen, dazu, bei einem Thorwaldsen
L B. den Fries des Alexanderzuges, „in dem der griechische
Reliefstil in der vollen Strenge wiederauflebte**, den Hirtenknaben
und Argustöter zu erwähnen, dagegen den segnenden Christus
nicht, der doch viel eher bekannt sein dürfte oder leicht bekannt
ZQ machen wäre. Der Verf. scheint eben bisweilen zu vergessen,
dais er für Schüler, nicht für Erwachsene schreibt: Beschränkung
und immer wieder Beschränkung^) ist gerade auf diesem Gebiete
die höchste Kunst des Lehrers. Und jenem selben Fehler verfällt
der Verf., wenn er wiederum „aus der historischen Kunst die
historische Wissenschaft** ableitet und nun dem armen Primaner
Savigny als Begründer des historischen Rechts, von Jacob Grimm
dessen deutsche Grammatik, deutsche Rechtsaltertümer, deutsche
Mythologie und deutsches VVörterbuch (alles mit Angabe der ent-
sprechenden Jahreszahlen), die Namen eines Karl Lachmann,
Friedr. Aug. Wolf und August Böckh ohne Gnade zumutet Dafs
Ton den Historikern Niebuhr und Ranke mit ihren wichtigsten
Werken erwähnt werden, ist gerechtfertigt, aber das genügt dem
Eifer des Verf.s noch lange nicht, in der Anmerkung werden
Khleunigst noch alle namhaften neueren Geschichtsschreiber:
Mommsen, Curtius, Duncker, Giesebrecht, Nitzsch (!), Gregorovius (!),
Waitz, Häusser, Droysen, Sybel und Treitschke mit Angabe ihrer
') lo den ADmerkoDgen werden überdies noch die Meister der oeaesten
Zeit: Bleibtrea, Camphansen, A. v. Werner — Drake, Blaser, Kifs, Begas,
SckilHsg gewisseDhaft registriert.
i
346 P* Wessel, Lehrb. d. Gescbicbte f. d. Prima hob. Lehraost,
Werke aufgeführt.^) Diese Proben mögen genügen, um zu be-
weisen, dafs der Verf. binsichtlich der Auswahl des Darzubietenden
allzu sehr seinem Streben nach Vollständigkeit die Zügel' hat
schiefsen lassen. Aber auch der anderen nicht minder wichtigen
Forderung, dafs gerade in hierher gehörenden Partieen der Ton
der Darstellung der noch nicht gereiften Fassungskraft der Schüler
Rechnung tragen müsse, ist er nicht immer gerecht geworden.
Man lese nur nach, was S. 92 und 93 bei der „deutschen Auf-
klärung** über die Ausbildung des Subjektivismus und Kosmopoli-
tismus und die Rettung einer positiven sittlichen Weltanschauung,
was S. 95 und 96 bei der französischen Aufkläi*ung von der
deistischen Weltanschauung Voltaires und dem Materialismus der
Encyklopädisten ') gesagt wird, „nach dem Gott und die Unsterb-
lichkeit der Seele geleugnet, der beseelte und belebte Stoff, aus
Molekülen (Stolfteilchen, molecula) sich zusammensetzend, als der
alleinige und ewige Urgrund aufgefafst wurde und infolge der
angenommenen Naturnotwendigkeit alles Handelns die Willens-
freiheit und die persönliche Zurechnungsfahigkeit aufgehoben
schien** — soll das verdauliche Geistesnahrung für Schüler sein?
Wieviel Zeit will denn eigentlich der Verf. darauf verwenden, so
schwere Probleme seinen Schülern klar und verständlich zu
machen? Die durch „die Entdeckung des Satzes von der Er-
haltung der Energie, den Helmholtz 1847 wissenschaftlich aus-
gestaltete, gewonnene neue physikalische Weltanschauung** wird
S. 172 mit den Worten charakterisiert: „Darnach erscheinen alle
Vorgänge der Natur nur als Verwandlungen einer Art von Energie
in eine andere Art von Energie und sämtliche Energieen der
Natur (Wärme, Licht, Schall, Elektrizität, chemische Trennung
und mechanische Arbeit) nur als verschiedene Erscheinungsformen
derselben Wesenheit**. Ist das etwa leichter zu verstehen, wie
das Vorige? Sollte das wirklich in ein Lehrbuch der Geschichte
gehören? Ich sage: Nein.
Bietet so hier der Verf. Anlafs zu manchen Ausstellungen,
so läfst sich dagegen Unrichtiges seinem Buche nur in sehr ge-
ringem Umfange nachweisen, weil der Verf. eben mit grofser
') Id «ioer bier völlig unmotivierten Aomerknni^ HUirt der Verf. daoa
noch die oenesten Koryphäen aaf dem Gebiete des Romans and der Novelle
auf: G. Freytags „Soll nod Haben", Riehls kultorgeschichtlicbe Novelleo
und ScheOels £kkehard, denen allen Ref. ein Plätzchen im Text gern ge-
gönnt haben würde. In den litteraturgeschichtlichen Angaben befleifsigt sich
überhaupt der Verf. im allgemeinen einer anerkennenswerten Mäfsigmg; deo
sozialen Roman freilich z. B. der George Sand S. 131, die Erwähnung PetöSs
und Palackys, „des Verfassers der Geschichte Böhmens" S. 133 wurden wir
ihm ebenso gern erlassen.
*) Natürlich wird nicht nur Diderot, sondern auch Holbach (Systeme de
]a nature), de la Mettrie und Helvetios erwähnt. Jean Jacques Rousseau,
dessen neue „Heloise" sogar schon S. 92 citiert war, wird hier noch einmal
in 17 Zeilen Text behandelt und nicht nur die Tendenz seines Emile, son-
dern auch die Grundzüge seines contrat social (allein 10 Zeilen) vorgeführt.
aogez. voo Ferd. Ohiy. 347
Gründlichkeit und Umsicht gearbeitet hat. Wenn er freilich S. 5
meint: ,,Unter jesuitischem Biiiflufs ward nun die von den grofsen
Concilien des 15. Jahrhunderts vergebhch erstrebte Reform der
katholischen Kirche an Haupt und Gliedern thatsächlich vollzogen'*,
so ist das in dieser Fassung jedenfalls unrichtig, denn die so er-
reichte Reform entsprach doch wahrlich nicht dem Sinne der
damals so machtvoll auftauchenden, schon von dem schlauen
Martin V. mit so grofsem Geschick verhinderten Ansprüche der
Concilien! Bei der Charakteristik von Wallensteins Politik S. 27
hebt er nur dessen Bestrebungen zur Schaffung einer unum-
sdiränkten kaiserlichen Regienmgsgewalt hervor, aus denen aliein
sich doch die Erbitterung der Reichsfursten gegen Wailenslein
nicht erklären läfst. Auch auf die Pläne seines persönlichen
Ehrgeizes mufste, so schwer sie ja auch mit Sicherheit zu be-
stimmen sind, wenigstens andeutungsweise hingewiesen werden
nach dem Vorgang von Ranke (Geschichte Wallensteins). S. 86
ist es unrichtig zu sagen, dafs Friedrich der Grofse Laudons Heer
„in einem Kampfe von wenigen Stunden vollständig aufgerieben'^
habe. Landen verliert zwar, in seiner Absicht zu überraschen
selbst seinerseits überfallen, in wenigen Stunden von seinen
38 000 Mann in der That 10 000 M., 82 Kanonen und 23 Fahnen,
tritt aber doch einen anerkannt meisterhaften Rückzug an. Das
dem Könige Ludwig XVL in der Constituante zugestandene Veto
S. 98 war ein blofs suspensives, der Gebrauch, den der König
von demselben macht, insbesondere sein fester, auf Gewissens-
bedenken sich gründender Widerstand gegen die die eidweigernden
Priester betreffenden Dekrete wird mit Unrecht vom Verf. ignoriert.
Es erweckt eine falsche Vorstellung, wenn S. 102 gesprochen wird
von dem „offenen Ton, den Leopold H. gegen Friedrich Wilhelm H.
anschlug'*; denn Ernst war es dem verschmitzten Toskaner, der
die dnrch das Ungeschick Josephs If. an den Rand des Abgrundes
gebrachte habsburgische Monarchie mit grofsem Geschick aus dem
Sumpfe zog, mit dieser Offenheit wahrlich ebenso wenig, wie
später Napoleon mit seinem Tempire c*est la paix, das der Verf.
S. 151 merkwürdiger Weise auch als anfänglich aufrichtig gemeint
darstellt. In der Wertschätzung der levee en masse S. 103 folgt
der Verf. noch der veralteten, längst von Sybel (Gesch. der Re-
volutionszeit II 368) ins Reich der „grofsen Mythen** verwiesenen
Auffassung, dajjs vor den überlegenen Massen der aufgebotenen
Hunderttausende die Österreicher und Preufsen das Feld hätten
räumen müssen. Ebenso unrichtig ist es S. 110, dafs „Zar
Alexander I. aufs höchste gegen Napoleon aufgeregt worden sei**
nur durch die Ermordung des Herzogs von Enghien, wahrend
doch mancherlei andere Gründe (Vertreibung der Malteser von
Malta u. a.) ebenso sehr mitwirkten. Mack kapitulierte in Ulm
nicht mit 30 000, sondern mit höchstens 20 000 Mann (S. 110).
Die Rossen weichen 1812 nicht „absichtlich** zurück (S. 115),
348 P- Wessel, Lehrbach der Geschichte, tigz, v. Perd. Ohly.
sondern „der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe'*. Und
wenn S. 119 der Verf« sagt, „die That Yorks sei vom Könige, der
sich in Potsdam in der Gewalt der Franzosen befand und die
weiteren Absichten Rufslands nicht kannte, offen zunächst nicht
gebilligtes so ist das zum mindesten mifsverständlich, wenn nicht
gar unrichtig; denn thatsächiich hat der König doch sogar die
Absetzung Yorks ausgesprochen und seinen Nachfolger ernannt,
ja es ist dies sogar auch York durch Zeitungsnachrichten bekannt
geworden, wenn auch die offizielle Mitteilung aus bekannten
Gründen nicht an ihn gelangte. Nach der Darstellung des Buches
kann der Schuler ?on den Seelenkämpfbn, unter denen „der alte
Isegrim", diese Verkörperung soldatischen Pflichtgefühls, diesen
schwersten EntschluDs seines Lebens seinem militärischen Gewissen
abgerungen, keine rechte Vorstellung gewinnen, und das mufs
man doch von einem Primaner verlangen.
Zum Schlufs noch einige Äufserlichkeiten. Wenn auch
im allgemeinen die Ausdrucksweise durchaus angemessen erscheint,
so wollen doch einige Wendungen dem Ref. wenig behagen. S. 21 ist
„das philippistische Wittenberg'' für ein Schulbuch nicht gerade
passend. S. 92 heifst es: „das kritische Genie Lessings . . ver-
nichtete die Klassizität der französischen Stöcke" — weshalb nicht
einfacher und leichter verständlich ausgedrückt etwa: „brach den
bis dahin allein mafsgebenden Einflufs der französischen Stucke" ?
Ebenso gesucht erscheint S. 1 47 : Schinkel „der Architekt (1) des
neugeborenen Hellenentums'' und S. 149 „der Ultramontanismus
warf der protestantischen Kultur den Fehdehandschuh hin". Wes*
halb eine so vage Bestimmung, wie: ,,in der Neujahrsnacht 1814
überschritt die schlesische Armee den Mittelrhein" (!) S. 122,
während doch jeder Schüler wissen sollte, dafs die dankbare Nach-
welt dem nimmer rastenden Marschall Vorwärts in unseren Tagen
an der Übergangsstelle bei Caub ein Denkmal gesetzt hat? Andere
Ausdrücke erwecken geradezu gerechte Bedenken des Historikers,
z. ß. S. 97 „die Bastille, die alte Burgfeste (!) des Königtums" und
S. 3: „da erschien wie eine Gottesschickung (!) Johann Calvin zu
Genf". Zu den Äufserlichkeiten sei auch die Aussprache der
fremdländischen Eigennamen gerechnet, die überall, „wo es nötig
schien", gewissenhaft in Klammem beigefügt ist, und zwar so, dafs
„Ton- und Quantitätsbezeichnung nicht, wie dies jetzt üblich gewor-
den, mit einander vermischt, sondern nach alter Weise reinlich von
einander geschieden" sind. Das Bestreben ist ja entschieden an-
zuerkennen, aber auch hier können wir Erläuterungen wie Maria
Stuart (stju'ört) S. 10, Oxenstjerna (Oxenschärna) S. 29, Leszczinski
(läschtschünski) S. 43 , Benjamin (bendschämin) Franklin S. 52,
Sobieski (ßöbjäski) S. 61 nur als ein Übermafs empfinden, andere
gar, wie Suworow (ßuwöVöf) S. 103, Thiers (tiäV) S. 129 für mehr
als überflüssig halten.
Als Anhang sind dem Lehrbuche, wie aucli dem I. Teile,
E. Laogenbeck, Leitf. d. Geographie, agz. v. E. Oehlmano. 349
Dicht nur „Herrscherlafeln'S sondern auch „Zeittafeln'* bei-
gegeben, letztere in solcher Ausführlichkeit, dafs sie 24 Seiten
ziemlich kleinen Drucks umfassen. Auf zwei vollen Seiten seines
Vorworts sucht der Verf. diese von ihm beliebte Art der aus-
geführten Zeittafeln, die er „nicht als eine angenehme Bei-
gabe, sondern als einen dem Unterricht zugehörigen, organischen
Bestandteil'* angesehen wissen will, zu rechtfertigen. Er meint,
daüs wie das Lehrbuch den die Kräfte des Verstandes und Ge-
dächtnisses in Anspruch nehmenden Stoff für die unmittelbare
Wiederholung der nächsten Stunden zusammenfasse, so am Schlnfs
gröJGserer Abschnitte und ganzer Perioden ausgeführte Zeittafeln
den Stoff in zusammenfassender Form wieder aufnehmen, dafs
deshalb die Zeittafeln und das Lehrbuch einander in der Anlage
entsprechen mäfsten, weil beide neben dem Vortrage des Lehrers
in gleicher Weise unentbehrlich seien. Ref. leugnet nicht, dafs
die Beweisführung für die Praxis des wichtigen Geschichtsunter-
richts manche beherzigenswerte Winke bietet, ja dafs sie sogar
etwas Bestechendes hat, wenngleich er selbst von der Notwendig-
keit^) derartig ausgeführter Zeittafeln nicht überzeugt worden ist.
Es würde zu weit führen, in eine eingehende Diskussion über
diese Frage einzutreten: soviel ist gewifs, dafs die Brauchbarkeit
des auch trotz der in dieser Besprechung hervorgehobenen Mängel
durchaus tüchtigen und beachtenswerten Buches, dem wir von
Herzen die weiteste Verbreitung gönnen, durch die Zeittafeln eher
erhöht als beeinträchtigt wird. Und so sei denn das Buch samt seiner
Hangenehmen Beigabe'' — denn einen höheren Wert vermögen wir
derselben nicht zuzuerkennen — der wohlwollenden Prüfung der
Fachgenossen bei der Einführung neuer Lehrbücher warm empfohlen.
Minden (Westf.). Ferd. Ohly.
B. Langeobeek, Leitfaden der Geographie für höhere Lehr-
anstalten im Aoschlafs ao die preufsiscbea Uoterrichtspläae von
1892 und noter ZugroodelegaDg der Debesscheo SchalatlaDten. J. Teil :
Lehrstoff der anteren Klassen. Leipzig 1893, W. fiogelmann.
Vin a. 125 S. 1 M.
Der Gedanke, einen Leitfaden einem bestimmten Atlas anzu-
schliefsen, ist offenbar recht zweckdienlich, aber ihn dahin aus-
^) Ref. wurde die Aufstellung solcher Zeittafeln, zamal für besonders
wichtige nod folgenschwere Abschnitte, viel lieber dem Schüler der Ober-
klasse als häusliche Aufgabe zuweisen, nm eben daran zu erproben, wie
weit ein Verständnis bei den einzelnen erzielt ist — eine Ansicht, die man
freüieh bei der heutzutage so übertriebenen Oberbürdungsfurcht kaum aus-
•preehea darf. Die Berufung des Verf.s auf die neuen Lehrpläne scheint dem
Ref. In dieser Frage nicht besonders glücklich; denn diese verlangen doch
„vergleichende und den Stoff nach verschiedenen Gesichtspunkten
grvppierende Zusammenfassung geschichtlicher Thatsachen'^
350 R* Laogenbeck, Leitf. d. Geographie, agz. v. £. Oehlmano.
zunutzen, dafs man, wo es angeht, den Atlas statt des Leitfadens
reden läfst und diesen im wesentlichen auf dasjenige beschrankt,
was der Atlas nicht bieten kann, diesen Vorteil hat der Verf. sich
entgehen lassen. Andernfalls wären weitläufige Angaben über
KüstengestalLuug, Ortslagen und ähnliches entbehrlich gewesen,
und der Text hätte — nicht zu seinem Schaden — manche
Kürzung erfahren können. Der Inhalt gliedert sich in drei
Kurse für die drei unteren Klassen, so dafs auch die Sexta, die
einen Leitfaden nicht benutzen soll, ihren Abschnitt zugemessen
bekommt. Der für sie bestimmte L Kursus kann nun zwar nicht
liefern, was die Lehrpläne verlangen, nämlich eine Einfuhrung in
die Erdkunde und die erdkundlichen Begriffe an der Hand der
jeweiligen engeren Heimat, dafür behandelt er einige „Grundlehren
der mathematischen und physikahschen Erdkunde'' und ergänzt
diesen kurzen Abschnitt wiederum zweckdienlich durch Bestimmung
oder Erklärung der geographischen Begriffe in gesperrtem Drucke
an derjenigen Stelle des Textes, wo zuerst die Rede auf sie kommt.
Aber zutreffend oder vorteilhaft gefafst sind diese Begriffsbestim-
mungen nicht alle. 25 weitere Seiten des L Kursus enthalten eine
Übersicht der Länderkunde. Die Stoffgliederung der beiden anderen
Kurse ist die der amtlichen Lehrpläne.
Der sehr — nach der Meinung des Ref. zu — inhaitreiche
Text ist an geeigneten Stellen durch Schilderungen erweitert;
Flüsse und Gebirge sind getrennt behandelt, Zahlen nur sparsam
geliefert. Das Ergebnis verschiedener Stichproben berechtigt zu
der Erklärung, dafs der Leitfaden in den Einzelheiten noch einer
sorgsamen Durchsicht bedarf. Man greife S. 69 heraus: Hannover
besitzt nicht mit Linden, sondern ohne dieses 1 65 00& Einwohner;
Emden liegt nicht an der Emsmündung, vielmehr erlischt der Name
Ems erst bei Borkum; Wilhelmshaven schreibt sich nun einmal
nicht mit f, auch Bremerhaven nicht (S. 70); Stade liegt nicht an
der Elbe, sondern 5 km davon entfernt; es mufs nicht heifsen „unter
den zahlreichen kleinen Bergstädten am Harz**, sondern „unter den
sieben kleinen Bergstädten auf dem Oberharz**; Hamburg hat mit
seinen Vororten (die, nebenbei bemerkt, 1894 mit der Stadt ver-
einigt worden sind) nicht 500 000, sondern 580 000 Einwohner.
Überhaupt ist das „Zahlenmaterial nicht derart nach den neu-
esten und zuverlässigsten Quellen bearbeitet**, wie das Vorwort schätzt.
So ist die Einwohnerzahl bei drei französischen Städten nicht richtig
gegeben; derKilima-Ndscharo mifst nicht 5700, sondern rund 6000 m,
der freilich recht oft verschieden angesprochene St. Eliasberg nach
den neuesten, zuverlässigen Berechnungen 5500 m; Glasgow hat nicht
565 000, sondern rund 660 000 Bewohner. — Der Kleine St. Bern-
hard gehört ganz gewifs nicht zu „den beiden wichtigsten Pässen^S
die über die „französischen** Alpen fuhren, und der Mont Cenis wird
nicht „von einer Eisenbahn überschritten** (S. 117). Auf S. 122
wird der für den grofsen Verkehr seit langem bedeutungslose
r
Deatsche Weltkarte, aogez. von A. RiroJihoff. 351
„Dordboliändische'S aber nicht der für Amsterdams Handel allein
wichtige «^holländische Nordsee^Kanal'' aufgeführt.
Hannover-Linden. E. Oehlmann.
Deotsclie Weltkarte zor Obersicht der Meerestiefea und Höhen-
schichten, unterseeischen Telegraphen-Knbel und Überland-Telegrapben,
sowie der Kohlenstationen ond Docks. Herausg^egeben vom Reichs-
Marioe-Amt, Nautische Abteilnng. Berlin 1893, D. Reimer. 14 M.
Diese Blätter fugen sich zu einer stattlichen Erdkarte in
Mercator-Entwurf von 1,71 m Breite, 0,90 m Höhe zusammen.
Id grofser Genauigkeit und geschmackvoll gewählten Flächen-
farbenabstufungen tritt in iichtgelblichen bis braunen Flächen
die Landmasse aufs klarste nach wagerechter wie senkrechter
Gliederung hervor, umfangen vom Weltmeer, dessen Tiefenstufen
in Dach unten zu immer tiefer werdendem Blau angegeben sind.
Ein Vorzug vor anderen Erddarstellungen gleicher Entwurfsart
QDÖ ähnlichen Inhalts besteht darin, dafs durch Wiederholung der
Abbildung von Westeuropa und Westafrika noch einmal am öst-
lichea Kartenrand der ganze atlantische Ozean ohne die sonst
unvermeidliche Längstrennung zur Anschauung kommt. Man hat
bier also Vollbilder alier Erdteile und alier drei Hauptozeane vor
sich. Ausgelassen ist unter den mit grün bezeichneten Land-
ilächen unterseeischer Höhenlage nur diejenige mit dem Assal-See
im Westen des Tedschurra- Busens, gerade die allertiefste ( — 174 m)
nächst der Tom Toten Meer.
För die jetzt im erdkundlichen Unterricht höhere Bedeutung
gewinnende Kunde vom Weltverkehr ist diese Karte besonders
wichtig wegen ihrer Angabe der im Titel genannten Telegraphen-
linien, aufser denen auch noch die für den grofsen Verkehr wich-
tigsten Eisenbahnen eingetragen sich finden. Man vermifst dabei
die Bahnlinie Skutari-Angora, die zwar vorläufig als Sackgasse
endigt, aber demnächst nach Kaisari weitergeführt wird und ge-
wifs später bis an den persischen Meerbusen auswächst. Von
neuen Telegraphenkabeln wären nachzutragen: das von Lissabon
nach den A9oren (Sa5 Miguel), 2. das von Sansibar über die huf-
eisenförmige Untiefe, auf der die Seychellen ruhen, nach Mauritius
geführte, 3. das von Queensland nach Neukaledonien.
Halle a.S. A. Kirchhoff.
C Rohrbach, Vierstellige logarithmisch - trigonometrische
Tafela für dea Gebrauch der höheren Schalen. Gotha, E. F. Thiene-
mano. I n. 31 S. gr. 8. 0,60 M.
Die Überzeugung, dafs bei den Schülern höherer Lehranstalten
mehr als bisher der Ziffernluxus im mechanischen Rechnen ein-
geschränkt werden müsse, bricht sich immer mehr Bahn und findet
erneuten Ausdruck in einer weiteren Ausgabe von vierstelligen
logarithmiscfa'trigonometrischen Tafeln.
L
352 C. Rohrbach, Vierst. log.-trig. Tafeln, agz. v. P. Liodoer.
Sie enthält in ihrer ersten Abteilung die Mantissen der Briggs-
sehen Logarithmen der Zahlen von 1 bis 2010 so geordnet, dafs
die Tafel 4 Seiten einnimmt. Dabei hat auf jeder Seite die End-
Ziffer 10 eine Spalte gefunden, damit beim Interpolieren ein Über-
gang in die nächste Zeile unnötig gemacht wird. Die zweite
Hauptabteilung bringt auf 9 Seiten die Logarithmen der vier
goniometrischen Hauptfunktionen von 6 zu 6 Minuten dergestalt,
dafs die dekadische Einteilung des Grades in kleinen Ziffern vor-
gedruckt ist. Neben diesen Haupttafein weist das Heftchen einen
erfreulichen Reichtum von Beigaben auf: Sehnen- und Bogen-
längen, Werte der goniometrischen Funktionen selbst, natürliche
Logarithmen, Quardratzahlen, siebenstellige Logarithmen der Zins-
faktoren und eine grofse Anzahl physikalischer und astronomischer
Konstanten sind die üblichen Beigaben; neben ihnen haben einige
neue Platz gefunden, wie Fakultäten, Potenzen von 2, ferner eine
den Schüler besonders anmutende Tafel örtlicher Konstanten, die
nach dem Diktat des Lehrers auszufüllen ist, und eine graphische
Darstellung des Verlaufs der goniometrischen Funktionen.
Es läfst sich nicht verkennen, dafs die äoCsere Ausstattung
und innere Anordnung — für Logarithmentafeln grofse Haupt-
sachen! — bei den vorliegenden Tafeln wohlthuend klar sind:
das geräumige Grofsoktav nimmt die wohlgegliederten Reihen von
stattlichen Zifl'ern altenglischen Schnitts in 50 Zeilen auf einer
Seite sowohl bei der ersten, als auch bei der zweiten Hauptab-
teilung mühelos auf, das verwandte Papier ist pergamentartig und
der biegsame Umschlag so dauerhaft, dafs er das Einbinden der
Tafel unnötig macht. Von Druckfehlern sind zu verbessern auf
S. 2: log 0,1 = — 1 statt 1, auf S. 26 der Hetiusscbe Nähe-
355 113
rungswert von n: -tö- statt ^^^. Im übrigen ist auf Korrekt-
heit des Drucks grofse Sorgfalt verwendet.
Es steht zu hoffen, dafs die kleine Tafel viele Schüler „vor
übertriebener Schärfe in den Zahlenrechnungen bewahren hilft,
die ja vorzugsweise den Mangel an mathematischer Bildung er-
kennen läfst^'.
Köslin. P. Lindner«
ERSTE ABTEILUNG.
ABHANDLUNGEN.
Zur neuesten Methode des Unterrichts im Französischen.
Es ist in den ErläuteruDgen zu den neuen Lehrplänen von
der obersten Schulbehörde ausdrücklich anerkannt worden, dafs
durch die neue Methode des Unterrichts in den modernen
Sprachen gegenwartig beachtenswerte Erfolge erzielt werden, ja
es ist sogar zum Zwecke der Beschränkung der dem Französischen
gewidmeten Stundenzahl wie an Realgymnasium und Realschule
so auch an unseren Gymnasien mit dieser Thatsache gerechnet
worden. Und so ist es schon dadurch für jeden Lehrer des
Französischen und Englischen eine unabweisbare Pflicht geworden,
sich diese neue Methode vertraut zu machen. Schwer genug
freilich ist die Erfüllung dieser Pflicht für den Schulmann, so
lange Dicht ein Lehrbuch vorliegt, das als Träger eines einheit-
lichen, nach den mafsgebenden Grundsätzen streng logisch auf-
gebauten Systems angesehen werden darf. Soll man also auch
Jetzt noch annehmen, daüs ein derartiges Werk nicht vorhanden
ist, dann müssen wir, die wir Aufklärung suchen, den mühsamen
Weg betreten, uns theoretisch die Grundlagen der neuen Lehr-
weise nach den zerstreuten Äufserungen ihrer Vertreter zu kon-
stroieren, beziehungsweise die Lücken in dem entstehenden Ge-
biade nach bestem Ermessen folgerichtig auszufüllen.
Unsere erste Frage würde sich demnach auf das System
beziehen, das in der neuen Methode steckt. Zu diesem Zwecke
müssen wir ein wenig weiter ausholen und auf ältere Methoden
zurückgehen. Die alte, an dem gröfsten Teil unserer Schulen
big vor kurzem herrschende Methode war die von Karl Ploetz
in seinen Büchern niedergelegte. Jedermann weifs, wie sich da
der Unterncht in der Regel gestaltete. Dem Gang des Buches
folgend nahm der Lehrer erst irgend eine Regel durch, dann
eine Anzahl sämtlich auf die betrefl'ende Regel zugeschnittener
französischer Beispiele; hierauf wurden die Regeln und die Voka-
beln für das sich anschliefsende deutsche Übungsstück von dem
Schüler zu Hause erlernt und dieses, das zumeist aus Sätzen
t d. QjmMtMwmw. XLYia. e. 23
354 Zar DeuestCB Methode d. Unterrichts im Franzosiseheii,
bestand, Ton denen jeder wiederum die Anwendung der zugehörigen
Regeln veranlafste, sodann in der Klasse durcbübersetzt War die
erste Lektion absolviert, so ging man zur zweiten über u. s. f.
Nach einer gröfseren Anzahl von Lektionen kam dann auch
gelegentlich ein Repetitionsstück über den ganzen absolvierten
Abschnitt.
Da ist nun nacheinander folgendes, was man allgemein, auch
wenn man sich nicht zu den Neuerern rechnet, an dieser Unter-
richtsweise auszusetzen findet. Erstlich wünscht man, dafs das
Beispiel der Regel vorangehe, dafs der Schuler zunächst die
Spracherscheinung kennen lerne, dafs er daraus selbst das Gesetz
ableite und dafs er dann erst die ihm schon bekannte und plau-
sible Regel in fester Formulierung vorfinde. Zweitens verlangt
man, dafs die einzelne Sprach erschein ung stets im Zusammenhang
mit den verwandten Erscheinungen und unter dem gröfseren ge-
meinsamen Gesichtspunkt eingeordnet sich vorfinde, dafs sie schon
infolge dessen eine gründlichere, klarere und auch einfachere
Fassung zeige, dafs sie dem Schüler aus diesem doppelten Ge-
sichtspunkt heraus nun auch neben rein sprachlicher Bildung
logische Schulung gewähre. Drittens fordert man, dafs die Bei-
spiele wie sprachlich, so auch sachlich im Zusammenhang stehen,
ja dafs sie womöglich ein einheitliches Ganzes bilden, dafs da-
durch das Interesse des Schülers an dem Übungsstoff vermehrt
werde und dafs die Einprägung des zugehörigen Wortschatzes,
weil er eben einem zusammenhängenden Ganzen angehört, sich
leichter gestalte. Aus der Erkenntnis der Mängel jener Methode
und unmittelbar durch Perthes' Auftreten auf lateinischem Ge-
biete veranlafst, ging nun zunächst eine ganze Reihe neuer
französischer Lehrbücher hervor, im Vordergrunde stehen unter
diesen entweder ihrem inneren Werte nach oder durch die Ver-
breitung, die sie gefunden, Ulbrich, Plattner undG.Ploetz-
Kares. Betrachten wir uns ein solches Buch näher. Es giebt
als Husterbilder, an denen die Regeln erlernt werden sollen,
gleich von vornherein und ausschliefslich zusammenhängende
französische Stücke. Nachdem diese dem Schüler nach ihrem
grammatischen, wie nach ihrem Wortinhalt völlig vertraut ge-
worden sind, geht man an die Durchnahme der Regeln, die sich
mit den übrigen Spracbgesetzen gesondert in einer systematisch
gearbeiteten Grammatik vorfinden; zum Schlufs werden die dem
betreffenden französischen Stücke angeschlossenen und mit seinem
grammatischen, sowie mit seinem lexikalischen Material ausge-
statteten Beispiele, Übungssätze und Übungsstücke übersetzt und
dadurch einerseits geprüft, wie weit das Durchgenommene auch
wirklich aufgenommen ist, und andererseits das einmal Auf-
genommene auch nun mehr und mehr befestigt wird. Das
Plattnersche Buch erhält dadurch einen Vorzug vor den anderen,
dafs sich für die oberen Klassen eine Grammatik anschlielst, die
voo M. ßanoer. 355
neben der Lückingschen wobl das Gediegenste ist, was wir in
dieser Art auf neusprachlichem Gebiete besitzen. Dagegen ist
das sich anschlieljBende Übungsbuch für die Oberklassen ganz
nach alter Methode gebaut und giebt sowohl im firanzösiscben
wie im deutschen Teil überwiegend Sätze mit buntestem Inhalt
durcheinander und nur durch das grammatische Band zusammen-
gehalten. Das Ulbrich sehe Werk hinwiederum gewinnt dadurch
seinen besonderen Wert, dafs es in dem Elementarbuch als An-
hang auch eine Reihe von Stücken bietet, die ganz direkt zu
Sprechübungen über Gegenstände aus der den Schüler umgeben-
den Welt benutzt werden können, und dafs auch die übrigen
firanzöfiischen Stucke mehr in dem Gedankenkreise des Kindes
h'egen nnd namentlich durch die Einstreuung einiger Gedichte
mehr Abwechslung bieten als die Plattnerschen. Die deutschen
Beispiele aber sind nicht allenthalben so geschickt zusammen-
gestellt wie dort. Das G. Ploetzsche Buch endlich vereinigt in
sich fast all das Gute aus den beiden vorher genannten. Es bietet
Gelegenheit zu Sprechübungen, giebt eine nach Form und Inhalt
mannigfaltige Menge von gut gewählten französischen Stücken
and ist auch in der Bildung von deutschen Übungen recht
glöcklicfa. Die dem Elementarbuch angefügte Grammatik ist eben
sowohl wie die für die Oberklassen bestimmte recht brauchbar.
Das Beste aber an der Arbeit — und das gerade hebt sie über
das Plattnersche Werk hinaus — sind die Übungsbücher für
die höheren Klassen, die in ihrem französischen wie im deutschen
Teile nur zusammenhängende Stücke bieten und von denen die
letzteren zwar sprachlich genau nach den ersteren gebildet sind,
aber jedes Mal einen ganz neuen Sachinhalt bieten. Ich möchte
nameDllieh diese deutschen Übungen wahre ' Kabinettstückchen
BeBnen, zumal bisher alle derartigen Versuche, dem Schuler in
den deutschen Stücken die grammatischen Regeln und den Wort-
sdiatz der französischen Stücke von neuem vorzuführen, jedes Mal
den leidigen Umstand mit sich brachten, dafs auch der Inhalt
derselbe wurde, so dafs der Schüler wieder und wieder denselben
Gedanken durchkauen mufste. Dafs nicht all und jedes in den
Übungen mustergiltig ist, wird man hier wie in anderen Lehr-
höchem hinnehmen müssen, und es würde dieser Umstand keinen
geoögeDden Grund bieten, sich ablehnend gegenüber dem Ploetz-
scben Werke zu verhalten; aber leider mag oberflächliche Beurteiler
der Name Ploetz immerhin schon davon zurückschrecken, das
Werk überhaupt einer genaueren Durchsicht zu würdigen.
Wir kommen nun zur neuen oder neuesten Methode, zu der
die eben besprochenen Erscheinungen als Mittelstufe zwischen
alt^ und neuer Methode überleiten, wenngleich dieselben grofsen-
teils von den modernen Bestrebungen mitbeeinflufst sind. Diese
neueste Methode, die sogenannte Reformrichtung des neusprach-
Kdiea Unterrichts, lebte gewifs schon hier und dort in manchen
23*
356 Zar neuesten Methode d. Unterrichts im Franzosischen,
vorwärts strebenden Männern und fand wohl sogar schon in einer
und der anderen Anstalt trotz zu Grunde liegender veralteter Lehr-
bucher eine Stätte, als jenes Manifest Vietors, des jetzigen
Marburger Professors der englischen Sprache, erschien: Der
Sprachunterricht mufs umkehren von Quousque Tan-
dem. Bald auch traten als Kämpen der neuen Richtung sowohl
in dem Rahmen der Schule als auch aufserhalb derselben in Wort
und Schrift Männer wie Walter, Quiehl, Klinckhardt, Kuhn,
Rierbaum, Dörr, Schmidt, Rambeau, Breymann, Jesper-
son, Paul Passy, und wer nennt alle ihre Namen, auf. Man
erinnerte an die einschlägige Abhandlung des Grafen Pfeil: Wie
lernt man eine Sprache?, es erschien die zweifellos anregendste
und gediegenste pädagogische Schrift der letzten Jahre, Mönchs:
Zur Förderung des französischen Unterrichts, es er-
schien Klotzsch: Methode des fremdsprachlichen Unter-
richts, Ohlert: Die fremdsprachliche Reformbewegung»
Hornemann: Zur Reform des neusprachlichen Unter-
richts auf höheren Lehranstalten, und vor allem KQhn:
Zur Methode des französischen Unterrichts, mit der
schärfsten, einschneidendsten gegen die bisherige Unterrichtsweise
gerichteten These: Das Obersetzen ist eine Kunst, die mit der
Schule nichts zu thun hat. iNach dieser Schrift sind mit einem
Schlage die nach der hergebrachten Weise gearbeiteten Schul-
bücher, auch die oben genauer beschriebenen, aus dem Schul-
unterricht verbannt Soli man nach den Kuhn sehen Grundsätzen
unterrichten, so darf das Lehrbuch keine deutschen Obungen
enthalten, es mufs dem Lehrer die Handhabe genommen werden,
irgendwie in die alte Methode zurückzufallen. Es würde somit
ein französisches Buch etwa wie die lateinischen Lehrbücher von
Perthes anzulegen sein. Aber Kühn verlangt, entsprechend dem
modernen Charakter des Französischen, die Darbietung der
lebendigen Sprache und zwar in zusammenhängenden Stücken.
Ferner fordert er eine Verbesserung der Aussprache dadurch,
dafs nicht vom Buchstaben, sondern vom fremden Laute ausge-
gangen wird. Endlich gebietet er möglichste Fernhaltung aller
grammatischen Regeln. Diesen seinen Forderungen kam nun
aufser einigen anderen, unter denen wir Loewe: Lehrgang
der französischen Sprache und Mangold und Coste:
Lehrbuch der französischen Sprache besonders erwähnen
wollen, auch Kühn selbst mit seinem Französischen Lese-
buche nach.
Um es gleich mit einem Worte zu sagen: der Kardinalfehler
in der Anlage dieser Bücher ist durch den auf die Spitze ge-
triebenen Gegensatz zu der bis dahin erschienenen Schulbücher-
litteratur zu erklären. Während jene dem Lehrer vielleicht allzu
starre Fesseln in seinem Unterrichtsgang anlegten, lassen diese
ihm zu grofse Freiheit. Sie tragen zunächst keinen bestimmten
voD M. Banner. 357
Charakter an sich, es sei denn, dafs man denselben im möglichsten
Fernhalten jeder näheren Beziehung zur Grammatik and insbeson-
dere, wie schon oben angedeutet, in der Abwesenheit deutscher
Obungen erblickt. Die Reform liegt so anscheinend einzig und
allein in dem Gegensatz, bietet aber nichts Positives. Das ganze
Lehrgebäude schwebt gewissermafsen in der Luft. Hier und da
wirkt ein einzelner mit Begeisterung, Geschick und Verständnis
ausgestalteter Junger der neuen Methode, auf dasjenige fufsend,
was ein solches Lehrbuch bringt, oder mehr fast noch auf das,
was es wegläfst, Bedeutendes. Doch eine solche auf Einzelpersonen
sich stützende Methode hat für den Gesamtorganismus keinen
Wert. Die Unmöglichkeit einer häuslichen Ein- und Nachhilfe,
selbst Ton Seiten fachmännischer Lehrkräfte, die Schwierigkeit des
Eingreifens neuer Kollegen im Schulunterrichte und endlich die
Erschwerung der Kontrolle des Unterrichts durch einen Vor-
gesetzten sind Umstände, die einer gröfseren Verbreitung der
Methode immerdar hemmend entgegenstehen werden. Die starke
persönliche Propaganda, die von den begeisterten Anhängern für
die Reformideen gemacht wird, die aufserordentliche Beredsamkeit
io den zahlreich erschienenen Schriften über dieselbe, insbesondere
aber das wahrhaft bestechende Wirken Einzelner im Unterrichte
haben die Regierung zu ihrem anerkennenden Urteil ober die
neuen Bestrebungen veranlafst. Sie wird sicherlich auch den
Anstofs zur Abfassung neuer Lehrbücher geben, die den Forde-
rungen auch weiter abseits stehender Schulmänner Genüge leisten
werden. Hat doch Kühn selbst sich schon veranlafst gesehen,
in seinen Übungen zum französischen Lesebuche und in seinem
nachträglich erschienenen propädeutischen Kursus zu ebendem-
selben Bache eine Handhabe für den Gang des Unterrichts zu bieten
und — wenn auch freilich nur durch einen kleinen Spalt — die
Grammatik wieder einzulassen, die er aus seinem Lesebuch ver-
bannt hatte. Und giebt doch das Schmidt- Rofsmannsche
Buch der verpönten Grammatik sogar wieder soweit Raum, dafs
die Forderung zusammenhängenden Obungsstoffes darüber schier
in die Brüche geht und man stellenweise geradezu zu vergessen
genötigt ist, dafs das Französische neben dem mündlichen Ge-
dankenaostausch über die plattesten Dinge der Alltäglichkeit auch
eine bochgeistige schriftliche Gedankenentwicklung ermöglicht und
zu allen Zeiten der bildungsbeflissenen und begeisterungsfähigen
Welt geboten hat. Aber Bilder machen's nicht und Musiknoten
auch nicht; das sind Zuthaten, die mit ernster Schulung zunächst
nichts zu Uiun haben; für die Kinderstube mag das alles seinen
Wert haben, für Unterrichtsanstalten, die aus dem Rahmen der
Klippschulen herausfallen, an und für sich gewifs nicht. Der ge-
schickte Lehrer kann vielleicht damit etwas anfangen, aber ent-
behren kann er es auch; das ist nicht der wesentliche Bestand-
teil eines Lehrbuches. Die unentbehrliche Grundlage des Lehr-
358 2^'^ neaestea Methode d. (Jaterrichts im Fraazoflisehen,
buches igt und bleibt eiD darin herrschendes einheitliches System.
Das zu schaffen, darüber mit aller Energie nachzudenken, in dieser
Hinsicht einen Schritt weiter zu kommen, mufs das Ziel aller
Freunde der Reform sein.
Man hat sich die Fragen vorzulegen: sollte sich nicht aas
dem greifbaren Gehalt der annoch getrennten Bestrebungen Ein-
zelner ein einheitliches System aufbauen lassen, sollten sich in
dasselbe nicht gleicher Weise neben den Vorteilen der neuen
Methode die unbestreitbaren Vorzuge der alten aufnehmen lassen,
und sollte sich nicht ein Lehrbuch als Träger dieses Systems
herstellen lassen? Aus dieser Überlegung scheinen mir die fol-
genden Gesichtspunkte als allgemein annehmbar hervorzugehen.
Die richtige Aussprache mufs das erste, die Sprechgewandtheit
die zweite der im Vordergrunde stehenden Aufgaben sein und
zwar darum, weil keins von beiden, sobald es im Anfang ver-
säumt, sich später auch nur annähernd in gleich befriedigender
Weise erreichen läfst. Um jenem wie diesem Raum zu geben,
mufs das Lesen und Schreiben zunächst zurücktreten oder auch
ganz wegbleiben und der ausscbliefslich mundliche Unterricht
vorherrschen. Um die Aussprache in sicherster Weise zu erlernen,
mufs der Schüler erst hören und zwar nur hören, aber nichts
sehen, weder das historisch gewordene thatsächliche, noch das
seiner Artikulation entsprechende phonetische, noch sonst irgend
ein anderes Lautbild; am allerwenigsten aber soll er nacheinander
verschiedenartige Lautbilder für ein und dasselbe Wort erblicken,
wie das ja auch von der Regierung ausdrücklich verworfen ist.
Er höre den richtig sprechenden Lehrer, das ist und bleibt die
Hauptsache. Dieser wecke in seinen Schülern das Gefühl für den
Wohllaut und die Freude am Gelingen der Nachahmung; dieses
ästhetische Moment bildet den zuverlässigsten Verbündeten des
Lehrers, diesen zu gewinnen sei daher des Unterrichtenden
erstes und vornehmstes Ziel. Das Sprechen aber — und darauf
ist der gröfste Nachdruck zu legen — mufs sich auf natürliche
Weise aus dem, was rings um uns ist, was rings um uns vor-
geht, ergeben, mufs eine Notwendigkeit sein und nicht den Stempel
des aus der Luft Gegriffenen, Willkürlichen an sich tragen. Das
Willkürliche aber zu beseitigen und die Sprech not wendigkeit direkt
aus dem Handeln heraus zu schaffen, das ist Sache des Lehrers,
und das Buch mu£9 ihm dabei behilflich sein. Man hört so oft
behaupten, ein halbes Jahr Aufenthalts im Ausland ist lange Jahre
Schulunterrichts wert; nun denn, jede Stunde französischen An-
fangsunterrichts sollte eine Stunde Aufenthalts in Frankreich sein,
aber eines Aufenthalts, der bis auf die Minute nach allen Seiten
hin ausgenutzt wird. Wirket dahin, so könnte man den Reformern
zurufen, wirket dahin, dafs die Bezeichnung „Bonnenunterricht*'
eurer Methode nicht fürder ein beschämender Vorwurf sei; leistet
das, was die französische Bonne dem einzelnen Kinde bietet.
von M. Banner. 359
einer ganzen Kbsse; schaffet euch aus der Klasse gerade das
Material zu erhöhter Wirksamkeit; erbebet euren Unterricht über
die mechanische ThStigkeit der Bonne empor zu einer geist-
bildenden, zielbewufsten Kunst, und es wird auch der Gegner
euren Bestrebungen die Achtung nicht versagen können.
Die ersten Stücke des Lehrbuches nun müssen meines Er-
achtens dem Lehrer das Material zu einem Vorgehen in der be-
zeichneten Art an die Hand geben, und in dem Buche selbst —
also jedem, der es benutzt, sofort zugänglich — mufs eine An-
leitung für die richtige Benutzung des Materials enthalten sein.
Danach ist der ganze Unterricht von vornherein so einzurichten,
dafs alles dazu mitwirken mu(s, Situationen zu schaffen, aus
denen sich dann das Sprechen von selber ergiebt. Man veranlafst
nicht die ganze Klasse, im Chore ein *levez-vous' auszurufen, auf
das sich niemand erheben kann, noch einen einzelnen Schüler,
die Aufforderung *allez ä vos places* ergehen zu lassen, wo nie-
mand derselben Folge leistet. Einen allein mafsgebenden Weg
für das Torgehen im einzelnen anzuweisen, wäre nur von Obel.
Derartige Unterrichtsstunden mannigfaltig gestalten, so mannig-
faltig wie das Leben, darin liegt die Kunst des Lehrenden. Der
Mittel sind viele, und eine ganze Zahl finden wir in Walters,
Kuhns und anderer Anleitungen für den Anfangsunterricht auf-
gezeichnet, und auch das methodisch gearbeitete Lesebuch wird
dieselben möglichst zahlreich bieten; aber erschöpfen wird sie
niemand; kann doch sogar ein anregend betriebenes Eindrillen
von Verbalformen in ihren Rahmen gezogen werden.
Eines der natürlichsten Mittel zum Schaffen der erforder-
lichen Situationen wird immer in dem fortwährenden Eintreten
der Schüler in die Stelle des Lehrers liegen ; die Schüler, die für
den Lehrer eintreten, sind gezwungen, zu sprechen, die anderen
verpflichtet, zu hören und zwar, wie im Leben, bald diesen, bald
jenen zu hören und sich so an verschiedene Organe, nicht ein-
seitig an dasjenige des Lehrers zu gewöhnen. Um aber hin-
wiederum von dem lautlich geschulten Mitschüler richtig verstanden
zu werden, ist der die Funktion des Lehrenden ausübende Schüler
ganz unweigerlich zur richtigen Aussprache gezwungen, und der
Schaler wird auch hier eine noch schärfere und empfindlichere
Kritik üben als der Lehrer. Dafs diese ersten Sprechübungen
keine besonderen lautlichen, so wenig wie etwa grammatische
Schwierigkeiten bieten dürfen, ist selbstverständlich; es wären
daher in dem durch das erste Stück gebotenen Sprachmaterial
möglichst nur die dem Deutschen gewohnteren Laute zu ver-
wenden. Sind diese aber zur Genüge geübt und hat der Schüler
den Sprachstoff im grofsen und ganzen inne, dann halte ich
dafür, daCs er sofort an das Lesen und darauf auch an das
Schreiben der Worte herangeführt wird. So störend mir von
vornherein ein Vorführen des Wortbildes vor der Einübung des
360 2°!* neaesten Methode d. Unterrichts im Französischen,
Lautes erscheint, für so f5rderlich halte ich doch nach derselben
die baldige Zuführung des Bildes, ja für so notwendig, dafs ich
jede einzelne Redensart, die man, wenn auch nur gelegentlich,
im Gespräch mit der Klasse anzuwenden veranlafst worden ist,
nach nicht zu langem Zwischenraum auch schriftlich yorzufuhren
für unerläfslich erachte. Denn sind einmal die Lautschwierigkeiten
überwunden, dann wird das geschriebene Wort dem Schüler stets
als eine erwünschte Stütze zum leichteren und sichreren Behalten
des gesprochenen Wortes erscheinen. Immer also wird zwar —
und darin stimme ich mit den Reformern vollkommen überein —
ein Anschauungsstück erst mündlich durchgegangen werden müssen,
bevor man zum Lesen und Übersetzen sich wendet Ober den
Zeitpunkt des allerersten Lesens aber gehen unsere Ansichten
auseinander. Ich suche denselben, wie schon gesagt, gar nicht
weit hinauszuschieben. Der Lehrer, der vor Beginn der ersten
Stunde das ganze erste Übungsstück nach seinem lautlichen,
lexikalischen und grammatischen Inhalt für sich durchgearbeitet
hat, nimmt mehrere Stunden hindurch den Stoif in der oben an-
gedeuteten Weise durch. Nachdem er das Stück den Schülern
zu eigen gemacht, wird er an das Lesen desselben gehen und
nach Erlernung der zugehörigen Vokabeln in ihrer Schreibung —
denn das Wort an sich haben die Schüler ja bereits vorher in
sich aufgenommen — wird er zu dem zweiten Anschauungsstück
sich wenden können. Die meisten Anschauungsstücke aber —
und mit dieser Ansicht stelle ich mich wiederum der Hehrzahl
der Verfasser neuerer Lehrbücher gegenüber — sollten meines
Erachtens nicht eine lose Aneinanderreihung kurzer, ganz gleich-
artig gebildeter Sätzchen — das nenne ich kein zusammenhängendes
Stück — , sondern ein durch Konstruktion und Stileinheit wirk-
lich in sich geschlossenes Gefüge darbieten, und das um so ent-
schiedener und planmäfsiger, je weiter sie sich vom Anfang ent-
fernen. Sonst aber sei man offen und stelle die Einzelsätze
auch wirklich als solche nebeneinander; gehen sie alle auf ein
und denselben Gegenstand, so liegt ja auch darin schon ein
Einigungspunkt; und ich halte selbst Sätze verschiedenen Inhalts,
die nur durch das grammatische Moment verknüpft sind, für
keine solche Absurdität, wie sie vielfach verschrieen wird, wofern
sie nur ihrem Gehalt nach der Bemühung wert sind, zu der sie
Lehrer und Schüler veranlassen. Ganz das Gleiche aber verlange
ich von den Anschauungsstücken. Man erwidere mir nicht, da&,
wenn wirklich in den gehaltvollen Einzelsälzen verschiedenen In-
halts das Neue, Wechselnde Anregung bieten sollte, so doch weit
mehr noch das ein naheliegendes Interesse berührende Anschauungs-
bild aus der umgebenden Welt. Ganz gewifs und unbestreitbar
wird das Kind mit reger Teilnahme den in fremder Sprache ge*
führten Unterhaltungen über die Gegenstände der Klasse, über
Vorgänge in der Natur, über Thun und Treiben der Mitmenschen
von M. Banoer. 361
sich hiDgebeD. Sobald es aber den Stoff eines Anscbauungsstuckes
möndlicb zu voller Genüge durchgeübt, so wird es ebenso gewifs
nur mit grofsem Unbehagen an das Lesen der gleichen Sätze
herangehen, es sei denn dafs sie ihm in neuer, anziehender Form
geboten werden. Es ist also zunächst die doppelte Forderung an
eio Aoschauungsstück zu stellen: es mufs dem Lehrer das Material
zn der oben angedeuteten Behandlung im mündlichen, von dem
Buche losgelösten Unterricht bieten, und es mufs in einer Form
abgefafst sein, die es zugleich auch zum Lesestück geeignet macht.
Wie hierzu die Gestaltung des einzelnen Stückes an sich in Be-
tracht kommt, so nicht minder der Wechsel in der Abfassungsart
derselben. Ist das erste Bild in Form einer Beschreibung geboten,
so das zweite vielleicht als Erzählung, das dritte in einem Dialog,
das vierte in der äufseren Einkleidung eines Briefes, das fünfte
mag sogar ein Gedichtchen sein. Für den darin verwendeten
Wortschatz sollen gewisse Schranken mafsgebend sein; insbeson-
dere wird man den Schüler kein französisches Wort lernen lassen,
dessen entsprechender deutscher Ausdruck ihm sonst völlig un-
bekannt zu bleiben pflegt; diese Bedenken werden jedoch vor-
nehmlich nur für die Prosa gelten; in der Poesie wird sich ein
seltenes Wort nicht immer vermeiden lassen, es wird aber auch
da auf seine Einprägung kein Gewicht gelegt werden.
Über die Poesie nun gleich noch ein mehrere». Es wird von
den Reformern mit besonderem Nachdruck hervorgehoben, von
welchem Werte zumal im Anfang das Lesen, Deklamieren und
Auswendiglernen von Gedichten sei. Nichts liegt mir ferner,
als den Wert solcher Übungen gerade für die im Anfang an erster
Stelle zu pflegende Aussprache zu unterschätzen. Nur möchte ich
sie nicht ganz an den Anfang gestellt wissen; mir scheint, man
fährt sonst, was man auf der einen Seite ausgeschieden, auf der
anderen Seite wieder ein. Giebt doch die neue Methode als
Prosastücke Bilder aus der Anschauungswelt gerade im Anfang
haoptsachlich auch darum, weil sie so am besten die ausschliefs-
liche Anwendung der fremden Sprache ermöglicht. Wie ist es
Bon mit einem an den Anfang gestellten Gedichtchen? Ich kann
dasselbe dem Schüler, da ihm ein Wortschatz noch nicht zur
Terfagung steht, doch nicht anders näher bringen, als indem ich
ihm Wort für Wort übersetze. Sollen wir uns aber ein blofses
onierstandenes Nachplaudern oder sagen wir Nachdeklamieren
genügen lassen, dann haben wir mit einem Schlage die Abrichtung
statt des Unterrichts. Also geben wir nur immerhin zuerst die
Frosa; läfst sich dann bald ein kleines Gedichtchen anscbliefsen,
das wenigstens schon teilweise mit dem bereits aufgenommenen
Wortschatz rechnet, so wird das ganz gewifs Lehrer und Schüler
grölsere Freude machen. Allenfalls dürfte man ein Gedicht an
den Anfang stellen, das einem dem Kinde bereits bekannten
detttschen Gedichte genau oder nahezu gleicht; findet sich dann
362 Zor neuesten Methode d. Unterrichts im Frtnzösisehen,
auch Doch eine bekaDDte oder meinetwegen von dem Gesanglehrer
der Schule leicht einzuübende Melodie, so wäre damit auch der
weitgehendsten Forderung der Reformer Genüge geleistet. Sonst
aber wird es angemessen sein, auf mehrere Prosastücke ein oder
zwei Gedichtchen zu bringen, durch die man auch wiederum für
den das Interesse immer neu auffrischenden Wechsel sorgt, und
die um so willkommener sein werden, wenn sie nach Gedanken-
und Sprachinhait eine gewisse Verwandtschaft mit der voran-
gegangenen Prosa zeigen. Ebenso wird man sich ganz gewifs auch
nicht scheuen, mittendrin eine anregende Anekdote, ein Härchen,
Rätsel, Sprichwörter und wohl auch einmal ein leichtes historisches
Stück einzustreuen. Man wird die Anscbauuugsstücke um so
häuGger und länger unterbrechen dürfen, als man sich von dem
Anfange entfernt, weil sie dann ihren wesentlichsten Dienst, die
natürlichste Mitteilung des Sprachmaterials abzugeben, erfüllt
haben und im übrigen doch denjenigen Inhalt bieten, der, hinter-
einander genossen, am ehesten ermüdet. Dafs dabei ein Fort-
schreiten vom Leichteren zum Schwereren beobachtet wird, dafs
wie inhaltlich so auch sprachlich eine gewisse Beziehung zwischen
den Stücken herrscht, dafs die Vertrautheit mit dem einen zum
Verständnis des folgenden mithelfen soll, ist seibstverständticb.
Allein wenn auch diese Forderungen alle erfüllt werden, so
hätten wir immer erst ein methodisches Lesebuch vor uns, nicht
aber ein Übungsbuch; dazu fehlt ihm das grammatische Moment.
Ich weifs, dafs viele bei dem Worte 'Grammatik' sofort eine
Gänsehaut bekommen, etwa wie wenn man einen Paragraphen
des Strafgesetzbuches anführt, und es besteht in der That zwischen
Grammatik und Gesetzbuch eine gewisse Ähnlichkeit. Wir alle
leben und handeln, üben unsere Berufs- und bürgerlichen Pflichten,
ohne daran zu denken, dafs über die Ausführung jedes Schrittes
fest geregelte Gesetze wachen. i\ur bei besonderen, nach gröfiBe-
ren Lebensabschnitten eintretenden Anlässen, nur wenn wir bei
einem Konflikt der Pflichten in Zweifel geraten, nur wenn wir
einen Fehltritt begangen, dann sehen wir uns gezwungen, un-
weigerlich unser Augenmerk auf das Gesetz zu richten. Auch
fallt nur wenigen Leuten, gegenüber der grofsen Hasse, die Auf-
gabe zu, das Studium der Gesetze als zu ihrem Beruf gehörig zu
betrachten, an ihnen zu bessern und ihre Beziehung zum Leben
herzustellen. Ungefähr so sollte es nach meinem Dafürhalten
mit der Grammatik sein. Der Lehrer ist sich in jedem Augen-
blicke der Sprachgesetze bewufst, er sucht sie fortwährend zu ver-
vollkommnen, zugleich auch in möglichst geschickter Weise die Be-
ziehung zum Sprachmaterial herzustellen. Die Masse der Schüler
aber handelt zwar fortwährend nach den Gesetzen der Grammatik,
am besten aber für gewöhnlich unbewufst. Bewufst wird sie
sich derselben erst, wenn sie bei Abschlüssen gröfserer Pensa
den zurückgelegten Weg überblickt, wenn sie in Zweifel gerät,
von M. BtnB«r. 363
weoD sie einen Fehler begangen hat. Jedoch wohl ihr, wenn sie
das Rechte unbewufst so weit in sich aufgenommen bat, dafs sie
ror dem Fehltritt bewahrt bleibt; aber besser immerhin, dafs sie
fich der Gesetze bewufst wird, als dafs sie unbewufst in Fehler
verßllt; denn Unkenntnis der Gesetze schützt nicht vor Strafe.
Voo Gegnern einer nach grammatischen Gesichtspunkten geordneten
Sprachbehandlung wurde oft schon ein anderer Vergleich heran-
gezogen. Sie sagen, ein Kind, das genötigt sei, den ihm neu
entgegentretenden fremden Sprachstoff nach grammatischen Kate-
gorieen gegliedert aufzunehmen, sei wie ein Kaufmann, der das
erste erworbene Sümmchen Geld nach verschiedenen Sorten in
einen vielfacherigen Geldschrank einordnet. Ihnen möchte ich
erwidern, dafs dieser Vergleich für unsere Schüler im französi-
schen Anfangsunterricht nicht zutrifft, weil dieselben — um im
Bilde zu bleiben — nicht leere Fächer mit kargem Vorrat füllen,
sondern vielmehr einheimische, schon nach Fächern geordnete
Möozsorten gegen fremdländische eintauschen. Dafs dieser Um-
tausch möglichst instinktiv geschieht, halte auch ich für vorteil-
haft, die Einordnung aber für entbehrlich anzusehen, dazu kann
ich mich nicht entschliefsen. Dies nun auf das Lehrbuch ange-
wendet, würde heifsen: der sachliche Inhalt ist überall das
Wesentliche für die Wahl und Anordnung des Stoffes, der gram-
matische Inhalt ordnet sich ihm unter, wird aber niemals aufser
acht gelassen und findet dafür seine übersichtliche Behandlung,
weoo auch in möglichster Kürze, in einem gesonderten Teil.
Diese Aufgabe gerade, den grammatischen Stoff in möglich-
ster Kürze, Klarheit und Obersichtlichkeit darzustellen, möchte
SQch heute noch zu den vornehmsten gehören, an deren Lösung
wir arbeiten können. Darüber nachzusinnen, wie weit sich der
grammatische Lernstoff verringern läfst, über eine Darstellungsart
desselben nachzudenken, in der er am leichtesten aufgenommen
werden kann, die Beziehung klarzulegen, in der er zum Lesestoff
stehen soll, den Anfang der grammatischen Unterweisung, die
Reihenfolge, den Umfang derselben zu fixieren, das alles, denke
ich, sollten der Bemühung werte Arbeiten sein. Dazu auch sollte
uns unser Universitätsstudium ausstatten. Es ist ja in der
wissenschaftlichen Entwickelung unseres Faches begründet, dafs
man zur Erklärung syntaktischer Eigentümlichkeiten auf die
Formenlehre zurückgriff, dafs man von dieser wiederum auf die
Laute als auf deren Grundlage hinwies und die Lautlehre zu
einem breit ausgesponnenen Teil unseres Studiums machte, und
dais man zuletzt auf die Lautphysiologie, auf die Lehre von der
Erzeugung und Gestaltung der Laute, kam. Das alles verfehlt
niemals, seinen Einflufs auch auf den Schulunterricht geltend zu
machen; aber die Gefahr ist auch jedes Mal vorhanden, auf dem
betreffenden Gebiete zu weit zu gehen. So sind Erscheinungen
wie Läckings Grammatik auf dem Gebiete der Syntax (320 von
i
364 Zur neuesteo Methode d. Ualerrichts im Französisehen,'^
430 Seiten), wie Körtings Grammatik auf dem Gebiete der
Formenlehre (350 von 450 Seilen) zu erklären, so weiterhin die
ausfuhrliche Behandlung der Lautlehre in unseren Lehrböchern,
so schliefslich die mehr und mehr in Aufnahme kommende und
von dem Charakter eines modernen französischen Übungsbuches
kaum noch zu trennende Beigabe phonetisch transskribierter, d. h.
für den Uneingeweihten in Hieroglyphen umgesetzter, französischer
Verse oder Prosasätze. Man wird auf den Universitäten von der
ausgedehnten Behandlung dieser Nebendisciplinen, wenigstens auf
dem Gebiete des Französischen, wohl auch einmal zurückkommen.
Durch Diez^ geniales Wirken hatten wir Deutsche einen aufser-
ordentlichen Vorsprung gewonnen, und die deutschen Schäler
dieses Mannes stellten sich den in Frankreich gerade so wie den
in anderen romanischen Ländern geborenen ebenbürtig zur Seite;
ein Tobler wird auch von einem Gaston Paris und Paul
Meyer mit Nutzen angehört. Wird aber erst einmal in romani-
schen Ländern selbst eine gröfsere Zahl von eingeborenen Schülern
mit dem gleichen Rüstzeug ausgestattet an die Wissenschaft heran-
treten, so möchte es leicht geschehen, dafs wir bald mit der bis-
herigen Art unseres Sprachbetriebs auf den Universitäten ffir
immer in den Schatten gestellt werden. Die klassischen Philo-
logen haben da ein Gebiet, auf dem sie allezeit, gestützt auf
deutsche Gründlichkeit, mit den Söhnen anderer Länder als
Forscher in die Schranken werden treten können. Aber es
müfste doch eigentumlich zugehen, wenn nicht Franzosen auf
französischem Sprachgebiete, Spanier auf spanischem, Italiener
auf italienischem das Beste leisten sollten; könnten wir uns doch
nicht leicht vorstellen, dafs ein Franzose uns etwa auf deutschem
Sprachgebiete tiefere Kenntnisse offenbaren sollte, als wir sie
haben. Man lebt eben nur in einer Sprache, und gewisse Seiten
der fremden bleiben uns für ewig verschlossen. Wir werden mit
der Zeit nur immer mehr erkennen, dafs wir das romanische
Sprachgebiet als Ganzes zu unserem Studium erwählen müssen,
dafs uns das Gemeinsame in Idiomen, Litteratur und Kultur in
ihm würdige Gegenstände der Forschung bieten kann. Für die
ältere Zeit etwa als HilCswissenschaft der Geschichte, für die neuere
als selbständige Wissenschaft auf dem Gebiete der Kultur und
Litteratur und für den ganzen Verlauf der romanischen Spracb-
entwicklung bis zurück auf das Lateinische als Förderin ver-
gleichender Sprachforschung würde die Disciplin unter den anderen
ebenbürtig dastehen. Dann würden wir Neuphilologen auch im
Rahmen der Schule Wertvolleres leisten, auf dem Gebiete der
Schulbuchlitteratur würde mehr innerliche Vertiefung an Stelle
äufserlicher Verflachung treten, und wir würden damit auch in
den Augen der Vertreter anderer philologischer Fächer geachteter
dastehen. Diese Achtung aber, sie ist für das Gedeihen des Faches
durchaus von nöten. Wir können uns, wie schon eingangs er-
voD M. Baaoer. 365
wähnt, der Anerkennung freuen, die wir in Regierungskreisen
gefunden und die in den Lehrplänen zum Ausdruck kam. Aber
daü» trotz der Forderung der Menge nach Vermehrung moderner
Bildung das Französische sogar noch eine Einbufse, auf Oberreal-
schulen und Realschulen zumal eine recht bedeutende Einbufse
erlitten hat, kann für uns nur beschämend sein. Gewifs ist
dieselbe ja mit durch das Streben nach einer Einschränkung der
Schulstunden überhaupt bedingt worden, aber der Mathematik
beispielsweise blieb ihr Bestand nahezu, auf unseren Gymnasien
sogar völlig unverkürzt erhalten, — und die mathematischen Kol-
legen werden doch gewifs nicht zugeben, dafs ihre Lehrmethode
sich nicht gleichfalls in letzter Zeit gebessert hätte und dafs des-
halb ihr Fach eine Verkürzung nicht vertragen könne.
Allein in der angedeuteten Verschiebung des Schwerpunkts
in unserem Studium wurde nicht nur die dadurch notwendig
eintretende Vertiefung, sondern auch die daraus hervorgehende
gröfsere Begeisterung für das Fach der Schule zugute kommen.
Denn in letzter Linie ist es doch immer die eigene Begeisterung,
die uns eine bleibende Einwirkung auf die Jugend ermöglicht,
wenn auch für den ersten Anfang der Weg, den wir dahin ein-
schlagen, nicht gleicbgiltig ist Aber die mehrjährige Beschäftigung
mit längst vergessenen und zu unserer jetzigen Litteratur nicht
in geringster Beziehung stehenden Produkten von Dichtern zwölften
Ranges, ein Abzählen der Enjambements oder Cäsuren in einem
20 000 oder mehr Verse zählenden mittelalterlichen Poem, eine
Zusammenstellung der End-e aus einem alten Prosafragment und
was dergleichen Aufgaben mehr sind, kann doch wohl nicht das
Interesse abgeben, mit dem ihre Jünger zu erfüllen die erste
Angabe der Universität ist. Und so ist es denn erklärlich, dafs
man sich in der praktischen Ausübung seines Faches dann mit
so grofsem Eifer auf Dinge wirft, die zwar ganz gewifs es wert
sind, dafs man sich mit ihnen beschäftigt, aber sicherlich nicht,
dafs man sie derart auf die Spitze treibt und fast zum aus-
schlieblichen Ziel des ganzen Betriebes macht. Bleiben wir dabei,
ein solches Gewicht auf Äufserlichkeiten zu legen, die uns bald
jedermann absieht, kommen wir nicht dahin, zu beweisen, dafs
die ganze Art des neusprachlichen Schulunterrichts aus einem
Studium resultiert, das den ganzen Mann mit Kopf und Herz so
auf der Universität, wie Zeit seines Lebens in Anspruch nimmt, dann
können wir uns auch nicht beklagen, dafs gerade in unser Fach
so viele Nichtberufene mit bineinsprechen, dafs für die grofse
Masse der Schulmänner fachmännisch vorgebildete und nicht vor-
gebildete Lehrer fast ebenso identisch sind wie für die grofse
Menge überhaupt akademisch und seminaristisch vorgebildete
Lehrer. Bieten wir nicht etwas ersichtlich Besseres als diejenigen,
die das Fach nicht studiert oder nur als Nebenstudium getrieben
babeOf warum sollen diese dann nicht zum Unterricht zugelassen
366 ^oi* Denesteo Methode d. Uiiterrichtfl im PranzSsisehea,
werden? Versteht doch vielleicht der und jener durch die allgemein
bildenden Elemente, die er aus seinem Spezialfach mit fainüber-
nimmt, in dem Schüler diejenige Begeisterung für den Betrieb
des Französischen zu erwecken, die dem Neuphilologen selbst zu
erzielen nicht möglich ist. Also in Ehren die Anregung, die wir
den Reformern zu verdanken haben, Achtung vor den Versuchen,
die wertvollen Momente daraus in den Dienst der Schule zu
steilen, Anerkennung für die besseren Resultate, die auf diesem
Wege im Anfangsunterrichte erzielt werden; aber vergessen wir
nichts dafs das Französische eine Litteratursprache ist, dafs wir
es vielen Schülern, ja vielleicht der grofsen Mehrzahl, schuldig sind,
sie mehr zum leichten und gründlichen Verstehen der in jener
Sprache geschaffenen Geisteswerke als zu der Fähigkeit des Par-
lierens zu führen. Das Erfordernis dieser Fähigkeit tritt zwingend
gewifs nur an wenige heran, ein Verständnis der französischen
Litteratur aber wird man von jedem gebildeten Menschen ver-
langen. Sollten wir also eines nur auf Kosten des anderen be-
treiben dürfen, dann wird wohl niemand zweifelhaft sein, wofür
er stimmen mufs; denn abgesehen von der gebotenen Rücksicht
auf die Mehrheit, wird jede Schule ihren Zöglingen lieber den
rein geistigen als den mehr äulserllchen Gewinn mit auf den
Lebensweg geben, welch letzterer noch dazu — wenn nicht kräftig
festgehalten — sich viel leichter verliert als jener. Läfst sich
aber dieses und jenes vereinen, sollten sogar die beiden Seiten
zusammengenommen noch einander fördernd ausgestaltet werden
können, sollte — wo die alte Methode den Weg zum praktischen
Gebrauch der Sprache verlegt — die neue nicht umgekehrt das
Gefühl für sorgfältig und besonnen, ja oft mühsam eindringendes
Verständnis in den geistigen Gehalt der Sprache lahmlegen, dann,
ja dann greifen wir mit Zuversicht zu dieser neuen Methode.
Was — frage ich mich nun — geht aus dieser Erörterung
für die Gestaltung des Übungsbuches weiter hervor? Es muTs
neben dem Charakter des Lehr- auch den des Lesebuches, den
einer geschickt angelegten Chrestomathie immerhin wahren; es
mufs, wie schon oben gesagt, verschiedene Stilformen, es mufs
litterarisch Wertvolles, es mufs anziehenden Lesestoff bieten.
Natürlich wird sich dieser mit dem Alter fortschreitend auch
ernster und gediegener gestalten, er braucht deshalb aber nicht
im Anfang geradezu kindisch zu sein; Kindliches sollen wir dem
neunjährigen Kinde bieten, mit dem Kindischen kehren wir auf
das Niveau der Bonne zurück. Wenn das Lesebuch litterarisch
Wertvolles enthalten soll, so ist damit schon gesagt, dafs es echt
französisch, dafs es womöglich den besten französischen Schrift-
stellern entnommen, dafs es von französischem Kolorit durch-
drungen ist. Damit aber ist wiederum nicht gesagt, dafs es
etwa dem Gemüt des Kindes nicht Verwandtes, dais es nicht
Allgemein-Menschliches, dais es gar Antinationales in die deutsche
von M. ßanser. 367
Kindesseele hineintragen soll, ein Moment, auf das hinzudeuten
leider nicht ganz überflüssig ist.
Mit deni nach und nach schwieriger werdenden Lesestofl*
tritt aber auch die Forderung grammatischer Unterweisung ge-
bieterischer an uns heran; sie wird gewissen verwickelteren
Spracberscheinungen gegenüber nicht mehr blofs eine unter-
stützende, sondern eine geradezu unentbehrliche Seite des Unter-
richts. Und da mufs ich denn sagen: wenn man auch für den
Anfangsunterricht sich ganz auf den Boden der Reformer stellen
mag und wie den Laut vor dem Laulbild, so — weil das allein
Rationelle — die Obung in der mündlichen Verwendung des ge-
samten vorliegenden Wortschatzes eines Stückes jedes Mal vor
dem Lesen und Schreiben abgethan wissen will, — für den späteren
Unterricht, zu einem Zeitpunkt, da eine gewisse Fertigkeit im
mündlichen Gebrauch der Sprache bereits erworben* ist, wird man
ohne Gefahr auch einen anderen Gang einschlagen können. Der
Lehrer wird das Lesestück, mit dessen Inhalt er sich vorher be-
kannt gemacht hat, den Schülern frei vortragen, diese werden
sich bemühen, es mit dem ihnen zu Gebote stehenden Wortschatz
unter Einhilfe des Lehrers zu wiederholen, und nach zwei-,
höchstens dreimaliger Reproduktion wird man an das die muster-
giltige Ausdrucksweise und damit immer noch den Reiz der Neu-
heit wahrende Lesestück herangehen. Diese Lehrweise bezeichnet
gegen die im Anfang vorherrschende einen doppelten Fortschritt.
Statt der kurzen Antworten , die — wie Walter, Kühn und
Plattner es vorzeichnen — dem Schüler durch die Fragen des
Lehrers bisher geradezu in den Mund gelegt wurden, verlangt
man von ihm einen längeren, freien Vortrag, — statt der Über-
setzung eines leichtgebauten, nach allen Richtungen hin durch-
genommenen Stückes die Übertragung eines komplizierteren, nach
seinem Wortlaut ihm kaum bekannt gewordenen Textes in die
Muttersprache. So wird denn nun der Lehrer das vorliegende
Lesestück durchgehen, daraus die in demselben verarbeitete Regel
entwickeln und anscbliefsend Übungen vornehmen. Sollte sich
nun auf dieser Stufe nach Lage der Dinge irgend jemandem die
Ansicht aufdrängen, hier und da das Übersetzen einschlägiger
deutscher Texte mit Vorteil eintreten lassen zu können, so sähe
ich darin durchaus nichts Verwerfliches. Nur das Einfügen
deutscher Übungen in das Buch selbst halle ich für bedenklich,
wefl es den und jenen veranlassen könnte, darin statt eines ge-
legentlich zu benutzenden Hilfsmittels die Aufforderung zu regel-
mäßig vorzunehmenden Exerzitien zu erblicken. Aufgabe aber
wird es dann sein, die Grammatik mehr und mehr zu vereinfachen
und dabei so zu gestalten, dafs ihr logisch bildender Wert klar
zutage tritt Und wer sich an die Fassung der Regeln zumal in
den älteren Auf lagen von Karl Ploetz' Schulgrammalik erinnert»
wer daraufhin etwa Peters' französische Schulgrammatik in
368 Zar neaesteo Methode d. Uaterrichts im Prtnsösisehen,
tabellarischer Darstellung sich ansieht, wo er eine fast auf die
Spitze getriebene Übersichtlichkeit wahrnehmen wird, wer bei
Lucking, Klotzsch, Loewe, Plattner, Köhn, Ploetz-
Kares u. a. den Bestrebungen nach Erklärung und Vereinfachung
der Sprachgesetze seine Aufmerksamkeit zuwendet, der wird die
Möglichkeit der Herstellung einer den vollendetsten altsprachlichen
Lehrbuchern völlig ebenbürtigen Grammatik auf französischem
Gebiete nicht bezweifeln. Aber freilich ist noch mancherlei zu
thun übrig: die empfindliche Abhängigkeit der Dafs-Sätze von dem
Verbum des übergeordneten Satzes, die diesen Dafs-Sätzen, den
sonstigen Konjunktional- und den Relativsätzen gemeinsamen
Gesichtspunkte für die Wahl des Modus, das mafsgebende Moment
für die Anwendung von avoir und ötre bei ein- und demselben
und wiederum für den ausschliefslichen Gebrauch von 6tre bei
einer kleinen Zahl von Verben, die mancherlei scheinbaren Will-
kürlichkeiten im Gebrauch oder Nichtgebrauch des Artikels, dies
und vieles andere, namentlich auch aus der Formenlehre, wäre
in unseren Lehrbüchern immer noch leichter und fafslicher zu
geben, als bisher auch in den besten derselben geschehen ist.
Dann, freilich nur dann wird man den Schülern grammatische
Erörterungen an und für sich bildend, anregend und auch an-
genehm gestalten. Wer dies leugnet, der versteht es eben nicht
besser; man darf ihm nicht grollen; er hat auf der Univer-
sität nicht die erforderliche Vorbildung genossen, er hat auch
auf der Schule keinen anregenden Unterricht in diesem Gegenstand
genossen. Und wie man dem ehemaligen Gymnasial-Abiturienten,
der über den dort erhaltenen Bildungsgang verächtlich spricht, auf
den Kopf zusagen kann, dafs er ein schlechtes Gymnasium be-
sucht hat, so darf man demjenigen, der von dem Bildungswert
des Französischen gering denkt, unbedenklich entgegnen, dafs er
einen schlechten französischen Unterricht erhalten hat. Leider
aber ist dieses letztere bei der weitaus gröfseren Mehrzahl der
Fall gewesen. Dafs dem jedoch nicht immer so sei, dafs es in
Zukunft anders werde, das zu bewirken, betrachte ich als unsere
Lebensaufgabe. Und wenn dabei auch nicht alles spielend er-
reicht wird, wenn auch in unserem Gegenstand ernstere Anforde-
rungen an den Schüler herantreten, wenn er auch hier veranlafst
wird, seine ganzen Kräfte zusammenzufassen, — ich sehe nicht
ein, wie der Gegenstand dadurch an Wert verlieren sollte. Man
behauptet allgemein, dafs der Unterricht nach der neuen Methode
die Kraft des Lehrers übermäfsig in Anspruch nimmt; und es ist
nicht zu leugnen, dafs das hier bei Anwendung der dem Schüler
neuen und gänzlich ungewohnten Laute und Lautverbindungen
beständig notwendige Artikuliert- Sprechen auch eines starken
Mannes Organ leicht erschöpfen kann. Nun denn, so möge man
getrost auch hier die Schüler thätig mitarbeiten lassen. Mögen
sie, wie oben ausgeführt, zur Vertretung des Lehrers herangezogen
von M. Banoer* 369
werden und so neben dem Dienst, den sie sich selbst damit
leisten, der Allgemeinheil nützlich sein, indem sie die Durch-
fahrung dieser trefflichen Methode ermöglichen, ohne dafs die
Kräfte der Lehrenden darüber m Grunde gehen. Und in der
Thal haben noch alle diejenigen, die mit dem Anfangsunterricht
Dach der neuen Methode betraut waren, behauptet, im Schweifse
ihres Angesichts ihre Lehrstunden erteilt zu haben. Wenn denn
aber durchaus geschwitzt werden soll, warum sollen da nicht die
Schüler auch gelegentlich einmal schwitzen? Denn ohne Fleiüs
kein Preis und ohne mühsames Ringen keine Freude an dem
Emiogenen.
Frankfurt a. M. Max Banner.
Utoehiift t a. OymaMialwaMn XLYIIL 6. 24
I
ZWEITE ABTEILUNG.
LITTERARISCHE BERICHTE.
Hirzely Zeitfragen aas dem Gebiete des Württembergische a
GymnasialweseDS. 1. Über Vorbildaog und Prüfung zum höheren
Lehramt. Tübingen 1893, Laupp. 46 S. 8. 0,80 M.
Die wörttembergischen Schulverhältnisse, von denen der Verf.
spricht und an die er die bessernde Hand gelegt sehen möchte,
sind gemäfs ihrer besonderen historischen Entwickelung so eigen-
artig, daüs man sich erst in sie hineinfinden mufs, wenn man die
Urteile und Ratschläge, die Hirzel hier bietet, nach ihrer wahren
Bedeutung verstehen will. Und doch haben seine Ausführungen
zugleich ein allgemeineres Interesse. Über Standesehre und so-
ziale Stellung der Lehrer, über die Vorbereitung zum Beruf, Ober
Fach- und Klassensystem, über ideale und reale Bildung und ihre
wünschenswerte Verschmelzung wird in sehr ansprechender Weise
geurteilt. Wenn der Verf. dabei ohne alle Voreingenommenheit
und auf rein induktivem Wege, wie er ausdrücklich bemerkt, zu
dem Ergebnis kommt, dafs er die Annahme der preufsischen
Prüfungsordnung, wenigstens in ihren Grundzugen, seinen Lands-
leuten empfiehlt, so können wir im Norden damit ganz zufrieden
sein. Er erklärt unter Hinweis auf Lessings Berufung auf Homer,
das preufsische Schulwesen sei zwar kein Homer, aber doch
wenigstens bisher eine respektable Erscheinung im Ganzen
des deutschen Bildungswesens gewesen. Da wundere ich mich
nur, dafs er diejenige preufsische Einrichtung, die unstreitig zu
den besten und wirksamsten gehört, das Seminarjahr, ganz aufser
acht läfst und sich mit jenem alten Probejahr begnügt, das in
PreuDsen mit Recht an die zweite Stelle gerückt ist. Auch mit
der Forderung, nach dem 3. Semester auf der Universität eine
Zwischenprüfung in Philosophie und Pädagogik vorzunehmen, kann
ich mich nicht einverstanden erklären. Für wünschenswert halte
ich eine solche Prüfung auch, aber man verlege sie an das Ende
des 5. Semesters, wo die Studenten gröfsere Reife und Selb-
ständigkeit besitzen, und lasse dann weitere 5 Semester für die
gründliche Betreibung der Spezialfächer frei, dann dürfte der Ge-
winn ein ungleich gröfserer werden.
Gassel. Christian Muff.
F.Regeoer, Groodz. e.allg. MethodeDlehre, agz. v. Ih Schiller. 371
Fr. Re^eoer, Grondzäge einer allgemeinen Methodenlehre des
Unterrichts. Gera 1893, Theod. Hofmaon. 486 S. 8. 4M, geb.
5 M.
Der Verf. hat an den didaktischen Lehrbüchern, wie sie in
der Lehrerwelt (der Volksschule) im Gebrauch sind, dreierlei aus-
zusetzen. Sie bringen zwar Definilionen für den Ausdruck Me-
thode, unterscheiden aber nicht genügend die verschiedenen Arten
der Methoden; er unterscheidet zwischen Methoden der Forschung,
der Darstellung und des Unterrichts. Sodann werden seiner An-
sicht nach die Methoden ungenügend und unrichtig gekenn-
zeichnet. Endlich liegt diesen Schriften nneisL eine veraltete Er-
kenntnistheorie zu Grunde.
Der Verf. sucht nun seine Aufgabe in der Weise zu lösen,
dafs er die Ziele des Denkens, Analyse und Synthese, Induktion
und Deduktion, Beweis, genetische Methode, die Methoden der
Elementarmathematik, die vergleichende Methode der Geographie,
die pragmatische der Geschichte und die Metboden der Darstel-
lung erörtert. Dann bespricht er die der Mitteilung des Lehr-
stoiTes an die Schüler: Lehrfonnen, Frage, Erklärung, die Me-
thoden des Unterrichtsganges und die formalen Stufen. Endlich
werden Einübung des LefarstolTes, wissenschaftliche und elemen-
tare Methode, Ziele des Unterrichts, Lehrplan, sokratische und
pestalozzische Methode, Katechese, die Quellen des Beweisens und
der Lehrgeist dargestellt.
Das Buch ist sicherlich nicht ohne Verdienst und beruht auf
ausgebreiteten Studien; es kann ohne Zweifel dazu beitragen,
manche Unklarheiten auf dem Gebiete der Methodenlehre zu be-
seitigen. Aber ich fürchte, der Verf. schlägt doch den wissen-
schaftlichen Apparat, den er zusammengestellt hat, zu hoch an.
So ganz unüberlegt und unfruchtbar, wie er sie darstellt, waren
die mittelalterliche Logik und die bisherige Didaktik nicht, und
wenn wir heute mehrfach auf erkenntnistheoretischem Gebiete
anders denken, so darf man doch nicht übersehen, dafs es sich
hier oft genug ebenfalls um Theorieen handelt, die keinen An-
spruch auf allgemeine oder vollends ausschliefsliche absolute Gil-
tJgkeit erheben können. Der tüchtige Praktiker wird wenig in
dem Buche finden, was er nicht schon geübt hätte, wenn er auch
die wissenschaftliche Genesis der Namen und Sachen, die oft
etwas haarspalterisch verwertet wird, nicht verfolgte und vielleicht
öfter sogar nicht verstand. Dafs er darum aber beinahe 500
Seiten studieren soll, ist eine etwas starke Zumutung.
Giefsen. Herman Schiller.
Martia Luthers Romfabrt. Nach einem gleichzeitigen Pilgerbucbe er-
l'aotert von Adolf Hausrath. Berlin 1894, G. Grote'sche Verlags-
bachbandlaog. 99 S. kl. 8.
Lnther in Rom! Was für ein anziehendes Thema! Nur
schade, dals so wenig davon bekannt und der Vermutung Thür
24»
L
372 H* Kahnis, Bibelkande f. höh. Schnleo, aogez. v. H. Kluge«
und Thor geöfTaet ist. Da war es ein guter Gedanke von A. Haus-
rath» dem Heidelberger Theologen, Luthers Mitteilungen über Rom
mit einem der Pilgerhöcher zu vergleichen, wie sie die Romfahrer
jener Zeit auf ihren Gängen durch die heilige Stadt zu begleiten
pflegten. Dies Verfahren gewährt allerlei Auskunft, ermöglicht die
Sichersteliung bisheriger Angaben und berechtigt zu neuen Mut-
mafsungen und Schlüssen. Lückenhaft wird die Reisebeschrei-
bung immer bleiben; wie viel aber das Gemälde an Helle und
Farbe, an Richtigkeit und Anschaulichkeit gewonnen hat, ist
leicht zu ersehen, wenn man es mit der Darstellung vergleicht,
die Köstlin in seiner grofsen Biographie Luthers von jener Epi-
sode giebt. Der Gewinn ist ein ganz beträchtlicher. Das kommt
aber daher, dafs die Untersuchung mit grofser Gründlichkeit und
Feinheit geführt wird. Wohl mufste der Phantasie oder doch der
Kombination ihr Recht gelassen werden, da es fast durchweg galt,
Lücken auszufüllen und Verbindungen herzustellen; aber überall
sitzt die Besonnenheit mit im Rate und der scharf prüfende Ver-
stand bewahrt vor Trugschlüssen und Phantastereien. Dabei hat
es der Verf. weislich verstanden, die steife Gelehrsamkeit zurück-
treten zu lassen. Man merkt auf Schritt und Tritt, dafs der
gelehrte Mann überall Bescheid weifs und aus dem Vollen schöpft,
und für die, welche nachprüfen wollen, ist in den Anmerkungen
Gelegenheit genug dazu gegeben ; aber das mühsam Gefundene ist
mit solchem Geschick verarbeitet und in eine so gefällige Form
gekleidet, dafs es, ganz abgesehen von dem inneren Ertrag, ein
wahres Vergnügen ist, die schöne Abhandlung zu lesen.
Cassel. Christian Muff.
HeiDrich Kahois, Bibelknade für höhere Schalen. Leipzig 1893,
J. C. Hiarichssche BachhaodlaDg. VI n. 90 S. 8. 1,20 M.
Nach einem kurzen Vorwort über den Zweck des Buches und
die bei seiner Einrichtung befolgten Grundsätze und nach einer
Übersicht über den Inhalt folgt der erste Teil: die Bibel als
Ganzes, drei Kapitel enthallend, nämlich 1. Geschichte der Bibel,
2. Bedeutung der Bibel, 3. Gebrauch der Bibel. Das erste Ka-
pitel giebt einen kurzen Oberblick über die Entslehung der Bibel,
die wichtigsten Bibelübersetzungen und die Einteilung der Bibel;
das zweite handelt von Namen, Inhalt, Ursprung und Zweck der
Bibel hinsichtlich ihrer Bedeutung; das dritte Kapitel setzt aus-
einander, was unter Verständnis der Bibel und unter dem Leben
nach dem Worte Gottes zu verstehen ist.
Der zweite Teil gliedert den Inhalt des Alten Testa-
mentes nach einem Überblick folgendermafsen : die Urzeit, die
Zeit der Patriarchen, Mose, das Gesetz; das gelobte Land, das
Buch Josua, das Buch der Richter und das Buch Ruth, die Bü-
cher Samuel und die der Könige, Samuel, Saul, David, Salomo
W.Wackeroagel, Gesch. d.dtsc]i.Litteratar, apz.v.£.Fischer. 373
uDd die Teilung des Reiches (Kap. 4 und 5). Dann folgen im
6. Kap. die poetischen Bücher, im 7. Kap. die Propheten, im
8. Kap. die übrigen „Schriften'' und die Apokryphen.
Der dritte Teil behandelt dann das Neue Testament,
und zwar in Kap. 9 und 10 die Evangelien, indem zuerst über
die synoptischen Evangelien ein kurzer Überblick, dann von dem
Johannisevangelium eine genauere Disposition gegeben wird,
worauf an der Hand der synoptischen Evangelien die Lebens- und
Leidensgeschichte Christi vorgeführt wird. Kap. 11 giebt eine
Disposition der Apostelgeschichte und der Briefe Pauli, Kap. 12
stellt den Inhalt des Hebräerbriefs, der sieben katholischen Briefe
und der Oflenbarung Johannis dar.
Die praktische Brauchbarkeit jedes Schulbuches erweist sich
ja immer erst im Unterricht, indessen scheint sie bei dem vor-
liegenden Buche durch die Knappheit und Klarheit des Gebotenen
und die Übersichtlichkeit der Inhaltsangaben von vorn herein
verbürgt.
Cöthen. H. Kluge.
Wilhelm Waekernagel, Geschichte der dentscheo Litteratur.
Eio Handboch. Zweite Aaflage, oea bearbeitet nod zo £ade geführt
voo Brost Martin. Zweiter Band. Vierte (Schlafs-) Lieferaog.
Neaozehntes Jahrhoodert. Basel 1894, B. Schwabe. XVI u. 172 S. 8.
3,20 M.
Mit der Anzeige der vorliegenden Schlufslieferung soll zu-
nächst darauf hingewiesen werden, dafs das rühmlich bekannte,
gelehrte und wirklich handliche Werk von W. Wackernagel in der
neuen Bearbeitung und selbständigen Fortsetzung von E. Martin
jetzt seine erwünschte Vollendung erreicht hat. Dieses Handbuch
bildet bekanntlich die Ergänzung zu dem dreibändigen Lesebuch
von W. Wackernagel, auf dessen einzelne Stücke stets verwiesen
wird. Der erste Band der neuen Bearbeitung erschien 1879, die
erste Lieferung des zweiten Bandes (16. Jahrhundert) 1885. Die
folgenden drei Lieferungen (17., 18., 19. Jahrhundert) sind von
Martin ganz selbständig gearbeitet, und gleich die Bearbeitung des
17. Jahrhunderts ist von der Kritik als ein Werk von dauerndem
Werte und als „ohne Zweifel die beste übersichtliche Behandlung
dieses Zeitraums, die wir gegenwärtig besitzen'' bezeichnet wor-
den; vgl. z. B. Litt. Centr. 1890 Sp. 191. Dasselbe darf von der
vorletzten und von dieser letzten Lieferung gelten, die hier zu
besprechen ist.
Je näher die Darstellung der Gegenwart rückt, desto mehr
tritt das gelehrte Beiwerk zurück, desto gröfser ist aber auch die
Schwierigkeit und das Verdienst einer übersichtlichen Bearbeitung,
welche mit sicherer wissenschaftlicher Führung, wie sie aus um-
fassendster Kenntnis und gründlicher Methode erwachst, ein ge-
reiftes Urteil in der Auswahl derjenigen Dichter und Schriftsteller
L
374 W. Wackeroagel, Geschichte d. deutschen Litteratar,
verbindet, die ,,iD ihrer Zeit angesehen waren und auch für uns
noch wichtig erscheinen dürfen'' (Vorwort S. VII). Eine solche
Leistung für das 19. Jahrhundert bis nach dem Jahre 1S70 liegt
hier vor. Mit höchster wissenschaftlicher Zuverlässigkeil aber ver-
einigt sie eine Klarheit und Schönheit der Darstellung und eine
Wärme und Tiefe der Auffassung, wie sie des grofsen Gegen-
standes würdig ist und dem Sinn und Geist Wackernagels ent-
spricht. Alle diese Vorzüge treten dem aufmerksamen Leser
gerade in der Gedrungenheit der Form, welche der Zweck des
Werkes erforderte, recht vor Augen. Es ist, als habe dem Verf.
bei solcher Arbeit, die viel Selbstverleugnung erfordert, die Mahnung
Pestalozzis vorgeschwebt: Wenn Du Nächte durchwachen müfstest,
um mit zwei Worten zu sagen, was andere mit zwanzig erklären,
so lafs Dich Deine schlaflosen Nächte nicht dauern.
Auch neben Scherers Werk (3. Aufl. 1885), das, anderen
Zwecken dienend, durch seine geniale Leichtigkeit in der Zeich-
nung, durch den grofsen Wurf der flatternden Falten und seine
breiten Pinselstriche bewundernswert ist, und mit dessen sach-
kundiger Hervorhebung Martin selbst seiner Geschichte einea
Abschlufs giebt, welcher der Pietät für seinen einstigen Mitarbeiter
entspricht, tritt mit gutem Rechte seine eigene anmutig geschlossene
Darstellung. Sie bewegt sich in trefl'lichen, meist kurzen Sätzen,
in lichtvollen Übergängen, in bezeichnenden, mannigfach abgetönten
Ausdrücken mit der gröfsten Durchsichtigkeit und Inhaltsfulle.
Ja die Darstellung übertri£ft und berichtigt nicht selten Scherers
Schilderung, die im ganzen umfangreicher ist; zum Beispiel bei
n. von Kleist, Fr. Schlegel, Schenkendorf und Immermann. Martin
ist hier auch dadurch im Vorteil, dafs er stets, zwar mit den
knappsten Angaben, doch fein umrissene Lebensbilder giebt,
die Persönlichkeit schärfer beleuchtet, während bei Scherer
durch seine Hauptgliederung nach Gattungen die Anschauung etwas
beeinträchtigt wird. Auch der Ausdruck für den Inhalt der Werke
ist nicht selten noch bezeichnender als bei jenem. Die Amazonen-
königin (bei Kleist) „bekämpft, liebt, mordet" Achilles; die Rache,
wie Kleist in der Hermannsschlacht sie wünschte, ist „trugvoll
gegen die List, erbarmungslos gegen die Grausamkeit'' (S. 578,
579; vgl. Scherer S. 691). Der liebevolle Blick, den keine noch
so gerechte Kritik verdeckt, fällt, wie auf Kleist, dessen trefl'liches
Charakterbild noch durch die Andeutungen auf S. 603 und 666
ergänzt wird, so auch auf kürzer behandelte Dichter. Man lese
nur über Keller, Arnim, Novalis, Fouque, Chamisso und vei*gleiche
z. R. bei den beiden letzteren Goedekes herbe Auffassung (Elf
Bücher deutscher Dichtung). Vorzüglich gerecht ist die schwierige
Beurteilung von Heine (vgl. die Anmerkung über die Loreley
S. 635, 47 mit Scherers abschätziger Äufserung S. 662 oder gar
mit der Darstellung Heines bei H. Kurz, Gesch. d. Litt. IH S. 242);
auch die von Geibel, letztere in Obereinstimmung mit Goedeke
«Dgez. voo E. Fischer. 375
ond in Widerspruch mit dem bekannten Urteil ober Geibels (und
Mörikes) „Zuckerwasse^'^ Mit feinster, gutmütiger Ironie lobt der
Verf. Erscheinungen wie die Paalzow, die Birch-Pfeiffer, E. Heiter,
Beoedix, Wuslmaun (S. 548, 29) und auch den allbeliebten Trom*
peter von Säckingen; mit starkem Tadel trifft er etwa nur die
NübJbach. Überlegene Unbefangenheit bezeichnet seine Berührung
der religiösen Richtungen und der politischen (Herwegh, Freiligrath,
Freytag). Goethes ungünstiges Urteil über Ubland mildert er
durch die Motivierung (S. 611, 21). Kurz überall sieht der auf-
merksame Beobachter hinter der gelassenen Miene, die das Amt
des Geschichtschreibers erfordert, den fein wechselnden, heiteren
und verständnisvollen Blick des fühlenden Lesers.
Auch in den seltenen Fällen, wo der eine oder andere Freund
vielleicht die Teilnahme etwas wärmer ausgedrückt wünschen
möchte, wie bei Storm oder A. von Droste-Hüishof, ist doch die
Gerechtigkeit gewahrt. Annettes Geist liefs sich vielleicht durch
ihre eigenen Worte an Katharina Schücking bezeichnen (I S. 147
der Ausgabe von Schücking):
„Sehr an Liebe reich,
Begeisterung der Hauch, von dem ich lebte, —
Mein Blick war klar und mein Erkennen stark^'.
AimeCte in ihrer zart verhüllten Innerlichkeit bildet den stärksten
Gegensatz zu Heines dichterischer Ichheit; durch Gestaltungskraft
und Phantasie wird sie H.. von Kleist ähnlich. Da£s ihre Dar-
stellung nicht immer leicht verständlich ist, ist gewifs richtig;
aber z. B. ihr Jugendgedicht „Walther" zeigt deutlich, wie wenig
ihr die Fähigkeit leichten Ausdruckes fehlte. Ähnliches bemerkt
man bei Platens Jugendgedichten in den einfacheren Liedformen
im Vergleich mit seinen gedankenschweren, kunstlicheren Ge-
dichten. In Annettes „Geistlichem Jahr" spricht sich das religiöse
Eigenleben bis zum Zweifeln tief aus und durchbricht die kirch-
liche Form überall.
In dem engen Rahmen seiner Darstellung findet der Verf.
immer noch Raum, einzelne kleine Gedichte hervorzuheben, so
bei Rückert, Heine, Uhland, Mörike, und ebenso kurze bezeich-
nende authentische Aufserungen, so bei Wackenroder (S. 562),
Rückert (S. 618, 2: Philologia est humanitatis in verbo cognitio),
Goethe über Platen (S. 623, 3S: Ihm fehle die Liebe zu Leser,
Mitpoeten und zu sich selbst). Eine Andeutung über Gervinus
bezieht sich auf den Schlufssatz von dessen Werk, wo dieser
Mysseus' Worte Od. 22, 6 auf den Wendepunkt, den Goethes Tod
bezeichnet, anwendet.
Statt der allgemeinen Übersichten über die Geschichte der
Sprache und Verskunst, die in den früheren Lieferungen einen
besonders wertvollen Teil bildeten, genügen hier (S. 54Sfr.) kurze
Andeutungen und die Verweisung auf J. Minor, Neuhochdeutsche
Metrik, Strafisburg 1893; der letztere setzt seinerseits (Minor
L
376 W.WackernagelyGeflcli. d. dtscb. Litteratur, a9z.v.fi.Fi8ehflr.
S. 473) för die frühere Geschichte der Verskunst das Handbuch
von Wackernagel-Martin voraus. Da S. 549, 31 das „Messingisch"
erwähnt ist (Grimm DWB. führt auch nur das Citat aus Adelung
an), so war vielleicht die engere Bedeutung des Wortes „Mis-
singsch*' hier oder in dem Abschnitt über Reuter zu berühren,
in welcher dieser die Sprachmengerei mit so schlagender Wirkung
namentlich auf alle die Leser verwendet, denen das Plattdeutsche
und Hochdeutsche von Jugend auf gleich geläufig ist; sie bildet
in der That ja eins der wirksamsten Ingredienzien für die StolF-
mischung, aus der Bräsig, Poll, KösterSuhr u.a. gestaltet sind.
Die Anmerkungen unter dem Text hat der Verf. natürlicher*
weise in den letzten Lieferungen des Werkes mehr und mehr
beschränkt, daher dann der Flufs des Textes zu desto erfreulicherer
Geltung kommt. Doch zeigen schon die wenigen Stellen aus An-
merkungen, die im Obigen zufällig berührt sind, wie reich der
Gewinn auch aus ihnen bei dem genaueren Durchlesen einzelner
Teile ist. Nur in die ersten Anmerkungen des einleitenden Para-
graphen für dieses Jahrhundert hat der Verf. eine gröfsere, und
zwar eine neue und äufserst anregende Sammlung von Stellen,
namentlich aus Goethe und den Romantikern, gesetzt, welche den
Begriff „Bildung'' sprachgeschichtlich entwickelt. Goethe braucht
übrigens das Wort öfter in dem weiteren Sinne, z. B. in den
Annalen 1811 : „Da sich indes meine Bildung gesteigert hatte,
ward ich im schon Bekannten (Spinozas Ethik) gar manches, das
sich neu und anders hervorthat, auch ganz eigen frisch auf mich
einwirkte, zu meiner Verwunderung gewahr^'; oder ebenda 1817:
„Was kann segensreicher sein, als wohlwollende einstimmende
Zeitgenossen zu sehen, die auf dem Wege, sich und andere zu
bilden, unaufhaltsam fortschreiten?'' Die Bedeutung dieses Schlag*
Wortes für den Geist unseres Jahrhunderts führt der Verf. dann
in der Einleitung durch, und der Zweck, eine klare und schnelle
Übersicht über das Wesentliche zu geben, wird hierdurch wie
durch die Anordnung des ganzen Werkes in meisterhafter Weise
erreicht.
Schliefslich einige Kleinigkeiten. Fontane konnte vielleicht
erwähnt werden, etwa bei Alexis, da z. B. schon Dahn genannt
ist. Heine (S. 664) hat freilich Byron in seiner Jugend bewundert
und übersetzt, aber später eifersüchtig ignoriert. Der EinOuf«
von Dickens und Scott (S. 686. 670) ist gut hervorgehoben.
Übrigens sind Scott und andere Engländer schon vor der Zeit,
wo Goethe die Weltlitteratur beherrschte, ihrerseits von deutscher
Dichtung angeregt. Scott übersetzte in seiner Jugend Lenore, den
Wilden Jäger, den Götz; und Coleridge, der 1798 in Deutschland
war, übersetzte die Piccolomini und Wallensteins Tod (nach einer
Abschrift, die vor die endgiltige Feststellung der Handschrift ßlllt).
Ausstattung und Druck des Werkes sind sehr gut. S. 544
A. 15 Z. 2 v. u. 1. § 179, 8. 27; S. 687 a. E. 1. b statt 6; S. 672
R. BeehsieiB, Gedieht« W. v.d. Vogel weide, agz. v. F. Kantze. 377
Z. 2 ▼• u. 1. Harryat; S. 689 war der Name Herman Grimm mit
grofsen Buchstaben zu drucken und demgemäfs in das Register
aufzunehmen.
Doch ich will nicht „Fädchen absuchen'* oder gar anhängen.
AU^ge das ganze Werk von Mariin und Wackernagel, so wie es ist,
jedem Studenten oder Liebhaber unserer Dichtung, besonders
jedem Lehrer des Deutschen an höheren Schulen stets zur
Hand sein.
Moers. E. Fischer.
Reinhold Beehtteio, Aosgewahlte Gediehte Walthert von der
Vogel weide. Mit EioleituBf^, Anmerknogen and Wörterbuch. Zweite
Aoflege. Stuttgart, CotU. t56 S. kl. 8, , geb., 1,20 M.
Wer sich je mit Walther beschäfligt,,9.<^jer,gar dessen Dich-
tungen im Unterrichte zu erklären Gelegenl^fi]^ gehabt hat, kennt
aicberlich auch die geßUige Auswahl von, Bi^|[;hstein , die jetzt in
der zweiten Auflage vorliegt. Und zwar isi. ^ Sammlung selbst
uDTerändert geblieben, nur dafs zu den ^\;^b Walthers Schule
stammenden Gedichten noch eine weitere Nuq^mer hinzugetreten
ist. Dämlich das sieb an Walthers bekanntes; Vokalspiel, wenn
auch nur flöchtig anlehnende, zuerst in der Sammlung der car*
mina Bnrana entdeckte „Marnarii — S. 8 ist Murners verdruckt
für Harners — de vocalibus'*. Gewifs eine dankenswerte Zugabe,
bei der man jedoch leicht die Frage aufwirft, ob nicht auch das
Register von Wallhers eigenen Dichtungen um ein oder das andere
Stück zu vermehren war. Mir wenigstens hat in der Bechstein-
schen Sammlung immer ungefähr ein halbes Dutzend der Spruche
gefehlt, namentlich das hübsche Gleichnis von dem guten Gärtner:
sw^ guoler bände würzen sint u. s. w. und das Seitenstuck zu
Walthers berühmter Elegie, die Mahnung zur Kreuzfahrt: Owt waz
treu sich eilendet tiuscben landen, mögen nun die vier zusammen-
stehenden Strophen ein Gedicht ausmachen oder nicht. In der
Einleitung wie in den Anmerkungen ist die neueste Walther-
forschuDg sorgfältig berücksichtigt worden, vor allem die zweite
Auflage von Wilmanns' Kommentar, Pauls Ausgabe und Kopp-
manns neuerdings erschienene Übertragung von Walthers Sprüchen;
wodurch zwar der ursprüngliche Text nicht durchgreifend ver-
ändert, aber doch seinem Umfange nach ansehnlich bereichert
worden ist. So sind die Anmerkungen geblieben, was sie nach
der Angabe des Verfassers sein sollten: mehr ein Wegweiser für
den Lehrer als für den Lernenden. Dieser wird sich in vielen
Fällen in dem, was er zum Verständnis braucht, auf das Wörter-
buch, oft auch, wo dieses schweigt, auf die Hilfe des Lehrers
angewiesen sehen. Auf jeden Fall wird mau die zweite Auflage
der hübschen Sammlung willkommen heifsen.
Karlsruhe. F. Kuntze.
378 F- Fafsbaender, Kleine lateio. Sprachlehre,
F. Fafsbaender, Kleioe lateioische Sprachlehre für Real^ym-
oasieo, Progymnasien, Realprog^ym oasieo und ähnliche
ADstalten. Mäoster i. W. 1892, AscheodorCTsche BachhandlaDg. Vll u.
119 S. 8. 1,50 M.
Nimmer erschöpfen und leeren wollte sich, wie es anfangs
schien, die Flut der durch die neuen Lehrpläne zumal auf dem
Gebiete des altsprachlichen Unterrichts entfesseilen Bücherpro-
duktion. Nach und nach hat sie sich verlaufen, und Wertloses
ist hinweggeschwemmt worden, ehe noch seine Einlagsexistenz
recht bemerkt worden war. Um so mehr ist es Pflicht, auf das
wirklich Daseinsberechtigte hinzuweisen, damit nicht, was in
tüchtiger Arbeit zu stände gebracht wurde, in der iMasse des
Fabrikmäfsigen begraben werde.
Von diesem Gesfchtspunkte aus mache ich gern auf Fafs-
baenders Büchlein ä^fmffrksam. Es tritt ohne die Prätension auf,
etwas ganz Besond^l^il^' ^bedeuten zu wollen, und berührt doch
sympathisch durch'^d?^ praktische und in vielem selbständige Art,
mit der der Verf. al!i^ steine Aufgabe gegangen ist. Bei einsichtiger,
ausdrücklich her4\$rgehobener Berücksichtigung mafsgebender
Leistungen ist int' 'einzelnen nicht weniges neu gestaltet, und
gleichzeitig ein pädagogischer Blick gezeigt worden, der anerkannt
werden mufs. Zunächst in der Formenlehre. Überall sucht F.
den RegelstofT (vgl. z. B. die Geschlechtsregeln) in einer alles
Entbehrliche ausscheidenden, leicht fafslichen und vor allem selb-
ständig gefundenen Form zu geben. Nur das Typische ist — in
strenger Befolgung der neuen Lehrpläne — herausgehoben und
durch statistische Verwertung von Cäsar, Nepos und Ciceros Reden
gewonnen. Besonders gefällt mir, dafs die Paradigmen der De-»
klinationen und Konjugationen möglichst beschränkt und, zumal
bei letzteren, teilweise nicht durchgeführt sind. Gewifs dürfte
auch dieses Verfahren nach seinem Teile dem wichtigen Ziele
dienen, die Schüler vor mechanischer Lernarbeit zu bewahren
und dafür ihr eigenes Denken von früh an zu üben. Dagegen
halte ich es für zu weitgehend, nach dem Beispiele Scheindlers
statt des Supinums das Part. perf. pass. masc. oder das Part. fut.
act. aufzuführen, aufserdem den Infin. praes. act. gar nicht als
Stammform zu berücksichtigen. Wozu einem ganz vereinzelten,
ich möchte sagen absonderlichen Vorgang nacheifern? Nicht als
ob ich einem grundsätzHchen mumienbildenden Beharrungszustande
in grammatischen Aufstellungen das Wort reden wollte! Durch
nichts wohl ist mehr Segen gestiftet worden als durch die manchem
I^hilologenherzen abgerungene Dahingabe süfser Gewohnheiten des
urväterlichen Regel- und Formelschlendrians. Man hüte sich aber
vor Extremen, schon im Interesse der Schüler! Der Umstand,
dafs die Supinformen doch immer noch von dem Chor der Schul-
grammatiker festgehalten werden, empGehlt derartige mikrologische
Reformen nicht; um so weniger, als es niemandem benommen
angez. von R. Scheok. 379
Ul, die beanstandeten Formen als Perfektpassivgrundformen im
Neutrum gelten zu lassen. Ais längst überwundener Kleinkram
möfsten auch Quantilatsbezeichnungen wie cQniunctiö, absträcta,
cQnscIscö über Bord geworfen werden. Der für den höheren
Unterricht eingeschlagene neue Kurs will von diesen Pedanterieen
und Unnatörlichkeiten nichts mehr wissen, und mit Recht. Ist
der Verf. in solchen Dingen zu weit gegangen, so hätte er ander-
seits für die mnemonischen Interessen der Schüler durch typo-
graphische Hilfsmittel noch besser sorgen können, als es mit der
angemessenen, in reichlicher Hervorhebung wichtiger Dinge das
Mögliche leistenden Ausstattung seines Buchus bereits geschehen
ist. Warum ist fetter Druck z. B. nicht bei liberi und libri (§ 21),
bei lapidis, pulveris, sanguinis (§ 38), afui und aifui (§ 82), bei
den Formen von posse, ferre und velle verwendet, und warum
entbehren zahlreiche Formen gewisser unregelmäfsiger Verba (risi,
suasi, fodi, clausi, divisi, emi, fietus, affixus u. s. w.) entsprechender
Hervorhebung?
Im einzelnen habe ich folgendes zu bemerken:
In § 2 sind die Doppelkonsonanten unerwähnt geblieben, und
in $ 3 kommt mir die auf die Aussprache des c gehende Regei-
gebung etwas gekünstelt vor. — Die Deflnition der Substantiva
(§ 8) findet nicht meinen Beifall, da der Gegensatz zwischen den
beiden Klassen („Räumliches oder Greifbares'' und „Raumloses
oder Eigenschaft'*) nicht scharf genug herausgearbeitet ist. — Die
allgemeine Genusregel (§9) ist nachgerade zur crux grammatico-
rum geworden. Fafsbaender führt unter Nr. 11 die hergebrachte
Reimregel an, nach der „die Städte weiblich sind benannt'', un-
mittelbar darauf aber wird als Ausnahme bemerkt, dafs „bei den
Dicht auf -US endigenden Namen von Städten und Ländern das
Geschlecht nach der Endung bestimmt wird". Kann der Schüler
solche Vorschrift verstehen, und welche Geltung behält schliefslich
die Hauptregel? — Die in eine Anmerkung ($ 12) verwiesene
Unterscheidung zwischen „Wortstock" und „Wortstamm", die zum
Repertoire einer zeitgemäfsen Sprachlehre gehört, findet zu geringe
praktische Verwertung. Gar nicht erfährt man, von welcher Be-
deutung die Erkenntnis des Wortstammes ist. — Vermifst wird
ein Wort über das Fehlen des Artikels im Lateinischen. — Von
deo unter § 14, B und § 20 erwähnten Participien mufste aus
didaktischen Gründen wenigstens eins nach Bedeutung und Beugung
voi^efubrt werden, und aus denselben Gründen hätte es sich
empfohlen, neben dem vollständigen Paradigma puer ein Wort
mit ausgestofsenem h zu bringen — in kräftigster Hervorhebung
durch den Druck!
Wie schon bemerkt, ist es Fafsbaenders sehr richtiger Grund-
satz^ Lehr- und Lernpublikum mit dem ebenso schwerfälligen wie
heilig gehaltenen Trofs paradigmatischer Selbstverständlichkeiten
zu verschonen. Doch geht er mir, auch was die dritte Deklination
380 P' FafsbaeDder, Kleine lateio. Sprachlehre,
anlangt, etwas zu weit. Mit den wenigen Beispielen konsonantischer
Stämme (dolor, genus, acer) ist dem Zwecke des Buches nicht
gedient. In solchem müssen Abwandlungen von i-Stämmen (arx,
hostis, mare) als klare Typen für das Auge des Schülers Platz
finden. Der Ersatz durch die Deklination von acer ist nicht ge-
nügend. Überdies fehlt eine a priori gegebene Klassifikation (§ 25).
Die Sabstantiva werden, ohne nach ihrem (konsonantischen) Cha-
rakter bestimmt zu sein, abgewandelt, so dafs die unvermittelt
folgende Charakteristik von acer überraschen mufs. Gewifs ist
ein Hinweis auf die i- Deklination wichtig. Eben darum muCste
aber auch ein umfassenderer Gebrauch von dieser Bestimmung
für die Gewinnung eines mafsgebenden Prinzips in der Behand-
lung zusammengehöriger Besonderheiten (§ 31 H, §32, §33) ge-
macht werden. Eine straffere Zusammenziehung sonst disparat
erscheinender Dinge wäre der didaktische Gewinn für die zweck-
mäfsige Darbietung jener dem Schüler schwierigen Partie gewesen.
— Dafs die Participien eine stärkere Hervorhebung verdient
hätten, war schon bemerkt. Dafür konnten entlegene Vokabeln
(fustis, codex) entbehrt werden. — Die Hauptregel des § 41 findet
nicht meinen Beifall. Weshalb wird ein Nomen wie caput in den
Zusatz verwiesen, um doch als besonders bemerkenswert gekenn-
zeichnet zu werden? — § 47 fehlt die Form tribubus, während
das Wort selbst unmittelbar darauf als Vokabel genannt wird
(§ 48). — § 55 durfte ein besonderer Hinweis auf den Grund
der umschreibenden Steigerung nicht fehlen. Aufgefallen ist mir die
Bildung magis praecipuus, maxime praecipuus. Welche Belege aus
Schriftstellern hat der Verf. für diese Zusammenstellung gefunden?
— Wenn in § 58 multus, plus, plurimus neben einander genannt
wurden, so mufste ein Wort über die Natur der Form plus ge-
äufsert werden. — Über die unbestimmten Fürwörter
(§ 69, 1 — 4) habe ich mich bereits in der Anzeige des Grosseschen
Programms (Januarheft dieser Zeitschrift, 1894) geäufsert; ich
wiederhole, dafs sie der Syntax zuzuweisen (z. B. quisque zu
§ 218) oder beim Vorkommen in der Lektüre zu besprechen sind.
Statt quisque hätte übrigens quivis viel eher eine Hervorhebung
verdient, denn dies darf der Schüler mit den geringeren Skrupeln
gebrauchen. — In der Zahlwörter-Tabelle treten wichtige Bil-
dungen zu wenig durch den Druck hervor. Auf unus et vicesimus
folgt gleich duodetricesimus. Wie soll nun der Schüler „der
zweiundzwanzigste" u. s. f. bilden? Ein Abdruck gerade dieser
Formen wäre dankenswerter gewesen als derjenige des dem Schüler
nie begegnenden bis millesimus. Ferner mufste so gut wie milia
auch mille selbst charakterisiert und zur Erläuterung seines Ge-
brauches mit einem Beispiel bedacht werden (§ 75). — § 80 ver-
misse ich die Angabe des Teilungsprinzips, das für die Tempora
zu gelten hat. — § 87: Beim Infin. Fut. Pass. fehlt ein Hinweis
auf die unveränderliche Form, und zu § 91 hätte eine Erklärung
attget. von R. Sohenk. 3gl
des Begriffes „Semideponens'' (die Verba selbst § 112 und § 130)
gebort. — Zu § 100 — 103 bemerke ich, dafs Formen wie sona-
luras und secaturus schon von Harre über Bord geworfen sind.
— § 106: recenseo und suscenseo sind entbehrlich. Dasselbe ist
zu sagen ?on dissuadeo (§ 108), luo (§ 116), contradico (§ 120),
protego (ib.). — Ich billige es sehr, dafs statt ungewöhnlicher
Simplicia Yon Tornherein Komposita gesetzt sind; doch konnten
uro, figo, spargo u. ä. genannt werden.
Die Behandlung des syntaktischen Stoffes macht im
grofsen und ganzen einen günstigen Eindruck. Indessen bleibt
manches anzumerken. Die Regel § 172, Zus. 2 klingt mechanisch.
Der Schüler mufs doch, was gerade für das erste Beispiel ea — quae
zulriflt, erfahren, in welchem Falle (nicht ob selten oder häutig)
Pronomina und Adjektiva pluralisch gebraucht werden. — § 173
saait Zusatz ist überflüssig. Sollen diese Selbstverständlichkeiten
uodb breit getreten werden? — § 174: indignor c acc. ist zu
verwerfen. Recht zweckmässig wäre es gewesen, wenn der Verf.
nidit das im Zusatz Vermerkte als vereinzelte Erscheinung be-
trachtet, sondern die Natur des pronominalen Neutrums in ver-
allgemeinernder Weise, also unter Heranziehung von § 180 und
§ 199 behandelt hätte. — § 176: Die Bedeutung von convenio
= ,4ch treffe zusammen'' ist — schon mit Rücksicht auf das
folgende Beispiel — nicht glücklich gewählt. — § 178 ermangelt
einer präzisen Fassung. Es heifst, dafs die betreffenden unpersön-
lichen Verben den Genetiv .... der Sache regieren, und dabei
wird als erstes Beispiel geboten: Eorum nos miseret, qui — non
reqatmnt In demselben Zusammenhang wird von decet ge-
sprochen. Der Schüler vermutet leicht, dafs es gleichfalls ein
unpersönliches Verbum ist, wird aber durch das Beispiel : Parvum
parva decent irre geführt. — § 180 ist mir nicht verständlich. —
In § 183 befremdet der Ausdruck „Hafs der Ausdehnung in der
Zeit** um so mehr, als in §209, 3 keine Erklärung dieses Abla-
ÜTs der Zeit gegeben wird. Überdies war von der Ausdehnung
im Räume als der ursprünglichen Anschauung zuerst zu sprechen.
— Die Konstruktion von invidere (§ 185, Zus. 2) konnte durch
einfache Anpassung an den deutschen Ausdruck verständlicher ge-
macht werden, und prospieio aliquo = „schaue aus wohin** bleibt
am besten ganz weg. — Über die von den Schulgrammatikern
mit unglaublicher Zähigkeit und Unkenntnis festgehaltene Regel
▼om Dat. poss. habe ich mich in meiner Spezialuntersuchung
(Progr. Bergedorf 1892) mit hinreichender Ausführlichkeit aus-
gesprochen und wenigstens den Ciceronianischen Sprachgebrauch
▼or allerlei Zumutungen bewahrt. Die Ergebnisse jener Unter-
SBcbung haben bereits praktische Verwertung gefunden. Hier
wiD ich nur bemerken, dafs die von Fafsbaender gebrachten
Beispiele Lacedaemoniis de principatu cum Atheniensibus certamen
fuit und Cum bis mihi res sit keine Belege für den echten
382 P* Fafsbaeoder, Rieioe lateio. Sprachlehre,
possessiven Dativ sind, da dem esse nicht der BegriflT der An-
eignung zu Grunde liegt, sondern der Dativ von einem mit esse
zu einem Ganzen verschmolzenen Gemeinschaftsbegriff be-
stimmt wird. — Mit obigem Hinweis ist für mich auch erledigt,
was ich über § 190 und dessen Zusatz wie über § 191, Zus. zu
sagen habe. Nur hinzufugen will ich, dafs der Genet. definitivus
bätle erwähnt werden müssen, — schon mit Röcksicht auf gewisse
Genetivverbindungen der neueren Sprachen. — § 199 mufs der
Ausdruck „welcher etwas daran gelegen ist" geändert werden.
— § 202 ist die Vorschrift, dafs der' Abi. comp, statt quam mit
dem Nominativ oder Akkusativ steht, in dieser Allgemeinheit
nicht den sprachlichen Thatsachen entsprechend und für den
Schüler ungeeignet. — Zu § 203, Zus. 2 habe ich zu bemerken,
dafs die beiden Bedeutungen „nötig sein'* und „bedürfen** für
opus esse unmöglich neben einander stehen können; am besten
wird die ganze Fassung geändert. — In § 207, Zus. fehlt die
Charakteristik der Genetive tanti, quanti u. s. w. — § 214, Zus. 3
mufste belli domique genannt werden. — Was hat sich der Verf.
in § 215, Zus. 2 (Beispiel: suus cuique erat locus) bei der Be-
merkung gedacht, dafs suus in der Bedeutung „sein eigener**
auch in Beziehung auf ein Objekt desselben Satzes steht? — Das
fuhrt mich auf die syntaktischen Eigentümlichkeiten der Pronomina,
die m. E. unzweckmäfsig vor der Consecutio temp. von F. be-
handelt werden. Der Verf. sieht sich genötigt, schon beim Pron.
reflex. von innerlich abhängigen Sätzen zu sprechen, die doch
nur in ihrem organischen Zusammenhange mit dem genannten
Sprachgesetze nach ihrem Wesen aufgezeigt und begriffen werden
können. (Vgl. § 256.) — In § 219 und sonst begegnet die her-
gebrachte Unterscheidung von Haupt- und Neben tempora. Es
ist höchste Zeit, dafs dieser grammatische, im Schuler leicht
falsche Vorstellungen erweckende Zopf allgemein beseitigt werde.
Zudem wird das Perf. praes. nicht nachdrücklich genug als
Tempus der Gegenwart hervorgehoben. In der Aufzählung (§ 219)^
fehlt es ganz. — § 226 ist das Beispiel: Dum vitant stulli vitia u. s. w.
als Beweis für die aufgestellte Regel, daf8 dum im Lateinischen
mit anderen Zeiten als im Deutschen verbunden wird, unpassend
gewählt. — In § 227 wird ohne Not die an ungeeigneter Stelle
(§ 215, 8. 0.) bereits gewonnene und allein richtige Bezeichnung
der „innerlich abhängigen Nebensätze** aufgegeben. — Der ganze
§ 228 ist entbehrlich; sein Inhalt ist der Besprechung bei der
Lektüre vorzubehalten. — Gar nicht verstanden habe ich die Be-
hauptung (§230,2), dafs der Conj. fut. in Folgesätzen, nament-
lich bei quin stehe. Die Verweisung auf § 236 ist mir ebenso
unverständlich. — Für den unabhängigen Konjunktiv (§ 232 fg.)
fehlt eine judiziöse Anordnung der verschiedenen Formen. Erst
waren die in Betracht kommenden Satzgattungen unter gleich-
zeitiger Angabe der bei negativer Fassung anzuwendenden Nega-
anges. voo R. Schenk. 3g3
tioDen zu bestiminen, dann konnten die verschiedenen Nuancie-
rungen folgen. — Dafs nach den unpersönlichen Verben des
Geschehens mit adverbialem Zusätze quod mit dem Indikativ
sieht (S 235, Zus. 1), ist mindestens ungenau ausgedruckt. Was
für Adverbia müssen es denn sein? — § 241 ist änderungs-
bedürftig, da die Regel zu äufserlich gefafst ist. — § 245 (Zus. 2)
wird im Widerspruch mit den Beispielen und daher unverständ-
lich Ton Yergleichungss ätzen gesprochen. — § 249 empfehle ich
dem Verf. zur Umarbeitung. — In § 253 (Zus. 1) ist das allein-
stehende ßeatum esse ohne Sinn, und in § 254 fehlt das
Wichtigste, nämlich die Charakteristik der Dafs-Sätze nach ihrem
Inhalt. — §256 wäre der Ort für die in §216 vorweggenommene
Regel vom Pron. reflex. gewesen (s. o.). — In § 258 (Zus. 1) ist
die Cbersetzung „ich gebe zu, dafs*' für concedo aliquid esse so-
wohl sprachlich als didaktisch schlecht gewählt. Mit dem folgenden
moneo a. e. und dem im 5. Zus. erscheinenden nego aliquid esse
ist es nicht anders. — Die in § 264 Zus. 1 und 2 gebrachten
Beispiele sind aufser allem Zusammenhang und darum in solcher
Form pädagogisch verwerflich. Ich habe über diesen Punkt noch
des weiteren zu reden.
Am meisten nämlich dürfte der Verf. an seinen Beispielen
zu bessern haben. Mit den in der Vorrede ausgesprochenen
Grundsätzen bin ich einverstanden. Es ist aber hauptsächlich die
Form, die mich zu Ausstellungen veranlafst, das Zusammenhang-
lose, Torsoartige, wodurch manches in ungünstiger Weise auffällt.
Ich mache auf diesen Mangel darum besonders aufmerksam, weil
er den meisten Schulgrammatiken anhaftet und viel zu wenig ge-
rügt wird. Das erste Beispiel in § 21 7 fängt mit Quo facto,
eines in § 227 mit Quae res, das zweite in § 236 mit Neque,
das in § 248 Zus. 2 gegebene mit Quod an. In § 190 beginnt
ein Beleg mit Est autem. Zahlreich sind die in dieselbe
Kategorie gehörigen Sätze mit unverständlichen Fürwörtern. Ich
schreibe nur aus, was sich § 184 findet: Locutus est pro bis
Divitiacus, und verweise im übrigen auf die §§ 184, Zus. 2. 187.
188. 190. 193, Zus. 215. 223, 1 (ganz besonders anstöfsigl). 228.
237, Zus. 5. 241. 242, a. 258. Von den fragmentarischen Satz-
gebilden nenne ich aus § 172, Zus. 1: Flumen, quod appellatur
Tamesis, aus § 184, Zus. 1: Pugnare pro patria, aus § 241: Prius-
quam incipias consulto, aus §245, Zus. 2: alle drei Beispiele,
$ 253, Zus. 1 : Beatum esse. Endlich erkläre ich das in § 235,
Zos. 2 gebrauchte Beispiel für verkehrt und rate dazu, statt des
io § 246, 3 gewählten Beleges, der die ausschliefslich dichterische
Struktur von tentare bietet, einen anderen mit besserem Sprach-
gebrauch zu bringen.
Es wird dem Verf., wenn er das Facit dieser kritischen
Durchmusterung zieht, klar sein, wieviel seinem Buche noch an
der Vollkommenheit fehlt. Hierin soll kein Verdammungsurteil
384 A. Rieder, Lit. RetrovertierübaoipeD, to;6z. v. £. Krak.
liegen. Etwas schlechthin Fertiges ist bisher selten einem Haupte
entsprungen, am seltensten dem eines Verfassers ?on Schulbüchern.
Es kommt allein darauf an, das positiv Geleistete anzuerkennen,
und in dieser Erwägung wiederhole ich, was ich zu Anfang ge-
urteilt habe, dafs die Anlage der Pafsbaenderschen Sprachlehre
sowie die Formulierung der Vorschriften im einzelnen aller Achtung
wert ist. Eben weil das ßuch von vornherein einen günstigen
Eindruck auf mich machte, unterzog ich mich der Mühe einer
möglichst eingehenden Untersuchung, deren Ergebnisse ich hier-
mit dem Verfasser zur Nachprüfung und Benutzung unterbreite.
Glückstadt. Richard Schenk.
A. Rieder, Vorlagen zu lateiolschen RetroyertierSbangen far
I und II A. Köoigsberg i. Pr. 1894, Hartnogsclie Verlagtboclidraekaroi.
139 S. 8. 1 M.
Da nach den neuen Lehrplänen die Erörterung grammatischer
Fragen bei der Lektüre ausgeschlossen, aber nur eine gram-
matische Stunde in der Woche im lateinischen Unterricht für IIA
und I angesetzt ist, so sind von Fachlehrern verschiedene Ver-
suche gemacht worden, um grammatische Sicherheit, ohne welche
die von den Lehrplänen gestellte Aufgabe schlechterdings nicht
erreicht werden kann, bei den Schülern zu erzielen. Einen sol-
chen glücklichen Versuch dieser Art hat Rieder gemacht, indem
er mit nur geringen Veränderungen aus lateinischen Schriftstellern
— Schulschriftstellern und Neulateinern — sehr zweckmäfsig aus-
gewählte Vorlagen zum Retrovertieren, 30 für I und 25 für IIA,
liefert. Er rät^ wöchentlich von einer Lektürestunde 15 bis 20
Minuten ein von den Schülern im Laufe der Woche zu Hause
durchgearbeitetes Stück in der Schule übersetzen zu lassen; daCs
infolge dessen das Schreckgespenst der Oberbürdung wieder auf-
tauchen wird, steht gewifs nicht zu befürchten.
Ist gegen die vorsichtig vorgenommenen Veränderungen auch kein
Bedenken zu erheben, so ist doch nicht recht abzusehen, weshalb die
Stelle aus dem bekannten Trostschreiben desServius Sulpicius zwei-
mal (S. 23 u. 69), und zwar verschieden, ja beide Haie anders, als
wir in Ciceros Briefen lesen, angeführt und nicht unter andern lieber
üiceant als iaeent gegeben ist, wie ich auch S. 49 Z. 5 v. u. den
Konjunktiv supersit vorziehen möchte. S. 90 und 91 stimmt die
Übersetzung nicht, indem dort „aus guten Freunden*', hier ea;
inimicis geboten wird. Da die Schüler gelernt haben, die latei-
nischen Monatsnamen als Adjektiva zu behandeln, so w*flrde es
sich empfehlen, S. 73 a Kalendis Augusti zu verändern; auch
spcnte ohne Pronomen (S. 33) ist nicht zu empfehlen, ebenso-
wenig vox für „Ausspruch" statt illud (S. 17) und hen&nUeUegerei
S. 25 statt probe t. oder qui haud nesciret, — Napoleon S. 23^ ist
wohl sicherer i^apofeonts abzubeugen. Das Verdienst Ciceros bei der
Entdeckung der keineswegs überaus gefährlichen Catilinarischea
P.DettweUer,M.TaUiiCtc.Epist.selectae,tgz. V.H.Schiller. 3S5
Yerschwörang ist wohl S. 32 zu sehr erhoben, da der Zufall da-
bei ihm zu Hilfe kam. S. 35 Z. 5 ▼. u. würde ich priscae fidei, S. 43
useptum vorschlagen.
Als Anhang sind auch einige Vorlagen zu griechischen Re-
trovertierubungen beigefugt, da ohne Sicherheit in der Gram-
matik auch keine Sicherheit in der griechischen Lektüre erreicht
werden kann, der Lehrer aber diese Sicherheit in der griechischen
Grammatik bei seinen Schülern zu fördern um so mehr bestrebt
sein mufs, da das griechische Skriptum in IIA und I fortge-
fallen ist.
Die wenigen Druckfehler verbessert jeder Leser leicht selbst.
Die Benutzung des Büchleins ist den Gymnasien sehr zu em-
pfehlen.
Insterburg. E. Kräh.
M. TolHi Ciceroois Epistulae selectae. Für den Schulgebraach er-
klärt von P. Dettweiler. Gotha 1894, Fr. Andr. Perthes. X u.
223 S. 8.
Der durch seine Officien- Ausgabe ruhmlichst bekannte Verf.
bietet uns hier eine Ausgabe der Briefe, die nach allen Richtungen
eigenartig ist und sich zweifellos in der Schule rasch Eingang ver-
schaffen wird.
Ein Haupt Vorzug ist die Beschränkung auf 64 Briefe; selbst-
verständlich rechnet der Verf. dabei nicht darauf, dafs selbst diese
in der Schule sämtlich gelesen werden können. Aber es sind
genug, um dem Lehrer Freiheit der Wahl und die Möglichkeit
der Pnvatlektüre zu gestatten, und ängstliche Gemüter, die in
einem Jahre nicht dasselbe zu lesen wagen wie im anderen, fmden
reichlich Stoff für zwei Jahre.
Dabei wird man aber bei dieser Beschränkung nichts ver-
missen, was für einen Unterricht, der in der Lektüre eine Unter-
stützung der Geschichte sucht, wie dies die neuen Lehrpläne for-
d«^, und der zugleich nach Konzentrationsrücksichten verfährt,
wie dies ebenfalls in letzteren verlangt wird, wesentlich und für
die Jugetidbildung wertvoll ist. Tritt also in erster Linie das-
jenige Briefmaterial naturgemäfs in den Vordergrund, das geeignet
ist, die Entstehung der Cäsarischen Monarchie und des Augustei-
schen Prinzipats zu erklären und zu veranschaulichen, indem
diese beiden Männer und ihre Gehülfen dem Schüler näher ge-
bracht werden, so ist doch dieser Gesichtspunkt durchaus nicht
allein bestimmend gewesen. Die Sammlung ermöglicht es viel-
mehr, auch Ciceros Leben und litterarische Entwickelung zu ver-
femen, das soziale und wirtschaftliche Treiben der Zeit vorzuführen
und ihre ethischen Beziehungen zu verstehen. Damit ist bei
gröEster Beschränkung eine Allseitigkeit der Ausbeute ermöglicht,
die den bisherigen weit umfangreicheren Briefsammlungen regel-
mäfsig abging.
Zeitaohr. f. d. Crmnastalwesen XTiVUI. 6 25
386 R- Zimmermann, Lat. Obungsboch, angez. von F. Thomeo.
Die didaktische Verwertung des Materials ist im wesentlichen
nach den Grundsätzen erfolgt, die sich in der Ausgabe der Ofß-
cien bewährt haben. Kurze prägnante Übei*schriften und konzise
Angaben des Gedankengangs, endlich Hervorhebung der Haupt-
gedanken und Hauptpersonen durch den Druck führen den Schüler
ausreichend in das Verständnis ein und locken ihn zur selbstän-
digen Überwindung der Schwierigkeiten, denen nun seine Kräfte
gewachsen sind. Obgleich der eigentlich philologische Teil (Text-
gestaltung u. s. w.) für eine Schulausgabe Nebensache ist, so soll
doch nicht unerwähnt bleiben, dafs auch derjenige, der an dieses
Evangelium glaubt, seine Erwartungen erfüllt sehen wird. Die
eigentliche Erklärung ist sehr glücklich, und man sieht Schritt
vor Schritt, dafs man es hier mit Dingen zu thun hat, die nicht
in der geläufigen Art zustande gekommen sind, bei der aus zwei
Büchern ein drittes gemacht wird, sondern dafs in reicher Unter-
richtserfahrung selbständig gewonnener und stets wieder an den
Ergebnissen der Wissenschaft geprüfter und geläuterter praktisch
wertvoller Arbeitsertrag mitgeteilt wird.
Im Interesse eines wirklichen Sachunterrichtes ist deshalb dem
Buche die weiteste Verbreitung zu wünschen.
Giefsen. Herman Schiller.
E. Zimmermann, Übungsbuch im Anschlufs an Cicero, Sallosty
Li vi US zum mündlichen und schriftlichen Übersetzen ans dem Deut-
schen ins Lateinische, nach den Anforderungen der neuen Lehrpläoe.
Dritter Teil. Übungsstücke im Anschlofs an das 21. Buch des Livios.
Berlin 1893, U. (lärtners Verlagsbuchhandlung (Hermann Hevfelder).
74 S. 8. 0,80 M.
Das vorliegende Bändchen nimmt, mit Ausnahme weniger
und kurzer Partleen, den ÜbersetzungsstofT aus dem 21. Buche
des Livius. Was an den beiden ersten Teilen des Übungsbuches
mehrfach bemängelt und als Erschwerung im Gebrauche dieser
bezeichnet wurde, dafs bereits die ersten Übungsstucke auf spä-
tere Kapitel der Pompejana und Ciceros Katilinarien, wie Saliusts
Verschwörung Katilinas Bezug nehmen, ist hier vermiedeir worden;
es gereicht also diese Anordnung dem vorliegenden Bändcheu zum
Vorteile. Auch darin ist ein Vorzug zu erblicken, dafs der Verf.
es verstanden hat, einige Gruppen von Übungsstöcken zu schaffen,
welche sich an hervorragende Personen oder Ereignisse aus des
Livius Schrift anschliefsen ; eben hierdurch wird der Zweck, den
die Übungsbucher verfolgen, nach der Seite hin vollständiger er-
reicht werden, dafs sie ein gründliches Verständnis des Schrift-
stellers herbeifuhren helfen. Dafs dagegen minder wichtige Stellen
und solche, die sprachlich besondere Schwierigkeiten bieten oder
seltener vorkommende Wörter und Wendungen enthalten, kurz
behandelt worden sind, mufs ebenfalls gebilligt werden. Anders
aber gestaltet sich die Antwort auf die Frage, ob bei dem reichen
■
W.RiekeD, filem entarboch d. frz. Sprache, agz. v. A.Rohr. 3g7
Slofle, den das 21. Buch bietet und den der Verf. auch unter
Variation oft desselben Themas aufs geschickteste umgeformt hat,
eine Benutzung anderer Quellen notwendig war, um in Übungs-
Stöcken, die vom ursprunglichen Schriftstucke etwas abseits liegen,
historische und antiquarische Verhältnisse zu behandeln, die vom
Scbriftsteiler, sicherlich nicht ohne Grund, nur angedeutet worden
siod. Hat der Verf. beabsichtigt, damit die historischen Kennt-
oisse der Schuler zu erweitern und zu vertiefen, so mufs anderer-
seits darauf hingewiesen werden, dafs der erste Zweck die Über-
setzuog ins Lateinische ist; daför aber findet der Schüler in den
ober diesen Stücken verzeichneten Kapiteln nicht immer die wun-
sehenswerte sprachliche Handhabe.
Der deutsche Ausdruck ist, wie in den beiden früheren
Heften, zumeist gewandt. Eine Andeutung durch den Druck, an
welchen Stellen Periodisierung zu erfolgen hat, wäre auch hier
dringend erwünscht. Indessen, dies Heft weist in verschiedenen
Hiosichten Vorzöge gegen die früheren auf und darf deshalb warm
empfohlen werden.
Stralsund. F. Thümen.
1) Wilhelm Rickeo, Nenes Elementarbach der französischen
Sprache. Berlin 1893, Wilhelm Gronau. IV a. 141 S. 8. 1 M.
Dem Eifer der Verfechter der neuen Methode verdanken wir
eioe ganze Reihe französischer Unterrichtswerke, von denen manche
von wirklicher Sachkenntnis und unleugbarem Geschick zeugen.
Zu den letzteren gehört das Neue Elementarbuch. Ein Umstand
niiDint von vorn herein für dasselbe ein. Kaum war der Regen der
oeoen Lehrpläne gefallen» da schössen fast über Nacht die Schul-
bücher zur vergänglichen Pilzenherrlichkeit empor: der Verf. des
vorliegenden Werkchens, der schon früher auf diesem Gebiete
ihllig gewesen ist und deshalb ein umfangreiches Material zur
Rand haben mufste, ist erst jetzt damit an die Öffentlichkeit ge-
treten. -Es giebt also doch noch immer pädagogisch schriftstel-
lernde Philologen, aus deren Horaz die Stelle v. 388 lib. H Epist. HI
nicht ganz gestrichen ist.
Den Forderungen der induktiven Methode gemäfs bildet das
Lesestück den Ausgangs- und Mittelpunkt des Unterrichts. Da
kommt es in erster Linie darauf an, dafs dem Schüler ein Sprach-
Stoff vorliegt, der nach Inhalt und Form ihn anregend beschäf-
tigen und weiter fördern kann. Nach Ansicht des Ref. hat der
Verf. diese Aufgabe besser als sonst jemand gelöst. Gedichte,
^hlungen, Gespräche und Beschreibungen folgen im anmutigen
Wechsel auf einander, im angemessenen Stufengange von dem
ganz Leichten zum minder Leichten fortschreitend und so all-
Biiblich zum Schwierigem gelangend, dessen Beherrschung schliels-
lich den Gebrauch eines besonderen Lesebuchs ermöglicht. So
25*
38ä ^* Ricken, ElemeoUrbuch der franz. Sprache,
ist vor allem bei der Auswahl, Bestallung oder Erlinduog der
ersten Sprachstücke ein grofses Gewicht auf sprachliche und sach-
liche Einfachheit gelegt. Der Verf. hat nie aus dem Auge ver-
loren, dafs (um an dieser Stelle, wie unten mehrmals, seine eige-
nen Worte anzuführen) „hier, wenn der Lehrer vor Ärger und
Verzweiflung geschützt, wenn die Freudigkeit des Lernens, wenn
das natürliche Interesse am Anfangsstudium an den grundlegen-
den Übungen sorgfältig gepflegt werden soll, alle vermeidbaren
Schwierigkeiten aus dem Wege geräumt werden müssen; denn
auch dann bleibt dem Schüler noch genug zu thun, wofern man
sich nicht mit oberflächlichem Wissen begnügt, sondern strenge,
feste Verarbeitung des Stofles nach den Gesichtspunkten der laut-
lichen und buchstäblichen Gestaltung des einzelnen Wortes, der
Verknüpfung der Einzelworte zu Wortgruppen und Sätzen, der
inneren freieren Verwendung des Neuen im Sprechen und Schrei-
ben sich zum Gesetz macht''.
Die Nummen 1 bis 7 bieten vornehmlich den Stoff für die
praktischen Übungen zur Erwerbung einer richtigen Aussprache.
„Dafs deren Schwierigkeiten sorgsam verteilt sind, dafs beispiels-
weise la und Ib keine Nasalvokale enthalten, dafs dann in 2a
und 2b ä und o eingeführt und tüchtig geübt werden, in 3a und
3b § und 5 folgen, mag auch noch der Beachtung der Fachge-
nossen empfohlen werden*^ Heifst das aber wirklich alle theo-
retischen Lautgesetze fernhalten, wenn der Verf. in der Übung 2a, 5
dem Quartaner erzählt: „Die Nasalkonsonanten n und m haben
den vorhergehenden mit ihnen in derselben Silbe stehenden
reinen Vokallaut verdorben (getrübt, nasal gemacht) und sind
dann gestorben.'^? Die übrigen (31) Nummern dienen haupt-
sächlich dazu, dafs das durch die Lehrpläne bestimmte Pensum
in der Formenlehre zur Anschauung gebracht wird. Grund zu
Ausstellungen dürfte Nr. 16 geben. Man lese:
Aux enfants de Tecole.
Enfants de Fecole, Aimez votre frere,
Travaillez gatment: Aimez, servez Dieu:
Chaque instant s'envole; Au ciel, sur la terre,
Profitez du temps. Vous serez heureux.
Wenn man auch diese Verse „mit dem nötigen Interesse für die
Sache und mit einigem Sinn für die Poesie der Kindheit in der
Absicht durchliest, ihren erwärmenden Einflufs auf das jugend-
liche Gemüt, auf das kindliche Denken und Empfinden abzu-
schätzen*', wird man doch kaum den Eindruck gewinnen, dafs
die plattfüfsige Moral, die aus ihnen spricht, „als ein des poeti-
schen Reizes nicht entbehrendes, auch den Erwachsenen noch
anheimelndes Lebensgemälde und als ein wirklich guter Stoff für
den grundlegenden französischen Unterricht gelten'' kann. Von
ao^ez. voD A. Rohr. 389
deo beiden Reimschnitzern gafment-temps und Dieu-heureux will
Rer. schon gar nicht reden.
Zu den einzelnen Sprachmustern gehören Übungen, die
jedoch praktischer Weise örtlich getrennt sind und schon durch
den Druck anzudeuten scheinen, dafs sie als integrierender Teil
des Ganzen nicht angesehen sein wollen. Diese haben die Be-
stimmung, den jeweiligen Lernstoff zum sichern Besitz des Schü-
lers zu machen. Ref. furchtet nur, dafs der Verf. in dieser Be-
ziehung zuweilen zu hohe Anforderungen stellt: eigentlich sollen
alle grammatischen und idiomatischen Wendungen des betreffen-
den Lesestücks, selbst wenn sie noch nicht zur Lehraufgabe der
Klasse gehören, mit den Schülern eingeübt werden. So bereits
in Nr. 11 der Gebrauch der unselbständigen Personalpronomina
und damit (in den einfachen Zeiten) die Konjugation der Reflexiva,
Ton Nr. 16 an der Gebrauch der selbständigen Pronomina, ja bei
Nr. 20 werden gleich die im Stück selbst gar nicht vorkommen-
den Ordinalia gelernt. Doch da hat der Lehrer vollständig freie
Hand.
Das grammatische Pensum erledigt knapp und übersicht-
lich ein besonderer Abschnitt. Von III B ab sind die Lehraufgaben
für Gymnasien und Realgymnasien nicht mehr genau dieselben;
daher ist das für die letzteren Anstalten besonders Geforderte
durch kleineren Druck von dem gemeinsamen Pensum unter-
schieden. Dem Verf. mufs man ohne weiteres zugestehen, dafs
er hier, trotz aller Kürze, alles, was er gelernt wissen will, in
einer Form bietet, die, obgleich präzis, dennoch für den Schüler
dorchaus verständlich bleibt. Dabei berührt es den Lehrer aufs
angenehmste, dafs die Ergebnisse der wissenschaftlichen Gram-
matik nicht so weiter ignoriert sind wie in manchen ähnlichen
Schulbüchern, in denen nach französischem Muster die beiden
Konditionale noch immer als ein besonderer Modus gelten, in
denen die Bildung des Futurs I und Konditionalis I auf ganz
mechanische Art behandelt wird, ohne irgend ein Eingehen auf
deren eigentliche Bedeutung, die sich aus der Umschreibung von
selbst ergiebt. Das alles und vieles andere findet sich hier nicht
vor. So hat sich endlich in den Konjugationsparadigmen der
Konjunktiv von dem unleidlichen que, mit dem er herkömmlicher-
mafsen zusammen gelernt wurde, und das deshalb der Schüler,
wie es jeder Lehrer in den mittleren und höheren Klassen satt-
sam erfahren hat, mit diesem Modus zu verbinden pflegte, befreit
und ist dafür ein Konzessivverhältnis mit quoique eingegangen.
Hingegen dürfte einiges — wie bei den Übungen — zu früh ver-
langt oder für die Klassenstufe zu hoch gegriffen sein, manches
ins Gymnasium überhaupt nicht hineingehören. Da möchte der
Verf. entgegen den Lehrplänen schon in IV die orthographischen
Regeln über die Verben auf cer und ger durchnehmen, schon der
HIB die Kenntnis des Unterschiedes zwischen: „Elle s'est lavee
390 VV. Rickeo, Elementa rbach d. frz. Sprache, agz. v. A. Robr.
sie hat sich gewaschen, und eile s'est lave les mains sie hat sich
die Hände gewaschen'' zumuten. Und wie zufrieden würde der
Professor sein, dem jedes Mitglied eines romanischen Seminars
die nachstehende Darlegung geben könnte: „Der Stammesauslaut
und die Form des Infinitivs: Resoudre ist entstanden aus dem
lateinischen resölvSre. Daraus entstand resolvre und resolre: re*
solre wurde resoldre und durch Vokalisierung des 1 zu u : resoudre.
Aber nicht d ist Stammesauslaut, sondern Iv. Daher heifst der
Plural des Präsens: nous resolvons, vous resolvez, ils resolvent.
Der Singular des Präsens mufs, da Iv Stammesauslaut ist und von
diesen zwei Konsonanten der letzte unbedingt ausgestofsen wird,
zunächst resols, resols, resolt lauten, woraus dann r^sous, resous,
resout entsteht. Daher: je resous, tu resous, il resout, nous re*
solvons, vous resolvez, ils r^solvent''. Auch dürfte in einem Ele-
mentarbuch für Bemerkungen wie bei veux „x blofses Schrift-
zeichen für s (1 von vouloir zu u aufgelöst)'' oder bei Darstellung
der Futurbildung der Verben auf evoir „Die Betonungsverschiebung
und ihre Folgen leicht zu veranschaulichen: debere: devoir —
deberabes (= debere habes) : devras" selbst in Gestalt von klein-
gedruckten Fufsnoten kein Platz sein. Mit der Verdeutschung:
Vokalstofs für Hiatus scheint der Verf. selber nicht recht zufrieden
zu sein, da er bei Erklärung der Form nous croyons lieber sagt:
,,y = i ~f- hiatustilgendem j-Laut".
Für seine deutschen Übungsstücke zum Übersetzen ins
Französische kann der Verf. nur auf Dank rechnen. Jeder, der
nach Lektüre der französischen Stücke und Durchsicht des gram-
matischen Teils wie der „Übungen in unmittelbarem Ausschlufs
an die französischen Sprachstoffe" sie eingehend prüft und dabei
entdeckt, dafs kein einziges derselben die Aneignung eines neuen
Wortes verlangt, da sie nur den erworbenen Sprachschatz zur
Verwertung bringen sollen, wird die Sorgfalt anerkennen, mit der
sie gearbeitet sind. Auch zweifelt Ref. ebensowenig wie der Verf.,
„dafs sie der allgemeinen Bildung wie der Sprachbefestigung gute
Dienste leisten werden, sei es, dafs sie schon im ersten Jahre
oder am Anfange des zweiten bei der Wiederholung des bis da-
hin verarbeiteten Stoffes, oder endlich erst im Anfang des dritten
Jahres im Anschlufs an eine dann vorzunehmende Wiederholung
zu Übersetzungsübungen verwandt werden". Um die Verwendung
dieser Stücke möglichst zu erleichtern, ist trotz ihres engen Zu-
sammenhanges mit den französischen Sprachmustern ein deutsc))ies
Wörterverzeichnis, das sämtliche in ihnen vorkommenden Vokabeln
in alphabetischer Reihenfolge enthält, am Schlufs angehängt.
Notwendiger als das Wörterverzeichnis sind die sogenannten
Präparationen. In diesen sind die Vokabeln der französischen
Musterstücke enthalten. Natürlich giebt es für jedes eine beson-
dere Präparation, und in der Reihenfolge, wie die Wörter in jenem
vorkommen, werden sie hier angegeben. Begreiflicherweise meint
W. Ricken, Grammatik d. frz. Sprache, aogez. v. A. Rohr. 391
aber der Verf. durchaus nicht, damit eine wirkliche Vorbereitung
für das Lesestöck zu bieten; vielmehr soll dieses in der Klasse,
sogar, wenn möglich, ohne Benutzung des Buches in den Besitz
des Schulers gebracht werden: erst nach Bewältigung des Stückes
oder eines Teiles desselben sei es wünschenswert, dafs die darin
vorgekommenen Vokabeln für sich zur Befestigung aufgegeben
werden.
Wenn nun Ref. noch ein Gesamlurteil abgeben darf, so ist
es kurz folgendes. Trotz der im ganzen doch geringfügigen Aus-
stellungen, über die aufserdem der Verf. und vielleicht auch man-
cher Leser anders denken mag, bietet das Neue Elementarbuch
für den Anfangsunterricht im Französischen an Gymnasien und
Realgymnasien ein Hilfsmittel, wie es gegenwärtig nur ?on we-
nigen ähnlichen Büchern erreicht, von keinem übertrofTen wird.
2) Wilhelm Ricken, Grammatik der franzSsischen Sprache fiir
dentoche Schalen. Berlin 1S93, Wilhelm Gronau. IV n. IIB S. 8.
1,20 M.
Ein köstlich Ding ist es doch um eine gute Schulgrammatik!
Dafs eine solche auch für den französischen Unterricht möglich
ist, hat Knebel bewiesen. Leider ist sein Buch für Gymnasien
geschrieben, denen für das Französische mindestens ebenso viele
Stunden wie für das Lateinische zur Verfügung stehen. Deshalb
erwartete Ref., dafs der Verf. des oben besprochenen Elementar-
baches eine den wirklichen Verhältnissen entsprechende Gram-
matik, d. h. den grammatischen Oberbau zu dem genannten
Werkchen liefern würde. Diese Erwartung hat sich nicht ganz
als irrig herausgestellt.
Zunächst ist die Anordnung zu rühmen. Wie die Lehrpläne
fordern, ist der Lehrstoff nach Redeteilen gruppiert; sowohl in der
Formenlehre wie in der Syntax ist es das Verbum, das an erster
Stelle und mit besonderer Sorgfalt behandelt ist, das den Schwer-
punkt des Ganzen bildet. Natürlich ist Verwandtes, Analoges auch
in zweckmäfsiger Weise zusammengebracht.
Die Fassung erbringt hier in noch höherm Grade wie im
Elementarbuch den Beweis, dafs der Verf. mit der geschichtlichen
Sprachforschung vertraut ist und sie geschickt dort heranzu-
ziehen weifs, wo sie zur wirklichen Erleichterung des Verständ-
nisses dienen kann. Dabei ist in der That, wie im Vorwort be-
tont wird, die Gestaltung des Einzelnen und jedes gröfseren Ganzen
oft überraschend einfach. Wie übersichtlich sind z. B. die Regeln
über die Pemininbildung der Adjektiva oder über den Gebrauch
des Konjunktivs oder der Hilfsverben avoir und etre! Dafs trotz
der Benutzung mannigfacher Hilfsmittel die Ausarbeitung ein
dorchaus selbständiges Gepräge zeigt, davon kann sich der Leser
fast auf jeder Seite überzeugen; dafs Wesentliches irgendwo über-
gangen sein dürfte, wäre auch ohne die Versicherung des Verf.s
nicht anzunehmen. Die zahlreichen, teilweise recht umfangreichen
392 ^- Rickeo, Grammatik d. franz. Sprache,
FuüsDoten sollen meist für die gelegentliche Erweiterung des
grammatischen Wissens bei Wiederholungen in den obern Klassen
sorgen.
Den Hauptvorzug des Buches findet Ref. in der strengen
Durchführung des Prinzips der Anschaulichkeit. , »Insbesondere
ist in der Syntax bei der Auswahl der Musterbeispiele, aus wel-
chen sich das nachfolgende Gesetz oder die Regel wie vop selbst
ergiebt« auf die unmittelbare Fafslichkeit und Anschaulickeit der
in ihnen zum Ausdruck gebrachten Gedanken gebührendes Ge*
wicht gelegt worden. Sie sind nämlich zum weitaus gröfslen Teile
den wesentlich im Anschauungskreise der Jugend sich bewegen-
den, jedenfalls immer lebensvollen StoiTen des Elementarbuches,
sowie der*' Erzählung: le Tour de la France entnommen. — „Die
übrigen Beispiele sind ebenfalls mit Rücksicht auf die auch durch
den grammatischen Unterricht zu erstrebende Vermehrung des im
täglichen Verkehr gebrauchten Wort- und Pbrasenschatzes aus-
gewählt worden".
Insofern kann das Werk vom pädagogischen Standpunkt aus
freudig begrüfst werden, auch wenn sein Inhalt nicht, wie das
Vorwort zu verstehen giebt, gerade in künstlerische Form gegossen
ist. Doch findet sich Verschiedenes, das weniger empfehlenswert
erscheint. Da steht z. B. „Eine grofse Zahl von französischen
Verben hat eine andere Rektion als die entsprechenden deutschen
Verben. — Die Abweichungen betreffen sowohl das (französische)
Akkusativobjekt, wie die präpositionalen Objekte. Ein französisches
Akkusativobjekt entspricht also manchmal einem deutschen präpo-
sitionalen (besonders Dativ-)Objekt, und ein französisches präpo-
sitionales Objekt entspricht nicht selten einem deutschen Akku-
sativobjekt''. Und nun folgt eine Liste, die Verben wie suivre,
survivre, user in demselben Atemzuge nennt. Die so wichtige
Regel über den Gebrauch des reinen Infinitivs hat nur in einer
kleingedruckten Anmerkung unter dem Strich einen Unterschlupf
gefunden; über die Fassung urteile der Leser selber: „Den reinen
Infinitiv verlangen nämlich (aufser denjenigen, welche auch im
Deutschen den Infinitiv ohne „zu'' verlangen): 'pouvoir, savoir,
oser, und die meist intransitiven Verben der Bewegung aller, venir,
courir, voler, envoyer (und einige andere) nebst ihren Koropositis,
ferner manche Verben des Denkens und Wollens: croire, penser,
juger, s'imaginer, se figurer, supposer, compter, esperer; — vouloir,
desirer, entendre, daigner, preferer, aimer mieux, aimer autant —
sowie (besonders in Relativsätzen) die Verben des Sagens, mit
Ausnahme derjenigen des Benachricbtigens, Versprechens, Überzeu-
gens, welche de verlangen, und derjenigen des Antwortens, nach
denen que sieht". Der Satz: Guillaume P*^ s^est couronne em-
pereur d'Allemagne" ist wohl einem Ignoranten von Zeitungs-
schreiber zu verdanken, dürfte daher nicht hier vorkommen. Als
Beispiel eines aus dem Germanischen ins Französische eingedruu-
U
«DgcL voD A. R»kr. 393
geDell und deshalb mit eiDem konsooantischen h gesprocheDen
Wortes ist le kdtre gewählt. Da wäre es ratsam gewesen, statt
oder neben „Bu<^he" das eigentliche — noch immer nicht aus-
gestorbene — Et]fmon „Heister*' beizusetzen. Bei dem Kapitel
über das Adjektiv wird auch noch von einer dritten Steigeruogs-
form, dem Superlativ, gesprochen. In Wirklichkeit existiert der-
selbe gar nicht; le plus utile, le meilleur sind Komparative mit
dem bestimmten Artikel, infime, supreme haben wie principal, le
dernier nur superlativische Bedeutung, und die Scherzformen sa-
vantissime, doctissime gehören der gelehrten Sprache au. Die
allgemeine Geschlechtsregel: „Weiblich ist die Mehrzahl der Wör-
ter mit weiblicher Endung, die also ein dumpfes oder stummes
e (es) am Schlufs haben*^ gefallt sogar dem Yerfl nicht; denn er
fügt gleich hinzu: „Diese Regel ist jedoch wenig verläfslich. Die
Wörter auf e mit vorhergehendem Vokallaut sind allerdings mit
geringen Ausnahmen durchgängig weiblich. Auch kann man be-
haupten, dals diejenigen Hauptwörter, bei welchen dem e (jetzt
und froher) nur ein Konsonant (der auch gedoppelt sein darf)
vorhergeht, in den meisten Fällen weiblich sind; doch ist auch
hier schon das e oft nur ein Laut- oder Schriftzeichen, das den
Rücksichten der Aussprache vorhergehender Buchstaben sein Da-
sein verdankt, und das ohne diese Rücksichten nicht vorhanden
sein würde, so z. B. bei den fast ausschliefsh'ch männlichen Wör-
tern auf -age und ^ge und anderen auf ge, bei ice und anderen
auf ce. Gehen oder gingen aber dem e mehrere Konsonanten
voran, so beruht dasselbe noch weit häufiger nicht auf einer
weiblichen Endung der lateinischen (romanischen) Grundsprache,
sondern auf dem Bedürfnis der Erleichterung der Aussprache jener
Konsonantengruppen (besonders Verschlufslaut oder f oder v mit
folgendem 1 oder r — solche Wörter sind denn auch in ihrer
Mehrzahl männlich)'^
Dergleichen Unebenheiten beeinträchtigen den Wert des Buches
erheblich nicht, auch können sie mit Leichtigkeit bei etwaigen Neu-
drucken beseitigt werden; sehr bedauerlich ist es aber, dafs der
Verf. nicht darüber ins Reine gekommen ist, für wen er seine
Grammatik hat schreiben wollen. Das Titelblatt sagt einfach für
deutsebe Schulen. Soll diese allgemein gehaltene Adresse im
Ernst gemeint sein? Es müfsle doch nachgerade jeder Beteiligte
die Einsicht gewonnen haben, dafs ein derartiges Schulbuch, das
den Anforderungen des Gymnasiums und der Realschule, der
Töchterschule und der Handelslehranstalt u. s. w. genügen will,
ein Unding ist Selbst diejenigen Schulen, welche die Lehrpläne
im Auge haben, zerfallen, je nachdem sie Latein lehren oder
nicht, in zwei Gruppen. Die erstcren verlangen eine Grammatik,
deren Lehrstoff in erster Linie methodisch geordnet ist, die all-
gemeine Begriffsbestimmungen, soweit sie das Lateinische vorweg
genommen hat, vermeidet und, wo das Verständnis wirklich er-
394 VV. Ricken, Grammatik d. frz. Sprache, aogez. v. A. Rohr.
leichtert werden kann, auch die Ergebnisse der historischen Gram»
matik heranzieht. Was im Gegensatz hierzu sich für die andere
Kategorie von Anstalten eignet, dürfte sich Ton selbst ergeben.
Gemeinsam aber ist für beiderlei Schulbücher die Forderung, dafs
sie nur als Mittel zum Zweck zu dienen, sich also auf das Regel-
mäfsige und allgemein Gebräuchliche zu beschränken haben. Die
vorliegende Grammatik soll leider für mögliclist viele Anstalten
passen. Wie schon oben angedeutet, geht der Verf. recht oft auf
das Lateinische zurück. Daneben trifft man Erklärungen wie „Die
transitiven Verben können ein Akkusativobjekt zu sich nehmen
und bilden ein persönliches Passiv. — Die intransitiven Verben
können nur ein präpositionales Objekt zu sich nehmen und bil-
den kein persönliches Passiv'* oder „Das Substantiv ist 1.
ein Gesamtname, wenn es die Gesamtheit a) gleichartiger
Einzelwesen (citoyen, homme, chien, auimal, ville) — Gattungs-
name — b) gleichartiger Stoffe (fer, or, bois) — Stoffname —
c) gleichartiger abstrakter Begriffe (foi, charite, vertu) — Abstrak-
tum oder Gedankending — , 2. ein Eigenname, wenn es blofs
ein Einzelwesen (Einzelding) bezeichnen kann (Homere, Cesar,
Paris, la France, le Vesuve, la Seine)*\ Zuweilen könnte man
annehmen, der Verf. beabsichtige ein grammatisches Nachschlage-
werk zu liefern, so zahlreich sind stellenweise die Beispiele, so
lang die Listen. Da sind zur Veran schaulich ung der Regeln über
die Pluralbildung der zusammengesetzten Wörter über 30 Sub-
stantive angegeben, oder die Verbindung von Verben mit neu*
tralen Akkusativen von Adjektiven, die deshalb als Adverbien em-
pfunden werden, wird mit mehr als 20 Beispielen belegt Dafs
der Verf. im Anschlufs an die Präpositionen de und k die ge-
samte Kasuslehre auf 4 Seiten erledigt, kann auf Beifall rechnen-,
dafs er dagegen für die übrigen Präpositionen 8 Seiten verwendet,
ist verhällnismäfsig zu viel. Wie erfreulich wird man es finden,
dafs die Regel über die Pluralbildung der Wörter auf al ohne die
obligate Karnevalsgesellschaft von Schakalen, Pfählen, Schwielen
u. s. w. auftritt! Aber um die Freude zu vergällen, heilst es
kurz vorher: „Hinter u tritt gern das Schriftzeichen x statt s
ein. Bei allen Substantiven auf au und eu (obu) schreibt man
deshalb x statt s: Poiseau: les oiseaux; le dieu: les dieux; ie
voou: les voeux. Ebenso bei 7 Wörtern auf -ou: le bijou (Kleinod),
le caillou (Kiesel), le chou (Kohl), le genou (Knie), le hibou (Eule),
le joujou (Spielzeug), le pou (Laus). Plural: bijoux, cailloux,
choux, genoux, hihoux, joujoux, poux*'. Solche Ungleichheiten
könnte Ref. noch mehrere anführen, doch genügen diese für den
Beweis, dafs das Werkchen nach einer eingehenden Umarbeitung
verlangt. Sollte der Verf. sich zu derselben verstehen, so wäre
vor allem zu wünschen, dafs er, nachdem er sein Ziel schärfer
ins Auge gefafst, mit einer gröfseren Oleichmäfsigkeit verföhre
und recht viel kürzte und striche: je dünnleibiger, desto schneller
!
W. Ricken, La Fraoce, an^ez. von A. Rohr. 395
wird seine Grammatik in die deutschen Lateinschulen Eingang
fioden.
3) Wilhelm Ricken, La France — Le payt et son peuple. — Ber-
lin 1893, Wilhelm Gronau. VI a. 28] S. 8. 2,60 M.
Ein stattlicher Band, ein gehaltvolles Buch! Mit wachsendem
Interesse bat Ref. es gelesen, und als er damit zu Ende kam,
koDDte er es nicht weglegen, ohne vielfach darin herumzublätiern
und an diesem and jenem sich noch einmal zu erfreuen. Da
haben wir eine Zusammenstellung von LesestQcken, die nicht erst
ans anderen in Deutschland erschienenen Lesebüchern oder höch-
stens einigen franko- belgischen Fibeln und ähnlichen Werken, die
der Zufall über die Grenze verschlagen hat, entnommen sind. Der
Verf. hat offenbar aus dem Vollen geschöpft, und die Grandsätze,
Dach denen er gesammelt, dürften den Forderungen einer beson*
oeaen Pädagogik wohl entsprechen.
Als Einleitung dient eine Bearbeitung von Brunos Tour
de la France. Zwei lothringische Knaben durchziehen auf der
Suche nach ihrem Oheim zu Fufs, im Wagen, zu Schiff und mit
der Eisenbahn fast ganz Frankreich. In ihrer Gesellschaft ge-
winnen wir einen Einblick in die wunderbare Mannigfaltigkeit der
plastischen Gestallung des Landes und dessen Erzeugnissen, und
80 ziemlich in das gesamte Erwerbs- und Verkehrsleben des
eigentlichen Volkes. Von den freundlichen Ufern der Mosel gehts
nach den rauheren Juralandschaften mit ihrer Sennwirtschaft und
Uhrenfabrikation, dann, nach einem Blick auf dem Genfer See
nod die saToyische Alpenwelt, einem Abstecher ins Burgundische
— gottlob, es ist eben die Zeit der Weinlese — und in die
Aavergne mit ihren seltsamen Vulkankegeln, nach Lyon, das dank
seiner günstigen Lage, dank dem Gewerbetleifse seiner Bürger zur
zweitgröfsten Stadt des Landes geworden ist. Creuzot und St.
Etienne geben uns eine Vorstellung von der französischen Stahl-
und Eisenindustrie, während die Wanderung längs des Rhone-
stromes einen Einblick in die südeuropäische Flora gewährt.
Welchen Eindruck mufs in Marseille das Leben und Treiben eines
der grdfsten Hafenorte der Welt, dann der erste Anblick des tief-
blauen Hittelmeers machen! Die Seefahrt nach Cette wie deren
Fortsetzung auf dem canal du Midi ist kaum minder genufsreich
and dabei wieder höchst unterrichtend: erfahren wir doch das
Wichtigste Ton Nizza, Korsika, Toulouse, den Pyrenäen. Endlich
ist der Oheim in Bordeaux gefunden, und nun darf die Heim-
reise angetreten werden. Sie erfolgt auf einem stattlichen Segel-
schiffe, das la Rochelle, Nantes, Brest, Dieppe anlaufend, an Cher-
bourg und Havre dicht vorbeifahrend uns somit mit den wich-
tigsten See- and Flufshäfen Frankreichs auf der ozeanischen Seite
bekannt macht. Natürlich beobachten wir dabei die auffallende
Erscheinung der Ebbe und Flut, machen auch die Seekrankheit
durch und erleben sogar einen Sturm. In Dünkirchen verlassen
396 W. Ricken, La Fraoce — Le pays et son people,
wir das Schiff, doch nur, um den billigen Wasserweg weiter zu
benutzen und auf einem der zahlreichen Kanäle, die Flandern
nebst den angrenzenden Landschaften durchziehen und mit dem
Rhein- Harne- Kanal in Verbindung stehen, bis nach Nancy zu ge-
langen. „Le departement du Nord vaut bien la peine que tu
I'admires!^' ruft der Oheim dem Neffen zu: in der That nirgends
sonst in Frankreich ist die Landwirtschaft, der Bergbau und Ge-
werbefleifs augenblicklich so hoch entwickelt wie hier. Im ange-
nehmen Gegensatz zu Lilie, das hauptsächlich seiner blühenden
Textilindustrie die gegenwärtige Bedeutung zu verdanken bat,
steht Reims, dessen prächtige Kathedrale uns sofort an Chlodwig
und an jene lothringische Heldenjungfrau erinnert Den letzten
Teil der Reise legen wir mit der Bahn zurück; in Baccaret, dem
Geburtsstädtchen unserer jungen Freunde, trennen wir uns, nach-
dem wir noch Zeugen ihrer rührenden Pietät gegen Vater und
Lehrer gewesen sind.
Absichtlich hat Ref. bei diesem Stücke, das in Form der Er-
zählung eine Beschreibung Frankreichs bietet, etwas länger ver-
weilt. Es ist zwar bereits der Versuch gemacht, Brunos Werk
wenigstens teilweise für die Schule zu verwenden, im ganzen ist
es jedoch in Deutschland so gut wie unbekannt. Dieser LesestolT
aber mufs den Tertianer fesseln, vorausgesetzt, dafs er eine Karte
vor sich hat und von einem Lehrer geleitet wird, den, falls er
nicht so intuitiv begabt ist wie etwa Schiller oder Jean Paul,
eigene Reisen befähigen, die jugendliche Phantasie in die richtigen
Bahnen zu lenken. Die Bearbeitung ist recht geschickt, sie liest
sich wirklich wie ein Original. Vielleicht hätten einige geogra-
phische Namen wie Bourg, la Ni^vre, Beziers oder diese und jene
Vokabel wie megisserie, bec de cane, ferrure — die nicht einmal
der Primaner zu wissen braucht, die man oft bei jahrelangem Auf-
enthalt in Frankreich nicht zu hören bekommt — fehlen können :
doch darüber will Ref. mit dem Bearbeiter nicht rechten.
Der zweite Teil des Buches enthält 50 Narrations. Her-
gebrachtermafsen sind es zunächst Anekdoten, dann kommen aufser
einem Märchen von Perrrault Erzählungen, Schilderungen und
Lebensbeschreibungen. Ref. war aufs angenehmste überrascht,
als er neben Lamenais, Souvestre, Victor Hugo und Erckmann-
Ghatrian auch Daudet, und zwar mit sechs Kabinettstücken, ver-
treten fand. Inhaltlich stehen fast alle Nummern auf national-
französischem Boden.
Der dritte Abschnitt führt den bezeichnenden Titel: Histoire.
In einer Reihe von (etwa 40) Bildern, die gröfstenteils Werken
der berühmtesten Geschichtsschreiber entlehnt sind, wird der Ver-
lauf der französischen Geschichte von Vercingetorix an bis auf die
neueste Zeit geschildert. Nach Gebühr hat der Hsgb. dabei solche
Partieen oder Persönlichkeiten, die ein besonderes Interesse be-
anspruchen, wie Karl d. Gr., die Normannen, Bayard, Napoleon I
abgez. von A. Rohr. 397
UDd den letzten deuUch^französischen Krieg berücksichtigt. Wenn
nur das kulturhistorische Moment mehr zu seinem Recht käme!
Störend machen sich Nr. 12, Les derniers Capetiens directs. Les
Premiers Valois, Premiere periode de la guerre de Cent ans;
Nr. 15, Deuxieme partie de la guerre de Cent ans. Jeanne
d'Arc sauve la France; und Nr. 20, Les grands ecrivains du si^cle
de Louis XIV bemerkbar. Schon die Überschriften erregen Be-
denken, und beim Nachlesen finden wir in der That, dafs es sum-
marische Darstellungen sind, die alles Mögliche auf eine Seite zu-
sammendrängen und höchstens in ein Lernbuch der Geschichte
hineingehören. Das Streben nach Vollständigkeit fuhrt unter Um-
ständen zu weit.
Einen besonderen Glanzpunkt des Buches bildet der folgende
Abschnitt: Geographie. Statt aller Empfehlung sei es dem Ref.
erlaubt, die einzelnen Leseslücke zu nennen: 1. Heureuse Situation
de la France; 2. Le bassin de la Seine; 3. Bassin de la Loire,
la Touraine et les Tourangeaux; 4. Le Rhone; 5. Marseille; 6.
D'autres cites historiques du Midi mediterraneen; 7. Le bassin de
la Garonne; 8. Bordeaux; 9. La Charente et la Vendee; 10. Bassin
de la Saöne; 11. Agricnlture de la France; 12. La France indu-
strielle. Mit Ausnahme der letzten Nummer, die H. Martins Feder
entstammt, sind sie sämtlich — naturlich mit einigen Körzungen
und Veränderungen — dem Meisterwerke von Reclus ent-
nomnaen.
Der poetische Teil ist der letzte. Auch hier ist die Aus-
wahl eine sehr gluckliche: von den (38) Gedichten wufste Ref.
kein einziges zu nennen, das beim Unterricht nicht gut verwend-
bar wäre.
Seiner ganzen Anlage nach bietet das Buch für die Klassen
in B bis II B einscbliefslich reichlichen , ja selbst für II A aus-
reichenden Lesestoff. Aber auch in der Hand der Primaner
möchte Ref. es gern sehen. Denn abgesehen davon, dafs diese
Schüler von Rechtswegen aach über die Gedichte, die sie in den
vorhergehenden Klassen gelernt haben, sich ausweisen muGsten,
und deshalb die Gedichtsammlung nicht weggeben dörften, giebt
es manche Lesestöcke, z. B. lilterarhistorischen Inhalts, die mit
Vorteil nur auf der oberen Stufe gelesen werden können.
Im ganzen darf man also wohl behaupten, dals dies Werk
ein ausgezeichnetes Hölfsmittel für den französischen Unterricht
sein wird. Der Grundsatz der Herbartianer: „der Kinderwelt vom
Besten das Beste" ist in einer Weise befolgt wie vielleicht in
keinem anderen Buche: aufser jenen drei oben vermerkten Num-
mern des geschichtlichen Abschnittes durften sich im prosaischen
Teile ebensowenig wie im poetischen Löckenbufser nachweisen
lassen. Auch hat Ref. die Forderung, dafs der Inhalt der fran-
zösischen Scbullektüre national sein mufs, nirgends so streng
dnrcbgefuhrt gesehen. Welch ein Vorzug! Trotz aller Mannig-
398 ^* Rickrii, La France, au gez. von A. Rohr.
falligkeit ist das buDte Allerlei vermieden, und sogar der Schiller
wird den roten Faden gewahr.
Zum Schlufs zwei Wünsche. Ref. glaubt, dafs Paris nicht
genug hervortritt. Wenn in einem deutschen Lesebuche, das
ähnliche Ziele wie das des Hsgb.s verfolgte, unsere Reichshaupt-
Stadt viel eingehender behandelt werden mufste als Hamburg, so
erst recht die französische. Nun ist Marseille, das bereits im
ersten Abschnitt eine hervorragende Rolle spielt, noch mit einem
besonderen Lesestucke bedacht, aber aufser einer flüchtigen Er-
wähnung an vereinzelten Stellen wird Paris in einer einzigen Num-
mer (Arrivee d'un jeune homme k Paris) abgethan. Selbstver-
ständlich kann da nur ein Teil von Paris in Betracht kommen.
Von der Vendömesäule, den grofsen Gärten, dem Invalidendom,
dem bois de Boulogne erfahren wir nichts; von der reizenden,
auch monumental und historisch so wichtigen Umgebung ebenso
viel. Da mufs der Hsgb. für Abhilfe sorgen. Hofl'entlich wird er
dabei nicht nach etwas veralteten Beschreibungen greifen. Das
heutige Paris kennt die Plätze du Tröne und du Chäteau d'Eau,
die im oben erwähnten Lesestück angeführt sind, schon seit
Jahren nicht; dagegen verdankt es der letzten Weltausstellung ein
neues Wahrzeichen, den Eiffelturm. Eine Spazierfahrt auf einer
Hirondelle nach St. Cloud oder mindestens zum Trocadero könnte
der Hsgb. uns auch gönnen, und wenn es ein schöner Sonntag ist,
mit der Eisen- oder Pferdebahn einen Ausflug nach Versailles
veranstalten. Dafs Paris die gröfste Stadt des Kontinents ist,
weifs zwar so ziemlich jedes Schulkind, dafs es der administrative
und militärische Hauptort Frankreichs ist, dürfte als selbstver-
ständlich nicht betont werden ; dafs es gegenwärtig die gewaltigste
Lagerfestung der Welt ist, könnte allenfalls auch unerwähnt bleiben :
aber dafs es nicht nur der erste Industrie- und Handelsplatz,
sondern auch Mittelpunkt aller wissenschaftlichen und künstleri-
schen Bestrebungen des Landes ist, dafs in keiner andern Stadt
Europas ein so mannigfaches, reiches Leben pulsiert, in keiner
ein so grofsartiger Fremdenverkehr herrscht, vielleicht in keiner
der Kunstler, der Gelehrte, der Industrielle und der Lebemann
einen freieren und günstigeren Boden findet, das müfste hervor-
gehoben und mit einer gewissen Ausführlichkeit dargestellt wer-
den. Bef. hat noch ein Anliegen. Es ist freilich deutscher Lese-
bücher alter Brauch, die Poesie nur anhangsweise zu behandeln.
Diesem Brauch ist Hsgb. so treu geblieben, dafs der dichterische
Abschnitt nur ein Siebentel des ganzen Buches einnimmt. Das
ist entschieden ein Mifsverhältnis. So kommt Chenier garnicht,
Coppee nur einmal vor; und Beranger und Victor Hugo müEsten
in einer Sammlung, aus der unter Umständen auch der Primaner
memorieren soll, noch zahlreicher vertreten sein. Es würde dem
Buche ohne Zweifel zur weiteren Empfehlung dienen, wenn der
Hsgb. es in dieser Beziehung vervollständigte. Doch möchte Ref.
J. Leitritz, Paris et ses £oviroo$, aogez. v. G. Huth. 399
nicht raten, das Werk damit umfangreicher zu machen; es dürfte
¥o]lauf genügen, wenn einige Stücke aus den Abschnitten Narra-
tions und Histoire gestrichen würden: dann könnten die Ergän-
zangen in dem vom Ref. gewünschten Sinne vorgenommen werden.
4) Wilhelm Rickeo, Le Tour de la Fraooe cd cioq mois. Berlin
1893, Wilhelm Grooaa. II o. 44 S. 8. 0,5ü M.
Ein Sonderabdruck des ersten Abschnittes aus des Hsgb.s
Lesebuch: La France. Ref. hat diese Bearbeitung oben aufs ein-
gehendste besprochen: hier kann er sich auf die Hitteilung be-
schränken, dafs der Hsgb. dem Büchlein, um dessen Benutzung
zu erleichtern, ein Wörterverzeichnis beigefügt hat, welches, nach
den angestellten Stichproben zu urteilen, durchaus zuverlässig ist.
Deutsch-Krone. A. Rohr.
Paris et ses Eoviroos, heraasge^ebeo von Johannes Leitritz.
(Praazösische und eng^lische Schalbibliothek Band 82). Leipzig 1894,
Rengersche Bochhandlang. 174 S. 8. geb.
Seitdem die gemäfsigte Reformpartei für den Unterricht in
den neueren fremden Sprachen als obersten Grundsatz aufgestellt
halte, dafs die Lektüre den Mittelpunkt zu bilden habe, ist der-
selben eine erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt worden. Man er-
kannte, dals mit der Lektüre historischer und einiger poetischer
Stoffe nicht alles gethan sei, und verlangte auch nach Stoflen,
die Land und Leute, Sitten und Gewohnheiten des fremden Vol-
kes behandeln.
Diese Forderung, die nicht nur auf mehreren Direktoren-
konferenzen und von Fachmännern, wie VVaetzoldt, Bahlsen u. a.,
sondern auch durch die neuen Lehrpläne erhoben wurde, erfüllt
für das Französische in trefflicher Weise das vorliegende soeben
erschienene Büchlein.
Im ersten Teil desselben, Paris selbst betreffend, werden
nach drei einleitenden Abschnitten in je einem Kapitel die be-
deutendsten Kirchen, Museen, Paläste, die Boulevards, die Champs
Elysies, das Bois de Boulogne, das Harsfeld mit dem Eiffelturm,
die Friedhöfe und Katakomben, die Seine mit ihren zahlreichen
Brücken (besonders Pont-Neuf) geschildert. Die nächsten Kapitel
zeigen, was Paris für Wissenschaft und Kunst leistet, indem sie
das Institut, die Sorbonne mit den andern Fakultäten, die Schu-
len, die Kunstschätze in den öffentlichen Sammlungen und die
Theater behandeln. In weiteren Kapiteln wird das Pariser
Stralsenleben einst und jetzt in seinen charakteristischen Typen,
den Ausrufern, den Antiquaren, den Bettlern, den Flaneurs und
GamiDs vorgeführt. Nicht vergessen werden die bedeutendsten
Arten des Kunstgewerbes, die Gobelinweberei, die Kunsttischlerei
und die Anfertigung des ewig mit der Mode wechselnden „article
de Paris". Auch des Karnevals, des Nalionalfestes am 14. Juli
400 J* Leitritz, Paris et ses Bnviroos, aogez. v. G. Hath.
ii
uiul eines verregneten Rennens mit dem „grand prix de Paris
wird gedacht. Den Gegensatz zu diesem friedlichen, arbeitsamen
und festesfrohen Paris bilden dann fünf Kapitel aus der Be-
lagerung durch die Deutschen und die Schreckenszeit der Korn-
roune.
Ein zweiter Teil schildert die Umgegend von Paris mit ihrem
Kranz von landschaftlich schönen und historisch bedeutsamen Or-
ten: Versailles, Saint-Cloud, Saint- Germain, Nanterre, Saint-Denis
und Vincennes.
In mühsamer Arbeit hat Hsgb. diesen reichen Inhalt aus
den besten modernen Autoren — wir nennen nur die Akade-
miker Claretie, Goppee und den jüngst verstorbenen du Camp,
ferner Texier, Bernadille, Daudet und Zola — zusammengesucht
und zu einem interessanten Gesamtbild der Metropole vereinigt.
Die Mannigfaltigkeit dieser Quellen betrachten wir durchaus nicht
als Mangel, sondern glauben im Gegenteil, daCs der wechselnde
Stil der einzelnen Stücke das Sprachverständnis der Schüler er-
weitern, die verschiedenartige Behandlung aber das Interesse rege
halten werde. Überall ist der Hsgb. bestrebt gewesen, das topo-
graphische Detail, das auf die Dauer ermüdend wirkt, zu be-
schränken und einen wirklichen Einblick in das bunte Leben und
Treiben der Weltstadt thun zu lassen. Der Ton echt französi-
scher causerie ist in Stücken wie: *le r^veil de Paris, le Jour de
Tan, le dimanche ä Paris, le Grand Prix en 1880* sehr glücklich
getroffen. Einige chauvinistische Übertreibungen und Unrichtig-
keiten werden in den Anmerkungen als solche gekennzeichnet und
sachlich richtig gestellt. Um aber den Pariser, wie er wirklich
ist, zu charakterisieren, durften solche Stücke nicht fehlen, denn
in mafsloser Vergötterung von Paris, als „äme, t^te, cerveau«
capitale du monde, centre de I'humanit^" leistet nicht nur Victor
Hugo Unglaubliches, sondern auch in Tageszeitungen begegnet
man ähnlichen Aussprüchen.
Die sachlichen Anmerkungen im Anhange sind zahlreich und
mit Fleifs und Umsicht ausgearbeitet; zu S. 75 Z. 27 fehlt der
Name des griechischen Philosophen, der sich über die athenische
Strafsenjugend äufsert, und zu S. 88 Z. 32 hätten die chaussons
de Strasbourg erklärt werden sollen.
Die 13 in den Text gedruckten Bilder und die beiden Karten
bilden in ihrer Anspruchslosigkeit eine angenehme Beigabe. W^ün-
sehenswert wäre ein Bild des Versailler Schlosses, vielleicht auch
des Pantheons; fehlen könnte dagegen auf S. 28 „les Boulevards*'.
Der Druck ist sorgfältig, doch ist zu lesen im Vorwort Z. 4: „ein*'
und S. 152 letzte Zeile 1599.
Das Buch kann als Semesterlektüre dienen oder wie eine
Gedichtsammlung hier und da vorgenommen werden. Es wird in
den Klassen Unter-Sekunda bis Ober- Prima gewifs mit Vergnügen
und mit Nutzen gelesen werden.
O.Jägern. F. Moldeohaaer, Aktenstück«, tgz. v. M. Hoffmann. 401
Der im Vorwort yerbeifsene Band: „La France, Anthologie
geograpliique'' wird eine willkommene Ergänzung bilden.
Stettin. Georg Huth.
1) 0. Jäger nnd F. Moldenhaaer, Aaswahl wichtiger Akten-
stncke zur Geschichte des 19. Jahrbonderts. Berlio 1893,
Oswald Seehageo. XVI a. 606 S. 8. 9 M.
Diese umfassende Sammlung (282 Nummern) will zunächst
den Lesern der Ton Oskar Jäger verfafsten „Geschichte der neue-
sten Zeit vom Wiener Kongrefs bis zur Gegenwart'' (dritte Aus-
gabe in drei Bänden, als Fortsetzung von Schlossers Weltgeschichte)
eine Ergänzung und Begründung der Geschichtserzählung bieten.
Sie ist deshalb mit einem Register versehen, welches zu jedem
Aktenstück die darauf bezügliche Stelle jenes Werkes nachweist.
Sie kann aber auch für sich gebraucht werden, da sie ein nach
der Zeitfolge übersichtlich geordnetes Material von politischen
Kundgebungen mannigfacher Art darbietet Den Anfang macht
ein Auszug aus der spanischen Cortesverfassung von 1812, deren
Kenntnis für die südeuropäischen Verfassungskämpfe wichtig ist;
den Schlufs bildet das deutsch - englische Abkommen über Ost-
afrika und Helgoland 1890. Alle europäischen Staaten und die
Vereinigten Staaten von Nordamerika sind berücksichtigt, am
meisten natürlich Deutschland und Preufsen. Die Aktenstücke
sind meist unverkürzt wiedergegeben, alle in deutscher Sprache,
leider ohne Angabe der Sammelwerke, denen sie entnommen
sind; doch erscheint die Zuverlässigkeit des Inhalts nicht zweifel-
haft. Was die Auswahl betrifft, so haben einige allerdings ge-
ringes Interesse , z. B. die zwölf Seiten füllende Kriegsverfassung
des deutschen Bundes von 1821, die pragmatische Sanktion über
die Thronfolge in Spanien 1830, die Manifeste beim österrei-
chischen Thronwechsel 1848, das Beustsche Bundesreformprojekt
1861. Die meisten Stücke aber geben willkommene Belehrung;
man findet z.B. die Karlsbader Beschlüsse von 1819, die deutsche
Reichsverfassung von 1849, die päpstliche Encyklika samt dem
SjUabus von 1864, zahlreiche Aktenstücke für die Jahre 1866—
1871, den Berliner Vertrag von 1878 u. s. w. Ausgeschlossen
sind Parlamentsreden, bei denen allerdings sparsame Auswahl
schwierig ist; nur zwei englische Ministerreden finden sich
doch, aus den Jahren 1826 und 1829; dieseji gegenübar wird
man Bismarcksche Reden vermissen. Ungern vermifst man
bei der preufsischen Verfassung vom 5. Dezember 1848 die
Angabe der später eingetretenen Abänderungen. Statt der Ver-
fassung des norddeutschen Bundes von 1867 roüfste die aller-
dings oft gleichlautende, doch in wichtigen Punkten veränderte
deutsche Reichsverfassung von 1871 mitgeteilt sein; erstere war
das vorbereitende Werk, dessen Kern sich bewährt hat, die blei-
bende Bedeutung aber gebührt der letzteren. Nicht hinreichend
SiltMfar. £ a. G7iiiBMialwM«n XLVUL 0. 26
402 J- Lobmeyer, Wandbilder f. d. Unterr., agz. v. M. Hoffniano.
bedacht ist der innere Ausbau des deutschen Reiches nach 1871,
es findet sich nur die kaiserliche Botschaft von 1881 über die
soziale Frage. Am Schlüsse sind ganz passend die beiden Erlasse
Kaiser Friedrichs III und die ersten Kundgebungen Kaiser Wil-
helms U mitgeteilt.
Jedenfalls wird die dankenswerte Sammlung zur Verbreitung
grundlicher Geschichtskenntnis beitragen. Im Unterricht wird sie
sparsam zu verwenden sein, um die Schuler nicht mit Stoff zu
überschütten; doch werden reifere Schüler sie mit Nutzen nach-
lesen.
2) Julias Lohmeyer, Wandbilder fdr den ^esr.hicbtlichen Uo-
terricbt nach Origioaleo hervorragender lebender Meister. Dritte
Serie. Berlin 1893, Kb'nigl. Hof-Kunst- Institut von Otto TroiUsch.
Imp.-Fol. 12 M.
Über die beiden ersten Serien dieses interessanten Werkes
ist Bd. 45 S. 628 dieser Zeitschrift berichtet. Die jetzt vorlie-
gende dritte bringt vier Bilder aus dem deutschen Hittelalter,
ebenfalls in schönem Farbendruck, Gröfse 72 : 98 cm. Auf Leine-
wand gezogen, mit schwarz polierten Querleisten kosten diese
Bilder 16 M. Jedem ist ein erläuternder Text von Prof. H. Knack-
fufs beigegeben, der zuerst die Angaben der wichtigsten Quellen
mitteilt, dann Ober die Einzelheiten des Bildes belehrt. Darge-
stellt sind folgende Ereignisse: 1) Heinrich I geht über das Eis
der Havel zum Sturm auf Brandenburg 928; 2) Mailänder Edel-
leute bitten Kaiser Friedrich I um Schonung ihrer Stadt 1162;
3) Gefangennahme Friedrichs des Schönen in der Schlacht bei
Mühldorf 1322; 4) Gefangennahme des Seeräubers Klaus Störte-
becker durch die Hamburger Flotte 1402. Dem Ref. liegt nur
das zweite Bild vor; es empfiehlt sich durch klare Auffassung und
gute Farbenwirkung. Vor dem thronenden, streng blickenden
Kaiser knieen zwei Vertreter Mailands in schwarzem Gewände,
barfufs und barhäuptig, mit dem Strick um den Hals und daraa
ein blofses Schwert befestigt, das über den Rücken herabhängt.
Sechs andere in gleicher Tracht stehen mit Geberden der Trauer
etwas weiter zurück. Zur linken Seite des Kaisers steht in stol-
zer Haltung sein Kanzler Rainald von Dassel, zur rechten ein
Bischof, der zur Milde rät, hinter ihm der Schwertträger und der
Bannerträger. Die Gruppe ist umgeben von deutschen Kriegs-
männern zu Fufs und zu Pferde, über deren Rüstung der er-
läuternde Text nähere Belehrung giebt. Den Hintergrund bildet
links das deutsche Zeltlager, rechts die Mauern der neuen Stadt
Lodi. Man vermifst vielleicht den Mailänder Fahnenwagen (carro-
cium), aber der Bericht des kaiserlichen Notars Burkhard, den
die Erläuterung mitteilt, unterscheidet den hier dargestellten
ersten Tag der Unterwerfung von dem zweiten und dritten; erst
am dritten senkte sich der Mast des Fahnenwagens vor dem
Kaiser.
K.Stutzer, Geschieht!. Wiederholaogen, agz. v. II. Hoffmaoo. 403
Die Gegenstände aller vier Bilder sind kriegerisch; für das
dritte möchte man wohl einen friedlichen wünschen, etwa die
Verkündigung der Goldenen Bulle auf dem Reichstag zu Hetz 1356.
Aber jedenfalls sind die Bilder sehr geeignet, mittelalterliches
Leben zu veranschaulichen, zumal da die Hauptfiguren in ange-
messener Gröfse hervortreten.
3) £. Stutzer, Hilfsboeh für geschichtliche Wiederholongeo
•o hifliereo Lehraostalteo, mit ZahleokaooD für mittlere Klasseo.
Zweite, nenbearbeitete Anflage. Berlin 1894, Weidmaoosche Buch-
haodlaog. 92 S. 8. 1,20 M.
Der Verf. hat im vorigen Jahrgang dieser Zeitschrift (Bd. 47
S. 734 fr.) den Unterschied der geschichtlichen Lehraufgaben für
die Hittelstufe und für die Oberstufe erörtert und dabei die An-
sicht ausgesprochen, dafs für die Hittelstufe blofse Tabellen nicht
genügen, für die Oberstufe aber das Lehrbuch nicht wiederum
alles zu enthalten brauche, was bereits auf der Hittelstufe gelernt
ist, vielmehr müsse es die wichtigsten Ereignisse als bekannt vor-
aussetzen, um desto nachdrücklicher auf Zusammenhang und Ent-
Wickelung hinzuweisen.
Hier bietet er nun ein Hilfsbuch, das von Quarta an benutzt
werden soll und auf der Oberstufe „den von Zeit zu Zeit nach
den verschiedensten Gesichtspunkten anzustellenden Wiederholun-
gen'' zu Grande gelegt werden soll. Jedenfalls denkt er sich da-
neben ein ausführlicheres Lehrbuch für die Oberstufe im Gebrauch,
mit welchem die hier gegebenen Grundzüge innerlich überein-
stimmen. Das Pensum der Hittelstufe ist durch fetten Druck
bezeichnet und in kurze Sätze gefafst, die sich leicht merken
lassen. Eine Schwierigkeit entsteht nun für den Quartaner und
Tertianer durch das, was in kleinerem Druck dazwischen gefügt
ist ; doch ist manches davon der Art, dafs es im Unterricht wohl
auch berührt wird ; anderes, zumal die Ergebnisse am Schlufs der
Perioden, geht ihn allerdings nichts an, aber als Hinweis auf
spätere Belehrung mag es immerhin in seinem Buche stehen und
ihm, wenn er es später auf der Oberstufe zu Wiederholungen
gebraucht, nützlich sein.
Zwei Bedenken lassen sich nicht unterdrücken. Bei wich-
tigen Ereignissen, die auf der Hittelstufe gelernt werden sollen,
Cdüen öfters die Jahreszahlen, einem Kanon zu Liebe, der mit
Fnrcfat vor Überburdung entworfen ist. Aber das Lernen wird
erschwert, nicht erleichtert, wenn z. B. beim peloponnesischen
Krieg fünf Ereignisse nacheinander nur mit der Gesamtzahl 431
— 421 gelernt werden sollen. Der Schüler lernt sie leichter so:
431 Die Peloponnesier fallen in Attika ein, 429 Perikles stirbt, 425
Die Spartaner werden in Sphakteria eingeschlossen und von Kleon
gefangen, 422 Brasidas siegt bei Amphipoiis, 421 Friede des
Nikias. Wobei zu bemerken, dafs „die Spartaner'^ ein falscher
Aiisdraek ist. Bei der Reformation sind für die Hittelstufe die
26*
404 K. Lohmeyer oDd A. Thomas, Geschichtsbücher,
Zahlen 1517, 1521, 1525, 1529, 1530 angegeben, für die Ober-
stufe ist 1526 hinzugefügt, aber zeitlos stehen andere Ereignisse
dazwischen. Das Natürliche ist die Reihe: 1517 die Thesen,
1518 Luther vor Cajetan, 1519 Disputation zu Leipzig, 1520
Luther verbrennt die Bannbulle, 1521 Luther auf dem Reichstag
zu Worms, 1522 Luthers Rückkehr nach Wittenberg, dann 1525.
Sollen nicht alle diese Zahlen auf der Hittelstufe gelernt werden,
so mögen sie doch in kleinerem Druck dabeistehen. Das andere
Bedenken bezieht sich auf die zu kurze Behandlung wichtiger
Kriege, welche, entgegen der Absicht des Verfassers, die noch-
malige vollständige Erzählung derselben im Lehrbuch der Ober-
stufe notwendig machen würde. Wir sind ganz damit einver-
standen, dafs die Kriegsgeschichte zu Gunsten anderer Dinge
eingeschränkt wird, aber um so mehr müssen die wichtigen Kriege
in Einzelheiten hervortreten. Die Gröfse des zweiten punischen
Krieges wird ganz besonders an den verschiedenen Kriegsschau-
plätzen erkannt; darauf ist hier nicht genug hingewiesen. Bei
Cäsars Thaten ist nicht erwähnt, dafs er den Bürgerkrieg mit
dem Überschreiten des Rubicon beginnt und zuerst Italien, dann
Spanien unterwirft; es heifst nur: „Zweiter Bürgerkrieg. Cäsar
besiegt Pompejus bei Pharsalus" u. s. w. Beim Jahre 1871 fehlt
der Sieg bei Le Mans, die Beschiefsung und die Obergabe von
Paris; unrichtig ist die Angabe, dafs König Wilhelm in Versailles
zum Kaiser gekrönt sei.
Im ganzen ist übersichtliche Anordnung anzuerkennen; das
Lernen und Wiederholen ist dadurch erleichtert, dafs alles im
Zusammenhange erscheint. Zu vergleichendem Wiederholen geben
die im Anhang zusammengestellten „leitenden Gesichtspunkte für
gruppierende Gesamtwiederholungen'' reichlichen Anlafs, indem
sie auf die betreffenden Seiten des Buches verweisen. Doch mufä
dieses Gruppieren im frischen Verkehr des Unterrichts geschehen,
nicht durch mühsames Aufsuchen und Nachschlagen der Schüler.
Eine dankenswerte Zugabe ist die Zusammenstellung der wich-
tigsten Begebenheiten für die einzelnen preufsischen Provinzen.
4) K. Lohmeyer und A. Thomas, Hilfsbach für deo Unterricht
in der deutschen Geschichte bis zam Ausgang des Mittel-
alters. Zweite, nach den nenen Lehrplanen verbesserte Auflage,
von Em. Knaake und K. Lohmeyer. Halle 1894, Bnchhandlong des
Waisenhanses. II n. 8S S. 8. 0,80 M.
5) R. Lohmeyer und A. Thomas, Hilfsbach für den Unterricht
in der deutschen and brandenbarcpiseh - preafsische n
Geschichte vom Ausgang des Mittelalters bis zar Jetzt-
zeit. Zweite, nach den neuen Lefarpliinen vermehrte and verbes-
serte Auflage von Km. Knaake and K. Lohmeyer. Halle 1892, Bach-
handlonfp des Waisenhanses. IV o. 16S S. 8. 1,60 M.
Diese beiden Hilfsbücher, die in erster Auflage 1886 er-
schienen (s. Bd. 40 S. 684 dieser Zeitschrift) empfehlen sich für
den Gebrauch in den mittleren Klassen durch leichtyerständlicbe,
• o^ez. von M. Hoffmaon. 405
zusammenhängende und zugleich übersichtliche Darstellung. Sie
halten in der Auswahl des Stoffes ein verständiges Hafs inne,
deuten die Ursachen und Wirkungen grofser Begebenheiten an,
gehen auch auf die inneren Staatszustände ein, besonders bei den
preufsischen Herrschern vom grofsen Kurfürsten an. Bisweilen
könnte die Darstellung mehr Wärme zeigen, doch bleibt es immer
hauptsächlich die Aufgabe der mündlichen Unterweisung, die
Machtgröfse des alten deutschen Reiches, die spätere Schwäche
und dann die Wiederaufrichtung lebendig zu schildern. Bei den
geachichtUch wichtigen Orten ist, meist in einer kurzen An-
merkung, eine nähere Angabe der Lage hinzugefügt, um die
Schüler zum Nachsehen auf der Karte zu veranlassen. Dieses
geographische Interesse würde noch mehr gefördert werden, wenn
auf die in verschiedenen Jahrhunderten verschiedenen Grenzen des
deutschen Reiches stärker hingewiesen wäre. Beim Vertrag zu
Hersen 870 müfste gesagt sein, daJCs seitdem Elsafs, Lothringen
und die Niederlande zu Deutschland gehörten, beim Interregnum
der Verlust von Burgund und Italien hervorgehoben sein, später
der Verlust der Niederlande bestimmter hervortreten. Eingehen-
der als andere Hilfsbücher bringen diese, da sie in Ostpreufsen
entstanden sind, die Geschichte des Ordensstaates; das erste weist
allerdings nur kurz darauf hin, das zweite aber unterbricht beim
Jahre 1648 die Erzähluug der deutschen Geschichte, um die äl-
tere Geschichte Brandenburgs und dann die Geschichte des Ordens-
staates einzufügen. Diese umfafst Mi Seiten; sie ist willkommen,
da sie rühmliche Zeugnisse deutscher Tüchtigkeit vorführt, doch
möchte man am Schlufs auch eine Nachricht darüber finden, wie
in Livland die deutsche Herrschaft sich bis 1561 behauptete und
dann verloren ging.
Die neuere Zeit seit 1648 ist ganz vom Standpunkt des
preu&ischen Staates behandelt; nicht die habsburgischen Kaiser,
sondern der grofse Kurfürst und seine Nachfolger treten in den
Oberscbriften an die Spitze: gewifs richtig, nur müfsten dem sin-
kenden Reich zwei kurze besondere Betrachtungen gewidmet sein,
zuerst etwa beim Verlust Strafsburgs 1681, dann bei den Wir-
kungen des siebenjährigen Krieges. An letzterer Stelle wäre An-
lafs, auf die Entfaltung der deutschen Litteratur näher einzugehen ;
Leasing, Goethe und Schüler dürfen in dem für Untersekunda
bestimmten Abschnitt des Geschichtsbuches doch nicht fehlen, zu-
mal wenn später Arndt und Schleiermacher, weil sie in Preufsen
wirkten, genannt sind. Aber die Entwickelung von Kunst und
Wissenschaft ist überhaupt wenig berücksichtigt; nur auf die bil-
dende Kunst, insofern sie im 19. Jahrhundert nationale Denk-
mäler schuf, wird etwas näher eingegangen. Die Entwickelung
von Gewerbe und Verkehr ist angemessen dargestellt, so dafs die
sozialen Schäden und die zur Abhilfe unternommene Reichsgesetz-
gebung verstanden werden können.
1
406 M. Doeberl, Monnmeota Germaniae Selecta,
Noch einige Einzelheiten sind zu erinnern. Es ist zuviel
behauptet, wenn von dem 1815 geschlossenen Deutschen Bunde
gesagt wird, drei auswärtige Mächte, nämlich England, Dänemark,
die Niederlande, seien Bundesmitglieder geworden; auch wurde
durch die diplomatische Garantie, welche acht europäische Staaten
für die Bundesakte übernahmen, Deutschland noch nicht unter die
Vormundschaft des Auslandes gestellt. Österreich öbte
als Mitglied des Bundes die Vormundschaft. Auch die Ansicht,
dafs Preufsen damals „keinen seinen Leistungen entsprechenden
Lohn*' erhalten habe, geht zu weit; die Erwerbung der Rhein-
provinz war viel wertvoller als die früheren polnischen Besitzungen.
Von Napoleon III heifst es S. 127 fälschlich, er sei 185t Konsul
auf zehn Jahre geworden. Benedetti forderte in Ems keine
„schriftliche" Versicherung von König V^ilhelm ; das that Gramont
in Paris gegenüber dem preufsischen Gesandten. Von König Lud-
wig II von Bayern kann man nicht sagen, dafs er „den Gedanken
angeregt" habe, dafs König Wilhelm die deutsche Kaiserwürde
annahm. Bei der Verfassung des deutschen Reiches hätten die
Staatsverhällnisse, auf welche die Reichsgesetzgebung sich bezieht,
in kurzer Übersicht angegeben werden müssen, damit man er-
kenne, was der Landesgesetzgebung entzogen ist. Beim sogenannten
Kulturkampf, der übrigens vorsichtig behandelt ist, war die Aus*
Weisung des Jesuitenordens zu erwähnen. Diese Ausstellungen in
einzelnen Punkten hindern nicht, die beiden Bücher im ganzen
als brauchbar anzuerkennen.
Lübeck. Max Hoffmann,
MoDumenta Germaniae Selecta ab aDDo 768 nsqae ad annam 1250.
Edidit M. Doeberl. Maoeheo 1894, J. LiDdaoersche BacUiandlaoi^.
5. Bändchen: Zeit Heinrichs VI, Philipps v. Schwaben, Ottos IV aod
Friedrichs IL 160 S. gr. 8. 3 M.
Dem im 45. Jahrgange dieser Zeitschrift besprochenen 3. und
4. Bändchen der Monuments Germaniae SeJecta läfst nach vier-
jähriger Pause Doeberl das 5. folgen, welches die Zeiten Hein-
rcihs VI, Philipps von Schwaben, Ottos IV und Friedrichs II um-
fafst. Wie die früheren Bändchen bietet auch das neueste eine
stattliche Anzahl hochbedeutender Urkunden, die, begleitet von
wertvollen Anmerkungen, eine treffliche quellenmäfsige Behand-
lung der wichtigsten Fragen von 1190 bis 1250 darstellen. Für
die Zeit Heinrichs sind fünf Urkunden geboten, darunter der Ver-
trag mit König Richard von England und das Testament des
Kaisers. Zur Geschichte Philipps finden sich aufser dem Vertrage
mit König Philipp II August von Frankreich besonders Urkunden
über das Verhältnis von König und Kurie: so die Deliberatio
papae Innocentii super facto imperii de tribus electis, welche
nach Nitzsch die Grundsätze der päpstlichen Politik mit merk-
angez. von Th. Sor^eofrey. 407
würdiger Offenheit aufdeckt, so die energische Speierer Protestation
der Wähler Philipps an Innocenz III, so die Philippi Promissa
Papae und die promissio Ottonis. Den Schwerpunkt des ganzen
Heftes bildet die Regierung Friedrichs II. In reicher Fülle —
nicht weniger als 13 Hauptnummern sind verzeichnet, die oft in
mehrere Unterabteilungen zerfallen — werden hier die wichtigsten
Ereignisse dieser grofsen Zeit urkundlich belegt. Dem Schreiben
des Kanzlers Konrad an König Philipp II August über die Wahl
Friedrichs folgen Konzessionen des Kaisers an die Kurie, darunter
die Egerer Goldbulle von 1213. Nachdem die sizilische Frage in
drei Urkunden erörtert worden ist, folgt die confoederatio cum
principibus ecclesiasticis vom Jahre 1220 und die für die Behand-
lung der Ketzer interessante constitutio in ßasilica beati Petri
vom 22. November 1220. Ausfuhrlich wird sodann die Kreuz-
zugsfrage behandelt, deren Vorgeschichte in Regesten vom 2. März
1215 an vorausgeschickt wird. Die hierauf bezüglichen sechs Ur-
kunden beginnen mit dem Vertrage von San Germano 1225 und
gehen bis zum September 1230, der Zeit, aus welcher ein Schrei-
ben Gregors IX von dem kaiserlichen Besuche in Anagni berichtet.
Auf Urkunden zur Frage des Landfriedens, darunter befindet sich
die so berühmte constitutio pacis vom August 1235, das Reichs-
gesetz, welches ja die Grundlage für die Entwickelung des Reichs-
rechts überhaupt geworden ist, folgen acht Urkunden zur lombar-
dischen Frage und zum Bruche zwischen Friedrich II und Gregor IX.
Sie beginnen mit einem Schreiben Gregors (S. IV steht irrtümlich
Gregor IV statt IX), bringen die verschiedenen Gravamina, die
£xkonimunikationsbuile vom 22. März 1239, das Rechtfertigungs-
schreiben Friedrichs II vom 20. April 1239 und klingen aus in
einem Schreiben geistlicher Reichsfürsten an Gregor vom April
desselben Jahres. Die letzten Urkunden betreffen die Friedens-
verhandlungen zwischen Friedrich und Innocenz IV. Ein Anhang
bringt vier Urkunden zur Ausbildung der fürstlichen Territorialität,
darunter das Privileg Friedrichs II für den Patriarchen ßerthold von
Aquileja, die ein charakteristisches Bild von der in der staufischen
Übergangszeit sich entwickelnden Territorialität bieten, drei zur
Ausbildung der städtischen Autonomie, die Regensburger Verhältnisse
zur Darstellung bringen, endlich den Schutz- und Immunitätsbrief
Friedrichs II für das Cisterzienserkloster Waldsassen von 1214,
der dadurch charakteristisch ist, dafs er die in den karolingischen
und sächsischen Immunitätsbriefen eigentümliche Formel enthält,
welche den königlichen Beamten das Betreten des immunen Ge-
bietes behufs Ausübung richterlicher Handlungen verbietet.
Eine stattliche Reihe hochwichtiger Urkunden bietet Doeberl
auch in diesem Bande. Mit derselben Sorgfalt wie die früheren
ist er gearbeitet, ja die immer reichlicher gebotenen Anmerkungen
machen das Werk zu einem wertvollen Handbuche. Der Schul-
mann, der fern von einer wissenschaftlichen Bibliothek zu lehren
408 Oeatsche Landes- and ProvinzialgeBchichte,
berufen ist, kann sich kaum eines lehrreicheren Hilfsmittels er-
freuen als der Sammlung Doeberls. Hoffentlich läfst D. nicht
allzu lange auf das 1. und 2. Bändchen warten; hoffentlich wer-
den dort Anmerkungen und Einleitungen gleich ausführlich ge-
boten.
Der Druck ist sauber und richtig: S. 23 mufs es Arnsberg
statt Arnstadt heifsen.
Neuhaldensleben. Th. Sorgenfrey.
Deutsche LaDdes- uod Provinzialgeschichte. Ein Haodbach fdr die
Heimatkunde im Geschichtsnoterricht. Mit 23 Geschlchtskarten und
den Landeswappen. Leipzig 1892, fi. Voigtländers Verlag. VIII a.
457 S. 8. 4 M.
29 selbständige Einzelschriften der deutschen Landes- und
Provinzialgeschichte von verschiedenen Verfassern liegen, zu einem
Handbuche vereinigt, vor. Die Leitung des ganzen Unternehmens
hat der Gymnasialdirektor Schmelzer in Hamm gehabt. Sie stellen
in ihrer Gesamtheit den ersten willkommenen Versuch einer voll-
ständigen Sammlung deutscher Sondergeschichten dar. Die Hefte,
welche einzeln nicht käuflich sind, sondern den in Voigtländers
Verlag erscheinenden geschichtlichen Lehrbüchern kostenfrei bei*
gegeben werden, bilden zusammen ein Werk von nationaler Be-
deutung, das zugleich eine Einsicht in den ganzen Plan der
Anlage und eine vergleichende Übersicht Ober die einzelnen Hefte
ermöglicht, deren besondere Besprechung nur andeutungsweise
hierher gehört So ist erfreulicherweise ein Werk vollendet,
welches geeignet ist, durch Vermittelung der Kenntnis heimischer
Geschichte das Herz zu erwärmen an Gestalten und Thaten der
Vorfahren, die sich vollzogen haben auf einem Grund und Boden,
den der Schuler zum Teil aus eigener Anschauung kennt, und
den baulichen Überresten vergangener Zeiten, welche noch in die
Gegenwart hineinragen, Leben und Bedeutung einzuhauchen. So
werden unsichtbare Fäden gesponnen, welche den Pommer, den
Sachsen, den Schlesier und Bayer an die Heimat fesseln und sich
fühlen lehren als Volksgenossen grofser Männer, als Mitglieder eines
Stammes, der in seiner besonderen Weise mitgerungen und mit-
gearbeitet hat an der Geschichte des grofsen deutschen Volkes.
Insofern bildet die Kenntnis der Geschichte der engern Heimat
ein wertvolles Gegengewicht gegen das Streben ins Weite, das
den Deutschen nur zu leicht hinauszieht in eine unbekannte
Ferne. Gerade durch das liebevolle Gingehen auf die Landes-
und Provinzialgeschichte wird der historische Sinn überhaupt
geweckt.
Die Gebiete des preuTsischen Staates nebst dem Herzogtum
Braunschweig und den Fürstentümern Waldeck und Lippe werden
in 13 Heften, das Königreich Bayern in 4, und die übrigen
aages. roo R. Brendel. 4Qg
deutsehen Staaten zusammen in 12 behandelt. Jedes Heft hat
ungefähr Bogenstarke, trägt auf dem Titelblatt das Landes-
Wappen und ist mit einer oder mehreren Geschichtskarten
auagestattet , deren manche für mehrere Hefte zugleich gelten.
Die von B. Schwarze mit Benutzung von Spruner und Droysen
sauber gearbeiteten Kärtchen zeigen uns das betreffende Land in
einem bedeutsamen Abschnitt seiner Geschichte. Dazu gehört
aber auch die Verzeichnung der historischen Ortsnamen, welche
im Text genannt werden, was z. B. nicht der Fall ist bei Rain
am Lech, Allersheim und Zusmarshausen auf der Karte
von «»Bayern zur Zeit des dreifsigjährigen Krieges^^ Die Schüler
dürfen solche Orte nicht vergeblich auf ihrer Karte suchen. Mainz
ist auf der Karte „Rheinpfalz, Ende des 17. Jahrhunderts'^ an eine
fälsche Steile geraten. Auf den Karten von Brandenburg und
Pommern ist Stargard irrtümlich vom linken auf das rechte Ihna-
Cfer versetzt worden. Andere bildliche Darstellungen, die auch
mehr in eine Landeskunde gehören, sind grundsätzlich ausge-
schlossen. Während die Karten alle von einem Verfasser her-
rühren, ist der Text erklärlicherweise von verschiedenen bearbeitet
worden, welche ihn meist in die Gegenwart ausmünden, ihm aber
eine verschiedenartige Behandlung haben zuteil werden lassen.
Dafs sie dabei fast alle mit den ältesten Bewohnern beginnen,
scheint natürlich, und doch möchte Ref. auf die Hefte *Schleswig-
Holstein und Freie und Hansestadt Hamburg' empfehlend hin-
weisen, welche in kurzen, markigen Zügen zuerst den Grund und
Boden schildern. Diese Charakteristik des Landes liefert im Verein
mit der politischen Geschichtskarte ein anschauliches Bild des-
selben. So haben die Schüler festen Boden unter den Füfsen,
auf dem sich dann die Landesgeschichte abspielen kann. Zugleich
wird dadurch auf die Lebensbedingungen des betreffenden Volks-
stammes hingewiesen, und ein wichtiger Fingerzeig für die Rich-
tung gegeben, in welcher sich die Geschichte entwickelt Erwähnt
sei übrigens, dab auch die oldenburgische Geschichte mit einer
kurzen geographischen Darstellung anhebt. Einen eigentümlichen
Eindruck macht es, wenn in der Geschichte der Prov. Posen unter der
Harke: 'Burgundionen und Vandalen* zuerst die heutige
Bevölkerung besprochen wird. Die Hälfte der Landesgeschichten
zerfällt in zwei Hauptteile, einen meist kurzen Oberblick oder
Abrifs der Geschichte und einen längeren Teil, in welchem unter
dem Titel ^Erzählungen oder Bilder' die Geschichte gegeben wird.
Der Geschichtsabriüs ist mit ein paar Ausnahmen, in welchen die
Tabellenform Verwendung gefunden hat, in zusammenhängender
Darstellung geschrieben. Nächstdem liefern die meisten Verfasser
einen blofsen Geschichtsabrifs, nach Landschaften oder Herrschern
geordnet; der der Geschichte des Königreichs Sachsen aber läfst
dem ausführlichen Oberblick über die Geschichte eine „kurze
Obersicht der sächsischen Geschichte^' in tabellarischer Zusammen-
410 Deutsche Landes- und Provinzialgeschiclite,
Stellung folgen. Die Verfasser der schleswig-holsteinischen und
der hamburgischen Gesciiichte beschränken sich blofs auf Er-
zählungen, die Landesgeschichte von Thüringen endlich ist in
einer Form gearbeitet, welche etwa die Mitte hält zwischen einer
Übersicht und Erzählungen. In fünf Fällen ist für die Übersiebt
der Kleindruck gewählt, und in acht Fällen der Landes- oder
Provinzialgeschicbte eine Zeittafel beigegeben worden. Verschieden-
artig wie die Einteilung und Anordnung des Stoffes ist auch die
sonstige Behandlung der Landesgeschichten ausgefallen, was an
und för sich durchaus nicht getadelt werden soll. Es führen be-
kanntlich viele Wege nach Rom. Reich und vielgestaltig wie die
Geschichte des deutschen Volkes wird sich auch eine Sammlung
der Sondergeschichten ausnehmen müssen. Jeder Verfasser wird
sie nach seiner Art behandeln. Und doch giebt es gewisse
Grenzen, deren Berücksichtigung bei aller Verschiedenheit im
einzelnen dem Zwecke des Unternehmens nur f5rderlich sein
kann. Die Hefte, für die Hand des Schülers bestimmt, sollen
doch der ersten Einführung in die Heimatgeschidite dienen und
werden das Interesse dafür um so leichter hervorrufen, je mehr
der Stoff in kleine Abschnitte gegliedert und dadurch übersicht-
lich gestaltet ist wie in den meisten Einzelgeschichten, je mehr
die Darstellung sich fern hält von einer Überfülle von Zahlen und
Namen, was z. B. nicht der Fall ist in der Geschichte von Nassau,
je einfacher und ungesuchter die Sprache, wie in der Gesciiichte
des Grofsherzogtums Baden, und je lebendiger und anregender
der Ton der Erzählung ist, wie in den Geschichten von Schwaben
und Neuburg, von Ober-, Mittel- und Unterfranken. Über-
haupt empfiehlt es sich, mit den Erzählungen zu beginnen und
denselben den Abrifs folgen zu lassen, wie in der badischen Ge-
schichte, um zuerst das Interesse für eine Übersicht zu erregen.
Es ist ferner wünschenswert, dafs in dem Hauptabschnitte 'Er-
zählungen oder Bilder' nicht blofs politische Geschichte gegeben,
sondern zugleich der Kulturgeschichte Rechnung getragen und
grofse Männer des Volksstammes in ihrer Bedeutung für die
engere Heimat oder zugleich für das ganze deutsche Vaterland
gewürdigt werden, wie das geschehen ist in den Geschichten von
Pommern, Schleswig- Holstein, Hamburg, Schlesien, Elsafs- Loth-
ringen, Thüringen, der Provinz Sachsen und anderen. Nur nn-
gem vermifst man in der Geschichte von Ost- und Westpreuiaen
die Erwähnung eines Herder, der dafür wenigstens in der badischen
und in der thüringischen Geschichte vorkommt, Schenkendorf
und Kopernikus , vor allem aber einen Abschnitt über die
patriotische Erhebung der Provinz Ostpreufsen im Jahre 1813,
wie überhaupt die Fortführung der Provinzialgeschicbte seit 1793.
Vermifst werden ferner in der thüringischen Geschichte auDser
der Vorgeschichte das Wirken des Bonifatius und die mit Sage
umwobene, gerade die Schüler lebhaft interessierende Geschichte
aogez. von R. Brendel.* 41[
des sächsischen Prinzenraubes; oder sind diese Abschnitte deshalb
weggelassen worden, weil die thüringische Vorgeschichte in der
säclifiischen Provinzialgeschichte , die Missionsthäligkeit des Boni-
falios in der hessischen und der sächsische Prinzenraub in der
Geschichte des Königreichs Sachsen erzählt werden? Dafs in der
mecklenburgischen Geschichte der berühmten Landsleute der
Mecklenburger, nämlich eines Blücher, Reuter und Mollke auch
nicht mit einem Worte Erwähnung gethan ist, wird gewifs jeder
als einen IMangel empfinden. AufTallend ist es, dafs die Barbarossa-
oder besser Friedrichssage, die so eng mit der Geschichte des
deutschen Volkes verwachsen ist, in dem ganzen Handbuche
nii^ends eine Stelle gefunden hat. Oberhaupt verdienen die
historischen Sagen, die ein Licht werfen auf die Gestaltungskraft
und das Gemutsieben des Volkes und doch auch sonst in den
Geschichtsunterricht mit verflochten werden, eine bessere Beröck-
sichtigung. För die Geschichte der Stadt Berlin möchte sich Ref.
den Vorschlag der Zerlegung in folgende Abschnitte gestatten:
— 1307 — 1740 — 1861 — jetzt. In der Geschichte von Ober-
bayem, Niederbayern und der Oberpfalz, der einzigen übrigens,
deren Verfasser sich nicht genannt hat, ist es falsch, die fünf
ersten Abschnitte nach Herrschergeschlechtern zu betiteln und
dann durch die Überschriften der drei folgenden den Schein zu
erwecken, als hätten die Witteisbacher sehr bald wieder zu
r^eren aufgehört. Mit mehr Recht läfst sich die Überschrift des
5. Abschnittes 'Bayern unter den Witteisbachern' als beherrschende
far die folgenden gebrauchen, die etwa dann heifsen könnten:
A. Bayern bis zur Reformationszeit; B. Bayern bis zum dreifsig-
jährigen Kriege u. s. w.
DaCs das Sammelwerk sich fast ganz frei von Druckfehlern
hält, deren nur zwei in der Geschichte des Grofsherzogtums
Oldenburg aufgefallen sind, ist erfreulich und erklärlich. Vielleicht
darf Ref. auch anführen, was er sich an sonstigen Versehen und
Irrtömem im Vorbeigehen notiert hat.
Ost- und Westpreufsen: steht Gothen für Goten. Das-
selbe wiederholt sich in der Geschichte von Oberbayern, Nieder-
bayem und der Oberpfalz S. 1 der Einzelgeschichte oder 209 des
Handbuchs.
Pommern: S. 1 oder 33 „Julin auf Usedom, das Vineta der
Sägers Julin ist aber bekanntlich dasselbe wie Wollin auf Wollin,
nicht auf Usedom, welches die Sage unter dem Namen
Vineta, entstanden aus Jumneta, Jumne, auf die Insel Usedom
versetst bat. Stettin hat nicht „mehr als 200 000 Einwohner*',
sondern nach den Veröffentlichungen des Deutschen Gesund-
heitsamtes vom Juli 1893 erst 125 000 Einwohner.
Posen: Ludwig XV. ist nicht der Schwiegervater, sondern
der Scbwiego^ohn von Stanislaus Leszczynski. August IH. von
Sachsen ist nicht 1766, sondern 1763 gestorben.
412 SchillmaiiD,'ScIiiiiat]aS; angez. vod A. Kirchhoff.
Provinz Sachsen: Die Adjektiya 'Ernestinisch und AI-
bertinisch' müssen mit grofsen Anfangsbuchstaben geschrieben
werden. Dasselbe gilt für die Geschichte des Königreichs Sachsen
und für die Adjektiva ^RudolGnisch und Ludovicisch' in der Ge-
schichte von Oberbayern, Niederbayern und der Oberpfalz.
Hessen S. 5 oder 155: Bonifatius fand seinen Tod im
Friesenlande 754, nicht 755.
Oberbayern, Niederbayern und Oberpfalz: Otto III.
sank schon 1002, nicht 1003 ins Grab. „Die verhängnisvolle
Feindschaft zwischen Ilohenstaufen und Weifen'' entstand bereits
unter der Regierung Lothars, seit Heinrich der Stolze, Herzog
von Bayern (tll39, nicht 1138), mit seinem Schwiegervater
Lothar gegen das staufische BrQderpaar zu Felde zog, und wurde
durch die Wahl des Hohenstaufen Konrad III. im Jahre 1138 wohl
verstärkt, aber nicht hervorgerufen.
Schwaben und Neuburg: Die Völkerschlacht auf den
katalaunischen Feldern wurde nicht 452, sondern 451 geschlagen.
Ober-, Mittel- und Unterfranken: Friedrich von Hohen-
staufen wurde schon 1079, nicht 1098 Herzog von Schwaben. Die
bessere Foi*m für „Spruchwort'' ist „Sprichwort".
Rheinpfalz: Die Truppen Friedrichs von der Pfalz wurden
nicht „am 5. Nov. 1620 am weifsen Berge bei Prag geschlagen",
sondern am 8. Nov. Wenn ferner S. 15 oder 265 behauptet wird:
„1628 Oberpfalz und Kurwürde fällt an Bayern", so ist das blolüs
richtig für die endgiltige Vereinigung der Oberpfalz mit Bayern,
nicht für die Kurwurde, welche bereits 1623 auf dem Reichstage
zu Regensburg zugleich mit der Verwaltung der Ober- und Rhein-
pfalz dem Herzog Maximilian von Bayern übertragen wurde.
Mögen die deutschen Landes« und Provinzialgeschichten mit
der Kenntnis heimischer Sage und Geschichte zugleich liebe-
volles Verständnis deutschen Wesens, deutscher Sitte und Art ver-
mitteln!
Stargard i. Pomm. R. BrendeL
Kleiner Historischer Schnlatlas in Karten nod Skizsen aach d«D
Angaben des Dr. R. Schillmann gezeichnet von P. Schi lim« an.
Berlin 1894, Nicolaisehe Verlagsbuchhandlung. 1,60 M.
Schon der Titel ist etwas sonderbar. Man fragt sich: was
heilst da „Skizzen'* neben „Karten'*? Der Inhalt erledigt die
Frage nicht Es sind hier 32 Kärtchen in ziemlich dürftiger
Ausstattung vereinigt, um als Erläuterung zu dienen för die
„Schule der Geschichte'* (wohl ein Leitfaden des Dr. Schillmann?).
Der Schuler soll hierdurch bewahrt bleiben vor dem „Mitschleppen
von grofsen Atlanten'* in die Geschichtsstunde. Indessen giebt
es jetzt in kaum gröfserem Format und zu so wenig höherem
Preis so viel zweckdienlichere geschichtliche Schulatlanten , dafs
H. Martns, Unterricht i. d. Ramnlelire, an^ez. v. W. Erler. 413
man die Notviendigkeit des Scbillmannschen nicht einzusehen
vermag.
Vor allem ist die aufserordentliche Unterstützung der Über-
sichtlichkeit politischer Karten durcli den Fläcbenfarbendrnck hier
(mit Ausnahme der zwei Kärtchen, die Brandenburg-Preufsen be-
treflen) gar nicht in Anwendung gezogen worden. Mehrere der
Blätter sind hingegen durch überstarke Verwendung der ailväte-
rischen Raupenmanier zum Ausdruck der Gebirge arg Terhäfsliclit.
Die Länderumrisse sind mehrfach bis zur Unnatur plump verein-
facht An Eintragung von Orts- und Flufsangaben ist im Über-
mafs gespart Auf der Karte von Alt- Griechenland vermifst man
sogar den Strymon, auf der von Alt-Italien den Namen des
Trebia. An Stichfehlern wie Euphrathes (Karte 1), Rämses für
Ramses (3), Numiaia für Numidia (10) fehlt es nicht. Am elen-
desten nimmt sich das Scblufskärtcben der deutschen Schutz-
gebiete aus mit ganz verzeichneten Grenzen Deutsch-Ostafrikas,
in welchem (abseits der phantasievollen Nordgrenze) ein Kili-
mandscbano aufragt.
Halle a. S. A. Kirchhoff.
N. Martos, Leitfaden für den fJnterricht in der Raumlehre.
Erster Teil: Ebene Figuren. Zweiter Teil: Dreiecksreehnang und
Korperlehre. Bielefeld ond Leipzig 1893, Velbagen und Klasing. 96,
138 S. Mit 128, 138 eingedruckten Figuren. 1,20 bezw. 1,80 M,
geb. 1,50 bezw. 2,10 M.
Durch die neuen Lehrpläne, welche eine andere Verteilung
ond zugleich eine Zusammendrängung des Stoffes nötig machen,
bat sich der Verf. veranlafst gesehen, seine im Jahre 1891 und
1892 erschienene Raumlehre zu einem Leitfaden zusammenzu-
ziebeD. Da wir jenes gröfsere Werk, wie es der methodische und
wissenschaftliche Wert desselben mit sich brachte, ausführlich in
dieser Zeitschrift (Bd. XLVi S. 194 ff.) besprochen haben, so wer-
den wir ans hier kurz fassen können. Der Leitfaden giebt den
Dötigen Lehrstoff genau in derselben .Weise wie die Raumlehre;
80 kommen alle von uns an dieser gerühmten Vorzüge auch dem
Leitfaden zu. In dem ersten Teile sind nur die den ersten Ab-
ichnitten beigefügten Übungsaufgaben weggelassen, in den spä-
teren verkürzt; sonst enthält es fast denselben Stoff; das Tan-
gentenviereck fehlt, welches wir doch ungern vermissen; das
regelmäfsige Vieleck ist erst kurz beim Kreise behandelt. Dagegen
siod die Anleitungen zu den verschiedenen Methoden der Lösung
TOD Konstruktionsaufgaben in gleicher Klarheit und Ausführlich-
keit gegeben und an Beispielen erläutert. — Stärker mufste die
Kürzung in dem recht umfangreichen zweiten Teile werden.
W^gefaUen sind die sich mit der perspektivischen Zeichnung be-
schäftigenden Abschnitte, ferner der Anhang über die Reihen für
Sinus und Cosinus. Mehrere Sätze über die Ecke, z. B. über die
414 H- Martas, (Jnterriclit i. d. Raumlelire, anpez. v. W. Erlei*.
Polarecke, über die Summe der Seiten und Winkel einer Ecke
bringt der Verf. erst bei der Kugel, die Kongruenzsätze der drei-
seitigen Ecke sind ganz weggeblieben. Es ist dem Verf. offenbar
darum zu tbun gewesen, möglichst bald zur Berechnung der
Körper zu kommen, und doch hat er es nicht über sich ge-
winnen können, die so lehrreichen und bildenden einleitenden
Abschnitte der Stereometrie in unzulässiger Weise zu beschränken,
wodurch die Betrachtung und Berechnung der Körper den sonst
dem mathematischen Unterricht eigenen Charakter der Gründlich-
keit verlieren mufs und mehr oder weniger handwerksmäfsig wird.
Wir begreifen den Verf. sehr wohl und teilen seinen Unwillen
über die durch den neuen Lehrplan dem Unterrichte in II ge-
stellte Aufgabe, müssen aber bemerken, dafs der Leitfaden sich
auch in anderer Beziehung dem neuen Lehrplane nicht anpafst.
Er hat eben die bewährte alte Verteilung und Anordnung des
Stofles beibehalten. Die Trigonometrie, welche nach den neuen
Bestimmungen in drei Teile für drei verschiedene Gymnasial-
klassen zerrissen werden soll, wird von ihm in schönem, wohl-
geordnetem Zusammenhange nach der früheren Weise behandelt.
Die Formel für Sin {a-^-ß) und ihre zahlreichen Folgerungen (das
ist doch wohl das im Lehrplane bezeichnete Additionstheorem),
welches erst in der Gymnasialprima gelehrt werden soll, nachdem
die fundamentalen Dreiecksaufgaben ohne dasselbe gelöst worden
sind, findet sich an seiner alten Stelle bereits in § 3. In der
Stereometrie ist in den nach der Angabe des Verf.s für IIb be-
stimmten § 1 — 5 nur die Berechnung der ebenflächigen Körper
enthalten, während der Lehrplan nach seinem Standpunkte unter
den einfachen Körpern jedenfalls auch die geraden krummflächigen
Körper und die Kugel verstanden wissen will. Sieht man aber
davon ab, so ist der Stoff noch immer sehr reichhaltig. Nur die
Kugelschicht fehlt, wohl mit Unrecht Dagegen sind die Wechsel-
schnitte im Cylinder und Kegel nachgewiesen, die ellipüschen
Schnitte nebst der Gleichung der Ellipse abgeleitet. Ferner sind,
worauf der Verf. mit Recht besonderes Gewicht legt, die Methoden
zur Bestimmung der Grenzwerte (Maxima und Minima) angegeben
und trefflich erläutert. Die Grundformeln der sphärischen Tri-
gonometrie sind, soweit sie zur Lösung der Fundamentalaufgaben
dienen, abgeleitet. Von den drei Kegelschnitten handeln nur die
drei letzten Seiten, auf denen drei grofse, deutlich gezeichnete
Figuren einen bedeutenden Platz einnehmen.
Sollen wir nun unser Urteil zusammenfassen, so verdient der
Leitfaden als methodische und wissenscliaftliche Arbeit unbe-
dingtes Lob in gleichem Mafse wie die Raumlehre des Verf.s; der
zweite Teil schliefst sich dagegen den Anforderungen des neuen
Lehrplans nicht genügend an, um für den jetzt so schwierigen
Unterricht in IIb als Leitfaden dienen zu können. Wo aber die
Behörde bewährten Lehrern gegenüber freiere Hand läfst und
A. Höfler und E. MaUs, Natnriehre, aopez. v. R. Sehiel. 415
nicht voll und ganz auf dem Schein des Lehrplans besteht, oder
wenn der letztere, wie ja so manche neue Verfügung nachträglich
Biodifiziert worden ist, früher oder später eine wünschenswerte
Änderung erfährt, dann wird der Leitfaden gewifs ein sicherer
Fuhrer für den Lehrer sein, den Schülern den vollen Bildungs-
werl der Mathematik zu gewähren, deren wesentliche Eigentüm-
lichkeit es ist, dafs sie auf festen, unerschütterlichen Grundlagen
raht and als solche auch dem Schüler überSill entgegentritt und
ihn zur Gründlichkeit anhält. Wie sehr sie daneben im Leben
Terwertbar ist, das zeigt der Verf. in der reichen Fülle schöner,
auch in den Leitfaden aufgenommener praktischer Aufgaben, auf
welche wir ausführlich in unserer früheren Anzeige hingewiesen
baben.
ZuUichau. W. Erler.
A. Bofler and B. Maiss, Natarlehre für die aotereo Klassen der
Mittelsehuleo. Mit 290 Holzschoitteo, 3 farbigen Figuren, einer litho-
graphierten Sterotafel und einem Aohaoge von 140 Denkaufgaben.
Wien 1893, Gerolds Sohn. 182 S. 8. 2,60 M.
Am 24. Hai 1892 ist eine Ministerialverordnung in Öster-
reich erlassen worden, nach welcher u. a. der Lehrplan und die
Instruktion für den Unterricht in der Physik am Untergymnasium
abgeändert werden. Der physikalische Lehrstoff erfahrt hiernach
eine beträchtliche Einschränkung gegenüber dem Lehrplan von
1S84 derart, dafs die Ausscheidung schwieriger Partieen es er-
möglichen, den Unterricht dem natürlichen Entwickelungsgange
des Schülers mehr anzupassen und dadurch einen bleibenden
Erfolg zu erzielen. Von diesem Gesichtspunkte aus ist das vor-
liegende Buch verfafst und es hat seine Aufgabe mit solchem Ge-
schicke gelöst, dafs es durch Ministerialerlafs zum Gebrauche
an Hittelschulen mit deutscher Unterrichtssprache allgemein zu-
gelassen ist.
Eine eingehendere Beschäftigung mit dem Buche wird das
Urteil bestätigen, dafs der Stoff sorgfältig durchgearbeitet und
pädagogisch gut verwertet ist. Die Ent wickeln ng ist in der
Weise geführt, dafs eine Reihe von Versuchen teils genau be-
schrieben, teils angedeutet, die Resultate zur Aufstellung der Ge-
setze benutzt und aus diesen die nächstliegenden Polgerungen
gezogen werden.
Die Unterrichtsmittel sollen möglichst einfacher Art sein.
Deshalb werden z. B. die Fallgesetze an einer einfachen Fallrinne
aus sorgfältig geordneten Versuchen gewonnen und der freie Fall
als Grenzfall abstrahiert. Dafs diese Behandlung des Gegenstandes
allgemeine Anerkennung finden wird, möchte ich bezweifeln,
wiewohl der eingeschlagene Weg das historische Moment für
sich liat
4t6 A. Höfler und E. Maiss, Natnrlehre, anpez. v. R. Schiel.
Die Experimente sind alle mit den einfachsten Mitteln
ausführbar: haben sich doch die Verfasser besondere Mühe ge-
geben, eine sehr grofse Zahl von Versuchen zusammenzustellen,
die der Schüler seihst auszuführen hat. Hierdurch werden die
Knaben zur Selbstlhätigkeit angeregt und geleitet und so metho-
disch zu möglichster Klarheit der Grundbegriffe geführt. Ob eine
solche Klarheit auch wirklich erreicht ist, wird unter anderem
durch die Lösung der Denkaufgaben nachgewiesen werden, welche
dem Buche als Anhang beigegeben sind, und auf die durch Rand-
zahlen an geeigneter Stelle hingewiesen wird. Wo Mifsyersländ-
nisse entstehen können und erfahrungsmafsig auch sich einstellen,
wird durch zweckmäfsige Bemerkungen ihrem Eintreten vorge-
beugt Nehmen wir noch hinzu, dafs Anwendungen der Gesetze,
soweit sie sich in Erfahrungen des ISglichen Lebens erkennen
lassen, in grofser Reichhaltigkeit zusammengetragen sind und zu
einfachsten Rechenaufgaben Anlafs geben, so werden wir die
grofse Mühe anerkennen müssen, die die Verfasser angewendet
haben , um dem Anfangsunterrichte in der Physik einen bleiben-
den Erfolg zu sichern. Entsprechend dem jugendlichen Alter der
Schüler, welche in die Physik eingeführt werden sollen, und an
deren mathematische Vorbildung nur geringe Anforderungen ge-
stellt werden können, ist eine mathematische Begründung und
Verknüpfung der Gesetze unterlassen.
Die Etymologie der vorkommenden Fremdwörter, sowie
auch historische Angaben fehlen leider fast ganz.
Mit Ausnahme der „astronomischen Geographie und der Er-
scheinungen am gestirnten Himmel'* ist das vorliegende Buch
nach Umfang und Behandlung des Stoffes durchaus für den Un-
terricht im vorbereitenden Kursus der Physik an unseren Gym-
nasien geeignet und wird vielen Lehrern ein willkommenes Hilts-
mittel sein.
Die Ausstattung des Buches entspricht nach jeder Richtung
allen Anforderungen.
Berlin. R. Schiel.
ERSTE ABTEILUNG.
ABHANDLUNGEN.
Noch einmal der neue Lehrplan für den evangelischen
BeligionBunterricht.
Während früher der Religionslehrer, welchem bei Aufslellung
des Stundenplanes der Unterricht in dieser oder jener Klasse zu-
nächst nur auf ein Jahr übertragen wird, nach einem PJane
unterrichten mufste, der lediglich für seine Schule von Theologen
oder Nichttheologen ausgearbeitet, alljährlich erheblichen, von ihm
selbst gebilligten oder gemilsbilligten Abänderungen ausgesetzt
war; während früher eine solche Mannigfaltigkeit herrschte, dafa
bei den die Anstalt wechselnden Schülern nie die Aneignung
übereinstimmender Lehraufgaben vorausgesetzt werden konnte, so
ist nun endlich durch einen verbindlichen Lehrplan zu einer
allgemeingültigett Verteilung des LehrstolTs auf die einzelnen
Klassen der Grund gelegt worden. £& ist zu bedauern, dafs der
Fortschritt im Unterrichtsbetriebe, der doch schon im bloisen
Streben nach Obereinstimmung liegt, im allgemeinen nicht freu-
diger begrüfst worden ist. In den Zeitschriften, namentlich den
Berichten über Versammlungen, liest man meist nur wenig von
Zustimmung und Würdigung, dagegen werden über die Halsen viel
Ausstellungen gemacht und Abweichungen vorgeschlagen. Sehr
riditig bemerkt Windel, es scheine sich hier in der Aufstellung
von Gegenvorschlägen der deutsche Individualismus etwas zu sehr
geltend zu machen^).
Es kann ja freilich auch kein Werk gleich bei seiner Schöpfung
nach allen Seiten hin vollkommen sein. Dafs unsere oberste Be-
hörde auf die Mitwirkung der Lebrerwelt Wert legt, hat schon
der Umstand bewiesen, dafs die neuen Lehrpläne den Lehrkörpern
mit der Bemerkung, die zugefertiglen Lehraufgaben Rollten nur
als Anhaltpunkte für die Beratung dienen und Abweichungen im
einzelnen seien somit nicht ausgeschlossen, schon lange vor ihrer
Veröffentlichung zugesandt worden sind. Und dafs auch nach
1) Lelirpr. n. Lehrg. 1893 S. 69.
ZtkmAx. t d. 07nuiMUlww«n. XLVIIL 7. 8. 27
418 Noch einmal d. oeae Lehrpl. f. d. evang. Religionaaoterr.y
derselben im MiDisterium eine Modifikation in Bezug auf unter-
geordnete Punkte noch vorbehalten wird, darauf durfte die in
jenem bekannten Erlasse ausgesprochene Weisung hindeuten,
Abanderungswünsche zunächst bei dem betreffenden Provinzial-
Schulkolleginra zur Sprache zu bringen^).
Weil ich demgemäfs die Hoffnung aufrechterhalten zu dürfen
glaube, dals AbänderungSYorschläge, je ma fsvoller sie sind,
desto mehr Aussicht auf Genehmigung haben, will ich versuchen,
eine möglichst allgemeine Einigung über diesen Gegenstand anzu-
bahnen. Ich stelle mir die Aufgabe, mit den ernsten Bedenken,
die von der ganzen betreffenden Lehrerwelt oder ihrer Mehrzahl
geteilt werden, beginnend die wichtigsten der mir bekannt ge-
wordenen Abänderungsvorschlüge auf ihre Notwendigkeit hin zu
prüfen. Weil ich nur dahin wirken will, dafs anderen vor mir
laut gewordenen Stimmen Beachtung geschenkt oder versagt
werde, so wolle mir der geneigte Leser gestatten, so oft es an-
geht, die Herren, welche Abänderungen wilnschen, selbst ihre
Ansichten vortragen zu lassen.
Wiewohl POgner nicht sowohl die Mängel und Vorzöge der
neuen Lehrpläne erörtern, als vielmehr sich mit ihnen abfinden
und in sie einleben will, kann er doch die Bemerkung nicht
unterdrücken, die nach IV gelegte Erlernung des 4. und 5. Uaupt-
stückes belaste die Klasse stark. Jedenfalls sei ihre vorzeitige
Einprägung durch die Rucksicht auf die Konfirmanden verlangt*).
Dagegen geht Zange einen Schritt weiter und sagt: ,,Da8 in
IV geforderte einfache Auswendiglernen des 4. und 5. Hauptstuekes
scheint noch eine Reminiscenz aus jener Unterrichtsweise zu sein,
nach der man den Katechismus für sich behandelte, sich zunächst
mit der notwendigsten Worterklärung begnügte und nur dafür
sorgte, dafs einstweilen der Wortlaut sich fest einprägte, in der
Hoffnung, dafs das Verständnis später nachkommen werde. Diese
Unterrichtsweise, deren Resultat ist, dafs der GedächtnisstoiT fest,
aber nicht zugleich locker sitzt . . . , dafs er auswendig, aber nicht
inwendig gelernt ist, und dafs die Jugend nicht für die Religion
erwärmt sondern stumpf, gemacht wird, darf heute als überwunden
gelten und ist auch offenbar nicht diejenige, welche die
neuen Lehrpläne im Auge haben. Hier ist Veratändigung
notwendig und kein Zögern am Platze"*). — „Auch die Ruck-
sicht auf den Konfirmandenunterricht nötigt nicht zu solcher Eile.
Denn dafs ein Quartaner schon konfirmiert werde, ist eine Aus-
^) Vgl. Rethwisch, Jahresberichte über das höhere Schnlwesen VI (1891)
ErgänzDDgsheft S. 10.
^) ZeiUchr. f. d. evaagel. ReligioDsooterricht von Ftath ood RSster
m S. 216.
•) Zeitschr. fdr Gymoasialw. 1892 S. 602.
von If. Stier. 4|()
nähme. Man wird nm seinetwillen die Ausnahme nicht zur Regel
machen und allen seinen Kameraden auflegen, was für ihn ein
notwendiges Übe] ist"^. Diese Worte sind mir so aus der Seele
gesprochen, dafs ich nichts hinzuzufügen habe.
Zur Entlastung der IV, auf deren Notwendigkeit scl)on Decke
in Breslau hingewiesen hatte'), will Schnitze die beiden letzten
Hauptstücke nach Ulli hinaufgeschoben sehen ^). Diesem Vor*
schlage kann ich nicht zustimmen. Wie ich an dem Grundsatze
festballe, dafs aus der jetzt vorliegenden Fassung der Lehrpläne
nur solche Lehraufgaben gestrichen werden können, welche ihrem
Geiste widersprechen, so dürfen auch nur solche eingeschoben
werden, welche ihrem Geiste entsprechen. Soll aber der Grund-
satz durchgeführt werden, der bis dahin für den stufenweise fort-
schreitenden Ausbau der Katechismuskenntnis mafsgebend gewesen
ist, so wird, wenn eine einfache Worterklärung des a|>ostolischen
Glaubensbekenntnisses und des Vaterunsers der Auslegung und
Einprägung des ganzen 2. und 3. Hauptslückes in einer früheren
Klasse vorangegangen ist^), folgerecht auch die Erlernung der
Einsetzungsworte von der Auslegung und Einprägung des ganzen
4. und 5. Hauptstückes getrennt werden müssen. Demgemäfs
sind mindestens die — übrigens schon dem Quintaner aus dem
Lesebuche bekannten — Einsetzungsworle beider Sakramente in
IV eingebend zu erläutern und zu einem sicheren, durch Wieder»
holuog gefestigten Besitz zu machen^), ehe in Ulli durch die Er-
klärung und Einprägung des ganzen 4. und 5. Hauptstückes die
Katechismuskenntnis zu einem Abscblufs kommt*).
Ebenso wie das blofse „Auswendiglernen des 4. und 5. Haupt-
stückes*' widerspricht dem Geiste der neuen Lehrpläne eine vor-
schnelle Einprägung der Reihenfolge der biblischen Bücher. „Nötigen
1) S. 608.
«) ZeiUchr. f. d. cv. Rü. IV S. 74.
3) Zeitschr. f. d. ev. RU. IV S. ]1.
*) Aoch hillsichtlich des 1. Hauptstiickes kann wohl yoraasgesetzt wer-
des, dafs die Gebote schon io der Vorschule s^lo<*"t 'lo^ oo^ *!><> >d VI
Bor di« Brkliraa^ Luthers htazagefüe^t wird.
») So Zaoge S. 608.
*) Da allerdioj^s oicht in Abrede gestellt werden kann, dafs die Ein-
setzoB^sworte in einem etwas andern Verhältnisse za den beiden letzten
Baaptatnekeo stehen, als die Gebote, das Apostolikam nnd das Vaterunser
zn den drei ersten, indem nicht ebenso wie von den drei ersten ohne und
mit Lothers Erklärangi aach von den beiden letzten ohne nnd mit Luthers
Erklirong geredet werden kann, aufserdem nahe Hegt, die Erläuterung der
Einsetzungsworte in IV gleich in den Text der ersten und zweiten Frage
schliefalieh zusammenzufassen, so ist zu erwägen, ob nicht vielleicht in IV
aehou die beiden ersten Fragen beider Hanptstncke einzuprägen sind. Es
würde dann eine an die Worte Christi angeschlossene Belehrung über Wesen
und Wirkung der Sakramente schon der IV zufallen und nur die apostolische
BelFacbtung über Kraft und Bedeutung sowie die Hinweisung auf die mit den
Sakramenten verbundene Verpflichtung durch Erlernung der beiden letzten
Prägen für Ulli übrig bleiben.
27*
420 Noch einmal d. oeae Lehrp). f. d. evaog. Religionianterr.,
wir den kleinen Quartaner^S sagt Zange, „schon die Namen und
Reihenfolge auch nur aller neutestamenüichen Bücher auswendig
zu lernen, so geraten wir wieder in den didaktischen Materialis-
mus, den Dörpfeld so trefflich in seiner gleichnamigen Schrift
gegeifselt hat, in die Überbördung mit totem Gedachtnisstoff, gegen
welchen die neuen Lehrpläne so energisch zu Felde ziehen. Nehmen
wir uns doch Zeit!'*^)
Aber mit einer bloCseu Weiterschiebung auf die nächstfolgende
Klasse, wie sie der von Kamp entworfene, in Leimbachs Leit-
faden') abgedruckte Entwurf vorschlägt, dürfen wir uns auch hier
nicht begnügen. Erst wenn die Schuler mit dem Inhalte der
Bücher und ihrem Zusammenhange bekannt geworden sind, darf
von ihnen verlangt werden, dafs sie sich auch die Reihenfolge
ihrer Oberschriften merken. Ganz vortrefflich sagt Zange: „Wir
geben den Schülern zunächst nur das N. T. mit Psalmen in die
Hände, und lassen sie zunächst in diesem, leichter übersehbaren
und notwendigeren Teile der heiligen Schrift heimisch werden. Und
auch dies kann nur allmählich geschehen, so, dafs die Kenntnis
der Schriften Schritt hält mit dem Wachstum der geschichtlichen
Kenntnisse von den Thatsachen, welche die Voraussetzung der
Schriften bilden. . . . Wir begnügen uns also grundsätzlich damit,
in IV die Schüler mit den Evangelien, der Apostelgeschichte und
den Briefen bezw. Schriften der Urapostel Petrus und Johannes
sowie des Jakobus und Judas bekannt zu machen. Mit den Namen
der paulinischen Briefe plagen wir die Schüler noch nicht. Diese
prägen sich in 111 . . an der Hand des Lebens Pauli von selber
ein. . . Da ist auch der Platz für eine Einführung in die alttesta-
mentlichen Bucher und für die Einprägung ihrer Reihenfolge.
Denn nichts widerspricht so sehr einer gesunden Pädagogik und,
Gott sei Dank, dem Geist unsrer neuen preufsischen
Lehrpläne, als die Kinder auf einmal mit einer Menge Stoff zu
überschütten, der ihnen innerlich fremd bleibt, notwendig fremd
bleiben muTs, wenn er auch noch aus blofsen toten Namen be-
steht'* »).
Dieses Verfahren eines langsam fortschreitenden Ausbaus ist
allerdings mit dem Obelstande verbunden, dafs die Schüler erst
spät Sprüche in allen Teilen der Schrift aufschlagen lernen und
also die Sprüche aus einem Hilfsbuche lernen müssen. Dafs sie
aber die Namen mit bestimmten geschichtlichen Erinnerungen
und sympathetischen Empfindungen sich einprägen und liebgewinnen
— „ohne dies ist's eine Klapper, die man schnurren läfst*' — , ist
wichtiger als alle Zweckmäfsigkeilsrücksichten. Wenn ich an die
Qual und Angst des sechsjährigen Knaben zurückdenke, der die
1) S. 607.
•) S. VI.
^) Leitfaden für den evangeliachen ReligioBaaaterricbt, Heft 2 S. 26 f.
von M. Stier. 421
schweren Namen der Propheten, Apokryphen, Episteln zu Hause
seinem Gedächtnisse fest einprägen mafste, um sie am folgenden
Tage ohne Anstofs aufsagen zu können, so erscheint es mir noch
beute als eine Gewissenspflicbt, zu verhilten, dafs durch ein ähn-
liches Verfahren den Schülern von vornherein die heilige Schrift
verleidet wird. Wie viel mag zu dem Widerwillen vieler Ge-
bildeten gegen die positive Religion die unleugbare Thatsache
beigetragen haben, dafs sie den unverstandenen Katechismus
auswendig zu lernen durch Furcht vor Strafe gezwungen wor-
den sind?
Was nun die Verteilung des BibellesestolTs anbetrifft, so sind
alle zu meiner Kenntnis gekommenen Gutachten darüber einig,
dafs Uiob mehr nach II als nach III und die Apostelgeschichte
mehr nach III als nach II gehöre.
Gegen die Behandlung des Buches Hiob in Ulli hat schon
Genest in Halle groCse Bedenken geäufsert^). Auch die Breslauer
Versammlung fand dasselbe für diese Klasse wenig geeignet').!
„Das schwierige Buch**, sagt Fügner, „pafst nicht in die U III, wo
viel näher liegender und passenderer Stoff zu bewältigen ist**').
Dazn kommt noch, dafs es bei einer zusammenhängenden Dar-
stellung des Reiches Gottes im A. T., weil sich dasselbe um der
Unaicberheit seiner Abfassungszeit willen in das Ganze der Heils-
geschiebte ohne eine gewisse Willkür nicht einfügen läfst, min-
destens entbehrlich ist. So sehr ich aber auch einerseits aus
diesem Grunde Fügner, WindeP) und Leimbach'), welche Hiob
von UIU nach ÜU verlegen, beistimme, so mufs doch ander-
seits auch zugegeben werden, dafs eine Notwendigkeit nicht vor-
liegt, die Streichung der Worte „Stellen aus Hiob** aus der für
um vorgeschriebenen Aufgabe zu beantragen. Denn wenn die
Schüler zunächst (in V und IV) die Thaten, und später erst (in
Olli die Bergpredigt und die Gleichnisse, also) die Reden Jesu
kennen lernen, wenn wir sie zunächst in die Geschichte der
Israeliten und erst auf einer späteren Stufe in ihre' Schriften
einführen, warum sollten wir da nicht in entsprechender Weise
die Untertertianer schon mit der Sage von Hiob bekannt machen,
um sie dann in Uli durch Lesung der schwierigen Reden zu
einer tieferen Auffassung des Grundgedankens zu führen?^)
Fügner meint zwar, von Hiob, der sonst wohl nach Uli gehöre,
hier viel zu lesen, werde kaum angehen^). Aber warum soll
nicht das für diese Klasse angeordnete „Bibellesen behufs Ergän-
1) Zeitsclir. f. d. ev. RU. ITI S. 354.
*) IV S. 72.
*) m S. 218.
*) S. 79.
») S. VI.
•) Äholieh Zange, Leitf. 3. Heft S. 26 A. 3.
*) Zeitochr. f. d. ev. RV. 111 S. 221.
422 Noch eiomal d. neue Lebrpl. f. d. evaog. Aeligpioosnoterr.,
zuDg der in Ulli und OIH gelesenen Abschnitte'* auch für Hieb
hinreichenden Raum gewähren?
Noch mehr als die Einfügung des Hiob in die Lehraufgabe
der um hat der Umstand befremdet, dafs die in Olli übliche
Erklärung der ganzen Apostelgeschichte im neuen Lehrplane erst
in 011 gefunden wurde.
Die vielbesprochene Schwierigkeit beruht auf einem Wider-
streite Ton zwei richtigen Grundsätzen. Die Durchführung des
Grundsatzes, dafs in den mittleren Klassen ausgewählte Abschnitte,
in den oberen ganze Bucher zu lesen seien, forderte gebieterisch,
wenn die Erklärung eines ganzen Evangeliums nach UH und die
ErkMrung ganzer Briefe nach I verlegt wurde, die den Übergang
vermittelnde Erklärung der ganzen Apostelgeschichte der OII zu
überweisen. Wenn aber ein anderer noch wichtigerer Grundsatz
verlangt, dafs die Schüler erst mit den Thaten und auf einer
späteren Stufe mit den Reden Jesu und der Apostel bekannt ge-
macht werden, so folgt daraus, dafs die Thaten der Apostel un-
verkürzt nach Olli in die Darstellung des Reiches Gottes im N.T.
gehören und nur ihre Reden der 011 vorzubehalten sind. Nun
aber bilden die Thaten der Apostel den weitaus gröfsten Teil der
Apostelgeschichte. Dafs diese einfachen geschichtlichen Thatsachen,
besonders die ausführlichen Tagebuchberichte des letzten Teiles
als solche kein der 011 würdiger Gegenstand sind^), wird niemand
in Abrede stellen. Es ist also nicht viel dagegen einzuwenden,
wenn Leimbachs Entwurf die Apostelgeschichte „mit Auslassung
schwieriger Abschnitte, insbesondere der Reden*' nach IV, noch
besser Heidrich die ganze Apostelgeschichte nach Olli verlegt*).
Denn „was ist die Geschichte des Reiches Gottes im N. T. viel
anders, als was die Apostelgeschichte überliefert?''^) — „Die Ge-
schichte Pauli und der Urgemeinde gehört auch dazu. Also haben
die nicht recht, welche behaupten, nach dem neuen Lehrplane
solle die Apostelgeschichte auf den unteren und mittleren Stufen
gar nicht behandelt und in Uli ein erster Abschlufs ohne sie er-
reicht werden"^). — Der OII sind vornehmlich die schweren Reden
vorzubehalten. „Aber sonst ist die Apostelgeschichte zum erstenmal
in Olli zu behandeln*"). Ob der durch Hinzufugung der Reden
vervollständigte Inhalt derselben in OH durch nochmaliges rasches
Lesen in der Klasse oder zu Hause oder nur nach einem Lehrbuche
zu wiederholen ist, bleibt weiterer Erwägung vorbehalten. Jeden-
falls ist sie in der Weise als ein Ganzes zu betrachten, dafs Grund-
gedanke und Gliederung aufgesucht werden. Aufserdem dient sie, wie
die methodischen Bemerkungen ausdrücklich bestimmen, als —
„eine quellenhafte" ^) — Einleitung in die Geschichte der Kirche.
1) Zange S. 610.
s) LehrpUn S. 6.
») Windel S. 79.
voo M. Stier. 423
So wenig es hinsichtlich der Apostelgeschichte eines Antrages
überhaupt bedurfte^), so dankenswert ist die von den sächsischen
und rheinischen Religionslehrern an den Herrn Minister gerichtete
Bitte, einen grofsen Teil der Kirchengeschichte schon in 011 be-
handeln zu dürfen *). Da diese Eingabe in Übereinstimmung mit
dem in Halle gefafsten Beschlüsse um eine Gesamtfrist in OH
und U I von einem Jahre för die Behandlung der Kirchengeschichte
bat, so rooTste der Minister zwar darauf hinweisen, dafs mit
Röcksicht auf die sonstigen Aufgaben des Religionsunterrichts auf
die eigentliche Kirchengeschichte in 1 ein volles Jahr nicht ver-
wandt werden könne, hat aber gestattet, bereits in 011, soweit
die Zeit reiche, das Wichtigste aus der ältesten Geschichte der
christlichen Kirche etwa bis zu Gregor dem Grofsen anzuschliefsen.
Auf Grund dieser VerfQgung stellt Witte*) die Möglichkeit fest, da
das apostolische Zeitalter mit den Paulinen nicht mehr als ein
Halbjahr in Anspruch nehmen werde, für die Kirchengeschichte
in OH nnd Dl zusammen doch ungefähr ein ganzes Jahr zu er-
übrigen. Ersteres gebe ich gern zu. Wenn aber nicht wieder —
wovor die Verfügung mit gutem Grunde warnt — „durch die Be*
handlong unfruchtbarer Gebiete der Kirchengeschichte die für die
wahren Aufgaben des Religionsunterrichts unentbehrliche Zeit und
Kraft verkümmert'*^) werden soll, so empfiehlt es sich nicht, auf
die Kirchengeschichte bis 600 mehr als das letzte Vierteljahr zu
verwenden. Wir werden also das dritte Vierteljahr lieber noch
zu einer eingehenden Behandlung der Briefe benutzen und auf
die Kirchengeschichte im ganzen nur ein Vierteljahr in ÖH und
dn Halbjahr in I verwenden. Ich habe zur Behandlung des
kirchengeschichtlichen Abschnitts meines Lehrbuches (der mit
ganz geringen Zusätzen und erheblichen Streichungen den Forde-
rungen des neuen Lehrplans entspricht) nie mehr als drei Viertel-
jahre gebraucht. Dabei ist freilich vorausgesetzt, dafs das Augs-
burger Bekenntnis in Oj behandelt wird. Dies fuhrt uns auf die
nächste Frage.
Die oben genannte Eingabe hatte um die Erlaubnis gebeten,
die Glaubens- und Sittenlehre neben der vorgeschriebenen An-
knüpfung an die Art. 1 — 16. 18. 20 des Augsburger Bekenntnisses
auch an andere Grundlagen, z. B. unmittelbar ans N. T. anschliefsen
oder freier und selbständiger gestalten zu dürfen, und dabei auf
rheinische Versammlungen sich berufen, wo die weit überwiegen-
den Mehrheiten und auch die Vertreter der Kirchenbehörde sich
gegen blofse Anknüpfung und für eine irgendwie einheitliche,
nicht streng systematische, aber systemartige Zusammenfassung
unter einen leitenden Gesichtspunkt, für ein schliefsliches Heraus-
1) Vgl. ZeiUchr. f. d. ev. RU. in S. 255.
•) Vgl. IV S. 83.
^ Rethwiich VI, Erganzoogshoft S. 11.
*) t. «. 0. 8, 9.
424 Noch eiomal d. neue Lehrpl. f. d. evaog. ReligioDfODterr.,
wachsen aus dem gesamten Unterricht als dessen naturgemäfse
Krönung ausgesprochen hatten^).
Die Glaubenslehre im Anschlufs an das Augsburger Bekenntnis
darzustellen halt Jonas — wie er in der Vorrede zu seinem Lehr-
buch sagt — darum för empfehlenswert, weil dies Bekenntnis von
jeher das wichtigste und die eigentliche staatsrechtliche Grundlage
für das evangelische Deutschland gewesen sei. Doch daraus folgt
nur, dafs der Schüler sie kennen mufs, nicht aber, dafs sie als
Leitfaden für den Unterricht in der Glaubens- und Sittenlehre zu
dienen geeignet ist. Soll etwa ein Primaner von der Richtigkeit
eines Glaubenssatzes fiberzeugt werden durch die Erwägung, dals
streitende Kirchenparteien nach langen Verhandlungen über die
Annahme desselben einig geworden sind und diese Lehre schiiefs-
lieh die staatliche Genehmigung ef halten hat? Bornemann sagt in
seinem vortrefflichen Aufsatz: „Das Augsburger Bekenntnis ist be-
kanntlich nicht, wie etwa die beiden Katechismen Luthers oder
der Heidelberger Katechismus, för den religiösen Unterricht oder
überhaupt für pädagogische Zwecke bestimmt gewesen. Es ist
vielmehr eine durch und durch juristisch- politische, oder, wenn
man will, eine diplomatische Arbeit, eine kirchen- und staats-
rechtliche Vorlage för den Kaiser und die Reichsstände, eine
Unterlage für politische und theologische Diskussionen, ein Ent-
wurf für ein staatliches und kirchliches Gesetz*"). — „Dafs ein
Werk, welches sich als die Arbeit vieler Verhandlungen und Ent-
wicklungen, Männer und Kreise, und wiederum, so zu sagen, als
eine vermehrte und verbesserte Auflage mehrerer anderer offizieller
Staatsschriften — hier der Marburger, Schwabacher und Torgauer
Artikel — darstellt, eine lehrhafte, schulmäfsige Anordnung und
Darstellung befolgen sollte, ist von vornherein nicht anzunehmen,
und um so weniger, als die Confessio Augustana, soweit sie es
überhaupt sein kann, eine entgegenkommende KompromiDsschrift
ist***). Sie dürfte zu einer Grundlage für den Unterricht in der
Glaubenslehre auch darum wenig geeignet sein, weil „die einzelneu
Lehrpunkte keinesweges im Verhältnis ihrer Bedeutung för die
christliche Lehre im allgemeinen, sondern nach Mafsgabe der zu-
fälligen damaligen Verhältnisse und Kontroversen behandelt sind*' ^).
Der Verfasser des unter Christliebs Namen erschienenen Lehrbuches
kann nicht umhin, in der Einleitung seiner im Anschlufs an die
heilige Schrift und an die Confessio Augustana gegebenen Glaubens-
lehre zu bekennen: „Da die Confessio Augustana das, was die
evangelische Kirche mit der katholischen gemeinsam hat, weniger
betont, so sind die Abschnitte, welche von Gott, der Sünde und
der Person des Erlösers handeln, in der Confessio Augustana kürzer
>) S. 82.
») IV S. 100.
•) IV S. 106.
*) IV S. 104.
von M. $U«r. 425
gebfst, während die Lehre toid Heibwege sehr ausführlich be-
handell ist Diese Ungleichheit mufs durch unsere Erklärung,
welche ja auch auf die biblischen Schriften und ihre Lehre Bezug
Ddimen mufs, einigermafsen ausgeglichen werden. Ebenso sind
aus pädagogischen Gründen der größeren Verständlichkeit halber
einige Artikel der Confessio Augustana in eine andere Reihenfolge
zu bringen''^). Bornemann hält unter allen Aufgaben, welche der
neue Lehrplan mit dem Anschlufs an die bekannten Artikel der
Confessio Augustana stellt, keine für schwieriger als die, die Ge-
danken und Ausführungen der gegebenen Artikel in die richtige
Reihenfolge zu bringen. Die genaue Beibehaltung der ursprüng-
lichen Reihenfolge sei in der Schule unmöglich, weil sie für die
Schüler willkürlich und verwirrend erscheine'). Auch Gottschick
urteilt, dafs die Anlage des Augsburger Bekenntnisses zu wenig
einheitlich sei, dafs der Schüler, wenn die Behandlung der
Glaubenslehre sich an dieselbe anlehne, zu leicht den Eindruck
bekomme, als ob auch in der evangelischen Kirche alles auf ein
Lehi^esetz von so und soviel neben einander stehenden Artikeln
ankomme'). Windel sagte in Kosen: „Die ganze Glaubenslehre
an die Lektüre der Confessio Augusfana anzuschliefsen, scheint mir
nicht glücklich. Dies würde doch zu einer recht theologisierenden
Behandlung führen''^). Auch Zange befürchtet, dafs die gegen-
wärtige Fassung dieser Lehraufgabe vielleicht zu einer allzu theo-
logischen Behandlung verführen könnte').
Und nun erst die Negativen! Wenn durch die bekannte, auf
Grand der Allerhöchsten Weisung vom 1. Hai 1889 erlassene
Hinisterialverfügung uns zur Pflicht gemacht wird, durch Aus-
scheidang des zur Aneignung religiöser Streitfragen führenden
kirchen- und dogmengeschiclillichen Stoffes den Unterricht auf
die für das kirchlich - religiöse Leben bleibend bedeutsamen Vor-
gänge zu beschränken, so ist damit die durch das immer wieder-
kehrende damnant gestellte Aufgabe, bei der Aneignung der christ-
lichen Glaubenslehre wiederholt auf die längst abgethanen Ketzereien
zurückzukommen, schwer in Einklang zu bringen. Ich habe bei
der Ausarbeitung meines Lehrbuches im kirchengeschichtlichen
Teile gerade alle diejenigen Sekten besprochen, die im Augsburger
Bekenntnis erwähnt werden. Als ich nun nach dem Erscheinen
der neuen Lehrpläne meinen Unterricht in der Kirchengeschichte
gewissenhaft auf die dort vorgeschriebenen Stoffe beschränkt hatte,
kam ich schliefslich bei der Erklärung der Negativen des Augsburger
Bekenntnisses in die eigentümliche Lage, das, was ich beim Unter-
richt in der Kirchengeschichte ausgelassen hatte, hier nachholen zu
1) s. 278.
s) IV S. 106.
s) Der «vanfelisehe Relisloosanterriclit S. 42.
*) IV S. 279.
*) S. 619.
426 ^och einmal d. neue Lebrpl. f. d. evan^^. Religionsanterr.,
müssen. Wohl müssen die Primaner vor Irrlehren gewarnt werden,
aber nicht vor den Irrlehren, welche in der alten Kirche und in
der Reformationszeit bekämpft wurden, sondern vor den grund-
stnrzenden Entstellungen des Christentums, weiche in unserer
Zeit den Glauben unserer Schuler bedrohen. Sehr richtig sagt
Fauth: „Die Confessio Augustana enthält weder den ganzen Um-
rifs des urbildlichen Glaubens Christi und seiner ewigen Wahrheit,
noch den der Gegenwart mit ihren apologetischen Fragen und
entliält dafür rein Zeitliches''^). Wenn der Unterricht in der
Glaubens- und Sittenlehre so erteilt werden soll, dafs der Nach-
druck auf die lebendige Annahme und innerliche Aneignung der
Heilsthatsachen und Christenpflichten gelegt und die apologetische
und ethische Seite besonders berücksichtigt wird, wo bietet sich
dazu Gelegenheit, wenn er in Gestalt einer Erklärung ausgewählter
Artikel des Augsburger Bekenntnisses erteilt wird? Wo ist der Ort,
vor den Trugbildern der Umstürzler und der materialistischen
Diesseitigkeitslehre unserer Zeit zu warnen? „Für eine auch nur
einigermafsen vollständige und genügende Darstellung der christ-
lichen Sittenlehre bietet der erste Teil der Confessio Augustana keine
Grundlage"'). Ebenso urteilt Zange'). Wenn Mellin die gesamte
Sittenlehre aus dem nur wenige Zeilen umfassenden 6. Artikel
entwickelt^) und Windel dieselbe „hinler*' demselben „eingliedert'*^),
so dürfte selbst dies Verfahren der Forderung, die Sittenlehre „in
Gestalt einer Erklärung" des Augsburger Bekenntnisses zu lehren,
nicht vollkommen gerecht werden.
So kämen wir zu folgendem Ergebnis. Der Gedanke eines
Anschlusses der Glaubenslehre an das Augshurger Bekenntnis ent-
stand durch die Erwägung, dafs dasselbe die staatsrechtliche Grund-
lage für das evangelische Deutschland gewesen ist. Diese Thatsacbe
bietet aber keinen genügenden Grund zu einem solchen Verfahren,
weil der Glaube des Primaners in heutiger Zeit sicherlich nicht
durch den Nachweis einer Verpflichtung gegen den Staat, sondern
nur durch Überzeugung befestigt werden kann. Weil das Augs-
burger Bekenntnis nie (wie das älteste allgemeine Symbol und der
Katechismus) zu Unterrichtszwecken bestimmt gewesen, sondern
nur eine Urkunde von kirchen- und staatsrechtlicher Bedeutung
ist, so ist auch die durch die damaligen Streitigkeiten bedingte
Auswahl und Reihenfolge der Glaubensartikel den Bedürfnissen
einer zusammenhängenden, wohlgeordneten Darstellung der ganzen
Glaubenslehre wenig entsprechend. Während die Ausscheidung
des zu religiösen Streitfragen führenden kirchen- und dogmen-
historischen Stolfes ein hohes Verdienst des Lehrplans ist, würde
1) ni s. 109 f.
*) Boroemann IV S. 34.
») S. 619.
«) III S. 140.
») S. 83.
voD M. Stier. 427
eine Erklärung der Negativen uns nötigen, in die bei der Kirchen-
geschichte mit gutem Grunde übergangenen Streitfragen, mit
welchen die alte Kirche zu kämpfen hatte, nun bei der Glaubens-
lehre einzuführen, aber keine Gelegenheit bieten, durch die
brennenden Streitfragen der Gegenwart dem vielleicht schon mit
diesen bekannt gewordenen, suchenden Jünglinge den rechten Weg
za zeigen und den Glauben gegen die von dorther drohenden
greisen Gefahren zu verteidigen« Da das Augsburger Bekenntnis
min auch für die Sittenlehre keine ausreichende Grundlage bietet,
wie soll es da möglich sein, bei der Glaubens- und Sittenlehre
die apologetische und ethische Seite besonders zu beröcksichtigen,
wenn dieselbe in Gestalt einer Erklärung der meisten Artikel des
ersten Teiles des Augsburger Bekenntnisses gelehrt wird?
Der betreffende Satz des Lehrplans wird in den beigefugten
methodischen Bemerkungen dahin erläutert, dafs die christliche
Glaubens- und Sittenlehre nicht nach einem System oder Hitfs-
buch, sondern im Anschlüsse an die evangelischen und apostolischen
Schriften und an die Confessio Augustana gelehrt werden solle.
Die hier ausgesprochene Forderung eines Anschlusses an die heilige
Schrift hat lebhaftere Zustimmung gefunden als die eines An-
•chlosses an die Confessio Auguslana. So sagte Windel (in Kosen),
da die christliche Glaubens- und Sittenlehre vor allem als ab-
achliefsendes, zusammenfassendes Ergebnis der ganzen Bibellesung
erscheinen müsse, so sei der Anschlufs an die heilige Schrift als
erstes Erfordernis dringend geboten^). „Die Hehrzahf der sitt-
lichen Fragen und Probleme wird also'*, sagt Bornemann, „wozu
ja auch der neue I^hrplan ausdrücklich Anweisung giebt, an der
Hand des N. T. erörtert werden müssen und damit thatsächlich
doch der freien Wahl des Lehrers oder dem von ihm zur Vor-
bereitung benutzten Hilfsbucli bezw. System überlassen bleiben'' ').
Nähere Anweisung giebt Zange: „Die Erfahrung hat mich gelehrt, dafs
es gar keine bessere Vorbereitung auf den Überblick über die gesamte
christliche Glaubens- und Sittenlehre giebt als den Kömerbrief '^ ^).
Auch Leimbacb schliefst dieselbe an den Römerbrief an^). „Die
Lektüre der heiligen Schrift,*' sagt Heidrich im Lehrplan, „nament-
lich des Römerbriefes, ist für den Unterricht in der Glaubenslehre
zur Grundlage zu machen"^). In seinem Hilfsbuche giebt er unter
der gemeinsamen Überschrift „Glaubenslehre" erstens als Einleitung
zum Römerbrief die Lehren von Gott, vom Menschen, von Christus,
zweitens den Inhalt des Römerbriefes, drittens (in einer an den
Katechismus sich anschliefsenden Gruppierung seiner Artikel) zur Zu-
sanamenfassung des christlichen Glaubens das Augsburger Bekenntnis,
1) in & 169.
«) IV S. 84.
9) S. 619.
«) s. vn.
») S. 12.
428 Noch einmal d. oene Lehrp]. f. d. evaog. Relig^ioosonterr.,
Doch auch die im Texte des Lehrplanes angeordnete Methode
hat ihre Freunde. Mellin läüst die hetreflenden Artikel lesen,
einzelne Sätze auswendig lernen, bezeichnet dann die Lehrpunkte,
um die es sich handelt, leitet die betreffende Lehre aus den
Hauptbeweissteilen der heiligen Schrift ab, sagt das ganze Ergebnis
der Besprechung den Schülern in die Feder und giebt diese
Niederschrift zu gedächtnismäfsiger Aneignung für die nächste
Stunde auf ^). Windel bekennt jetzt, dafs er anfangs gegen den
Anschlufs an das Augsburger Bekenntnis sehr ernste Bedenken ge-
habt, aber durch einen Versuch doch belehrt worden sei, dafs
derselbe auch seine Vorzuge habe'). Selbst Bornemann, der mit
so schlagenden Gründen den Zwang abzuwehren sucht, hält den
neu eingeschlagenen Weg nicht für unmöglich und aussichtslos,
und will uns sogar mit einem praktischen Hilfsmittel demnächst
erfreuen'). Fauth hält den Standpunkt für veraltet, läfst aber
gern jedem seine Eigentümlichkeit^). Altmeister Wiese hat bei
seinem Unterricht die Glaubenslehre bald unmittelbar an die heilige
Schrift, bald an den Katechismus, bald an das Augsburger Bekenntnis
angeschlossen^). Soll in der That der Unterricht in der Glaubens-
und Sittenlehre auf der obersten Stufe „ein schliefsliches Heraus-
wachsen aus dem gesamten Unterrichte als dessen naturgemäfiser
Krönung*' sein, so wird der Lehrer jeden einzelnen Punkt aus
einem Abschnitte der h. Schrift oder Spruche herzuleiten oder
an eine Stelle des Katechismus anzuschliefsen oder auch in einen
Artikel des Augsburger Bekenntnisses schlietslich zusammenzu-
fassen haben®).
Wie für keinen Unterrichtszweig so sehr wie für den Re-
ligionsunterricht, so gilt auch für keinen Teil des Religionsunter-
>) lU S. 141.
2) Lehrpr. n. Lehrg. 189S S. 83.
•) IV S. 107.
<) III S. 110.
*) LebeDserinnerougen ood AnitserfabraogCD I S. 82.
*) Die „Glanbeaslebre" meines Lebrbaclies setzt voraas, dafs die SchUler
beim Unterricht die ßibel vor sich haben und der Lehrer aas einigen dorch
die h. Schrift gegebenen Grandgedankea die Glaubenssätze in der Weise ab-
leitet, dafs die Richtigkeit der Scblorsfolgerong durch neue Bibelsprüche be*
wiesen, oft' auch durch Stellen des Ratechismus oder des Augsbarger Be-
kenntnisses bestätigt wird. Als biblische Grundlage bei der Entwickelang der
Glaabenssätze dienen an erster Stelle die in den früheren Klassen geleroteo
Sprüche. Anf das A. B. wird nicht selten verwiesen fdr den Fall, dafs eine ältere
Generation der Klasse dasselbe schon kennt ; zanäcbst aber wird vorausgesetzt^
dafs als zusammenfassende Wiederholung derjenigen Punkte der Glaabenslehre,
über die in der Reformationszeit gestritten wurde, die Lesang des ersten Teiles
desselben dem Unterricht in der Glaubenslehre nachfolgt und denselben ab-
schliefst. Damit moglicbst alle Teile des Unterrichts in lebendige Beziehung
zu einander treten, sind nicht nur vielfach Liederstrophen und kirchen-
geschichtliche Wiederholungen eingeflochten, sondern auch einzelne Stelleo
aas Homer, Sophokles, Plato, Thukydides, Cicero, Horaz, Goethe, Schiller,
Kant u. 8. w. als Belege herangezogen worden.
von If. Stier. 429
rkhtes so sehr wie für den abschliefsenden Unterricht in der
Glaubens- und Sittenlehre „die Wahrheit, dafs die Grundbedingung
for den Erfolg in der lebendigen Persönlichkeit des Lehrers und
dessen innerer Erfüllung mit dem Gegenstande liegt'*. Wenn hier
demselben durch eine vorgeschriebene Lehrweise, von deren Zweck-
dienliehkeit er sich nicht ganz und voll überzeugen kann, sein
ganzes Herz auszuschalten gewehrt oder mindestens erschwert
wird — und es wird ihm beim besten Willen schwerlich gelingen,
dem feinfühligen Primaner zu verbergen, was er wider seine
Überzeugung thut ^) — wie grofs ist da die Gefahr, dafs das Ziel
dieses Unterrichtes, die Befestigung im Glauben und Bewahrung
vor Abfall, nicht erreicht wird! Bei der endgültigen Entscheidung
dieser brennenden Frage durch die hohe Behörde dürfen wir
vielleicfat auch bitten, den Umstand geneigtest mit in die Wagschale
werfen zu wollen, daCs wenn eine übereinstimmende Abgrenzung
der den einzelnen Klassen zugewiesenen Lehraufgaben deshalb
wünschenswert ist, damit der Lehrer jeder folgenden Klasse eine
sichere Grundlage für weiteren Ausbau hat, diese Rücksicht offen-
bar för die oberste Stufe wegßllt.
Da also bei diesem Unterrichte vor allem andern einesteils
Freiheit zur wirklichen Erreichung des Lehrziels unentbehrlich,
andernteils Gleichmäfsigkeit und Obereinstimmung entbehrlich ist,
so dürfen wir wohl getrost und mit einiger Zuversicht die Bitte
wagen, dafs dem Lehrer volle Freiheit gewährt werde, ob er die
Glaubens' und Sittenlehre an die heilige Schrift oder an das
Angsborger Bekenntnis anscliliefsen, also mehr an die in den
methodischen Bemerkungen enthaltene Fassung als an den Text
Aes Lehrplans sich hallen wolle, oder umgekehrt. Der Herr
Minister weist jene Bittsteller an, derartige Wünsche zunächst bei
dem betreffenden Provinzial-SchulkoUegium zur Sprache zu bringen.
So erfreulich nun aber auch die in gewissen Punkten sich
anbahnende Obereinstimmung ist, um so unerfreulicher ist es,
daüs gerade unsere bedeutendsten Fachmänner, deren hervor-
ragende Leistungen allgemein anerkannt werden, neuerdings Lehr-
pläne veröffentlicht haben, deren Abweichung von dem Normal-
lehrplane das Hafs des Notwendigen überschreitet. Sollten diese Ent-
würfe genehmigt werden und weitere Verbreitung an Stelle des vor-
geschriebenen Lehrplanes finden, so würde die durch das Erscheinen
desselben erweckte Hoffnung auf übereinstimmende Verteilung des
Unterrichtsstoffes auf die einzelnen Klassen nicht erfüllt werden.
') ypDie Schiller habeo ein merkwürdig feines Verständnis dafür, ob der
Lekrer nnr Spraehrohr ist oder ob das, was er lehrt, seine Oberzensnog ist;
lieber ein etwas sobjektiv gefärbter Uoterricbt als ein kalter, der nicht
Oberzeagnng wirken kann, weil nicht das Herz und das Gemüt des Lehrers
dabei ist." (Windel IV S. 275.)
430 Noch einmal d. neue Lehrpl. f. d. evao^. ReligioosoDterr.,
Wenn der neue Lehrplan bestimmt» in welchen Klassen das
Alte und in welchen das Neue Testament gelesen werden soll, so
mufs mit Freuden begrufst werden, dafs der bisherigen Willkür
durch eine endgültige Entscheidung ein Ende gemacht wird, und
zwar um so mehr, da gegen dieselbe etwas Erhebliches nicht
geltend gemacht werden kann. Wenn an eine Wiederholung der
biblischen Geschichten des A. und N. T. in IV nun die Ge-
schichte des Reiches Gottes, erst im A. T. in Ulli und dann im
N. T. in Olli sich anschliefst, und schliefslich die so gewonnene
Bibelkennlnis durch liinzufugung von Abschnitten, welche Tertianer
noch nicht verstehen konnten, einen zusammenfassenden vor-
läuligen Abschlufs in Uli erhält, so ist das eine so sachgemäjjie
Stufenfolge, dafs es befremden mufs, wenn das A. T., welches in
um behandelt werden soll, Zange (die Lehraufgaben der beiden
Tertien umstellend) der Olli, Heidrich der IV zuweist, beide aber
die Ergänzung der in III gelesenen Abschnitte, welche zur Her-
stellung eines ersten Abschlusses der Vorbildung, also aus gutem
Grunde, in Uli stattfinden soll, nach OII verlegen. Wenn ich
anders recht sehe, so ist eine solche Abweichung wohl hauptsäch-
lich aus allzu strengem Festhalten an langjähriger Gewohnheit zu
erklären. Es ist ja freilich für uns ältere Lehrer (wie auch Zange
zugiebl) recht schwer, uns von alten, liebgewordenen Ordnungen
zu trennen, zumal wenn es gelungen ist, innerhalb derselben alle
Teile des Unterrichtes in lebendige Beziehung zu einander zu
setzen. Aber dennoch wurde eine so weit, wie sie hier bean-
sprucht wird, gehende Wahlfreiheit für einzelne Anstalten einem
Hauptzwecke der neuen Lehrpläne entgegenwirken. Mir ist in
den mathematischen Stunden der III des Wittenberger Gymnasiunss
nur Geometrie, dann in den beiden Sekunden der lateinischen
Hauptschule zu Halle wieder nur Geometrie geboten worden,
Unterricht in der Algebra aber, der dort in II und hier in 111
erteilt wurde, habe ich weder dort noch hier genossen. Die
Aufsichtsbehörde ist doch wohl berechtigt, ähnlichen Übelständen
vorzubeugen. Zange erkennt selbst die grolsen Vorteile an, die
bei dem häufigen Wechsel der Schulen, dem gerade die Schüler
der höheren Lehranstalten in unserer bewegten Zeit zu einem
grofsen Teile ausgesetzt seien, eine einheitliche Ordnung des
Lehrplans für sämtliche Schulen des Landes biete ^). Wenn aber
an einigen Gymnasien in Ulli gelehrt wird, was an andern in Olli,
und umgekehrt, so könnte leicht der Fall eintreten, dafs ein die
Anstalt wechselnder Tertianer auf zwei Gymnasien (etwa aufser
wenigen Psalmen) vom A. T. nichts weiter als einige in Uli ge-
lesene ergänzende Abschnitte hat kennen lernen. Hier mufs Ver-
ständigung erzielt werden, und darum bitte ich die gebotene Ver-
teilung des Bibellesestoifes mit Fugner und Schnitze') anzunehmen.
1) S. 693.
«) IV S. 14 ff.
Ton M. Stier. 431
Wenn die Bergpredigt von Zange nach Uli, von Heidrich
nach um verlegt wird, so wird der Lehrplan vermutlich die
rechte Mitte getroflen haben, welcher sie der Olli zuweist.
Auf die von den Lehrkörpern für die mittleren Klassen zu
treffende Auswahl einzelner schon dem Knaben verständlicher
Bibelabschnitte läfst der Lehrplan in den oberen Klassen ganze
Bücher in der Weise folgen, dafs in der letzten von den mittleren
Klassen zum erstenmal ein ganzes Buch, in der ersten von den
oberen Klassen zum letztenmal ausgewählte Abschnitte gelesen
werden. Von den Büchern sollen in II erst ein Evangelium, dann
die Apostelgeschichte, in I das vierte Evangelium und Briefe er-
klärt werden. Warum ist nun dieser naturgemäfse, sich selbst
rechtfertigende Fortschritt nicht überall beibehalten worden? Wenn
den in V und IV mit den Thaten, in Olli auch mit den Beden
Jesu bekannt gewordenen Sekundanern nun eine zusammen-
fassende Übersicht über das ganze Leben Jesu an der Hand eines
der drei leichteren Evangelien geboten werden soll, warum ist da
in Hannover ein Plan gebilligt worden, welcher die für Uli vor-
geschriebene Erklärung eines der synoptischen Evangelien streicht
und also die Lesung der neutestamentlichen Schriften in OH mit
der Erklärung der Apostelgeschichte beginnen läfst? Sollte nicht
jene von der Behörde angeordnete Lehrweise wenigstens erst ver-
sucht und erprobt werden, ehe man dieselbe umwirft?
Wenn Zange unter den Aufgaben der drei obersten Klassen
2. Kor. 4—6. 11. 12. Eph. 4. 1. Petr. 2. Hehr. 10,32 — 13,25
^Termifsl'^ '), so wird dabei übersehen, dafs ja für die wichtigsten
Abschnitte neu testamentlicher Briefe 011 reichlichen Baum
bietet, in I aber ganze Briefe gelesen oder wenigstens — denn
welche Abschnitte derselben eingehend zu erklären, welche rasch
zu lesen und welche etwa aus Mangel an Zeit auszulassen sind,
kann erst längere Erfahrung lehren — durch Aufsuchung der
Grund- und Teilgedanken als ein Ganzes betrachtet werden sollen.
Aufser dem unter allgemeiner Zustimmung der Ol zuge-
wiesenen Bömerbrief schlägt uns der Lehrplan noch fünf Briefe
für I vor.
Wenn selbst die japanische Regierung eine eingehende Be-
kanntschaft mit unseren neutestamentlichen Schriften zur all-
gemeinen Bildung rechnet und demgemäfs die Lesung derselben
in ihren heidnischen Schulen eingeführt hat'), so sollten wir uns
floch ernstlich die Frage vorlegen: Was haben denn unsere Gym-
nmasten bei ihrem Abgange vom N. T. wirklich gelesen? Handeln
wir recht, wenn wir unsere Primaner mit allerlei Verirrungen,
▼on welchen die Kirchengeschichte zu berichten hat, mit allerlei
>) S. 620.
') Die Nachricht, daPi auf Aoordoung des ermordeten Kaltusmiiiisterfl
Mori das N. T. io sämtlichen (etwa 30 000) Elementarschalen Japans gelesen
werde, hat sich allerdings nicht bestätigt.
432 Noch eiomal d. neue Lehrpl. f. d. evaog. Religioneiinterr.,
Henschenfilndlein und Mifsbildungen der christlichen Lehre, welche
dieselbe durch die römiscbe Kirche und mannigfache Sekten er-*
fahren hat, also mit dem trübe gewordenen Strome kirchlicher
Entwickelung so anhaltend beschäftigen, dafs nicht die Hälfte der
Religionstunden übrig bleibt, um sie unmittelbar aus dem lauteren
Quell die Heilswahrheit schöpfen zu lassen? Es ist das Verdienst
Schölers, darauf hingewiesen zu haben, dafs die Hälfte der Re-
ligionstunden auch in der obersten Klasse der heiligen Schrift zu
widmen ist. Wenn auch sein Vorschlag einer Verdoppelung der
Stundenzahl im Obergymnasium unannehmbar war, so hat doch
die Behörde eine gewisse Berechtigung jener Forderung oiTenbar
dadurch anerkannt, dafs sie in beiden Primen neben Kirchen-
geschichte, Glaubens- und Sittenlehre noch eine umfangreiche
Erklärung neutestamentlicher Schriften anordnet. Der Sinn dieser
Weisung scheint mir nicht genügend gewürdigt zu werden, wenn
in UI bei Leimbach für die Briefe, bei Heidrich sogar überhaupt
für Bibellesung kein Raum bleibt. Soll etwa der Meinung Vor-
schub geleistet werden, dafs ein Leser des Plato, Demoslhenes
und Tacitus die Lesung der heiligen Schrift schon hinter sich
habe? Die Erklärung des Herrn Ministers, dafs mit Entschieden-
heit hätte dem mehrfach beobachteten Mifsbrauche entgegengetreten
werden müssen, dafs durch Behandlung unfruchtbarer Gebiete der
Kirchengeschichte die für die wahren Aufgaben des Religions-
unterrichts unentbehrliche Zeit und Kraft verkümmert wurde oder
gar verloren giug^), hätte mehr beherzigt werden müssen.
So entschieden aber die Forderung umfangreichen Bibellesens
auch in I aufrechterhalten werden mufs, so würde doch dasselbe
seinen Zweck verfehlen, wenn der Lehrer durch den Wahn, dafs
ef ein vorgeschriebenes Mafs zu erledigen verpflichtet sei, ein-
geengt und zur Eile verleitet würde. Weil er hier am meisten
vor Überhastung bewahrt werden mufs, darum wird gerade an
dieser Stelle in den methodischen Bemerkungen ausdrücklich er-
klärt, dafs dem Lehrer bei der Wahl im einzelnen freie Bewegung,
auch mit Rucksicht auf die Leistungsfähigkeit seiner Schüler, zu
lassen sei. Er soll nicht wähnen, ein bestimmtes Mafs bewältigen
zu müssen, sondern nur so viel Briefe lesen, als die ihm bleibende
Zeit und die Fassungskraft seiner Schüler gestattet'). Hit Unrecht
>) Vgl. Reth wisch a. a. 0. S. 9.
*) Zaoe;e8 Vorwurf, dafs die UI „viel za sUrk belaalet'* sei (S. 621),
geht voo der ADoahme aas, dafs alle bei ÜI geaannteD Briefe schon in dieser
Klasse geleseo werden solleo. Die gleich darauf folgeode BesUmmaDg aber,
dafs nicht nur der KÖmerbrief, sondern auch „andere Briefe ans den bei
UI angegebenen Kreise" in Ol zu lesen seien, setzt offenbar voraus, dafs
dieselben in UI noch nicht alle gelesen worden sind. Aus dieser Passong
ergiebt sich meines Erachtens zunächst für jeden Lehrkörper die Pflicht, bei
der Ausarbeitung des für die Anstalt geltenden Lehrplaas jene fünf Briefe
auf beide Primen zu verteilen, sodann für den Lehrer das Recht, aus den
durch Konferenzbeschlufs jeder Klasse zugewiesenen Briefen zu wählen. Uod
von M Stier. 433
hat man darin die Erlaubnis gefunden, statt der in der Vorlage
genannten Briefe auch andere nach Belieben zu wählen. Wenn
Zange in der seinen lehrreichen Aufsatz abschliefsenden „Aus-
fohrung des vorgeschriebenen Lehrplans*' sämtliche bei der Lehr-
aofgabe der UI genannten Briefe wegläfst und anstatt derselben
den ersten Brief des Petrus und des Johannes empfiehlt, so droht
neue Zersplitterung. Wir sind der Behörde Dank dafür schuldig,
dafe sie nicht nur endloser Zersplitterung durch die vorgeschriebene
Aaswahl steuert, sondern auch dem Lehrer aus jenen fünf Briefen
ZQ wählen ausdrücklich gestattet, dafs sie ferner einer Gefahrdung
des Haoptzwecks durch das Verbot fortlaufender Zugrundelegung
des griechischen Textes vorbeugt und endlich für eine eingehende
Kenntnis der lutherischen Bibelübersetzung, die bisher oft noch
den Studenten und Kandidaten der Gottesgelehrtheit in auffallen-
dem Mafse abging, Sorge trägt Folgen wir daher vertrauensvoll
ihren Weisungen!
Auch hinsichtlich der Verteilung des Kalecbismus gehen die
Ansichten so weit auseinander, dafs wir uns freuen müssen, wenn
dem langen Schwanken ein Ende gemacht werden soll.
Während Heidrich nur darin vom Lehrplane abweicht, dafs
er die Aufzeigung der inneren Gliederung nach Olli verlegt und
in Uli den Katechismusunterricht streicht, will Genest erst in
Uli eigentliche Katecbismusstunden^). Windel behält die Vorlage
an verändert bei: das Gedächtnis sei (wie Raumer sage) eine
geistige Vorratskammer, in welcher wir Samenkörner für die
Zukunft aufbewahren können; darum sei es wirklich nicht zu viel
verlangt, dafs bis einschliefslich IV der Wortlaut der fünf Haupt-
stäcke mit der Erklärung gelernt werde. „Die am frühesten ge-
wonnenen Eindinicke hafien am längsten, und wo kein Besitz ist,
da ist auch keine Freude am Besitz**').
Dagegen weist Zange der VI das 1. Hauptslück und den
1 . Artikel mit Luthers Erklärung, der V den 2. Artikel und eine
einfache Besprechung des 3. Haupistückes ohne Luthers Erklärung,
der IV Luthers Erklärung zum 2. Artikel, den 3. Artikel und das
3. Hanptstück mit Luthers Erklärung, dazu auch vom 4. und
5. Hanptstück die Einseteungsworte, derUIH das 4. und der Olli
das 5. Hauptstück zu. Mit dem 3. Artikel aber mufs nach seiner
Ansicht, weil er (mit Ausnahme des letzten Stückes) „für den
Sextaner lauter mehr oder weniger unfafsbare Dinge'' enthalte,
derselbe auf alle Fälle verschont werden. Ebenso müsse man mit
einer Besprechung des Gebetes des Herrn, wenn auch nur des
meb vreiB er die selbstgewählte Anfgabe nicht g^anz zu Ende fahrt, verdient
er keinen Vorwarf. Er hat seine Schaidigkeit c^ethan, wenn er ein richtiges
VerstäAdBÜ des Gelesenen erzielt ond warme Beseisterung für den Gegen-
staad Aervorgerafen hat, mag er nan viel gelesen haben oder wenig.
1) Zeitschr. f. d. ev. RU. III S. 354.
«} Lebrpr. a. Lehrg. 1893 S. 75.
ZeitMhr. f. d. afmoMUlweseo XJiVUI. 7. 8. 28
434 Noch eioma] d. neue Lehrpl. f. d. evang. ReligioDsaDterr.,
Wortlautes, warten bis V, wo das Leben Jesu den Schlüssel dazu
bietet* Windeis Erinnerungen werden uns wenigstens vor über*
triebener Ängstlichkeit bewahren. Wollen wir etwa mit der Er-
lernung des 2. Artikels so lange warten, bis der Schüler das
„empfangen vom heiligen Geiste" versteht? In VI werden vor
den Uauptfeslen die betreffenden Geschichten des N. T. besprochen.
Wenn hier die Weihnachts^ und Osterbetrachtung mit der Ein-
prägung des 2. Artikels sdiliefst, so kann auch an die Pfingst-
geschichte der 3. Artikel angeschlossen werden. Derselbe enthält
nichts, was der Schüler nicht ebenso gut versteht, wie das Pßngst-
wunder. Und wenn anzunehmen ist, dafs er schon ein Vaterunser
beten kann, warum soll der Lehrer sich nicht überzeugen, dafs
er bei jeder Bitte sich etwas Richtiges denkt? Weshalb soll also
die für VI angeordnete „einfache Worterklärung des 3. Haupt-
stückes ohne Luthers Auslegung'' erst an die Lehre Jesu vom
Gebet in V angeschlossen werden können?
Dafs Luthers Erklärung des S.Artikels in V schwierig
ist, kann ich nicht in Abrede stellen. Für noch schwieriger halte
ich die Aneignung des ganzen 3. Hauptstückes in IV. Ich muls
bekennen, dafs ich trotz langjähriger Erfahrung auf keinem Ge-
biete mit dem Erfolge meines Unterrichts so wenig zufrieden
bin. Es betrübt mich immer wieder, dafs die Zahl derjenigen
Quartaner nicht gering ist, denen ein volles Verständnis zu ver-
mitteln mir nicht gelingen wiU. Darum war es mir tröstlich,
kürzlich bei einem unserer bedeutendsten Religionslebrer das
Zugeständnis zu lesen: „Die Erklärungen Luthers zum Vaterunser
gehören zu dem Schwierigsten, was die Schüler zu lernen
haben" ^.
Indessen kann die Schule mit weiterer Verschiebung nicht
selbständig vorgehen. Ihr Zweck würde ja da doch nicht ganz
erreicht werden, wo die Gymnasiasten aufiserhalb der Schule zum
Auswendiglernen des ganzen Katechismus veranlafst werden, ehe
wir sie mit demselben bekannt zu machen für gut halten. Wo
die Verhältnisse so liegen, dafs nicht nur in IV, sondern auch in
um nur wenig Schüler eingesegnet werden, und die Aufsichts-
behörde gegen ein weiteres Hinaufrücken nichts einzuwenden bat,
da würde ich am liebsten die von der Hannoverschen Religions-
lehrerkonferenz gebilligte Verteilung befürworten, welche der VI
das 1. Hauptstück und den 1., der V den 2., der IV den 3. Artikel,
das 3. Hauptstück aber erst der Ulli und das 4. und 5. der Olli
>) Vgl. diese Zeitochrift ]S92 Heft 10 S. 603.
*) Zaoge, Leitfaden 2. Heft S. 48 A. 2. — Den Grnod dieser Schwierig-
keit hat kürzlich in der Zeitschrift f. d. ev. Rü. 1894 S. 136 fr. Perlhea
beleuchtet. Seinem Vorschlag^e aber, den gröfsten Teil des 3. Haoptstlickefl
aus dem Gedächtnisstoff zu streichen und dementsprechend auch die Forde-
rung der Lehrplane zu andern (S. 143), dürften schwerwiegende grnndsätzlich«
Bedenken entgegenstehen.
TOD M. Stier. 435
zuweist^) — wenn eine solche Verteilung nicht den in hohem
Grade beifallswerten') Grundsatz fallen iiefse, die Schuler, auch
ehe sie ein ganzes Hauptstöck fassen können, schon vorher und
zwar möglichst früh mit dem Kerne desselben bekannt zu machen.
Die oben erwähnte, von Witte und £vers ausgearbeitete
Eingabe hatte u. a. auch den Wunsch ausgesprochen, in den yor-
gezeichneten Rahmen des kircheDgeschichtlichen Unterrichtes
au&er den im Lehrplane namentlich angeführten Lehrstoffen noch
andere Hauptsachen einfugen zu dürfen. Darauf hatte der Minister
erwidert: „Die Lehrpläne bezeichnen die Gebiete, auf welchen die
Schuler unter allen Umständen unterwiesen sein sollen. Ist
aufserdem noch Zeit vorhanden, so ist es — eine richtige Be-
handlung vorausgesetzt — den Lehrern unbenommen, in der in
der Eingabe angedeuteten Weise auch über das vorgeschriebene
Mab hinauszugehen'*^).
Wir sind dem Herrn Minister auch dafür zu Danke verpflichtet,
dafe er uns das Recht zu einer solchen Unterscheidung gegeben hat.
Wie unter den Lehrgegenständen die für den Schüler allgemein
verbindlichen von den wahlfreien unterschieden werden, so werden
wir wohl thun, auch innerhalb der einzelnen Lehrgegenstände eine
scharfe Grenze zu ziehen zwischen demjenigen Lehrstofl*, der für
den Lehrer allgemein verbindlich, und solchem, der für ihn wahl-
frei ist Er mufs zunächst wissen, welche in den früheren Klassen
erledigten Aufgaben er voraussetzen darf und welche Stoffe er
unter allen Umständen in seiner Klasse bewältigen mufs.
Das Mafs desselben mufs möglichst knapp sein. Wer seinen
LehrstofiT in kleine Einheiten zerlegt, Anschlüsse an Bekanntes
* sucht« zusammenfaßt, anwendet, einübt, wer ernstlich bemüht ist
den Gegenstand nicht nur dem Verstände sondern auch dem
Herzen seiner Schüler einzuprägen, wer keine sich ihm dar-
bietende Gelegenheit vorübergehen läfst, ein ernstes Wort zur
Befestigung des Glaubens oder zur Schärfung der Gewissen ein*
zuflecbten, der kann diese Aufgabe nur unter merklicher Ver-
riogeruog des früher üblichen Lehrstoffes erfüllen. Die drückende
Pflicht« mit einer umfangreichen Aufgabe rechtzeitig fertig zu
werden, mufs ihn zu einer Eile treiben, die ihn nötigt, das Beste,
was er auf dem Herzen hat, zu verschweigen. Auf keinem Ge-
biete des Unterrichts aber würde eine Oberhastung so schädlich
wirken, wie beim Religionsunterricht. Denn das allgemeine Lehr-
siel, 9,die Jugend in Gottes Wort zu erziehen und sie zu befähigen,
dafs sie dereinst durch Bekenntnis und Wandel und namentlich
aacb durch lebendige Beteiligung am kirchlichen Gemeindeleben
ein wirksames Beispiel gebe^* % kann nicht erreicht werden, wenn
1) Leimbach S. VI f.
^ Wie ich oben S. 419 dar^^ethaD habe.
•} Rethwisch a. a. 0. S. 9.
«) Lebrpläne S. 9.
28*
436 Noch eiomal d. neae Lehrpl. f. d. evaog. Relijrionsanterr.,
der Schüler den Gegenstand nur kennen lernt, aber nicht lieb-
gewinnt. Wenn ich die neuerdings erschienenen, vielumfassenden
Entwürfe mit dem vorgeschriebenen Lebrplane vergleiche, so freue
ich mich von Herzen, dafs nicht jene für mich mafsgebend sind,
sondern dieser, und nähre die Hoffnung, dafs falls die bei der
ersten vertraulichen Hitteilung im Ministerium noch vorbehaltene
Modifikation- in Bezug auf untergeordnete Punkte auch für den
damals unverändert veröffentlichten Religionslehrplan noch ein-
treten sollte, nichts hinzugefügt, sondern eher noch etwas') ge-
strichen wird.
Und wenn es die Aufgabe der einzelnen Lehrkörper ist, die
Vorlage zu einem nur für ihre Anstalt gülligen Unterrichtsplane
dadurch umzuarbeiten, dafs sie Lesebuch und Lehrbuch nennen,
behufs genauer Abgrenzung der Klassenaufgaben die zu lesenden
Bibelabschnitte bezeichnen und die zu lernenden Lieder und
Sprüche feststellen, so wünschte ich, dafs nichts weiter hinzu-
gesetzt würde, als etwa in Uli um der abgehenden Schüler willen
eine Belehrung über die Verfassung der Landeskirche, in welcher
auch sie ihr Wahlrecht einmal ausüben, und über die christliche
Liebestbätigkeit, an welcher sie sich beteiligen sollen.
Da es dem einzelnen Lehrer unbenommen ist, je nach der
Leistungsfähigkeit der Schüler und nach seiner Eigenart auch
über das vorgeschriebene Mafs hinauszugehen, so bleibt für wahl-
freie Aufgaben noch ein grofses Gebiet übrig. Als anregende
Vorschläge dazu sind uns die seitdem erschienenen Lehrplan-
entwürfe willkommen. Heidrich bemerkt ausdrücklich, dafs sein
etwas ausführlicher Lehrplan — der ja allerdings an bunter,
Mannigfaltigkeit alle andern übertrifft — dem angehenden Re-
ligionslehrer zeigen soll, wie auf Grund der neuen Bestimmungen
die Gliederung und Gruppierung des Lehrstoffs sich gestalten
kann, aber nicht mufs'). Er setzt also auch eine — nicht durch
Konferenzbeschlüsse aufgehobene — gewisse Wahlfreiheit voraus.
Mit Unrecht ist unter den kirchengeschichtlichen Stoffen
manches vermifst worden. So werden Mönchtum, Kaiser und
Papst, kirchliche Verfassung, Jesuitenorden, Ultramontanismus bei
der „Entwickelung der römisch-katholischen Kirche'S ebenso d«r
Rückschlag der Völker gegen die Kurie in den grofsen Konzilien
und den Vorreformatoren, die Schriften Luthers, das Augsburger
Bekenntnis und die induktiv daraus abzuleitenden und schliefslich
zu ordnenden Unterscheidungslehren') bei der „Reformation und
♦
^) £atbehrlicli dürften z. B. Mitteilaogeo über die Baptisten nnd Ir-
viogiaoer seio, mit denen die Mehrzahl der Schüler doch wohl nie im Leben
In Berührung kommen wird.
>) Lehrplan S. 4.
') Der Frage, ob das A. B. in die Kirchengeschichte einzugliedern oder «ii
die Glanbenslehre anzaschliefsen sei, darf natürlich erst dann nSher getreten
werden, wenn es der hohen Behörde gefallen sollte, von der Verpflichtang
eines Anschlusses der Glaubeoslehre an das A. B. uns zn entbinden.
von M. Stier. 437
ihrer Vorbereitung'S endlich die Geschichte des Kirchenliedes, Auf-
klärung, RationaUsmus, Kant, Schleiermacher, Union, Verfassung
der Landeskirche, Gustav- Adolfsverein und Ueidenmission^) bei
der „Fortenl Wickelung der evangelischen Kirche'^ behandelt werden
dürfen.
Dafs auTserdem, wenn auch nicht für die Scholastik (die
übrigens auch zur Entwickelung der römisch-katholischen Kirche
gerechnet werden könnte), so doch wenigstens für die edelste
Fracht deutscher Gemütstiefe, die Mystik, noch etwas Zeit übrig
bleibt, ist gewifs wünschenswert. Denn schwerlich wird sie bei
der Geschichte des Mittelalters (nur die kirchlichen Reform-
bewegungen sollen in UI behandelt werden) oder in der deutschen
Litteraturgeschichte die ihr gebührende Rerücksichtigung finden
können. Die Streitigkeiten über die Dreieinigkeit und die Person
Christi können in einer wenn auch noch so kurzen Einleitung in
die drei alten Symbole nicht ganz übergangen werden. Aber das
Verlangen nach eingehender Behandlung derselben darf nach „Aus-
scheidung des zur Aneignung religiöser Streitfragen führenden
kirchen- und dogmengeschichtlichen Stoffes'^ nicht wieder laut
werden. Wenn Zange von den Streitigkeiten über die beiden
Naturen und den doppelten Willen in Christo nicht viel mehr als
den Namen gegeben wissen will, so ist auch das schon zu viel.
Die Gefahr einer Verirrung in theologische Erörterungen erkennt
er selbst an').
Der Kampf und Sieg des Christentums im römischen Reiche
ist kein der I würdiger Gegenstand und darum mit gutem Grunde
weggelassen worden. Wenn die Untertertianer einen Überblick
über die römische Kaisergeschichte erhalten haben, dann wird
der geschickte Religionslehrer eine passende Gelegenheit suchen,
diejenigen Kaiser zusammenzustellen, welche die Christen verfolgt
oder begünstigt haben, und erbauliche Erzählungen von Blutzeugen
einfagen. Sobald sie mit der deutschen Geschichte bis zum Aus*
gange des Mittelalters bekannt geworden sind, dann wird er die
durch den Geschichtsunterricht schon erworbenen Kenntnisse von
der Ausbreitung des Christentums in Deutschland zu sammeln,
zu ordnen und zu erweitern wissen. Ob in Olli die Zeit erlaubt,
die Reformationsgeschichte durch eine Übersicht über die Aus-
breitung des Christentums in Deutschland einzuleiten, wie
Heidrich*) und Zange ^) vorschlagen, wird die Erfahrung lehren.
Jedenüails werden, nachdem in Olli der Religionslehrer die Re-
formationsgeschichte an den Geschichtsunterricht angelehnt hat.
') Zanges BedookcD, dafs mao dergleichen nicht gut unter „Richtungen
tB der Fortentwickelang der ev. K.^' unterbringen könne (S. 619), kann ich
flicht teilen. Mission gehört dazu so gut wie „Wiehern^'.
>) S. 618.
•) S. 6.
*} S. 618. 626.
438 Noeh einmal d. aeoeLehrpl. f. d. evang. Religioasnoterr.,
die um der in Uli die Anstalt verlassenden Schuler willen un-
entbehrlichen Belehrungen über Union, Verfassung der Landes-
kirche, Mission und Gustav -Adolfs -Verein nicht schon in Olli,
wie Windel wünscht'), sondern erst in Uli im Anschlüsse an die
Geschichte der letzten beiden Jahrhunderte zu geben sein.
Dafs an den verschiedensten Stellen im Religionsunterrichte
aufs A. T. zurückgegriffen werden müsse, bedurfte keiner weiteren
Hervorhebung in den Lehrplänen. Indes liegt in der That, wie
jene Ministerialverfügung hinzufügt, bei dem in der Eingabe ge-
wünschten kurzen vertiefenden Abschlufs der alttestamenllichen
Heilsgeschichte, in I die Gefahr nahe, dafs dabei für wirkliches
Schriftverständnis und die nächstliegenden Unterrichtszwecke wenig
gewonnen wird. Jedenfalls ist es eine bedeutende, schwerlich
hinreichend zu rechtfertigende Abweichung vom vorgeschriebenen
Lehrplan, wenn Heidrich für die Propheten, messianischen Weis-
sagungen, Psalmen, Sprüche und Hiob den ganzen Sommer in
OII in Anspruch nimmt.
Dafs der Gedächtnisstoff auf das Notwendige beschränkt and
in jeder folgenden Klasse bis Oll eine vollständige Wiederholung
verlangt wird, halte ich mit Fügner') für den gewichtigsten
Vorzug des neuen Lehrplans. Leider ist auch dieser nicht überall
erkannt worden. Die uns vorliegenden Entwürfe wollen teils diese
Wiederholungen nur von Klasse zu Klasse abwechseln lassen, teils
über das vorgeschriebene Mals hinausgehen.
Schnitze sagt: „Wenn der Verteilungsplan in jeder neuen
Klasse die Wiederholung des gesamten firüheren Memorierstoffs
scheinbar verlangt (bis II), ist doch in Wahrheit eine von Klasse
zu Klasse abwechselnde Wiederholung des ganzen Stoffes gemeint.
Es würde andernfalls gerade das eintreten, was der Erlafs ver-
mieden wissen will, eine Überbürdung des Unterrichts mit Ge-
dächtniswerk. Ich verstehe daher die betreffende Anordnung so,
dafs durch planmäfsige Abwechselung der in Rede stehenden
Wiederholungen eine gedächtnismäfsige Beherrschung des Ganzen
als schliefsliches Ergebnis gesichert werden soll***). Dieselbe Auf-
fassung finden wir bei Heidrich, der in IV nur 4 Lieder, nicht 8,
in um nur 6, nicht 12, in Olli nur 7, nicht 16, in UH nur
die in Ulli, in OH nur die in OHI gelernten Lieder und vom
Katechismus in Ulli die beiden ersten und in OHI die drei letzten
Hauptstücke wiederholen läfst.
Wir erlebten kürzlich, dafs ein Primaner ein Gedicht Ton
Schiller ohne Einhilfe und mit guter Betonung bei einer Schul-
feier vortrug, nach kurzer Zeit aber von dem Wortlaute nur noch
wenig wufste. Wie selten findet sich ein Erwachsener, der den
Katechismus noch ohne Anstofs hersagen kann! Da mufs Wandel
1) S. 79.
>) Zeitschr. f. d. ev. R(J. HI S. 205.
•) IV S. 15 f.
von M. Stier. 439
geschaffen werden! Ich halte also die jährlichen Wiederholungen
des gesamten Gedächtnisstofles erstlich nicht für überflüssig. Sie
sind aber auch lehrreich, wenn jedesmal eine vertiefte, dem
reiferen Standpunkte angepafste Erklärung dazu gegeben oder die
Wiederholung eines Liedes an die inzwischen durch den Unter-
richt bekannt gewordene biblische Grundlage (z.B. Hiob t9, 26. 27.
Psalm 46. 130. 118, 24) angeknüpft, also etwa auf der untersten
Stufe eine Erklärung des Wortlautes mit den dazu nötigen sprach-
lichen und sachlichen Erläuterungen nebst Veranschaulichung
schwieriger Stellen durch eine bekannte biblische Geschichte ge-
geben und ein Jahr später wiederholt wird, worauf in der folgen-
den Klasse die Grund- und Teilgedanken mit den Schülern auf-
gesucht und im nächsten Jahre wieder abgefragt werden. Mir ist
die Wiederholung der bekannten Kirchenlieder der erbaulichste
Teil des Religionsunterrichts. Auch ohne jede Besprechung ist
das blofse Hersagen nicht langweilig. So gut wie wir auch nicht
ein Jahr ums andere, sondern jedes Jahr von neuem die Fest-
lieder in der Kirche singen, so haben auch Lehrer und Schüler
ihre Freude daran, sich einmal im Jahre zu überzeugen, dafs alle
gelernten Lieder noch im Gedächtnis festsitzen, andernfalls durch
geringe Hübe den Besitz von neuem zu sichern. Es gehört nur
wenig Zeit dazu, die 5 Hauptstücke und 15 Lieder einmal im
Jahre hersagen zu lassen. Hoffen wir nun endlich zu erreichen,
was bisher vergeblich angestrebt wurde, dafs unsere Kernlieder
ein unverlierbarer Besitz fürs ganze Leben werden, so dafs sie
vielleicht noch in der Todesstunde ihre Wirkung üben. —
Schwierigkeiten bereiten nur die in den mittleren Klassen neu
eintretenden Schuler, welche die Lieder der früheren Klassen
noch nicht gelernt haben; doch wenn erst die jetzt angebahnte
Einigung über die zu treffende Auswahl erzielt ist — vielleicht
in der Weise, dafs in jeder Klasse zwei Lieder allgemein verbind-
lich sind und zwei für jede einzelne Schule wahlfrei bleiben — ,
80 wird auch dieser Übelstand beseitigt oder wenigstens gemildert
werden.
Während die Pläne von Fügner, Heidrich und Leimbach bei
der vorgeschriebenen Liederzahl bleiben, erklärte Genest in Halle,
die Zahl der in VI bis IV zu lernenden Lieder scheine ihm zu
gering^). Auch Zange in Erfurt giebt zu bedenken, dafs im
Vergleich zu der Zahl der Gedichte, die im deutschen Unterricht
gelernt zu werden pflegten, die 14 — 16 Kirchenlieder recht be-
scheiden erschienen'). Am Joachimsthalschen Gymnasium will
Schnitze in Olli noch 19 Liederstrophen lernen lassen').
Es entsteht hier die Frage, ob gleichwie in der Kirchen-
1) ni S. 354.
«) S. 616f.
») IV S.19f.
440 Noch einmal d. neue Lehrpl. f. d. evang. Religioosooterr.,
geschichte dem Lehrer unter gewissen Voraussetzungen ober das
vorgeschriebene iMafs hinauszugehen unbenommen ist, so auch
dem allgemein verbindlichen noch wahlfreier Gedächtnisstoff hin-
zugefugt werden dörfe. Da offenbar im Herzen Deutschlands mehr
als im Norden und Osten gefordert werden kann, die geweckten
Sachsen und Thüringer und auch die meist begabten Schuler des
Joachimsthalschen Gymnasiums mehr als die übrigen Märker zu
leisten vermögen, so dürfte wohl die Aufsichtsbehörde geneigt
sein, auch hier eine gewisse freie Bewegung zuzulassen mit Ruck-
sicht auf die Leistungsfähigkeit der Sdiüler. Findet der Lehrer
noch Zeit, während des Unterrichts eine Anzahl Liederstrophen
einzuprägen, so wird ihm das gewifs niemand wehren. Dafs aber
ihre feste Einprägung zur nächsten Stunde aufgegeben wird, kann
nur gestattet werden, wenn nach sorgfaltiger Zusammenstellung
der für alle Lehrgegenstände der Klasse zu stellenden häuslichen
Aufgaben sich ergicbt, dafs eine Überbürdung nicht zu fürchten ist
Wenn aber Heidrich die regelmäTsigen Wiederholungen des
gesamten Gedächtnisstoffes bis auf die beiden Primen ausdehnt,
so beruht das doch wohl auf einer Verkennung des Fortschritts,
den wir den neuen Lehrplänen und Prüfungsordnungen verdanken.
Hoffentlich liegen die Zeiten hinler uns, wo unsere Primaner im
Hinblick auf die herannahende Reifeprüfung umfangreichen Wieder-
holungen der Lehraufgaben der mittleren und unteren Klassen
oft ihre beste Zeit und Kraft widmeten. Dafs der neue Lehrplan
die Wiederholungen mit OU abschliefst, ist eine Errungenschaft,
die ich freiwillig wieder aufzugeben mich nie entschliefsen werde.
Auch wo in der Religion geprüft werden mufs, darf ja doch nur
ermittelt werden, ob der Reifeprüfung die Lehraufgabe der Prima
sich angeeignet, nicht aber, ob er die der früheren Klassen noch
fest im Gedächtnis hat. In der Abschlufsprüfung dürfen wir ver-
langen, dafs der gesamte Gedächtnisstoff ohne Anstofs hergesagt
werden kann, aber in der obersten Klasse haben wir genug
zu thun, ein der fortschreitenden Bildung entsprechendes Ver-
ständnis zu erzielen und den vielleicht schon wankenden Glauben
der Primaner zu befestigen, damit verhütet werde, dafs sie der-
einst, statt durch Bekenntnis und Wandel und lebendige Beteiligung
am kirchlichen Gemeindeleben ein wirksames Beispiel zu geben,
vielmehr in das Lager der Feinde des Christentums übergehen.
Unter allen Einrichtungen, welche wir den „Lehrplänen und
Lehraufgaben'' von 1892 verdanken, halte ich keine für ein so
zweckmäfsiges Förderungsmittel des Unterrichts, wie die der
Ausarbeitungen. Für die meisten Gegenstände allgemein ver-
bindlich, sollten sie im Religionsunterricht wenigstens unter den
wahlfreien Vorschlägen ihre Stelle behaupten. Nachdem ich 1867
im deutschen evangelischen Schulverein als Führer der 6. Abteilung
(„Religionsunterricht in höheren Schulen*') auf Einführung schrift-
licher Arbeiten bei diesem Unterricht hinzuwirken mich bemuht
von M. Stier. 44]^
habe') — nichl ganz ohne Erfolg'), wenn auch inzwischen den
Rheinlanden die „Ordnung der Entlassungsprufungen an den
höheren Schalen*' von 1882 Veranlassung gegeben haben mag,
den bis dahin ablieben Religionsaufsatz fallen zu lassen — , kann
ich nicht umhin, jetzt die Anfertigung von Ausarbeitungen im
Anschlufs an Heidrich aufs wärmste zu empfehlen. Derselbe sagt:
„Oafs auch im Religionsunterricht bisweilen in der Klasse eine
schriftliche Arbeit angefertigt werde, ist eine Forderung des Lehr-
plans, welcher ich schon immer nachgekommen bin — eine gute
Schule auch für den Lehrer, der daraus gar mancherlei lernt, wie
er sowohl der Sache, als auch der Form in irgend einer Beziehung
beim Unterricht noch besser gerecht werden könne'"').
Wenn ich das Ergebnis noch einmal kurz zusammenfasse, so
werden wir, da ein Antrag auf Verlegung des Hieb von Ulli nach
Uli und der Apostelgeschichte von OII nach Olli nicht erforderlich,
auf Verteilung der Kirchengeschichte auf OII und I aber bereits
genehmigt ist, nur noch darum zu bitten haben, dafs erstens die
Einprägung der beiden letzten Hauptstucke sowie der genauen
Reihenfolge der biblischen Bucher auf IV und III verteilt, in IV
aber ein vorzeitiges Auswendiglernen nicht mehr verlangt, zweitens
der Eigenart des Lehrers anheimgestellt werde, in welcher V^eise
er durch den Unterricht in der Glaubens- und Sittenlehre seine
Hauptaufgabe lösen zu können glaubt, die bald von der Anstalt
scheidenden Schüler im Glauben zu befestigen und ihr Gewissen
>) V^l. Monat]. Mitteilangen ans dem denlschen evang. Schalverein
J867 S. 24—27. 1868 S. 118 IT.
') Kolbe sagt: „Im Einklänge hiermit habe ich selbst .... den Versoch
■U Rztemporalien gemaeht ond kann nicht leugnen, dafs sich mir derselbe
bereits an zwei Anstalten in verschiedenen Klassen bewährt hat, soferne
teils die Schüler dadurch gespornt wurden, teils mein Urteil über ihre Kennt-
oisse sich viel klarer und sicherer gestaltete*^ (Schmid, Eocyklopädie des
gesamten Erziehuogs- nod Unterrichtswesens 7. Band S. 53. Die Anmerkong
ealfailt ein Verzeichnis der Themata, die sich in Kolbes Unterricht be-
wSbrt Jftsben.)
*) Lehrplan S. 3. Eine Anzahl Themata daza giebt Heidrich ebenda
S. 14 — 16, aneh der Jahresbericht des Nea-Rnppiner Gymnasiums von 1S93.
— Wie ans dem erst wahrend des Druckes dieser Abhandlang (in der
Zeltsehr. f. d. ev. RU. 1894 S. 222 f.) veröffentlichten Berichte zu ersehen
ist, hat die erste Jahreaversammlnng evangelischer Religionslehrer Ost-
■reiirseos am 3. Oktober v. J. sich gegen die Anfertigung schriftlicher
Klssseoarbeiten in der Religion erklärt, teils um des damit verbundenen
Zeitverlastes willen, teils weil dieselben leicht zn phrasenhaftem Nachsprechen
oder zur Heuchelei verfuhren könnten. Die dort angenommenen Satze, auf
wdehe hier näher einzogehen ich mir leider versagen mnfs, haben jedenfalls
des Wert, dsTs sie vor Fehlgriffen warnen, die der Lehrer leicht da thun
kjBBO, wo die Ausarbeitungen angeordnet sind, aber sicherlich vermeiden
wird, wenn er aus eigeoem Antriebe durch eine schriftliche ßearbeituDg
profea will, ob die Schüler einen besprochenen Gegenstand richtig anfgefafst
haben.
442 ^^^ deutsches Lesebuch in Prima,
ZU schärfen. Beide Abänderungsanträge erscheinen mir
nur deshalb notwendig, weil ich in diesen beiden
Punkten die Forderungen der neuen Lehrpläne mit
ihrem Geiste nicht in Einklang zu bringen vermag.
Alle andern Vorschläge sind teils als dem Geiste derselben
widersprechend oder ihre einheilliche Durchfuhrung störend zu
verwerfen, teils als Ergänzungen und weitere Ausfüllungen des
uns vorgelegten Rahmens anzusehen, aus denen entweder der
einzelne Lehrkörper oder der einzelne Lehrer wählen kann, was
angemessen und ausführbar zu sein scheint. Doch hüte man
sich durch Konferenzbeschlösse den Lehrer zu binden, ehe die
Erfahrung hinreichend gelehrt hat, ob auch bei vollständiger Er-
ledigung der von den Lehrplänen als allgemein verbindlich be-
zeichneten Aufgaben die für solche Ergänzungen erforderliche Zeit
noch Obrig bleibt. Denn gerade bei unserm Unterricht bildet,
wie bei keinem andern Fache, das Lebenselement die Freiheit
zur Beschränkung oder Erweiterung, Bereicherung oder Vertiefung
je nach den persönlichen Gemutsbedurfnissen der Lernenden wie
der Lehrenden.
Neu-Ruppin. M. Stier.
Ein deutsches Lesebuch in Prima.
Die Stellung des Lesebuches im deutschen Unterricht der
obersten Klasse ist vielfach und in recht verschiedenem Sinne
erörtert worden. Nicht nur darüber stritt man, wie der Inhalt
gewählt werden müsse, sondern auch, ob es überhaupt erwünscht
oder auch nur zulässig sei, Primanern ein solches Buch in die
Hand zu geben. Beide Fragen hängen eng zusammen, müssen
aber doch für die Beurteilung geschieden werden. Denn wenn
die Abneigung gegen litterarhistorische Ghrestomathieen immer
mehr sich verbreitet und die Ansicht zur Herrschaft kommt, dals
solche Sammlung von kleinen Proben aus gröfseren , Werken
leicht zur Oberflächlichkeit, zu flüchtigem Herumnaschen verführe,
so ist damit doch noch nicht ausgemacht, ob es nicht ein Lese-
buch von ganz anderer Art geben könne, das nützlich sei und
Billigung verdiene. Diese Frage hat vor einigen Jahren Direktor
Matthias (Düsseldorf) in der Zeitschr. f. d. Gymnasialw. (1889 S. 64 1 ff.)
eingehend untersucht. Auch er ist kein Freund der eben be-
zeichneten Gattung von Büchern, ohne . übrigens von ihrem Ge-
brauche eine besonders schlimme Wirkung zu befürchten. Dagegen
empfiehlt er mit Nachdruck ein „rhetorisch-stilistisches" Le8cj[>üch,
eine Vereinigung von Aufsätzen, die als Gegenstand zu Disponier-
übungen und als Muster für die eigenen Ausarbeitungen der
Schüler dienen könnten, zugleich aber durch ihren Inhalt geeignet
wären philosophisches Denken anzuregen und zur Prüfung und
von P. Gau er. 443
Kllrang widitiger allgemeiner Begriffe beizutragen. Matthias hatte
kurz Yorher in der Anzeige eines Buches dieser Art („Gymnasium**
1888 Sp. 159) als einen besonderen Vorzug die Schwierigkeit der
darin enthaltenen Lesestucke hervorgehoben* „Im deutschen
Unterrichte", so schrieb er, „sollen unsere Schüler nicht leichten
Kaufes davon kommen; die Gymnastik des Geistes soll gerade
hier immer mehr betont werden; dieser Unterricht mufs dem in
besonderem Mafse geistbildenden in den alten Sprachen möglichst
nahe gerückt und möglichst ähnlich gemacht werden, damit, falls
einmal die reale Richtung unserer Zeit uns in den klassischen
Fächern noch mehr als bisher beschränken und verkürzen sollte,
der deutsche Unterricht als ein würdiger Erbe antiker Zucht und
Geistesbildung eintreten kann**. Auch diesmal bekannte sich der
Verf. zu derselben Ansicht, indem er die Anlage eines Buches,
wie es ihm vorschwebe, schilderte und den wünschenswerten In-
halt, zum Teil im Anschlufs an vorhandene Werke dieser Art,
umschrieb. Dabei war sein Bestreben vorzugsweise darauf ge-
richtet, dafs die Durchnahme der Lesestücke dazu dienen sollte
den Unterricht in der philosophischen Propädeutik zu ersetzen,
die ja schon damals nicht mehr zu den vorgeschriebenen Lehr-
gegenständen gehörte. Der Lehrplan von 1882 hatte ihre Zulassung
von den besonderen Verhältnissen an den einzelnen Anstalten
abhängig gemacht; und Matthias glaubte, leider wohl mit Recht,
dafs diese nur in wenigen Fällen der Sache günstig sein würden.
Inzwischen hat das Jahr 1892 eine neue Verschiebung ge-
bracht, eben nach der Seite, nach der sie erwartet werden mufste.
Das Studium der alten Sprachen ist noch mehr eingeschränkt und
genötigt worden einen weiteren Teil der allgemein bildenden
Aufgaben, die es früher zu lösen hatte, an den deutschen Unter-
richt abzugeben, dessen centrale Stellung nunmehr durch amtliche
Vorschrift angeordnet erscheint. Dabei ist die philosophische Pro-
pädeutik jetzt auch als fakultatives Lehrfach abgeschafft. Aller-
dings haben sich sofort Stimmen erhoben, die fordern, dafs sie
wieder zugelassen werde; so Geheimrat Schuppe (Greifswald) in
einem Aufsatz der Zeitschrift f. d. Gymnasialw., „Erfolg und Mifs-
erfolg** (1894 S. 91ff.), aus dessen beherzigenswertem Inhalt
wenigstens der Gedanke hoffentlich wieder Anerkennung finden
wird, dafs für den Lehrer des Deutschen in den oberen Klassen
philosophische Vorbildung sehr viel wichtiger ist als germanistische.
Direktor Leuchtenberger (Posen) hat eine eigene Broschüre ver-
öffentlicht: „Die philosophische Propädeutik auf den höheren
Schulen. Ein Wort zu ihrer Wiedereinsetzung in ihre alten
Rechte** (Berlin, 1893). Hier wird darüber Klage geführt, dafs die
Regierung in neuerer Zeit nichts gethan habe, um den Unterricht
in der philosophischen Propädeutik überall zu erzwingen, und die
Forderung angestellt, dafs er von neuem mit einer Wochenstunde
zu einem allgemein verbindlichen gemacht und durch genauere
444 B^» deotscliefl Lesebuch in Prima,
Vorschriften geregelt werde. Das empGehlt ein Mann, der seit
Jahren, wie er berichtet und wie man nach seinen Mitteilungen
gern glaubt, diesen Unterricht mit Eifer und Erfolg gegeben hat!
Wo aus den Kreisen der Lehrer selbst Zumutungen dieser Art an
die Unterrichlsverwaltung gemacht werden — und das ist in
jüngster Zeit mehrfach geschehen — , da kann man es ihr schliefs-
lieh kaum verdenken, wenn sie mehr und mehr dazu kommt in
allen wichtigen Fragen uns den Entschlufs und die Verantwortung
abzunehmen. Leuchtenberger erzählt doch gerade (S. 4 IT.; vgl.
S. 26) die Geschichte des propädeutischen Unterrichtes in
Preulsen^); und die lehrt aufs unzweideutigste, dafs er von dem
Augenblick an Kraft und inneres Leben verlor, wo er (1837) von
allen Schulen als etwas Notwendiges verlangt wurde. Seien wir
dankbar, dafs die neueste Reform diesen Fehler nicht wiederholt und
eine Erweiterung des Gymnasialunterrichtes, die nur durch frei-
wUligen Eifer und eigentumliche Begabung einzelner Lehrer ge-
deihen kann, wirklich einmal diesen persönlichen Mächten anheim-
gestellt hat.
Denn die Möglichkeit, das wiederzugewinnen was die ele*
mentare Behandlung von Logik und Psychologie in Prima früheren
Generationen geleistet hat, fehlt auch jetzt keineswegs. Sie liegt
in der Richtung, auf die schon in den vorhergehenden Jahren
mehrfach, z. B. eben von Matthias, hingewiesen worden war; und
die „Lehrpläne** selber bezeichnen die Stelle, an der sich eine
erste Anleitung zu philosophischem Denken und zu einer inner-
lichen Auffassung der Fachstudien in den bestehenden Rahmen
des deutschen Unterrichtes einfugen läfst. Zur Ergänzung der
Prosalektüre aus den klassischen Schriftstellern wird (S. 16) die
„Durcharbeitung schwierigerer Stücke eines Lesebuchs für P*
empfohlen; und in den „Methodischen Bemerkungen** heifst es
dazu (S. 18): „Die auf allen Stufen neben der Dichtung zu
pflegende Prosalektüre hat den Gedanken- und Gesichtskreis des
Schülers zu erweitern und zumal auf der Oberstufe den Stoff für
Erörterung wichtiger allgemeiner Begriffe und Ideen zu bieten.
Zweckmäfsig geleitet kann diese Lektüre in der Prima die oft
recht unfruchtbar betriebene und als besondere Lehraufgabe hier
ausgeschiedene philosophische Propädeutik ersetzen**.
Ist somit dem Lesebuch im deutschen Unterrichtsplan der
obersten Klasse ein fester Platz angewiesen, dessen Ausfüllung
0 DeDselbeo Gegenstand habe ich behandelt io der kleinen Schrift:
„Der Unterricht in Prima, ein Abschlqjs und ein Anfang'* (besonderer Ab-
druck aas den Verhandlungen der Görlitzer Philologen -Versammlang), Leipzig
1890. Es ist vielleicht der Mähe wert beide Darstellongen mit einander za
vergleichen, um za sehen, wie verschiedene Folgerungen aus denselben That-
Sachen gezogen werden können.
von P. Caner. 445
zwar nicht als unerläfslich doch als wünschenswert bezeichnet
wird, so möchte manchem Fachgenossen ein Bericht über Er-
fahrungen willkommen sein, die mit einem Versoch auf diesem
Gebiete seit einer Reihe von Jahren gemacht worden sind. Das
Ton mir herausgegebene „Deutsche Lesebuch für Prima'* (Berlin
1887, Julius Springer), dasselbe, aus dessen Besprechung im „Gym-
nasium" oben ein paar Sätze mitgeteilt wurden, entspricht seinem
Plane nach ziemlich genau dem Programm, das Matthias in dem
angeführten Aufsatz vom J. 1889 gezeichnet hat; und auch im
einzelnen deckt sich sein Inhalt zu einem guten Teile mit der
dort empfohlenen Auswahl. Das Buch ist an einer kleinen Anzahl
?on Gymnasien und Realanstalten, teils aufserhalb Preufsens teils
in mehreren Provinzen unseres Staates, eingeführt. Von der Art,
wie ich selbst es benutze, soll hier eine kurze Schilderung ge-
geben werden.
1. Unter den darin enthaltenen Stücken sind nicht allzu
Tide, die von den Schülern ohne jede Mitwirkung des Lehrers
bewältigt werden können. Doch fehlt es nicht an solchen, für
die diese Hilfe erst nachträglich einzutreten braucht, nachdem sie
versucht haben auf eigene Hand in das Verständnis einzudringen.
Unter den drei häuslichen Arbeiten, die ich jeden Sommer aus
Unter-Prima erhalte, besteht immer eine, am liebsten die erste,
in der ausgeführten Disposition zu einem Aufsatz des Lesebuches.
Etwas zu leicht stellte sich diese Aufgabe bei dem Kapitel aus
Roseber: „Uauptursachen der Kolonisation*' (6), das durch
numerierte Oberschriften in vier Teile gegliedert ist; und viel-
leicht hatte ich beim Druck des Buches nicht recht gethan, um
der Raumersparnis willen das ursprünglich gewählte, stilistisch
gerundetere Stück „Geistiger Charakter des Koloniallebens*' zurück-
zustellen und durch das vorliegende zu ersetzen. Doch bot sich
auch hier Gelegenheit, im einzelnen selbständig zu gruppieren
und aus der Fülle des vom Verf. mitgeteilten Details die leitenden
Gedanken herauszufinden, anstatt sich, was natürlich auch von
manchen geschah, durch Wiedergabe einiger Beispiele damit abzu-
finden. Schärferes Eindringen verlangte der einleitende Abschnitt
aus Neumanns Physikalischer Geographie von Griechenland: „Die
Natur eines Landes als Faktor seiner Kulturentwickelung*' (4),
oder die Göttinger Festrede von Ernst Curtius: „Der Wettkampf"
(3). In beiden Fällen war das, was bei Rückgabe der schriftlichen
Arbeiten sachlich zu erklären blieb, weniger als bei Röscher, aber
die Anlage der Abhandlung mutste eingehend besprochen werden.
Und da stellte sich heraus, dafs nicht alle zwanzig Primaner die-
selben Hauptteile gefunden hatten; ja, der Lehrer selbst liefs
zuletzt für deren Ansetzung mehrere Möglichkeiten gelten. Das-
selbe geschah bei der Rede von Georg Curtius „Über die Pietät"
(38), die doch ein vortrefflich klares und einfaches Beispiel einer
methodisch fortschreitenden Begriffsentwickelung bietet. Die jungen
446 ^1° deatsches Lesebach in Prima,
Leute mufsten denn schon im kleinen erfahren, dafs es für ein
Kunstwerk je nach der Art des Betrachters verschiedene Auf-
fassungen geben kann^ die gleich berechtigt nebeneinander stehen.
Auch die erste Vorlesung aus Wilhelm Wackernagels Stilistik: „Vom
Stil im allgemeinen*' (22) habe ich in der geschilderten Weise be-
handeln lassen. Immer ergab sich, neben manchem anderen, der
Gewinn, dafs in einem scheinbar glatt verlaufenden Gedankengange
die Spuren der sorgsamen Vorarbeit des Autors aufgedeckt und so
die Lernenden auf die Notwendigkeit hingewiesen wurden, bei
ihren eigenen Aufsätzen ähnlich zu verfahren.
Das zuletzt erwähnte Stuck gehört seines Inhalts wegen zu
denjenigen, die ich kürzer oder ausführlicher mit jeder Generation
von Schülern einmal durchnehme. Was im Grunde „StiP* sei^
wie in ihm ein objektives Element, das durch Gegenstand und
Zweck der Darstellung bedingt wird, und ein subjektives, in dem
die geistige Eigenart des Schreibenden hervortritt, sich gegenseitig
durchdringen, welche Berechtigung das BufTonsche „Le style c'est
Thomme*' habe: das sind Fragen, über die ein Primaner gründlich
nachdenken soll; und die Art, wie Wackernagel dazu anleitet, ist
für ihn schon im ersten Semester verständlich. Das, was er hier
über den W^ert einer individuellen Schreibart lernt, wird ihm danu
entweder als Sporn dienen müssen oder als Zügel, am häufigsten
wohl das letztere. Denn eine etwas nüchterne und selbst lang-
weilige Darstellung kann man sich von einem Anfänger gern ge-
fallen lassen, wenn für diesen Preis Sachlichkeit und Klarheit
erworben wird ; dem Trachten nach Originalität aber, das sich bei
unreifen Geistern in der Regel grade in der Nachahmung fremder
Eigentümlichkeit, besonders gern der Lessingschen, äufsert, mufs
kräftig entgegengetreten werden, damit es nicht in Manier ausarte.
Zum Stil gehört die Durchdringung und Gruppierung des Stoffes,
eine Kunst, die durch einen Abschnitt aus Deinhardts Dis-
positionslehre, „Von der Einteilung (divisio) und von der Zerteilung
(partitio)'S gefördert werden kann. Auch diesen Aufsatz (21) be-
handle ich irgendwie jedes Jahr in Unter-Prima. Er giebt leicht
Gelegenheit, einige Grundbegriffe der elementaren Logik: Genus,
Species, Individuum, damit zugleich das Wesen der DeOnition,
etwas eingehender und doch ohne eigentliche Abschweifung zu
erörtern. Endlich Justus Mosers Brief an einen Freund, „Wie
man zu einem guten Vortrage seiner Empfindungen gelange^' (20),
ist mit Recht auch anderwärts in deutschen Lesebüchern ein-
gebürgert. Ganz mit der peinlichen Sorgfalt, die der Verf. hier
beschreibt, werden ja Schüler bei ihren Ausarbeitungen nichl
verfahren können; und vor einem Gedanken darin, dem, dafs für
jedes Thema die beste Art der Darstellung immer nur eine sei,
warne ich sie sogar. Aber unverloren bleibt ihnen doch der
Einblick in die Werkstätte des Schriftstellers, den Moser hier ge-
währt; und die Erkenntnis, wie mühsam selbst ein Meister des
'YOD P. Cauar. 447
schlichten Süles mit der Sprache riogt, mag die einen zu bescheidener
Selbstkritik mahnen, die andern nach eigenen Mifserfolgen ermutigen.
Bisher haben wir an den schriftlichen Arbeiten der Schüler
die formale Seite betrachtet; auch für den Stoff erweist sich das
Lesebuch nutzlich. ,,Aus welchen Ursachen entwickelte sich die
Weltherrschaft der Römer?'' ist ein Thema, das auch sonst wohl
Primanern gestellt wird und für das sie aus Geschichte und
lateinischer Lektüre mancherlei Gedanken mitbringen. Sehr will-
kommen war doch die Bereicherung, die ein" Paragraph aus Iherings
„Geist des römischen Rechts'' bot, der „das Wesen des römischen
Geistes und die Prädestination desselben für die Kultur des Rechts"
behandelt (9) und durch ein bekanntes Molto aus Vergil, Tu
regere imperio populos Romane memento, gleich das Vertrauen
der jungen Leute gewann. (Nicht alle wufsten aus dieser Quelle
zn schöpfen, manche versuchten es ungeschickt; wieder andern
gelang es gut. Und nebenbei ist dies doch auch etwas, was ge-
lernt werden soll und was jeder, der sich später mit Wissen-
schaften abgiebt, gebrauchen kann, daüs man für eine eigene
Untersuchung das Material, das fremde Arbeiten liefern, wirksam
und doch nicht unselbständig zu verwerten verstehe. Eine ver-
wandte Frage, die ich ein paar Jahre später beantworten Uefs,
lautete: ,4nwiefern hat auf die Geschichte der Griechen und
Römer die Lage und Beschaffenheit ihrer Wohnsitze bestimmend
eingewirkt?" Dafür wurde der schon oben erwähnte Aufsatz von
Neumann herangezogen. Eine eigentümliche Auffassung vom
Yerstandesleben vertritt der muntere und doch tiefernste Vortrag
von Erdmann „Über Dummheit" (37). Sie wird hier nur als
Beschränktheit verstanden, als Mangel der Fähigkeit die Dinge aus
mehr als einem Gesichtspunkte zu betrachten, als eine beinahe
moralische Schwäche, die denn aber auch durch festen Willen
bekämpft werden könne. Nahm man den Begriff des lateinischen
prudeos und das schöne Lob des Polydamas, S yoQ olog oqa
jiQOifam xal oniaaa^ hinzu, so konnte der Plan entstehen, als
Gegenstück das Wesen der Klugheit zu entwickeln. Dies natürlich
erst in Ober-Prima; aber da geriet es auch ganz hübsch, wie ich
noch jetzt aus einigen Proben der besten und der schwächsten
Bearbeitungen, die ich aufbewahrt habe, erkenne. Viel bescheidener
und wieder den Kräften des ersten Jahrganges entsprechend war
die Forderung, Jacob Grimms Ansichten über das „Wesen der
Tierfabel" (13) mit dem Ertrage aus Lessings Abhandlungen, die
in der Klasse gelesen waren, zu vergleichen. Der Fehler, dais
dem einen zu gunsten des andern unrecht geschah, wurde dabei
fieifacb gemacht; und so gab die Korrektur dieses Aufsatzes einen
AniaÜB zu zeigen, dafs litterarische Leistungen nicht mit dem be-
quemen Malisstabe von falsch und richtig gemessen werden dürfen,
vnd in den jungen Köpfen eine Ahnung davon zu wecken, wie
ein wissenschaftliches Problem sich fortentwickelt.
448 ^^B dentsches Lesebach io Prima,
2. Dieselbe Beobachtung konnten wir auch an andern Punkten
machen, ohne dafs es gerade immer eine eigene Ausarbeitung
war, die dazu führte. Lessings Laokoon und Dramaturgie fordern
eine ergänzende Betrachtung. Ein Mann, der die Macht des Vor-
urteils und der Phrase so ritterlich bekämpft hat wie er, hat
Anspruch darauf, daCs wir seine eigenen Ansichten nicht zum
Dogma erheben, vielmehr da, wo sie fehlgegangen sind, zu be-
richtigen suchen. Und die Art, wie Jacob ßernays den Schein-
begriff „tragische Reiiligung der Leidenschaften*', der lange Zeit
„jedem Gebildeten geläufig und keinem Denkenden deutlich'* war,
zerstört hat, ist ganz im Geiste Lessings und an sich herzerquickend,
dafs man nur wünschen kann, es möchte jedem Schlagwort ein-
mal ebenso ergehen. Der Aufsatz „Aristoteles' Ansicht über die
Wirkung der Tragödie'* (33) darf, wenigstens seinem Inhalte nach,
keinem Leser der Hamburgischen Dramaturgie unbekannt bleiben.
Goethes Bemerkungen „Ober Laokoon'*, die zu einem Teile seiner
Werke gehören, den anzuschaffen man nicht jedem Schüler zu-
muten kann, und die deshalb einen Platz im Lesebuch (28) ge-
funden haben, knöpfen nicht unmittelbar an Lessing an. Aber
der aufmerksame Leser merkt die Beziehung, ja er erschrickt,
wenn er sich erinnert, wie Lessing die Darstellung des Transitori-
sehen der bildenden Kunst absprach, und nun bei Goethe die
Sätze liest: „Äufserst wichtig ist dieses Kunstwerk durch die Dar-
stellung des Moments. Wenn ein Werk der bildenden Kunst sich
wirklich vor dem Auge bewegen soll, so mufs ein yoröbergehender
Moment gewählt sein". Hier ist in der Tbat ein Gegensatz, den
es gilt in seinem Grunde zu erfassen und mit der bewundernden
Anerkennung in Einklang zu bringen, die Goethe in „Wahrheil
und Dichtung" dem Werke Lessings zollt. Das ist eine nicht
leichte, aber um so lohnendere Aufgabe. Der Name Winckelmanns
wird bei Goethe und Lessing mehr als einmal genannt; doch zu
eingehender Beschäftigung mit ihm ist in der Schule kein Raum.
Da mag seine „Erinnerung über die Betrachtung der Werke der
Kunst** (29), auch wo man sie der Privatlektöre überlassen mufs,
einen kleinen Begriff von der Schreibart des Mannes geben und,
was wichtiger ist, von der neuen Betrachtungsweise, die er in das
Denken der Menschheit eingeführt hat. Ähnliches gilt von Herder,
dessen historische Grundanschauung — es macht sich nichts, es
wird — för mannigfaltige Zweige des geistigen, wirtschaftlichen,
politischen Lebens fruchtbar geworden ist, übrigens gerade jetzt
wieder in Gefahr ist verloren zu gehen und wohl einer Erneuerung
bedarf. Sein Aufsatz über die „Ursachen des gesunkenen Ge-
schmackes bei den verschiedenen Völkern, da er gebluhet'* (12)
macht den Schülern diese Ansicht auf einem Gebiete deutlich, das
ihnen nahe liegt, dem litterarischen, und regt sie zugleich an, die
einzelnen Erscheinungen, die sie kennen lernen, in den grofsen
Gang einer zusammenhängenden Entwickelung einzuordnen. Ge*
voQ P. Caner. 449
legentlich habe ich diesen Aufsatz so behandelt, dafs in einem
der freien Vorträge, die für die oberen Klassen vorgeschrieben
sind, Yon einem Schäler darüber berichtet wurde.
Wenn die yerschiedenen Teile des deutschen Unterrichtes
durch das Lesebuch Nahrung erhalten, so gehen doch auch andere
Fächer nicht leer aus. Die schon erwähnten Stucke von Neumann
und Röscher können nicht verstanden werden, ohne dafs die
Besprechung auf die geographischen und geschichtlichen Kennt-
nisse der Schüler eingeht. Und wenn hier und da eine neue
Thalsache ihnen mitgeteilt oder erläutert werden muTs, so wird
es sich doch in der Regel nicht hierum handeln, sondern um
Zusammenfassung des Vorhandenen unter leitende Begriffe und
allgemeine Gesichtspunkte. Das ist ja die Art, wie der deutsche
Unterricht sein Hittieramt ausüben soll, dafs er alles, was in
anderen Stunden an Kenntnissen erworben worden ist, bei ge-
gebenem Anlafs herausfordert, das eine zu dem andern in Be-
ziehung setzt und fiberall das stoffliche Interesse, das die Fach-
studien gepflegt haben, zu ergänzen bemuht ist durch Aufsuchen
der Grundgedanken und damit zugleich der eigentlich geistbilden-
den Elemente in den einzelnen Wissenschaften. Hierbei ist es
kein Unglück, wenn auch Gebiete berührt werden, auf denen
manche Schüler dem Lehrer an Wissen überlegen sind. Ihnen
ist es eine Freude, etwas Eigenes beitragen zu können, und für
die ganze Klasse bestärkt sich der Eindruck, dafs der Unterricht
eine gemeinsame Arbeit ist, deren Inhalt auch der Lehrer nicht
als einen allezeit fertigen mitbringt So habe ich gern, als wir
die Rektoratsrede von Helmholtz „Ober das Verhältnis der Natur-
wissenschaften zur Gesamtheit der Wissenschaft*' (16) lasen, zur
Erläuterung von physikalischen Einzelheiten, die erwähnt wurden,
einen angehenden Naturforscher aufgefordert, oder wenn wir im
Anschlufs an Otto Gumprechts Essai „vom Wesen der Musik" (25)
das Musikalisch -Schöne mit dem Architektonischen verglichen,
einem Primaner, der in unsem Andachten die Orgel spielte, das
Wort gelassen. Dafs überhaupt auch die Künste in den Bereich
der Besprechung gezogen werden könnten, war bei der Zusammen-
stellung des Lesebuches mein besonderes Augenmerk gewesen.
In Ober-Prima führt die Erzählung von Goethes Leben jedes Jahr
auf den merkwürdigen Zug, wie er als Student in Dresden, wo
er sich bei einem Schuster einquartiert hat, beim Nachhause-
kommen aus der Galerie plötzlich das Innere der Wohnung als
ein Bild von Ostade vor sich sieht. Der Name des Malers hält
uns nicht auf. Aber wie die allgemeine Fähigkeit, die Goethe
hier erwähnt, „die Natur mit den Augen dieses oder jenes
KöDStlers zu sehen'S innerlich begründet sein könne, mufs erklärt
werden; und dazu leistet er selbst in einem der Fragmente aus
Italien: „Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Stil*' (31) die
beste Hilfe. Das Wesen der künstlerischen Begabung wird dabei
Zm^ekr, f. 4. OymnaiialwMen XL VIII. 7. 8. 29
450 Bii> dentflches Lesebaeh in Prima,
deutlich und der Begriff „Stil", der schon im Torhergehenden
Jahre gewonnen worden ist, in seiner Auffassung vertieft. Er
läfst sidi dann leicht auf das Gebiet der redenden Kunst, ja auf
das der erzählenden Wissenschaft übertragen. Die Schüler be-
greifen, warum dieselben Ereignisse von verschiedenen Geschicht-
schreibern nicht gleich dargestellt werden können, weshalb bio-
graphische Portraits sich ebenso unterscheiden müssen wie ge-
malte. So werden sie vor blindem Vertrauen wie vor gedanken-
loser Ablehnung bewahrt, wenn sie nun einen geistreichen Versuch
kennen lernen, den Verlauf der ganzen Weltgeschichte zu stilisieren,
wie das in Fichtes Rede über „die fünf Hauptepochen im Erden-
leben der Menschheit" (1) unternommen ist.
3. Gerade dieses Stück hat vielleicht manchem, der das Buch
ansah. Bedenken erregt, als ob es über die Köpfe der Schüler
hinausgehe. Ich habe es wiederholt in der obersten Klasse ge-
lesen und kann versichern, dafs es ohne grofse Mühe verstanden
wird, erheblich leichter als das unmittelbar folgende von Scheppig:
„Die Bewegung der Geschichte" (2). Beide beschäftigen sich mit
der Frage, ob die Welt besser oder schlechter werde, und er-
gänzen sich gegenseitig aufs beste. Den Begriff der Spekulation
kann man da, wo Schiller und Goethe und ihr Gegensatz behandelt
werden, nicht umgehen; ihn zu definieren oder überhaupt im
Abstrakten zu erläutern ist eine üble Sache. Hier sehen die
Schüler an einem klassischen Beispiel, wie „ohne Rücksicht auf
irgend eine Erfahrung" aus blofsen Begriffen eine Ansicht von
den Dingen entwickelt wird, die doch mit dem Anspruch auftritt,
ein Bild der Wirklichkeit zu geben; und sie finden sich darin
zurecht, weil der Stoff, mit dem operiert wird, ihnen vertraut ist.
Auf der andern Seite dann bei Scheppig eine schöne Probe jener
Betrachtungsweise, die nicht von den Prinzipien ausgeht sondern
aus der bunten Fülle des Stoffes die beherrschenden Ideen zu
erkennen trachtet, nicht vom Ganzen ins Einzelne hinab sondern
aus dem Detail zu den allgemeinen Begriffen aufwärts steigt Es
ist das alte Doppelwesen von Deduktion und Induktion, jede von
beiden hier nicht nur als eine Methode zu verstehen, statt deren
man den Umständen nach auch die andere benutzen könnte,
sondern als Ausdruck der Geistesart eines ganzen Hannes. Und
eben dieser Gegensatz durchdringt, von Piaton und Aristoteles an
bis in die wissenschaftliche Polemik unserer Tage herab, so sehr
das Forschen und Denken der Menschheit, dafs man wohl thut
ihn jungen Männern, die an dieser grofsen Arbeit selbständig
teilzunehmen sich rüsten, im voraus klar zu machen.
Ein zweites Paar von ähnlicher Bedeutung bilden Witz und
Scharfsinn, dem breiten und dem spitzen Blick in der Betrachtung
des Kunstwerkes entsprechend. Jean Pauls Vergleich beider Fähig-
keiten (36) ist vielleicht das Schwerste, was mein Buch enthält;
seine Gedanken für Primaner zu vollem Verständnis zu bringen
r
V 0 n P. C a a e r. 45 1
nicht m5glicb. Aber auch das schadet einmal nichts; mögen sie
ffihlen, dafs es im Himmel und auf Erden Dinge giebt, von denen
ihre Schulweisheit sich nichts träumen lälst. Die Vorrede zu
Lessings Laokoon verlangt eine Erklärung der beiden BegrifTe,
und ihr Grundverhältnis erkennt man bei Jean Paul doch deutlich
genug. An dem Namen „Witz** nehmen die Jungen zuerst An-
stofs; aber sie gewöhnen sich bald daran und entschliefsen sich
Benjamin Franklins Entdeckung und den kühnen Plan des Columbus
als Thaten des Witzes zu begreifen. An ein paar weiteren Bei-
spielen fangen sie dann an einzusehen, wie die grofsen Fortschritte
der Wissenschaft immer durch ein Zusammenwirken der beiden
Kräfte zu stände gekommen sind, und dafs Lessings geringschätziges
Urteil über die eine von ihnen doch keine absolute Geltung be-
hauptet. — „Es bildet ein Talent sich in der Stille, sich ein
Charakter in dem Strom der Welt*': wenige höhere Schulen wird
es geben, an denen diese Verse nicht von Zeit zu Zeit das Thema
eines deutschen Aufsatzes abgeben. Lessings Dramaturgie ladet
dazu ein, das Verhältnis des Genies zur Regel zu untersuchen.
Manches Verwandte liefse sich anfuhren. Und auch in Jahren,
wo solche Aufsätze gerade nicht vorkommen, wird man dafür
sorgen wollen, dafs Worte dieser Art den Schölem nicht blofse
Worte bleiben. Sie in erster Linie sind wohl auch gemeint, wenn
in deD „Lebrplänen'' empfohlen wird, durch „Erörterung wichtiger
allgemeiner Begriffe und Ideen" in Prima ein Stuck philosophischer
Propädeutik zu bieten. Nun mag es Lehrer geben, die im stände
sind dergleichen in ganz freier Entwickelung lebendig werden zu
lassen; ich bekenne, dafs mir das immer eher gelungen ist, dafs
die eigenen Gedanken leichter und reichlicher zuströmten, wenn
ich mich interpretierend an die Darstellung eines gedankenreichen
Schriftstellers anschlielsen konnte. Das dritte „Programm** aus
Jeau Pauls Ästhetik, „Über das Genie" (34), gab gerade durch
seine Schwierigkeit willkommene Stutzen für die gemeinsame
Überlegung; und mit besonderer Genugthuung habe ich ein Stock
Ton Herbart, dessen Name heutzutage so viel unnützlich geführt
wird, meinen Primanern erklärt, noch dazu aus der Pädagogik:
„Der sittliche Charakter'* (44).
Bei einem Gegenstande wie diesem letzten wenden sich von
sdbst die Gedanken auf das Praktische; was Charakter sei, kann
man mit Jünglingen, die man zu erziehen hat, nicht besprechen,
ohne dab in ihnen der Trieb gestärkt wird, einen eigenen zu
erwerben. Ähnliche Wirkung versprechen zwei nicht zu schwierige
Stöeke aus Kants Kritik der praktischen Vernunft, deren eines
(43) um des Einflusses willen aufgenommen worden ist, den Kant
auf Schillers ethische Weltanschauung gehabt hat; als wir in
Unter-Prima „Das Ideal und das Leben** zu bewältigen suchten,
bnd sich hier ein Teil der notwendigen Voraussetzungen. Der
andere, kürzere Aufsatz ist von Kant als „Beschluß** seines Werkes
29*
452 Bi° deatsehes Lesebaeh io Prima,
gegeben und steht auch in meiner Sammlung am Ende (45).
Indem er das Bewufstsein des moralischen Gesetzes in uns mit
dem Anschauen des bestirnten Himmels über uns vergleicht und
aus beiden das Geföhi des Zusammenhanges mit einer übersinn-
lichen Ordnung der Dinge ableitet, nährt er die Achtung vor dem
Unendlichen, Unbegreiflichen und kann als Gegengift in einem
Unterrichte dienen, der sonst naturgemäfs gerade darauf abzielt,
den Verstand zu wecken und aufzustacheln, dafs er nichts im
Dunkeln lasse. „Der Mensch mufs bei dem Glauben verharren^
dafs das Unbegreifliche begreiflich sei; er würde sonst nicht
forschen** sagt Goethe. Diese Zuversicht suchen wir auch dem
heranwachsenden Geschlecht einzupflanzen; aber sie darf nicht zu
der Einbildung verleiten, dafs das Unbegreifliche schon begriffen
und damit aus der Welt geschafft sei. Unsere Schuler werden
angehalten, sich bei dem, was sie lesen und hören, nicht mit
halbem Verständnis zu begnügen; aber eben dadurch, dafs wir sie
nötigen ihre Kräfte bis aufs äufserste anzuspannen, fähren wir
sie an die Grenze, die naturgemäfs dem Verstehen gezogen ist,
und lehren sie das Gebiet anerkennen, das jenseits liegt. Daran
wurde schon vorher bei Jean Paul erinnert. Lazarus* Vortrag
über den Takt (39) giebt reichlich Anlafs von dem Teil der
Seelenthätigkeit zu reden, der sich unbewufst abspielt, der auch
im täglichen Leben überall in schönen oder häfslichen Wirkungen
hervortritt, während er selbst sich unserer Beobachtung und Be-
rechnung entzieht. Und unmittelbar zwingen die Werke der
Klassiker den Betrachter zur Selbstbescheidung. ,,Iphigenie** und
„Tasso**, „Hamlet**, Schillers „Spaziergang**, sein Vergleich von
Realist und Idealist lassen sich nicht auflösen wie eine mathema-
tische Aufgabe; es bleibt immer ein irrationaler Rest, der nur
mit dem Gefühl erfafst werden kann und in dem doch das eigent-
lich Entscheidende enthalten ist. Wer will, mag denen nachgehen,
die das Geheimnis des Daseins mit einem wohlgeordneten System
von theologischen oder metaphysischen Begriffen überbaut haben;
wir halten es wieder mit Goethe, wenn er bekennt: „Das schönste
Glück des denkenden Menschen ist, das Erforschliche erforscht zu
haben, und das Unerforschliche ruhig zu verehren**.
4. Für die Jugend allerdings ist noch die Menge des Erforsch-
liehen, das ihr bevorsteht, übergrofs; und wir werden doch immer
am liebsten ihre Blicke nach dieser Seite lenken und jungen
Männern, die wir nach wenigen Monaten oder Wochen zu den
Berufstudien entlassen wollen, von dem Reiz und der Fülle der
Aufgaben erzählen, die von ihnen bezwungen werden sollen. Dafs
die Grund Verhältnisse des Staatslebens einmal im Zusammenhang
erörtert werden, gehört zu den Pflichten der obersten Klasse eines
Gymnasiums; und die Hoffnung, die ich vor sieben Jahren hegte»
hat mir der Erfolg bestätigt, dafs die Einleitung von Dahlmanns
Politik, „Wie der Staat zu der Menschheit stehe** (7), einen be-
voo P. Caaer. 453
quemen Anhalt dafür bietet. Dies Stuck ist eines von denen, die
nicht wohl dem eigenen Studium der Schüler zugewiesen werden
können; die taciteische Gedrungenheit des Stiles verlangt eine
sorgGlitige Ergänzung zahlreicher Zwischenglieder des Gedankens,
wie sie nur in fortlaufender Erklärung von Absatz zu Absatz ge-
wonnen werden kann. Eben das Suchen danach ist es aber, was
den Geist in Bewegung setzt, im Lehrer mitteilsam, in dea Ler-
nenden empfänglich macht. Als Burger des Staates sollen alle
einmal ihren Platz ausfüllen; in den Berufsarten gehen sie bald
aus einander, und es ist nicht möglich auf jede in gleicher Weise
vorzubereiten. Doch etwas ist mehr als nichts. Ich habe es mir
zur Regel gemacht, jährlich in den letzten Stunden vor der Reife-
prüfung einen Zweig der Wissenschaft oder des öffentlichen Lebens
in der Darstellung eines Heisters den Schülern nahe zu bringen.
Aach die, welche zu einer anderen Laufbahn entschlossen waren
— nnd das war gewöhnlich mehr als die Hälfte — , fanden dabei
ihre Rechnung. Denn wenn die Stellung einer einzelnen Wissen-
schaft im gesamten Kreise der menschlichen Interessen bestimmt
werden sollte, so ergab sich von selbst, dals benachbarte oder
entgegengesetzte Geistesrichtungen mit betrachtet und geprüft
worden. Droysens scharfe und geistvolle, wenn auch vielleicht
nicht ganz gerechte Polemik gegen Buckle („Erhebung der Ge-
schichte zum Rang einer Wissenschaft", 17) ist von einem
Historiker für Historiker geschrieben ; aber sie behandelt ausführ-
lich den grofsen Gegensatz zwischen exakter Forschung und
Geisteswissenschaft und nötigt den, der dem Autor folgen will, in
den innersten Grund dieses Unterschiedes einzudringen. Dasselbe!
leistet von der andern Seite her die schon erwähnte Rede „Über
das Verhältnis der Naturwissenschaften zur Gesamtheit der Wissen-
schaft'^ (16) von Helmholtz, der bereitwilliger als Droysen auch
das fremde Gebiet mit teilnehmendem Verständnis umfafst und
vorzugsweise dazu helfen kann, dafs durch klare doch friedliche
Scheidung der Prinzipien die Jünger der einen Wissenschaft zur
Achtung auch der andern erzogen werden. Er selbst sprach mir,
als ich die Erlaubnis zum Abdruck von ihm erbat, seine Freude
aas» dafs diese Gedanken den Primanern nahe gebracht werden
sollten. Nicht ganz so in die Tiefe steigt die Vorlesung über
„Philologie und Sprachwissenschaft'' (18), mit der einst Georg
Curtius seine Lehrthätigkeit in Leipzig eröffnete; aber auch hier
wird ein Grenzgebiet zweier Wissenschaften behandelt, dessen
Kreuzungsverhältnisse sich an vielen Stellen des menschlichen
Geisteslebens wiederholen. Wer sie einmal deutlich erkannt hat,
wird nachher leichter der Gefahr widerstehen, in einseitigem Fach-
interesse sich abzuschliefsen. Denn diese Anschauung möchten
wir doch unsern Schülern, im Gymnasium wie auf der Universität,
mitteilen und zu lebendiger Kraft in ihnen steigern, an welcher
Stelle immer sie später berufen werden der Gesellschaft zu dienen.
454 ^^^ dentsches Lesebaeh in Prima, von P. Ctner.
dafs Wissenschaft und Kunst, Litteratur und Geschichte, Religion
und Recht, jeder dieser Kreise „kein Dasein für sich hat, sein
Wesen vielmehr das Leben der Menschen selbst ist, von einer
besonderen Seite angesehen*\ In Bezug auf das Recht lehrt dies
Savigny in seiner Schrift „Vom Beruf unserer Zeit für Gesetz*
gebung und Rechtswissenschaft'* (1814), deren grundlegende Ab-
schnitte („Entstehung des positiven Rechts. Gesetze und Rechts-
bücher. Römisches Recht/' 8 ) ich gerade im letzten Winter mit
unsern Abiturienten durchgearbeitet habe. Wenig modern sind
die Gedanken, die hier vorgetragen werden; um so mehr tbut
eine Besinnung auf sie not. Und vielleicht mag in einem jungen
Juristen die Art, wie er hier zuerst seine Wissenschaft kennen
lernt, den Trieb wecken, durch den er künftig selber sich ihr
Wesen erschliefsen soll. Denen aber, die nach dem Examen
andere Wege gehen, ist es vollends kein Schade, wenn sie von
ius legitimum und ins praetorium, von actiones utiles und directae
etwas gehört und, über dergleichen Einzelheiten hinaus, von den
geistigen und sittlichen Grundlagen einer Macht, die unser ganzes
öffentliches Leben durchdringt, eine Ahnung bekommen haben.
Dasselbe gilt vielleicht in noch höherem Grade von dem köstlichen
Kapitel aus Clausewitz: „Der kriegerische Genius*' (40), in dem
die Eigenschaften, deren der Soldat und der Feldherr bedarf, in
schlichtester Sprache und doch mit voller Einsicht in ihren tieferen
Zusammenhang dargelegt werden, und von dem idi kühnlich be*
haupte, dafs seine Interpretation, die freilich nicht in einer Woche
abgethan ist, einen propädeutischen Kursus der Psychologie» wie
er in Prima gegeben werden könnte, reichlich ersetzt
Wes das Herz voll ist, des gehet der Mund über: das iäfst
man gern gelten. Trotzdem könnte der Eifer, mit dem hier
über eigene Versuche berichtet worden ist, den störenden Ein-
druck machen, als solle das gleiche Verfahren zu allgemeiner
Annahme empfohlen, gar Widerstrebenden aufgedrängt werden.
Vielleicht gelingt es, solcher Auffassung vorzubeugen. Vor drei
Jahren, als man an der Herstellung der neuen Lehrpläne arbeitete,
wurde ich neben anderen vom Herrn Kultusminister zu einem Gut-
achten darüber aufgefordert, in welcher Weise zur Durchführung
der in der Schulkonferenz gefafsten Beschlüsse „der Gesamt-
lehr- bezw. Gedächtnisstoff im deutschen Unterricht an allen höheren
Schulen, den Lehraufgaben derselben entsprechend, zu vermindern,
zu gruppieren und auf die einzelnen Klassenstufen der Gymnasien«
Realgymnasien, Oberrealschulen oder höheren Bürgerschulen zu
verteilen sei'*. Den Inhalt der daraufhin eingereichten Denkschrift
zu veröffentlichen wäre kaum angebracht; aber die Worte, mit denen
sie schlofs, setze ich unverändert her, weil sie fast genau auch zu
dem passen, was ich hier ohne amtliche Veranlassung gesagt habe:
Der se^enwart. Stand d. Schulbibelfrage, v. A. Bähnisch. 455
„Die bestiminte und zuversichtliche Sprache, in der die vor-
stehenden Darlegungen gehalten sind, ist zum Teil eine Folge des
Strebens nach Kürze, in der Hauptsache aber doch ein Ausdruck
der lebhaften Oberzeugung von der Richtigkeit der vorgetragenen
Anschauungen. Je entschiedener ich mich zu diesen bekenne,
um so mehr halte ich es für Pflicht hinzuzufügen, dafs alle aus
ihnen abgeleiteten positiven Vorschläge nur eine unter vielen ver-
schiedenen Möglichkeiten bezeichnen. Das Gedeihen des deutschen
Unterrichtes beruht noch mehr als das jedes anderen auf der
vollen Lust und Frische, mit der der Lehrer ihn erteilt. Mir
persönlich ist durch das Vertrauen meiner nächsten Vorgesetzten
für Aea deutschen Unterricht in Prima, den ich seit sieben Jahren
erteile, grofse Freiheit der Bewegung verstattet worden. Wenn
ich diese in meinem und im Sinne meiner Schüler oft dankbar
empfunden habe, so darf ich zugleich mit diesem Danke wohl
der HoffnuDg Ausdruck geben, dafs meine eigenen, zum Zweck
der Obersichtlichkeit in kategorische Sätze zusammengefafsten
Erfahrungen nicht dazu beitragen mögen, für den Unterricht im
Deutschen eine bestimmte Richtschnur festzustellen, dafs vielmehr
meine Arbeit helfen möchte dem Herbartschen Grundsatz An-
erkennung zu verschaffen: Ein gemeinsamer und gleicher Lehr-
plan für die Schulen eines ganzen Staates ist nicht möglich; der
Lehrplan muJb für jede einzelne Schule nach örtlichen und
persönlichen Verhältnissen besonders entworfen werden/*
Kiel, Paul Cauer.
Der gegenwärtige Stand der Schulbibelfrage.
Die Völkersche, die Glarner und die Bremer Schulbibel.
Seit langer Zeit ist die Frage nach der Notwendigkeit und
BeschaflTenheit einer Bibel für Schulen von Lehrern und Geist-
lichen lebhaft erörtert worden; gegenwärtig ist die Angelegenheit
in einigen deutschen Staaten zu einem gewissen Abschluls ge-
kommen, in andern scheint ein solcher bevorzustehen, da die
Kirchen- und Schulbehörden, die sich lange der Sache ziemlich
abgeneigt zeigten, mehr und mehr die Notwendigkeit einer Schul-
bibel anerkannt haben ^).
*) Aiufiilirlieh habe ieh di« Sehalbibelfrtge behandelt io der Sehrifl:
lit eioa Scholbibel aotwendis ond wie mofs sie besehafTen sein ?, in der sich
aaeli die ausgedehnte Litteratnr über den Gegrenstand ang^eg^eben findet. Sie
enMem im Jahreaberieht des Königl. Evangelischen Gymnasinms in Glogaa
1692, tfSter in erweiterter Form in den Zeitfragen des christlichen Volks-
lebens, Heft 126 (Band 17, Heft 6). Stuttgart 1892, Belser. 0,80 M. -- Vgl.
feracr besonders Dix, Geschichte der Schnibibel (Gotha 1892. 0,60 M.), ond
456 D^f §egenvftLri\g9 Stand der Schalbibelfrage,
Im Königreich Sachsen erklärte das Konsistorium 1867:
„Wir sehen nicht ein, wie bei der jetzt bestehenden Einrichtung
der grofse Nachteil und Seelenschaden abgewandt werden soll,
der durch einzelne Stellen der Schrift hervorgerufen werden
kann'S und hier erschien 1875 die Schulbibei von Hofmann,
Professor der Theologie in Leipzig (Dresden, Meinhold und Söhne.
Dritte Auflage 1887). In der Schweiz wurde 1887 die (Glarner)
Familienbibel herausgegeben, deren erste drei Auflagen zusammen
60 000 Exemplare umfafst haben und die für 1894 bereits in
vierter Auflage angekündigt ist. In Württemberg gab das
Ministerium 1876 ein Verzeichnis der in der Schule zu lesenden
Stellen der Bibel heraus, und diese wurden 1889 im amtlichen
Auftrage von Direktor Press el zu einem Bibelauszuge vereinigt.
In Preufsen haben sich Kirchen- und Schulbehörden lange
im wesentlichen ablehnend verhalten, und nach dem Centralblatt
für die Unterrichtsverwaltung war eine Schulbibel, die Hofmannscbe,
1890 nur an drei höhern Lehranstalten im Gebrauch. In neuester
Zeit hat jedoch der Oberkirchenrat, dem der seit Jahren auf
dem Gebiet der Schulbibel unermödlich tbätige Rektor Völker in
Berlin seine verschiedenen Bucher zur Prüfung vorgelegt hat, in
mehreren Gutachten die Notwendigkeit und Nützlichkeit einer
Schulbibel anerkannt. Über die zweite Auflage von Völkers
Biblischem Lesebuch (1893) urteilt der Oberkirchenrat, „daüs der
darin gebotene Auszug besser, als es die ganze Bibel oder die
biblische Geschichte für die Schule darbieten kann, ein geeignetes
Hilfsmittel werden könne, die reifere Jugend in den Gebrauch
und das Verständnis der Heiligen Schrift einzuführen^', und in
einem der Gutachten erklärt der Verfasser: „Der Wert dieser
Kürzungen ist ein zweifacher. Sie beseitigen einmal die Mög*
Zange: Ist eine Schalbibel nötig? in der Kirchlichen Monatsschrift von
Pfeiffer 1890, Band 9, Heft 4 nnd 5. Zu dem dort Mitgeteilten ist vor allem
nachzatragen, dafs sich inzwischen die Religionslehrer-Versammliingea
von Posen 1892, Hessen-Nassao 1893, der Rheinproviaz 1893 and
Schlesien 1894 mit der Sache beschäftigt haben (Zeitschrift far evaag.
ReligioDsanterricht IV 156. 320. 321). Die Posener Versammlung nahm nach
dem Vorschlage des Direktor Heidrich den Satz an : „Eine Schalbibel ist für
die mittleren Klassen der hohem Lehranstalten ein Bedbrfnis", in der Rhein-
provinz und, wie es scheint, auch in Hessen-flassaa wurde nur Bericht über
die Sache erstattet Auf der Versammlung schlesischer Religionslehrer im
März 1894 in Breslau sprach Herr Direktor Weck über die Schul bibelfrage«
im besondern über die Bremer Schulbibel ; er hat die Güte gehabt mir seine Auf-
zeichnungen zur Benutzung zu überlassen. Der auf streng positivem Stand-
punkt stehende Berichterstatter trat aus pädagogischen Gründen mit EbI-
schiedenheit für eine Schulbibel ein. Von seinen Thesen kamen der vor-
gerückten Zeit wegen nur zwei zur Behandlung, nämlich: 1. „In alleo
evangelischen Lehranstalten, höhern wie niedern, ist dem Religionaunterridit
eine Schulbibei zu Grunde zu legen". 6. „Obwohl nicht frei von Mängeln,
entspricht unter den bisherigen Versuchen die Bremer Schulbibei den be-
rechtigten Anforderungen am besten". Die Versammlung nahm diese Satze
einstimmig an.
voB A. BShnisch. 457
liehkeity dab die Kinder in den Unterrichtsstunden beim Bibellesen
durch Überschlagen von Versen und Abschnitten auf das An-
stöfsige aufmerksam werden, es hier oder später heimlich lesen
und als verbotene Früchte suchen lernen. Hiermit ist die haupt-
sächliche Gefahr des Gebrauchs der ganzen Bibel in ihrem un-
verinderten Wortlaute erwähnt, und ich bekenne mich zur Partei
derer, welche sie mit allen Mitteln zu bekämpfen suchen. Mit
dem S'erfasser können viele Geistliche und Lehrer zahlreiche Bei-
spiele von unsittlichem Gebrauche der Bibel anführen, oft auch
nachweisen, dals Kinder, welche ihm gefrönt, früh in andere
sittliche Gefahren gekommen und in ihnen untergegangen sind.
Tragt auch oft die häusliche Erziehung die Hitschuld, so mufs
doch die Schule, welche aus ihren Unterrichtsbüchern stels die
Anstölse entfernt hat, ein Buch gern annehmen, welches sie in
Stand setzt, dies Bemühen auf den gesamten Religionsunterricht
auszudehnen. Den andern Vorzug der Arbeit finde ich in der
durck Kürzung enfstandenen Übersichtlichkeit. Es ist eine
Freude zu empfinden, wie bestimmt und klar die Hauptsachen
der Darstellung heraustreten, nachdem das die Hauptgedanken
und die heilsgeschichtlichen Thatsachen für das Verständnis der
Kinder und auch vieler Laien Verhüllende weggefallen ist. Hau
wird es unschwer unternehmen können das Buch Hiob, den
Jesaja und andere gröfsere Abschnitte in vielklassigen Elementar-
schulen, Töchterschulen u. s. w. zu lesen, und man wird es nicht
als fruchtlos zu bereuen haben. Die Leselust mufs erheblich
wachsen, wenn Kinder und Laien von vornherein die Möglichkeit
sehen den Stoff mühelos und seinem Inhalte nach vollständig zu
bewältigen. Ja ich stehe nicht an zu hoffen, dafs der biblische
Geschichtsunterricht durch Gebrauch dieses Buches
auf eine höhere Stufe gebracht wird^*^).
Da zugleich im Februar 1894 eine neue Schulbibel, die der
Bremer Bibelgesellschaft, erschienen ist, so dürfte es an der Zeit
fein den gegenwärtigen Stand der ganzen Angelegen-
heit einer Betrachtung zu unterziehen. Im folgenden
beabeichtige ich die Schulbibeln zu besprechen, die nach meiner
Meinung für die Einführung allein in Frage kommen, nämlich die
Bücher Völkers, die Glarner. und die Bremer Bibel; um den rich-
tigen Hafsstab für die Beurteilung zu gewinnen, wird es nützlich
sein vorher ini allgemeinen zu erörtern, wie eine Bibel fttr
Sdiafen beschaffen sein mttsse.
Der Hauptgrund für die Notwendigkeit den Schülern statt
der VoUbibel einen Auszug in die Hand zu geben liegt nach dem
^) DiB Vorstehende fladet sich io einer Mitteilon; der Verlasshaodlong
■■d des Verfassers, die zasaDoen mit Völkers Biblischem Lesebuch ver-
schickt wird.
458 ^^i* ge^enwärtic^e Stand der Schalbibelfrage,
Urteil des Oberkirchenrats in dem Umstände, da& zahlreiche
Stellen der Heiligen Schrift, namentlich des Alten
Testaments, die Sittlichkeit der Jugend gefährden,
indem sie geschlechtliche Dinge mit einer Offenheit behandeln,
wie sie sonst im heutigen Leben nicht üblich ist. Diese Stellen
sind von zweierlei Art: sie handeln teils von wirklich unsittlichen
Dingen, teils von natürlichen Vorgangen des geschlechtlichen Ge-
biets. Von der ersteren Art sind z. B. die Erzählung von Lots
Töchtern 1. Mose 19, 30—38; Onan 38, 8. 9; Juda und Thamar
38, 12 ff.; Ehebruch und Unzucht 3. Hose 18 und 20, 10 if. 4. Hose
25, 8. 5. Mose 22; Elis Söhne 1. Sam. 2, 22; Amnon 2. Sam. 13;
Absalom 2. Sam. 16, 21 f.; die (bildlich zu verstehende) Bahlerei
Judas und Israels mit den Heiden Hesek. 16 und 23; die Laster
des Heidentums Rom. 1, 26 f.
Die Gegner der Schulbibel pflegen in Bezug auf solche Stelien
zusagen, dafs in ihnen meist der VersOndigung die Strafe
folge. So seien sie im Gegenteil geeignet von der Sunde abzu-
schrecken, und die Schule müsse sie deshalb gerade recht ein-
dringend behandeln und zu ernster Warnung und Ermahnung
benützen. Das gilt in der That von manchen Stellen, z. B. der
Geschichte von David und Bathseba; von den oben angeführten
liefsen sich etwa die Erzählungen von Elis Söhnen und die yon
Absalom so behandeln. Aber an vielen SteUen ist von Strafe
keine Rede, z. B. nicht bei der Geschichte von Lots Töchtern,
und die jüdischen Anschauungen stimmen überhaupt auch auf
diesem Gebiet nicht völlig mit den unsern überein. Ferner aber
haftet der Blick des Schülers viel zu sehr am Nächsten, als dafs
er nicht durch die Schilderung des Unerlaubten mehr angezogen
als durch die darauf folgende Erzählung der Strafe abgeschreckt
werden sollte. Mit Recht sagt Palmer ^): „Das Mittel, von deoi
Laster durch Vorhaltung der traurigen Folgen abzuschrecken, yer-
fehlt seinen Zweck leicht darum gänzlich, weil der Zögling bald
dahinter kommt, dafs jene Folgen, namentlich der Sünden gegen
das sechste Gebot, keineswegs immer wirklich eintreten, eine
Wahrnehmung, auf die er augenblicklich die Hoffnung gründet,
dafs gerade bei ihm, wenn er es klug angreife, wenn er mit
seinen Excessen ein gewisses Mafs einhalte, jene Folgen nicht
eintreten werden'*.
Dann aber giebt es aufser den Stellen, die Unsittliches
enthalten, eine grofse Zahl anderer, in denen nur das Natür-
liche natürlich erzählt wird, aber doch in einer Weise, die
für das Auge des Kindes nicht bestimmt und sehr geeignet ist
die nachteiligsten Wirkungen zu üben. Hierher gehören von
Abschnitten, die in der Schule behandelt werden, zahlreiche SteUen
1) Unter „Laster" in der Encyklopädie des Erzielian^s« und Unterrichts-
Wesens von Schmid.
voo A. Bähflisch. 459
über Frachibarkeit und Unfruchtbarkeit der Frauen z. B. die Er-
zählung von Hagar I.Hose 16. 2 — 4^); „Sarai sprach zu Abram:
Siehe, der Herr hat mich verschlossen, dafs ich nicht gebären
kann. Gehe doch zu meiner Magd; ob ich vielleicht aus ihr mich
aufbauen möge. . • . Und er ging zu Hagar, die ward schwanger.
Als sie nun sah, dafs sie schwanger war, achtete sie ihre Frau
gering gegen sich"; die Ankündigung der Geburl Isaaks 18, 11 f.:
„Und sie waren beide, Abraham und Sara, alt und wohlbetagt,
also, dafs es Sara nicht mehr ging nach der Weiber Weise. Darum
lachte sie bei sich selbst und sprach: Nun ich alt bin, soll ich
noch Wollust pflegen, und mein Herr auch alt ist?"; die Weiber
and Kinder Jakobs 29,31 -30, 23: 30, 1 „Da Rahel sah, dafs
sie dem Jakob kein Kind gebar, neidete sie ihre Schwester und
sprach zu Jakob: Schaffe mir Kinder; wo nicht, so sterbe ich.
3. Sie sprach aber: Siehe, da ist meine Magd Bilha; gehe zu ihr,
da£s sie auf meinen Schofs gebäre. ... 9. Da nun Lea sah, dafs
sie aufgehört hatte zu gebären, nahm sie ihre Magd Silpa und
gab sie Jakob zum Weibe. . . . 14 — 16. Ruhen ging aus zur Zeit
der Weizenernte und fand Dudaim-Beeren auf dem Felde und
brachte sie heim seiner Mutter Lea. Da sprach Rahel zu Lea:
Gieb mir von den Dudaim deines Sohnes ein Teil. Sie antwortete:
Hast du nicht genug, dafs du mir meinen Mann genommen hast,
und willst auch die Dudaim meines Sohnes nehmen? Rahel sprach:
Wohlan, lafs ihn diese Nacht bei dir schlafen um die Dudaim
deines Sohnes. Da nun Jakob des Abends vom Felde kam, ging
ihm Lea liinaus entgegen und sprach: Zu mir sollst du kommen,
denn ich habe dich erkauft um die Dudaim meines Sohnes. Und
er schlief die Nacht bei ihr"; die Kinderlosigkeit von Samuels
Matter 1. Sam. 5, 6; die Geburt Jakobs und Esaus 1. Mose 25, 21 ff.:
„Der Herr lieJOs sich erbitten, und Rebekka ward schwanger. Und
die Kinder stiefsen sich mit einander in ihrem Leibe. Da sprach
sie: Da mir's also sollte gehen, warum bin ich schwanger worden?
. . • Da nun die Zeit kam, dafs sie gebären sollte, siebe, da waren
Zwillinge in ihrem Leibe. Der erste, der herauskam, war rötlich,
ganz rauh wie ein Fell; und sie nannten ihn Esau. Darnach kam
heraus sein Bruder, der hielt mit seiner Hand die Ferse des Esau;
uad bieben ihn Jakob**; die Weherautter 2. Mose 1,15; Uria und
seio Weib 2. Sam. 16, 5 ff. 11. 13; Luc. 1, 41 „als Elisabeth den
Gni£» Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe**.
Das Wort Beschneidung ist unentbehrlich und auch unan-
^) Ich führe eioif^e Stellen wörtlich an, weil nnr so klar wird, welche
Schwierigkeiten sie im Unterricht bereiten. Die Gegner der Schalbibel
wurden Dich meiner Ansicht manche ihrer Einwendongen anterlassen, wenn
sie, anstatt im allgemeinen über die Frage zu sprechen, den genauen Wort-
laut der einzelnen in Frage kommenden Stellen ins ,Aage fassen wollten.
Aogaführt sind die Stellen nach der „Durchgesehenen Aasgabe" (siehe onten)
TOB 1892.
460 I^^i* gec^enwärtige Stand der Schulbib«lfrage,
stöfsig, da es von vornherein mit der Weibe der HeiUgkeit um-
geben wird und so oft vorkommt, dafs sich der Schüler daran
als an einen feststehenden Ausdruck gewöhnt und nichts Beson-
deres mehr dabei denkt. Während es aber sonst Aufgabe des
Unterrichts ist, dafs der Schüler eine möglichst klare, deutliche
Vorstellung von jeder Sache gewinnt, ist das hier nicht wünschens-
wert, und deshalb sind alle Ausdrücke zu meiden, die von dem
Vorgang der Beschneidung ein anschauliches Bild erwecken und
ihn in seinen Einzelheiten schildern. Von dieser Art ist die
Stelle, wo sie zuerst angeordnet wird, 1. Mose 16, 9 ff., denn da
>\ird auf kurzem Raum fünfmal (11, 14, 23, 24, 25) gesagt, dafs
die „Vorhaut*' beschnitten werden solle. Ebenso ist das Wort „Vor-
haut'' bei Paulus sehr häufig, so heifst es Gal. 2, 7: „Sie sahen, dafs
mir vertrauet war das Evangelium an die Vorhaut, gleichwie
Petrus das Evangelium an die Beschneidung**; das schöne Wort
von dem „Glauben, der durch die Liebe thätig ist", Gal. 5, 6, ist
für den Religionsunterricht unverwendbar und wird thatsäcblich,
soviel ich bemerkt habe, in keinem Spruchverzeichnis angeführt,
denn es beginnt mit den Worten: „In Christo gilt weder Be-
schneidung noch Vorhaut etwas**. In der Erzählung von Sauls
Feindschaft gegen David ist bezeichnend die Art, wie ihn der
König arglistig durch die Hand der Feinde umbringen lassen will,
indem er ihn scheinbar auszeichnet. Die Stelle lautet in der
Vollbibel 1. Sam. 18,20—27 (verkürzt): „Saul sprach zu David:
Du sollst mein Eidam werden. Und Saul gebot seinen Knechten:
So saget zu David: Der König begehrt keine Morgengabe ohne
hundert Vorhäute von den Philistern. Da machte sich David auf
und zog hin und schlug unter den Philistern zweihundert Mann,
und brachte ihre Vorhäute dem König in voller Zahl, dafs er des
Königs Eidam würde**. Von derselben Art ist die Beschreibung
der mit der Beschneidung verbundenen Schmerzen I.Mose 34 und
die häufige Bezeichnung der Heiden als Unbeschnittener z. B.
l.Sam. 17, 26. 31,4. Das Verbum beschneiden selbst mu&
meist beibehalten werden; so sagt die Bremer Bibel mit Recht
Luc. 2, 21 : „Als acht Tage um waren, daüs das Kind beschnitten
würde**, während es bei Hofmann hiefs: „dafs das Kind das
Bundeszeichen empfinge**, ein unzweckmäfsiger Ausdruck, iler
offenbar nur die Neugier rege macht. Auch die Stellen gehören
hierher, an denen das Wort „Hure** vorkommt, ohne dafs etwas
Unsittliches erzählt wird, z. B. die Geschichte von der Rahab Jos.
2, 1 und von Salomos Urteil 1. Kön. 3, 16. (Abschnitte dieser
Art, die im Unterricht nicht oder nur selten behandelt werden,
sind unter anderen: Verunreinigungen 3. Mose 15, 16—33; ver-
botene Heiraten 3. Mose 18; Jungfrauschaft 5. Mose 22, 13 — 30;
zahlreiche Stellen des Hohen Liedes; Ehe und Ehelosigkeit l.Kor.
7, 2 ff. z. B. 2: „Um der Hurerei willen habe ein jeglicher sein
eigen Weib**.)
von A. Bähnitcli. 461
Wie wirkt nun ein solcher Abschnitt im Unter-
richt? Zunächst wird die Aufmerksamkeit der Schuler von
dem Hauptinhalt der Stelle völlig abgelenkt und auf unlautere
Nebengedanken hingewendet. Hat der Lehrer seine Klasse nicht
ganz in Ordnung, so äufsert sich das in Lächeln, Kichern, An-
stofsen des Nachbars oder Sprechen mit ihm und Ähnlichem.
Die Zucht der Klasse braucht deshalb nicht geradezu schlecht zu
sein; wenn der Lehrer nur etwas zu nachsichtig oder mit der
Abteilung wenig bekannt ist, da er vielleicht nur den Religions-
nnterricht erteilt, oder ein jüngerer und unerfahrnerer Mann ist,
so wird man sofort das Gesagte wahrnehmen. Versteht es der
Lehrer die Klasse in der notwendigen Ordnung zu halten, so
pflegt bei solchen Stellen die Haltung der Schuler besonders gut
zu sein, da keiner zeigen will, dafs er an irgend etwas Unge-
höriges denkt. Aber man darf sich durch diese äufsere Ordnung
nicht über die wahre Wirkung in den Herzen der Schuler
tinschen lassen^). Sie ist nicht beseitigt, sondern durch die
Aditung vor dem Lehrer nur zurückgedrängt. Sie zeigt sich
darin, dafs die Augen des Schülers noch weiter am Buche haften,
auch wenn nicht mehr gelesen wird, und tritt dann in der Pause
und nach dicr Schule hervor.
Halten wir uns an ein Beispiel: Eine schöne Erzählung für
alle Stufen des Unterrichts ist die von Salomos Urteil im Streite
der beiden Frauen um ihren Sohn I. Kön. 3, 16 ff. Auf dem
Hintergrund der einfachen Zustände und in der kindlichen Dar-
stellung des Erzählers tritt die schöne Eigenschaft der Mutterliebe
so recht anschaulich und eindringlich dem Schüler vor die Augen.
Der Lehrer wird ihn an seine eigene Mutter und deren nimmer
aufhörende Liebe erinnern, und die Geschichte gehört sicherlich
zu denen, die geeignet sind auf das Gemüt des Schülers Eindruck
zu machen. Das ist aber nur der Fall, wenn er sie in einer Be-
arbeitung kennen lernt. Liest er sie in der Vollbibel und erfährt
er da gleich in der ersten Zeile, dafs es sich um „zwo Huren*'
handelt, so wird seine Aufmerksamkeit sofort auf das verbotene
Gebiet, das in dem Worte angedeutet ist, abgelenkt. Mag er von
der Bedeutung des Ausdrucks viel oder wenig verstehen, mit seiner
Motter wird er die in der Erzählung vorkommenden Frauen nicht
mehr vergleichen. Die ganze Wirkung der Geschichte ist gestört
und vielleicht zerstört durch das eine Wort, und keine Kunst des
Lehrers ist imstande sie völlig wiederherzustellen. Dabei steht
diesen Nachteilen nicht der geringste Vorteil gegenüber; denn es
ist offenbar unmöglich, hier an das Wort Hure etwa eine Warnung
oder Ermahnung anzuknüpfen.
Aber leider ist die beschriebene Wirkung nicht die einzige.
^) Palmer: „Die aniBere Zocht kano die s<>bcimen Gedauken nicht uo'
lo^cb naehen".
'^ii
462 Der gegenwSrtiffd Stand der S eholbibelfrage,
In dem Schüler werden durch solche Stellen unreine Gedanken
erregt, oder schon vorhandenen söndhaflen Begierden neue
Nahrung zugeführt. Nun läfst die Schule die schlimmsten Stellen
ja weg, aber bei vielen Abschnitten ist das unmöglich, weil sie
zu Erzählungen gehören, die nicht übergangen werden können,
und dann kann der Schüler doch so leicht durch Weiterlesen
während der Stunde oder zufälliges Aufschlagen im Unterricht, in
der Pause oder beim häuslichen Lernen auf die Stelle geraten,
die der Lehrer seinem Auge entziehen will. Und in jeder Klasse
giebt es einen oder ein paar verdorbene Jungen, die nach solchen
Stellen suchen und andere darauf aufmerksam machen^).
So wird die Unschuld des Schülers gefährdet, sein religiöses
Bewufstsein geschädigt und die Achtung vor der Bibel untergraben.
Und doch ist Herzensreinheit der Jugend höchster Schatz, das
teuerste Gut, das der Bewahrung des Lehrers anvertraut ist.
Juvenal sagt: Haxima debetur puero reverentia, und Luther er-
klärt: „Die sündigen schwer, die schandbare Worte reden vor
jungen unschuldigen Knaben und Mägdlein. Solche Leute werden
schuldig aller Sünden, die da entspringen aus ihren unbedacht-
samen Worten. Schandbare Worte beflecken des Kindes Herz
und gehen fast schwer wieder heraus. Denn die Jugend ist wie
ein Zunder, der über die Mafsen leichtlich fähet, was bös und
ärgerlich ist^ Wie mag ein Knabe oder Mägdlein wieder ausrotten
ein schandbares Wort? Es wurzelt fort in des Kindes Herz auch
wider seinen Willen und sein Same wächst in seltsamen, wunder-
lichen Gedanken, die ein solcher Mensch nicht beichten darf und
kann ihrer doch nicht los werden'^ Dafs das Bibellesen in dieser
Hinsicht eine schwere Gefahr in sich birgt, hat ja auch das
sächsische Konsistoriuni und der preufsiscbe Oberkirchenrat in
den oben angeführten Äufserungen anerkannt.
Man wendet nun ein, es sei ein ganz falscher Grundsatz
die Kinder und die heranwachsende Jugend über die
Vorgänge des Geschlechtslebens möglichst lange im
Unklaren zu halten. Das stimme freilich mit der Gewohnheit
unserer Zeit, die auf der einen Seite dieses ganze Gebiet mit
übertriebener Ziererei verhülle, während auf der andern Seite die
Unzucht immer mehr zunehme. Weit richtiger sei es, da die
Schüler mit diesen Dingen doch bekannt würden, sie in der
Schule unbefangen zu besprechen. Gerade dadurch, dafs man
dieses Gebiet verhülle, umgebe man es mit einem besonderen
Reize.
Darin liegt manches Richtige. Gewifs mufs die Schule diese
Dinge erwähnen und besprechen, sie darf die in dieser Hinsicht
sich regenden Gedanken nicht unbeachtet lassen, sondern mufs
>) Vergl. den Brief einer Matter io der Zeittehr. fdr ev. Religioos*
onterricht II 4, 334.
von*A. Ba>DiVc]i. 463
sie in ihre Zucht nehmen, um den Charakter ihrer Schüler gegen-
über den hier drohenden Gefahren zu stärken. Aber es mufs das
mit grofser Vorsicht geschehen, und gerade zu einem solchen
Verfahren sind viele Bibelstellen der erwähnten Art durchaus un-
geeignet. Schon oben wurde gezeigt, wie leicht auf diesem Gebiet
selbst ernste Warnungen ohne Frucht bleiben, und das eine mufs
doch jedenfalls vermieden werden, dafs die Schüler durch den
Unterricht mit einer Sünde geradezu bekannt gemacht werden;
denn mit Recht sagt Rückert: „Das Gute wissen, weit ist noch
das Tbun davon; Das Böse kennen ist des Bösen Anfang schon'*.
Die Schuler sind aber je nach der Verschiedenheit des Alters,
der Stände und der Art ihrer Erziehung in verschiedenem Grade
mit diesen Dingen bekannt. So ist es leicht möglich, dafs War-
nungen, die für den einen ganz nützlich sind, bei dem andern
grofsen Schaden stiften. Das gilt besonders von der höheren
Schule, die weit mehr als die Volksschule Schüler der verschieden-
sten Altersstufen in einer Klasse vereinigt. In derselben Ober-
Tertia giebt es gelegentlich neben völlig unschuldigen Kindern von
13 Jahren 18jährige Schüler, die oft wie nach Fleifs und Leistungen
auch nach ihrem Charakter die schlechtesten der Klasse sind.
Nachdrückliche Vorhaltungen, die diesen gelten sollen, gehören
eben um jener andern willen mit ihren Einzelheiten nicht in den
Unterricht, sondern sind unter vier Augen zu machen. Ein-
dringende Mahnungen sind freilich auch an die ganze Klasse zu
richten, aber sie sind allgemein zu halten; durch den Ernst des
Tones, durch einen Blick, der diesen oder jenen besonders trifft,
vermag es der Lehrer sehr wohl so einzurichten, dafs sie auch
in dieser Form tiefen Eindruck machen. Nach seiner Beschaffen-
heit wird jeder für sich daraus entnehmen, was ihm zukommt,
nnd der nicht mehr Unbefangene wird Vorwürfe und Mahnungen
beraoshören, die der Unschuldige nicht bemerkt. Wenn man so
oft hervorhebt, dafs die Erziehung individuell verfahren müsse,
so ist das hier, wo die Verschiedenheit der Zöglinge so grofs ist
und es sich um ein so gefährliches Gebiet handelt, ganz besonders
nötig. Genau der Eigenart des Einzelnen entsprechend können
aber nur die Eltern verfahren, die ihren Sohn sorgfältig kennen,
mit ihm allein zu thun haben und deren EinfluTs in Bezug auf
Erdehnng und Charakterbildung denn doch ein ganz anderer ist als
selbst der des besten Lehrers. Ich verweise in dieser Hinsicht
besonders auf die trefflichen Auseinandersetzungen Schraders in
der Erziebungs- und Unterrichtslehre bei Besprechung des sechsten
Gebots. Er verwirft da jede „genauere Bezeichnung der einzelnen
Sünden, die dem Schuldigen wie dem Unschuldigen gleich schade;
wer sich schuldig wisse, fühle sich ohnehin vollständig und im
Innersten getroffen. Die Schule", föhrt er fort, „ist ihren Schülern
keine Belehrung über diese Verhältnisse schuldig, sondern hat es
den Eltern zu überlassen, was sie nach ihren Grundsätzen und
464 D«r gegenwartige Stand der Schulbibelfrage,
nach Lage der Umstände zu thun für gut befinden. Inbetreff der
noch arglosen Schäler darf sich das Haus mit vollem Fuge jedes
Vorgreifen verbitten" ^).
Wir betreten mit einem solchen Verfahren auch
durchaus keinen neuen Weg. Schon bei den Juden war es
Gesetz, dafs niemand das Hohe Lied vor dem dreifsigsten Jahre
lesen sollte, und Luther pflichtet dem bei'). Das Neue Testament
enthält viel weniger anstöDsige Stellen als das Alte, und wo das
geschlechtliche Gebiet beröhrt wird, geschieht es im Gegensatz
zum Alten Testament mit grofser Zartheit. Man vergleiche z. B.
die Geschichte von der Ehebrecherin Job. 8 mit 4. Hose 25, 8
oder die Auseinandersetzungen des Paulus über Ehe und Keusch-
heit 1. Kor. 7 mit 3. Mose 18. 20; 4. Mose 5; 5. Mose 22. Das ist
kein Zufall, sondern zeigt, dafs auf einer sehr frühen, kindlichen
Kulturstufe') dieses Gebiet allerdings mit grofser Offenheit be-
handelt wird und behandelt werden darf, dafs es aber bei weiter
fortschreitender Entwicklung der Völker mehr verhüllt wird. Wie
zart ist ferner der Ausdruck in Luthers Erklärung des sechsten
Gebots. Es ist bekanntlich neben dem ersten das einzige, in
dessen Erklärung das Verbot fehlt. Offenbar unterliefs es Luther
mit weiser Absicht die Sunden aufzuzählen, die man meiden
müsse, und hielt es für richtiger in keuschen und zarten W^orten
nur das rechte Verhalten anzugeben. Auch in seiner Bibelüber-
setzung war er, wie ein Vergleich der frühern mit den spätem
Ausgaben zeigt, fortwährend bestrebt, den Ausdruck immer wür-
diger und züchtiger zu gestalten^), und die Revisionskommission *)
hat sich bemüht ihm in dieser Hinsicht nachzufolgen, nur dafs
eine Übersetzung sich naturgemäfs immer nur in engen Grenzen
bewegen kann.
Von dem falschen Verfahren die Schüler in der besten Ab-
sicht mit Sünden geradezu bekannt zu machen, möchte ich noch
ein Beispiel anführen. Primaner, in deren Unterricht ich Einblick
erhielt, waren mit dem ersten Kapitel des Römerbriefs beschäftigt
^) In derselben Weise spricht sich aas Grundier, Das sechste Gebot im
KoDflirmandeDuoterricht. Kircbl. Monatsschrift von PfeilTer XIII, 1893, 2, 94 IT.
') Herder, Ober Inhalt, Art und Zweck des Hohen Liedes.
^) Nicht blofs der Ansdrock, auch Sitte und Brauch darf auf dieser Stafe
freier sein, ohne dafs es doch möglich wäre das in einer spätem, weniger
einfachen Zeit nachzuahmen. Caesar erzählt Belle Gall. 6, 21, 5 von deo
Germanen: Intra annum vicesimnm feminae notitiam habuisse in turpisaimis
habent rebus ; cuius rei nulla est occoltatio, quod et promiscue in Onminibas
perluuotor et pellibos aut parvis renonum tegimentis utuntur, magna parte
corporis nuda. Und bei Homer wie im deutschen Mittelalter werden die
Jünglinge, die als Gaste des Königs kommen, von den Töchtern des Hauses
gebadet: Odyssee 3, 464 T6ipQa dk TtjU/juixop XovCiv »aX^l IloXvituarfi
NiaioQos önXordtrj ^vydrriQ NtiXtiiddao. Vgl. Bekker, Homer. BIStler
2, 128, 2.
*) Hofmann, Begleitwort zur Scholbibel.
•) Probebibel S. XLVII.
TOD A Bähoisch. 465
worden, wo es 24 — 27 von den Heiden beifst: „Darum hat sie
Gott aach dahingegeben in scbändliche Lüste. Denn ibre Weiber
haben yer wandelt den natürlichen Brauch in den unnatürlicheo.
Desselbigengleichen auch die Männer haben verlassen den natür-
lichen Brauch des Weibes, und sind an einander erhitzet in ihren
Lösten, und haben Mann mit Mann Schande getrieben*^ Nun
liegen die hier erwähnten Laster selbst unserer heutigen Zeit
glücklicherweise fern, und die meisten Schüler diese? Prima, wenn
nicht alle, gutartige Knaben einer kleinen Stadt, hatten von dem,
was hier gemeint ist, vorher sicherlich keine Ahnung. Der Lehrer
aber hatte die Sache eingehend auseinandergesetzt, ein Aufsatz
Ober Entstehung und Entwicklung des Heidentums nach Paulus
hatte sich daran angeschlossen, und die Schüler wufsten darin
mit der gröfsten Genauigkeit von der Knabenliebe und der
lesbischen Liebe zu reden. Der jetzt verstorbene Lehrer war ein
Mann yon hohem religiösen und sittlichen Ernste, aber ich meine
doch, daTs sein Verfahren nicht gebilligt werden kann.
Auf andern Unterrichtsgebieten verfährt man in
Bezng auf geschlechtliche Dinge auch längst mit grofser Vor-
sicht^). Viele Schriftsteller des Altertums, die man früher be-
nutzte, z. B. Terenz'), würde man heut aus diesem Grunde nie-
mals lesen; Schrader § 43 und 57 verwirft auch Lucian. Die
römischen Elegiker wurden auch vor 1892 gelbst in einer Aus-
wahl in manchen Provinzen nicht zugelassen, und für Ovid
benutzt man jetzt fast ausschliefslich gereinigte Ausgaben wie
den Delectus Siebelisianus. In Büchern, die für Schüler bestimmt
sind, vermeidet man bildliche Darstellungen, die nachteilig wirken
könnten; so enthält Lübkers Reallexikon keine einzige ganz un-
bekleidete weibliche Gestalt. Mingo und Ähnliches ist aus der
lateinischen Grammatik entfernt. Das Ringen Günthers und Sieg-
frieds mit Brunhilde im Schlafgemach wird trotz seiner Wichtig-
keit für den Gang der Handlung in den Bearbeitungen des
Nibelungenlieds für die Schule fast ganz weggelassen, und an der
sich mit Recht immer mehr verbreitenden Abneigung ') gegen die
Schullektüre von Lessings Emilia Galotti hat die Darstellung der
Verdorbenheit des italienischen Hofes sicherlich besonderen Anteil.
Aber, wendet man ein, was von jedem gewöhnlichen Unter-
ricbtsstofT gelten mag, darf man nicht ohne weiteres auf den
') S. oben die Aofserang des Oberkirchenrats.
*) ]■ Lntherf Tiscbreden, Voo Stadien, Aeclamscbe Ausgabe 357 f. wird
enihlt: „Cellarins fragte Lotber am Rat, es wäre ein Schnluieister in
Seblesieo, der bStte sieb Yorgenommen eioe Komödie im Terentio za spielen ;
▼iele irgerten sieh daran, gleicb als gebfibrte einem Cbristenmenscben nicht
solch Spielwerk ans heidnischen Poeten Da sprach Lather: Gbristen
soUcB Komödien nicht ganz nod gar Sieben, darum dafs bisweilen grobe
Zöletk nad Bahlerei darinnen seien, dn man doch um derselben willen auch
die Bibel nicht dürfte lesen'^
') Frans Kern, Deutsche Dramen als Schullektüre S. 10 f.
Settoebr. t d. Q7m]uun«lwMe& XLYIIL 7. 8. 30
466 Der'gegenwärtige Staod der Schalbibelfrage,
Religionsunterricht und die Bibel übertragen. Goll ist nicht ein
Versucher zum Bösen, die weihevolle Stimmung der Religions-
stunde mufs jeden unreinen Gedanken niederhalten, wir haben
kein Recht die Bibel zu ändern, und der Protestantismus ist
im besondern auf den Gedanken gebaut, dafs die Heilige
Schrift allen zugänglich sei. Auf die meisten dieser Ein-
wände meine ich schon oben geantwortet zu haben. Was den
letzten anlangt, so wollte Luther dem Volke die Bibel zugänglich
machen, aber die Schuljugend ist nicht das Volk. Die Bibel ab
Ganzes ist ein Buch für Erwachsene, kein Schulbuch, und das
Bibellesen in der heutigen Ausdehnung war zu Luthers Zeit
natürlich schon deshalb unmöglich, weil es an den nötigen Büchern
fehlte. Auch empfiehlt Luther selber eine Auswahl, indem er in
dem Sendschreiben an den christlichen Adel sagt: „Viel Bücher
machen nicht gelehrt, viel Lesen auch nicht, sondern gut Ding
und oft lesen, wie wenig sein ist, das macht gelehrt in der Schrift
und fromm dazu''^). Er hebt eine Anzahl Bücher als die „rechten,
gewissen*S die „rechten und edelsten Hauptbücher^* heraus und
sagt: „Das sind die Bücher, die dir Christum zeigen und alles
lehren, was dir zu wissen gut und selig ist, ob du schon kein
ander Buch nimmer sehest noch hörest. . . . Wenn diese aus sind,
so soll man's wieder von vorn anfangen. Denn es ist nicht
fruchtbar, die Jugend mit hohen und schweren Büchern zu be*
laden"'). Auch werden im Gottesdienst der Erwachsenen die
meisten Stellen, um die es sich hier handelt, nie berührt, ge-
schweige denn in ihrem ganzen Wortlaut vorgelesen. Da wird es
wohl kein so grofses Unrecht sein sie aus dem Unterricht der
Jugend zu entfernen. Auf Luther darf man sich überhaupt nicht
berufen, wenn es sich um Festhalten am blofsen Buchstaben der
Bibel ohne Rücksicht auf seinen Inhalt handelL Er stand durch-
aus auf dem Standpunkt des Wortes 2. Kor. 3, 6: Der Buchstabe
tötet, aber der Geist machet lebendig. Wie wegwerfend urteilte
er über manche biblische Bücher, und wie frei verfuhr er mit
dem ersten Hauptstück, indem er das zweite Gebot wegliefsj die
Zählung aller folgenden änderte und das zehnte in zwei zerlegte.
Wie die vorhandenen Schwierigkeiten zu heben
sind, ist aus dem Vorhergebenden schon ersichtlich. Stellen, die
in der Schule wie im Gottesdienst stets weggelassen werden und
von denen man nicht wünscht, dafs der Blick des Schülers auf
sie falle, sind wegzulassen, Stellen wie die von der Geburt Esaus
und Jakobs oder Salomos Urteil durch Auslassungen und Ände-
rungen unanstöfsig zu gestalten. Im übrigen ist die Sünde
durchaus mit dem rechten Namen zu nennen und übertriebene
Ziererei zu meiden. Stellen, die zur Warnung vor den Sünden
1) Äholich Tisehreden S. 356 f.
*) Unterricht der VisiUtoren 1528.
voD A. BahDiseb. 457
des sechsten Gebots geeignet sind, sind beizubehalten, aber es i$t
lu prüfen, ob sie in ihrem ursprunglichen Wortlaut sich wirklich
dazu eignen, oder ob vielleicht die Gefahr nahe liegt, dafs sie
mehr Schaden als Nutzen stiften; im letzteren Falle sind auch
sie umzugestalten. So beifst es in der Geschichte von Joseph in
Potipbars Hause 1. Hose 39, 7: „Und es begab sich, dafs seines
Herren Weib ihre Augen auf ihn warf und sprach: Schlafe bei
mir!** Für den Unterricht ist offenbar der Wortlaut der Bremer
Bibel weit vorzuziehen „daCs seines Herren Weib ihre Augen auf
ihn warf und wollte ihn verfl]hren*^ Die Sonde ist genugsam
angedeutet, der Lehrer kann die Stelle zu ernster Mahnung be-
nutzen, aber es ist ihr alles Verlockende genommen durch Be-
seitigung des Ausdrucks, der den Vorgang des Ehebruchs selber
beschreibt. Ebenso steht es mit der Erzählung von Davids Fall
2. Sam. 11, die ja in jeder biblischen Geschichte steht. Anstöfsig
sind hier die Verse 4 und 5: „Und David sandte Boten bin und
liefs sie holen. Und da sie zu ihm hinein kam, schlief er bei
ihr. Sie aber reinigle sich von ihrer Unreinigkeit, und kehrte
wieder zu ihrem Hause. Und sie ward schwanger und sandte
hin und liefs David sagen: Ich bin schwanger worden'*. Ebenso
ist 9 — 13 zu beseitigen, wo der König einen Besuch Urias bei
seinem Weibe veranlafst, damit sein Unrecht nicht an den Tag
komme. (Genaueres über die Umgestaltung dieser Worte siehe unten.)
Die so geänderte Bibel ist auf den höhern Lehranstalten
jedenfalls bis zur Unter-Sekunda zu benutzen. Denn auf
den Stnfen, auf denen vorzugsweise das Alte Testament im Zu-
sammenbange gelesen wird , in den Klassen Quarta bis Unter-
Sekunda, befinden sich die Schuler gerade in den in dieser Hin-
sicht besonders gefährlichen Jahren der Entwicklung. Weniger
kommt darauf an, wie man sich bezüglich der Ober-Sekunda und
Prima entscheidet. Die Schüler sind älter, und gelesen wird
vorzugsweise das Neue Testament. So mag man entweder die
Schalbibel weiter allein benutzen lassen, oder daneben das un-
veränderte Neue Testament gebrauchen^).
Hält man aus den angegebenen Gründen eine Schul-
bibel für notwendig, so wird es nützlich sein diese
auch noch in andern Punkten den Bedürfnissen der
Schale entsprechend zu gestalten. Doch ist in Bezug auf
alles Folgende zu bemerken, dafs es nicht von gleicher Wichtigkeit
ist wie das Vorhergehende; man wird in Bezug darauf eher im
Stande sein sich auch einer abweichenden Anschauung anzu-
bequemen.
^) Weck, These 7: Die ganze Bibel ist erst dem erwschseoen Ghristeo
im die Hand zu geben; für die höbern Lehranstalten kann der Zeitpunkt bis
tum Binlritt in die Prima verschoben werden.
30*
468 ^«r gegenwärtige Stand der Scholbibelfrage,
In der Bibel werden noch andere unsittliche Hand-
lungen erwähnt, die mit dem sechsten Gebot nichts zu than
haben, so wenn Rahel 1. Mose 31, 19. 34. 35 ihres Vaters Götzen
stiehlt und diesen nachher, als er sie sucht, abermals betrugt; die
That der Jael Rieht. 4, ITfT; die Befehle des sterbenden David
1. Kön. 2. Wie diese Stellen zu behandeln sind, wird davon
abhängen, inwieweit man glaubt sie beim Unterricht verwerten
zu können. Der Lehrer kann sie ja jederzeit übergehen; findet
sie der Schüler zufällig, so können sie niemals denselben Schaden
stiften wie die oben besprochenen.
Vieles aber kann sicherlich noch wegfallen, was
niemals verwendet wird: Namenaufzählungen, die meisten
Vorschriften über Opfer und bürgerliche Gesetzgebung im Alten
Testament, ferner Abschnitte des Hiob, der Sprüche, des Predigers,
der Propheten, der Offenbarung. Auch von den Psalmen wird
die Schule nur einen Teil benutzen können, doch ist es bei dem
hohen Werte gerade dieses Abschnitts der Bibel naturlich, wenn
die Freunde der Schulbibel ziemlich allgemein der Meinung sind,
dafs hier nur das wegzulassen ist, was wirklich im Unterricht
nicht benutzt werden kann.
Durch solche Kürzungen wird das Buch handlicher und
dünner, und der Schüler wird leichter darin heimisch, ein Punkte
dessen Wichtigkeit ja auch vom Oberkirchenrat anerkannt worden
ist. Die Hauptsachen treten infolge solcher Auslassungen klar
hervor, während sie sonst oft in einer Menge unbenutzbarer
Abschnitte verborgen sind. Um zu erkennen, welche grofsen
Vorzüge eine solche Auswahl vor der Vollbibel hat, darf man
sich nur einmal das zweite bis fünfte Buch Hose in einer der
drei Schulbibeln ansehen. Ich behaupte, dafs die hier ge-
botenen Zusammenstellungen selbst für viele Lehrer noch von
Wert sein werden. Denn da stehen eine Menge wichtiger Ab-
schnitte, wie über den Bau der Stiftshütte, über Priester und
Leviten, Feste und Opfer auf wenigen Seiten übersichtlich bei
einander, die sich sonst in der Menge des Unwichtigen vollständig
verlieren.
Natürlich darf man in Bezug auf solche Auslassungen
nicht zu weit gehen; auch der in der Schulbibel gebotene
Stoff mufs einen vollen und zureichenden Einblick in die Ge-
schichte des Reiches Gottes im Alten und Neuen Testament er-
möglichen. Vieles, was religiös nicht erbaulich ist, ist geschicht-
lich von Bedeutung und dient so entweder dazu ein anschauliches
Bild von Ort und Zeit der Erzählung zu geben oder eine An-
knüpfung an das in andern Unterrichtsstunden Gelernte zu er-
möglichen; manches, was im Alten Testament den Standpunkt
einer niedern Sittlichkeit verrät, ist eben deshalb beizubehalten,
um den Fortschritt vom Judentum zum Christentum zu zeigen.
Manche Bücher fallen so ^anz weg; sie sind an ihrer
voi A. Bahoisch. 469
Stelle mit einer kurzen Angabe des Inhalts zu erwähnen. Die
Apokryphen sind nicht ganz wegzulassen, sondern Abschnitte
aus Weisheit, Tobias, Sirach und Makkabäer 1 aufzunehmen.
Es entsteht* ferner die Frage, wie bei den Büchern zu ver-
fahren ist, deren Inhalt sich mit dem anderer zum Teil deckt,
also der Chronik gegenüber den Buchern Samuelis und der
Könige und den Evangelien. Die Evangelien erzählen das Leben
Jesu, von dem uns auch die kleinsten Zuge bedeutungsvoll sind
und dessen Quellen wir den Schülern in möglichster Reinheit
vorfuhren müssen. Sie müssen daher völlig getrennt bleiben,
und es ist zu tadeln, dafs das in der Glarner Bibel nicht
geschieht. Einen viel unwichtigeren Gegenstand behandeln die
genannten Bucher des Alten Testaments und die Chronik steht
an geschichtlichem Wert hinter den Büchern Samuelis und der
Könige weit zurück. Deshalb ist nur wenig von ihr beizubehalten.
Aber eine Schulbibel darf sich von der Vollbibel nicht blofs
durch Auslassungen unterscheiden, sondern mufs als Schul-
buch zugleich so eingerichtet sein, dafs sie die Aneig-
nung und Verarbeitung des Inhalts unterstützt. Dabei
ist j^och zu beachten, dafs die Schüler an ihr lernen sollen
sich in der Vollbibel zurecht zu finden; Veränderungen,
die das erschweren, sind daher zu meiden. Allerdings wird von
theologischer Seite im Gegensatz hierzu oft geradezu gewünscht,
dais Verschiedenheiten vorbanden seien, damit das Buch nicht wie
die Bibel aussehe, da es sonst geeignet sei diese zu verdrängen.
Wenn man dabei den Titel „Biblisches Lesebuch" fordert, so
halte ich das für unwesentlich und meine, man kann sich diesem
Wunsche ohne weiteres fügen, wenn dadurch die Sache gefördert
wird. Solchen Bedenken zu Liebe hat Völker in der zweiten Auf-
lage seines Lesebuchs auch den gespaltenen Satz^) aufgegeben;
aber dieser mufs mit Rücksicht auf die Augen der Schüler bei-
behalten werden'). Die Bibeln, auch die Schulbibeln, haben ein
gröfseres Format als unsere meisten Bücher; Zeilen, die über
die ganze Seite herüber laufen, sind infolge dessen sehr lang, und
das Lesen und Festhallen der Zeile ist dadurch sehr erschwert.
Die Anordnung der biblischen Bücher ist beizubehalten,
ebenso Kapitel- und Verszahlen, da es sonst nicht möglich
ist Sprüche aufzusuchen. Durch deren Hinzufugung wird nun
allerdings sofort ersichtlich, wo etwas ausgelassen ist, und viele
befurchten, dafs das von den Schülern benutzt werden wird, um
die ausgelassenen Stellen in der Vollbibel nachzuschlagen. Deshalb
läist Uofmann alle, Völker die meisten Verszahlen weg. Ich halte
>) S. IV: „Als Lesebach giebt sich das Werk zu erkeoDeo dorcb Be-
seitigiing des fröbereD Spalteodraeks'^ Übriseos ist auch der Satz der
Glaraer Bibel nicht gespalten.
*) Das ist nach einer Mitteilung, die die Probebogen der Bremer Bibel
begleitete, die Ansicht der AngenÜrzte.
470 ^^^ gegenwärtige Stand der Schulbibelfrage,
diese Besorgnis für überflüssig. Die Schüler sind es gewöhnt,
dafs manches für Schulzwecke gekürzt wird. Kommen sie kfinflig
von der biblischen Geschichte her, ohne wie jetzt die Vollbibel
kennen gelernt zu haben, so werden sie es ganz natürlich finden,
dafs ihnen noch nicht alles geboten wird. Dann sollen ja aufser
den anstöfsigen Stellen noch eine Menge grötserer und kleinerer
Abschnitte fallen, und der Schüler, der wirklich nachspüren wollte,
würde sich bald überzeugen, dafs seine Hübe nur selten Erfolg
hätte. Notwendig ist allerdings, dafs auf der ganzen Schule oder
doch bis zu einer bestimmten Klasse ausschliefslich dieselbe Schul*
bibel gebraucht wird.
Dagegen ist die erst nach Luther aufgekommene Gewohnheit
aufzugeben bei jedem Verse eine neue Zeile zu beginnen,
wodurch oft Nichtzusammengehöriges vereinigt, öfter Zusammen-
gehöriges auseinandergerissen wird. Vielmehr ist wie bei jedem
andern Buche ein Absatz im Druck nur da zu machen, wo ein
neuer Abschnitt beginnt und die Durchgesehene Ausgabe weniger
zweckmäfsig einen fetten Anfangsbuchstaben verwendet. Kapitel-
und Verszahlen sind an den Rand zu verweisen, die Überschriften
als etwas sehr Wichtiges in gröfserem Druck zu geben. Sie stehen,
wo es der Sinn erfordert, oft mehrere innerhalb eines Kapitels»
oft eine mehrere Kapitel zusammenfassend. Zweckmäfsig ist es
gröfsere Abschnitte mit Ilauptüberschriften zu versehen. So teilt
Völker ein: V. Das ungeteilte Königreich. 1. Saul. 2. David.
3. Salomo. VI. Die getrennten Reiche Israel und Juda. Diese
Hauplüberschriften sind am Anfang des Buchs zu einer Inhalts-
übersicht zu vereinigen. In den Psalmen und andern poetischen
Stücken ist der Parallelismus dadurch anzudeuten, dafs jedes Glied
mit einem groDsen Anfangsbuchstaben beginnt; es geschieht das
von den erwähnten Schulbibeln nur bei Völker.
Kurze erläuternde Zusätze (Seth: Ersatz) sind in Klam-
mern oder in Anmerkungen beizufügen; Wörter, die häufig vor-
kommen, sind in einem angehängten Verzeichnis zu erklären. Die
zahlreichen Parallelstellen der Vollbibel schlägt der Schüler
nicht nach; die Schulbibel darf daher nur die enthalten, die
wirklich für ihn in Betracht kommen, so die von der Durch-
gesehenen Ausgabe eingeführten Abschnittsparallelen, d. h. z. B.
bei den Evangelien die Abschnitte der andern, die die gleiche
Erzählung enthalten, ferner Stellen, die der Lehrer bei der Er-
klärung heranzieht und an die der Schüler bei der häuslichen
Wiederholung erinnert werden soll, wie bei der Schöpfungs-
geschichte Psalm 8, 19, 104, oder Sprüche, deren Diktieren auf
diese Weise erspart wird. Sie müssen unten an der Seite stehen,
nicht wie bei der Vollbibel zwischen den Versen, wo sie oft sehr
störend wirken. Einleitungen in die biblischen Bucher hatte
das Buch von Hofmann enthalten. Das ist nicht zweckmäfsig,
doch ist es nützlich kurze Angaben über die einzelnen Bücher in
von A. Bähaisch. 47]^
das erläuternde Verzeichnis aufzunehmen, wie es Völker thut.
Jahreszahlen hatte die Probebibel vom Tode Jerobeams ab
enthalten (nach Riehm), in der Durchgesehenen Ausgabe sind sie
weggelassen worden. Eine Schulbibel mufs jedenfalls welche ent-
halten, auch wenn sie einigermafsen zweifelhaft sind, da sie das
Verhältnis eines Ereignisses zu andern kurz und klar an-
geben. Karten müssen beigegeben werden, und zwar lesbare
and benutzbare, nicht Augenpulver, wie die der englischen
Bibeln.
Aber nicht blofs im Inhalt, auch in der Sprache wird sich
eine Scbulbibel von der Lutherschen unterscheiden müssen, denn
Luthers Spradie ist auch älteren Schülern oft unverständlich.
Man hätte nun erwarten sollen, dafs die im Februar 1892 er-
schienene „Durchgesehene Ausgabe" der Lutherbibel, von der ein
Probedruck, die „Probebibel'*, 1883 herausgegeben worden war,
den Wünschen nach einer mafsvoUen Umgestaltung der Luther-
schen Obersetzung Rechnung tragen würde, um so mehr, als die
Cansteinsche Bibelanstalt, von der das Revisionswerk ausging,
einzelne abgestorbene Formen schon seit längerer Zeit beseitigt
hatte. In der That sind auch manche derartige Formen entfernt
worden, im ganzen aber ist man in Bezug auf die Sprache dieses
Werks» das im übrigen einen wichtigen Fortschritt bezeichnet
und, so lange die Vollbibel im Unterricht gebraucht wird, so
schnell als möglich in diesen eingeführt werden sollte, leider
dordiaus alterlümelnden Neigungen gefolgt, so dafs man nicht
nur viele unverständliche Formen beibehalten, sondern solche
sogar aus Luthers Originalausgaben da wieder neu eingefügt hat»
wo sie die bisherigen Texte nicht mehr enthielten^). So gilt
auch von dieser Ausgabe, was Ludwig Wiese von der Probebibel
gesagt hatte: „Die Bibel mufs als Volksbuch, das sie auch nach
Luthers Absicht vor allen Dingen sein sollte, durchweg ein ver-
ständliches Deutsch reden. Der Zumutung, sich mit Selbstver-
leugnung in die alten Sprachformen und Ausdrücke hineinzulesen,
können nur wenige nachkommen, und die auf leichteres Verständnis
ausgehenden Änderungen brauchen keineswegs Luthers Bibelsprache
ins Vulgäre herabzuziehen. Die neue Revision hat den darnach
für die Gegenwart erforderlichen unerläfslichen sprachlichen Ände-
rungen aus pietätvoller Schonung für das Überkommene zu enge
Grenzen gezogen'^ Vl^enn demgemäfs eine Schulbibel auch von
dem Wortlaut dieser Durchgesehenen Ausgabe öfter wird abweichen
mössen, so ist doch andererseits unzweifelhaft, dafs der Hauch
der Altertümlichkeit überall da gewahrt werden mub, wo das
Verständnis dadurch nicht beeinträchtigt wird.
') Vgl. meine Besprechaog der DarchgeseheDen Ausgabe io den Jahr-
bidiern für Philologie and Pädagogik von 1893, 2. Abteilang S. 129— ] 44.
Ferner Grenzboten Band 52, Heft 6, S. 277 ff.
472 D«r e^egenwärtige Staid der Scholbibelfrage,
Betrachten wir nach diesen allgemeinen Auseinander'
setzangen die ol>en genannten Bchuibiiiein im einzelnen* Es
handelt sich um folgende Bücher: .
Karl Völker, Rektor in Berlin, Die Bibel für Schule
und Haus. Gera und Leipzig 1889. 800 + 375 S. 2,50 H,
geb. 3 M. — Biblisches Lesebuch 1890, 544 S. 1,25 M,
geb. 1,60 M. — Biblisches Lesebuch, zweite neu be-
arbeitete Auflage, unter Hitwirkung von Hermann
L. Strack, Professor der Theologie in Berlin. 1893. 623 S.
1,40 M, geb. 1,80 M.
Familienbibel. Auszug aus der Heiligen Schrift für häus-
liche Erbauung und Jugendunlerricht. 3. Aufl. 670 S. Schwanden*
Glarus 1892. Geb. 1,75 M.
Schul bi bei. Die Bibel im Auszug, für die Jugend in
Schule und Haus bearbeitet im Auftrage der Bremischen Bil)el-
gesellschaft. Bremen 1894. 454 -f 312 S. Geb. 2 M, bei
Entnahme von 50 Exemplaren 1,80 H.
Was die Bttcher Vftlicers anlangt, so fibergehe ich dessen
Biblisches Lesebuch in der ersten Auflage. Auch die
Schulbibel können wir kurz besprechen, da es die Absicht des
Verfassers zu sein scheint, sie nicht weiter zu führen. Denn in
der 2. Auflage des Biblischen Lesebuchs sagt er S. IV, dafs nach
seiner Meinung dieses Lesebuch „für alle Schulen, von der ein-
fachsten Volksschule bis zum Gymnasium, ausreiche", so daCs es
offenbar bestimmt ist an die Steile seiner beiden frühern Bücher
zu treten. Die Schulbibel will nur die geradezu anstöisigen Stellen
auslassen, daher ihr grofser Umfang. Sie bietet unter anderm
fast das ganze Hohe Lied und Stücke aus sämtlichen Apokryphen.
Im Ausdruck hat der Verfasser „geglaubt auf jede Veränderung
des Wortlauts der Lutherschen Übersetzung verzichten zu müssen^'
und deshalb sogar die 1883 erschienene Probebibel unberück*
sichtigt gelassen. Dasselbe ist in Bezug auf die sachlichen Er*
klärungen des angehängten Verzeichnisses geschehen.
Der Verfasser hat dann das kürzere Biblische Lesebuch
herausgegeben und, da in Bezug auf die Umgestaltung seiner beiden
Bücher mancherlei Wünsche geäufsert wurden, sich zu diesem
Zweck , namentlich auf die Anregung der preufsischen Kirchen-
behörden, mit dem Professor Strack verbunden. Die gemeinsame
Arbeit beider liegt nun in der zweiten Auflage des Biblischen
Lesebachs ^) vor.
Diese bezeichnet gegenüber den beiden früheren Büchern
unzweifelhaft einen Fortschritt. Doch ist manches Anstöfsige
stehen geblieben oder ungenügend geändert worden.
So 1. Mose 17, 14 Und wo ein Mannsbild nicht beschnitten wird
') Lobend besprochen von Petri in der Zeitschr. für ev. ReligionsiiBter-
richt IV 325; Erwiderung Volkers V 2, 161.
von A. Bähoiseh. 473
u. 8. w. Die Stelle ist überflüssig, nachdem es V. 12 geheifsen
hat: Ein jegliches Knäblein sollt ihr beschneiden. — 1. M. 25,26:
Der andere hielt mit seiner Uand die Ferse des Esau und sie
biefsen ihn Jakob; dazu die Anmerkung: „Der Fersenhaher, der
Überlistende'^ Der denkende Schüler mufs sich doch fragen, wann
und bei welcher Gelegenheit Jakob die Ferse des Esau gehalten
habe (B: den andern hiefsen sie Jakob) ^); — 1. H. 26, 7: Isaak
giebt sein Weib fClr seine Schwester aus; 2. H. 1, 15—19 die
Wehemütter. Nicht glücklich ist 1. Sam. 18, 20 ff. die Änderung,
daCs David dem Saul die zweihundert erschlagenen Philister bringt.
Was die Weglassung der für die Schule aus andern
Granden nicht benutzbaren Stellen anlangt, so sind die
Chronika mit Recht kürzer behandelt als in der Schulbibel; die
ihnen entnommenen Abschnitte sind in die Bücher der Könige
eingefügt. Aus den Sprüchen, dem Prediger, der Offenbarung ist
sehr viel aufgenommen; falsch ist das Bestreben von jedem Buche
ein Stückchen zu bieten, so Abschnitte von sämtlichen Propheten,
fast allen Apokryphen, ein Stück des Hohen Liedes. Gleichgiltige
Namen werden sehr oft beibehalten, so I.Mose 22,20: Milka,
Dz, Bus, Kemuel, Chesed, Haso, Phildas, Jedtaph. Vgl. 1, 11, 29.
21, 20 ff. 26, 34. 29, 24. 29. c. 36.
Häufiger aber fehlt Wichtiges und darin sehe ich den
Hauptmangel des Buches, namentlich Abschnitte, die geschichtlich
von Bedeutung sind und teils für den Unterricht Unentbehrliches
enthalten, teils Zeit- und Ortsverhältnisse einer Erzählung an-
schaulich vor Augen führen und der Schilderung Farbe geben.
Zar ersten Art gehören unter anderm 2. Mose 23, 4. 5. 34, 33 ff.
Rieht 2, 11. 13; Ruth 1, 19—21 : Und da sie zu Bethlehem ein-
kamen, regte sich die ganze Stadt über ihnen und sprach: Ist
das die Naemi? Sie aber sprach: Heilst mich nicht Naemi son-
dern Mara; denn der Allmächtige hat mich sehr betrübet. Voll
zog ich aus, aber leer hat mich der Herr wieder heim gebracht;
1. Sam. 26 David in der Wüste Siph; 2. Sam. 7, 14—29; 1. K5n.
3, 1. 2. 6—9 Salomos Gebet teilweise; 5, 22—27 teilweise; 9, 26;
10, 2; 12, 9. 12—15. 16—18 teilweise; 16, 8—10. 16—18 teil-
weise; 22,49; 2. Kön. 15, 20; 16,7—10; 18,8.16.23.34;
19, 20 ff.; 23, 10 f.; 24, 10. 14. 16; 25, 1. 2 teilweise. Zu stark
gekürzt ist unter anderm: Rieht. 5 das Lied der Deborah, das
nur fünf Zeilen umfafst; 2. Sam. 1, 19 Davids Klage um Jonathan;
1. Kön. 6; 10; 16, 29 ff.; 19, 19ff. Berufung Elisas; 2. Kön. 17, Iff.;
17, 24ff. das Ende des Reiches Israel, so fehlt die Erwähnung der
dreijährigen Belagerung 4. 5, der Name Bethel 28. Aus Hiob
fehlen ganz oder fast ganz 5, 8 ff.; 26, 6 ff.; 28; 36, 5 ff.; 37;
38,22 — 40; c. 39—41. Der Psalter ist stark gekürzt; er um-
^) B bezeicboet die Bremer, 6 die Glaroer, V die VSlkersche Bibel,
D die Dorchi^eseheae Aossabe.
474 ^^^ gegenwärtig^e Stand der Schulbibelfragey
fafsl 25 Seiten gegen 60 der Glaroer, 44 der Bremer Bibel. Bei
den Propheten vermisse ich Hesek. 33; Joel umfaTst 15 Zeilen,
auch Arnos ist zu kurz abgethan. Im Neuen Testament fehlen
z. B. 1. Kor. 14, 2. 6—9. \&'-19. 23. 27. 28; vieles aus l.Thesa. 3;
Hehr. 10, 31—34.
Von Stellen, die der Veranschaulichung und Aus-
malung dienen, sind aufser vielen in den bisher erwähnten
Abschnitten enthaltenen noch folgende zu erwähnen: In der Sinl-
flutgeschichte fehlen 7, 11. 12: Das ist der Tag, da aufbrachen
alle Brunnen der grofsen Tiefe, und thaten sich auf die Fenster
des Himmels, und kam ein Begen auf Erden vierzig Tage und
vierzig Nächte; 7, 21; 8, 2. 3. 8. 9; 9, 15; 1. Hose 24, 27. 35;
28, 11. 15 teilweise; 29, 7 — 9; vieles in der Erzählung von Joseph
c. 37—39; 41, 3. 6: sieben dünne Ähren, die waren vom Ostwind
versengt; Bicht. 4, 3; 6, 5: Die Midtaniter kamen herauf mit ihrem
Vieh und ihren Hütten wie eine grofse Menge Heuschrecken, dals
weder sie noch ihre Kamele zu zählen waren, und fielen ins
Land, dafs sie es verderbeten; 1. Sam. 2, 12 — 17 Bosheit der
Söhne Elis; 13, 19 — 22: Es ward aber kein Schmied im ganzen
Lande Israel erfunden; denn die Philister dachten, die Ebräer
möchten Schwert und Spiefs machen. Und mufste ganz Israel
hinabziehen zu den Philistern, wenn jemand hatte eine Pflugschar,
Haue, Beil oder Sense zu schärfen; 18, 3. 4; 2. Tim. 4, 13. Alle
vorstehenden Stellen sind in der Bremer Bibel enthalten, oder,
wo bei Völker die Kürzung getadelt wurde, ausführlicher behandelt;
auch die Glarner Bibel enthält vieles von dem Erwähnten.
Endlich ist meistens die breiter dahinfliefsende Dar-
stellung nach Art einer biblischen Geschichte kürzer
zusammengezogen. Aber die epische Breite ist ein wesent-
licher Bestandteil der Schönheit der alten Schriften, und der
Schüler mufs sie kennen lernen. Beim Volksschüler ist noch
besonders zu bedenken, dafs die Bibel das einzige bedeutende
Buch ist, das er beim Unterricht in die Hände bekommt. Zur
epischen Darsteilungsweise gehören auch die Vl^iederholungen,
meist mit unverändertem Wortlaut; ich erinnere an den Traum
Agamemnons Ilias 2, 11 ff. = 28 ff. und die Beschreibung der
Dorothea im fünften und sechsten Gesänge des Goethischen Ge-
dichts. Beispiele von Verkürzungen an Stellen dieser Art bieten
viele der oben angeführten Abschnitte; hier erwähne ich nur noch
zwei: 1. Mose 41 wird Pharaos Traum nochmals ganz wiederholt,
als der König ihn Joseph erzählt, aber unter Uinzufügung einer
Beihe von Zügen, die die Darstellung lebhaft und anschaulich
machen. So setzt der König bei Erwähnung der magern Kühe
hinzu: Ich habe in ganz Ägyptenland nicht so häfsliche und magere
gesehen. Und 21 : Da sie die hineingefressen hatten, merkte man's
nicht an ihnen, dafs sie die gefressen hatten, und waren häfslich
gleichwie vorhin. Wenn 1. Kön. 12, 14 = 11 wiederholt wird, so
von A. Bähnisoli. 475
ist das nicht äberflüssig, weil erst im Munde Rehabeams die harte
Antwort, deren Schärfe der Erzähler eben durch ihre Wiederholung
recht hervorheben will, das Unheil anrichtet. Völker läfst in
beiden Geschichten die Wiederholung weg, während die Bremer
und die Glarner Bibel sie beibehalten.
Des bessern Zusammenhangs halber werden oft gröfsere
and kleinere Abschnitte an eine andere Stelle gesetzt,
und nachher da, wo sie in der Reihe folgen sollten, darauf ver-
wiesen. Zuweilen ist das zweckmäüBig, so an manchen Stellen
der Bücher Mose; oft erscheint aber gerade in diesen Böchern
die Umstellung nutzlos, indem aus den vielen Einzelheiten schliefs*
lieh doch kein zusammenhängendes Ganze wird. Die Evangelien
sind mit Recht völlig getrennt geblieben.
Die Überschriften sind in den erzählenden Büchern in
fettem Druck, in den Lehrbüchern und den prophetischen Schriften
weniger zweckmäßig in gesperrtem Druck gegeben; sie stehen in
manchen Abschnitten zu selten. Bei den Psalmen sollten sie eine
besondere Zeile einnehmen. Hauptüberschriften fassen die
Erzählungen wieder zu gröfsern Abschnitten zusammen. Diese
Absdinittsüberschriften sind S. VII zu einer Inhaltsübersicht
mit beigegebenen Seitenzahlen vereinigt. Das ist zweckmäfsig,
denn eine solche Übersicht giebt ein besseres Bild von dem Inhalt
der Bibel als die Aufzählung der biblischen Bücher. Diese steht
&si S. 590. Ich würde es für richtiger halten, die Inhaltsüber-
sicht und das Verzeichnis der biblischen Bücher in zwei Reihen
nebeneinander aufzuführen.
Die Teile einer Erzählung werden durch Gedankenstriche
angedeutet Das ist nicht ausreichend; es mufs vielmehr, da
Völker im übrigen fortlaufenden Satz anwendet, ein Absatz im
Druck gemacht werden. Längere Abschnitte sind infolge dessen
ganz unübersichtlich, so die Sintflut 1. Mose 6—8, Isaaks Heirat
€. 24, die Gleichnisse vom Himmelreich Matth. 13. Durch den
gesperrten Druck des bezeichnenden Wortes (Sämann, Senfkorn)
wird die Einteilung nicht ausreichend hervorgehoben.
Bei den Psalmen sind die einzelnen Glieder des Verses
durch einen kleinen Zwischenraum mit folgendem grofsen Anfangs-
bacfastaben getrennt, eine für die Schule aufserordentlich nützliche
Eiorichtung. Bei einzelnen Liedern, die inmitten prosaischer Er-
zählungen stehen, wie 2. Hose 15; 5. Mose 32, ist bei jedem Gliede
eiDe neue Zeile begonnen und gespaltener Satz angewendet. Da-
gegen ist der Paralleüsmus bei vielen poetischen Stücken nicht
angedeutet, wo es Kautzsch in seiner Obersetzung thut, z. B.
1. Mose 4, 24; 27, 27; 2. Sam. 1, 19ff.
Von veralteten oder aus andern Gründen zu ändernden
Sprachformen ist mit Unrecht geblieben: Seinen Samen bei
ihm selbst haben (B: sich) 1. Mose 1, 11; die Stimme deines
Bruders Bluts (B: des Bluts deines Bruders) 4,10; gerochen
476 ^®<* gegenwärtige Staod der Sehalbibelfrage,
(B: gerächt) 4, 15; Hännlein und Weibleio, von Tieren ge-
sagt 7, 9, was auch B beibehält, der Ausdruck kann ganz weg-
fallen, da das Wort Paar vorausgeht; Schnur (B: Schwieger-
tocliter) 11|31; zween (B: zwei) 19,1, während zwo aufgegeben
ist; der Knabe Elisas Q3G: Diener) 2. Kön. 5, 20 und an andern
Stellen; die Seele nicht mögen töten (BG: können) Matth. 10, 28;
ein Rohr, das der Wind hin und her webt (B: weht) 11, 7; die
Meereswoge, die vom Winde getrieben und gewebt wird (B: hin
und her getrieben) Jac. 1, 6; Aufsätze der Ältesten (B: Über-
lieferung, G: Satzungen) Maltb. 15,2; meine Rede fängt nicht
unter euch (BG: findet keinen Eingang) Job. 8, 37; ich mufs
allerdings das künftige Fest in Jerusalem halten, was den Sinn
des Lutherschen allerdinge gar nicht wiedergiebt (B: durchaus)
Apost. 18, 21; denselben meinten sie Paulus hätte ihn in
den Tempel geführt (B: und meinten) 21,19; es umblickte ihn
ein Licht (BG: umleuchtete) 22, 6; ins Angesicht streichen
(BG: schlagen) 2. Kor. 11, 20.
Einige sprachliche Änderungen sind nicht glück-
lich: 1. Uose 17, 20 in Bezug auf Ismael habe ich dich auch
erhört (B: Ismael habe ich auch gesegnet); 46,26 alle Seelen, die
mit Jakob nach Ägypten kamen, was seine Kinder und Kindes-
kinder waren; Ruth 2,5 Wes ist die Tochter (D: Dirne, B:
Wes ist die Jungfrau?). Ferner ist es Lutherscbe Wortstellung,
nach dem Subjekt sogleich das Verbum zu bringen, dann alles
übrige. Völker ändert das regelmäfsig. So beibt es: 1. Hose 21, 16
ich kann des Knaben Sterben nicht zusehen; 24, 4 sondern
dafs du in mein Vaterland und zu meiner Freundschaft ziehest
und meinem Sohne Isaak ein Weib nehmest; 12,5; 13,12;
18,8. 10. 19; 24,27.
Erläuterungen, namentlich von Namen, werden oft ge-
geben; sie stehen am FuTs der Seite. Wenn c. 17 Abram und
Abraham, Sarai und Sara für gleichbedeutend erklärt werden,
so entspricht das der Ansicht des Erzählers doch offenbar nicht.
Auch wenn Zoar übersetzt wird Geringheit, Kleines, so ist
das an der Stelle weniger zweckmäfsig als die übliche Übersetzung
die Kleine, die B bietet. Die Zahl der Parallelstellen ist
gering; sie stehen am Fufse der Seite. •
Am Schlüsse des Buchs steht eine Synopsis der
Leidenszeit Jesu und der Zeit seiner Verherrhchung. Dann folgt
eine Zeittafel. In den biblischen Text sind die Zahlen nicht
aufgenommen, was in der Schulbibel wenigstens bei einigen ge-
schehen war. Auch das dort angewendete Verfahren, bei jedem
Propheten unter der Überschrift die Könige anzugeben, unter
denen er auftritt, hätte beibehalten werden sollen. Das Wort-
und Sachregister enthält auch Angaben über die einzelnen
biblischen Bucher, sowie geographische und geschichtliche Be-
lehrungen; ich hebe hervor die Abschnitte: J^usalem, Johannes,
von A. Bähoisch. 477
Hakkabäer, Palästina, Paulus, Römerherrschaft iu Palästina. Dann
folgeo Grundrisse der Stiftsbötte und des herodianischen
Tempeb« nach Riehin; endlich zwei Karten, die erste von Babylon
bis Italien reichend, so dafs das Einzelne sehr klein dargestellt
ist, die andere Palästina zur Zeit Christi darstellend. Das ist
wenig, die frühern Bücher enthielten vier Karten.
Ein Verzeichnis der zu behandelnden Geschichten und
der dazu gehörigen Lesestoffe, Spräche, Liederverse und
Katechismusstellen (fünfzehn Seiten) bietet dem Lehrer
manches Nützliche; in das Buch der Schüler ist es wohl aufge-
nommen, um das Diktieren der Stellen zu ersparen. Die Lieder-
ferse sind mit Recht gröfstenteils aus bekannten Liedern gewählt,
aus weniger bekannten einige schöne und passende, so S. 604
die Verse zum Vaterunser und zur Geschichte von Maria und
Martha. Sprüche und Lesestoffe enthalten nach meiner Ansicht
oft recht unbekannte und nicht immer passende Stellen, so 603
bei Petri Fischzug, der Enthauptung des Johannes, dem kananäischen
Weibe, 604 der Heilung des Wassersüchtigen. Sehr bekannte
und wertvolle Sprüche und Liederverse sollten öfters wiederkehren,
was, soviel ich gesehen habe, nicht der Fall ist.
Die Vers zahlen stehen am Rande und sind nur von fünf
zu fünf gesetzt, aufserdem beim Anfang einer Erzählung und bei
wichtigeren und bekannteren Stellen. Dadurch entsteht eine un-
angenehme Unsicherheit, da man nie weifs, weiche man erwarten
darf und welche nicht, und es giebt Fälle genug, wo man beim
Nachschlagen die Zahl vermifst
Der Druck läuft über die ganze Seite herüber, er ist schwarz
und scharf; wichtige Sprüche sind fett gedruckt. Von gesperrtem
Druck wird ein zweckmälsiger Gebrauch gemacht. Es werden
dadurch einzelne Worte hervorgehoben, so ein für einzig, ferner
Namen bei ihrem ersten Vorkommen, z. B. die der jüdischen
Könige. Ferner werden dadurch die Unterabteilungen einer Er-
zählung angedeutet, so sind gesperrt gedruckt die einzelnen Plagen
Ägyptens, die verschiedenen Orte des Wüstenzuges.
Das Papier ist gut, der Einband schön und dauerhaft
Die Qlamer Famtlienblbel wurde herausgegeben von fünf
Geistlichen unter Mitwirkung einer sehr grofsen Zahl anderer
Männer. Genauere Auskunft giebt das Begleitwort von Heer,
Zweck einer Familienbibel. Glarus 1887. 1 M.
Dafs auch für den Gebrauch in der Familie ein Bibelauszug
wünschenswert sei und dasselbe Buch „für Schule und
Haos^' benutzt werden solle, ist die Ansicht vieler Freunde der
Scbulbibel. Sicherlich werden auch wirklich Familien- und Schul-
bibel viel Gemeinsames haben, aber in allen Stücken decken sich
die beiden Begriffe doch nicht In der Schule ist der Inhalt der
Bibel in erster Linie Gegenstand des Unterrichts, in der Familie
478 D®^ gegenwärtige Stand der Schulbibelfragei
soll er vor allem der Erbauung dienen. In der Scbulbibel werden
deshalb die gescbichtiich wichtigen Abschnitte mehr berücksichtigt
werden müssen, die Familienbibel wird das Erbauliche, Veredelnde,
Tröstende bevoraugen^); von den Lehrbüchern werden deshalb
hier Sprüche, Prediger, Sirach und Weisheit mehr herangezogen
werden dürfen, während die Schule fast nur Abschnitte aas den
Psalmen und Hiob lesen kann. Schwierigere Stellen dürfen in
der Schulbibel Aufnahme finden, wenn zu ihrem Verständnis nur
Kenntnisse notwendig sind, die ja der Lehrer mitzuteilen vermag;
bedarf es zu ihrem Begreifen gröfserer Lebenserfahrung, so
können die Erläuterungen des Lehrers dem Schüler nur wenig
helfen, und solche Abschnitte werden in der Familienbibel vor-
zugsweise Berücksichtigung finden müssen. Der Schüler brauclit
nur eine kleine Anzahl Parallelstellen, die Familienbibel mufs die
der Vollbibel sämtlich enthalten, da sie hier die Hauptquelle der
Erläuterung bilden müssen; auch sonst sind Erklärungen in aus-
gedehnterem Mause notwendig, da die Familie in der Regel des
gelehrten Beraters entbehrt. Für die Familie mufs eine sprach-
liche Form gewählt werden, die vor allem gestattet den Gedanken
leicht und richtig aufzufassen, und sie darf deshalb von Luthers
Ausdruck stärker abweichen und sich mehr der Sprache der
Gegenwart nähern; eine Schulbibel mufs sich eng an Luthers
Sprache anschliefsen , die das junge Geschlecht genau kennen
lernen mufs, da sie in Kraft, Kernigkeit und Schönheit noch
heule unübertroffen ist und von ihr eine neue Entwickelung der
deutschen Sprache ihren Ausgang genommen hat. So decken
sich die beiden Begriffe nur zum Teil, und wenn zugegeben
werden darf, dafs die Glarner Bibel eine gute Familienbibel ist,
so kann man von vornherein vermuten, dafs sie für die Schule
weniger geeignet sein wird.
Anstöfsige Stellen sind geschickt geändert. Auch mit
der Auslassung minder wertvoller Abschnitte kann man
sich oft einverstanden erklären.
Andererseits sind aber viele gröfsere und kleinere
Stellen weggelassen, auf die die Schule nicht ver-
zichten kann, so zahhreiche und wichtige, dafs meiner Meinung
nach schon aus diesem einen Grunde das Buch für deutsche
Schulen nicht verwendbar ist. So fehlt 1. Mose 4, 20— 22 Jabal,
von dem herkommen sind, die in Hütten wohneten und Vieh
zogen; Jubal, von dem herkommen sind die Geiger und Pfeifer;
Thubalkain, der Meister in allerlei Erz- und Eisenwerk; 10, 8 f.
Nimrod; 14, 3; alle Abschnitte über Uagar und ismael! 2. Mose
4, 1 — 9 Moses erhält die Fähigkeit seinen Stab in eine Schlange,
das Wasser des Nils in Blut zu verwandeln, seine Hand aussätzig
^) Das Begleitwort der Glarner Bibel erklart, dafs ^jdiejeaigeD Ab-
sehoitte weggelassen sind, die für ihr Verstäodois mehr historische Reantnisse
voraossetxen, als gemeialiiD vorhanden siad'^
von A. BMhnisch. 479
ZU machen! 17, 8 ff. der Kampf gegen die Amalekiter, bei dem
Moses von Aaron und Hur gestützt die Hände emporhält! 3, 7 — 11 ;
3. Mose 16 das Versöhn ungsfest; 4. Mose 6 die Nasiräer; 16 die
Rotte Korah; 17 der grünende Stab Aarons; 20 das Haderwasser
und alle spätem Stellen, die sich darauf beziehen, z.B. Aarons
Tod! 27, 14 ff. Moses bittet Gott, dem Volke einen andern Fuhrer
zu geben; 32 Verteilung des Ostjordaniandes; 5. Mose 25 Levirats-
ehe; 34, 1 — 3 zum Teil; Richter 13 — 16 Simson! Ruth 3, das
sich sehr wohl unanstöfsig gestalten läfst, wie die Bremer Bibel
zeigt; 2. Sam. 8 Davids Siege über die Nachbarvölker, die kurz
jedenfalls angegeben werden müssen; zu sehr gekürzt ist 1. Kön.
5, 1 — 14 Salomos Regierung; c 16 fehlt die Erwähnung Simris
und Onnris; 2. Kön. 4. 6 — ^8 Elisas Thaten, von denen ein Teil
Ueiben mofs; 11; 12; daÜB ein Teil der Könige wegbleibt, kann
im übrigen nur gebilligt werden; 15. 16 die Assyrer gewinnen
allmählich in den beiden Reichen Einflufs; die Bücher der Chro-
nika sind mit Recht sehr kurz, Esra und Nehemia mit Recht
ausführlich behandelt Aus Hiob vermisse ich 26, 6 ff., Stellen
aus 36. 37. 40, 25 ff. 41. Von den Psalmen fehlen etwa 20,
namentlich Fluch- und Rachepsalmen; deshalb ist auch von 137
(An den Wassern zu Babel safsen wir) 7 — 9 weggefallen, mit
Unrecht. Die Juden waren ein südliches, heifsblütiges, rache-
durstiges Volk, und der Schüler mufs sie auch von dieser Seite
kennen lernen; hier verzeiht man aber den Wunsch nach Rache
ganz besonders, wenn man an das 2. Kön. 25, 7 Erzählte zurück-
denkt. Psalm 117 fehlt, ebenso später Maleachi 4, 5. 6: Siehe, ich
will euch senden den Propheten Elias. Von den Apokryphen
sind in richtiger Auswahl Abschnitte aus Weisheit, Tobias, Sirach
und 1. Makkabäer aufgenommen, doch fehlt 1. Makk. 8 das Bündnis
mit den Römern. Im Neuen Testament fehlt Rom. 4 zum
Teil, 9; 2. Kor. 14, 7—18, 23—28. 1. Thess. 2, 1—12. 4, 15 ff.,
Abschnitte aus Hebr. 7 — 10.
Die breiter dahinfliefsende Erzählung ist oft, nament-
lich im ersten Buch Mose, mit Unrecht kurz zusammengezogen,
wie das z. B. die Sintflutgeschichte oder 2. Kön. 17, 24 ff. das Ende
des Reiches Israel zeigt.
In den Evangelien werden übereinstimmende Erzählungen
meist nnr einmal abgedruckt und darauf dann an den andern Stellen
vorlesen. Das ist bei Matthäus an sieben, bei Lucas an acht oft
sehr ausgedehnten Stellen der Fall und geschieht selbst bei ziemlicher
Verschiedenheit der Abschnitte. Wichtigere Stellen des weggelassenen
Abschnitts werden dann in den abgedruckten mit aufgenommen
und das am Rande bemerkt. So fehlen Lucas 20 und 21 Jesu
Reden in Jerusalem nnd müssen teils bei Matthäus, teils bei
Marcus nachgeschlagen werden. Dieses Verfahren ist durchaus
zu milsbilligen, denn in dem einzelnen Evangelium hört nun jeder
Zusammenhang auf. Es ist ohnehin ein Übelstand, dafs wir so
480 l)or gegenwartige Stand der Schalbibelfrage,
oft genötigt sind bei der Beschäftigung mit dem Leben Jesu von
einem Evangelium zum andern überzugehen, aber wir werden
doch solche Stellen nicht noch mutwilUg vermehren. Zuweilen
fehlen Erzählungen in der Form, in der sie Sonntagsevangelium
sind, so Lucas 8, 4 — 18 das Gleichnis vom Sämann.
Die Überschriften sollten wie bei Völker in stärkerem
und gröfserem Druck gehalten sein; Abschnittsüberschriften fehlen.
Längere Abschnitte werden durch * ^ '*' in Unterabteilungen ge-
teilt; das Zeichen ist nicht zweckmäfsig gewählt, es macht den
Eindruck, als ob ein Hauptabschnitt anfinge.
Bei den Psalmen fehlen Überschriften leider gänzlich. Bei
dreizehn der bekanntesten ebenso wie bei einzelnen in die Ge-
schichtsbücher eingefügten Liedern ist der Parallelismus durch
abgesetzte Zeilen angedeutet, bei den übrigen ist er nicht be-
zeichnet.
In der Sprache ist Veraltetes beseitigt, aber der Ausdruck
ist nun wieder zu modern geworden und entfernt sich ohne Not
von dem Luthers. In einem Aufsatz, der vor einigen Jahren in
einer Bremer Zeitung erschien, urteilt Missionsinspektor Zahn in
Bremen darüber: „Eine Übersetzung mufs so richtig als möglich
sein. Aber wer den alten Text lieb hat, wem die Worte der
Lutherbibel durch liebe Erinnerungen, durch zahllose Beziehungen
von Kindheit an wert geworden sind, dem wird es oft ein hartes
Opfer sein, wenn er um der Richtigkeit willen die alten Formen
preisgeben soll. Und mit Recht wird er fordern, daJÜB wenigstens
nicht nutzlos, daüs nur mit schonender Hand, nur, wo etwas ge-
wonnen wird, der alte Text geändert werde. Bei den Verbesse-
rungen der Familienbibel ist nicht die Rücksicht auf den Luther-
text genommen, die man fordern mufs'^ Das Verfahren der
Glarner Bibel hat seinen Grund darin, dafs die Luthersche Bibel-
übersetzung in der Schweiz nicht die Geltung hat wie in Deutsch-
land. „Die Schweiz**, sagt Zahn, „hat keinen gemeinsamen
Bibeltext; neben der Zürcherischen Übersetzung hat sich die
Lutherbibel Eingang verschafft, und auch neuere Übersetzungen
wie die von De Wette und Stier werden nach Belieben auf der
Kanzel gebraucht*'^). Von dem Verfahren der Glarner Bibel nar
einige Beispiele: In der Weihnachtsgeschichte Luc. 2, 4 hat jeder-
mann von Kindheit auf gelesen und gehört: Da machte sich auf
Joseph in das jüdische Land. Die Glarner Bibel sagt: in das Land
Juda, obgleich sie Matth. 2,1 dasselbe ^lovdaia wiedergiebt durch:
Bethlehem im jüdischen Lande, ebenso Luc. 23, 5; Luc 2, 18
heifst es bei Luther: Alle, vor die es kam, wunderten sich der
Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten, G: Alle, die es hör-
ten, wunderten sich über das, was die Hirten ihnen sagten;
') Damit stimmt tiberein die Erklarnng des Begleitworts der Glarner
Bibel S. 4 Aom. 2. — Ans dem Zabnscbeo Anfsats ist aoch im folf^endeii
manches entnommen.
von A. BShuisch. 4gl
I.Mose 3, 16 er soll dein Herr sein, G: er wird über dich
herrschen; Luc. 3^ 20 legte Johannes gefangen, G: warf ins
Gefängnis. Die Taufformel laulet Matth. 28, 19: Gehet hin und
machet zu Jüngern alle Völker und taufet sie auf den
Namen u. s. w.; die Durchgesehene Ausgabe und mit ihr die
Bremer Bibel behalten mit Recht die altehrwürdigen Worte Luthers
im Text und geben eine berichtigte Übersetzung in der Anmerkung.
Oft wird selbst gegen den Urtext Ton Luther abgewichen, so Job.
2,7: Füllet die Krüge mit Wasser (Luther: Wasserkröge, tag
vdQiag), Gegen den Urtext ist es auch, wenn die Weiterführung
der Rede mit und meist beseitigt ist, die zugleich der kindlichen
Ausdracksweise Entspricht. So lautet I.Mose 12, 8: Darnach
brach er auf von dannen an einen Berg, der im Osten von
Betbel lag; hier schlug er sein Zelt auf, baute dem Herrn
einen Altar und rief den Namen Jehovahs an; D: der lag gegen
Morgen der Stadt Bethel, und richtete seine Hütte auf
und haute daselbst dem Herrn einen Altar und predigte von
dem Namen des Herrn. Durch das ganze Buch zieht sich ferner
die bereits bei Völker erwähnte Veränderung der Wortstellung;
so heilst es auch hier 1. Mose 24, 4: sondern dafs du in mein
Vaterland und in meine Freundschaft ziehest und meinem Sohne
Isaak ein Weib nehmest.
Erläuterungen werden oft beigefugt, sie sind meist gut,
knapp und inhaltreich. Parallelstellen sind zahlreich beigefugt.
Zahlen beginnen im Text bei Davids Regierung; auch bei den
Propheten sind einige hinzugefügt. Am Schlufs steht eine Zeit-
tafel, die mit dem Auszug aus Ägypten beginnt, ferner zwei
Karten, die Länder ums östliche Meer und Palästina.
Der Drnck ist für ein Schulbuch zu blafs und dünn^), was
namentlich bei Lampenlicht auffallt. Die Zeilen sind nicht ge-
i:palten. Gesperrter Druck ist zweckmäfsig verwendet, um den
Inhalt der im Druck gemachten Absätze zu bezeichnen.
Die Glarner Bibel wurde ziemlich kurze Zeit nach ihrem Er-
scheinen etwa in der Hälfte der Bremer Gemeinden „auf die
Kanzeln und in die Lehrsäle" eingeführt Der Widerstand der
übrigen Geistlichen und Lehrer gegen sie, namentlich gegen ihre
sprachliche Form'), war die erste Veranlassung zur Herstellung der
Bremer SehnlMbel.
Die Bremer Bibelgesellschaft beantragte zunächst auf der
Konferenz deutscher Bibelgesellschaften im Januar 1890 die ge-
meioschaftliche Herstellung einer Schulbibel. Da die Versammlung
die Bedeutung der Frage zwar anerkannte, den Antrag jedoch
„für jetzt'* und „für sich*' ablehnte, nahm die Bremer Gesellschaft
1} Vielleicht ist Stereotypendrock die Ursache.
*) Damalfl erschien der oben erwähnte Aofsatz von Zaha.
ScitMhr. l a. OjmnMialwMen XLVllL 7. 8. 3X
482 Der gegeDwartige Stand der Schnlbibelfrage,
die Sache allein in Angriff. Sie veröffentlichte die von ihr in
GemeiDBchaft mit einer Anzahl von Schulmännern und Geistlichen
aufgestellten „Grundsätze zur Herstellung einer Schulbihel*' in
den namhaften Kirchen- und Schulzeitungen ^). Dreiundvierzig
Männer'), unter denen elf Geistliche, die übrigen Leiter und
Lehrer höherer und niederer Schulen waren, erklärten sich zur
Hilfe bereit, und der Stoff wurde unter sie in der Weise verteilt,
dafs immer derselbe Abschnitt von zweien, von dem einen mit
Rücksicht auf die höheren Schulen, von dem andern mit Ruck-
sicht auf die Volksschule bearbeitet wurde. Damit dem Werke
die nötige innere Einheitlichkeit nicht fehle, bildete man in
Bremen eine Kommission von vierzehn Mitgliedern, Geistlichen,
Schulvorstehern und Gymnasiallehrern, die sich wiederum in
sechs Unterkommissionen, vier für das Alte Testament, zwei für
das Neue, teilte. 1891 wurden die Mitarbeiter aufgefordert, bis
zum Juli anzugeben, was für Streichungen oder Änderungen sie
in dem ihnen zugewiesenen Abschnitt beabsichtigten. Die ein-
gegangenen Vorschläge wurden zunächst von den Unterkommissionen
geprüft; Ende Januar 1892 begann dann die Gesamtkommission
die Feststellung des Textes zu beraten. Im Februar 1893 wurden
die Ergebnisse dieser Beratung, in die Druckbogen der inzwischen
erschienenen Durchgesehenen Ausgabe eingetragen, an die Mit-
arbeiter verschickt und diese zur Abgabe ihres Urteils aufgefordert.
Nachdem ihre Antworten eingegangen waren, begann die zweite
Lesung. Die schliefsliche einheitliche Redaktion und Drucklegung
besorgte eine kleine Redaktionskommission, bestehend aus den
Herren Schulvorsteher Habenicht, Pastor Mallet und Pastor
Zauleck in Bremen'); im Druck erschien die Schulbibel im
Februar 1894.
') Sie sind auch abgedruckt ia meiner oben nogefiihrten AbhiBdlnng.
Mitteilungen über den Fortgang des Werks finden sieh in der Zeitschr. for
ev. Religionsunterricht I 3, 234. 4, 338. 11 1, 95. 4, 323. 385 and in den Mit-
teilnngen fiir Bibelgesellschaften 1890, 1. 1892, 2, 24. 1894, 3, 48. 4, 157.
') Ein Verzeichnis enthält ein der Sehvlbibel beigegebenes kortes Be-
gleitwort. Zu diesen Mitarbeitern habe auch ich gehört; ich glaube trotsdea
berechtigt zu sein das Buch zu besprechen, da jeder von uns unmlttelbarea
Einflnfs nnr auf den ihm zugewiesenen Abschnitt hatte und auch da die
Rommission gegenüber den gemachten Vorschlagen durchaus nach ihrem Gut-
dünken verfuhr.
>) Für das neue Werk hat sieh, wie ich oben erwähnte, bereits die
Versammlung schlesischer Religionslehrer ausgesprochen; eine karse Be-
sprechung findet sich im schlesischen Familienboten 1894, 14, wo es unter
anderm heifst: „Die Bremer Schul bibel ist in hervorragendem Mafse geeignet
die Jugend für das ewige Gotteswort zu begeistern*'. In der Zeitschr. für
ev. Religionsunterricht wird das Buch von Professor Witte in Schalpforta
besprochen werden. Die Scholbibel dient jetzt (Mitte Mai) bereits in zwölf
Städten dem Schulgebrauch in Privatscholen. In den ersten acht Wochen
sind 1700 Exemplare verschickt worden. Im Herbst wird sie voraassichtlich
in Bremen in alle Schulen in Stadt und Land eingeführt werden.
von k. BahDiseli. 4g3
Wenn bei einer Schulbibel als die Hauptsache der Inhalt und
die Art, wie die Auswahl getroffen ist, betrachtet werden
muby so ist die Bremer Bibel den beiden vorher erwähnten bei
weitem Yorzuziehen.
Anstöfsige Stellen sind mit Geschick geändert. Man
vergleiche t. B. 1. Mose 19, 5—8. 39, 7—9. 1. Sam. 18, 25—22.
Ohne jeden Anstofs ist jetzt der schöne Psalm 139 „Herr, du er-
forschest mich und kennest mich'*, nachdem weggefallen sind
13: Denn du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet
im Motterleibe; 15: Es war dir mein Gebein nicht verhohlen, da
ich im Verborgnen gemacht ward; 19—22. — Luc. 1, 31 lautet:
Siehe, du wirst Mutter werden und einen Sohn bekommen
(Luther: da wirst schwanger werden im Leibe und einen Sohn
gebären). 36. 37: Und siehe, Elisabeth, deine Gefreundete, wird
auch einen Sohn bekommen in ihrem Alter (Luther: Elisa-
beth ist auch schwanger mit einem Sohn in ihrem Alter, und
gehet jetzt im sechsten Mond, die im Geschrei ist, dafs sie un-
fruchtbar sei). Gal. 5,6: In Christo Jesu gilt weder Judentum
noch Heidentum etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe
thätig ist Dabei hat man sich von äbertriebener Ziererei durchaus
ferngehalten.
An einigen Stellen erscheint mir die Änderung nicht zweck-
mäfsig. I.Hose 9, 18 if. lautet in der Bremer Bibel: Da Noah
des Weines trank, ward er trunken und lag in der Butte. Da
nun Ham seinen Vater sah, sagte er's seinen beiden Brüdern
draoTsen. Da nahm Sem und Japhet ein Kleid und deckten ihren
Vater zu. Als nun Noah erwachte von seinem Wein und erfuhr,
was ihm sein jüngster Sohn gethan hatte, sprach 'er .... Die
Stelle ist zunächst unkkr geworden. Soll der Sinn derselbe sein,
wie in der Vollbibel: Er lag aufgedeckt? Das ist aber aus den
Worten nicht zu erraten. Oder wollen die Herausgeber die Vor-
stellung erwecken, dafs Ham sich über den trunken Daliegenden
lustig gemacht habe? Aber einen Trunkenen deckt man doch
nicht zu. Auch bei Völker, welcher sagt: „Er lag in der Hütte
unbedeckt**, bleibt die Sache halb unklar. Verständlich ist sie
nur in der Vollbibel durch die Verse 22: „Da nun Ham sah seines
Vaters Blöfse** (früher hiefs es: Scham) .... 23. „und deckten
ihres Vaters Blöfse zu**, in denen eben der Anstofs liegt. Deshalb
nraCs man meiner Meinung nach die Stelle entweder unverändert
beibehalten, oder völlig weglassen, wie es die Glarner Bibel thut.
ich sehe nicht ein, warum man nicht so verfahren soll. Auf diese
Verfluchung Harns wird, soviel ich weifs, in der ganzen Bibel
Dicht einmal Bezug genommen, und Noah spielt in der Erzählung
doch anch nicht die würdigste Rolle. — I.Mose 15,4: dein Sohn,
den du bekommen wirst (besser V: dein leiblicher Sohn; D:
der von deinem Leibe kommen wird). 1. Sam. 1,6: ihre Wider-
sacherin betrübte sie sehr; die Worte hätten fallen sollen.
31*
484 Der geg^enwärtige Stand der Scbulbibelfrage,
2. Sam. 11,4 heifst es Id der Vollbibel in der Erzählung Ton
Bathseba im Anfang, nachdem David erfahren hat, wer das Weib
gewesen ist, das er gesehen hat : 4 Er liefs sie holen und schlief
bei ihr. Die Bremer Bibel sagt dafür: Er liefs sie holen und
nahm sie zum Weibe. Dann folgt die Erzählung, wie er ihren
Gatten tötet, und darauf heifst es 27: Da sie aber ausgetrauert
hatte, sandte David bin und liefs sie in sein Haus holen.
Weggelassen sind die in der Vollbibel darauf folgenden Worte:
Und sie ward sein Weib. Die angeführten Stellen scheinen mir
nicht richtig gestaltet. Denn die Worte in 4 „er nahm sie zum
Weibe*' bedeuten für den Schüler doch vor allem, dafs die Frau
fortan bei dem Manne bleibt, während es von Bathseba ja erst
später (27) erzählt wird, David habe sie in sein Haus holen lassen.
Und dafs der Schüler bei den Worten an das denken sollte, was
die Vollbibel an der Stelle berichtet, ist doch weder die Absicht
der Verfasser noch ist es nach dem Wortlaut möglich. Die Stelle
hätte so geändert werden müssen, wie die biblischen Geschichten
und die beiden andern Schulbibeln sie enthalten: Als der König
das Weib sieht, läfst er ihren Gatten töten, und dann erst folgen
entsprechend der Vollbibel die Worte aus 27: „und sie ward sein
Weib**. Dadurch wird die Erzählung ja einigermafsen , für die
Schule aber doch in nichts Wesentlichem geändert.
Von Stellen, die in anderer Hinsicht Anstofs geben
können, sind weggelassen 2. Hose 3, 22 Gott befiehlt das Leihen
der Gefäfse von den Ägyptern, während 12, 35. 36 geblieben ist;
Völker und die Glarner Bibel lassen auch diese weg. Bei allen
fehlt 2. Mose 10, 1 „Ich habe sein Herz verhärtet** und 11, 10.
Auch in der Weglassung des für die Schule Unwich-
tigen und Entbehrlichen ist man sehr geschickt verfahren.
Das Buch ist schlank und handlich und doch wird man kaum
etwas Wichtiges vermissen ; alle die Abschnitte, deren Auslassung
ich oben bei Völker und der Glarner Bibel tadelte, sind hier auf-
genommen. Einige Bücher, die in der Schule nie benutzt
werden, sind ganz weggelassen, und ihr Inhalt an der be-
treffenden Stelle kurz angegeben. Es sind im Alten Testament
Esther, Hohes Lied, Obadja, Nahum, Baruch und alle Apokryphen,
die auf die Bücher der Makkabäer folgen. Aus der Chronik sind Ab-
schnitte aus I 28. 29. H 25. 26. 33. 35 aufgenommen; sie sind in
die Bücher der Könige nicht eingefügt. Von vielen Büchern, wie
den Sprüchen, dem Prediger, den Propheten ist sicher
weit mehr vorhanden, als die Schule in der Regel wird benutzen
können; doch ist das kein Fehler, eine Schulbibel mufs sich be-
muhen den verschiedensten Forderungen gerecht zu werden und
mag deshalb lieber etwas zu viel als zu wenig bieten. Mit Recht
sagt Dix in seiner Geschichte der Schulbibel, es müsse keineswegs
alles gelesen werden, was ein solches Buch biete, es müsse nur
alles gelesen werden können. Von den Psalmen fehlen 34; die
voD A. ßähoisch. 4g5
übrigen bieten nach meiner Ansiebt für den Unterricht einen
überreichen und nie zu erschöpfenden Stofl'; ich sagte bereits,
dafs die Bremer Bibel mit 44 Seiten -Psalmen etwa in der Mitte
steht zwischen der Glarner Bibel mit 60 und Völker mit 25 Seiten.
Das Neue Testament ist vollständiger, als in den beiden andern
Büchern und fast unverkürzt. Weggelassen ist der Brief Juda,
verkürzt der zweite des Petrus; die Evangelien sind mit Recht
völlig getrennt geblieben.
Folgende Stellen hätten meiner Meinung nach auf-
genommen oder doch ausführlicher wiedergegeben
werden sollen: 1. Mose 12, Off. schon Abraham sucht bei
einer Teuerung in Ägypten Zuflucht; 15, 8 ff. Abrahams nächt-
liches Opfer, das auch Völker und die Glarner Bibel weglassen;
1. Mose 36 mufste Esaus Wegzug kurz erwähnt werden; 2. Sam.
12, 12; 14, 27; 1. Kön. 5, 1—8. 6, 15—18. 7, 1—14. 9, 10-25.
10, 27: Der König machte, dafs des Silbers zu Jerusalem so viel
war wie die Steine, und Cedernholz so viel wie die wilden Feigen-
bäume in den Gründen; 11, 5. 7; 2. Kön. 14, 4. 15, 20. 24, 11.
Jes. 19, 19—25. Jerem. 11, ISfll Hes. 24, 1. 2. 33, 21. Hosea ist
in passender Weise gekürzt, Joel mit Recht fast ganz aufgenommen.
1. Makkabäer ist mit Recht ausführlich mitgeteilt, von c. 8 hätte
noch mehr geboten werden sollen.
In dem Wortlaut der Übersetzung hat man sich natür-
lich an die Durchgesehene Ausgabe angeschlossen, doch sind „eine
Reihe kleiner Berichtigungen und Verbesserungen vorgenommen
worden, um dem Lehrer zeitraubende und unfruchtbare Erklärungen
zu ersparen*'. So lautet Ps. 19, 5 Ihr Schall geht aus in alle
Lande (D: Schnur); 51, 6 auf dafs du recht behaltest in deinen
Worten und rein bleibest, wenn du richtest (nach Deutsch;
Kautzsch: rein dastehest in deinem Urteil); 84, 7 steht im Text
der Wortlaut der Durchgesehenen Ausgabe: Und die Lehrer werden
mit viel Segen geschmückt, in der Anmerkung: und ein Spat-
regen kleidet es mit Segen (Kautzsch: der Frühregen bedeckt
es mit Segen); 104, 4 im Text die Übersetzung der Durchgesehenen
Ausgabe, in einer Anmerkung: Richtiger: Der du Winde zu
deinen Engeln und Feuerflammen zu deinen Dienern
machst (Kautzsch: der Winde zu seinen Boten macht, zu seinen
Dienern loderndes Feuer); Luc. 1, 1 Sintemal sich's viele unter-
wunden haben zusammenzustellen (D: zu stellen) die Rede
von den Geschichten, die (D: so) unter uns ergangen sind, wie
uns das überliefert haben (D: gegeben), die es von Anfang an
selbst gesehen; Apost. 1, 16 Judas war ein Führer derer, die
Jesum fingen (D: Vorgänger); Barsabas mit dem Zunamen Justus
(D: Just); 2, 36 dafs Gott diesen Jesum, den ihr gekreuzigt habt,
zum Herrn und Christus gemacht hat (D: zu einem Herrn
nnd Christ); 4, 9 so wir heute werden verhört {cn^ccxQivofibsd'aj
D: gerichtet). Unzweifelhaft kann man den meisten dieser
486 ^^^ gegenwärtige Staad der Schulbibelfrage,
ÄnderuDgen nur zustimmen. Auch die Revisionskommission wollte
noch so manche Stelle ändern, die schliefslich unverändert ge*
blieben ist. Denn oft fand sich die nach der Geschäftsordnung
notwendige Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen wohl für die
Verwerfung der bisherigen Obersetzung, man konnte sich jedoch
über den an die Stelle zu setzenden Wortlaut nicht einigen und
mufste infolge dessen die schon verworfene Übersetzung bei-
behalten. Erwägt man das, so kann man dem Verfahren der
Bremer Bibel nur zustimmen. Die geänderten Stellen sind ver-
hältnismäfsig nicht zahlreich, und bei allen „bekannten Kern- und
Memoriersprüchen" hat man auf jede Änderung verzichtet. So
stimmen z. B. 1. Mose 49, 10, Jes. 9, 6 und 53 mit der Durch-
gesehenen Ausgabe überein. HErr, das Völker aufgiebt, die
Glarner Bibel oft durch Jehovah wiedergiebt, ist beibehalten und
wird da, wo es zuerst vorkommt, 1. Mose 2, 4, in einer Anmerkuag
und später im Verzeichnis erklärt.
Die Überschriften sollten in fettem Druck gehalten sein,
wie bei Völker; zusammenfassende Überschriften für Haupt-
abschnitte sind nicht angewendet. Unterabteilungen sind durch
Absatz im Druck bezeichnet, da fortlaufender Satz angewendet ist.
Auch sie erhalten oft noch eine Art Überschrift dadurch, dafis
wichtige Worte gesperrt gedruckt sind. So ist verfahren in den
Büchern Mose bei den Vorschriften über Opfer, Feste und ähn-
lichem, Matth. 13 bei den Gleichnissen vom Himmelreich; bei den
Paulinischen Beisen sind die verschiedenen Orte gesperrt gedruckt
Auf diese Weise wird z. B. die zweite Reise 15, 36 — 18, 22 in
trefflicher Weise fürs Auge zusammengefaßt und zugleich aus-
reichend gegliedert. Doch hätte man den gesperrten Druck nach
meiner Meinung noch viel häufiger zur Unterscheidung der ein-
zelnen Abschnitte verwenden sollen, so 2. Mose 21, 5. Mose 19 — 25.
Auch die Namen der jüdischen Könige hätten wie bei Völker bei
ihrer ersten Erwähnung auf diese Weise hervorgehoben werden
sollen. An andern Stellen hätte man kürzere Abschnitte mit
häufigeren Überschriften machen sollen. So sind in der Über-
schrift Matth. 13, 53: „Jesus in Nazareth. Enthauptung des Täufers**
doch zwei Dinge zusammengefafst, die miteinander nichts zu tbun
haben. Ebenso Matth. 9. Die allzu langen Überschriften der
Durchgesehenen Ausgabe sind meist gekürzt worden, z.B. l.Kön.
21; zuweilen sind sie jedoch auch in der Bremer Bibel zu lang,
so Matth. 9. Die Überschrift soll den Hauptinhalt eines Abschnitts
übersichtlich und deshalb kurz hervorheben, nicht aber jede
Einzelheit berücksichtigen, und Stellen wie Matth. 9, 37 ff. oder
11, 280*. brauchen in der Überschrift nicht besonders erwähnt zu
werden.
Sehr merkwürdig ist es, dafs wie in der Glarner Bibel die
Überschriften bei den Psalmen gänzlich fehlen, und doch sind
sie hier, wo die Auffassung des Inhalts für den Schüler so sehr
von A. Bähuisch. 4g7
schwierig ist, von besonderer Wichtigkeit. Wie trefflich erleichtern
die Oberschriften der Durchgesehenen Ausgabe das Verständnis
und das Behalten des Inhalts z. B. b.ei Psalm t : Seligkeit der
Frommen Unseligkeit der Gottlosen; 23 Der gute Hirte; 46 Ein
feste Burg ist unser Gott; 51 Bufsgebet Davids. Damit soll nicht
gesagt sein, dafs man den Wortlaut der Durchgesehenen Ausgabe
überall unverändert hätte aufnehmen müssen. Sicherlich läfst
sich noch manches bessern, namentlich kürzen. So war die
frühere Oberschrift von 104: „Lob Gottes aus dem Buche der
Natur'* meiner Ansicht nach schöner als die jetzige: „Preis Gottes
aus den Werken der Schöpfung^'.
Der Parallelismus der Psalmen und anderer poetischer
Abschnitte ist nicht angedeutet. Die epische Breite ist unan-
getastet geblieben.
Kapitel- und Verszahlen stehen am Rande, die letztern
vollständig wie in der Glarner Bibel. Doppelte Zählung ist da,
wo die Durchgesehene Ausgabe sie noch hat, z. B. 1. Kön. 5,
beseitigt und nur die erste der dort stehenden Zahlen beibehalten.
BezügUch des sprachlichen Ausdrucks hatten die
„Grundsätze'' erklärt: „Die Schulbibel mufs den von den deutschen
Landeskirchen recipierten oder jetzt neu zu recipierenden Text
beibehalten'*; im Verlauf der Arbeit kam man jedoch von dieser
Meinung einigermafsen ab, und so ist in dem vorliegenden Buche
veraltete Ausdrucksweise oft beseitigt. So heifst es zwei statt
zween und zwo, hob, stand (D: hub, stund), I.Mose 4, 20 und
an allen ähnlichen Stellen: von dem sind hergekommen (D:
herkommen); 1, 16 ein grofses Licht (D: grofs); 26 kriecht
(DV: kreucht); 2, 24 darum wird ein Mann Vater und Mutter
verlassen (Df seinen Vater und Mutter); 3, 22 Adam ist geworden
wie unser einer (D: worden als); Apost. 2, 2 ein Brausen wie
eines gewaltigen Windes (D: als) u. 5.; 1. Mose 18, 7 und an vielen
ähnlichen Stellen: Knecht (DV: Knabe); 28, 13 und an ähnlichen
Stellen: das Land, darauf du liegest (D: da du auf liegest);
2. Kön. 17, 5 „es" bezogen auf Samaria, ebenso 21,7 „das''
bezogen auf Jerusalem, während 12, 18 „sie" bezogen auf Gath
geblieben ist. Matth. 10, 28: die die Seele nicht können töten,
während mögen 1. Mose 13, 6 und 1. Kön. 8, 27 geblieben ist;
Joh. 10, 26: Ihr seid nicht von meinen Schafen, wie ich euch
gesagt habe (D: meiner Schafe als, V: meine Schafe wie); andere
Stellen wurden oben bei der Besprechung von Völkers Buch
angeführt. Als nicht glücklich bezeichnet Weck die Änderung an
Stellen wie Psalm 139, 14 Wunderbar sind deine Werke, und
das erkennt meine Seele wohl (D: wunderbarlich, erkennet).
In der That hat der Rhythmus hier durch die Beseitigung der
volleren Formen wohl gelitten.
Doch ist man in Bezug auf sprachliche Änderungen
sehr vorsichtig verfahren und hat den Wortlaut der Durch-
488 ^^^ {gegenwärtige Stand der Schalbibelfrage,
gesehenen Ausgabe überall da unangetastet gelassen, wo es irgend
möglich war. So wird das Bach auch bei denen Beifall finden,
die der Ansicht sind, dafs eine Schulbibel sich von Luthers
Sprache nicht oder nur ganz wenig entfernen dürfe. Ich hätte
eine Änderung unter andern an folgenden Stellen ge-
wünscht: 1. Mose 1, 8 der andre Tag, ebenso 17, 21;
1, 20 Gefieder fliege (G: Vögel, V: Gevögel); 7,9 Mann*
lein und Weiblein von Tieren; 13, 8 Gebrüder, es
niülste heifsen Brüder nach 13, 11. 14, 14. 29, 12; 14, 15 er
jagte ihnen nach und teilte sich (G: teilte seine Schar); 17,6
ich will von dir Völker machen; 18,3 gehe nicht deinem
Knechte vorüber (G: an); 19,22 da Lot in Zoar einkam;
21, 14 er liefs Hagar aus; 24, 61 der Knecht nahm Rebekka
an; Jes. 3, 15 da ihre Füfse ins Wasser tunkten (G: tauchten);
4. Hose 14, 45 sie zerschmissen sie; 1. Kön. 16, 15 das Volk
lag vor Gibbethon der Philister; 17,21 Elias mafs sich über
dem Kinde; 18, 23 Parren; 25 euer ist viel; 19, 21 er kochte
das Fleisch mit dem Holzwerk an den Rindern; 2. Kön. 4,27
sie hielt Elisa bei seinen Fü&en, Gehasi aber trat hinzu, dafs
er sie abstiefse; 18,24 wie willst du denn bleiben vor der
geringsten Hauptleute einem von meines Herrn Unter-
thanen; 19, 25 da lag es alles eitel tote Leichname; l.Chron.
28, 2 ich hatte mich geschickt zu bauen; Apost. 17, 15 aufs
schierste; unverständlich ist für uns heute auch Zukunft im
Sinne der Wiederkunft Christi.
Beibehalten ist auch die Weglassung des zweiten Sub-
jekts bei Subjektswechsel, wie 1. Mose 3, 5: so werden eure
Augen aufgethan und werdet sein wie Gott; 3,7 da wurden
ihrer beider Augen aufgethan und wurden gewahr; 6, 6 es be-
kümmerte ihn in seinem Herzen und sprach; dagegen ist, aller-
dings nur durch einen Zusatz in Klammern, geändert 1. Tim. 2, 4
Gott will, dafs allen Menschen geholfen werde und (dafs sie)
zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.
Oft ist der veraltete Ausdruck durch einen in
Klammern beigesetzten erklärt, wie es scheint besonders
häufig im Neuen Testament: Ruth 2, 1 ein weidlicher (wohl-
habender) Mann; Matth. 5, 34 dafs ihr allerdinge (über-
haupt) nicht schwören sollt, während Apost. 18, 21 es durch
durchaus ersetzt ist; 10,35 Schnur (Schwiegertochter),
während Ruth 2, 20 Schnur ohne Erläuterung und I.Mose 11,31
Schwiegertochter im Text steht: Apost. 19, 23 diesen Weg
(Lehre); 27, 29 harte Orte (Klippen); 27, 39 Anfurt
(Bucht); 2. Job. 3, 16 es ist (giebt) eine Sünde zum Tode;
femer Matth. 7, 28; 13, 54; 8, 14; 1. Kor. 2, 4; Eph. 5, 4.
Erläuterungen sind reichlich beigefügt, kürzere in Klam-
mern wie Matth. 21, 9 Hosianna (o hilf doch), längere unter
dem Text wie Matth. 10, 25 zu Beelzebub. Der Name Jakob
voo A. Bähniflch. 4g9
wird I.Mose 27, 36 erklärt: „er beifst wohl Jakob (Unter-
treter), denn er hat mich nun zweimal untertreten*', während
bei der Erzählung von der Geburt mit Recht jede Erläuterung
fehlt (s. oben). Eine Erklärung vermisse ich an folgenden
Stellen: 1. Mose 37, 34 müfste zu Sack, das nur im Verzeichnis
erläutert ist, im Texte beigefugt sein Trauergewand, wie bei
Völker, wenn man es nicht lieber geradezu dadurch ersetzen will;
1. Kön. 5, 1 zu Strom: Euphrat; 2. Kön. 18, 4 eine Erklärung
zu Nehustan.
Parallelstellen sind mit Recht nur in ganz kleiner Zahl
zugefügt und zwar am Fufs der Seite. Sehr nützlich ist es, dafs
die in der Durchgesehenen Ausgabe beigefügten und so wichtigen
Abschnittsparallelen aufgenommen sind, und zwar, wie in dieser,
in den Text am Anfang des betreiTenden Abschnitts. Völker hat
sie anten an der Seite, was nicht zweckmäfsig ist, denn man
findet so nur schwer das Zugehörige; aufserdem giebt er nur die
Kapitel-, nicht die Verszahlen an.
Am Schlüsse ist beigefugt ein Verzeichnis „einzelner
Sach- und Worterklärungen'*, das sich mit Recht ziemlich
genau an das vortreffliche (von Riehm verfafste) der Durch-
gesehenen Ausgabe anscbliefst. Dann folgt eine Zeittafel, wäh-
rend im Text keine Jahreszahlen gegeben werden. Sie beginnt
mit Abraham; der geschichtlichen Genauigkeit ist Rechnung ge-
tragen durch die Bemerkung, dafs die Zahlen bis zum Jahre 740
gröfstenteils auf Vermutung beruhen.
Die Karten sind weit zahlreicher als die der beiden andern
Böcher und sehr gut. Sie umfassen sechs Seiten und enthalten:
1. Vorderasien, 2. die Sinaihalbinsel mit Kanaan, 3. Palästina
zum Verständnis des Alten Testaments, 4. Palästina zur Zeit
Christi, 5. Jerusalem und Umgebung, und auf derselben Seite
einen Plan der Stadt zur Zeit Jesu, 6. die Reisen des Paulus.
Die vortreffliche äufsere Ausstattung, die bei einem
Schulbuch so wichtig ist, wird noch besonders dazu dienen dem
Bache Freunde zu erwerben. Der Satz ist gespalten, „weil nach
dem Urteil der Augenärzte und nach allgemeiner Erfahrung der
Lehrer die Kinder kurze Zeilen leichter festhalten können''. Für
den Druck ist „Korpus- (Gr. Garmond-) Fraktur guten und klaren
Schnitts'* verwendet. Die Schrift ist in Bezug auf Gröfse und
Form von den Augenärzten Professor Dr. Cohn in Breslau und
Dr. Mecke in Bremen „geprüft und gut befunden" worden. Der
Druck ist in der That ausgezeichnet; er ist schwärzer und schärfer
als der der Glarner Bibel, gröGser, weiter und von einfacherer und
deshalb leichter lesbarer Gestalt als der Völkers. Von Druckfehlern
habe ich nur bemerkt nmher Richter 2, 14; 2. Sam. 1, 27 fehlt,
die Verszahl; I.Mose 11, 27 ist Seth, das in den Probebogen
stand, in der Bibel selbst bereits berichtigt.
Der Einband ist schön und dauerhaft, von schwarzem Leder-
490 J^er gegenwärt. Staod d. Schalbibelfrage, v. A. Bähnisch.
tuch mit Goldtitel auf dem Röcken, das Buch auberdem Doch
durch einen hübschen, starken, dunkelgrauen Shirtingumschlag
geschützt, der den Titel Schulbibel auf der Vorderseite und dem
Rucken trägt
Vorschläge zur Verbesserung des Buchs sind der Bremer
Bibelgesellschaft erwünscht; es heifst darüber am Schlüsse des
Begleitworts: „Da wir, um stets einen klaren, guten Druck zu
erzielen, die Schulbibel nicht stereotypieren lassen, sind wir in
der Lage, so lange es nötig scheint, bei künftigen Auflagen Ver-
besserungen Yorzunehmen, und bitten deshalb dringend etwaige
Vorschläge und Wünsche, die nicht den Charakter des ganzen
Werkes ändern würden, an den Schriftführer unserer Arbeits-
kommission, Herrn Pastor Zauleck, gelangen zu lassen". Auch
ich habe geglaubt dem trefflichen Werk, dessen zweite Auflage
gewifs nicht lange auf sich warten lassen wird, dadurch am
meisten zu nützen, daTs ich ausführlich hervorhob, worin ich ab-
weichender Meinung war.
Vergleichen wir die drei Bücher noch einmal kurz, so
fehlen in der Glarner Bibel unentbehrliche Abschnitte, die Er-
zählung ist oft kurz zusammengezogen, und der Ausdruck weicht
zu stark von dem uns Deutschen lieb und vertraut gewordenen
Luthers ab. Auch bei Völker fehlt vieles Wichtige, und die
Erzählung ist oft unnötig und unschön gekürzt Die Bremer
Bibel ist nach Inhalt und Form der vollständigste und geschickteste
Bibelauszug; da sie auch sonst viele Vorzüge besitzt, so glaube
ich, dafs sie wohl geeignet ist für die Zukunft weite, vielleiclit
allgemeine Verbreitung zu erlangen.
Glogau. Alfred Bähnisch.
ZWEITE ABTEILUNG.
LTTTERAEISCHE BERICHTE.
Ernst Scholz«, Das römische Porom als Mittelpaokt des öffent-
lichen Lebeos. Mit 4 Abbildoogen. (Gymnasial-Bibliothek Heft 17.)
Gütersloh 1893, Bertelsmann. 72 S. 8. 1,00 M.
Die Forderung, dafs die Ergebnisse der archäologischen For-
schung auch für den Unterricht mehr als früher verwertet werden
sollten, ist in Versammlungen durch öflenüiche Besprechung, in
Zeitschriften und Abhandlungen immer häufiger betont worden.
Gewifb mit Recht. — Denn volles Verständnis der Schriftsteller ist
nur demjenigen möglich, welchem auch die Bedingungen des
Lebens» unter denen jene standen, hinlänglich bekannt sind; und
eines der mächtigsten Antriebe zur Liebe des Altertums begiebt
sich der Lehrer, welcher die antike Kunst ignoriert.
Demnach muTs der Unterrichtende selbst Kenntnis und An-
schauung der Antike besitzen; ferner mufs aber auch die Möglich-
keit vorhanden sein, dafs eine Übertragung dieser Kenntnis und
einer entsprechenden Liebe zur Antike auf die Jugend wirklich
stattfinden kann. Diese Möglichkeit ist aber leider nicht
ausreichend vorhanden.
Zwar fehlt es nicht an Publikationen und Anschauungsmitteln
(von allzu hohen Anforderungen wollen wir absehen), auch fehlt
es nur selten an Geldmitteln, um für jede Schule das Notwendigste
anzuschaffen, aber es fehlt an dem noch notwendigeren Faktor,
ohne welchen auf der Welt nichts vollbracht wird, an Zeit Wer
mit gutem Gewissen von sich behaupten kann, daüs er im Unter-
richte die erforderliche Zeit finde, seine auch in den obersten
Klassen mit elementaren Schwierigl^eiten ringenden Schüler neben-
bei in Archäologie und Kunst einzuführen, ohne Schädigung drin-
genderer Erfordernisse, der wäre allen Lobes wert. Ref. kommt nur
noch zu gelegentlichen Bemerkungen und zur Anregung privater
Beschäftigung.
Unter diejenigen Mittel nun, welche hier helfend eintreten
können, rechnen wir die von Pohlmey und Hoffmann unter dem
Titel „Gymnasial-Bibliothek'' herausgegebene Sammlung. Denn sie
soll den Schülern zn privater Lektüre in die Hände gegeben
werden und soll, was in der Schule nicht möglich ist, auf privatem
Wege erreichen. Der Verfasser des vorliegenden 17. Heftes, ein
492 E. Schalze, Das römische Forum, agz. v. F. Friedersdorff.
im In- und Auslande bewährter Schulmann, bekannt auch durch
mehrere Schriften archäologischen Inhalts, hat sich bemüht,
von dem forum Romanum, so wie es jetzt ist und ^ie es einst
war, und von dem, was es für die Römer bedeutete, der Jugend
ein lebendiges und klares Bild zu geben. Er verschafft uns zu-
nächst (S. 1 — 4) einen Überblick über die Lage des Platzes, seine
allmähliche Umgestaltung, durch Trockenlegung, Pflasterung, Tempel-
bauten; dann seiner Veränderung durch Verheerungen und Einflüsse
der Zeit; von S. 7 — 12 tritt darauf der Verf. eine Wanderung
durch die Ruinen des Forums an und sucht sie so zu ergänzen,
dafs wir uns das Forum zur Zeit des Augustus vorzustellen ver-
mögen. Die klare und leicht fafsliche Darstellung befähigt auch den
Ungeübten, dieser Wanderung zu folgen, und da es auch an kleinen
Karten nicht fehlt, ist zu hofi'en, dafs sich eine gute Grundlage
für das Verständnis der weiteren Ausführungen bilden wird.
Denn hierauf beginnt der Verf. das Forum als Mittelpunkt
des römischen Lebens zu betrachten und zwar S. 12 — 25 des
religiösen, S. 25->58 des politischen, S. 58 — 70 des geschäftlichen
Lebens. Diese Schilderungen sind für Schüler und Laien von
Interesse und Wichtigkeit. Denn wir werden mitten hineinversetzt
in die wichtigsten Vorgänge des römischen Lebens, wir sehen das
Volk bei der Feier seiner Feste, die Priester bei ihren Opfern, die
Sieger im Triumphe, die grofsen Männer im Leichenzuge. Eine
Fülle der bedeutendsten Erzählungen aus der grofsen Vergangen-
heit Rx)ms dient als Beispiel und Erläuterung. Der Wert des
Heftes liegt nach unserer Meinung darin, dafs es die Begeben-
heilen der römischen Geschichte und die Erscheinungen des
römischen Lebens mit den erhaltenen Denkmälern selbst in Ver-
bindung setzt, und dafs dies in einem verständlichen und lebhaften
Vortrag geschieht, der auch der Hinweisungen auf die Stellen der
Klassiker nicht entbehrt, an denen genauere Kunde zu suchen
ist. So verbindet sich sinnliche Vorstellung mit geistigem Erfassen
und hinterläfst in der Seele einen bleibenden Eindruck.
Alle Kollegen, welche in diesen letzten Jahren über die rasch
zunehmende Unkenntnis der Schüler in alter Geschichte und in
allem, was sich auf das Altertum bezieht, geklagt haben, seien
hingewiesen auf die Mittel, welche Hefte wie das vorliegende
bieten, um Kenntnisse und Interesse bei der Jugend zu verbessern.
Zum Schlüsse sei nur bemerkt, dafs die Ausstattung der
Karten doch eine bessere sein müfste. Die Skizze des Forums
ist so klein und insbesondere die beigedruckte Schrift ist so
winzig, dafs sie als unleserlich und gesundheitschädlich bezeichnet
werden mufs. Speziell der Schüler, welcher die also bezeichneten
Monumente nicht kennt, wird sie nicht ßnden, da er die Schrift nicht
lesen kann. Auch die Abbildung des Janusbogens erscheint nicht
glücklich, wenigstens ist von einem Bogen dabei nichts zuerkennen.
Halle a. S. F. Friedersdorff.
H. Ziemer, Lat. Sehnlgrammatik, agz. v. M. Engelhardt. 493
H. Ziemer, LateiDische Sehnl^rammatik. 2 BSnde. Berlin 1893,
R. Gärtner. 158 n. 238 S. 8. geh. 3 M.
Herr H. Ziemer, bekannt als gelehrter Sprachforscher und
erfahrener Schulmann, der lange dafür gewirkt hat, dafs die
sicheren Ergebnisse der vergleichenden Sprachwissenschaft in der
Schule verwertet werden möchten, ist jetzt selbst daran gegangen,
die Resultate der Wissenschaft nach den Erfahrungen seiner mehr
als zwanzigjährigen praktischen Thätigkeit für die Schule ver-
wendbar zu machen und gleichzeitig den Anforderungen der
neuen Lehrpläne gerecht zu werden.
Trotz der Schwierigkeit der Arbeit konnte man Bedeutendes
erwarten, und es ist geleistet.
Man sehe sich nur in der Lautlehre den § 6 vom „Laut-
wandel*', in der Formenlehre die Deklination, in der Kasuslehre
den Akkusativ, in der Lehre vom „Verbum im Satze** den In-
finitiv (§ 239—252), unter den Partizipialkonstruktionen den Ab-
lativus absolutus, in der Hoduslehre die „Modusausgleichung**
($ 295) und das Kapitel über die Oratio obliqua (§ 324) an, und
man wird eine Vorstellung von der enormen Arbeit bekommen,
der sich der Verf. unterzogen hat
Die Erklärung auf dem Titelblatt: „Elfte, gänzlich umgear-
beitete Auflage der Schulgrammatik von Prof. W. Gillhausen**
(früher Moiszisstzig) ist völlig gerechtfertigt, und was Z. im Vor-
wcNTt daröber sagt, wie er sich den neuen Lehrplänen gegenüber-
gestellt hat, so hat Ref. (abgesehen von Punkt 3, den er nicht
hat prfifen können,) in mehrmonatlichem Studium alle dahin-
gehenden Angaben bestätigt gefunden.
Zwei Umstände, durch die diese neue Schulgrammatik sich
über die mir bekannten bisherigen vorteilhaft erhebt, möchte ich
Torweg kennzeichnen: 1. „die Beispiele gehen ... den Regeln
voraus, um die induktive Ableitung der Regeln zu erläutern**;
2. ^eine der ersten und wichtigsten Aufgaben der Grammatik,
den Lernenden in die Gesetzmäfsigkeit der Sprache einzufuhren,
ihm eine Ahnung davon zu vermitteln, dafs die Grammatik eine
bewunderungswürdige Wissenschaft ist*', wird hier zum Durch-
brach gebracht.
Das alte Wort Friedrich August Wolfs: „Es ist eine lumpigte
Pädagogik, die mit der grammatischen Regel anfängt'*, scheint
noch immer nicht allgemein bekannt und noch weniger allgemein
alB richtig anerkannt zu sein. Wer, was Wolf verlangt, einmal
eine kurze Zeit mit Schülern erprobt hat, wird es nie wieder
anders machen.
Wer es nicht selbst ausprobiert hat, glaubt nicht, wie viel
leichter die Schüler die Regeln verstehen und behalten, wenn
man die induktive Methode anwendet. Wie sehr das Voraus-
setzen der Reispiele auch die Form der Regeln vereinfacht, kann
man erkennen, wenn man die Regeln über den Gebrauch des
494 H.Ziemer, Lateioisefae Sehalf ramnatik,
Deutschen „man*' bei Gillh. § 366 mit Z. § 160 vergleicht, eben-
so in dem Abschnitt über die Obereinstimmung des Prädikats bei
mehreren Subjektswörtern (Ziemers § 164, eine knappe Seite,
enthält alles Wesentliche; Gillh. hat dafür § 351 — 355 zwei starke
Seiten). Ich habe sämtliche Beispiele dieser Paragraphen aus
Gillh. verglichen und finde, dafs sie durchweg unter die viel ein-
facheren Regeln Ziemers passen, nur eins nicht: naves et captivi
ad Chium sunt capta. Derartig vereinzelte Abweichungen wird
indes der Lehrer bei der Lektüre selbst zu erklären befugt sein.
Zum Lernen für die Schiller ist das doch nicht, und darum sind
Regeln darüber in den Schulgrammatiken nicht mehr nötig. Leider
sind die Beispiele nicht überall vorangesetzt; so vermisse ich das
in der Kasuslehre in den §§ 175, 179, 180, 181, 197; im § 194
würden die Beispiele am besten auf die Redensarten (cura cor-
poris . . amor det) folgen, ähnlich 199, 201 — 204 durchweg. —
Vielleicht entschliefst sich Z., diese Neuerung überall durchzu-
führen; er sagt im Vorwort, er habe es gethan, „wo es irgend
thunlich schien*'; ich wufste keinen Grund anzugeben, warum es
in den $§ 298—323 nicht thunlich sein sollte. Gerade die Lehre
vom Gebrauch der Konjunktionen scheint mir besonders dazu ge-
eignet. Ich habe in Ober- Tertia die Konjunktionslehre stets so ein-
geübt, dafs ich die Beispiele zuerst lesen und die Schüler selbst
durch Abfragen die Regeln finden liefs, und es hat mich nie gereut.
Über den zweiten Punkt, „den Lernenden in die Gesetz-
mäfsigkeit der Sprache einzuführen**, kann ich mich hier wegen
Mangels an Raum nicht weiter auslassen.
Ich begrüfse es mit wahrer Freude, dafs endlich durch die
lateinische Schulgrammatik die vielgerühmte Schulung des Geistes
zur Wirklichkeit werden soll. Das ist der hauptsächlichste Fort-
schritt, den Ziemers Arbeit nach meiner Ansicht macht, und wer
die oben erwähnten Abschnitte daraufhin mit prüfendem Geiste
durcharbeitet, der wird zu der Überzeugung kommen müssen,
dalk Z. Recht hat, wenn er gegen Ende des zweiten Bandes S. 210
seinen Rückblick mit den Worten schliefst: „Kaum eine andere
Sprache besitzt so logische Schärfe des Ausdrucks und der Fügung,
so strenge Folgerichtigkeit des Denkens als die lateinische. Auch
hier offenbart sich der klare und scharfe Verstand des Römers,
bei dem Verstand und Wille ungleich stärker entwickelt war als
Einbildungskraft und Gemüt. Darum ist das Studium der latei-
nischen Sprache eine vorzügliche Schule der Logik. Wer einen
klaren Einblick in die lateinischen Sprachgesetze gewonnen, wird
zu jeder schwierigen Denkarbeit fähig sein**. Ich könnte Z. fast
zürnen, dafs er nicht auch in der Konjugation einen stärkeren
Gebrauch von den Ergebnissen der Sprachvergleichung gemacht
hat. Doch darüber später!
a) Deklination. Im § 19 würde ich gern erwähnt ge-
funden haben Formen wie sjuosy equöm^ servös, serudm. Nach
I
tngez. voD M fiogelhardt 495
Bersu haben die Römer niemals 9ervu8, equus gesprochen, sondern
nur aervo$^ equo$ oder ecüs. In der schönen Übersicht Ober die
Bildung der Deklinationen ($ 52 f.) wird das freilich erwähnt, aber
da die zweite Deklination ausdrücklich als o-Deklination bezeichnet
wird, durften die ursprünglichen Formen auf -os und -om kaum
fehlen , zumal sie häufig bei Vergil Yorkomroen. Zu § 29. Bei
Gillh.^^ sind eivis, an, mons noch zu den Konsonantenstämmen
gerechnet, bei Z. richtig zur zweiten Gruppe. § 38 f. Die Re-
geln über Adjektiva und Partizipia sind sehr vereinfacht; doch
vermisse ich celemm. §31 ff. Ober die Genusregeln wage ich
kein Urteil; was besser ist, mufs durch die Praxis erprobt
werden. Doch wird es Sextanern trotz § 6B.5 sehr schwer wer-
den, im $ 33 corpus, genus, tinis, pulvis mit der Regel, „welche
im Nom. ihren Kennlaut behalten*', in Einklang zu bringen; nix
($ 32), hiems (§ 33), sanguis (§ 36) scheinen nicht recht in die
Regeln hineinzupassen. Doch sind sie schwer unterzubringen ; am
ehesten gehören sie in § 35. — Die griechischen Lehnwörter sind
den neuen Lehrplänen gemäfs in $ 45 — 47 zusammengefafst. —
Im § 52, 1 dürfte hinter mos hinzuzufügen sein : „ausgenommen
hiems und sanguis^^ und zwei Zeilen später nach heüum die schöne
Erklärung, die Perthes dafür giebt, warum das n. sg. im Nom.
die Endung -m hat. Sie erscheint naturlicher als Ziemers Angabe
im § 250. Auffallend ist in demselben § 52 ZI. 4 y. u. die Tren-
nung mag-nSn. — § 61 II. Wo firmiter, humaniter, audacler Platz
&nden, durfte m. E. auch diffieuUer nicht fehlen. — § 68. Die
determinativa sind von den demonstrativa gesondert; die deutschen
Übersetzungen zu sui, at&t, se sind vollständig, was man beim
Unterricht oft vermifst, ebenso § 72 bei is, ea, id; auch ist eo,
ea, eo von ab eo etc. geschieden ; nach meinen Erfahrungen mufs
ich für q»s0 (§ 74) durchweg die deutsche Übersetzung wünschen.
— Neu hinzugekommen sind die §§ 79 — 81 über Pronominal-
adjektiva, Pronomina correlativa und korrelative Pronominal-
adverbia.
b) Konjugation. Wie der Verf. in der Syntax seine eignen
Wege geht, so hätten auch in der Konjugation die Z. wohlbe-
kannten Errungenschaften in etwas gröfserem Hafse verwendet
werden können. Bei neuen Auflagen wird sich das schwer
machen lassen. Gehen mufs es aber doch; freilich sind ja für
den Lehrer neue Auflagen, die bedeutende Änderungen enthalten,
sehr unbequem; aber es kann doch nicht jeder Fortschritt auf-
hören, wozu wir auf den besten Weg zu geraten scheinen. Ich
vermisse hauptsächlich die Nennung und Erläuterung der Präsens-
verslarknngen im §86, zum wenigsten im Hinweise auf §95
[capto) ^ nebst den daraus entstehenden Folgerungen für § 108,
10 — 14: Ziemers § 108 unterscheidet sich von Gillhausens § 213 f.
dadurch, dafs edo und hgo in die Nähe von emo gerückt sind*
Da doch schon die alphabetische Ordnung aufgegeben ist, würde
496 H- Zienier, Lateioische ScholgraniiDatik,
auch capto neben facio und iacio zu rücken sein, dann erst foüo
und fugio folgen dürfen und die auf fodio folgende Oberschrift
„mit Ausstofsung der PrSsensverstärkung'* eine Seite früher hinter
neglego und vor capto gesetzt werden müssen. Denn die Be-
merkung §86A. 2, wo capto als 1-Stamm bezeichnet wird, ist
ein einfaches Versehen , welches im § 95 leider nicht aufgeklärt
wird. Demnach wären im § 86 A. 2 ZI. 1 die Worte „t-Stämme
(capto) und'' und Z. 7 „t und'' zu streichen. £s giebt ja in der
dritten Konjugation auch I-Stämme, z. ß. R^-^, st-ti-o, wie Z.
selbst § 93, 3 lind 110 angiebt; aber diese sind in keiner Weise
für die Einteilung mafsgebend. Wollte man die bezeichneten
Worte in Anm. 2 nicht streichen, so müfsle das Richtige, das
darin liegt, erst wieder durch Beispiele erläutert werden, die zu-
nächst auf den Schüler verwirrend wirken würden. Auch die
Worte derselben Anmerkung Z. 11 würde ich streichen, da eine
genaue Anlehnung an die Deklinationen, deren Z. nach dieser
Teilung 6 aufstellen müfste, doch nicht stattfindet. Denn von
einer 0-Konjugalion, die der zweiten Deklination entspräche, hat
die lateinisclie Sprache nur noch Reste, die in eine Schulgram-
matik nicht gehören. Von der Präsensverstärkung n ist dann noch
einmal die Rede § 109 S. 108 unten bei flec-t-o und nec-t-o und
den darauf folgenden K-Stämmen. Zur Erläuterung wären hier
zu Nr. 1 — 7 (cingo, ungo) verwandte Worte wie iugum, plaga, nix
hinzuzufügen gewesen; jedoch wäre es noch besser, da bei dngo
— ungo die Präsensverstärkung schon fest zum Verbalstamm ge-
hört, nur fingo, pingo, stringo als durch n verstärkt zu bezeichnen.
— Im $ 85, dessen Bezeichnung übrigens am Rande fehlt, Anm.
ist die veraltete Anschauung über das r des Passivs, die wir noch
bei Gillh. § 169 finden, getilgt. — Gillhausens Kap. 47 {esse nebst
Komposita) hat Z. in § 118 unter die unregeimäliigen Verba ver-
wiesen. — § 86—89 sind neu dazu gekommen; besonders die
Ableitungstabellen im § 89 werden vielen Kollegen erwünscht sein.
Wenn § 86 Anm. 3 Formen wie audiont, legont erwähnt werden,
so konnte auch angegeben werden, dafs im klassischen Latein ge-
wisse Formen niemals ihr o ohne anderweitige Änderung in ü
geschwächt haben, z. B. dülinguontf exsUnguontur, seqwmlur
(Bersu).
In den §§ 90 — 92 (Konjugationstabellen) würde ich den
Raum nicht so sehr gespart haben. Neun- bis zehnjährige Knaben
sollen sich das für ihre ganze Schulzeit aneignen ; bei den meisten
Menschen schliefst sich sicheres Behalten an den Ortssinn an,
und äufsere Obersichtlichkeit wirkt da sehr vorteilhaft. Das er-
leichtert auch Tertianern noch eine Schwierigkeit, über die manche
nicht hinwegkommen. Warum könnte nicht auf S. 70 — 71 die
Überschrift „I. Activum" über beide Seiten verteilt stehen, natur-
lich recht fett gedruckt, darunter ebenfalls fett gedruckt: „1. Prä-
sensstamm", eine Zeile tiefer die Worte: links „Indicalivas*',
aogez. von M. Eogclhardt. 497
rechU ,,ConiuDCtivus** in gleicher Höhe? Dann inufsle naturlich
der ganze Imperativ auf S. 72; rechts von ihm auf S. 73 hätte
ich die übrigen vom Präsensstamm abgeleiteten aktiven Formen
gesetzt. Dann folgte eine Überschrift über beide Seiten, wieder
fett gedruckt: „2. Perfektstamm", ebenfalls mit Parallelismus des
Indikativ und Konjunktiv, nebst Infinitiv. — Und für das Folgende
würde ich eine Neuerung einführen, nämlich:
3. JHIschung aus Perfekt- und PrAsensstamm.
Tempajs hlstoiicam.
Indicativus. CoDioDctivas,
Idgudaoi, delevi^ legi, audivi (cum, ut) laudarem^ dehrem, legerem, audirem,
ich lobte, zerstörte, las, horte.
Der Sextaner mufs jetzt schon übersetzen: „dt'xi*^ er sagte,
ielela est wurde zerstört" ; „als er sagte, dafs sie zerstört wurde"
heilst ihm von da an stets cum dixeritf ut deleta $iL Das zieht
sich bis in die Ober-Tertia hinein. Bei der Besprechung der
CoDsecutio temporum komme ich noch einmal auf diesen Vor-
schlag zurück.
Zum Part. Futur, würde ich dann eine Übersicht über die
Coniugalio periphrastica activi hinzufügen. In vielen Grammatiken
finden wir noch den Conj. Futuri I {laudaiurus sim etc.), auch bei
Gillh. S. 65, der nur Verwirrung anrichtet, besonders wenn es
nachher in der Lehre von der Conseculio temporum wie bei
Schultz heifst: „Ist das Verbum des Hauptsatzes ein Präsens
oder eins der beiden Futura, so mufs das Verbum des abhängigen
Satzes im Präsens, Perfekt oder Futur (Konjunktiv) stehen" und:
,.llan gebraucht nämlich das Präs. oder Impf. Konjunkt anstatt
des Futurs", als wenn sequereris an Stelle von secuturus sis treten
konnte. — Ref. hat sich im Unterricht damit zu helfen gesucht,
daüs er einen präsentischen und einen imperfektischen Konjunktiv
futuri behufs Anwendung der Consecutio temporum unterschied.
— Z. hat recht gethan, den Konj. Fut. I einfach zu streichen;
aber irgendwo in der Formenlehre mufsten doch laudaturus sim,
laudaturtts essem und überhaupt die Coniugatio periphrastica er-
wähnt werden. Der Gebrauch ist übrigens bei Z. $ 259 und 271
kurz und bändig erörtert.
In § 96^ 1 Z. 6 ist für „Bindevokal" zu setzen „Themavokal".
f 96, 9 dürfte die Fassung zu ändern sein : von je sechs Formen
werden fünf als Ausnahmen bezeichnet, während umgekehrt e im
Fut. das Ursprüngliche ist und legam, capiam erst nachträglich
für altes legem, capiem eingesetzt sind. § 98, Ib giebt eine ver-
altete Ansicht wieder; peüo steht für peUn-o, curro für curso,
müto für mito. — Zu $ 99, 1. Da hier die §§ 102, 105, 106,
6 — 22 nicht aufgezählt worden, ist nicht recht zu erkennen, was
Vert unter „regelmäfsig bilden" versteht; sind denn Perfektbil-
dungen auf -t<t oder -st unregelmäfsig? Er scheint es doch nicht
SeitMhr. t d OyiDDMialwcMn XL V 111. 7. 8. 32
498 ^' Ziemer, Lateioische Schulgrainmatik,
anzunehmen, sonst wurde er § 113 IV 4 — 6 (aperio, salio) und
113111 (farcio . . sentio) nicht hier aufgeführt haben. Auch 113
I und iL scheinen mir hierher zu gehören. — In § 107, 3 war
percello {^celd-y clades) von antecello = antecel-n-o zu trennen.
— § 113 dürfte die Bemerkung zu aperio, operio zu tilgen sein,
da beide von ^ar abgeleitet und mit arma, artus, ägagtaxta,
äqd-qov zusammengestellt werden. Im § 115, 8 könnte zu „mederi,
ergänzt durch sänäre'^ der Schüler wegen hinzuzufügen sein:
„doch ist sänäre transitiv*'; ähnlich § 116, 20 zu ^yreminiscif ohne
Ferf., wofür recordatus sutn gesagt wird'*: „aber mit anderer
Konstruktion*'. $121,5 wäre wohl hinter tetuU hinzuzufügen:
„(von tollo i. e. tol-n-o)*'; ebendaselbst ist unter dem Kompositum
ojfero der fette Druck von obtuli zu loben, denn die Schüler haben
Neigung, da ein s einzuschieben, wie es bei abstuliy dütuU, extuli zu
geschehen scheint. Im Supinum oblätum war das nicht zu befürchten,
c) Zur Syntax I und II § 158—237. Ein ForUchritt
gegenüber Gillh.^° zeigt sich in der besseren Einteilung der ein-
zelnen Kasus. Z. untei*scheidet z. B.: 1. Akk. des äu&eren Ob-
jekts, 2. Akk. des inneren Objekts, 3. zwiefachen Akk., wobei ich
allerdings glaube, dafs §§ 180 f. besser zu Nr. 2 gestellt wären,
und dafs die Überschrift zu Nr. 3 lauten müfste: „Zweiter Akk.
als prädikative Bestimmung zum Objekt'*; ferner beim Genetiv:
1. bei Substantiven, 2. bei Adjektiven, 3. bei Verben. Dieselbe
Einteilung des Genetivs haben auch Lattmann-Müller, Lat. Gramm.
Ausgabe B, 7. Aufl. (Göttingen 1892). Die Abweichungen sind
gering. Auch die Einteilung des Ablativs ist bei Z. dieselbe wie bei
Lattmann, aber die Anordnung bei Z., die freilich schon Gillh.
hatte, ist den Ergebnissen, so wie sie wenigstens Delbrück, Grundr.
d. vergL Syntax (Strafsburg 1893) darstellt, entsprechender. —
Das Kapitel vom Nominativ (Gillh. §362-366) ist fortgefallen
und die Kegeln daraus in § 162 f. in dem Abschnitte von der
Übereinstimmung des Prädikats mit einem Subjektsworte unter-
gebracht. Hier wird an verschiedenen Stellen darauf aufmerksam
gemacht, wie der Sprachgeisl das innerlich Zusammengehörige
auch äufserlich durch Ausgleichung kenntlich macht, z.B. §163, 4
gern universa appellati sunt; 163, 5 magna muUüudo . . convenerc^U;
uterque eorum . . educutU; duo milia hostivm capti mtit. — Durch
die Unterscheidung eines äufsereu und eines inneren Objekts hat
Z. den Vorteil, dafs er die Begeln vom doppelten Akk., falls beide
Akk. Objekte sind, passender aneinander knüpfen kann; so steht
im $ 178 beispielsweise zusammen: mullum vdleo^ illud laetor,
eadem studeo, illud glorior; hoc te admömo, cetera tibi assentiaVy
Druides volunt hoc persuadere, so wie illud te oro. Daran würde
sich freilich § 180 (docere, celare, flagitare) nebst seiner Ausnahme
(§ 181: petere, postulare, quaerere) besser anschliefsen als § 179
{creare, eligere), da § 180 f. noch zu Nr. 2 gehört, während § 179
die dritte Abteilung für sich bilden dürfte«
flDgez. voo M. Eugelhardt. 499
Durch die ganze Neu-EiDteiiuDg sind die Regeln sehr ver-
einfacht, was für den Unterricht in Quarta nicht zu unterschätzen
isu — Zu § 186. Die alte unglückliche Regel, Gillh. § 400, die
aas dem alten Zumpt fast in alle Grammatiken übergegangen war
(od, anie, con-, in, inier etc.) und in den Köpfen der Jungen
nach meiner Erfahrung nur Verwirrung anrichtete, hat Z. zwar
auch angenommen, aher doch wenigstens besser iformuliert, so
dafs man annehmen kann, es komme ihm hier nur auf die An-
eignung der dabeistehenden Redensarten an; unter diesen steht
noch, während incurrert als nicht hingehörig fortgelassen ist, in-
cumbert'y da wäre hinzuzufügen, dafs der Dativ nur bei Dichtern
und späteren Prosaikern gesetzt wird. Die mit oh zusammen-
gesetzten sind sämtlich fortgeblieben. Mit Recht. Die vielen Aus-
nahmen, die GilJh. $ 402 hat, sind bei Z. besser in § 173 vom
äulseren Objekt übergegangen. Gillh. § 403 (adtpergo, inspergo etc.)
ist als überflüssig weggelassen; die beiden Konstruktionen von
tnierdudere und inlerdicere sind zum Abi. separativus (§ 206) ge-
zogen. Solche, die Schüler so verwirrende oder selbstverständliche
Regeln fallen mit Recht fort. — Der lokale Abi. ist mit den Re-
geln von den Städtenamen, den Raum- und Zeitbestimmungen
passend zu einem besonderen Anhang zur Kasuslehre vereinigt.
Zu § 226 könnten vor Anm. 1 Adverbia ubi, tftt, hie, illic hinzu-
treten. § 228 ist das von den Grammatikern nicht erklärte „a
mt/t6u5 pa$9uufn sex" mit ähnlichen Redensarten glücklich zusammen-
gestellt. Dagegen vermisse ich § 229 Anm. 2 Ausdrücke wie
murum in aUütidinem pedum sedecim, die bei Cäsar ziemlich
bäußg sind.
Berücksichtigung der neuen Lehrpläne, durch die die Lektüre
in den Vordergrund tritt, finden wir in der Wahl der Beispiele
und in der vielfachen Gestaltung des deutschen Ausdrucks. Frei-
lich stehen wir hier für Quarta und Unter -Tertia einer zur Zeit
noch nicht gänzlich zu lösenden Schwierigkeit gegenüber. Die
Beispiele sind meist aus Nepos und Cäsar. Aber wie viel haben
die Quartaner denn von Nepos gelesen, wenn sie die erste Hälfte
der Kasusregeln lernen müssen, oder wie viel die Tertianer vom
Cäsar, wenn die schwierigeren Teile der Kasus- und die Anfänge
der Moduslehre mit ihnen durchgenommen werden?
Hier ist freilich für die Herstellung einer durchaus passen-
den Grammatik nicht mehr zu machen, als Z. gethan hat. Den
zweiten Punkt aber, die Mannigfaltigkeit des deutschen Ausdrucks,
hat Z. sehr ernsjtlich ins Auge gefafst. Wenn man die Lehre
von der Obereinstimmung (§ 158 - 170) und die Kasuslehre
durchblättert, wird man überall sehen, wie Z. bemüht gewesen
18t) gute deutsche Ausdrücke zur Einübung zu geben ; so finden wir
allein zu videri ($ 163) sieben Arten deutscher Ausdrucksweise zu-
sammengestellt. Man vergleiche die §§ 168, 169, 175, 191, 194,
199, 203, 204, 206, 207, 210, 211, 213, 214, 215. Aber noch
32*
500 R- i^iemer, Lateinische Sehnlgramniatik,
viel wichtiger ist dies für die Lehre „Void Verbum im Satze'S
vor welche Überschrift auf S. 76 eine römische III zu setzen ist.
Man vgl. z. B. noch §§ 245, 264, 265, 267, 268, 288, 289. Und
damit kommen wir auf die Infinitiv- und Partizipialkonstruktion,
auf die wir zum Schlufs noch etwas genauer eingehen müssen.
Welche Fülle von trefllichen deutschen Ausdrücken ist hier dem
Schüler geboten! Freilich für die ganz Unbegabten und für die,
welche zu Hause nicht viel Gelegenheit haben, ein gutes Deutsch
sich zu eigen zu machen, ist das nichts; bei solchen Schülern
wird man wohl auf diese Mannigfaltigkeit verzichten und, um
wenigstens den Vorteil des Lateinlernens, dafs die Denkkraft ge*
schärft wird, festzuhalten, im allgemeinen bei der wörtlichen Über-
setzung bleiben müssen.
d) Infinitiv. Die Lehre, die bisher in den meisten Schul-
grammatiken stand, dafs der Inf. an sich oder der Acc. c. inf. als
solcher Subjekt oder Objekt sei, ist, weil durch die Sprachver-
gleichung als unhaltbar erwiesen, aufgegeben. Dafür heifst es
§ 241 : „Im ganzen Latein begegnet der InGnitiv lediglich als
abhängige Bestimmung und ganz allgemeine Ergänzung von Verben
aller Art und vereinzelten Adjektiven'*. Das ist richtig; doch wird
es schwer sein, den Kindern das beizubringen. Erleichtert wird
die Schwierigkeit dadurch, dafs Z. bei der Erklärung des Acc« c.
inf. (§ 245, 2) von den deutschen Wendungen: „ich höre dich ..
singen; ich sehe dich . . eilen** etc. ausgeht; das ist freilich auch
schon anderwärts geschehen, z. B. bei Lattmann § 81 und gewifs
vielfach im Unterrichte; Ref. hat es schon vor 37 Jahren so ge-
lernt, wenigstens an den Verben lassen und heifsen. Doch hätten,
meine ich, diese einfachen deutschen Wendungen, und noch besser
Redensarten, wie „lafs mich gehen**, „er hiefs ihn kommen**, an
der Spitze des § 245 stehen müssen, und nicht die Stellen aus
der Genesis und aus Laokoon, bei denen jemand, der die histo-
rische Grammatik der deutschen Sprache nicht mehr im Ge-
dächtnis oder niemals von ihr etwas gehört hat, wirklich nicht
weifs, ob das noch Deutsch ist, oder ob nicht Luther und Lessing
die fremdsprachlichen Konstruktionen einfach nachgeahmt haben,
wie wir ja in den ambrosianischen Hymnen lateinische Abi. abs.
einfach durch den deutschen Dativ wiedergegeben finden, während
die deutsche Sprache den Genetiv und Acc. absol. doch damals
schon besafs. Ich wurde demnach auch aus $245,2 die Worte:
„Lessing: er fühlt sich. . zusein** streichen. Heute spricht doch
niemand so. — Ferner: das deutsche „ich sehe dich kommen*^
heifst ja video te venientem. Oder ist die alte Regel, die sich aus
Moiszisstzig (1867 § 759) durch alle Auflagen bei GiUh. (bis 1889
$ 746) hindurchzieht, dafs das Partie, bei unmittelbarer Wahr-
nehmung gesetzt werde, und die für das Griechische in viel wei-
terer Ausdehnung gilt, falsch? Im $ 263 bei video te legenUm
erörtert Z. diesen Gebrauch nicht; doch hat er offenbar die hier
aagez. voa M. Engelhardt. 501
sich ergebende Schwierigkeit selbst gefühlt, indem er beim Acc.
c. inf. unter 3 setzte: audio te eantare = audio te cantantem.
Ganz dasselbe ist das doch nicht. — Dafs die Acc. c. inf., die
man bisher für Subjekte erklärte, hier analogisch an die vorigen
angereiht sind, ist in der Ordnung, und das wurde wohl auch
im § 250 (contentum esse suis rebus) genügt haben. Z.s Er-
klärung klingt ja sehr hübsch, aber ist sie auch ganz sicher?
Perthes' Darlegung, warum der Nominativ des neutr. wie der Akk.
laute, kommt mir viel wahrscheinlicher vor. Sollte unzweifelhaft
der Akk. „ursprünglich das nomen ohne weitere Bestimmung oder
Bezeichnung^* und „im Masc. und Pemin. erst später eine eigene
Form, der Nominativ, gebildet worden'* sein? Der ganze Abschnitt
vom Infinitiv ist sonst trefflich formuliert, und es verdient diese
Umarbeitung alle Anerkennung. Doch würde ich dem Verf. raten,
meinen Vorschlag wegen Umstellung der Zeilen S. 83, 12 — 20
ans Ende des § 245 ernstlich ins Auge zu fassen. Auf einen
Quintaner oder Quartaner müssen diese Beispiele geradezu ab-
schreckend wirken. Er wird mit Angst und Bangen an die Regel
vom Acc. c. inf. gehen und diesen Abschnitt stets mit dem Ge-
danken in die Band nehmen: „Das kann doch kein Mensch ver-
stehen**.
Worauf Z. hier besonders aufmerksam macht, das Reflexivum
bei Luther Genesis 6, 3, ist für einen Gelehrten sehr interessant;
es ist nur um so auffallender (und erscheint fast wie eine Nach-
ahmung des fremdsprachlichen Textes), als Luther gerade sonst
in sicher reflexiven Fallen, wenigstens im Dativ, t'Am, ihnen etc.
setzt, z. B. in demselben Kap. v. 1 : Da sich die Menscheti beginneten
zu mehren und zeugten ihnen Töchter und 15, 6 und schlofs die
Thür hinter ihm zu und so seine Zeitgenossen und die Späteren
bis ins 17. Jahrhundert. — Aber auf die Knaben wird auch
jenes Reflexivum abschreckend wirken. — Man kommt mit dem
Anfänger, wenn man se, sibi erklären will, viel weiter, wenn man
in der Lektüre, z. B. in dem Satze Alcibiades, ubi se capitis dam-
natum esse audimt, Spartam demigravit etwa folgendermafsen ab-
fragt: 1. Wer wurde zum Tode verurteilt? 2. Wer hörte das?
3. Über wen hörte AIcibiades das? Auf die Antwort „über sich
selbst*^ folgt die Bemerkung: „Darum steht se**. Dasselbe ge-
schehe in Konjunktiv-Nebensätzen wie: AIcibiades poslulabatj ut
de se praesente quaestio haheretur! Wenn das genug abgefragt wird,
macht später die Einübung des Reflexivums keine besonderen
Schwierigkeiten. Bei Z. sind die Bemerkungen über den Gebrauch
des Reflexivpronomens (§246, 2; 269) und die Regeln ($335)
leicht verständlich und gut.
e) Partizipialkonstruktionen. Die Regeln über den
Gebrauch der Participia sind äufserst gefällig; vor allem unter-
scheiden sie sich dadurch, dafs der Ahl. abs. nicht mehr als ver-
kürzter Satz aufgefafst wird. Noch Latlmann, Ausg. B 92 spricht
502 H. Ziemer, Lat. Schalgrammalik, i$z. v. U. Etigelhardt
im § 60 von einem „SiibjekUablativ" (Regel B u. Anm. 6), ebenso
Gillh.i<^ S 757. Holzweifslg hat zwar ($ 303) nicht diesen Aus-
druck, doch ist der ganze Abschnitt von dem Gesichtspunkt des
Hinübersetzens aus dargestellt, so dafs der Schüler stets denken
wird, er habe es mit einem abgekürzten Satze zu thun; ebenso
bisher Ferd. Schultz, dessen Neubearbeitung mir freilich noch
nicht bekannt ist. — Hier finden wir zum ersten Haie diese ver-
kehrte, offenbar für die Anfertigung der Exercitia und Extempo-
ralia erfundene Darstellung beseitigt. Könnte nicht mit der Zeit
auch der Name „Abi. abs.^' schwinden? Die meisten Konstruk-
tionen der Art sind gar nicht absolut, sondern sehr enge mit dem
Prädikat verbunden.
f) Zur consecutio temporum §2810*. Die Fassung der
Regeln ist klar; eine Kleinigkeit würde ich geändert wünschen.
§282 heifst es am Schlufs: „Auf Inf., Partie, (und Konj.), Per-
fecti folgt indes meistens ein Nebentempus'*. Zu dem Konj. Pt
sucht man in den vorhergehenden lateinischen Sätzen vergeblich
nach einem Beispiel. Wäre es nicht besser in dieser Regel, die
beiden in Parenthese stehenden Worte („und Konjunktiv*') fort-
zulassen und dafür eine entsprechende Bemerkung im § 281 Anm. 2
nebst einem Beispiel einzuschalten? — Noch einmal möchte ioh
wegen dieses Konj. Pf. auf meinen bei der Besprechung der Kon-
jugation gemachten Vorschlag zurückkommen, in den Konjugations-
tabellen dem Perf. historicura nebst dem dazu gehörigen Kon-
junktiv Imperfectiy etwa mit der gemeinschaftlichen Überschrift
„Tempus bistoricum'* einen eigenen Platz einzuräumen. Die
Praxis hat mich gelehrt, dafs die meisten Schüler zwar sehr bald
begreifen, dals in Hauptsätzen der Erzählung an Stelle des deut-
schen Imperfekts das Pf. bist, gesetzt wird, dafs aber gerade die
besseren Schüler diesen Gebrauch immer wieder auf den Konj.
übertragen und z. B. cum dixerit statt cum diceret sagen. Das
würde durch einen solchen Einschub in die Konjugationstabellen
vermieden werden können.
g) Konjunktiv. § 295, 4 enthält eine vortreffliche Be-
merkung über konjunktivische Nebensätze; es kann kaum ein
besserer Ausdruck als „Modusausgleichung" für derartige Neben-
sätze gefunden werden, in denen nach unserem Gefühl der Indi-
kativ stehen müfste. Auch die Beispiele nebst der Erklärung der
den Lateinschüler in Relativsätzen so sonderbar anmutenden Kon-
junktive diceret^ exütimarenty crederent, confidermt sind gut ge-
wählt. — Giilh. § 733 bezeichnete diese Konjunktive noch als
„Abirrung von dem gewöhnlichen Sprachgebrauch**. Lattmann,
Ausg. B 1892 hat $ 143 auch schon den Ausdruck „Ausgleichung
des Modus; attractio modi** und berührt das daselbst inA. 2. —
Das Kapitel über die Fragesätze ist im ganzen nach Gillh. bei-
behalten; dagegen sind die Regeln für die Oratio obliqua sehr
vereinfacht; das konnte um so leichter geschehen, als der schwie-
J. Lattmtniiy Griecb. (Ibu ogsbücher, agz. v. P. WeiAienfels. 503
rigste Teil derselben (Gillh. § 729) bei Ziemer schon im § 295
abgehandelt ist und unter das Kapitel f,Modu8ausgleichung'' fallt.
Trotz dieser kleinen Ausstellungen kann man dem Verf. nur
danken für die Muhe, der er sich unierzogen hat, und ihm wün-
schen, dafs sein Buch eine recht weite Verbreitung finde.
Die äufsefe Ausstattung ist vorzüglich und macht der rühm-
lichst bekannten Verlagshandlung alle Ehre.
Der Druck ist korrekt; Fehler habe ich nur folgende bemerkt:
S. 86 ca-i-ebamj S. 91 Z. 7 v. u. mb statt rwp, § 111, 1 p^mi,
§112,2 hinter ^.exposco fordere dringend'* ist Semikolon zu
setzen und nach „ohne Perfekt" Kolon; denn exposco hat rglm.
pf., nicht aber reposco,
Bromberg. Max Engelhardt.
1) J. LattroaDD, Ober den griechischen Unterricht nach den
methodischen Grundsätzen der Lehrpläne von 1892. Göt-
tiDgen 1893, Vaodenhoeck & Ruprecht. 27 S. 0,40 M.
2) J. Lattmann and H. D. Müller, Grammatisches Hiilfs- und
Übungsbuch für den griechischen Unterricht in Unter-
sekunda. Göttingen 1893, Vandenboeck & Ruprecht. SOS. 1 M.
In einem Schriftchen über den griechischen Unterricht sucht
J. Lattmann zu beweisen, dafs sein griechisches Lesebuch für
lilb und seine im Verein mit H. D. Muller herausgegebenen
griechischen Obungsbucher für III b und Ula, obwohl sämtlich
vor den neuen Lehrplänen erschienen, wenn auch nicht ganz dem
Wortlaut, so doch durchaus dem Geiste der letzteren entsprechen,
und giebt zugleich eine Art Vorwort zu dem grammatischen
Hilfs- und Übungsbuche, mit dem er uns fast zu gleicher Zeit
beschenkt hat. „Formen und syntaktische Regeln sind erst auf
induktivem V^ege aus dem Lesebuch zu gewinnen und dann fest
einzuprägen*'. „Die Lektüre wird sofort begonnen und geht mög-
lichst bald zu zusammenhängenden Lesestucken über''. Diese
Satze der neuen Lehrpläne will auch L. befolgt wissen, jedoch
mit einer gewissen Einschränkung des induktiven Verfahrens beim
Unterricht in der Formenlehre. Da der Tertianer schon die Er-
lernung der Formenlehren zweier Fremdsprachen durchgemacht
bat, so dafs ihm Zweck und Bedeutung der Formenbildung über-
liaapl verständlich und die paradigmatische Zusammenstellung der-
selben geläuGg geworden ist, so hat es nach ihm gar kein Be-
denken, wenn auch unter gewissen Modifikationen in herkömm-
lidier Weise die Paradigmen der Reihe nach lernen und an
Einzelsätzen einüben zu lassen, zumal bei induktivem Verfahren
die griechische Formenlehre wegen ihres Reichtums eine Zeit ver-
langen würde, wie sie nicht gewährt werden kann. Diesen Satz
des bewährten Didaktikers wird jeder unterschreiben, der in der
Praxis steht. Wenn nun der Schüler in den Einzelsätzen zur
Deklination einige Formen der Kopula und einige Präsensformen
504 J- LattmaDD, Griechische (Jbungsbäcber,
von Verben auf co aus dem ZusammenhaDge des Gedankens auf-
nimmt und danach beim Obertragen aus dem Deutschen selbst-
thätig Präsensformen anderer Verba auf oo bildet, so ist damit
nach L. die dieser Stufe des Unterrichts angemessene Art der
Induktion erschöpft, eine Art, die nur zulässig ist,, um Oberhaupt
zu einer Satzbildung zu gelangen. Und diese Art ist, bei Lichte
besehen, nichts als eine Abart wahrer Induktion, die Herbart ge-
fordert hat und zu der möglichst bald übergegangen werden soll.
Diese wird getrieben nicht mit Zugrundelegung einer potenzierten
grammatistischen Lektüre, in der die Formen zu den einzelnen
Paradigmen der Reihe nach eingeträufelt werden und in der
Wort für Wort um der Grammatik willen zusammengestopft ist;
sondern lediglich an zusammenhängenden Lesestucken in natür-
licher, originaler Sprache, aus denen die Spracherscheinungen zu-
nächst nur als inhärierende Teile eines freien Gedankenausdruckes
aufzunehmen sind, um hinterher wieder aufgefrischt zu werden
und die Abstraktion eines sprachlichen Gesetzes und ein bewufstes
Wissen zu ermöglichen. Auch hierin gebe ich L. vollständig
Recht. Um nun möglichst bald und mit Erfolg die so beschaffene
zusammenhängende Lektüre beginnen und aus dieser die noch
nicht gelernten Formen und Regeln wirklich induktiv ableiten zu
können, teilt L. die ganze Formenlehre durch einen horizontalen
Schnitt und erweitert das Untertertianerpensum folgendermafsen.
Er legt zu dem jetzigen Pensum die Verba tiS-fj^ij laifukh, di-
ddOfA^j SslxpvfAi und eine Auswahl von 50 unregelmäfsigen Ver-
ben. Von dem so vermehrten Lehrstoff überweist er dem ersten
Vierteljahr die regelmäfsige Flexion der Substantiva und der Ad-
jektiva auf ogj fi(cc), ov und f^g^ €q\ der rationellen Entwicke-
lung der Formenbildung und der Nötigung zu geläufigem Repro-
duzieren werde der Schüler Interesse genug abgewinnen, um sich
mit Einzelsätzen zur Einübung zu begnügen und nicht aufserdem
eines interessanten sogenannten Zusammenhanges zu bedürfen.
Im zweiten Vierteljahr würden Xvta und xvTtxia zu üben sein;
nachdem in den 6 Stunden der ersten Woche diese Verba mit
den Rildungsgesetzen geübt und Formen der Einzelsätze dazu
tleifsig analysiert sind, beginnt die Lektüre eines einfachen zu-
sammenhängenden Originaltextes und damit die induktive Ableitung
weiterer Formen, von denen noch in diesem Vierteljahr v. muta,
liquida und contracta nebst dem augm. temp. mit Besonderheiten
geübt werden. Die genannten vier Verba auf fi» „demonstriert
und lehrt'' L. am Anfang des dritten Vierteljahres und schliefst
daran, ohne sich mit Übungen dazu aufzuhalten, die 50 unregeU
mäfsigen Verba; erst nachdem so nur für die Lektüre damit be-
kannt gemacht worden ist, erfolgt die festere Einprägung durch
Übungen. Wenn so „die Unterschicht der Formenlehre*' in drei
Vierteljahren zu Ende geführt worden ist, glaubt L. etwa in der
ersten Hälfte des vierten von der „Oberschicht' die Konirakla
aogez. von P. Weifseofels. 505
der zweiten Deki., die attische Deiil. , den Rest der dritten und
der Adjeklifa, Komparation , Zahlwörter, tempora secunda leicht
überwältigen zu können, weil ja alle diese Pensen durch die
voraufgehende Lektüre vorbereitet seien, und die andere Hälfte
des Vierteljahres zu einer Gesamtwiederholung übrig zu behalten.
Als Gegenstand der zusammenhängenden Lektüre aber empfiehlt
L. nicht Fabeln, nicht Anekdoten, nicht bunte Flicken aus allen
Teilen der Geschichte, sondern für das zweite und dritte Quartal
einen einheitlichen Kreis griechischer Sagen, der den Schüler mit
den notwendigen Vorkenntnissen für die spätere Dichterlektüre
ausstattet, für das vierte die messenischen Kriege, die eine pas-
sende Vorbereitung auf die Anabasis bilden. Endlich sollen be-
standige Übungen im Analysieren etymologischer und syntaktischer
Formen ein promptes Erkennen der Formen und des syntaktischen
Sprachgebrauchs erzeugen, das mit der schlagfertigen Sicherheit
im selbständigen Bilden beim Übertragen in das Griechische nicht
verwechselt werden darf und für die Erreichung des allgemeinen
Lehrzieles wirksamer ist als die genannte, blofs dem Gedächtnis
entspringende Fertigkeit. Hiernach bleiben für Hla aus der
Formenlehre noch zu lernen die kleinen Verba auf |t»*, die Pro-
nomina, die Besonderheiten des Augments und der Reduplikation,
die der v. contracta, Fut. Attic. und der Rest der unregelmäfsigen
Verba.
Wie L. die Klasse aufserdem in syntaktischer Beziehung be-
dacht hat, davon später. Fassen wir die Vorschläge L.s kurz
zusammen, so erkennen wir als die wesentlichste Abweichung
von unseren Lehrplänen nicht sowohl eine Vermehrung des
Untertertianerpensums als eine Verschiebung der Pensen, darin
bestehend, dafs die Hlb durch die vier grofsen Verba auf fii und
50 unregelmä&ige Verba stärker belastet, durch Überweisung der
Pronomina an Ula entlastet wird. Wie sollen wir uns nun zu
diesen Vorschlägen stellen? Sollen wir zunächst die Erweiterung
des Untertertianerpensums über den lehrplanmäfsigen Umfang
hinaus billigen? Die Befürchtung ist gerechtfertigt, dafs in den
Köpfen der Schüler schliefslich ein Chaos von Formen sein wird,
in das vielleicht niemals ein povg Ordnung bringen kann. Dieses
Chaos aber würde die Folge mehr qualitativer als quantitativer
Überbördung sein. Denn das der Ula neu zugewiesene Pensum,
die Pronomina, erfordert freilich zu gründlicher Einübung etwa
die gleiche Zeit wie die vier Verba auf f»i, ist aber dem übrigen
Pensum der Ulb adäquater als die letzteren. Hinsichtlich der
Verteilung der Pensen auf die Vierteljahre ist mir besonders auf-
gebilen, dafs dem ersten so wenig, dem zweiten so viel zuge-
mutet wird. Ich wenigstens pflege in dem ersten Vierteljahr, das
ja durchschnittlich 11 Wochen währt, nicht nur von der Dekli-
nation der Substantiva und Adjektiva eher etwas mehr, als L.
vorschlägt, sondern auch Xv<a und die Verba auf ita, dwj 6(o
506 ^' LültinaDO, Griechische Übuogsbiicher,
excl. Präsens und Imperfektum zu absolvieren; dagegen fühle ich
mich aufser Stande, in 6 Stunden Xvoa und tvTrroa, wenn auch
nur im gröbsten, zu lehren und in weiteren 6 — 7 Wochen, ab-
gesehen von ausgedehnten Übersetzungsübungen, den Rest der
V. muta, die liquida, augm. temp. mit Besonderheiten und v. con-
tracta einzuüben. Die doppelte Behandlung der Verba auf fA*
und der 50 unregelmäfsigen im dritten Vierteljahre, die für
die Lektüre .»demonstriert und gelerntes dann durch Übungen
„fester eingeprägt'* werden sollen, mit andern Worten die ober-
flächliche und die gründliche, wird auch wenig Beifall finden.
Sodann möchte ich die schlagfertige Sicherheit im selbständigen
Bilden der Formen nicht geradezu aus den Lehnielen verbannen.
Wer sie als rein gedächtnismäfsig brandmarkt und als den ein-
zigen, noch dazu schwachen Erfolg geifseln möchte, dessen sich
der Unbegabtere rühmen dürfe, unterschätzt m. E. ihren Wert.
Denn falsche Formen für nitpavtai, j^roifjVj yyciya^ u. s. w.
spricht und schreibt nur derjenige, der die Bildungsgesetze, deren
Kenntnis ja auch L. für durchaus notwendig erachtet, nicht ver-
standen oder doch nicht an sich die Zucht geübt hat, die ihn be-
fähigt, das Verstandene auch erforderlichen Falles anzuwenden.
Sollen wir nun wirklich einen Defekt, sei es einen intellektuellen oder
einen moralischen, dadurch fördern, dafs wir ihm nicht zu Leibe
gehen? Die Abschlufsprüfung setzt übrigens die Schlagfertigkeit
voraus. Wenn endlich L. zusammenhangende Originallektüre ver-
langt, so ist das im allgemeinen durchaus zu billigen. Nie ist ein
richtiges didaktisches Postulat banausischer erfüllt worden, als das
der zusammenhängenden Lektüre in grammatistischen Erzählungen
ausgeführt worden ist, die die von L. angegebenen, von mir oben
mitgeteilten Eigenschaften besitzen. Aber mufs es denn durchaus
das wortgetreue Original sein, an dem die Kraft der Induktion
sich bewähren soll? Liegt nicht die Gefahr nahe, dafs aus diesem
allzuviele neue Eindrücke auf einmal auf den Anfänger einstürmen,
so dafs er über alle Induktionskünste kaum noch zur Freude
über ein durch promptes Wissen gewonnenes Verständnis kommt?
Man lege als zusammenhängende Lektüre Originale vor, aber man
trage kein Bedenken, diese so weit zu vereinfachen, dafs dem
Schüler fortlaufend die Genugthuung wird, schon mit Hilfe des
Gelernten der meisten Schwierigkeiten Herr zu werden ; man be-
denke auch, dafs mit dem möglichst baldigen Übergang zu
derartiger Lektüre in den Lehrplänen auch ein nicht allzu-
zeitiger verlangt wird.
L.s Forderungen für den Betrieb des syntaktischen Unter-
richts laufen ebenfalls darauf hinaus, für die Originallektüre m5g-
liehst schnell eine gewisse Summe der allernotwendigsten Kennt-
nisse aus dem gesamten Bereiche der Syntax zu schaffen und
dann in einem höheren Kursus eingehendere Regeln zu geben.
Ich darf wohl annehmen, dafs diese Forderungen für diesen Teil
angei. von P. WeiricofeU. 507
des Unterrichts, den syntaktischen, schon vor dem Erscheinen
der neuen Unterrichtsordnung prinzipiell befolgt worden sind und
über ihre Berechtigung kein Zweifel besteht. Dagegen kann man
fragen, ob es im Sinne der neuen Lehrpläne, ja ob es überhaupt
angemessen ist, die syntaktischen Pensen in der Weise L.s auf die
einzelnen Klassen zu verteilen. Nachdem L. schon dem Lesebuch
für Illb einige syntaktische Regeln angefugt hat, will er in lila
die Syntax des Nomons (Artikel, Pronomen, Kasuslehre) und eine
keineswegs unbedeutende Anzahl von Regeln der übrigen Syntax
behandelt wissen: der geistige Standpunkt der Klasse verlange
neben den Formenübungen je eine oder einige der syntaktischen
Regeln» die er induktiv schon aus der Lektüre der früheren Klasse
in sich aufgenommen habe, und diese Zumutung sei um so we-
niger bedenklich, als ja nach seinen Absichten der Obertertianer
durch die Oberweisung der Verba auf fk& und einer erklecklichen
Anzahl unregelmäfsiger Verba an die Illb entlastet werde. Doch,
wie wir gesehen haben, wird der Obertertianer von L. wenig
entlastet, hat vielmehr eher mit dem Untertertianer ein Tausch-
geschäft gemacht, bei dem sich schwer sagen läfst, welcher Teil
gewonnen habe. Am allerwenigsten aber durfte L. zugleich die
Miene aufstecken, als stände er trotz dieser Neuerungen auf dem
Boden der neuen llnterrichtsordnung, indem er schreibt: „Ich
glaubte die in den Lehrplänen für IIb genannten Regeln zu den
für Illa bestimmten ausgewählten Flauptregeln der Syntax rechnen
zu dürfen'^ Denn er schliefst in III a die Syntax des Nomons
geradezu ab, was nach den Lehrplänen in IIb erfolgen soll, und
lehrt aufserdem noch in derselben Klasse von der Tempus- und
Moduslehre wenigstens so viel, vielleicht gar mehr, als die Lehr-
pläne in dem Pensum der IIb unter den notwendigsten Haupt-
regeln verstanden wissen wollen. Die Folge dieser Anticipation
ist, dals der IIb von L. das lehrplanmäfsige Pensum der IIa zu-
gewiesen wird: die Genera des Verbums, Eigentümlichkeiten der
Tempora und Modi im Hauptsatze, Fragesätze, Aussagesätze,
Kausal-y Final-, finale Ergänzungs-, Befürchtungs-, Konsekutiv-,
Relativ-, Temporal-, Konditionalsätze, Besonderheiten des Infinitivs
und des Partizips.
Wenn wir nun diese Änderungen mifsbilligen, weil sie mit
den Lehrplänen unvereinbar sind und den Kräften des Anfangers
za viel zumuten, so müssen wir andererseits anerkennen, dafs
L. seine syntaktischen Regeln durchaus im Sinne der Unterrichts-
ordnung einübt. Das lehren die methodischen Bemerkungen, die
L. in seiner Schrift über den gi*ammatischen Unterricht macht;
das lehrt auch das Hülfs- und Übungsbuch für Hb. Eine syn-
taktische Erscheinung, z. B. tag mit Part. Fut. zum Ausdrucke
der subjektiven Absicht, wird bei ihrem ersten Begegnen durch
die blofse Obersetzung erledigt; das nächste Mal wird wieder die
Übersetzung gegeben, aufserdem aber das Tempus und der
508 ^' LattmaoD, Griechische ÜbaogsbUcher,
eigentliche Sinn der jetzigen und der froheren Verbindung klar-
gestellt, ferner der logische Wert des Satzgliedes mit dem Ter-
minus „Finalsatz" festgelegt; das dritte Mal wird nach der Ana-
logie übersetzt, auch wohl eine Regel dazu im syntaktischen
Anhange gelesen. So in III b; in III a folgen mündliche und
schriftliche Übungen zu der Regel. Damit wird die Forderung
der Lehrpläne für III erfüllt: im Anschlüsse an das Gelesene sind
einzelne syntaktische Regeln induktiv abzuleiten. Hatte nun L.
in dem Obungsbuche für lila immerhin noch Regeln den Bei-
spielen vorangeschickt, von deren gedächtnismäfsiger Aneignung er
jedoch im aligemeinen absehen will, so glaubt er in dem Hulfs-
buche für IIb der Regeln völlig entraten zu können und liefert
nur eine systematische Zusammenstellung von Beispielen, die ohne
Benutzung einer Grammatik dem syntaktischen Unterrichte zu
Grunde gelegt werden soll: die Termini technici der Gberschriften
sollen die Richtung angeben, welche das durch den lateinischen
Unterricht genügend geschulte grammatische Denkvermögen des
Schulers einzuschlagen hat, um aus den Beispielen selbständig die
Regel zu formulieren. Während aber Meierotto und Ruthardl
diesen Gedanken an Beispielen durchführten, die überall her, be-
sonders aus dem reichen Sentenzenschatz zusammengelesen waren,
glaubt L. dem neuen Unterricbtsplane mehr entsprechend beson-
ders die schon vom Schuler überwundene Lektüre ausgenutzt zu
haben. Er mufs freilich selbst einräumen, dafs einzelne Beispiele
Stellen der Anabasis entstammen, die wohl überschlagen sein
könnten, oder der nahe bevorstehenden Lektüre, ja den erst viel
später zu lesenden Schriften des Plato, Thukydides, Demosthenes,
Isokrates, wo nämlich diese Schriftsteller gerade recht einfache und
schlagende Beispiele lieferten; und wenn man erwägt, dafs der
Obertertianer doch höchstens zwei Bücher des Xenophon gelesen
hat, so ergiebt sich die Thatsache, dafs auch L. den eben in die
Klasse eingetretenen Untersekundaner seine Regeln vorwiegend
aus inhaltlich unbekannten Sätzen abstrahieren läfst, ein Obelstand,
der auch im Laufe des Schuljahres nicht wesentlich abgeschwächt
wird. Wenn nun ein Teil der Beispiele zu rechtem Verständnisse
beim Übertragen zugleich in den Zusammenhang gerückt wird,
dem er entnommen ist, ein anderer zur Auffrischung der durch
den Geschichtsunterricht oder durch die griechische oder latei-
nische Lektüre gewonnenen Kenntnisse benutzt wird, so wäre
nach L. auch in diesem grammalischen Kursus die innige Ver-
bindung der einzelnen Teile des Unterrichts erreicht und, ob-
wohl die grammatische Fertigkeit das nächste Ziel ist, in dem
Schüler selbst das Bewufstsein erhalten, dafs er Grammatik nur
um der Lektüre willen lerne. Schriftliche Übersetzungen in das
Griechische sollen neben der Lektüre der griechischen Beispiel-
sammlung vorgenommen werden, doch nur zur Einübung solclier
Regeln, die nicht häufig genug in dem Schriftsteller begegnen, um
ADgez. voD P. VV ei fiten fei 8. 509
ohne eine solche GbuDg sicher angeeignet zu werden. Zu dem
Zwecke giebt L. deutsche, noch mehr aber lateinische Einzelsätze,
die den Schuler nötigen sollen, die Übereinstimmungen und noch
mehr die Verschiedenheiten der beiden Sprachen in ihren syn-
taktischen Mitteln sich klar zu machen. Von gröfseren lateinischen
Zusammenhängen also absehend, deren Übertragung eine mit den
Lehrplänen nicht vereinbare stilistische Fertigkeit voraussetzen
würde, benutzt er die Beispiele seiner lateinischen Grammatik,
die VOD ihm aus seinen Lesebüchern für Y und IV und aus dem
bellum gallicum gesammelt sind und wenn schon zur Zeil in der
lateinischen Grammatik, so noch viel mehr jetzt in dem griechi-
schen Obungsbuche mühelos von dem Schüler verstanden werden
könnten. Gewifs eine empfehlenswerte Übung, wenn es in den
früheren Klassen gelungen ist, Inhalt und Form der lateinischen
Sätze zu einem unverlierbaren Eigentum der Schüler zu machen ;
aodemfalls ist die fremdsprachliche Vorlage ein Hemmnis mehr
für die Übertragung in das Griechische. Was den Umfang des
Gebotenen anbelangt, so hat L. aus den Worten der Unterrichts-
ordnnng, Grammatik, Wortschatz und schriftliche Übungen seien
lediglich nach dem Lehrziele eines gründlichen Verständnisses
der Schriftsteller zu bemessen, auffallender Weise den Schlufs ge-
zogen, die Grenzen des Lehrstoffes seien zu erweiteiii: während
sich früher der Grammatiker damit begnügen konnte, die Haupt-
regeln zu lehren, auf die das Skriptum zugeschnitten werden sollte,
und der Lehrer von diesen wohl gar noch strich, was er dem
deutschen Texte fern zu halten im Sinne hatte, müfsten jetzt auch
Besonderheilen etwas eindringlicher zur Beachtung vorgehalten
werden, nicht damit sie der Schüler lerne, wohl aber damit sie
vorkommenden Falles in der Erinnerung auftauchten ; doch seien
die Besonderheiten einem Wiederholungskursus vorzubehalten, da-
mit der Schüler mit der unerläfslichen Summe der Hauptregeln
für die Lektüre desto zeiliger ausgestattet sei. — Da L.s
eigentliches Thema sich nur bis Hb erstreckt, so will ich hier
abbrechen und seine Gedanken über den grammatischen Unter-
ridil in den höheren Klassen nicht weiter beleuchten, zumal
er jene' noch nicht abgeschlossen zu haben scheint. Die Ab-
grenzung der Pensen in den älteren Übungsbüchern L.s ent-
spricht den neuen Lehrplänen nicht und hat gewichtige Bedenken
gegen sich; das neue Übungsbuch für Hb, das die älteren fort-
führt, kann als ein solches für Ha in Betracht kommen. Der
Versuch aber, die induktive Ableitung der Formen wie der syn-
taktischen Regeln in den Grenzen, in denen sie überhaupt em-
pfefalenswert ist, konsequent durchzuführen, ist höchst beachtens-
wert, da er Winke genug auch für denjenigen enthält, der die
Pensen nach seiner Instruktion abteilt.
Züilichau. P. Weifsenfeis.
510 XeDophons Aoabasis, angez. von W. Gemoll.
XenophoDS Anabasis. Auswahl für den Schal^ebraaeh beraasf^egebeo
von HaDS Wiodel. Bielefeld und Leipzig 1894, Velhageo & KlasiDg.
Text 279 S. Kommeotar 161 S. 8.
Die vorliegende Ausgabe ist in der Sammlung lateinischer
und griediischer Schulausgaben von H. J. Möller und 0. Jäger er-
schienen und nach den für diese Sammlung mafsgebenden Grund-
sätzen ausgearbeitet. Text und Kommentar sind getrennt.
Der Kommentar soll die Mitte halten „zwischen den vielfach
zu ausfuhrlichen früheren Bearbeitungen mit ihren grammatischen
Anhängen und den Präparationen, weiche es dem Schuler zu leicht
machen''. Ref. erkennt gern an, dafs dieses Programm erfüllt
ist, und wünscht, dafs viele Kommentare dieser Sammlung dein
Windeischen gleichen mögen; dann wird es vielleicht gelingen,
die Obersetzungen, dieses heillose Gift für Kopf und Herz unserer
Jugend, überflüssig zu machen und so zu verdrängen.
Hinsichtlich der Textkonstitution müfste ich eigentlich
alles Lobes voll sein ; denn der Verf. hat meine Beiträge zur Kritik
und Erklärung von ü. An. sehr aufmerksam studiert und viele
von meinen Vorschlägen in den Text gesetzt. Ich bin aber mit
dem angewandten Prinzip nicht recht einverstanden. W. hat „im
Anschlufs an C eine überall auf Gründen beruhende Eklektik ein-
treten lassen'', wovon alle, die wie ich mit der Vulgata und ihrem
Prinzip, einen glatten, leicht lesbaren Text herzustellen, brechen
wollen und von treustem Anschlufs an Cpr das Heil in der Anabasis-
kritik erwarten, wenig erbaut sein werden. So wird, um einige
Beispiele anzuführen, i 1, 2 drißf^ mit Bisshop und Dindorf ge-
strichen, doch nur, weil im selben Salz das Präsens avaßaivfh
vorhergeht; 1 1, 5 mit Weidner d^a&elg änsnifAnexo geschrieben,
wohl weil das Part. aor. logischer erschien neben dem Imperf. als
das handschriftliche Part, praes. duxrt&eig] I 2, 9 die Köchlysche
Konjektur lAlyiag aufgenommen, die trotz ihrer Gewaltsamkeit gar
nichts hilft (s. mein Programm 1888 S. 9. 10); I 2, 13 die un-
tadelige Lesart von Cpr ivteS&ev di ilavvtt und 1 3, 1 ifAe&pev o
zu Gunsten der Vulgata verschmäht
In der Behandlung des Dialekts zeigt sich dasselbe Be-
streben, die Mitte zu halten. In meinem Programm von 1889
hatte ich als hier mafsgebende Faktoren bezeichnet die Inschriften,
den Sprachgebrauch Xenophons und der zeitgenössischen Schrift-
steller und die guten Xenophon-Handschriften. Einige von meinen
dort S. 4ir. gewonnenen Resultaten hat W. aufgenommen, wie
I 2, 9 2vQax6(rtog\ aber wie wenig ich ihn überzeugt habe, mag
seine Behandlung von &iXfo und i&iXta zeigen. S. 17. 18 des
erwähnten Programms habe ich über das Verhältnis beider Verba
in den Xenophon-Handschriften gehandelt und zu beweisen ge-
sucht, dafs wir kein Recht haben, die Formen von &iiM zu
unterdrücken; W. geht noch über Hug hinaus, er beschränkt sie
mit Cobet auf die Formeln iär d-eog O^iXji, iäv ^eol d'4X(ac$Vj
Schmidt o. Wensch, Elemeotarb. d g^r. Spr., agz. v. G. Sachse. 5) 1
alle andern Formen werden konsequent durch die entsprechenden
▼on i^iX(o ei*setzt.
Indessen trotz mancher Ausstellungen trage ich kein Bedenken,
die gewissenhafte Treue in der Prüfung und ein gewisses Geschick
in der Auswahl bei W.s Tezteskonstitution anzuerkennen. Wie
wenige Schulausgaben vertragen doch eine Prüfung vom wissen-
schaftlichen Standpunkt aus! Diese verträgt sie.
Betrachten wir nun W.s Ausgabe vom pädagogischen
Standpunkt, wie sie vor allem betrachtet sein will. Hier verdient
sie hohes Lob. Durch Ausscheidung aller Nebenpartieen ist eine
Auswahl getroffen, die den Zusammenhang des Ganzen schärfer
hervortreten läfst, die ausgelassenen Kapitel bezw. Paragraphen sind
durch Inhaltsangaben ersetzt, auch jedem Kapitel des aufgenom-
menen Textes eine ausführliche Inhaltsangabe vorausgeschickt,
überdies die kleineren Abschnitte am Rand mit kurzen Andeutungen
des Inhalts versehen. Nur eins habe ich hier zu bemerken: die
herkömmliche Paragrapheneinteilung hätte nicht geändert werden
sollen, wenn Paragraphen in der Mitte eines Kapitels ausgeschieden
sind; aber in i c. 10 sind die §§ 2. 3 weggelassen und § 5 ff. sind
mit 3 u. s. w. bezeichnet worden. Sonst darf W.s Ausgabe für
die Zwecke der Schule durchaus geeignet genannt werden.
Eine andere Frage freilich ist es, ob wir die Zwecke der
Schule nicht mehr mit unverkürzten Ausgaben erreichen können.
Stände es so, so wären wir nach meiner Meinung beim Anfang
vom Ende für Latein und Griechisch, weil die Trennung der
Wissenschaft und der Schule und damit der Ruin beider nicht
lange anstehen würde. Quis leget haec würde dann das Motto
for jede rein wissenschaftliche Arbeit sein, und selbst eine Arbeit
wie die Windeis, welche auch der Wissenschaft neben ihrem
Hauptzweck Rechnung trägt, würde im Verlauf der Bewegung bald
als überflüssiger Luxus erscheinen. Ref. wünscht ihr dagegen
langes Gedeihen, weil er derartige Ausgaben nicht als Nachzügler
der abziehenden, sondern als Vortruppen der in die Schule wieder
einziehenden Wissenschaft betrachtet.
Liegnitz. W. Gemoll.
Hermaoo Schmidt aad Wilhelm Wensch, filementarbach der
^ricchisclieo Sprache. Zehote Auflage besorgt voo Günther.
Halle a. S. 1893, Bochhandlaog des Waisenhauses. VI n. 287 S.
2M.
Dieses Buch, dessen Vorwort im Juni 1887 geschrieben ist,
wird „von Friedrich Franke ein treifliches Buch*' genannt (S. VL)
Ohne Zweifel ist dieses Urleil in der Auswahl des grammatischen
f^rn- und des ObersetzungsstoiTes begründet. Ich kenne die
früheren Auflagen dieses Buches nicht. In Bezug auf die Aus-
wahl des grammatischen Lernstoffes aus der Formenlehre teile
ich diese Ansicht im grofsen und ganzen. Meine Ausstellungen
512 Schmidt o. Wensch, Elementorb. d. gr. Spr., agz. r. G. Sachse.
beziehen sich auf die Anordnung des Stoffes. Ich kann die Be-
handlung der Substantiva conlracta der II. DekUnation und der
altischen II. Deklination in engem Anscblufs an die regelmäfsige
Dekhnation nicht billigen. Bei den Verbis contractis hätte sich für
die ersteren eine geeignete Stelle gefunden. Dem Einwände, dafs eine
spätere Behandlung dieser Abweichungen in das Ermessen des
Lehrers gestellt ist, begegne ich mit der Bemerkung, dafs diese ein-
zelnen Sätze dem im Griechischen vorgeschrittenen Schüler nach
der Lektüre zusammenhängender Stöcke kein Interesse abgewinnen.
Mit Röcksicht auf die beschränkte Stundenzahl, die jetzt dem
Griechischen auf den Gymnasien zur Verfögung steht, hätte der
Lesestoff weit mehr beschränkt und die Vokabeln zweckmäTsiger
ausgewählt werden mössen« Besonders in den Stöcken zur
in. Deklination sind recht entlegene Vokabeln verwendet worden.
Ich nenne solche: Rebhuhn, Cicade, Habicht, Wachtel, Ameise,
Kuckuck (§ 4 I. C), Wiedehopf (I, E), Rössel, Nöster, Wiesel. (II).
Die zusammenhängenden Stöcke leiden auch unter dem Ober-
flufs an Vokabeln; durch die Menge unbekannter Wörter wird dem
Schöler der Genufs an der Lektöre verbittert. Das Buch enthält
m. E. för die 1} Jahre, in denen es benutzt werden darf, viel zu viel
Übersetzungsstoff. Hier kann noch viel mehr gestrichen werden,
nicht allein in den zuss^mmenhängenden Stöcken, sondern auch in
den Einzelsätzen. Man vermifst wohl gern Sätze wie S. 14, Satz
22 (lil. Dekl.) Tm Kalaagi ^v JtoXefiog nqoq %6v Ilofin^ioy.
Der syntaktische Anhang, den der neue Bearbeiter beizugeben
sich entschlossen hat, ist für die Lehre von den Modi zu einer
Grammatik angewachsen. Hier ist des Guten entschieden zu viel
gethan. Man lese nur § 19 (Modi in unabhängigen ßegehrungs-
Sätzen), §§ 33—40 (Modi in Konditionalsätzen), §§ 41—45 (Modi
in Relativsätzen, wo für die konditionalen Relativsätze der Realis,
Eventualis, Potentialis, Irrealis und Iterativ unterschieden werden),
§ 46 (Modi in Temporalsätzen, wo dieselben fönf Fälle behandelt
werden) und die Regeln vom Infinitiv. Und das alles ist in einem
Elementarbuch för den Anfänger bestimmt, der „gröfseren
Gewinn haben wird, wenn er genötigt ist, die betreffende Regel
wieder und wieder nachzuschlagen und den Inhalt seinem Ge-
dächtnis einzuprägen, als wenn er die Konstruktion nur immer
mechanisch abliest'S „Auf die Paragraphen des Anhangs ist
namentlich am Ende der deutschen Stöcke hingewiesen.'* (S. VI.)
Und dieses Hinweisen beginnt schon im ersten deutschen Stöcke.
Aus diesen Grönden erscheint mir diese neue Bearbeitung
nicht praktisch.
Die Ausstattung des Buches ist, wie man es bei der Ver-
lagsbuchhandlung gewöhnt ist, gut. Von Druckfehlern sind mir
aufser den vom Verf. bemerkten noch aufgestoisen S. 1. ^aact,
S. 6. ai qqdiat B&(fodo&.
Hohenstein in Ostpr. Gotthold Sachse.
G. Weidig, Grieebisehes Leseb. f. Tertia^ agz. v. E. Bacbof. 513
G. Weidig, Grieebisehes Lesebuch für Tertia. Dresden 1893^
L. ehlermann. IV aod 144 S. 1,50 M, geb. 1,80 M.
Um auf Grund der neuen Lehrpläne die Schüler für die
Lektüre der Anabasis vorzubereiten, übt der Verfasser das Pensum
der Formenlehre mit Ausschlufs der sogenannten unregelmäfsigen
Verba in Verbindung mit den hauptsächlichsten Regeln der Ele-
mentarsyntax teils an Einzeteätzen, teils an zusammenhängenden
Lesestücken ein. Die letzteren gewinnen im Verlaufe der Übungen
mehr und mehr die Oberhand, fehlen aber auch den ersten
Kapiteln nicht.
Zusammenhängende Stücke lassen sich nicht geben, ohne
dafs man in der* Lage ist, eine gröfsere Menge von Yerbalformen
zu verwenden, die im allgemeinen bei dem systematischen Gange
der Grammatik erst nach der Behandlung der Nomina durch-
genommen zu werden pflegen. Es ist aber für die Übersicht
eines Satzes ebenso hemmend als ohne rechten Gewinn für den
Schuler, wenn man auch nur für die Mehrzahl der verwendeten
Verbalformen die Übersetzung in Fufsnoten angiebt oder in
Klammern beifügt. Weit praktischer ist das Verfahren, schon
bei der Deklination eine Anzahl der wichtigsten Verbalformen
vorauszunehmen und- mit einzuüben. Da nun im Anfange möglichst
einfache Satzbildungen in Anwendung kommen sollen, so wird
man sich zunächst auf das Präsens und Imperfekt aller drei
Genera verbi und auf das Futurum und den Aorist Activi und
Medii der Vocalia und Huta mit Ausschlufs von Konjunktiv und
Optativ beschränken können. Diesen Weg hat auch der Verfasser
eingeschlagen, nur dafs er den Imperativ bei den vorläufig zu
übenden Formen wegläfst, dafür aber Perfekt Act. und Pass. und
Aorist und Futurum Pass. mit vorwegnimmt. Dafs aber alle
diese Formen schon auf S. 5 — 1 9, ehe die dritte Deklination zur
Hälfte vollendet ist, angewandt werden, halte ich nicht für praktisch.
Denn gerade bei der Bildung der perfektischen Formen und des
Passivaoristes giebt es eine Reihe von Schwierigkeiten, die er-
fahrungsmäfsig für den Anfänger nicht leicht zu überwinden
sind. Auch sind im allgemeinen diese Tempora für die Erzählung
noch am ehesten zu entbehren. Thatsächlich habe ich auch
in den zusammenhängenden Stücken der Abschnitte XI — XVI
(Nr. 30—50) kaum mehr als je ein Dutzend von den Formen
des Perfekt- oder Passivaorist -Stammes gefunden, von denen
der grölste Teil sich unschwer durch andere Formen hätte er-
setzen lassen. Gegen die Voraufnahme der Imperfekta i'(pfi und
e^X^yj des Futurum ^§a>^ der Aoriste elnov^ sXaßov, ^l&ovj
evQOTj sldovj iyevöfifjVy ä^txoiMip u. ä. wird nichts einzuwenden
sein; eher wird die sehr frühzeitige Verwendung aller Arten des
Aagmentes Bedenken hervorrufen können.
Den ersten Abschnitt „Accentübungen'' halte ich für über-
flossig; meines Erachtens werden die Accentregeln am einfachsten
SSeitMliriA L d. GymnasUlweMii XLVIII. 7. 8, 33
514 G. Weidig, Griechiscbes Lesebuch für Tertia,
und sichersten mit und an den einzelnen Vokabeln und Para-
digmen eingeübt. Aufserdero kann ohne Kenntnis der ersten
und zweiten Deklination der richtige Accent für anovdatoij
Id&fivaioty Vi%a$y %(& xaXw Ttagnta, TO$g xaXotg xaqnoigj tfjg
fiiicgag ayoqaq^ ayysXoi u. ä. gar nicht vom Schüler gefunden
werden, selbst wenn ihm die betonte Silbe bekannt gegeben
wird. Auch dafür, dafs es dem Tertianer zu schwer werden
möchte, das ganze Paradigma für ein Wort der beiden ersten
Deklinationen auf einmal zu lernen, und dafs deswegen die Genetive
und Dative immer erst hinter den übrigen Kasus in besonderen
Abschnitten zur Einübung gelangen müssen, finde ich in meinen
Erfahrungen keine Bestätigung. Weit natürlicher wäre es doch
gewesen, im 6. Stücke nach den Nominativausgängen (47, a purum,
a impurum) zu scheiden.
Hinsichtlich der verwendeten Formen und Wörter zeigt der
Verfasser das Bestreben, eine dem Zwecke seines Buches ent-
sprechende Auswahl zu treffen. Was minder wichtig war, des
Zusammenhanges wegen aber nicht gut entbehrt werden konnte,
ist durch Fufsnoten angegeben und erläutert worden. Hier
findet sich auch eine Reihe geschichtlicher Bemerkungen, denen
wohl die Absicht untergelegt ist, der Konzentration des Unter-
richts zu dienen. Manches konnte freilich der vox viva des
Lehrers überlassen bleiben; so z. B. alles, was sich auf den
Zusammenhang bezieht, oder Aufforderungen wie „Lerne ovtogl*^
„Lerne das Personalpronomen*' oder die Frage: „Wenn das Schiff
200 Mann Besatzung hat, wieviel Obolen bekommt danach der
Einzelne täglich?"
Auch die Auswahl der syntaktischen Regeln auf S. 97 — 102,
auf welche sehr häufig im Texte verwiesen wird, ist zweckmäfsig
getroffen. Vielleicht hätte R. 20 (Figura etymologica), 33, 1 (Imperf.
de conatu) fehlen, die Rektion der R. 23—26 angegebenen Verben
nur im Vokabelverzeichnis sich finden, R. 3 (Artikel bei Personen-
namen, vgl. z. B. Anfang von 18 Jfjfjkocd-iv^g und \9l^y^(ftXaog)
und 8 (attributive Stellung des Genetiv) etwas genauer gefafst
werden können.
Der Inhalt der Einzelsätze ist nicht trivial; die zusammen*
hängenden Lesestücke, mit den durch die Umstände gebotenen Um-
änderungen zumeist griechischen Historikern entlehnt, schliefsen sich
an hervorragende Persönlichkeiten oder Zeitalter der persischen und
griechischen Geschichte an; ab und zu sind Fabeln eingestreut.
Im einzelnen ist mir folgendes aufgefallen: 1 C 10 mufste
die Negation in t6 ia^ dixatov durch eine Fufsnote oder einen
Verweis auf eine der Regel 49 zuzufügende Bemerkung erläutert
werden. 1 D 9 und zuweilen im folgenden ist dem Anfänger die
prädikative Wortstellung (iXev&iQovg (fvXdTzovai tovg tQonovg)
nicht ohne weiteres verständlich. Die Form iS'sXw in 5, 13, 14
ist zu vermeiden, da nach Veitch s. v. Id'iXan die augmentierten
angez. von E. Bachof. 515
Formen vom Praes. i&iloi), nichl von ^iXia herzuleiten sind;
später (z. B. 33, 44) hat der Verf. auch das richtige ijd'sXop
dafür eingesetzt. Die Stellung 13 C 1 v^g Rvnqov v^tfov statt
Kvnqov r^g viqüov ist nach Krüger § 50, 7, A. 3 als die unge-
wöhnlichere zu bezeirhnen. Für reo v(fT€Q(a erst war 16 nicht
T« äXXtp iviavTw zu brauchen. Msranii»,nsx(x^ 17 B 10 kann
nach der Anmerkung nicht richtig übersetzt werden, da es hier
ebenso wie am Schlufs von 19 iq>6vBV(S€}f kausativ steht. 20 B 11
wäre statt ^AqrsfXifSia siiov(f((ag icfvQarevtfato das prädikative
Adjektiv ixovaa als das regelrechte vorzuziehen, ebenso 24 B 14
statt zovg naXdag 7tigA7t€$ Ttatdev&fjaofAivovg und 32 tovtov
insikXps 7taid€V&fi<f6fi€vov der Infin. final, statt des dem lateinischen
Gernndivum entsprechenden Partie. Futuri, 34, 8 inl statt stxciy
XaXxii iy fft^Xfi, 39 Z. 2 ist der Ausdruck xäxst undeutlich,
da das voraufgehende TQ€(f6fi€vog fA€tä 7toi[x4v(ov doch kaum
als örtliche Bestimmung gelten kann, 41 Z. 7 xarstxsy ^HgaxX^g
zu schreiben, s. Z. 10 und 13. Im Anfang von 43 war avrox&ova
allein als Apposition zu KixQona nicht zu verwenden (so wenig
wie 48, 4 nvO-oava o(f'tv) und zum Verständnis der ganzen wohl
aus ApoUodor entnommenen Erzählung die Zeile noifjcrafiSyti
r^g xaxaX^rpsoag Kixqona fiaQvvQa vor itpvtsvtSsv iXalav nicht
geradezu auszulassen. Aus dem Zusammenhange gerissen ist auch
der Satz 68, 4 nicht recht verständlich; entweder wäre Kvqof
rm vfcoriqm zu schreiben gewesen oder l/iqva^^q^ji tm ßaüiXst.
In 74 B könnte bei dem reflexiven Pronomen die Form d-sqansvoiiev
lovg ^(istiqovg avxuiV (piXovg, d'sqantvets tovg vfisriqovg
avzäv ffiXovg ohne Schaden fehlen. 92 Z. 5 würde ich Bvsqys-
TilxvXav dem svfjqyecfjxvtav vorziehen, vgl. 93 Z. 7 svsqysr^tr&ai
und Kruger § 28, Veilch s. v. FvsqYBxico. Dafs in dem Ab-
schnitte XXVIII „Unregelmäfsige Verba pura'' auch alqian (115
(tXoVj 120 dvBtXBv), fiifiyijaxco (116 fiSfivijtfOy 117 [AVijtfd'sig)
und iid-ico (120 ansfaaavxo) mit verwendet werden, konnte in
der Oberschrift angegeben werden: in der Regel begegnen ja
diese Formen erst bei den Verben der letzten Präsensklassen.
In 126 ist Z. 5 aus Herodot die jonische Form nvqqriv statt
nvqqav aus Versehen mit herübergenommen worden.
Für die Lesestücke 1 — 51 ist ein besonderes Vokabular bei-
gegeben worden, die folgenden Abschnitte sind nach dem allge-
meinen alphabetischen Wörterverzeichnisse zu präparieren. Doch
finden sich noch besondere Verzeichnisse für die Verba pura,
mnta, liquida und in /it».
Deutsche Sätze und Übungsstücke fehlen.
Nach seiner ganzen Einrichtung ist' das Buch neben einer der
gebräuchlichen griechischen Schulgrammatiken ohne Schwierigkeit
za benutzen ; am bequemsten nach der von Franke- v. Bamberg.
Die Ausstattung ist gut, der Druck ziemlich fehlerfrei.
Bremen. E. Bachof.
33*
516 A. Kircbhoff, Erdkoode für Schnleo,
A. Kirchhoff, Erdkunde für Schulen nach den fär Preafsen i^ltigeo
Lehrzielen. 2 Teile. Halle 1892. 1893, Buchhandlang des Waisen-
haaaes. Erster Teil: Unterstufe. VlI u. 55 S. gr, 8. 0,60 M. Zweiter
Teil: Mittel und Oberstufe. VII u. 283 S. g^r. 8. geb. 2,25 M.
Der Verf. bat seine bekannte „Schulgeograpbie'' unter obigem
Titel in zwei getrennten Teilen herausgegeben« Der erste Teil,
die Unterstufe, enthält die Pensen für Sexta und Quinta. Der
Verf. bemerkt in der Vorrede selbst, dafs es für die Sexta, deren
Hauptpensum die Ueimatskunde sei, ein gedrucktes Hölfsbuch,
das in verschiedenen Gegenden gebraucht wurde, naturgemäfs
nicht geben könne. Dagegen meint er, würde es doch vielleicht
„für den Zweck der Wiederholung dem Lehrer erwünscht sein,
die wichtigsten Grundbegriife, zu welchen die heimatskundiiche
Unterweisung führen soll, im Leitfaden festgelegt und ähnlicli
verfahren zu sehen hinsichtlich der Globuslehre und des Abrisses
der Länderkunde, die weiterhin den Sextakursus vollenden'^
Die neuen Lehrpläne verbieten die Benutzung eines Leit-
fadens in der Sexta. Die Schulen werden deshalb auch keinen
einführen, und die Quintaner, die sich den Leitfaden anschaffen,
müssen den Teil für Sexta mitkaufen, ohne dafs sie Nutzen
davon haben. Der Verf. hätte deshalb diesen Teil besser unge-
druckt gelassen, um so mehr, als er doch in der Sexta schon
seines Umfanges wegen kaum zu benutzen ist. Denn der Teil
für diese Klasse ist mit geringen Änderungen ein Wiederabdruck
des Stoffes, der früher für Sexta und Quinta bestimmt war. Das
Sextapensum ist gegen früher schon um die Heimatskunde ver-
gröfsert. Anstatt nun aber die Obersicht über die Länderkunde
dem entsprechend zu verkürzen, hat K. sie um das ganze frühere
Quintapensum vergröfsert. Die Sexta müfste demnach jetzt be-
wältigen die Heimatskunde, das frühere Sextapensum und das
frühere Quintapensum. Das Sextapensum umfafst 35 Seiten,
wozu die Heimatskunde kommt, das Quintapensum 20 Seiten.
Also mehr als doppelt so viel wird dem Sextaner zugemutet als
dem Quintaner. Der Einwand, der Lehrer brauche nicht alles
lernen zu lassen, ist nicht stichhaltig. Dafs das Buch nur den
notwendigen Lernstoff enthält, während der Atlas mehr bietet,
ist der Hauptgrund, der allenfalls die Benutzung eines Buches
neben dem Atlas rechtfertigen könnte. Wenn auch dieser Vorzug
wegfällt, dann kann um so mehr das ganze Buch fortfallen.
Und was soll der Sextaner nicht alles lernen 1 Neben den
fünf Erdteilen, der alten und neuen Welt, der östlichen und
westlichen Halbkugel, soll er sich auch noch die drei Erdfesten
oder Weltinseln merken (14), Namen, die er, wenn er nicht
gerade Geographie studiert, wahrscheinlich in seinem Leben nicht
wieder hören wird. — Und was für Zahlen soll der Knabe lernen!
Er soll lernen, wieviel Quadratkilometer die einzelnen Erdteile
messen, wievielmal Europa kleiner oder gröfser ist als die übrigen
• ogez. voo H. Hecker. 51^7
Erdteile, als die Westfeste, als die Ostfeste, als die ganze Länder-
masse der Erde. Er soll wissen die Einwohnerzabi der Erde und
der einzelnen Erdteile und die Zahl der Bewohner pro Quadrat-
kilometer wieder für die Erde und die einzelnen Erdteile. Bei
Australien wird er mit dem Namen des höchsten Berges und des Ge-
birges verschont; aber er soll lernen, dafs der Berg 2200 m hoch ist.
Auch aus anderen Granden eignet sich das Buch für die
Sexta nichL Da soll der Sextaner die Himmelsgegenden nach
dem Mittagsschatten bestimmen lernen. So macht es der Ge-
lehrte, der genau den Nordpunkt etc. finden will. Darum kann
es sich aber bei dem Unterrichte in der Sexta nicht handeln. Der
Knabe soll hier nur lernen, wie er sich in einer ihm unbekannten
Gegend orientieren kann. Zu dem Zwecke hat aber wohl noch
kein Mensch nach dem Hittagsschatten gesehen, sondern jedermann
sieht nach der Sonne. Die Heimatskunde geht deshalb davon aus,
dafs die Gegend, in der mittags die Sonne steht, Süden heifst etc.
Andererseits aber genügt es nicht, dafs der Sextaner sich blofs
nach dem Mittagsschatten orientieren lernt. Wenn er immer erst
einen Mittag abwarten soll, an dem die Sonne scheint, dann
nützen ihm seine Kenntnisse wenig. Er mufs sich zu jeder
Tageszeit und bei jedem Wetter orientieren können. Anweisungen
dafür yermisse ich In dem Buche.
Dem Standpunkt der Klasse entspricht es auch nicht, wenn
der Verf. dem Sextaner von den gewöhnlichsten Begriflen eine
Definition glebt. So erklärt er Wald als „zusammenhängenden
Baumwuchs'' (9), das Gefälle eines Flusses als „den Grad der
Neigung seines Wasserspiegels'% die Strömung als „die Fort-
bewegung seines Gewässers", das Bett als „das Gehäuse seines
Rinnsals'' (8), Völker als „durch nähere Verwandtschaft zusam-
mengehörige Gruppen von Menschen" (9). Wald, Volk, Flulsbett,
Strömung, Gefälle sind Vorstellungen, die den Knaben hinlänglich
klar sind oder doch durch Anschauung leicht klar gemacht werden
können. Mehr braucht der Sextaner nicht. Diese Definitionen
auswendig zu lernen ist ebenso schwer als nutzlos für ihn.
Zu wenig Rücksicht auf das Bedürfnis des Unterrichts wird
auch genommen, wenn der Verf. glaubt bei den Vorbegriffen eine
gewisse Vollständigkeit anstreben zu müssen, und sogar Anwei-
sungen für das Kartenlesen in dem Leitfaden giebt (14). Danach
soll der Sextaner aus dem Buche lernen, dafs die Böschungen
der Bodenerhebung durch Strichelung (Schraffierung), die Ort-
schaften durch Punkte oder Ringel bezeichnet werden etc. Aus
dem Geographiebuche soll er lernen, dafs als Mafsstab zur Ausmessung
der Länge uns das Meter und das Kilometer und zur Ausmessung der
Flächen das Quadratkilometer dient (6). Und das soll er alles nach
der Ansicht des Verf. in einer bestimmten Fassung auswendig lernen
und hersagen können und später repetieren! Wo so unterrichtet
würde, da möchte allerdings eine Überbürdung entstehen.
518 A. Kirchhoff, Erdkaode für Schulen,
Die Wissenschaft kennt neben den astronomisdien auch
meteorologische Jahreszeiten. Der meteorologische Frühling um-
fafst die Monate März, April und Mai etc. Ich kann es aber
nicht billigen, wenn das Lehrbuch den Sextaner diese Jahreszeiten
und nicht jene lehren will (5). Die Schüler lernen für das Leben.
Darin beginnen wir aber den Frühling mit dem 21. und nicht
mit dem 1. März. So hört es der Knabe zu Hause, so liest er es in
jedem Kalender, er lernt, dafs davon Ostern abhängt etc. Warum
soll sich die Schule damit in Widerspruch setzen ? Der Knabe soll
auch lernen, dafs diese Einteilung des Jahres abhängt von dem
sclieiubaren Gange der Sonne, den genau zu beobachten er an-
gehalten werden soll. Hier genügt es nicht mit dem Buche zu
lehren, dafs die Sonne am 21. März und am 23. September im
Ostpunkt auf- und im Westpunkt untergeht und dafs beides im
Sommer weiter nördlich und im Winter weiter südlich geschieht (t).
Und ebenso wenig genügt für die Erklärung der Jahreszeiten der
Satz: „die Sonnenstrahlen treffen die Oberfläche unserer nörd-
lichen Halbkugel in deren sommerlichem Halbjahr steiler als im
winterlichen. Dadurch entstehen die vier Jahreszeiten^ (tl).
Danach würde es ihrer doch nur zwei geben können.
Ungenau ist die Angabe, dafs die Bahnen der Planeten un-
gefähr kreisförmig seien (9). Das ist vieldeutig. Man kann sieb
einen solchen Ausdruck gefallen lassen, wenn das Wort Ellipse
vermieden werden soll« Da dieses aber doch unmittelbar darauf
vorkommt, so sehe ich nicht ein, weshalb bei den Planeten nicht
auch dieser bestimmte Ausdruck gebraucht wird.
Man vermifst ferner in dem Buche das Fortschreiten vom
Näheren zum Entfernteren, was bei der Heimatskunde unerläfslich
ist. Das war schon der Fall bei der Bestimmung der Himmels-
gegenden. Denn trotz der großen räumlichen Entfernung liegt
doch als Vorstellung die Sonne dem Knaben näher als der Schatten
der Dinge, der erst durch die Sonne entsteht. — „Das Himmels-
gewölbe'', heifst es ferner S. 2, „mit seinen Gestirnen scheint sich
in je 24 Stunden .... herumzudrehen. Auch die Sonne nimmt
an dieser scheinbaren Bewegung der übrigen Gestirne teil*'. Die
Heimatskunde verfährt umgekehrt. Dafs die Sonne sich dreht,
das weifs der Sextaner schon. Davon geht man aus. Dafs die
übrigen Gestirne es ebenso machen, das lernt er erst. — Zum
Beweise dafür, dafs die Sonne morgens, abends und im Winter
weniger warm scheint, wird die Thatsache angeführt, dafs dann
die Strahlen einen weiteren Weg durch die Luft zu machen haben
uod einen Teil ihrer Wärme an diese abgeben (4). Das kann
man dem Tertianer durch eine Zeichnung klar machen, wie es
das Buch thut, dem Sextaner aber schwerlich. Und in der Hei-
matskunde findet das keine Bestätigung, sondern eher Widerspruch.
Denn dafs die Südseite eines Dachest die JNordseite eines Hohl-
weges wärmer sind und hier Schnee und Reif rascher schmelzen
«ogCK. voo H. Hecker. 5^g
als auf den anderen Seiten, dafs auf einer gewölbten Strafse der
gefrorene Boden auf der südlichen Seite rascher auftaut aJs auf
der nördlichen, das hat jeder Lehrer Gelegenheit den Schulern zu
zeigen, und sie sehen es nüt grofser Freude. Und doch kann
hier von einem längeren Wege der Sonnenstrahlen durch die Luft
nicht die Rede sein. In einer Heimatskunde sollte deshalb die
Thaisache angeführt sein, die K. in einem späteren Kursus an-
fuhrt, dafs bei senkrechter Richtung der Sonnenstrahlen der
gleiche Raum eine gröfsere Menge Strahlen empfängt. Das läfst
sich auch durch eine einfachere Zeichnung klar machen.
Selbständige Berechnungen sind für die Schüler [mmer inter-
essant. Wenn aber der Sextaner die Länge des Äquators be~
rechnen soll und das Buch ihm dafür angiebt, dafs die Länge
eines Kreises mehr als dreimal so grofs sei als sein Durch-
messer (10 A. 2), so wird ihm das schwerlich viel Freude machen,
erstens weil er gar nicht weifs, warum das so ist, und zweitens,
weil er mit dieser Berechnung auch nicht einmal ein annähernd
richtiges Resultat erhält. Dann verschone man ihn auch mit dem
RechenexempeL Oder wenn er denn einmal rechnen soll, so
lasse man ihn 111 mit 360 multiplizieren. Dabei bekommt er
ein annähernd richtiges Resultat, er geht von einfachen Zahlen
aas, die er immer behält, und er kann deshalb die Berechnung
jeder Zeit wiederholen, wenn er die Länge des Äquators ver-
gessen hat.
Die Längen* und Breitengrade werden wie in vielen anderen
Büchern als Streifen der Erdoberfläche aufgefafst. Berlin liegt
unter dem 53® n. Br. soll heifsen: Berlin liegt in dem 53. Streifen
vom Äquator (11). So sagt aber niemand, sondern jedermann sagt,
Berlin liegt 527a° oder ungefähr 53®n. Br., und darunter ver-
steht man, es liegt 52V2° oder ungefähr 53X111 l^m vom Äquator
entfernt Man lehre also den Knaben die Breitengrade als ein
Längenmafs aufTassen. Dafs sie nicht alle genau gleich grofs
sind, geht den Sextaner noch nichts an. Man lehre Jhn ferner,
welche Bedeutung die Breite für die Temperatur und die Länge
für die Tageszeiten hat — Dafs man mit Hülfe des Gradnetzes
die Orte auf der Erdoberfläche aufsuchte, das ist, wenige Aus-
nahmen abgerechnet, ebenfalls eine alte Täuschung. Man kann
das zwar, aber man thut es nicht. Denn wenn jemand nicht
weiTs, wo ein Ort liegt, so giebt ihm doch niemand die Lage nach
Länge and Breite an. Auch kein Lehrbuch thut das.
Besser ist es um das Quintapensum bestellt. Dasselbe ist
den neuen Lehrplänen entsprechend neu bearbeitet. Wenigstens
mit dem Umfang des Stoffes kann man im allgemeinen einver-
standen sein. An einzelnen Stellen gehen jedoch die Anforde-
mngen zu weit. Mit Zahlen ist der Verf. sparsam gewesen. Die
Höhe der Berge und die Einwohnerzahl der Städte sind selten
angegeben. Das wird jeder billigen. Auch die Angabe, dafs der
520 A. Kirchhoff, Erdkunde far Schalen,
Main sich in der Nähe des 50. Parallelkreises hält (41). Wenn
aber der Quintaner auch lernen soll, da£s Bingen beim 8. Meridian
(40), Mannheim ^2^^ ^^^ Karlsruhe liegt (41), dafs Erfurt au der
Gera liegt, wo deren n. gerichtetes Thal beim 51. Parallelkreis
getroffen wird von der Strafse, welche . . . (46), dafs die Oder
jenseit des 53. Parallelkreises eine Kniebiegung macht (49), dafs
die Glbe jenseit des 52. Parallelkreises n. und noch vor dem 53.
Parallelkreis wieder nw. (liefst (49), dafs die Weser sich vor
dem 53. Parallelkreis nw. wendet (52), dafs die Inselgruppe
Spitzbergen vom 80. Parallelkreis durchschnitten wird und dafs
Franz-Josefs-Land jenseit des 80. Parallelkreises liegt (28), so
scheint mir das etwas viel verlangt za sein.
Auch bei den Flössen könnte mehr Mafs gehalten sein. Die
Rezat, die Pegnitc die fränkische Saale (41), die Innerste, die
Schwarza, die Hase (45), die Itz, die Gera, die Helme (46), die
Trave und die Warnow (51) könnte man einem Quintaner noch
erlassen. Dagegen vermisse ich die Katzbach wegen ihrer ge-
schichtlichen Bedeutung, und dafs Liegnitz an der Katzbach liegt,
wurde ich lieber lehren, als dafs es zvnschen Oder und Bober
liegt (50). Dafs bei den genannten kleinen Flflrschen auch stets
die Himmelsrichtung angegeben wird, nach der sie flieüsen, bei
dem Rhein aber solche Angaben nur über die Strecke von Kon-
stanz bis Bingen gemacht werden, ist inkonsequent
Ein alter Zopf ist es, in den Lehrbüchern über jedem Para-
graphen die geographische Lage einzelner Punkte genau anzugeben.
Der Verf. bemerkt zwar selbst in der Vorrede, dafs diese An-
gaben nicht dazu bestimmt seien auswendig gelernt zu werden.
Der Schuler soll sie vielmehr beim Kartenzeichnen benutzen.
Aber warum soll er denn, wenn er die Lage eines Ortes genau
wissen will, nicht seinen Atlas nehmen und sie daraus ablesen?
Wenn er dann zeichnen soll und sich selbständig oder unter der
Leitung des Lehrers die Punkte aufsuchen mufs, von denen er
bei der Zeichnung am besten ausgeht, so ist das eine recht nütz-
liche Übung für ihn und viel besser, als dafs er die Lage dieser
Punkte gedankenlos aus dem Buche abliest. Oberhaupt sind alle
Angaben eines Leitfadens zu tadeln, die den Schüler von der Be-
nutzung des Atlasses abhalten. Auch die Angaben über die
Richtung der Flüsse, über die Lage der Städte und anderer
Punkte zu einander gehören deshalb nicht in das Lehrbuch.
Denn nur nach der Karte kann der Schüler das behalten, aber nicht
nach dem Buche. Dafs er es doch darin lesen mufs, ist eine
nutzlose und überflüssige Arbeit.
Auch sonst enthält das Buch so manches, das die Benutzung
erschwert. Da steht fast hinter jedem Namen in Klammern, wie
er ausgesprochen wird. Ich meine, der Verf. könnte voraussetzen,
dafs jeder Lehrer so viel Französisch, Englisch und auch Ita-
lienisch und Spanisch versteht, dafs ihm die Aussprache der
an gez. von H. Hecker.
521
Namen bekannt ist. Wozu mufs denn da noch das Lehrbach die
doch auch recht schlechte Aussprache wie mong bläng und ähn-
liche angeben? Solche Angaben mögen gemacht werden bei
Namen, die erfahrungsmäfsig häufig falsch ausgesprochen werden,
wie Morawa, Sofia. Wozu aber atön, kristiäoia (31), madrid (30),
trieest (33) oder gar trt-er (für Trier 44), was zudem unrichtig
ist? Wozu mufs ferner in einer Anmerkung von drei Zeilen er-
klärt werden, was Konstantinopel heifst (30) ? Was sollen ferner
in einem Schulbuche Bemerkungen wie folgende: „Hauptstadt
pflegt man diejenige Stadt zu nennen, welche der Sitz der Re-
gierung ist*' (19, A. 1); „Residenz ist die Stadt, in welcher ein
Forst residiert, d. h. seinen Wohnsitz hat'* (27, A. 1); „die Summe
der Bewohner eines Erdraumes heifst seine Volksmenge'* (15).
Was soll bei Kriegshafen die Bemerkung „d. h. Hafen für unsere
Kriegsflotte"? Warum setzt der Verf. zu Frankfurt a. M. und
ähnlichen Namen Anmerkungen wie: „d. h. am Main, so zube-
nannt im Gegensatz zu Frankfurt a. 0. d. h. an der Oder**? Wozu
ist der Lehrer in der Schule?
Nicht billigen kann ich in dem Quintapensum die Einteilung
des Stofles. Alpen und Alpenvorland, suddeutsches Mittelgebirgs-
bnd, rheinisches Schiefergebirge etc. Bilden je einen Abschnitt,
und in jedem Abschnitt schliefst sich an die Darstellung der
Bodenerhebung diejenige der Gewässer und der politischen Geo-
graphie an. Dadurch werden Flösse, Länder und Provinzen in
höchst unvorteilhafter Weise auseinander gerissen. So erfahren
wir vom Rhein S. 29, clafs er durch den Bodensee zur Nordsee
Oiefst, dann S. 32, dafs seine Quellen in den Schweizer Alpen
liegen, S. 35, dafs Rotterdam an seiner Hauptmundung liegt, S. 36,
da& er in die Nordsee mändet, S. 40 wird der Lauf von Kon-
stanz bis Bingen beschrieben, und S. 42 wird gesagt, dafs er von
Bingen auf die Kölner Tieflandsbucht zufliefst. So die ßeschrei-
bong des Rheines. Die Provinz Westfalen ist in drei Teile zer-
rissen, die an drei verschiedenen Stellen zur Darstellung kommen,
beim rheinischen Schiefergebirge (46), beim Wesergebirge (46)
und beim westlichen Tief lande (52). Andere Punkte sind unvoll-
ständig. Von Braunschweig wird ein Anteil am westlichen Tief-
lande genannt (53) und aufserdem gesagt, dafs der Harz im
W. Braunschweig sei (46). Weshalb bleibt es beim Wesergebirge
unerwähnt? Die beiden Reufs, die beiden Lippe und Waldeck
werden überhaupt nicht genannt Wenn auch die beiden Schwarz-
burg ungenannt blieben, dann läge wenigstens Konsequenz darin.
Oder was haben die vor den anderen Fürstentumern voraus? Ein
deutscher Knabe soll aber alle Staaten des deutschen Reiches
kennen. Jedenfalls ist es wichtiger, dafs er die einzelnen Staaten
überhaupt lernt, als dafs er sich bei anderen die Teile und Teil-
chen merkt, aus denen sie bestehen. — Ich würde es deshalb
für praktischer halten, erst die physikalische Geographie von ganz
522 A. Kirchhoff, Brdkande far Schuleo,
Deutschland oder Mitteleuropa durchzuDebmen. Bei der politischen
Geographie, die sich daran schlösse, fände sich dann zugleich
Gelegenheit, die physikalische zu repetieren.
Als Atlas empfiehlt K. in der Vorrede denjenigen von Debes.
Von den oben genannten kleinen Fiiifschen stehen aber die
Innerste, die Schwarza und die Itz nicht in diesem Atlas. Sie
sollten also um so mehr im Buche fehlen. In demselt)en Atlas
zeigt die physikalische Karte von Europa sehr deutlich, wie um
das Hochgebirge der Alpen drei andere Gebirge gelagert sind.
Unser Leitfaden aber nennt neben den Alpen nur die Karpateo
(28 f.). Warum bleiben das deutsche und das französische Mittel-
gebirge ungenannt? Sind die Karpaten etwa wichtiger für einen
deutschen Knaben, weil sie etwas höher sind? Und wie soll der
Schüler die Karte verstehen lernen, wenn von drei Dingen,
zwischen denen er im Atlas kaum einen Unterschied merkt, BucJi
und Unterricht ihm eins als wichtig und zwei als unwichtig be-
zeichnen?
Der Verf. ist zu der Umarbeitung seines Leitfadens durch die
neuen preufsischen Lehrpläne veranlafst worden. Diese Lehrpläne
verlangen aber, dafs jede Unterrichtsstunde zugleich eine deutsche
Stunde sei. Der Lehrer soll sich bemühen, stets ein richtiges
und gutes Deutsch zu sprechen. Wenn aber die Lehrpläne diese
Forderung schon an das gesprochene Wort des Lehrers stellen,
so ist klar, dafs dieselbe Forderung noch viel mehr an die Lehr-
bücher gestellt werden mufs. Denn die Worte des Lehrers behält
der Schüler doch nur selten in der Form, in der sie ausgesprochen
werden, den Inhalt des Lehrbuches aber prägen sich viele in der
Form ein, in der das Lehrbuch ihn giebt Wenn die Verfasser
von Überselzungsbüchern zuweilen holpriges Deutsch schreiben,
um die Übersetzung zu erleichtern, so tadelt man das jetzt all-
gemein. Aber sie haben doch wenigstens einen Grund dazu ge-
habt. Dafs aber ein geographisches Lehrbuch in mangelhaftem
Deutsdi geschrieben ist, dafür giebt es keinen Grund und keine
Entschuldigung. Die Sprache in den Kirchhoffschen Lehrbüchern
ist auch früher schon getadelt worden. Der Verf. behauptet auch
bei jeder neuen Ausgabe, dafs er bemüht gewesen sei, formell an
dem Buche zu bessern. Aber viel ist dabei nicht herausgekommen;
die Sprache giebt auch in dem neuen Leitfaden zu den viel-
fältigsten Ausstellungen Anlafs.
„Den Süden ist reich an Wald^^ (22) ist ein Druckfehler,
aber ein recht unangenehmer; ebenso: die Leine, welche in die
Aller fliefst, einem Nebenflufs der Weser (35). Unrichtig aber
ist: Europa hat in seiner Nordhälfte die gröfsten Seeen : Zwischen
dem finnischen Busen und dem weifsen Meer der Ladogasee etc*
(29). Zu tadeln sind Genetive wie des Atlas (Einleitung), des
Rhein (32 und 35), des Inn (33), des Neckar (41), des heutigen
Baden (41)» des Islam (26). Es liegt kein Grund vor, diese
aogez. voQ H. Becker. 523
Wörter wie PersoDennamen zu behandeln. Solche Bildungen ge-
hören in das Kapitel der Sprachverwilderung. Der Verf. scheint
früher auf solche Dinge kein Gewicht gelegt zu haben. Noch in
der letzten Ausgabe der „Schulgeographie*^ steht auf ein und der-
selben halben Seite zweimal des Po und zweimal des Pos (Ulf.).
Jetzt scheint er das s überall abgestofsen zu haben. Unrichtig
ist auch : mit lang e m straffe n Haar (18). Latinismen und
Gallicismen sind : die Meeresenge des Kanals (28), der kleine
Meerbusen der Süder-See (28). Nach deutschem Sprachgebrauch
wäre das ein Teil der Süder- See, nicht diese selbst. Latinismen
sind auch: der Taunus und die ihm vorliegende Ebene (43);
diesem Kreis ist zug-efügt Regensburg (39); ferner Genetive
qualitatis: ein Land uralter Bildung (27), Hochflächen schiefrigen
Gesteins (34), Kämme hoher Kalkfelsen (38). Gräcismen sind:
der Aralsee Turans (25), der Lorenzbusen des atlantischen
Ozeans (18) und die Südseeinseln des grofsen Ozeans (16).
Danach müCste es auch noch andere Südseeinseln und noch einen
anderen Lorenzbusen geben.
Eine sehr unvorteilhafte Eigentümlichkeit, der Sprache ist das
Fehlen des Artikels. Der Verf. spricht von einem Sextakursus in
Erdkunde (Einleitung). Ähnlich sind: die Verbindungsengen von
ochotzkischem und japanischem Heer (25); die pyrenäische Halb-
insel zwischen mittelländischem Meer und atlantischem Ozean;
zwischen Ostsee und atlantischem Ozean (28) ; Sylt mit besuchtem
Seebad (52); zwischen Bodensee und Einmündung des Inn (33);
das Fichtelgebirge ist ohne Weinbau wegen rauhen Klimas (39).
Fast durchgängig fehlt der Artikel wie im Französischen bei der
Apposition: das sächsische Bergland, Absenkung des Erzgebirges
(34); München, wichtigste Bierbraustadt, besuchteste Universität
Süddeutschlands (40); Bombay, gröfster Ausfuhrhafen (27); Barce-
lona, grofse Seestadt (30) u.s.w.
Auch im Gebrauch der Präpositionen hat der Verf. Eigen-
tümlichkeiten, die nicht nachahmenswert sind und deshalb Schü-
lern nicht vorgelegt werden sollten. Er spricht von einer Be-
nutzung des Atlasses seitens der Schüler (Einleitung) statt durch
die Schuler; er will zur Seite des Leitfadens, statt neben d. L.,
den Atlas verwenden lassen (Einleitung); er sagt: Schlesien, das
Oderland zur Seite der Sudeten (50); zur Seite des König-
reichs Preufsen liegen Oldenburg, Bremen, Hamburg etc. (38);
behufs Anlehnung (Einleitung) statt um anzulehnen; die Rhein-
provinz ist zufolge, statt infolge, der Kohlenschätze industrie-
reich (53); Schlesien, nächst der Rheinprovinz die bevölkertste
durch Bodenfruchtbarkeit statt infolge (50). Er kennt auch eine
Präposition beiderseits: beiderseits der Oder (51); ähnlich S. 34
„beiderseits*' im Gegensatz zu: auf dem r. und 1. Rheinufer. Für
das ,9gegen'' von der Richtung schreibt er stets das verkürzte
„geu'S für das „nach*' von der Reihenfolge fast stets „nächst":
524 A. Kirchhoff, Erdknnde für Schulen,
Hamburg, die gröbte Stadt nächst Berlin (35 vgl. 50), Schlesien,
nächst der Rheinprovinz die bevölkertste (50). Er spricht von
QuellflQssen für einen Flufs (8), sagt: die Niederlande, unter-
halb des Meeresspiegels (35), und: oberhalb der Thäler hört
allmählich der Feldbau auf (39).
In der Anwendung der Pronomina finden sich nicht nur Un-
beholfenheiten, sondern auch geradezu Fehler. SoS.15: sonst durfte
Europa nicht der zweite Erdteil von oben, sondern e r, statt es,
mufste der zweite von unten sein; den Punkt, welchen die Kuppe
des Quecksilbers... erreicht... nennen wir Frostpunkt, denjenigen,
welchen dasselbe, statt dieselbe, erreicht (5). Eine besondere
Vorliebe hat der Verf. für das Demonstrativum dessen, deren. Er
schreibt: die grofsen Antillen, deren gröfste Cuba bildet . . . den
Rest der Besitzungen Spaniens (19), wo man einen Relativsatz zu
haben glaubt, dann aber durch die Stellung des Verbums gestört
wird. Er schreibt ferner: die Sonnenstrahlen treffen die Erd-
Oberfläche unserer nördlichen Erdhälfte in deren sommerlicheai
Halbjahr (11); wir erhalten die Wärme von der Sonne durch
deren Strahlen (4); auf einer Hochebene der Anden unfern von
deren gröfster Verbreiterung (20); in der Umgebung des Guinea-
busens (Niederguineaküste in dessen 0., Oberguineaküste in
dessen N.) (23); weil in jedem Kreise der Umfang mehr als
dreimal so grofs ist als dessen Durchmesser (10, A. 2). AUe
diese Vi^endungen sind steif. Ebenso: der Mond der Erde ist
der ihr nächste Weltkörper (13). Unklar ist: „Ebenso er-
scheint eine Fensterscheibe, wenn wir quer durch sie hindurch-
schauen, farblos, grünlich dagegen, wenn wir durch eine gröfsere
Masse derselben hindurchschauen , z. B. ein Bruchstück derselben
vom Rand aus betrachten*' (5, A.2).
Ebensowenig wird die Sprache verschönert durch die Vorliebe
des Verf. für Substantivierungen und Zusammensetzungen. Statt
„der nötige Stoff' sagt er das Nötige an Stoff, statt in diesem
Buche — im Vorliegenden (Einleitung), statt das dargestellte
Land — das Dargestellte (14), statt die dichteste Bevölkerung
— der höchste Grad der Volksdichte (30). Teils unge-
bräuchlich und durchweg unschön sind folgende Ausdrücke: Unter-
und Mittelstufenatlas, Unterrichtsweisungen (Einleitung), Schnee-
schmelzwasser (7), sommerliches und winterliches Halbjahr (11),
die Aufsenteile der Erde (13), Seefahrervölker (19), Seehandels-
stadt (53), Seeseiten (28), Erdhalbkugel (21, 24), HerzgesUlt (21),
Nierengestait (22), Innenwinkel des Guineabusens (23), Wüsten-
umgebung (23 Ägypten, inmitten der W.), Kaiserstaat (27), Bier-
braustadt (40), Westlauf' des Rhein (40), Sperrfestung des
deutschen Hoselthals (42), Einschlufsgebirge (42), Freistadtgebiet
(43), Gebirgsfreiheit (49 von gebirgsfrei), Weichsel Wasserscheide,
Verkehrsmitte (50), Handels- und Festungsstadt (51). Kein
Schriftdeutsch ist „mitten inne'' (14).
a D gez. von H. Heck er. 525
Die Vermischung mehrerer Phrasen, gegen die man in den
deutschen Aufsätzen so viel zu kämpfen hat, sollte in Buchern,
Tor allem in Schulbuchern nicht vorkommen. K. schreibt aber:
die Alpen nähern sich immer dichter dem r. Donau- Ufer (33).
Richtig ist: sie nähern sich immer mehr, und: sie treten immer
dichter heran. Ferner: erwünscht für den Zweck der
Wiederholung (Einleitung); richtig: für die Wiederholung, und:
zum Zweck der Wiederholung. Bingen, am Eintritt des Rhein
nach Norddeutschland (42). Es giebt nur einen Eintritt in
eine Sache. Ähnlich ist : w. vom £ i n tritt der Isar aus Tirol
(39). Unrichtig ist auch, dafs ein Meerbusen geringer (21)
oder schwächer (16) in ein Land einschneidet; un-
richtig ferner: wir messen die Wärme nach der Aus-
dehnung des Quecksilbers im Thermometer (5). Richtig
ist: Wir messen die W. mit dem Thermometer und wir
bestimmen die W. nach der Ausdehnung etc. Afrika
dehnt sich fast gleich weit auf der nördlichen wie auf der
südlichen Halbkugel aus (21) ; richtig : gleich weit auf der n.
und 8. H.; und: ebensoweit auf der n. wie auf der s. H.
Noch häufiger sind unrichtige Beziehungen und die Ver-
wechslung verwandter Ausdrücke. K. läfst die Schüler den Atlas
verwenden statt gebrauchen oder benutzen (Einleitung). Er
schreibt erscheinen statt scheinen. (Das Weltall erscheint
uns in 24 St. zu umkreisen II), behindern statt hindern (52),
erfüllen statt füllen oder ausfüllen (die Sahara erfüllt den
N. Afrikas 22, ähnlich 23 und 28), verstatten (veraltet) statt
gestatten (8), Einmündung statt Mündung (53), herein statt
hinein (45), befassen statt umfassen (41), Australien wird
bevölkert statt bewohnt (16), der Nil entspinnt sich statt
entsteht (22), die Kanäle vereinigen das Oder- und Weser-
gebiet statt verbinden (49), diesem Kreis ist auch zugefügt
Regensburg, statt: zu diesem Kreise gehört (39), Iran besteht aus
dem Königreich Persien etc. statt zerfallt in (26), die Völker
Europas gehören ihrer Sprache nach zu drei Gruppen statt
zerfallen in (30), die Engländer haben den Baumwollenbau stark
erweitert (27), von Regensburg reicht die SchifiTfahrt auf der
Donau bis ins schwarze Meer (39) und wörtlich: „Landkarten
stellen die Erdoberfläche oder Teile derselben sinnbildlich
dar . . . der obere Kartenrand ist stets der nördliche des Karten-
bildes*'(14). Ist eine Landkarte ein Sinnbild? Und das Karten-
bild soll das Land sein! Die Zeichnung im Atlas ist das Karten-
bild, nicht aber ein Teil der Erdoberfläche. Der obere Rand des
Kartenbildes ist also der nördliche Rand des dargestellten Landes.
K. schreibt ferner Hauptort der Wollweberei statt Hauptsitz (50),
Haoptnutzen für den Handelsverkehr statt für den Handel (17),
Freistadtgebiet von Frankfurt statt Gebiet der freien
Stadt Frankfurt (43), das östliche Tiefland Norddeutsch-
526 A. Kirclihoff, Brdkaode far Schulen,
lands slalt der östliche Teil des norddeutschen Tieflandes (48),
der beinahe salzigste aller Seen (25), die beinahe innerste
ISische des Guineabusens (22) statt beinahe der salzigste etc.,
Posen nahe der Mitte der Provinz (50) statt beinahe in der Mitte,
Washington nahe der Mitte der Ostküste (19), die Bevölkernng
ist ähnlich zahlreich (48), das süddeutsche Mittelgebirgsland
ist fast ohne Ausnahme, statt fast ganz, Rheingebiet (40),
das rhein. Schiefergebirge gehört . . . fast allein zum Königr.
Preufsen, statt liegt fast ganz im Königr. Preufsen (43), China,
die Gunst des Sommermonsuns bestens ausnutzend (27) statt
aufs beste. Mont heifst im Französischen Berg, blanc veifs
(29, ähnlich 19, 20, 21, 22, 25, 27, 28). Es heifst vielmehr im
Deutschen Berg und im Französischen mont.
Derselbe Mangel an Genauigkeit zeigt sich in manchen Defi-
nitionen. „Die Linie heifist Gesichtskreis, weil sie diejenige Kreis-
fläche umschliefst, über welche hinaus wir die ErdoberiSäche nicht
sehen können** (1, A. 1) erinnert an lucus a non lucendo. Ähn-
lich ist: „der Punkt des Thermometers, welchen die Kuppe des
Quecksilbers beim Schmelzen des Eises erreicht, nennen wir
Frostpunkt*' (7). Einem Sextaner würde der Ausdruck verständ-
licher sein, wenn es hiefse: wo das Wasser anfängt zu frieren
oder etwas dergl. „Provinzen werden die Hauptteile eines Staates
genannt, welche eigene Verwaltung haben** (32, A. 3). Der Relativ-
satz trägt zur Erklärung nichts bei; denn Regierungsbezirke,
Kreise, Städte haben auch ihre eigene Verwaltung. Und was soll
sich ein Knabe in diesem Alter unter eigener Verwaltung denken?
Endlich heifsen auch die Hauptteile eines Staates keineswegs
immer so, sondern nur in Preufsen und in einigen wenigen
anderen Staaten. Anderswo heifsen sie wieder anders, und bei
Bayern sieht sich der Verf. zu der widersinnigen Bemerkung ge-
nötigt: „In Bayern heifsen die Provinzen Kreise** (39, A. 4).
„Nationen nennt man die machtvolleren Völker, namentlich die
staatlich mächtigen** (30, A. 2). Danach müfste es auch eine
österreichische, aber keine polnische Nation geben. — „Im Sommer
sind die Tage wärmer als im Winter** (4). Und die Nächte etwa
nicht? Absolute Höhe wird als Höhe schlechthin, relative Höhe
als rückbezügliche Höhe erklärt (6). Diese deutschen Ausdrucke
sind dem Sextaner ebenso unklar wie die lateinischen. I^elaliv
kann man aber doch auch hier nicht wie beim Pronomen mit
rückbezüglich übersetzen ; es heifst vergleichsweise. „Durch nähere
Verwandtschaft zusammengehörige Gruppen von Menschen nennt
man Völker** (9). Also ein Volk soll eine Gruppe von Menschen
sein, und nicht blofs nahe, sondern näher sollen sie alle verwandt
sein. „Ihrer Verfassung nach sind die Staaten entweder Re-
publiken (Freistaaten) oder Monarchieen (von einem FürsteiT re-
giert)'* (9). Was soll sich denn der Sextaner unter einem Frei-
staat denken? Und geniefsen denn die Menschen in einer Republik
angez. voo H. Hecker. 527
wirklich mehr Freiheit als in einer Monarchie? Diese Auffassung
war im Alterlum berechtigt, heute aber nicht mehr, und man
sollte sie deshalb endlich aus den Büchern weglassen.
Auch am Satzbau ist viel auszusetzen. Da erscheint zunächst
die bekannte unrichtige Fortsetzung des Relativsatzes. „Der Rhein
fliefst gen N. bis Mainz, wo er sich w. wendet und Bingen beim
8. Meridian erreicht^' (40). Noch schlimmer ist, dafs der Verf.
überhaupt keine Sätze bildet, sondern seine Sprache in Partizipien
oder auch ganz ohne Verben einherschreiten lälst. So heifst es
S. 41: „Grofsherzoglum Baden, das Rheinknie mit dem Schwarz-
wald befassend, über den untern Neckar bis ans Mainviereck
reichend'^ „China, durch fleifeige Bodenbestellung die Gunst des
Sommermonsuns bestens ausnutzend, daher . . . das volkreichste
I^nd der Welt, uns Thee und Seide liefernd'' (27). „Esel und
Maultier als geschickte Bergbesteiger zum Reiten und Lasttragen
benutzt'' (29). „Als unentbehrliches Lasttier das einhöckerige
Kamel in die Sahara eingeführt. Aufserhalb der Wüste der Löwe,
der afrikanische Elefant, das Nashorn, in den Savanen Giraffen
und Antilopen" (22). Es wird vielfach geglaubt, durch eine solche
Schreibart sollte Raum gespart werden. Das geschieht auch zu-
weilen. Aber dadurch wird die Schreibart, namentlich in einem
Schulbuche, nicht gerechtfertigt. Oft aber sind die Participia auch
länger als die Verba finita, und die Hauptsache bleibt, dafs es
leichter ist einen Haufen Holz und Steine auf einander zu fahren
als ein Haus zu bauen. Wir schreiben so, wenn wir uns rasch
Notizen machen und uns die Mühe und Zeit nicht nehmen, voll-
ständige Sätze zu bilden. Wo sich die Konstruktionen leicht er-
geben, hat auch unser Leitfaden regelrechte Sätze. Wenigstens
kann ich keinen anderen Grund finden, weshalb nach dem oben
angeführten Satze über China Korea die Ehre hat in korrektem
Deutsch vorgeführt zu werden. Durchaus verwerflich sind folgende
Sätze: „Mit der Nordsee verbunden um die jütische Halbinsel
herum (durch Skager-Rack und Kattegat) sowie durch die Gruppe
der dänischen Inseln hindurch (mittels der Meerengen Sund,
grofser und kleiner Belt) die Ostsee" (28). „Neapel, die gröfste
Hafenstadt Italiens, mit noch massenhafterem Schiffsverkehr
Genua am nördlichsten Punkte der Westhälfle des mitteil. Meeres"
(31). „Sein Rumpf bildet ein rechtwinkliges Dreieck m i t dem
Seheitel seines rechten Winkels an der Nordküste des kaspischen
Meeres*' (28). „In die Nordsee fliefsen Ems, Weser und Elbe,
die ersteren Deutschland allein angehörig, die Elbe aus Böhmen
in unser Land übertretend" (36). „Es, sc. Deutschland, ist der
drittgröfste Staat Europas, nämlich an Gröfse nur übertroiTen
von Österreich-Ungarn und Rufsland" (36). Hier wäre doch auch
kürzer: Gröfser sind nur ö. und R. „Trier, eine sehr alte Stadt,
in welcher schon römische Kaiser einst residierten und nachmals
ein mächtiger Fürstbischof seinen Sitz hatte" (44).
528 A. Kirchhoff, Erdkände foir Scholeo, aogez. von H. Heck er.
Die schlesische Direktorenversammlung vom Jahre 1891 hal
die These angenommeD: „Die Schule hat bei der EinföhruDg von
Lehr- und Hulfsbuchern . . . solche Bücher fernzuhalten, welche
sich dem Bedürfnis gröfserer Sprachreinheit offenbar verschliefsen/*
Die anderen Eigenschaften der Sprache verdienen aber eine ebenso
sorgfaltige Pflege wie die Reinheit derselben. Das Kirchhoffsche
Buch ist an vielen Schulen eingeführt und wird auch eingeführt
bleiben. Der Verf. würde daher den Schulen einen grofsen Dienst
erweisen, wenn er bei einer neuen Auflage das Buch einer gründ-
lichen Überarbeitung unterzöge.
Der zweite Teil enthält die Mittel- und Oberatufe. Die Mittel-
stufe ist den neuen Lehrplänen entsprechend gegen früher ver-
mehrt um einen Abschnitt über die Schutzgebiete des deutschen
Reiches und einen solchen über die wichtigsten Verkehrsstrafsen.
Aufserdem ist ein Abschnitt über die „Territorialentwicklung des
Königreichs Preufsen** hinzugefügt, der im Geschichtsunterricht
benutzt werden kann. Die Oberstufe ist durch einen Abschnitt
über Kartenentwürfe bereichert. Dafs das Buch den Fortschritten
der Wissenschaft entsprechend verbessert ist, wo das nötig war,
dafür bürgt der Name des Verfassers.
Auch die Gruppierung des Stoffes ist den neuen Lehrplänen
entsprechend geändert. Weshalb aber vor dem U III - Pensum
ebenso wie früher vor dem IV -Pensum ein Abschnitt „Vorläufiges
aus der aligemeinen Erdkunde** steht, sehe ich nicht ein. Die
Zerlegung Deutschlands in kleine Abschnitte, wie wir sie oben
beim V - Pensum besprochen haben, könnte man sich an und für
sich auf dieser Stufe, wo das Land nicht zum ersten Mal durch-
genommen, sondern wiederholt wird, eher gefallen lassen. Da
aber die. Lehrpläne die Repetition der politischen Erdkunde
Deutschlands der Ulli, diejenige der physischen dagegen der Olli
zuweisen, eine vollständige Trennung der beiden Teile also ge-
boten ist, so mufs die Benutzung des Buches hier recht unbe-
quem sein.
In der mathematischen Geographie will der Verf. dem Schüler
erst die ganze Weit mit ihren Millionen Sternen, der Milchstrafse
und den Fixsternlinsen vorstellen und ihn dann über die Sonne,
die Planeten, den Mond zur Erde führen. Das ist veraltet und
der umgekehrte Weg unstreitig besser. Der Schüler mufs zuerst
die Erde und ihr Verhältnis zur Sonne und zum Monde klar auf-
fassen lernen. Alles andere ist dagegen unwichtig, wird ihm aber
leicht, wenn er jenes verstanden hat.
An einzelnen Stellen ist der zweite Teil auch sprachlich in
erfreulicher Weise verbessert. Die Darstellung Italiens z. B. ist
gründlich überarbeitet und gut. Leider beschränkt sich diese
Besserung auf wenige Abschnitte. Auch die Niederlande sind neu
bearbeitet, sprachlich aber viel weniger gut als sie früher waren.
Bei weitem, das meiste ist geblieben, bei Frankreich z. B. ist so
H.Sehotteo, Meth. d. plaDimetr. Uo terr., ngz. v. M.Simon. 529
gut wie nichts geändert und bei den drei Städten Lothringens
Verdun, Nancy und Toul sogar der Zusatz gemacht: „beides
starke Festungen^' (52). Es wäre also wünschenswert, dafs bei
einer neuen Auflage das ganze Buch eine Überarbeitung erführe,
wie sie jetzt bei Italien vorgenommen worden ist.
Karlsruhe. Hermann Hecker.
H. Schotten, Inhalt and Methode des planimetrischen Unter-
richts. Eine vergleichende Planimetrie. Leipzig, B. G. Teubner.
Band I (1890) 370 S. 6 M, Band II (1893) 410 S. 8 M.
Über den ersten Band hat Ref. eingehend in der Deutschen
Litteraturzeitung 1890 Nr. 49 berichtet. Verf. beginnt mit einer
Studie über die Reforrobestrebungen auf dem Gebiete des plani-
metrischen Unterrichts, aus weicher besonders die Stelle S. 4
über den Zusammenhang des mathemalischen und deutschen Un-
terrichts Beachtung verdient. Dann folgt Kap. I Der Raum. Verf.
bemerkt ausdrücklich, dafs nach. seiner Ansicht der Raum selbst
im Unterricht ohne Erklärung bleibt. Kap. II Die Geometrie.
Kap. in Die Raumgebilde: Körper, Fläche, Linie, Punkt. Kap. fV
Die Ebene. Kap. V Die Gerade. Im zweiten Band sind die Ci-
täte, was ihre Brauchbarkeit wesentlich erhöht, nach der Zeit-
folge geordnet. Bolzano hat ausgiebige Beachtung gefunden, doch
hätte Verf. Gelegenheit nehmen sollen, Band 1 zu ergänzen und
Arbeiten wie die des Herrn Schur zu berücksichtigen, sowie vor
allem den Begriff „Dimension*' zu erörtern. „Von der ursprüng-
lichen Absicht, im zweiten Bande auch auf die grundlegenden
metaphysischen Fragen einzugehen, sowie eine ausführliche Dar-
stellung der Metageometrie zu geben, hat Verf. aus praktischen
Gründen Abstand genommen*^ Ref. bedauert dies aufserordent-
lich; es giebt auch für den Schulunterricht keine wichtigere Ent-
scheidung als die, ob wir die Geometrie noch mit Kant als reine
Wissenschaft a priori ansehen wollen, oder ob wir mit allen
Hochschulmathemalikern von Gaufs bis Killing der Erfahrung den
ihr gebührenden Anteil retten wollen. Ein Werk wie das des
Herrn Schotten durfte an dieser Entscheidung nicht vorbeigehen.
Wohl bat Verf. im Kap. III diese Fragen gestreift, weil er sie bei
der Parallelentheorie streifen mufste, aber ihnen gebührte eigent-
lich schon im Bd. 1 ausgiebiger Raum, sie haben ein brennendes
Interesse; auf der Versammlung zu Halle 1891 galt ihnen die
Hälfte der Vorträge der Sektion 1, und Verf. konnte dafür das
ganze Kap. IV von S. 333 — 393 ruhig fortlassen, das, wenn über-
haupt, in Bd. 3 zur Methode gehört. Ref. will hier gleich eine
Bemerkung machen. Zwischen Bd. 1 und Bd. 2 liegen drei Jahre
Lehrthätigkeit des Verf.s; die Versuchung lag nahe, mit seinen
eigenen Ansichten und seiner besonderen Lehrmethode mehr her-
vorzutreten, als es der Plan einer vergleichenden Übersicht
gestattete, und Verf. ist ihr erlegen. Kap. I Richtung und Ab*
2«tiie]ir. f. d. OjmnaaialweMB ZLTin. 7. 8- 34
530 H. Schotten, Meth. d planimetr. Ünterr., agz. v. M. SimoD.
stand — Lage und Mafsantersuchungen. $ 1 Richtung, hier weifs
Ref. sich in fast völliger Übereinstimmung mit dem Verf. und
verweist auf die Festschrift von Kummer 1891; desgl. für §2:
Abstand. Verf. weist auf einen Übelstand der Felix Kleinschen
Deiinition hin, den Study schon beseitigt hat; §3 Lage und
Mafsuntersuchungen; hier gilt das für Kap. IV Gesagte, er gehört
nicht hierher, sondern eventuell zur Methode. Kap. il Der Winkel.
Verf. de6niert ihn, wie schon früher in der' HoiTmannschen Zeit-
schrift Bd. XX, als das Hafs der Drehung. Dies ist zwar wesent-
lich besser als die völlig verfehlte Deiinition des Winkels als
Gröfse der Drehung oder gar als Drehung selber, aber Ref. mufs
den Einwand, welchen Verf. (S. 114 und 115 unten) abdruckt,
voll und ganz aufrecht halten. Der Winkel, wie alle Grundbe-
griffe der Geometrie, Mechanik und InGnitesimalrechnung, ist ein
GrenzbegrifT in dem Sinne, welchem Ref. seit 1883 etwa immer
wieder Ausdruck gegeben hat (man vgl. den Artikel: „GrenzbegrifT'
im Supplementband der 4. Auflage des Meyerschen Konversations-
lexikons), und zwar ist er Grenze des Sektors bei über jedes Hafs
wachsendem Radius. Diese Erklärung hat auch den Vorzug, den
Winkel im Werden aus der Anschauung für die Anschauung zu
erzeugen, sie ist von der Bewegung unabhängig, wie sie mufs,
denn der Raum ist unbeweglich. Kap. fll Die Lehre vom Paralle-
lismus. Verf. definiert zwei Raumgebilde als parallel, wenn je
zwei gegenseitige Nachbarpunkte konstanten Abstand von einander
haben. Ref. würde die in der Fufsnote gegebene einfachere Er-
klärung von Magnus vorziehen. Was Verf. gegen die ebenso be-
queme als unklare Methode, den Paralielismus als Gleichheit der
Richtung zu definieren, sagt, unterschreibt Ref. von A bis Z ; der
Verf. ist dafür seitens eines Universitätsprofessors der „Ignoranz"
beschuldigt worden. Der betreffende Herr hat ein Lehrbuch der
Elemente verfafst, welches an einer einzigen Anstalt eingeführt ist
und in welchem u. a. der Winkel als Gröfse der Drehung, Parallele als
Gerade gleicher Richtung definiert und damit das Parallelenaxiom,
hundert Jahre nach Gaufs, bewiesen wird. Und dieser Herr wagt
es, einem Manne, der wie Herr Schotten unter schwierigen Um-
ständen (vgl. Note zu S. 184) ein ungeheueres Material mit be-
wunderungswürdigem Fleifse verarbeitet hat, um ein Werk zu
schaffen, das der Lehrerschaft zu dauerndem Nutzen gereicht,
einen solchen Vorwurf entgegenzuschleudern ! Das Material, wel-
ches Verf. für Kap. UI beibringt, ist sehr reich; ich möchte ihn
auf den 1. Jahresbericht der Deutschen Mathematiker- Vereinigung,
sowie auf den Artikel Parallelenaxiom im erwähnten Supplement-
band aufmerksam mächen. Verf. erwähnt in zwei Fufsnoten die
Arbeit von Lambert im Leipziger Magazin für reine und ange-
wandte Mathematik von 1786. Danach ist das vom Verf. dem
Ref. zugeschriebene Postulat eines einzigen Rechtecks für die
Existenz unserer Geometrie eigentlich an Lambert zu verweisen,
r
R Koeh, D. Entw. d. Jujeodsp. io Dfutschl, «(fi. V.O. Kohl. 53t
j.m auch die Priorität för den Zusammenhang des Parallelcn-
:„m. mit dem Satz Ober die Winkelsumme vom DreieA vor
SeeTdrc «ndT^batschowsky gebührt, ja, zum Teil für die Hypo-
üT«« von der Endlichkeit des Raumes; es ist auch fast gewifs
i.r! raiifs der «ut mit Hindenburg bekannt war, diese Arbeit
«kaont hat. Wenn . was Ref. noch nicht konstatieren konnte,
die Arbeit Lamberts mit der des Jesuiten Saccherius von 1733
abereiostimmt, so ist der Ursprung der Nicht - Eukhdischen Geo-
-J^tl von 1792 auf 1733 zurückzudatieren. Den strikten Be- .
«r^von der ünbeweisbarkeit des Axiom 11 hat in demselben
sfone? welchen Verf. für Herrn Felix Klein in Anspruch nimmt
«hon Johann Bolyai in der Appendix gegeben. Über Kap. IV
hat Ref. »ich schon ausgesprochen.
Eine Bemerkung in der Vorrede zu Bd. 2 veranlafst den Ref..
h f.inmal die Unentbehrlichkeit des Werkes für die
D^ki:»thpk des Lehrers und der Lehrer zu betonen. Die Kenntnis
S* oSsfcsarbeU auf dem Gebiete der Grundbegrille ist für den
Lehrer die wichtigste von allen, wäre sie verbreiteter blieben
9$ Prozent aller „Elemente" ungedruckt, und es ist hohe Zeit,
die Prüfungsordnungen so umzuformen, dafs au diese Kenntnis
wie Oberhaupt auf die der historischen Entwickelung das gebüh-
rende Gewicht gelegt wird.
_^ -.L,,__ Max Simon.
Strafsburg.
« .^ k ni« Rntwick«lao> de» Jagendspiele» in Deatsebland.
*• '*"H.n'.ovir-fü-e. 1893. mLz & L.nje. SOS. 8. 0.60 M.
Der unermüdliche Braunschweiger Vorkämpfer für Fufs-
K.n Kricket und Kaiserball, K. Koch, hat seinen auf derNurn-
bereeV Versammlung deutscher Naturforscher und Arzte (Septbr.
isas^ gehaltenen Vortrag inzwischen auch im Druck erscheinen
lassen auf Veranlassung des „Centralausschusses zur Förderung
der Jugend- und Volksspiele in Deutechland". Der Vortrag gipfelt
in folsenden Leitsätzen:
1 Durch Einrichtung von Schulspielen soll der Jugend An-
weisung und Anregung zu kräfüger Leibesbewegung im Freien
gegeben ^^^^J^'^^^y j^r Jugend Zeit und Möglichkeit verschafft
werden, möglichst täglich Spiele in freier Luft zu treiben.
3 Den Sudtgemeinden liegt es ob, ausreichende geeignete
Plätze' für die Spiele in SUnd zu setzen und zu unterhalten.
4 Es ist zu erstreben, dafs neben der Jugend auch die Er-
wachsenen ihre Erholung wieder im Freien zu suchen sich ge-
wöhnen.^ diesen Leitsätzen hat ja der erste an allen preufsischen
höhiiren Lehranstalten dank dem energischen Eingreifen des Kul-
tasministcriums seine Verwirklichung erfahren, zum Teil aller-
34*
•* t ■* •*
532 R. Koch, Die Eotwickelnog d. Jagead spiele« in Dentschl,,
dings in bescheidenem Mafse, weil die in 3. besprochene Beschaffung
von ausreichenden geeigneten Plätzen nicht überall zur That-
sache geworden ist. Was den 2. Satz betrifft, so wird man das
Turnen doch nicht ganz hinter die Spiele zurückstellen wollen,
wie Koch thut, wohl aber das Turnen so bald als möglich aus
den Turnhallen ins Freie verlegen, andererseits aber auch darauf
dringen, dafs schon in mittelgrofsen Städten mehr als eine Turn-
halle zur Verfügung steht, damit nicht wie in Essen in einer
einzigen Turnhalle von morgens bis spät abends mit Ausschlufs
der Mittagszeit alle Stunden besetzt sind und manche Klassen
gezwungen werden, sogar Samstags auf ihren freien Nachmittag
zu verzichten, um gegen Abend Turnunterricht zu erhallen; so
stark benutzte Turnballen bieten für Lungen und Augen nicht weniger
Gefahr, als Vorleil für die Muskeln. Auch Ballhäuser könnte man sich
wieder wünschen, wie sie z. T. noch in diesem Jahrhundert in
Gebrauch waren, oder wenigstens als Mahnung an eine gute Sitte
dastanden.
Von den Begründungen der Leitsätze, namentlich dem ge-
sundheitlichen Einflufs der frischen Luft und der Entwickelang
des Willens und der Selbstzucht, ist vieles auch von anderen
gesagt, zuletzt ausführlich auf dem diesjährigen ersten deutschen
Kongrefs für Jugend- und Volksspiele in Berlin (3. und 4. Febr.)
durchgesprochen worden.
Eine besondere Empfehlung erfährt der Fufsbali, wie ja
auch schon jetzt die illustrierte Zeitung für athletische Sports
und volkslümliche Jugendspiele in Stuttgart unter dem Namen
„Der Fufsbali' erscheint. Allerdings stimmen meine Erfahrungen
nicht zu denen Kochs, dafs bei der englischen Art dieses Spieles
nicht leicht Roheiten, bezw. leidenschaftliches und rücksichtsloses
Treten oder Stofsen und bedenklichere Verletzungen (Brüchen. s.w.)
unterliefen, und ich kann den Kollegen nur Recht geben, welche
in der Zeitschrift für Turnen und Jugendspiel das Greifen des
Balles mit den Händen, während er am Boden liegt oder hinfliegt,
mifsbilligen , wie es am hiesigen Gymnasium unsere TurnspieU
kommission schon im vorigen Jahre beseitigt hat.
Besonders interessant und vielen neu ist aber Kochs Hin-
, weis darauf, dafs der Fufsbali wie auch andere Spiele nicht erst
von den Engländern zu uns, sondern früher von uns oder über-
haupt vom Kontinent aus nach England, vorher aber nach Deutsch-
land und Frankreich von Italien, bezw. dahin wieder von Grie-
chenland eingeführt worden sind. Nach Mahaffys Buch über die alte
griechische Erziehung (London 1881) und Scainos Trattäto del
giuco della Palla (Vinegia 1555) hebt Koch die Ähnlichkeit unseres
Fufsballs mit dem 'EnlaxvQoq des PoUux, dem ^A^natstov und
dem von Galen gerühmten Spiel mit dem kleinen Ball hervor.
Die Stelle bei Pollux IX, 103 lautet: ^H di tijg dipaiqaq naid&d
oyofiaTa sl%hv iniaxvqog, (pa^vivda, &n6qQaiig, oiqcnfiun
aogez. voD 0. Kohl. 533
Kai 1/ fAiy iniaxvqoq %a\ itptjßtx^ xal inixoivoq inixXfiv
iX€i' Ttai^srat 6i xavd nX^d-og diatsxavvwv Xaoav nqoq
l(fovg, eha fiifft^y ygafi/A^v Xaxvnfi sXxvadvxdov j ^v dxvqov
xaXov(fiVj i^' ^y xaxa^ivTsg r^v atpatqav sxiqag dvo xat-
onip yga^fidg kxaviqaq %rjq Tci^ecog xazayQdipavxsq vniq tovg
hiQovg ol nqoavaXoiASVOh ^intovt^iv , olg eqyov ^v ijudga^a-
(S&ai %s T^g (Sffaiqag ifsqQ^kivrig xal ävttßaXstVj itag dv ol
h(qo& Tovg ktiqovg inl Tfjp xarontv yqafAfifjv änfafScoytat,
Da hier aber gerade nichts vom Treten des Balles gesagt
wird, so Onde ich darin nicht, wie Koch, den Fufsball, bezw. das
aqnaifrov (Monatsschr. f. Turnw. 1891, 202), sondern ein unserem
Schien der ball entsprechendes Spiel, zumal im Gegensatz zu
dem hierbei gebrauchten Ball, jedenfalls dem grofsen, mit Luft
aufgetriebenen FoUis (A. Rieh, 111. Wörterbuch), Pollux beim
nächsten Spiel gerade vom kleinen Ball spricht.
Was Pollux an zweiter Stelle beschreibt, ist nach seiner eige-
nen Meinung das dqna(Xt6vj das Railspiel mit dem kleinen Ball, dem
Galen sein Schriftchen gewidmet hat. ^Hds 0aivipda tXqtjzat ^ and
0atviydov xov nqcoTtog svqovxog ij and zov (pevaxl^eiy j on
hiqu) Tiqoöei^ayTsg hiqta ^imovdiVj i^anaTiovreg %6v oto-
fisyop' clxd^otto d* dv elvat> ^tö) dhd zov fiixqov Cifa^qiov, o
ix Tov dqnd^sip wyofjbaatat. Galens Schrift Ilfql zov dtd z^g afii-
xqag (Sq^aiqag yvfAyaaiov empfiehlt dieses Spiel wegen der leichten
BeschafTlichkeit des Werkzeugs und der leichten Übung im Gegen-
satz zur Jagd besonders, wegen der wechselnden Inanspruchnahme
aller möglichen Körperteile, wegen der Erheiterung des Gemütes,
wegen der Vorbereitung zu Gewandtheit und Schlauheit im Kriegs-
dienst, wegen der Beförderung einer mäfsigen Körperfülle im Gegen-
satze zum Ringen einerseits und zum Dauerlauf andererseits und
endlich wegen seiner Gefahrlosigkeit.
Die Stelle, welche die dabei entstehende Thätigkeit des Kör-
pers, leider nicht das Spiel selbst beschreibt, lautet: 'Oz^ di xal
noXvaqxiCzaxoy zdoy dXXcoy yv(Ayaai(ay y dod* dv [laX^aza f^d-
&Oig, fi axixf)aio xa&' ixaazoy avzfay, ozy zs dvyazai xal
oloy z$ zrjy <pv(fty idziy. evqijoe^g ydq ij atpoöqoy ^ (jtaXaxoy
f td xcezao ftdXXoy ^ zd dyta xiyovy fj fjiiqog zk nqo zäy
äXktöy otoy 6(S(fvy (Hüfte) ^ xs(faXfiy rj xstqag ij S^dqaxa,
Ttdyza d^ i^ l(fov zd fAiqf^ zov acifjbazog xiyovy xal övydfjkeyoy
ini z€ z6 (f(podq6zazoy dydyst^&ak xal inl zd ^aXaxdzazoy
vifUcd-ai tiüy fjbiy dXXaay ovöiv, zovzo di fxoyoy z6 öid z^g
Cik&xqäg Cifaiqag yv^yd^ioy^ o^vzazoy iy p,iq€t xal ßqadvzazoy
ysyofieyoyj if<podq6zaz6y zs xal nqqozazoy ^ wg dy avzog zs
ßovXti&^g xal z6 cda^ka q)aiyrjzai ösofisyoy. Ovcco di xal zd
Ikiofi xkysty fAiy icz^y avzov ndyd'^ Ofjbov, sl zovzo avfifpiqsiy
d6g£$svj szh ds nqo äXXfay dXXa^ sl xai zovzo nozs do^stsy.
'Ozay fjtiy ydq ifvyKJzd[Asyoi> nqog dXXijXovg xal dnoxoaXvoyzsg
vfpaqndcai zoy fjbsza^v ötanoyfaa^j fiiy^azoy avzo xal <ryo-
534 K.Koch, Die £atwickelaof^ d. Jugeadspieles iu Deutschl.i
dqozaiov xad'ictazai noXXotg ^ih tQaxfl^KfjJbOtg, noiXaXg 6^
ävt^XriiDstSh naXaiCT^xatg äyafAefjuyfiivoVj wüts %e(faX^v fiiv
xal avxiva diaTtoveta&ai totg TQaxijXiOfiotg , nlevQag öi
xal d-üigaxa xal ya^ftiga %aXg %6 xäv äfjbfjkdrwy nsqi-
x)-ea€ai xal änaüeCt xal änoartigi^eat xal ratg äXXa^Q
naXatanxaXg Xaßatg. ^Ev tovTta 6i xal oCffvg tsivBza^ a<podq&g
xal axiXii, xal ydg ovv xal edQaiotdxijg deX xi^g ßdasiag iy
TCO xoiovto) noviA' %6 öi xal nqoßaivs^v xal elg rd nXdyia
fieranfidäy ov fnxQOv cxsXäv yvfkvdaioy, äXX\ tl %q^ täXrjd'ig
eineXy, fAoyoy d^xatoxara xiyovy ndyx' avxiay xd fAOQia,
Wie sich aus den Worten des Poilux ergiebt, möchte dieser
das (patyivda und das dgnaaxoy für ein und dasselbe halten,
wie es auch Alhenäus I 14 f. bestimmt sagt: T6 dh xaXovfieyoy
did x^g dipaigag dgnatsxoy (paiylyda xaXeXxatj und anderer-
seits ist ein Spiel mit dem kleinen Ball, wie es Galen erwähnt,
das dgnadxov. Aber die von Athenäus angeführte Stelle des
Komödiendichters Antiphanes:
aqtaXgay Xaßdy
xtp fiiy äiöovg BxatgCj xoy d' s(p€vy^ dgjMj
xov d' i^ixgov(f€, xoy d' ay^tfxtjasy ndXiv,
xXayxxaXai ipoayaXg ....
I^co, fjbaxgdy, nag' avxoy, vnig avxoy^ xdxwj
avoüy ßgaxeXay, änodog, iyxaxddxgBtpB^
seine eigene Erklärung ixaXeXxo de qiatyiyda änd xfjg ag>4a€tog
xmy Cipa^g^^ovxmy rj oxt 6 svgsx^g — Oatyiaxtog, sowie die Verse
Martiais IV 19, VII 32, XIV 48:
Seu letUum cerama teris, Upidumve trigona,
sive harpasta manu pulvertdenta capis,
Non harpasta vagns pulverulenta rapis-
Haec rapü Antaet velox in pulvere draucus,
Grandia qui vano coUa labore facit.
und die ganze Ausführung Galens erwähnen nicht das StoJben
mit dem Fufse und setzen es auch nicht unbedingt Toraus, ja
die Erklärung des Poilux zu (fatyiyöa^ wenn es wirklich dasselbe
ist, j,€xig<a ngodsillayxeg exigm ^inxovdyyj i^anaxäyxsg xoy
olofisyoy^^j sowie die von Dindorf im Stephanus nachgetragenen
Stellen Schol. Plat., Paris, ad Clem. AI., Phot., Eustath. und
Orion Etymol. widersprechen dem geradezu. Die Erwähnungen
bei Arrian. Epictet. II 5 und Artemid. I 55 endlich geben keinen
Anhalt. H. Marquardts Annahme, die zwei Spiele (p, und o. seien
allmählich in eins geschmolzen, spricht auch gegen das Treten.
(Ausgabe und lateinische Besprechung der Schrift Galens im
Güstrower Programm 1879). Derselbe Marquardt hat dann wieder
in Eulers Honatsschr. f. d. Turnw. 1884 über die griechischen Ball-
spielegehandelt. Streng scheidet er zwischen Episkyros und Phäninda-
Harpaston. Seine Entwickelung des Episkyros steht meiner Er->
klärung als „Schleuderball** in nichts entgegen; nur nimmt er die
aogez. von O.Kohl. 535
,^ö(ste Form des kleinen Balles*' an, ich nach der PoUuxstelle
einfach den grofsen. Im Phäninda, findet er, kommt es auf das
Fangen an ; es kann dies also nicht Fufsball sein. Das Harpaston,
von dem „wir eigentlich noch weniger wissen"', identifiziert er
mit dem Phäninda, nur dafs es „durch die mit ihm verbundenen
Kämpfe einen weit heftigeren Charakter trug''.
So lohnt es sich, noch einmal die Geschichte des FuEsballes zu
untersuchen und nicht nur zum Besten des Fufsballes, sondern
zum Besten des fröhlichen Ballspieles überhaupt die Schrift
Galens in Anlehnung an die sorgfaltigen Ausgaben von G. Helm-
reich (Programm, St. Anna in Augsburg 1878) und von H. Mar-
quardt ^Programm, Güstrow 1879 und Teubnerscher Text der
Scripta minora I. 1884) sowie an die deutsche Übersetzung von
Fr. Cunze (Honatsschi*. f. d. Turnw. 1890) jetzt noch einmal für
sich mit guter deutscher Übersetzung und Heranziehung der übrigen
Nachrichten über das antike Ballspiel herauszugeben.
Kreuznach. 0. Kohl.
Nachtrag.
Zu meiner Bemerkung oben S. 376 ist hinzuzufügen, dafs
Scotts Beschäftigung mit deutscher Litteratur bei Martin § 158, 28
Erwähnung gefunden hat.
Moers. E. Fischer.
l
DRITTE ABTEILUNG.
BERICHTE ÜBER VERSAMMLUNGEN, NEKROLOGE,
MISCELLEN.
Beispiele zur deutschen Wortbildungslehre.
Die neaea Lehrplaae vom 6. Jan. 1892 fordern im DeaUcheo für Qotrta:
„Das Wichtigste aas der Wortbildan^slehre, ao typische Beispiele aofe-
scblossen^^ Es handelt sich om einen Nebenzweig des dentschen Unterrichts,
der sich in dieser Klasse in den bescheidensten Grenzen halten solL Rein
dürres Schema wird aufgestellt, welches die Menge der Biidnngselemente
nebst der ganzen Reihe möglicher Permatationen and Kombinationen der
verschiedenen Wortarten vorführt. Durch naheliegende Beispiele wird die
innere und 'äofsere Wortbildung (Ableitung und Zusammensetzung) in den
Hauptzügen klar gemacht; dann fügt man noch eine oder zwei Wortfamilien von
besonders ergiebiger Wurzel hinzu: das genügt. Es bleibt dem Lehrer über-
lassen, nach freier Wahl das Richtige zu finden; besondere Vorschläge zu
machen, erscheint mir auch überflüssig. — Mancher wird sich nan gesagt
haben: in dieser BeschrÜnknng hat eine Sache überhaupt wenig Wert, welche
nirgends eine Fortsetzung findet, und jene Stelle der Lehrplane nimmt sieh
aus wie ein lose am Ende des Gewebes angehängter Faden, der gar nicht
organisch in das Ganze eingefügt ist. Denn Verwandtes seheint erst in IIA
zum Vorschein zu kommen : „Einzelne sprachgescbichtliche Belehrungen darch
typische Beispiele^'. Indessen dürfte das Befremden schwinden, weoo man
annimmt, dafs hier in den LehrplÜnen und Lehraufgaben mehr angedeutet
als wirklich ausgesprochen wird, was ja naturgemäfs der Fall ist bei einer
derartigen knappen Beschreibung eines lebendigen Organismus. Es ist offen-
bar die Sache in IV nicht abgeschlossen, es wird nur der Anfang gemacht
So eröffnet sich ein weites Feld für gelegentliche Belehrungen,
welche auf allen folgenden Stufen fortgesetzt werden. In der Grammatik,
bei der Lektüre, der Korrektur der Aufsätze bietet sich ungezwungen Ge-
legenheit, ist es häufig nicht zu umgehen, Wortbildung, Etymologie, sprach-
geschichtliche Belehrungen einzuflechten, so oft ein unbekanntes Wort, ein
fremdartiges Gebilde begegnet. Da ist es wünschenswert, ein zu erläuterndes
Bildungsgesetz durch eine reiche Analogie stützen zu können. Die Gefahr,
das gebotene Mafs zu überschreiten und aufdringlich zu werden, wird man
leicht vermeiden, wenn man es sich zum Grundsatz macht, in der Regel nur
das Sprachgut zu berücksichtigen, das der Schüler bereits erworben hat.
Wir haben es mit einem wichtigen Nebenzweig des deutschen Unterrichtes
Beispiele z. deutscheo Wortbildaogslebre, von Tb. Busch. 537
zu than; derselbe wird aber nicht nur in den wenigen für das Deutsche
aaf esetzten Stunden kultiviert, sondern kann in der angedeuteten Weise den
f^esamten Sprachunterricht begleiten. Und warum soll der Schüler dabei,
nicht mit Freuden inne werden, dafs er in der beimischen Sprache eigent-
lich ein reicher Mann ist gegenüber seiner Dürftigkeit in der fremden? So
wird auch schon der Schüler eine Ahnung bekommen vom Leben der Sprache
überhaupt, besonders aber soll ihm die starke Triebkraft und das reich ent-
faltete Leben der deutschen Sprache zum BewuHitseio gebracht werden. Für
diese gelegentliche Belehrung ist im folgenden einiger Stoff zusammen-
getragen. Vielleicht werden Fachgenossen mit mir die Ansicht teilen, dafs
durch ähnliche Arbeiten auf dem betretenen Felde der noch etwas spröde
Boden mehr aufgelockert und für den Unterricht fruchtbarer gemacht werden
kann. Es sind dabei nicht ängstlich die Grenzen gezogen worden für das,
was in der Schule vorkommen darf.
I. Zahlreiche Zusammensetzungen sind aus syntaktischem Verbände
zosammengewachsen : abhanden^ vor/utnäen, sufriede/t, wie ifino^ioVf ixnodtav^
magnoftre sind Beispiele. Die häufigsten und einfachsten dieser Zusammen-
Schiebungen sind ein Substantiv mit dem unflektierten Adjektiv. Es läfst
sieh hier anknüpfen an Bekaontes: jung Siegfried, lieb Kind, klein Roland,
schön Suschen, gut Ding, Rotbart — grand* mere, grand* messe.
Machen wir einen Versuch mit Adjektiven, welche eine räumliche Aus-
dehnung bezeichnen : grqfs, klein, dick, dünn, lang, kurz. Z. B. : Gro/smacht,
Grofsstadt, Gro/shandel, Grofsfeuer, Grofsfiirst, Grqfskönig, Gro/smeister,
Grqfskneckt, Gn^fsvater, Grofsthat, Grofsmut, Grofsgrundbesit%er. —
Adjektivs der Zeit: alt, neu, Jung, frisch, früh, spät. Z. B.: ISeumotid,
Neujahr, Neuzeit, Neuwahl, Neubau, Neustadt, Neuthor, Neustrafse, Neu-
markt. — Zur Abwechselung sei das Substantiv gegeben: Scharfsinn, Stumpf-
sinn, Blödsinn, Leichtsinn, Trübsinn, Wahnsinn (vgl. JFahnwitz und das
mehr mnndartl. wahntchaffen = verwegen), Freisinn, Eigensinn, Starrsinn,
Frohsinn i die Adjektiva: feinsinnig, tiefsinnig, hochsinnig, schwachsinnig
sind gebräuchlicher, als die entsprechenden Substantivs. Maochmal liegt
etwas Gewaltthätiges, ein gewisser Übermut in solchen Bildungen : Faulpelz,
Rauhbein, Schmalhans, Grünschnabel, Dummkopf, Langohr, Langfinger,
SchUntberger.
In Zusammensetzungen wie: Stillstand, Schnellfeuer, Schnellzug, Schnell-
Schrift überwiegt die verbale Natur des Grundwortes, so dafs da wohl das
Adverbiun, nicht das Adjektivum anzunehmen ist.
Ableitungen aus solchen syntaktischen Gefügen, welche für sich die
Verschmelzung zu einem Worte nicht vollzogen haben, sind: j4ltweiber-
geschwätz, Kaltwasserkur, SUfsrahmbutter; sehr häufig sind solche Adjektiv-
bildungen: neumodisch, rechtwinklig, gleichseitig, grofsartig, breitspurig,
gy^lf^^Hf^i l^>^'dhrig, rothaarig, blauäugig, fremdsprachlieh. Wenn man
neben fremdsprachlich sich auch Fremdsprachen gestattet, so ist doch jeden-
falls das Adjektiv die frühere Bildung, aus der das Substantiv genommen
wvrde, nicht umgekehrt.
Sind nun diese Bildungen nur formaler Natur, oder wird auch die
Aasdmcksfähigkeit der Sprache damit vermehrt? Ohne Zweifel das letzterei
Es vollzieht sich der Obergang von der Einzel Vorstellung zum Gattungsbegriff.
Unhedeaklich bdhaupte ich; „Aachen ist eine grofse Stadt'*; dagegen den Satz:
538 Beispiele zur deutschen VVortbildttagslehre,
yAacfaeo ist Grofsstadt** würde vielleicht ein Berliner anfechten. Ein j^edler
Mann*' ist nicht »s „Edelmann*'.
Hierher gehören mehrere, zum Teil gegeow'iriif; verdunkelte Zusammen^
Setzungen, welche iu diesem Zusammenhang leicht begriffen werden : j^rg-
wohn, ^rfflüt („Da lächelt der Konig mit arger List'Oi Blachfddy Bö'tewkht^
Jungfrau, Junker, Meineid (jetzt auch schon: FaUcheid). — Glücklich ge-
bildet und merkwürdig wegen seiner Kürze ist der Fachausdruck für Forst-
leute: Fff^me^er = Kubikmeter fester Masse (Gegensatz: Raummeter). Zwei
Eigennamen mögen die Reihe schliefsen: Deutschland, IFeltehland,
Zusammenschiebongen von koordinierten Adjektiven: taubstumm,
sehwar xiumfs. Dagegen ist das erste als Bestimmungswort anzusehen in:
dummdreist, wildfremd, feucht kalt, blutjung, blutarm, blutwenig {blut [ndd.]
= blofs).
Nachdem diese Art der Wortbildung vorgeführt ist, durfte es ange-
bracht sein, auf das Gegenteil aufmerksam zu machen, welches dann eintritt,
wenn die Logik ein Kompositum verlangt, welches aber nicht gebildet werden
kann, weil unsere grammatischen Kategorieen nicht ausreichen. Die That-
sache, dafs Logik und sprachlicher Ausdruck sich nicht immer wie eine
algebraische Formel decken, darf in der Schule nicht gänzlich übersehen
werden. Die [reitende Artillerie] kaserne, der [geräucherte Fisch]laden ist
logisch richtig, aber sprachlich unmöglich. „Dennoch wagen sich immer
wieder Verbindungen dieser Art hervor*', weil sie eben logisch richtig sind
und auch in der Sprache nicht gänzlich abgewiesen werden können. Wust*
mann, Sprachdnmmheiten S. 211, vertritt einen entschieden zu engen Stsnd-
punkt, wenn er alles derartige verpönt. Den „wilden Schweinskopf'*, das
„adlige Fräuleinstift** würde ich in einer Schülerarbeit stehen lassen. Aueh
Kiesel, Stilistik S. 45 ist weniger ängstlich, wenn er z. B. „chirurgiselier
Instrumentenmacher** für vielleicht entschuldbar hält In München findet
alljährlich am Frohnleichnamfeste eine „geistliche Herrentafel** (= viromm
clericorum cena) bei Hofe statt. Wer statt „Bairisch-Bierbrauerei** : „bairische
Bierbrauerei** auf sein Haus schreibt, macht sich keines groCsen Verbrechens
schuldig. Auch die strengsten Puristen gestatten: „deutsche Sprachlehre*'
{= linguae Germanicae doctrina).
II. Glossierte Formen könnte man die folgenden Wörter nennen. Um
von einer fremden Sprache auszugehen, erinnere ich an frz. atyourdkuij
welches denselben Begriff doppelt setzt; in autruche ist der erste Bestandteil
lat. avis; choucroute vermengt gar zwei Sprachen zusammen. So sind ent-
standen: Diebstahl, Lindwurm (lintrache: Nibelnngenl.), JFindkund^ Salweide^
H^aUfahrt, Tragbahre, Thatsaehe, Machwerk, Erdboden, Schw^^feife, Erb^
teil, Bruchteil, Schalksknecht, Hansnarr, Marktflecken, Heimtücke, Nutini^swig^^
M^sbrauch, Notdurft, tFülkür, Sehnsucht, Griesgram, SclUffrohr, SeheU"
hengst, Göckelhakn, MerknuU, Niednagd, Speüshemagel, Springquell, Rilckgraty
Augenblick, Zeitraum, Honigseim', Einöde ist durch Volksetymologie an Öde
angelehnt; frohlocken, liebkosen, buntscheckig, blitzblank, windschi^j schnür^
stracks.
Das Streben nach Deutlichkeit, teilweise auch die Absicht, den Begriff
zu verstärken, haben zu diesen Zusammensetzungen geführt.
Mundartliches: Fatzposse bei Vilmar, Hessisches Idiotikon: Fatse ss
Grimasse, Posse. Koch, Werdener Mundart. Aachen 1879: § 30, 2: kul-hk^
voD Tb. Bosch. 539
§ 39, 2 : kis-Jat Sarg (kis = Kiste). Frommaao, d. d. MaodarteD: h&^himp
Hiderlamp; gatihosn (gatya magyar. = Uaterhose); haUgoU^ (sb halicollar).
Firmeoich, GermiiDieos VölkerstimmeD II S. 782: poi^enferli ^o^ea (schlagen)
-i- lat. ferula, — 1u der Westeifel: bunnekäpf Fraueobaobe, aus frz.
bonnet + käp (Kappe). Vgl. noch Flitzbogen ^ei Weigaad, Wörterbuch.
FinBenich, a. a. 0.: Mohtsehekühchen, — Sarg, Mühle, Maler siod an sich
verstäodlich. Aber Sarg hat aach noch in eiozeloeo Gegeadea die Bedeutoog:
Trog, die Mühle hat ihre ursprüogliche Verweadaag vervielfältigt, Maler
titnliereo sieh auch Anstreicher. Daher findet mao in ZeitangsaDBOocea:
Toieiuarg, Mahlmähle, Kunstmaler, Pflegte ja selbst io der Schule bei
tenadus die im Lexikon nötige Glosse mitgeschleppt zu werden, obgleich io
zusammenhängender Rede das einfache „Alter** vollständig genügt.
ni. Doppelgänger desselben Wortes nebst Stammwörtern mit einer
oder mehreren Sprofsformeo : Mem Odem, Ball Ballen, Bett Beet, Bude
Baude, Blick Blitz, Bord Borte, Born Brunnen, Farren Färse, Fohlen Füllen,
Fug Fuge, Grab Graben Grube, Grat Gräle, Grütze Gries, Gurt Gürtel,
Ha/er Haber, Hag Hagen Hain Hecke, Hahn Huhn Henne, Hotz Hetze, Herde
Hirt, Knabe Knappe, Kran Kranich, Mond Monat, Niete (Los ohne Gewinn)
nichU nicht, Ohr Öhr Öse, Rabe Rappe, Rast Rüste, Rifs Ritze, Rohr Röhre,
Sack Säckel, Schank Schenke, Schrank Schranke, Schurz Schürze, Spitze Spi^s,
Spalt Spalte, Spange neben mundartl. spengel, spennel (»b frz. epingle),
Sprqfs Sprosse, Stapel Staffel Stufe Fnhstapfe, Stall Stelle, Statt Stätte
Saat Staat, Steg Steig Stiege, Thal neben mundartl. Delle (z. B. in Grimms
Märchen), Thor Thür, Thran Thräne, Wappen fFaffe, fTurz H^urzd (vgl.
Kluge, Etymol. Wörterbuch), Wust Wüste-, vor für. Jach jähe, fahl falb,
feit feist, sachte sanft, fappen gaffen, schleifen schleppett, kneifen kneipen,
drucken drücken, roden SLUsrotten.
Fremdwörter wurden wiederholt, zu verschiedenen Zeiten und auf
verschiedenen Wegen eingeführt: Alarm Lärm, Banner Panier, Barch Ferkel,
Börse Barsch, Palast Pfalz, Partei Partie, Patron Patrone (vgl. Patent), Pelz
Felly Posten Pfosten, Ruin Ruine, Tiegel Ziegel, Triumph Trumpf, Trompete
Drommete Trommel, Zither Guitarre. Anknüpfungspunkte z. B. im Frau-
zösiaclieB: coutume costume aus consuetudo, frSle fragile srns fragilis, compter
eonter ans computare.
Der Kürze wegen habe ich es unterlassen, diese Wörter nach Bildungs-
groppen zo ordnen und diejenigen zusammenzustellen, welche zugleich in
■44. «od obd. Gewände auftreten.
Wir sehen hier deutlich, wie die Sprache mit ihrem ursprünglichen
Erbgut gewuchert hat, indem sie haushälterisch ihre Begriffe verdoppelte
«■d die Ausdrucksfahigkeit steigerte. Teilweise ist eine Spaltung der ur-
spronglichen Bedeutung eingetreten, teilweise geben die Nebenformen der
Rede eine besondere Färbung, sie sind frischer und poetischer, weil sie
nicht 80 abgegriffen erscheinen. Letzteres sind also stammverwandte
Synonyma. — So liegt bei den Synonyma im allgemeinen der Hauptunter-
schied oft nur darin, dafs neben dem gewöhnlichen Worte seltenere einher-
gehen, und es wird dann unfruchtbar sein, die Etymologie zu Rate zu
xieliea, weoa der Gebrauch sich von der Herkunft losgelöst hat oder gar im
Widerspruch zu derselben steht. Vgl. z. B. Kluge, fitym. Wörterbuch:
„Adler M. aas mhd. adler adel-ar (auch adelarn) M. : eigtl. Zusammensetzung
540 Beispiele z. deatscheo Wortbildani^slehre, voo Tb. Bosch.
'edler Aar'; dabei ist ioteressaot, dafs Aar im Nbd. die edlere Bezeichoaog
ist, während Adler qos als Geooswort gilt, ohne dafs wir ooch deo l)r-
sprang aus Adel ond Aar fdhiteii'^ Eher wird mao in diesem Falle die
Gelegenheit benetzen, zu zeigen, wie alle Gegenden Deutschlands zur Be-
reicherung unseres Wortschatzes beigesteuert haben. Von mehreren geo-
graphisch sich ergänzenden Wörtern drang eins allgemein durch, die ent-
sprechenden Bezeichnungen anderer Gegenden wurden seltener, aber nicht
immer vollständig verdrängt Vgl. was bei Socin, Schriftspr. o. Dial. S. 216
zu lesen ist über ff^iese, Matten Au^ Anger,
IV. Stammverwandte Verba. Dräng-en, tränkeriy äi%en — setseUf Mengen^
senken^ blecken, verschwenden y rennen^ sprengen^ schwemmen, schmelzen,
schrecken, löschen, legen, bewegen — fallen, führen, beiasen, schleifen, beugen,
flöfsen, ersäufen, säugen sind Paktitiva. Leicht wird der Schüler die ent-
sprechenden lotransitiva starker Flexion finden und dabei zugleich mit
schärferem Blick die Grundbedeutung der einzelnen erkennen, auch wenn
ein starker Bedeutungswandel stattgefunden hat. Eine solche Zusammen-
stellung läfst sich verwerten zu einem Überblick über den betrelfeoden Ab-
schnitt der deutschen Formenlehre, sie bietet auch Analogieen für Erscheinungen
in den fremden Sprachen.
Wie heifsen die Stammwörter zu folgenden Dimioutiva : lächdn, fächehj
kränkeln, stichelnj bröckeln, säuseln, trippeln, schnitzeln, kräitbi, streichelnd
Lautliche Abhängigkeit und Bedeutungsverhältois sind zu betrachten
bei: wachen wecken, neigen nicken, beugen bücken, brechen brocken, siechen
stecken stocken, hangen hängen henken, ziehen zucken zücken, prangen prunken,
plagen placken, schwingen schwenken, ' winken wanken, knicken knacken —
hören horchen, scheuen scheuchen, schnarren schnurren schnarchen — knurren
knarren — spritzen spritfsen spreizen, zwingen zwängen, prallen preUen,
tauschen täuschen, stieben stäuben stöbern, haften heften, heizen hUzen,
ziemen zähmen, erblinden blenden, rauben raufen rupfen, schnauben schnaufen
schnupfen schnüffeln schnobern schnuppem.
Malmedy. Theodor Busch.
VIERTE ABTEILUNG.
EINGESANDTE BÜCHER.
1. R. Klossmnoo, Systematisches VerzeichDis der Abbtod-
loDgeo, welche in dea SchalscbrifteD säintiicher so dem Programmtaasche
teilnehmeBden Lehraostalteo erschienea sind. Band II: 1886 — 1890. Leipzig
1893, B. G. Teuboer. VI u. 285 S. gr. 8. 5 M.
2. PfSrtoer Stammbach 1543—1893. Zur 350jährigeD Stiftuogs-
feier der Kgl. LandesschuJe Pforta heraasgegebeo von M. Hoffmaon. Berlin
1893, Weidmanoscbe Bnchhandlong. XVI u. 561 S. Lex. 8. 10 M.
3. 6. Windhaus, Geschichte der Lateinschale zu Friedberg
in Hessen. Priedberg 1893. IV a. 197 S.
4. M. Hoffmann, Zar Erinnerung an Aagast Böckh. Progr.
Labeck 1894. 44 S. 4.
5. £. Kraepelin, Über geistige Arbeit. Jena 1894, Gustav
Fischer. 26 S. gr. 8. 0,60 M.
6. C. Boettcher, Die Ordnung der Abschla fsprüfongen nach
dem sechsten Jahrgange der neanstufigen hSheren Schulen mit den ange-
zogenen Bestimmungen ans der Ordnung der Reifeprüfungen und den bis
Ende 1893 erlassenen Brläuterangen und Ansfuhrungsbestimmungen. Königs-
berg i. Pr. 1894, Gräfe & Uozer. 18 S. 0,50 M.
7. A.Herzog, Der Anschauungsunterricht auf dem Gym-
nasium. Einleitende Bemerkungen. Karlsrohe 1893, J. Lang. 16 S.
8. J. Buschmann, Deutsches Lesebuch für die Oberkiassen
höherer Lehranstalten. Vierte Auflage. 1. Abteilung: Deutsche Dichtung
in Mittelalter. VII a. 192 S. 1,20 M; 2. Abteilnag: Deutsche Dichtung in
der Neuzeit (nebst einem Abrifs der Poetik). VlII u. 424 S. 3 M. — Deutsches
Lesebuch für die unteren und mittleren Klassen höherer Lehranstalten. Zehnte
Auflage. 1. Abteilung (für die unteren Klassen) XVI u. 416 S. 2,20 M;
2. Abteilung (für die mittleren Klassen) XIV u. 637 S. 3,20 M. — Leitfaden
für den Unterricht in der deutschen Sprachlehre für die unteren und mitt-
leren Klassen höherer Lehranstalten. Zehnte Auflage. VI o. 110 S. geb.
1 M. Trier 1893, Fr. Lintz. Vgl. diese Zeitschr. 1886 S. 686.
9. O.Lyon, Abrifs der deutschen Litteraturgesc hichte.
Dritte Auflage. Leipzig 1893, B. G. Teubner. VIII u. 142 S. geb. 1,60 M.
10. 0. Lyon, Handbuch der Deutschen Sprache für höhere
Schalen. Mit Obnngsaufgaben. Erster Teil: Sexta bis Tertia. Vierte, ver-
mehrte und verbesserte Auflage. Leipzig 1893, B. G. Teubner. VIII u.
272 S. geb. 2,80 M.
11. O.Lyon, Kurzgefafste Deutsche Stilistik. Dritte Auflage.
Des zweiten leils des Handbuchs der Deutschen Sprache von 0. Lyon (Sti-
listik, Poetik and Litteraturgeschichte) erste Abteilung. Leipzig 1893, B. G.
Teubner. VIII u. 94 S. geb. 1 M.
12. O.Lyon, Abrifs der deutschen Poetik. 3. Auflege. Leipzig
1893, B. G. Teubner. 80 S. 1 M.
13. Walther von der Vogel weide und des Minnesangs Frühling.
Ausgewählt, übersetzt und erläutert von K. Kinzel, 3. Auflage. Halle a. S.
1894, BochhaBdlung des Waisenhauses. VIII u. 115 S. — Vgl. diese Zeitschr.
1891 S. 147.
14. Sammlung Göschen. R. Brauns, Mineralogie. 126 S. —
542 BiDipessodtA BScber.
M. Roch, Geschieht« der deotsehea Litterator. 278 S. — E. Geleieh
uod F. Saater, Karteokuode, geschicbllich dargestellt« 160 S. Stattgart
1893, G. J. Göacheosche Verlagshaodluog,
15. M. Prem, Goethe. Mit vieleo Abbildnogeo. Leipzig 1894, G. Fock.
473 S. 8. 5 M.
16. Th. Lohmeyer, Kleioe deutsche Satz-, Formeo- nnd
iQterpuoktioDslehre nebst eioem Anhaoge aos der Poetik ood Metrik,
sowie einem aDläfälich der „Neaeo Lehrpläoe*' hiozogefagten Nachtrage, za-
nächst für die Klassen Sexta bis Tertia höherer Lehranstalten. Dritte AoP-
lage. Hannover 1892, Helwingsche VerlagsbnchhandloDg. XIF a. 70 S. geb.
0,80 M. — Vergl. diese Zeitscbr. 1888 S. 369. Schon in der zweiten Auf-
lage waren die fremden grammatischen Konstaosdrficke überall wieder in den
Text eingefügt und die Verdeatschangen nar einmal zar ErklÜrang dahinter
gesetzt worden.
17. Nägele, Beit'räge zu Uhland. Uhlands Jogenddiehtiing. Progr.
Tübingen 1893. 48 S. 4.
18. H. Kretschmann, ^Deutsche Aufsätze in (Jater-Secnnda.
Progr. Kgl. Gymn. Danzig 1894. 25 S. 4.
19. H. Daubenspeck, Die Sprache in den gerichtlicheo En I-
Scheidungen. Berlin 1893, Franz Vahlen. 50 S. 1 M.
20. A.Führer, Vorschule für den ersten Unterricht inft La-
teinischen. II. Obungsstoff und Wörterverzeichnis. Dritte Auflage. Pader-
born 1894, F. Schöningh. VIII u. 105 S. kart. 0,80 M.
21. J. Pavec, Der junge Lateiner. Lateinische Grammatik in
kurzer übersichtlicher Fassung. Wien 1893, A. Pichler's Witwe & Soha.
IV u. 130 S. kl. 8. — Das Büchlein enthält mit Ausscheidung aller für d«a
Schüler überflüssigen Einzelheiten in prägnanter Kürze sämtliche Regeia der
lateinischen Sprache.
22. C. Stegmann, Lateinisohe Sehulgrammatik. 6. Auflage.
Leipzig 1 893, B. G. Teubner. Xfl n. 250 S. geb. 2,40 M.
23. L.Jeep, Zur Geschichte der Lehre von den Redetetlaa
bei den lateinischen Grammatikern. Leipzig 1893, B. G. Teubner. XVIil
u. 316 S. 8 M.
24. Ciceronis Laelins de amicitia. Für den Schulgebrauch heraus-
gegeben von Th. Schiche. Zweite, verbesserte Auflage. Leipzig 1894,
G. Freyti^. XX u. 42 S. 0,40 M, geb. 0,70 M.
25. Bonneils Lateinische Übungsstücke, nenbearbeitet voa P.
Geyer und W. Mewes. Teil I: für Sexta, 13. Auflage von W. Mewes.
1892. VI u. 98 S. geb. 1,40 M. Teil 11: für Quinta, 13. Auflage voa W. Mewes.
1894. II u. 140 S. Berlin, Emil Goldschmidt
mm
26. H. Busch, Lateinisches Übungsbuch. Teil I: für Sexta.
Siebente Auflage von W. Fries. IV u. 110 S. geb. 1,40 M. Teil IH: für
Qaarta. Fünfte Auflage von W. Fries. VII n. 109 S. geb. 1,40 M. Berlin
1893, Weidmannsche Buchhandlung.
27. W.Fries, Lateinisches Übungsbuch für Tertia. Abtei-
lung 2: für Ober-Tertia. Zweite Auflage. Berlin 1893, Weidmannseke
Buchhandlung. IV n. 110 S. geb. 1,50 M.
28. Claudii Claudianl carmina. Rec. J. Koch. Leipzig 1893,
B. G. Teubner. LXI n. 346 S. 3,60 M.
29. Phaedri fabulae Aes'opiae. In nsnm scholamm selectas reeo-
gnovit J. M. Stowasser. Prag 1893, F. Tempsky. VIII a. 57 S. 0,50 M,
geb. 0,80 M.
30. U. Peper, Eine neue Properzhandschrift 47 S. (S.-A. aoa
dem Neuen Lausitzischen Magazin, Band 59.)
31. Flaminio Nenzini, Quaestiones Terentianae I v. IL Turia,
1893, H. Loeseher. 10 u. 11 S.
32. J. La Roche, Beiträge zur grieehischen Grammatik. Hef t L
Leipzig 1893, B. G. Teubner. XVII n. 236 S. 6 M.
33. U. v. Wilamowitz-Moellendorff, Aristoteles und Athea.
Einipesandte Bacher. 543
2 Bande. Berlio 1893, Weidmannsche Bachbaodlnngr. VII a. 3S1 bezw. 428 S.
fr. 6, zmamineo 2U M.
34. G. Kaibel, Stil aad Text der nokixila lA&tjvalfov des
Aristoteles. Berlin 1893, Weidmannsche Bnchhaodlong. V n. 277 S. 8 M.
35. S.Reiter, Die drei- nnd vierzeitigen Langen bei Enri-
ptdes. Wien 1893, F. Tempsky. 80 S. (S.-A. ans dem SB. der Ak. d.
Wiss. in Wien, Band 129).
36. *Itjavvov lioyvQidSov dioq^maag {ig tu IdqiüxotiXovg
noltrixtt. Teil 1. Athen 1893. 48 S.
37. J. Lattmann nnd H. D. Müller, Griechisches Obnnfsbnch für
Tertia. Erste Hälfte: fnr Unter- Tertia. Vierte, umgearbeitete AnOage.
Gottittgen 1894, Vandenhoeck a Ruprecht. IV u. 60 S.
38. A. Dieterich, Nekvia. Beitrüge znr ErklHrnng der nenentdeckten
Petrnsapokalypse. Leipzig 1893, B. G. Teubner. VI n. 238 S. 6 M.
39. W. Robert-Torno w. De aptnm mellisqne apud veteres
significatione et symbolica et mythologica. Berlin 1893, Weid-
mannsche Bnchhandlnng. 177 S. 4 M.
40. fl. Jurenka, Znr Kritik nnd Erklärnng der sechsten
olympischen Ode des Pindar. Wien 1893, C. Gerold's Sohn. 12 S.
41. H. Jorenka, Novae lectiones Pindaricae. Wien 1893, C.
Gerold's Sohn. 33 S.
42. G. Brünnert, Sprachgebranch des DictTS Cretensis. Teil!:
Syntax. Progr. Gymn. Erfurt 1894. 27 S. 4.
43. Scriptores physiognomoniciGraeci etLatini. Rec.R. Foerster.
Vol. I— H. Leipzig 1893, B. G. Teubner. GXCIl u. 431 bezw. 534 S. 8
bezw. 6 M.
44. L. Freund, Ans der Sprucbweisheit des Auslandes. Parö-
miologische Skizzen. Hannover 1893, C. Meyer (G. Prior). 44 S. gr. 8. 1 M.
45. G. Richter, Grundrifs der allgemeinen Geschichte für die
oberen Klassen von Gymnasien und Realgymnasien. Dritter Teil. Neue
Bearbeitung des Grundrisses von R. Dietsch. Zweite Ausgabe. Leipzig 1893,
B. G. Teubner. X u. 160 S. 1,20 M. — Vgl. diese Zeitschr. 1886 S. 138 u. 618.
46. R. Dietsch, Abril's der brandenburgisch-preursischeu
Geschichte. Neu bearbeitet von M. Hoffmann. Zweite Ausgabe. IV
n. 160 S. 1,60 M. — Hierzu der Anhang: G.Richter, Die Entwickelong
des deutschen Reiches und der europäischen Politik von 1871 — 1888
in Überblick. 12 S. 0,20 M. Leipzig 1893, B. G. Tenbner. — Vgl. diese
Zeitschr. 1882 S. 768.
47. A. V. Gutsehmid, Kleine Schriften. Herausgegeben von F.
Rnhl. Vierter Band: Schriften zur griechischen Geschichte und Litterator.
Leipzig 1893, B. G. Teubner. VIII u. 632 S. 20 M.
48. Fr. Malchin, De auctoribus qnibusdam, qai Posidonii libros meteo-
rologicos adhibueront. Diss. Rostock 1893. 57 S.
49. G.Tanera, Die Revolutions- und Napoleonischen Kriege.
2 BSnde. Mit vielen Karten und Plänen. München 1893, C. H. Beck'sche
Verlagsbuchhandlung. 245 u. 244 S. 8. geb. je 2,25 M.
50. Verhandlungen des 5. allgemeinen deutschen Neuphilo-
logentages am 6.-9. Juni 1892 zu Berlin. Hannover 1893, C. Meyer
(G. Prior). 80 S. ..gr. 8.
51. Thiers, Ägyptische Expedition der Franzosen 1798— 1801.
Erklart von Fr. Koldewey. Mit zwei Karten von H. Kiepert Vierte
Aallage. Berlin 1892, Weidmannsche Buchhandlung. VIII u. 204 S. geb. 2 M.
52. Voltaire, Histoire de Charles XII, roi de Su^de. Erklärt
voa £. Pfundheller. Mit zwei Karten von H. Kiepert. Vierte Auflage.
Berlin 1893, Weidmannscbe Buchhandlung. .287 S. geb. 2 M.
53. F. Meffert, Obnngsbuch zum Übersetzen in das Englische
im Ansehlufs an die Englische Grammatik fdr die oberen Klassen. 3. Auf-
lage. Leipzig 1893, B. G. Teubner. VI u. 250 S. 2 M.
54. W. Victor und F. Dörr, Englisches Lesebuch, Unterstufe«
544 Biagesandte Böeher.
3. Auflage. Leipzii; 1893 , B. G. Teabner. XXIV n. 298 S. 8. geb. 2,80 M.
55. W. Vietor uod F. ÜSrr, Bug^lische Schnlgrammatik, I. Laut-
ood Wortlehre. 2. Auflage. Leipzig 1894, B. G. Teuboer. IX a. 76 S. geb. 1,20 M.
56. G. Wende, DeutschlaDds Kolonieeo in acht Bildern. Für
Schalen bearbeitet. Mit einer Karte von H. Reinsdorf. Hannover 1893,
C. Meyer (G. Prior). 32 S. 0,25 M. (Der Reinertrag ist fdr den Schlesiachen
Pestalozzi-Verein bestimmt.)
57. Sonvestre, Au coin du feo. I. Erklärt von A. Gäth. Dritte
Auflage von G. Lücking. Berlin 1893, Weidmannsche Bochhandlung. 116 S. 1 M.
58. F. Scheibner und G. Schauerhammer, Französisches Lese-
buch für die ersten Unterrichtsjahre. Vornehmlich für Realschulen und
verwandte Anstalten herausgegeben. Leipzig 1894, B. G. Teubner. VUI
und 184 S. geb. 1,80 M.
59. David Müller, Geschichte des deutschen Volkes. Fünf-
zehnte verbesserte Auflage, besorgt von Fr. Junge. Berlin 1894, Franz
Vahlen. XXXVI u. 512 8. -^ Vgl. diese Zeitschr. 1891 S. 488. — Die
sorgsam bessernde und hie und da erweiternde Hand des Herausgebers er-
hält das geschätzte Buch in seiner verdienten Geltung.
60. Th. Schauffler, Erläuterungen zum Quellenbüchleio zur
Kulturgeschichte des deutschen Mittelalters. Leipzig 1894, B. G.
Teubner. 50 S. 0,60 M. — Anhang zu dem 1892 erschienenen Quelleobüchlein.
61. £. Knaake und K. Lohmeyer, Hilfsbuch für den Unterricht
in der deutschen Geschichte, 2. Auflage. Halle a. S. 1894, Buchhand-
lung des Waisenhauses. IV u. 88 S. — Vgl. diese Zeitschr. 1886 S. 684.
62. W. Ihne, Römische Geschichte. Erster Band: von der Grün-
dung Roms bis zum ersten Punischen Kriege. Zweite, amgearbeitete Auf-
lage. Leipzig 1893, W. Engelmann. VI u. 541 S. 5 M. — Vgl. diese Zeit-
schrift 1891 S. 233 ff.
63. Fr. Cauer, Philotas, Kleitos, Kallistheoes. Betträge zur
Geschichte Alexanders des Grofsen. Leipzig 1893, B. G. Teubner. (S.-A.
aus dem 20. Suppl.-B. der Jahrb. f. klass. Phil.) 79 S. 2 M.
64. R. Pöhimaon, Geschichte des antiken Kommunismus und
Sozialismus. Erster Band. München 1893, K. H. Beck'sche Verlagsbuch-
handlung (0. Beck). XVII u. 618 S. gr. 8. 11,50 M, geb. 13,50 M.
65. W. Kukula, Lehrbuch der Zoologie für die unteren Klassen
der Realschulen und Gvmnasien. Sechste Auflage. Wien 1893, W. Bran-
müller. VII u. 207 S. gr. 8. geb. 2,40 M.
66. M. Zaengerle, Grundzüge der Naturgeschichte für den
Unterricht an Mittelschulen. Dritte Auflage. Zoologie. Mit zahlreichen
Abbildungen. München 1894, J. Lindauer'sche Buchhandlung. 208 S. gr. 8.
geb. 2,60 M.
67. M. Zaengerle, Kurzes Lehrbuch der Mineralogie. Fünfte
Auflage. Mit zahlreichen Abbildungen. München 1894, J. Lindaoer'sche
Buchhandlung. 81 S. gr. 8. geb. 1,20 M.
68. Deutscher Liederhort. Auswahl der vorzüglicheren deutschen
Volkslieder, nach Wort und Weise aus der Vorzeit und Gegenwart ge-
sammelt und erläutert von L. Erk. Im Auftrage und mit Unterstützung der
Kgl. Preufsischen Regierung nach Erks handschriftlichem Machlasse und auf
Grund eigener Sammlung neu bearbeitet und fortgesetzt von F. M. Böhme.
Halbbaodl. Leipzig 1894, Breitkopf & Härtel. LXIV u. 304 S. Lex. 8. 12 M.
69. Kolleg besuchen und schwänzen. Bin Wort zu den Aus-
lassungen des derzeitigen Rektors der Berliner Universität, Herrn Geh.-Reg.-R.
Professor Weinhold bei Gelegenheit seiner Antrittsrede von Commilito.
Frankfurt a. M. 1894, Gebr. Knauer. 16 S. 0,30 M.
70. K. Gehring, P. Weiser, E. Renck, Schützet die Tiere!
Mahnworte an die Jugend. Drei Preisarbeiten der Sektion für Tierschutz
in Gera. Mit 26 Abbildungen. Gera 1894, Th. Uoffmann. 48 S. 0,30 M.
(Partiepreis geringer.)
ERSTE ABTEILUNG.
ABHANDLUNGEN.
Die neuen Grundsätze der lateinischen Schulgrammatik.
Nach den letzten Lehrplänen schien die Umgestaltung der
hleinischen Schulgrammatik, die man schon früher vielfach für
notwendig gebalten hatte, unabweisbar geboten. Dem zufolge ist
bei der Neubearbeitung des Lehrbuchs für die Wahl und An-
ordnung des Stoffs eine Anzahl neuer Grundsätze zur Anwendung
gekommen, die einschneidend genug sind, um eine zusammen-
hängende Prüfung ihres Wertes zu rechtfertigen.
Im allgemeinen zielen die getroffenen Änderungen auf die
Vereinfachung des bisherigen grammatischen Inhalts hin, der nun>
mehr in den verminderten Unterrichtsstunden unmöglich bewältigt
werden kann. Eine wesentliche Kürzung des Lehrstoffs ermög-
lichte zunächst der endgültige Bruch mit dem Ciceronianismus in
seiner strengsten Form, der, die Berechtigung neben einander
gehender Spracherscheinungen mifsachtend, jedesmal den so-
genannten klassischen Ausdruck fixiert und diesen mit Regeln
und Ausnahmen zu schützen gezwungen ist. Trotzdem haben
sich von diesem Prinzip auch in den neuesten Lehrbüchern noch
zahh*eiche Spuren erhalten; einige dieser Fälle, deren Ausscheidung
wünschenswert ist, mögen hier behandelt werden. Fast allgemein
und so auch bei Ellendt-Seyffert (37. Aufl.) § 110 aufgenommen
ist die Regel, dafs die Phrase sentetUiam alqm rogare in der
passiven Konstruktion auf das Partizipium rogatu» sich beschränke.
Dals dieser Verbindung in den mit esse zusammengesetzten Verb-
formen nichts im Wege steht, ist selbstverständlich. Aber auch
Beispiele, in denen senimtiam zum einfachen passiven Verbuni
tritt, si ipse A. Cluentius smteniiam de tudicüs rogaretur Cic p.
Cluent. 136, ^t tUmam amnes ante me senuntiam rogarentur Cic.
Pbil. V 5 beweisen, dafs jene Einschränkung, die überdies durch
Analogie kaum zu schützen wäre, durchaus unstatthaft ist. Ebenso
muTs die Bemerkung gestrichen werden, dafs die abl. comparatio-
nis exgpectatione , opmiane, gpe vor den Komparativ zu stellen
sind (E. S. § 138). Vielmehr ergiebt die Mehrzahl der Stellen die
XMttdmft t d. GjamMiaiwcMii XLVIU. 8. 35
546 I)i® neuen GrundsStze der lateinischen Sehulgrammatik,
Yoranstellung des Komparativs: ceUrius omni opinione Caes. b.
G. II 3, VIII 8, minora opmione b. c. II 31, III 21, IcUius opmione
Gic. in CatiL IV 6. Auch die Trennung der Konstruktionen bei
nasci und onn ist nicht aufrechtzuhalten. Ellendt-Seyffert (§ 140)
verlangt bei Angabe der Ellern den Ablativ, bei Pronomina die
Präposition ex. So lange aber nicht erwiesen werden kann, dafs
die Konstruktion der Pronomina überhaupt von der der Substantiva
abweiche, darf jene Verbindung nicht diesen Worten allein zuge-
sprochen werden, sondern mufs als in der Natur der Verba be-
gründet jeder Art von Substantiven zu Gute kommen. So finden
sich bei Cicero unterschiedslos die Verbindungen love natu» de
nat. deor. III 54, a love ortus p. Plane. 59, e Yulcano naius de
nat. deor. III 57, ab illo ortus p. Hur. 66, ex nohis nati de nat.
deor. 11 62, quibus ortus Phil. II 118. Dafs ferner die Verba der
sinnlichen Wahrnehmung mit dem Partizipium nur bei unmittel-
barer Wahrnehmung verbunden werden, wie noch immer einige
Lehrbücher bestimmen, läfst sich weder aus dem Sprachgebrauch,
noch durch irgend welche Grunde aus der Bedeutung des Parti-
zipium oder jener Verba entwickeln. Ist doch zweifellos in fol-
gendem Beispiel die Wahrnehmung eine unmittelbare, und trotzdem
wird der Infinitiv gesetzt: eum videni sedere ad latus praetoris et
ad aurem . . insusurrare Cic. in Verr. V 107, während in ducem . .
vidtmus mtestinam aliquam cotidie pemidem rei fuhUcae moUentem
in Catil. I 5 die rein sinnliche Wahrnehmung ausgeschlossen
scheint. Eine ähnliche Freiheit der Konstruktionen nach den
Verben volo, nolo, malOf cupio, die neben dem Infinitiv bei gleichem
Subjekt auch den acc. c. inf. zu sich nehmen dürfen, ist bei
Ellendt-Seyffert (§ 167) auf den Fall beschränkt, „wenn die Er-
füllung des Wunsches nicht allein vom Subjekte abhängig ist, daher
besonders bei passiver Form des Prädikats*^ Darum soll es stets
heifsen volo hoc facere, aber sapietUem civem me et esse et nume-
rari voh. Allein liegt denn wirklich die Erfüllung des Wunsches
beim aktiven Infinitiv mehr in der Hand des Subjekts als bei
der passiven Verbform? Sind nicht in volo hoc facere ebenso
viele äufsere Hindernisgründe denkbar wie in dvem sapientem me
did volol In dem Sprachgebrauche findet diese gekünstelte
Erklärung jedenfalls keinen Halt: sese volunt posse (mma Cic p.
CInent. 152, se m hac urhe florere in Catil. H 25, se Heradiensem
esse p. Arch. 10, dommum se esse de dom. 107, se perire cuperet
p. Sulla 32, nosmet ^sos hebescere et languere nolumus Acad. prior.
II 6, innocentes eanstimari vobimus Verr. II 28, conspiä in Pis. 60
esse ammendati de prov. cons. 38, amari et diligi Verr. IV 51.
Kein haltbarer Grund kann ferner die Regel stützen, dafs nach
coneedo und permitto nur dann der Infinitiv folgen dürfe, wenn
diese Verba mit dem Dativ eines persönlichen Objekts verbunden
sind (Ell.-Seyff. § 203). Ebenso sprechen die Steilen dagegen:
de re publica nid per eondUum loqui nan eoncedäw Caes. b. G
voB G. von Robiliniki. 547
VI 20, st rtdere eancesium 9Ü Cic. Tusc. disp. IV 66, logui . , et . .
numerare cancedi nuüo modo potest ib. V 31. Schliefslich soll noch
die Richtigkeit des bekannten Zusatzes zu den Verben des Furchtens
in Zweifel gezogen werden, nach denen ut nur dann gestaltet
ist, wenn diese Verba affirmativ stehen. Der Fall, dafs überhaupt
mit ut die Verba timendi konstruiert werden, ist so selten, dafs
derselbe aus den gesamten Reden Ciceros nur mit acht Stellen
belegt werden kann. Darum dürfen nur innere Gründe die Aus-
schliefsung des lU nach negativen Verben entscheiden, und solche
aufzustellen ist unmöglich. Nun sollte die Freiheit der Kon-
struktion mit ut schon der Umstand befürworten, dafs ne non
nur bei Cicero häufig ist, später aber sich nirgends mehr findet.
Aber auch aus Cicero selbst kann der Beweis für den uneinge-
schränkten Gebrauch der Konjunktion gebracht werden. Denn
negativen Sinn hat die Frage: an hoc timeham, ut possutn praesens
sHstinere? de dom. 56, und in dem Satz quod et . . Simulant ss
thnere^ ne verendum quidem est, ut tenere se possit, ut moderari . .
Phil. V 48 steht ut nach negiertem vereri.
In den behandelten Fällen ist die Vereinfachung des gram-
matischen Stoffs aufser Frage, da eine Anzahl von Jtegeln oder
Zusätzen überflussig wird. Den entgegengesetzten Erfolg trotz
der Kürzung des Inhalts hat die Forderung, der in den neuen
Lehrbuchern vielfach nachgekommen ist, dafs aus den verschiedenen
Konstruktionen eines Ausdrucks die häufigste Verbindung heraus-
zuheben und als Regel aufzustellen sei. Freilich wird die Regel
über die Ortsbestimmungen mit totus und loctis z. B. verkürzt,
wenn dieselbe nur die Angabe enthält, dafs auf die Frage wo?
der blofse Ablativ gesetzt wird. Dadurch aber, dafs die häufige
klassische Konstruktion mit der Präpositon in weggelassen ist,
wird diese für den Schüler natürlich verboten. So zieht diese
Kürzung einmal den Fehler der Ungenauigkeit nach sich; dann,
statt die Regel zu vereinfachen, erschwert sie dieselbe vielmehr.
Denn gerade der Gebrauch der Präposition in diesem Falle ist der
naturgeinäfsere und dem Schüler so geläufig, dafs erst aus der Ver-
pönung desselben für die Regel eine Schwierigkeit erwächst. Wie
demnach derartige Kürzungen auf der einen Seite keineswegs die
Vereinfachung der Regel bedeuten, so drohen diese andererseits der
Grammatik den gleichen Schaden zuzufügen, den ihr die dem Prinzip
des Ciceronianismus entsprungene Einschnürung der Sprache ge-
bracht bat. Aus diesem Grunde ist bei den Verben cogere und proAt-
bere nicht allein die häufigste Konstruktion des Infinitivs anzugeben,
sondern auch die berechtigten Verbindungen mit ut und ne oder
quominus verlangen Berücksichtigung, von denen die erstere in
einem Drittel der Stellen, die zweite in einem Fünflei etwa bei
Cicero sich behauptet. Auch der Gebrauch des Frageadverbium
quij den die Grammatik auf die Verba fieri und posse beschränkt,
muis unterschiedslos für alle Verba gestattet werden, wenn man
3ö»
548 D>® oeaen GroadsStze der lateinischen Schulf rammatik,
Dicht den Fehler machen will, aus der Häufigkeit der Fragen qui
ß? qui poteti? eine besondere Zugehörigkeit des Adverbium zu
diesen Verben zu folgern. Aus den Cicerolexika wenigstens lassen
sich etwa 30 andere Zeitwörter zählen, die mit diesem Fragewort
verbunden sind. Ähnlich steht es mit der Partikel necne, die
man nur in indirekten Fragen und ohne Yerbum zuzulassen pflegt.
Die erste Bestimmung findet darin, dals die Partikel in Ciceros
Reden und philosophischen Schriften nur dreimal im direkten
Fragesatz vorkommt, eine obschon schwache Stötze — denn die
Unanfechtbarkeit dieses Gebrauchs steht darum wohl aufser Zweifel;
dafs aber ein Verbum zu neme treten darf, zeigt die häufige Form
der disjunktiven Frage, die im zweiten Gliede das Verbum des
ersten Gliedes zu wiederholen liebt: sint illa necne snU Cic. de
fin. IV 29, possimus necne possimus ib. 69, doleam necne doleam
Tusc. disp. II 29 etc. Auch das Kapitel vom Gerundium verlangt
verschiedene Erweiterungen. Zunächst ist die übliche Bestimmung,
dafs das Gerundium eine bevorstehende Handlung bezeichne, nicht
umfassend genug; die Nominalform druckt ebenso gut die Gleich-
zeitigkeit aus, wie in mens discendo alitur, equüandi perüimmm
erat. Dann ist der Zwang zur Anwendung des Gerundivs im
Genetiv erheblich zu mildern, da wohl ebenso häufig das Gerundium
mit dem Accusativ in diesem Kasus bei den Klassikern sich findet.
Ferner berechtigt nichts die Zurücksetzung der Präposition oft, die
meist von der Verbindung mit dem Gerundium ausgeschlossen
wird. Bei Cicero wird dieselbe nicht selten so gebraucht, z. B.
oh rem iudicandam, ob ius dicendum, ob absolvendum, ob decreta
interponenda, oh iudicandum^ decemendum, imperandum, condem-
nandum, ob considatum obtinendum etc. Schliefslich ist die An-
wendung der Präposition a beim Gerundiv keineswegs durch die
Zweideutigkeit aliein bedingt, die der übliche Dativ verursachen
wurde. Dies beweisen Stellen wie st etiam monendi estis a me
Cic. p. Font. 42, a me in dicendo praetereunda non sunt de imp.
Pomp. 34, eos . . venerandos a nohis et colendos putatis de leg.
agr. II 95, eum numquam a me esse accusandum putavi de har.
resp. 5 etc. Keine Regel aber beschränkt die Freiheit der Sprache
unberechtigter als die Bestimmung, die kaum in einer Grammatik
fehlt, dafs die pronomina possessiva nur dann zu übersetzen
sind, wenn die Deutlichkeit es fordert. Ein paar Beispiele müssen
genügen, um bei Verwandtschaftsbezeichnungen, wo die Deutlich-
keit es gar nicht erfordert den Gebrauch des Possessivum zu
bezeugen: invito despondit ei ßiam suam Cic. p. Ciuent. 179, fiUum
suum . . foras ad propinquum suum quendam mittit in Verr. I 65,
%Uinam . . avum tuum meminisses in Phil. I 34, quid ego de me, de
fratre meo loquar? p. Plane. 20, commendo vobis parvum meum
ßium in Catil. IV 23.
Wenn die obigen Ausführungen den Beweis erbracht haben,
dafs die Erweiterung der Regeln trotz gröfserer räumlicher
voD G. von RobiliDflki. 549
Aasdehnang den grammatischen Inhalt vereinfache, so ist schon
aus diesem Grunde die Forderung berechtigt, in diese Erweiterung
die häufigsten Sprachgesetze des silbernen Latein zu ziehen, soweit
diese für die Schullektüre in Betracht kommen. Hierzu kommt,
dafs die Beschränkung auf die Ciceronianische Syntax in der
Schulgrammatik, die früher durch das Gewicht Ciceros im la-
teinischen Unterricht geboten schien, durch das Vortreten der
Historiker in der Lektüre gänzlich den Boden verloren hat. Am
dringlichsten aber spricht für die Berücksichtigung der nach-
ciceronianischen Sprache die Erwägung, dafs wegen- der Ver-
minderung der grammatischen Unterrichtsstunden zumal in den
oberen Klassen mehr wie früher der Schüler aus der Lektüre
Grammatik lernen mufs. Dazu soll ihn sein Lehrbuch hinführen,
während es ihm jetzt. häufig genug den Weg verschliefst. Darum
darf dem Schüler nicht die Konstruktion von invadere äliquem
und excedere modum verboten werden, die ihm aus der Lektüre
der Livius geläufig wird. Ebenso sollte die häufige Verbindung
der mit cum zusammengesetzten Komposita mit dem Dativ, die
auch dem goldenen Latein nicht fremd ist, statthaft sein, sowie
der freiere Gebrauch des gen. partit. bei neutra von Adjektiven
und Ortsadverbien. Der Nominativ des Substantivs, den Livius
zu mihi in mentem venit setzt, gilt als unklassisch. Doch findet
er sich auch bei Cicero: ut vos iudicetis huius rei itis atque ac-
tionem in mentem maioribus nastris nan venisse p. Caecin. 40, nisi
forte exisiimatis hanc tantam eonluvionem Uli tantamque ei>ersi(mem
civitatis in mentem subito in rostris cogitanti venire potuisw de bar.
resp. 55. Um so mehr scheint die Freilassung der persönlichen
Konstruktion geboten. Der gleiche Grund ist für opus est mafs-
gebend, dem man neuerdings die persönliche Konstruktion ab-
sprechen will trotz mihi frumentum non opus est Cic. in Verr. III
196, bono patri familias colendi, aedificandi, ratiocinandi guidam
usus opus est de re. pub. V 4. Diese Bestimmung dürfte aber
nötiger sein als die Angabe des Abi. vom Part. Perf. Passiv, die
die Grammatik beibehält. Ferner müssen die Schranken fallen,
mit denen der Gebrauch des dat gerundii wegen der Abneigung
Ciceros vor dieser Konstruktion begrenzt wird, wenn das Beispiel
der Historiker, die diesen Kasus bevorzugen, Nachahmung verdient.
Auch in dem Abschnitt über die koordinierenden Konjunktionen
läfst sich eine Anzahl von Bemerkungen schon aus dem Sprach-
gebrauch Ciceros als zu eng gefafst erweisen, um so nötiger scheint
die Erweiterung, wenn die Historiker berücksichtigt werden. So
sieht zur Verbindung zweier Adjektiva oder Adverbia häufig nee,
nicht et non allein, etiam wird dem betonten Worte ebenso gut
nach wie vorgestellt, et findet sich in der Bedeutung „auch'* nicht
ausschliefslich beim Pronomen, und der Konjunktion igitur darf
die erste Stelle im Satze nicht verwehrt werden. Am drückendsten
aber ist der Zwang, den die Grammatik mit den Regeln über die
550 ^^^ nenen GrondfiMtze der lateinisehen Schalipraminatik,
Finalsätze durch die Ausschliefsung des nachciceronianischen
Sprachgebrauchs ausübt. Dafs bei den Verben der Aufforderung
die Konstruktion mit dem Infinitiv gleiche Berechtigung habe wie
die Verbindung mit dem Konjunktiv, zeigen die Verba iuberej
vetare, velle, nolle, molk, cupere, nach denen der acc. c. inf. zur
Regel geworden ist. Doch pflegt von allen fibrigen Zeitwörtern
dieser Klasse nur noch imperare angeführt zu werden, das neben
dem Konjunktiv den passiven Infinitiv zuläfst. Wenn aber die
Berechtigung dieser Konstruktion in der Natur der Nominalform
und in der Bedeutung, nicht in der zufälligen Form des regierenden
Verbum zu suchen ist, so liegt kein Grund zur Beschränkung
dieser allerge wohnlichsten Spracherscheinung des silbernen Lateins
vor, besonders da ihre Existenz auch in der mustergültigen Periode
der Sprache durch eine beträchtliche Zahl bisher zu wenig be-
achteter Beispiele bewiesen werden kann. Denn postulare ist in
Ciceros Reden und philosophischen Schriften und bei Cäsar acht
mal mit dem inf. oder acc. c. inf. verbunden, p. Quinct. 56, 86, div.
in Caec. 34, in Verr. III 138, 139, de fin. III 58, Tuscul. IV 76, b.
Call. rV 16, hartari: haec minora relmq^iere hortatur p. Sest. 7,
monere: ut eum mae libidines flagitmae facere monebatU (Var.
admonebant) in Verr. III 63, ratio ^sa manet amicitias comparare
de fin. I 66, Philippus . . vitare monebalur 6e fato 5, praedpere:
itutitia . . praidpü parcere . . consulere . . reddere . . tangere de re
publ. III 24. So dürfte auch bei der ängstlichsten Berücksichtigung
des klassischen Sprachgebrauchs nichts gegen die Verallgemeinerung
der Konstruktion dieser Verba auszusetzen sein, mit welcher einer
der störendsten Gegensätze zum silbernen Latein beseitigt wird.
Die besprochenen Mafsnahmen zielen nach der Vereinfachung
des grammatischen Inhalts, ohne an der bisherigen Gestalt des
Lehrbuchs wesentliche Änderungen vorzunehmen: den vollständigen
Umbau der Syntax jedoch macht die Forderung nötig, als Grund-
lage für die grammatische Unterweisung die Muttersprache hin-
zustellen, so dafs die besondere Behandlung der in beiden Sprachen
übereinstimmenden Gesetze in der lateinischen Grammatik über-
flüssig wird. Die Unhaltbarkeit dieser Methode ist von Eichner in
dem Aufsatze: Zur Umgestaltung des lateinischen Unterrichts (Berlin
1888, Gärtner) überzeugend nachgewiesen worden. Wenn aber
auch die durchgehende Vermittlung der deutschen Sprache für
den grammatischen Unterricht unmöglich ist, so scheint doch im
einzelnen die Aufgabe noch lohnend genug, die Regeln durch
Ausscheidung gleichartiger Konstruktionen zu entlasten. Warum
sollte man nicht, so liefse sich argumentieren, in dem Abschnitt
über die Konzessivsätze z. B. die Bestimmungen über quamquam^
etsi, tametii fortlassen, da der Schüler in der Anwendung dieser
Konjunktionen nicht fehlgehen kann? Dagegen muCs erstens ein-
gewendet werden, dafs eine solche Kürzung rein äufserlich ist
und die Regel um nichts vereinfacht, da die ausgeschiedenen
TOB G. Ton RobtliBski. 551
KonjonktioDen und ihr Gebrauch dem SchOler ja doch gegenwärtig
sein müssen. Wenn femer nur diejenigen Konjunktionen ange-
führt werden, deren Konstruktion yom Deutschen abweicht, so
kommen die nicht behandelten in dem grammatischen Unterricht
zu kurz und werden, falls sie nicht die Lektüre stützt, ganz yer-
dringt. Die Grammatik aber darf sich mit der einfachen Angabe
der Konstruktionen nicht begnügen, sondern mufs, wo es angeht,
das Verständnis so weit zu vertiefen suchen, dafs der Zusammen-
bang und die Notwendigkeit der Sprachgesetze vor allem beißen
wird. Und wie sollte diese wichtigste Aufgabe zu Iftsen sdn, wenn
die zufallige Obereinstimmung der Konstruktionen in beiden
Sprachen diese der Behandlung in der lateinischen Grammatik
entzieht?
Andere mannigfache Neuerungen, die ebenso die Form wie
den Inhalt der Grammatik betreffen, hängen von der veränderten
Stellung ab, die dem Lehrbuch im grammatischen Unterricht zu-
gewiesen werden soll. Bisher wurde der stärkste Nachdruck auf
den grammatischen Stoff gelegt, die Form der Regel befriedigte,
wenn sie nur das Sprachgesetz zum deutlichen Ausdruck brachte.
Neuerdings aber ist bei dem allgemeinen Streben nach Verbesse-
rung der Methode der Fassung der Regeln weit gröfsere Auf-*
merksamkeit zugewandt und hat bis zu der extremen Forderung
geführt, dafs die Schulgrammatik ein „Lembnch'' sein müsse,
also nur den gedächtnismäfsig anzueignenden Stoff in einer zum
Lernen fixierten Form zu bringen habe. Wenn in der That für
den grammatischen Unterricht die Regeln genügten, mit deren
Einprigung derselbe auf der Unter-Secunda zu einem vorläufigen
Abschlufs gebracht werden soll, so wäre diese Stoffverminderung
dankenswert. Aber auch bei der äufsersten Beschränkung der
Aufgaben, die die neuen Lehrpläne stellen (S. 24), der gelegent-
lichen Erweiterung des Gelernten, der induktiven Ableitung
stilistiscber Eigentümlichkeiten ist die Unterstützung des Lehrbuchs
in keinem Falle zu entbehren. Auch wenn die Regel noch so
deutlich durch Induktion gewonnen wird, so kann man doch auf
ihren Besitz nur rechnen, falls sie durch mehrfache Wiederholungen
befestigt werden kann. So lange man also das eingehende Ver-
ständnis der Sprache bei der Lektüre als ein unverrückbares Ziel
des Unterrichts hinstellt, so lange wird das Lehrbuch, das nur den
elementaren Lernstoff bietet, einen wichtigen Teil seiner Aufgabe
nicht erfüllen. Was femer die Form der Regeln betrifft, so mufs
die klare und präzise Fassung derselben dem Unterrichte erheb-
lichen Nutzen bringen, und in dieser Beziehung ist auch ein ent-
schiedener Fortschritt der heutigen Grammatik zu verzeichnen.
Diese Verbesserung aber kann dem Unterrichte nicht zu gute
kommen, wenn man verlangt, wie es vielfach geschieht, dafs in
der gegebenen Fassung nun auch die Regel auswendig gelernt
wird. Denn erstens ist bei einem Lehrbuch, ^as ()ei) Schüler
552 Die neuen Grundsätze der Uteinischen Schalj^rammatik,
durch aUe Klassen begleitet, eine Bearbeitung uum6glich, die den
einzelnen Regeln einen der Stufe des Lernenden entsprechenden
Ausdruck zu geben vermöchte, ohne dafs die Form eine uner-
trägliche Buntscheckigkeit erhält. Bei der Behandlung des abl.
absol. z. B. kann die Grammatik natürlich nur ein gereifteres Ver-
ständnis berücksichtigen, den Anfanger in diesen Sprachgebrauch
einzuführen und ihm die Erkenntnis seines Wesens zu ermöglichen,
das ist Sache des Lehrers. £in richtig angelegter grammatischer
Unterricht aber wird die gedächtnismäfsige Einprägung der Regel
nach ihrem Wortlaut überhaupt verwerfen. Ist die Regel bis zu
ihrem vollen Verständnis durchgearbeitet worden, so llllt dem
Lehrbuch die Aufgabe zu, dem Schüler für die Wiederholung die
nötigen Haltepunkte zu geben. Man begiebt sich nun einer sehr
wichtigen Geistesgyoinastik , wenn bei der Befestigung der Regel
der Wortlaut derselben von dem Schüler verlangt wird, statt ihn
durch ausgiebige Fragestellung zum schnellen Denken zu zwingen
und nach Erschöpfung der Einzelheiten ihn in eigener Arbeit die
Form des behandelten Sprachgesetzes finden zu lehren. Wenn
man dann noch zugiebt, dafs das Wissen der Regel keineswegs
von der Beherrschung ihres Wortlauts abhängt, die Form vielmehr
sich schnell verflüchtigt, während ihr Inhalt zurückbleibt, so mufs
das Auswendiglernen von Regeln als unnötig und darum als eine
Belastung des grammatischen Unterrichts angesehen werden. Ob
selbst das Lernen der Lehrbeispiele den erwarteten Nutzen bringt,
ist eine nicht unbedingt zu bejahende Frage. Die Schwierigkeit bei
der Wahl treffender Sätze ist keine geringe: er soll ein Muster
besten Lateins sein, ein möglichst reicher Inhalt wird von ihm ver-
langt, und vor allem mufs er die Regel klar zum Ausdruck bringen.
Diese Forderungen schienen am besten den Klassikern entnom-
mene Stellen zu erfüllen, die für den besonderen Zweck der
Regel zugestutzt wurden. Die vielen Unzuträglichkeiten, welche
solche Lehrbeispiele mit sich brachten, haben einige Lehrbucher
zu beseitigen versucht, indem sie die Herkunft der Stelle angeben
oder, wo es nötig ist, den Zusammenhang derselben kurz erläutern.
Auch wurde der Vorschlag gemacht und in einer Grammatik be-
reits befolgt, bei der Wahl klassischer Stellen den Beispielen den
Vorzug zu geben, welche verschiedene Konstruktionen enthielten
und daher mehrere Regeln zugleich illustrieren könnten. Immer
bleibt aber der Obelstand, dals das Lehrbeispiel zu umfangreich
wird, wenn es einen gewissen Inhalt bieten soll, und wird es an-
gemessen gekürzt, seinen Inhalt einbüfst, wie der Satz zum acc
c. inf. gerund, petebant hg(Ui a Caesare, tU, si forte statuisset
Aduatncos esse conservandos, ne se artnü deepoUaret und das Bei-
spiel zu mppUcare: Caesari Cicero pro amdmmo Marceüo suppU-
eavit zeigen mag. Nun ist das umfangreiche Lehrbeispiel zum
Gebrauche wenig geeignet, weil es den Einblick in die Konstruktion
behindert, die gedächtnismäfsige Aneignung erschwert und, wie
von G. von Robilinski. 553
die Praxis täglich zeigt, die Ruckerinnerung an die Regel aus
seinem Wortlaut kaum jemals erzielen läfst. Wenn man daher
die möglichste Kurze des Lehrbeispiels für seine nötigste Eigen-
schaft ansieht, so mufs die Neuerung, die jetzt in der Grammatik
immer mehr Platz greift, die Billigung för den Unterricht finden»
dafs mit den einfachsten Verbiodungen, wie perilus artis, supplico
regi^ timeo ne vemas, wm dubito quin venias etc. die Anwendung
der Regel am besten verständlich gemacht wird. Unberechtigt
aber ist die Abneigung gegen die gereimten Genusregeln, die manche
Lehrbucher als alten Zopf schon ausgeschieden haben. Dals dem
Quintaner die Nutzanwendung der Reimregeln schwer wird und
bisweilen über sein Vermögen geht, kann nicht geleugnet werden.
Doch darum dürfen die Vorteile einer sichern Kenntnis derselben
in der Folgezeit nicht gering augeschlagen werden. Nimmt ja
der Lehrer wohl auch einmal zu ihnen ZuQucht, um sich über
ein Genus zu Tersichern. Für die Reimregel ist als Ersatz das Aus-
kunftsmittel versucht, das Genus der in Betracht kommenden Sub-
stantive durch zugefügte Adjektiva einzuprägen z. B. sol lueidus, sal
Aukus, orbii rotundus. Wie unzulänglich diese Aushülfe ist, bedarf
keines Beweises. Was man aber auch über den Wert dieser Methode
urteilen mag, jedenfalls darf das Lehrbuch einen neuen Weg nur
dann einschlagen, wenn der frühere allgemein verurteilt ist, oder
ist verpflichtet, bei geteilten Stimmen die verschiedenen Methoden
zu berücksichtigen, wie dies bei den Genusregeln einige Lehr-
bücher thun. Überhaupt verleitet das Streben nach methodischer
Vervollkommnung oft zu einer so subjektiven Behandlung der
einseinen Abschnitte, dafs die Grammatik kaum von einem Lehrer-
kollegium, geschweige denn von einem gröfseren Kreise von An-
stalten mit Obereinstimmung der Fachlehrer gebraucht werden
kann. So lange aber zum Glück für den gymnasialen Unterricht
ein einheitlicher Lehrgang in den einzelnen Disziplinen nicht vor-
geschrieben ist, und im besonderen in der lateinischen Grammatik
die Mannigfaltigkeit der Methoden gerade als ein Vorzug ange-
sehen wird, so lange hat sich die Schulgrammatik auf die objektive
Darstellung des Stoffs zu beschränken, wenn sie nicht diese Frei-
heit empBndlich behindern veill. Aus diesem Grunde ist schon
die Stoffverteilung auf die einzelnen Klassen, welche einigen Lehr-
bücbem mitgegeben ist, zu verwerfen. Überdies ist die einheit-
liche Regelung dieser Frage ebenso zwecklos wie unmöglich. In
vielen Fällen kann die Zuweisung der Regel, wenn die Schwierig-
keit ihres Inhalts entscheiden soll, nur willkürlich sein: im übrigen
braucht jede Anstalt eine eigene Pensen Verteilung, die nach den
gegebenen Verhältnissen, der Gröfse und Befähigung der Klassen,
dem Grade der Vorbildung, der Ausdehnung des Schuljahres ver-
schieden ausfallen und wechseln mufs. Auch eine neue Form
der Regel, die dem Auffassungsvermögen des Schülers näher treten
will, kann nicht gebilligt werden. Entweder wird der Lernende
554 I)i0 neuen GrandsStze der lateiniscben Sehnlgramnittik,
ermahnt z. B: ,,Merke besonders als abweichend vom Deutschen
mit dem abl. inslr. die Verba utor fruor etc. Merke besonders
rerum paüri', aber: imperio Graedae po/tri^', oder die Satzform wird
ganz aufgegeben wie in „mihi opus est libris (unpers.)« mihi (^pus
sunt libri (persönl.) ich habe Bücher nötig*^ Ob im ersten Fall
der Imperativ mehr vermag als der Indikativ, ist mehr wie frag-
lich, dafs aber die Regel durch einen Satz ausgedrückt wird, ist
durchaus zu verlangen. Am seltsamsten jedoch müssen an den
Schüler gerichtete Anweisungen folgender Art erscheinen: „Gieb
die obigen Sätze in dieser Form wieder. Mache auch die anderen
Beispiele abhängig. Verwandle folgende Sätze in oratio recta*'
u. 8. w. Solche Bemerkungen haben in der Grammatik keinen
Platz; sie können doch nur dem Lehrer als Fingerzeige dienen
und sind dann in einer Anleitung zum grammatischen Unterriebt
an rechter Stelle. Viel bedenklicher noch als diese Übertreibungen,
mit denen das Streben nach Methode gar zu gern über das Ziel
schiefst, ist die andere Folge der Überschätzung der Form, eine
gewisse Gleichgültigkeit gegen den Inhalt, die selbst vor gramma-
tischen Ungereimtheiten nicht zurückschreckt, wenn sie darin ein
Mittel zum leichteren Verständnis erblickt. So ist in einer neueren
Grammatik der Versuch gemacht, bei der Konjugation die zu-
sammengesetzten Inßnitivformen durch Übereinstimmung mit dem
Deutschen dem Anfanger mundgerechter zu machen; in der Tabelle
wird die Verbform also persönlich angeführt: amatus, a um esse,
amaturuSy a, um esse u. s. w. Es liefse sich unschwer beweisen,
dafs die anfangliche Erleichterung wett gemacht wird durch die
gröfsten Unzuträglichkeiten, die bei entwickelterem Verständnis
die Einprägung grammatisch unmöglicher Verbindungen nach sich
ziehen würde. Aber auch ohne diese Folge roufs ein Prinzip,
das von einem Fehler ausgeht, an sich als ganz verkehrt erscheinen.
Ebenso wenig wird man demselben Verfasser beistimmen können,
wenn er in dem Streben nach Vereinfachung für die Deklination und
die Konjugation eine eigene Lehre aufstellt, die mit den Ergeh*
nissen der Wissenschaft in schärfstem Widerspruche steht. Beim
Nomen sowohl wie beim Verbum wird von dem Wortstock aus-
gegangen, an den die Endungen ohne weiteres treten. Dement-
sprechend ist beim Verbum abgeteilt laud-o, mon-eo, otcd-io, beim
Imperfektum gar werden die zusammengehörigen Bestandteile mehr-
fach zerrissen laud-ah-am, aud-ieb-am. Auch in der Deklination
ist vom Stamm keine Rede; die Endungen a, us, mm, es im
Nominativ werden den Kasusendungen gleichgesetzt und vom
Substantiv abgetrennt. Diese Anordnung versagt bei der dritten
Deklination gänzlich. Weil hier eine Unterscheidung der Stamme
notwendig ist, so wird die regelrechte Behandlung der konsonan-
tischen und vokalischen Deklination aufgegeben, und eine Ein-
teilung nach Substantiven und Adjektiven ohne jede Berechtigung
^etroffep. Gegenüber solcher Zurücksetzung der Wissenschaft
voD G. Ton Robilinski 555
mufs gerade in dem Gebiete der Formenlehre bei einer Reihe
neuerer Lehrbücher der aufserordentliche Fortschrilt hervorgehoben
werden, der durch die engste Beziehung zu den Resultaten der
grammatischen Forschung erreicht ist. Dieser lange TernachlSssigte
Teil der Grammatik mit der Menge von Regeln, die unberührt von
den Ergebnissen der jungst erblilhten Wissenschaft aus alter Zeit
traditionell weiter übernommen wurden, hat durch die Bemühungen
Wageners, Landgrafs, Harres eine ganz veränderte Gestalt ge-
wonnen. Die Vorzöge der neuen Behandlung mögen an der dritten
Deklination gezeigt werden. Bisher wurden als Paradigmen der
dritten Deklination konsonantische Stämme gewählt, die Deklination
der Vokalstämme fiel fort, die abweichenden Kasus fugte man
unter den Unregelmäfsigkeiten der Deklination zusammen. Darum
mufste der gen. plur. der parisyllaba z. B. als Ausnahme gelernt
werden, von der wiederum als Ausnahme der gen. auf um von
den Substantiven cants, pctfer, mater etc. zu merken war. Es
bedeutet also eine wesentliche Vereinfachung, wenn auch die
Tokalische Deklination als regelmäfsige behandelt wird, zumal da
die Unterscheidung der Stämme als gleich- und ungleichsilbige
ohnehin für die Genusregeln nötig ist. Vor allen Dingen aber
hat diese Art der Behandlung, die an Stelle der toten Regel die
Gesetzmäfsigkeit der Sprache betont, den grofsen Vorzug einer
weit intensiveren Vertiefung des grammatischen Verständnisses für
steh und gewährt aufserdem den Nutzen für die griechische
Formenlehre, die das neue Prinzip der lateinischen Grammatik
schon lange befolgt bat, den Schüler besser auszurüsten.
Es bleibt noch übrig, von den mannigfachen Vorschlägen und
Versuchen einer neuen Anordnung des grammatischen Stoffs zu
berichten. Die kunstlose Disposition der Syntax, welcher die
grammatischen Lehrbücher mit geringen Abweichungen folgen,
geht von dem Nomen in seinen verschiedenen Beziehungen zum
Satz aus und behandelt dasselbe als Subjekt, Prädikat, Attribut
und Apposition; dann folgt der Gebrauch der Kasus, woran als
Anhang die Orts-, Raum- und Zeitbestimmungen angefügt werden.
Die Syntax des Verbums umfafst hierauf den gesamten Rest der
Satzlehre. Sie beginnt mit den Nominalformen des Zeitworts,
InOnitiv, acc. c. infin., participium, gerundium, gerundivum, supinum,
bringt die Lehre der Tempora in Haupt- und Nebensätzen und
bebandelt die Modi in unabhängigen und abhängigen Sätzen. In
diesem Abschnitt werden die Final-, Konsekutiv-, Temporal-,
Kausal-, Kondizional-, Konsessiv-, Komparativ-, Relativ- und Frage-
sätze aneinandergereiht. Besondere Kapitel sind nötig für die
oratio obliqua, die beiordnenden Konjunktionen und die Eigen-
tümlichkeiten im Gebrauch der Redeteile. Von dieser Einteilung
urteilt Eichner in seiner bereits angeführten Schrift, dafs sie
unzulänglich und nicht mehr zeitgemäfs sei. Er verlangt eine
wissenschaftliche Behandlungsweise (S. 22), die in der „Wort-'
556 ^^® Denen Grundsätze der lateinischen Sebnlgreromatik,
Syntax" nicht von dem regierten Worte, wie es jetzt geschieht,
sondern von dem regierenden ausgehen und das Satzverhäilnis
prüfen müsse, in welchem das regierte Wort zu diesem steht
In der Tempus- und Moduslehre (S. 5t) soll das einheitliche Wesen
so bestimmt und klar in den Vordergrund treten, dafs daraus
die einzelnen Erscheinungsformen (z. B. im Hauptsatz oder Neben-
satz, im Behauptungs-, Heische- oder Fragesatz, im Konjunktions-
satz mit seinen Abarten, im Relativ- und indirekten Fragesatz)
sicher und leicht abgeleitet werden können. Von diesem Ver-
fahren, durch welches dem Sprachunterrichte der Stempel einer
wissenschaftlichen Behandlungsweise aufgedrückt werde, erhofft
der Verfasser eine vollständige Umgestaltung des lateinischen Unter-
richts. Das neue Prinzip ist am konsequentesten und mit dem
gröfsten Geschick in der Syntax von Schmalz durchgeführt worden
und soll deshalb hier auf seinen praktischen Wert geprüft werden.
Die Kasusiehre ist folgendermafsen angeordnet. Der erste Ab-
schnitt handelt vom Subjekt und Prädikat; dann folgen als „Be-
stimmungen zum Substantiv" die Apposition, das adjektivische
Attribut, das attributiv gebrauchte Partizip, der gen. definitivus,
possessivus, subiectivus oder obiectivus, der gen. obi. noch Parti-
zipien und Adjektiven, der gen. qualitatis, der abl. qualitatis, der
gen. partitivus und attributive präpositionale Wendungen. Daran
werden gereiht die Prädikatsbestimmungen durch einen Objekts-
kasus (Accus. Dat. GeneL) und durch einen adverbialen Kasus
(abl. sociativus, instrumenti, separativus). Das nächste Kapitel
enthält eineu Anhang über den Lokativ und die Orts- und Zeit-
bestimmungen. Den Schlufs bilden die Prädikatsbestimmungen
durch Prädikativa, die als veränderliche und unveränderliche ge-
schieden werden. Veränderlich sind als Subjekts- und Objekts-
prädikativa die subst. personalia, Adjektiva und Partizipia, das
Subjektsprädikativum steht bei esse, fieri, eanstimari, dici etc. und
beim abl. absol., das Objektsprädikativum bei videre, dticere^ putare
etc., als partic. praes. bei den Werben der Wahrnehmung, als
partic. perf. pass. bei habere, teuere, als Gerundivum nach curo,
do, trado etc., als Akkus, des Ausrufs und bei uti und nosct im
Abl. Das unveränderliche Prädikativum erscheint als gen. bei esse,
als abl. quäl., als gen. pretii und als prädikativer Dativ. So sehr
man auch bei dieser Einteilung bewundem mag, dafs die stete
Beziehung des Wortes zum Satz bis ins kleinste erreicht ist, so
wenig scheint doch dieselbe geeignet, der Schulgrammatik zu
Grunde gelegt zu werden. Beim Genetiv also will Eichner die
verschiedenen Spezies des Kasus nicht ganz unbeachtet lassen,
aber für später vorbehalten; zunächst soll die Regel' genügen:
,,Das substantivische Attribut kommt in den Genetiv'^ (S. 23).
Das Zusammenwerfen aber der einzelnen Arten des Genetivs ist
durchaus zu vermeiden, erstens weil die Abweichungen in der
Konstruktion, z. B. beim gen. subiect. und obiect., die genaue
von G. von Robilinski. 557
UnterscheiduDg derselben verlangen; zweitens ist das doch nicht
das erste Ziel des grammatischen Unterrichts, das Trejffen der
Konstruktion allein zu ermöglichen, sondern das geistbildende
Moment liegt gerade in der Unterscheidung der Arten, aus welcher
das Verständnis des Ganzen erwachsen muls. Deshalb ist auch
mit Recht in der Syntax von Schmalz bei der neuen Anordnung
des Stoffs die Trennung der Regeln beibehalten. Dann aber
bringt diese Einteilung, wenn anders dieselbe dem Schüler zum
Verständnis gebracht werden soll, dem grammatischen Unterricht
eine beträchtliche Belastung. Denn zu dem bisherigen unver-
kürzten Pensum kommen die mannigfachen Beziehungen des
Worts zum Satz hinzu, von denen viele, wie die angeführte Zu-
sammenstellung zeigt, weit über das Fassungsvermögen des
Lernenden gehen dürften. In keinem Falle wird der Quartaner
im Stande sein, die verschiedenen Arten des Genetivs z. B. auch
noch in ihrem Verhältnis zum Satze einzuordnen. Auf welcher
Stufe aber soll denn diese Aufgabe bei der knapp bemessenen
Zeit gelöst werden? Am deutlichsten zeigt sich die Unhalt-
barkeit des Prinzips aus der unvermeidbaren Konsequenz des-
selben, dafs zusammengehörige Spracherscheinuogen , die sich
gegenseitig stützen und zur Erläuterung zusammengefügt werden
müssen, weit auseinander gerissen werden. So zerfällt der Genetiv
iu drei getrennte Abschnitte, von denen der erste die gen. def.,
possess., subiect., obiect., qualit., und partit. als Bestimmungen
zum Substantiv umfafst; der zweite enthält die Prädikalsbe-
Stimmungen durch den Objektskasus bei den Verben des Erinnerns,
jnget, fudet etc., hUerest und refert und den verba iudicialia, dann
folgen als unveränderliche Prädikativa der gen. bei esse zur Bezeich-
nung einer Eigenschaft, eines Eigentümers etc., der gen. qualit.
und der gen. pretii. Wegen der Gleichartigkeit der Konstruktion
jedoch empfiehlt es sich viel mehr, die Regel von den Verben
der Erinnerung aus der Satzbeziehung heraus zu lösen und mit
den anderen Arten des gen. obiect. zu vereinigen, weil diese ge-
rade am besten das Verständnis seines Wesens zu vermitteln
vermag : oblwiscor mmrias, Hünriarum, amans patriae, cupidus gloriae^
amar patriae. Und ganz verwerflich erscheint die Absonderung
der unveränderlichen Prädikativa. Das Merkmal dieser Genetive als
Prädikatsbestimmung mufs geradezu die Auffassung der einzelnen
Fälle verwirren. Denn in dem Satz liber est patris ist der Genetiv
nicht lediglich Bestimmung zu est, sondern von dem bei est wirken-
den Prädikatsnomen regiert, daher liber est mens, und ebenso sind die
freieren Konstruktionen sapientis e^ und die Bestimmungen des Worts
als gen. subiectivi zu erklären. In gleicherweise haben Versuche einer
Umgestaltung der Satzlehre zu keinem befriedigenden Resultat ge-
fuhrt. Wäre es möglich die Lehre von den Tempora und Modi im
Lateinischen derart zu erschöpfen, dafs ihre Eigenart uns ganz klar
li^t, so wäre dadurch die Behandlung der meisten Nebensätze
558 ^' noneii Grondiätze d. Itt. Schalgr., von G. t. Kobilinski.
überflüssig. Da aber ein solcher Grad der Auffassung nicht er-
reicht werden kann, so sind Einzelbestimmungen über ihren Ge-
brauch in den verschiedenen Satzarten durchaus geboten. Der
Trennung in Haupt- und Nebensätze, wie sie mehrfach versucht ist,
widerstreben die Temporal-, Kondizional-, Komparativ-Fragesätze
und die oratio obiiqua, wo die zusammenhängende Betrachtung
der Satzgefüge oder der unabhängigen und regierten Sätze unab-
weisbar erscheint. Bemerkenswert ist noch eine neue Anordnung
der deutschen Infinitiv- und „dals^'-Sätze in der Grammatik von
Waldeck. Von dem Inhalt des abhängigen Satzes ausgehend, stellt
derselbe die Regel auf, dafs der acc. c. inf. abhängige Urteile als
Gesagtes und Empfundenes, das finale ui das abhängige Begehren
bezeichnet. In der That ist es nölig, den Schüler von vornherein
und nicht erst bei Durchnahme der oratio obliqua, wie es zu
geschehen pflegt, an die Prüfung des abhängigen Satzes zu ge-
wöhnen. Dann läfst sich auch die Regel über die Finalsätze so
weit vereinfachen, dafs die übliche Zusammenstellung der Verba,
nach denen tU zu setzen ist, fortfallen kann. Allein für den acc.
c. inf. ist die Bestimmung, dafs derselbe abhängige Urteile als
Gesagtes und Empfundenes bezeichne, nicht umfassend genug und
wird seiner Natur nicht gerecht. Er darf nur in der üblichen
Weise als Nominativ oder Akkusativ der substantivischen Nominal-
form des Yerbums erklärt werden; und diese Nominalform be-
zeichnet keineswegs das abhängige Urleil allein, sondern ebenso
gut das abhängige Begebren. Denn die Bedeutung derselben
wird, wie bei jedem andern Substantiv, lediglich durch das re-
gierende Verbum bestimmt Darum mufs man auf der substan-
tivischen Natur des Infinitivs fufsend, in dem Beispiel video^ dico etc.
te venire den Infinitiv dem entsprechenden Substantiv gleichsetzen
und daraus entwickeln, dafs die Nominalform ein Urteil ausdrucken
mufs, während bei volo, iubeo etc. te venire der Infinitiv wegen
der Bedeutung der regierenden Verba einem Aufforderungssatz
gleichkommt.
Wenn diese Ausführungen nicht fehlgehen, so dürfte der
Beweis gebracht sein, dafs die Versuche einer neuen Anordnung
des Lehrstoffs zu keinem Resultate führen. Um so nachdrück-
licher mufs dem Ziel dieser Versuche, der Vertiefung des gram-
matischen Unterrichts, auf einem anderen noch wenig betretenen
Wege nachgestrebt werden. Das eindringendere Verständnis einer
Spracherscheinung ist nicht aus der Beziehung derselben zum
Satz zu gewinnen, sondern verlangt die Entwicklung der Regel
und ihre Verknüpfung mit verwandten Ausdrucksformen. Wie
sollte z. B. eine klare Auffassung von der Konjunktion pm bei
der üblichen Zusammenstellung erreicht werden, wo qum gleich
qui non, quod nan, dann gleich , ut non nach facere nm pos$Hm
und nach einzelnen Ausdrücken den deutschen Infinitiv- und
,)dars**-Satz vertretend aufgereiht ist. Der Gebrauch der Kon-
Wozn lehrei wir die neue Orthographie?, vob K. Daden. 559
junktion mufs aus ihrer ursprünglichen Bedeutung warum nicht?,
die der Schüler beim Imperativ kennen lernt, entwickelt werden.
Aus derselben ergiebt sich die Anwendung von quin und quin
etiam in Hauptsätzen zur Hervorhebung des Gedankens, ebenso
TOD HÖH quin im Kausalsatze gleich tum quo nan. Dann steht
das Frageadverb im indirekten Fragesatze nach noti dubitare, nikü
causae est und ähnlichen Ausdrücken. In allen anderen Fällen
ist quin gleich ut iton, mit dem die Konjunktion der Bedeutung
nach verwandt ist. Auch wo im Deutschen mit dem Infinitiv ohne
Negation übersetzt werden mufs, ist der negative Sinn des Folge-
satzes leicht zu erklären, wie in temperare nan paiuit, quin . . ar^
gentum tractaret Cic. in Verr. IV 34, dafs er das Silbergerät nicht
anfaXste, soweit konnte er sich nicht beherrschen.
Verbesserungsfähig also ist die Schulgrammatik, und viele
Aufgaben hat noch wissenschaftliche Forschung und pädagogische
Kunst zu Uysen, aber an ihren alten bewählten Grundsätzen darf
nicht gerüttelt werden. Je mehr die gegenwärtige Strömung dahin
slrebt, auf unerprobter Grundlage umfassende Neuerungen zu
versuchen, um so nötiger ist die vorsichtige Prüfung derselben,
damit der schwer betroffene grammatische Unterricht nicht noch
gröfseren Schaden erleide.
Königsberg i. Pr. G. von Kobilinski.
Wozu lehren wir die neue Orthographie?
Non scholae, sed vitae discendum! Das ist zweifellos der
treibende Gedanke bei allen auf die Verbesserung des Schulwesens
gerichteten Bestrebungen unserer Zeit, wie weit auch die An-
sichten über das, was für das Leben nötig und heilsam ist, aus-
einandergeben mögen. Auch die neuen Lehrpläne wollen den
Forderungen jenes Gedankens gerecht werden, indem sie viel-
fach anstatt eines toten Wissens ein lebendiges Können ver-
langen. Es hätte in der Konsequenz dieses Gedankens gelegen,
wenn man die Einführung der neuen Lehrpläne benutzt hätte,
um auf einem Gebiete des Unterrichts Wandel zu schaffen, wo
thatsächlich zur Zeit der entgegengesetzte Grundsatz zu herrschen
scheint, so daüs man mit Seneca ausrufen möchte: Non vitae,
sed scholae discimus. Das ist das Gebiet der Orthographie.
Seit 14 Jahren sind die Lehrer an sämtlichen Volks- und
höheren Schulen verpflichtet, die neue Orthographie zu lehren,
die ganze deutsche Jugend mufs sie lernen. Wozu? Damit sie
in der Schule, und nur in der Schule, angewendet werde; so
scheint es wenigstens. Denn die Lehrer sollen in ihrem amtlichen
560 Wozu lehren wir die meue Ortho|^raphie?,
Verkehr mit derselben Behörde, die ihnen die Unterweisung in
der neuen Orthographie zur Pflicht macht und die bei der Ab-
schlufs- und Entlassungsprufung darauf zu achten hat, dafs die
Schüler in der Orthographie — natürlich in der in der Schule
gelehrten „neuen'' — sicher seien, eben diese Orthographie nicht
anwenden. Und die Schüler? Sobald sie aus der „Schule" in
das „Leben'' treten, haben sie nichts Eiligeres zu thun als die
erlernte Othographie wieder zu verlernen, wenn sie nicht von
ihren Lehrherren und von ihren amtlichen Vorgesetzten als junge
Leute, die „nicht einmal orthographisch richtig schreiben" können,
gescholten werden wollen.
Wie sollte es da nicht so scheinen, als ob die neue Ortho-
graphie wirklich nur eine Schul Orthographie sein solle, gleich-
sam eine Blechmarke, die innerhalb der Schule vollen Wert, aber
draulsen im Leben keinen Kurs habe. Aber es scheint doch
nur so. Der gegenwärtig herrschende Zustand ist so widersinnig,
dafs er unmöglich beabsichtigt sein kann. Er ist nur die Folge
von Umständen und Einwirkungen, deren Beseitigung nicht in
der Macht unserer höchsten Unterrichtsbehörden lag. Es ist also
nicht ganz richtig, wenn Professor E. Schmolling auf S. 530
des vorigen Jahrganges dieser Zeitschrift sagt, die Behörden „ver-
schmähen" die neue Schreibung. Sie verschmähen sie nicht,
sondern sie haben ihre Einfuhrung in den amtlichen Verkehr und
damit in das Leben nicht durchsetzen können. Es ist ganz un-
denkbar, dafs die höchsten Unterrichtsbehörden der verschiedenen
deutschen Staaten die neue Orthographie in die Schulen einge-
führt haben sollten ohne die bestimmte Aussicht, sie auch in
das Leben einführen zu können, oder gar mit der Absicht, sie
vom Leben auszuschliefsen. Daher erscheint es auch überflussig,
zur „Erklärung ihres Verhaltens", d. h. ihrer „Abweisung der
neuen Schreibweise" neben dem „Trägheitsgesetz" die Mängel
der Schulorthographie ins Feld zu führen. Es ist vielmehr von
der Annahme auszugehen, dafs die genannten Behörden die ganz
bestimmte Absicht gehabt haben, der neuen Orthographie durcli
ihre Einfuhrung in die Schule den Weg in das öffentliche Leben
zu bahnen, und dafs sie ferner der Ansicht gewesen sind, die
von ihnen in die Schulen eingeführte Orthographie sei trotz ihrer
Mängel die beste, die zur Zeit zu haben sei.
Wer bisher die Ausführung der zweifellos vorhandenen
Absicht unserer Schulleitung vereitelt hat, ist allgemein bekannt
Kein vernünftiger Mensch zweifelte daran, dafs die zunächst für
die Schulen amtlich angeordnete Schreibweise über kurz oder
lang auch für den amtlichen Verkehr überhaupt angeordnet
werden und so allmählich auch in den Privatverkehr Eingang
finden würde. Schon war alles im besten Gang. „Schon hatten",
wie Schmolling a. a. 0. sehr richtig sagt, „einige Behörden,
wie das Reichsgericht in seinen gedruckten Entscheidungen, die
von K. Dadeu. 561
neue Rechtschreibung aDgeDommen, schon ersclüeoen mehrere
selbst militärische Zeitschriften in derselben — da macht ein
ehedem übermächtiger Wille einen Strich durch das Ganze'^
Leicht ertrug man damals diese Äufserung eines übermächtigen
Willens, dem man so unendlich viel verdankte. Durfte man doch
hoffen, es handle sich nur um eine kurze Übergangszeit, und
wenn erst die Schülergeneration, die eben damals in die Schule
eiogetreten sei, in das Leben übergehe, so werde sich von selbst
die Notwendigkeit ergeben, das auf amtliche Vorschrift hin in
der Schule Gelernte auch für den amtlichen Verkehr vorzu-
schreiben, oder wenigstens zuzulassen. Gerade war die Frist,
die man etwa als Übergangszeit angenommen hatte — die für
den Besuch der Gymnasien und der ihnen gleichstehenden höheren
Lehranstalten erforderliche Zeit von 9 bis 10 Jahren — , abgelaufen,
als jene „übermächtige'' Persönlichkeit von der Stelle abtrat,
wo ihr Wille Gesetz war. Dafs nun zunächst weder die mafs-
gebenden Behörden an dem bestehenden Zustand etwas ändern,
noch die Vertreter der Schule auf die Unerlräglichkeit dieses Zu-
standes hinweisen mochten, wer könnte das nicht verstehen und
billigen ! Aber es kann doch nicht immer so bleiben, wie es jetzt
ist. Und je länger es so bleibt, um so schlimmer ist es. Mit
vollem Recht sagt Schmoiling a. a. 0., dafs unter dem gegen-
wärtigen Zustande das Ansehen der Schule stark erschüttert werde.
Der Ausdruck ist sicherlich nicht zu stark. Mit jedem Jahrgang,
der die Schule verläTst, mehrt sich die Zahl derjenigen, die in
nur zu deutlichen Worten ihrem Unwillen darüber Luft machen,
dals sie in der Schule mit lieifsem Bemühen etwas lernen viüssen,
was ihnen im Leben als grobe Unwissenheit, ausgelegt wird. Und
wer wollte es den Schülern, ja wer wollte es den Lehrern ver-
argen, wenn sie angesichts der Thatsache, dafs gegenwärtig die
Schulorthographie nur in futuram oblivionem gelernt wird, diesem
Gegenstande wenig oder gar kein Interesse entgegenbringen!
Und durch die Einführung der neuen Lehrpläne ist die
Lage der Dinge noch schlimmer, die Geringschätzung der Ortho-
graphie bei den Schülern noch gröfser geworden. Bei der Stellung,
die die Behörden zur neuen Orthographie einnehmen, ist es nicht
zu verwundem, wenn selbst Lehrer, sofern sie nur keine deutschen
Arbeiten zu korrigieren hatten, keinen Wert darauf legten, sich
eine sichere Kenntnis der neuen Schreibweise anzueignen. Jetzt
aber hat jeder Lehrer deutsche Arbeiten zu korrigieren, seien es
Dan Übersetzungen aus einer fremden Sprache in das Deutsche,
oder kleine freie Arbeiten, wie sie in fast allen Fächern jetzt
gemacht werden sollen. Da kann man es denn erleben, dafs all
der Wirrwarr, dem die amtlich festgesetzte Orthographie hatte
ein finde machen sollen, seine fröhliche Auferstehung feiert, indem
der eine Lehrer als Fehler anstreicht, was der andere verlangt
hat, und umgekehrt. Zu welchen Widerwärtigkeiten das führt,
SdtMhr. f. d. Gjauuftialwesea XL V III. 9. 36
562 Wozu lehren wir die oeae Orthographie?,
und wie es das Ansehen der Schule schädigen mufs, das liegt auf
der Hand. Die Schüler sehen, dafs ein Teil der Lehrer selbst
nicht kann, was sie lernen sollen, und die Lehrer müssen sich's
gefallen lassen, dafs der Direktor oder der Schulrat sie darauf
aufmerksam macht, dafs für sie wenigstens die Schulorthographie
mafsgebend ist. Alle aber fragen laut oder in Gedanken: Cui
bono? Wozu sollen wir uns mit einer Orthographie quälen, die
aufserhalb der Schule niemand brauchen darf?
Daus ein solcher Zustand nur voröbergehend zu ertragen, für
die Dauer aber unerträglich ist, das bedarf keines weiteren Beweises.
Im Interesse der Schule ist er sobald wie möglich zu beseitigen.
Aber wie?
Zunächst liegen zwei Möglichkeiten vor. Entweder ist das
Unterrichtsministerium heute noch derselben Meinung wie vor
14 Jahren, dafs die für die Schüler vorgeschriebene Orthographie
die der Entwicklung unserer Schrift zur Zeit am meisten ent-
sprechende ist, oder es hat seine Meinung inzwischen geändert.
Im ersteren Falle ist der Bann, mit dem die neue Schreib-
weise durch das Verbot ihrer Anwendung im amtlichen Verkehr
belegt ist, sobald wie möglich zu lösen, und zwar am besten,
indem von einem bestimmten, nicht zu weit hinauszurückenden
Zeitpunkt an die bisherige Schulorthographie für den gesamten
amtlichen Verkehr als mafsgebend bezeichnet wird. . Mindestens
aber ist bis auf weiteres, wie es in Bayern schon jetzt geschieht,
den Behörden freizustellen, ob sie sich der amtlichen Schulortho-
graphie bedienen wollen oder nicht.
Im anderen Falle wäre theoretisch wiederum zweierlei möglicli.
Entweder man hielte* es überhaupt für verkehrt, von Amts wegen
in die Regelung der Orthographie einzugreifen — dann brauchte
man nur „einen Strich durch das Ganze zu machen'* und zu dem
Zustand vor 1880 zurückzukehren — , oder man wäre nur mit
der Art, wie im Jahre 1880 die Orthographie geregelt ist, nicht
zufrieden — dann wäre an die Stelle der jetzt für die Schule
geltenden Orthographie eine andere zu setzen und zugleich ihre
Anwendung im amtlichen Verkehr für einen bestimmten Zeitpunkt
vorzuschreiben. Praktisch erscheint das eine, die Rückkehr zum
früheren Zustand, unmöglich. Denn es giebt eben keine allgemein
anerkannte „alte'* Orthographie, und zu dem früheren Zustand zu-
rückkehren, das hiefse aufs neue der Willkür Thür und Thor
öffnen, die man eben durch die „neue Schulorthographie*' hatte
ausschliefsen wollen. Mit Recht sagt A d r i a n in seinem Schmerzens-
schrei über die „vergessene Schulfrage^' (Gymnasium X Sp. 723):
„Es ist immer noch leichter» von der alten zur neuen Ortho-
graphie überzugehen als umgekehrt''. Es bliebe also nur die zweite
Möglichkeit übrig, nämlich eine bessere Orthographie an die Stelle
der im Jahre 1880 für die Schule vorgeschriebenen zu setzen, bzw.
diese von den Mängeln, die ihr vorgeworfen werden, zu befreien.
von K. Duden. 5g3
Ob dieser Weg prak lisch, ob er das geeignete Mittel wäre, in
der leidigen Orthographiefrage endlich einmal wenigstens für einen
gröfseren Zeitraum zur Ruhe zu kommen, das steht dahin. Will
man ihn beschreiten, so sind die Vorschläge Schmollings als
durchaus in der Richtung liegend, in welcher sich die Entwicklung
unserer Schrift bewegt, aller Beachtung wert. Einstwellen aber
glaube ich, dafs es der Erreichung des vor allem im Auge zu
behaltenden Zieles, nämlich eine für alle Deutschen gültige Ortho-
graphie zu gewinnen, nicht förderlich sein würde, wenn man die
jetzt wenigstens für die Schulen ganz Deutschlands und der
Schweiz gewonnene Einheit — die Abweichungen in den Schul-
oithographieen der einzelnen Staaten sind ganz unerheblich —
durch neue Yerbesserungsvorschläge wieder in Frage stellen
wollte^). Dafs auch ich unsere Schulorthographie keineswegs für
die beste überhaupt mögliche und daher auch nicht als ein für
allemal endgültig festgestellt betrachte, brauche ich kaum zu sagen,
fch meine nur, anordnen solle man jetzt nichts Neues. Eine
andere Frage ist es, ob man vielleicht solche Verbesserungen,
die in der Fortsetzung des eingeschlagenen Weges liegen, für die
Zukunft anbahnen sollte, indem man, ähnlich wie Schmolling
es für ein beschränktes Gebiet vorschlägt, auch für gröfsere Ge-
biete, z. B. die Anwendung von k und z statt c, von seh statt
ch in Fremdwörtern, Doppelschreibungen zuliefse. Doch in solche
Einzelfragen einzugehen scheint mir nicht an der Zeit, bevor an
mafsgebender Stelle die Hauptfrage entschieden ist. Möge die
Entscheidung bald fallen und damit der jetzige auf die Dauer
schier unerträgliche und das Ansehen der Schule schwer schädigende
Znstand sein Ende finden!')
^) Einen tüinlichen Standpunkt hat auch die vom sehweizerischen Bondes-
rat zar Regelung der orthographischen Frage einberufene Konferenz ein-
geaommen. Obwohl die Beibehaltung des th im Anlaut gewisser Stammsilben
ihr unzweckmäfsig erschien, hat sie doch den Autrag, dem Bescbluls der
Annahme der preufsischen Orthographie den Znsatz hinzuzufügen „mit dem
Unterschiede jedoch, dafs auch im Anlaute auf ein t nie ein li gesetzt
wird*^ abgelehnt und sich darauf beschrankt, den Wunsch auszusprechen,
„dafs in nicht gar ferner Zeit in der preufsischen Orthographie die In-
konsequenz in betreff des tia verschwinden möchte*'.
^) Nachtrag. Das Vorstehende war bereits gesetzt, als mir die
Nachricht zuging, der Herr Minister habe auf eine an ihn gerichtete Bitte
des preufsischen Volksschullehrervereins um einheitliche Regelung der
Rechtschreibung geantwortet ,,dafs die Herbeiführung der Übreinstimmung
zwischen der Orthographie der Schule und derjenigen des amtlichen Verkehrs
bereits Gegenstand seines Bemühens sei, dafs diese Übereinstimmung aber
auf Dobcreehenbare Zeit hioansgeschoben sein würde, wenn er zugleich eine
ÜBgestaltBog der Schulorthographie des Deutschen Reiches nach den Ideen
des Laadesvereins preufsischer Volksschullehrer herbeiführen wollte^S Dieser
Beseheid des Herrn Ministers gewährt die erfreuliche Aussicht, dafs die in
Rede stehende Frage in nicht allzu ferner Zeit in wünschenswerter Weise
ihre Erledigung finden werde.
Hersfeld. Konrad Duden.
36*
562 Wo7D lebroD wir die Dean OrthograpbUT,
nnd nie es das Anaeben der Schule schädigen mufs, das liegt
der Hand. Die Schüler sehen, dafs ein Teil der Lehrer »<
nicht kann, waa sie lerORn sollen, und die Lehrer müssen '
gefallen Jasaen, dafs der Direktor oder der Schulral sie
aurmerksam macht, dafa fQr sie wenigstens die Schulorthc
mafsgehend ist. Alle aher fragen lant oder in Gedankt
bonoT Wozu sollen wir uns mit einer Orthographie qur
anfserhalb der Schule niemand hrauchen darf?
Daus ein solcher Zustand nur vorübergehend su eri
die Dauer aber unerträglich ist, das bedarf keines weitere
Im Interesse der Schule ist er sobald wie möglich zi
Aber wie?
Zunächst liegen zwei Möglichkeiten vor. Entv
Unlerrichtsministerium heute noch derselben Mei
14 Jahren, dafs die für die Schüler vorgeschriebe)
die der Entwicklung unserer Schrift zur Zeit a
sprechende ist, oder es hat seine Meinung inzv
Im ersteren Falle ist der ßann, mit dem
weise durch das Verbot ihrer Anwendung im
belegt ist, sobald wie möglich zu lösen, und
indem von einem bestimmten, nicht zu wei*
Zeitpunkt an die bisherige Scbulorthograpbi
amtlichen Verkehr als mafsgebend bezeichi
aber ist bis auf weiteres, wie es in Bayern
den Behörden freizustellen, ob sie sich det
grapbie bedienen wollen oder nicht.
"•l^stnode, tgz. V. 0. Alteobnrg. 555
*^*^Q, das Thema zu den
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ü. Wenn nun
ne wahre Fund-
— , so empfiehlt sie
len jeder ostentatio
ingen und Erlebnisse
lieleuchtung im Lichte
„'ten Welt- und Lebens-
>'cht viel lernen und an-
vohl wie die Eltern und
' u. a. nur aufmerksam auf
.iing und Barbarei, F: Frei-
J: vom Jungbleiben, letztere
16 Greisenhaftigkeit der Jugend
•t gesunder Anregungen ist die
trafse, Mittelmäfsigkeit, auch die
)cm heutigen Geschlecht kann nicht
('fung in die herrliche Idee der Hin-
1) R5m. 12, 1 nahegelegt werden. Sehr
. Überwindet die Welt, tief durchdacht
iterhaus, Vaterland. Besonders originell
, wie zu X und zu ¥ passende Themen
i> nun um so wertvoller sind, als sie die
>unden unseres neusten öffentlichen Lebens
.'f Beschämendes haben müssen. Keine Wunde
t^drohlich und so tiefsitzend sein als die über-
Macht der Phrase, welcher der Verfasser mit
irheit zu Leibe rückt. Grade als ich dieses Buch
ZWEITE ABTEILUNG.
LITTERARISCHE BERICHTE.
K. L. Leimbach, Id der Abschiedsstunde. Hahoworte an deutsche
JÜDglin^e 10 25 EotlassongsredeD dargeboteo. Zweite .vermehrte
Auflage. Goslar 1894, L. Koch. Geh. 3 M, elegaot gebunden 4 M.
Der Herr Verfasser bietet in dieser Sammlung von Eni-
lassuDgsreden eine überaus wertvolle Gabe dar, der ich in an-
betracht der schönen Form, des vielfach sehr bedeutungsvollen
Inhaltes und der reichen pädagogischen Erfahrung einen weiten
Leserkreis wünsche, unter Schulmännern, unter Eitern und unter
allen denen, die sich des Zusammenhangs zwischen der erziehlichen
Arbeit unserer höheren Schulen und dem Streben nach der Er-
haltung und Pflege unserer höchsten nationalen Guter deutlich
bewufst sind. Diese Reden zeugen davon, dafs der Verfasser
weit entfernt ist von jenem Zerrbild schulmännischen Ernstes,
„der keinen Scherz versteht, der die Milch gerinnen macht"
(S. 82), aber sie zeugen von dem tiefen Gefühl der Verantwort-
lichkeit des Schulleiters für die ihm anvertrauten Zöglinge, von
der hingebenden, herzlichen Fürsorge auch für diejenigen Schüler,
welche seine Anstalt nur kürzere Zeit besucht haben. Und je
mehr heute für unsere höheren Schulen das Wort gilt: nun
scholae, sed vitae discendum, und je weniger sich uns in unseren
vier Schulwänden Auge und Herz verengen darf, also dafs wir
innerlich unberührt blieben von allen den Lebensfragen, die
unsere Nation auf das tiefste bewegen, um so mehr berührt es
wohlthuend, in jeder der Reden ein Zeugnis zu finden für den
sicheren Blick, mit welchem die Schäden unseres Volkslebens
beobachtet und aufgedeckt werden, und für das warme Herz,
mit welchem nach Heilung von solchen Schäden gefragt und
gesucht wird. Ich würde meinen in neuerer Zeit des öfteren (in
der Zeitschrift für ev. Religionsunterricht und in Fries -Meiers
Lehrproben und Lehrgängen) ausgesprochenen Anschauungen
untreu werden, wenn ich nicht meiner besonderen Freude über
die Festigkeit und innere Gewifsheit Ausdruck gäbe, mit welcher
der Herr Verfasser es immer wieder betont, dafs den Schäden
unserer Zeit wirksam und erfolgreich nur beizukommen ist von
dem Grunde aus, der gelegt ist, von dem Grunde des christlichen
Glaubens und der christlichen Ethik.
K. L. Leimbach, lo d. AbsehiedsatQDde, ägz, v, 0. Alteobarg. 5g5
Es ist ein durchaus origineller Plan, das Thema zu den
Abschiedsreden jedesmal einem Buchstaben des A B C zu ent-
nehmen, ein Plan, getragen von dem Wunsche, „aus den Themen
dieser Abschiedsreden ein goldenes ABC zusammensetzen zu
dürfen^*. Der Verfasser hat diesen Plan in achtzehnjähriger
dienstlicher Arbeit an derselben Anstalt zum glücklichen Ende
gebracht, glücklich, weil jeder Buchstabe ihm ungezwungen und
im engsten Zusammenhange mit dem inneren Leben seiner
Schnle und mit den bewegenden Fragen der Gegenwart ein Thema
geboten hat, glücklich auch, weil Form und Inhalt diesen Beden
den Wert eines güldenen ABC geben. Es giebt gewifs nicht
leicht einen Direktor, der innerlich unbewegt bliebe gerade in
der festlichen Weihestunde, wo die Zöglinge aus den Händen
ihrer treuen und fürsorglichen Erzieher ins ungewisse Leben
hinaus entlassen werden. Da erzeugt sich die Kraft der Bede
aus dem bewegten Herzen, das ist so ganz besonders ein Augen-
blick, der pectus disertum facit. Dieser tiefe Zusammenhang
zwischen Herz und Hund schützt vor der Gefahr eines lehrhaften
Tons oder des Auskramens einer doktrinären Weisheit, welche
gerade in dem freudig erregten Augenblicke des Abschiednehmens
kaum den Weg vom Ohr ins Herz finden wurde. Wenn nun
die vorliegende Sammlung von Abschiedsreden eine wahre Fund-
grube ethischer und sozialer Gesichtspunkte ist, so empfiehlt sie
sich vor allem durch das unbedingte Fernbleiben jeder ostentatio
scientiae. Aber aus der Art, wie die Erfahrungen und Erlebnisse
des inneren und äufseren Schullebens ihre Beleuchtung im Lichte
der Ethik und einer entschieden aus^geprägten Welt- und Lebens-
anscbauung finden, können die Leser recht viel lernen und an-
geregt werden, wir Schulmänner sowohl wie die Eltern und
Angehörigen der Zöglinge. Ich mache u. a. nur aufmerksam auf
die Reden A: Arbeit, B: über Bildung und Barbarei, F: Frei-
heit, G: Gefahren der Gegenwart, J: vom Jungbleiben, letztere
ein kräftiges Mabnwort wider die Greisenhaftigkeit der Jugend
unserer Tage; voll reicher und gesunder Anregungen ist die
Rede unter M: Mafs, Mittelstrafse , Mittelmäfsigkeit, auch die
unter 0: vom Opfer, denn dem heutigen Geschlecht kann nicht
eindringlich genug die Vertiefung in die herrliche Idee der Hin-
gabe des eigenen Ichs nach Böm. 12, 1 nahegelegt werden. Sehr
lehrreich ist die Rede U: Überwindet die Welt, tief durchdacht
die unter V: Vater, Vaterhaus, Vaterland. Besonders originell
erschien mir der Weg, wie zu X und zu Y passende Themen
gefunden wurden, die nun um so wertvoller sind, als sie die
Hand an gewisse Wunden unseres neusten öffentlichen Lebens
legen, die etwas tief Beschämendes haben müssen. Keine Wunde
aber dürfte so bedrohlich und so tiefsitzend sein als die über-
handnehmende Macht der Phrase, welcher der Verfasser mit
ehrlichster Wahrheit zu Leibe rückt. Grade als ich dieses Buch
566 K- Kern, GruDdrifs der Pädagogik,
durchstudierte, führte mich die Auslegung der Liviuslektüre in
Prima darauf, die zersetzende Wirkung der Phrase in dem Gange
der griechischen Geschichte nachzuweisen. Auch die Schüler
hatten ein Lächeln für den Phrasenhelden Antiochus, der Liv.
35, 48 maria terrasque inani sonitu verborum compievit, und
sie können es wohl verstehen, wie nichts so sehr als die Macht
der Phrase ohne That und ohne zielbewufstes nationales Em«
•pfinden das griechische Volk reif zur Unterjochung gemacht hat.
Der Wunsch ist berechtigt, dafs unser Volk dereinst vor gleichem
Schicksale bewahrt bleiben möge!
So empfehle ich dieses treffliche Buch einem recht weiten
Leserkreise; ich wünschte recht vielen Lesern Anregung und
Anstofs in der Richtung ethischer Überzeugungen. — Druck und
äufsere Ausstattung sind dem inneren Werte des Buches ent-
sprechend.
Wohlau. Oskar Altenburg.
Hermann Kern, Gruadrifs der Pädagogik. 5. Auflage, herausge-
geben von 0. Willmann. Berlin 1893, Weidmannsche Bachhandlnog.
XII a. 328 S. 8. 6 M.
Der Name Hermann Kern hat einen guten Klang in der
pädagogischen Welt; sie gebraucht ihn kurzweg für die Trias
Herbart- Ziller-Stoy, deren Bedeutung u. a. auf der 4. Sächsischen
Direktorenkonferenz eigehend erörtert ist. Dort hat man „schon
mit Rücksicht auf die Geschichte der Pädagogik und Didaktik"
dringend gewünscht, dafs die Lehrer an den höheren Schulen
sich mehr als bisher mit den H.-Z.-Stoyschen didaktischen Grund-
sätzen bekannt machten, und die übliche Einstimmigkeit ward
erreicht, obwohl in den Referaten vielfach „kühle Zurückhaltung*'
oder auch „deutliche Abneigung'' gegen die Herbartsche Schule
hervorgetreten war. Selbst begeisterte Anhänger verwerfen den
H.schen Grundsatz von der Leerheit des Seelenwesens an allen
ursprünglichen Anlagen, wonach der Erzieher ein kleiner Prometheus
wäre: „Hier sitz' ich, forme Menschen nach meinem Bilde",
gleich als ob er aus der Seele des Zöglings alles machen könnte,
was er wollte. Sie mifsbitligen ferner die dunkle und ge-
spreizte Terminologie, sowie den einseiligen Formalismus. In
allen diesen Punkten bezeichnet Kerns Pädagogik einen wesent-
lichen Portschritt. Besonders heilsam war es, dafs er die
Methode der berühmten Formalstufen — neuerdings weifs
man nicht genau, ob es vier oder fünf sind — einfach fallen
liefs, welche kleineren Geistern wohl gar als die Hauptsache er-
schienen war.
Wenn gleichwohl Frick dem „hochbedeutsamen, aber ab-
strakten Werke Kerns" weniger verdankte als der persönlichen
Begegnung, so kann man dem zustimmen; denn in praxi war
aogez. von C. Kruse. 567
Kern weit weniger abstrakt als in thesi, und selbst den Formalis-
mus der sechs gleichschwebenden Interessen hielt er nicht allzu-
hoch. Als auf der Rostocker Philologenversammlung bei angeregter
Unterhaltung und goldgetüUten Römern ihn einer fragte, ob hier
nicht das empirische, das ästhetische und das soziale Interesse
harmonisch zur Geltung gekommen sei, antwortete er gelassen:
„Ja, lieber Freund, Sie verstehen das zwar nicht, aber ich widme
Ihnen ein sympathetisches Glas'*. — Sein Lieblingsbeispiel für
die Erweckung aller sechs Interessen war die Odyssee, die dazu
als Pandora ja vorzüglich geeignet ist; aber er war weit entfernt
davon, in jeder einzelnen Lektion alle sechs erhaschen zu wollen,
und er gehörte keineswegs zu denen, welche „mit dem Vokabel-
lemen ganz zwanglos eine Erregung verschiedener Arten des
Interesses verbinden*^ Ganz zwanglos ist es ja, wenn man sagt
OS, pl. orä, neutrum, aber arä, ae, fem. ; dagegen orä {et labora);
hinwiederum os, pL osm, n., jedoch Ossa, ae, m. (s. Alton), aber
ein solches Verfahren wäre doch Diszentration. — Im naturkund-
lichen Unterricht soll das ästhetische Interesse „durch das An-
stimmen schöner Naturlieder" erregt werden; da würde ich be-
sonders „Wer hat dich, du schöner Wald** empfehlen, weil
gleichzeitig damit das religiöse Interesse zu kräftiger Geltung
kommt; auch läfst sich dieses Verfahren analog auf andere Fächer
anwenden, und für den etwa mangelhaften Gesang könnte
Deklamation eintreten: derlei Arabesken des Unterrichts mögen
dem Geschmack des einzelnen überlassen bleiben, aber die theo-
retische Unterweisung, der junge Lehrer solle seine Lektionen
derart vorbereiten, dafs er alle sechs Interessen in Bewegung
setze, sehe ich als eine thörichte Dressur an.
Jede pädagogische Doktrin wird — unbeschadet der Persön-
lichkeit des Lehrers, auf der denn doch immer noch das Beste
beruht, was in der Schule geleistet wird — sich um so nützlicher
erweisen, je nähere Fühlung sie mit der Praxis hat. Und da
besteht denn kein Zweifel, dafs gerade Kern uns die wertvollen
Gedanken der Herbartschen Schule „bündig und verständlich'*
näher gebracht hat Über den Inhalt und die Einrichtung seines
Buches in 5. Auflage noch den Lesern dieser Zeitschrift Bericht
zu erstatten, wird nicht erforderlich sein; aber der Genugthuung
ist Ausdruck zu geben, dafs nachdem nun multis ille bonis fle-
bilis occidit, 0. Will mann die Herausgabe übernommen hat,
„der bedeutendste unter den jüngeren Schülern Herbarts** und als
solcher von Kern selbst vielfach anerkannt. Die Auffassung beider
Männer steht sich sehr nahe; um so eher konnte Willmann sich
eines Eingreifens in das Gefüge des Kernschen Buches enthalten
und sich darauf beschränken, die Litteraturangaben zu ergänzen.
Auf die neue Organisation des höheren Unterrichts-
wesens Rücksicht zu nehmen, war durch die Sachlage ausge-
schlossen; aber in mehreren wichtigen Punkten steht Kerns
568 H. Kern, Grundrifs der Pädagogik, angez. von C. Kruse.
Auflassung grundsälzlich fest. Er ist stets für „die höheren
Bürgerschulen (die Realgymnasienys S. 296, eingetreten,
die er lateinlos gestaltet, S. 301, und nicht für die gelehrten
Stände bestimmt wissen wollte, S. 297; die sog. Einheits-
schule verwirft er; das Mafs der allgemeinen Bildung wird
ihm durch die Dauer der Lehrzeit bestimmt; der Art nach steht
ihm die humanistische am höchsten. „Immer hat bisher die
Vernachlässigung altklassischer Studien den Verfall der Wissen-
schaften und damit einen Rückgang der allgemeinen Kultur zur
Folge gehabt, und umgekehrt war das Wiederaufleben der klas-
sischen Studien immer der Grund eines neuen geistigen Auf-
schwungs", S. 277. Vor allem schätzte er das Griechische
S. 281, gleich seinem Freund Klix, der noch in den letzten Le-
benstagen in das Album des Heinrichsgymnasiums den Spruch
eintrug: Vos exemplaria Graeca u. s. w. Mit seinem Urteil
über das Französische, S. 283. 284, steht er in geradem
Gegensatze zu denen, die von der ,,Sublimierung'* des franzö-
sischen Unterrichts nebst phonetischer Abrichtung sich einen
Gewinn für die Bildung unserer Jugend versprechen. Dem Me-
garenser, der sich in Athen zehn Jahre lang der feinen atti-
schen Aussprache beflissen hatte, ward auf die Frage: „Was
kosten die Fische" von dem Marktweib geantwortet: „Drei
Obolen, o Fremdling'*. — Und wenn ein solches Ziel erreicht
werden könnte, welchen Reiz des Schönen oder des Nützlichen
hat es, dafs ein Franzose uns sagt, „Sie sprechen ja beinah wie
ein Eiogeborner"? Dem Engländer kann man allenfalls noch be-
greiflich machen, dafs er in der Fremde sich der landesüblichen
Vokalisation zu bedienen und nicht beharrlich „Emmelfei'^ zu
sagen hat, wenn er „Amalfi'^ meint; sobald man ihm aber zum
Behuf der Erlernung des Deutschen sein w und th phonetisch
bearbeiten und ein germanisches ch einüben wollte, so würde
ihm das trotz aller Methode als Thorheit erscheinen.
Von Überbürdung redet Kern nicht, und die Wirksamkeit
der neuen Lehrpläne hat er nicht mehr erlebt. Wir anderen
stehen, denke ich, unter dem Zeichen, mit allem Ernst und
möglichster Freiheit zu versuchen, was sich leisten läfst. Einige
Pessimisten stimmen ja ihren Unkengesang an; dagegen finden
andere, dafs der gesamte Unterrichtsbetrieb in der Schule etwas
lebendiger geworden sei, und als allgemein verbreitet kann
wohl die Erfahrung gelten, dafs auf Abiturientenkommersen
das neue Lied gesungen wird: „Heil dem Manne, der
die Überbürdung erfunden hat*^ — Sollte vielleicht
schon hier und da mehr Müfsigang als ernste Arbeit beobachtet
werden?
Danzig. Carl Kruse.
Fr. Zan^e, Leitf. f. d. ev. Religionsunt, agz. v. G. Boescbe. 569
Friedrich Zangpe, Leitfaden für den evangelischen Religions-
noterricht. Beispiel eines ausgeführten organischen Lehrplans (in
freiem Anschlafs an die neuen preofsischen Lehrpläne). Gütersloh 1893,
Bertelsmann. Band I: Sexta bis Uotersecunda. Mit Schnlageode 3,60 M.
Friedrich Zange, Schulagende, Bibeltexte und Liedverse für Schul-
andachten und Schulfeiern im Anschlofs an das kirchliche, bürgerliche
und Naturjahr. Gütersloh 1893, Bertelsmann. 0,40 M.
Das vorliegende Werk ist die Fortsetzung der in dieser
Zeitschrift XLVII S. 263 von dem verstorbenen Direktor Kolbe
aogezeigten ersten Hefte; der zweite Band steht noch aus. Im
Gegensatz zu den zahlreichen Lehrbachern, welche nur den Stoff
des Unterrichts enthalten, „um dem Lehrer die Hände nicht zu
bindeD'S will Verfasser dem Leser eine Ordnung des Stoffes
nach pädagogischen Gesichtspunkten bieten, eine Methode, einen
Weg, auf dem man nach seiner Erfahrung die Schüler mit reichem,
bleibendem und praktischem Gewinn durch das unermefsliche
Gebiet christlichen Lebens, christlicher Lehre und Erfahrung fuhrt.
Allerdings ist das Buch umfangreicher als andere der Art.
Aus den Heften, die auch einzeln käuflich zu haben sind und in
dieser Vereinzelung für Lehrer und Schuler etwas Praktisches
haben, sammelt sich hier schliefslich ein Band von 300 Seiten,
freilich aufser dem Katechismus mancherlei Zusätze enthaltend
über Beichte, Gottesdienst, Kirchengebet u. s. w. Der Anschlufs an
die Lehrpläne ist ein freier. In ihrem Sinne und Geiste und
nach pädagogischen Gesichtspunkten allein wänscht der Verfasser
z. B. Beschränkung des Stoffes alttestamentlicfaer Geschichten in
VI, Beschränkung des Katechismusstoffes in V und IV, Verzicht
auf ein mechanisches Einprägen der alttestamentlichen Bucher in
iV, innerhalb der JII im Interesse organischen Fortschrittes
Vorwegnahme des Geschichte des Reiches Gottes im Neuen Testa-
ment, d. h. u. a. des zweiten Teils der Apostelgeschichte, und
vermifst in den Lehrplänen bis U II eine Darstellung des Ur-
christentums, sowie der Haupterscheinungen aus der Geschichte der
Kirche und aus dem kirchlichen Leben der Gegenwart. Doch ist über-
all die Möglichkeit strengeren Anschlusses an die Lehrpläne gegeben.
Die besondere Eigenartigkeit des Buches tritt dem Leser ent-
gegen in der Bestimmung von Unterrichtszielen für die ein-
zelnen Abschnitte des Schuljahres und zwar in möglichstem An-
schlufs an das Kirchenjahr und mit bestimmter Orientierung des
alten Testaments nach seiner Beziehung zum neuen; — ferner
in der tabellenartigen Behandlung derjenigen Partieen in Geschichte
und Lektüre, welche besonderer Auslegung bedürfen und die Mög-
lichkeit zu besonderen Parallelen bieten, doch umfafst diese Dar-
stellung auf mehrfach gespaltener Seite von IV ab nur etwa ein
Drittel des Ganzen; — endlich in den Wiederholungen und Über-
blicken, welche die Resultate des einzelnen Abschnittes zusammen-
fassen und dem Betrachter den bedeutsamen Fortschritt des
Gesamtaufbaus darstellen.
570 Fl*« Zange, Leitfade d für d. evaog. Religiongnnterricht,
Das Ziel des Verfassers ist, die Religion dem Schuler zu
einem wichtigen Centrum zu machen, worauf er alles bezieht, so
dafs ihm die heilige Sache zu einem Sauerteig des Lebens wird.
Das kirchliche Leben in seiner Mannigfaltigkeit wird herangezogen,
gelegentlich aber das Parteiwesen scharf gegeifselt. Der Sinn
des Verfassers mag durch solche Sätze bezeichnet werden wie
den, dafs Rache und Vergeltung nur das Böse mehren, dafs an erster
Stelle Achtung den Verächtern der Religion abgezwungen werden
müsse. In der Schätzung des Markus-Evangeliums, in der Aus-
scheidung des Deborah-Liedes für OII (da nur religiös und sittlich
klare Ausfuhrungen für den Tertianer passen), in der Deutung
der Gewissensqual in den Psalmen, ferner in der Deutung des
Glaubens als der persönlichen Anwendung der Glaubenswahrheit
auf mich, den Glaubenden, in den wiederholten Ausfuhrungen
über die Kirche und die Gemeinschaft als Ziel des christlichen
Gottesdienstes, in der Betonung des Berufes und der Bedeutung
seiner verschiedenen Arten sehen wir überall das Recht des Ver-
fassers zur Fuhrerschaft. In einem bisher nicht so vorgekommenen
Mafse handhabt er ferner systematisch die Mittel zur Anregung
des Interesses. Geschichte, Litteratur, Zeit- und Ortsver-
hältnisse, Geographisches, Natur- und Kulturgeschichtliches zieht
er zum Dienst heran. Besonders spielt von V an Heimat, tägliches
Leben, Gemeindeleben, in den erwähnten parallelen Rubriken eine
Rolle. Die Benutzung von Erfurter religiösen Kunstwerken und
kirchlichen Schätzen und Erinnerungen ist geradezu ein Muster,
durch das man sich überall anregen lassen sollte: nicht blofs ge-
legentlich, denn das geschieht ohne Zweifel oft, sondern in syste-
matischer Anordnung. Ohne weiteres allgemeiner benutzbar sind
die Andeutungen über Darstellung vom Leiden und Sterben des
Herrn in der Kunst, in bildlichen und dichterischen Darstellungen
und Tonwerken. Den Unterricht lebendig zu machen, dient die
Vergleichung plastischer Scenen : das Leben am Brunnen, Austausch
der Waffen unter Freunden, die Erinnerung an Denksteine und
Denkmäler; beim barmherzigen Samariter erinnert der Verfasser
an die Krankenpflege in der Kirche, bei Jairi Töchterlein an die
Inschriften auf Grabsteinen, bei der Aussendung der Zwölf an
Missions- und Rettungshäuser, bei der Gefangenschaft Petri an
die Hugenotten und ihre Aufnahme, bei Philippus an die Ein-
segnungsformel, bei Pauli Missionsreisen an Kirchenfeste und Ver-
fassung, bei Eroberung des Ostjordanlandes und der Erwähnung
des lüsternen und zuchtlosen Volkes an den französischen Krieg.
Er vergleicht Richterzeit und Freiheitskriege und führt für die
Demut Kaiser Wilhelms bezeichnende Gitate an, vergleicht Niniveh
und die modernen grofsen Städte und bespricht bei den Propheten
allgemeine Kulturfragen. Nicht selten werden litterarische Stücke
herangezogen: bei Johannes' Enthauptung Alboin vor Pavia und
Hans Euler, bei Davids Jugend der Monolog der Jungfrau von
'
• Dgez. von G. Boesche. 571
Orleans, Goethes Mailied und kleine Volkslieder. Das Weiter-
sammelo solcher Parallelen erschiene geradezu für den Religions-
unterricht von Wert; es sind doch nur Anfange solcher Materialien-
Sammlungen vorhanden.
Der Unterichtsstoff selbst wird grundlich durchgearbeitet.
Der Verfasser folgt dem beherzigenswerten Grundsatz, dafs schon
früh die rechte Teilung des Stoffes, auch schon bei der biblischen
Geschichte, eintreten mufs, um vor dem mechanischen Lernen
zu bewahren, dafs ebenso bei den Liedern der Gedankengang zu
disponieren ist; blofse Namen sollen nicht auswendig gelernt
werden, sondern nur mit geschichtlichen Erinnerungen und sym-
pathischen Empfindungen verbunden eingeprägt und so liebge-
wonnen werden: „ohne dies ist's eine Klapper, die man schnurren
läfst, auch aus Mutwillen, Scherz damit zu treiben*'. Früher Be-
sprochenes wird an geeigneter Stelle wieder eingeführt; z. B. wird
bei Davids glücklicher Jugend an die Schöpfungsgeschichte er-
innert: vielleicht hat Verfasser die schöne Auslegung eines Sonnen-
aufgangs durch Herder dabei in Gedanken. Im neuen Testament
ist die Einfügung von Briefstellen in die Apostelgeschichte be-
merkenswert Induktiv werden Katechismus und Bergpredigt
bebandelt, um nachher deduktive Anwendung zu finden.
Zu elementarer Charakterschilderung erhebt sich schon
der Sexta-Unterrieht bei den Geschichten von Abraham, Moses,
Sau], Salomo. In der Unterscheidung von Tugenden gegen Gott
und gegen Menschen, oder von Wirken und Tugenden, oder von
Bedeutung, Tugenden und Fehlem zeigt sich das gleiche Bemühen,
klare Gesichtspunkte zu schaffen. Grofser Wert wird auf die
religiösen und sittlichen GrundbegriiTe gelegt; wird doch auch
mit ihrer Hülfe der Stoff durcbgearbeitet, geklärt, zur Verwen-
dung bereit gestellt. Vergleichung wird vielfach empfohlen,
z. B. von Gerechtigkeit, Billigkeit, Liebe ; ebenso vielfache Wieder-
holung. Bei den Überblicken werden sie mitgesammelt: so
Toleranz, Fanatismus, Indifferentismus, Kommunismus. Bei den
zusammenfassenden Wiederholungen erstaunt man schon in VI
über den Reichtum, der selbst bei ganz langsamem Vorgehen
in methodischer Ordnung gewonnen wird. Der Anschlufs an Be-
kanntes bietet dabei Mafsstäbe dts Urteils, wenn z. B. Christi
Wandel nachträglich nach den zehn Geboten betrachtet wird:
sind solche Mafsstäbe theologisch angreifbar, so sind sie doch
für die Jugend als Brücke kaum zu entbehren. Beim Abschlufs
der III wird bereits etwas von dem allmählichen Aufstieg er-
sichtlich in der Ordnung der Resultate nach den Gesichtspunkten
Gottesreich, Heilsordnung, gottesdienstliche Ordnung, sonstige
Begriffe.
Dazu kommen dann praktische Ratschläge und Anregungen.
Die Schüler auch zu häuslicher Lektüre insbesondere des Neuen
Testaments zu bringen,[sie Berichte übergelesene, einfachere Kapitel,
572 ^'^' Zange, Leitfaden für d. evaog. ReligioDsaoterricbt,
namentlich während schwierigere Klassenlekture wie die der Berg-
predigt fortschreitet, sowie über Predigten und Gesangbuchlieder, z.B.
Pfingstlieder, lierern zu lassen, erscheint dem Verfasser möglich
und wertvoll. Zusammenstellungen z. B. von Pauli Leiden nach
dem Grade, seiner Gefahren nach Orten und Personen, Zusammen-
stellung der Gleichnisse nach den Lebensbereichen, Einordnung
der Bergpredigt unter die Gebote, ja der Versuch einer Auslegung
des Sabbathgebets nach der Art von Matth. V soll die Selbstthätigkeit
der Schüler fordern. In den Stunden wird gelegentlich durch
Chorlesen, wie bei Psalm 33, das fnteresse gehoben. Die An-
regung des individuellen religiösen Lebens behält Verfasser stets
im Auge.
Gegenüber all diesen Vorzügen wollen die Bedenken wenig
sagen. Sie beziehen sich auf das allerdings seltene Hervortreten
des theologisch-kirchlichen Standpunktes, das Schülern gegenüber
weniger weise erscheint; ferner auf die Verschiebung der Lehr-
pläne, namentlich zwischen Ober- und Untertertia, die man in
Rucksicht auf den vielfachen Schälerwechsel in gröfseren Städten
ablehnen möchte: sodann auf die zuweilen starke Unterbrechung
des sachlichen Fortschrittes zu Gunsten der Anknüpfung an das
Kirchenjahr, auf die Art des Druckes in Spalten, wie zum Teil
auch auf den Druck sonst.
Von den vereinzelten Fällen einer Einmischung theologischer
Urteile und dogmatischer Begriffe statt der biblischen möchte
Referent nur den einen herausgreifen, wo Keims Behandlung
des Lebens Jesu als kurzsichtig verurteilt wird; der Name ge-
hört sicher nicht in ein Schulbuch, auch liegt hier wohl ein
theologisches Problem vor, das so leicht nicht zu lösen ist. Hiob
19, 25 — 27 dürfte als Auferstehungsgedanke des alten Testaments
wohl nicht mehr Verwendung finden. In Bezug auf Tanz, Spiel,
Wirtshausbesuch und Theater urteilt Verfasser individuell und
strenge, dafs es in den meisten Fällen, wegen der damit ver-
bundenenen Gefahren, sichrer und geratener sei, darauf zu ver-
zichten. Zu schwer ist in VI wohl der Hinweis auf den Vi^ert
der erblichen Monarchie. In III (S. 45) erscheint die Zahl der
Merkpsalmen zu grofs. Bei der Wertschätzung der Dispositionen
durch den Verfasser befremdet es einigermafsen , dafs dieselben
doch vielfach der Schärfe entbehren; es sind oft nur Aufzählungen,
deren Glieder besser von vorn herein als Teile eines organischen
Ganzen den Schülern dargeboten oder wenigstens zu solchen zu-
sammengefafst würden, auch bei der Lektüre der bedeutsamsten
Paulinischen Briefe, bei Pauli Leben, bei den Christenverfolgungen
(drei Gruppen nach Uhlhorn!), sowie bei der Lehre vom Reiche
Gottes und bei der Darstellung des Verhaltens Jesu im Leiden
wäre dies nicht schwer.
Der Druck in Spalten erscheint doch nur da praktisch, wo
kleine Abschnitte wie bei der Bergpredigt unmittelbare Parallelen
togrez. voo G. Boesche. 573
io anderen Nachweisungen finden; bisweilen schädigen sie sich
gegenseitig, zuweilen wird das Zusammengehörige zerrissen, in U II
werden sie überhaupt vielfach gesprengt. Für eine neue Auflage
möchte Referent anheimgeben, dafs Spalte 1 und 2 in gröfserem
Drucke das Pensum fortführen und dafs in kleinerem Druck der
Inhalt von Spalte 3 und 4 als Anmerkung mit genauer Angabe des
Bezuges nachgefügt wird. Im Ausdrucke würde dann auch zu
ändern sein die Verbindung II B, S. 35 „wir verfolgen deshalb das
Evangelium weiter'* und anderswo der Ausdruck „was wir Ostern
feiern'^ Einige Undeutlichkeiten des Druckes werden sich leicht
beseitigen lassen: III S. 18 die Nummern vorn, S. 22 die Ziffern
unten, S. 31 die Buchstaben, IIB, 4 „a Job. 14^16*' hebt
sich nicht genug heraus; ebenso S. 6 die biblischen Stellen,
Seite 18 ,Jlufsere Mission'S S. 68 F. 1. 3. „Bei Lukas*«.
Zuletzt sei es gestattet, eine Anzahl Wünsche und Er-
gänzungen vorzubringen. Zu dem eisernen Bestände gründ-
licher Kenntnis möchte Referent aufser Markus-Evangelium und
Bergpredigt auch die Gleichnisse nach einer systematischen Ordnung
zählen, welche ihren Lehrgehalt hervortreten läfst, wie sie z. B.
Goebel in seinem Buche aufstellt: Gleichnisse über die Geschichte
des Goltesreichs, andrerseits über das Verhalten der Reiclisgenossen.
Auch erscheint ihre besondere Behandlung in den Morgenandachten
ratsam. Ferner werden praktischer Weise die Reden in der
Apostelgeschichte mehr herausgehoben (III 10); sie geben Beispiele
teils der apostolischen Predigt, teils enthalten sie auch eine charak-
teristische Steigerung. Hierzu einzelnes. III 31 ist wohl die
Erklärung des Spruches Exodus 19 wünschenswert: „Eigentum
Gottes, priesterlich Königreich, heiliges Volk'*: vgl. die Umkehrung
bei Petrus. III 35 ist als Parallele zu Saul Friedrichs des Grofsen
Behandlung des Pamphletes zu merken, das er niedriger hängen
liefs. Betreffs der Litteraturstücke müfste man eine weitere,
lohnende Auswahl finden. III 56 ist Luthers Spott zu erwähnen
über die späteren Vorwürfe, als ob er die Sache der Bauern ver-
lassen habe: hätte man mich gleich gehört, so wäre der Aufruhr
mit geringem Verluste bewältigt worden. III 59 werden bei der
Grundlage der Augsburgischen Konfession die Torgauer Artikel
übersehen. Die erste Konfutation zerrifs der Kaiser, die zweite
wurde verlesen, aber weder ausgehändigt noch gedruckt. Seite 60
bedürfen die bedeutsamen Jahre 1552, 1555, 1648 einer ge-
naueren Würdigung betreffs ihrer Bedeutung für die Religions-
freiheit in Deutschland (Credner) ; im westfälischen Frieden setzte
der Grofse Kurfürst die einheitliche Zusammenfassung der Evan-
geUschen durch. — Bei der Bergpredigt sind weitere Beispiele
für Wahrheit und Treue Regulus, Friedrich von Österreich. Bei
Matth. VII 6. 12 ist die Besprechung des Taktes an der Stelle.
Bei Matth. VII 15 wäre betreffs der Propheten die „Lehre der
zwölf Apostel*' zu erwähnen. Bei der Geschichte der Gergesener ist
574 P'*' Zange, Leitf. f. d. ev. Religionsnot., agz v. G. Boesche.
wohl die Behandlung des verachteleu üesessenen die Hauptsache.
Sachlich bedeutsam erscheint dem Referenten, dafs im Glaubens-
bekenntnis überall scharf vor den übrigen Bestimmungen ausge-
zeichnet werde „ich glaube, dafs Jesus Christas sei mein Herr^',
wie ja auch im Bekenntnis selbst an die Bestimmung unser
Herr die Relativsätze angehängt werden. Die allgemeinen Be-
griffe möchte er nicht mit A, sondern mit B in den Rubriken
bezeichnet sehen, die Bezeichnung A im Sexta-Heft ist zunächst
unverständlich. Endlich ist für die Zusammenfassung der sämt-
lichen Hefte in Buchform eine durchgehende Numerierung der
Seiten unten zu fordern.
Das Buch ist an erster Stelle für den Lehrer bestimmt. Die
ungeheure Arbeit, die Lehrweisheit, die praktischen Anregungen,
welche sich hier darbieten, empfehlen es in der That zu ganz
besonderer Berücksichtigung. Auch wo man dem Grundsatze
huldigt: wenig Religionsstofl' in scharfem, sachlichem Zusammen-
hang und Fortschritt, ohne Abschweifungen und Seitenblicke zum
unverlierbaren Eigentum zu machen, hat man doch Anlafs,
Kenntnis zu nehmen und von Hauptpartieen zu lernen.
Wer durch die Verhältnisse nicht zu so ängstlicher Be-
schränkung genötigt ist, dem mag es teils als musterhaftes
Anregungsmittel dienen, nun in gleicher Weise alles zusam-
menzufassen, um den Lehrgegenstand der Jugend nahe zu bringen,
wie dies freilich bei jeder Persönlichkeit und an jedem Orte sich
einigermafsen verschieden gestalten dürfte. Es mag aber auch
direkt im einzelnen befolgt werden: Raum för individuelle Frei-
heit bleibt immer noch. Insbesondere jüngeren Kollegen ist der
Versuch dringend zu empfehlen, dafs sie sich zunächst einmal
nach dem Buche richten; in gleicher Weise ist ein solcher Ver-
such an den Anstalten wünschenswert, wo, wie in unserm Osten,
der Unterricht in viele Hände gelegt ist und vielfach wechselt.
Der Lehrer weifs dann, woran er anknüpfen kann, und wird
sicher sein, dafs nichts Wesentliches vergessen wird. Für die
Schüler andrerseits ist bei dem Zusammenwachsen vieler kleiner
Notizen zu einem Gesamtbau, bei dem Umfang des zu merkenden
in Bezug auf Gedankengänge und Begriffe ein Handbuch allerdings
auch wünschenswert; ob ein blofses Merkheft genügt, wie es
Verfasser H B, S. 32 voraussetzt, mag dahin gestellt bleiben. Da
die Einzelhefte des Leitfadens zugleich als Katechismus und Spruch-
buch dienen können und, wie erwähnt, schon die Verarbeitung der
biblischen Geschichte wesentlich erleichtern, so mögen sie wohl
auch schon neben einer biblischen Geschichte in VI und V Ton
den Schülern angeschafft werden können. Von IV ab wird ohne-
hin in vielen Anstalten wohl ein Hülfsbuch gefordert werden.
Dem zweiten Teil für die Oberklassen müssen wir mit guten
Erwartungen entgegensehen.
Über die Beigaben ist ebenfalls Lobendes zu sagen. Die
Tb. Birt, Eine röm. Litteraturgesch., agz. v. 0. Weifseofels. 575
Schulagende behandelt für die Morgenandachten in der Advents-
zeit die mesfiianischen Weissagungen, bis Ostern das Leben Jesu,
des Propheten und Hohenpriesters, bis Pfingsten Christus den
König, bis zum Ende des Kirchenjahres „Heilige Geist'' und „Kirche''.
Die Texte sind sehr sorgfältig gewählt, nehmen auch Rücksicht
auf die Jahreszeiten, z. B. in der Lektüre von Naturpsalmen nach
Trinitatis. Die Lieder wird man anderswo, den Schulgesang-
böchern entsprechend, zum Teil wechseln. Der Anhang bietet
Beispiele für eine spezifisch religiös gehaltene Weihnachtsfeier,
eine Totenfeier und eine Reihe von sieben Gedächtnisfeiern zu
Luthers Geburtstag: dafs Schüler dabei Abschnitte seines Lebens
zu erzählen haben, erscheint als ein sehr glücklicher Gedanke.
Mit Texten und Liedversen für das Sedanfest schliefst die
Schulagende.
Eisleben. G. Boesche.
Th. Birt, Eioe römische Litteraturf^eschichte gesprochen in
fünf Stunden. Marburg i. Hessen 1894, N. G. Elwert. klein 8.
210 S. 2,40 M.
Vorträge über die römische Litteratur, die der Verfasser in
Frankfurt a. M. und in Marburg vor einem gröfseren l'ublikum
gehalten hat, bieten sich hier, wie üblich, nachträglich in Buch-
form dar, so jedoch dafs der Charakter der gesprochenen Rede
gewahrt wird. „Es geschieht'S hellst es in dem Vorwort, ,,in
der Hoffnung, für den wichtigen, aber in der Gegenwart gern
geschmähten Gegenstand das Interesse durch lebendigere An-
schauung zu erfrischen. Vielleicht wird so die Zahl derer
gemindert, die das antike Leben zwar nicht kennen, aber mifs-
billigen". Für die näheren Fachgenossen und Mitforscher, heifst
es dann weiter, seien diese Blätter nicht bestimmt. Ich glaube
indessen, dafs man auch diesen das leicht einherschreitende
Büchlein zur Erquickung nach den notenreichen Werken der
strengen Wissenschaft empfehlen kann. Was sich hier bietet,
ist weder dürr noch nüchtern. Alles schmeckt nach der Quelle.
Unbekümmert um bibliographische Vollständigkeit charakterisiert
der Verfasser die typischen Schriftsteller der Hauplperioden in
einer farbigen und lebendigen, ja oft zu lebendigen Sprache. Das
Buch ist allerdings nicht von imponierender Beleibtheit, aber
es wird gleich von der ersten Seite an klar, dafs es keinen
subalternen Auszugfabrikanten zum Verfasser hat. Auch schielt
es nicht mit ängstlich unterwürfigen Blicken nach den gelehrten
und umfangreichen Darstellungen der römischen Litteratur. Alles
klingt vielmehr wie die kecke Improvisation eines Mannes, welcher
viel gelesen, viel gedacht und die Sprache sich zum freien Ge-
brauche gehorsam gemacht hat. Auch versteht er zu charakteri-
sieren und mit leichter Hand Umhüllungen zu entfernen. Überrascht
gesteht man sich bald, dafs man es hier mit weil Ernsterem und
576 l'b* Birt, Eine römische Litteratorgeschichte,
Gründlicherem zu thun hat, als man nach der gewählLen Form
erwartet hatte. Dazu kommt, dafä der Verfasser nicht litterar-
historische Isolierbilder bietet, sondern in den Wandlungen der
Litteratur sich die Wandlungen des Zeitgeistes spiegeln läfst. An
passenden Stellen verbreitert sich seine Darstellung, und ohne
dafs mit historischer Pedanterie der Einflufs der einzelnen politischen
Ereignisse übertrieben würde, vollziehen sich doch vor dem
geistigen Auge des Lesers die Konsequenzen aller wirklich frucht-
baren Momente aus der politischen Geschichte. Am Ende ange-
langt, staunt man über die Fülle des auf engem Räume Gebotenen
und weifs dem kundigen Führer Dank, da(s er die Aussichts-
punkte so gut gewählt hat.
Das spezifisch Römische in der römischen Litteratur schlägt
der Verfasser nicht eben hoch an; die römische Litteratur gilt
ihm, wenn man vom Äufserlichen absieht, einfach als eine Er-
scheinungsphase der griechischen. War der Römer doch nur
Kulturmensch, sofern er griechisch erzogen war, und von einer
Auflehnung des römischen Geistes gegen den griechischen war
in seiner Litteratur keine Rede. Alle altitalischen litterarischen
Keime sind vielmehr durch das hereinflutende Griechentum weg-
geschwemmt worden. Die Verherrlicher originaler nationaler
Kulturen bedauern das auf das lebhafteste. Wie interessant wäre
es, wenn wir heute statt der griechischen Litteratur in römischer
Sprache eine selbständige römische Litteratur hätten! Doch man
mäfsige seinen Schmerz! Roms Schicksal ist in dieser Hinsicht
das Schicksal so ziemlich aller Kulturvölker gewesen. Wo in
erreichbarer Nähe sich etwas zur Reife Entwickeltes zeigt, wird
sich die Nachahmung dem immer zuwenden. Es ist in unserer
Zeit Mode geworden, alles rein Nationale überschwenglich zu
verherrlichen. Besser, meinen viele, eine ungeschickt stammelnde,
aber selbständige Litteratur als eine der kräftigen und klar aus-
gesprochenen Eigenart entbehrende. Wohl richtig! Doch giebt
es nicht blofs diese zwei Möglichkeiten. Auch sich anlehnend,
von andern lernend, nachahmend kann man dem, was das eigent-
lich Substanzlelle der eigenen Natur ausmacht, treu bleiben.
Auch unsere klassische deutsche Litteratur neigt ja sehr stark
nach Griechenland hinüber. Man würde aber offenbar zu weit
gehen, wenn man sie als eine moderne Erscheinungsphase der
griechischen definieren wollte. Noch eine andere Erwägung ist
recht geeignet, den Eifer für das ungemischt Nationale abzukühlen.
Die meisten Nationalitäten würden allein aus der ureigenen Kraft
ihrer Anlage nichts als holzige, saure, ungeniefsbare Litteratur-
fruchte hervorgebracht haben. Um solchen kräftigen und gesunden
Barbarenstämmen etwas abzugewinnen, bedarf es eines edelen
Pfropfreises. Ein solches ist das Griechentum auch für Rom
geworden. Soll aber etwas Erfreuliches dabei herauskommen, so
mufs zwischen dem Stamm und dem Aufgesetzten doch ein
angez. von 0. Weifseofels. 577
Daturliches Verwandtschaftsverhältnis bestehen. Wenn die fremde
Litteratur dem sehnenden, wenn auch unklaren Verlangen nicht
lockend die Erföliung zeigt, bleibt alles Nachahmen ein eiteles
Thun. Wäre der Italiker phantasielos und ohne Erfindungsgabe
gewesen, wie heute auf die Autorität kecker und beständig über
das Ziel hinausschiefsender Meister geglaubt zu werden pflegt und
wie auch der Verfasser dieses Buches glaubt, so wurden sie nicht
so gelehrige Schuler der Griechen geworden sein, Tä o(AOia
ytyywif»e%a^ %oiq oftoloig. Wie kann es denn dem Italiker, im
Gegensatz zu dem Griechen, an jenem freien Spieltrieb gefehlt
haben, der die Vorbedingung aller künstlerischen und litterarischen
Hervorbringungen ist? Das Gesetz von der klimatischen Gebunden-
heit der Volkscharaktere übt auch heute noch seine Wirkung, ob-
gleich ihm die alle Schutzdämroe sprengenden fremdländischen
Einflösse entgegenarbeiten. Nun betrachte man heutige Italiker,
die alles der Natur, nichts der Bildung verdanken. Sind das
Wesen, denen man, in scharfem Gegensatz zum Griechen oder
gar zum Germanen, die Phantasie und den freien Spieltrieb ab-
sprechen kann? Man mufs dem Verfasser zugeben, dafs es eine
Verkehrung des Naturlichen ist, wenn eine Litteratur mit dem
Drama anhebt, wie die römische, aber man soll daraus nicht
schliefsen, dafs den Bömern jener schöpferische, nach einem
innern Gesetze waltende Trieb fehlte, der bei den Indern, Griechen
und Deutschen zunächst Episches und Lyrisches in Fülle hervor-
spriefsen liefs. Man vergesse doch nicht, dafs jede natürliche
Entwicklung sehr langsam ist. Die ausschliefsliche Beschäftigung
mit der politischen Geschichte zieht den Geist ins Enge. Wenn
so ein Historiker aus seiner andersgearteten Ferne während des
Verlaufs einiger in den Augen der Natur lumpigen Jahrhunderte
nichts Sichtbares mehr erkennen kann, da, meint er, sei auch
nichts gewesen. Sagen wir doch lieber so: ehe die Keime künftiger
Epen, die ohne Zweifel auch in der Seele der begabten italischen
Rasse schlummerten, sich entwickeln konnten, ging ihnen die
blendende Sonne des Griechentums auf. Es giebt ein Überlegen-
heit, die niederschmetternd ist, der gegenüber auch der Stolze
nicht an Widerstand denkt. Dieser Art war die Überlegenheit
der zu einer reifen und vielseitigen Schönheit entwickelte griechi-
schen Litteratur, als sie in den Gesichtskreis der Römer trat.
Der Abstand war ein zu grofser. Da blieb nichts übrig, als sich
willig zu ergeben. Trug nicht überdies die griechische Litteratur bei
all ihrer Vollendung einen jugendlichen Charakter? Was die Römer
dort hörten, entsprach dem Ideal, welchem sich auch ihr Denken
und Empfinden entgegensehnte, während die Franzosen im Zeit-
alter Ludwigs XIV. und die Deutschen im vorigen Jahrhundert, um
auf den Bahnen der Alten zu wandeln, den Druck einer ziemlich
starken Gegenströmung überwinden mufsten.
Doch ich wende mich den Einzelnen zu. In der ersten
Zeiteehr. f. d. QynuiMwlweeen XliVüI. 9. 37
578 T^* Birt, £ine rbmische Litteratargeschichte,
Vorlesung wird die geniale Laune des Plautus glöcklich geschildert.
„Diese muntere Seifensiedernatur hätte es sich unter ihren Mehl-
säcken nimmer träumen lassen, dafs wir 2000 Jahre später ihn
feiern würden als eine Ilauptgröfse der Weltlitteratur^*. Auch
die Schilderung einer römischen Theatervorstellung ist ebenso
anschaulich als belustigend. Terenz aber wird, wie gewöhnlich
in den Darstellungen der römischen Litteratur, in einen zu scharfen
Gegensatz zu Plautus gesetzt. Mag er auch nicht die tolle Aus-
gelassenheit und die Shakespearische Willkur des Plautus haben,
so soll man doch nicht sagen, das Volksthealer nähere sich mit
ihm dem Hoftheater, der Sklave selbst werde bei ihm zum feinen
Mann, seine Thais und Bacchis seien feine Weltdamen. Das läfst
den Terenz in einem falschen Lichte erscheinen, zumal wenn
man, wie der Verfasser dieses Buches, zu einem gröfseren Publikum
redet. Weder Plautus ist rein volkstumlich, noch Terenz rein
konventionell. Wenn es auch richtig ist, dafs Terenz dem er-
leseneren Ton und Geschmack der Vornehmen Roms zu genügen
wufste, so soll man sich doch diese gebildete Gesellschaft nicht
in dem Anständigkeitsideal der heutigen guten Gesellschaft oder
der klassischen französischen Hofgesellschaft befangen vorstelleo.
Terenz ist ja doch ein naiver Dichter, und naiv war auch jene
Gesellschaft, der er so geßel, wenn man auch, wie Horaz in der
epist. ad Pisones (270 — 274) sagt, in diesen Kreisen der Meinung
war, dafs es in der litterarischen Toleranz ein wenig weit geben
heifst, die Verse und Witze des Plautus zu bewundern.
Es folgt die zweite, bis auf Augustus reichende Periode.
„Nur die Form bleibt griechisch", sagt der Verfasser, „wird immer
vollkommener griechisch, der Inhalt wird römisch-national**. Ich
finde vielmehr, dafs die Form bei aller Nachahmung der Griechen
zugleich dem stärkeren, majestätischen Charakter der römischen
Sprache gemäfs gestaltet wurde, und was den Inhalt betrifft, so
ist das Römisch-Nationale darin nur ein Ingredienz, die Substanz
aber das, was man griechische Bildung und Humanität nennt.
Es gab allerdings eine römisch-nationale Gegenströmung. Ver-
mochte sie sich aber dem Griechentum gegenüber zu behaupten?
Der Verfasser behauptet das selbst nicht. Nach der Eroberung
von Korinth strömten Griechen in Massen nach Rom. Überall
in Rom begegnet man griechischen Malern, Bildhauern, Philosophen.
Angesehene Römer legen sich griechische Bibliotheken an und
halten sich griechische Hausgelehrte. Von Ciceros Rede für den
Dichter Archias sagt der Verfasser selbst, sie sei die helle, jauch-
zende Liebe zum Griechentum, während gerade von dem spezifisch
Römischen, z. B. von der fabula togata, nur ganz weniges und
nichts Ganzes sich durch seinen Wert zu behaupten vermocht
hat. Auch Cato verdankte, trotz seines ausgesprochenen Griechen-
hasses, recht viel den Griechen. Über Cicero sagt der Verfasser
manches Richtige und Anerkennende. „Auch an dem Mut ge-
r
angez. voo 0. Weifsenfels. 579
brach es ihm nicht, einmal auf gefährlichstem Posten zu stehen;
die Gelegenheit rifs ihn zur gröfsten Kühnheit hin. Aber es war
jener flackernde Mut des Südländers, der niclit durchhielt''. Von
der Rede für den Sextus Hoscius heilst es, sie sei köstlich frisch
und herzerquickend zu lesen, sie funkele und glitzere in allen
Farben der Sprache. Von der Rede über das Imperium des
Cd. Pompeius sagt der Verfasser, sie prange wie ein Goidge-
scbmeide, sie sei das schönste Ruhmesdenkmal des Pompeius,
die beredteste Lobpreisung, die überhaupt je einem Selbstherrscher
geworden sein dürfte. Dafs Cicero aber nicht altattischen, sondern
hellenistischen Stilmustern folge, möchte ich nicht mit dem Ver-
fasser behaupten. In seinen Reden, ja; aber in seinen Briefen,
wie in seinen rhetorischen und philosophischen Schriften über-
wiegt der attisclie, wenn auch römisch nuancierte Stiicharakter.
Wer übrigens hat je den Atticismus feiner charakterisiert als
Cicero in seinem Orator? Der Verfasser gesteht im übrigen, dafs
eine »^einzig erziehende Kunstvollendung in der Ciceronischen
Sprache sei'S und er erklärt es für gesund, bisweilen in diesen
Strom hinabzutauchen. Auch solle man nicht vergessen, wie
Cicero auch durch den Inhalt und den geistigen Ton seiner
Schriften gewirkt habe. Lebte er doch ganz in den sittlichen
hohen Anschauungen der Besten unter den Griechen. Auch sei er
eines der gröfsten Talente in der Kunst des Popularisierens ge-
Wesen. „Die Humanität, die wir heute uns rühmen vom Alter-
tum gelernt zu haben, ist in jeder Zeile Ciceros lebendig. Diese
Humanität hat nirgends auf breiterem Boden sich dargestellt als
im Schriftencorpus Ciceros. Er vor allem hat geholfen, dafs sie
so Gemeingut wurde« Die Kirchenväter von Minucius Felix bis
Augttstin lernten von Cicero; ein Hieronymus rühmt sich dessen;
es lernte von ihm der Humanismus der Renaissance. Was aus
dem Brunnen griechischer Weisheit und griechischer Menschlich-
keit flob, sammelte sich für den Occident in Cicero wie in einem
gewaltigen Reservoir, um daraus die Gefilde der Zukunft un-
merklich und doch im Tiefsten zu durchtränken''. Das Lob,
weiches dem Lucilius gespendet wird, ist angemessen temperiert:
der Verfasser nennt ihn einen übermütigen Schnellschreiber ohne
Schönheitssinn. Lucrez hingegen wird wohl nicht nach Verdienst
gewürdigt Man mag seine Kunst hart und unreif nennen, aber
er ist groXs und ehrwürdig, und ich behaupte im Gegensatz zum
Verfasser, dafs die gewaltige Wirkung seines Lehrgedichts gerade
auf Rechnung des Persönlichen und Römischen zu setzen ist,
welches er in die Darstellung der Lehre £pikurs gebracht hat Mit
aufserordentlicher Wärme wird Catuli gepriesen, der früh verstorbene.
„Er ist wie die einsame Nachtigall, die zu früh ins Land gekommen;
die Gesträuche sind noch nicht grün, und der Flieder will noch
nicht aufblühen. Aber warte nur, balde spriefst es und blüht es
allüberall, und wir werden einen Chor von Liedern vernehmen^'.
37*
580 'I'h. Birt, Eine römische Litteratargfeschichte,
Vortrefnich wird die für die Litteratur so bedeutungsvolle
Wandlung charakterisiert welche sich beim Ausgange der Re-
publik mit dem Absterben des politischen Interesses in der
ganzen Denkweise vollzog. „So gewann der Römer Zeit zur Ver-
liefung in religiöse Fragen, so auch zur Kunst. Da man dem
Staatswohle nicht mehr leben kann, lebt man sich selber, ein
erzwungener Egoismus; man begann sein Seelenleben zu vertiefen,
aber auch sonst sein Privatleben auszuzieren und inhaltreicb zu
machen^'. Auch die sich daranschliefsende Charakteristik der
Dichter des Augusteischen Zeitalters bietet auf engem Räume viel
Treffendes und Selbständiges. Was diese Dichter borvorgebracht
haben, sind nach dem Urteile des Verfassers Sachen, die die
Menschheit zu lieben und zu lesen nicht aufhören sollte; aber es
sei diese Poesie schwer. Sie zu lesen sei für uns heute weniger
unterhaltend als erziehend. „Es ist wie bei einem Bachscheii
fugierten Chorsatz; erst wer es öfter gehört, erst wer es studiert
hat, kommt zum Genufs; aber er giebt um diesen Genufs gern
alle stark wasserhaltigen modernen Salonstucke hin^^ Sie haben
uns nur wenig hinterlassen, diese Augusteischen Dichter, aber
dieses Wenige ist schwer zu erschöpfen. Es ist kein uneinge-
schränktes Lob, welches diesen Dichtern hier gespendet wird,
aber der Tadel mischt sich in diskreter Weise 'bei. Was über
Vergil gesagt wird, ist einfach vortrefflich. Das berühmte Schlofs
in Versailles, in welchem das deutsche Kaisertum proklamiert
worden ist trägt die Inschrift: A toutes les gloires de la France.
Der Aeneide, meine ich, könnte man die Inschrift geben: A toutes
les gloires de Rome. Und doch lebte in diesem Dichter, der der
Nationaldichter Roms wurde, wie der Verfasser ausführt, eigentlich
keine römische Seele. Die Aeneide nennt er das Diadem um das
Haupt des kaiserlichen Rom ; die Georgika sind ihm „das Schönste
und Wohligste'', was man sich denken kann. Fraglos seien hier
alle griechischen Muster weit öbertrofTen. Er nennt diese Verse
ewig und klassisch. Keinen Buchstaben möchten wir ändern,
so erzgefügl steht alles da. „Für den Römer ist fast jede Zeile
des Vergil zum Diktum, zur Sentenz geworden''.
Was über Horaz gesagt wird, finde ich nicht ganz so treffend,
aber es ist immerhin fein zu nennen im Vergleich zu der plumpen
Übertreibung, mit welcher man heute von diesem Dichter meist
wie von einem reden hört, der, ohne selbsterlebte Poesie im
Herzen, unter fortwährender Plünderung griechischer Vorbilder
immerhin recht geschickte lateinische Gedichte zustande gebracht
habe. Im Gegensatz dazu betont der Verfasser die frische Selb-
ständigkeit des Horaz und nennt ihn den stets Originellen. „Seine
Eigenart bewährt sich gleich darin, dafs der sich vom sogenannten
alexandrinischen Geiste, von Romantik und Träumerei auffallig
frei erhielt; der Zeitgeist lief an ihm herunter, wie das Wasser
an der Otter". „Geistreich und interessant ist Horaz in jeder
aogez. von 0. Weirgeofels. 531
Zeile. Er lächelt oft, fast mit Selbstironie, hinter seinen erhabenen
Versen und durch das Gitter der Zeilen hervor; und er ist zudem
voll der feinsten Bezüge zu seiner Gegenwart, deren überlegener
Zuschauer er war''. Aber der nach Vergil am meisten gelesene
Dichter Roms war doch Ovid. Das dankte er seinen Metamor-
phosen. „Dies war Roms Decamerone**.
Auf die erklommene Höhe der Augusteischen Poesie folgt
nun nicht ein jäher Absturz, sondern gleichsam ein Hochplateau,
wie der Verfasser sagt (von August us bis zu den Antoninen).
Der kurzen, aber anschaulichen Schilderung der Zustände jener
Zeit sind meist recht glückliche Charakteristiken der stimm-
führenden Schriftsteller und der einzelnen Kreise eingefugt. In
dem Bestreben das Vergangene gegenwärtig zu machen, wird
freilich bisweilen zu weit gegangen. So heifst es von Hartial:
„Es war der Kladderadatsch, der Stettenheim, der Wilhelm Busch
Roms". Zu besonderem Verdienste rechne ich es dem Verfasser
an, dafs er den gröfsten Schriftsteller dieser Zeit, ich meine
Seneca, der heute mit plattem Tadel abgefertigt zu werden
pflegt, nach Verdienst gewürdigt hat. Er erklärt, dafs die
religiöse, mit stätigen Todesgedanken verbundene Tugendlehre
in der ganzen Profanlitteratur nie so schön und gefühlvoll vor-
getragen worden sei. Seinem Urteile über Tacitus aber kann ich
nicht zustimmen. Die ernste Seele des Tacitus, heifst es bei
ihm, ruhe auf der nämlichen erhabenen WeltaulTassung, die
Domitian verfolgt, die Seneca verewigt habe. Nein! des Tacitus
Gedanken und Urteile wurzeln im Politischen, ja im politischen
Parleistandpunkfe; Seneca hingegegen erhebt sich hoch über das
Politische, er ist jeder Zoll ein Philosoph.
Die fünfte Vorlesung behandelt das Aufblähen einer römischen
Litteratur in den Provinzen und die Zeit der christlichen Klassi-
cität. Diese von unten auf entstandene Litteratur hat dem
christlichen Mittelalter seinen wesentlichen Inhalt zubereitet. Rom
giebt jetzt auch nicht mehr, Rom empfangt. Die Vi^ände sind
plötzlich wie weggeschoben und himmelweite belebte Fernsicht
umgiebt uns. Welch neues, gesteigertes Leben in den Provinzen!
„Griechenland, die spanische Halbinsel, Södfrankreich, das Seine-
gebiet, Tunis und Marocco haben sich im Verlauf der ganzen
Weltgeschichte bis heute kaum je ähnlich geordneter und ge-
segneter Verhältnisse erfreut, wie im Anfang des zweiten Jahr-
hunderts''.
Zum Schlufs noch ein Wort über die Form, in welcher sich
das Buch darbietet. Der Ton ist überall frisch. Schwerfallig
gebaute Sätze finden sich nicht. Oft genug sind die Sätze im
Gegenteil zu modern kurz und verbindungslos. Der Verfasser
wollte seiner Rede offenbar den Charakter des Improvisierten,
unter einem übermächtigen Eindrucke Hervorquellenden geben.
Das hat seine Vorteile: dem Buche klebt nichts Zopfiges an, und
582 Ed. Wolff, Lateioisch« Lesebücher,
das Besprochene wird dem Leser in eine greifbare Nähe gerückt.
Aber die Überarbeitung hätte doch manche saloppe Konstruktionen
und manche burschikose Ausdrücke entfernen müssen. Piautus
wird ein kleiner fideler Plebejer genannt, Cicero ein rühriger
guter Herr. Dem Cicero wurde das Haupt heruntergeschlagen,
„sogar die Hände abgeschnitten ; es waren die Hände, mit denen
er die Philippica geschrieben''. Cleopatra wird als eine par-
furnierte Frauengestalt charakterisiert. Vergil wird gar eine ehr-
liche Haut genannt. Von seinem Jugendfreunde Gallus heifst es,
er war vielleicht „Compenäler'* Vergils in Cremona. Dem
Horaz wird eine ,«feudale'' Offiziersstelle zu teil. Er wird neben-
bei ein kleines Kerlchen genannt. Von Ovid heifst es bald
darauf, dafs er als müder, betagter Herr starb. Daneben auch
groteske Übertreibungen, die auf den Ungebildeten wirken, den
Gebildeten beleidigen. „Rom der einzige Verlagsort Die Laden-
hüter liefs man von dort ladungsweise in die Provinzialstädte
abgehen'*. „Die Dichtet* liefen rudelweise herum'* (besser Horaz:
Scribimus indocti doctique poemata passim). Dergleichen findet sich
in unmittelbarer Nähe nicht blofs bezeichnender» sondern im höheren
Sinne schöner Wendungen. Das ist unattisch und hätte von einem,
der durch die Form offenbar wirken wollte, vermieden werden sollen.
Gr. Lichterfelde bei Berlin. 0. Weitsenf eis.
Eduard Wolff, Weilers Lateinisches Leseboch aas Herodot.
Achtzehnte umgearbeitete Auflage. Frankfurt a. Main 1893, Kessel-
riDgsche Hofbnchhandlung. XU u. 157 S. gr. 8. 1,80 M.
Eduard Wolff, Übungsbuch zum Obersetzen aus dem Deutschen
ins Lateinische im Anschlufs an Wellers Lateinisches Lesebach
aus Herodot. Frankfurt a. Main 1894, Kesselringsche Hofbnchhandlnng.
VI u. 120 S. gr. 8. 1,20 M.
Wellers Lesebuch aus Herodot gehört zu den besten Schul-
büchern seiner Art. Dies beweisen nicht nur die 17 Auflagen^
die es bisher erlebt hat, sondern dafür spricht auch das ein-
stimmige günstige Urteil aller Lehrer, die dieses Buch beim
Unterricht benutzt haben. An einem dem jugendlichen Alter zu-
sagenden Stoff vermögen selbst weniger geübte Lehrer bei Be-
nutzung dieses Buches die Quintaner in einem Jahre so weit zu
bringen, daljs sie sich ohne Mühe selbst in den Cornelius Nepos
hineinfinden. Getadelt wurde an dem Buche bisher nur, daDs es
im Satzbau und z. T. auch in einzelnen Ausdrücken den color
Latinus vermissen lasse. An einzelnen Ausdrücken ist in den
neueren Auflagen manches verbessert worden. Den Satzbau zu
ändern, schien weder dem verstorbenen Weller, noch dem späteren
Bearbeiter rätlich. Ganz mit Recht ; denn ein klassisches Latein, auch
in dem einfachsten Periodenbau der lateinischen Historiker, ist für
angehende Quintaner zu schwierig. Daher sind es auch wohl in
der Regel nicht die Mängel der Wellerschen Latinität gewesen.
angez. von L. Spreer. 5g3
dorcb die man sich an einer Anzahl von Schulen in der neueren
Zeit enUchlossen hat, den Wellerschen Herodot abzuschaffen. Der
Grund, weshalb man das Buch nicht weiter gebraucht, ist wohl
vielmehr darin zu suchen, dafs man nicht auf die Benutzung eines
Übungsbuches verzichten wollte, das sich Schritt für Schritt dem
Lehrgang in der Grammatik anschliefst, und dafs man neben der
Durcharbeitung dieses Übungsbuches jetzt bei der beschränkten
Stundenzahl nicht mehr Raum für die Weller-Lektüre' fand. Man
kann auf diese jetzt auch eher verzichten, da die neueren Auf-
lagen der üblichen Übungsbücher ja alle auch zusammenhängende
Lesestucke enthalten. Um das treffliche Wellersche Lesebuch der
Quinta zu erhalten, wäre vor allem nötig gewesen, daüs ihm ein
Übungsbuch zum Übersetzen aus dem Deutschen ins Lateinische
an die Seite gesetzt worden wäre, welches die Einführung andrer
Lehr- und Übungsbücher von der Art des Ostermannschen und
Schönbornschen überflüssig machte. Ein Versuch in dieser Rich-
tung ist durch die Succowschen Übungsstücke gemacht worden,
dieselben weisen aber mehr auf das Bedürfnis hin, als dafs sie
dasselbe wirklich befriedigen. In ibrer Art vortrefQich und ganz
dem Charakter des Wellerschen Buches entsprechend, sind die
Übungsstücke von Bolle; dieselben haben aber wohl deshalb an
den Schulen, welche Wellers Herodot benutzten, nicht den er-
warteten Eingang gefunden, weil sie sich nicht dem grammatischen
Lehrgang der Quinta anschliefsen.
Um das Wellersche Buch weiter konkurrenzfähig zu machen,
hat die Verlagsbuchhandlung zunächst die 18. von Eduard WoUl
umgearbeitete Auflage des Lesebuches erscheinen lassen. Durch
dieselbe sollen die Klagen über mangelhafte Latinität des Buches
beseitigt werden. Es hat der Stil in der That ein mehr lateinisches
Gepräge bekommen, die Erzählung schreitet in einfachen, aber
abgerundeten Perioden fort, sodafs in dieser Beziehung allen billigen
Anforderungen entsprochen ist. Allein es ist geschehen, was zu
bdürchten war. Das Buch ist für die Quinta unbrauchbar
geworden, da es nicht gelingen will, die aus der Sexta kommenden
Schüler in die Lektüre desselben hineinzubringen. Nach des Ver-
fassers Vorschlag soll es im zweiten Halbjahre der Quinta benutzt
werden. Aber zu einer Benutzung von zwei Lesebüchern in einer
Klasse wird man schwerlich Neigung finden. Das Buch kann
jetzt nur noch in der Quarta benutzt werden, wo es neben dem
Cornelius Nepos und anderen neueren Lesebüchern schwer Eingang
finden wird. In diese Klasse gehört das Buch jetzt auch durch
seinen Inhalt, da der Verfasser absichtlich durch vervollständigende
Zusätze, durch Anführung von Eigennamen, durch Entwickelung
der Motive der Handlung» die einzelnen Geschichtchen mehr in
zusammenhängende Geschichte verwandelt hat. Er ist hierin u. E.
stellenweise sogar über das Mafs dessen hinausgegangen, was für
die Quarta wünschenswert erscheint.
584 ^^' Wolff; Lateinische Lesebücher, ao^ez. vod L. Spreer.
In Bezug ciuf die Latinität bedOrfeD einzelne Steilen der Ver-
besserung, z. B. S. 2 Bis mim tantae res erant, quantae necessi-
tatibus sufficerent statt ut oder qnae; S. 3 frooßimarum fines
aggrediens magnam praedam faciehat statt aggressus; S. 5 das
Wort dehartari wird sonst wohl Schülern nie begegnen und ge*
hört daher nicht in dieses Buch; S. 7 Etiatn hoc Medi fecerurU statt
atque etiam hoc oder hoc e/tam; munus quodcunque st. quodcunque
voles; S. 26 senteniiam tulerant, ut mors obeunda esset st. ut mortem
obirent oder mortem obeundam esse\ S. 30 militiae vacationem
remistt steht zwar wörtlich so bei Justinus, sollte aber nicht in
ein Schulbuch aufgenommen werden, da es eine unklare Aus*
drucksweise ist, in der militiam remistt und militiae vacationem
dedit Terschmolzen sind; S. 38 und öfter tibi siUnecit st subegit
u. 8. w. Solche Unebenheiten werden sich in einer späteren Auf-
lage beseitigen lassen; zu bedauern ist nur, dafs ein so
gut gearbeitetes Buch — wie oben schon angedeutet wurde —
in dem stufenweise fortschreitenden Lehrgang unserer höheren
Schulen schwer eine geeignete Stelle finden wird.
Dasselbe gilt in noch höherem Grade von dem Wolffschen
Übungsbuche zum Übersetzen aus dem Deutschen ins Lateinische.
Es wird in diesem Buche im wesentlichen derselbe Stoff, den das
Lesebuch bietet, in neuer Form gegeben. Der deutsche Ausdruck
ist so, dafs man die Erzählungen mit Vergnügen liest, und dennoch
lassen sich dieselben ohne grofse Umwandlungen in gutes Latein
übersetzen. Gleichwohl wird das Buch schwerlich an preufsischen
Gymnasien zur Einführung gelangen können. Hier sollen jetzt
die Übersetzungen nur noch den Zweck haben, den Spracbstoff
der Lektüre einzuüben und die grammatischen Regeln dem Schüler
zu sicherem Verständnis zu bringen. Diesen Zwecken dient das vor-
liegende Übungsbuch aber nicht; denn in dem Bestreben, den
Schülern eine gewisse Mannigfaltigkeit des lateinischen Ausdruckes
zu geben, hat Wolff leider die Vokabeln und Redensarten des
Wellerschen Lesebuches zu wenig wieder angewandt Und die
grammatischen Erscheinungen, mit welchen ein Quartaner vertraut
gemacht werden mufs, finden sich ohne jede systematische Ord-
nung über das ganze Buch zerstreut. So wie es jetzt vorliegt« würde
man das Buch kaum in den letzten Monaten der Quarta
gebrauchen können, also vielleicht mehrere Monate, nachdem man
die lateinischen Stücke, auf welche sich die Übungen beziehen
sollen, mit den Schülern behandelt hat. Es würde das Übei^etzen
aus dem Wolfischen Buche zu einer ganz selbständigen Übung
im Gebrauche der lateinischen Sprache werden, die gewifs manchem
Lehrer wertvoll erscheinen wird, für die in unserem jetzigen
Gymnasium aber kein Raum mehr vorhanden ist.
Putbus. L. Spreer.
Fr. Holzweifsiip, Lat. ÜboDf^sbach, ao^ez. von 0. Josopeit. 585
Fr. Holzwei fsig^yObvaf^s buch für den Unterrichtim Lateinischen.
Korsos der Ober-Tertia, Haonover 1894, Norddeotsche Verlagsan-
sUlt. VIII 0. 196 S. 2,20 M.
Bei der Besprechung des Kursus für Unter-Tertia desselben
Werkes wies ich darauf hin, dafs es doch seine Bedenken habe,
den Stoff für das lateinische Übungsbuch der mittleren und oberen
Klassen ganz allein der Lektüre derselben Klasse zu entnehmen;
infolge der unablässigen Wiederholung — ich möchte fast sagen
Wiederkäuung — ein und desselben Gegenstandes stelle sich leicht
Gedankenlosigkeit und selbst Ekel ein, und es sei daher — we-
Digstenst Yon Ober-Tertia an — besser, andere verwandte Stofle
der römischen oder griechischen Geschichte zu verarbeiten oder
auch femerliegende Stoffe unter Verwertung der durch die Lektüre
gewonnenen Vokabeln und Redewendungen.
Der Verf. ist aber auch in dem Kursus für Ober-Tertia bei
seineoi bisherigen Verfahren geblieben und bietet als Übersetzungs-
stücke nur die Umarbeitung der Klassenlektflre, der vier letzten
Bücher aus Caesar's bellum Gallicum. Eine Änderung dieses Ver-
fahrens lehnt er in der Vorrede ab, indem er sagt, er habe
um 80 weniger Grund von den in den vorhergehenden Teilen
beobachteten Grundsätzen abzugehn, als dieselben durchaus den
Lehrplänen vom 6. Januar 1892 entsprächen. Ist das aber wirklich
der Fall? Doch nicht unbedingt. Diese Lehrpläne bestimmen
zwar für Quarta, Tertia, Unter-Sekunda und Prima (für die Ober-
Seknnda fehlt diese Bestimmung), dafs die Übersetzungen ins La-
teinische sich an das Gelesene (in Tertia also an Caesar) an-
lehnen (oder an einer andern Stelle anschliefsen) sollen.
Eine Anlehnung ist aber doch nicht allein in einer
Umarbeitung oder Variation desselben Stoffes zu
finden, sondern ebenso gut auch in der Darbietung eines ähn-
lichen Stoffes oder auch in der Bearbeitung eines anderweiten
antiken Ereignisses, die sich in der Phraseologie an die
Lektüre anlehnt; ein Verfahren, welches mehrere andere her-
vorragende Übungsbücher angewandt haben. Aber selbst wenn
die Lehrpläne — was ich durchaus bestreiten mufs — geradezu
eine Umarbeitung nur desselben Stoffes vorschreiben würden, so
hat uns die zweijährige Erfahrung seit Inkrafttreten der Lehrpläne
doch gelehrt, dafs bei dieser Behandlung der lateinische Unterricht
zu sehr an Wert verlieren würde, wenn die Sekundaner und
Primaner gar nicht mehr imstande sein sollten, einen Text ins
Lateinische zu übersetzen, der mehr als eine blofse Umschreibung
der Lektüre des letzten Vierteljahrs wäre. Ist es dem Verf. nicht
bekannt, dafs die Provinzialschulräte darauf bestehen, dafs für die
Reifeprüfung ein anderer Text vorgelegt wird ? Und wie könnten
die Abiturienten einen solchen Text übersetzen, wenn sie nicht
in den obern Klassen die nötige Übung erlangt hätten? Es wäre
sehr zu wünschen, dafs der Herr Minister eine klare
586 V. Müller, Lat Lesebuch f. Qoarta, agz. v. H. Grossmaao.
und bestimmte Deklaration der Lehrpläne in dieser
Beziehung gäbe.
Nun meint der Verf. in der Vorrede weiter, wer die Schüler
an ein Übersetzen ins Lateinische ohne lateinische Vorlage ge-
wöhnen wolle, werde unter geeigneter Anleitung in der Klasse
auch solche Stücke übersetzen lassen, zu welchen der betreffende
Cäsarabschnitt noch nicht gelesen sei. Das wäre allerdings schon
eine kleine Verbesserung. Aber es bleibt trotzdem das Ge-
fühl des Überdrusses, der Überladung, des Ekels in
dem Gemüte des Tertianers, der zwei Jahre hindurch
in wöchentlich sieben Stunden nur von Caesar und
seinem Gallischen Kriege hört; es wäre wahrhaftig kaum
zu verwundern, wenn jenes für die Schullektüre so sehr geeignete
Werk den Schülern schliefslich geradezu yerhafst würde.
Sieht man von dieser Prinzipienfrage ab, so mufs man an-
erkennen, dafs die Übungsstücke sehr sorgfaltig und dem Klassen-
standpunkte angemessen bearbeitet sind, ein recht lesbares Deutsch
enthalten und — obwohl zum gröfsten Teil im AnschluTs an be-
sondere Abschnitte der Grammatik bearbeitet — sich von Häufung
grammatischer Schwierigkeiten und Seltenheiten fernhalten.
Die gleiche Anerkennung verdient der zweite Teil des Buches,
die Beispielsammlung zur Ableitung grammatischer Regeln, deren
Sätze fast ganz aus Caesar und Nepos genommen sind.
Zu billigen ist auch, dafs in diesem Kursus die grammatischen
Regeln nicht mehr formuliert sind, sondern dafs auf die Gram-
matik selbst verwiesen wird.
Rastenburg. Otto Josupeit.
V. Möller, Lateinisches Lese- and Übangsbach für Quarta.
Altenbarg 1S93, H. A. Pierer. VI u. 136 S. 2,20 M.
V.Müller, Alphabetisch geordaetes Wörterverzeichnis za dem
Lateinischen Lese- und Obunj^sbache für Quarta. Alten-
barg 1893, H. A. Pierer. 66 S. 8.
Das Buch enthält folgende Abteilungen: 1. Lateinische Lese-
stücke, 2. deutsche Übungsstücke und 3. Regeln nebst Huster-
beispielen aus der Grammatik. Die lateinischen Lesestücke sind,
abgesehen von einigen Dialogen und Briefen, durchweg aus Livius
herübergenommen; sie sollen, wie der Verf. sagt, „die mit Recht
angefochtenen Lebensbeschreibungen des Com. Nepos*^ ersetzen.
Um diesen Stoff, über dessen Wahl man verschiedener Ansicht
sein wird, den Schülern mundgerecht zu machen und zugleich
die Übungsbeispiele zur Kasussyntax hineinzubringen, sind man-
nigfache Änderungen notwendig geworden. Trotzdem ist in
dieser Beziehung noch sehr viel zu thun; denn es ist eine Reihe
von Wortformen und von Wendungen stehen geblieben, die ent-
weder selten oder dem Livius eigentümlich sind und dem Quar-
taner noch erspart bleiben müssen; dabin gehdren ofroedtend'or
LaUnaai-Miiller, Gr. Gramnatik, agz. v. P. WeifseDfels. 5g7
S. 45, vulgatiar S. 4, primores S. 14, henef actum S. t21, smecta
S. 123, .fenerator S. 33, exactar S. 18, conviciator S. 54, ales
& 36, antmantes S. 1 36, turmales S. 44, moribundus und venera-
ftimius S. 28 u. a. m. Bedenklich ist auch der Ausdruck: montes,
(«1 usque ad extremes Italiae ftnes currunt S. 16.
In dem Auszuge aus der Syntax ist das Kapitel von der
Kongruenz am meisten besserungsbedurftig. Hier kann S. 114
der Satz: „In diesem Falle steht das Subst. mobile im Masc,
veno das Subjekt ein Neutrum ist'' ganz gestrichen werden.
S. 1 15 igt hinzuzufügen, dats bei mehreren Subjekten sich das
gemeinsame Prädikat auch auf das zunächststehende Subjekt be-
ziehen kann. Sonst könnte die Zahl der Beispiele in dem Aus-
zuge erheblich vermindert, vielleicht auch dasselbe Beispiel für
mehrere Regeln verwendet werden.
Das lateinisch-deutsche und deutsch-lateinische Wörterver-
zeichnis ist ziemlich ausführlich gehalten, wie das bei der Über-
füiile der dem Schüler unbekannten Wörter in den Liviusslucken
Dicht anders möglich ist. Angefugt ist noch eine kurze „Zu-
nrnmenstellung der wichtigsten in Quarta vorkommenden Redens-
arten". Dagegen fehlt es an einem systematisch angelegten
Vokabularium zur Erweiterung des Wortschatzes, wozu weder
das „Wörterverzeichnis" noch die „Zusammenstellung" verwendet
werden kann.
Saargemünd. H. Grossmann.
i. LattmaoD nnd H. D. Müller, Griechische Grammatik für
GymDasien. 1. Teil: Formenlehre. Fünfte verkürzte Auflage
besorft von Hermann Lattmann. Göttingen 1893, Vandenhoeck und
Rnpreeht. IV a. 130 S. 1,40 M.
Nachdem der zweite Teil der griechischen Grammatik von
J. Lattmann und IL D. Hüller, die Syntax von H. D. Müller, be-
reits 1888 in einer verkürzten Auflage erschienen ist, hat nun-
mehr H. Lattmann auch den ersten Teil , die Formenlehre , in
einer solchen herausgegeben, in der der Umfang der vierten Auf-
lage von 179 S. auf 130 S. zusammengeschrumpft ist. Ziehen
vir die ziemlich eingehende Wortbildungslehre, das Vokabularium
der besprochenen W^örter und das alphabetische Verzeichnis der
behandelten Verba ab, so entfallen auf die eigentliche Formenlehre
jetzt noch 108 S., auf denen H. L. wie seine Vorgänger aufser
dem attischen Dialekt besondere auch den homerischen gelehrt
hat. Präzision und Korrektheit des Ausdruckes sind auch un-
serer fünften Auflage nachzurühmen. Hier die wenigen Fälle, in
denen in dieser Hinsicht noch etwas zu thun erübrigt. Zunächst
folgende Konstruktionen: §10Anm. 1: Die Enkliticä behalten
ihren Accent . . . b) bei den persönlichen Prononimen . : . c) bei
ku\ § 74. 2 Anm. 1: Auch aigia Aor. Ind. ^Qa wegen des Aug-
ments, aber Conj. a^o»; $ 97: Aor. H Act. . . . (von ii^fki) er-
588 J- Lattmano a. H. D. Möller, Griechische Grammatik,
halten das Augment £«; § 105: Von der schwachen Stammform
werden . . . gebildet . . . ßiJTfjp und ßdxniv. Wie die meisten
dieser Regein sind wegen allzugrolser Kürze anstöfsig die Worte
in § 89. 4c: Selten mit Bindevokal a, und in § 106. 1 : die kon-
sonantische Stammform.
Obwohl nun L. die vierte Auflage körzen wollte, so mochte
er doch den Schritt nicht thun, den Kaegi neuerdings in seiner
kurzgefafsten Schulgrammatik gethan hat, und nur Lernstoff bieten
auf Grund eines für alle Schulen verbindlichen Kanons von
Schriftstellern. Wurden doch die Bildungen erst dann recht an-
schaulich, wenn sie ohne Rücksicht auf einen solchen an einer
gröDseren Zahl von Formen gelehrt würden. Auch lege solch ein
Lernbuch dem Lehrer die Versuchung nahe, den ganzen Inhalt
und damit trotz aller Einschränkung des Stoffes zu viel zu lehren,
erreiche also leicht das Gegenteil von dem, was sein Verf. be-
zwecke. Denn das eigentliche Lernpensum sei noch viel geringer,
als das selbst von den kürzest gefaüsten Grammatiken gebotene:
schon Besonderheiten wie die Kon Irak ta der ersten Deklination,
die attische Deklination, y^^^ ^ Zsvq, xvoaPj ngstfßsvTijg , die
Verba, die anlautendes s durch Augment zu st verstärken, Verba
mit syllabischem und temporalem Augment zugleich seien nicht
in dem Sinne Lemstücke wie die Hauptparadigmen. Wenn aber
der Lehrer darauf angewiesen sei, selber zu überlegen, was na-
mentlich mit Bücksicht auf den Fortschritt der Klasse in der
Lektüre von der Grammatik durchzunehmen sei, so könnten auch
die selteneren Formen nicht stören, die nur zur Veranschaulichung
eines Gesetzes dienten. Dieser Standpunkt hat seine Vertreter
wie der Kaegis. Billig aber sind die Forderungen, dafs Formen,
die auf keiner Stufe des Unterrichts zum Lernstoff gezogen wer-
den dürfen, klein gedruckt oder den Anmerkungen zugewiesen,
und dafs solche, deren Vorkommen angezweifelt wird, überhaupt
nicht in die Schulgrammatik aufgenommen werden. Darum be-
anstande ich einerseits den Platz oder Druck der Formen i<S%ak'
S'fjVj ixtdv&^v (ixTdd-fiv)j (äydiifjVj Svpfi {=dvpa(Sai), der
augmentlosen Formen l/i£v, l/u^v, l^d^^iv, anderseits die Aufnahme
der Formen Sierat, diad&ai. Manche Formen sind zur Durch-
fuhrung des Paradigmas nur fingiert. Diese hat L. zuweilen in
eine eckige Klammer gesetzt {iaxixstv)^ häufiger aber wie völlig
geläufige angeführt, und zwar nicht nur ißXttpdfAtjv, irQitpdfiiiP,
tQt(pd'ijao(jkat (nach Krüger allerdings einmal bei Appian), axlao'
fiat^ iox^cdiAifv, sondern auch iyqdipd'fiv und ine^adfiiiy. Auch
das mifsfallt mir. — Übrigens sind die poetischen Verba nicht
immer als solche genügend kenntlich gemacht, so § 80. 1 Anm. 1
äsiddo, dl(f(f€Oy dv%i(ü und besonders § 109 ff. mehrere unregel-
mäfsige. Irrtümlich ist § 39 'Aidfjg, § 89 ttd-ifAsvat als home-
risch angeführt, sowie § 87 XeXvto und lelvyto, während nur
das eine oder das andere, und zwar (f 238, gelesen werden kann.
iDgez. voo P. WeifseDfelfl. 5g9
Die Formen der Dramatiker sotyfAey und eX^aat könnten § 100
auch aJs homerische aufgefafst werden. — Über das MaCs, in dem
die Ergebnisse der Tergleichenden Sprachforschung in die Schul-
grammatik aufzunehmen seien, gehen die Meinungen mehr als
aber anderes auseinander, und unsere Lehrpläne nehmen zu der
Frage nicht Stellung. Ich will mit meiner Antwort darauf hier
zurückhalten und nur dies feststellen, dafs L. zu den Extremen
gehört, die jene Ergebnisse auch wohl in solchen Fällen lehren,
die för das allgemeine Verständnis der Formenlehre, sei es des
attischen Schriftstellers, sei es des Epos, gleichgiltig sind: er ent-
wickelt, dafs idiio aus fjöiovaa geworden ist, dafs nokv durch
Synkope in nAv verwandelt, hierzu als einem schwachen Stamme
der starke Stamm nXetf, nksf gebildet und aus diesem durch das
Medium nXffiaav der Komparativ nXsioav entwickelt worden ist.
Über die einleitenden Paragraphen und die Behandlung der
Deklination will ich mich ganz kurz fassen und manche Bedenken
nicht wiederholen, die ich vor kurzem in der Anzeige der Gram-
matik von Holzweifsig geäufsert habe. Der Stoff ist im ganzen
angemessen vorgetragen, der Gesamteindruck günstig. Dafs die
Regel über die Abteilung der Silben in der vierten Auflage rich-
tiger war, zeigen die Beispiele ai'tfxqoq, i'X^Qog^ i'(fx^k6g,
a-a^fAtt. Eine Bemerkung über den Accent der betonten langen
Nom.-, Acc- und Vokativausgänge glaubt L. nicht nötig zu haben,
und so findet er denn auch an den Perispomenen natg, näg^
cvg u. s. w. nichts Auffallendes. Doch möchte ich glauben, dafs
unter diesen Umständen der Accent der Oxytona ttfiijy ri/iag,
^€Ovg, ßaaiXtvg vom Schüler als etwas Zufälliges empfunden und
lange beim Übertragen in das Griechische verfehlt werden wird. Die
Erklärung des Paradigma ävi^q übersieht den Vok. avsq und die
frohere Bemerkung über den Dativausgang crcx». In dem Aus-
druck „reiner Stammes der in der dritten Deklination häufig be-
gegnet, scheint mir das Adjektivum ein pleonastischer Zusatz zu
sein. Ungewöhnlich und erst in der fünften Auflage gebraucht
ist hier dier Unterscheidung eines starken und eines schwachen
Stammes; als stark bezeichnet L. nämlich die Stämme yeyotf^
ßflxiovit^ leXvxfor, xvop, xaquvtj nXfß (nXsv)] als schwach
TiveCy ßeXrtoy, XeXvxvr, xvy, xa^*«T, nXv (noXv).
Damit komme ich zu der Behandlung der Verba, zunächst
der Klasse auf w. Wie 4n der vierten Auflage machen auch in
der fünften die v. contracta den Schlufs; abgesehen hiervon aber
sind in der Anordnung und Behandlung des Stofl'es gar manche
Änderungen vorgenommen. Auf wenige einleitende Bemerkungen
ober die Zahl der griechischen Numeri, Tempora u. s. w. (§ 62),
in denen der Verba auf /u» noch nicht Erwähnung geschieht, folgt
(§63) das Paradigma Xva, in dem die Ausnahmen von der § S
gegebenen Hauptregel für die Betonung in der Konjugation durch
ein Sternchen gekennzeichnet und dem eine Erklärung der nicht
590 J* LattmaDQ u. H. D. Müller, Griecliisehe Grammatik,
durch Striche in Bindevokal und Personenzeichen zerlegten Aus-
gänge beigegeben ist. § 64 behandelt nun die Stammformen,
§65 die Tempora, §66 die Endungen, $67 den Ablaut der
Tempuszeichen (Bindevokale), § 68 die Moduszeichen, wobei von
den starken Tempora noch abgesehen ist. Stammformen nennt
L. vier: den Präsens-, den (a. medialen, b. aktivischen*) Perfekt-,
den Aorist- und den Passivstamm, womit er das Fut. Akt zum
Aoriststamme zieht und — nicht gerade glücklich — unter Ao-
riststamm den des Aor. Akt., unter Passivstamm den des Aor.
Pass. verstanden wissen will. Aus jedem dieser Stamme läfst er
zwei Tempora werden, ein präsentisches oder futurjsches und ein
präteritales. Weniger klar als diese Unterscheidungen sind die
Begriffe Tempuszeichen und Bindevokale. Als Tempuszeichen des
Aoriststammes führt nämlich L. aa, ae, ao an, isa für den Aor.
Akt. selbst, as und ao für das von demselben Stamme gebildete
Fut. Akt ; als solches des aktivischen Perfektstammes xa, üb (im
Plusquampf. zu xet gedehnt), xo. In dem Wechsel des Vokales
erkennt er die aus der Wort- und Tempusbildung bekannte Ab-
lautreihe wieder. Wenn er nun zunächst lehrt, in den Formen
des Präsensstammes erscheine zwischen Stamm und Endung ein
Bindevokal, sodann, die Tempuszeichen des Aorist- und Perfekt-
stammes zeigen die Formen (Sa ae co, xa xe xo mit Ablaut, so
siebt das fast so aus, als spräche er den beiden zuletzt genannten
Tempusstämmen den Bindevokal ab und betrachtete den nach x
und (X erscheinenden Vokal als einen integrierenden Bestandteil
ihres Stammes. Übrigens ist <» in der Indikativform kim und
das Fehlen der Endung in dieser und anderen Formen mit Still-
schweigen übergangen und der Ausdruck Endung hier wie auch
sonst in anderem Sinne gebraucht als in der früheren Verbindung
„unzerlegte Verbalendungen'' und in manchen folgenden Fällen.
— In den §$ 69 und 70 über die Einteilung der Stämme und
die Bildung des Präsensstammes springt nun der Unterschied der
neuen Auflage einerseits von der älteren, andererseits von Curtius
in die Augen. Die ältere Auflage spricht von einem Präsens-
und einem reinen Stamme derjenigen Verba, die im Präsens
Laut Verstärkungen erhalten, ferner von einem Verbal- und einem
Wurzelstamme der Verba mit wechselndem vokalischem Inlaute.
Diese Gegensätze sind jetzt aufgegeben; dagegen trennt jetzt L.
vorkommenden Falls Präsens- und Verbalstamm. Bei den voka-
lischen Stämmen, sagt er, ist der Präsensstamm dem Verbal-
stamme gleich; ausgenommen sind mehrere unregelmäfsige Verba
wie aqiaxia^ yfjQäaxa, Damit werden unter sie gerechnet (ab-
gesehen von den ursprünglich mit a endigenden Stämmen) niim^
XiiA u. s. w., die Curtius in die Dehnklasse zieht. Auch bei den
konsonantischen Stämmen, sagt L. weiter, hat zuweilen das Ver-
hältnis statt, z.B. bei n^ftmo, iQißw, YQ^V^^ ötmxm^ Uy^^
ßQi%M^ xpsvdm^ netS-ta^ vifim, [Aivw^ d^^o». Durch diesen Zusatz
angez. vod P. Weirsenfels. 591
werden Yerba auf gleiche Stufe gestellt, die in der vierten Auf-
lage unterschieden worden sind: TQiß(ü, nei&fa, digw, die in den
Formen hqtßfiv, {in^^Ofkfiv), iddqiiv die vom Prisensstamme
verschiedene Wurzel verraten, und solche, die nur einen Stamm
haben. TQißta und nsid'm gehören auch bei Curtius einer an-
deren (II) Klasse an. Nachdem so zwei Klassen aufgestellt
sind, die als Ganze zwar den von Curtius entworfenen beiden
ersten Klassen entsprechen, jede aber wegen der verschiedenen
Merkmale (bei Curtius: Nichtdehnung — Dehnung, bei L.: voka-
lischer — Jconsonantischer Stammauslaul) einen verschiedenen
Besitzstand haben, werden die T- und die Jod-Klasse ebenso wie
bei Curtius begrenzt. — Dafs die Unterscheidung des Verbal-
stammes vom Wurzelstamm aufgegeben ist, erweist sich nun im
folgenden als der Grund einer gewissen Verwirrung. Nachdem
nämlich L. die v. muta und liquida excl. die starken Tempora
§71 — 75 behandelt hat, gelangt er § 76 zu diesen, „die die Aus-
gange ohne die Konsonanten er, x, ^ an den Verbalstamm treten
lassen*'. Der starke Aor. Akt. und Med., lehrt er an der Stelle,
habe die Ausgänge des Imperfekts und könne daher nur von
Verben gebildet werden, deren Verbalstamm sich vom
Präsensstamm unterscheide, während dasselbe Tempus des
Pass. und das starke Perf. Akt. sich auch von Verben bilden
lassen, die keine Stammveränderung zeigen. Da nun, wie wir
gesehen haben, in der neuen Auflage nsid-oa und ebenso Xeinw,
ffv^a zu den konsonantischen Stämmen zählen, deren Präsens-
stamm dem Verbalstamme gleich ist, so wären nach der
Regel des § 76 diese Verba eines starken aktiven oder medialen
Aorists nicht fähig. Tadellos war dagegen die Regel der früheren
AuOage: die erwähnten Aoriste können nur gebildet werden,
wenn mehrere Formen des Stammes vorhanden sind, nämlich
Präsens- und reiner Stamm (zvnv, xvn)^ Verbal- und Wurzei-
stamm (iU»7r^ ^*^)j Präsens-, Verbal- und Wurzelstamm
(srr€fy, xt$v^ xxav). — § 77 bespricht die Stammverän-
derung durch Ablaut. Als Hauptregel wird jetzt vorangestellt:
wie im Deutschen die starken Verba, so haben im Griechischen
viele einsilbigen Muta- und Liquida-Stämme, die im Präsensstamm
einen e-Laut zeigen (a, ^, si oder sv)^ einen regelmäfsigen
Wechsel des Stammvokals, den man Ablaut nennt. An dieser
Regel ist alles angreifbar. IdXsiipta — äX^X$fi(iai, iQsixat—^gixop
beweisen, dafs auch zweisilbige Stämme, x^o) — ix^^V^^ Ttviaa —
nijvwfia$, dafs auch Stämme auf ef, tqtßw — iTQtßfjy, nvtyoa —
inyty^v, xQä^o) — exqäyov, dafs auch Stämme mit » oder a des
Ablauts fähig sind; von (palvta^ tqaiyta und anderen Verben sehe
ich ab, die L. selbst im weiteren Verlauf des Paragraphen anföhrt.
Auch kann der Wechsel des Vokals nur niit vielen Einschrän-
kungen regelmäfsig genannt werden, der bei Übereinstimmung der
übrigen Zeiten in x^Kkefifkat, n4n€fAfka& nicht durchgeführt
592 J- LattmaoD n. H. D. Müller, Griechische Grammatik,
ist wie in Th^gaftfiai j sifTgafAfiai ^ zi&qaiiiia^ uod in Tijfx««,
hdxfjv^ Tivfjxa anders als in (faivo) (= (pav-jo)), itpovr^v^
niiffjpa. Wie in der froheren Auflage die einleitenden Worte
„einsilbige (selten zweisilbige) Muta* Stämme mit dem Inlaut e ^
€t €v haben im Wurzelstamme den Inlaut ä X Vy der im Aor. II
hervortritt; auch andere Tempora solcher Verba verändern den
Stamminlaut'' unbedenklich sind, so auch die Bemerkung, die zu
6(jTQ0(pa und xitqo(pä (von %qi(f(ü) gemacht wird, die mit %i-
tQO(fa (von tQin(a), xixXoq^a und ninofikipa zuvor als Perf. I
angeführt worden sind: iatqoKfa und %i%qoq>a kömien auch als
Perf. II betrachtet werden. Denn q> läfst sich hier zwiefach er-
klären: als Summe des Slammauslautes und der Aspiration, die
bei den v. mutis auf P-Laut den Tempuscharakter vertritt, und
als unveränderter Stammauslaut. Jetzt aber sind beide Texqoffay
iatqoipay mintXoifay ninoiapa Perf. II genannt worden mit der
Bemerkung: %i%qo(fa (von t^^tto»), xiitdo<pa und Ttinofiipa
müssen trotz der Aspiration als Perf. II angesehen werden wegen
des Ablauts. Man mag ja über die Aspiration solcher Perfekta
wie Curtius denken, sie habe nicht den W^ert eines Tempuscha-
rakters und alle mit diesem Mittel gebildeten Perfekta seien
starke Tempora. Jedenfalls aber ist doch der Ablaut nicht
das charakteristische Zeichen starker Tempora; denn wie es
schwache Tempora mit Ablaut giebt, so auch starke ohne
einen solchen.
Den Paradigmen der grofsen Verba auf fi^ t^^^/a», lat^m
(inq&dfAfip), öidtofAt, deixvvfit (£(pvp), IfifJbi ist eine drei Seiten
lange Einleitung vorausgeschickt, die deren von der gewöhnlichen
Flexion abweichenden Bildungsgesetze erschöpfend behandelt; die
wenigen Formen, die hier übergangen sind, werden nachher durch
den Druck hervorgehoben (etxa, eho aor.). Ich untersuche hier
nicht, ob L. sich immer für die richtige Erklärung entschieden
hat, um so weniger, als diese in manchen Fällen streitig ist und
bleiben wird ; sondern ob sich dieser Teil mit dem vorhergehen*
den zu einem einheitlichen Ganzen verbindet, und ob L. die ein-
mal gewählte Erklärung durch alle Paradigmen durchführt. Mir
ist nun Folgendes autgefallen. Zunächst lesen wir jetzt von einem
reinen Stamme, während wir früher aufser dem Präsensstamme
(und den Tempusstämmen) nur einen Verbalstamm kennen ge-
lernt haben. Sodann redet L. hier von den reinen starken Stäm-
men S'i^y aTtj, d(o und den reinen schwachen Stämmen ^€, <sta^
do\ von einer starken Stammform in tid-fnk^y dfixpiffit^ ^ct^xa,
einer schwachen in Tid-eikev^ deixvvfisv, iatafASP u. s. w.; ebenso
heifst es später, ysycig sei vom schwachen Perfektstamm, ßät^v
von der schwachen Stammform gebildet. Auf diese Weise wird
jetzt zum charakteristischen Merkmal der starken und schwachen
Stämme gemacht, was vorher keineswegs ein solches der starken
nnd schwachen Tempora gewesen ist. Oder hat L. itifAijca einen
ERSTE ABTEILUNG.
ABHANDHINGEN.
Der neue preufsische Lehrplan fdr Mathematik im
Gymnasium.
Der Grundgedanke, denen, welche mit sechsjährigem Biidungs-
kursus ausscheiden, eine wenigstens einigermalsen abschliefsende
Bildung zu geben, verdient volle Anerkennung; seltsamer Weise
war diese Absicht früher in der Mathematik in vollkommenstem
Mafse erreicht und wird gerade durch den neuen Plan in hohem
Hafse gefährdet. Früher war das Pensum in der Geometrie in
Quarta, Tertia, Unter-Sekunda die Planimetrie incl. der Kreisbe-
rechnnng, gewifs ein in sich abgeschlossenes Pensum, wie es im
Elsafs noch heute gilt; in der Arithmetik war es das praktische
Rechnen, die vier Spezies in Buchstaben und ihre Zusammen-
fassung: die Gleichungen ersten Grades mit einer und mehr Un-
bekannten, gewifs ein Ganzes; wozu noch die Potenzen und die
Quadratwurzeln kamen. Der neue Lehrplan hat erstens die gröfste
Schwäche des alten ^ die Einschränkung der Mathematik auf drei
Standen in Tertia, beibehalten und zeigt dann im Pensum der
Unter-Sekunda eine derartig ungesunde Erweiterung, dafs, wenn
die Schülerzahl nur einigermafsen nennenswert, ein Lehrerfolg
einfach ausgeschlossen ist. Selbst bei getrennten Tertien konnte
bisher schon das Lehrziel nur durch die vollste Beherrschung des
Stoffes seitens des Lehrers erreicht werden, der alles Unwesent-
liche ausscheiden mufste, wenn wirklich das Wissen sich in
Können umsetzen sollte, eine Forderung, in welcher die Päda-
gogen von Fach mit den Lehrern des Fachs einig sind. Diese
Erweiterung verstöfst völlig gegen das Prinzip einer abgeschlossenen
Bildung, wenn wirklich Bildung gemeint ist und nicht blofse Ab-
richlung. Es kommt hinzu für Geometrie: Definition der tri-
gonometrischen Funktionen am rechtwinkligen Dreieck, tri-
gonometrische Berechnung rechtwinkliger und gleichschenkliger
Dreiecke ; die einfachsten Körper nebst Berechnungen von Kanten-
längen, Oberflächen und Inhalten. Für Arithmetik: quadratische
Zeilwhr. f. d, GjnuiMiAlweieo XLVII. 10. 38
594 Der neue preofs. Lehrplan für Mathematik im Gymnasiam,
Gleichung mit einer Unbekannnlen, Begriff des Logarithmus,
Übungen im Rechnen mit Logarithmen. Aus dem Zusatz über
die Körperberechnung geht klar hervor, dafs der Lehrer sich be-
schränken soll auf eine nackte Angabe der Thatsachen, d. h. also
auf den Standpunkt, den der Sprachunterricht überwunden, soll
die Mathematik, zu deren wichtigsten Aufgaben die Erziehung zur
geistigen Mündigkeit gehört, zurückgeschraubt werden. Ist das
etwa ein Gewinn an Bildung, wenn der Schüler mechanisch ge-
lernt hat, dafs der Inhalt der Rugel ^j^r^jt ist? Dem Lehrling,
der die Formeln im praktischen Leben brauchen soll, dem sagt
sie der Meister, und das genügt ihm. Den paar Leuten, welche
aus Unter-Sekunda abgehen und im späteren Leben mit Loga-
rithmen rechnen müssen, werden die Handwerksgriffe in zwei
Stunden beigebracht. Eine einigermafsen abschliefsende Bildung
besteht darin, dafs ein wichtiger gedankenreicher Zweig der Ha-
Ihese, wie die Planimetrie oder die vier Spezies, insbesondere der
Ansatz der Gleichungen ersten Grades, wirklich in die Seele des
Schülers eindringt, von ihm psychisch verarbeitet und zu einem
Teile seines Vorstellungsinhalts geworden ist, aber nicht darin,
dafs man ihm eine Menge Einzelheiten eintrichtert, die vielleicht
dem einen oder dem andern, wahrscheinlich aber keinem, ge-
legentlich von praktischem Nutzen sein könnten. Die preufsische
Behörde hat die Überlastung der Unter-Sekunda selbst empfunden,
das beweist der Zusatz S. 48, welcher es für zulässig erklärt, ge-
wisse Abschnitte aus der Lehraufgabe der Unter-Sekunda schon in
Ober-Tertia zu behandeln und jene Klasse möglichst zu entlasten.
Dieser Zusatz verstöfst gegen das allerwichtigste Prinzip, das den
Aufbau des mathemathischen Pensums wie ein Leitmotiv foeherr-
sehen mufs: den Aufbau möglichst langsam zu vollziehen und die
Anforderungen von Stufe zu Stufe zu steigern. Man kann das
Pensum der Quarta und Tertia gar nicht genug einschränken,
wenn man nicht jene „schwimmende'* Unsicherheit in den Ele-
menten erzielen will, an der später der ganze Lehrerfolg der
Prima scheitert. Jede Überschreitung des Pensums sollte bis ein-
schliefslich Ober-Sekunda auf das strengste verpönt sein, und hier
fordert die Behörde selbst dazu auf. Das Unbegreiflichste ist die
Behandlung der Trigonometrie: in drei Jahreskurse auseinander-
gerissen, die Additionstheoreme am Ende! Hier hat offenbar der
Rat eines praktisch erfahrenen Schulmanns gefehlt. Die Folge
des Auseinanderreifsens der Trigonometrie ist dann die Zerstücke-
lung der Stereometrie, welche auf Unter-Sekunda, Unter-Prima und
Ober- Prima verteilt ist. Dabei zeigen die methodischen Bemerkungen
wieder ein auffälliges Verkennen des Wesens der Stereometrie. Da
soll auf die Körperberechnungen der Nachdruck gelegt werden,
und die eigentlich räumliche Betrachtung erst zum Schlafs kommen.
Die Körperberecbnungen sind nichts als ein Zweig der Algebra,
der noch dazu, da, wie durchaus zu billigen, kubische Gleicbnngen
von M. SiBoh. 595
ausgeschiossen sind , sehr eiDgeschrankt ist, und für dessen inter-
essantesten Teil, die Haxima und Minima, im Pensum kein Raum
gelassen ist. Dagegen bieten die Elemente der eigentlichen Raum-
lehre, die gegenseitigen Beziehungen der Grandgebilde — Punkt,
Gerade, Ebene im Raum — eine grofse Pölle von Material für die
Bereicherung der Anschauung und für die wahrhaft philosophische
Dttrcbdringung der Grundbegrifle. Eine weitere Verschlechterung
ist die Verweisung der Zinseszins- und Rentenrechnung aus der
Ober*Sekunda in die Unter-Prima; man fragt sich verwundert, woran
soll denn die Logarithmenrecbnung eingeübt werden, wenn nicht
an Zinseszinsaufgaben, und die geometrische Reihe, wenn nicht
an Rentenrechnung. Der arithmetische Unterricht der Ober*
Sekunda wird ja zu einer wahren Hochschule der Langeweile ge-
macht, wenn der Lehrer sich auf das rein Formale beschränken
roofs« Gerade die genannten Aufgaben interessieren wegen der
grofsen Bedeutung für das praktische Leben die Schuler in hohem
Mafse, und sie begreifen hieran, welche Grofslhat menschlichen
Genies die Logarithmenrechnung bildet. Statt dessen hat der
Lehrplan entgegen dem Prinzip der Vereinfachung hier eine Kom-
plikation: quadratische Gleichungen mit mehreren Unbekannten.
Das klingt harmlos, denn in Trigonometrie und Stereometrie
bieten sich solche Systeme gelegentlich dar, aber das, was hier
gemeint ist, ist das bekannte öde Bruchstück aus der Eliminations-
theorie, wo durch irgend einen, dem Schüler meist Unverstand-
Ikben Kniff die Resultierende auf den zweiten Grad erniedrigt
wird, wobei fast immer die singulären Lösungen vernachlässigt
werden. Ein Fehler ist es ferner, dafs die Repetition der Arith-
metik in die Unter-Prima gelegt ist statt nach Ober-Prima, wohin
sie im Anschlufs an das Abiturientenexamen gehört. Der Binom
ist auf ganze Potenzen ausdrücklich eingeschränkt, dies wird ganz
besonders von der Kritik in der Hoffmannschen Zeitschrift an-
gegriffen, und mit einem gewissen Recht; denn wie bereits Her-
bart (Päd. Sehr. S. 624) bemerkt, entfaltet der Binom seine KraR
erst in der Erweiterung. Der erweiterte Binom ist es, der Radi-
cierung und Logarithmisierung bewältigt, er ist der Schlufsstein,
ohne welchen das ganze Gebäude der Elementararithmetik, das
einzige Beispiel einer in sich abgeschlossenen Wissenschaft, wel-
ches dem Schüler zugänglich ist, durchaus Ruine bleibL Man
mufs aber zugeben, dafs die preufsiscbe Behörde sich darauf be-
rufen konnte, dafs ein zugleich elementarer und strenger Beweis
nicht veröffentlicht war. Ich habe, um diese Lücke auszufüllen,
einen solchen der Hoffmannschen Zeitschrift zugehen lassen.
Völlig widersprechend ist es dann aber, dafs der Lehrplan die
imaginären Gröfsen vorschreibt, welche nur in Verbindung mit
der zur Exponentialreihe erweiterten Binomialreihe Sinn und Zweck
haben. Die Elemente der Kombinatorik finden keine Erwähnung,
sie werden wohl, thunlichst eingeschränkt, als selbstverständlich
38»
596 ^^^ preaTs. Lehrplan f. Mathematik im Gymn., v. M. Simoa.
in den Binom eingeschlossen sein, aber auch die Wahrscheinlich-
keitsrechnung ist nirgends genannt; bei der ungeheueren Aus-
dehnung des Versicherungswesens und dem aufserordentlichen
Bildungswert dieses vielleicht eigenartigsten Zweiges der Mathe-
matik ein schwerer Hangel. Dafür werden die Schuler in den
„besonders wichtigen Koordinatenbegriff'* eingeführt, und es sollen
ihnen einige Grundeigenschaften der Kegelschnitte klargemacht
werden, aber ohne planmäfsigen Unterricht, und zwar weder in
analytischer noch in neuerer Geometrie. Im Gegensatz zu andern
Beurteilern sehe ich in der unbestimmten Fassung dieses letzten
Teils den gröfsten Vorzug des Plans. Hier, scheint mir, soll dem
Lehrer diejenige Bewegungsfreiheit gelassen werden, welche kein
gebildeter Mensch, und am wenigsten der Mathematiker, entbehren
kann. Allerdings ist die Ausdrucksweise sonderbar, aber eine
andere Auffassung des „nicht planmäfsigen** wäre doch fast be-
leidigende Nach meiner Ansicht übersteigt „der Koordinaten-
begrift^S will sagen die Grundgedanken der analytischen Geometrie,
das Fassungs- und Aneignungsvermögen der meisten Schüler,
während die Kegelschnitte sich mit den Mitteln des Tertianers er-
schöpfend behandeln lassen. Was die neuere Geometrie betrifft,
so beherrscht sie bereits, bewufsl oder unbewufst, die Lehr-
methode der jüngeren Generation; auch ohne dafs planmäfsig
projektivische Geometrie gelehrt wird, bedient man sich der Ent-
wickelung und der Verwandtschaft. — Soweit meine Beobachtung
reicht, überlassen die Lehrer in Preufsen den Plan seiner eigenen
Innern ündurchführbarkeit, docli wäre es vielleicht besser, wenn
sie geschlossen und mit eindringlichen Vorstellungen seine Ab-
änderung verlangten.
Strafsburg i. E. Max Simon.
ZWEITE ABTEILUNG.
LITTERARISCHE BERICHTE.
F. Stoerk, Der staatabürgerliclie Uoterrieht. Preibor; o. Leipzic,
Mohr, 1893. S2 S. 8. 1 M.
Von unserem Kaiser geht Stoerk aus, nicht sowohl, weil es
der Geburlstag des Kaisers war, zu dessen Feier er die Rede in
der Aula der Universität Greifswald hielt, als vielmehr deswegen,
weil der Kaiser verlangt hat, dafs in den preufsischen Unterrichte-
anstalten künftighin die ersten wissenschaftlichen Grundlagen fQr
eine sozialpolitische Erziehung der deutschen Jugend, fOr eine
staatsbürgerliche Propädeutik geschaffen werden. Unter Anführung
und ausdrücklicher Billigung der kaiserlichen Forderungen fafst
Stoerk die neue Aufgabe in die Worte zusammen, es müsse das
bisher dunkle Gefühl der staatsbürgerlichen Interessengemeinschaft
durch das verstandesmäfsige Begreifen der Bedingungen des deut-
schen Staates und seiner Kräfte ergänzt werden. Denn die schick-
salsschweren Kämpfe, die uns und dem nachrückenden Geschlecht
bevorstünden, entscheide dereinst nicht die rohe Zahl und nicht
die grausame Vollendung der Zerstörungsmittel, sondern der Geist,
der in den kämpfenden Lagern walte; daher gelte es, das heran-
wachsende Geschlecht mit ganzer Seele in den geistigen Schatz
des deutschen Rechts und deutschen Staates zu vertiefen.
Nachdem hierauf der Verf. in überaus fesselnder Weise ge-
zeigt hat, wie es gekommen ist, dafs man bisher, bis zum Er-
scheinen der neuen Lehrpläne, von einem staatsbürgerlichen Unter-
richt in unserem Vaterlande nichts gewufst hat, fafst er die Art
der Unterweisung näher ins Auge. Das Lehrbuch der Bürgerkunde
soll keine Stellungnahme zu den obersten Fragen, zu den Fragen
nach Idealstaat, Wahlsystem, Schutzzoll, Freihandel u. s. w. ver-
langen; es soll auch nicht durch trockene Daten, Gesetzespara-
graphen, Verfassungsartikel u. a. m. ein so nüchtern subalternes
Aussehen bekommen, als sollte die deutsche Jugend fortan für die
untere Postkarri^re erzogen werden, sondern es gilt, mit meister-
hafter Beschränkung den Sinn für das Wesentliche zu belhätigen
und die Kräfte des Gemüts wie die des Verstandes in den Dienst
der neuen Idee zu stellen.
/
598 P. Stoerk, Der staatsbärgerl. Unterricht, agz. v. Chr. Hoff.
Wie Stoerk mitteilt, giebt es bereits solche mustergOItigen Dar-
stellungen in der Schweiz. Schlicht and volkstümlich, in knapper
Form und in gewinnender Wärme der Sprache zeigen sie das
Leben in der Familie im höheren Lichte des Rechts- und
Pflichtenverbandes. Ähnlich mQsse die Sache bei uns angegrifien
werden. An religiöse Vorstellungen anknüpfend, müsse eine welt-
liche Pflichtenlehre zur Erkenntnis der sittlichen und ökonomischen
Arbeit fähren, und zwar, was ein Vorzug der deutschen Dar-
stellungen sein werde, unter Verwertung des monarchischen Prin-
zips. Leicht sei die Sache nicht, aber sie müsse gethan werden,
auf dafs ein rechtes Monumentum Germaniae Paedagogicum zustande
komme.
Auf Vorschriften im einzelnen lafst sich der Verf. nicht ein,
und das ist gut; denn über die Wege, die eingeschlagen werden
sollen, gehen die Ansichten noch vielfach auseinander. Die Schrift
bietet also einen hoben, reinen Genufs und wird ohne Zweifel
anregend wirken. Denn den erhabenen Gedanken, die hier zum
Ausdruck kommen, wird kein Einsichtiger seine Zustimmung ver-
sagen, zumal sie mit ebenso grofser Gedankenschärfe wie Wärme
des Gemüts und in schöner Sprache entwickelt werden.
Cassel. Christian Muff.
F. Lionig, Deutsche Sprachlehre. Zu8ainmeoste)hiog der wiehtigstea
Lehrstoffe. Paderbo», F. SchSningh, 1892. IV n. 113 S. 8. geh.
1,35 M*
Der Abrifs der deutschen Grammatik, den F. Linnig der
9. Auflage seines Lesebuches für die unteren Gymnasialklassen bei-
gab (s. diese Zeitschrift 1891 S. 302f.), liegt in diesem Büchlein
in erweiterter Gestalt vor. Neu hinzugefugt ist der erste Ab«
schnitt, eine Lautlehre, die auf 11 Seiten von der Entstehung
und Einteilung der Laute, den wichtigsten Lautgesetzen und den
Silben handelt. Doch fürchte ich, dafs für Darlegungen in dieser
Ausführlichkeit und mit solcher terminologischen Fülle unsere
jetzigen Lehrpläne und Lehraufgaben nirgends Raum gewähren.
Der zweite Abschnitt (Die Lehre von der Rechtschreibung,
S. 12—31) und der dritte und vierte (Wortlehre und Wort-
bildungslehre, S. 32 — 81) stimmen fast völlig mit den ent-
sprechenden Kapiteln im Anhange des Lesebuches überein. Eine
Umarbeitung und Erweiterung hat der letzte Teil, die Satzlehre
(S. 82 — 110), erfahren. Die systematisch geordneten Beispiele
bilden auch hier die Hauptsache, doch sind ihnen die Definitionen
und Kegeln in jedem Falle beigegeben. Die Behandlungsweise
greift, wie der Verf. selbst im Vorwort sagt, etwas höher als es
sonst wohl üblich ist, und strebt enge Fühlung mit der beutigen
Wissenschaft von der deutschen Sprache an. Dadurch ist diese
Zusammenstellung der wichtigsten Lehrstoffe gewifs ein Hülfsbucb
geworden, um dem Lehrer des Deutschen die sachliche Vorberei-
P. Liiolg, D««tfek6 Sprachlehre, ai^ez. von H. Wiother. 599
long zu erleichtern. Um aber auch dem Schöler ein bequemes
Mittel zu seio, sich in zweifelhaften Fällen Rats zu erholen, scheint
sie mir überall zu sehr des erläuternden Wortes des Lehrers zu
bedürfen.
Eberswalde. H. Winther.
Kleine Bibliothek zar deuKseheo Litteratnrseschichte. Samm-
\mg Göschea. Staltgart 1893. 6 Bände, kl. 8. Jedes Bäudchen
ü,80 M.
Wenn heute die Ansicht mehr und mehr Anhänger ge-
winnt, dafs der Unterricht in der deutschen Litteralurgeschichte
anstatt sich mit blofsen Referaten und der Angabe von Jahres-
zahlen und Namen zu begnügen, so weit es angeht, auf die
Lektüre der Dichtungen selbst gegründet sein soll, so ist es be-
greiflich, dafs sich auch die Zahl der Hülfsmittel zusehends mehrt,
die auf der Grundlage dieser Anschauung ruhen. Ein umfassen-
der Versuch, der neuen Methode entgegenzukommen, liegt in der
oben genannten Sammlung vor. Die sechs Bändchen derselben
fähren den Leser von den ältesten Anfangen des deutschen Schrift-
tums bis an die Schwelle der durch Klopstock eingeleiteten klas-
sischen Epoche unserer Litteratur und bieten in einer fortlaufen-
den Reihe von Leseproben eine Übersicht über die Entwickelung
der deutschen Sprache und Dichtung, indem sie zugleich durch
Einleitungen, Erklärungen und Wörterverzeichnisse dem Leser die
erforderlichen Stützen für das Verständnis gewähren.
Th. Schauffler eröffnet die Sammlung mit einer Auslese aus
den Denkmälern der ältesten Zeit und dringt über Notker hinaus
bis zum Jahre 1070 vor. Im zweiten Bändchen giebt Golther
einen bereits in zweiter Auflage erschienenen Auszug aus dem
Nibelungenliede und der Gudrun. Das höfische Epos ist im
dritten Bändchen durch Hartmanns „Armen Heinrich'* und durch
eine von K. Marold getroffene Auswahl aus dem Parzival und
Tristan und Isolt vertreten, während in Bd. 4 0. Güntter Stucke
aus den Minnesängern und Spruchdichtern — natürlich mit be-
sonderer Berücksichtigung Walthers — zusammengestellt hat.
Von der Reformationszeit giebt Bd. 5 ein Bild, in welchem von
L. Pariser Proben aus Brant, Hurner, Hütten, Luther und dessen
Genossen, Hans Sachs und den Fabeldichtern dieser Periode vor-
geführt werden. Das 6. Bändchen endlich enthält eine von G.
Ellinger veranstaltete Auslese aus den Lyrikern des 17. und 18.
Jahrhunderts, wobei namentlich das Kirchenlied und das Volkslied
berücksichtigt ist.
Sammlungen wie die vorliegende bedingen naturgemäfs eine
oft recht empfindliche Beschränkung der Wahl. Oft wird das
Gute zurückgewiesen werden müssen, weil noch Besseres da ist,
oft ist auch die Bestimmung der Wertunterschiede oder die
600 Rl* Bibliothek c. deutsch. Litterator^eteh., a^z. v. F. Kaatie.
Sonderung zwischen dem mehr oder weniger Greeigneten recht
schwierig. Somit ist es kein Wunder, dafs solche Auslesen selten
vollständig befriedigen, dafs die Zustimmung vielmehr in den meisten
Fällen bedingt auslallt In der vorliegenden Sammlung scheint
mir der Auszug des Nibelungenliedes am meisten anfechtbar zu
sein, enthält er doch aus dem zweiten Teile des Gedichtes nur
die 37. Aventiure, in der Rüdigers Tod berichtet wird. Der Verf.
desselben wollte, wie er im Vorwort angiebt, die Siegfriedssage
möglichst vollständig zur Darstellung bringen und mufste nun mit
Rucksicht auf den knapp bemessenen Raum auf weitere Auszüge
aus dem zweiten Teile verzichten, eine Entschuldigung, die den
Schaden zwar erklärt, aber ihn nicht beseitigt.
Ähnliche Fragezeichen würde man auch an andern Stellen
setzen können. Warum hat z. B. Schauflfler nicht eine Sprach-
probe aus dem Ulßlas, warum nicht den Leich von Christus und
der Samariterin ausgewählt? Nötigenfalls hätten, wie mir scheint,
eher der Auszug aus „Himmel und Hölle'* wegfallen können.
Mufs nicht ferner die überaus schwache Vertretung der Tiersage
Wunder nehmen? Auch Hans Sachs ist mit vier Proben kaum
Genüge geschehen; ebenso wird auch der Kenner und Liebhaber
des Volksliedes manches wertvolle Stück vermissen. Ich für mein
Teil wurde jedenfalls den Meier Helmbrecht herbeigezogen, ja falls es
nötig gewesen, diesem Kleinod der mittelalterlichen Dichtung dieganze
höfische Dichtung einschliefslich des in seiner Art ausgezeichneten,
aber wegen seiner sublimen Moral der Jugend ziemlich fernliegen-
den Armen Heinrich geopfert haben. Indessen das sind Dinge,
über die sich ein Einverständnis schwerlidi erzielen läfst. Auf
alle Fälle hat man den Eindruck, dafs die Wahl der Texte wie
die Abfassung der Erläuterungen sachkundigen Händen anvertraut
worden ist. Das letztere gilt besonders auch von dem ersten
Bändchen, wo durch einen sorgfältig gearbeiteten Abrifs der alt-
hochdeutschen Formenlehre, durch gründliche Anmerkungen oder
wortgetreue Übersetzungen alles, was man wünschen mag, für
das Verständnis gethan ist. Nur sollte man nicht Umschriften von
Runendenkmälern ohne die Originalzeichen selbst anführen, zumal
da jene trotz Henning manchmal noch recht fragwürdig sind.
Die Ausstattung des Werkes ist vortrefflich. Druck und Papier
sind geradezu tadellos, und die zierlichen Leinwandbände ent-
sprechen dem Innern. Der Preis des einzelneu Bändchens ist
gewifs ein sehr mäfsiger, obwohl man sagen mufs, dafs die An-
schaffung der ganzen sechsbändigen Sammlung für Schüler immer-
hin etwas bedeutet*
Karlsruhe. F. Kuntze.
0. Weifefifel», Cieero aU Scholsohriftst.! agz. v. A. Goethe. 601
0. Weifsenfeis, Cieero aU Sebalfehriftsteller. Leipzig, B. 6.
Teubner, 1892. XV u. 319 S. 8. 4 M.
Teils um seine einleitenden Bemerkungen zu der in dem-
selben Verlage erschienenen Auswahl aus Ciceros philosophischen
Schriften zu ergänzen und zu begründen, teils um für die Beur-
teilung Ciceros als Schulschriftsteller einen festen Standpunkt zu
gewinnen, hat der Verf. dieses Buch veröffentlicht und spater
nochmals die Hauptgedanken desselben in dem im November- und
Dezemberhefte des 46. Jahrganges dieser Zeitschrift erschienenen
Aufsatze, der von dem neuen Lehrplane des Lateinischen handelt,
hervorgehoben. Denn da der Verf. in diesem Aufsatze die von
den neuen Lehrplänen bezeichneten Schulschriftsteller einer Be-
urteilung unterzog, so war die Beziehung auf die genannte Schrift
naturgemäfs gegeben.
In dieser sucht W. nachzuweisen, dafs Cicero alle diejenigen
Eigenschaften besitze, die ihn im hohen Grade dazu befähigten,
den llnterrichtszwecken des Gymnasiums zu dienen, dafs aber
nicht sowohl seine Reden, die auch die Lehrpläne, dem historisch-
politischen Zuge der Zeit folgend, bevorzugten, als seine rheto*
rischen und namentlich seine philosophischen Schriften die gröfste
pädagogische Bedeutung beanspruchten. Im ersten Kapitel wird
die lateinische Sprache und die klassische lateinische Prosa in der
treffendsten V\^eise charakterisiert und ihre Vorzöge auf das hellste
beleuchtet Wenn man den Ausführungen des Verf.s über einen
Gegenstand, über den schon so viel gesagt und geschrieben ist,
mit Interesse folgt, so liegt das ebenso sehr an der gefälligen
Schönheit der sprachlichen Darstellung, die den Gedanken in
plastischer Weise zum Ausdruck bringt, als an dem feinen Gefühl
des Verls für die Äufserungen des Spracbgeistes, das dem Leser
immer wieder neue Seiten der Betrachtung erschliefst Das zweite
Kapitel beschäftigt sich mit dem Charakter Ciceros. Durch ein
verständnisvolles Eingehen auf das Eigenartige seines Wesens wird
das ungünstige Urteil, das namentlich deutsche Gelehrte über ihn
gefällt haben, auf das richtige Mafs zurückgeführt, und darauf hin-
gewiesen, dals trotz seines Schwankens und Irrens auf politischem
Gebiete das Bild des grofsen Patrioten, des beredten Vorkämpfers
für Sittlichkeit und Recht, des geistig in so hohem Grade ange-
regten und anregenden Mannes ein verehrungswürdiges bleibe.
Die nächsten Kapitel handeln von den Schriften Ciceros, und
zwar das dritte zunächst von seinen Reden, die der Verf. auf ihren
bildenden Gehalt hin prüft, wobei er im Gegensatz zu den neuen
preufsischen Lehrplänen zu dem Resultate kommt, dafs diese
Reden „zu wenig Substantielles enthalten, als dafs man sie un-
serer Jugend als Hauptnahrung in den lateinischen Stunden bieten
dürfte, und dafs sie Zustände und historische Ereignisse beleuch-
ten, welche auf eine eingehendere Behandlung, als der Geschichts-
unterricht ihnen gewähren kann, keinerlei Anspruch haben'*. Auch
602 0» WeifseofeU, Ciear* aU ScholsehriftaL, ägn» t. A. Goethe.
Ref. ist der Ansicht, dafs man sich vor einer Oberschätzung des
Inhaltes dieser Reden hüten mufs. Es werden in denselben oft
starke rhetorische Mittel angewendet, wodurch nicht blofs die
Schönheit der Sprache beinträchtigt, sondern auch ein gewisser
Gegensatz zu einer objektiven Geschichtsauffassung geschaffen wird.
Auch das, was die Lehrpläne beabsichtigen, für bedeutsame Ab-
schnitte der Geschichte und hervorragende Persönlichkeiten einen
durch individuelle Zage belebten Hintergrund zu gewinnen, wird
sich in der Praxis durch die Lektüre dieser Reden meistenteils
schwer erreichen lassen. Denn erstens fixieren sie nicht immer
historisch bedeutsame, typische Momente, und zweitens wird die
Lektüre mit der Behandlung der betreffenden Abschnitte in der
Geschichtsstunde zeitlich selten zusammenfallen, wodurch die be-
absichtigte Wirkung bedeutend abgeschwächt wird. Wenn W.
vom Standpunkt der Schule aus als die lesenswertesten der
Ciceronianischen Reden die p. Archia, p. Roscio Amerino, in
Verr. IV u. V, pro Marcello, pro Ligario und einige Philippiscbe
Reden bezeichnet, so gestehe ich, dafs auch ich diese bei der
Auswahl der Schullektüre bevorzugt habe.
Im vierten Kapitel geht der Verf. über zu Ciceros Briefen.
Er hält sie bei .aller Anerkennung ihrer Vorlreffiichkeit aus zwei
Gründen für die Schule nicht geeignet, erstens weil sie, „aus
dem pädagogischen Gefühlspunkte*' betrachtet, dem Geiste eine
nicht hinlänglich würdige Nahrung böten, und zweitens weit die
Schwierigkeiten, welche mit ihrer Erklärung verbunden seien, in
keinem Verbältnisse zum Ertrage ständen. Ich kann diese An-
sicht nicht teilen. Ich habe eine ganze Reihe von Jahren mit
Primanern die Briefe gelesen und gefunden, dafs die Schuler
wohl keiner Schrift Ciceros so lebhaftes Interesse entgegengebracht
haben als den Briefen, welche, in passender Auswahl ihnen ge-
boten, durch den Zauber frischer Unmittelbarkeit ihre Wirkung
auf die Leser nie verfehlten, denen hier die feingebildete Persön-
lichkeit des Schreibers mensclilicb so nahe gerückt ist, wie bei
der Lektüre keiner seiner anderen Schriften. Die Bewegungen
einer politisch aufgeregten Zeit aus einer wichtigen Quellenschrift
verstehen zu lernen, ist nicht unfiruchtbar und bedeutungslos, und
die Schwierigkeiten, die die Briefe sachlich bieten, sind nicht so
aufserordentlicbe; auch haben wir eine Reihe guter kommentierter
Ausgaben, so namentlich die von Mofmann*Andresen-Lehmann,
die in angemessener Weise über diese Schwierigkeiten hinweg-
helfen.
Das fünfte Kapitel beschäftigt sich zunächst mit den rheto-
rischen Schriften Ciceros und verfolgt dann in einem weiteren
Abschnitte die Entwickelung des Rhetorischen aus der natürlichen
Tendenz der Sprache; im sechsten Kapitel endlich werden seine
philosophischen Schriften auf das eingehendste gewürdigt. Diese
beiden Kapitel sind offenbar die anziehendsten des ganzen Buches.
H«llBiitl|ii-^«l^kai'<lf I'tt« OboBfibuch, an^es. v. P. Doetieh. 603
Der Verf. weist mit öberzeugenden Grfinden nach, dafs die rhe*
toriechen Schrifteo Ciceroe, in denen alle höheren Interessen des
gebildeten Altertums zu einem schönen Gesamtbild vereinigt seien,
und in noch höherem Mafte seine philosophischen Schriften, die
den Niederschlag des gesamten antiken WoUens und Denkens ent-
hielten und in denen harmonisch das griechische und römische
Geistesieben zusammenklänge, durch die Fülle fruchtbarer Ger
danken, die in ihnen niedergelegt sind, Geist und Charakter un-
serer Jünglinge zu bilden und zu veredeln ganz besonders geeignet
seien. Wenn man liest, in welch geistvoller Weise der Verf. seine
Ansicht begründet, kann man sich eines gewissen Gefühls der
Wehmut nicht entschlagen bei dem Gedanken, dafß er im grofsen
und ganzen doch nur für eine verlorene P<)sition kämpft, da bei
dem jetzigen Betriebe des lateinischen Unterrichts die jüngere
Generation nicht so vorbereitet sein wird, um in der Prima
Schriften wie den Orator und de oratore zu lesen und zu ver*
stehen, und da auch für die Behandlung leichterer Abschnitte aus
den philosophischen Schriften Ciceros die Zeit, wenn sie über-
haupt vorhanden ist, so knapp bemessen ist, dafs ein nennens-
werter Erfolg wohl kaum erreicht werden kann. So wird man
durch das Weifsenfelssche Buch nachdrücklich dai*an erinnert, was
wir aufgegeben haben, während die Aussicht auf eine Änderung
nach dem Sinne des Verf.s doch nur äufserst gering ist.
Glogau. A. Goethe.
Hellvalh und Gebbard, Lateioiscbes Obaofsbacb für di«
dritte Klasse des GymDasiums. 2. Aoftape. Bamberg u. Leipzig,
Baebaer, 1892. XI u. 289 S. 8. geb. 2,80 M.
Das Buch bildet den 3. Teil von „Buchners Sammlung latei-
nischer Übungsbüdier*' , welche unter der Redaktion des König-
lichen Gymnasiallehrers Dr. Landgraf zu München an Stelle der
früheren Englmannschen Übungsbücher herausgegeben werden und
von denen bis jetzt die fünf ersten Teile — 1 — 4 bereits in zweiter
Aoflage — erschienen sind, während das Erscheinen des 6. und
7. Teiles in baldige Aussicht gestellt wird. Zu Grunde gelegt ist
der stilistische Teil der im gleichen Verlage erschienenen Land-
grafschen Schulgrammatik, welche auch in der 2. Auflage neben
der von Englmann citiert wird.
Das vorliegende Übungsbuch ist für die dritte Klasse des
Gymnasiums (Quarta in Preulsen) bestimmt und bietet sowohl in
Einzelsätzen wie in zusammenhängenden Stücken , ÜbungsstoiT zu
deutsch-lateinischen und lateinisch-deutschen Übertragungen. Mit
Rücksicht auf einen fortlaufenden geschichtlichen Lesestoff ist das
gesamte lateinische, in zusammenhängenden Abschnitten verarbei-
tete Material in Form eines Lesebuches am Schlüsse vereinigt.
Die zweite Auflage hat infolge der für die humanistischen Gym-
nasien Bayerns erlassenen neuen Schulordnung, welche den latei-
604 Helloiath v. Gebhard, Lit Übtiogf baeh, angez. v. P. Doetteb.
nischen Dnlerricht dieser Klasse auf 8 Stunden wöchenüich be-
schränkt, mehrfache Änderungen, KOrzungen und Erleicfatemngen
erfahren, sodafs sich nunmehr folgende Anordnung ergiebt: die
ersten Kapitel dienen zur Wiederholung und Vertiefung des vor-
jährigen LehrstofTs (der gesamten Formenlehre), för welche die
Verfasser 4 — 6 Wochen angesetzt wissen wollen; es folgt die Ein-
übung gleichlautender deutscher Transitiva und lutransitiva, deren
wichtigste in einem besonderen Kanon alphabetisch zusammen*
gestellt sind, darauf die Hauptregeln fiber Satzverbindung, welche
als besondere „Vorübungen*' auf S. 1 — 8 dem gesamten Über-
setzungsstoff vorausgeschickt und. Die folgenden Kapitel betreffen
die Kongruenz, Kasuslehre, die Präpositionen und Ortsbestim-
mungen, den Infinitiv, das Gerundium, Gerundivum und Supinum.
Den Schlufs bilden Stoffe zur Wiederholung des gesamten Lehr-
stoffes dieser Klasse. Beigegeben sind ein Kanon der Synonyma
und stilistischen Regeln, welchen die Anfänge der beiden voraus-
gehenden Teile in kleinerer Schrift vorausgestellt sind, das oben
erwähnte Verzeichnis der wichtigsten deutschen Transitiva und
lutransitiva, endlich ein als Vokabular gedachtes Wörterver-
zeichnis.
Die Verteilung des Lehr- und Obungsstoffes geht also inso-
fern über das Pensum der Quarta in Preufsen hinaus, als dieses
mit der Kasuslehre abschliefst und die Svntax des Verbums nur
«
nach Bedürfnis behandelt (vgl. Lehrpläne und Leliraufgaben für
die höheren Schulen vom 6. Januar 1892 S. 19), während die
Einübung der Präpositionen und Ortsbestimmungen der Kasuslehre
in der Hegel vorangeht, bezw. eingereiht ist, Infinitiv, Gerundium,
Gerundivum und Supinum aber der Tertia zugewiesen sind. Diese
etwas abweichende Verteilung des Lehrstoffes erscheint mir aber
nebensächlich, wofern im übrigen das Obungsbuch sich als
brauchbar erweist. Und das seheint mir bei dem vorliegenden
zweifellos.
Die Verfasser haben sich bemüht, mit besonderer Sorgfalt ein
wirkliches und nicht ein ad hoc präpariertes Deutsch als Übungs-
Stoff zu bieten, ein Streben, das um so mehr Anerkennung ver-
dient, als der Erfolg ihrer Bemühungen durchschlagend beweist,
dafs eine Mifshandlung unserer Muttersprache, wie man ihr leider
noch viel in den Übungsbüchern begegnet, zum Zwecke einer Er-
leichterung beim Hinüberselzen, durchaus überOüssig ist. Um
zugleich mit der Einübung der lateinischen Regel den deutschen
Stil zu fördern, ist sogar in den deutsch-lateinischen Einzelsätzen
eine gewisse Abwechselung im Ausdruck angestrebt und, wie die
genaue Durchsicht ergiebt, mit Erfolg durchgeführt. Die lateinisch-
deutschen Einzelsätze sind gröfstenteils den Klassikern entnommen,
beide Arten von Sätzen zum mündlichen Übersetzen bestimmt.
Die zusammenhängenden deutschen Übungsstücke, welche zwischen
die lateinischen und deutschen Einzelsätze ein^^eslreut sind, be-
A. Waldeck, Grieeh. Schalgrammatik, agz. v. P. Weifseofels. g05
handeln Stoiie aus Sage und Geschichte, sowohl der alten wie der
Deuereo Zeit (u. a» auch einen Vergleich der Schicksale Cäsars
and Napoleons I., eine kurze Darstellung des deutsch-französischen
Krieges 1 870/7 1, der Belagerung Strafsburgs 1870), einzelne Briefe
und Fabeln. Die zusammenhängenden lateinischen Stucke, welche
voD dem übrigen ObersetzungsstoiT gesondert von S. 157 ab folgen,
bringen Fabeln und geschichtliche Darstellungen, teilweise im An-
sdilufs an Nepos und Cäsar.
Der synonymische Kanon, welcher den 31, auf den beiden
rorbergehenden KUssenstufen eingeprägten Synonyma 20 neue
Unterscheidungen hinzufügt, hält sich in angemessener Beschrän-
kung. Die beigegebenen stilistischen Bemerkungen sind bündig,
klar, fafslich und in «kurzen, treffenden Beispielen dargestellt.
Dasselbe gilt auch von dem weiteren Anhang über die wichtigsten
gleichlautenden deutschen Transitiva und Intransitiva. Auch das
Wörterverzeichnis , lateinisch - deutsch und deutsch - lateinisch,
bringt das Notwendige in zweckmäfsiger Zusammenstellung.
Die Prüfung des Übungsbuches — um Mifsverständnisse zu
vermeiden, wäre es richtiger gewesen, ihm die Bezeichnung „Übungs-
und Lesebuch'' denn es ist beides — führt mich zur unbeschränk-
ten Anerkennung und warmen Empfehlung. Wer in der Lage ist,
an so reichlichem und nach Form wie Inhalt anziehendem Lese-
Qod Übangsstoff das grammatische Pensum der Quarta mit seinen
Schulern einzuüben, wird in dem Buche eine wesentliche Stütze
seines Unterrichts finden.
Euskirchen. P. Doetsch.
Asgost Waldeck, Griechische Schnlgrammatik eotsprechcDd des
Verfassers lateinischer Schalgpranmatik und den Zielen der neuen
Lehrpläne für alle Klassen des Gymnasiums, flaue a. 8., Verlag der
Baehhandlnng des Waisenhauses, 1893. VIII o. 115 S. IM.
Der lateinischen Schulgrammatik A. Waldecks ist schnell eine
griechische desselben Verfassers gefolgt Da nach den neuen
Lehrplinen für den Schulunterricht eine griechische Grammatik
gewählt werden soll, die in ihrem ganzen Aufbau von dem der
daneben gebrauchten lateinischen nicht allzu verschieden ist, so
sichert die Identität des Verfassers dem neuen Werke ein günstiges
Vorurteil; denn sie erweckt das Vertrauen, dafs der Verfasser
zumal unter dem Drucke der neuen Lehrpläne über die beiden
Sprachen gemeinsamen Gesetze ganz anders nachgedacht habe
als manche Vorgänger und die Ergebnisse seiner Forschung di-
daktisch zu verwerten sich bemüht habe. Wie schön, wird man
sagen, wenn die lateinische Grammatik sich zur Einführung eignet
und die vermutlich entsprechend angelegte griechische uns von
den Unannehmlichkeiten befreit, die mit der Benutzung der
Grammatik eines anderen Verfassers verbunden sind. Doch soll
uns dieses nicht abhalten, die griechische Grammatik unbefangen
606 A* Waldeek, Grieehischa Schal^ramDittik,
auf ihren Wert zu prüfen. Die Grundsatze, von denen sich W.
hat leiten lassen, ersehen wir aus der Vorrede und noch deut-
licher aus seiner Abhandlung im 31. Heft (April 1892) der Lehr-
proben und Lehrgänge „Die griechische Grammatik nach den
neuen Lehrplänen'*; für die Benutzung beim Unterrichte wCtrde
auch seine „Praktische Anleitung zum Unterricht in der lateini-
schen Grammatik" (Halle 1892) Fingerzeige geben
W. will „das allein jetzt noch bestehende Ziel, trotz der
▼erminderten Stundenzahl die Grammatik so einzuprägen, dafs sie
wirksam der Lektüre dient, durch strenges Festhalten an dem
Grundsatz erreichen, dafs Formen und syntaktische Verbältnisse
nur so gelernt werden sollen, dafs man dieselben beim Über-
setzen sofort erkennt, nicht so, dafs man sie auch beim Obertragen
ins Griechische selbst richtig und mit einiger Geläufigkeit an-
wenden kann'*. Richtig ist allerdings, dafs nach den Torläo-
figen Lehrplänen „auch ferner Verständnis der wichtigsten klas-
sischen Schriftwerke das einzige Ziel** des griechischen Unterrichts
ist, dem „Grammatik, Wortschatz und elementare Schreiböbungen
lediglich zu dienen haben**. Allein die definitiven Lehrpläne
schreiben „mundliche und schriftliche Obersetzungen ins Grie-
chische behufs Einübung der Formenlehre** in beiden Tertien und
in der Untersekunda vor; auch ist in der Abschlufspröfung die
Bekanntschaft mit der Formenlehre und den wesentlichsten Regein
der Syntax durch eine schriftliche Übertragung ins Griechische
zu erweisen. Es wird also thatsächlich nach wie vor verlangt,
dafs der Schuler und zwar schon der Untersekundaner Formen
und syntaktische Verhältnisse audi beim Obertragen ins Griechische
selbst richtig und mit einiger Geläufigkeit anwenden kann. Dieser
Irrtum über die Ziele der Neuorganisation war verzeihlich in
einem schon im April 1892 veröffentlichten Aufsatze, der im
ganzen doch wohl schon vor dem Bekanntwerden der definitiven
Lehrpläne gerade mit Würdigung des erwähnten Passus entworfen
sein mag; er ist es nicht mehr, wenn der zu Grunde liegende
Gedanke für die Anlage eines 1893 erschienenen Lehrbaches be-
stimmend geworden ist.
Nur das Regelmäfsigste soll nach W. vom Schdier gelernt
und bis zu völliger Gelätifigkeit eingeübt werden; minder Regel-
mäfsiges oder gar Unregelmäfsiges, meint er, werde derselbe im
Zusammenhange der Lektüre teils ratend, teils nach Anatogie ab-
leitend selber finden W. macht also an don Formen von
ßovXofjkai das Gesetz klar, dafs manche Verba zur Tempus-
bildnng ihren konsonantisch auslautenden Präsensetamm durch
Anfügung dnes e erweitero^ übt es auch an einigen Bei-
spielen etwas ein ebenso an den Formen von rcܫ 4ie in
einigen Zeiten nach dem kurz bkibenden Charakter erfolgte Ein-
Schiebung des c. Nun stöfst der Schtiler im Xenophon auf
^X&icd'fi. Bekanntlich wmlen in den ^Lehrprobeu** nicht bh»b
• D^ez. von P. WeiTsenfels. 607
die Fragen pracis gestellt; der angenommene Musterschüler, der
aaf das Ton Lehrer gewünschte Ziel instinktmifsig losstürzt, ant-
wortet ebenso präcis; und so ist in wenigen Augenblicken fest-
gestellt, die Form könne unmöglich etwas anderes sein als Ind.
Aor. Ton ax^ofiM. Und diese Form wird nun nach W. im
Kopfe des Schülers haften, „weit durch die vorhergehende eigene
Geistesarbrit daran sein Interesse gereizt ist und so die Perception
im Zostande geistiger Spannung erfolgt". Wenn es doch so wäre!
Allerdings sprechen auch unsere Lehrpllne Ton ,,erst auf induk-
tivem Wege aus dem Lesebuch zu gewinnenden und dann fest
einzuprägenden Formen*'. Aber wenn wir dereinst gefragt werden
sollten, welche Erfolge wir bei diesem Verfahren erreicht haben,
so wurde die ehrliche, gewissenhafte Antwort ungefähr also lauten
müssen: „Trotz redlichen Bemühens hat sich aus der Induktion
nichts ergeben, das mit einigem Rechte 'Kenntnis der Formen-
Idire* hätte genannt werden können. Diese hat sich erst einge-
funden, als wir die Formenlehre selbst systematisch betrieben.
Wir haben darauf das fruchtlose anfängliche Verfahren um so
lebhafter bedauert, als uns die Zeit jetzt kostbarer geworden ist
als zuvor'*. W.s Schüler weifs noch nicht die Tempora von
ßevi4^fut$ und vsJiJm mit unbedingter Sicherheit und lernt auch
nicht den Aorist von äx^Ofjux&; dafs er diesen auch nur an-
nähernd selbständig von ax^ofuct abgeleitet habe, glaubt vielleicht
sein Lehrer, er selbst aber so wenig, wie der Sklave des Menon
den geometrischen Lehrsatz allein gefunden zu haben geglaubt
haben mag. Ich unterschätze deswegen den Wert der Induktion
nicht Sie mufls jedenfalls angewandt werden, wenn es gilt, den
Schüler bei der Eingewöhnung in den ersten griechischen Schrift-
steU^, also nach Oberwindung der für den augenblicklichen Stand
seines Wissens zugeschnittenen Lektüre, zu einem vernünftigen
Angreifen der noch unbekannten Formen anzuhalten. Aber erstens
raufs die Gelegenheit, diese zeitraubende Methode anzuwenden,
vorher nach Kräften dadurch beschnitten werden, dafs ein mög-
lichst grofser Schatz unverlierbarer Formen im Gedächtnisse des
Schülers niedergelegt wird. Zweitens ist das durch Induktion
Gewminene, wenn es haften soll, noch nachträglich und besonders
gedäektnismäfsig einzuprägen. Letzteres schreiben auch unsei^e
Lehrpläne filr den lateinischen wie für den griechischen Elementar-
unterricht vor; W., der in der Induktion aHein die Gewähr für
ein sicfaeres Wissen sieht, überschätzt sie und mufs bei einem
wiederkehrenden ^%9409^ sein Frage- und Antwortspiel von
nenein vomehmen.
Meine Bemerkungen über die Unterrichtsmethode W.s wären
überflüssig, wenn diese nicht die Gestaltung seiner griechischen
Gninmttik beeinflufst hätte. „Sie soll für den Sehüler ein me-
thwüsch angelegtes Lernbuch sein, dem Lehrer ein Wegweiser
iür Umfang und Gang seines Unterrichts, nicht zugleioh t\n
60g A. Waldeck, Griechische SehaJgrammatik,
Hiltsbuch für seine eigenen wissenschaftlichen Studien/' Im
Prinzip sind alle diejenigen Formen und syntaktischen Regeln aus-
geschlossen, deren gedächtnismärsige Aneignung dem Verfasser
überflössig scheint, die im Begegnungsfalle durch Induktion zu
entwickeln sind. In der Formenlehre, der sich die eingehendere
Besprechung zunächst zuwendet, handelt es sich hierbei nicht etwa
um eine verhältnismäfsig beschränkte Anzahl von Formen, die
neuere Gelehrte trotz peinlicher Durchstdberung der Schulschrift*
steiler in diesen nirgends gefunden und darum aus der Gram-
matik eliminiert haben: die sämtlichen kontrahierten Substantiva
der ersten Deklination, von der dritten ovg, xbIq, vd»Q, der
Plural Yon nvQ, yopv, doqv, xvtav^ nqBaßevvijg, die Nomina
propria auf t^g, evöalfnav^ äfkeiyap, (Aiiag sind nicht erwähnt;
öixcuat mag durch ein Versehen keine SteUe gefunden haben.
Wer also den Versuch machen wollte, nach W. zu unterrichten,
würde beim Entwurf des Scriptums für die Abschlufspröfung eine
erhebliche Anzahl der geläuligsten Formen gewissenhaft meiden
müssen; denn der Schuler könnte den Mach weis fähren, daCs sie
im günstigsten Fall wohl nebenbei erwähnt, sicherlich aber nicht
in dem unerläfslichen Memorierstofl* behandelt worden sind. „Das
aus der Grammatik zu Erlernende soll dem Schüler nicht in rein
wissenschaftlicher, sondern in didaktischer Form und Gruppierung
geboten werden. . . . Paradigmen habe ich, obwohl ich dieselben
im allgemeinen für unnütz, ja für schädlich halte, nur deshalb
hinzugefugt, weil ich weifs, dafs noch viele Lehrer dieselben als
unentbehrlich betrachten. Hoffentlich macht keiner Gebrauch
davon." W. hat demgemäfs die Formenlehre in zwei Abschnillen
„Unter-Tertia" und „Ober-Tertia" vorgeführt, die in ihrer Ab-
grenzung im wesentlichen den neuen Lehrplänen entsprechen.
Einige Absclmitte des ersten Teiles (Neutra auf ag, Eigennamen
auf xi^g^ die Feminina auf o» und (og^ ßovg, 1%^^^ ^Q^^ und
äatv) sollen dem späteren Kursus vorbehalten werden. Da W.
noch 1892 der Ansicht war, „dafs sich sehr wohl in III b auch
in sechs Stunden annähernd die ganze regelmäCsige Formenlehre
bewältigen und der Rest mit den wirklich notwendigen Ausnahmen
in den ersten sechs Wochen in III a absolvieren liefse", ist er
schnell anderer Meinung geworden oder hat nicht den Mut ge-
habt, den allerdings kühnen Plan in seiner Grammatik weiter zu
verfolgen. Seine Abneigung gegen Paradigmen ist übrigens nicht
so grofs, als man nach der angezogenen Stelle der Vorrede ver-
muten sollte. Gewöhnt die veränderlichen Flexionselemente an
die Tafel zu schreiben und danach mit Voransetzung des Wort-
stockes die Formen bilden zu lassen, schafl't er doch im Grunde
ebenfalls Paradigmen; gedruckte Paradigmen, die bei der ersten
Besprechung in die beiden Teile aufzulösen sind, haben Jedenfalls
vor jenen vor den Augen des Schülers entstehenden Paradigmen
den niciu zu unterschätzenden Vorteil, dafs sie von jedem Sdbüler
ao|(ez. von P. Weifseofels. 609
von jedem Platze aus gesehen und ohne Zeitaufwand vorgelegt
und im Bedurfnisfalle von neuem vorgelegt werden können.
Die drei Deklinationen sind auf acht ziemlich splendid ge-
druckten Seiten abgemacht. An dieser Kurze der Behandlung
wird niemand Anstofs nehmen, wenn VV. wirklich nur Ober-
flüssiges, das allenfalls den übergründlichen Philologen interessieren
kann, gestrichen, das Elementare dagegen, das selbst der Schüler
wissen soll, in lehrbarer Form gegeben hätte, die nun einmal bei
aller Präzision in den einzelnen Regeln einer gewissen Umständ-
lichkeit in der ganzen Anlage nicht entraten kann. Wie es in
der ersten Beziehung steht, ist oben bereits gesagt; ich brauche
also nur auf den zweiten Punkt noch einzugehen. Unter „erste
Deklination'' lernt der Schüler a purum und a impurum flektieren;
über die Quantität der beiden a erfährt er nichts. Das hat fürs
erste zur Folge, dafs er z. B. ßaaiXsiaq unter allen Umständen
nur von ßaaileia oder nur von ßaa^Xsia wird ableiten wollen,
je nachdem er das eine oder das andere zuerst dem Gedächtnis
eingeprägt hat, und dafs er den Accent von Movaa u. s. w. als
etwas Zufälliges, für jede Vokabel besonders zu Lernendes em-
pfindet; kommt er aber nach Untersekunda, so ist der Boden
nicht bereitet, der xdqti, zQfjx^^^f Movaa aufnehmen kann. W.s
Schüler wird nach $ 5. 2 die Feminina dixaia, nolcfAia betonen,
denn er liest § 15 dixatog^ ä, oy^ noXiftiog, äj oy; ob ßißaioq
das Feminimum ßißaia, ßeßaiaj ßeßaJa oder ßeßani bildet,
mufs ihm dunkel bleiben. &akdaaijg zu betonen sieht er keinen
zwingenden Grund; denn W. untersagt ihm zvfäT &dXa(fatjg, aber
nicht ^xxlaaa^g. Die Bedeutung, welche die Quantität der vor-
letzten Silbe für den Accent erhalten kann, wird ihm auch nicht
klar. Denn dafs fAcix^i, ßi^ßt], dixfij die er nach nvXfi dekli-
nieren soll, nach nvlr) gehen müssen, folgt doch aus der Quan-
tität der vorletzten, die — nicht angemerkt ist; bei seiner Un-
bekanntschaft mit der Quantität des $ hindert ihn später auch
nichts xagdtatj ytavlat, tagAlai zu bilden. Dafür lernt er über-
flüssiger Weise tlfAij und später oqvl^og. — Nicht besser ist es
mit der Behandlung der dritten Deklination bestellt. Wir können
ja eingehendere Regeln über das Verhältnis des Nom. Sing, zum
Stamme und über die Bildung des Vok. Sing, unseren Schülern
erlassen, obwohl nach der Einübung der einzelnen Paradigmen
und der unregelmäßigen Substantiva beides nicht im entferntesten
zeitraubend ist; wir können in der Ilib xe^XB^ ßaa^ls, ßo als
Stamm bezeichnen, weil der Schüler noch nicht durch oQsaipt
eines besseren belehrt wird und ßaa^lsvat, ßovai rein gedächt-
nismälsig hinnehmen mag. Dann aber seien wir konsequent und
lehren nicht mit W., dafs der Nom. ilnig heifse, weil T-Laute
vor tf ausfallen; noch mehr aber hüten wir uns vor so kühnen
Schlüssen wie: die Wortstöcke xoQax-^ Xbov%- bilden die Nomi-
nativa xoQa^, Xitoy, weil kein griechisches Wort auf eine Mula
ZeiiMitf. t d. GjmaiiMftlweMn XLVIL 10. 39
510 A. Waldfck, Griechische Scholgrammatik,
endigen könne. Und ob der Schuler die Kasus von fnitfjQ und
&vycitfiQ richtig accenluieren wird, wenn ihm als einzige Ab-
weichungen von dem Paradigma natijQ die Vokative d^vyaTsq und
YcccsxTiq bezeichnet sind? Die Quantität der ancipites ist anch in
diesem Abschnitt nicht durchgehends angegeben, wo sie für den
Ton oder doch zu gründlicherer Kenntnis der Formen wichtig
ist; novQ und (als der für vl^og vorauszusetzende Nom.) vlsvq
mag verdruckt sein.
Ich will nicht mit derselben Ausführlichkeit auf die Konju-
gntionslehre eingehen, vielmehr einige Einzelheiten herausgreifen,
die einen Schlufs auf die Verwendbarkeit des ganzen Abschnittes
gestatten werden. Unter den Verbis auf /u* wird noch am ein-
gehendsten tatfifii behandelt, das in dieser Grammatik, die den
StoiT nicht in rein wissenschaftlicher, sondern in didaktischer
Form und Gruppierung bieten will, immer vor xid-rnn, ttjui' und
diötöiii den Vorrang hat trotz der besonderen Schwierigkeiten,
welche die Bedeutung der Tempora bereitet, trotz des wechseln-
den Anlautes (*, i, 6, J, e\\ der nach gründlicher Behandlung
von tid-fifii. nur wenig Kopfzerbrechen verursacht. Nachdem der
Indik. Präs. und Impf. Akt. eingeführt ist mit der Bemerkung,
ItfTccifi sei aus ItSTocatti geworden, heifst es: danach konjugiere
Präsens und Imperf. von nlfinXfifn^ ni^unQijfjtt und das Präsens
von Ti&fj^ii, Irifii, didüüiii. Obwohl die Stämme bekannt sind,
mufs dies mifslingen, da der Schüler tid^iccai^ didoats^ zu kon-
trahieren verleitet ist. Ein übel angewandtes Streben nach Kürze
bestimmt alsbald W. s&tjxa, sdaxa, ^xa als zweite Aoriste aus-
zugeben. Zu edlMV beifst es: nach Verbis auf fit; die lakonische,
unbrauchbare Bemerkung wird nur um etwas gebessert durch die
Anführung der Formen ält^ aXoitjv aXco&t aXcovat älovg ovaa oV,
durch die der Schüler noch nicht den Indik. und Imper. konju-
gieren lernt. Ebenso verfährt W. bei s/vonv; imdikfiv söqav
sßfiv icp&fiv iaßfiv sdvv scpvv scheinen ihm ohne jede Erläuterung
flektierbar; zu ixc^Q''!^ macht er den doppelten unfruchtbaren
Zusatz: nach Verbis auf ju»; beachte, dafs manche Verba auf a
den Aorist nach Verbis auf (ii bilden. ^EdvvcOj ini<ft(i&, ^nlfftoa
sind entweder zu selbstverständlich oder nur dem Philologen von
Fach interessant. — Unter v. liquida wird unter den im Pf. und
Plusquampf. Pass. notwendigen Konsonantveränderungen zwar der
Ausstofsung des c zwischen Konsonanten in einer Regel gedacht,
auch der Assimilation des v an [i in den „Beispielen für die
Tempusbildung'' durch Anführung von nsnSQa(i[jbat{'!) und ^(fx^P^
[jai; die im Vergleich zur Assimilation ungleich häufigere Ver-
wandlung des V \n a ist (vielleicht unabsichtlich) nicht erwähnt.
Unter den Aor. Pass. lesen wir § 65 (wie § 64 hqi^&fiv und
§ 86 ixXiff&fiv) iaxdX&fiv itrndq&fip iaifaX&fiv i^p&dq&'fip;
§ 68 iandqfiv ifStdXfiv, Werden die richtigen Formen, zumal
die nicht erwähnten ia^dXfiv itfd'dqfiv, noch die fehlerhaften
angez. vod P. WeifseBfels. 611
TerdrSDgen? Quo semel est imbuta recens servabit odorem testa
diu. Das a der Stämme äg und dl wird § 89 a impurum ge-
nannt Die Formen sxtaxa, ixvafiai, ima^^iv (vgl ßißafiat,
ißa^Vy li'd'oqa) nehmen sich sonderbar genug aus in einer
Grammatik, die nicht Xaßi^ svqSj inofMctj nanovi^cd, xla^fOj
Hfl kennt.
Ein brauchbarer, nur hin und wieder der Verbesserung be-
dürftiger Anhang Ober die Präpositionen leitet zur Syntax über,
deren Regeln, soweit die Sprachen es gestatten, mit denen der
früher Teröffentlichten , aber später entstandenen lateinischen
Grammatik übereinstimmen. Selbstverständlich ist dabei die la-
teinische Syntax, die ja in praxi früher gelehrt wird, ausführlicher
als die griechische, in der z. B. gen. possessoris, subject. und
object., explicativus mit je einer Zeile abgemacht sind. Das Prinzip
ist untadlig. Es mufs uns aber befremden, dafs auch hier so
mancherlei fehlt, das wir gewohnt sind als unerläfslichen Memo-
riersloff zu betrachten. So haben keine Stelle gefunden unter
Accusativ didda%€tv, iqfAtäv, {dg)nQdzxBiVj etg(nQdTTe(rd'at),
ä§Hf%$wvvai^ ivdvBiv^ ixdvetv, ätfaiQsta&ai; die passivische
Konstruktion des angeführten xQvnrsty (vgl. exercitus Rhenum
traiectus est, rogatus sententiam); die Konstruktion iinzqinoiiai
TAj disq&aQfjb^og r^v dxo^v u. s. w., die auch nicht nachgeholt
ist, wo nKrT€vo[Aat, amatovfjtai (vgl. nupta alicui) erwähnt
werden; so wird unter Dativ nicht der dat. ethicus und relationis
angeführt, der in sehr geläufigen Fällen ausschliefslich übliche
acc. mensurae und der ebenfalls durchaus nicht selten bei einigen
Verben des AiTekles neben dem Dativ angewandte Accusativ der
Ursache nicht nachgeholt. Die „Lehre vom Satz'' könnte eher
den Anspruch erheben noch das Notwendigste in angemessener
Form zu enthalten; auch wird man die begleitenden Reispiele
insofern durchaus passend finden müssen , als sie, in der Form
knapp und inhaltlich durchsichtig, die Aufmerksamkeit des Schülers
auf die gerade behandelte Regel konzentrieren. Doch leidet auch
dieser Abschnitt an gewissen Unebenheiten, die bei gründlicherer
Redaktion wohl fortgefallen wären. Eine eingehendere Besprechung
der Bedingungssätze, mit deren Behandlung ich mich nicht ein-
verstanden erklären kann, wird Gelegenheit geben jene Uneben-
heiten noch anzudeuten und, was ja für die Beurteilung des
Werkes von Wichtigkeit ist, das Verhältnis unserer Grammatik
zur lateinischen näher zu beleuchten.
Da „das Wesen der realen Bedingung zu verstehen nicht nur
der weitaus schwierigste Teil der Bedingungssätze, sondern viel-
leicht das Schwierigste ist, was dem Schüler überhaupt in der
Gramnoatik zugemutet wird** (Prakt Anleitung S. 175), behandelt
W. in der lateinischen Syntax die reale Bedingung erst nach der
irrealen und potentialen. In einem Nachtrage spricht er dann
Ton der „reinen Fallsetzung'S die der Lateiner als potentinl, der
89*
()|2 ^* Waldecky Griechische Schulgraui inati k,
DeuUcbe als irreal fasse (dies me deliciat, si omnia enumerare
velim: wenn ich erzälilea woUle, so würde mir u. s. w.). Etwas
ausführlicher äufsert sich W. über letzlere in der ErlSuterungs-
Schrift S. 180 dahin, dafs solche Fallsetzuugen, die sich im
Deutschen mit angenommen dafs oder gesetzt den Fall dafs um-
schreiben lassen, eigentlich in der Mitte zwischen Irrealis und
Poteniialis stehen, dafs der Deutsche dieselben aber irreal, der
Lateiner potential auffasse, während der Grieche eine besondere
Form {sl cum opl. — opt mit äv) dafür habe. Die Bedenken
wegeu der Schwierigkeit der Aneignung von Seiten des Schülers
haben W. in der griechischen Syntax schon nicht mehr bestimmen
können dem Healis die erste Stelle unter den hypothetischen
Fällen zu versagen; vielleicht ist ihm auch der Schüler durch den
vorangehenden lateinischen Kursus für den griechischen soweit
vorgebildet erschienen, dafs er jenem die Stelle zu lassen wagte,
die ihm nicht blofs das Herkommen, sondern auch das Gefüge
seiner Syntax (vgl. § 122) zuwies. Die „reine Falisetzung'' da-
gegen als besonderer hypothetischer Fall verwirrt wie in der
lateinischen so auch in der griechischen Syntax die richtigen
Vorstellungen über Bedingungssätze, die sich ohne ihre Einführung
in die Grammatik bilden können. Sie ist schon schwer zu er-
fassen, wenn es nicht gelingt sie anders als mit W. als ein Mittel-
ding zwischen Potentialis und Irrealis zu definieren; sie wird
noch unverständlicher, wenn man erwägt, dafs der Deutsche dem
angeführten deutschen Beispiele durch ein dem Nachsätze einge-
fügtes „v\ohl'' ohne jede Änderung des Vordersatzes die Färbung
des Potentialis geben, der Lateiner umgekehrt dem lateinischen
Beispiele durch Einsetzung des Nebentempus in beiden Satzteilen
seinen Potentialis in einen Irrealis verwandeln kann, und dafs es
eben nur auf die Auffassung und den Zweck des Redenden an-
kommt, welche Form der Bedingung er wählen will (vgl. Ferd.
Schultz lat. Sprachlehre § 344 Anm. 1). Kurz ich sehe nicht ein,
warum in der lateinischen Syntax die „reine Fallselzung** wie
etwas materiell Verschiedenes von dem Potentialis abgezweigt ist,
mit dem sie formell übereinstimmt, und warum der griechischen
Sprache ein besonderer syntaktischer Ausdruck dafür als spezi-
iische Eigentümlichkeit vindiziert wird. In der griechischen Syntax
redet ferner W. von einer „durch iav cum coni. ausgedrückten
Potentialen Bedingung, die den erwarteten und den wiederholten
Fall bezeichnet (futurisch und iterativ)''. Die Worte würden an
Klarheit gewinnen, wenn W. nur von einem wiederholten Fall
u. zw. der Gegenwart und Zukunft spräche; auch wird die
Bezeichnung der Bedingung als potential und ihr Ausdruck durch
idy cum coni. dem Schüler als ein Widerspruch erscheinen, da
er bei „potential'' an den Optativ mit dV zu denken gewöhnt ist.
Da nun W. auch in der lateinischen Syntax von einem Potentialis
geredet hat, der ausgedrückt werde durch den Konjunktiv der
«Dgez. voD P WeifsenfeU. 513
Hauptzeiten, und zur Übersetzung in das Deutsche dort /dieselben
Mittel angewendet hat wie hier unter der potentialen Bedingung,
so liegt geradezu die Nötigung vor, beide Fälle als gleich anzu-
nehmen, was aber offenbar nicht angeht. Denn iäy tovxo
not^tffig^ öi^fiv diicBkq bedeutet: si hoc feceris (fut. fl), poenam
dabis und nicht: si hoc feceris (coni. perf.), poenam des; iäv ol
nolifjk&oi toy notafioy dtaßaiyoac^, fiaxovfie&a: si hostes fliimen
transibunt, pugnabinius, und idv tic Tovg yoySag t^fiq^ sv
nQoSei: quisquis parentes verebitur, beatus erit; und umgekehrt
ist sein lateinisches Beispiel si hoc dicas, erres in das Griechische
zu übertragen: st tov%o eXnoic, (ftpaXelfjc av. Auch was von
dem Hauptsatze dieser ,,potentialen*' und der realen Bedingung
gesagt ist, er sei an keine bestimmte Form gebunden, ist nicht
in vollem Umfange richtig; denn ein irrealer Haiiptsalz ist un-
denkbar. — Es ist nicht meine Aufgabe, nunmehr festzustellen,
wie die Basis beschaffen sein müsse, welche dieses Kapitel der
lateinischen und der griechischen Syntax zugleich tragen könne;
hier genügt, was ich geliefert zu haben glaube, nämlich der Be-
weis, dafs die von W. konstruierte Basis mifsraten ist. Doch ich
sprach von gewissen Unebenheiten, von denen der syntaktische
Teil durchsetzt sei. Also noch zwei Beispiele, die sich in dem
gerade besprochenen Abschnitt finden. Wenn denn der Zusatz
„reale und potentiale Bedingungen können in den opt. obliquus
übergehen", an zwei Beispielen klar gemacht werden soll, so
empfahl es sich doch, nicht zwei mit potentialer Bedingung,
sondern je eins mit realer und mit potentialer Bedingung zu
wählen. Wenn sodann st xai und xal st, iäv xai und ital
iay durch die Beispiele erläutert werden: ,,st xal (i^ ßovXovta»
— xay (= xal iäv) fAfj fiovlcayiat auch wenn sie nicht wollen;
st xal fi^ ißovXovTO auch wenn sie nicht wolUen'S so werden
zwei hypothetische Fälle, die unterschieden werden sollen, durch
die gleiche Obersetzung als völlig gleichwertig hingestellt; so wird
auch di^r in logischer Hinsicht recht wesentliche Unterschied, den
die Stellung des xai bewirkt, in demselben Augenblicke aufscr
Acht gelassen, in dem er gelehrt wird.
Es ist überflüssig, ausführlicher auf die Syntax einzugehen.
Das^Urteil, das die Kritik über die lateinische Grammatik desselben
Verfassers fallen wird, könnte, selbst wenn es günstig lauten
sollte, an meinem Urteile über die griechische nichts andern:
diese ist meiner Ansicht nach nicht geeignet, den Grund zu einer
Sprachkenntnis zu legen, die den Zielen des Unterrichts entspräche.
Züllichau. P. Weifsenfeis.
614 C. OstermaDDS Grieehisehes Obaogsboch and Formeolehre,
Christiao Ostermaoofl Grieehischet Oboogsbuch oach den nenen
Lehrplanea bearbeitet und für die beiden Tertien der Gymnaaien er-
weitert von A. Drygas. Siebente Auflage. Frankfurt a. M. u. Leip-
zig, Kessel ringsche Hofbochhandlang (£. v. Mayer), 1898. 215 S. 8.
geb. 2 M.
Christian Ostermanns Griechische Formenlehre neu bearbeitet
und erweitert von A. Drygas. Siebeote Auflage. Ebendaselbst.
1893. 119 S. 8. geb. 1,25 M.
Mit dem Inkrafttreten der neuen Lehrpläne konnte es nicht
ausbleiben, dafs die meisten Schulbücher einer nenen Durchsicht
unterzogen und umgearbeitet wurden. So geschah es auch mit
den Ostermannschen Übungsbüchern, von denen die lateinischen
der Gymnasialdirektor Dr. H. J. Müller neu herausgegeben hat,
während die griechischen in der Umarbeitung des Oberlehrers Dr.
A. Drygas uns hier vorliegen.
Was nun zunächst die Einrichtung des griechischen Übungs-
buches betrifft, so geht dem Übungsstoff ein grammatikalisch
geordnetes und für den Anfangsunterricht bestimmtes Vokabularium
voraus (S. 3 — 30), dessen Vokabeln mit grofser Umsicht aus
Xenophons Anabasis ausgewählt und in den Übungsstücken ver-
wertet worden sind. Den neuen Lehrplänen entsprechend, wech-
seln sodann Einzelsätze mit zusammenhängenden Lese- und
Übungsstücken ab. Die Zahl der zusammenhängenden Stücke ist
in der neuen Bearbeitung bedeutend vermehrt, andererseits sind
sehr viele Sätze gestrichen oder sachlich und stilistisch verbessert
worden. Der Hsgb. hätte in dieser Hinsicht nur noch gründlicher
verfahren sollen; Sätze z. B. wie S. 117, 6 hätte niemand vermifst,
und der Übungsstoff wäre noch immer reichlich genug gewesen.
Nicht das gedankenlose Übersetzen vieler Sätze, sondern das
Rückübersetzen, Variieren und Durcharbeiten von wenigen regt den
Schüler an und bildet seinen Geist. — Die Einzelsätze, die zum
grofsen Teil den alten Schriftstellern entnommen sind, folgen dem
stufenmäfsigen Fortschreiten der Grammatik; die zusammen-
hängenden Stücke behandeln die griechische Sage und Geschichte.
Sehr dankenswert ist die Paraphrase einzelner Abschnitte
aus den drei ersten Büchern der Anabasis. Bei den unregel-
mäfsigen Verben sind griechische Stücke in Prosa nicht mehr
verwendet, was nicht zu tadeln ist, da gleichzeitig die Anabasis
gelesen wird. Dafür sind im Abschnitt XX[ einige Fabeln des
Babrios und mehrere Epigramme, im Abschnitt XXll hundert
griechische Sprüchwörter und Sentenzen aufgenommen, ein Er-
satz, der sicherlich manchem Lehrer willkommen sein wird.
Hier und da sind Regeln aus der Kasus- und Moduslehre
eingestreut, deren Auswahl und Anordnung überall den praktischen
Schulmann erkennen lassen, doch könnte die Fassung zuweilen
präziser sein, wie z. B. S. 56.
Mit Recht hat der Hsgb. den Übungsstoff für U HI und 0 Hl
in einem Bande zusammengofafst. Dadurch wird das Buch ver-
aogaz. voD A. Sioda. gl5
haltoismärsig billiger, und Zeit und Raum werden bedeutend er-
spart. Der Schüler gewöhnt sich an das Buch, wird darin hei-
misch und Gndet sieb sofort zurecht; überdies wird dadurch das
zweite Wörterverzeichnis, in dem das meiste wiederholt werden
möfste, entbehrlich.
Bei einer neuen Auflage wurde Ref. raten, die zusammen-
hängenden Stucke noch zu vermehren, die gegebenen Über-
setzungsbeihülfen dagegen ganz bedeutend einzuschränken und in
den griechischen Sätzen den Artikel vor Personennamen in den
meisten Fällen zu streichen. Zum Schlufs die Frage: Warum wird
im Übungsbuch, abweichend von der Formenlehre, UifA^ zu den
unregelmäfsigen Verben auf fn gerechnet?
Von demselben Hsgb. ist auch der frühere Abrifs der griechi-
schen Formenlehre von Ostermann umgearbeitet und erweitert
worden. Dieses Buch erscheint in einem ganz neuen Gewände.
Der Stoff ist anders gruppiert, die Paradigmen in übersichtliche
Tabellen gebracht Erweitert ist die Formenlehre durch die Auf-
nahme der Verba auf ju«, der unregelmäfsigen Verba, einer
Versregel über den Gebrauch der Präpositionen, sowie durch ein
Verzeichnis der wichtigsten Adverbia. Im Anhange ist das Not-
wendigste aus der homerischen Formenlehre beigefügt. Ein ge-
nauer Index zur atiischen Formenlehre erleichtert das AufGnden
eines jeden in dem Buche behandelten Wortes.
Auch in der Formenlehre zeigt uns der Hsgb. dieselbe me-
thodische Anordnung und treffliche Ausführung: überall merkt
man, dafs die Bücher nicht am grünen Tisch entstanden, sondern
aus der Schulpraxis hervorgegangen sind.
In der Auswahl der Wortformen beschränkt er sich fast
überall mit Recht auf das Regelmäfsige und öfter Wiederkehrende,
soweit es für die Schule notwendig ist, dabei reicht jedoch das
Gebotene für das ganze Gymnasium vollständig aus. Die Fassung
der Regeln ist durchweg kurz und klar, so dats die bewährte
Brauchbarkeit der Ostermannschen Schulbücher durch diese Aus-
gabe erheblich erhöht worden ist. Nur würden wir raten, in
Zukunft sämtliche Duaiformen in den Paradigmen zu streichen
und die Flexion dieses Numerus in ein paar Anmerkungen zu er-
ledigen. Auch wäre zu wünschen, dafs der Hsgb. sich ent-
scbliefsen möchte, recht bald einen kurzen Abrifs der wichtigsten
Regeln der Syntax erscheinen zu lassen.
Die Ausstattung beider Bücher ist vortrefflich, der Preis an-
gemessen; doch wünschten wir in dem sogenannten Petit -Satz
deutlichere Schriftzeichen. Der Druck ist korrekt; abgesehen von
ganz vereinzelten Ungenauigkeiten in Bezug auf Accent und Spi-
ritus ist uns nur ein störender Druckfehler im Übungsbuche auf-
gefallen, wo auf S. 43 evaeßstg st. evreßetq zu lesen ist.
Posen. A. Sioda.
616 G. WeitzeabSck, Lehrboch der frtozS«i8cheD Sprache,
Georg WeitzeobSck, Lehrbuch der franzSsischea Sprache.
I. Teil. Prag o. Wieo, F. Tempsky; Leipzig, 6. PreyUg, 1893.
(Da« gesondert heransgegebeoe Be gleit wort) VI o. HOS. 8. 90 kr.
Ein Buch, dessen Verfasser sich überall als erfahrener Lehrer
und kundiger Fachmann zeigt. Fast könnten die Lobspröche, die
Gutersohn dereinst in den Süd westdeutschen Schulblättern dem
Strienschen Lehrbuche gespendet hat, auch für dieses Werkchen
gelten. Denn wie jenes weist es eine glückliche Verschmelzung
der Reformideen mit der alten Methode auf; wie jenes weifs es,
trotz der zusammenhängenden Lesestücke, mit einem Verhältnis-
mäfsig geringen Wortschatz auszukommen und den Hauptfehler
der meisten Unterrichtsbücher der neuen Methode, nämlich die
bei Beginn höchst lästige Häufung von Schwierigkeiten, zu ver-
meiden.
Das Lehrbuch zerfällt in drei Abschnitte. Der erste enthält
die Sprachstücke, von denen die sieben ersten noch einmal
in Lautschrift wiedergegeben werden, und denen allen sich recht
eingehende Erklärungen anschliefsen. Natürlich ist ihr In-
halt dem Anschauungskreise des Schülers entnommen. Jede der
(62) Lektionen bebandelt einen kleinen Abschnitt der Elementar-
grammatik; der Verf. will eben die grammatische Schulung nicht
vernachlässigen. Stets beginnt sie mit einem Lesestück, das be-
sonders im Anfange aus ganz einfachen, teilweise wohl selbst ge-
bildeten, doch stets idiomatisch richtigen Sätzen besteht; diesem
folgen A. die Questions, B. die Exercices. Als Beispiel und
zugleich als Beweis, welchen Fortschritt in der Behandlung des
Lesestücks wir hier vor uns haben, mag die nachstehende Lektioa
dienen:
Nr. 1 (numero un).
La classe.
1 . Geci est une salle. 2. Nous sommes dans une salle d'ecole.
3. Je suis votre maltre. 4. N., tu es un ^I^ve. 5. Les autres
sont tes camarades. 6. Vous ötes tous mes el^ves.
A. Questions.
1. Demande: Oü sommes-nous? -— Beponse: 2.
2. D. Dans quelle salle sommes-nous? — B.: 2.
3. D. „ „ „ ^tes-vous? — B. : 2.
4. D. „ „ „ es- tu? — B.: 2.
5. D. „ „ „ suis-je? — B.: Vous ^les dans ....
6. D. Qu'est-ce que je suis? — B. : Vous 6tes noti*e maitre.
7. D. „ „ tu es? — B.: Je suis un el^ve.
8. D. „ „ vous dtes? — B.: Nous sommes des eleves.
9. D. „ „ les autres sont? — B.: Les autres sont
mes camarades.
«ogei. von A. Robr. 6|7
B. Exercices.
1. Exercer Toreille des elives en pronon^ant ä plusieurs reprises
des combinaisons de ces mots, p. e. notre seile, votre salle,
votre ecole, je suis dans une salle etc.
2. Combiner les substantifs avec un, une, des.
3. s du pluriel.
4. Faire apprendre par coeur.
5. Faire copier plusieurs fois.
Id ähnlicher Weise geht es die Cibrigen Nummern durch.
Doch versteht es der Verf. wohl, die Fragen und Übungen der-
artig zu variieren, dafs das Gefühl des Eintönigen nicht aufkommen
kann: jeder Lehrer, der den französischen Anfangsunterricht zu
erteilen hat, könnte hier von ihm lernen.
Die Sprachlehre bildet den zweiten Abschnitt. Nach der
etwas breit angelegten Lautlehre und den Paradigmen der regel-
mäbigen Konjugation in Lautschrift kommt so ziemlich die ge-
samte Formenlehre, die wichtigeren unregelmäfsigen Verba mit
eingeschlossen, auf 26 Seiten zur Darstellung. Alles knapp und
doch nicht rein schematisch.
Der dritte Abschnitt enthält das Wörterverzeichnis. Nach
oberflächlicher Schätzung sind es 1400 Vokabeln, die verschiedenen
grammatischen Wörter und Formen, wie vaici^ votU, t^otr, vaiyant,
voyez, vu, &os, votre, y, pas^ die ebenfalls aufgenommen sind,
eingerechnet. Jeder Vokabel ist die Aussprache in Lautschrift und
(in Zahlen) die Textnummern, in denen sie vorkommt, ange-
geben.
Im ganzen wird man zugestehen mQssen, dafs der Verf. seine
Aufgabe glücklich gelöst bat. Denn nach ihm soll der Schüler folgende
Stufen der Aneignung erreichen: 1. die gesprochene Sprache ver-
stehen; 2. sie wiedergeben; 3. sie als Antwort geben; 4. die
Wörter in ihrer geläufigen Schreibung lesen; 5. sie in dieser 6e-
slalt schreiben; 6. die Sprachlehre ableiten. Dennoch glaubt Ref.,
dafs das Buch an deutschen Lehranstalten schwerlich zur Ein-
führung gelangen wird. Für Gymnasien ist es überhaupt nicht
bestimmt: in der That könnte unsem Quartanern und Unter-
tertianern, von anderm abgesehen, schon die Lektüre von Lese-
Stöcken, deren Niveau sich nur wenig über dem des oben ange-
führten erhebt, auf die Dauer nicht zugemutet werden. Doch auch
die eigentlichen Realschulen, für deren beide unteren Klassen es
geschrieben ist, werden es kaum einführen. Die wenigen Pro-
vinzialismen wie: „Rteitez le present de (sagt die Gegenwart
herunter vony* oder: „Ne soufflez pas! Sagen Sie nicht ein!*'
oder „aväs^-16-l^vr Schieben Sie die Lippen vor!" werden hier-
bei keine Rolle spielen, auf jeden Fall eine geringere als der etwas
▼erscb wenderische Gebrauch der Lautschrift; viel schwerer fallen
nach Ansicht des Ref. zwei andere Umstände ins Gewicht. Zu-
nächst ist es der grundsätzliche Ausschlufs yon deutschen
61g H. Loewe, English Grammar und Eogland aod tha Eogliih,
Übersetzungsstücken: gerade bei einem solchen Obungsbucbe
wird dieser Mangel sofort als störend empfunden. Sodann mufs
die ganze Anlage, die vielleicht deir gröfste Vorzug des Werkchens
ist, wenn es als Hülfsbuch für die Hand des Lehrers dienen
soll, seiner Verwendung als eigentliches Schulbuch hinderlich
sein. Eben die ins einzelne, ja kleinste gehenden Fragen, Übungen
und Erklärungen durften vielen Lehrern das Buch verleiden und
den Unterrichtsbetrieb, trotz der ziemlich hohen Anforderungen
an die Thätigkeit des Lehrers und Schülers in den Klassenstunden,
zu einem mechanischen gestalten. Somit kann dem Werkeben
in seiner gegenwärtigen Gestalt eine weitere Verbreitung kaum
in Aussicht gestellt, vielleicht nicht einmal gewünscht werden.
Der Druck wie die gesamte äufsere Ausstattung entsprechen
vollständig dem Rufe der bewährten Verlagsfirma; der Preis ist
durchaus angemessen.
Deutsch-Krone. A. Rohr.
H. Loewe, Eoglish Grammar. EiDführoog io die engliacfae Sprache auf
Grund seioes Lesebuches Ensland and tbe EogUsh. Dessau u. Leipzig,
Kahles Verlag, 1893. 111 S. 8. geb. 1,20 M.
H. Loewe, England and the English. Neues englisches Lesebuch für
deutsche Schulen. Unterstufe. Dessau u. Leipzig, Kahles Verlag, 1893.
292 S. 8. geb. 2,80 M.
Auf mannigfachem Wege kann der Schüler in eine fremde
Sprache eingeführt und zum Verslehen und Gebrauch derselben
angeleitet werden. Es fragt sich nur, welcher Weg ist der be-
quemste; auf welchem Wege kann man am leichtesten eine Klasse
mittelmäfsig beanlagter Schüler mit den Elementen einer fremden
Sprache vertraut machen, und auf welchem Wege ihr am
raschesten den nötigen Wort- und Pbrasenschatz verschaffen, um
sie in den Stand zu setzen, die fremde Sprache zu verstehen und
auch selbst zu gebrauchen. Gerade in neuerer Zeit sind nun eine
stattliche Reihe fremdsprachlicher Lehrbücher entstanden, die, so
grofs auch die Übereinstimmung in methodischer Hinsicht sein
mag, doch im grofsen und ganzen verschiedene Wege zur Er-
lernung einer fremden Sprache einschlagen. Und wenn man nun
bedenkt, dafs jeder Verfasser die von ihm in seinem Lehrbuch
eingeschlagene Methode für besonders geeignet hält, so scheint es
doch vom pädagogischen Standpunkt sehr bedenklich, die Freiheit
der Lehrmethode durch allzu genaue Vorschriften einzuschränken
oder gar durch die Beschränkung der Auswahl der zu benutzen-
den Lehrbücher hemmen zu wollen. Gewifs muls ein einheit-
liches Ziel auf den einzelnen Lehranstalten erstrebt und erreicht
werden; aber man darf m. E. den einzelnen Anstalten nicht den
Weg vorschreiben, auf dem dieses Ziel erreicht werden soll.
Wenn man durch Aufdrängen einheitlicher, nach einer bestimmten
Methode angelegter Lehrbücher dio einzelnen Lehrer resp. die
I^ez. voB B. Goerlich. 619
einzelneD Lebranstallen sklavisch zu einer gewissen Unterrichtsart
zwingt, so liegt die Gefahr sehr nahe, dafs der Unterricht sich
schliefslich ganz und gar schablonenhaft gestaltet. Gerade auf
dem Gebiete der Spracberlernung mufs eine gewisse Freiheit der
Bewegung gestattet werden, soll anders Lehrenden wie Lernenden
die so notwendige Schaflfensfreudigkeit bewahrt bleiben.
Von den neueren Lehrbüchern verdienen nach meiner An-
siebt daher auch diejenigen ein besonderes Interesse, die dem
Lehrer die wohltbätige Freiheit in der Lehrweise gestatten. Das
thut nun in gewisser Hinsicht das uns zur Besprechung zugesandte
Unterrichtswerk von H. Loewe, von dem mir die beiden ersten
Teile; English Grammar 1'^ Part, und das Lesebuch: England and
the English vorliegen.
Die englische Grammatik beginnt mit einer Aussprachelehre,
die in drei Abschnitte geteilt ist: die Vokale, die Konsonanten,
die Vokalverbindungen. Die in den Ausspracheregeln angeführten
Wörter werden in den den einzelnen Abschnitten folgenden
Übungsstücken zu Einzelsätzen zusammengefugt und sollen so
zur Einübung der Aussprache und ersten Einfuhrung in die
Sprache dienen. Am Schlufs dieser Ausspracheiehre folgen Lese-
äbungen: erst Einzelwörter, dann einige zusammenhängende kurze
Stücke. Man mag über diese Art Lehr verfahren, das ganz an die
Ploetz-Ahnsche Methode erinnert, verschiedener Ansicht sein, sehr
zu bedauern ist es aber, dafs dem Verf. die Ergebnisse der
neuesten phonetischen Forschungen gänzlich unbekannt sind. Wir
sehen bei ihm die althergebrachten Lautbeschreibungen und Deu-
tungen wieder auftauchen, die wir jetzt endlich beseitigt glaubten.
Nach ihm hat a in name den langen alphabetischen Laut eh, a
in all den langen dumpfen Laut des verschmolzenen ao; der kurze
e-Laut findet sich in pen\ i vor r ohne folgenden Vokal klingt
wie kurzes dumpfes (9f, r im Anlaut ist scharf, im Inlaut und
Auslaut weich; geradezu komisch ist die Beschreibung des th-
Lpautes u. s. w. Nach meiner Ansicht wird der Lehrer, der nach
diesem Lehrbuch unterrichtet, gut thun, wenn er dem Rat des
Veits folgt und sofort mit den Leseübungen beginnt; auf diese
Weise geht er der vollständig mifslungenen Aussprachelehre am
besten aus dem Wege. Übrigens sieht man nicht ein, warum der
Verf., der, wie ausdrücklich auf dem Titelblatt vermerkt ist, diese
Einfuhrung in die englische Sprache auf sein Lesebuch gründet,
nicht einfach auf die zusammenhängenden Stücke dieses Lesebuchs
hinweist. Der Zusammenhang zwischen Lesebuch und Grammatik
scheint in diesem Teil der Grammatik ein sehr loser zu sein. In
dem Wörterverzeichnis zu den Leseübungen vermisse ich die
Aussprachebezeichnung. Der Schüler bedarf einer solchen, einer-
seits um seine Aussprache selbst kontrollieren zu können, dann
aber auch um ihm die Hausarbeit zu erleichtern; man be-
denke doch, ein wie grofser Zwischenraum bei zwei- und drei-
620 H- Lioewe, eoglisolie Lehrbücher, angcz. von E. Goerlich.
stuDdigem wöchentlichem Unterricht zwischen den einzelnen
Standen liegt
Die nun folgende Wort- und Satzlehre, die etwa den für
das Gymnasium bestimmten grammatischen Lehrstoff umfafst
zeichnet sich durch Übersichtlichkeit und durch die klare und
bestimmte Fassung der Regeln aus. Ich vermisse shall yoH
havCf shall yau be\ neben do not be ist be not auch ganz ge-
bräuchlich; ein Unterschied zwischen eack other und one anolher
zum Ausdruck des reziproken Verhältnisses wird kaum noch ge-
macht; es fehlen die Doppelformen: older, dder; nearest, next;
farther, further u. s. w; one steht auch vor hundred und thonsand
in Jahreszahlen; die Regel über den Dativ ohne to ist zu um-
ständlich; eine falsche Auffassung liegt in der Regel, dafs nach
to allude, polite u. s. w. der Dativ steht. Das Vokabular zu Sprach-
Übungen über Gegenstände des täglichen Lebens mag gute Dienste
leisten.
Das letzte Kapitel enthält: Orthographische und grammatische
Übungen. Hier interessieren besonders die Übungen im Anschlufs
an die I^ktüre. Sie umfassen 16 deutsche Übungsstücke, von
denen sich die drei ersten (zum Teil Rückübersetzungen) an die
Leseübungen der Grammatik, die übrigen an die Lesestöcke des
Lesebuchs anschliefsen, und vier Questionnaires.
Hier endlich zeigt sich der Zusammenhang zwischen der
Grammatik und dem Lesebuch deutlicher. Wenn es auf der einen
Seite in gewisser Hinsicht zu bedauern ist, dafs der Verf. sich
nicht bestimmter und klarer über die Verwertung des Lesebuchs,
namentlich über das Verhältnis der Grammatik zum Lesebuch aus-
gesprochen hat, so ist doch andererseits auch wieder zu beachten,
dafs dieses Unterrichtswerk dem tüchtigen Lehrer, der gern seine
eigenen Wege wandelt, keine Schranken in seiner Unterrichtsweise
auferlegt. Soviel läfst sich auch aus der ganzen Anlage des
Werkes erkennen, dafs der Verf. die Lektüre in den Mittelpunkt
des Unterrichts gestellt wissen will und so auf dem Boden der
neuen Lehrpläne steht. Allerdings wird es kaum möglich sein,
die Grammatik, wenigstens die Formenlehre, aus der Lektüre
induktiv zu erschliefsen ; dazu eignen sich die ersten Lesestucke
nicht Das Buch würde daher nach meiner Ansicht sehr an
Brauchbarkeit gewonnen haben, wenn zu Anfang einige kürzere
Lesestücke gegeben worden wären. Man bedenke doch, wie lang-
sam der Unterricht im Anfang vorschreitet, da heifst es, durch
anregende kurze FiCsestücke das Interesse des Schülers wach halten.
Was das Lesebuch selbst anlangt, so ist zunächst lobend an-
zuerkennen, dafs dasselbe nur englische Stoffe enthält. Bei
der Auswahl der Stücke erzählenden Inhalts (Nr. 1 — 7) sind die
Novellen Marryats besonders bevorzugt, und das mit Recht; denn
jeder, der eine seiner Novellen in der Klasse gelesen hat, wird
die Erfahrung gemacht haben, dafs die Schüler dieser Lektüre
Loreoz, L.V. Ranke, GeQeratiooen]ehre,ai(Z. v. W. Bernhard i. 621
grofses Interesse eutgegenbriDgen. Die LebensbesdireibuDgen
(Nr. 8 - 24) und die geschichtlichen Erzählungen (INr. 25 — 52) ent-
werfen in Hauptzögen ein anschauliches ßild von der englischen
Geschichte. Die Landes- und Völkerkunde (Nr. 53 — 88) macht
den Schüler mit England, dessen Sitten und Gebräuchen bekannt.
Unter der Rubrik „Anschauliches** (Nr. 89—96) bringt der Verf.
gewissermafsen eine Fortsetzung des Vokabulars seiner Grammatik;
es enthält Wörter und Ausdrücke über: the ünwerze^ the Surface
of the Barth, Mammali, Birds u. s. w. Mir will der Nutzen sol-
cher Vokabulare, so trocken dem Schuler gereicht, nicht ein-
leuchten. Es folgt eine recht brauchbare Belehrung über die Ein-
richtung und Abfassung englischer Briefe mit einer Reihe Huster-
briefe. Den Schlufs des Buches bildet eine Sammlung gut
ausgewählter Gedichte ; es ist nur schade, dafs das lyrische Element
so wenig darin berücksichtigt ist.
Soweit nach den beiden besprochenen Teilen des Loeweschen
Unterrichtswerkes ein Schlufs auf das ganze Werk gestattet ist,
scheint es mir ein auf gesunder Grundlage aufgebautes Werk zu
sein, bei dessen richtiger Benutzung sich der Unterricht sowohl
für Lehrer wie für Schüler recht anregend gestalten wird, und mit
dem sich auch ohne allzu grofse Anstrengungen die von den Lehr-
plänen geforderten Ziele erreichen lassen.
Dortmund. Ewald Goerlich.
Ottokar Loreoz, Leopold voo Raoke, Die Geoeratiooealehre
Bod der GeachielitaaDterriclit. Berlin, Wilhelm Hertz (Besser-
sehe BochhaBdluDg), 1891. XII o. 416 S. 8. 8 M. (Die GeschichU-
wisseaschaft in Haaptricbtongen und Aafgabeo. 2. Teil).
Im ersten Abschnitt (S. 3 — 140) entwickelt der Verf. seine
Ansichten über das Wesen der Rankeschen Geschichtschreibung.
Obwohl bisweilen etwas panegyrisch, enthalten die grundlichen
Ausführungen so viel Treffendes und Anregendes, dafs man ihnen
mit Vergnügen folgt, auch wenn man nicht immer zustimmen
kann. Wichtiger sind die folgenden Abschnitte zur Generationen-
lehre (S. 142—276), zur For.<chungslehre und Unterricht (S.278
— 416). Auf das lebhafteste erklärt sich L. gegen die übliche
Einteilung der Geschichte, welche ungerechtfertigt und unwissen-
schaftlich sei, insbesondere wünscht er den Begriff des sogen.
Hiiielalters beseitigt. An Stelle von Perioden, die nach chrono-
logischen Gesichtspunkten bestimmt sind, verlangt er Einteilung
nach Generationen. GroCsen Wert legt er auf die Kenntnis der
Genealogie, ja er behauptet S. 189, dafs, wer den Gothaischen
Kalender nicht ordentlich kennt, von der neuesten Geschichte auch
gar nichts weifs. An einer Reihe von Beispielen (S. 205 — 255)
sucht er die Durchführbarkeit seiner Generationenlehre — je drei
Generationen auf ein Jahrhundert — nachzuweisen. Was die
Foracbungslehre anbetrifft, so eifert er heftig gegen die sog. kri-
622 Lorenz, L. v. Ranke, Generatipnenlehre, agz. v. W. Bernhard i.
tische Methode, welche meine, durch gewisse Regeln die Tbal-
sachen ermitteln zu können« um die Geschichte ähnlich wie die
Naturforschung zu einer exakten Wissenschaft zu erheben. Der
Verf. bestreitet dies, indem er ausfuhrt, dafs nicht die Thatsachen,
sondern nur die Überlieferung von ihnen Gegenstand der geschicht-
lichen Forschung sein könne. „Die exakte Forschung und Me-
thode, sagt er S. 308, ist deshalb exakt, weil ich die Kohle in die
Hand nehme und durch ein gewisses Verfahren, das ich bei jeder
Kohle beliebig oft wiederholen kann, Leuchtgas fabrizieren werde.
Mit Karl dem Grofsen läfst sich gar nichts versuchen, ein zweiter
kann auf keine Weise hergestellt werden. Er ist heute überhaupt
nichts als das Produkt einer Überlieferung^'. Als Beispiel „eines regel-
recht verfahrenden Historikers im Jahre des Heils 1888'^ fuhrt er
Huifer an, der ein Buch über Bernhard von Clairvaux geschrieben hat
und darin die Wunder des Heiligen als wirklich geschehen exakt
nachweist (S. 324 fr.). — Das Gebiet des Historikers und der Kritik
fafst L. dahin zusammen, dafs nur die Erklärung jener Handlungen
verlangt werden kann, die sich aus der Überlieferung als auf den
Staat und die Gesellschaft gerichtet hervorheben lassen. — Von
besonderem Interesse für die Leser dieser Zeitschrift ist das, was
L. über den Geschichtsunterricht sagt. Er teilt nicht die Ansicht,
dafs er auf den Gymnasien zu verringern sei. Als Ziel des Unter-
richts stellt er die Erweckung des historischen Sinns, der histori-
schen Empfindung auf. Nicht religiöse oder moralische Zwecke sollen
durch ihn erreicht werden , sondern der Zusammenhang des
Staatsbewufstseins mit der geschichtlichen Überlieferung soll er-
kannt werden. Der historische Sinn läfst sich aber nur aus
dem Bewufstsein der Familie entwickeln. Eine verständige Auf-
fassung historischer Dinge beruht auf dem Zeitbegriff, geschicht-
licher Zeitbegriff ist aber nur genealogisch zu gewinnen. Daher
mufs sich der Unterricht möglichst früh auf die neueste Geschichte,
die der Väter und Grofsväter, beziehen. Dies geschah schon längst
in England und Frankreich, wo der Geschichtsunterricht politisch
verwertet wurde, während in Deutschland bisher nur der Kosmo-
politismus gewinnen konnte. Gegen Treitschke, der vornehmlich
die alte Geschichte im Gymnasialunterricht behandelt, die neuere
ausgeschlossen wissen will, behauptet L., dafs durch die alte Ge-
schichte der historische Sinn schon wegen des Kriticismus nicht
geweckt werden könne, auch sei die alte Geschichte keineswegs
etwas Einfaches und weniger Kompliziertes als unsere neueste
Staatsgeschichte. Doch will er den weltgeschichtlichen Standpunkt
durchaus gewahrt wissen. Es sei gar zu traurig, die Unkenntnis
der französischen und englischen Geschichte zu sehen, die schon
heute manchmal bemerkt werden könne. „Man bilde sich nur
nicht ein, sagt er S. 396, dafs man von deutscher Geschichte auch
nur den leisesten Begriff haben könne ohne Kenntnis von Italien,
Frankreich und England . . . Wenn jemand deutsche Gesebichte
G.BriinDert, Gescbichtstabellen, angez. von J. PUthner. 623
*
ZU yerstehen meint, ohne die deutlichste Vorstellung von allem zu
haben, was römischer Staat hiefs, so lebt er eben in einer schwe-
ren Täuschung*'. Hierbei mufs man freilich fragen, wo soll die
Zeit kerkommen, Geschichte so grundlich zu unterrichten, zumal
ihr Stoff stetig zunimmt? — Die Bildung des historischen Be-
wufstseins liege heute fast ausschliefslich in der Hand der Lehrer
an den Mittelschulen. Um so beklagenswerter sei es daher, dafs
die Genealogie von ihnen vernachlässigt werde, da sich gerade an
der Hand der Genealogie die Ereignisse dem Gedächtnis der
Schüler fast mühelos einprägen. Daran sei die Vorbildung der
Lehrer auf den Universitäten schuld, und um diesem Mangel ab-
zuhelfen, wäre nach seiner Ansicht in Bezug auf die Behandlung
der Geschichtswissenschaft eine Beseitigung des vorherrschenden
Kriticismus notwendig. Es sei klar, dafs die wichtigste Aufgabe
des Geschichtsstudiums fflr jemanden, der sich mit historischem
Unterricht beschäftigen wolle, in der Aneignung der Oberlieferung
als solcher liege, und zwar in so umfangreicher Weise wie mög-
lidi. Bei dieser Ansicht, fär welche der Verf. wohl nur bei
äufserst wenigen Zustimmung finden wird, ist es natürlich, dafs
er mit der preufsischen Prüfungsordnung durchaus nicht einver-
standen ist. Von den Anforderungen, die an einen Kandidaten
des Lehramts in der Geschichte zu stellen sind, gesteht er vorerst,
nachdem er sich etwa vierzig Jahre mit Geschichte beschäftigt
habe, dafs er einer ernsten Interpretation der betreffenden Artikel
mit seinem bisher erlangten Wissen nicht Stand zu halten ver-
möchte. — Aus dem kurzen Bericht ersieht man, wie wichtige
Fragen vom Verf. behandelt werden, und sicherlich ist Kenntnis-
nahme des Buches jedem Lehrer der Geschichte zu empfehlen.
Viel beherzigenswerte Gedanken iiaben einen glücklichen Ausdruck
gefunden, aber die Abneigung gegen die kritische Schulung der
künftigen Geschichtslehrer erscheint durchaus ungerechtfertigt.
Berlin. Wilhelm Bernhardi.
Gustav Brunn ert, Geschichtstabellen fdr die mittleren und oberen
Klassen von Gymnasien. Erfort, Verlag von Fr. Bartholomäus, 1893.
I o. 94 S. 8. Kart. 1 M.
Diese Geschichtstabellen halten, wie das Vorwort bemerkt, die
Mitte zwischen Tabelle und Leitfaden. Sie sollen die Hand bieten
zur sicheren Einprägung der wichtigsten Thatsachen und zu zu-
sammenfassenden Wiederholungen des geschichtlichen Lernstoffes.
Wer aber erwartet, dafs dem Winke der neuen Lehrpläne, die ja
rergleichende und den Stoff nach verschiedenen Gesichtspunkten
gruppierende Wiederholungen empfehlen, Folge gegeben sei, sieht
sich getäuscht. Gerade eine deraiiige Aufgabe aber scheint mir
neu erscheinenden Zeittafeln gestellt zu sein. Bei den vorliegen-
den hat die Verquickung von Darstellung und Tabelle den ver-
hiltnismäfsig umfangreichen Inhalt des Buches zur Folge gehabt.
624 G. Brünnert, Geschichtstabelleo, angez. von J. Plathoer.
bei dem es schwierig sein wird, für die jedesmalige Altenstufe
den notwendigen Lernstoff auszusondern. Für die mittleren
Klassen mui^te doch eine solche Aussonderung durch den Lehrer
stattGnden, durch den üruek ist sie nicht rorgesehen. Sind nun
selbständige Geschichtstabellen noch ein Bedürfnis? Sobald die
Lehrbücher ihre Aufgabe erfüllen, wohl nicht. Eigene Tabellen
neben den Hüifsbüchern verursachen dem Lernenden leicht eine
Erschwerung, während chronologische Zusammenstellungen inner-
halb des Lehrbuchs oder an den Schlufs angehängt und eingehend
den Stoff desselben verarbeitend eine dankenswerte Erleichterung
gewähren. Freilich verbreitete Schulbücher, wie die von Herbst-
Jäger oder Schiller, vermeiden vornehm jeden Schimmer einer
Zeittafel, daher bleiben dann die Tabellen, wo obige und ähnliche
Hülfsbücher eingeführt sind, immer noch unentbehrlich. Denn
wahr ist und bleibt trotz der Geringschätzung, mit der manche
auf alles chronologische Material hinabsehen^), das Wort Nissens:
„Die wichtigste Aufgabe . . . jeder historischen Untersuchung über-
haupt ist die genaue Ermittelung der Zeitfolge'' (Histor. Zeitschr.
Bd. 63 S. 388 Anm.).
Was Brünnerts Geschichtslabellen anlangt, so zeigen sie eine
etwas reichliche, aber geschickte Auswahl des Chronologischen; zu
loben ist, dafs nicht blofs Zahlen und Namen, sondern auch kurze
Sacherklärungen gegeben sind, obwohl dadurch, wie angedeutet,
der Charakter des Tabellenartigen überschritten ist. Nach diesem
Buche mufs die Repetition glatt und ohne Zeitverlust von statten
gehen. Eine Prüfung der chronologischen Festlegung führt, ab-
gesehen von wenigen, gleich unten gegebenen Notizen zu gutem
Resultate. Auffallen kann es, dafs man noch Zahlenansätze findet
für die Wanderung der Dorier und den Tod des Kodrus. Warum
läfst man nicht als einzige Zahl der ältesten griechischen Ge-
schichte das J. 776 stehen, um alle vorhergehenden über Bord zu
werfen ?
Noch lasse ich folgende Notizen folgen: Tyrtäus aus Athen;
sicher aus Athen?
560 Pisistratus, Tyrann von Athen, dann mfifste es
heifsen: „zum ersten mal'' oder die Zahl mufs in 538 geändert
werden.
521—485 Darius I; steht das J. 485 fest? (vgl. Busolt,
Gr. Gesch. Q S. 114). 479 Vierter Perserkrieg; der wievielte
Krieg gegen Frankreich war dann im J. 1871?
464 — 456 Dritter messenischer Krieg; die Zahl 456 ist un-
haltbar.
Beim Kriegswesen der Römer ist der ältere Scipio vergessen
(vgl. Delbrück in der Hist. Zeitschr. Bd. 51). 60 das erste
^) Auf exakte Chrooologie legt z. B. der Leitfadeo für dea Uaterrieht
io der Geachicfate des Altertans voo Herman Schiller (1891) selir wtoi;
Werl.
G. Hertz^erg, Kurse Geschiclite, anges. von T. Becker. 625
Triumvirat; es ist Iceios. Karl lil sollte nachgerade nicht mehr
der «,Dicke'' genannt werden.
Die äuCsere Anordnung, so übersichtlich sie im übrigen ist,
scheint mir nach einer Seite hin mifsiich. Am besten erkennt
man das an einem Beispiel. S. 52 steht:
1552. Passauer Vertrag: Gewährung freier Religions-
Übung bis zur Entscheidung durch einen Reichstag.
Moritz siegt über Harkgraf Albrecht von Brandenburg-
Kulmbach bei Sievershausen, wird aber tödlich ver-
wundet.
Wird der Schüler da nicht verführt, die Schlacht bei Sievers-
hausen ins J. 1552 zu setzen? Zu einer ähniichen Augentäuschung
giebt die Anordnung unendlich oft Anlafs. Geradezu unrichtig ist
die Angabe über die Hinrichtung Robespierres und das Ende der
Schreckensherrschaft zum J. 1793, weil sie nicht einmal räumlich
getrennt ist.
Der Separatfriede zu Basel verdiente wohl eine eigene Zahl,
nicht Einschachtelung unter die Jahre 1793 — 1797. Die Inhalts-
angabe des Reichsdeputationshauptschlusses 1803 ist zu einseitig
auf Preufsen beschränkt. — Die deutsche Geschichte ist bis zur
Gegenwart fortgeführt, heifst es im Vorwort. Sind da Angaben
wie (zum Tode Kaiser Friedrichs III): Seine Gemahlin Vik-
toria von England (Kaiserin Friedrich), oder (zum J. 1888)
Internationale Arbeiterschutzkonferenz in Berlin in
einer Geschieh tstabelie notwendig?
Warum die brandenburgisch-preufsische Geschichte
bis zu Friedrich dem Grofsen einen besonderen Abschnitt
am Schlufs des Buches bildet, anstatt an den passenden Stellen
gruppiert eingefügt zu sein, ist nicht recht ersichtlich. Anstatt
dessen wäre eine fortlaufende Zeittafel der deutschen Kaiser resp.
Könige, sowie einzelner Regentenhäuser, in erster Linie der preu-
Isiscben Könige, erwünscht. Diese Tafeln fehlen, und sind doch
unentbehrlich.
Die äufsere Ausstattung, Format und Druck, befriedigte
Dessau. J. Plathner.
1) G. Hertzberg^ Korze Geschichte der altgriechischen Kolo-
■ isatioD. Mit einer Karte. Gütersloh, C. Bertelsmano, 1892. (Gym-
nasiai-Bibliothek, 12. Heft) 95 S. 8. 1,40 M.
Der bekannte Hallenser Historiker hat zu der Gymnasial-
Bibliothek eine kurze, aber an Thatsachen und Namen sehr reiche
Geschichte der griechischen Kolonisation beigesteuert. Mach
wenigen einleitenden Worten giebt er in dem ersten längeren
Abflchnitt, den er „allgemeine Bemerkungen*' nennt, S. 1 — 20
einen Überblick über die gesamte kolonisierende Thätigkeit der
Griechen, durch die sie nach Ciceros Ausdruck „den Landschaften
der Barbaren gleichsam einen hellenischen Saum angewebt haben.**
ZeiiMhriA t d. QjmiiMUlweMB XLTU. 10. 40
62() 6* Hertzberg, Korze Geschichte d. altgriech. K AloDisatioo;
Wir erfahren hier nicht nur Ort und Zeit der Besiedelung, son-
dern das Verhältnis der Koionieen zum Mutterlaode wird be-
sprochen, ferner die für die Verhältnisse des Altertums ungeheure
Ausdehnung dieser Gründungen, der Mangel an einheitlicher Lei-
tung, die Gefahr der Zersplitterung, die Einwirkung der An-
siedelung auf die Urbewohner und umgekehrt der eigentfimliche
Charakter, den oft die Eingeborenen der Stadt der Ankömmlinge
aufgeprägt haben, auch das spätere Herabsinken der meisten Koionieen
von der Höhe ihrer einstigen Macht und Bedeutung, u. a. mehr.
Ein folgender Abschnitt, die Hauptmasse des Ganzen, schildert
S. 20—84 näher die „verschiedenen landschaftlichen Gruppen
griechischer Koionieen'* und geht dabei auf die einzelnen Städte,
ihre Gründung und ihre Geschichte näher ein. Die Darstellung
beginnt bei Byzanz und den Ansiedelungen am schwarzen Meer,
geht allmählich nach Westen bis nach Massilia, Corsica und Sar-
dinien und springt zum Schlufs über nach dem Südosten, nach
Cypern, Ägypten, Cyrene. Überall werden naturlich die wichtigsten
und gröfsten Städte eingehender behandelt, aber auch bei vielen
andern ist eine Fülle des Stoffes handlich und bequem zusammen-
gestellt. Den gröfsten Raum nehmen natürlich die Ansiedelungen
der älteren Zeit ein; es werden aber doch auch noch berührt die
attischen Kleruchien, die Gründungen Alexanders von Macedonien
und der Diadochen, wie Alexandria und Antiochia, endlich die
Koionieen, welche durch Römer auf altgriechischem Boden an-
gelegt sind, wie Neu-Korinth, Paträ, Nikopolis, im Jahre 30 n. Chr.
Geb. von Octavian in der Nähe von Actium zum Andenken an
seinen Sieg erbaut, „die wichtigste Griechenstadt dieser Gegend
bis lange in die byzantinischen Zeiten hinein". Heute lebt nur
noch ein geringer Rest dieser einst blühenden Ansiedelungen;
neben Trapezunt, Konstantinopel und Salonichi hebt Hertzberg
besonders Smyrna hervor, wo neben 45 000 Türken, 15 000 Juden
und 6000 Armeniern volle 75 000 Griechen wohnen, „eine präch-
tige Nachblüte des Hellenismus in dem ältesten Koloniallande
dieser an Kräften anscheinend unerschöpflichen und an zäher
Lebensdauer von wenigen andern Völkern erreichten Nation'*.
Eine Schlufsbemerkung S. 84 — 87 enthält anregende Vergleichungen
der antiken Kolonisation mit der ansiedelnden Thätigkeit neuerer
Zeiten.
In einer Zeit, wo auch Deutschland sich an der kolonisato-
rischen Arbeit zu beteiligen wieder anfängt, lag der Gedanke
besonders nahe, diese glänzende Zeit griechischer Kraftentwickelung
zu behandeln. In dem Unterricht der Schule kann sie ja im
Zusammenhange nur kurz berührt werden, und nur gelegentlich
wird wohl ein typisches Beispiel eingehender betrachtet. Man
mufs aber auch anerkennen, dafs das Ganze in groCser Aoaführ-
lichkeit wohl über den Interessenkreis unserer Schüler hinausgeht
Wir können auch in der deutschen Geschichte nicht so viele
R. UrbtD, Gtogr. ForsehungeD a. Märcheo, agz. v. Th. Becker. 527
StadtegrönduDgen auf dem alten slavischen Boden des deutschen
Ostens einzeln behandeln. Deshalb kann ich auch das Bedenken
nicht unterdrücken, ob nicht die meisten Schüler durch die Über-
fülle des gebotenen Stolfes, der Thatsache auf Thatsache häuft,
zaröckgeschreckt werden.
2) R. Urbao, Geographische Forschangeo und Märchen aus
fpriechisoher Zeit. Gütersloh, G. Bertelsmano, 1892. (GymDasial-
Bibliothek. 13. Heft) 40 S. 8. 0,60 M.
In einem sehr hübsch geschriebenen Heftchen stellt uns
Irban die allmähliche Entwickelung des geographischen Wissens
der Griechen vor Augen; schade, dafs er sich so kurz fafst, die
meisten anderen Hefte der Gymnasial-Bialiothek sind stärker, und
auch hier liefs sich des Anregenden noch manches hinzusetzen.
Es handelt sich dabei doch nicht etwa um blofse Anhäufung von
allerlei Wissensstoff. Urban stellt seine Erzählung gleich anfangs
unter wichtige aligemeine Gesichtspunkte. Zunächst den ge-
schichtlichen, dafs wir hier den Standpunkt der „thalassischen'^
Weltanschauung haben, d. i. der Zeit, wo für die eigentlichen
Kultur Ydlker Mittelmeer und Welt im wesentlichen zusammenfiel;
ihr geht voraus die „potamische'' Weltanschauung, die Zeit der
babylonischen, assyrischen, ägyptischen Reiche in den grofsen
Flttlsgebieten; ihr folgt die „oceanische'', unsere Weltanschauung.
Mit der wechselnden Weltyorstellung ändern sich die Schwerpunkte
der Kultur, die Mitlelmeerstädte treten zurück, die dem Ocean
näher gelegenen gewinnen an Bedeutung. Dabei zeigt sich freilich,
dais jede solche Anknüpfung geschichtlicher Entwickelung an
geographische Bedingungen ihren schwachen Punkt bat: Berlin
und Petersburg werden zu der neuen, oceanischen Welt gezählt,
liegen aber Yom Ocean offenbar ferner, als die an Bedeutung ver-
lierenden Stätten der thalassischen Welt, Rom und Syracus; zu
den geographischen Bedingungen treten eben überall die geschicht-
lichen Einflüsse hinzu. Ein anderer allgemeiner Gesichtspunkt
ist, dafs im Gegensatz zu heute, wo die Entfernungen auf der
Erde ans zu entschwinden anfangen, die Griechen in einer Zeit
lebten, wo dem geistigen Auge die Welt sich immer weiter aus-
dehnte. Gelegentlich, besonders S. 16, warnt Urban eindringlich
vor Spott über die Unwissenheit der Griechen in geographischen
Dingen; indem seine Darstellung zeigt, welche Mühe es der
Menschheit gemacht hat, sich allmählich auf die jetzt erreichte
Stnfe des Wissens zu erheben, lehrt sie Dankbarkeit gegen die
vergangenen Geschlechter der Menschen und Bescheidenheit.
Auf Einzelnheiten einzugehen ist nicht nötig. Bei der Reise
des Karthagers Hanno in das Mündungsgebiet von Senegal und
Gambia begegnet dem Verfasser ein Irrtum in der Deutung von
Hannos Bericht Er erklärt die Troglodyten Hannos für „Orang-
Utangs'*. Der bekannte Affe heifst aber zunächst Orangutan
(maiayisch aus Orang, Mensch, und Hutan, wild) ohne g, und
40*
628 E. Ziepeler, Aas Sicilien,
aufserdeni lebt er nicht in Afrika, sondern auf der Sundainsel
Borneo; Hanno kann nur den an der WestkOste Afrikas heimischen
Gorilla oder den Schimpanse gemeint haben. Wo die geographischen
Phantasieen Piatos und Theopomps über ferne Erdteile, Atlantis
und Meropis besprochen werden, konnte wohl zum Vergleich aus
unserm Jahrhundert 0. Peschels verschwundener Erdteil Lemuria
im indischen Ocean herangezogen werden» (Neue Probleme,
S. 39. 117.)
Man kommt, wenn man die wissenschaftlichen Bestrebungen
der Griechen überblickt, auf den Gedanken, ob sich nicht manches
davon, gerade wegen seiner unvollkommenen, elementaren Natur,
im Unterricht verwerten läfst, nicht nur so, dafs es an passender
Stelle mitgeteilt wird, sondern auch so, dafs in der mathematischen
Geographie teilweise die genetische Methode angewendet und dabei
zugleich die SelbstthStigkeit der Schüler angeregt wird. Sie mögen
einmal selbst versuchen mit einem Gnomon die Sonnenhöhe oder
die Polhöhe zu bestimmen, oder mit dem Dioptron zu arbeiten,
sie mögen auch die geistreiche Berechnung des Erdumfanges aus
der Entfernung von Rhodus und Alexandria und der Höhe des
Kanopussternes über dem Horizont (S. 34) nachmachen, es lassen
sich ja solche Aufgaben leicht bilden.
Das griechische Heer heilst doch richtiger das ägäische statt
ägeische (z. B. S. 6). Was soll es heifsen S. 3 unten: Weihrauch
aus Arabien, „der in die Handelsplätze nach Griechenland ver-
frachtet wurde'*? S. 13 oben und S. 27 in der Mitte sind die
Sätze bedenklich in Unordnung geraten.
3) fi. Ziegpeler, Aus Sicilien. Mit 5 Abbildnageo nod 2 Karten.
Gütersloh, C. Bertelsmaon, 1892. (Gymnasial- BibliotKek. 14. Heft.)
78 S. 8. 1,40 M.
Der Verf. hat im Frühling d. J. 1891 Sicilien durchreist und
auf Grund der Reisebriefe, die er an seine Angehörigen gerichtet,
später die Insel für die Gymnasial-Bibliothek geschildert. Das
Ganze hat, zum Teil auch gerade durch das Hervortreten des
Persönlichen, einen frischen lebendigen Ton; er wird nicht ver-
fehlen, dem Verf. auch unter den Schulern freudigen Beifall zu
verschaffen. Die Reise beginnt in Messina, geht zunächst nach
Syracus, wendet sich dann ins Innere, nach Castrogiovanni, dem
alten Henna, von dort an die Südküste nach Girgenti und endlich
nach Palermo, von wo noch einige Ausflüge gemacht werden, be-
sonders nach dem Westen, wobei Selinunt und Segesta berührt
werden. Überall geht der Verf. vor allem den Erinnerungen an
die alte Welt nach, sucht die alten Trümmerstätten und Schlacht-
felder auf und ruft dabei durch kurze Berichte, ohne aufdringlich
lehrhaft zu werden, dem Schüler die geschichtlichen Thatsachen
ins Gedächtnis. Die Charybdis wird erklärt als leichter Strudel,
erzeugt durch Strömung und Gegenströmung, eine Erscheinung,
die man in jedem Flusse den Schülern zeigen kann, die Scylla
ao^az. von Th« Becker. g29
ist eio von der Brandung umtoster Fels. Am Eryi erinnern noch
jetzt Taubenschwärme an das alte Heiligtuni der Venus, das die
römische Sage mit dem Nalionalbelden Äneas verknüpfte. Hit
besonderer Liebe verweilt Ziegeler bei Syrakus. Zwei Lichtdrucke
führen uns die Steinbrüche vor Augen, und eine Doppelkarte zeigt
das ganze Gelände, so weit es für die athenische Expedition in
Betracht kommt, mit den Stellungen der Athener. Diese Karten
sind allerdings mehr für die Lektüre des Thukydides wichtig» als
für diesen Reisebericht, der jene Belagerung natürlich nicht so
eingehend behandelt. Trümmer der Stadt giebt es fast gar nicht,
da das Gestein verwittert ist. Doch sind noch Geleise, Wasser-
leitungen, Gräber, Theater, Steinbrüche zu sehen, die in den
lebendigen Fels gehauen waren. Sehr hübsch erzählt ist eine
Fahrt zum sumpfigen Quellgebiet der Cyane mit seinen Papyrus-
stauden. In Henna besucht Ziegeler eine Schule, wo die Knaben
Ovid lesen, und natürlich den Pergussee, an dessen Ufern aber
Blumen und Wälder verschwunden sind.
Neben dem Altertum beachtet der Verf. auch das jetzige
Leben. Er schildert als Cbarakterpflanzen, die im Altertum noch
fehlen, die Opuntien, Citronen und Orangen, führt uns in die öde
Gegend der Schwefelgewinnung, zeigt uns den Betrieb der Salinen.
In den jetzigen Sicilianern findet er teils die afrikanische, teils die
griechische Rasse wieder. Bei einer Fahrt in der dritten Klasse
der Eisenbahn wird er Zeuge der leidenschaftlichen Erregbarkeit
des Volkes, ein andermal seiner republikanischen Gesinnung. Die
Eigentümlichkeit des Ackerbaus, dafs der Bauer, um sich vor der
Malaria zu sichern, auf Bergeshöhen in Städten wohnt und morgens
stundenweit wandern mufs, um zu seinem Felde zu gelangen, hat
sich aus dem Altertum erhalten, wenn auch die Beweggründe im
Laufe der Zeiten gewechselt haben. Vielfach geht Ziegeler
Goethes Spuren nach, so in jenem Garten von Palermo, wo Goethe
den Homer las und den Plan zur Nausikaa schuf, so ferner zur
Statue der heiligen Rosalia, zur Villa Pallagonia mit ihren „Spiefs-
ruten des Wahnsinns''. In Palermo bewundert er die nor-
mannischen Bauten. Dabei berührt es allerdings seltsam, wenn
er sich entschuldigen zu müssen glaubt wegen dieser Bewunderung
für die Erzeugnisse eines germanischen Volkes: „Fast treulos
erschien es mir, angesichts dieser normannischen Basilika die
Antike zu vergessen'' (S. 57). Braucht ein Deutscher deshalb
heute noch Gewissensbisse zu emptinden?
Aufser den genannten Bildern und Karten sind dem Hefte
noch beigegeben eine bildliche Darstellung von Palermo mit dem
Monte Pellegrino und eine treffliche Karte von Sicilien aus Stielers
Handatlas.
Neustrelitz. Tb. Becker.
630 ^' Rüthoing, Landeakonde de« Grofsherzogtams Oldenbarg;
1) G. Rüthoiog, Laideskaade dea GroTaberEogtoDS Oldcaborg.
Zunächst zar Ergauzaog der Schalgeographie voa E. von Seydlitz.
Mit einem Karten- and Bilderanhang. Breslaa, Ferdinand Hirt, 1893.
39 S. 8. 0,50 M.
Die Landeskunde von Oldenburg ist eins der letzten der aus
23 Heften bestehenden Sammlung von Landeskunden deutscher
Staaten und Provinzen und trägt in Stoffwahl, Gliederung und
Behandlungsweise das Gepräge der Mehrzahl dieser von Angehörigen
der betreffenden Landschaften verfafsten Hefte. Umfang und Be-
völkerungszahl des Grofsherzogtums boten hier gerade das rechte
Mafs, um auf rund zwei Bogen Text auch den Einzelheiten der
heimischen Landschaft näher treten zu können. Das Buch läfst
eine gewisse innere Teilnahme nicht vermissen, ohne die eine
Kunde der heimatlichen Landschaft ungeniefsbar sein wurde, und
die eingehende Landeskenntnis des Yerf.s drückt sich auch in
einer grofsen Anzahl von statistischen Angaben aus, die offenbar
nicht zum „Lernen'' bestimmt, aber in einer Kunde der eigenen
Heimat nicht entbehrlich sind. Denn nicht aus Schilderungen und
Urteilen allein, sondern aus bestimmten Zahlen ffir die Verhält-
nisse, die den Schuler umgeben, kann dieser einen Mafsstab filr
fremde oder gröfsere Verhältnisse gewinnen. Die AusfQhrungen
über die einschlägigen Kapitel aus der allgemeinen Erdkunde sind
mit anschaulicher Klarheit geschrieben, so z. B. das „Klima** (S. 13),
wo aber die allgemeine Bemerkung „die Stärke des Windes ist oft
bedeutend'* eher störend als belehrend ist. Dafs „das Moor eine
Ablagerung von Pflanzenresten** sein soll, „welche . . . nicht völlig
zersetzt, sondern mehr oder weniger in Humus verwandelt wer-
den*', kann kaum eine richtige Anschauung von seinem Wesen
bieten-, auch wird seinem Boden nicht durch das Brennen in
sechs bis acht Jahren alle Kraft entzogen (S. 36), sondern durch
den düngerlosen Anbau von Buchweizen. — Im Bilderanhange
steht nur die „Geestlandschaft'* nicht auf der Höhe der in dieser
Sammlung dargebotenen Anschauungsmittel
2) Friedrich Ang^nst Finger^ Anweisung zum Unterricht io der
Heimatkunde, gegeben an dem Beispiele der Gegend von Weinheim
an der Bergstrafse. Mit 15 Holzschnitten. 7. Auflage herausgegeben
von Heinrich Matzat. Berlin, Weidmanasohe Bnchhaudluiig, 1893.
Xn u. 176 S. 8. 3 M.
Der Text dieses bahnbrechenden Buches ist bis auf einige
Besserungen in der Rechtschreibung von dem Hsgb. mit Red^t
unverändert gelassen worden, nur hier und da hat er seine ab-
weichende Ansicht in Anmerkungen kundgegeben, die mit y,A. d.
H.'^ gekennzeichnet sind, und in der gleichen Weise ein Paar
zweckdienliche Ergänzungen geboten. Ob das Fingersche Werk
soviel benutzt wird, wie es mufs, scheint doch zweifelhaft, sonst
würden sich die Lehrer nicht so oft zu der sorgenden Frage ver-
anlafst sehen, wie sie den lehrbuchlosen Unterricht in der Heimat-
kunde in der Sexta gestalten sollen.
H, Lanser, Der erdkuodl. Uaterr., ags. von fi. Oahlmann. 63t
3) B. Lanaer, Dia VarhaodloDgeB der Berlioer Sehaleofiadte-
KoBBDiission mit Röcksicht auf den erdkaodlicheo Uater-
rieht und ein Vorschlag zar Neo|;e8taItniig desselhen ao unseren
Gymoasieo und Realschnleo. Wien, Ed. Hölzel, 1893. 44 S. gr. 8. 1 M.
Der iweite, in kleineren Lettern gedruckte Teil des Titels,
der die Neugestaltung des erdkundlichen Unterrichts an den
österreichischen Mittelschulen behandelt, bezeichnet den eigent-
lichen Inhalt des Schriftchens. Scharfe, aber ohne ausreichende
Beweisfuhriing hingeworfene Urteile über das firuher hochgeschätzte,
„jetzt aber immer mehr zerrüttete'' preafsische Gymnasial wesen,
zerrüttet, weil „infolge der stets zu Tage getretenen sorgfältigen
Intakthaltung des Bestehenden in der Hauptsache und nahezu
gänzlichen Aufserachtlassong der Forderung der Zeit ein fast
starres Stabilitätsprinzip'' (!) eingetreten ist — scharfe Worte über
die „manchmal geradezu naive Meinungsäufserung" der Berliner
Kommission bilden nur die Einleitung zu jenem Hauptteile. In
diesem wird mit warmer Beredsamkeit unter Anführung mannig-
facher Urteile von Gebildeten überhaupt und Fachleuten im be-
sondern von diesseits wie jenseits des Böhmerwaldes der bildende
Wert der Erdkunde und ein selbständiger, auf die oberen Klassen
auszudehnender Unterricht darin verfochten, Darlegungen, die
durchaus BilKgung verdienen. Im Grunde freilich will der Verf.
viel mehr, nämlich die Erdkunde zu einem Konzentrations-
punkte nicht nur der naturwissenschaftlichen Fächer, sondern
auch noch anderer, so der Geschichte, gestalten. Aber schliefslich
gipfeln doch seine Ausführungen in jenem bescheideneren und
darum vielleicht praktischeren Ziele. Leider sucht er sich den
Weg zu diesem zu bahnen durch einen erregten Feldzug gegen
den Unterricht in den klassischen Sprachen und trägt so wieder
dazu bei, den Anschein zu erwecken, als ob ein Geograph berufs-
mäCsig ein Feind jenes Unterrichts sein mfifste.
Hannover-Linden. E. Oehlmann.
W. Breslieb ond O. Koepert, Bilder aus dem Tier- und Pflan-
zen reiche. Für Schale ond Haas bearbeitet. Heft 1. Säugetiere.
Alteoborg, Stephan Geibel. III u. 205 S. 8. 2,60 M.
Das ganze Werk ist auf etwa 40 Bogen berechnet und zerfällt
in zwei Hauplteile zu zwei Heften, von denen das erste vorliegt.
Das zweite Heft wird Vögel und Repräsentanten der übrigen
Wirbeltiere bringen. Innerhalb des zweiten Teiles wird das dritte
Heft Bilder aus der niederen Tierwelt und das vierte Bilder aus
der Pflanzenwelt mit ganz spezieller Berücksichtigung der Kultur-
gewächse und ihrer Feinde, sowie der technischen Verwendung
der Pflanzen enthalten. Die Verfl*. wollen nicht ein Lehrbuch der
Zoologie und Botanik darbieten, sondern ein solches ergänzen,
indem sie die Lebenserscheinungen der wichtigsten organischen
Naturkörper an der Hand einiger konkreter Fälle schildern. Das
Buch soll einen kurzen Auszug aus den hauptsächlichsten biolo-
632 Bi'<*)i<'l>'-Koepert, Tier- a. Plaoceoreieb, a^z. v. M. Pa«pr«r.
giscben Werken bieten und dem Schüler zum Nachlesen dienen,
dem Lehrer aber zu raschem Überbh'ck verhelfen. Auf Beschrei-
bungen, die jeder Leitfaden bietet, gehen die Verff« im allgemeinen
nicht ein; auch sind Abbildungen, wohl aus demselben Grunde,
nicht beigegeben. Die im vorliegenden Hefte behandelten Tiere
sind zweckmäfsig ausgewählt; an jeder höheren Schule wird die
gröfste Mehrzahl derselben durchgenommen werden. Wo etwa von
einer Familie, wie von den Katzen, besonders viele Vertreter be-
sprochen werden, erscheint die Aufnahme durch die Röcksicht auf
die Geographie gerechtfertigt. Vielleicht hätten einige andere Tiere,
wie GiraiTe oder Faultier, noch Platz finden können. In den ein-
zelnen Abschnitten ist selbstverständlich Brehms Tierleben oft
citiert; daneben ist eine reiche Zahl anderer Werke benutzt wor-
den. Das notwendige Material ist meist vollständig gesaaimelt.
Wenige Ausstellungen sind zu machen. So wird nach Brehm be-
hauptet, dafs der Igel gegen den Bifs der Kreuzotter gefeit sei.
Dazu hätte wohl angeführt werden müssen, dafs nach den Beob-
achtungen anderer Forscher der Igel stirbt, sobald ihm das Gift
der Kreuzotter ins Blut gelangt. Vgl. Lachmann, die Reptilien
und Amphibien Deutschlands in Wort und Bild. Ferner erscheint
die Charakteristik des Wolfes zu ungünstig. Die Darstellung ist
gefallig, doch fallen einige Härten des Ausdrucks auf, z. B. S. 163:
„Einzelne Tiere, fast stets alte Hirsche, werden höchst selten an-
getroffen*'. Die Ausstattung ist gut Von Druckfehlern ist mir
aufgefallen auf S. t9 Vesperugo noctiluca für nodula.
Das Buch wird auch an höheren Schulen dem Lehrer der
Naturwissenschaften nützlich sein. Zwar werden in der Bibliothek
eine wenn auch ältere AuQage von Brehms Tierleben und Leunis'
Synopsis selten fehlen, aber die anderen benutzten Werke sind
dem Lehrer meist nicht zur Hand, nur sehr gut dotierte Biblio-
theken werden sie besitzen. Noch mohr wird das Buch für Volks-
schulen, vor allen Dingen kleinerer Orte, einem wirklichen Be-
dürfnisse abhelfen können. Ganz besonders aber ist es für die
Hand der Schüler geeignet: zur Anschaffung für Schülerbiblio-
theken und zu etwaigen Prämien ist es sehr zu empfehlen.
Seehausen i. d. Altmark. H. Paeprer.
1) H. Heilerinano und J. Diekmano, Gruodlehreo der Tri|fODo-
metrie uod Stereometrie. Tl. Teil. Stereometrie mit 26 Fi-
poren, zahlreicheo Oboo^eo uod Anfgpabeo. Esaeo, G. D. Baedeker,
1890. 43 S. 8. 0,40 M.
Das Heftchen — die Besprechung des ersten Teils s. diese
Zeitschrift 1890 S. 160—162 - bietet unseren höheren Schulen
den eisernen Bestand der stereometrischen Sätze und Grundauf-
gaben in pädagogisch bewährter Darstellung. Gegen die Anord-
nung der Sätze wäre ein Bedenken geltend zu machen. Der Satz:
Lehrb. d.Trif oDosetrie n.Stereometrie, agz. v. A.£iii^ie rieh. 633
,,Steben zwei Ebenen auf einer driUen senkrecht ^ so sieht auch
ihre Schnittlinie auf der dritten Ebene senkrecht'* fehlt an seiner
Stelle; statt dessen finden sieb die den Beweis enthaltenden
Schlüsse nachher beim Beweise des Satzes: „Fällt man von einem
Punkte innerhalb eines Fiächenwinkels Lote auf die Schenkel-
blitter, so steht die Ebene dieser Lote senkrecht auf der Scheitel-
kante des Flächenwinkels**. Hier wäre eine Vereinfachung im
Sinne der hergebrachten Darstellung wünschenswert.
Das Cavalierische Prinzip wird bei der Kubatur des Prismas
aufgestellt und benutzt ; bei der Kugel wird auf seine Anwendung
verzichtet und damit die natQrliche Ordnung, von der Oberfläche
zum Volumen, eingehalten. Als geeignetes Übungsmaterial sind
die verschiedenen Netzkonstruktionen der dreiseitigen Ecke ein-
geflochten ; die am Schlüsse beigefugten (79) Berechnungsaufgaben
tragen in der Mehrzahl ein praktisches Gepräge.
Das Buchlein eignet sich m. E. trefflich zu dem Zwecke, für
den es geschrieben ist, nämlich zum Gebrauche in der 1. Klasse
der Realschulen. Was hier auf 36 Seiten an systematischer Stereo-
metrie geboten wird, dürfte übrigens auch für den Gymnasial-
primaner als ausreichend befunden werden. Das Heft sei daher
der Beachtung aller Fachgenossen bestens empfohlen.
2) Carl Spitx, Lehrbuch der Stereometrie nebst eioer Saimnlang
von 4)50 ÜboDgsaufgaben zum Gebrauehe ao höheren Lehranstalten and
beim MbststadiBm. Mit 114Fi|^Qren im Text. Sechste, verbesserte
nnd vermehrte Anfiase. Leipzig, C F. Winter, 1890. XII u. 201 S.
8. 3 M.
— , Anhang zu dem Lehrbuche der Stereometrie von Carl Spitz. Die
Resultate und Andeutungen zur Auflösung der in dem Lebrbuche be-
fiodlicben Aufgaben enthaltend. Sechste, verbesserte und vermehrte
AuBage. Mit 15 Figuren im Text. ibid. 1890. 39 S. 8. 0,80 M.
Die Spilzschen Lehrbucher gehören zu den älteren, mit
grofser Klarheit und Ausführlichkeit geschriebenen Elementar-
werken, die dem Autodidakten auch noch heutigen Tages in erster
Linie zu empfehlen sind. Unsere Vorlage beschränkt sich übrigens
nicht auf die Grundlehren, sie behandelt teils bei den Lehrsätzen,
teils in gesondert zusammengestellten Obungen einige Eigenschaften
des sphärischen Dreiecks, das Taktionsproblem der Kugeln, ferner
die Berechnung der regulären Polyeder, sowie der ringförmigen
Körper, wobei die Guldinsche Regel für einen besonderen Fall
bewiesen wird. — Der Anhang giebt Andeutungen zu den Be-
weisen der Obungssätze, die Auflösungen der Konstruktionsauf-
gaben und die Resultate der auf die Körperlebre bezuglichen
Rechenaufgaben.
3) Franz Lücke, Leitfaden der Stereometrie für den Schulunter-
richt Mit 9 lithographierten Tafeln. Leipzig, B. G. Teubner, 1890.
X u. 204 S. 8. 2,80 M.
Die besondere Eigentümlichkeit dieses sorgfältig bearbeiteten
Buches besteht in der ausfuhrlichen Behandlung des „Zentral-
634 Lehrb.d. Trigoa ometrieo.Stere ome tri e, •;£.▼. A.BiiBerioh.
körpers mit geraden Seitenkanten" und seiner Sonderfalle. Dieter
von HeiDze so genannte Zentralkörper stellt eine Verallgemeine-
rung des Körperstumpfes dar, indem die Grundflächen auch
krummlinig, die Seitenflächen auch windschief (Regelflächen) sein
können. Vermittelst der vorausgeschickten Berechnung der ele-
mentaren Körper mit ebenflächigem oder abwickelbarem Mantel
gelingt der Beweis, dafs die Kubatur des Zeotralkörpers nach der
Simpsonschen Regel erfolgt. Hierauf wird für eine überaus grolse
Zahl von Sonderfällen der Mittelschnitt und damit das Volumen
bestimmt. Auf die Behandlung der Polyeder, insbesondere der
regelmäfsigen, deren Volumen, Oberfläche und Flächenwinkel be-
rechnet werden, folgt dann als weiterer Hauptabschnitt die Be-
rechnung der Kugel und der „sphärischen Körper''. Nachdem
die Kubatur der ersteren vermittelst des Cavalierischen Grund-
satzes geleistet ist, wird gezeigt, dafs auch die köiperliche Kogel-
zone und allgemeiner der „Zentralkörper mit kreisbogenförmigen
Seitenkanten'' sich jener Regel fügen. So eröfl'net sich eine neue
Quelle für zahlreiche Spezialisierungen.
Im Vorhergehenden ist betont, was unsere Vorlage von an-
deren für den Schulunterricht bestimmten Leitfäden der Stereo-
metrie unterscheidet. Das Referat wäre unvollständig, wenn nicht
gesagt würde, dafs in den ersten Kapiteln auch die Beziehungen
der Punkte, Geraden und Ebenen untersucht, dafs nachher die
Eigenschaften der Körper in dem erforderlichen Umfange ent-
wickelt werden; dazu kommt, dafs in einer angehängten Samm-
lung von 243 Aufgaben für die Einübung der in den verschiedenen
Kapiteln entwickelten Sätze gesorgt wird.
Was nun die Eigenart des Buches anbetriflt, so ist her-
vorzuheben, dafs die Berechnung des Zentralkörpers über das
Verständnis eines Gymnasialprimaners nicht hinausgeht, und dafs
die zugehörigen Anwendungen entschiedenes Interesse bieten;
unter den für eine methodische Durcharbeitung besonders geeig-
neten Gruppen stereometrischer Aufgaben nimmt die hier mit
grolser Liebe und Sorgfalt behandelte einen beachtenswerten
Platz ein.
Mülheim a. d. Ruhr. A. Emmerich.
DRITTE ABTEILUNG.
BERICHTE ÜBER VERSAMMLUNGEN, NEKROLOGE,
MISGELLEN.
Die 42. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner
in Wien vom 24.-27. Mai 1893.
AU die zo Pfiug^sten 1891 in Mäocheo tagende 41. Versammloog deut-
scher Philologen nod SchnlmSnner Wien zum näehsten Versammlungsorte
nod den Direktor der kaiserlichen Hofbibliothek in Wien, Uoiversitätspro-
fesnor Hofrat Dr. Wilhelm von Hartel zara ersten, den Direktor des
Gyanasiums der Theresianischen Akademie, Regiernngsrat Dr. Alois Bgger
von MSUwald, zum zweiten Präsidenten gewählt hatte, waren sämtliche
aa dem Gelingen der konftigen Versammlung beteiligten Paktoren darin
einig, dafs der nach 35 Jahren wieder in der Hauptstadt Österreichs tagende
Koogrefs nicht nur seine gewöhnlichen, durch altehrwürdige Tradition ge-
regelten Aufgaben zu erfüllen habe, sondern aufserdem die kulturelle Mission
anf sich nehmen müsse, die Fortschritte Österreichs in geistiger Bezif^hnng,
auf den Gebieten der Wissenschaft einerseits, des höhereo Sehulweseos an
dererseits, in möglichst vielseitiger Weise den zahlreich zu erwartenden
niehtosterreiehischen Teilnehmern vorzuführen und ihnen so das Vorurteil
vom geistigen Phäakentam Österreichs zu benehmen, das auch noch in der
jÜBgateo Zeit erfahrungsgemäfs selbst bei sonst billig denkenden Männern
herrschte: Wien sollte sich als Phäakenstadt im guten Sinne des Wortes
bewähren, Österreich sieh die Nachrede, ein erster Rulturstaat auf geistigem
Gebiet voll und ganz geworden zu sein, erwerben.
In nicht genug anzuerkennender Weise wurde die Durchführung dieser
leitenden Gedanken von der obersten staatliehen Unterrichtsverwaltnng
Österreichs gefördert, deren Chef, Unterrichtsminister Freiherr v. Gau t seh,
einerseits die erhabene Person seines Monarchen derart für die idealen Ziele
■ad Bestrebungen der Versammlung zu interessieren wufste, dafs der Kaiser
von Osterreich alle Teilnehmer zu einer Soiree zu sich in die Bnrg seiner
Ahnen zu laden geruhte, und andererseits im Einvernehmen mit den Uni-
versitätshehörden anordnete, dafs die Enthüllung eines Denkmals, das der
dankbare Staat den um die Wissenschaft und Schule gleich verdienten Be-
gröadem der neuen österreichischen Mittelschule, Thun-Hohenstein, Exner
und Bonitz setzte, den Festlichkeiten des Kongresses eiogefdgt werde.
638 D« 42. Versamml. deats eh. Philologen n. Sc hnlmSoDerioWieo,
Graz. Graz 1893 (VerlagsbochhaDdlong der „Styria"). 217 S. gr. 8«. (lo-
halt: 1. Zur neugriechischen Gramnatik von G. Meyer. — 2. Eioe Aus-
lese altdeutscher Segensforraelo voo A. fi. Schön ba eh. — 3. Indogerma-
nische Gebräuche beim Haarsehneiden von J. Kirste. — 4. Die homerisdie
Palastbeschreibnng in Od. x 126—143 und ihre alten ErklSrer von H. Sehen kl.
— 5. Die Chronologie des Peisistratos und seiner S5hne von A. Bauer. —
6. Die groFse eherne Athena des Pheidias von W. Gurlitt — 7. Zur fir-
klärnog und Kritik des platonischen Dialoges Lysis von A. Goldbaeher.
— 8. Die Tyehe von Konstantinopel von J. Strzygowski. — 9. Ober den
Bau der Hezitativpartieen der griechischen Tragiker und den Prolog im sopho-
kleischen Aias von M. v. Karajan. — 10. Zur Geschichte rnssiseher
Hochzeitsbräuche von G. Krek. — 11. Der mehrzielige Frage- und Relativ-
satz von H. Schuchardt). — XI. Festgrufs aus Innsbruck. Innsbruck 1893
(Wagner). 203 S. (Inhalt: 1. Über die Originalität der Naturales Qnaestiones
Senecas voo J. Maller. — 2. Der Humanismus in Tirol unter Erzherzog
Sigmund dem Müozreichen von A. Zingerle. — 3. Ober die niederrhei-
nische Reimchrooik der Schlacht bei GSllheim von J. Seemüller. — 4.
Beiträge zur lateinischen Etymologie und Grammatik voo Fr. Stolz. —
6. Römische Studien von R. v. Scala. — 6. Ein vermeintliches Werk des
Euphranor von E. Reisch. — 7. Ober die Trugschlüsse der griechischen
Philosophen von C. Oberhorst). — XII. Analecta Graeco-Latina. Philo-
logis Vindobooae congregatis obtulerunt collegae Cracovienses et Leopolitani.
Cracoviae 1893 (apud bibliopolam societatis librariae Polooicae). 68 S.
(Inhalt: 1. St. Witkowski, Observationes metricae ad Herodam. — 2. B.
Kruczkiewicz, Livianura. — 3. A. Miodonski, Anonymi de ortu et
obitu Patrum. — 4. C. Morawski, Qoaestiooum Valerianamm specinen.
— 5. L. Stern back, De Georgio Pisida Nonni sectatore. — 6. P. Bien-
kowski, De perioches Homericae exordio tegulae inscripto. — 7. St. Paw-
licki, De Thrasyllo operum Piatonis editore). — XIII. Xenia Austriaca.
Festschrift der österreichischen Mittelschulen. 2 Bände (1523 S. gr. S^) in
8 Abteilungen. Wien 1893 (Karl Gerolds Sohn). (Abt. I. Klassische Phi-
lologie und Archäologie. 332 S.: 1. Viodobona von W. Knbitschek. —
2. Ein griechischer Heiratskontrakt vom Jahre 136 n. Chr. von K. Wessely.
— 3. Zur Geschichte des griechischen Mimus von K. Hauler. — 4. Lexi-
kalisch-Kritisches aus Porphyrie von J. Stowasse r. — 5. Die Verba des
Befehlens in den indogermanischen Sprachen von V. Hin tue r. — 6. Zur
mefarfochen präfixalen Zusammensetzung im Griechischen von P. Schubert«
— 7. Aufgaben eines zukünftigen griechischen Staatsrechtes vonV. Thum-
ser. — 8. Fundkarte von Aquileia von H. Majonica. — Abt H. Deutsche
Sprache nnd Litteratur 99 S.: 1. Des hundes n6t. Untersucht und heraus-
gegeben von K. Reifs en berger. — 2. Martinus Bohemus von F. Spengler.
— 3* Grillparzer unter Goethes Binflufs von G. Waniek. — Abt. DI.
Moderne Philologie. 222 S.: 1. Katechismus der katholischen Glaubenslehre
der Ilongoten -Sprache, verfafst von Fray Francisco de la Zarza, in Druck
gelegt nnd mit Äquivalenten des Ilongottextes in spanischer, beziehungsweise
tagalischer und maguindanauischer Sprache herausgegeben von Ferdinand
Blnmentritt. — 2. Die mährische Mundart der Romsprache von R. von
Sowa. — 3. Englische Synonyma. Aus Nader und Wiirzner: ,,BIeBeiitnr-
buch der englischen Sprache" und „Englisches Lesebuch" ffir den Sctal-
von A. Engelbrecht. ^39
gebnach zosammeugeiitelU vod £. Nader. — 4. SyoUktische Uoter-
siehoBgeo so der Sprache der mittelefiglUcbeo Romanze von Sir Pereeval
of Galles von J. fillinger. — 5. Die Orthographie der beiden Qaarto-
Aasgabeo von Shakespeares SommeroachUtraaB von A. WUrzaer. — 6
Die istrianischen Muodarten von A. Ive. — AbC IV. Geachichte und Kaost-
geschichte. 225 S.: 1. Ein Salzbargiaches Registerboeh des ]4. Jahrhno-
derts von W. Hanthaler. — 2. Der Oillier Erbstreit voo A. Gabo.
— 3. Znr Geschichte einiger Reichsstädte in den letzten Zeiten des Reiches
von E. Gaglia. — 4. Die gotische Kircheabankanst ia Khrntbea von F.
Haan. — 5. Radolf II. als Därersanmler von J. Neawirth. — Abt. V.
Mathematik and darstellende Geometrie. 194 S. : 1. Die] Sprache der
Mathematik von E. Linde othal. — 2. Zar Reform des aaalytiseh-geo-
metriseheo Unterrichts in den Mittelschaleo von H. Wittek. — 3. Zur
KegeUchoittlehre von F. Halaschka. — 4. Ein Beitrag zur Rektifikation
der Kurven voo A. Walter. — 5. Über Plankarven vierter Ordnung vom
Geschlechte p=s\ und ihre typischen Formen von W. Binder. — Abt. VI.
Physik und Chemie. 179 S.: 1. Die Verwendung der Oxalsäure zu Experi-
Beaten and Reaktioaen von J. Sonntag. — 2. Der Ätherdmck als ein-
heitliche Natarkraft von H. Jaauschke. — 3. Die tägliche Periode der
Geschwindigkeit und Richtung des Windes in Kremsmünster von C. Wagner.
— 4. Über die Schwere auf der Oberfläche der Erde voo H. v. Höpflingen.
— 5. Über einige Folgerungen aus der Theorie der Elektrizität von Max-
well von J. G. Wall entin. — 6. Über die Beugung des Lichts durch ein
ebenes Doppelgittor von K. Exner. — Abt. VII. Naturgeschichte. 100 S.:
1. Znr Coochylienfauna von China von V. G red 1er. — 2. Der Legföhren-
wald von J. Gremblich. — 3. ,,Der Stock im £isen^< der Sudt Wien
von A. Barger st ein. ^ Abt. VIII. Philosophie und Pädagogik. 172 S.:
1. Die Gesetze des Urteilsverhältaisses der Einordnung (Subalternation) als
Geaetze des Lebens — geselligen Vereiaens der Menschen — der Staatea
und Volker von S. Gscbwandner. — 2. D. G. Morhof und sein Poly-
histor von W. Eymer. — 3. Zur Methodik des geographischen Unter-
richtes. Der Umrifs Asiens im Unterricht der zweiten Gymnasialklasse von
W. Schmidt. — 4. Über systeamtische Behandlung der BagrilTslehre im
Logikaoterricht von G. Speagler. — 5. Hygienische Fortschritte der öster-
reichischen Mittelschulen seit September 1890 von L. Burg er stein.) —
XIV. Aus dem Theresianam. Festgabe der k. k. Theresianischen Akademie
in Wien. Wien 1893 (Selbstverlag). (Inhalt: 1. Grundzuge der Orgaui-
satioo der k. k. Theresia oischen Akademie. Mit einer einleitenden geschicht-
lichen Obersieht voo H. Rak. 61 S. — 2. Studien zu den Annalen des
Tadtaa. Von F. Zöehbauer. 122 S. — 3. Das Titelwesen hei den spät-
lateiniaehen Epistel ographen von A. Engel brecht. 59 S.). — XV. Die
Waaderversammlong deutscher Philologen und Schulmänner von Egg er-
Moll wald. Wien 1893 (Holder). U S. — XVL Aas der Hekale des
Kallinachus. Neue Bruchstücke (auf einer Holztafel aus der Sammlung der
Papyrus Erzherzog Rainer) anläfslieh der 42. Versammluag der Philologen
und Schulmänner herausgegeben von Th. Gomperz. Wien 1893. (Sepa-
ratahdruck ans dem VL Baade der „Mitteilungea aus der Sammlung der Pa-
pyma Erzherzog Rainer''.) 1$ S. gr. 4^ mit 2 Doppeltafela (LichtdruAk
ud Faatimile). — XVIl Eis Idyll ^w Mazimns PlaDodes. FMtgrafs von
640 D. 42. Versamml. deutsch. Philologen u.SchnlmiiooeriDWieo,
C. V. Holzioger. Wieo 1899 (C. Gerolds Soho). 37 S. — XVIII. Eilige
Bemerkaogen über die Kompositioa des sophokleischeo Philoktet Be-
grürsnogssehrift von L. Cwiklioski. Lemberg 1893 (Selbstverlag). 15 S.
— XIX. Die Sinnbilder and Beiworte Mirieos in der deutschen Litterator
und lateinischen ffymneupoesie des Mittelalters mit Berüeksiehtigvog der
patristiscben Litteratnr. Eine litterarhistorische Stadie von A. Salzer.
Festgabe des Gyanasiums der Benediktiner zu Seiteostetten in Niederöster-
reich. Linz 1893 (Selbstverlag). XI and 617 S. — XX. Schillers Ahhand-
lang über die Gesetzgebung des Lykurg der 42. V. d. Pb. u. Seh. als Probe
einer (Ibersetznog ans dem klassischen Deatscfaen in das klassische Griechisdi
vorgelegt von K. Jülg. Trieot 1893 (Selbstverlag). 31 S. — XXL Tezt-
und Dmckprobe aus dem lateinisch -deutschen Schulwörterbuch von J. M.
Stow aaser. Vorgelegt d. 42. V. d. Ph. u. Seh. Wien, Prag, Leipzig 1893
(Tempsky-FreyUg). 32 S. gr. 4°. — XXU. FesUchrift der Zeitochrift fiir
vergleichende Litteratorgeschiclite. 57 S. (Sondern bdrock: 1. Haroack,
Raffael Mengs Schriften und ihr Einflufs aofLessiog und Goethe. — 2. Gol-
ther, Die Edda in deutscher Nachbildung). — XXIII. Relief des Lakrateides,
gefunden im Plutoaheiligtom in Eieasis. Zusammengesetzt von R. üeberdey
und W. ReicheL Zinkdruck. — XXIV. Gedenkblatt, entworfen und ge-
zeichnet von A. Prix, in Lichtdruck hergestellt von M. JaBe.
Aofser diesen Widmungen, die in Auflagen von je 50, 100, 200, 300,
500, ßOO, 700 und 1000 Exemplaren den Teilnehmern gespendet wurden,
gelangten folgende Publikationen zur allgemeinen Verteilong: XXV. Plan
der Stadt Wien oebst Führer durch Grofs-Wien. — XXVI. Führer durch
Carnuntum von Kubitschek und Frankfurter. 2. Aufl. Wien 1891
(Lechner). 87 S. — XXVII. Das Heidenlhor (bei Petroneli - Carnuntum).
Sonderabdruck aus dem Ausgrabungsbericht des Vereins „Carnuntum'* für das
Jahr 1891. Wien 1893. 20 S. — XXVIIL Verzeichnis der im grofscn
Saale der k. k. Hofbibliothek zu Wien ausgestellten Schaustücke. Wien 1893
(Verlag der k. k. Hofbibliothek). 20 S.
An Gelegenheitsgedichten erschienen: XXIX. Poetische Fingblatter.
Wien 1893 (Holzhausen). (Inhalt: 1. Znov^at [in der Form eines tragischen
Chorliedes] von A. Stitz. — 2. Lateinischer Festgrufs in drei alkaeischea
Strophen von G. Grünes. — 3. In der Kaiserburg [Gelegenheitsgedicht ans
Anlafs des Empfanges bei Hofe] von Leo Smolle. — 4. B^was fitxQd), —
XXX. Xenien der 42. Vers. d. Ph. u. Seh. dargebracht von J. Stritar nad
F. Raab. (Inhalt: Gedicht in lateinischen Distichen: Hospitibus'Phaeaces.
— Grufsparabase).
Schliefslich wurden der Versammlung von den Verfassern oder Ver-
legern überreicht: XXXL Der Müller am Anio. Eine altrömische Komödie
von Fritz Pichler. Graz 1893 (Lenschner und Lubensky). 80 S. —
XXXII. Die BibUothek des Dichters Nikolaus Zrioyi. Mit dem Porträt des
Dichters. Wieo 1893 (Verlag S. Kende). 88 S. — XXXHI. ArUrias
Ortslexikon der österreichisch-ungarischen Monarchie. 79 S. — XXXIV. Die
Schule und der organische Bau der Volksschule in Frankreich von 0. Mey.
Berlin 1893. — XXXV. 1. Jahresbericht des wissenchaftlichen Vereins Tur
Volkskunde und Linguistik in Prag, mit einer Abhandlung über Raben und
Krähen im Altertum. — XXXVL Chronik des Wiener Goethe- Vereins vom
23. Mai 1893 (Festnnmmer). — XXXVU. Österreichisches LitteraturUatt
voo A. fiagelbrecht. 54t
der Leo -GMeli Schaft. I^r. 10 and DeaUche Litteraturzeitaag. — XXXVIII.
JtlirMberiehte fiir neaere deoUclie Litteratargeschichtc, herausgegeben voa
Elias, Herrmann, Szamatolski. 11. Bd. 1891. Bogea I. — XXXIX.
Das konmerzielle Bildaogsweaen Id Osterreieh-dogaro, auf Graadlage des
elemeotareo and mittleren Unterrichtes und die kanfmiinniscben Lehranstaitf n
des dentschea Reiches von F. Glaser. Wien 1893 (HSlder). — XXXX.
Ober ürsproog nod Bedeatang dec Namens Germanen von Schieren berg
(Ansschaitt). — XXXXI. Mitteila ngen der Gesellschaft für deutsche £r-
xiehnngS' and Schulgeschichte, herausgegeben von Karl Kehrbach. Jahrg>
III. Heft 1. ~ XXXXII. Ein Find Syrakusaner Tetradrachmen von V. v.
Rena er. — XXXXlil. Gymnastik für die Jugend von Gutsmuths.
JaMlänmaaosgabe von G. Lukas. Wien, Leipzig 1893 (Pichlers Witwe
n. Sohn).
Am Schlüsse dieser Revue der Festschriften sei des „Festblattes der 42.
Versammlang deutscher Philologen und Schulmänner'* gedacht, das in seiner
ersten Mummer am Vorabende des Beginnes der Versammlung erschien,
während der letzteren täglich ausgegeben wurde und dessen letzte JNummer
das Datum 6. Juni d. J. trägt. Die Titel Vignette, die Eros als reifen Jüug-
iiag, mit mächtigen Flügelschwingen, in kauernder Haltung die Salpinx blasend
darstellt, während über ihm sein Schwert hängt, ist dem figuralen Schmuck einer
rotfigurigeu Lekythos aus Gela — das Original befindet sich in der Wiener
archäologischen Sammlung der Universität und Ist noch nicht verößeitlicht
— naehgezeichnet und stimmt in ihrer vornehmen Einfachheit mit der übrigen
eleganten typographischen Ausstattung der Zeitung, die 88 groise Quart-
seiten (zu zwei Kolumnen) umfafst und von Gymo.-Prof. Ziwsa-Wieo
trefflieh redigiert ist.
Damit die Festschriften, die nur in beschränkter Zahl vorlagen, in die
richtigen Bände kämen, war die Einrichtung getroffen, dals ein eigenes
Boreau mit genauer Buchführung für die Verteilung derselben sorgte, die
Wunsche der Teilnehmer betreffs der Publikationen entgegennahm, im
übrigen aber selbständig die Interessen des einzelnen und der Gesamtheit
wahrte.
Nachdem die verschiedensten Ausschüsse und Gomites die Vorarbeiten
erledigt hatten, begann der Kongrefs mit einer Vorfeier in der Form einer
geselligen Zusammenkunft im Kursalon des Stadtparkes am
Abende des Dienstags (23. Mai). Der grofse Saal vermochte die Teilnehmer,
die Gäste dei« Präsidiums waren und an den Eingängen die gedruckten, oben
anter den Festschriften angeführten, lateinischen und deutschen Festgrülse
der Wiener Gymnasialprofessoren Stritar und Raab überreicht erhielten,
kaum zn fassen und viele derselben machten es sich auf der ihm vorge-
kauten Terraaae bequem. Nachdem das vom Comit^ beigestellte Büffet ge-
wirdigt war and die Kapelle Drescher einige Nummern ej^ekutiert hatte,
kielt Präsident v. Bartel eine launig-herzliche Begrüfsungsrede, in der er
tnf die grofse Zahl der Teilnehmer (948 eingeschriebene stimmberechtigte
Teilnehmer der Versammlung, 184 Ordner und Assistenten der verschiedenen
Coait^s aus Studenten kreisen, also in Summa 1132 Teilnehmer) mit Stolz
aad Bangen hinwies und dieselben der herzlichsten Gastfreundschaft ver-
sicherte. Hieranf deklamierte der Altmeister deutscher Vortragskunst, der
Burgacbauspieler Jesef Lewinski, das von A. Freiherrn von Berger ver-
ZeitMhr. f. d. GjmnatialwMon XLVII. 10. 41
642 ^' 42.Versainin1. deutsch. Philologien n. Schalmänner in Wien,
«füte aod in Noiumer 1 des Pestblattes abgedruckte Festgedicht, dessen In-
halt and Vortrag gleich aufrichtige laate Bewunderung fand. Erat spSt ging
die animierte VersannDlnng auseinander.
I. Voilversammiang.
Am Mittwoch, den 24. Mai, wurde die erste allgemeine Versammlang
um 10 Uhr eröffnet. Die herrliche Aula der Universität, deren Parterre
und Gallerien dicht gefüllt waren, hatte prächtigen Teppichschmock angelegt
und vereinte eine dreischichtige Gesellschaft: der akademische Senat mit
dem Rektor an der Spitze nebst Vertrete^n der Studentenschaft gemahnten
daran, dafs auch eine akademische Feier stattflnde (Aufstellung der Gedenk -
tafeln für die Rektoren der Wiener Universität von 1365—1893), fast sämt-
liche österreichische Minister, unter ihnen Ministerpräsident Graf Ta äffe
und Unterrichtsminister Freiherr von Gautsch, nebst einer grofsen An-
zahl von anderen Staatswnrdeuträgern wollten durch ihr Erscheinen nichl
nur die Philologenversammlung ehren, sondern auch gewissermafsen aktiv
die Patenschaft bei der Eathülluog des vom dankbaren Staat« in den Ar-
kaden der Universität errichteten Thnn-Exner-Bonitz-Denkmals ausüben, und
diesen zwei Gruppen gesellte sich als dritte gröfste das Tausend von Phi-
lologen und Schulmännern zu.
Der erste Präsident, Hofrat v. Hartel, begrüfste die Versammlung,
die Arbeitsgenossen der verschiedensten Länder und Sprachen vereine: nicht
nur aus dem deutschen Reiche, der Schweiz und den deutschsprachigen
Österreichischen Kronländern, sondern auch aus Ungarn, Böhmen, Galizten,
Krain, Italien, Bulgarien, Serbien, Rumänien sei man zu gemeinsamer Arbeit
gekommen. Er schlofs mit einem begeistert aufgenommenen Hoch auf den
Kaiser.
Hierauf sprach Unterrichtsministor Freiherr von Gautsch. Aas einem
doppelt feierlichen Anlafs begrüfse er namens der k. k. Regierung die An-
wesenden: es werde die Philologenversammlnng abgehalten und gleichzeitig
mit der Eröffnung dieser Versammlung ein Denkmal der Obhut der Wiener
Universität übergeben, das dem Gedächtnisse des Ministers Grafen Thun-
Hohenstein, des grofsen Reorganisators der österreichischen Universitäten,
Gymnasien und Realschulen, und jenem seiner Berater, Franz Exner and
Hermann Bonitz, gewidmet sei. Redner schätze sich glücklich, den Gefühlen
der Bewunderung und Verehrung für seinen grofsen Amtsvorgänger gerade
in dieser Versammlung Ausdruck leihen zu dürfen, deren inländische Teil-
nehmer ihre geistige Ausbildung und die Möglichkeit gedeihlichen Wirkens
den Einrichtungen zu danken haben, deren Ursprung heate gefeiert wird,
und deren ausländische Mitglieder der Entwickelung des österreichischen
höheren Bildungswesens lebhafte Teilnahme entgegenbringen, da die von
beiden verfolgten Ziele innerhalb einer gemeinsamen Interessensphäre liegen:
Redner sagte hierauf wörtlich: „Die Gemeinsamkeit dieser Interessen wurde
aber für uns erst durch die vom Grafen Leo Thun unter den erhabenen
Auspicien Sr. k. und k. apostolischen Majestät durchgeführten Reformen des
höheren Schulwesens und die von Thun der klassischen Philologie
an unseren Gymnasien eingeräumte Stellung geschalTen. Klassische
Philologen aber sind die Schöpfer dieser allmäblieh alle Fächer der Mittel*
fchnle vertretenden Wandervenammlung. Man mag mit Recht der Meionig'
von A. Engelbrecht. 643
seil, dafs far gewisie Bernfsstande die ungeschmälerte fachliehe Aasbildung
HanptMche und der Unterricht in den klassischen Sprachen von keiner Wich-
tigkeit sei, andere Kreise der Gesellschaft aber können auf
diesen Unterricht nicht verzichten, nicht blofs deshalb, weil
dsi Niveau der allgemeinen Bildung wesentlich durch diesen
Unterricht mitbestimmt wird, sondern weil die auf wissen-
sekaftlicfaer Arbeit and Forschung bervhende akademische
Berafsbildnng jene formelle Schulung, jene geistige Regsam-
keit und Gewandtheit, jenen reichen historischen Gedanken-
iihalt braucht, welche die Beschäftigung mit den Klassikern
im sichersten vermittelt
Der Wunsch Goethes: ,,Moge das Stadium der grieohisehen and latei-
nischen Litteratur immerfort die Basis unserer höheren Bildung bleiben '*,
ist bis nun durch keine pädagogische Neuerung praktisch widerlegt. Indem
das menschliche Denken sich äufserlich durch die Sprache vollzieht, bietet
strenge sprachliche Zucht ein sicheres Mittel« zum Denken zu erziehen, zu-
mal die Zueht in jenen Sprachen, welche an Feinheit und Reichtum ihrer
Dtrstellungsmittel unübertroffen dastehen. Und weil der Mensch Glied einer
Gesellschaft ist, welche erst durch eine lange komplizierte Entwickelnng
zu demjenigen geworden ist, was sie heute darstellt, kann er die Gedanken-
arbeit seiner Zeit nur dann völlig verstehen und an ihr mit klarer Erkennt-
■is teilnehmen, wenn er mit den Anfängen und Wurzeln dieser alten Kultur
wenigstens einigermafsen vertraut ist.
Die philologische Arbeit fördert aber auch jene ethischen Eigenschaften,
welche für das öffentliche Wirken unerläfslich sind. Indem sie der Worte
wahren Wert und richtige Bedeutung lehrt, erzeugt sie die Abneigung gegen
die Phrase und leitet dazu an, sich in das Denk- und Sinnesweseo ferner
Zeiten, anderer Menschen zu vertiefen, fremden Empfindungen mit Selbst-
entaaf;»ening treu nachzugehen. Die öffentliche Thätigkeit, zumal in einem
Staate, welcher, aus mannigfaltigen Teilen historisch erwachsen, von ver-
schiedenen Völkern bewohnt ist, heischt sie nicht eine fortwährende Bethä-
tignng eben dieser Kraft, wenn man der Vielheit historischer Erinnerungen,
politischer, sozialer Meinungen gerecht werden, sie verstehen und achten
will? —
Mag mehr oder weniger jede philologische Beschäftigung mit Sprachen,
diesen „ersten Runstschöpfungen des menschlichen Geistes^ solche Wirkung
üben; erfahrnngsgemäis geht sie von den antiken Sprachen am vollsten und rein-
sten ana, indem diese uns zugleich eine Litteratur vermitteln, welche den
edelsten Inhalt in einer Einfachheit, Ursprünglichkeit und künstleriseheu Voll-
endung darbietet wie keine andere.
Der Glaube an die Macht und den Wert der Antike, wie er aus der
üaterrichtsreform des Grafen Thnn spricht, hat auch bei uns eine Wieder-
geburt des wissenschaftlichen Lebens herbeigeführt, und näher stehen von
da ab in Wissenschaft und Unterricht die Ziele, die wir zugleich mit allen
ibrigen Kulturvölkern verfolgen. Für die Pflege der Wissenschaft mag dies
ils unbestritten gelten. Der Wettbewerb um dieses hohe Gut vereinigt in
einem höheren Streben die Geister, welche sich anderwärts in hartem
Kampfe begegnen. Die gelehrten Wanderversammlungen aber haben sich
vortrefflich bewährt, diesen friedlichen/ wissenschaftlichen Gedankenaustausch
41*
644 D. 42. Versifflml.deatseh. Philologen o. SchoImänneriD Wieo,
£u fördern, fruchtbare Anregoogeo zo geben und zu erhalten, das lotereue
weiterer Kreise für wissensebaft liebe Bewegongeu zu erwecken aod zu erhalten.
Aber auch die andre Aufgabe, die Ihnen obliegt, meine hochgeehrtes
Herren, die Pflege des CJoterrichtes und der Schule, wird immer mehr {u
einer geueiosaraen Aufgabe und zum Gegenstand des Wettstreites aller
Staaten, welche io diesem Zweige der Verwaltung das wirksamste Mittel
erblicken, die innere Kraft des Volkes zu heben und sie auf der Bahn ge-
wanden Fortsehrittes zu erhalten. Kein Schulwesen darf sich mehr isolieren,
wenn es nicht zurückbleiben will. Heute geschieht da, morgen dort eine
Portbewegung; jede will gekannt, erwogen, keine übersehen sein.
0er Fortschritt jedes Bildungswesens hängt aber in erster Linie vom
F«>rtschritte der Wisseosehafteo und von der wachsenden Kunst ab, deren
Ergebnisse io brauchbarer Form der Sehole zuzuführen.
Ihre Versammlang, hochgeehrte Herren, welche Vertreter der Wissen-
schaft und der Praxis vereinigt und deren jeder in sich diese Vereinigung
vollzieht, indem sie als Gelehrte lehrend wirken, läfst jenes Koropromits
zwischen Wissensebaft und Schule leichter and sicherer erwarten, dessen es
nach dem hastigen Stande der Dinge dringend bedarf, nm berechtigte Klagen
gegen das moderne Schulwesen zu beseitigen und die Verbindung zwischen
Wisseoschsft und Schule, welche für unser gesamtes höheres Schulwesen, fiir
die Mittelschulen wie für die Universitäten, so überaus wertvoll geworden
ist, dauernd zu erhalten.
Diese Oberzeugung hat auch den Unterrichtsminister Grafen Thun zur
Aufnahme des Systems der Fachlehrer bestimmt, indem er der Meinung war,
dafs nur derjenige allgemein bildende und erziehliche filemeote einer
Disciplin im Unterricht voll auszuarbeiten vermag, welcher sieh mit den
Wesen und der Methode dieser Disciplin genau vertraut gemacht hat.
Was ist aber in diesem Meosehenalter voll rascher und energischer
Arbeit aus den Disciplinen geworden, in welche unsere Lehrer an den Uni-
versitäten eingeführt werden sollen ! Ein Blick auf die Lektioas Verzeich-
nisse von damals und jetzt zeigt die Erweiterung und Spezialisierung der
akademischen Lehre und läfst der emsigen Detailarbeit gegenüber die Sehwie-
rigkeiten ermessen, welche ein Kandidat des Lehramts zu besiegen hat, nm
neben der unerlärslichen Vertiefung nach die notwendige Herrschaft über weit
ausgedehnte Wisseosgebiete zu gewinnen.
Wie hier einerseits durch straffere Mitteilung des reicheren Stoffes,
andererseits durch passende Auswahl und fortschreitende Verbesserang der
Didaktik zu helfen sei, das sind brennende Fragen, welche mit dem Fort-
schritt unserer Kenntnisse in allen Disciplinen jeden Tag aufs neue gestellt
werden. Sie werden, hochgeehrte Herren, wie Ihi* Arbettsprogramm zeigt,
auch darüber beraten, Ihre Einsiebt und das moralische Gewicht Ihres Vo-
tums wird Mittel und Wege zeigen, Bestehendes zu erhalten oder leitgemiTs
fortzubilden.
Was aber immer Gegenstand Ihrer Beratungen sein mag, ich gebe »ich
der freudigen Erwartung hin, dafs diese Ihre heutige Versammlung ebenao
wie jede der früheren gutes Saatkorn in reicher Fülle ausstreuen werde,
und dafs durch sie der Bau neu gefestigt und gekräftigt werden kann, wel-
chen Minister Graf Thun in unserem Vaterlande errichtet hat Mit diese«
Wunsche heifse ich Sie herzlich willkommenes
Diese Rede ait ihrer eBtichiedeeeo BetooDog der aobediogteo Not-
weidfgiceil, des Stadivm der Antike an den Gymsasieo nogeschnälert tu er-
halteo, machte anf die VersamnlaBir eioea tiefen Eindruck, deasen Dolmetsch,
der erste Präsident Hofrat v. Harte], dem Redner für die warmen and
gefahlvollen Worte dankte, die die frendige Gewifsheit pfiben, dafs die Ideen,
an denen das llionsehe Reformwerk hervor^eganffen sei, anch von der gegen-
wirtigen Unterriehtsverwaltang hochgehalten werden. Der Miniater habe
da« Zostandekommen der Versamminng in derart «irksamer Weise gefordert,
data ihr glücklicher Verlauf gesiehert sei, und es sei der Wunsch aller,
Utt die Krtragnisse ihrer Arbeit den Erwsrtungen Sr. Bxeellenz entsprächen.
Hierauf begriirste Vizebörgermetster Dr. Grübl namens der SUdt Wien
die Versammlang, dankte fiir die Wahl Wiens zum Versammlangsort, das stets
Bestrebungen, die der Wissenschaft and Schale za Gute kamen, wärmstens
zu wordigen verstanden habe, and lad im Namen des eben in Erfüllung einer
Amtspflicht fern von Wien weilenden Bärgermeisters Prix die Versammlung
zn einem Empfange in den Pesträumen des Rathauses für Samstag Mit-
tag! ein.
Nachdem der Voraitzende für die freundlichen Worte und die Ein-
ladung gedankt hatte, wobei er hervorhob, dafs Wien ja eine Heimstätte
aehulfrennd Hoher Gesinnung sei und auch für das höhere Schulwesen durch
VermebniDg und Aasgestaltung der Gymnasial- and Realschulen freiwillig
Grofaes and Bleibendes geleiatet habe, ergriff der Rektor der Wiener Uni-
versität, Hofrat Dr. Ludwig, das Wort, um die Versammlung namens des
akademischen Senats zu begrufsen. Er erinnerte an die im Jahre ]858 in
Wien abgehaltene Philologen Versammlung und die grofse Wandlung, die sich
seit jener Zeit mit der Stadt Wien und dem geiatigen Österreich vollzogen
habr. Wie das Äufaere der Stadt Wien sich von dem beengenden Panzer
der Mauern und Wälle befreit habe, so aei auch das Unterrichts wesen durch
die Thunschen Reformen von den Fesseln befreit worden, durch die bisher
Wiaaenschaft und Lehre beengt waren. Ein neuer, freier und befruchtender
Geiat aei in das Uoterrichtswesen gedrangen, Wiaaenschaft und Schale seien
eine innige Verbindung eingegangen, der das zu danken sei, was heute ge-
leistet werde.
Hofrat V. Hartel dankte in Beantwortung dieser Rede für die Gastlich-
keit, mit der die Räume der Universität der Versammlung zur Verfügung
ireatellt wurden, aowie dafür, data die Eroifnung der Verhandlungen auf
den Festtag fallen konnte, an dem durch Aufstellung der Rektorentafeln das
Geburtsjahr der alten, durch Enthüllung dea Thun-Kxner-Bonitz- Denkmals
das Wiegenfest der neuen Universität begangen werde. ' In übereinstimmnng
■it der ausgesprochenen Oberzeugung, dafa Universität und Miltelscbole nur
in engster, wechselseitiger Fühlung und Zusammenwirkuog ihre hohe staat-
liche Aufgabe erfüllen kSnneo, schlofs er mit dem alten Segens wünsche an
die Universität: Vivat, floreat, crescat!
Hierauf hielt der Uoiversitätsprofessor Thewrewk v. Ponor aus
Budapest eine lateinische Ansprache, in der er sich als Abgesandter des
Erzherzogs Josef von Öaterreich vorstellte, deaaen Grüfse an die Versamm-
lang ala Ehren-Mitgliedes der Budapester philologischen Gesellschaft über-
■ittelte und für die Einladung der Ungarn zu diesem Kongresse mit dem
Wnnsche eines glocklichen Verlanfefi desselben dankte.
J
646 D. 42. Versaninil. deofscb. Philologeou. SchuImiiDoeriiiWieD,
Auf die mit einem kräftigen Eljen schlierseode Ansprtelie erwiderte
der Präflideot v. Hartel gleichfalls in lateinischer Sprache, indem er die
haldvolle Botseodoog eines Vertreters seitens des am Wisseoscbaffc ond
Kunst so hoehverdienten Erzhersogs Josef — er ist bekaDntlieh als Fach-
schriftsteller einer der ersten Kenner der Zigeunersprachen und -Sittea —
dankend hervorhob and den Wansch aassprach, dafs Österreich mit Ungarn
durch das Band der Gemeinsamkeit der wissenschaftlichen Bestrebungen immer
enger verknüpft werden möge. Die Versammlung dankte dem hochherzigen
Prinzen durch Absendung eines Danktelegramms.
Nunmehr folgte die eigentliche Eröffnungsrede des Vorsitzenden, Hof-
rats V. Hartel, deren Thema die Verdienste der Dreimänaer Thun, Exner
und Booitz, deren Denkmal aomittelbar darauf enthüllt werden sollte, behan-
delte. Der Redner gab erst ein Bild der Zustände in Österreich auf wissen-
schaftlichem Gebiete vor dem Jahre 1848. Das alte Gymnasium gliederte
sich in eine untere Abteilung, die studia inferiore mit den drei dasses
grammaticae: Rudiment, Grammatik, Syntax, und den beiden class«s hnma-
oitatis: Poetik und Rhetorik, und in eine obere Abteilung, die studia supe-
riora mit zwei oder drei philosophischen Korsen : Logik, Physik, Metaphysik.
Dasselbe trieb viel Latein, ohne aber durch zweckmäfsige unverkürzte Lek-
türe in den Geist auch nur eines Autors oder einer Litteraturperiode ein-
zuführen. Es brachte das Griechiscbe kaum über die Elemente der Gram-
matik hinaus und benutzte für die Lektäre accentlose Chrestomathien. Es
wehrte der deutschen Sprache and Litteratur zu einer Zeit den Eingang, da
Deutschland durch seine Litteratur sich verjüngte. Es behandelte Geschichte
und Geographie ebenso oberflichlieh wie Naturlehre und Teile der Mathe-
matik, ja Naturwissenschaft seit 1819 gar nicht mehr.
Die philosophischen Kurse waren ein Zwitterdiog zwischen Gymnasium
und Universität, sie konnten weder der verkümmerten allgemeinen Bildung
aufhelfen, noch auf die Fachstudien gründlich vorbereiten. Da ein Lehrer
alle Fächer vertreten mufste, konnte von einem wissenschaftlich und päda-
gogisch genügend gerüsteten Lehrstand nicht die Rede sein. Die Universität
war ein Aggregat theologischer, juridischer und medizinischer Fachschulen.
Die philophische Fakultät fehlte gänzlich, ebenso Sammlungen, Institute,
Seminare.
Diesen trostlosen Zuständen dauernd ein Ende bereitet zu haben, ist
das Verdienst des Unterrichtsministers Thun (1849) und seiner Räte Exoer
und Booitz. Allerdings waren schon viel früher erleachtete Männer er-
standen, die bereits wesentliche Punkte der Thunschen Organisation erkannt
und gefordert hatteh. So vor allem der Professor der Geschichte an der
Universität Wien, Ignaz Mathias von Hess, der bereits im Jahre 1774 unter
Hinweis auf die Unterrichtsverhältnisse in Sachsen, Brandenburg, Hannover,
Württemberg Lektüre lateinischer und griechischer Klassiker, die deutsche
und eine Landessprache, Naturgeschichte and Mathematik, ja selbst Zeichnen
nach einem wohlerwogenen Lebrplane als Unterrichtsgegenstände des Gym-
nasiums, sowie Fachlehrer, durch Seminare an der philosophischen Fakultät
ausgebildet, empfohlen hatte. Im Jahr 1838 forderte eine allerhöchste Ent-
schliefsung die sämtlichen Stadienrektorate und später auch Schalmänner von
Ansehen zu Vorschlägen auf. Bereits damals waren, wie Bonitz selbst später
anerkannte, die eingreifendsten jener Reformen, welche der Thunsebe Orga-
f9B A. Eag^elbf echt. g4T
•JMtianseBtwttrf fdr die GymoaeleD traf, mit vSlliger Klarheit erkanot uod
beaatrag^t wordeii. Dafa jedoch diese Gatachteo nicht praktisch verwertet
wordeo, hatte daria seiaea Grnad, dafs eiae Reform der Gymoasiea ohne
gleichxeitige Reform der philosopMschefi Karse, d. i. der Uoiversitiit, ua-
aasfuhrbar war. Erst im Jabr 1845 ifing man aoch au diese Beratoog und
faad ia Fraoz EAoer dea geeigneten Mann, die Sache dem Gelingen znza*
fabree. Ihn zeiehaeten aus Scharfe der Anffassaag, Sicherheit des Urteils,
Weite des Blickes, eia ofTeaes Herz für alles Bdle uad Grofse, eine seltene
Kraft der Spraebe and jene ans der Tiefe des Empfindens fliefseade abge-
klärte Homaaität, welche er durch das Gymaasium den leitenden Kreisen der
GeseUsdiaft vermitteln wollte.
1802 als Sohn einer Wiener Beamtenfamilie geboren, wurde Exner
scbon 1831 Professor der Philosophie in Prag und erhielt sogar einen Ruf
nach Boan, dem er jedoch nicht folgte. In Prag knüpften sich auch die ersten
Beziehungen zwischen Exner und Thua; am 1. April 1848 zum Ministerial-
rat des aeaerriehteteB Miaisterioms für Unterricht ernannt, übergab er am
18. Juli desselben Jahres einen auf sämtliche Schulen, die Volks-, Mittel-
aad Uoehsehnlen bezüglichen „Entwurf der Grnndzüge des öffentlichen Unter-
riehtswaseas in Österreich'* in 100 Paragraphen der Öffentlichkeit, ^ach
den Beatiflunungen dieses Entwurfs wurde das Gymnasium, wie es noch jetzt
besteht, zu einer aehtklassigen, in eine Unter- und Oberabteilung zerfallende
wirkliche Mittelschule, welche unter wesentlicher Benutzung der beiden
klassischen Sprachen eine höhere Bildung gewähren und so zur Universität
vorbereiten sollte. Der Uaterricht wurde in die Hand von Fachlehrern ge-
legt Die Organisation der Universitäten schlofs sich eng an jene Deutsch-
lands an, sowohl },weil sie die bewährtesten sind, als auch weil der künftige
Wechselverkehr zwischen ihnen und den österreichischen Universitäten es
fordert*'. Als Aufgabe der Universitäten wurde bezeichnet „die Pflege der
allgemeinen Wissenschafton um ihrer selbst willen uod somit nach ihrer
gaazea Breite und Tiefe". Die nächste Folge dessen war die Schaffang der
philosophiachea Fakultät.
Am 22. August 1849 wurde Thun zum Minister für Kultus und Unter-
rieht ernaant uad wenige Monate früher war die Berufung von Hermann
Bonitz als Professor der klassischen Philologie an der Universität Wien
erfolgt. Ab Bonitz gewann die Unterrichtsverwaltung den in diesem ent-
scheidenden SUdiom einer durchgreifenden Umbildung unentbehrlichen Ver-
nittler mit der Lehrerwelt, sie gewann einen unermüdlichen Verteidiger
gegen Bedenken und Angriffe Wohl- und Übelwollender, wie sie die Neuheit
der Einrichtungen notwendig hervorrief. Zu diesem Zwecke wurde die
„Zeitschrift für die Österreichischen Gymnasien" begründet. Der Mann aber,
der den Ideen Exners und Bonilz' freie Bahn schuf, war doch nur Thun, der
im Verlaufe der Monate August bis Oktober 1849 bewirkte, dafs das pro-
visorische Gesetz über die Prüfuog der Kandidaten des Lehramts und ins-
besondere der „Entwurf der Organisation der Gymnasien und Realschulen in
Österreich" die allerhöchste Saaktion erhielt, und jene Gesetze schuf, die
den österreichischen Universitäten die Einrichtungen der deutschen gaben.
Um diese drei hochverdienten Männer zu ehren, entstand das von Meister
Kundmaan eatworfeae Denkmal, das in dem herrlichen Hause errichtet wer-
den konnte, das Österreichs edler Kaiser der Wissenschaft gebaut hat als
648 D. 42. Versa» ml. deutsch. Philologen u. Schul mSooerio Wien,
ein weithin strahlendes Abbild des Aufschwunges, den Wissensehtft und Kunst
unter seinen Anspielen gefeiert haben.
Die Rede, welche in wahrhaft kiinstleriseher Weise allseitig orien-
tierende Streiflichter auf die Geschichte des höheren Unterrichts in Alt-
and Jung-Österreich zu werfen verstand, wurde beifälligst aufgenommen und
allgemein wurde es freundlichst begrüfst, als jedem Anwesenden beim Ver-
lassen des Saales ein Exemplar der gedruckten Rede überreicht wurde.
Der Einladung des Rektors und akademischen Senats folgend, begab
sich hierauf die Versammlung in den Arkadenhof zur Enthüllung des
Thon-Exner-Bonitz-Denkmals. Die EnthüUnngsfeier wurde einge-
leitet durch einen von Dr. Schaumann gedichteten, von Weinwnrm in Musik
gesetzten „Festchor'% der von dem akademischen Gesangvereine vorge-
tragen wurde.
Als Hausherr ergriff nun Rektor magnificus Hofrat Ludwig das Wort
und erklärte im Piameo der akademischen Gemeinde, das von Knnstlerhand
geschaffene Werk in seine Obhut nehmen zu wollen. Nachdem er allen den-
jenigen Mäooern gedankt hatte, die an dem Zustandekommen des schönen
Werkes besonders mitgewirkt, insbesondere den Manen des verewigten
Miklosich, dem Unterrichtsministerium, den Professoren Kundtmann und
Niemann (von ersterem stammt der figurale, von letzterem der ornamentale
Schmuck des Denkmals), brachte er auf Sc. Majestät den Kaiser, den For-
derer von Kunst und Wissenschaft, der auch die durch das Denkmal ver-
ewigten Männer an den Platz gestellt habe, wo sie so erfolgretdi wirken
konnten, ein dreimaliges „Hoch" aus, das von der Versammlung begeistert
erwidert wurde. Die Intonierung der Volkshymne dureh die anwesende
Militärkapelle bildete den SchluTs der sinnigen EolhüUungsfeier, an die sich
auch die Enthüllung der drei Gedächtnistafeln, auf denen die Namen aamt-
licher (783) Rektoren der Wiener Universität prangen, anschlofs. Sie ent-
halten aufser diesen auf der Stirnfläche in wenigen Worten die Haoptatadien
der Entwickelnng der Universität von ihrer am 12. März 1365 durch Herzog
Rudolf IV. erfolgten Gründung bis zum Jahre 1884, da die Universität ihr
jetziges Heim bezog.
Hierauf kehrte die Versammloog in den Festsaal zurück, und nachdem
die unterbrochene Sitzung wieder aufgenommen worden war, hielt der zweite
Präsident, Regierungsrat von Egger-Mb'llwald, den seit der Münehener
Philologenversammlung verstorbenen Teilnehmern einen Nachruf. Er ge-
dachte insbesondere des am Vortage dieser Feier verstorbenen grofseo üster-
reichischen Staatsmannes Anton R. v. Schmerling, der 1861 als Staats-
minister der in Frankfurt tagenden Philologenversammluog den Festgrufs aus
Österreich sandte und durch 28 Jahre als Kurator der Theresianischen Aka-
demie in Wien für Erziehung und Unterricht segensreich wirkte, und des
ehemaligen österreichischen Unterrichtsministers Hasner, des Schöpfers des
Volksschulgesetzes; weiters beklagte er das Hinscheiden folgender Männer
der Wissenschaft und Schule: Heraus, Zarncke, Riemann, Classen, Naack,
Westphal, L. Schmidt, Kaspari, Lexer, J. Zingerle, Maurenbreeber, Giadely,
YV^)i!eseler u. a.
^^ei der darauf folgenden Wahl der Schriftführer wurden als solche
nominiei^^' Arthur Sehn ei der- Leipzig, Schwab- München, Engelbreeht-
\
\
\
\
von A. En^elbreeht 649
Wies («Is KrsstomaBo für dit$tn fungierte Zöehbaoer- Wien) aod Hoppe-
WioD.
Professor Cooze-Berlio lad hierauf za deo Sitxonipen der Delegierten
znr Beratoog ober die Verwertanfr der Archaolog^ie im Gynnasialonterrieht ein.
In die Kommitsion cor BestimmiiDg des näebsteo Vorortes für die
Philolofenversannlonif worden gewählt v. Christ-Müncheo, Diels -Berlin,
Jager -Köln, Useoer-Bonn.
Es folgte nonmehr der Vortrag des Geheimrats (Jsener- Bona: „Ober
vergleieheade Sitten- und Reehtsgesehiehte". Das klassische
Altertum ist beseUossen in zwei Völkern von einer so reieheo, vielseitigen
and mastergiltigen fintwiekeinng, dafs die Wiedereatdeckong dieser Knitor
den modernen Völkern am Ausgang des Mittelalters eioe Ernenernng aller
K&DSte und Wissensehaftea, ja der gesamten WeUaoscbaoong bedentet hat.
Die philologische Wissenschaft hat diese Schätze gebobe o and vermittelt und
an ihr wnrde zam ersten Mal der lubegrilT der modernen Geschichtswissen-
schaft in der ganzen Aosdehnaag ihres Qoerdarchsehnittes (griechisches ond
römisches AUertom) aoscbaalich. Die tiefere firgründung der Details fahrt
Sber die Schranken des Fachwerkes hinaus za allgemeiaen, centralen Auf-
gaben. Sowie voo der anatomischen und physiologischen Untersochong des
Menschens seitens der Medizin eioe vollständige Umgestaltang der Zoologie
und dadurch aoch der Botanik ausgegangen ist, hat die klassische Philologie
die Grammatik, Metrik, Litteratur- uod Kunstgeschichte überbaapt ge-
schalTen und demnach der geschichtlichen Wissenschaft wesentliche Dienste
geleistet
Redner sucht nun die Beziehungen der klassischen Philologie zur ver-
gleichenden Silten- uod Rechtsgescbichte darzulhun, indem er die Bedeutung
des Wortschatzes hervorhebt. ,,Der Wortschatz ist das grofse Buch, in dem
die ganze geistige Geschichte des Volkes, wenn aooh nicht von den frühesten,
doch von sehr frühen, um Jahrtausende über die bezeugte Geschichte zurück-
liegenden Anfängen an bis zur Vollendung eingetragen ist. Wer dies Buch
za lesen verstände, zu lesen als geschichtliches Denkmal, vor dem läge die
ganze Entwickeln og dea Volkslebens von dem einfachen Familien verband bis
zu den aosgebildetsten Formen staatlicher Verfassung, der Kultur von der
Nomadeostofe, der Viehzucht und der Erfindung des Feners bis zu der Höhe
eines verfeinerten Luxus, des Geistes voo den ersten tastenden Versuchen
aa der Sinnenwelt bis zu dem höchsten Flog nach dem Unendlichen ^^
Adalbert Kuhn und Jakob Grimm haben ältere geschichtliche Zustände durch
Wortvergleichong erschlossen, und geschichtliche Belebung uod Verwertung
des Wortschatzes bezweckt die Sprachvergleichung. Was wir aber nicht
scboo wissen und kennen, das können wir durch das blofse Wort nicht
lernen. Ohne eine Anschauung des alten Brauches würden wir nie wissen,
wie üvrtt&€0^ai obligare, contrahere oder avytivai und cooicere zu ihrer
abgeleiteten Bedeutung kommen. Wir müssen also von der Sache, nicht vom
Wort anagehen und die geschichtlichen Erscheinungen um ihrer selbst willen
verfolgen, vorab in der vergleichenden Sitten- und Rechtsgeschichte. Der
Gegenstand dieser Wissenschaft ist die Entstehungsgeschichte der sittlichen
Lebeosordnungen, der Institutionen, durch welche das Leben des Einzelnen,
d^r Familie, der Gemeinde, des Stammes sich regelt, und somit auch der
sittlichen BegriffSe. Sitten- und Rechtsgeschichte ist als Einheit zusammen-
650 D. 42. Versam ml. defit 8 eh. Philologe D a. Schal mäoo er io Wiea,
zofassen, w^il das {[ewaohsene Reeht der objektiv geataltete Aosflirri der
Sitte ist
Vergleichende Wissenschaft aof dem Gebiete der Geschichte Verfolgt
eio bestimmtes Ziel: «os Übereinstimmnag oad Abweichoag verwandter
Völker ältere, jenseits der bezeogten Geschichte liegende Stufen herzustellen
and das Werden fertiger Erseheina ngen za erklären.
Beispiel: Zur Aasstattang jedes attischen Gerichtshofes gehörte ein
kleines Heiligtum des Heros Lykos, and die Verbindung dieses Lykos mit
den Gerichtshöfen ist innerhalb der attischen Oberlieferang ein ganz verein-
zelter Rest alter Einrichtnngen und Anschauungen. Usener weist nach, dafo
darin die bei verschiedenen Völkern, sich findende Anschauung zum Ausdruck
kommt, dafs das Licht der Sonne, 'die alles sieht, alles weifs und alles zeigt,
anerläfslich war für die Auffindung der Wahrheit und des Rechts. Das
Gericht war also zu Athen folgerecht unter den Schutz des Lichtgottes, des
Lykos, gestellt
Man wufste in gleicher Weise die Symbolik des altitalischea Ritus der
Stadtaolage (Ziehen einer Furche mit dem Pfluge, dem ein Rinderpanr vor-
gespannt war) bisher nicht zu deuten. Usener deutet den italischen Furchcn-
zug dahin, dafs er von der künftigen Stadt das Übel, sei es in Gestalt von
Pest und Verderben bringenden Dämonen, sei es von menschlichen Feindeu,
abhalten solle. £r verweist aof einen Gebrauch der Bewohner des russi-
schen Dorfes Kamenka, die zu Zeiten einer Viehseuche (1S85} sieben junj^-
frauliche Mädchen als Gespann vor /einer Pflugschar, die ein fleckenloser
Jüogling za lenken hatte, gehen und um das Dorf eine Furche ziehen liefaen,
welche nach ihrem Glauben die Seuche nicht zu überschreiten vermöge.
Es sind aber ältere Zustände bei den Griechen uod Römern viel weniger
rein und deutlich zu erkennen, als bei den in die Geschichte weit später ein-
getretenen nordeuropäisoheo Völkern, den Germanen, Lithauern und Slnven,
denn sie verharrten selbst noch im Mittelalter auf einer Kulturstufe, welche
von Griechen und Römern längst überwunden war, wo ihre selbstbeiengte
Geschichte begann.
Namentlich dem germanischen Recht mofs man für die veiigleichende
Sitten- und Rechtsgeschichte dieselbe mafsgebende Bedeutung beimesaeb, wie
sie das Sanskrit für die vergleichende Sprachforschung besitzt Und hier-
für reichen die Quellen (Rechtsordnungen, Weistnmer, Kapitulariea, Volks-
rechte) bis zum 5. Jahrhundert zurück und können ergänzt werden durch
zahlreiche Züge hohen Altertums, wie sie die Recbtsquellen der Skaodianvier,
Friesen, Angelsachsen, Vläminge bewahren. Natürlich müssen auch die an-
deren Völker berücksichtigt werden. Die Südslaveo geben uns die klarste
Vorstellung von der alten Hausgemeinschaft und der Blutrache, die Russen
von der Landgemeinschaft. Selbst bei Griechen und Italikern tritt mancher
Zug frisch hervor; und das wichtigste ist, dafs wir hier, in Erinnerung
einer Zeit, wo der nationale heidnische Glaube noch volle Kraft besafs, meist
in der Lage sind, den sakralen Hintergrund zu erkennen, ohne den ursprüng-
lich keine Ordnung des sittlichen Lebens denkbar war.
Redner ging nunmehr darauf über, durch Darstellung einer besonderen
Gruppe von Erscheinungen diese allgemeinen Erörterungen klarer zu machen.
Er wählte hierzu die Institution der Genossenschaften der noch unverheira-
teten jungen Leute, Junggesellen vereine oder Burschrnschaften. Überall bei
voo A. Eogelbrecht. 65t
dao cnropäUchen Völkern, vielleicht mit Ansothme der ^lavischei Stiimaie,
begefDet man der ErtcbeinoDg, dafi die heraowaehseade mänDlieheJugeDd
iD fesigeschlosteoeo, itraff (gebundenen Vereinen steh selbst zar Ordnung and
Sittliehkeit ersog, besonders im deutschen Land, wo sie sich bis auf unsere
Tsfe in Dorfgemeinden erhalten bat. Die geschlossenen Verbände der (iftißo^f
vioi und iuvenrs {avvodoi i&v vimv^ collegium iuveoam) mit ihren zusam*
meahangslos überlieferten geseUschsftlicheo und religiösen Einrichtungen
worden beleuchtet durch Züge aus dem deutschen Juoggesellenverbandsleben
bei den Sachsen Siebenbürgens, in der alten Grafschaft des Hochstifts Frei-
sing (Bobenbrüderschaft zu Mittenwald), bei den Franken und Thüringern, in
Hassen und Nassau, am Niederrhein, und hierbei ergab sich der glänzende
Beweis, wie fruchtbar die vergleichende Sittengeschichte für die Wissen-
schaft seL
Reicher Beifali lohnte die Ausführungen des berühmten Gelehrten.
Hierauf erfolgte die Schliefsung der Hanptsitzuag und die Konstituierung der
einzelnen Sektionen.
Um 3 Uhr nachmittags desselben Tages fand das Festmahl im Grand
HÄtcl statt, an dem fast 300 Mitglieder teilnahmen. In dem prächtig deko-
rierten Saale waren die Büsten Ihrer Majestäten des Kaisers von Osterreich
und des deutschen Kaisers aufgestellt, die Tafelmusik besorgte eine Militär-
kapelle und für die gastronomische Zufriedenheit der Gäste sorgte die re-
nommierte Hotelküche aufs beste. Als ein von den meisten nicht ungnädig
aufgenommener Verstofs gegen die Traditionen der Philologentag -^Bankette
mafa es bezeichnet werden, daf:! die Getränke, vom bescheidenen, aber so
schmackhaften Bier bis zum perlenden Schaumwein, den Teilnehmern a dis-
cretioa zur Verfügung gestellt wurden.
Den ersten Toast sprach Präsident y. Hartel. Gedenkend der ersten
Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Wien vor 35 Jahren,
hob er hervor, wie beispiellos sich seither das gesamte Üoterrichtswesen in
Dentschlaud und Österreich entfaltet habe trotz Krtegsnot und innerer Trüb-
sal. Dafs Wissenschaft Macht sei und diese Macht durch die Schule frei
und fruchtbar werde für die Wohlfahrt der Völker, sei der werkthätige
Glaube der Regierungen gewesen. In diesem Glauben seien für alle Richtungen
des Wissens niedere und höhere Schulen gegründet, neue Universitäten ge-
tchafTen, alte Universitäten mit neuen Lehrmitteln, Semioarien, Instituten
ausgestattet, Expeditionen ausgerüstet, Sammlungen, Museen, Bibliotheken
erbaut, gefüllt und für dies alles öffentliche Mittel aufgebracht worden wie
nie zuvor. Und so sei ein grofsartiger Organismus des Bildungswesens
entstanden, welcher in seinen vielverzweigten Formen, dem System der
Blutgefäfse vergleichbar, dem Staatskörper frische Säfte zuPühre, ihn belebe,
erwärme, kräftige. Dafs man aber zahlreiche Genossen aus heteroglotten
Ländern der österreichisch-ungarischen Monarchie und angrenzenden Staaten
als liebwerte Gäste jetzt in Wien begrüfseo könne, sei ein sicheres An-
zeichen, dafs das Bewufstsein jener Idealen Gemeinsamkeit höchster Kultur-
interessen, die einst mit weitem staatsmännischen Ausblick Graf Leo Thun
in seiner berühmten Tischrede auf der ersten Philologen verssmmlong in Wien
gefeiert, weitere Kreise ziehe, gestärkt und vertieft durch das Vertrauen,
dafs hier jene Freiheit walte, welche die Eigenart aller teilnehmenden Na-
tionen ehre und achte. — Für diesen glücklichen Wandel der Dinge drängen
652 D. 42. Versa mm 1. deots eh. Philologen a.Schalmiiooerio Wien,
sich Worte der Dankbarkeit aof die Lippen ond man müsse das Auge za
jenen emporheben, welche der Staaten Geschicke bestimmen und lenken.
Der Redner gedachte nunmehr des Kaisers Frant Josef L nnd Kaisers Wil-
helms IT., deren Namen man zusammen nennen dBrfe als Hüter des Friedens,
als Schirmherren jedweder edlen Arbeit ihrer VSlker, und brachte auf die
beiden Monarchen ein dreimaliges Hoch aus.
Der Hnldignngstrinksprueh wurde mit st&rmischem Enthusiasmus auf-
genommen, die Musik intonierte das „Gott erhalte*' und „Heil Dir im Sieger-
kranz'S und die ganze Verssmmlung sang die beiden Hymnen stehend mit
^ Der nächste Toast wurde von Direktor Jager-K5In auf den (Jnter-
richtsmittister Freiherrn von Gaotsch gesprochen. Redner würdigte die still-
geschäftige, zielbewnfste Arbeit der österreichischen Unterrichtsverwaltung
im allgemeinen und ihres Chefs im hesonderen. Die schweren Kämpfe und
Gefahren, die Österreich in diesem Jahrhundert zu bestehen gehabt, habe die
nnverwästliehe Kraft des Staatswesens überdauert, gefSrdert durch den Geist
wissenschaftlicher Arbeitskraft, der langsam schaffe, niemals ermüde. „Wir
alle opfern ans einer Weiheschale den Unsterblichen'^ rief der Redner, nnd
an dieser Gemeinsamkeit wissenschaftlicher Arbeit und des Streheas nach
Vervollkommnung des Schulwesens möge man treu festhalten, sowie an der
Oberzeugung, dafs nicht des Tages Nutzen, sondern, was unsterblich ist,
den Wert bestimmt. Die Rede klang in ein Hoch auf Preiherro von
Gantsch aus.
In Vertretung des Hinisters dankte dessen Sektionschef Rittner für
die anerkennenden Worte des Vorredners und die allgemeine Zustimmung
der Versammlung. Es sei erfreulich, dafs auch so viele Angehörige nieht-
deutscher Zunge an der Versammlung teilnehmen, was dafür zeuge, dafs im
Zeichen der Wissenschaft jede Schranke falle. Redner trank auf das Wohl
der deutschen Philologen und Schulmänner.
Prof. Co uze -Berlin sprach von der Schönheit Wiens, das einst im Panzer-
gewande gesteckt und sich allmählich auch des engen Liniengärtels entledigt
habe. Der Sinn jedes für Schönheit Begeisterten müsse sich an den herr-
lichen Bauten Wiens, die an das perikleische Zeitalter gemahnen, erheben
und erfreuen. Er erhob sein Glas auf das Wohl der Stadt Wien.
Vizebürgermeister Dr. Grübl dankte für die der Stadt Wien darge-
brachte herzliche Sympathie, wordigte die unerbittliche Strenge des deutschen
Schulmeisters, die das Menschengeschlecht sittlich erziehe, und versicherte
die liebwerten Gäste seitens der Wiener Bevölkerung der lebhaftesten Sym-
pathieen. Er toastierte auf das Wohl der Festgäste.
Prof. Thewrewk v. Po uot" Budapest liefs in lateinischer Rede den
ersten Präsidenten Hofrat v. Hartel hochleben und Hofrat Lang- Wien ge-
dachte als einer der vier Kandidaten, die nach den reorganisierten Unter-
richtsplänen im Jahre 1849 ins Lehramt eingeführt wurden, des unvergefs-
lichen Bonitz und des ausgezeichneten Miklosich, der beiden Präsidenten der
Philologen Versammlung in Wien 1858, nnd trank auf die hochwichtige ver-
söhnende Mission der Philologie.
Prof. Bormann-Wieo machte aufmerksam, dafs es gerade heute 350
Jahre seit der Gründung des berühmten Gymnasiums von Schulpforta seien,
der gefeiertsten der drei von Moriz von Sachsen gestifteten Fürstenschnleo.
Dort habe, wie der Redner, so auch Bonitz seine Knabenjaht*e zugebracht.
voo A. Eogelbreebl. 653
t^Dter aligemeioer Zuttinmiiog beantragte er, dorthin ein Begrüfäuagstelegramm
abzaseoden.
Nach diesen Reden war der offizielle Teil dei Banketts vorüber, was
nicht hinderte, dafs man noch lange in fröhlichster Stimmnng xosam-
menbUeb.
Um 8 Uhr abends empfing in den prankvollen, mit herrlichen Tep-
pichen nnd Blattpflanzen dekorierten Salons des Ministerpalais der Unter-
richtsminister Freiherr von Gavtsch die Mitglieder des Kongresses,
die fast vollzShlig erschienen waren, aufserdem aber auch sonstige illustre
Giste, wie die obersten Uofwärden träger (Obersthofmeister Prinz zn Hohen-
lohe, Oberstkümmerer Graf Tranttmansdorlf, Obersthofnarschall Graf Szecsen,
Oberststallmeister Prinz Liechtenstein), die Minister (Ministerpräsident Graf
Taaffe mit den Kabinetsmitgliedern Graf Falkenhayn, Marquis Bacqoehem,
Graf Schönborn, von Zaieski, Dr. Steiobach), Reichsfinanzmioister v. Kailay
and Graf Tisza, Vertreter des diplomatischen Korps, wie die Gesandten
Graf Bray nnd Simics, das Präsidium des Herren- und Abgeordnetenhauses
nebst zaÜreichen Abgeordneten, die Statthalter Graf Kielmansegg and Graf
Badeni, die Generalität (Marinekommandant Admiral Baron Sterneck, die
Feldmarschall lieotenants Baron Handel, Graf Grävenitz, von Lehne, Hold)
D. V. a., so dafs die Versammlang eine geradezu glänzende genannt werden
mufs. Hatte der Minister bereits am Morgen dieses Tages durch seine glän-
zende Rede in der ersten Vollversammlung die anerkennende Bewunderung
nller als Chef der Unter richte Verwaltung geerntet, so gewann er Abends die
Herzen aller als liebenswürdiger und zuvorkommender Hansherr, nnd die
gastlichen Hallen des Ministeriums werden gewils allen Teilnehmern in an-
genehmer Erinnerung bleiben, zamal in ihnen die Unterhaltung dnrch keinerlei
Zwang eingeschränkt wnr und gerade hier den Anwesenden sich die beste
Gelegenheit bot, geselischafilich einander näher zu treten.
n. Vollversammlung.
Der zweiten Vollversammlung nm 25. Mai präsidierte Regiernogsrat
Ton Egger-Möliwald. In derselben wurde zuerst das Telegramm ver-
lesen, in dem der Kniser von Österreich für die Huldigung der Festver-
sammlung dankte. Es hatte folgenden bedeutsamen Inhalt: „Für die mir
zugesandten warmen Worte herzlichen Dank mit dem Ausdruck lebhafter
Befriedigung, dafs Wien abermals Zeuge sein kann der hochwichtigen,
vielseitigen Thätigkeit einer so ansehnlichen Versammlung.
Seien Sie überzeugt, dafs Ich deren Beratungen mit reger Teilnahme und
dem Wunsche begleite, es möchte daraus für Beruf, Wissenschaft
and gemeinsames geistiges Streben wesentlicher und dauern-
der Gewinn erwachsen. Franz Josef m. p.'' Vom deutschen Kaiser langte
am folgenden Tage folgende telegraphische Erwiderung des an ihn gerich-
teten Hnldigungstelegramms ein: „Seine Migestät der deutsche Kaiser lassen
fdr den telegraphischen Grufs der Versammlung deutscher Philologen bestens
dnnken. Anf allerhöchsten Befehl v. Lucanus, Geheimer Kabinetsrat". Es
warde ferner eine Anzahl weiterer Begrufsungstelegramme verlesen und die
Binladong des Direktors der k. k. Theresianischen Akademie, Hofrats Baron
Pidoll, überbracht, die Anstalt zu besuchen. Die dortselbst geplante Anf-
fohrnng von Jngendspielen , die einen Punkt des offiziellen Programms des
654 D.42.Ver8«inin].deiit8eb.PhiloIo|^eo u. Sehulmiooer in Wiei^
Kongresses bilden sollten , murste ans Anlafs des Ablebens des Kurators
dieser Anstalt, R. v. Scbmerling, anterbleiben.
Hofrat Scbenkl-Wien überreicbte ein Exemplar der ,,Studi italiani
di filologia classica'' mit einer lateiniseben Widmang an die Versammloog
und einem Bej^Ieitsch reiben von Prof. Vitelli, einem der Urheber der Samm-
lang, und würdigte die Verdienste Italiens um den Aufschwang der klassi-
schen Studien.
Hierauf legte Regieroogsrat v. Thalloczy namens des Reicfasfinanz-
mioisters v. Kallay, der auch dem Ministerium für die Angelegenheiten Bos-
niens und der Herzegowina vorsteht, zwei Publikationen über Bosnien und
die Herzegowina vor, die bereits oben unter den zur Verteilung gelangten
Festschriften angeführt worden.
Die „Wissenschaftlichen Mitteilongen aus Bosnien und der Herzegowina"
enthalten Berichte, Abbandlungen nod Notizen aus dem Gebiete der Archäo-
logie und Geschichte, Volkskunde und Naturwissenschaft, wobei mancberlei
Bausteine zu einer Geschichte und Kulturgeschichte der fünf Perioden Bos-
niens (Herrschaft des illyrischen Stammes, römische Zeit, Zeit der VSlker-
wanderung, Zeitalter aotochtboner slavischer Fürstentümer, türkische Ober-
herrschaft), zu anthropologischen und ethnographischen Studien geliefert
werden. Die Gründung eines bosniseh - herzegowinischen Landesmuseums
sollte der Wissenscbaft und Kunst gewissermafsen ein Heim bieten, und be-
reits seit vier Jahren besteht eine wissenschaftliche Zeitsehrift, der „Glas-
nik", der, viermal im Jahre erscheinend, die Wissenschaft und Kunst in
Bosnien betreiTende AbhandJuogen und Notizen bringt. Um diese in der
Landessprache geschriebenen Aufsätze dem grofsen europÜischen Publikum
zngSnglich zu maohen, wurden die „Mitteilungen^' geschaffen, dessen erstem
Bande noch in diesem Jahre ein zweiter folgen soll. Das zweite Werk über
die „Römerstrafsen in Bosnien und der Herzegowina^' stellt ohne Rücksicht auf
Itinerarien und Spekulation der geschriebenen Nachrichten die thatsäehiiehen
Sparen römischer Strafsen fest; der Verfasser BalJif ist Baorat, der mit
grofsem Glück zuerst in Westbosoien, der Herzegowina und an der Drina
die römischen Strafsen und Wege auf Grund von positiven Oberresten er-
forscht hat und in Bälde einen zweiten Band seiner Forschungen zu liefern
verspricht. Der Redner schliefst mit dem Ausdrucke der Befriedigung,
Publikationen jenes Landes vorgelegt zu haben, welches im Altertum das
Gebiet der tiefsten Barbarei, im Mittelalter und in der Neuzeit als der
Schauplatz unglückseligen Parteizwistes bekannt war, jetzt aber auch auf dem
Gebiete moderner Wissenschaft, deren Basis doch die Antike ist, in die Reibe
der KulturlÜnder einzutreten beginnt.
Präsident Hofrat v. Hartel dankt dem Redner und seinem Auftrag-
geber, Reichsfinanzminister von Kallay, und giebt der Hoffnung Ausdrack,
dafs die Versammlung durch die vorausgegangenen Darlegungen erkannt habe,
dafs Osterreich - Ungarn die Kraft in sich habe, eine grofse Knltormission
mit Gluck zu erfüllen.
Hierauf hielt Universitätsprofessor Brand l-Strafsburg einen Vortrag
über „Byron und die Antike *S Bereits Goethe hat im zweiten Teil des
Faust Byron als Euphorien hingestellt, als den Sohn des Faust und der
Helena, d. h. der romantischen und der klassischen Poesie; das von Goethe
80 angedeutete Verhältnis Byrons zur Antike behandelte der Redner, weil »an
von A. Engflbrecht. 655
in deo weuii^en Juhreo seit der selbstäodigeD Cntfaltuog der roiuaoischeo
nnd OBdrUsebeD Philologie immer laoter die Parlierrähiffkeit und LaDdeskunde
fordere md darüber das eigrotliche Ziel jeder Philolcfpie, die ErklSmogp nod
Neabelebang der ffrofseo Schriftsteller, verg^esse. Gewira sei oio Shakespeare-
Gelehrter, der ein trauriges finglisch radebreche, IScherlicb, uod der Dickeos-
Erklärer, dem Loodoo ferogebliebeo ist, aober ufen, aber ans der Litteratar-
gesehichte sei erst das wisseoschaftliche Studium der moderoeo Sprachen
hervorgegaogen. >- Byroos erste poetische Aoregaogen waren romantische:
seine Matter war eine Schottin, vom zweiten bis sehnten Lebensjahre war
er in Schottland aufgewachsen und dort hat er die Volksballaden, Ossiao,
Borns ans erster Rand bekommen und sie auch begeistert nachgeahmt Erst
als Byron als Gymnasiast nach Harrow kam, trat er in klassische Kreise ein.
Von jeher hat England die Alten, besonders die Lateiner, nicht blols studiert,
sondern auch in sein nationales Leben zu verschmelzen getrachtet. Sämt-
liche Litteraturgattungen, in denen die Engländer sich auszeichneten, lassen
sich auf römische Quellen und Vorbilder zurückfuhren, mit einziger Aus-
nahme der Balladen. Als den Kern aber und die Hauptgrund] age des eng-
lischen Klassizismus mufs man die Lehrmethode ansehen, nach der man in
England in die alten Sprachen eingeweiht wurde. Seit der Renaissance hat
der englische Schulmeister wenig auf Grammatik gegeben und desto mehr
auf die Lektüre; „der gefesselte Prometheus'* des Äschylns wurde zu Harrow
im Jahre dreimal gelesen], auf den englischen Universitäten hat man nie
aufgehört, klassische Dramen zu spielen. Byron las in Harrow fiuripides,
Anakreon, Catoll, Tibuil, ja selbst Eutrop, Arrian und Strabo. Hier keimte
in ihm die Sehnsucht nach hellenischer Schönheit auf, die sich von Jahr zu
Jahr am so heftiger geberdete, je weniger England mit seinem nordischen
Himmel und geschäftig ernsten Menschenschlag ihm dafür Ersatz bieten
konnte. Endlich konnte er sie befriedigen: er ging über Spanien nach Al-
banien, kam nach Aktium, nach Delphi und Athen, selbst nach Kleinasien
und Smyrna. Die Bindrücke dieser Reise waren so nachhaltig, dafs Byron,
naeh England zurückgekehrt, durch einige Jahre nicht müde ward, Romanzen
mit griechischem Schaoplatz zu dichten. Zu einer vollen Erfassung antiker
Poesie und Kunst gelangte aber Byron erst später — durch Enttäuschungen
politischer und privater Natur. Byrons politisches Ideal, Napoleon, von dem
er wünschte, dafs er wie Sulla oder Diokletian sein Land heroisch rette und
sieh dann selbstlos zurückziehe, hatte sich nicht nur besiegen, sondern auch
gefangen nehmen lassen, ohne nur verwundet zu sein. In der Ode auf
Napoleon Booaparte vergleicht er diesen mit Prometheus: der habe auch
gegen den Himmel sieh empört, dann aber vor dem Blitze des Zeus sich
nicht gebeugt, sondern stolz zu fallen und unerschütterlich zu leiden ge-
wufst. Die zweite Enttäuschung brachte ihm das Gefühl bei, selbst eine
Prometheusrolle zu spielen. Nach einer Reihe von Liaisonen war er end-
lieb zu einer Vermählung geschritten, und gerade die Frau, mit der er es
so redlich gemeint, wandte ihm plötzlich den Rücken; als er mit der gesell-
schaftlichen Sitte Frieden schlofs, nahm die Gesellschaft gegen ihren bis*
herigen Liebling Partei und zwang ihm moralisch zur Flucht nach dem
Kontinent. Ans der darauf folgenden Zeit stammt die Ode „Prometheus",
„Manfred", „Kain'S Helden aus der „prometheischen Schule'S <l«r typische
Aasdrock des Starms und Drangs; die Antike hatte dem modernen Dichter
656 D* 42. Vers. d. Phil. o. Schnlin. io Wien, von K. Eogelbrecht.
für sein neuartigstes Fühlea and Wolleo das schone Symbol geliehen. Die
Episode von Doo Juan and Haidee basiert aaf der Episode von Odysseos aod
Naosiliaa bei Homer. Ao den Haaptwendepnnkten von Byrons Empflndeo
und Dichten stehen grieohische Meilensteine, und wie der Schlufsstein in
einem Gewölbe wirkt es, dafs Byron für die Befreiung Griecheolands in den
Kampf zog und dabei auf hellenischem Boden gestorben ist
Redner schlofs: y,Byion mag als charakteristisches Beispiel dafür die-
nen, wie gewaltig der antike Einflufs bei unsern westeuropäischen Nachbarn
gewesen ist, and zwar gewöhnlich da, wo sie die schönsten Leistangeu her-
vorgebracht haben. Diese Oberseugung wird sich am so mehr ausbreiten,
je besser vorgebildete Studierende sich den modernen Sprachen widmen und
je historischer die Methode ihrer akademischen Weiterbildung ist. Es hat
mich daher gewandert, dafs der Herausgeber der ^reofsisehen Jahrbücher*'
vor kurzem eigenhändig zur Feder griff, um n örtlich den Satz anftusteUeo:
„Wird erst ernste Arbeit auf Englisch und Französisch verwandt, so sind
Lateinisch und Griechisch ganz verloren'^ Wie ängstlich! Im Gegeateil:
nur der oberflächliche, utilitaristische Betrieb der neueren Sprachen trägt
allen Fluch und Dünkel des Halbwissens an sich. Der wissenschafUiche
Romanist und Anglist kann nicht anders, als dem Altertum einen noch
lebendigeren Kontakt mit der Gegenwart vermitteln. Die Neuphilologie ver-
mag am besten darzuthun, dafs das Gebiet der klassischen Philologie, wenn
man sie als die Wissenschaft vom antiken Geist auffafst, nicht blofs bis
500 n. Chr. reicht, sondern ununterbrochen bis auf den heutigen Tag'S
Hierauf legte Universitätsprofessor Gomperz-Wien seine Ausgabe
der neuentdeckten Bruchstücke aus der Hekale des Kallimachos vor. Die
Fragmente sind auf einer Holztafel geschrieben, die aas einem egypiischen
Grabe stammt und jetzt der Sammlung der Papyrus Erzherzog Rainer ein-
verleibt ist Durch diese Publikation wird der Bestand des gefeierten
Meisterwerks des Altertoms mehr als verdoppelt: während wir früher nur
zusammenhangslose Verse, höchstens in Gruppen von zwei und drei hatten,
liegen jetzt Reihen von 10 — 15 Versen vor. Der kurze b^igegebene Kom-
mentar soll nur die fundamentalen Thataachen vor das Auge des Lesers
stellen, das weder durch unnötige Minntien noch durch einen hypothetischen
Oberbau verwirrt werden soll.
Professor Di eis -Berlin beantragte hierauf die Abaendaog eines Dank«
telegramms an Erzherzog Rainer, nicht nur dafür, dafs er diese Publikation
ermöglicht habe, sondern für sein unermüdliches Wirken auf diesem Felde,
was unter lebhafter Zustimmung zum Beschlufs erhoben wurde.
(PortoeUnng folgt)
DRITTE ABTEILUNG.
BERICHTE ÜBER VERSAMMLUNGEN, NEKROLOGE,
MISCELLEN.
19. Hauptversammlung des Vereins von Lehrern höherer
Unterrichtsanstalten der Provinz Hessen -Nassau und des
Fürstentums Waldeck, abgehalten in Frankfurt am Main
am 2. Mai 1894.
Die Verbaodluopeo bef^aonea am 9^8 '^iir io der festlich geschmückten
Aalt des Raiser-Friedrichs-GymDasivms. Der Vorsitzende des Ortsaus-
schosses, Gymnasialdirektor Prof. Dr. Hartwtg-Prankfart a. M,, erölToet
die Versammlung, indem er darauf hinweist, dafs jetzt gerade zwei Jahr-
zehnte vergangen seien, seit der Verein von Lehrern höherer Lehranstalten
in Frankfurt seine Hauptversammlung abgehalten habe. Vieles sei inzwischen
anders geworden auf dem Gebiete des höheren Schulwesens: es hätten hier
nicht nur die Organisationsfragen, sondern auch die Personen gewechselt.
Um so mehr freue es ihn, gerade den Vorsitzenden jener vor 20 Jahren hier
abgehaltenen Versammlung, Geh. Regieruogsrat Dr. Eiselen, auch heute
wieder unter den Anwesenden zu erblicken und ebenso einen von den da-
maligen Referenten, Gymnasialdirektor Dr. Pähl er- Wiesbaden. Die einzige
völlig konstante Gröfse aber in der Flucht der Erscheinungen sei Prof.
Valentin-Frankfurt: wie er damals als Festwart seines Amtes gewaltet,
80 sei er auch heute wieder als solcher thätig. Redner heifst sodann alle
Erschienenen herzlich willkommen, besonders die Gäste, welche der Ein-
ladung des Vereins Folge geleistet haben: Geh. Regierangsrat Dr. Lab-
meyer als Vertreter des Kgl. Pro v. -Schul kollegiums, Stadtrat Dr. Grimm
als Vertreter des Frankfurter Magistrats, die Universitätsprofessoren Dr.
Stengel, Niese, Freiherr von der Ropp, Schröder, Wissowa und
Schulze als Vertreter der Universität Marburg. Es gereiche ihm zu
grofser Genagthuung, zu sehen, dafs die Universität der Provinz durch das
Erscheinen dieser Herren ihr Interesse an den höheren Schalen bekunde;
denn Universität und höhere Schulen seien ja auf einander angewiesen und
mafsten Hand in Hand arbeiten. Die höheren Schulen besorgten den Rohbau
der Bildung, die Universität die feinere Arbeit; beide 'seien gewissermafsen
fiewohner desselben Haus^, in welchem die Universität die Beletage, die
höheren Schalen «das Brdgeschofs innehätten. Darum sei es angemessen,
wenn beide mit einander stets freundschaftliche Beziehungen unterhielten.
Sodann gedenkt der Vorsitzende der im Laufe des letzten Jahres ver-
storbenen Vereinsmitglieder; die Versammlung ehrt ihr Andenken durch Er-
heben von den Sitzen. Darauf erklärt er, es sei zwar in den Versammlungen
des Vereins üblich, dafs der jedesmalige Vorsitzende des Ortsausschusses
Ztttoehrift f. d. GjauiMialweten XUVUL 10. 42
658 19. flanptvers. v. Lebrero der Prov. Hesseo-Nassan a. 8. w.,
eioeo Überblick über die Gescbichte der Aostalt, io dereo Räomen mao g^erade
tage, gäbe. Aber das Kaiser-Friedricbs-Gymoasiam za Frankfart sei das jöagste
der Mooarchie: es habe daher noch keioe Gescbichte. Deshalb habe er sieh ein
anderes Thema aoserseheo, die Geschichte der Maturitätspröfnag.
Die ReifeprüfoDg habe zwar eia ziemlich kurzes Daseia, da sie erst
etwas über 100 Jahre alt sei; aber doch habe sie bereits manchen Häutongs-
prozefs durchgemacht. Ihre Vorgeschichte lasse sich zurückfuhren bis in
die Reformationszeit: bereits Luther fordere 1520 in seiner Schrift „An
den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung*',
dals nur die Tüchtigsten und am besten Vorbereiteten sich dem Stodinal
der Theologie widmen sollten ; aber der nächste Schritt sei erst spät gethan.
Arnos Comenius habe die Forderung aufgestellt, dafs am Schlüsse der klassi-
schen Schulen eine Prüfung der Geister vorgenommen werde, um festau-
steilen, welche Zöglinge sich mehr für einen praktischen Beruf, welche mehr Hir
das Studium der Wissenschaften eigneten. Aber das seien vorderhand
fromme Wünsche ohne praktische Folgen gewesen. Erst die Erfahrung, dafs
gar zu viele für das Studium völlig ungeeignete Elemente auf den Univer-
sitäten zusammenströmten, habe in Preufsen die Verordnung vom 25. August
1708 hervorgerufen, wonach jeder, der die Immatrikulation aaf einer prenfsi-
scben Universität nachsuchte, seine Befähigung durch ein Zeugnis der
Schule, auf der er seine Vorbildung erhalten, oder durch eine Prüfung vor
dem Dekan der Fakultät, der er angehören wollte, nachweisen sollte, damit
nicht so viele Söhne von Bürgern und Bauern sich zum Universitätsatadlnm
drängten. In Nassau -Weilburg habe man 1699 von jedem, der zur Univer-
sität abgehen wollte, eine Valediktionsrede verlangt; eine laodgiüflich
hessische Verfügung ans derselben Zeit habe die Bestimmung getroffen, dafs
die Söhne der „herrschaftlichen Livreebedienten*', der Bürger und Bauern,
nur mit Erlaubnis des Ministeriums, die an einen Nachweis der Vorbildung
geknüpft wurde, studieren dürften. Ein eigentliches Examen sei in Preufsen
erst durch das WöUnersebe Edikt 1788 festgesetzt worden. Aber anfangs
seien die Bestimmungen sehr unklar, die Praxis sehr ungleich, die Willkür
sehr grofs gewesen. Die gleichen ßbelstände hätten sich bei den Prüfungen
auf der Universität vor den Dekanen der Fakultäten gezeigt. Damm sei
1812 eine genauere Instruktion für die Abhaltung der Reifeprüfang in
Preufsen ausgearbeitet worden. Aber selbst jetzt habe man sogar die mit
dem Zeugnis der Unreife entlassenen Schüler noch zur Immatrikulation zu-
gelassen. Und aus einer zu weit gehenden Scheu vor der Freiheit des
Einzelnen, seinen Sohn der Universität zuzuführen, habe man das Zeagnu
der Unreife selbst Leuten erteilt, die vom Griechischen gar keine Ahnung
gehabt hätten, ebensowenig von Mathematik und Geschichte, und vom Latein
oft nicht mehr als die Buchstaben gekannt hätten; solche Ignoranten luitten
dann als akademische Bürger paradieren dürfen. Noch weiter hätten oft
die Dekane auf den Universitäten die Milde getrieben. Und der Zudrang
zur Universität sei damals um so gröfser gewesen, weil die Berechtigung
zum einjährigen Militärdienst an die Immatrikulation geknüpft gewesen sei.
Solche Zustände hätten dringend der Abhülfe bedurft, welehe dorch die
Reifeprüfnngsordnuog vom 12. Juni 1834 getroffen sei, worin die Prüfung
auf alle GymDasialfarher ausgedehnt wurde; die mündliche PrüfoDg kabe
•ich auf zehn, für Philologen und Theologen aof elf veraehiedeae NuBBera
r
von A. Ltnge. 659
entreckt. Damit sei der HShepnikt der Anforderaogen erreicht wordeo.
Trotxden teieo die Klagen über die mangelhafte Vorbildnng der Studierenden
nieht verstummt. Alsbald aber hätten aneh auf Lorinsers Anregang hin
die Riagen über die Oberbürdung begonnen. Zwar hütte das preofsische
Ministerivm dieselben doreh firlafs vom 24. Oktober 1837 als unbegründet
Kuriekgewiesen; aber bald habe sich unter dem Einflüsse der öffentlichen
Meinung eine rüeklMufige Bewegung geltend gemacht, ja in der Landes-
Schalkonferenz von 1849 sei sogar die gSnzliche Aufhebung der mündlichen
Reifeprüfung beantragt, aber nicht beschlossen wordeo. Bemerkeoswert sei,
dafs Jakob Grimm. sich vom Standpunkte der Freiheit des Individuums gegen
die Reifeprüfung ausgesprochen habe: denn man müsse jedem, der den Wunsch
in sich trage, die Universität zu besuchen, dies auch gestatten; die Staats-
prüfungen am Schlüsse der Uuiversitatsstudien böten dem Staate genügende
Garautieen dafür, dafs keine unfähigen Elemente in die für Studierte be-
stimmten Stellungen eindrüngen. Der nächste Schritt auf dem Wege der
Erleichterung der Prüfung sei durch die Prüfungsordnung von 1856, welche
bis 1882 in Kraft geblieben sei, gethan worden: ans der mündlichen Prüfung
sei entfernt die Prüfung in der Litteraturgeschichte, der philosophischen
Propädeutik, im Französischen, in der Physik und Naturkunde; die Dispen-
sation von der ganzen mündlichen Prüfung sei bei guten Rlassenleistungen
und gutem Ausfall der schriftlichen Prüfung gestattet worden. Eine weitere
eriiebliehe Erleichterung habe die Prüfungsordnung vom 27. Mai 1882 ge-
braehC, da durch diese die grammatische Prüfung im Griechischen und
Frnnzüsischen an den Schlufs der Obersekunda verlegt worden sei. Noch
bedeutend grüfsere Brieichteruogen seien dnrch die neue Ordnung der Reife-
prüfungen von 1891 festgesetzt worden, indem die Prüfung ansschliefslich
auf den ünterrichtsstoif der Prima beschränkt und die weitgehendsten Dis-
pensationen von der mündlichen Prüfung zugelassen seien. Jetzt sei das
Minimum der Anforderungen erreicht Allerdings seien blofs die Schüler
erleichtert, nicht die Lehrer; denn dafs man noch jetzt, trotz der fast
l^nzlichen Beseitigung des grammatischen Unterrichts im Lateinischen von
Obersekunda ab, verlange, der Lehrer solle seine Schüler soweit bringen, dafs
sie in der Reifeprüfung noch ein lateinisches Extemporale schreiben könnten,
komme ihm gerade so vor, als wenn man verlangen wollte, dafs ein Künstler
ohne die nötige Zeit und ohne Haodwerkzeng aus einem Stück Marmor doch ein
Kunstwerk herstellen solle. Die Entwickeluog der Reifeprüfung zeige also eine
aufnteigende Linie bis 1834, dann Sinken von Stufe zu Stafe. Er hoffe, dafs
das letzte Wort noch nicht gesprochen sei ; würden die Ergebnisse schlecht, so
würde man hoffentlieh noch eine recht ideale Reifeprüfnngsordnong bekommen.
Darauf erhielt Sudtrat Dr. Grimm -Frankfurt a. M. das Wort. Er
übermittelt der Versammlung den Dank der städtischen Behörden für die
Einladung zu derselben und betont, die städtischen Schnlbebörden Frankfurts
seien bestrebt, für die Jugend bildong möglichst günstige Vorbedingungen
zu schaifen; daher habe Frankfurt unter 42 Städten von über 50 000 Ein-
wehnern die höchsten Aofwendnngen für die Schulbildung und die geringste
Sehülersahl auf jeden Lehrer. Gerade das höhere Schulwesen blühe in
Frankfurt ganz auTserordentlich : in den übrigen Städten über 50000 Ein-
wohner entfielen auf je 1000 Schüler durebsehnittlieh 165 Schüler höherer
Sehulen, in Frankfurt 290. Wie allen Bestrebungen, welche dem Wohle
42*
660 19. Hanptvers. v. Lehrero der ProY. Hesten-Nsksia a. i. w.,
der höheren Schulen dienten, so brachten die städtischen Behörden avch der
heutigen Versammlung ihre volle Sympathie entgegen.
Es folgt die Verlesung der Präsenzliste, welche die Anwesenheit von
240 Teilnehmern ergiebt, aber leider ungebührlich viel Zeit in Anspruch nimmt.
Dann erstattet der Vorsitzende des ständigen Ausschusses, Prof. Dr.
Weiden mül 1er -Marburg, den Jahresbericht über die Thätigkeit des stän-
digen Ausschusses im abgelaufenen Vereinsjahre und zugleich namens des
verhinderten Kassierers die Rechnungsablage: danach gehören dem Vereine
53 Austallen mit 505 Mitgliedern an. Auf Antrag des Ausschusses wird
beschlossen, den Beitrag für das laufende Jahr auf 1,50 M zu erhöhea
(bisher 1 M). Alsdann wird ein Rechnungsrevisor ernannt und, nachdem
derselbe die Kassenrechnuog richtig befunden, dem Kassierer Decharge erteilt.
in Anknüpfung an den WeidenmüUerschen Jahresbericht legt Geh. Re-
gierungsrat Dr. Lahmeyer dar, in welcher Weise das Kgl. Prov.-Schul-
kollegium bei den in letzter Zeit zur Entscheidung gekommenen Fragen
stets für das Wohl der ihm unterstellten Lehrer Sorge getragen habe.
Wenn nicht alle Wünsche hätten erfüllt werden können, so z. B. die der
ehemaligen kurhessischen Hülfslehrer und nassanischen Kollaboratoren auf
Anrechnung ihrer Dienstzeit vor der Einverleibung in den preufsischen
Staat, so erkläre sich das durch die versagte Zustimmung des Finanz-
ministeriums. Am übelsten seien die Lehrer höherer Schulen innerhalb seines
Amtsbezirks bisher noch in Waldeck gestellt, da die waldeckschen höheren
Schulen zwar unter preufsischer Aufsicht stünden, aber die Mittel zur Unter-
haltung von Waldeck gestellt würden ; hoffentlich erfolge auch dort die seitens
des Kgl. Prov.-Schulkollegiums angeregte Besserstellung in absehbarer Zeit.
Weiter erhält Realgymnasialdirektor Dr. Wittich -Gassei das Wort
zur Begründung des Antrages: „Die 19. Hauptversammlung des Vereins von
Lehrern höherer (Jnterrichtsanstalten der Provinz Hessen-Nassau und des
Fürstentums Waldeck richtet an den Vorort das Ersuchen, bei dem Herrn
Unterrichtsminister dahin vorstellig zu werden, dafs dieser beim Herrn
Kriegsmioister dahin wirken möge, dafs für die Kandidaten des höheren
Schulamts dieselbe Behandlung bez. der Wahlfähigkeit zum Reserve-Offizier
stattfinde, wie bei den im Vorbereitungsdienste befindliehen Angehörigen
der anderen akademisch gebildeten Stände*^ Er hebt hervor, dafs es den
Seminar- und Probekandidaten versagt werde, zur Wahl zum Reserve-Offizier
gestellt zu werden, während z. B. jeder Referendar ohne weiteres als wähl-
bar angesehen werde. Darin liege eine durchaus ungerechtfertigte Zurück-
setzung der im Vorbereitungsdienst für das höhere Schulamt begriffenen
Kandidaten gegenüber den in gleicher Lage befindlichen Angehörigen anderer
Berufsarten. Der Autrag wird einstimmig angenommen.
Anf Antrag des Vorstandes beschliefst die Versammlung ferner, 300 M
als Beitrag zur Thimm-Stiftuog (zu Gunsten der Hinterbliebenen des ver-
storbenen Prof. Thimm in Tilsit) anzuweisen.
Nach diesen geschäftlichen Verhandlungen findet um 12 Uhr eine
Frühstückspause statt; um 1 Uhr werden die Verhandlungen forl^setzt.
Gymnasialdirektor Dr. Reinhardt- Frankfurt a. M. hält seinen angekün-
digten Vortrag über „Die aus llias und Odyssee für die Schal«
lekttire zu treffende Auswahl^S Demselben liegen folgende Thetea
ztt Grunde:
von A. Laof^e.
661
1. Die Lektüre der gesamten Ilias und Odfssee ist für die Schale
weder ritlieh noch darchfdhrbar.
2. Die Auswahl ist so za treffen, dafs dem Schüler die Haopthandinng
beider Gedichte im Zosammenhaog vorgerdhrt wird.
3. Die episodenhaften Teile sind von der Haopthandlnog anszascheiden
und getrennt vorzunehmen bezw. der Privatlektüre za aberweisen.
4. Die poetisch wertiosen Teile, die den späteren Überarbeitero ange-
liSren, sind von der Lektüre anszoschliefsen.
5. Die neueren Ergebnisse der Homerforschuog ermöglichen eine zweck-
BÜfsige Scheidung zwischen Haupthandlang und Episoden, und sie müssen zu
diesem Zwecke verwertet werden.
6. Die dargelegten Grundsätze gelten in gleicher Weise für die Lektüre
des Originals in den Gymnasien, wie für die Lektüre der Übersetzung in
den Realgymnasien und Realschulen.
7. Der beigefügte für das städtische Gymnasium in Frankfurt a. M.
ausgearbeitete Lektüreplan kann als Anhalt für die Herstellung solcher Pläne
empfohlen werden.
Verzeichnis der aus der Ilias zu lesenden Stellen.
1. Zusammenhang der Haupthaadlung.
a) Für Unterprima:
Zahl d.
Verse :
Bach I ganz 611
„ n V. 1—52; 87—483 . 449
„ XI V. 56—574 .... 519
9, Xn ganz 471
„ XV V. 592—746 .... 155
„XVI (v. 419-697, Tod Sar-
pedons, können allen-
falls ausgelassen wer-
den) ...... 866
„XVII V.125— 139;426— 458;
742—761 . . . . 68
3139
b) Für Oberprima:
Zahl d.
Verse:
Buch XVin gsnz 617
XIX V. 1-153; 276-424 302
XXI ganz 611
XXII ganz 515
XXIV ganz 804
"2845
»
»>
»
M
Bach HI Einzellied vom Zwei-
kampf des Paris und
des Menelaos . . .
IV V. 1—250: Pandaros-
schufs 250
461
99
»
2. Episoden.
Buch VI V. 119—236: Begeg-
nung des Glaukos und
Diomedes, 118
V. 236—529 : Abschied
Rektors von Aodro-
mache ; Teil einer an-
deren Ilias, Situation
vor demEntscheidungs-
kampf
X V. 196—579 . . .
)9
294
384
(Dolooeia).
Anmerkung: Anfserdem eventuell in Unter- oder Oberprima die aus der
Hauptbandlung der Odyssee ausgeschiedenen Stücke.
::!
662 ^^* Btnptvers. v. Lehrern derProv. Hessen-Nassau u. s.w.,
Veneiehnis der aas der Odyssee %n lesenden Stellen.
1. Zasammenhang der Hanpthandlang.
a) Ffir Untersekonda : b) Für Oberseknnda:
Zahl d. ZaU d.
Verse: Verse:
Bach I V. 1— 79 79 Bneh X v. 1— 76; 133—399 343
„ V V. 28—493 .... 466 „ XD v. 144—458 ... 310
„ VI ganz 331 „ XIO v. 1—3 10; 844-410;
„ VII V. 1—55; 75—183; 429—438 .... 387
228—280; 834-347 . 181 „ XIV v. 1—178; 515—533 189
„ Vra V. 1—21; 24—86; „ XVI v. 1—29; 146—277;
532—586 .... 139 452—459; 477—481 174
„ IX ganz 566 „ XVII v. 1—3?; 167— 868;
1762 411—424; 445—480 282
„XVIII V. 1—116 ... . 116
„ XXI V. 1—434 .... 434
„XXn V. 1—99; 297—501 304
„XXIH V. 1—309 . . . . 309
2848
2. Episoden.
Buch n 433 V.
„ m 497 V. > Telemachie.
„ IV 1—624 624 V. i
„ XI {vixvM) V. 1—224;
387—640 478 v.
2032
Anmerkang: Die Episoden der Odyssee sind gegebenen Falls zar Privat-
lektäre in Prima verwendbar.
Zar Begründang dieser Thesen fährt der Vortragende Folgendes aas.
Heatzatage erseheint es geradezu als selbstverständlieh, dafs im Gymnaaiam die
Lektäre Homers eine hervorragende Stellung einnimmt; aber vor 100 Jahren
noch galt Homer keineswegs als obligatoriseher Gegenstand der Sehullekture;
so ist er z. B. im städtischen Gymnasium zu Frankfurt a. M. früher nicht
gelesen worden. Ebensowenig findet sich Homer unter den zur Lektüre für
die Gelehrtenschnlen bestimmten Schriftstellern in der vom Landgraf Wil-
helm VI von Hessen aufgestellten Schulordnung. Nur in Braaasehweig-
Lüneburg sowie in den sächsischen Fiirstenschulen zu Grimma, Meifsen und
Schulpforta wurde er schon damals gelesen. Wie ist nun ein so vollstän-
diger Wandel in den Ansichten über den Wert Homers als Schnllektüre zu
erklären? In erster Linie wirkte darauf hin der mächtige Aufschwung der
deutschen Litteratur, die hohe Wertschätzung, welche die Homerischen Epen
durch Herder, Goethe und Fr. Schlegel erfuhren. Von den Philologen ist es
F. A. Wolf, der zuerst die Homerlektnre für die Schule gefordert hat, wie
er auch der erste war, der die „Homerische Frage" erörtert hat. Diese
Homerische Frage steht jetzt im Mittelpunkte vieler wissenschaftlicher Er-
örterungen: mit Wolfs Proiegomena zum Homer beginnt eine neue Epoche
der Wissenschaft; dieselben kritischen Grundsätze wurden nachher von den
Germanisten auf die Kritik des Nibelungenliedes und seiner Entstehung über-
▼OD A. Läuft. 663
tragen. So i<t es allnHhIich dabin f^ekommoD, dafs die Reootois Homers
ala ADforderoD|^ fär jeden, der za deo Gebildeteo getXhit werden will, gilt.
Freilieh ist selbst jetzt noeb die Homerische Frage nieht endgiltig gelSst;
aber ein relativer Abseblofs ist erreicht, besonders darch die Forschungen
Kirchhoffs nad Nieses.' Weder die Verteidiger der Theorie der Eiozellieder,
■och die Verteidiger der Einheit beider Epen sind darchgedrongen ; heote
ist die Ansicht die am meisten verbreitete, dafs die Epen zwar nicht ans
laater Einzelliedern entstanden, aber ebensowenig das Werk e i n e r Dichter-
Persönlichkeit sind, sondern dafs jedes von beiden Epen aas einem Ring
hervorgegangen ist, der die ursprüngliche dichterische Einheit enthält, and
nm den sich dann jüngere Ringe, wie beim Baame, nach und nach angesetzt
haben. Eine Ur-Ilias and eine Ur^Odyssee sind als Kern aas den Epen
heransinscbalen. Dieser Kern ist eine vollendete dichterische Konzeption.
Die Ilias beginnt mit dem Streite des Oberk5nigs mit seinem ersten Vasallen :
der Yon Agamemnon gekränkte Achill zieht sich vom Kampfe zar&ck, er
will den Griechen beweisen, wie nötig sie ihn haben. Der alte Dichter
motiviert also: Achill ist der Sohn der Mfeerfran Thetis; so steht er mit
denGSttem in Beziehang, and diese anterstiitzen ihn aaf Bitten seiner Matter
gegen Agamemnon. Nachdem Zeas dem Agamemnon den verderblichen Traam
icesandt hat (2. Bach), der ihn zum Kampfe anspornt, mafste sofort der
Kampf folgen, in welchem Agamemnon sich aaszeichnet: diesen aber schildert
erst das 11. Bach; die im 3. — 10. Bache erwähnten Handlangen gehören
sämtlich nicht zur Ur-Hias, sondern sind störender Weise in den Zosammen-
hang der Haupthandlang eingeschoben. Daher mafs man sie aus diesem los-
lösen, am die Haupthandlang ungestört sich abwickela zu lassen. Das
1]. Bach enthält die Schilderung der entscheidenden Schlacht: Agamemnon
selbst und einer nach dem andern von den übrigen Haupthelden der Griechen
werden verwundet und mSssen vom Schauplatz abtreten; dann stürmen die
Troer den weichenden Griechen nach, greifen die griechische Lagermauer
ao (12. Buch) und sind im Begriffe, Feoer an die Schiffe zu legen (15. Buch).
Jetzt wird Achill für sein eigenes Schiffslager besorgt und entsendet den
Patroklos zur Unterstützung der Griechen, indem er ihm streng anbefiehlt,
sieh auf die Vertreibung der Troer von den Schiffen zu beschränken. Pa-
troklos aber überschreitet die ihm gesteckten Grenzen und fällt von Hektors
Hand. So bat der Zorn Achills dazu geführt, dafs er selbst durch den Tod
seines teuersten Frenndes gestraft wird. Jetzt flucht er seinem unseligen
Zorne, der dies Unheil über ihn gebracht habe. Das ist das tragische Moment
ia der Dias. Die alte Tragödie ist nur eine Wiederholung dieses Grund-
gedankens der Dias; aus ihr haben die Tragiker die Tragik gelernt. Die
heilige Pflicht der Blutrache drängt jetzt bei Achill den Zorn in den Hioter-
gmnd; er ruht nieht eher, als bis er durch Hektors Tod die Seele des ge-
falleaen Freundes versöhnt hat. Das ist die künstlerische Einheit des Ge-
dichtes; das müssen wir daher unseren Schülern vorführen; alles, was nicht
dazu gehört, ist auszuscheiden. Die Ausscheidung der zu dieser Ur-Ilias
später hiazugedichteten Bestandteile ist freilich schwierig: es ist geradezu
anmSglich, die verschiedenen Schichten des Epos von einander zu trennen,
Bo sehr sind sie ineinander gearbeitet. Hier und da finden sich jedoch sehr
deutliche Merkmale der Einrngung ursprünglich selbständiger Gedichte in
den Rahmen der Ilias; so ist die Art, wie die Abschiedsszene zwischen
664 19* Htuptvers. v. Lehrern der Pro v. Hess'eu-Nassaa n. s. w. ,
Hektor aod ADdromache im 6. Bach ein^^efiibrt wird, zo charakteristisch:
mitten ans dem Getümmel der Soblacht mnfs i^erade Hektor, die Statze der
Trojaner, in die Stadt eileo, am seine Mfotter Hekabe zu veranlassen, einen
Bittgangs der troischen Weiber zar Pallas za veranstalten, als ob diese Auf-
forderno^ nicht ebensogut ein Bote hatte überbringen können; es dient
lediglich als Vorwand , am die Begegnung Hektors mit Andromache sn
motivieren, die arsprUngUcb in einem selbständigen Gedichte besungen war,
dessen Handlung die Zeit anmittelbar vor dem Zweikampf des Hektor und
Achilles zur Voraussetzang hatte; dies Gedicht ist nun in anderen Zasammen-
hang gebracht und zwar nicht gerade passend.
Sodann giebt der Vortragende eine Übersicht über die für Prima aas-
gewählten Stellen der Ilias nach der in seinem Verzeichnis (s. S. 661) fest-
gestellten Reihenfolge.
Bei der Odyssee, fährt er fort, ist die Einheit des ursprünglichen
Gedichtes viel klarer. Kirchhoff hat zuerst darauf hingewiesen, dafs ein
gewisser Kunstgriff des Dichters bei der Anordnung des Ganzen vorliege:
absichtlich versetzt uns der Dichter bei Beginn der Odyssee nicht an den
Anfang der ganzen Handlung, sondern bringt dieselbe nur zu einem vor-
läufigen Abscblufs bei den Pbäaken; dann erzählt der Held selbst seine
früheren Schicksale; so macht deren Schilderung desto gröfseren Eindruck,
da sie dem Helden selbst in den Mund gelegt wird. Ein weiterer Kunstgriff
ist der, dafs der Held bis zu diesem Moment unerkannt unter den Phäaken
weilt; dann folgt plötzlich die packende Szene, wo er sich zu erkennen
giebt und seine Irrfahrten erzählt. Diese Aoordnung mufs auch in der
Schullektüre beibehalten werden. Die Telemachie ist ganz gleichgiltig, sie
stört nur den Znsammenhang and bleibt deshalb besser fort. Odysseas'
furchtbare Rache an den Freiern hat etwas gar zu Grausiges; um sie zu
motivieren, dient die Iros-Episode im 18. Buch, die den Helden auf der
tiefsten Stufe der Erniedrigung, im Kampf mit dem Bettler am das Recht zu
betteln, zeigt; daher der entsetzliche Zorn des Odysseus gegen die Freier,
deren flbermut ihn in diese unwürdige Lage gebracht hat. Das 19. Buch
dagegen ist eine andere Version der Sage von Odysseus' Heimkehr und erst
später in das Gedicht eingeschoben, mit dessen übrigen Ausführungen es sich
nicht verträgt: denn die Fufswaschung mufste unmittelbar zur Erkennung
des Helden führen; dafs derselbe noch weiter anerkannt in seinem Palaste
weilt bis nach der Ermordung der Freier, verträgt sich damit nicht; so ist
klar, dafs diese Fufswaschungsszene ursprünglich einer anderen Odyssee an-
gehört hat und erst spater in die uns erhaltene eingefügt ist.
Weiter giebt der Vortragende auch hier eine Übersicht über die aus
der Odyssee in Sekunda zu lesenden Stellen an der Hand seines Verzeich-
nisses (s. S. 662).
Auf den Vortrag des Direkturs Dr. Reinhardt folgte unmittelbar däa
Korreferat des Oberlehrers Dr. Lauge-Marburg. Er begann mit dem Hin-
weis darauf, dafs sich wohl kaum zwei Schulmänner finden würden, die bis
auf alle Einzelheiten der Auswahl aus Homer mit einander übereinstimmten ;
so grofs sei die Verschiedenheit in der Wertschätzung der einen oder der
anderen Partie. So wünschenswert es auch an sich sein würde, die ganze
Ilias und Odyssee in der Ursprache lesen zu lassen, müsse man notgedrungeo
doch bei der immer mehr gesteigerten Einschränkung des Unterrichts in den
voB A. Laoge. 665
klassiscbeo Spraehen «neh die Homerlektiire aof eiue Aaswahl des Schöosteo
uod Besten aas beiden Bpea beschränken. Gegen Reinhardts Forderung,
man solle die episodenhaften Teile von der Haopthandlnng ansseheiden and
getrennt vornehmen, sei geltend za machen, dafs gerade die sogenannten
Bpisoden Öfters die poetisch wertvollsten Stelleo enthielten, z. B. Rektors
Abschied von Andromache, Glaukos and Diomedes; so könne es unter Um-
standen recht wohl vorkommen, dafs eine Episode wegen ihrer hohen
poetischen Vorzüge zor Lektüre herangezogen werde, während ein Teil der
Hau pthand lang, z. B. eine Kampfschilderang, durch einfache lohaltsaogabe
ersetzt würde, weil er an ästhetischem Werte gegen die Episode zarnck stände.
Falls ihm z. B. die Wahl gelassen würde, entweder das von Reinhardt
ansgeschiedene 6. Buch der Ilias (Glaukos and Diomedes, Rektors Abschied)
oder das 12. (7Vi>|fo^a;|f/a) zu lesen, so wurde er sich ohne weiteres für
das episodenhafte 6. Bach seines weit höheren poetischen Wertes und sitt-
lichen Gehaltes wegen entscheiden and das 12. fahren lassen, obwohl es
zor Raopthandlang gehöre. Zudem sei es ja gerade für den epischen Dichter
charakteristisch, dafs er den Faden der Haapthandlung nicht in ununter-
brochener Folge abrolle, sdndern hier und da still stehe nnd mit Behagen
nnd besonderer Vorliebe Einzelbilder ausmale, die mit der Haapthandlung
zwar nur in losem Zusammenhange standen, aber oft gerade zam Schönsten
gehörten, was der menschliche Geist je geschaifen. Die Episoden ausscheiden,
würde also geradezu bedeuten, der epischen Darstellung eine ihrer charakte-
ristischen Eigentümlichkeiten rauben. Auch erhielte ja eine jede dieser
Episoden erst durch den Zusammenhang, in welchem das Epos sie böte, ihre
rechte Beleuchtung; sie aus diesem Znsammenhang lostrennen, heifse also
oichts anderes, als ihr das Licht nehmen and sie in den Schatten stellen.
Zudem wurden durch diese von Reinhardt verlangte Ausscheidung bezw. ge-
trennte Behandlung der Episoden die Epen gar zu sehr zerstückelt werden
und der Eindruck derselben, der darauf beruhe, dafs jedes als ein einheitliches
Ganzes zor Geltung komme, in bedauerlicher Weise abgeschwächt werden.
Ebenso bedenklich erscheine Reinhardts weitere Forderung, dafs die Er-
gebnisse der neueren Romerforschung zum Zwecke der Scheidung zwischen
Hauptbandlung und Episoden verwertet werden müfsten. Ihm (dem Korre-
ferenten) läge nichts ferner, als etwa der Kritik ihre hohe Bedeutung und
volle Berechtigung bestreiten zu wollen; auch müsse sicherlich der Lebrer
mit den Resultaten der Homerforschung bekannt sein. Aber das Gymnasium
müsse sich bewufst bleiben, dafs es nur die Vorstufe für die Universität
sei, und nicht zu hoch hinansstreben ; bereits die Schüler in die Geheimnisse
der höheren Kritik einweihen zu wollen, heifse die Stellung und Aufgabe
der Schule vollkommen verkennen. Gerade bei der Behandlung Homers in
der Schule müsse man vorsichtig, ja pietätsvoll zu Werke gehen und der
Kritik nur insoweit Einflufs auf die Auswahl des Lesestoffes gestatten, als
ihre Ergebnisse unangreifbar und allgemein anerkannt seien. Reinhardt
selbst aber gestehe ja zu, dafs die Homerische Frage noch nicht endgiltig
gelöst sei, und ferner, dafs die verschiedenen Schichten in den Homerischen
Epen so innig ineinander verwoben seien, dafs es unmöglich sei, sie von
einsnder za trennen. JNimmermehr könne es Sache der Schule sein, den
vielfach verschlungenen Wegen der höheren Kritik nachzugehen und Hypo-
thesen zuliebe, die zwar sehr scharfsinnig ausgedacht seien, aber über deren
666 1^* Haaptvers. v. Lehrern der Prov. Bessen-Nasflan a. s. w.|
Berechti^op oder Niehtberechtii^aDg im eioxelneo selbst anter den GelelirteD
keine volle Obereinstimmang herrsche, gerade die schönsten Partieen des
Epos von der Lektare aaszoschliefsen und so notwendigerweise den Gesamt-
eindrack abzuschwächen. Man mnsse daran festhalten, dafs unsere Schüler
die llias und die Odyssee als einheitliche Kunstwerke verstehen und war-
digen lernten.
Was die Abgrensung der Klassenpeosen nach Reinhardts Vorschlagea
betreffe, so sei das für Untersekunda zu grofs, die fiir die drei oberstea
Klassen zu klein bemfssen: in Untersekunda könne man bei hochsteoa
82 Homerstonden im Jahre nicht gut mehr als etwa 1500 Verse lesen, da
im ersten Halbjahre die Vorbereitung in der Klasse erfolgen solle ; in Ober*
Sekunda dagegen könne man 100 Stunden auf Homer verwenden und pro
Stunde 40 Verse »» 4000 Verse lesen, für Unterprima 66 Stunden mit ja
einigen 60 Versen =s 4200—300, fiir Oberprima 60 Stunden mit je einigen
70 Versen, also 4400 — 500 Verse, berechnen.
Das Pensum der Untersekunda, wie es Reinbardt vorschlage, habe
weder einen befriedigenden Anfang noch einen befriedigenden Abschlnfs;
denn der Abschnitt Od. I 1 — 79 empfehle sich für den Anfangsunterriclit
durchaus nicht, da die vielfachen Anspielungen auf die später geschilderten
Schicksale des Odysseus dem Anfanger völlig unverständlich seien und er
in die einzelnen Teile der Einleitung keinen rechten Znsammenhang zu
bringen vermöge. Der Schlufs des Pensums, Ende des 9. Buches, aber falle
mitten in die Irrfahrten des Odysseus. Deshalb hätte nun auch das Pensum
der Obersekunda keinen befriedigenden Anfang, da es in der Mitte der Irr-
fahrten begänne. Bedauert habe er die gänzliche Auslassung der Nixvui
(11. Buch), ferner die starke Kürzung der schönen Wiedersehens-Szene
zwischen Odysseus und Telemach im 16. Buch und die Streichung des
schönen 19. Buches, gegen das Reinhardt keinen stichhaltigen Grund ange-
führt habe. Dagegen sei überflüssig die Episode zwischen Iros und Odysseus
im 18. Buch, die für den Fortgang der Handlung recht gleichgiltig sei,
und die für unser Gefühl geradezu widerwärtige Ermordung der ungetreuen
Mägde und des Melantheus am Schlüsse des 22. Buches.
In Unterprima seien in die gähnende Lücke, die nach Reinhardts Vor-
schlage zwischen dem 2. und 11. Buche der Dias klalfe, die ausgeschiedenen
Episoden einzuschalten: das 3. Buch (Teichoskopie* Zweikampf zwischen
Paris und Menelaos), der Pandarosschnfs im 4. Buch (1 — 250), das 6. Bnch,
der Glanzpunkt des ersten Teiles der llias (Glaukos und Diomedes, Rektors
Abschied); unbedingt zu lesen sei auch der Zweikampf zwischen Rektor and
Aias im 7. Buch, ferner das 9. Buch, der verunglückte Versuch, die ftiivtg
des Peliden, die doch im Mittelpunkte der ganzen Handlung der llias stehe,
zu wenden; es gehöre zu den integrierenden Bestandteilen der Raupthandlung
und zeichne sich zudem, ebenso wie die vorher genannten Stacke, durch
hohen poetischen Wert aus. Ganz überflüssig dagegen sei der Anfang des
12. Buches, der sich auf die erst nach Trojas Zerstörung bewirkte Ver-
nichtung der griechischen Lagermauer durch Apollo und Poseidon beziehe.
Vom 17. Buch verdiene mehr gelesen zu werden als die wenigen von Rein*
hardt ausgewählten Verse; im 23. sei Patroklos' Bestattung lesenswert,
schon aus kulturhistorischem Interesse wegen der Schilderung der Bestattoogs-
weise im heroischen Zeitalter.
von A. Lange.
667
Nach dieser Kritik dar Vorsehlaife Reinhardts le|^ Dr. Lange die
Gmndsitxe, welche nach seiner (Tbeneognng für eine s weckentsprechende
Answahl maTsgebend sein müssen, an der Hand seiner Thesen dar, die
foigendermafsen lauten:
1. Die Lektüre der gesamten Ilias and Odyssee in der Ursprache ist
bei dem jetzigen Lebrplane der Gymnasien nicht mehr möglich.
2. FSr die Answahl müssen in erster Linie pädagogische nnd ästhetische
Gesichtspunkte mafsgebend sein.
3. Als Hanptgesichtspnnkte für die Answahl sind festzuhalten:
a) der poetische Wert nnd sittliche Gehalt der eineinen Abschnitte ;
b) ihre Pähigkeit, das Interesse und die Teilnahme des Schalers za
erwecken ;
c) der bleibende kultnrbistorische Wert ihres lohaltes.
d) Jeder auszuwählende Abschnitt mnfs ein in sich abgeschlossenes
Bild gewähren.
e) Von besonderer Wichtigkeit sind diejenigen Abschnitte, welche
einen Durchblick auf den Aufbau des ganzen Epos ermöglichen,
also fdr den Entwicklungsgang der Handlung von wesentlicher
Bedeutung sind.
4. Die Auswahl ist so zu treffen, dafs
a) womäglich das Pensum eines jeden Schuljahres ein In sich abge-
schlossenes Ganzes mit befriedigendem Anfang nnd Schinfs bilde;
b) der Eindruck eines jeden Epos als eines einheitlichen Kunst«
Werkes möglichst erhalten bleibe.
L Verzeichnis der ans der Odyssee zu lesenden Abschnitte.
a) Für Untersekunda:
Odysseus' Irrfahrten.
Zahl d.
Verse :
Baeh IX, 39—566 .... 528
„ X, 1—79; 135—495;
541-550; 561—574 464
„ XI, 1—50; 90—224 . . 185
„ XII, 144—450 . . . . 307
1484
b) For Oberseknnda:
Odysseas'HeimkehrondRache
Zahl d.
Verse
Buch I, 1 -79 79
V, 28—117:129-224;
262—493. ... 418
VI gauz 331
Vll, 1-55; 75—232 . 213
Vm, 454— 586. ... 133
IX, 1—38 38
Xm, 1—125 (*/0K);
187(0 «Tfy^CToH 15;
429—440. ... 365
XIV, 1-190 .... 190
XVI, 1—280; 299—320 302
XVII, 1—30; 167-491 . 355
XIX, 51—59; 103—398;
467—604 .... 443
XXI gaoz 434
„ XXII, 1—389 .... 389
„XXIII, 1—240 . . . . 240
3930
n
»I
»
668 Vors. V. Lehrero d. Prov. Hesseo-Nai saa o. s. w., v. A. Lange.
n. Verzeicbois der aas der llias zu lesendea Absckoitte.
a) Für Unterprima: b) Für Oberprima:
Der Zwist der Könige. Die Versöhnung der Könige.
Zahl d. Zahl d.
Verse: Verae:
Buch I ganz 611 Bach XVI, ganz 867
„ 11, 1-483 (20—34 « „ XVn, 1—236; 426—462;
56—70) 468 651—761 ... 384
„ III ganz 461 „ XVIII ganz 617
„ IV, 1—250 250 „ XIX, 1—214; 277— 424 362
„ VI, 119—529 .... 411 „ XXI ganz 611
„ Vn, 1-312 312 „ XXII ganz 515
„ IX, 1—523; 600-713 . 601 ,,. XXIII, 1—261 .... 261
(122-157 «264-299) „ XXIV ganz 804
„ XI, 1—520 520 4421
„ Xn, 35-471 436
„ XV, 592—746 . . . . 155
4225
Zar Begröndong seines Lektürekanons bemerkt er, der Stoff der
Odyssee gliedere sich in zwei grofse lobaltsgrnppen : 1) die Telemachie
(I 88— IV, XV, einzelne Partieen des 16. und 17. Baches), 2) die Odyssee.
Da die Handlang der Telemachie eine durchweg mit der Hanpthandlnng der
Odyssee parallel laofende Nebenhandlang sei, da ferner der Hauptheld
Odysseus in ihr völlig zurücktrete, so könne sie am leichtesten aus der
Schullektüre ausgeschieden werden; als deren Aufgabe bleibe die Odyssee
im engeren Sinne übrig; diese zerfalle in zwei schon äafserlich scharf ge-
schiedene Inhaltsgruppen : 1) die dem Helden selbst in den Mund gelegte
Schilderung der Irrfahrten des Odysseus von der Abfahrt von Troja
an bis zur Ankunft auf Ogygia, der Insel der Kalypso IX 39— XII; 2) die
vom Dichter berichtete Heimkehr und Rache des Odysseus. (I Anfang,
V— VIII. IX 1—38. XIO— XXIII.) Als geeignetster Anfangspunkt für die Homer-
lektüre in Untersekunda ergäbe sich IX 39 'TUo'&ev fiB <piqiov avi/not Ktjto-
viffct niXaaaiv, Hier würde der Anfänger an den Beginn der Ereignisse
in der Odyssee versetzt; Odysseus selbst trete seine Irrfahrten erzahlend
auf und stehe so vom ersten Verse des Pensums der Untersekunda an im
Mittelpunkt der Lektüre. Das Pensum der Untersekunda umfasse die ge-
samten Irrfahrten des Odysseus (s. oben); es bilde somit ein völlig in sich
abgeschlossenes, einheitliches Ganzes; sprachlich sei die ganze Erzählung
leicht und einfach, der lohalt für den Schüler interessant im höchsten Grade,
zugleich kulturhistorisch bedeutend, die Darstellung poetisch schön und
plastisch anschaulich; ihr Reiz werde noch erhöht dadurch, dafs sie dem
Haupthelden selbst in den Mund gelegt sei; dieser stehe durchweg im
Vordergrund.
Die weitere Besprechung der für die folgenden Klassen aufgestellten
Pensen (s. oben) nach ihren einzelnen Bestandteilen konnte der Korreferent
aus Rücksicht auf die bereits zu weit vorgeschrittene Zeit nicht mehr za
Ende führen.
In der kurzen sich anschliefsenden Debatte erklärte Direktor Prof.
Zu Casars BelloD civile, von H. J. Müller. 669
Dr. Fiseher-WietbadeD, dafs er im wesentlieheo den Korrefereoten bei-
atiBme» besonders darin, dafs er die sogenannten Episoden nicht, wie Rein-
hardt in These 3 verlange, ans dem Znsammenhange loslösen wolle. Br
fragt: was ist überhaupt eine Episode im Epos? Jedenfalls etwas ganz anderes
als im Drama. Vieles, was Reinhardt ausscheiden wolle, sei nicht einmal im
letzteren Sinne Episode. Reinhardt hatte also begriffämäfsig erklaren müssen,
was er unter Episode verstehe. Das sei nicht geschehen. Obrigens spreche gegen
die von Reinhardt verlangte Ansscheidnog der Episoden einmal der Um-
stand, dafs die sogenannten Episoden der llias doch, genau betrachtet, zu
einem grossen Teil zur Haopthandlung gehörten, sodann die Rücksicht auf
die Bedeutung ihres Inhaltes für die spätere Litteratur und die Altertums-
kunde, auf das also, was der Korreferent „den bleibenden kulturhis-
torischen Werl ihres Inhaltes" genannt habe. Daher müsse er sich auch
gegen Reinhardts These 5 erklären.
Nach einigen Bemerkungen des Referenten Direktor Dr. Reinhardt
and des Korreferenten Dr. Lange zur weiteren Begründung ihrer vorge-
getragenen Ansichten führt Professor Valentin-Frankfurt ans, dafs auch
■ach seiner Auffassung manche Episode für den Fortgang des Ganzen wichtig
sei. Weiter spricht er speziell von der Behsndlung der Homerlektüre im
Realgymnasium ; hier sei man auf sehr kurze Zeit und auf das Lesen in der
Obersetzung angewiesen. Für diese Lektüre in der Übersetzung empfehle
es sich, die Odyssee in der überlieferten Reihenfolge zu lesen, um den
dramatischen Aufbau derselben nicht zu beeinträchtigen.
Darauf schlofs der Vorsitzende um 3 (Jhr die Verhandlungen. Es folgte
das Pestessen im Saale des Zoologischen Gartens, das durch eine Reihe
▼on Trinksprüchen gewürzt ward: Direktor Dr. Hartwig- Frankfurt brachte
den Kaisertosst aus, Direktor Dr. Duden -Hersfeld toastete auf Herrn Geh.
Regierungsrat Dr. Lahmeyer als Vertreter des Künigl. Provinzial-Schul-
kollegs, Geh. Regierungsrat Dr. Lahmeyer auf den Verein von Lehrern
höherer Schulen, Professor Valentin auf die anwesenden Universitäts-
professoreo, Professor Dr. Stengel-Marburg auf die Probekandidaten. Nach
dem Schlüsse des Festessens besuchte eine grofse Anzahl von Versammlungs-
teilnehmern das Opernhaus oder das Schauspielhaus, welche den Festgästen
bedeutend ermäfsigte Eintrittspreise gewährt hatten. Am Abend folgten
die auswärtigen Gäste einer Einladung des Frankfurter Vereins akademisch
gebildeter Lehrer in den Saal der „Alemannia", wo ein fröhlicher Kom-
■lers sie noch lange vereinigte.
Marburg a.L. Adolf Lange.
Zu Cäsars Bellum civile.
1, 8, 3 CaB9arem . . . debere et Studium et iraeundiatn rei puölicae
dimOtere würde ohne Anstofs sein, wenn nicht der Dativ rei publicae da-
stände. Dieser aber scheint die La. renUttere zu verlangen; vgl. Liv. 9,
38,12: tf^ memoriam simuUaUum patriae remitieret'^ 30, 5,5: aUerum e
670 Za Casars Ballom ciTÜa,
duobuM tribunis pUbis suas immidiüu remUitiB rei pubUeae\ ahnlidi 7, 11,9;
8, 35, 1; Tae. Ano. 1, lU: foM sU privata odim pubUeis utäüa^ibuM remitiere.
Die beiden Komposita siod io den CÜsar-Hss. öfter mit einander verwechaelt
1, 9, b ad omnia se descendere paratum atque omnia paH reipubUme
causa: ob das jeder Leser riehtig versteht and nieht paratum als Adjektiv
nimmt? laicht nur die Dentlichkeit , sondern anch die stehende Weise des
Schriftstellers (s. die Steilen im Lex.) läfst es gerechtfertigt erteheinen,
wenn wir paratum. (esse} sehreiben. Ebeaso vermute ieh 1, 32, 3 iotom
{e#fe) ; der Satz ist sonst gar zu schwer verständlich, da jedermaa eH za
ergänzen geneigt ist. Auch 3, 17, 1 muTs esse hinzngefBgt werden: eatis
causae (esse) putamus; vgl. I 19, 1.
1, 27, 3 vermute ich ne sub ipsam profeelionen müites {«»> oppidum
inrumpereni, Ist es an sich recht wenig glanblicb, dals die lateiaisehen
Schriftsteller mit sub in temporaler Bedeutung den Accusativ und Ablativ
ohne Unterschied gebraucht haben sollen, so mufs der Umstand, dafs der Acc.
fast stehend ist und sich nur solche Ablative finden, die durch Hiazvfiigung
des m-Striches in Aeensative verwandelt werden können, mifstrauisch machen.
In den neuen Li v ins- Ausgaben begegnet sub btee u. dergl. nicht mehr. Nach*
dem bei Cäsar V 13, 3 von Faernus sub brumam hergestellt ist, äeheiat es
mir angezeigt, auch an obiger Stelle den Ablativ zu beseitigen. Man kann
sich wohl denken, dafs vor mäites das £nd-m verloren ging und profeeti-'
oite die Änderung ipsa nach sich zog.
1, 35, 3 ist, wie Menge richtig gesehen hat, senatus hinzuzufügen.
Aber in dieser Formel steht der Genetiv wohl immer nach, also ete auetoritate
{senatus)', s. z. B. Liv. 4, 49,6; 7, 31,2; — 3, 3,6; 8, 21, 10. 22, 8.
29, 6; 26, 2, 1 ; 34, 44, 2 ; vgl. 3, 63, 11 ; 4, 26, 7. 56, 10; 5, 9, 4. Umgekehrt
ist die Stellung ex seiudus eonsulto ebenso stehend; aber 3, 107, 2 scheint
mir die Präposition nicht fehlen zu dürfen: emn Ptolemaeo et lege et (fix)
senatus consuHo societas erat facta,
1, 38, 2 vermute ich o/ßeia (jUa) inier se partiuntur, trt . . ; vgl. S,
17, 4. Ähnlich 1, 44, 1 genus erat (Jiec) (oder <Aoc> erai) pugnae miHtum
iilorum, ti# . . ; s. 1, 79, 1; 2, 18, 6; vgl. I 48, 4; IV 33, 1.
1 , 40, 5 ist die Erklärung Gölers, dafs maa unter diversam adem eine
Aufstellung mit zwei Fronten zu erkennen habe, durch nichts begründet; hiefse
es diversas legiones, so wurde das Adjektivnm nach 1, 58, 4 „an verschiedenen
Stellen** bedeuten. Aber die folgenden drei Wörter können weder mit diversam
noch mit eonstituä verbunden werden. Ich meine, es mufs divisamque aeiem
in duas partes eonstituä heifsen. Zur Wortstellung vgl. I 1, 1; VIT 11, 5;
1, 35, 3; 3, 101, 1.
2, 7, 2 ad extremum vüae peticulum adire wird durch die andere
Cäsar-Stelle, wo adire im übertragenea Sinne mit ad verbunden ist, durd^
aus nicht geschützt, ad ist zu streichen; s. Ter. Andr. 677. 821; Cic. p.
SRosc. 110; de off. 1, 65; Liv. 5, 5, 8; 28, 41, 12; Nep. Tim. 5, 2.
2, 10, 3 00 super iigna bipedaUa iniduni. Das eo ist so unbeatimmt,
dafs der Leser nicht weifs, ob er es als in eos oder als in ea oder als
m euM auffassen soll; super aber als Adverb ist sehr auffallend, da Cäsar
sonst insuper sagt und man eher das Kompositum superinidunt erwarten
sollte. Meiner Meinung mufs eo das vor super verloren gegangene s wieder
erbalten und umgestellt werden: super eos . . iniciunt\ s. 2, 10, 6: sup$r
VOD H. J. Müller. 671
laiereg eoria inducuntur; vgl. 2, 9, 2. Weoo die llmstelloof zu gewaltMm
zu seio scheint, kSonte man 00 super in insuper verwandeln (ganz analog
heifst es 2, 9, 2: eentonetque intuper imecerunt); allein die ümstellang
einzelner Wörter ist in diesen Casar-Hss. ein berechtigtes Heilnngs verfahren
So nSchte ich aoch 2, 15, 2 — mit leiser Abweichung von Paul — cratesque
bäo integtmtur schreiben.
2, 11,3, ist doch wohl ex muro ac turri zu schreiben, wie 3, 10, 2:
ad koMtium turrim murumque; vgl. 3, 10, 7. 11, 3. 4. 12, 3. 4.
2, 32, 8 mufs, glaube ich, das auch dem Sinne nach aostöfsige vobis
gestrichen werden. In der klassischen Prosa ist elam durchaus nur Adverb
CGic. ad Att 10, 12, 5 ist der Wortlaut der Stelle unsicher).
3, 1, 6 es ist doch wohl mehr als gesucht, dafs jemand undankbar bei
Abstattung des Dankes genannt wird; was der Zusammenhang fordert,
wird durch ne aut parcue in rqferenda graUa . . videretur ausgedrückt. Dafs
Cäsar parcue sonst nicht gebraucht hat, kann bei diesem Worte wohl nicht
als Beweis gegen die Vermutung angeführt werden.
3, 5, 2 vermute ich ommbusque (üi) oppidis. Ebenso 3, 11, 1 (falls
hier die Lei, oppidis Vur copiis richtig ist), (in) ommbus oder omnibus (fn);
vgl. zur Wortstellung II 27, 2; VH 25, 1.
3, 17, 2 nehme ich an dem Ausdruck id fore Anstofs und vermute:
iäque ipsi <fYa> fore reeipereni; vgl. I 14, 6; 3, 60, 2.
3, 24, 2 wird der richtige Wortlaat folgender sein: nostri, ut erat
(Janperatum}, in portum refußiebant. Scharfsinnig erkannte Paul, was in
dem überlieferten sinnlosen veterani steckte. Die Vorschlage von B. Rübler
ond W. Nitsche sind beide dem Ausdruck, wie dem Gedanken nach gleich
gut. Bei der La. Kühlers, der in portum in imperatum verwandelt (was
etwas weniger leicht ist als der Einschub des dem folgenden so ähnlich
klingenden Wortes), gehen die Wörter in portum verloren, welche zwar
Dicht unbedingt notwendig, aber nach dem vorhergehenden ad fauces portus
jnrodire . . . wünschenswert sind. Nitsches Vorschlag [ut erant (iussi^)
würde, üofserlich betrachtet, ganz überzeugend sein, da erant in uet^erani deut-
Heh erkennbar zu seio scheint; aber Cäsar gebraucht in Einfügungen dieser Art
faat nur imperare (s. II 11, 6; III 26, 2; V 7, 9. 47, 3; 1, 37, 3; 3, 93, 3;
vgl. das Lex. Caes.; III 6, 1 ist anders), und so wird in dem t von veteram
Doch der Anfang des aosgefallenen imperatum zu sehen sein.
3, 63, 8 hat Paol mit kühnem Griff das fehlende Subjekt hergestellt,
iadem er das sinnlose per mare in Pompeiani verwandelte. Mir ist es mög-
lich erschienen, unter Zuhülfenahme der beiden vorhergehenden Buchstaben
aas atpermare zu machen adversarii. Man könnte geneigt sein, in dem Eud-
boehstaben von mare die Präposition zu erkennen; aber bei folgendem exposüi
würde der Schriftsteller wohl ex, nicht e gewählt haben, und der blofse
Ablativ steht wenigstens auch 3, 111, 6.
3, 68, 3 vermute ich: quod cum esset animadversum eoniunetam (fiomy
esse flttmim\ dies wird wenigstens dem Vorschlage von Davis {quam cum . .)
Torznziehen sein. (F. f.)
Berlin. H. J. Müller.
VIERTE ABTEILUNG.
EINGESANDTE BÜCHER.
1. Tb. Ziegler, Notweadigkeit und Berecbligaog des Real-
gymnasiums. Vortrag gehaltea io der Delegierten versammlaog des allge-
meinen deutschen Schulmännervereins zu Berlin. Stuttgart 1894, 6. J. Göschen-
sche Verlagshandlnng. 31 S.
2. Festschrift zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens
des Kgl. Realgymuasiams zu Erfurt 1894. — Enthält 8 wissen-
schaftliche Arbeiten von Mitgliedern des Lehrerkollegiums, denen eine Ge-
schichte der Schule (vom Direktor F. Zange) voraufgeschickt ist.
3. B. Schulz, Deutsches Lesebuch für höhere Lehranstalten.
Erster Teil, erste Abteilung (für die unteren Klassen). Zehnte Auflage.
Paderborn 1894, F. Schb'ningh. XII u. 567 S. 2,Ö0 M.
4. Karl Schmidt, Lateinische Schnlgrammatik. Aehte um-
gearbeitete Auflage, unter Mitwirkung von 0. Gehlen herausgegeben von
V. Thnmser. Wien 1894, A. Holder. 236 S. 1 fl., geb. 1 fl. 20 kr.
5. H. Meurer, Lateinisches Lesebuch mit Wortschatz. Teil I
(für Sexia), 8. Auflage, IV u. 88 u. bO S. 1,25 M; Teil II (für Quinta),
7. Auflage, IV u. 96 u. 96 S. 1,50 M. Weimar 1894, H. Bo'hlau.
6. H. Muxik, Zwei Wiener Handschriften zu Ciceros De
inventione. S.-A. aus der Zeitschr. f. d. österr. Gymo. 1893 und Progr.
des Gymn. in Krems 1894. 14 bezw. 7 S.
7. V. Ussani, In Pervigiliom Veneris coniecturae. Mutina
1894. 8S.
8. F. Devantier, Die Spuren des anlautenden Digamma bei
Hesiod. Teil II. Progr. Euün 1894. 34 S. 4.
9. F. Blass, Die attische Beredsamkeit. Dritte Abteilung, 1. Ab-
schnitt. Zweite Auflage. Leipzig 1893, B. G. Teubner. VIII o. 644 S. 16 M.
10. Euripides, Iphigenie auf Tauris. Erklärt von F. G. SchSne
und H. Köchly, 4. Auflage. Neue Bearbeitung von E. Bruhn. Berlin 1894,
Weidmannsche Buchhandlung. VI u. 192 S. 2,40 M.
11. E. Bachof, Griechisches Elementarbuch für Unter- und
Ober-Tertia. Zweite Auflage. Gotha 1894, F.A.Perthes. VIII u. 215 S.
2,40 M. — Vgl. diese Zeitschr. 1884 S. 117 u. 687.
12. R. Bodewig, Lahnstein im dreifsigjährigen Kriege.
Progr. Oberlahnstein 1894. 51 8.
13. Fontane's Führer durch die Umgegend von Berlin, her-
ausgegeben vom Touristen- Club für die Mark Brandenburg, Teil 4: Grane-
wald. Berlin 1894, F. FonUne & Co. 79 S. 0,50 M.
14. M. Cantor, Vorlesungen über Geschichte der Mathema-
tik. Band HI, Abt 1. Mit 45 Figuren im Text. Leipzig 1694. B. G.
Teubner. 251 S. Lex. 8. 6 M.
15. H. Fenkner, Arithmetische Aufgaben, unter besonderer Be-
rücksichtigung von Anwendungen ans dem Gebiete der Geometrie, Physik
und Chemie. Pensum der Unter-Tertia, Ober-Tertia und Unter-Sekunda.
Zweite Auflage. Braunschweig 1894, 0. Salle. VIII u. 247 S. 2,20 M. —
Vgl. diese Zeitschr. 1891 S. 172.
16. £. V. Schenckendorff und F. A. Schmidt, Jahrbuch für
Jugend- und Volksspiele. Dritter Jahrgang. Leipzig 1894, R. Voigt-
länder. 309 S.
17. A. Sickinger, Wie sucht unser heutiges Schulturneo
seinen erziehlichen und gesundheitlichen Aufgaben gerecht
zu werden? Vortrag, gehalten bei Gelegenheit der 6. oberrheioisehen
Tarolebrerversammlung zu Pforzheim am 12. Mai 1894. Bühl 1894. 23 S.
ERSTE ABTEILUNG.
ABHANDLUNGEN.
Der Apostel Paulus in seinem Gegensatze zu
griechischer Sittlichkeit und Weisheit.
Ein Beitrag zur vergleichenden Behandlung des Altertums und des
Christentums in der Gymnasialprima.
Wenn Heiland in einer seiner Schulreden das Christentum
als den Schlüssel zum Verständnis des Altertums bezeichnet hat,
so kann man mit demselben Recht auch umgekehrt behaupten,
dafs erst das Altertum uns das Verständnis des Christentums
erschliefse. Dies gilt freilich nicht in dem Sinne, als ob der
Eingang in das Allerheiligste desselben für einen jeden durch den
Vorhof des Altertums führen müfste. Das Christentum will eine
Religion für alle sein ohne Unterschied des Standes, der Bildung
und der Nationalität (Gal. 3, 28) und offenbart seine tiefsten Ge-
heimnisse nicht sowohl dem forschenden Verstände, als dem ein-
fältigen Glauben des kindlichen Gemüts. Aber in seiner geschicht-
lichen Bedeutung kann es doch nur von demjenigen in vollem
Mafse gewürdigt werden, welcher seinen religiös-sittlichen Gehalt
an dem des Altertums zu messen in der Lage ist Hat nun das
Gymnasium seine Schüler einerseits in die Kenntnis des Altertums
einzufuhren, wie andererseits ihnen eine tiefere Einsicht in das
Wesen des Christentums zu eröffnen, als sie der elementare
Religionsunterricht zu bieten vermag, so kann diese Aufgabe nur
bei einem Unterrichtsverfahren gelöst werden, welches beide Lehr-
gegenstände auf das engste mit einander verknüpft. Eine solche
Verbindung wird sich leicht herstellen lassen, wenn der alt-
klassische Unterricht das Innere des antiken Menschen und be-
sonders die Stellung des Altertums zu den letzten und wichtigsten
Fragen des Menschenlebens in den Vordergrund des Interesses
stellt. Die Alten haben sich der Lösung dieser Fragen mit un-
ermüdlichem Eifer und mit einer Begeisterung hingegeben, die
unsere höchste Bewunderung erregen mufs und wohl geeignet
ist, das heutige Geschlecht tief zu beschämen. Die Antworten,
ZettMbr. t, d. Gjmn«»ialwM«n XLVm. 11. 43
674 Piiulus im Gej^eosntze z. fpriech. Sittlichkeit o. Weisheit,
weiche sie auf dieselben gegeben haben, sind so bedeulsam und
charakteristisch, dafs sie der Unterricht auf der Oberstufe des
Gymnasiums^ wenn er sich nicht blofs auf der Peripherie des
antiken Lebens bewegen soll, den Schöiern nicht vorenthallen
darf. Dafs sich der Lehrer dabei in fJöhen versteigen kann, in
welche der Schuler ihm nicht zu folgen vermag, ist gewifs. Es
ist aber nicht zuzugeben, dafs dieses Gebiet an sich über das
Fassungsvermögen der reiferen Jugend hinausgehe. Wer das be-
haupten wollte, der mufste folgerichtig auch die Ausschiiefsung
des christlichen Religionsunterrichts aus den oberen Gymnasial-
klassen fordern, da dieser selbst dem erfahrenen Lehrer noch
Schwierigkeiten genug bietet. Wenn dieses nun kein besonnener
Pädagoge verlangen wird, dann darf jene verliefende Behandlung
des altklassischen Unterrichts um so weniger abgewiesen werden,
als sie bei der Verwandtschaft der hier in Betracht kommenden
Fragen wohl geeignet ist, auch über das Christentum ein helleres
Licht zu verbreiten. Werden die sich überall darbietenden Ver-
gleiche mit Sachkenntnis und unbefangenem Urteil gezogen, so
werden sie ihre belebende und befruchtende Wirkung gewifs nicht
verfehlen und vor allem dazu beitragen, der Bildung des Schülers
jene historische Grundlage zu geben, welche anzustreben die eigen-
tümliche Aufgabe des Gymnasiums ist.
Dabei wird allerdings zweierlei zu beachten sein: einerseits
wird man sich nicht in Einzelheiten verlieren dürfen, sondern
das Charakteristische zusammenfassend hervorheben müssen, an-
dererseits wird man sich im wesentlichen an den Stoff zu halten
haben, welchen die allklassische und die neutestamentliche Lektüre
bietet. Diese beiden Gesichtspunkte hat A. Rieder in seinen
unter Benutzung bekannter Sammlungen') in dieser Zeitschrift
(Jahrg. 1892 S. 419 ff. und Jahrg. 1893 S. 79 ff.) veröfTentlichten
„Parallelen zu Stellen der Ueiligen Schrift aus Werken griechischer,
römischer und deutscher Klassiker u. s. w.'^ nicht gebührend be-
rücksichtigt. Jene Häufung von Citaten mannigfaltigsten Inhalts
aus Schriftstellern, welche dem Schüler zum Teil kaum dem
Namen nach bekannt sind, wird in diesem vielleicht ein, unter
Umständen nicht einmal berechtigtes, Staunen über die schier
uferlose Belesenheit seines Lehrers in der antiken Lilteratur her-
vorrufen, ihn aber im übrigen durch den Eindruck des Massen-
haften und Unorganischen nur verwirren. Es findet sich bei an-
gemessenerer Auswahl der altklassischen Lektilre — als eine solche
kann freilich die in den neuen preufsischen Lehrplänen nament-
lich für das Lateinische empfohlene nicht bezeichnet werden —
so reicher Anlafs zu vergleichender Betrachtung, dafs nach fern-
^) n. Schoeideri Christliche KläDge aos deo griechischeo ond römi-
schen Klassikero, Leipzig 1865, und E. Spiefs, Logos spermatikos, LfCip-
zig 1$71.
von P. Salkowski. 675
iiegendem StofT ein Bedürfnis nicht vorhanden sein wird. Es ist
dadurch naturlich nicht ausgeschlossen, dafs gelegentlich einmal
besonders inhaltsvolle und bezeichnende Stellen auch eines den
Schülern fremden Autors, sofern daraus für die Klassenlektüre ein
erheblicher Gewinn zu erwarten ist, in angemessener Weise ver*-
wertet werden. Im allgemeinen aber wird man sich hier gewisse
Schranken auferlegen müssen, um nicht durch ein zu oft und zu
vielerlei den Schüler zu ermüden. Von den durch Rieder zu-
sammengestellten Parallelen sind manche rein äufserlicher Art.
Da diese dem hier berührten Gebiet fernliegen und höchstens den
Spezialisten interessieren, so wollen wir von denselben absehen.
VVozu bedarf es aber, so fragen wir, eines solchen Aufwandes
von Citaten, um zu beweisen, dafs auch den Alten das Sitten-
gesetz heilig gewesen ist, dafs auch ihnen die Tugend Schweifs
gekostet hat, dafs sie gleich uns den Widerspruch zwischen geistiger
und sinnlicher Natur, zwischen Wollen und Vollbringen an sich
erfahren haben, dafs die verderbliche Macht des Goldes ihnen nicht
unbekannt gewesen oder gar dafs bei ihnen Eltern- und Kindes-
liebe allgemein verbreitet gewesen ist u. ä? Ist dieses alles nicht
selbstverständlich? Sind die Alten nicht, um ein W^ort der Apostel-
geschichte zu variieren, ofAOiona&stg iifuv äy&Qconoi, und mufs
daher nicht eine gewisse Summe sittlicher Vorstellungen, welche
uns heute geläufig sind, auch ihnen bereits bekannt gewesen
sein? „In keinem Zeitalter'% sagt K. B. Hundeshagen (in seiner
Rede: Über die Natur und die geschichtliche Entwickelung der
Humanitätsidee in ihrem Verhältnis zu Kirche und Staat) „und
selbst nicht unter den rohesten Völkern fehlt es gänzlich an
Äufserungen jener Erschlossenheit des Individuums für seine Be-
ziehungen zu den Wesen seiner Galtung in elterlicher, kindlicher
und geschwisterlicher Liebe, in veredelter Organisation der ge-
schlechtlichen Verhältnisse, in hochherziger Freundschaft, in Ge-
fühlen der Gerechtigkeit und Billigkeit u. dgl. m. Und es ist
höchst begreiflich, dafs es daran nicht fehlen kann. Denn ist die
menschliche Natur auf diese Beziehungen angelegt, so wäre es
undenkbar, wenn sie dieselben nicht wenigstens in irgend einem
Grade realisieren sollte. Welche Mächte und Gewalten auch das
Menschengeschlecht in der Verwirklichung seines Wesens hemmen
und aus seiner geraden Richtung abbeugen mögen: immer bleibt
die menschliche Nalur sich selbst gleich, und es hiefse die Identität
derselben in den verschiedenen Perioden ihrer geschichtlichen
Entwickelung leugnen, die Kontinuität der letzteren durchbrechen,
wenn es irgend eine Macht gäbe, durch welche die ursprüngliche
Anlage des Menschen zur Humanität gänzlich vertilgt, die mensch-
liche Natur im eigentlichsten und vollsten Sinne denaturiert wäre*^
Lohnt es unter solchen Umständen Zeit und Mühe, dem Schüler
das Vorhandensein gewisser, der Menschheit, soweit sie sich aus
dem Zustande der Barbarei zu einiger Gesittung emporgearbeitet
43*
676 Paolus im Gegeosatze z. griech. Sittlichkeit a. Weisheit,
hat, gemeinsamer sittlichen Vorstellungen auch bei den Allen
nachzuweisen? Und was wird bei einem solchen Verfahren für
die Erkenntnis des Christentums gewonnen? Auf diesem Wege
können die Schüler höchstens zu der verkehrten' Ansicht gefuhrt
werden, dafs antike und christliche Sittlichkeil im wesentlichen
einander gleich seien. Vielmehr ist das Hauptgewicht auf die
Unterschiede zu legen, denn nur so ist es möglich, zu einer wirk-
lichen Einsicht in das eigentümliche Wesen beider zu gelangen.
Übrigens wird durch die hlofse Nebeneinanderstellung ähnlich
klingender Ausspruche aus den alten Klassikern und der Bibel
für die Übereinstimmung der beiderseitigen religiös-sittlichen An-
schauungen noch gar nichts bewiesen. Wenn z. B. die Griechen
von der dgerij und die Römer von der virtus, ebenso wie wir von
der Tugend, behaupten, dafs sie ohne Mühe nicht zu erlangen
sei, was für einen Wert hat es, dieses zu wissen, falls nicht zu-
gleich festgestellt wird, worin sich unser Tugendbegriff von dem
griechischen und römischen und diese wieder von einander unter-
scheiden? Will man sich bei solchen Vergleichen nicht blofs auf
der Oberfläche bewegen, so mufs man die einzelnen Vorstellungen
durch ein tieferes Eingehen auf die zu Grunde liegende sittliche
Gesamtanschauung einer sorgfältigen Prüfung unterziehen, wobei
sich dann oft das Gegenteil jenes consensus ergeben wird, den
Rieder zu beweisen sucht.
Auf die Hervorhebung der Unterschiede des Christentums
von dem Altertum führt uns auch die neutestamentliche Lektüre:
der Dissensus ist es, der uns hier überall zuerst in die Augen
springt. Das Christentum erhebt den Anspruch, der Well ein
Neues zu bringen. „Ist jemand in Christo*', schreibt Paulus,
„so ist er eine neue Kreatur: Das Alte ist vergangen, siehe! es
ist alles neu geworden''. Im Zusammenhange mit der Verkün-
digung der in Christus geoffenbarten Gnade Gottes verheilst es
der Menschheit religiöse Güter, die sie vorher nicht besessen,
stellt es ihr sittliche Aufgaben, die sie bis dahin nicht gekannt
hat, und giebt so dem Leben einie neue Grundlage und einen
ganz anderen Inhalt und Wert. Schon das erste Wort Johannes
des Täufers: iiexavostTSj ^yyixev yäq ^ ßacikeia %^v
ovQaycüv, versetzt uns in eine neue, von der bisherigen
vollständig verschiedene Welt. Denn das Altertum kennt weder
die liSTOLvota in dem hier gemeinten radikalen Sinne einer
Umwandlung des ganzen inneren Menschen, noch auch die
ßadtXeia rdoy ovqavöov. In dem vollen Bewulstsein seines ab-
soluten Wertes tritt nun das Christentum mit Entschiedenheit
dem entgegen, was auf religiös-sittlichem Gebiet bisher gegolten
hat, und beginnt den nach menschlichem Ermessen gänzlich aus-
sichtslosen Kampf gegen heidnisches Wesen mit der vollkommenen
Gewifsheit des Sieges. Ja, nachdem derselbe kaum begonnen,
sieht es die Welt bereits zu seinen Füfsen liegen: „Dieses ist'S
▼ OD P. SalkowskL 677
schreibt Johannes in seinem ersten Briefe, „der Sieg, der die
Welt überwunden hat, euer Glaube".
In seiner ganzen Schärfe tritt uns dieser Gegensatz in den
Briefen des Apostels Paulus entgegen, der durch seine umfassende
Missionsthätigkeit mit dem Heidentum in unmittelbare und an-
dauernde Berührung trat und so immer neuen Anlafs fand, sich
mit den religiösen und sittlichen Zuständen desselben eingehend
zu beschäftigen. Und wie es fast ausnahmslos Griechen waren,
mit denen er es zu thun gehabt hat, so galten sie ihm als die
eigentlichen Vertreter der Heidenwelt. Sie meint er in erster
Linie, wo er Yon den Heiden spricht, und er trägt daher auch
kein Bedenken die Begriffe s&yfi und 'Ellfjvsg einfach mit einander
zu vertauschen. Wie urteilt er nun über die griechische Sittlich-
keit? Bekannt ist jenes düstere Bild, welches er im ersten Kapitel
des Römerbriefes von dem sittlichen Verderben der griechischen
Menschheit entworfen hat. In langer Reihe zählt er hier alle die
schandbaren Sunden und Laster auf, welche in ihr verbreitet
sind: unnatürliche Wollust, Ungerechtigkeit, Habgier, Neid, Mord-
lust u. s. w. Um seiner Schilderung einen wirkungsvollen Ab-
schlufs zu geben, fügt er noch einen Zug wahrhaft dämonischer
Bosheit hinzu, indem er nachdrücklich hervorhebt, dafs die Griechen,
„trotzdem sie den Rechtsspruch Gottes kennen, dafs die, welche
dergleichen thun, des Todes würdig sind, solches dennoch nicht
nur thun, sondern auch an anderen, die es thun, ihr Wohlgefallen
haben'*. Hat Paulus auch nicht gemeint, dafs ein jeder Grieche
mit allen jenen Sünden behaftet gewesen ist, so ist doch aus dem
ganzen Zusammenhange seiner Beweisführung und vor allem aus
dem Ziel, zu welchem sie hinstrebt ersichtlich, dafs nach seiner
Meinung keiner im wesentlichen davon frei geblieben ist. Man
vergleiche namentlich Rom. 3, 9 ff. INun ist es bekanntlich aufser-
ordentlich schwierig, auf Grund eigener Beobachtung oder fremder
Zeugnisse über die sittlichen Zustände eines ganzen Zeitalters ein
vollkommen zutreffendes Urteil zu fällen. Es finden sich ja Äufse-
rungen bei den antiken Schriftstellern genug, aus denen man auf
einen Rückgang der Sittlichkeit und ein Nachlassen der sittlichen
Energie in der damaligen Welt schliefsen könnte. Aber mit
Sicherheit zu erweisen ist es nicht und wird von Friedländer
(Sittengeschichte Roms Band III Abschnitt 5) sogar entschieden
bestritten. Aber selbst wenn wir den schlimmsten Fall setzen, ist
es doch nicht denkbar, dafs die von dem Apostel namhaft ge-
machten Sünden in der von ihm behaupteten Allgemeinheit damals
vorhanden gewesen sind. Wäre aus der Menschheit das sittliche
Gefühl so vollständig geschwunden gewesen, so hätten die Grund-
lagen der Gesellschaft ins Wanken geraten und in einem Kampfe
aller gegen alle ein Chaos entstehen müssen. Es ist daher zuzu-
geben, dafs der Apostel die Farben zu stark aufgetragen hat.
Dieses darf den Schülern um so weniger vorenthalten werden.
678 Paulas im Gegensätze c. griech. Sittlichkeit a. Weisheit,
als den Nachdenkenden unter ihnen Zweifel an der Richtigkeit
der paulinischen Sittenschilderung von selbst kommen werden.
Jedenfalls empfiehlt es sich mehr, diese der Wahrheit gemäfs zu
besprechen, als ihr, wie wohl in der Regel geschieht, durch An-
führung übereinstimmender Urteile antiker Schriftsteller eine schein-
bare Stütze zu geben.
Wie ist nun der Apostel zu seinem so ungünstigen Urteil
gekommen? Hat er es sich in seinem langjährigen Verkehr mit
Griechen gebildet? Gewifs standen ihm, als er seinen Brief an
die römische Gemeinde schrieb, die reichsten Erfahrungen in dieser
Beziehung zu Gebote. Diese aber haben sein Urteil nicht bestimmt,
sie haben es höchstens bestätigt. Dasselbe ist überhaupt
nicht Ergebnis eigener Beobachtung, sondern es war
im Grunde bereits fertig und abgeschlossen, bevor er
seine Missionsarbeit unter den Griechen begann. Wäre
er nicht von dem sittlichen Verderben der griechischen Menschheit
von vornherein überzeugt gewesen, wie hätte er auf den Gedanken
kommen sollen, ihr im Evangelium Rettung und Erlösung zu
bringen? In ihm selbst also und in den religiösen und sittlichen
Erfahrungen seines eigenen Lebens haben wir den Schlüssel zu
jenem Urteil zu suchen. Er war aufgewachsen unter dem Einflufs
des mosaischen Gesetzes, in dem Glauben an den heiligen und
gerechten Gott, und er durfte sich rühmen „tadellos erfunden zu
sein in der Gerechtigkeit des Gesetzes^' und „im Judentum viele
Altersgenossen in seinem Volke übertroffen zu haben", aber dieser
Ruhm der äufserlichen Beobachtung des Gesetzes genügte ihm
nicht. Er fauste es in seiner Tiefe und rang mit der ganzen Kraft
seiner starken Seele nach dem Ideal gesetzlicher Vollkommenheit,
aber er rang vergebens. In schweren inneren Kämpfen, die er
uns im siebenten Kapitel des Römerbriefes so ergreifend geschil-
dert hat, machte er die Erfahrung von der furchtbaren Macht der
Sünde, welche ihn knechtete, ihn unfähig machte zu allem Guten
und so gegen sein besseres Wissen und Wollen in Widerspruch
setzte mit Gottes Gebot und der eigenen Bestimmung. Mit diesem
Einblick in die Tiefen seines eigenen Wesens erschlofs sich ihm
das Verständnis der sittlichen Natur des Menschen überhaupt.
Vollends „als es Gott wohlgefieh seinen Sohn in ihm zu offen-
baren" und ihm „die Klarheit Gottes in dem Angesicht Christi"
erschienen war, wie mufste ihm da einerseits neben dieser Licht-
gestalt alle sogenannte menschliche Tugend verblassen, und sich
andererseits an dem Opfertode dieses einzig Reinen die Sünde in
ihrer ganzen Furchtbarkeit zeigen! Wenn die Menschheit nur
durch dieses Opfer des Gottessohnes zu retten war, wie tief mufste
ihr Verderben sein. So wurde ihm der religiös-sittliche Bankerott
derselben die selbstverständliche Voraussetzung des Evangeliums
von der Erlösung. Es lag ihm daher vollständig fern, nach
Tugenden unter den Griechen überhaupt zu suchen. Vielmehr er-
voo P. Salkowski. 679
schien es ihm als die erste Aufgabe seines apostolischen Berufes,
überall das Sunden- und Schuldbewufstsein in ihnen zu wecken,
ohne welches er für seine Predigt von der Gnade keinen An-
knüpfungspunkt finden konnte. Und darauf hinzuwirken mufste
er sich um so mehr veranlafst fühlen, als dasselbe in der von
dem Christentnm vorausgesetzten Tiefe dem Altertum überhaupt
fremd war. Wohl hatten auch dje Alten einen klaren Bück für
die mancherlei Fehler und Schwächen der menschlichen Natur.
Dafs von sittlichen Verirrungen sich niemand frei erhält, dafs „wir
alle darauf angelegt sind, sowohl im Privatleben, wie im öffent-
lichen Leben zu fehlen*' (Thucyd. III 45), ist eine dem ganzen
Altertum geläufige Erfahrung. Aber der Glaube war ihm fremd,
dafs alle unsere Tugend vor Gott nur wie „ein zerrissen Gewand'*
ist und daher ein jeder, auch der nach menschlichem Urteil Edelste
und Beste ein armer Sünder vor ihm und ohne seine Gnade ewig
verloren ist. Dazu fehlten eben die religiösen Voraussetzungen,
vor allem die Idee der göttlichen Heiligkeit. Vielmehr war die
Meinung vorherrschend, dafs der Mensch bei redlichem Streben im
Stande sei, seine sittliche Bestimmung aus eigener Kraft zu erfüllen.
In nahem Zusammenhange damit steht die Bedeutung, welche das
spätere Altertum der Philosophie als der Führerin zur sittlichen
Vollkommenheit beilegte. Denn dem Wissen des Guten kann nur
in dem Falle eine solche Wichtigkeit beigelegt werden, wenn der
Wille für stark genug gehalten wird, das als gut Erkannte auch
wirklich zu thun. Den entgegengesetzten Standpunkt des Christen-
tums kenneu zu lernen, dienen namentlich die so wichtigen An-
fangskapitel des ersten Briefes an die Korinther. Der Apostel sieht
das Heil nicht im Wissen, sondern im Glauben, nicht in der Philo-
sophie, sondern in der Religion. Nach seiner Erfahrung ist das
Wissen allein so wenig im Stande, den Menschen zu bessern, dafs
es vielmehr den ganzen Widerspruch, in welchem der eigene sitt-
liche Zustand zu dem Ideal sittlicher Vollkommenheit steht, erst
aufdeckt. Allein das Evangelium von der Gnade Gottes vermag
den Gläubigen ebenso von der Schuld, wie aus der Gewalt des
Bösen zu erlösen und seinem Willen die normale Richtung zu
geben, indem es ihm Trieb und Kraft zum Guten mitteilt und
die einstige Vollendung im Jenseits gewährleistet.
Dafs ein solches „Evangelium" die Griechen fremdartig an-
muten mufste, ist natürlich. Dieser Eindruck wurde durch be-
sondere Umstände noch verstärkt. „Wir* predigen*', schreibt Paulus,
„den gekreuzigten Christus, den Griechen eine Thorheit*'. Und in
der That, was konnte für Griechen Thörichteres gedacht werden,
als das Kreuz Christi, als jene Botschaft, dafs in einem Juden und
gar in einem Juden niederen Standes, der von seinen eigenen
Volksgenossen verschmäht und dem schimpflichsten Tode preis-
gegeben war, Gott selbst den Menschen erschienen sei? Die Götter-
söhne, welche die Phantasie ihrer Dichter geschaffen, deren er-
680 Paala» im Gegeosatze z. griech. Sittlichkeit a. Weisheit,
habene Bildwerke sie überall umgaben, traten ihnen in mensch-
licher Schönheit und Herrlichkeit entgegen. Welchen Anspruch
konnte dieser armselige Jude, der den Tod des Verbrechers ge-
storben war, erheben, sich nicht nur neben jene, sondern sogar
über sie zu stellen? Der ästhetischen Anschauungsweise der
Griechen, welcher der Einklang von Wesen und Erscheinung, von
Inhalt und Form als das höchste Ideal galt, mufste diese in so
niedriger Gestalt sich darstellende Verkörperung des Göttlichen
mindestens als eine Paradoxie erscheinen. Diesen Gegensatz, in
welchen sich das Christentum zur Empfindungs- und Denkweise
der Griechen stellte, mufs man sich vergegenwärtigen, um das
Wunder zu begreifen, dafs es dennoch Gläubige unter ihnen ge-
funden hat.
Ebenso abweisend, wie die Griechen dem Kreuze Christi,
stand Paulus ihrer Weisheit gegenüber, die er kein Bedenken trägt,
als Thorheit zu bezeichnen. Von jener echten Weisheit freilich,
welche in den Werken der grofsen griechischen Dichter und
Denker niedergelegt war, hatte er schwerlich auch nur eine ober-
flächliche Kenntnis. In seinen Briefen wenigstens findet sich davon
keine Spur. Aber bei seinem langjährigen ununterbrochenen Ver-
kehr mit Griechen, der sich doch nicht blofs auf die Ungebildeten
unter ihnen beschränkt hat (I. Kor. 1, 26), konnte ihm die Beob-
achtung nicht entgehen, die schon der Skythe Anacharsis gemacht
hatte: 'EXXfjvag navraq &(Sx6Xovg slpai ig näaap ao(f) lay (Ueroi.
IV 77). Trotz dieses Weisheitsstrebens hatten sie die Wahrheit
doch nicht gefunden: denn sie zeigten nicht nur keine Spur
wahrer Gotteserkenntnis, sondern sogar ein allgemeines >Yider-
streben gegen das Evangelium von Christus, „der uns zur Weis-
heit geworden ist von Gott^' (I. Kor. 1, 30). Damit hatte sich die
griechische Weisheit in Paulus' Augen das Urteil gesprochen. Für
ihn war sie einfach abgethan und konnte sie nur negativen W^ert
haben, indem sie die Irrwege bezeichnete, welche die Gott ent-
fremdete Menschheil in ihrem Dünkel gegangen war. „Indem sie
sich für Weise ausgaben, sind sie zu Thoren geworden'* (Rom.
1, 22). Daher hätte auch in dem Falle, dafs die von ihm be-
kämpfte sogenannte Weisheit der Korinther jener alten und echten
griechischen Weisheit verwandt und mehr gewesen wäre als blofse
Naseweisheit, sein Urteil nicht anders gelautet. Was hätte auch
sein am alten Testamente genährter, durch rabbinische Gelehrsam-
keit geschulter, schliefslich im Christentum zu voller Reife und
Klarheit gekommener Geist aus den philosophischen Systemen der
Griechen lernen können? Was vermochten sie ihm zu bieten?
Die letzten Fragen, an deren Lösung sie sich abmühten, waren
für ihn gelöst; den Gott, den sie „tastend suchten*', hatte er im
Evangelium gefunden; das sittliche Ideal, welches die einzelnen
Schulen so verschieden bestimmten, war für ihn in Christus ver-
körpert. Die ganze antike Ethik wäre ihm sogar dann, wenn er
voD P. Salkowski. 6gt
ibrem Inhalt von seinem Standpunkt aus im wesentlichen hätte
zustimmen können, nur als eine verschlechterte Auflage des
mosaischen Gesetzes erschienen : fehlte jener doch, was dieses be-
safs, das feste Fundament der göttlichen Autorität und ihren
Geboten daher die Eigenschaft unbedingter Verpflichtung. Im
übrigen verwies sie ihn, wie das mosaische Gesetz, auf sein eigenes
sittliches Vermögen. Wie wenig aber der Wille des „natürlichen'*
Menschen im Stande ist, das Gute zu thun, das wufste er aus
eigener Erfahrung. Dafür besafs er in seinem Glauben einen
unversiegbaren Quell sittlicher Kraft, welche in um so vollerem
Mafse in ihn einströmte, je tiefer er seine eigene Schwachheit
fühlte, „(ch vermag alles", schreibt er an die Philipper, „durch
den, welcher mich stark macht". Für die Wahrheit dieses Wortes
legt sein Leben beredtestes Zeugnis ab. Von Stadt zu Stadt, von
Land zu Land treibt ihn seines Herzens Drang ohne Ruh und Rast,
das Evangelium von der Liebe zu verkündigen, die sich aller er-
barmen will, zu suchen und zu retten, was verloren ist, Bürger
zu werben für ein Reich, das nicht von dieser Welt ist; er achtet
nicht „Mühe und Arbeit, nicht Hunger und Durst, nicht Frost
noch Blöfse", nicht die Flut von Hohn und Spott, die sich über
ihn ergiefst, nicht die Mifshandlungen und Verfolgungen, denen
er ausgesetzt ist, nicht die Gefahren, die ihn tausendfach um-
geben: nichts vermag die Kraft seines Glaubens zu erschüttern,
die Glut seiner Liebe zu dämpfen; siegesgewifs und todesmutig
fühlt er sich stark genug gegen eine Welt von Feinden (Rom.
8, 35 ff.). Kein antiker Philosoph kann sich an sittlicher Kraft
und Tiefe mit diesem Helden des Glaubens messen. Man hat den
Stoizismus mit dem Christentum, Seneca mit Paulus verglichen,
und es ist nicht zu leugnen, dafs Berührungspunkte zwischen
ihnen vorbanden sind. Aber wenn der Stoizismus auch seine
Anhänger gegen die Widerwärtigkeiten des Lebens vielleicht zu
wappnen vermochte, so war er trotz seiner Forderung allgemeiner
Menschenliebe doch unfähig in ihnen jene Begeisterung zu er-
zeugen, welche allein das Wort in That, die Theorie in Leben
umzusetzen vermag. Weil der antiken Philosophie die religiösen
Moti?e fehlten, hatte sie auch keine Kraft, die alte Welt umzu-
gestalten: diese blieb im ganzen wie sie war, der eine Paulus
hob sie aus ihren Angeln. Will man ihm auf dem Gebiete des
Altertums überhaupt jemand an die Seite stellen, so könnten es
höchstens jene grofsen Römer sein, welche ihrer Stadt den Erd-
kreis unterworfen haben. Auch er ist ein Welteroberer wie sie,
aber um soviel über sie erhaben, als die Liebe dem Schwerte,
der Glaube dem Gesetze überlegen ist. Paulus ist ein Charakter
von überwältigender Gröfse, für welchen die Schüler zu begeistern
eine viel dankbarere Aufgabe ist, als die manchmal etwas krausen
Fäden seiner Theologie vor ihnen zu entwirren.
Was will es dem gegeoüber bedeuten, dafs er die griechische
682 PaulusimGegeDsatzez.if riech. Sittlichkeit, v.P. SaIkowsi[i.
Bildung in ihrem Werte für die Entwickelungsgeschiehte der
Menschheit nicht erkannt hat? Dafs sie keine Thorheit gewesen
ist und dem Christentum auch positiv vorgearbeitet hat, braucht
heute niemandem bewiesen zu werden. Der Apostel konnte das
nicht wissen. Ihm galt sie als Gegnerin, der gegenüber er dem
Christentum die Existenzberechtigung erst erkämpfen mufste. Es
wird ihm sogar als ein Verdienst anzurechnen sein, dafs er einer
Verbindung derselben mit dem Christentum, wozu man in der
korinthischen Gemeinde den Versuch machte, auf das entschiedenste
entgegengetreten ist. Er sah darin mit Recht die Gefahr einer
Verfälschung des dem Evangelium eigentümlichen Gehalts und
Wesens (I. Kor. 1, 17). Eine spätere Zeit hat andere Wege ein-
geschlagen und sie nach der Lage der Verhältnisse einschlagen
müssen. Es war eben unmöglich, dafs das Christentum von dem
Griechentum, in dem es heimisch geworden war, für die Dauer
unberührt blieb. Unter dem Einflufs des griechischen Geistes
haben die nächsten Jahrhunderte den christlichen Glauben in be-
stimmten Dogmen fixiert und den Grund zur Glaubenslehre gelegt,
der man in der Kirche seitdem eine gröfsere Bedeutung beizu-
legen geneigt war als dem christlichen Glauben und Leben selbst.
Doch dieses gehört in ein anderes Kapitel. Hier sollte nur der
Versuch gemacht werden, an einem Beispiel nachzuweisen, wie in
dem Unterricht der Gymnasialprima Altertum und Christentum
mit einander in fruchtbare Verbindung gebracht werden können.
Memel. P. Salkowski.
ZWEITE ABTEILUNG.
LITTERARISCHE BERICHTE.
M. Evers und F. Fanth, Hälfsmittel znm evaDgelischen Reli-
irioDsaDterricht für ev. Relif^iooslebrer and Pfarrer, Studiereode,
SemioarUten und reifere Schüler höherer Lehraostalteo. I. Abteilung.
6. Stock: Die apostolische Urgemeinde nach der Apostelgeschichte
and aoderea zeitgeschichtlichen Quellen von F. Hupfeld. Berlin
1894, Verlag von Reuther and Reichard. 47 S. 8. 0,60 M.
Dieses Heft der „Hülfsmittel*' stellt in gewissem Sinne eine
Doppelarbeit dar. Der Text ist verfafst von dem Oberlehrer Dr.
Hupfeld; in zahlreichen, zum Teil sehr eingehend geschriebenen
Noten aber bringt der Hsgb., Direktor Evei*s, wertvolle Ergänzungen
bei, in denen er entweder H.s Erklärungen mit neuen Argumenten
begründet oder eine abweichende Meinung geltend macht. Der
Leser kommt zuweilen in die Lage, zwei verschiedene Ansichten
über dieselbe Sache zu vernehmen, und ist genötigt, sich aus
ihnen ein selbständiges Urteil zu bilden. Ref. mufs gestehen, dafs
es ein besonderes Interesse erweckt, auf derselben Seite die Mei-
nungen zweier individuell entwickelter Bibelforscher zu hören,
welche übereingekommen sind, unter Wahrung des Rechtes der
freien Forschung gemeinsam zu arbeiten. H., der jüngere, ist in
seinem Urteil entschiedener und in seinem Ausdruck schärfer als
E.; dieser hingegen, auf eine längere Arbeitszeit zurückblickend
und reich an Wissen, zur Vermittlung von Gegensätzen geneigt
und dennoch, wo es sein mufs, von einer Bestimmtheit des Aus-
druckes, welche nichts zu wünschen übrig läfst. Die Bemerkung
H.s, dafs es in der apostolischen Urgemeinde eine freiere, evan-
gelische und eine strengere, katholische Richtung gegeben habe,
ergänzt E. in einer Note (S. 2) durch Hervorhebung des Unter-
schiedes zwischen dem Gottesreiche, welches Christus verkündete,
und dem Kirchentume, welches nur Mittel zum Zweck sein soll,
aber sich nicht selten, sei es als römische Hierarchie, sei es als
orthodoxistische Pastorenkirche, mit dem Gottesreiche identifiziert
und dann ein „verdammungswürdiges WiderChristentum'' darstellt.
Die gehaltvolle Note ersetzt eine ganze Abhandlung.
Die Ausführungen H.s schliefsen sich vorwiegend an die
Apostelgeschichte an, aber nicht in der Form eines Kommentars
684 Evers-Paath, HSIfsm. z. ev. Relig. -(Jot, ag^z. v. J. HeidemaDn.
ZU dieser Schrift, sondern einer kritisch-wissenschaftlichen Erörte-
rung der Hauptbegebenheiten und der besonderen reh'giösen und
sozialen Erscheinungen in der Zeit der Apostel, wie der Glossolalie,
der Gütergemeinschaft u. a. Die Apostelgeschichte behandelt er
dabei als ein zuverlässiges historisches Werk, das aber nicht frei
ist von Ungenauigkeiten im einzelnen und daher der Kontrolle
durch die paulinischen Briefe bedarf. Der Bericht der Apostel-
gesch. 9 und 11, 27 — 30 über Pauli Bekehrung, seinen Aufent-
hall in Damaskus und seine Rückreise nach Jerusalem wird dem-
zufolge nach Galat. 1, 18 u. fg. und 2, 1 rektifiziert. Da ferner
Apostelgesch. Kap. 12 eine in das J. 44 fallende Reise des Paulus
nach Jerusalem erwähnt wird, von welcher der Apostel selbst nicht
nur nichts meldet, sondern welche sein eigener ]3ericht sogar aus-
schliefst, so ist H. geneigt, die in Apostelgesch. 12 gedachte Reise
in das Jahr 59 zu setzen. Allein die in jener Stelle erwähnten
Nebenumslände, der Tod des älteren Jakobus sowie des Uerodes
Agrippa, gestatten eine solche Annahme nicht. Da Paulus im J. 44
nur Kollektengelder von Anliochia nach Jerusalem überbrachte,
hier aber eine lehramtliche Thätigkeit, so viel wir wissen, nicht
ausübte, so hat die alte Ansicht mehr für sich, dafs er es nicht
für notwendig hielt, dieser „Geschäftsreise^' im Galaterbriefe zu ge-
denken.
Zur übersichtlichen Gruppierung des Stoffes schlägt H. die
Einteilung in drei Perioden vor: 1. die Anfänge der Gemeinde
bis zum Tode des Stephanus; 2. die weitere Entwickelung bis zum
Aposlelkonvent; 3. die letzte Zeit bis zur Auswanderung nach
Pella. Demgegenüber verweist E. auf eine andere Einteilung,
welche sich auf die Worte Jesu (Apostelgesch. 1, 8) gründet: Ihr
werdet meine Zeugen sein zu Jerusalem, in ganz Judäa und Samaria
und bis an das Eude der Erde. Hiernach ergeben sich die drei
Abschnitte: Verkündigung des Evangeliums 1. in Jerusalem,
2. innerhalb der Grenzen Palästinas und 3. aufserhalb derselben.
Diese von einem geographischen Gesichtspunkte ausgehende Ein-
teilung ist für Schüler ohne Zweifel leichter fafsbar und darum
angemessener. — Zu den Aufserungen des christlichen Geistes-
lebens, zu deren Verständnis der Lehrer seine Schüler nicht ganz
leicht bringt, gehört die Glossolnlie. Daher hat H. dieselbe recht
eingehend erläutert und noch ausführlicher E., welcher in einer
fast drei Seiten umfassenden Note (S. 12 — 14) alles zur Erklärung
notwendige Material beibringt. Übereinstimmend gehen beide von
der einzig mafsgebenden Darstellung der Erscheinung in 1. Korinth.
Kap. 14 aus, nicht von Apostelgesch. Kap. 2, und sehen daher in
der Glossolalie eine ekstatische Gebetsrede, wie solche die Be-
geisterung der ersten Christen erklärlich macht, denen für die
Fülle neuer Empfindungen und Gedanken noch der bezeichnende
Begriff fehlte, der €V(fijfiog loyog, wie Paulus 1. Kor. 14, 9 be-
merkt. — Einen breiten Raum in dem Hefte nehmen die Aus-
F. Scholtz, Kleine lat. Sprachlehre, agz. v. H. GrofsBiaDo. 5g5
fuhrungen H.s und E.s über die besondere Stellung der Apostel
Petrus, Jakobus und Paulus zum Christentum ein. Nicht nur
was Juden- und Heidenchristen trennte, wird dargelegt, sondern
auch die Differenz, welche zwischen Jakobus und Petrus bestand,
insofern jener eine streng judaistische, dieser eine mildere Rich-
tung verfolgte. Im allgemeinen waltet in diesen Ausführungen die
Tendenz vor, die in der Urgemeinde einst lebendigen religiösen
Gegensätze durch dialektische Vermittelung heute milder erscheinen
zu lassen als sie es in der That waren. Man gewinnt den Ein-
druck, als ob Petrus paulinisch dachte und Paulus unter Um-
ständen sogar petrinisch handelte. Evers erachtet es (S. 45) für
möglich, dafs Paulus den Judaisten zu Gefallen das Nasiratsgelubde
auf sich genommen habe, was H. (S. 41) für „mindestens recht
fraglich'' hält. Aber auch der Beurteilung kann man nicht bei-
stimmen, welche bei H. (S. 40) das Verhalten des Petrus in
Antiochien erfährt, wo der Apostel gleich Paulus sich über die
jüdischen Speisegesetze hinwegsetzte, aber nach dem Eintreffen
von Anhängern des Jakobus wieder „jüdisch" lebte. H. bemerkt
dazu: „Inkonsequent und schwankend müssen wir das Verhalten
des Petrus allerdings bezeichnen, aber nicht Menschenfurcht war
es — sondern ein wohl erklärliches und wohl zu respektierendes
Gewissenshedenken". Allein war es nicht gerade das Erscheinen
der Jakobisten, was sein Verhaken bestimmte? War es nicht
gerade Menschenfurcht, wenn er (foßovfjbsvog rovg ix r^g nsqi-
rofjb^g wieder nach den jüdischen Speisegesetzen lebte? Hegte er
Gewissensbedenken gegen die Nichtbeachtung jüdischer Riten,
warum lebte er denn früher mit Paulus id-yixcog^ Der Vorwurf
der Heuchelei, den Paulus in gerechtem Zorn gegen ihn erhob,
ist daher in seiner ganzen Schärfe aufrecht zu erhalten und den
Schülern klar zu machen, dafs auch unter Gottes Heiligen keiner
ohne Tadel ist.
Berlin. J. Heidemann.
P. Schultz, Kleine lateinische Sprachlehre. 22. den ueueo Lehr-
plänen entsprechend bearbeitete Auflage. Besorgt von M. Wetzel.
Paderborn 1S93, F. Schöuingh. VIII u. 272 S. 8. 1,90 M.
Die 22. Auflage der beliebten kleinen Sprachlehre ist vom
lisgb. einer gewissenhaften Durchsicht und teilweisen Umarbeitung
mit Rucksicht auf die Anforderungen der neuen Lehrpläne unter-
zogen worden. Dabei bat die Formenlehre eine Verkürzung um
sechs, die Satzlehre eine Erweiterung um neun Seiten erfahren.
In der Formenlehre ist Entbehrliches weggefallen, anderes verein-
facht worden, doch sind einzelne Stellen, z. B. § 13 (sog. griechische
Deklination), einer noch kürzeren Fassung fähig. Auch tripuSj das
§ 29 in der zum Auswendiglernen bestimmten Geschlechtsregel
vorkommt, kann wegfallen und dem Schüler zum Aufschlagen im
Lexikon überlassen bleiben. Dagegen wird bei den unregelmäfsigen
686 Thukydides, zam Scbulgebrauch hsgb. von P. Möller,
Verben als ergänzendes Supinum zu arguo accusalum vermifst
(S. 90), ebenso praestiti oder excellens exstüi (S. 98) als ergänzende
Perfekta zu arUecello, exceUo, praecello.
Die dankenswerten Bemerkungen des Rezensenten der 21. Auf-
lage in dieser Zeitschrift, P. Harre, haben zum gröfsten Teil Be-
rücksichtigung gefunden. Dieselben haben z. B. zu einer Verein-
fachung der Regeln über die Kongruenz (§ 177) gefuhrt. Mit der
Bemerkung über die VVeiterführung verneinter Absichtssätze aufser
durch neve auch durch et, atque, que, ant bat sich der Ilsgb. noch
nicht befreunden können; vielleicht wird eine erneute Nachprüfung
auch hier Wandel schaffen. Der Anhang über Prosodie und Metrik
hat gleichfalls eine wünschenswerte Kürzung erfahren, vor allem
ist die Zahl der prosodischen Ausnahmen in § 281 mit Recht
vermindert worden. Die Erweiterung der Satzlehre ist hauptsäch-
lich der Stilistik zu gute gekommen. Das Buch hat dadurch zu
seinen alten Vorzügen neue hinzu erhalten, die seine Brauchbar-
keit nur erhöhen können; ob es nunmehr für die Bedürfnisse
aller Gymnasiafklassen ausreicht, wie der Hsgb. hofft, mufs die
Erfahrung lehren.
Was die äufsere Ausstattung anbetrifft, so ist der Druck
vielfach zu klein und entspricht in dieser Beziehung nicht den
heutigen Anforderungen der Schulhygieine.
Saargemünd. H. Grofsmann.
Lateinische und griechische Schulausgabeo beraasgegeben voo
H. J. Müller und 0. Jäger.
Thakydides, Die Geschichte des Pelopoooesischen Krieges. Zorn
Gebrauch für Schüler heraosgegebeo voo Franz Müller. Bielefeld o.
Leipzig 1894, Velbagen & Kiasiog. 2 Teile Text. XVI u. 232 S.;
VI u. 150 S.; 2 Teile Kommentar. 242 a. 150 S. 8. geb. je 1,50 M.
Nach Mafsgabe der neuen preufsischen Lehrpläne und ent-
sprechend dem Programme der Schuiausgabensammlung von H. J.
Müller und Jäger wird in den zwei Bändchen Text dem Schüler
des Thukydides' Geschichte des Peloponnesischen Krieges als ein
Ganzes in der Weise geboten, dafs unter Hinweglassung minder
wichtiger Abschnitte der wesentliche Inhalt des Geschichtswerkes
und also auch der Lauf des Krieges im Zusammenhange gegeben
wird. Von den ausgelassenen Teilen ist das, was zum Gesamt-
verständnisse notwendig ist, durch einen verbindenden Text wie-
dergegeben. £s kann freilich nicht die Aufgabe der Besprechung
sein, bei jedem Schriftsteller, der in dieser Ausgabensammlung
herausgegeben wird, von neuem die grundsätzliche Frage zu er-
örtern, ob den Schülern der gesamte Schriftsteller in die Hand
gegeben werden soll oder ein in dieser Weise zurechtgemachter:
doch kann der Unterzeichnete nicht verhehlen, dafs er bei der
Durchsicht dieser Ausgabe den Eindruck hatte, dafs der Schüler,
der den ganzen Thukydides in der Hand hat, diesem unmittelbarer
angez. von H. Babendey. 6S7
und selbständiger gegenüber stehe als derjenige, dem ein, wenn
auch noch so sorgsam gefertigter, für ihn zurechtgeschnittener
Auszug in die Hand gegeben wird.
Was nun die vorliegende Ausgabe anbetrifft, so ist der Verf.
derselben ja nicht hier zum ersten Male dem Thukydides nahe
getreten, sondern durch lange Bekanntschaft mit demselben ganz
besonders zu einer solchen Arbeit berufen. In dieser Zeitschrift
(Bd. XLYIl S. 766 ff.) findet sich eine Rezension mehrerer Hefte
der von dem Verf. bei F. Schöningh in Paderborn herausgegebenen
Ausgabe für Schul- und Privatgehrauch. Da der Unterzeichnete
den von dem dortigen Rezensenten, I^udwig Herbst, vertretenen
wesentlich konservativen Standpunkt, auf dem auch Franz Müller
steht, teilt, so soll dort Gesagtes hier nicht wiederholt, sondern
nur die in dieser besonderen Ausgabe getroffene Auswahl und die
Fassung der Anmerkungen vom didaktischen Standpunkte aus be-
sprochen werden.
Offenbar hat diese Auswahl sich das Ziel gesteckt, das Lesen
des gesamten Peloponnesischen Krieges, soweit er von Thukydides
dargestellt ist, eventuell zu ermöglichen. Von ' diesem Standpunkte
aus dürfte manches zu beurteilen sein; z. B. der Wegfall einiger
Reden wie der des Kleon und der des Diodotos im 3. Buche über
das Schicksal der Mytilenäer. Allerdings würde die Lektüre dieser
beiden Reden recht zeitraubend sein: inhaltlich aber würden ge-
rade sie durch den scharfen Gegensatz ihrer politischen An-
schauung und durch manche noch für die Gegenwart fruchtbaren
Gedanken dem Schüler viele Anregung darbieten. Aus dem glei-
chen Grunde wird man sich auch mit dem Wegfalle der ersten
19 Kapitel des ersten Buches einverstanden erklaren müssen, so
interessant es ist, das Urteil des Thukydides über die früheren
Perioden der hellenischen Geschichte zu hören: dafs sie den Be-
ginn der Thukydideslektüre nicht bilden dürfen, wird jeder, der
den Thukydides mit Primanern gelesen hat, zugeben; weit eher
könnten sie mit einer gereiften Schülergeneration zum Abschlüsse
gelesen werden. Von den vier in Sparta vor dem Kriegsbeschlusse
der Lacedämonier gehaltenen Reden ist nur die Rede des Ephoren
Sthenelaidas gegeben worden, die gewifs wegen ihrer typisch-
spartanischen Kürze und Entschiedenheit vor allen anderen ge-
lesen zu werden verdient. Was die übrigen drei Reden anbetrifft,
so würde ich die Weglassung der Rede des Atheners, sowie der
des Archidamos billigen; die Rede der Korinthier dagegen (I 68 — 71 )
mit ihrer ganz eigenartigen, auf die Aufreizung der Spartaner be-
rechneten, eigentümlich panegyrischen Schildei*ung der Athener
aus Feindesmunde ist für die Charakteristik der letzteren so be-
zeichnend, dafs ich die Rede ungern vermisse und lieber dafür
die zweite Rede der Korinthier in Sparta (I 120 — 124) weglassen
würde. Nicht missen möchte ich auch die Kapitel 94 — 107 des
ersten Buches, sowie die Geschichte des Pausanias und Themi*
688 Thukydides, zum Schalgebrauch hsgb. von F. Müller,
stokles am Ende desselben Buches: es sei denn, dafs sie deshalb
weggelassen sind, weil sie vorher schon in der Sekunda, etwa in
Jacobs Attica, gelesen sein können. Dafs die drei Reden des
Perikles sämtlich aufgenommen sind, ist sehr erfreulich; dem Hsgb.
ist jedenfalls darin zuzustimmen, dafs diese in der Prima gelesen
werden können. Von den späteren Vorgängen sind mit Recht
die durch drei Jahre sich hinziehenden Berichte über die Belage-
rung von Platää mit Einschlufs der zum Verständnis der tragi-
schen Katastrophe notwendigen Reden der Piatäer und der The-
baner vollständig aufgenommen ; ebenso die Besetzung von
Sphakteria, die Thätigkeit des Brasidas in der Chaikidike, die
Schlacht bei Delion, und zwar alles dies vollständig, während un-
bedeutendere Unternehmungen übergangen sind.
In dem zweiten Hefte verteilt sich der ausgewählte Stoff
naturgemäfs auf die vier letzten Bücher sehr ungleich; während
vom fünften und achten Buche bei weitem das meiste weggeblieben
ist, erscheinen das sechste und ganz besonders das siebente Buch
fast unverkürzt. Im siebenten Buche sind von 86 Kapiteln nur
10 weggelassen. Gewifs mit vollem Rechte, denn die Erzählungen
des sechsten und siebenten Buches werden neben dem zweiten
und etwa dem Anfange des vierten Buches immer die meiste An-
ziehungskraft für den Schüler haben. Aufgefallen ist mir das
Fehlen der Kapitel 28 und 29 des sechsten Buches. Die nicht auf-
genommene Episode Vi 54— 59 ist freilich für die Geschichte der
Peisistratiden von grofsem Interesse, sowie als merkwürdiges Bei-
spiel dafür, wie in so kurzer Zeit die historische Tradition von
dem wahren Verlaufe der Dinge abweichen konnte.
Im grofsen und ganzen erscheint also die getroffene Auswahl
als durchaus richtig: sie giebt ein zusammenhängendes Bild des
Krieges, hebt unter den Begebenheiten die vorzugsweise fesselnden
hervor und teilt auch von den Reden eine solche Anzahl mit, die
genügt, um diese für den Schriftsteller charakteristischen und für
die Lektüre zwar schwierigen, aber dafür auch in ungewöhnlichem
Grade anregenden litterarischen Gebilde würdigen zu können.
In den zwei Bändchen Kommentar, die, dem Plane der
Sammlung gemäfs, getrennt vom Texte gegeben sind, zeigt sich
der Hsgb. natürlich, wie dies nach seinen anderen Arbeiten auf
diesem Gebiete zu erwarten war, als gediegener Kenner des Thu-
kydides, der nicht nur den Text des Geschichtswerkes, sondern
auch die vorhandenen Kommentare und Erklärungsschriften genau
kennt und sich auf Grund dieser Kenntnis ein selbständiges Ur-
teil gebildet hat. Dafs ein Thukydides-Erklärer sich eine gröfsere
Freiheit der Erklärung ausbedingen müsse, als sie bei anderen
Schriftstellern üblich sei, hatte schon Classen in dem Vorworte
zu seiner Ausgabe treffend hervorgehoben. Ganz besonders wird
dies bei den Reden der Fall sein; denn wenn Cicero sagt, dafs
es schwer sei, sie zu verstehen, dürfen wir es unsern Primanern
an gez. von ff. Bubende y. 6S9
nicht übel nehaieo, wenn es ihnen nichl leicht wird. Wollen wir
also den Thukydides nicht vom Gymnasium verbannen (und das
wird doch niemand wünschen, der den ernsten Betrieb griechischer
Studien auf dem Gymnasium beibehalten will), so wird eingehende
Erklärung notwendig sein. Erst eine solche wird es dem Schuler
erleichtern, in manchen Fällen überhaupt erst möglich machen,
den Schriftsteller zu verstehen. Dafs zu diesem Zwecke dem
Schüler ein feststehender Text in die Hand gegeben werden
müsse, dafs ihm Erörterungen über Lesarten möglichst fern ge-
halten werden, ja dafs von verschiedenen möglichen Erklärungen
in der Regel nur eine gegeben werde, darüber werden alle über-
einstimmen. Dem Lehrer bleibt es ja trotzdem überlassen, ge-
legentlich einmal zur Übung des jugendlichen Scharfsinns streitige
Punkte zu erörtern. Dem entsprechend ist in diesem Kommen-
tare die Angabe und Besprechung verschiedener Lesarten, so weit
ich sehe, vermieden und auch verschiedene Erklärungen werden
nur selten einander gegenüber gestellt, wie z. B. VI 14, 1. Gerade
an dieser Stelle hätte vielleicht die Darstellung der Kontroverse
eine etwas schärfere Fassung haben können. Denn in den bei-
den dort angenommenen Erklärungen würde doch ahlccv axeXv
= ah$a&^yai sein, und der Unterschied bestände nur darin, ob
wir dem sonstigen thukydideischen Sprachgebrauche gemäfs die
beschuldigte Person oder diesem zwar entgegen, aber der sonst
üblichen Ausdrucksweise entsprechend die Sache, welche vorge-
worfen wird, zum Subjekte machen. Ich würde abweichend von
Classen, mit Stahl und Müller (in der Paderborner Ausgabe) der
zweiten Erklärung den Vorzug geben. Im übrigen wird natürlich
jeder, der den Thukydides liest, an einzelnen Stellen eine andere
Erklärung als die von dem Hsgb. gegebene für möglich halten
oder bevorzugen: an den meisten Stellen aber scheint dem Unter-
zeichneten das Richtige getroffen zu sein. Dabei sind die ge-
wählten Erklärungen in klarer und verständlicher Weise zum Aus-
drucke gebracht Auch ist, was mir von besonderer Bedeutung
scheint, die richtige Mitte zwischen dem Zuviel und dem Zuwenig
im allgemeinen sehr geschickt gewahrt. An einigen Stellen hätte
vielleicht etwas weniger gegeben werden können: eine Redensart
wie noXcfAoy ov nqogjjxovTa atQea&ai (VI 9, 1) oder die Über-
setzung von TtQOipdasi' ßgaxelq xal EvnqsneX (VI 8, 4) sollte
ein normaler Primaner wohl mit einigem Nachdenken linden
können. Im ganzen aber ersparen die Anmerkungen das Nach-
denken nicht, sondern regen dasselbe fördernd an: und das ist
gewifs das Richtige. Entschieden zu loben sind die kurzen, aber
präzisen Randnoten, die den bei der l^^äparation auf dem wogen-
den Meere hin und her geschaukelten Schüler die Fahrt dadurch
erleichtern, dafs sie ihm das zu erreichende Ziel klar und deut-
lich hinstellen. Auch die Einleitung bietet, ohne sich viel auf
Kontroversen einzulassen, das Wichtigste aus dem Leben des
Zeitachr. t d. OyinnMialwuen XLVIIL 11. 44
590 K. Focht, Griechisches Obungsbuch für (Jotertertia,
Historikers uod die notwendigen Mitteilungen über sein Geschichts-
werk. Bei der Bestimmung der Daten des Lebens des Thuky-
dides hat sich der Hsgb. vielfach den Ergebnissen der Herbstschen
Untersuchungen im 49. Bande des Philologus angeschlossen.
Fasse ich alles zusammen, so kann ich nur sagen, dafs dem
Schüler in dieser Ausgabe ein treffliches Hilfsmittel geboten wird,
das ihn befähigt, die Schwierigkeiten in dem Ausdrucke, der Satz-
bildung, der Periodisierung des Thukydides zu überwinden und
an der Hand des Lehrers sich in das Verständnis dieses von so
vielen geistigen Autoritäten aufs höchste geschätzten Schriftstellers
einzudringen.
Die äufsere Ausstattung ist in der Farbe des Papiers und
der scharfen und klaren Form der Typen eine ausgezeichnete.
Hamburg. Heinrich Bubendey.
KuDo Fecht, Griechisches Ubangsboch für Untertertia. Dritte,
mit Rücksicht auf die neaen preufsischen Lehrpläne bearbeitete Auf-
lage. Freiburg i. B. 1893, Herdersche Verlagsbuchhandlung. VIU u.
169 S. 8. 1,20 M.
Auf die Bearbeitung der dritten Auflage des griechischen
Übungsbuches von Kuno Fecht hat dreierlei bestimmend einge-
wirkt: die Besprechungen der zweiten Auflage, die neuen preu-
fsischen Lehrpläne und E. Kochs 1892 in den Neuen Jahrbüchern
erschienener Aufsatz über ,,die Notwendigkeit einer System-
änderung im griechischen Anfangsunterrichte''. Den Rezensenten
der früheren Aufgabe hat F. besonders insofern Gehör geschenkt,
als er die attisch ez weite Deklination ausgeschieden und einen
Paragraph zur Einübung der gebräuchlichsten Präpositionen ein-
gefügt hat. Andere Forderungen derselben deckten sich mit
solchen unserer Lehrpläne. So folgt er nicht blofs dem Rate
der Rezensenten, sondern auch einem Fingerzeige unserer Lehr-
piäne, wenn er jetzt von besonderem Accentuierübungen ab-
sieht und die Accentlehre in Verbindung mit der Flexions-
lehre übt Mit gewissenhafter Unterordnung unter die Lehr-
pläne meidet F. ferner solche Vokabeln, die nicht in den
Schulschriftstellern vorkommen, und unregelmäfsige Formen der
Flexionslehre, sei es, weil er sie überhaupt nicht lehren, sei
es, weil er sie der Obertertia vorbehalten will. Den Lehrstoff
bieten vorwiegend zusammenhängende Übungsstücke; dafs er ihn
nicht nur, wie es die Lehrpläne fordern, der griechischen Sage
und Geschichte entlehnt, sondern auch zahlreiche Fabeln auf-
genommen hat, glaubt F. vor Schulmännern verantworten zu
können.
Nun empflehlt Koch in dem erwähnten Aufsatze für die Ein-
übung des Verbums einen Unterrichtsgang, bei dem nicht blofs
der zweifelhafte Grad der Unregelniäfsigkeit, sondern ebenso sehr
angez. voo P. Weirseofels. 691
die Häufigkeit des Vorkommeos io der Lektüre, speziell in den vier
ersten ßöchern der Anabasis, entscheiden soll. Freilich gesteht er,
dafs- wir natürlich nicht alle Verba auf einmal besprechen können
und selbstverständlich die Verba auf fii erst dann einüben dürfen,
wenn die Konjugation auf co festsitze; dafs es auch empfehlens-
wert bleibe, die v. liquida als eine besondere Gruppe nach den
übrigen Verben auf to zu behandeln; die Häufigkeit des Vorkom-
mens ist also auch ihm für eine ganz erkleckliche Zahl von Ver-
ben nicht Grund genug, diese zum Gegenstande einer zeitigeren
Obung zu machen. Dagegen verlangt er um so bestimmter, dafs
nach dem Präsens und Imperfektum zunächst die Aoriste geübt
werden und die zweiten nicht später als die ersten, danach erst
das in der Anabasis so viel seltenere sigmatische Futurum; die
Perfektformen aber, die ihrer Bildung nach besonders schwierig,
ihrem Vorkommen nach besonders selten seien, würde man nach
ihm nicht bei jeder Verbalklasse besonders, sondern erst nach Ab-
solvierung der sämtlichen regelmäfsigen Verba, also nach den v.
liquidis und unmittelbar vor den Verben auf fn zu behandeln
haben, und zwar würde man mit dem passiven Perfekt beginnen
müssen, das besonders seltene aktive dagegen nur bei Gelegenheiten
in der Lektüre zu erklären nötig haben. Durch diesen Lehrgang,
meint Koch, werde der Anfänger auch nicht zu der Meinung verleitet
werden, das griechische Perfeklum entspreche in der Regel dem
deutschen. HoiTentlich setzt Koch nicht solch einen Apparat in
Bewegung, um einer Wirkung des geläufigen Unterrichtsganges
vorzubeugen, die auch durch andere Mittel verhütet werden kann.
Im übrigen: begnügen wir uns, wenn die Vorkenntnisse zum Ver-
ständnis der Anabasis im Augenblicke des Bedarfs vorhanden sind,
und lassen wir über die Reihenfolge, in der diese Vorkenntnisse
dem Schuler eingeprägt werden sollen, rein praktische Gründe .
entscheiden. Und welche Erwägungen könnten uns da bestimmen,
Aoriste wie sldov^ sXaßov, svqov gleich in dem ersten Lesestücke
dem Anfanger zuzumuten und den Unterricht, der, systematisch
betrieben, mühelos zum Ziele fuhrt, zu einem guten Teile als eine
Quälerei des Gedächtnisses zu betreiben? Doch Koch behauptet
auch, die Einübung der Perfekte sei besonders schwierig, schwie-
riger als die der Aoriste. Mich lehrt die Praxis im Gegenteil,
dals die Perfekte nach Flexion, Betonung und Lautveränderungen
nicht im Entferntesten so schwer fallen wie die Aoriste; und
wenn ich die Schwierigkeiten beider Tempora nach Zahl und Art
vergleiche, so scheint mir das ganz natürlich. — Man wird es auf
Grund solcher Erwägungen billigen müssen, dafs F. nicht alle
Forderungen für verbindlich erachtet, die Koch mit Stentorstimme
gestellt hat: dafs er die zweiten Aoriste slaßov, sldov^ ^l&ov
zwar — wie viele vor Koch — in das Untertertianerpensum auf-
genommen, aber nicht — wie Koch in seinem Cbungsbuche —
von der ersten Lektion an verwendet hat, sondern erst als die
44»
692 K. Fecht, Griech. Übangsbachf. um., ac^z. v. P. WeifsenfeU.
V. muta den Anlafs boten, die völlig verständlichen zweiten Tem-
pora durch solche zu erweitern, die wenigstens bis auf ihr Ver-
hältnis zum Präsens verständlich sind; dals er Futurum und
Aoristus der verschiedenen Klassen nicht trennt; dafs er die Per-
fekta des Aktivums übt und diese wie die des Passivums, wenn
auch mit Koch nach dem Futurum und Aoristus, so doch gegen
Koch wie die übrigen Tempora in drei Abschnitten unter den
einzelnen Verbalklassen lehrt, statt sie in ihrer Gesamtheit hinler
die V. liquida zu verbannen.
F. übt S. 1 — 24 die 0- und A - Deklination , daneben die
Enklisis, einige Formen der Kopula und des Präs. Akt und Pass.;
S.24— 62 die dritte Deklination, daneben das Imperf. Akt. und Pass.,
das Part. Präs. Akt. und einige Formen des Aor. I und Fut. Akt.;
S. 62 — 110 die v. pura, muta und liquida. Ein Anhang enthält ein
Vokabularium zum Memorieren, dessen Nummern den Nummern
der Übungsstucke entsprechen, und ein alphabetisches griechisch-
deutsches und deutsch-griechisches Wörterverzeichnis. Zur wei-
teren Unterstützung des Schülers dienen Vokabeln und syntak-
tische Regeln, die den einzelnen Übungsstücken vorangestellt sind.
Diese sollen nicht memoriert werden; der gröfste Teil derselben,
der sich sechsmal oder öfter wiederholt, wird aus der blofsen
Übung im Übersetzen in das Gedächtnis übergehen. Die Num-
mern der 0- und A-Deklination gruppieren den Stoff nach dem
Accente des Nom. Sing, und ermöglichen daher eine Verbindung
der Flexions- und Accentlehre. Aber gar lange hält F. den
Schüler bei diesen beiden Deklinationen (S. l — 24) auf, vielleicht
ein langes Quartal hindurch; und da er daneben einen ganz ge-
ringen Teil der Konjugation übt, so fehlen ihm die unerläfslichen
Erfordernisse, durch den Inhalt der Sätze auch nur einigermafsen
zu fesseln. Weil nach den preufsisclien Lehrplänen die Lektüre
möglichst bald zu zusammenhängenden Lesestücken übergehen soll,
so stellt auch der Badenser schon S. 7 eine Verbindung der Einzel-
sätze durch di oder ydg her und wagt gar S. 8 ein aus 17 Sätzen
bestehendes Lesestück über Minos und Daidalos. Es kümmert ihn
dabei nicht, dafs von den 17 Sätzen die ersten 8 ungefähr auf
alle Tyrannen passen, und seinerseits von dem Versuche befrie-
digt, liefert er fortan vorwiegend zusammenhängende Lesestücke.
Wie hier der Inhalt der Form dienen mufs, mögen zwei Beispiele
lehren. In einem Berichte über die Schlacht bei Salamis, der
die Flexion der Stämme der dritten Deklination auf v einüben
soll, heifst es: „Mit Recht wurde Miltiades, der Anführer der
Griechen, für einen wackeren Hirten seiner Soldaten gehalten.
0 Miltiades, Hirt deines Heeres, immerfort wurdest du von den
Menschen wegen deiner Tapferkeit bewundert*'. Und noch S. 72
erzählt F. von einem Zuge der Perser gegen Griechenland in so
nichtssagenden Wendungen, dafs sich schlechterdings nicht be-
stimmen läfst, welchen Zug er eigentlich im Sinne habe. Von
0. Wendt, Encyklopädie d. engl, Uoterr., agz. v. E. Goerlicli. 593
solcher Gleicbgiltigkeit gegen den Inhalt sind natürlich stilistische
Unebenheiten unzertrennlich; aber selbst Fehler gegen unbestrit-
tene Thatsachen der Syntax sind dem Verf. zuweilen begegnet
Züllichau. P. WeiTsenfels.
Otto Wendt, Encyklopädie des englischeD Unterrichts. Metho-
dik Qod Hilfsmittel für Stndiereode und Lehrer der englischen Sprache
mit Rücksicht aof die Anforderungen der Praxis. Hannover 1S93,
Carl Mever. VH a. 260 S. 4 M.
Seiner Encyklopädie des französischen Unterrichts hat W.
jetzt die des englischen Unterrichts folgen lassen.
Das Buch will in erster Linie der Praxis dienen; es will dem
Anfanger im Unterricht die Wege zeigen, die er zu wandeln hat,
und ihn auf die Hindernisse aufmerksam machen, die er zu ver-
meiden, bezw. zu überwinden hat. Es wendet sich, wie mir scheint,
zunächst mehr an die Autodidakten, an die Mittelschullehrer,
kurzum an solche Lehrer, die keine akademische Vorbildung ge-
nossen haben und auch nicht die pädagogische Vorbildung unserer
Kandidaten des höheren Lehramts erhalten. Allerdings will es,
nach der Angabe auf dem Titelblatt zu schliefsen, auch den Stu-
dierenden ein pädagogisches Hilfsmittel sein; allein für diese
scheint mir das Buch weniger passend. Denn einmal stehen dem
Studierenden der englischen Philologie zur Orientierung über die
historische Entwickelung der englischen Sprache ganz andere
Hilfsmittel zu Gebote, und dann vermag ich auch nicht einzu-
sehen, welchen Zweck diese grofse Menge methodischer Ratschläge
und Winke, die 'zwei Drittel des Buches füllen, für den Stu-
denten hat. Ihn, der doch zunächst die wissenschaftliche Reife
erreichen soll, wird diese Fülle von an sich ja ganz trefHichen
Belehrungen, die aber doch nur in der Praxis erprobt werden
können, eher verwirren als aufklären. Aber der sich auf seine
praktische Lehrthätigkeit vorbereitende Kandidat des höheren
Lehramts wird in diesem Buch einen treuen Ratgeber finden, der
ihn vor mancher Gefahr warnen und über manche gefahrliche Klippe
hinweghelfen kann.
Was dem Buch seinen Wert verleiht, sind eben diese metho-
dischen Belehrungen im dritten Abschnitt. In dem zweiten Ab-
schnitt, welcher von der geschichtlichen Entwickelung
der Methodik der englischen Sprache handelt, vermifst man
vor allem die nur durch gründliches und eingehendes Studium zu
erlangende Kenntnis der historischen Grammatik und damit eine
richtige Auffassung von der Entwickelung der englischen Sprache.
Man lese, um unsere Ansicht bestätigt zu finden, nur das Kapitel
über Bildung und Charakter des Neuenglischen, besonders
S. 13.
Die Lektüre des Buches wird durch die zahlreichen längeren
und kürzeren Citate aus einschlägigen Werken, zum Teil aus sol-
594 ^' Weudl, fiocyklopädie d. engl. Unten*., a{pz. v. E. Goerlich.
eben von wenig bekannten Verfassern, sehr erschwert. Denn die-
selben sind in der Regel nur eine Wiederholung dessen, was der
Verf. vorher in anderen Worten ausgeführt hat. Auch sieht man
den Zweck der Angaben über ältere sprachgeschichtliche und
grammatische Werke nicht recht ein, Werke, die doch durch neuere
längst überholt sind und nur noch historischen Wert haben, also
keinen Platz finden sollten in einem Buch, das doch in erster
Linie praktischen Bedürfnissen genügen soll. Wichtige, besonders
für Anfänger und zum Selbststudium bestimmte Werke fehlen wie:
Körner, Einleitung in das Studium des Angels., neu
herausgegeben von Socin, ferner Wülcker, Alt engl. Lesebuch.
In den Litteraturangaben linden sich viele Ungenauigkeiten; nament-
lich sind die neuesten Auflagen nur mangelhaft angegeben.
Schwer wird es dem Anfänger sein, sich nach den Ausfuh-
rungen des Yerf.s über den Wert und die Bedeutung der Pho-
netik im Unterricht Klarheit zu verschaffen; scheint es doch,
als ob der Verf. sich selbst darüber nicht klar ist. Man lese nur
die Kapitel über den Wert der Phonetik S. 76 und über die
Anwendung der Phonetik im Unterricht S. 77 und ver-
gleiche damit die widersprechenden Aufserungen des Verf.s auf
S. 103 und 110. Statt der vielen Citate aus anderen Werken,
die den angehenden Lehrer nur verwirren, hätte er an erster
Stelle auf den lichtvollen und klaren Aufsatz Trautmanns in der
Anglia I hinweisen sollen, der in bündiger Form die hauptsäch-
lichsten Ergebnisse der Lautwissenschaft bringt.
Eigentümlich berührt es, unsern allverehrten Professor Dr.
G. Koerting, der noch in voller Rüstigkeit und Schaffensfreudig-
keit in Kiel wirkt, schon zu den Toten gerechnet zu sehen (S. 82).
W. verwechselt hier offenbar G. Körting, den Verfasser der ro-
manischen und englischen Encyklopädie und anderer für Schule
und Wissenschaft gleich wertvoller Werke, mit seinem verstorbe-
nen Bruder H. Koerting, dem Verf. der Geschichte des fran-
zösischen Romans im XVII. Jahrhundert.
Wie schon oben angegeben, liegt der eigentliche W^ert des
Buches in dem dritten Abschnitt, der von der angewandten
Methodik handelt. Hier findet der angehende Lehrer eine Fülle
sehr beherzigenswerter Belehrungen, eine Menge von der Praxis
eingegebener methodischer Winke und Ratschläge, die ihm in
seinem Anfangsunterricht grofse Dienste leisten werden. Nach
einigen Bemerkungen, welche die allgemeine pädagogische Vorbil-
dung der Lehrer betreffen, bespricht der Verf. den englischen
Unterricht, wie er sich auf den einzelnen Stufen: Unter-, Mittel-
und Oberstufe, nach der methodischen Seite hin sich zu gestalten
hat, und zwar nach folgenden Gesichtspunkten: A. Auswahl und
Verteibtng des Stoffes, B. Darbietung und Auffassung des Unter-
richtsstoffes, C. Von der Aussprache, D. Lektüre, E. Gramnuüik^
F. Der Wortschatz, G. Die' Konversation, H. Die schriftlichen Übungen^
K. Lamprecht, Deutsche Geschichte, aogez. v. K.Fischer. 595
Es würde zu weit fuhren, im Einzelnen diese Kapitel durch-
zugehen und zu besprechen. Wenn man in vielen Punkten auch
anderer Meinung ist als der Verf., und manche Bemerkungen zu
direktem Widerspruch herausfordern, so kann man doch die Lek*
töre dieses zwei Drittel des Buches umfassenden Teiles dem an-
gehenden Lehrer dringend empfehlen. Hier steht der Verf. auf
festem Boden, hier schöpft er aus dem reichen Quell seiner pä-
dagogischen Erfahrungen und teilt reichlich mit von dem, was
jahrelange, gewissenhafte Arbeit verbunden mit strenger Selbst-
kritik und eifriger Fortbildung ihn gelehrt hat.
Dortmund. Ewald Goerlich.
Karl Lamprecht, Deutsche Geschichte. V. Bd. 1. Hälfte. Berlin 1894,
R. Gärtners Verlag, Herrn. Heyfelder. XIII u. 358 S. 8. 8 M. geh,
Dieser Band fuhrt die Geschichte vom Ende des 15. Jahr-
hunderts bis 1534; der Stoff ist in zwei Bücher — das 14. und
15. — verteilt, von denen das erste bis zum Auftreten Luthers,
das zweite bis 1534 reicht. Die Einleitung versucht einen Über-
blick über die charakteristischen Entwickelungspunkte der neueren
Geschichte zu geben; das 1. Kapitel des 14. Buchs giebt eine
Übersicht über die äufsere Geschichte unter Maximilian 1, das
2. Kapitel stellt „wirtschaftliche und soziale Wandlungen vom 14.
zum 16. Jahrhundert*', das 3. Kapitel „Entwicklung der indivi-
dualistischen Gesellschaft'' dar; im 4. Kapitel folgt „Erste Blüte
individualistischen Geisteslebens^'. Das 15. Buch stellt in zwei
Kapiteln den oben bezeichneten Abschnitt dar.
Das Verständnis und damit die Beurteilung dieses Bandes ist
wesentlich dadurch erschwert, dafs der vorhergehende Band noch
nicht erschienen, der Leser also vielfach auf Vermutungen bezw.
Citate angewiesen ist, die nicht vergleichbar sind. Jedenfalls hat
Ref. sich bei der Einleitung und dem 2. und 3. Kapitel des
14. Buchs recht erheblicher Bedenken nicht erwehren können.
Wenn Einl. S. 9 gesagt wird, dafs die italienische Renaissance
auf einer „atomisierten" Gesellschaft sich erhoben habe u. s. w.,
so kann dies nur als zu weit gehend bezeichnet werden, Italien
trug noch „Fesseln des M.A." genug, und wenn trotzdem die
nene Kultur dauerte, so darf nicht vergessen werden, dafs Italien
doch das Mutterland der Renaissance war, sowie dafs deren fürst-
liche Mäcene durch eifrige Förderung der neuen Kultur ihrer
usurpierten Gewalt neue Stützen und ihrer Person bzw. Familie
dynastischen Glanz geben wollten.
Wenn S. 10 vom „modernen Subjektivismus" im Gegensatz
zum Individualismus gesprochen wird, so ist dies nicht ohne
weiteres verständlich, umso weniger, als wenige Sätze weiter be-
hauptet wird, die ., Kultur des Individualismus" sei „im Absterben"
begriflen; es ist hier nicht möglich, die Unhaltbarkeit des ganzen
596 ^' Lamprecht, Deutsche Geschichte,
Absatzes, so wie er dasteht, darzulegen; Dicht minder bedenklich
ist die Annahme, die S. 11 und 12 zu Grunde zu liegen scheint,
als sei „volle Ungebundenheit^' des Individuums überhaupt erreich-
bar, denn dals selbst die äufsersten Spitzen des Individualismus,
M. Stirner und ^ietzsche, nicht ,,ungebunden'' sind, wolle man
bei ihnen selbst nachlesen.
Schief ist auch der Vergleich zwischen Luthers und Kants
Lehren. Abgesehen davon, dafs die Grundlagen und Ausgangs-
punkte beider Lehren inkommensurabel sind, so ist Luthers „Hin-
gabe an die Gnade Gottes'' sachlich nichts anderes, als dafs durch
jene Hingabe des Menschen Wille in demselben Liebesgeleise fahrt,
wie der Gottes. Es ist auch nicht richtig, dafs Kant das Indi-
viduum „nur auf sich stellt'' und jede Autorität verwirft; denn er
erkennt ein „Sittengesetz" an.
Mit der Auffassung und Darstellung im 1. Kapitel des 14. Buchs
ist Ref. im ganzen einverstanden, nur dafs Maximilian erst spät
begriffen hat, wie der Verf. S. 322 ausdrücklich sagt, dafs seil
ca. 1450 nur noch eine „föderalistische" Reform der Reichs-
verfassung möglich gewesen sei, widerspricht doch der Thatsache,
dafs die letztere bereits durch die goldene Bulle in jene Richtung
gezwungen war, und dafs später die Reformversuche der Stände
wesentlich nichts anderes wollten, als die Vorherrschaft der Kur-
fürsten durch die der Reichsfursten ersetzen.
Schwerwiegende Bedenken hat Ref. bezüglich des 2. und
3. Kapitels. Die Gestaltung des Stoffes giebt kein richtiges Bild
von der gewaltigen, sich stets steigernden Wucht der thatsäch-
lichen Entwickelung, sie bietet nur Stücke, allenfalls einen Quer-
schnitt, der aber chronologisch verzogen ist und wichtige Essenzen
des immer mehr anschwellenden Oppositionssturms unbeachtet läfst«
Der Raum verbietet Ref., positive Gegenvorschläge zu machen, er
mufs sich vielmehr auf einzelne Beispiele beschränken. Weder die
christlich-sozialen Bewegungen, noch die sozialen Llnterströmungen,
oder die abergläubischen Inpendienzien und der materialistische
Kern des Zeitgeistes, noch die volkstümlich-litterarische Bewegung
kommen ausreichend zur Geltung; der Fortschritt in der Ver-
schlechterung der materiellen Lage der Bauern wie des Adels,
namentlich auch das massenweise Verschwinden desselben in
ganzen Landschaften, kommt nicht ausreichend zur Anschauung,
die Darstellung ist auch hier z. T. durchbrochen und zerschnitten;
von dem thatsächlichen Verlauf, der sich an die Aufnahme des
Römischen Rechts knüpft, erhält der Leser keine klare Vorstellung;
die Kriegsverfassung ist kaum berührt; die sogenannten Refor-
matoren vor der Reformation bleiben so gut wie unberücksichtigt,
und doch ist andererseils Luthers Lehre von der ihrigen nicht
scharf genug geschieden u. s. w.
Es giebt doch, um noch einige Einzelheiten zu berühren,
Anlafs zu starkem Mifsverständnis, wenn die Anfänge einer „weit-
aagez. von K.Fischer. 697
wirtschaftlichen Bewegung*' schon ins 14. Jahrhundert verlegt
werden; internationalen Handel gab es damals, aber er war schon
über die Anfange hinaus; von Welthandel vor der Entdeckung
der neuen Weit oder von Weltwirtschaft vor dem Beginn der
Volkswirtschaft zu reden, ist doch nicht am Platze.
Wenn die Darstellung der italienischen Renaissance kürzer
gefafst wäre, würde die Entwickelung der deutschen Musik, die
gar nicht erwähnt ist, die ihr gebührende W^ürdigung haben finden
können ; auch die Glasmalerei bleibt unerwähnt, die S. 134 ge-
äufserte Ansicht über „ein weitverbreitetes und vielfach enthu-
siastisch gewandtes Verständnis der nationalen Einheit'' sowie. die
„nationalen Ziele" der damaligen „Geschichtschreibung'' bedürfte
wesentlicher Einschränkung und Erläuterung; desgleichen der Satz
S. 143 über die Inquisition, die „auch noch im 15. Jahrhundert
in Deutschland wohlorganisiert" gewesen wäre; ähnlich verhält es
sich mit dem Vergleich zwischen Dante und Luther (S. 151 f.).
Gerade in diesen sachlich so vielfach anfechtbaren Kapiteln läfst
auch die Form viel zu wünschen übrig, wovon hernach.
Das 15. Buch ist von all diesen Mängeln durchaus frei, abge-
sehen davon, dafs der Gang der Ereignisse, die im 2. Kapitel zur
Darstellung kommen, mehrmals durchbrochen ist, sowie abgesehen
von manchen Einzelheiten — z. B. di& „aligemeine Spannung
zwischen Fürsten und Adel" (S. 328) ist doch mindestens ein Jahr-
hundert älter als 1500 — ist dieser Teil durchaus erfreulich; das
1. Kapitel verdient sogar in jeder Beziehung ungeteiltes Lob und
warme, aufrichtige Anerkennung.
Wie bemerkt, sind die sachlichen und sprachlichen Mängel
meist vereint, das 15. Buch ist durchweg frei von ihnen; die
sprachliche Darstellung des 1. Kapitels dieses Buches daif als
meisterhaft bezeichnet werden. Um so mehr Bedenken erregen
nicht wenige Stellen im 14. Buch, besonders im 2. und 3. Kapitel.
Dafs zwei Sätze hintereinander stehen, die beide kein Verbum
haben, kommt S. 153, dafs ein Satz nicht konstruierbar ist, S. 155
vor. Auf früher berührte Mängel wird nicht weiter eingegangen.
Gar zu häufig wiederholt sich die W^endung: Es ist (war u. s. w.)
„klar^^; unerfreulich sind in einem solchen Buch die abgegriffenen
modernen Münzen: „eigenartig", „schüeMch", „im Ernstfall"; ge-
wagt sind: interurban, Gewährschaft, tagediebend,. Wagegefühl des
fanatischen Gönnens (S. 128); unterlegenes Gegenstück; unrichtig
sind: Hindernis des Fortschritts, langwierig ausschauend; und
warum Ausdrücke wie: im rechten Bett erzeugte Söhne (S. 22)?
Und dann die modernen Fremdwörter: „konstruiert'' kommt sehr
häufig vor, auch organisieren, disziplinieren, differenzieren, sodann
liest man: Evolution des kapitalistischen Individualismus, individua-
listische Differenzierung, systematisch konstruiertes Reform programm
auf Grund kommunistisch - sozialistischer Ideen, kaufmännische
Prostitution der Persönlichkeit in Ilumbug und Reklame, Differen-
698 ^- ^' Krüger, Geschichte der Griechen uod Römer,
zierung der Personenzellen des nationalen Körpers, kuitische Nar-
kotisierung, demokratische Illustrationstechnik.
Ref. bedauert aufrichtig, dafs er bei diesem Band solche Be-
denken hat erheben müssen.
Wiesbaden. Karl Fischer.
C. A. Krüger, Geschichte der Griechen and Rümer mit Berück-
sichtigung der morgenlä'ndischen Völker. Nach den neuen preofsischen
Lehrplänen bearbeitet. Mit 50 Abbildungen. Danzig 1893, Ernst Groihn's
Verlag. 112 S. 8. 0,60 M, geb. 0,80 M.
C. A. Krüger, Geschichte Deatschlands von der älteren Zeit
bis znrGegenwart Unter Berücksichtignng der wichtigsten aoTser-
dentschen Ereignisse nach den neuen preufsischen Lehrplänen bearbeitet
Mit 60 Abbildungen. Danzig 1893, Ernst Gruihn's Verlag. 234 S. 8.
1,40 M, geb. 1,80 M.
Aufser den vorstehend angeführten Buchern hat der Verf. in
gleichem Verlage schon früher eine Reihe anderer Werke erscheinen
lassen, die zum Teil eine stattliche Anzahl von Auflagen in kurzer
Zeit erlebt haben: 1) Geschichtsbilder für Schulen (Erzählungen
aus dem Altertum, der deutschen und brandenburg - preufsischen
Geschichte) in drei verschiedenen Ausgaben (für Schulen beider
Konfessionen 18. Aufl., für evangelische Schulen 10. Aufl., für
katholische Schulen 14. Aufl.); 2) Bilder aus der Weltgeschichte
und Sage für Schulen, 4. Aufl.; 3) Die Weltgeschichte in Lebens-
bildern, ein Lehr- und Lernbuch für Schulen, 4. Aufl.; 4) Ge-
schichte Preufsens in Einzelbildern, unter Hervorhebung der
landesväterlichen Wohlfahrfsbestrebungen der Hohenzollern nach
den neuen kaiserlichen und ministeriellen Erlassen bearbeitet. Ref.
glaubt den Hinweis auf diese Werke nicht unterdrücken zu sollen,
weil auch den hier zur Besprechung kommenden Büchern, wie
sich unten zeigen wird, der Charakter des Bilderhaften in
hohem Mafse eigen ist, weil sie ganz deutlich sich als durch eine
Reihe mehr oder weniger geeigneter Zuthaten erweiterte Ge-
schichtsbilder dokumentieren. Der Verf. verrät dies selbst,
wenn er in dem Vorwort zu beiden Büchern die gleichlautende
Bemerkung bringt, er ,,habe den persönlichen Zügen und
charakteristischen Aussprüchen berühmter Männer, sowie
der geschichtlichen Sage einen angemessenen Platz eingeräumt*.
Deshalb hat er auch wohl weder beiden Büchern die Bezeichnung
eines Leitfadens oder Hültsbuches gegeben, noch deutlich erklärt,
für welche Art von Schulen er sie bestimmt oder für
geeignet hält Im Gegenteil erklärt er im Vorwort zur Geschichte
Deutschlands, die Darstellung sei „so gehalten, dafs das Werk sich
auch zur Einreihung in Jugend-, Volks- und Schul-
bibliotheken eignet*'. Da aber auf den Titeln beider Bücher
ausdrücklich vermerkt ist, dafs sie „nach den neuen preufsischen
Lehrplänen bearbeitet" seien, so mufs der Verf. es sich schon
gefallen lassen, wenn wir seine Werke in erster Linie nicht nach
aogez. voD F. Ohly. 699
dem angedeuteten Nebenzweck beurteilen, sondern eben auf Grund
der Lehrpläne die „Geschichte des Altertums^^ von dem Standpunkt
eines Lehrbuches für Quarta, die „Geschichte Deutschlands'' von
dem eines Lehrbuches für die Klassen Untertertia bis Untersekunda
einschliefslich einer Prüfung unterziehen.
Was zunächst die „Geschichte der Griechen und Römer''
anlangt, so wird in § 1 eine kurze Beschreibung Griechenlands^)
vorausgeschickt, dann in § 2 die Religion der alten Griechen
dargestellt, in ziemlich dürftiger Weise. Denn aus den kurzen
Notizen wird der kleine Quartaner einen richtigen Begriff von den
Vorstellungen der alten Griechen, über das Wesen und die Eigen-
schaften ihrer Götter (insbesondere z. B. der I^allas Athene und
des Phoebus Apollo) schwerlich bekommen. Den griechischen
Namen sind sogleich in Klammern die bei den Römern üblichen
Bezeichnungen beigefügt, wodurch der Verf. einen entsprechenden
Paragraphen bei der römischen Geschichte glaubte ersparen zu
können, — ein Verfahren, das selbst für die Unterstufe, zumal in
dieser Allgemeinheit, durchaus nicht zu billigen ist. § 3 handelt
vom „Orakel im allgemeinen" und dem delphischen Orakel im
besonderen (fast 2 Seiten), § 4 von den olympischen Spielen, denen
mehr als 2 volle Seiten gewidmet werden. Die Darstellung ist so
ausführlich und ins Einzelne gehend — selbst die Geschichte von
Diagoras und seineu ruhmgekrönten Söhnen fehlt nicht — , dafs
man ganz erstaunt ist sie in einem Lehrbuch zu finden, während
sie in einem deutschen Lesebuch für diese Stufe wohl am Platze
wäre. Dasselbe gilt von den Abschnitten 5 — 12 einschl., in denen
auf 21 Seilen die griechischen Sagen von Perseus (l S.), Her-
cules (5 S.), Theseus (2 S.), „Üdipus und die thebanischen Kriege"
(\i S.), der Argonautenzug (1 S.), der trojanische Krieg (fast 4 S.),
Odysseus (mehr als 4 S.)'), Orestes, Pylades und Iphigenia (mehr
als 1^ S.) in behaglicher Breite erzählt werden. Ref. will damit
gegen den Ton der Erzählung durchaus keinen Vorwurf er-
beben, denn dieser ist vielmehr sehr ansprechend und sicher
geeignet, in den jugendlichen Herzen Freude am dargebotenen
Stoff zu erwecken. So wird vielfach mit Geschick und in offen-
bar bewufster Anlehnung an die Darstellung der griechischen
Schriftsteller selbst (Homer u. a) zur Belebung das Mittel von
^) Bei einigen Namen der alten Geographie ist eine Beirdgung der
modernen angemessen und sogar erwünscht, wie z. B. Theben (jetzt Thiva),
Corcyra (Corfn), fioboea (Negroponte), bei anderen dagegen, wie Messene
(jetzt Maoromati), Mantinea (jetzt Palaeopoli) mindestens überflüssig. Von
den Inseln an der Küste Kleinasiens wird nor Lesbos nod die in der eigent-
lichen griechischen Geschichte doch gar nicht in Betracht kommende Felsen-
iosel Patmos genannt, eher wären doch Chios, Samos', Rhodos am
Platze gewesen.
*) In 4 Zeilen wird am Schlofs dieses Abschnitts Homer als angeb-
licher Verfasser der Iliade und Odyssee bezeichnet.
700 C. A. Kriig:er, Geschichte der Griechen nod Romer,
Rede und Gegenrede angewendet, wie denn z. B. Rektors Abschied
von Andromache eine halbe Seite einnimmt, beim Kampf zwischen
Hektor und Achill weder des ersteren Bitte um ehrenvolle Be-
handlung noch des letzteren furchtbare Drohung fehlen, Priamus
den göttergleichen Achill unter Thränen um die Leiche des er-
schlagenen Sohnes anfleht (10 Zeilen), Odysseus in längerer Rede
den Griechen seinen listigen Anschlag mit dem hölzernen Rosse
auseinandersetzt (11 Zeilen!). Ja, bei Odysseus' Aufenthalt bei den
Phäaken läfst sich der Verf. durch „die Freude am einzelnen
Leben'' so weit verleiten, dafs er nicht nur die Teilnahme des
Helden an den Wettkämpfen der phäakischen Jünglinge erzählt,
sondern auch Alkinous und seinen Sohn mit Odysseus reden und
den Helden selbst mit zürnenden Worten den Hohn eines anderen
Jünglings zurückweisen läfst, der dann seinerseits reumütig sein
kränkendes Wort unter Darbietung eines schönen Schwertes zu-
rücknimmt und nun von Odysseus für sein „versöhnliches Gemule*'
belobt wird (S. 26). Bei solcher Ausführlichkeit, die trotzdem
noch manches unbedingt Wissenswerte dem Schüler vorenthält^),
kann es uns nicht wundern, wenn die Darstellung der Sagen
— und eigentlich mufs man dazu noch die mit sagenhaften
Zügen ausgeschmückte dorische Wanderung (Codrus' Opfertod), die
lykurgische Gesetzgebung (Blutsuppe — Alkander — Ausspräche von
Spartanerinnen), die messenischen Kriege (Aristodemus opfert seine
Tochter — die 100 Dreifüfse — Aristomenes — Ira), die Sprüche
der sieben Weisen Griechenlands (in Vofs' Übersetzung angeführt)
rechnen, womit weitere 4 Seiten angefüllt werden — einen
Umfang annimmt, der zu dem der eigentlichen griechi-
schen Geschichte in gar keinem Verhältnis steht. Denn
so erhallen wir 25 Seiten Sagen und sagenhafte Vorgeschichte
gegenüber 15 Seiten eigentlich griechischer Geschichte, von denen
noch mehr als 2 Seiten „Griechenlands Blütezeit in Kunst und
Litteratur'' behandeln, und 5 Seiten macedonisch-griechischer Ge-
schichte bis zu Alexanders Tod und der Zeit der Diadochen! Wie
verträgt sich das nun mit der Forderung der neuen preufsi-
schen Lehrpläne, nach denen „Erzählungen aus der sagen-
haften Vorgeschichte der Griechen und Römer*' zwar dem Pensum
der Quinta, „die eigentlichen Sagen des klassischen
Altertums aber der altsprachlichen Lektüre und dem
1) So wird z. B. in der Odipnssafce weder daa Eode des Odipna
erzählt, noch ist von seinen Töchtern Antig^oue and Ismene irgendwie die
Rede. Bei dem trojanischen Kriege vermifst man ungern die Gesehichte vom
Erisapfel und dem Urteil des Paris, etwas von der Abstammang und
Jagend, den Waffen des Achilles, and es ist kaum za begreifen, weshalb
unter den griechischen Helden weder Aias Telamonios, noch des Oileus
Sohn, weshalb bei der Sage vom hölzernen Pferd Laokoons Name nicht
genannt wird, obschon später unter den Kanstwerken die Laokoon - Gruppe
aufgezählt wird.
angez. von P. Ohly. 701
deutschen Unterrichte zugewiesen*' sind und „die Be-
handlung der Zeit vor Solon auf das knappste Mafs zu be-
schränken'* ist? Es liegt auf der Hand, dafs diese übel ange-
brachte Weitschweifigkeit die Behandlung der eigentlichen
griechischen Geschichte entgelten mufs, und diese ist denn
aach in der That dürftig genug. Bei üarius' Scythenzug, auf
den in der persischen Geschichte nur mit einer Zeile hingewiesen
wird, ist von der Teilnahme der griechischen Fürsten, von der
Haltung eines Histiäus und Miltiades mit keiner Silbe die Rede,
und bei dem für das Verständnis der Perserkriege so wichtigen
ionischen Aufstande begnügt sich der Verf. mit einer Andeutung
von 4 Zeilen! Man begreift gar nicht, wie mit einem Male die
Griechen „unter dem tapferen Miltiades" stehen, der bis dahin
gar nicht hervorgetreten ist und auch an dieser Stelle nicht etwa
als einer und zwar der bedeutendste der 10 Strategen hervortritt.
Wenn im folgenden die Vorgänge bei Artemisium und die
Schlacht bei Mykaie unerwähnt bleiben, so ist das schon auf-
fallend genug, wenn wir aber von Cimon zwar einige Anekdotchen,
sonst jedoch nur hören, dafs er als „Liebling des Volkes und der
Soldaten" letztere „von einem Siege zum andern führte" — ge-
nannt wird keiner mit Namen, weder die Doppelschlacht am
Eurymedon, noch der Sieg seiner Flotte bei Salamis — , dafs
er dennoch „auf Anstiften eines (!) mächtigen Feindes aus seiner
Vaterstadt verbannt" wurde ^), so ist solche Lückenhaftigkeit, in
dieser Glanzperiode griechischer Geschichte zumal, durch nichts
ZQ entschuldigen. Der Übergang der Hegemonie von Sparta auf
Athen, die Gründung des attischen Seebundes, der dritte messenische
Krieg werden gar nicht berührt, ja sogar der peloponnesische
Krieg mit einigen ganz allgemeinen Andeutungen ohne Angabe
irgendwelcher besonderen Kriegsereignisse') — die Pest und
Perikles' Tod werden freilich erwähnt — derartig kurz ab-
gethan, dafs er nur als Hintergrund zu dem Lebensbilde des
Alcibiades erscheint Ferner fehlen gänzlich der Rückzug der
Zehntausend, der Krieg der Spartaner mit den Persern (Agesi-
laus), der korinthische Krieg und der Friede des Antalcidas,
der 2. und 3. heilige Krieg und überhaupt Genaueres über
Philipps Versuche, in die griechischen Verhältnisse sich einzu-
mischen*), endlich aus der macedonischen Zeit der Aufstand und
^) CimoDS Tod vor Citiom fehlt natürlich an eh.
') Nicht INicias, nicht Lamachas, nicht Kleon, nicht Lysander,
um von anderen zu schweigen, werden erwähnt, nichts von Decelea oder
Amphipolis, and von der sizilischen Expedition hören wir nur, dafs
DQter Alcibiades, der doch schon vorher nach Argos, dann nach Sparta ent-
weicht, „anfänglich alles gnt ging'^, dafs aber dann, nachdem man za Sparta
„aof seinen Vorschlag eingegangen war, die Athener gänzlich geschlagen
worden und nnr wenige ihre Vaterstadt wiedersahen'S
') Es heifst S. 63 einfach: „Nachdem Philipp mit den Griechen (!) Krieg
angefangen hatte, kam es bei Chaeronea zur Schlacht^S
702 C. A. Krüger, Geschichte der Griechen und Römer,
die Zerstörung Thebens (durch Alexander). Wenn nun trotz
dieser Lückenhaftigkeit die griechische Geschichte noch soviel
Raum einnimmt, als ihr hier vergönnt ist, so erklärt sich das nur
daraus, dafs der Verf. sich nicht genug daran thun kann, den
kärglichen StolT durch alle möglichen beglaubigten oder nicht be-
glaubigten Geschichtchen und Anekdoten zu würzen und
schmackhaft zu machen. Ja, diese Geschichtchen, nicht die Ge-
schichte sind ihm geradezu die Hauptsache, Geschichtsbilder
sind es, die er bietet, keine fortlaufende Geschichtserzählung! Dafs
er, um die Übersichtlichkeit zu erhöhen, wo es anging, die bio-
graphische Anordnung wählte, ist ja für diese Stufe wohl zu
billigen, aber der Verf. hätte sich dabei vielleicht Stacke zum
Muster nehmen und nicht die wichtigsten historischen Ereignisse
nur als Beiwerk betrachten sollen! Er wäre dann sicherlich vor
solchen Verirrungen bewahrt geblieben, dafs z. B. das mit zahl-
reichen „Charakterzugen" ausgeschmückte Lebensbild des Sokrates
(„er trank nicht sogleich, wenn er erhitzt war" — 4 Zeilen)
genau ebensoviel Raum einnimmt, wie die Suprematie Thebens
unter Epaminondas und Pelopidas. Wie sehr es dem Verf. um
solche Anekdoten zu thun ist, möge eine kurze Aufzählung
derselben, die auf Vollständigkeit keinen Anspruch macht,
beweisen: die List des PisiBtratus (7 Zeilen), der nicht die
Zither spielende Themistokles, Aristides schreibt selbst für
einen Burger seinen Namen auf das Ostrakon (5 Zeilen), Pausanias'
Ende (15 Zeilen: Mitwirkung der eigenen Mutter), Cimons Gärten,
Perikles läfst dem ihn scheltenden Borger nach Hause leuchten,
der Knabe AIcibiades und der Fuhrmann (5 Zeilen!), Alcibiades'
Ende (6 Zeilen), Pelopidas und Epaminondas „bei einer früheren
Schlacht im Peloponnes" (9 Zeilen), der unbestechliche Epami-
nondas (12 Zeilen), endlich die zahlreichen Alexander-Anekdoten
(Bucephalus 13 Zeilen, A. und Diogenes i Seite, A. und sein Arzt
16 Zeilen, A. und seine durstenden Soldaten, Darius' Ende 16 Zeilen,
Clitus' Tod 10 Zeilen, A. und die Könige in Indien — Namen
werden nicht genannt — 15 Zeilen!).
Vermissen wir so hier bei dem Verf. jedes Mafshalten, so
können wir es in dem Abschnitt über die morgen ländischen
Völker, wo die Versuchung, Sagenhaftes einzuschalten, noch
gröfser ist, erst recht nicht erwarten. Dafs der Verf. die morgen-
ländischen Völker berücksichtigt, entspricht ja durchaus den For-
derungen der Lehrpläne. Aber anstatt sich hier möglichster
Knappheit zu befleifsigen, verliert sich der Verf. so sehr ins Weite
und Breite, dafs dieser Abschnitt, ebenso wie der erste über die
griechischen Sagen, durchaus den Charakter eines Lesebuches an
sich trägt. Zunächst wimmelt es auch hiervon Anekdoten. Die
Cyrus-Geschichte wird mit alP ihren bekannten Ausschmückungen
bis auf den „Boten des Harpagus'' (Brief in einem zugenähten
Hasen!) und die „zwei ungleichen Tage'' (10 Zeilen!) berichtet.
r
aogez. voD F. Ohly. 703
oud nur beim Traum des Aslyaged uuü dem Ende des Cyrus
(Massagetenkönigin Tomyris) findet sich der Hinweis, dafs dies in
den Bereich der Sage gehöre, alles übrige ist also wohl als bare
Münze zu nehmen. Bei Kambyses fehlt weder die Behandlung
des unglückHchen Psammenit (| Seite), noch der Zorn des von
Äthiopien zurückkehrenden Königs über den Jubel der ob der Auf-
findung eines neuen Apis frohlockenden Ägypter, noch endlich die
Prexaspes-Anekdote^). Von dem Abschnitt über Darius nehmen
die List seines Stallmeisters bei der Königswahl und die That des
Zopyrus *^ des Ganzen ein. Bei den ägyptischen Königen sind
die Geschichten vom Schatzhaus des Rbampsinit, sowie von
Psammetichs Verbannung und Erhebung zum Alleinherrscher'),
bei den alten Phöniziern die Erfindung der Purpurfarbe und
des Glases, in der assyrisch-babylonischen Geschichte endlich die
auch als solche bezeichneten „Sagen'' von Semiramis (ihr Zug
nach Indien und die fehlgeschlagene List mit den mit Büifelbäuten
bedeckten Kamelen, die „elefantenartig aussahen''!) und Sarda-
na pal, sowie das gänzlich nach der biblischen Tradition dargestellte
Ende Belsazars') die Hauptsache. Aber mit diesen Sagen und
Anekdoten begnügt sich der Verf. nicht, sondern daneben nehmen
die Beschreibungen einen ungebührlichen Raum ein. Die
Geographie des alten Ägyptens, seine Erzeugnisse Papyrus und
Byssus, die Hieroglyphen und die Geschichte ihrer Entzifferung,
die Kasten (sämtliche 7 werden aufgezählt!), die Obelisken, die
Pyramiden (Pyramide des Königs Cheops bei Memphis), die Denk-
mäler von Theben^), die Katakomben und das Labyrinth, die Be-
schreibung Babylons und Ninives, des babylonischen Turmes, der
hängenden Gärten umfassen allein zusammen mehr als 4 volle
Seiten! Alles ist freilich mit grofser Anschaulichkeit und recht
ansprechend geschildert, z. T. mit Einzelheiten*^), wie man sie kaum
') Bei der daran aDgeschlosseoen Ermorduog des Smerdis fiodcD wir
die Aomerknng, dafs „die Erzahlang von Kambyses' Grausamkeit sageohaft
kÜDge«'.
^) Merkwürdigerweise fehlt Amasis (und die Geschichte vom Ring
des Polycrates) gaozlicfa.
') Nach den neuen Lehrpläoeo wäre gerade diese Erzählung, weil io
der bibllschea Geschichte vorkommend, hier erst recht entbehrlich.
*) Verf. weist darauf hin, dafs „die neueren Reisenden diese Bau-
werke nach den Dörfern nennen, die jetzt dort liegen", und glaubt seinen
Lesern die Namen Medinat Abu und Kurnu, Luzor, Karnak und Med
Amut (!) schuldig zu sein.
^) Sehr lehrreich ist z.B. die Wiedergabe der Hieroglyphe Alexander,
die Wiedergabe der Inschrift unter dem Bilde Saoheribs und des Namens
Nebukadnezar in Keilschrift, desgleichen die Notizen über die 17 Kolosse
auf dem Felde zu Medinat Abu („an einem hat der Zeigefinger 1 Meter Länge")
nod das über die Mumien iu den Katakomben Gesagte („viele Handerte . . .
bedecken den Boden in solcher Menge, dafs man gleichsam in ihnen watet
und im Auftreten leicht darch mehrere Mumienleiber hindurchsinkt"). Solche
Bemerkungen werden sich gewils dem Gedächtnis des Schülers leicht ein-
prägen, aber in ein Schulbach gehören sie dt^shalb doch nicht.
704 C- A. Krüger, Geschichte der Griechen aod Römer,
in einem gröfseren Werke findet, aber solche behaglich breiten
Schilderungen, die zum Teil auch ohne jede kritische Sich-
tung die Überlieferung der Alten (Herodot u. a.) einfach wieder-
geben, gehen eben über den Rahmen eines für die Unterstufe
bestimmten Lehrbuchs der Geschichte völlig hinaus. Dasselbe gilt
von dem über die Religion der morgenländischen Völker Ge-
sagten, das gewissermafsen als dritte Art von Ballast den Stoff in
einer Richtung anschwellen läfst, bei der vor allem Vorsicht ge-
boten scheint. Oder ist es wirklich nötig, dafs die Knaben schon
von dem weisen Zoroaster und „dem heiligen Buche Zend-
Avesta'' hören, dafs ihnen hier die Lehre von Ahriman und
Ormuzd in 13 Zeilen auseinandergesetzt wird? Pur die Religion
der Phönizier und Babylonier hätte sich der Verf. mit den in der
biblischen Geschichte häufiger vorkommenden Namen begnügen,
andere dagegen, wie Aschera, Melkarth, Mylitta, vermeiden sollen.
Besonders eigentümlich ist die Behandlung der Religion der alten
Ägypter. Verf. verbreitet sich über die Verehrung des Apis und
den Glauben der Fortdauer nach dem Tode, wobei kurz auch der
„unterirdische Totenrichter Osiris mit seinen 42 Beisitzern'^ er-
wähnt wird. Von dem eigentlichen Kult der Isis und des Osiris,
des Horus, oder gar des Ptah oder Ra findet sich kein Wort,
dagegen ein besonderer Abschnitt von dem „Ka, welchen man
sich als geistiges Sonderwesen (!) und Schutzgeist der Lebenden
und Verstorbenen vorstellte'S Ref. mufs offen bekennen, dafs es
ihm unklar ist, woher der Verf. die Kenntnis von diesem wunder-
baren Schutzgeist, „der nach dem Tode vom Körper sich ablöste
und als luftiges Spiegelbild des Lebenden der Seele als Gefäfs
diente, aber Ähnlichkeit mit dem Entschlafenen hatte'S schöpft. —
Soviel leuchtet ohne weiteres ein, dafs durch eine solche
Menge von Beiwerk der eigentliche historische Stoff auf ein
Minimum herabgedrückt wird, das auch den mäfsigsten Ansprüchen
nicht genügen kann. Der Verf. will offenbar sein Büchlein um
jeden Preis interessant machen, und dies Bestreben verleitet ihn
denn auch in dem Abschnitt über Griechenlands Blütezeit
in Kunst und Litteratur teils zu viel zu bieten und den Ton
der Darstellung zu hoch zu halten, teils auch hier wieder Anekdoten
einzuflechten. W^ird doch allein der Unterscheidung von dorischen,
ionischen und korinthischen Säulen ein Raum von 18 Zeilen ge-
währt und mit den Begriffen Kanneluren, Hohlkehlen, Pfühl, Wulst,
Kapital operiert, dafs es nur so eine Art hat. In der Bildhauer-
kunst werden aufser Phidias^) noch „Polyklet, der die Bildsäule
der Hera in Argos schuf, und Praxiteles, der die Aphrodite von
Cnidus bildete", sowie der Apoll von Belvedere, die Laokoon- und
Niobe-Gruppe erwähnt. Die Malerei wird mit der bekannten
1) Phidias uod seine Werke finden in dem Abschnitt „Pericies'' Be-
rücksichtigung.
r
anpez. vod F. Ohly. 705
Anekdote von Zeuxis und Parriiasius abgefunden (7j Zeile), und
hei der Redekunst kann der Verf. der Versuchung nicht wider-
stehen, die ganze Jugendgeschichte des Demosthenes (Achselzucken
— schwache Brust — Aussprache des R) beizubringen und be-
sonders die „unüberlrefl liehe*' Selbstverteidigungsrede „für den
Kranz'* gegen Äschines hervorzuheben. In der Dichtkunst soll
der Quartaner neben Homer und Pindar auch noch Sappho und
Anakreon (!) und von Äschyius, Sophokles und Euripides nicht
nur die Namen, sondern sogar „folgende ernste Dramen: Pro-
metheus, Agamemnon (von Äschylus), Antigone, Ödipus (von So-
phokles), Medea, Iphigenia (von Euripides)'* wissen. Ja selbst von
Aristophanes soll er erfahren, dafs dieser „in seinem Stück ,die
Wolken' diejenigen, welche den Volksglauben untergruben, lächer-
lich machte'^ üei den Worten : „Piaton hat durch seine Schriften
die herrlichsten Lehren der Weltweisheit verbreitet" wird sich der
jugendliche Hörer oder Leser schwerlich viel denken können.
Auch in der Behandlung der römischen Geschichte ist
die Forderung der Lehrpläne, die Zeit vor dem Auftreten des
Pyrrhus auf das knappste Mafs zu beschränken, nicht beachtet,
vielmehr nimmt diese Zeit 1 1 Seiten, d. h. mehr denn i des
Ganzen ein. Die Sagen von Aneas') und der Gründung Roms
werden ganz im Stile der griechischen Sagen behandelt, die Königs-
zeit erscheint mit all ihren Ausschmückungen (z. B. Raub der
Sabinerinnen; Horatier und Curiatier, Mettius Fufetius, sibyllinische
Bücher, Lucrelia) als beglaubigte Geschichte, von der sog. servia-
nischen Verfassung wird nur in zwei Zeilen^) gesprochen, die
zudem für den Schüler wenig besagen, dagegen das Ende des
Servius Tullius und die Grausamkeit seiner Tochter TuUia aus-
führlich geschildert. Bei dem Kriege mit Porsenna zeigt sich der
Verf. wenigstens mit den Ergebnissen der Kritik bekannt, indem
er den Horatius (Codes) und Mucius Scaevola (nicht aber die
Cloelia) der Sage zuweist. Die Anordnung ist im folgenden wieder
die biographische, und schon die Überschriften zeigen bisweilen
an, daC> es dem Verf. mehr um Lebens- und Geschieh ts- Bilder
als um eine Geschichtsdarstellung zu thun ist. Der ganze § 49
bandelt von Coriolan, und nur in einer Anmerkung finden wir
die INotiz: „Dafs Coriolan die Völker gegen Rom führt ^), ist eine
sagenhaAe Erzählung". In § 50 erscheint neben den Gesetzen der
12 Tafeln auch der Name Virginia schon in der Überschrift, und
ihre Geschichte wird eingehend berichtet, wenngleich wiederum
in einer Anmerkung die That ihres Vaters als „von Mommsen
angezweifelt" bezeichnet ist. Die Darstellung des Zuges der Gallier
^) Mit Reden des Anchises, Äneas, der Creosa ganz nach Vergil, nar
voo der Dido-£pi8ode wird Dicbts erwähnt.
^) „Er teilte alle Bürger Roms in fiiof Klassen, welche für die Steuern
(welehe?) ond die Stellung der Römer im Beere maisgebend waren''.
') Also wohl nur dieses?
Zeitschrift f. d. O/mnauAlireMn XLVIU. 11. 45
706 C. A. Kriig:er, Geschichte der Griechen and Römer,
gegen Rom folgt der landläufigen Erzählung, nur dafs merkwürdiger-
weise der Name AUia verschwiegen und am Schlüsse doch darauf
hingewiesen wird, dafs die Römer die Geschichte von dem
Siege des Camiilus „sich ausgedacht" hätten. Im folgenden zeigen
wieder die Überschriften: „Pyrrhus, F<ihricius und Curius", „Re-
gulus. Erster punischer Krieg", „Hannibal. Zweiter puniscber
Krieg", worauf es dem Verf. in erster Linie ankommt, nämlich
auf dem Unterhaltungsbedurfnis Rechnung tragende
Anekdoten und Geschichtchen. Die Kampfesweise mit den
Elefanten, die Verhandlungen im Senate und das Auftreten „eines
alten blinden Ratsherrn" — der Name Appius Claudius Caecus
wird ebenso wenig genannt, wie der des Cineas — , die Uneigen-
nutzigkeit, Unbestechlichkeit und Unerschrockenheit des Fabricius^V
Curius und das Rübengericht, Regulus' Vaterland^i^liebe (| Seite)*),
der durch die Ochsen gerettete Hannibal, Archimedes (| Seite) —
alles das und manches andere kann man gebührend hier nach-
lesen. Dagegen finden wir nichts über den unmittelbaren Anlafs
des tarentinischen Krieges (Tarent wird nicht einmal erwähnt!),
nicht C. Duilius, nicht, um von anderen zu schweigen, die See-
schlachten bei Eknomos und den Ägatischen Inseln, nichts von
Hamilkars Kriegführung auf Siciiien. Im zweiten punischen Kriege
macht der Verf. Hannibals Siege am Ticinus, an der Trebia, am
trasimenischen See, ohne einen dieser Namen zu nennen, mit den
kurzen Worten ab: „Mit diesem Heere schlug Hannibal die Römer
dreimal"! Selbst über die Schlacht bei Cannae finden wir nur
allgemeine Redensarten, nicht die Namen der römischen Konsuln,
nicht die Verluste der Römer, nichts von der bewunderungswür-
digen Haltung des römischen Senates, nichts von Hannibal ad
portas, dem Abfall und der Restrafung Capuas. Der Hölfezug von
Hannibals Bruder, dessen Name wiederum verschwiegen ist, wird
nur ganz kurz angedeutet, die Schlacht bei Sena selbst und der
kühne Zug des Konsuls Claudius Nero fehlen gänzlich. Nach
solchen Proben^) aus dieser so überaus wichtigen Zeit können
wir uns nicht wundern, wenn weiterhin erst recht Lücken-
haftigkeit auf der einen, übel angebrachte Weitschweifig-
keit auf der anderen Seite die Signatur des Buches bilden.
Wird doch bei der Zerstörung Karthagos nicht einmal Scipios
Niime der Erwähnung wert befunden. In dem Abschnitt über „die
gracchischen Unruhen" erscheint das Lebensbild der Cornelia, der
1) Anmerkang unter dem Text: ,,Die Briählung über den Arat ist
80geuhaft*^ — Muls sie denn trotzdem angenommen werden?
') Anmerknng: „Nach Mommsen ist die Sendnog des Regulos nach Rom
sehr schlecht beglaubigt".
^) Von den Ereignissen in Spanien, den macedonischen Kriegen, der
Unterwerfung von Oberitalien, dem Kriege mit Antiochas von Syrien and
der Eroberung Kleioasieos, dem nnmantiuischen Kriege u. a. ist DatorÜch
erst recht nicht die Redel
aogez. vodF. Obly. 707
MuUer der Gracchen^), dem Verf. ebenso wichtig wie die Unruhen
selbst, deren Bedeutung auch trotz der 9 Zeilen umfassenden Rede
des Tiberius nicht recht erkenntlich ist. Da der jugurthinische
Krieg gänzlich mit Stillschweigen übergangen, der Einfall der
Cimbern und Teutonen aber der deutschen Geschichte zugewiesen
und Marius nicht einmal als ihr Besieger genannt wird, so kann
der unkundige Leser gar nicht begreifen, wodurch sich denn
dieser Marius so ausgezeichnet haben soll, dafs er den Oberbefehl
gegen Mithridates für sich beanspruchen darf. Des Mithridates
Jugend, Charakter und Fähigkeiien schildert der Verf. zwar, aber
über den Kämpfen zwischen Marius und Sulla') hat er dann die
Kriege gegen Mithridates Yöllig vergessen. Pompeius kommt für
ihn überhaupt nicht in Betracht, er wird erst neben Cäsar ge-
nannt, Sklavenkrieg, Seeräuberkrieg und seinen Siegeszug durch
Asien suchen wir vergebens. Ein besonderer Abschnitt ist dem
„inneren Zustand Roms'' vorbehalten, in dem mit grofser An-
schaulichkeit von den üppigen Gastmählern (das unvorbereitete
Mahl bei Lucullus für 50 000 Drachmen — über 1 1 Zeilen !), der
Amterjagd, den Tier- und Gladiatorenkämpfen, sowie den Er-
pressungen in den Provinzen gehandelt wird, — sehr gut für ein
Lesebuch geeignet! Bei Cäsar wird auch erst wiederum eine
volle Seite mit Anekdoten ausgefüllt, die Kriege in Gallien werden
mit 4 Zeilen abgemacht, die Helvetier gar nicht genannt, und von
sämtlichen Schiachten des Bürgerkrieges finden wir nur Pharsalus
und Zela. Die Charakteristik von „Cäsars Herrschaft'' ist höchst
mangelhaft und giebt ein Zerrbild etwa im Sinne eines fanatischen
Republikaners, ohne den yerdiensten des grofsen Staatsmannes
gerecht zu werden. Die Verschwörung und die Ermordung Cäsars
(eine ganze Seite!), Cäsars Testament und des Antonius Auftreten
(Leichenrede) werden dagegen wieder mit allen Einzelheiten dar-
gestellt. Die Geschichte von der Julia, die ihren Bruder vor den
Schergen ihres Sohnes rettet (13 Zeilen), erscheint sehr gesucht
und überflüssig, ebenso wie weiterhin der gleich lange Abschnitt
„Fulvia und Octavia". Erst hier ist merkwürdigerweise ein Lebens-
bild Ciceros eingeschoben, das der Unterstufe ganz angemessen ist;
weniger läfst sich das von der Darstellung der Ausschweifungen
des Antonius und des Auftretens der Cleopatra sagen. Dem un-
heilvollen Einflufs der dritten Gemahlin des Augustus (,,eine sehr
böse Frau, die Livia") wird ein ganz unverhältnismäfsiger Raum
(I Seile) gegönnt. Der Abschnitt „Roms goldenes Zeitalter in Kunst
und Wissenschaft" ist im Vergleich zu dem gleichartigen der
') Ihre Söhne „ihre Edelsteine und Kleinodien"; der Abschnitt „Cor-
nelia wird geehrt" omfafst allein 15 Zeilen.
') Auch diese sind sehr kurz abgethan, des Marius Abenteuer (der er-
schrockene Sklave) und die Schilderung der Greoelscenen in Rom (die Nieder-
netzeloog der 8000 Mariaoer) sind die Hauptsache. Sulla „veranstaltete ia
der Stadt maocberlei gute Einriehtuagen" (I).
45*
708 C' A* f^rü ger, Ge^cbichte der Grieeheo und RSmer,
griechischen Geschichte kurz genug, doch halten die griechisch
schreibenden Dionysius von Halicarnafs, Strabo (!) und Josephus
unerwähnt bleiben sollen, [n der römischen Kaisergeschichle
zeigt sich ein aufTallendes Aufserachtlassen der äufseren Verhält-
nisse, die Beziehungen und Zusammenstölse zwischen Römern
und Germanen werden gar nicht berührt^), nur der Zerstörung
Jerusalems wird ein besonderer Abschnitt gewidmet. Dafs nicht
alle Kaiser aufgezählt werden, ist nur zu billigen, indessen zeigt
die Behandlung doch merkwürdige Ungleichheiten, indem z. B. der
kurzen Regierung des Titus über H Seilen eingeräumt, dagegen
von Vespasian nur eben kurz gesagt ist, dafs er als Feldherr
gegen die Juden zum Kaiser ausgerufen wird, und von Diocletian
nur die Christen Verfolgung erwähnt ist. Die Erklärung hierfür ist
nach dem, was wir bisher schon über den Charakter des Buches
erfahren haben, leicht genug: die „Grausamkeiten" eines Nero,
„Charakterzuge*' eines Titus und der „Untergang von llerculanuro,
Pompeji und Stabiae') sind eben „interessanter'' und nicht so
„trocken'' wie die eigentlich geschichtlichen Vorgänge. Gegen Ende
des Buches pfuscht der Verf. nun noch der Kirchengeschichte ins
Handwerk, denn die 2 Seiten über Christentum und Christen-
verfolgungen (Ignatius, Justin, Polycarp allein 1 Seite!) hätten eher
in einer biblischen Geschichte eine Stelle, wo wir sie denn auch
meist im Anhang finden. Verf. hingegen glaubt den Schuleru
vielmehr noch besondere Abschnitte über Helena, die Erbauerin
der Heiligen - Grabeskirche, über die Kirchenversammlung zu
Nicäa (!) und das Mönchswesen (Antonius und Pachomius!) schul-
dig zu sein.
Soviel über das Stoffliche des Buches. Es genügt vollauf, um
das Werk als Schulbuch völlig ungeeignet zu erweisen.
Allein der frische, lebendige und anschauliche, stellenweise gelungen-
naive Ton der Darstellung, den wir ja auch wiederholt rühmend
hervorhoben, lassen es als „zur Einreihung in Jugend-, Volks- und
Schulbibliotheken geeignet", aber auch nur hierfür geeignet er-
scheinen. Einzelne Mängel im Ausdruck fehlen ja freilich
nicht:. S. 22 „um das Denkmal des Patroclus" (statt Grabhügel),
S. 23 „aus der Tiefe ertönte ein Widerhall, wie in einer Keller-
höhle" (!), S. 34 „zur Menschlichkeit zu gewöhnen", S. 5t „Xerxes
brachte . . . 1200 Kriegsschiffe und 3000 Linienschiffe auf",
S. 54 „in diesem Vertilgungs kriege gegen die Perser zeichnete
sich Cimon aus", S. 75 „die Herren vom Senate", „die Murrköpfe
unter dem Volke", S. 87 „Marius kränkte sich sehr darüber"
u. a. m. An grammatischen Fehlern sind dem Ref. aufgefallen:
^) Verf. will olTeobar der deutschen Geschichte nicht vorgreifeo, «her
hier die wichtigsten Ereignisse, selbst die Varnsscblacht, nicht einmal an-
zodeoten, das geht doch nicht an, und zudem ist der Verf. ink.0D8eqDent
genug, den MarkomanneolLrieg unter Marc Aurel ausfahrlich za eruihlen.
*) Diese beiden letzten Abschnitte nehmen P/s Seiten ein.
aogez. von P. Ohly. 709
& 5 „wen er ins Herz trifft, fühlt dasselbe von Liebesgram ver-
zehrt'^ und S. 21 „deines stammelndes Kindes'^ Andere Aus-
drucke sind nur aus man$;elhaftem Verständnis des Verf. zu er-
klären. Die Königin der Lästrygonen ist ihm „so grofs wie ein
Berg'*, während es bei Homer Od. X 113 heifst otffjv ogsog xo-
gi^(pijp\ dafs Perikles den armen Bürgern „freien Zutritt ins
Theater gestattete*' (S. 55), ist in dieser Fassung unrichtig; dafs
die Plebejer, nachdem ihnen das Tribunat zugestanden, „mit
wehenden Fahnen'* in Rom einzogen, wird selbst der Schuler, der
Abbildungen römischer signa zu sehen bekommt, sicher mit Ver-
wunderung lesen, und vielleicht wird es ihn nicht wenig ergötzen,
wenn er den Indier-König ganz gemütlich „mit edlem Anstände**
zu Alexander sprechen hört: „Warum, o König, sollen wir ein-
ander mit Mordgewehren versuchen . . .**, oder wenn er S. 84
h'est: (Hasdrubal) „war schon glücklich über die Pyrenäen und
Alpen hinüber, als er erschlagen wurde**.
Auch sachliche Unrichtigkeiten bedürfen der Absteilung.
Wenn der Verf. den Sänger der Phäaken „unter andern den Streit
des Odysseus mit dem Helden Achilles** (!) besingen läfst, so ist
ihm hier wohl eine Verwechslung mit Ajax untergelaufen, den er
ja überhaupt nicht erwähnt. Richtig finden wir S. 32: Artemis
(Diana), dagegen S. 33 und S. 54 Artemis (Minerva)! S. 35 steht
von den Söhnen des Pisistratus: „es folgte ihm zuerst sein ältester
Sohn Hipparch ^) und nach diesem der jüngere Hippias**, während
doch vielmehr Hippias der ältere ist und sein Bruder nur neben
ihm eine hervorragende Stellung einnimmt.
Druckfehler sind S. 59 Alciblades und Kretias, wohl auch
S. 32 „hier sollten die Athener überfallen haben'* (statt: die
Hessenier). In Bezug auf die Menge der Zahlen hat sich der
Verf. einer weisen Mäfsigung befleifsigt, bisweilen giebt er blofse
Orientierungs- oder Gedächtniszahlen, z. B. Cimon 466, Perikles
444, Sokrates 400, Trajan 100, Hadrian 130 u. a., die man sich
für diese Stufe zur Not gefallen lassen mag. Die dem Büchlein
beigegebenen Abbildungen, meist Wiedergaben antiker Statuen
und Köpfe, sind durchaus angemessen.
Nach einer so eingehenden Besprechung der alten Geschichte
glaubt Ref. in der Behandlung der freilich ja viel umfangreicheren
„Geschichte Deutschlands von der älteren Zeit bis zur
Gegenwart** sich kürzer fassen und zum Teil mit Hinweisen auf
Gesagtes begnügen zu können, um so mehr, weil Ton und Dar-
stellung auch dieses Buches ganz dasselbe Gepräge tragen. Hierin
liegt schon ein Vorwurf. Denn gerade der Vorzug, den wir der
alten Geschichte des Verf. nachrühmten, die Frische und Naivität
der Erzählung, verwandelt sich hier« wo der Stoff Tertianern, be-
^) Hipparcbs Ermordnog^ wird nicht erwähnt.
710 CA. Krüger, Gesch. Deutschi. V. d. alte reo Zeit b. 2. Gegeow.,
ziebuDgsweise Untersekundanern dargeboten werden soll, eher in
einen Tadel. Ja, der Verf. mufste sogar, wenn denn einmal das
Buch „nach den neuen preufsischen Lehrplänen bearbeitet'' sein
soll, im Verlauf der Darstellung einen Wandel, eine Steigerung zu
höherer Auffassung hervortreten lassen. Aber davon ist keine
Rede, der Ton des Buches bleibt vom Anfang bis zu Ende der-
selbe. Man vergleiche nur I 40^), wo von den Eigenscliaften
Ludwig des Frommen die Rede ist: „Er lachte niemals so, daf^
man es hätte hören können; selbst wenn bei hohen Festlichkeiten
zur Ergötzuog des Volkes Schauspieler, Sänger und Lustigmaclier
vor ihm auftraten, lächelte er nicht einmal soviel, dafs man seine
Zähne (sie!) sehen konnte'^ — und II 122 von den Liebesgaben
im Kriege 1870: „Da gab es Kisten mit Cigarren, die aber oft
den gutmütigsten Menschen erzürnen konnten" . . . Andere Bei-
spiele aufzuzählen würde viel zu weit führen. Ganz besonders
charakteristisch dafür, wie wenig der Verf. den Ton zumal der
Sekunda-Stufe zu treffen weifs, ist die Behandlung der französischen
Revolution, deren Darstellung ja freilich gerade für die Schule die
gröfsten Schwierigkeiten bietet. Aber aus der hier gebotenen kann
der Schüler weder die Ursachen, noch die bis in die Gegenwart
reichenden Wirkungen dieses wichtigsten Ereignisses der neueren
Geschichte erkennen. Ref. kann dem Verf. auch in diesem Buche
den schweren Vorwurf nicht ersparen, dafs er sich seine Auf-
gabe zu leicht gemacht hat, dafs es ihm mehr darauf an-
kommt, zu unterhalten und durch alle möglichen
Anekdoten, Aussprüche und „Charakterzüge"' Inter-
esse zu erwecken, als durch knappe, sachgemäfse, ein-
fache Darstellung der historischen Ereignisse zu be-
lehren! Eine blofse Aufzählung der Unmenge von Anekdoten,
die das Buch bietet, würde Seiten fällen. An .gewissen Stellen
mag ja vielleicht die eine oder andere Anekdote geradezu zur
Charakteristik der betreffenden Persönlichkeit mehr beitragen, als
langatmige Ausführungen es vermöchten, und von diesem Ge-
sichtspunkte aus wollen wir uns auch einige Anekdoten, z. B. über
Friedrich Wilhelm I. oder Friedrich den Grolsen, wenn sie auch
eigentlich in ein Geschichtsbuch, zumal für diese Stufe» nicht
gehören, gefallen lassen'). Aber fA^dsp ayavl Denn wenn wir
z. B. unter der Überschrift „Torgau'* die Geschichte von dem
geflickten Stiefel {\ Seile), unter der Überschrift „das Lager von
Bunzelwitz'' die Geschichtchen von dem „Liebiingswindspiel Biche'\
von dem Grenadier und seinen Mehlklöfsen, von dem erschreckten
Fandur („Du, Du!'') und dem verblüiTlen Husaren („Husar, Du
^) Da das Bach eijj^eDtiich io zwei gesooderte Hefte zerfallt, so bezeichoe
die Förnische Zahl kurz das Heft, die arabische die Seite.
^) Gerade für die Charakterisiernogr Friedrich Wilhelms I. eigoeo sie
sich besonders gut („Guteo Morgen, Herr Thorschreiber" \\ 47; vgl. aocb
Joseph li. uud der Amtmao d 11 67).
tD^ez. von F. Ohly. 711
hast ja kein Pulver auf der Pfanne !^^) hören, wenn die Erzählung
von dem gefangenen schwarzen Husaren, die wir in jedem Lese-
buche 6nden, mehr als j Seite einnimmt, so geht das doch über
den Spa/s. Aber man hat bei dem ganzen Buche von Anfang
bis zu Ende unwillkürlich den Eindruck, als suche der Verf.
geradezu nach solchen Anekdoten, mit besonderer Vorliebe nach
weniger bekannten. Wo nur irgendwie eine Gelegenheit sich
bietet, wird alsbald so ein Histörchen eingeflochten. Die Gewissens-
bisse Theodorich des Grofsen über die Hinrichtung des Boethius
und Symmachus, sein Entsetzen über „den grofsen Fisch mit auf-
gesperrtem Rachen auf seiner AbendtafeP' nehmen mehr Raum
ein, als die Schilderung seiner Regenlenthätigkeit! Bei dem Unter-
gang des Vandalenreiches wird natürlich mit Behagen die Gelimer-
Gescbichte („Harfe, Schwamm, Brot*') berichtet und an die Be-
siegang der Ostgoten gar „die Einführung des Seidenbaues in
Europa" ganz unvermittelt angeschlossen! Statt Narses* Gestalt
und Persönlichkeit zu schildern, berichtet der Verf. lieber Ton „dem
schimpflichen Brief und dem Spinnrocken'*, den Sophia an jenen
schickt. Bei Muhammeds Flucht wird die Sage von dem Spinngewebe
und dem „Taubennest mit zwei Eiern**, bei seinem Ende die Geschichte
von den „drei Dirhems*' getreulich registriert. Die Anekdote von
der „Kraft Pipins*' nimmt | Seite ein, des Bonifacius Härtyrertod
noch mehr, und der Verf. kann es sich nicht versagen, auch noch
die Enttäuschung der Heiden beim Erbrechen der Bücherkisten
zu schildern (i 34). Die 13 Zeilen über Karl des Grofsen Schul-
visitation sind um so überflüssiger, als jeder Schüler das den
Gegenstand behandelnde Gedicht kennt, meist sogar auswendig
lernt. Dasselbe gilt von den Abschnitten König Enzios Gefangen-
schaft^), „Rudolf und der Priester** I 68, die Martinswand (über
I Seite!) 177. Derfl'linger (| Seite) H 38, „der Müller in Sans-
souci** U 62 u. a. Dafs in einem solchen Buche die „Sage** (!)
von dem Ei des Columbus dem Schüler noch in 10 Zeilen aus-
einandergesetzt wird, sollte man auch nicht für möglich halten.
Als wegen der Auswahl des Dargebotenen besonders charakteristisch
seien aus der grofsen Fülle nur noch erwähnt: U 7/8 Lucas
Cranach und Kaiser Karl V. H Seite), die „sonderliche Geschichte**
von dem Tabak rauchenden Mohren des grofsen Kurfürsten und
dem „ehrlichen Landmann** („Ne, gnädiger Herr Düwel, ick freete
keen Füer**). Je näher aber die Darstellung der neueren und
neuesten Zeit rückt, um so weniger wird man solches Beiwerk
für diese Stufe passend flnden, ja man kann geradezu sagen, dafs
all die zahlreichen Anekdoten und Charakterzüge, die von den
Herrschergestalten der Hohenzollern vo.m grofsen Kurfürsten ab
handeln, vielmehr der Sexta zuzuweisen sind, wo es
') Selbst sein niirslangener Flachtversach in einem WeinftPs, bei dem
„eine heraashaogeode blonde Haarlocke ihn verriet'^, fehlt nicht.
712 C. A. Kräger, Gesch. Deal« ch I.V. d. älteren Zeit b. E. Gegen w.,
nach den neuen Lehrplänen gilt, die Persönlichkeiten „dem
Herzen und der Phantasie des Knaben nahe zu bringen, seinen
Gedankenkreis damit zu füllen und den ersten konkreten Grund
für eine geschichtliche Betrachtung zu le^en''. Aber die Lehrpläne
wollen gerade hier „lebenswarme Schilderung der Torgeföhrten
Helden in freier Erzähhing ohne Anschlufs an ein Buch''
und weisen eben für solche Zuge auf das deutsche Lesebuch
hin, das in engstem Zusammenhange mit den biographischen Auf-
gaben stehen solle. Also aus seinem Lesebuch oder auch aus
dem Munde des Lehrers, der gern so kleine Zuge in seinen Vor-
trag einflechten mag, soll der Sextaner solche Geschichtchen,
wie die folgenden, vernehmen ^): die Erzählung des Kammerdieners
Heise von den letzten Stunden Friedrichs des Grofsen, die Ge-
schichtchen aus Friedrich Wilhelms HI. Jugend (spielt Ball im
Zimmer Friedrichs des Grofsen [7 Zeilen] — seine Aufrichtigkeit),
von dem „dankbaren Gemüt'' und der ,, Versöhnlichkeit" dieses
Herrschers II 57 (über i Seite), von Friedrich Wilhelms IV. Haltung;
in der Schlacht bei Grofsgörschen, seinem Besuch in der Dorf-
schule („der König gehört ins Himmelreich"), seinem Verhällni;!
zu seinem Bruder Wilhelm (der Stock mit dem in Elfenbein ge-
schnitzten Kopf — „Was das für eine Freude ist, dafs ich mich
so auf meinen Bruder stützen kann"), von der Prophezeihung des
Schäfers aus Schlesien (II 105), von dem Prinzen Wilhelm, der
bei Durlach mit einem Soldaten ein Stück trockenes Brot teilt
(11 108), „der König (Wilhelm 1.) bei den Verwundeten" während
der Belagerung von Paris S. 120, die Züge aus dem Leben Kaiser
Friedrichs („der Kronprinz und Graf von Wimpfen" S. 1 1 2, „Feindes-
liebe des Kronprinzen", „der Kronprinz und der bayrische Soldat*'
S. 1 16/7, „der Kronprinz überschaut am 2. September das Schlacht-
feld" S. 119) u.a. Zumal aber in der neuesten Zeit seit
1871 sind die Lebensbilder, die der Verf. statt fortlaufender
Geschichtsdarstellung bietet, in einem für den Untersekundaner
bestimmten Buche durchaus ungeeignet, höchstens dem
Lehrer der Sexta als ünterhaltungsstoff willkommen:
§ 95 die Kaiserin Augusta^), § 96 Bismarck, § 97 Moltke, § 98
Roon, §99 Kaiser Friedrich HL"), § 100 Die Kaiserin Friedrich,
§ 101 Kaiser Wilhelm II.»), § 102 Wie Kaiser Wilhelm H. für die
^) Eine ganze Reihe derselbeo hat der bekannte Pnlaek in seinem
„Da8 erste Geschichtsbach'' betitelten und in dieser Zeitschr. XLVII S. 170lf.
vom Ref. besprochenen Werkchen vortrelfJich benutzt.
>) Wunderbarerweise hat der Verf. in diesen Abschnitt den Bericht
über das Lebensende Kaiser Wilhelms I. eingefügt, das nach dem Cha-
rakter des Baches doch wohl auf einen besonderen Abschnitt Ansprach ge-
habt hätte.
*) Die Überschriften der Unterabschnitte gerade dieser beiden Stücke
lassen den besten Schlafs auf den Ton der Darstellung zu: „Jogendzeit. Ver-
mählung. Auf dem Ruhmeswege. Friedrichs Friedensliebe. Friedrieh als
Kioderfreund. Erntefest, Weihuachtsfest. Kronprinz und Fähnrich. Friedrieh
ang^es. von F. Ohly. 713
Arbeiter sorgt ^), § 103 Die Kaiserin Auguste Victoria. Wer diesen
Teil des Buches liest, wird zweifelsohne der Ansicht zuneigen,
dafs die Darstellung för die Sexta berechnet ist. Er wird in
dieser Ansicht bestärkt werden, wenn er die zahlreichen Sagen
findet, die dem Buche einverleibt sind, von denen hier aufser den
schon gelegentlich angezogenen nur erwähnt sein mögen: Alboin
lind Rosamunde I 26, der eiserne Karl (über j Seite) I 40, der
sterbende Roland l 38, der Sänger Blondel I 56, Elisabeths Rosen
I 58, der Sängerkrieg auf der Wartburg (| Seite) I 64. Natürlich
ist auch der Heldensage Aufnahme verstattet sie umfafst in
§ 17 und 18 (Nibelungenlied — Gudrun) 5 Seiten, die in ihrem
ganzen Umfange ebenfalls dem deutschen Lesebuche zuzuweisen
sind. Aber während dies alles, wie gesagt, für die Unterstufe
pafst, finden wir dagegen so mancherlei, das ein höheres Alter
und gereiftere Fassungsgabe bei dem Leser bezw. Schuler voraus-
setzt. Dahin gehört vor allem die ausführliche Behandlung der
germanischen Mythologie I S. 4 — 13. Wie hier der Verf.
ins Einzelne geht, zeigt nicht nur der Bericht über die ältere und
jüngere Edda, über die erste und zweite Schöpfung, sondern auch
Namen wie Audhumbia, Urd, Werdandi, Skuld, Hermut, Aschanes
(I Seite) u. a. Aber auch sonst geht vieles über die Grenzen eines
solchen Buches hinaus. Der Codex argenteus des Ulfila mag er-
wähnt werden, doch sind 13 Zeilen zu viel, und die Deutung der
„Stelle im Jesaias" auf die kriegslustigen Westgoten ist mindestens
entbehrlich. Oberflüssig ist ferner die Nennung des Hunnen-
forsten Balamir, die Erwähnung des Sachsen- und Schwaben-
spiegels („der Edelmann Repgow'') in 15 Zeilen, des Plavio Gioja
als Erfinders des Kompafs (I 78), des Lorenz Kosta neben Guten-
berg, des Spaniers Servetus (II 6), des Schweizers Le Fort als
I^fhrmeisters Peter des Grofsen u.a.m. Kunst und Wissen-
schaft sind überall meist gebührend berücksichtigt, aber bisweilen
wird auch hier dem Schüler eine Überfälle von Namen aufgebürdet.
Zumal § 74, der „die Wohlfahrt des Landes unter Friedrich Wil-
helm IV.^* behandelt, leidet an diesem Fehler. Denn neben be-
kannteren, auch dem Schüler gewifs nicht vorzuenthaltenden
Meistern und Werken finden wir hier z. B. „die Herstellung der
Schlofskapelle durch Stüler und Scbadow", Cornelius, Drake,
Calandrelli — Bopp und Pott, als Begründer der vergleichenden
Sprachforschung, „den Physiker Heimholtz, den Erfinder des
als Preuod der Wisseoscbaft, der Kunst sowie der Schale. Friedrich als
Freood der Armeo. Friedrich als Freuud des Volkes. Auf dem Thron.
Friedrichs £nde'S — „Jugendzeit. Auf dem Gymnasium. Eintritt ins Re-
ßimeot. Als Student. Das eig^ene Heim. Wilhelm als Kinderfreund. Als
Vorgesetzter. Thronbesteigung. EröfiTnung des Reichstags. Reisen. Ge-
rechtigkeit".
') Dieser Abschnitt ist der gelungenste uod giebt das Wichtigste über
das Invaliditäts- und Altersversichernogsgesetz und das Ge-
werbeordnungsgesetz.
714 C. A. Krüger, Gesch. Deutsch I.V. d. alte reo Zeit b.z. Gegen w.,
Augenspiegels, den Augenarzt Gräfe'* — „die Schule Thaers" u. a.
Auch wenn der Verf. dieses alles streichen wollte, würde wahrlich
noch genug und übergenug des Guten übrig bleiben. Das hier
Gebotene^) setzt ein Mafs von Kenntnissen voraus, das wir nicht
einmal von einem Primaner, geschweige denn von einem Sekun-
daner erwarten können.
Dagegen fehlt so manches, was dem Ref. in einem Lehr-
buch der Geschichte unentbehrlich dünkt. So sind z. B. die Namen
der deutschen Kaiser in der dem Buche angehängten Zeittafel
zwar sämtlich genannt, im Text aber fehlen viele entweder völlig
oder sind nur ganz nebenher erwähnt. Karl (der Dicke), Albrecht II.,
Friedrich III. werden gar nicht, Konrad I. wird nur als Heinrichs I.
Vorgänger, Heinrich V. nur bei Heinrichs IV. Ende, Lothar der
Sachse nur unter Konrad III.. Konrad IV. nur unter Konradin,
Adolf von Nassau nur unter Albrecht I. genannt, und von letz-
terem wird eigentlich auch nur seine Ermordung erzählt. Und
doch ist daran festzuhalten, dafs die Regierungszeiten der Kaiser,
mögen ihre Persönlichkeiten und Thaten an sich auch noch so
unbedeutend sein, doch dem Gedächtnis der Schüler einzuprägen
sind als ein Rahmen, in den alle Ereignisse leicht eingereiht
werden, wodurch dann der so leicht drohenden Konfusion vor-
gebeugt wird. Aber auch sonst vermissen wir oft hochbedeut-
same Ereignisse, oder sie sind in ganz unangemessener Kürze be-
handelt. Die Schlacht bei Legnago z. B. hält der Verf. nicht
einmal der Erwähnung wert, während er dagegen die vorauf-
gehende, vielfach bezweifelte Erzählung von Friedrichs Demütigung
vor Heinrich dem Löwen ausfuhrlich mitteilt. Die Schlachten des
ersten und mehr noch die des zweiten schlesischen Krieges sind
mit auffallender Kürze behandelt, selbst die Heldenthaten der
Bayreuth-Dragoner bei Hohenfriedberg läfst sich der Verf. trotz
seiner sonstigen Vorliebe für Detailmalerei entgehen. Die Erwer-
bung von Cleve, Mark und Ravensberg wird II 34 zwar erwähnt,
jedoch nichts von dem Jülich -cleveschen Erbfolgestreit. „Der
Untergang der republikanischen Heere'' 1870 in Frankreich wird
II 121 mit ganzen 7 Zeilen (nur Amiens, Orleans, Le Mans, Bei-
fort, St. Quentin werden zusammenhangslos genannt) abgemacht.
Die Attentate auf Kaiser Wilhelm werden S. 127 nur ganz ober-
flächlich angedeutet (kein Name, kein Datum!), um die Entstehung
der „Wilhelmsspende'' zu erklären, obschon doch gerade diese
verbrecherischen Anschläge, indem sie plötzlich grell die sittlichen
Zustände eines Teiles des deutschen Volkes beleuchteten, den Staat
zwangen, den Ursachen solcher . sittlichen Verwilderung nachzu-
^) Auch sonst bieteo die eiDgefü^eo Kalturbilder eine für diese Stufe
überreiche Menge von Einzelheiten, z. B. 11 10: Adam Kraft (7 Stationen),
Peter Vischer (Sebaldns-Grab), Hans Holbein der Ältere in Augsburg „als
Maler (Anbetung der Könige), Holzschneider (die 4 apokalyptischen Reiter)
und Kupferstecher (Ritter, Tod und Teufel)'* u. a.
aag;ez. von F. Ohly. 715
spuren, und damit den ersten Anstofs gaben zu dem Erlafs der
Versicherungsgesetze. Alles dies steht in einem merkwürdigen
Mifsverhältnis zu der Ausführlichkeit, mit welcher der Verf. aufser-
deutsche Verhältnisse behandelt, während doch die neuen
Lehrpläne hier ausdrucklich die Direktive geben, dafs sie nur
soweit heranzuziehen seien, „als sie für die deutsche und die
brandenburgisch-preufsische Geschichte notwendig ist''. Hier aber
finden wir I 45 z. B. unter der Überschrift „Otto III.'* die Herr-
scherhäuser Frankreichs mit sämtlichen Nebenlinien unter Angabe
der Jahreszahlen bis 1848. Von der weiteren französischen, von
der englischen und spanischen Geschichte wird nur je ein Lebens-
bild König Heinrichs IV., der Königin Elisabeth, Philipps H. ge-
boten, abgerissene Stucke, die nicht einmal organisch in die Dar-
stellung eingereiht sind. ISalörlich aber bieten auch sie wieder
dem Verf. Anlals, alle möglichen Einzelheiten behaglich aufzu-
tischen, z. B. von Heinrich IV., der seinen Knaben auf seinem
Rücken reiten läfst, von Heinrichs VIII. sechs Frauen, von Maria
Stuart (i Seite!), vom „Blutrat*' beim Abfall der Niederlande u.a.m. '
Auch an sachlichen Unrichtigkeiten fehlt es nicht.
Falsch schreibt der Verf. Höder (I 9), Dnepr (II 28), Caslau (II 53),
llohenfriedeberg (II 54). Von Varus wird I 15 gesagt, dafs er
sich auf einem Kriegszuge befand, was doch mindestens zu Mifs-
Verständnissen führt, von Totila (127), dafs „er, wie ein zweiter
Leonidas, mit allen seinen Goten fiel'', was eine Verwechslung mit
König Teja ist. Von Kaiser Heinrich IL wird der alte, oft wider-
legte Irrtum aufgewärmt, dafs er „sich ganz von seiner Gemahlin
Kunigunde habe beherrschen lassen", Kaiser Heinrich IV. wird ein-
fach kurzweg als „treulos und unedel" bezeichnet, Maximilian
ohne Einschränkung „ein ausgezeichneter Regent" genannt. Verf.
sollte sich, ehe er solche Urteile vom Stapel läfst, doch lieber erst
etwas gewissenhafter vom Stande neuerer Forschung überzeugen.
Dafs in der Zeittafel Friedrich IV. (statt III.) steht, ist wohl nur
ein Druckfehler, da doch Friedrich der Schöne von Österreich
gewöhnlich nicht gerechnet und auch vom Verf. nicht als III. be-
zeichnet ist.
Besonderes Gewicht hat der Verf. auf die Charakteristik her-
vorragender deutscher Frauen gelegt, er sagt in seinem Vorwort:
„Auch die ruhmgekrönten Frauengestalten, welche in der
Geschichte einen grofsen Einflufs ausübten (sie!) und sich durch
häusliche Tugenden, Opfersinn und Werke der Samariter liebe aus-
zeichneten, sind hervorgehoben, damit unsere heranwachsenden
Töchter (!) sich an den Vorbildern weiblicher Tugend emporranken,
das männliche Geschlecht aber vor der erhabenen Frauengröfse
Achtung und Ehrerbietung gewinne". So recht klar scheint sich
der Verf. über diesen Grundsatz und seine Ausführung doch wohl
nicht geworden zu sein, denn „ruhmgekrönle Frauen" — der Aus-
druck ist wenig glücklich gewählt — , die in der Geschichte einen
716 C- A. Kräg^er, Gesch. Deutschi. b. z. Gefl^enw., agz. v. F.Ohly.
grofsen Einflufs ausublen, sind in der Regel als Vorbilder in sitl-
licher Beziehung nicht aufzustellen, und sehr selten sind „häus-
liche Tugenden'' mit politischem Einflufs und historisch-bedeutender
l^ersönlichkeit vereinigt Offenbar aber hat auch der Verf. nur
die echten Weiblichkeiten im Auge, wie sie zum Gluck gerade
unsere deutsche Geschichte in grofser Zahl aufzuweisen hat, Weib-
lichkeiten, die in richtiger Erkenntnis des ihnen zukommenden
Wirkungskreises des Eingreifens in den Gang der hohen Politik
oder womöglich gar der Ränke und Intriguen sich enthalten. Und
wer wollte verkennen, daPs Gestalten wie die der Kurfurstin Luise
Henriette von Oranien, der unvergefslichen Königin Luise und der
Kaiserin Augusta auch in einem Lehrbuch der Geschichte eine
eingehende Würdigung verdienen? Der Verf. verflicht aber nicht
etwa ihre Charakteristik in seine Darstellung, sondern widmet fast
sämtlichen hervorragenden Frauengestalten gesonderte Lebens-
bilder, und da ist es denn kein Wunder, wenn in Ermangelung
^wirklichen historischen Stoffes allerhand Anekdoten und Gespräche^)
herangezogen werden, so z. B. bei Editha, der ersten Gemahlin
Ottos I. (von dem verschenkten Ärmel — die Sage von der Hirsch-
kuh an Edithas Thür), Gertrud (Anna), der Gemahlin Rudolfs von
Habsburg (die Weissagung der Klausnerin), bei der Königin Sophie
Charlotte der Text zu der Leichenpredigt, den sie selbst er-
wählt, u. a. Manchmal ist der Verf. offenbar in Verlegenheit ge-
wesen, was er eigentlich Bemerkenswertes schreiben sollte, denn
sonst wurde er wohl schwerlich „den Wunsch der Königin Sophie
Dorothea, dafs ihre Tochter Wilhelmine mit dem Sohne ihres
Bruders, dem Herzog von Glocester, und ihr Sohn Friedrich mit
der Prinzessin A malle von England vermählt werden sollte", gerade
zur Charakteristik ihrer Persönlichkeit heranziehen. In der Jugend-
geschichte Friedrichs des Grofsen mochte dieses Vermählungsprojekt
seine Stelle finden, hier erscheint es um so mehr als Verlegenheits-
produkt, als es genau die Hälfte des der Königin gewidmeten Ab-
schnittes einnimmt. Ebenso finden wir mit Erstaunen einen
kleinen Abschnitt über Friederike Luise, die zweite Geftiahlin
Friedrich Wilhelms U., die Mutter Friedrich Wilhelms UL, und
müssen als bemerkenswert vernehmen, dafs sie „nach dem Tode
des Königs zur Sommerszeit in dem schönen Freienwalde lebte",
dafs „es von ihren Enkeln der nachmalige König Friedrich Wil-
helm IV. war, der hier gern bei der Grofsmutter weilte". Bei
dem Lebensbilde der Königin Elisabeth werden gar 2 ganze Seiten
mit allen möglichen Details und Anekdoten angefüllt: wir hören
von der famosen Inschrift, die „in einem kleinen, wiesenreichen Ort"
^) Mit besonderer Vorliebe erwähnt der Verf., wie bei den Hobenzollero-
fiirsteD die Wahlsprüche und ihre letzten Worte, so auch bei den Hohen-
zollernfraueo die Aasspräche auf dem Sterbebette; so handelt z.B. selbst bei
dem Lebensbild der Königin Luise die ganze zweite Hälfte von Lutseos
Ende und dem Mausoleum.
Daniel, Deatscfal. u.s. phys. a. polit. Verhälta.,asz. y. OehlmaDO. 717
(las Köiiigspaar mil der „eigenartigen Begrüfsung"' bewillkummnete:
„Wie diese grüne Wiese, so blüh' Dein Glück, Elise!'', wie die
Königin ihren Gemahl zu behandeln weifs („Nun mach' doch,
Alterchen!*' — „Ich suche den König und finde den Kronprinzen''),
wie sie in der Erwerbsschule die strickenden, stopfenden, Dickenden
Kinder ermuntert und lobt, die Stickereien der übrigen Kinder
aber nicht beachtet u. a. m. Es mag das alles ja ganz schön und
amüsant zu lesen sein, auch bildend und anregend wirken, aber
in eine Geschichtsdarstellung gehört das doch nimmermehr. Von
den nichtfurstlichen Frauenges lalten mögen ebenso eine Eleonore
Prohaska, eine Ferdinande von Schmettau Erwähnung linden, doch
in dieser Ausführlichkeit nur in einem Lese buche, — während
Johanne Maria Fichte und Auguste Klein doch sicher entbehrlich
sind. Der Verf. beweist eben auch durch die Behandlung dieses
Stoffes, dafs er die richtige Grenze zwischen einem vater-
ländischen Lesebuch und einem Lehrbuch der Ge-
schichte nicht zu ziehen und innezuhalten vermag,
wie denn überhaupt die oben citierte Stelle seines Vorworts das
Buchlein eher als Lesebuch für die Oberstufe einer Elementar-
schule — und zu dem Zweck ist es in vielen Partieen wieder zu
hoch gehalten — als für eine höhere Lehranstalt geeignet er-
scheinen läfst. Der Umstand aber, daDs es aufserdem noch für
„die heranwachsenden Töchter' bestimmt wird, dient nur noch
mehr dazu, den einheitlichen Charakter als Lehrbuch völlig zu
verwischen.
Ref. kann deshalb das Bedauern nicht unterdrücken, dafs der
Verf. sich nicht damit begnügt hat, Lebens- und Geschichtsbilder
zu schaffen, zu deren Darstellung eine naturliche Anlage und ein
anerkennenswertes Erzählertalent ihn wohl befähigt Diese
„Geschichte Deutschlands nach den neuen preufsischen
Lehrplänen" kann in der vorliegenden Gestall weder nach Aus-
wahl des Stoffes, noch nach dem Ton der Darstellung als brauch-
bares Lehrbuch bezeichnet, kann deshalb auch zur Einführung
nicht empfohlen werden.
Hamm (Westfalen). F. Ohly.
]) H. A. Daniel, Deutschland nach seioeo physischen und politischen Ver-
hältnissen. 6., vielfach verbesserte Auflage. Meu bearbeitet von
B. Volz. 1. Band. Physische Geographie. (Alpen, Dentsches
Reich, Deutsch- Österreich.) Leipzig 1894, 0. R. Reisland. VI und
541 S. 8, 6 M.
Daniels Buch, dem eine Zielbestimmung äufserlich nicht bei-
gefügt ist, denn es gehört zu den wenigen, denen eine Vorrede
fehlt, will, seinem Inhalte nach zu schliefsen, einem gebildeten
Leserkreise eine im höheren Sinne gemeinverständliche Be-
schreibung Deutschlands bieten. Was hier unter dem Be-
griffe „Deutschland*' verstanden wird, ist im Titel gesagt. Es ist
7l8 H. A. Daoiel, DeotschUad d. s. phys. a. polit Verhtltnisseo,
durch Einbeziehung der gesamten Alpen mehr, als gemeiniglich
darunter vereinigt wird; die Titelangabc für den I. Band ist aber
auch nicht ganz genau, denn die sonst gewöhnlich einbezogenen
Niederlande und Dänemark werden hier ebenfalls durchwandert.
Das Werk wird denen gefallen, denen die betr. Bände der Kirch-
hoflschen Sammlung „Unser Wissen von der Erde" zu hohe An-
sprüche an ihre Kenntnisse in den Lehren der physischen Geo-
graphie, namentlich in der (icologie und Meteorologie stellen, oder
die sich mit der dort gewählten, wenn auch wissenschaftlich ge-
rechtfertigten Einteilung des deutschen Bodens und der Zusammen-
fassung der physischen mit einem Teile der politischen Geogra-
phie nicht zu befreunden vermögen. Fn D/s Buche werden diese
beiden Stöcke streng gesondert, denn der nächste Band soll die
politische Geographie für sich allein bringen. Auch der Lehrer,
der nach den neuen Lehrplänen Deutschland viel eingehender zu
behandeln hat als bisher, wird keinen Fehlgriff thun , wenn er
sich hier über die Einzelheiten der Bodengestalt und der Gewässer
Rat sucht.
Der erste, allgemeine Teil, ,,Oberschau über Land und Leute'',
umfafst das I. Kapitel von 93 Seiten, 6 weitere Kapitel behandeln
die Einzellandschaften, und dazu kommen 27 Seiten Register.
Die Darstellungsweise ist durchweg die beschreibende, sie be-
handelt die Entstehung der physischen Erscheinungen nur zum
kleineren Teile systematisch, meist nur gelegentlich, ohne tiefer
darauf einzugehen, und hält sich namentlich von geologischer
Entwicklung der Bodengeslalt fern. Dies ist begreiflich; ein
Mangel aber ist es, dafs ein gemeinverständlich geschriebener Ab-
schnitt über die geologische Geschichte des deutschen Bodens
fehlt. Es steht zu furchten, dafs ohne einen solchen die mannig-
fach durch den Text verstreuten Bemerkungen Ober Gesteins-
arten manchen Lesern unknackbare Nüsse bleiben werden. In
die Geschichte, die Siedelungskunde, die Sprachenlwicklung greift
die Darstellung sehr weit zurück, hier nirgends mit dem Raum
geizend und in behaglicher Breite über vielerlei Gesichtspunkte
sich ergehend. Dichterischem Schwünge wird Spielraum gelassen
und durch häufige Anführungen aus älteren wie neueren, weniger
aus neuesten Schriftstellern, sodann durch Vergleiche die Be-
schreibung belebt. ,,Der Miniatursee hat in den Rehburger Bergen
seinen Monte ßaldo, in dem auf künstlicher Insel liegenden Wil-
helmstein sein Peschiera, in dem Meergraben (mufs heifsen Meer-
beke) seinen Mincio'* (S. 482) — das wird denen, die je auf den
altertümlichen Kähnen über die stille Moorflut des Steinhuder
Meeres gesegelt sind, ein Lächeln ablocken, aber im ganzen ist
doch die Schilderung hübsch und belehrend. Ja, „Miniaturseeen"!
Nun, das ist ein Fremdwort, das man sich noch gefallen lassen
mag, aber warum hat nur der Herausgeber so viele andere
störende nicht ausgemerzt?
aogez. von £. Oehlmaon. 719
Überhaupt ist gewifs „vielfach verbesseri'S wie der Titel sagt,
manchem Abschnitte sieht man es auch an, dafs er in jüngster
Zeit umgearbeitet ist, aber doch möchte man wünschen, dai's
noch öfter Änderungen vorgenommen, namentlich Veränderungen,
welche die Neuzeit an den vom Menschen zu beeinflussenden
Seiten der Landschaft gezeitigt hat, und dafs Ergebnisse neuer
Einzelforschungen mehr berücksichtigt wären. Es war ja wohl
vom Herausgeber nicht zu erwarten, dafs er sich mit solchen
Einzelheiten eines derart weiten Gebietes auch nur aus ßücheru
vertraut machte, aber zweckdienlich wäre es doch wohl gewesen,
wenn die Einzellandschat'ten Leuten, die mit den betr. Land-
strichen vertraut sind, zur Durchsicht auf die oben berührten
Veränderungen hin unterbreitet worden wären. Man sehe, um
etwas herauszugreifen, die Halligen auf 8. 5 if. Trotz Traegers
durchaus zuverlässiger Schrift über diese seltsamen Eilande steht
ihre Beschreibung noch ganz auf dem Boden Biernatzkys.
Diesem schrifistellernden Pfarrer ist ja die Schilderung der grofsen
Sturmflut gewifs vortrefl'lich gelungen, aber in seinen andern
Mitteilungen über die Inseln ist er mindestens höchst ungenau.
Da soll es auch nach Daniel keinen Fleck Gartenland geben
für ein wenig Gemüse, keinen einzigen Strauch mit einer er-
quickenden Beere, keinen Baum zu einem Ruheplatze im Schatten.
Ich habe aber dort mehr als einen Garten mit Gemüse und
Obststräuchem durchschritten und bm unter viele Bäume dort
getreten, die Schatten spenden. Natürlich gedeihen sie nur
im Schutze der Gebäude. Mit Entrüstung würde es jeder Hallig-
bewohner ablehnen, dafs er sein Trinkwasser aus demselben
gräulichen Wasserloche holen sollte, das sein Vieh tränkt. Nun
gar der unverwüstliche Schiflfer, der nachts bei Sturm über eine
Hallig hinwegsegelt , und den Leuten dabei in die erleuchteten
Fenster guckt! — Die Angaben über die Luftwärme auf S. 34 f.
entsprechen bei einigen Städten nicht den neuesten Durchschnitts-
berechnungen der Wetterwarten. — Die alte Gliederung der
Alpen in drei Hauptteile von Westen nach Osten ist beibehalten,
obwohl sie wenig brauchbar und erdgeschichtiich wie dem Ge-
birgsgepräge nach gegenüber der Zweiteilung nicht zu halten ist,
welche die Scheidelinie über den Pafs des Splügen legt. Auf der
Höhe dieses Passes steht nebenbei bemerkt kein Hospiz (S. 154),
und über den Lukmanier führt nicht ein Saumpfad, sondern eine
Poststrafse. — Die Maare der Eifel (S. 364) sind nicht infolge
fies Zusammenbrechens unterirdischer Hohlräume entstanden,
sondern zweifellos bis auf den Laacher See mit Wasser gefüllte
Krater. — Auffallen müssen die Angaben über die Erzerzeugung des
Oberharzes auf S. 414 mit ,jährlich etwa 80 000 Mark Silber
und 200 000 Zentnern Eisenerz''. Statt der erstem Zahl reicht
selbst jetzt nach dem Preisstürze des Silbers auch die zehnfache
Doch nicht aus, denn der Oberharz, im engsten Sinne genommen,
720 ^' Scholz, Lehrbuch der Geographie,
lieferte aus eigenen Gruben im Durchschnilte der 80er Jahre
gegen 14 000 kg Feinsilber jährlich. Das Eisenerz aber verdiente
beim eigentlichen Oberharze überhaupt nicht erwähnt zu werden,
denn es verschwindet durchaus neben den ßlei-, Silber-, Kupfer-
enen und der Zinkblende. Der ganze Harz liefert jährlich etwa
4 Millionen Zentner Eisenerz. Dal's die Sachsen auf den Brocken
gestiegen sein sollen, um dem Wotan zu opfern und Kriegs-
gefangene zu schlachten, ist nicht haltbar. Über den Königsberg
füinen auf seinen Gipfel nicht „zum Pfade zusammengelegte
Steine'S sondern seit zwei Jahren ein höchst bequemer Weg. —
Üafs der Salzige See im Mansfeldischen bis auf einen kleinen
Rest verschwunden ist, durfte samt den auffallenden Neben-
Wirkungen dieser Erscheinung in einem Buche von 1894 nicht
übergangen werden. — Das Alle Land (S. 486) liegt nicht
zwischen Schwinge und Este, sondern reicht nocii weit über den
letztern Flufs hinaus bis nach Harburg. — Die Zahl der Heid-
schnucken in der Lüneburger Heide ist S. 491 mit 600 000
erheblich zu hoch gegriffen, und der höchste Punkt der Heide
mifst nicht 130, sondern 171 m. — Diese so angemerkten
Stellen sind, ja jede einzelne für sich genommen, nicht von Be-
deutung, aber immerhin hätten sie berichtigt werden können.
Der Druck ist trefflich, leider mit Ausnahme der Anmerkungen,
deren zierliches Nonpareil dem Büchermenschen Halt gebietet«
2) A. Scholz, Lehrbuch der Geographie und Mitteilaogeo über
den Welthandel für Handels- und Gewerbeschulen. Fünfte
umgearbeitete Auflage. Wien und Leipzig 1894, W. Brauiuüller.
VUl und 387 S. 8. 5 M.
Nach einer kurzen „Einleitung** mit den Grundbegriffen der
mathematischen und der physischen Geographie wendet sich das
Lelirbuch zu einer Übersicht über Erdteile, Meer, Klima und
Menschenwelt. Es folgen 261 Seiten Länderkunde» 64 Seiten
„Mitteilungen über die wichtigsten Produkte und Verkehrsanstalteu
des Welthandels**, endlich ein Register. Trotz ihres bedeutenden
Umfanges sind diese „Mitteilungen'* über die Erzeugnisse inhalt-
lich auf ein ziemlich enges Gebiet beschränkt, so zwar, dafs u. a.
Mutzhölzer, die mannigfache Nutzung, die aufser Fleisch und Wolle
aus dem Tierreiche gezogen wird, Kupfer, Blei, die Salze, die Edel-
metalle, aufser Betracht bleiben. Mochte der Verfasser für diese
Beschränkung seine Gründe haben, so ist es doch zu bedauern,
dafs die sehr reichlichen statistischen Angaben nicht mehr ver-
arbeitet worden sind. Vielmehr hätten die Tabellen, die lange
Zahlenreihen über die Entwicklung der Warenerzeugung und des
Verkehrswesens durch viele Jahre hindurch enthalten, erheblich
an Nutzen und Lehrwert gewonnen, wenn die Angaben auf Durch-
schnittswerte für Jahrzehnte berechnet wären, und so hätte Raum
geschallt werden können für die Entwicklung der Lehren aus den
nackten Zahlen der Statistik und für ihre Nutzanwendung. Die
Ber.d.Centr.-Komiii.f.LaDdesk.v.Dentschl., a^z.v.E.Oehlmaon. 721
Länderkunde bietet eine grofse Fülle von Belehrung und unter-
scheidet sich, ihrem Zweck entsprechend, von anderen Lehrbüchern
dadurch, dafs sie überwiegend auf Warenerzeugung und Verkehrs-
entwicklung Bedacht nimmt und die Bodengestalt nur nebenbei
erwähnt. Doch warum ist der Verfasser hier nur so sparsam mit
Zahlen gewesen, namentlich mit den Einwohnerzahlen der Städte?
In ein Lehrbuch für Handelsschulen gehören sie doch zweifellos
hinein. Unter den 14 bei den Niederlanden genannten Städten
weisen nur 3 die betreffenden Zahlen auf. £s will sodann scheinen,
als ob es praktischer wäre, die Waren, die ein Land liefert, nach
ErzeugUDgs-, Veredelungs-, Fabrikations- wie Einfuhr- und Aus-
fuhrort einzuordnen, anstatt bei jedem und auch bei den kleineren
Orten, die in dem betreffenden Lande genannt werden, die Thätig-
keitszweige seiner Bewohner zu nennen. Das führt, da ver-
gleichende Zahlen anzugeben offenbar der Raum selten gestattet,
leicht zu Mifsgriffen und mufs dazu fuhren, weil dem Verfasser
bei seiner zumeist aus Büchern gewonneneu Kenntnis die richtige
Wertschätzung solcher Einzelangaben kaum möglich sein kann.
Da prunkt Emden (S. 136) mit folgenden Schätzen: „wichtige
Seestadt, viele Fabriken, Schiffbau, Seilerwaren, Ölmühlen, Härings-
fischerei, lebhafter Seehandel, Kabel mit England''. Jeder Kundige
wird zugeben, dafs von alledem nichts in einem solchen Buche
nennenswert ist als der Häringsfang und dais aufserdem das
Kabel picht blofs nach England, sondern auch selbständig nach
Amerika führt. Im ganzen aber hat der Verfasser nach guten
Quellen gearbeitet, nur nicht gerade nach den neuesten. Die
Entwicklung der einschlägigen Gesichtspunkte ist ansprechend
und liest sich gut bis auf die Stellen, wo die Fremdwörter das
Deutsche verunstalten. Z. B. S. 19: „Europa ist die groüse
Station für das zweite Stadium der Völkerkulturen ge-
worden*'; durch ihre Anwendung erhält die Sprache an mehreren
anderen Stellen eine schwierige Wendung, so S. 159: ,Jn Bezug
auf geistige Anlagen und deren Ausbildung herrscht in dem dicht-
bevölkerten Lande ein sehr erfreulicher Grad". Die Württem-
berger sollen die Besitzer dieses erfreulichen Fremdwortes sein.
Die Aussprachebezeichnungen sind vielfach nicht einwurfsfrei. Je-
doch nicht oft in dem MaXse befremdend wie bei Washington,
was zu sprechen sein soll wie: „Uäschingt'n".
3) A. Penck, Bericht der Central-RommissioD für wisseo-
schaftliche LaodeskoDde vod Deutschland über die zwei
Geschäftsjahre von Ostern 1891 bis Ostern t893. Sonderabdrock
aus den Verhandlangen des X. Deutschen Geographentages. Berlin
1893, Dietrich Reimer. 21 S. 8.
Nach einer kurzen, fesselnden Darlegung seiner Auffassung
TOD wissenschaftlicher Landeskunde teilt der Redner u. a. mit, dafs
die 1882 von Prof. R. Leb mann- Munster angeregte Bewegung
für das wissenschaftliche Erforschen der Heimat und das Ver-
Zeitoehr. f. d %mnMiKlweaen. XLVlll. 11. 4(3
72l2 Schottesphysik. Schul wand k. V. Afrika, agzv. A. Kirchhoff.
einigen der Ergebnisse zur verknüpfenden Darstellung bereits bis
ins Ausland hinein ihre Kreise gezogen hat. Andere Staaten, so
z. B. in der Schweiz der Eidgenossenschaft als solche, wie die
Einzelkantone, wenden dieser Thätigkeit reiche Mittel zu, während
sie im Deutschen Reiche nur auf kleine amtliche Gaben und ver-
einzelte Spenden aus der Kasse der Geographentage angewiesen ist.
Ein Mäcen hat sich bis jetzt auch noch nicht gefunden. Die
Veröffentlichungen, welche die Kommission bisher gefördert
hat, zerfallen in drei Gruppen: 1) die „Forschungen zur
deutschen Landes- und Volkskunde'', bis jetzt 39 bald
stärkere, bald dünnere Hefte in 7 Bänden; 2) die umfang-
reicheren „Handbücher z. d. L. u. V.'S bisher 3 Teile in
4 Bänden. Unter ihnen verdient namentlich die „Anleitung
z. d. L. u. V.'' viel mehr Beachtung, als ihr bis jetzt zu teil ge-
worden ist. Es sind 3) unter den gleichen Auspicien erschienen
zahlreiche Litteratur-Nachweise für landeskundliche Werke
von Einzellandschaften des Reiches und Österreichs, eine unent-
behrliche Handhabe jeder weiteren Forschung. Von diesen abge-
sehen, deren Kosten von den Herausgebern oder anderen Vereinen
getragen werden, liegt der Schwerpunkt dieser litterarischen Thätig-
keil in der ersten Gruppe. Ihr Wesen ist bereits in dieser Zeit-
schrift beim Referat über den X. Geographentag berührt, und es
ist dort dargelegt, dafs jene Thätigkeit ganz Schiffbruch zu leiden
droht. Denn angesichts des geringen Absatzes steht die Kommission
vor der unerfreulichen, wenn schon üblichen Erscheinung, dafs
in Deutschland die Anregung gegeben und anderswo ihre Früchte
gepflückt werden. Die „Forschungen'' können so nicht weiter
erscheinen, ein „Verein für deutsche Landeskunde", von dem Hülfe
erwartet wurde, kommt auch nicht zustande, denn das verehrliche
Publikum findet zur Zeit an andern Dingen Geschmack. Möchten
die beweglichen Worte, welche die Kommission in dieser Sache
aussendet, nicht ohne Frucht bleiben! Das Kurze und das Lange
von der Sache ist, dafs fleifsiger auf die „Forschungen" abonniert
werden mufs, wenn ein schön begonnenes Werk nicht scheitern
soll. Einladend ist es, dafs nunmehr die 5 ersten Bande neu
eintretenden Abonnenten von der Verlagshandlung (J. Engelhorn
in Stuttgart) zum halben Ladenpreise abgegeben werden sollen.
Hannover-Linden. E. Oehlmann.
Schottes Physikalische Schulwaodkarte von Afrika, bearbeitet
voo Korbgeweit. Berlio 1894, Erost Schotte & Comp.
Im Mafsstab von 1 -.6000000 gewährt diese neue Schul-
wandkarte von Afrika eine gute Darstellung der Naturverhältnisse
des Erdteils in markigen Zügen, daher mit vollgenügender Fern-
wirkung. Aus lichtblauer Meeresfläche tritt dem Beschauer der
massive Aufbau des Continents in fünf, durch deutlich von einan-
6. Bolzmäller^Meth. Lehrb.d.Elem.>Math.,a^z.v.K.Schwering. 723
der sich abhebende Färbungen unterschiedenen Höhenstufen ent-
gegen: in schraffiertem Dunkelgrün die Lagen unter dem Niveau
des Meeresspiegels, in Hellgrün die Niederung (bis zu 200 m), in
Lichtgrau die Stufe bis 500 m, in Gelbbraun die bis 2000 m,
in Sepiafarbe das darüber aufragende höchste Gebirgsland. Die
Flüsse sind in starken schwarzen Linien durchweg sehr gut
erkennbar, desgleichen die kräftig eingetragenen Lagenzeichen für
die Städte. Staatliche Abgrenzungen sind nur in zarteren Strich-
und Punktlinien angedeutet, so dafs sie ebensowenig wie der
nicht zu sehr belastende Namenaufdruck die natürlichenZüge des
Ländergemäldes behelligen.
Fügen wir hinzu, dafs alles für den Schulunterricht Nötige
in korrekter Weise aufgenommen ist, so ist damit die volle Brauch-
barkeit dieser Schulwandkarte anerkannt Bei einer Neuauflage
sollte jedoch dem Kilima-Ndscharo nicht mehr als 6000 m Höhe
zuerteilt und die Malagarassi-Linie verbessert werden. Letztere
bildet, wie wir allerdings erst seit kurzem wissen, nur einen
kleinen, westwärts offenen Hufeisenbogen; Tabora liegt gar nicht
am Halagarassi, sondern es verläuft aus der Tabora-Gegend nur
zur Regenzeit ein linksseitiges Nebengewässer, zuletzt Gombe
genannt, nach dem Malagarassi (oder, wie Baumann wohl richtiger
schreibt, Mlagarassi).
Halle a. S. A. Kirchhoff.
Gustav Holzmüller, Methodisches Lehrbuch der Elementar-
M athematik. lo 2 Teilen. I. Teil. 212 S. 8. Mit 142 Fig. im Text,
geb. 2,40 M. Leipzig 1894, B. G. Teubner.
Schon bei einer früheren Gelegenheit (diese Zeitschrift
47. Jahrg. S. 721) war ich in der Lage, den Ansichten des
Herrn G. Holzmüller bezüglich der neuen Lebrvorschriften bei-
pflichten zu können. Nunmehr liegt das in der Überschrift be-
zeichnete Buch in seinem ersten Teile vor; Herr Holzmüller hat
„der Theorie die Praxis'* folgen lassen, und somit konnte ich
dem Wunsche der Redaktion, das Buch anzuzeigen, nur gern
entsprechen.
Holzmüllers Lehrbuch der Elementar-Mathematik zerfällt in
4 Teile nach der Reihenfolge: Planimetrie, Arithmetik, Trigo-
nometrie, Stereometrie; und in den einzelnen Abteilungen ist die
Ordnung nach Jahrgängen auch äufserlich durchgeführt.
Die Einführung des Lernenden in die Geometrie geschieht
durch Vorführung bestimmter Körper, wobei sofort der Begriff
des mathematischen Körpers als einer Idealgestalt hervortritt;
hieran schliefst sich die Betrachtung der wichtigsten geometrischen
Begriffe an Modellen und Zeichnungen, es ergiebt sich der Begriff
des rechten Winkels, der Symmetrie, des Parallelismus; und so
kann zum Schlufs nicht nur mit Hülfe des Winkelhakens eine
Parallele gezogen, es kann das Flächennetz eines Würfels gezeichnet
46*
724 G. Holzmüller, Method. Lehrb. d. Elementar-Mathematik,
werden, ja die Grundlagen des metrischen MaTses und Gewichtes
können in lichtvoller Weise dem Lernenden die Zuversicht geben,
dafs seine neuerlangten Kenntnisse zu den Dingen der Wirklichkeit
in mannigfachster Beziehung und im schönsten Einklänge stehen.
Der Leser hat bemerkt, dafs die herkömmliche Trennung der
Geometrie in Stereometrie und Planimetrie an dieser Stelle des
Buches noch nicht durchgeführt ist, obschon sie bereits ein Dutzend
Seiten früher erwähnt wird. Auch in der Überschrift des folgen-
den Abschnittes findet sich neben Kreis, Bogen und Winkel noch
die Kugel; aber von jetzt ab befinden wir uns doch auf dem Ge-
biete der Planimetrie. Der Begriff des Winkels wird durch die
Betrachtung kongruenter Bogen bezw. Sektoren gewonnen. Dabei
wird die Zahl n erwähnt und •— um es gleich gerade heraus zu
sagen — das Scheitern vielfältiger Versuche, die Schuler auf
anderem Wege sicher und leicht mit dem „Winkel'* bekannt zu
machen, hat auch mich gezwungen, denselben Weg einzuschlagen
und den Vorwurf „unwissenschaftlichen'' Vorgreifens leicht zu
nehmen angesichts der grofsen didaktischen Vorteile dieses Ver-
fahrens.^) Indem nun von der Umdrehung eines Lineals Gebrauch
gemachtwird, kann der Satz von der Winkelsumme des Dreiecks
abgeleitet und mit seiner Hülfe die Parallelentheorie begründet
werden. Es folgen die 4 Dreiecksgrundaufgaben (Kongruenzsätze),
die wichtigsten Grundaufgaben über Senkrechte und zum Schlufs
eine übersichtliche Zusammenstellung der wichtigsten Ergebnisse.
Bei der Wichtigkeit des Gegenstandes gestatte ich mir, hier-
bei noch folgende Gesichtspunkte hervorzuheben. Wer es unter-
nähme, heutzutage ein wissenschaftliches Lehrbuch der Geometrie
zu schreiben, der könnte kaum ein anderes Buch liefern, als etwa
das bekannte Buch von Frischauf (Leipzig 1876) oder die neueste
l*ublikation meines Freundes W. Killing Einführung in die
Grundlage der Geometrie (Paderborn 1893). So und nur so
ergiebt sich ungesucht eine Trennung der Sätze nach drei Axiomen,
welche man zuläfst; so und nur so erscheint das Parallelenaxiom
in seiner ganzen Bedeutung und an naturgemäfser Stelle. Und
doch wird niemand ein solches Buch unreifen Knaben in die Hand
geben. Hiernach zwingt der heutige Standpunkt der Wissenschaft
mit unabweisbarer Notwendigkeit dazu, bei Abfassung eines Schul-
buches zwischen den Forderungen wissenschaftlicher Strenge einer-
seits und den Voraussetzungen eines gedeihlichen Jugendunterrichtes
anderseits nach einem glücklichen Ausgleiche zu suchen. Dieser
Ausgleich ist aber nicht in einer bestimmten Lagerung und An-
ordnung des Stoffes gegeben, sondern die Individualität des Ver-
fassers wird sich in mannigfaltiger Weise geltend machen können.
So geht Herr Holzmüller von der Betrachtung körpeHicher Gebilde
^) Vergl. die voo Dr. Krimphoff ood mir heraas^fegebeoe Tlaoimetrie.
Freiborg i. B. 1894, Herder. \
^
\
aogez. von K. Schweriog. 725
aus and gelangt erst am Schlüsse des Quartapensums zu den
einfachsten Grundaufgaben. Auch der umgekehrte Weg ist gang-
bar: man kann den Schuler die einfachsten Aufgaben: Halbierung
einer Strecke, Errichtung einer Senkrechten u. s. w. als blofse
Zeichnungsaufgaben ausfuhren lassen, um so zu richtigen
Vorstellungen der ebenen Gebilde vorzudringen. Ich selbst habe
diesen Weg wiederholt auch bei schwachen Jahrgängen mit Erfolg
eingeschlagen und gefunden, dafs die später folgenden Beweise von
den Schülern selbst als unentbehrlich empfunden und gern auf-
gesucht wurden. Möge nur, — und dazu wird das HoIzraüUersche
Buch hoffentlich beitragen — der Gedanke immer mehr bei den
Schulmännern Wurzel fassen, dafs es sich bei dem ersten Unter-
richte in der Mathematik nicht „um die Befriedigung streng
philosophischer Anforderungen'* handeln kann, sondern um die
Angabe einer „dem kindlichen Geiste angepafsten Methode*^
Die Lehraufgabe der Untertertia umfafst auf 23 Seiten den
bekannten Lehrstoff, wobei die Reichhaltigkeit und zweckmäfsige
Ordnung der Übungen warm anerkannt sei. Dafs ich die Vor-
anstellung des Pythagoreischen Lehrsatzes ebensowenig wie die in
einer Fuisnote gegebene Begründung dieses Verfahrens anerkenne,
mag offen ausgesprochen sein.
[m folgenden Lehrgange verdient die Behandlung der Ähnlich-
keitslehre nach Anordnung und Methode vielfach den Vorzug vor
herkömmlichen Darstellungen. Insbesondere ist mit der lang-
atmigen, dem Durchnittsschüler so unverständlichen Inkommen-
surabilität glücklich aufgeräumt.
Wie oben hervorgehoben wurde, mufs das Lehrbuch der
Schulmathematik heutzutage einen Kompromifs zwischen den
Forderungen der strengen Wissenschaft und denjenigen einer
vernünftigen Didaktik darstellen. Auch in seinem Lehrvortrage der
Arithmetik ist Holzmüller diesem Grundsatze gerecht geworden.
So baut er die Lehre von den gebrochenen und negativen Zahlen
in einer solchen Weise auf, dafs die Richtigkeit der betreffenden
Gesetze zunächst an positiven Zahlen und an „aufgehenden'' Divi-
sionen abgeleitet werden. Hiernach ist die bekannte Zeichenregel
nicht eine aus Begriffsbestimmungen abgeleitete Notwendigkeit,
sondern eine zweckmäfsige Festsetzung. In diesem Grundgedanken
sollten alle Lehrer und Lehrbücher der Arithmetik übereinstimmen ;
die Ausgestaltung desselben kann eine recht verschiedene sein. Ein
Vergleich der HolzmüUerschen Darstellung mit der von dem Unter-
zeichneten (Herder 1893) gegebenen, dürfte dies unwiderleglich
darthun. Denn auch in der Arithmetik kann genau wie in der
Geometrie ein eigentlicher propädeutischer Unterricht erteilt und
damit Holzmüller gegenüber eine Ausbiegung zugunsten des Jugend-
unterrichts gemacht werden. Und es ist zugunsten wissenschaft-
licher Strenge nicht minder möglich, die Multiplikationsgesetze als
Quelle aller algebraischen Rechnungen noch mehr in den Vorder-
726 G.Holziniiller,Meth.Lehrb.fi.Bleni.-Math., ags.v.K.Sehweriiig
grand zu drängen, als in dem Holzmüllerschen Buche geschehen ist.
Dabei hätte ich gewünscht, dafs besonders an einer Stelle die
wissenschaftliche Unzulänglichkeit eines Beweises ausdrucklich her-
vorgehoben wäre. Es handelt sich um den Beweis, dafs y? eine
Irrationalzahl ist, und leider ist die Gefahr nicht ausgeschlossen,
dafs auch andere als Schüler die gegebene Beweisführung für
streng halten könnten. Bekanntlich hat sich Gaufs disq. arithm.
art. 14 zu dieser Sache nicht gerade höflich, aber deutlich geäufsert
Den Schlufs der Arithmetik bildet die Lehre von den Potenzen,
Wurzeln und Logarithmen. Der Verfasser begnügt sich mit vollem
Rechte, die dekadischen Logarithmen einzig zu behandeln. Vor-
trefflich ist der in einer Fufsnote gegebene Hinweis, dafs Loga-
rithmen negativer Zahlen nur durch die imaginären zugänglich
sein können.
Die Trigonometrie enthält nur 14 Seiten. Sie erklärt die
Funktionen am rechtwinkligen Dreieck und wendet dieselben zur
Berechnung recktwinkliger und gleichschenkliger Dreiecke an.
Die Funktionen stumpfer Winkel werden durch ein Verfahren
erklärt, welches dem Koordinatengedanken entstammt. Ich will
die Berechtigung dieser Methode durchaus nicht anfechten, ob-
schon ich einer andern den Vorzug gebe. Es folgt die Her-
leitung des Sinus- und Kosinussatzes und eine recht hübsche
Sammlung von Aufgaben. Dafs Herr HoIzmüUer nicht n und
auch nicht 2 R, sondern schlecht und recht 180 ^ in die Formeln
einführt, kann nur zur Nachahmung empfohlen werden.
Bezüglich der Stereometrie hat der Verfasser eine Anleitung
zum richtigen Zeichnen so hoch bewertet, dafs sie ihm als der
„Schlüssel zu einem erfolgreichen Unterrichte*' erscheint. In den
Kreisen der Fachgenossen hat Herr Holzmüller mit diesem Ge-
danken vielen Erfolg erzielt. Selbstverständlich kann es ihm da-
bei nicht in den Sinn kommen, andere Unterrichtsmittel wie die
Anschauung körperlicher Modelle, die Zeichnung in einer Ebene
mit Zirkel und Lineal, ja die Zahlenrechnung ungebührlich zurück-
drängen zu wollen. Und unter diesem Vorbehalt mag seinem
Verfahren zugestimmt werden. Eine geradezu musterhafte Dar-
stellung des Cavalierischen Satzes und seiner Anwendungen bildet
den Schlufs.
Hiermit nehme ich vorläufig von dem vortrefflichen Buche
Hoizmüllers Abschied. Habe ich nach gutem Brauch mit ab-
weichenden Überzeugungen nicht zurückgehallen, so stehe ich
nicht an, im übrigen warm und in den Grundsätzen völlig zuzu-
stimmen.
Düren. K. Schwering.
Lieb er- Kohl er, Arithmetische Aafe^abea, a^z. v. O.Meyer. 727
H. Lieber und A. R5hler, Arithmetisebe Anf^abeo. Berlin 1894,
LeoDhard Simion. VI und 222 S. 8. 2,70 M.
An Sammlungen arithmetischer Aufgaben ist, nachdem in den
letzten Jahren mehrere neue erschienen sind, kein Hangel. Die
Verfasser haben sich zur Herausgabe ihrer Sammlung entschlossen,
da Yon mehreren Amtsgenossen, die sich des Leitfadens der
Arithmetik yon Lieber und v. Lühmann bedienen, der Wunsch
ausgesprochen ist, eine diesem Leitfaden zu Grunde gelegte Auf-
gabensammlung zu benutzen. Selbstverständlich ist bei der Zu-
sammenstellung und Bearbeitung der Aufgaben den neuen Lehr-
plänen Rechnung getragen, z. B. sind die Gleichungen ersten Grades,
wie die Verfasser in der Vorrede bemerken, so ausgewählt und
angeordnet, dafs an ihnen die vier Grundrechnungsarten unmittel-
bar eingeübt werden können, damit durch solche Verbindung ver-
schiedener Gebiete Zeit gespart werde, weil durch die neuen Lehr-
pläne das Pensum der Untertertia vergröfsert worden ist. Bei
den Anwendungen der Gleichungen ersten Grades mit einer Un-
bekannten sind besonders die bürgerlichen Rechnungsarten, die
jetzt in Untertertia durchgenommen werden sollen, berücksichtigt.
Das für die Tertia bestimmte Übungsmaterial ist sehr reichhaltig
und gestattet dem Lehrer, mehrere Jahre hindurch mit den Auf-
gaben zu wechseln. Besonders zeichnet sich die Sammlung hier-
durch vor anderen in den Abschnitten über die Addition und
Subtraktion von Buchstabenbrüchen, die Zerlegung algebraischer
Summen in Faktoren und das Heben der Buchstabenbräche vor-
teilhaft aus. Die Auflösungen werden in einem besonderen Heft
(Preis 1,50 M) gegeben. Nur ausnahmsweise sind hinter schwie-
rigeren Aufgaben, die wohl mehr für die Privatthätigkeit der
besseren Schuler bestimmt sind, die Resultate angegeben. — Das
Buch umfafst das Pensum von Untertertia bis einschliefslich Ober-
sekunda, also auch noch die quadratischen Gleichungen mit meh-
reren Unbekannten und die einfachen Reihen. Eine Zusammen-
stellung von Aufgaben über das Pensum der Prima behalten sich
die Verfasser vor. Wir würden es mit Rücksicht auf die nicht
unerhebliche Anzahl von Schülern, die nach Absolvierung der
Untersekunda abgehen, und auf die Nicht voUanstalten, die jetzt die
Obersekunda verloren haben, für richtiger halten, die vorliegende
Sammlung mit dem Pensum der Untersekunda abschliefsen zu
lassen. Vielleicht entschliefsen sich die Verf. bei einer neuen Auf-
lage zu dieser Trennung und statten dafür die Paragraphen, die
die Anwendungen enthalten, etwas reichhaltiger aus, denn diese
sind im Vergleich zu den rein mathematischen zum Teil etwas
dürftig ausgefallen. So ist in dem Paragraphen von den Pro-
portionen eine überreichliche Menge von Zahlenbeispielen gegeben,
aber nicht eine einzige Textaufgabe. Allerdings finden sich später
solche unter den Anwendungen der Gleichungen ersten Grades.
Ebenso sind den arithmetischen Reihen aufser zwei Bewegungs-
728 E.Hoppe, Lehrbuch der Physik für höhere LehrsDstalten,
aufgaben gar keine Anwendungen beigefügt. Unter den Text-
gleichungen sind verhältnismäfsig mehr als in anderen Sammlungeu
dem Gebiet der Geometrie entnommen, doch könnte die Auswahl
wohl noch vielseitiger sein (vergl. Harmuth, Textgleichungen geo-
metrischen Inhalts. Berlin , Springer). Bei den Radizierui^en
vermisse ich einige Zahlenbeispiele für die vierte- (auch achte)
und sechste Wurzel. — Noch einige Bemerkungen in formeller
Beziehung. Gramm ist stellenweise gr statt g abgekürzt und die
vorschriftsmäfsige Schreibweise, die Pfennige von den Mark durch
ein Komma zu trennen, nicht überall durchgeführt. „Welcher"'
als Relativ und „derselbe*' statt des Personal- oder Possessivpro-
nomens sollte möglichst vermieden werden, fn den Aufgaben 4
und 5 auf S. 163 mufs es statt „subtrahiert man beide Zahlen"
heifsen .«subtrahiert man die letzte von der ersten*' oder auch,
da bei beiden Aufgaben Minuend und Subtrahend ohne Änderung
des Resultats vertauscht werden können, „die eine von der andern**.
Bei Aufgabe 18 auf S. 199 wird der Schüler, falls er nicht auf
die Gröfse der Zahlen achtet, annehmen, dafs die Körper sich
wie in der vorhergehenden Aufgabe vom Scheitelpunkt aus be-
wegen; es sollte deshalb die Frage besser lauten „vor** statt „nach
wie viel Minuten**. Vielleicht haben die Verf. aber absichtlich
diese Fassung gewählt, um zu zeigen, dafs ein etwaiger Mangel
oder eine Ungenauigkeit bei der Abfassung einer Textaufgabe
sofort durch das rein mathematische Resultat berichtigt wird.
Nach meiner Ansicht sollten die Aufgabensammlungen überhaupt
einige Textaufgaben enthalten, deren Resultat negativ ist und
dann der Aufgabe entsprechend zu deuten ist. Die Textaufgaben
zweiten Grades, die auf mehrere Unbekannte führen, könnten
irgendwie äufserlich von denen mit einer Unbekannten getrennt
sein. — Druckfehler habe ich trotz zahlreicher Stichproben nur
folgende gefunden. In Aufgabe 6 auf S. 198 mufs es heifsen
„dessen Inhalt ein Drittel so grofs ist** statt „halb**. S. 199,
Aufg. 17 ergiebt 8 Minuten als Resultat, nicht 80. Auch in
Aufg. 18 derselben Seite befindet sich ein Druckfehler.
Schwetz. 0. Meyer.
Edmund Hoppe, Lehrbuch der Physik für hShere Lehrao^talten.
Mit einer Karte der Iso^fonen und Isokiinen. Leipzig 1894, Johann
Ambrosins Barth (Arthur Meiner). 134 S. 8. 2,20 M.
Das vorliegende Lehrbuch enthält leider kein Vorwort, aus
dem zu ersehen ist, wie der Verf. das Buch im Unterricht ver-
wertet haben will; soviel ist aber sofort ersichtlich, dafs es nur
für die oberen Klassen bestimmt sein kann.^)
^) Nach einer Notiz in der Poskescben Zeitschrift für den physikalischen
Dod chemischen Unterricht ist den Tur Lehrer bestimmten Exemplaren des
Hoppeschen Lehrbuches eine „Vorbemerkung^' beigeheftet. Mir hat eine
solche nicht vorgelegen.
• Dgez. voD A. Leiber. 729
Was zunächst seine Einrichtung betrifft, so ist die Reihen-
folge, in der die einzelnen Disziplinen der Physik behandelt werden,
eine andere als die sonst übliche, indem die Wärmelehre sogleich
nach der Mechanik besprochen wird. Die grofse Kürze, durch
die sich das Lehrbuch von allen dem Berichterstatter bekannten
für die oberen Klassen bestimmten unterscheidet, wird dadurch
erreicht, dafs jeder Paragraph in zwei Teile zerlegt ist. Der
erstere, der Haupttext, enthält die wichtigsten physikalischen Ge-
setze und Erklärungen in möglichst kurzer Form und eine recht
grofse Zahl historischer Bemerkungen, die zwar häufig nur durch
Namen und Jahreszahl angedeutet sind ; der andere Teil behandelt
unter der Rubrik Aufgaben eine Reihe von Fragen, die für das
Verständnis des Haupttextes sehr wichtig sind, so dafs dieser Teil
durchaus nicht übergangen werden darf. Die Aufgaben behandeln
teils Beschreibungen von physikalischen Apparaten, teils die Er-
klärung der im Haupttexte erwähnten Thatsachen, teils sind es
wirkliche Aufgaben, teils leiten sie zum Verständnis des folgenden
Paragraphen über. Alle mit Ausnahme der wirklichen Aufgaben
sind aber so beschaffen, dafs sie in der Klasse mit den Schülern
durchgenommen werden müssen. Die Zahl der Figuren im Texte
beträgt acht; sie werden nur da angewendet, wo sie zum Ver-
ständnis durchaus notwendig sind, meist bei mathematischen Ent-
Wickelungen. Sehr kurz ist die Metereologie, kosmische Physik
und die mathematische Geographie behandelt. Das Buch schliefst
mit einigen Tabellen, die bei den gestellten Aufgaben zu be-
nutzen sind.
An dem Anfange der Paragraphen vermisst der Bericht-
erstatter eine durch den Druck ausgezeichnete kurze Inhaltsangabe,
die das Nachschlagen wesentlich erleichtern würde. Die Gesetze
sind meist nur angegeben, ohne dafs sie entwickelt werden; in
einigen schwierigeren Fällen findet eine Entwickelung statt, z. B.
bei dem Pendel, in sehr knapper Form bei der Centralbewegung
(hier wird der Begriff der Winkelgeschwindigkeit ohne vorherige
Erklärung eingeführt), bei der Reflexion des Lichts an Hohl-
spiegeln, bei der Brechung des Lichts durch Linsen und noch
bei einigen Gesetzen aus dem Gebiete der Elektrizität und des
Magnetismus. Sowohl im eigentlichen Texte als auch unter den
Aufgaben befinden sich mit einem Stern bezeichnete Stellen; zu
dieser Bezeichnung fehlt die Erklärung. Soviel Ref. hat ersehen
können, sind dies Abschnitte, die für die Realanstalten bestimmt
sind, von den gymnasialen aber übergangen werden können.
Bei der Erklärung des Galvanisiius ist nur die Kontakt-
theorie, nicht die elektrochemische erwähnt, die chemische Zer-
setzung in einem galvanischen Element wird als die Ursache zur
Erhaltung des Stroms bezeichnet. Dafs bei der Besprechung
der Telegraphie das Morsealphabet angeführt wird, scheint ein
Widerspruch gegen die sonst beobachtete Kürze zu sein. Bei den
730 E. Hoppe, L eh rb. d. Physik f. hj)h. Lehraos t.,agz. v. A. Leiber.
magDetischen Wirkungen des galvanischen Stroms ist die Theorie
der magnetischen Kraftlinien nicht berücksichtigt oder nur ge-
legentlich in den Aufgaben erwähnt. Ebenso wäre in dem Haupt-
texte bei dem von der Induktion handelnden Abschnitte ein Hin-
weis auf den Zusammenhang zwischen den Gesetzen der Induktion
und dem der Erhaltung der Energie sehr erwünscht. In den Auf-
gaben des § 131 ist dai*auf hingewiesen.
An Druckfehlern ist dem Ref. nur einer im § 107 aufge-
fallen; daselbst ist von dem Momente eines JMagnetstabs die Rede,
es heifst: „2b ist nicht identisch mit der geometrischen Länge
des Stabs, sondern etwa Vs derselben (Coulomb)'^
Das Buch führt den Titel: „Lehrbuch der Physik für höhere
Lehranstalten'*; wie steht es mit seiner Brauchbarkeit für diese?
Nach der Meinung des Berichterstatters ist ein selbständiger Ge-
brauch desselben in der Hand des Schülers vollständig ausge-
schlossen ; nur nachdem sowohl der Haupttext als auch der gröfste
Teil der Aufgaben im Unterrichte gründlich durchgenommen ist,
kann das Buch den Schülern als Grundlage zur Repetition dienen.
Aber auch dann werden wohl nur die beanlagten davon Nutzen
haben, alle übrigen werden, wenn auch nur wenige Wochen seit
der Durchnahme verflossen sind, nicht mehr imstande sein, die
vielen an sie herantretenden Fragen zu beantworten. Zum Beweise
für diese Ansicht sollen zwei Punkte hervorgehoben werden.
1) Bei der Höhenmessung (§ 41) heifst es: „Bezeichnet d das
Verhältnis des Barometerstandes in der Höhe 1 m zu dem in
Om Höhe, so ist der Barometerstand bn in der Höhe n Meter
bn = bo . d^*'', Dafs der Verf. diese Formel ohne Entwickelang
auswendig gelernt haben will, kann Ref. nicht annehmen, dafs
aber, wenn auch nur kurze Zeit nach der Durchnahme verstrichen
ist, sich die Schüler von der Entwickelung noch klare Rechen-
schaft geben können, erscheint sehr zweifelhaft. 2) In § 98 werden
die Influenzmaschinen kurz beschrieben, über ihre Wirkungsweise
wird nichts gesagt ; nur in den Aufgaben wird die Forderung ge-
stellt eine schematische Zeichnung der Wirkungsweise der Holtzschen
und Töplerschen Maschine herzustellen. Werden die Schüler auch
später imstande sein sich aus diesen Zeichnungen zurechtzufinden?
Zum Schlufs fafst der Berichterstatter sein Urteil dahin zu-
sammen: Für den Lehrer ist das Buch insofern von Wert, als
es ihn kurz darauf aufmerksam macht, was im Unterrichte durch-
zunehmen ist; für den Schüler aber kann es nur dann brauch-
bar werden, wenn er angehalten wird, sich über das mit ihm
Durchgenommene schriftliche Notizen zu machen, die von Seiten
des Lehrers sorgfältig kontrolliert werden. Dies steht aber mit
den pädagogischen Grundsätzen im Widerspruch, nach denen ein
Lehrbuch alles bieten mufs, was der Schüler notwendig zum Ver-
ständnis der in ihm enthaltenen Sätze gebraucht.
Magdeburg. A. Leiber.
DRITTE ABTEILUNG.
BERICHTE ÜBER VERSAMMLUNGEN, NEKROLOGE,
MISCELLEN.
Zq Gäsars Bellnm civile.
1, 4, 1 scheiot mir B. Kubler einen sehr beachtenswerten Vorschlag
gemacht zn haben. Aber es sind zwei Konsuln vorhanden; darum glaube ich,
dafs die Hinzufngung des Namens unerlärslich ist: omnibusque rationibus
(auetorttas LeiäuU^ eonwlis . . . oppomtur.
1, 5, 4 will Kindscher tribunis plebis tilgen; aber dies ist der signi-
fikante Begriff, der schwerlich entbehrt werden kann. Der Anstofs liegt nur
in der Stellung der Worte; das begründende amplüsimis viris hat wohl seine
richtige Stelle hinter tränmis plebi*,
1, 8, 3 würde cum iUis nocere se (posse^ sparet mit dem deutlich aus-
geprägten Sprachgebrauche Cäsars übereinstimmen (s. die 14 Stellen im Lex.).
Nur 3| 8, 3 weicht ab (denn 2, 27, 2 ist anders), und hier ist die Überliefe-
rang schwankend. Ich glaube mit Panl, dafs der blofse Begriff terrere nicht
genügt, dafs es deterrere heifsen mufs. Wird aber in der einen Hälfte der
Hss. eine Lücke angenommen, dann dürfte es nicht zu kühn sein, an eine
etwas gröfsere Lücke zu glauben: rehquos (posse de)terreri sperans. Zu
der Stellung von poste vgl. VI 10, 2.
1, 10, 2 knnn re nicht fehlen; Gruter setzte es vor respondent ein, es
konnte aber ebenso gut vor deiiberala übersehen sein. Ein festes Prinzip
in dieser Wortfolge befolgt Cäsar nicht, doch ist, wie natürlich, die Voran-
anstellnng von re in solchen Abi. abs. das Gewöhnliche. Demnach würde
IV 9, 1 für (re) ddiberata sprechen.
1, 14, 5. Wenn in Kampanien mehr als ein römischer Kolonisteo-
verein zu denken ist, mufs bei Rubens* Konjektur circum famiUcLs mit
eonventuum Campaniae fortgefahren oder (unter Streichung des überlieferten
familiäres) circum corwentus Campaniae zusammengenommen werden. Wenn
es dagegen nur einen kampanischen conventus 'gab, nämlich den in Capna
(die Römer haben bekanntlich Capuanus weder als Substantiv, noch als Ad-
jektiv gebraucht), so mufs, da an eine Verschreibung von Capuae wohl
■icht zu denken ist, meines Erachteos circum familias conventus Campani
gelesen werden.
1, 15, 7 kann der Wortlaut bei Paul und Kubier nicht als sicher an-
erkannt werden ; denn es erscheinen drei Ortsangaben nebeneinander gestellt
(Alba, die Marser und Paligner, die angrenzenden Gegenden), von denen die
letzte in dieser Form wohl nicht auftreten darf, da die Marser und Paligner
selbst ßnitimae regiones sind. Aufserdem ist die Präposition ab kaum statt-
haft (1, 34, 2 und 3, 103, 1 sind anders). Daher glaube ich, dals zu lesen
ist: Alba (<efy ex Marsis et PaeUffnis finitimisque regionibus. Zu dem Einschub
von et vgl. 1, 34, 2; 3, 42, 5 (Menge); q^e im Sinne von „und überhaupt*^
732 Zn Cäsars Bellam civile,
1, 17, 3. Wie bei alleo römischeo Historikero, so begegnet auch bei
Cäsar oft eioe sehr freie Wortstellang (z. B. 3, 18, 2 obviam). Aber die
Deatlichkeit pfleget darnoter nicbt zu leiden, was 1, 17, 3 bei cerUuque cuique
partes ad custodiam urbis attribuit doch wohl der Fall ist: „er teilte jedem
eiozelneD zum Zweck der Bewachnof^ der Stadt seine bestimmte Rolle (Auf-
gabe) za''. Ich meine, es mafs partes urbis ad custodiam attribuit (gelesen
werden; vgl. lü 1, 6; 3, 40, 1.
1, 19, 4 sind die Erklärnngsversache des fuisset verfehlt, da es direkt
nicht fuerü, sondern erit oder est heifsen müfste (s. die Beispiele im Lex.).
Es ist also essd zo lesen, wie schon Nitsche hervorhob. Ich möchte aber
den Anfanfi^ des Wortes retten and si qua ei esset facultas schreiben. Ist
auch der Dativ bei diesem Ausdruck nicht gewöhnlich, so kann er doch wohl
stehen, da Cäsar aoch facuUatem habere (nandset) anwendet.
1) 48, 4 enthält der Relativsatz quo . . aberant za tempus erat diffi-
dUimum gerade so die Begründang wie der hinter dvitates earinanitae (erant)
folgende Satz die Begründaog hierzu. Man erwartete also, dafs in dem
Relativsatz die Verba im Konjunktiv ständen; und daher vermute ich, dats
quo in quod zu ändern sei. Im Folgenden ist die Begründung des exinanäae
in zwei Gliedern gegeben, bei denen das Asyndeton nicht berechtigt scheint;
man erwartet convexerat (flc) oder reltqui(que}.
1, 53, 3. Wie es möglich ist, dafs in Rom concursus ad j4franiutn statt-
finden, während dieser sich in Spanien befindet, bedarf sehr der Aufklärung.
Ich halte es mit Paul, welcher der Ansicht ist, dafs in Rom nur nach der
dotnus ^franii hingelaufen werden konnte. Nach Mensels Tab. con. ver-
mutet Paul: magni domum concursus [ad] Afranü magnaeque gratulaUones
fiebant, was mir dem Ausdruck und der Wortstellung nach sehr bedenklich
erscheint; denn domus heifst hier doch das „Wohnhaus**, und dabei mufs
wohl die Präposition stehen (vgl. 2, 18, 2). Ich vermute: magin concursus
ad domum Jfranii . . . Nachdem die Worte verstellt waren, lag hinter ad
die Veränderung von j4franii in Afranium nahe.
1, 58, 6 ist von Paul in ausgezeichneter Weise verbessert und er^nzt
worden. Da aber der Schriftsteller in derselben Periode einen Wechsel in
den Temporibns meidet, ist wohl auch die leichte Änderung interitrusd,
novem vorzunehmen.
1, 61, 3. Wenn genus ),Art** heifst, so mufs ein Genetiv dabei stehen
oder sich ungezwungen aus dem Zusammenhange erkennen lassen. An dieser
Stelle ist keins von beiden der Fall; ja die Hss. bieten einen Wortlaut, der
seines Gleichen sucht. Man weifs nicht, wozu dvitates gehört, ob zum
Relativsatz oder zum Folgenden. Das letztere gäbe einen ganz guten Aus-
druck, aber es wurde, wozu der Leser so wie so geneigt ist, das vorher-
gehende quae auf generibus zu beziehen sein und der uneriäfsiiche Begriff
dmtates deutlich fehlen. Daher setzen die Herausgeber hinter dvitates ein
Komma und tilgen die Interpunktion hinter generibus. Der so erzielte Aus-
druck ist höchst merkwürdig; aber wenn er auch denkbar wäre, so mnfste
nun vor den beiden Teilen (vidae und quae . . deligebant) ein partitiver
Ausdruck ergänzt werden, was wohl ein zu weit gehendes Verlangen ist
Für mich giebt es keinen anderen Ausweg als die Hinzufügung von cimtatum
hinter generibus: ex duobus generibus (.dmtatum), quae . . cum Sertorio
stderant, dvitates victae . . . ; damit ist alles geordnet Die in der Wieder-
von H. J. Möller. 733
holoD^f des Wortes eivüates liegende Breite des Aasdracks dient der Deutlieh-
keit (vgl. 2, 19, 5); denkbar wäre es freilich nach, dsfs dieser Bej^riff, nach-
dem eiviUäum aasgefallen war, von unberufener Hand hiniugefUgt wurde.
1, 74, 2. Die zahlreichen Beispiele im Lex. und überhaupt der lateini-
sche Sprachgebrauch machen es mir wahrscheinlich, dafs ^uod tum ab infUo
(jdy feeerint zu schreiben sei.
1, 79, 1 wird der mindestens gezwungenen, nach meiner Ansicht unmög-
lichen Erklärung des plures vorgebeugt, wenn wir ewiphtresque . .
schreiben.
2, 5, 5 hat Paul auf die Unrichtigkeit des Wortes euiusque hinge-
wiesen. Sein Vorschlag iustae aetatis befriedigt nicht, weil der Ausdruck
nichtssagend ist und den erforderlichen Gegensatz zu iuventus nicht zum
Ausdruck bringt. Dieser ist in den beiden durch Parallelstellen belegten,
aber änfserlich sich nicht leicht ergebenden Ausdrücken gravioris aetatu und
supenoris aetatu enthalten. Zu letzterem wird man wohl am richtigsten
greifen, weil es in derselben Verbindung mit iuventus schon § 3 begegnet.
2, 14, 1 ist foras nicht zu verwerfen, also auch nicht gewaltsam zu
verändern; ich möchte partU se Jorae proripiunt lesen, wie 2, 11,4.
2, 14, 5 wird aus dem überlieferten mperioris temporis doch wohl
leichter euperiorib. lemporib, hergestellt als superiore tempore.
2, 19, 2 ist zwar ad dient an sich ein korrekter Ausdrnck und auch
nach dem vorhergehenden ad quam diem an sich ohne Anstofs; aber der
Parallelismns der Glieder weist darauf hin, dafs ad id temput . . ad (eam}
dirnn gesagt war.
2, 21,4 mufs cum vor üs naoibus eingefügt werden, ebenso wie
ly 31, 3. 36, 1; 2, 24, 1. Kleine Lücken dieser Art sind in den Cäsar-Hss,
ttheraus zahlreich.
2, 23, 4 könnte Cäsar sehr wohl (jDogyiiia) eius Juga gesagt haben,
wie R« Schneider vorschlägt, oder <vw<i> eine fuga, wie Paul will, was dem
Gedanken nach, glaube ich, noch etwas besser pafst als cognita, Dafs Cäsar
in dem hier erforderlichen Sinne sonst andere Verba gebraucht hat (z. B.
Vn 61,4), ist von keiner Bedeutung; trotzdem sei an {animadversay eius
fuga erinnert (vgl. 2, 42, 5). Sollte auch 2, 25, 6 das Verbum von den
Abschreibern übersehen sein (was ich glaube, da zu inierim . . . iubet der
temporale Ablativ nicht mehr zu passen scheint), so kann über die Wahl
desselben kein Zweifel sein (s. Lex.), und bei (jaognäo^ Curia ist die Ursache
des Ausfalles erkennbar.
2, 23, 5 vermute ich : quas praesidio onerarüs navibus Curio em SieiUa
duxerat (oder adduxerat)'^ für dieses Kompositum spricht Logik und Sprach-
gebrauch, naues ex SieiUa edueere scheint mir überhaupt ein unmöglicher
Ausdruck. Zu praesidio ducere vgl. 3, 7, 1 (wo jedoch vielleicht adduxisset
zu lesen ist).
2, 27, 2 ist ea credimus (Paul) wahrscheinlich die richtige La.; da
man in diesem Falle aber auch vor retiquos ein ea erwartet, wenn auch
nicht gerade vermifst, so wird auch an Umstellung des überlieferten et oder
besser, wie mir scheint, an [eQ eredimus gedacht werden können.
2, 28, 1 vermute ich Corßnü (für das überlieferte corßnio); genauer
ausgedrückt müfste es ad Corßnium heifsen, eine Kürze des Ausdrucks, die
sich alle Schriftsteller gestattet haben. Bei Kr.-Hofm." werden wir aus-
734 2u Cästrs ßellam civile,
drficklieh gewarnt, den Abi. Corfinio für eioe Verschreibang zu haltea; aber
das Lejc. lehrt, dafs der Abi. bei recipere (finibus, oppido, portibus, tseto,
urbe) etwas aoderes bedeutet, Kr.-Hofm. zu 1, 35, 5 heben dies selbst hervor
und lesen 8, 103, 3 t^ . . Alexandria reeiperetur im Sinne von „in A. auf-
nehmen^' (wo Paul indes mit Recht den Acc hergestellt zu haben seheint).
Dieselbe Änderung (Corfinü statt Corfinio) wird auch 1, 34, 1 nStig sein;
denn schon durch die Wortstellung wird es klar, dafs Corfinü mit captum
zusammengehört, aueh verträgt dimitiere, wie das Lex. zeigt, iieine weitere
Angabe neben sich als ab se oder den Ort, wo die Entlassung erfolgt.
2, 31, 4 fassen Kr.-Hofm.* amnium als objektiven Genetiv („Verzweif-
lung an allem"), worin ihnen, glaube ich, beizustimmen ist; aber dafs Cäsar
die Form omnium als Neutrum gebraucht habe, statt omnium (remm}, ist
sehr in Zweifel zu ziehen. Ist jene Auffassung richtig, so wird die erwähnte
Ergänzung kaum abzuweisen sein; vielleicht ist aber auch (sakUis} omnium
oder omnium {salutis) möglich nach 1, 5, 3. Noch auffallender ist 2, 32, 14
das Neutrum cuius, weil Cäsar diese Form ebenso vermeidet wie andere
Schriftsteller und quod dafür der gewöhnliche Ausdruck gewesen wäre. leh
vermute cuius (jrefy nach Lex. II 151 3 ff.
2, 32, 2 ist dwnottts statt eommotus eine Singularität, soviel ich sehe,
in der gesamten lateinischen Litteratur, die bei Cäsar nicht vorausgesetzt
werden kann, zumal das Kompositum als solches hier kaum zu verstehen ist.
2, 32, 5 ist eiocuUu statt locutui ganz gegen Cäsars Sprachgebrauch.
2, 40, 4 ist mit Kubier gewifs timoris statt temporit zu schreiben ;
aber das überlieferte praesenHs durfte meiner Ansicht nach nicht angetastet
werden: praesentis timoris opinio ist die (falsche) Vorstellung, dafs augen-
blicklich die Gegner voller Furcht seien; das kann zu 9uperiorem spem
ebenso gut einen Gegensatz bilden, als wenn gesagt wird, dafs Cnrio augen-
blicklich diese Vorstellung hegte. So ist auch 1, 76, 5 ipem praoMontit
dediHonis dem Sinne nach nicht verschieden von jpem praesenUm dedHionis
3, 20, 1 hat 0. Seyffert mit Recht die Hinzufügung von se gefordert.
Es konnte vor si leicht ausfallen; besser aber ist es wohl, se nicht so weit
von den dazu gehörenden Worten zu trennen, und darum sähe ich es, trotz
mangelnder paläographischer Unterstützung, lieber vor oder hinter fore ein-
gefügt (Beispiele im Lex.).
3, 24, 3 ist der überlieferte Wortlaut unhaltbar; Meuael will quadTf-
remibus schreiben, ich schlage vor, ex hü zu streichen.
3, 28, 2 vermute ich: has scaphis . . eompluribus immissis (oder missis\
hierbei ist suis ein müfsiger ßegriff) . . .; simul de dediUone earum agebat
. . . polUcebatur . harum una \navis] . . .
3, 30, 3 ist der Plural nach ulerque ebensowenig haltbar wie 2, 6, 5 ; ja
wegen des dabeistehenden eorum noch weniger; zweifellos ist eAiei^ zu schreiben.
3, 30, 4. Da Cäsar quia nicht angewandt hat, empfiehlt es sieh viel-
leicht, das Wort einfach zu streichen: Pompmus expedito itinste — ßumem
ei trenseundum non erat — magnis itineribus . . .
3, 32, 6 vermutete Nitsche veUigal prae{eepit) mutuum, mit merk-
würdigem Singular im Verbnm; daher besser Kühler: veeügal prae^eaptum
esfy mutuum. Beide aber haben übersehen, dafs an der Stelle, auf die der
Schriftsteller verweist, praecipere nicht „auferlegen^*, sondern „vorausnehmen"
bedeutet. Dies hat Nitsche inzwischen erkannt und sehlägt nun vor (briefl.
voD H. J. Müller. 735
Mitteil.): (a) publicanis . . . vecUgal prae(cipiebanfy mutuum. Ganz richtig;
nur mufs es wohl prae((iseperunty heifseD.
3, 41, 3 entziehen sich die Worte qmod omnem cotnmeatum totiusque
belli apparatum eo'contulisset in diesem ZusammeDhanf^e der Erkläraodf (die land-
läofige Interpretation bezeiehnet Hofm.* als ,^anz verworren". Sie sind meiner
Meinung nach zu streichen als ein nach 3, 44, 1 zurechtgemachtes Glossem.
3, 42, 2 wird der angew6hnliehe Sprachgebrauch, dafs von imperat ein
Acc. c. inf. act. abhängt, mit einer Nachlässigkeit des Schriftstellers ent-
schuldigt; es hätte auch auf VII 60, 3 hingewiesen werden kSonen. Aber
diese Stelle und andere (Lex. 11 76) zeigen, dafs Cäsar es liebt, unmittelbar
hintereinander lubere und imperare zu setzen; daher könnte man meinen,
es sei eonvemre {lubet} zu lesen.
3, 46, 5 ist wohl nur so ein passender Sinn zu erzielen, wenn wir
subito (in) eonstipatos pila conieeerunt schreiben; vgl. V 35, 4.
3, 47, 2 ist, wenn in alterum nicht eine schwerere Korruptel vorliegt,
der Singular jedenfalls nicht statthaft; man kann es sich leicht möglich
denken, dafs aUeras hinter quicumque verändert wurde, da der Plural dem
Schreiber nicht oft begegnet war.
3, 72, 2 ist paueitas . . eaiuae fuü sehr seltsam (hoe causae fuU ist
doch etwas anderes), auch das blofse causa kann doch kaum genügen; ich
vermute: e€tusas (calamüatisy fuitse cagitabanL Das vorhergehende abscisum
in duas partes ist ebenfalls etwas Sioguläres, das noch dazu gar nicht ver-
standen werden kann. Eine Änderung liegt nicht nahe; doch pflegt das bei
in duas partes stehende Verb mit dis- zusammengesetzt zu sein. Da hier
dluisum nicht wohl geht, kann vielleicht an discisum (oder diseissum) gedacht
werden, freilich ein Wort, das Cäsar sonst nicht gebraucht hat.
3, 92, 3 vermute ich : missis teUs, Dafs tela {püa^ tragulam) miitere
ein feststehender Ausdruck ist, kann man aus dem Lex. II 624 ersehen. Die
Verbindung iela immittere wird man sich V 44, 6 und VI 8, 6 wegen des
dabeistehenden in kostes gefallen lassen müssen (obgleich ich nicht daran
glaube; an der ersten Stelle bietet ß mittit; vgl. 1,45,6); schwerlich aber
2, 9, 3 (wo auch die Hss. für das Simplex sind), ebensowenig 3, 19, 6 (Paul)
und an obiger Stelle.
3, 94, 6 ego reliquas portas circwneo et . . conßrmo: „ganz so brauchen
auch wir das Präsens von einer sofort eintretenden Handlung für das
Futurum" (Kr.-Hofm.*). Ja, wir Deutsche wenden allerdings das Präsens
so an, der Lateiner aber nicht; ich vermute: tuemmi castra et dtfendOe . .,
(/dum} ego reliquas portas circumeo . . .
3, 106, 4 scheint mir in vor hoe getilgt werden zu müssen; man pflegt
es durch Hinweis auf einen unerklärlichen, längst emendierten Ausdruck
(1, 22,4) zu schützen. Wenn ferner huius eine Verschreibung von in viis
ist, dann wird es wahrscheinlich, dafs zu dem unverständlichen huius urbis
das Glossem muUis partibus hinzugefügt wurde.
3, 110, 1 mufs, glaube ich, wenn keine Lücke angenommen werden soll,
ut in que (d. i. quae) verändert, § 3 provinciae in provinciar. (d. i. provincia-
rum) verbessert und 111, 1 ^m) domum eius irrumpere eonatus geschrieben
werden, wie ich schon Ws. f. klass. Phil. 1894 Sp. 565 hervorgehoben habe.
Berlin H. J. Müller.
VIERTE ABTEILUNG.
EINGESANDTE BÜCHER.
1. D. de Loos, Organisation de l'enseipnement secondaire
dans le royaame des Pays-Bas. Ne se troave pas en librairie. Leen-
warden 1894. 128 S.
2. P. Knaath, Von Goethes Sprache und Stil im Alter. Diss.
Leipzig 1894 (in Kommission bei G. Fock). 46 S. 4.
3. Ernst Cnrtins, Gesammelte Abhandlungen. In zwei Bänden.
Band II, mit neun Tafeln. Berlin 1894, W. Hertz. XII u. 562 S. Lex. 8.
12 M.
4. 0. Richter, Lateinisches Lesebuch. Siebente Auflage. TeUI
(för Sejcta). H u. 116 S. 1 M, geb. 1,25 M; Teil II (für Quinta). YDI n.
230 S. 2 M, geb. 2,25 M. Berlin 1893. 1894, NicoUische Verlagsbuchhand-
lung (R. Stricker).
5. F.Scbultz, Aufgabensammlung zur Einübung der latei-
nischen Syntax. Zwölfte Auflage von J. Weisweiler. Teil I. Pader-
born 1894, F. Schöningh. IV u. 200 S. (Teil II ist im Sommer 1894 er-
scbienen). Beide Teile zusammen geb. 2,50 M.
6. Incerti auctoris de ratione dicendi ad C. Herennium
libri IV (M. Tullii Ciceronis ad Herennium libri IV). Edidit Fr. März.
Leipzig 1894, B. G. Teubner. VI u. 554 S. 14 M-
7. E. Weifsenborn, Aufgabensammlung zum Übersetzen
ins Griechische. Leipzig 1894, B. G. Teubner. X u. 234 S. 1,80 M.
8. Aristophanes, Die Wolken. Erklärt von Th. Kock, 4. Auf-
lage. Berlin 1894, Weidmannsche Buchhandlung. 227 S. 2,40 M.
9. GrammaticiGraeci Band IV, Abt. 2, enthaltend die Prolegoueoa
zum 4. Bande und Choerobosci scholia in canones verbales et Sophronii
excerpta ex Characis commentario, recensuit et apparatum criticnm indices-
que adiecit A. Hilgard. Leipzig 1894, B. G. Teubner. CXXXII u. 526 S.
Lex. 8. 22 M.
10. Merim^e, Golomba. Erklart von 0. Schmager, 2. Auflage.
Berlin 1894, Weidmannsche Buchhandlung. IV u. 183 S. 1 M.
11. Dahlmann-Waitz,QuellenkundederDeutschenGeschic|hte.
Quellen und Bearbeitungen systematisch und chronologisch geordnet. Sechste
Auflage von E. Steindorff. Göttingen 1894, Dieterichscbe Verlagsbuchhand-
lung. IX u. 730 S. 11 M, geb. 12 M.
12. Karl Tanera, Deutschlands Kriege von Fehrbellin bis
Königgrätz. Eine vaterländische Bibliothek für das deutsche Volk und
Heer. Band 8 und 9: Die Deutschen Einigungskriege (Schleswig-Holstein
meerumschlungen und der Krieg von 1866). München 1894, L. H. Beck*sche
Verlagsbuchhandlung (0. Beck). VII u. 270 S.; IV u. 249 S. geb. je 2,50 M.
— In diesem Werke, wie in den sieben Bänden „Der Krieg von 1870/71i
dargestellt von Mitkämpfern^*, hat der Verfasser durch anregende und volks-
tümliche Darstellung der kriegerischen Ereignisse nicht nur die Kenntnis
der deutschen Kriegsgeschichte zu verbreitern, sondern auch die Liebe zum
deutschen Vaterlande, zu Kaiser und Reich zu kräftigen und insbesondere
allen Deutschen klar vor Augen zu führen gesucht, ^ohin uns die frühere
Uneinigkeit einerseits, das feste Zusammenhalten von 1870 anderseits geführt
hat. Die trefflichen Bücher sind für Schülerbibliotheken sehr zu empfehlen.
13. E. Bardey, Zur Formation quadratischer Gleichungen.
Zweite, unveränderte Ausgabe. Leipzig 1894, B. G. Teubner. VIII n. 390 S.
gr. 8. 3 M.
ERSTE ABTEILUNG.
ABHANDLUNGEN.
Das induktive Verfahren und die Schulgrammatik,
Die neuen Lehrpläne haben nicht nur durch die Beschneidung
des grauiinatischen StoiTes vielfach Widerspruch hervorgerufen,
sondern mehr noch dadurch, dafs sie auf allen Stufen das induk*
tive Verfahren wünschen. Das ist wohl natürlich; denn für
ältere Lehrer ist es keine leichte Aufgabe, einen gewohnten und
lieb gewordenen Weg plötzlich zu verlassen und einen ganz neuen
einzuschlagen. Zum Teil allerdings geben die Lehrpläne selbst
Anlafs zu diesem Mifsbehagen durch eine gewisse Oberspannung
der Forderung der Induktion, indem sie dieselben auch für die
Erlernung der Formen vorschreiben : „Erst dann, wenn eine Reihe
nach einem bestimmten Gesichtspunkt ausgewählter Sätze einge-
übt, die Deklinationsformen daraus erklärt und vergleichend zu-
sammengestellt sind, schliefst sich jedesmal die gedächtnismäfsig
einzuprägende Regel an'* (S. 29). Soll der Sextaner die latei-
nische Deklination lernen, so mufs er zuerst eine deutliche Vor-
stellung von der Bedeutung der Kasus in seiner Mutter-
sprache bekommen, und zwar aus Sätzen, wie ich das in meiner
„Praktischen Anleitung'* S. 85 fr. gezeigt habe. Besitzt er diese
aber, so genügt es, wie dort dargethan, die lateinischen Kasus-
endungen ihm direkt darzubieten, wenigstens kann man ihm
schon durch die Besprechung des einzigen Sätzchens Italia est
terra zeigen, dafs die Endung des Nom. a ist, so gut wie er aus
Scythae habent gagitlas die Endungen des Nom. und Acc. PI. er-
kennen kann. Da fragt sich der erfahrene Lehrer mit Recht:
weshalb denn zu dem Zweck die Umständlichkeit, ihm jedesmal
erst eine ganze Reihe von Sätzen mechanisch vorzuuberselzen?
Vollends aber beim Beginn des Griechischen, für das dasselbe
Verfahren verlangt wird, hat doch der Tertianer bereits so viel
sprachliche Begriffe und die AufTassungskraft für fremde Wörter
und Formen erlangt, dafs man ihm wohl nach den ersten Lese-
übungen direkt sagen kann: die Endungen der ersten Deklination
sind die und die, und dann sofort zur Einübung derselben wie
Z«ttsoliT. t d« OynmuialwQBvn ZLVUl. la. 47
738 0*s iodaktive Verfahreo und die Scho Igraromatik,
zur Erlernung der Vokabeln sciireilen darf. Hier ersclieint also
jenes Verfahren als eine Weitschweifigkeit, für die uns namentlich
Jetzt die Zeit zu kostbar geworden ist, und ich stimme Weifsen-
fels vollständig zu, wenn er in Bezug hierauf in dieser Zeilschrirt
1893 S. 607, sagt: „Wenn wir dereinst gefragt werden sollten,
welche Erfolge wir bei diesem Verfahren erreicht haben, so würde
die ehrliche, gewissenhafte Antwort etwa so lauten müssen: trotz
redlichen Bemüh ens hat sich aus der Induktion nichts
ergeben, was mit einigem Recht Kenntnis der Formen-
lehre hätte genannt werden können''.
Andererseits aber ist jenes Widersireben auch auf die viel-
fach irrigen Vorstellungen zurückzufuhren, die noch über das
eigentliche Wesen der didaktischen Induktion verbreitet sind, wie
aus zahlreichen Urteilen in der Fachpresse hervorgeht. Ich habe
einmal an dem Beispiel der Form ^d^stTd-fj gezeigt, wie man
zweckmäfsig die Schüler anleiten kann, durch Loslösen der Flexions-
bestaudteile und Herausschälen des Stammes, also durch Analy-
sieren, auch solche Formen zu bestimmen, welche einzelne,
ihnen aus anderen Verben bereits bekannte Abweichungen ent-
halten. Das hält Weifsenfels an der angeführten Stelle für indu-
zieren, glaubt, der Schüler solle blofs infolge dieses Verfahrens die
Form auch im Gedächtnis behalten, und lindet, dafs ich „in der
Induktion allein die Gewähr für ein sicheres Wissen sähe und sie
überschätze''. Induzieren heifst aber das Allgemeine, den Begriff
oder das Gesetz, aus den Einzelerscheinungen ableiten; man kann
also wohl ein Flexionsgesetz induzieren, nimmermehr aber eine
einzelne Form, die kann man nur analysieren. Das Ergebnis
dieses Verfcihrens soll auch nicht sein, dafs der Schüler dies^e
Form nun im Kopf behält, sondern nur dies, dafs er durch das-
selbe Verfahren diebclbe oder ähnlich gebildete Formen bestim-
men, bezw. das im Lexikon aufzuschlagende Präsens ermitteln
kann. Vielfach habe ich betont, dafs alle wichtigen Formen,
nicht blofs die regel mäfsigen, auswendig zu lernen sind,
und zwar sicherer als bisher, wie denn auch äx^ofiai sich
thatsächlich in meiner Grammatik unter den zu memorierenden
Formen findet. Daneben aber bleiben im Griechischen doch eine
Menge von abweichenden Formen, die der Schüler bei zweck-
mäfsiger Anleitung selbst herausfinden kann und mufs, wie das
schon jetzt in ausgedehntem Mafse bei Homer, Herodot und den
Tragikern geschieht.
Aber nicht blofs bei entschiedenen Anhängern der alten Me-
thode, sondern auch bei solchen, die der Induktion an sich das
Wort reden und meine „Praktische Anleitung" zum Studium warm
empfehlen, findet man überraschende Ansichten über dieselbe, und
ich bin hier in der eigentümlichen Lage, mich zum Teil gegen
meine Freunde wenden zu müssen. Während Schiller über das
genannte Buch urteilt: „Die Anleitung zum Unterricht baut diesen
voD A. Waldeck. 739
durchaus auf richtigen psychologischen Prinzi|H'en auf; der Wert
reichlicher und zweckmäfsig geleiteter Apperzeption wird in trefT-
liehen Beispielen dargethan; die Induktion . .. wird hier un-
widerleglich in ihr Recht eingesetzt", empfehlen andere
nur die Benutzung der „gegebenen Winke für die Behandlung,
die auf reicher Erfahrung und denkender Beobachtung beruhen'',
oder „die Kunstgriffe eines alten Praktikers sich zu Nutze zu
machen'*, oder sie sprechen von ^^Handgriffen auch für den älteren
Praktiker*'. Ein Rezensent warnt dabei zugleich Tor übertriebenen
Erwartungen bezuglich des Erfolges, da „nicht jeder die glückliche
Hand des Verfassers** habe. Wer in dem Verfahren nicht eine
Methode erkennt, die lediglich auf der konsequenten Durchfüh-
rung der auf Seite 3 zusammengestellten psychologischen Grund-
sätze, namentlich der Anschauung, Apperzeption und Induktion
beruht, wer in den gegebenen Beispielen für die Methode nur
Hand- und Kunstgriffe sieht, die die Lehrer sich aneignen und
nachahmen sollen, dessen Lob mufs ich ablehnen. Ich habe S. 4
ausdrücklich gesagt: „Dieselben sollen keine Schablone zum mecha-
nischen Nachmachen sein, sondern eben nur Beispiele von meiner
Art und Weise; jeder Lehrer soll dieselben naturlich mit selb-
ständigem Urteil nach seiner Eigenart modifizieren oder ganz
umgestalten, wenn nur die psychologischen Grundsätze gewahrt
werden''. Jeder Lehrer kann und soll sich die vermeintliche
glückliche Hand selbst aneignen, aber er mufs zu dem Zweck
wirklich Methode lernen, die psychologischen Gesetze durchdringen
und selbständig anwenden, nicht glauben, diese durch einzelne
„Kunstgriffe** ersetzen zu können.
Die auffallendsten Vorstellungen von Apperzeption, Induktion
u. s. w. zeigen namentlich folgende Sätze Pügners in dieser Zeit-
schrift 1893 S. 558ff. : „Waldeck verkennt, steht zu befürchten,
die passive Widerstandskraft, die in einem miltelmäfsigen Quartaner-
hirn gegen Induktion, Reproduktion * und andere schöne Dinge
vorhanden ist**. Apperzeption und Reproduktion sind bekanntlich
psychologische Naturprozesse; lediglich durch sie wie durch die
vorangehende Anschauung lernt schon das kleine Kind, auf ihnen
wie auf der hinzutretenden Induktion beruht unser gesamter
Elementar- Unterricht. Eine Methode also, die sich schon für das
sechsjährige Bauernkind als vortrefflich erweist, die soll für unsere
Quartaner zu hoch sein! Wie müssen alle diese „schönen Dinge**
betrieben werden, wenn der Quartaner denselben passiven W^ider-
stand entgegensetzen soll! Bekanntlich bilden dieselben die Grund-
lagen jeder Pädagogik, nicht blofs der Herbartschen, weil sie den
natürlichen Weg alles Lernens darstellen, wenn auch Fügder
dieses „natürlich*' mit noch so vielen ironischen Anführungszeichen
versieht. Augenscheinlich aber denkt man sich unter diesen
„schönen Dingen** vielfach noch irgend welche künstlichen, einer
einseitigen Theorie entsprungenen Mittelchen, denen gegenüber
47*
740 D*s induktive Verfahren and die SchnlgramiQatik,
das herkömmliche Verfahren des einseitigen Mitteiiens, Erklärens
und Auswendiglernens als der natürliche Weg erscheint. Das zeigt
auch der gleich darauf folgende Satz: „Wieviel man dem induktiven
Denken eines Schülers zumuten darf, ohne der Raterei und Un-
sicherheit Vorschuh zu leisten, bleibt eine heikle Sache'*. Was
in aller Welt hat überhaupt Induktion mit Raterei und Unsiclier-
heit zu thun? Dann müfste Sokrates, der Altmeister derselben,
sehr an Unsicherheit gelitten haben. Ferner: „Nein, es wird wohl
so bleiben, dafs die Jugend fester Formeln bedarf und diese ihr
gedruckt vor Augen stehen müssen'^ Aber wer hat denn das
entschiedener betont als ich, und zwar gerade für den Zweck der
Induktion? Meine Grammatik enthält diese Formeln in solcher
Menge, daüs der Rezensent selbst auf der folgenden Seite meint:
„In Wirklichkeit bietet nun W. gar nicht so wenig Regeln,
wie man seiner Theorie nach erwarten sollte*'. Später giebt er
dann eine Probe von dem, was er sich unter Induktion denkt.
Ich habe nämlich die Regel über das Genus der Städtenamen auf
US fortgelassen, weil nach meiner Ansicht der Tertianer, wenn er
erst ^ KoQiv&og kennt, sich dieselbe leicht nebenher merken
kann, weil er den Grund davon einsieht. Wie entbehrlich sie für
den Quintaner ist, zeigen am besten die an den Haaren herbei-
gezogenen verzwickten Sätze in den Übungsbüchern, an denen sie ^
eingeübt werden soll. Diese Weglassung nun ist dem Rezensenten
als undenkbar erschienen, er nimmt deshalb an, der Quintaner
solle sich die Regel selbst aus § 2 ableiten: „Feminina sind
die Bezeichnungen weiblicher Wesen und der Bäume (eigentlich
Baumnymplien)*' und apostrophiert denselben spottend : „Wie, Du
weifst nicht, denkbegabler Quintaner, dafs man die Städte durch
weibliche Gestalten allegorisiert? Hast Du nicht § 2 gelesen?*'
u. s. w. Solche Ungeheuerlichkeiten segeln jetzt unter der Flagge
der Induktion; denn für einen blofsen Scherz ist die Sache doch
wohl zu ernst.
Offenbar liegt allen diesen Urteilen eine Verwechslung mit der
blofsen Analogie zu Grunde. Wenn dem Sextaner gesagt wird:
inurbem heilst „in die StadV*, aber in urbe „in der Stadt**, und
man ihm darauf zumuten wollte, in Zukunft diesen Unterschied
selbst zu beobachten, so wäre das allerdings zuviel verlangt, er
^^ürde darüber sehr lange im Dunkeln tappen. Freilich lernt das
Kind seine Muttersprache auf diese Art, es bildet Formen und Sätze
nach biofser Analogie der gehörten. Zu einem planmäfsig induzieren-
den Unterricht aber gehört mehr: aus den durch die Beispiele gebote-
nen konkreten Anschauungen ist das denselben zu Grunde liegende
sprachliche Gesetz wirklich abzuleiten, in eine ganz
feste und präzise Form zu bringen und gedächtnis-
mäfsig einzuprägen und endlich — gerade wie beim deduk-
tiven Verfahren — an Beispielen sicher einzuüben. Be-
schränkt sich aber das Verfahren auf das blofse Anschauen der
von A. Waldeok. 74X
Beispiele und ist der SchQler mithlD darauf angewiesen, das Ge-
setz selbst zu ßnden, ja dann kann er dasselbe höchstens ahnen,
instinktiv herausfühlen, zu einem klaren begrifflichen Wissen aber,
zu einem bewufsten Anwenden des Gesetzes kommt er nie; man
verurteilt ihn zu Raterei und Unsicherheit. Solche unbewufste
Aneignung mag genügen für Kinder, die bei Bonnen Französisch
lernen, sie genügt aber nicht für Schulen, die ihre Schüler zu
wissenschaftlicher Arbeit befähigen sollen. Stellt man dagegen
dem Sextaner erst einige einfache Sätzchen über m mit Abi. und
Akk. zusammen, erhebt dann die Frage, wo steckt der Unterschied?,
macht ihn auch darauf aufmerksam, daüTs es dasselbe ist wie zwi-i-
schen dem deutschen „in die StadV^ und „in der Stadt", kommt
ihm nötigenfalls mit der weiteren Frage zu Hülfe: wie mufs ich
gefragt haben, wenn du antworten sollst: ich wohne in der Stadt?
und wie, wenn die Antwort lauten soll : ich gehe in die Stadt, —
so werden doch sicher die meisten den Unterschied selbst heraus-
finden. Dann aber ist die Regel: die Präposition in hat den
Akk. auf die Frage wohin?, den Abi. auf die Frage wo? so lange
zu wiederholen, bis alle sie im Kopf haben, und sofort an einer
Reihe anderer Sätzchen einzuüben. So induziert man planmäfsig,
und kein Mensch wird doch behaupten, dafs das gerade für
schwächere Schüler eine Erschwerung und nicht vielmehr eine
erhebliche Erleichterung ist.
Nun lautet der gewöhnliche Einwand: Ja, bei so leichten
Dingen geht das schon, aber bei schwierigeren mufs man doch
eine feste Regel als Grundlage haben, auf der man fufsen und von
der man ausgehen kann. Ich will also aus dem Pensum der
Quinta, wo die Induktion wichtiger zu werden anfangt, einen der
schwierigsten Stoffe herausgreifen, den Abi. absolutus. Derselbe
wäre etwa so zu behandeln. Vorher ist das Part, coniunctum
eingehend zu besprechen und an Beispielen zu zeigen: 1. dafs
dasselbe ebenso wenig wie ein Adjektivum in der Luft schweben
kann, sondern sich stets an ein anderes Satzglied, welches das
Subjekt der durch das Part, ausgedrückten Handlung bildet, an-
schliefsen mufs; 2. dafs das Part, in der Regel einen Nebensatz
vertritt und dafs wir im Deutschen meist einen solchen dafür ein-
setzen; dafs dann nicht blofs das Verbum fin. eintreten, sondern
auch eine Konjunktion oder das Relativ hinzugefügt werden mufs.
Die klare Einsicht in diese Dinge ist die notwendige Voraussetzung
für das Verständnis des Abi. abs.; aber dieselbe wird nicht durch
Regeln gewonnen, sondern dadurch, dafs man die Sache, die ja
im Deutschen gerade so ist und die die Schüler selbst unbewufst
im Deutschen richtig machen, durch zweckmäfsige Besprechung an
Beispielen zur Klarheit des Bewufstseins erhebt. Dann erst ent-
steht die Frage: wie aber nun, wenn das Subjekt des Partizipial-
satzes im regierenden Satze gar nicht vorkommt, so dafs also gar
nichts da ist, woran sich das Part, anschliefsen kann? Man
742 Das iodaktive Verfahreo und die Schulgrammalik,
schreibe die Sätze an. die Tafel: Troiam captam Graeä deUoerunt
und Troiä captä Graeci domum redierunty und konstatiere bei dem
ersten nach der Obersetzung „nachdem es eingenommen worden
war'S dafs das Subjekt im regierenden Satze als Akk. vorkommt,
daher captam. Dann klammere man beim zweiten das Troiä captä
ein, lasse das übrige übersetzen und frage nun: was wird Troiä
captä heifsen? Sicherlich werden viele schon jetzt das Richtige finden.
So behandle man mehrere Sätzchen, auch solche mit Part, praes.
und pronominalem Subjekt, indem man die Schüler anleitet, die Art
der Übersetzung selbst zu finden, und frage dann: in welchem
Kasus steht also der Partizipialsatz, wenn sein Subjekt im Haupt-
satz nicht vorkommt? Schliefslich die Erklärung: ein solches
Part, heifst im Gegensatz zum ersteren, dem Part, coniunctum,
das absolute, und der Abi., in dem es steht, der Abi. abs. — Das
lasse man als Regel 4 — 6 mal wiederholen und beginne jede der
nächsten Stunden, die der Einübung gewidmet sind, mit der Frage:
welches Part, heifst coniunctum und welches abs. ?, und in welchem
Kasus steht das letztere? Gelegentlich weise man beim Obersetzen
darauf hin, dafs jedes coniunctum sich immer durch wörtliche
Obersetzung wiedergeben läfst, wenn auch oft schwerfälliges Deutsch
dadurch entsteht, das absolute dagegen stets durch Konjunktionen
(später auch durch substantivische Wendungen) zu übersetzen ist,
da wir ein solches Part, nicht haben. Ist das verstanden und an
lateinischen Sätzen eingeübt, so ergiebt sich das Verfahren für das
Hinübersetzen aus einigen Beispielen leicht.
Dies Verfahren hat folgende Vorteile: 1. entstehen zuerst im
Schüler durch die konkreten Anschauungen deutliche Vorstel-
lungen von der Sache und hinterher erst konAmt die begriff-
liche Fixierung derselben durch die Sprache, und das ist der natur-
gemäfse Weg, denn aus Vorstellungen entstehen Begriffe, nicht
umgekehrt. Jetzt versteht er, was er seinem Gedächtnis ein-
prägen soll, und nimmt es leicht und sicher auf, während er die
vorangenommene Regel nur mechanisch, ohne einen Sinn damit
zu verbinden, sich einprägen kann, wobei ihn höchstens die Hoff-
nung ermutigt, dafs er es später verstehen lernen wird; 2. ent-
wickeln sich die Vorstellungen und Begriffe aus und im Anschlüsse
an bereits in seinem Wissen Vorhandenes — Apperzeption. Der
Gebrauch des Part, coniunctum ist ihm bekannt und schon etwas
geläufig; mit diesem ist gemeinsam a) die Verwandlung des Verb,
fin. in das Part., b) das Wegfallen der Konjunktion; das Neue
dagegen ist, dafs bei der Unmöglichkeit des Anschlusses an ein
Glied des regierenden Satzes der Abi. eintritt, und dies eine Neue
wird durch den Gegensatz zu dem Allen, Bekannten, leicht auf-
genommen und festgehalten; 3. beschränkt sich dabei das ge-
dächtnismäfsig Festzuhaltende auf ein Minimum, das eben erwähnte
Neue, während alles übrige vom pari, coniunctum her bekannt
ist Es ist aber nicht blofs ein logischer Fehler, das, was vom
voo A. Waldeck. 743
ganzen Genus gilt, von der Species auszusagen, wie hier das Weg-
fallen der Konjunktion und die Kongruenz des Part, mit dem
Subjekt, sondern auch ein didaktischer; man führt den denkenden
Schüler dadurch irre, der mufs sich verwundert fragen: „wozu
denn das lernen, das versieht sich ja von selbst''. Vor der Ent-
Wickelung aus einem Beispiel aber das Verfahren, wie ein absolutes
Part, zu behandeln ist, in langen Regeln auswendig lernen zu
lassen ist nichts anderes, als wenn ein Schwimmlehrer seinen
Zögling, ehe er ihn ins Wasser schickt, Vorschriften auswendig
lernen lassen wollte darüber, wie er den Körper halten, wie er
Hände und Füfse benutzen soll u. s. w. Diese Dinge zeigt er ihm
praktisch, er macht sie ibm vor, läfst dann den Schüler selbst die
einzelnen Bewegungen ausführen, korrigiert, wo jener Fehler
macht, und zeigt abermals da, wo er das Gesagte nicht verstan-
den sieht. Das ist das Verfahren bei allen Dingen, die nicht auf
ein rein theoretisches Wissen, sondern zugleich auf ein prakti-
sches Können hinauslaufen, und dazu gehören auch alle Sprachen,
die nicht blols rein wissenschaftlich studiert, sondern zum Zweck
des Hin- und Herübersetzens gelernt werden.
Ich wiederhole also: induzieren heifst nicht blofs, an Beispielen
eine äufsere Anschauung von der sprachlichen Erscheinung geben
und es dann dem Schüler überlassen, wie er sich in Zukunft mit
derselben nach Analogie dieser Beispiele abfinden will, sondern es
heifst dieselbe wirklich ableiten und in die feste Form einer
Regel bringen, die dann hinterher dem Gedächtnis sicher einzu-
prägen ist. Das habe ich an verschiedenen Stellen betont; vergl.
Prakt. Anl. S. 25.
Demnach ist der Zweck der Regel nicht mehr der, die sprach-
liche Erscheinung zu entwickeln und zu erklären, das Verständnis
erst herbeizuführen, wie dies bei Zumpt geschieht — und in
dieser Beziehung ist Z. eine Mustergrammatik — ; sie soll viel-
mehr nur das induktiv Gewonnene in scharfer, präziser
Fassung gleichsam in der Seele des Schülers zum Auf-
bewahren deponieren. Dort soll es aber fest und dauernd
verbleiben, solange der Schüler die Sprache treibt, und zwar in
einer Form, die jeden Augenblick eine leichte und rasche An-
wendung des Gelernten ermöglicht. Mit aller Entschiedenheit
weise ich die Behauptung zurück, dafs ich „der unbewufsten An-
eignung und dem Sprachgefühl zu viel überliefse''; das letztere
halte ich für eine sehr schätzenswerte Hülfe bei der Erlernung
vieler Dinge, aber nimmermehr soll es das klare begriffliche Wissen
ersetzen. Ich fordere im Gegenteil in Bezug auf sicheres Ein-
prägen der Regeln viel mehr als meine Gegner. Der Mohr
der Regel soll nicht, wie Fugner meint, gehen, wenn er seine
Schuldigkeit gethan hat, sondern er soll bleiben bis zum Schlufs;
denn so lange ist er nötig. Ich verlange auch noch vom Primaner,
dafs er mit klarem Bewufstsein des Grundes, nicht blofs auf ein
744 Das iodnktive Verfahreo und die Sclmlj^raaimatik.
uDbestimmtes Gefühl hin, das Reflexiv richtig setzt und dafs er
mir diesen Grund nötigenfalls klar angiebt; das kann er aber
nicht, wenn er die Regel nicht mehr genau weifs. S. 21 und 22
meiner „Praktischen Anleitung'' habe ich dargelegt, dafs die ratio-
nelle Induktion „das blofse Gefähl von dem Richtigen in ein klares
begriffliches Wissen verwandeln'' soll. Gerade derjenige verurteilt
den Schuler zu Raterei und Unsicherheit und weist ihn auf sein
Sprachgefühl an, der ihm „gesprächige und ausführliche" Regeln
giebt, die er wegen ihrer Länge und weil sie die verschiedensten
Dinge durcheinander enthalten, nicht behalten kann. Einen Mohr,
der stets schlagfertig seine Schuldigkeit thun soll, darf man nicht
so feist machen oder mit so vielem unnutzen Gepäck beladen,
dafs er auf der Reise des Schulkiirsus nicht mitkommen kann,
oder dafs er, wenn er nötig ist, erst mühsam herbeigeholt werden
mufs. Auch der Mathematiker giebt in seinen Lehrsätzen nur den
Kern seiner Behauptung, keine Ableitungen, Erklärungen oder An-
deutungen über den Gang des Beweises, ja er kleidet vielfach seine
Behauptungen in blofse Formeln. Was ist denn aber die Regel,
das sprachliche Gesetz, anderes als der mathematische Lehrsatz?
Eine Sammlung solcher sprachlichen Gesetze nun ist die Schul-
grammatik. Und da sollte man doch denken, in je weniger und
je kürzere Regeln es gelingt das für den Schüler nötige gram-
matische Wissen zusammenzustellen, um so mehr erleichtere man
dem Schüler seine Lernarbeit, um so sicherer müsse er das genau
Verstandene behalten. Und nun lese man von einem Schul-
manne, der nicht etwa noch auf dem Standpunkte Zumpts stehen
will, sondern meine didaktischen Grundsätze überall billigt, auch
an der Grammatik „Kürze, Knappheit, Bestimmtheit" rühmt, gleich
auf der folgenden Seite Urteile wie dies: „Es sieht so human
und aufgeklärt aus, so hochmodern, wenn man das böse Latein
mit einer spindeldürren Grammatik lehren kann. Wie haben wir's
doch so herrlich weit gebracht! Ja, es ist so lange destilliert und
extrahiert, bis das bifschen Geist aus den Grammatiken fortdestilliert
ist". Also Geist steckt nur in dickleibigen Grammatiken, dadurch,
dafs man demselben Inhalt eine kürzere und präzisere Form giebt,
destilliert man den Geist heraus? Das ist die Konsequenz eines
Standpunktes, der zwischen unvereinbaren Gegensätzen vermitteln
will, der Kürze und Knappheit lobt und doch mit Heynacher „ge-
sprächige und ausführliche" Regeln verlangt. Will man die Vor-
teile der Induktion und lobt eine darauf beruhende Methode, dann
darf man auch die notwendige Konsequenz nicht tadeln, und das
sind Regeln, die das Ergebnis der Induktion, den wesentlichen
Kern des sprachlichen Gesetzes, in kuzer und behaltbarer Form
zusammenfassen. Beides vereinigen wollen heifst sich zwischen
zwei Stühle setzen.
Der innere Widerspruch dieses Standpunktes zeigt sich aber
am schlagendsten an der Kritik, die Fügner an meinen Regeln
voD A. Waldeck. 745
übt „Instar aliorum*^ greift er die fiber das cum inversivum
heraus, welche lautet: y.Cum invers. (umkehrendes cum) beifst als
= da mit einem Hauptsätze^', und da»n folgt in gewöhnlichem
Druck, weil blols erläuternden Zusatz enthaltend: „Es kehrt das
Verhältnis von Haupt- und Nebensatz um'' (§ 144, 4). Zunächst
nennt er diesen Zusatz einen „Sibyllinischen Spruch'S der Unsinn
enthalte, weil „danach der Vordersatz als Nebensatz anzusehen
wäre", sieht aber nicht, dafs er den Unsinn erst selbst hinein-
trägt, indem er von Vorder- und Nachsatz spricht, wo nur ein
Hauptsatz mit nachfolgendem Nebensatz vorhanden ist. Dann
stellt er der meinigen die Harresche Regel als Musler gegenüber:
y.cum inversum steht im Nachsatz und hat den Ind. Perf.",
ohne zu bemerken, dafs darin gerade der Unsinn liegt, den er
mir unterschiebt, denn einem Nachsatze mufs notwendig ein
Vordersatz entsprechen, demnach mufs in tarn ver appetehat, cum
Hann. castra movit der erste Satz Vordersatz sein ^). Als eigentliches
Muster einer gesprächigen Regel aber wird nun die bei Schmalz
gegenüber gestellt, welche § 302, c lautet: „c) als oder (mit selb-
ständigem Satze) da. Dies sogenannte cum inversum wird mit dem
historischen Perf. (oder Präsens) verbunden und dient dazu, in
der Form eines Nebensatzes den Hauptgedanken an den gramma-
tischen Hauptsatz anzufügen. Letzterer steht im Imperf. oder
Plusq., manchmal näher bestimmt durch vix, tarn, ncndum u. ä.'*
Prüfen wir also beide, namentlich auf ihre Brauchbarkeit für das
induktive Verfahren. Die meinige soll so behandelt werden: von
dem deutschen Satze: „Schon nahte der Frühling heran, als Hann.
aufbrach'* ausgehend, soll der Lehrer zeigen, dafs dieser eigentlich
soviel heifst wie: als schon der Frühling herannahte, da brach
Hann. auf, dafs also der Hauptgedanke, auf dessen Mitteilung es
ankommt und der den Fortschritt in der Erzählung enthält, im
nachfolgenden Nebensatze liegt, während der grammatische Haupt-
satz nur eine Zeitbestimmung dazu, also einen Nebengedanken
enthält, dafs also das gewöhnliche Satzverhältnis umgekehrt ist.
Dieses „als" ist leicht daran zu erkennen, dafs es immer mit „da"
mit einem Hauptsatze vertauscht werden kann: da brach Hann.
auf, so dafs also zwei koordinierte Hauptsätze entstehen. Dann ist,
auf das Lateinische übergehend, zu zeigen, dafs cum geradeso ge-
braucht wird, und dafs dies cum eben wegen der Umkehrung des
Satzverhältnisses das umkehrende cum genannt wird. Diesen ein-
zigen Kern der ganzen Sache begreift und behält der Schüler mit
Leichtigkeit, wenn er verstanden hat, dafs dies cum gar nichts
eigentümlich Lateinisches ist, sondern genau dem deutschen „als"
entspricht, wenn es mit „da" und einem Hauptsatze vertauscht
werden kann. Alles andere ist nur selbstverständliche Konsequenz
*) ÄhDÜcfae Irrtümer passieren dem RezeosenteD mehrfach, namentlich
da, wo er „des trockenen Tones satt" tu ironisieren anräogt.
746 ^*> iudaktive VerfahreD ood die Schalgrammatik,
hiervon und mufs als solche an den anderen Beispielen nachge-
wiesen werden.
Nun die Regel bei Schmalz, zunächst bezöglich der Form.
Um den Anfang derselben überhaupt zu verstehen, mufs man sich
auf der ganzen vorhergehenden Seite zerstreut folgende Ergän-
zungen zusammensuchen: Cum steht ohne Beziehung auf ein Sub-
stantiv . . •; 2. übertragen auf die Zeit. I. Hier wird es mit dem
Indik. verbunden und bedeutet . . . c, als oder da. Kann man sich
eine schwerfälligere Form einer Regel denken? Rann ein Schuler
die überhaupt behalten, geschweige sie sich leicht und rasch ins
Gedächtnis rufen? Was enthält sie aber aufser dem, was auch
die meinige enthält? Erstens, dafs dies cum den Indik. „regiert'S
Aber das ist selbstverständlich, wenn es den Hauptgedanken der
Erzählung einleitet. Dann Bestimmungen über Tempora und dafs
im Hauptsatze manchmal vix u. s. w. steht. Auf der Stufe aber,
wo die Regel behandelt wird, in Hla, mufs der Schüler vom Ge-
brauch der Tempora doch wenigstens das wissen, dafs das Perf.
die eintretenden Haupthandlungen bezeichnet, das Imperf.
dagegen dauernde Zustände beschreibt. Wenn ich ihm also
unter Zuhülfenahme der folgenden Beispiele zeige, dafs in diesem
Satzgefüge, das seiner Natur nach fast nur in der Erzählung vor-
kommt, der erste Satz, also der grammatische Hauptsatz, immer
irgend welche Verhältnisse, eine Lage, also einen dauernden
Zustand beschreibt — in dem Musterbeispiel die Jahreszeit — ,
während dessen die im cttm-Satze enthaltene Haupthandlung
eingetreten ist, sollte ein Schüler so beschränkt sein, dafs er
dann nicht auch die innere Notwendigkeit des Imp., bezw.
Plusq. im ersten, dagegen das Perf. im zweiten begreifen könnte?
Gerade für die Tempuslehre sind diese Sätze sehr instruktiv und
kehren deshalb in meiner Grammatik zum Teil dort wieder.
Nach dieser Regel aber, in welcher die Bestimmung über die
Tempora noch vor der Hauptsache gegeben wird, mufs der Schüler,
statt die innere Notwendigkeit zu erkennen und damit zugleich
seine Begriffe über die Bedeutung der Tempora zu klären, zu der
falschen Meinung kommen, dafs es sich hier, vielleicht ähnlich
wie bei dum während oder postquam, um eine Laune der Sprache
handle, gerade bei diesem cum, entgegen dem sonstigen Gebrauch
der Tempora, immer das Perf. zu setzen. Was nun aber den
Zusatz von vix oder iam betrifTt, so ist der doch ebenso erklär-
lich wie zum Wesen der Sache nicht gehörig, mufs aber die
Schüler, so lange sie die Sache nicht ganz klar verstanden haben,
irre führen, weil sie vorher das Wesentliche vom Unwesentlichen
nicht unterscheiden, und welchem Lehrer, der Exercitia korrigiert,
wäre nicht schon der Einwand begegnet: ja, hier steht ja aber
im Hauptsatz kein vix oder iam. Es ist ein didaktischer Fehler,
in der Natur der Sache Liegendes oder aus einer anderen Regel
sich von selbst Ergebendes, wie hier, dafs die den Fortschritt
voo A. Waldeck. 747
der Erzählung bildenden Haupthandlungen im Ind. und im Perf.
stehen, in eine andere Regel zu verflechten, weil dadurch Unklar-
heit und Verwirrung erzeugt wird. Dadurch entstehen vielfach
die sogenannten ausführlichen und gesprächigen Kegeln, die dem
Lehrer zwar das angenehme Gefühl erwecken, darin sei alles so
klar und vollständig gesagt, dafs eine planmäfsige Behandlung un-
nötig werde, dafs der Schuler, weil alles in der Regel stehe, nach
einigen erläuternden Worten das wohl von selbst verstehen müsse
und eben nur zu Haus sich einzuprägen brauche; dieser aber
bekommt daraus nur ganz verworrene Vorstellungen, die unmög-
lich im Gedächtnis haften können. Das sind eben solche mit
unnützem Gepäck überladene Mohren, die von vorn herein ihre
Schuldigkeit nicht thun, noch weniger aber aushalten können, bis
sie sie gethan haben.
Und wie läfst sich nun eine solche Regel induktiv behandeln?
Induzieren kann man doch immer nur einen einzelnen Satz,
eine Behauptung, nicht gleichzeitig ein ganzes Konglomerat von
Sätzen heterogenen Inhalts. Dieser Satz mufs von vorn herein
dem Lehrer nicht in verschwommenen Umrissen, sondern klar
und scharf als Ziel vor der Seele stehen, sonst geht die Induktion
ins Blaue hinein, wird ziellos und zerfahren. Dies kann er aber
unmöglich, wenn er einmal, wie die obige Regel bei Schmalz, in
den Kontext eines vielverschlungenen Satzes verwoben und wenn
er selbst noch dazu mit allerlei nicht zur Sache gehörigen oder
selbstverständlichen Bestimmungen beladen ist. Also nur ein ein-
zelner, bestimmter und fest abgegrenzter Gedanke kann das
Ziel einer rationellen Induktion sein, und nur ein solcher kann
klar vom Schüler aufgenommen und behalten werden.
Was für einen Zweck hat nun die obige Regel? Fügner
meint selbst: „Freilich ist dieselbe etwas lang und nicht zum Aus-
wendiglernen''. Aber was soll sie denn in aller Welt? Ich kann
mir die Antwort schon denken : sie soll „erklärt'' und dann „dem
Sinne nach'' gelernt werden. Wenn mir doch einmal jemand
klar machen könnte, was man sich darunter zu denken hat! Die
Erklärung besteht doch darin, dafs man zunächst durch Ausschei-
dung alles Zufälligen und Nebensächlichen das Wesen einer Sache
klar und scharf heraushebt, dann diesen verbleibenden Begriffjs-
komplex in seine Bestandteile zerlegt, zeigt, wie ein Teil desselben
mit bereits Bekanntem zusammenfallt und dem nun das Neue
scharf gegenüberstellt. Das ist im vorliegenden Falle sogar sehr
leicht, wenn man an Beispielen nachweist, dafs die zeitliche Be-
deutung — grade wie bei dem deutschen „als" — auch bei
diesem cum bleibt, dafs es dagegen nicht, wie die anderen. Neben-
umstände, sondern die Hauptbandlung einführt. Wenn ich damit
also den weitaus gröfsten Teil der Regel behufs Erklärung erst
beseitigen mufs, warum ist er denn überhaupt hinzugefügt? Damit
erschwert man doch dem Lehrer wie dem Schüler die Sache.
748 Das iodoktive Verfahren and die Schalgrammatik,
Hinterher zeige man, dafs in Konsequenz der und der Para-
graphen der Tempuslehre in diesem Satzgefüge immer die und
die Tempora stehen müssen, bringt man aber in die Regel selbst
hinein, was erst die gemeinsame Folge dieser und der Tempus-
regeln ist, so trübt man erst die Sache, die man erklären will.
Dann soll sie zu Haus „dem Sinne nach'' gelernt werden; das heifst
doch wohl: dem wesentlichen Inhalt nach. Damit mute ich
also dem Schüler zu, dafs er selbst zu Haus das Wesentliche vom
Unwesentliche scheiden und nur das erstere sich einprägen soll.
Aber warum erschwert man ihm denn das Lernen dadurch, dafs
man ihm dies Wesentliche in eine dicke Emballage von unnötigen
und verwirrenden anderen Bestimmungen einhüllt? Warum bietet
ihm das die Grammatik nicht rein und klar? In der Hauptsache
läuft dies Bedürfnis nach ausführlichen Regeln darauf hinaus, dafs
man dem Schüler zumutet, das, was die Schule eigentlich leisten
soll, nämlich durch methodisches Verfahren vor dem Auswendig-
lernen ein volles klares Verständnis herbeizufuhren, dafs er das
zu Haus selbst besorgen soll. Zu dem Ende denkt man sich die
Grammatik als eine Art von gedrucktem Lichrer, der sich mit dem
zu Haus arbeitenden Schüler in ein behagliches Gespräch einläfst,
um das nachzuholen, was der wirkliche Lehrer nicht oder doch nicht
genügend geleistet hat, und von dieser Vorstellung aus findet man
natürlich jede Grammatik, deren Regeln nicht in behaglicher Breite
den «^gewohnten Inhalt" haben, unbequem und unzweckmäfsig.
Wenn der Schüler wirklich so selbständig damit arbeiten könnte,
dann hätte es der Lehrer allerdings bequem, er brauchte nicht
viel Methode, brauchte nur aufzugeben und abzuhören. Dem
armen Jungen aber wird bei solchen Zumutungen der Kopf heifs
und wüst von all dem Unverstandenen, das er behalten soll.
Ich habe dieses Beispiel vom cum invers. so ausführlich be-
handelt, weil Fügner dasselbe herausgegrifPen hat, um die Ver-
kehrtheit meiner Regeln zu zeigen, dann, weil es in der That
sehr geeignet ist, um den Unterschied zwischen der herkömm-
lichen Auffassung über Zweck und Beschaffenheit der Regeln und
derjenigen, die bei dem induktiven Verfahren vorausgesetzt wird,
zu zeigen. Die Regel soll das durch die Induktion Ge-
wonnene in behaltbarer Form begrifflich festlegen und
dem Gedächtnis zum Aufbewahren übergeben, nicht mehr
dozieren und den Lehrer ersetzen. Das Verständnis mufs voraus-
gehen und durch das Verfahren selbst bewirkt werden, denn nur
klar Verstandenes läfst sich sicher behalten; aber das, was den
Inhalt der Erklärung ausmacht und das Verständnis herbeiführt,
auswendig lernen zu lassen, wenn auch nur dem Sinne nach, ist
ein psychologisches Unding.
Eine rationelle und zielbewufste Induktion mufs also an eine
Schulgrammatik folgende Anforderungen stellen:
1. Sie mufs ein ausreichendes und passendes Material von
voD A. Waldeck. 749
Beispielen liefern, teils zur Anschauung und Induktion, teils zur
ersten Anwendung des Gelernten durch die Schüler. Die Lehr-
pläne schreiben zwar vor, dafs dieselben „möglichst aus der Lek-
türe entnommen sein sollen^'. In den Unterklassen, wo diese
noch für die Grammatik zugeschnitten ist, könnten sie vielleicht
ganz daraus entnommen werden; freilich mufsten dann auch die
Uhungsböcher für das induktive Verfahren eingerichtet sein. Auch
später bei den Schriftstellern wird man, wenn kurzlich passende
Sätze dagewesen sind, natürlich am besten auf diese zurückgreifen.
Welche INachteile aber damit verbunden sind, wenn der Lehrer
sich darauf beschränken will, habe ich in der „Praktischen An-
leitung'' S. 28 ff. dargethan. Deshalb sagen die Lehrpläne auch
nur „möglichst", die Hauptsache mufs immer die Grammatik liefern.
Das gilt namentlich von den stehenden Musterbeispielen.
2. Sie soll die Regeln in der vorhin bezeichneten festen
Form bieten, in welcher sie für die Induktion geeignet sind,
sicher eingeprägt und leicht reproduziert werden können. Diese
Form kann sein: a) eine bezeichnende Benennung. So gut
der Schüler, wenn er die Sache einmal verstanden hat, dauernd
weifs, was ein gleichseitiges Dreieck ist, ohne eine Deßnition wört-
lich im Kopf zu haben, ebenso genügen ihm Benennungen wie
Coni. hortativus, umkehrendes cum, erzählendes Perf.; nur spreche
man nicht vom perf. historicum, mit der Geschichte hat dasselbe
nichts zu thun, Jede römische Waschfrau hatte dasselbe für ihre
Erzählungen gerade so nötig wie Livius und Tacitus. — b) eine
Formel. Wenn der Tertianer an a'-|-2ab-|-b* sich nicht
blofs die Art merkt, wie man ein Binom potenziert, sondern
auch das Verfahren bei der Ausziehung der Quadratwurzel, dann
kann er die doppelte Konstruktion von oportet auch an dem Bei-
spiel behalten : legem brevem esse oportet und lex brevis sit oportet,
so gut wie die von celare an telare aliquem aliquid und de re,
Pass. celor de] c) eine Regel, die, wie die Dehiiition, nur den
Kern der Sache enthält. Fügt man einer dieser drei Formen er-
läuternde oder das Gedächtnis unterstützende Zusätze bei, wie
ich das beim umkehrenden cum gethan habe, so sind diese
nicht nur aus dem Kontext der Regel streng auszuscheiden, son-
dern auch durch anderen Druck kenntlich zu machen, damit der
Schüler deutlich sieht, was Regel ist und was Erläuterung, und
genau weifs, was er sich einprägen soll und was nicht.
3. Sie mul's jeder Regel eine Form geben, welche für die
Stufe pafst, auf der sie gelernt werden soll; denn es ist klar, dafs
man auf den verschiedenen Stufen mit anderer Fassungskraft so-
wie mit anderen grammatischen Vorkenntnissen zu rechnen hat.
Die Syntax gehört im systematischen Betrieb nach 111, die Formen-
lehre nach VI und V, und diesen Stufen ist das betreffende
Material in der Form anzupassen. Warum läfst man nun z. B.
den Sextaner den Inf. Perf. Pass. in der Form laudatum am um
750 I)*s induktive Verfahren und die Schulgraminatik ,
esse ierneu slall hudatus a um esse"! Die Bt;deutiing dieses Inf.
darf man ihm doch nur an solchen Sätzen klar machen, in wel-
chen das Part, im Nom. erscheint, wie: der Schüler soll gelobt
worden sein, weil er von dem Prädikats-Akk. beim Inf. noch keine
Ahnung hat; ja nur solche Sätze werden ihm thatsächlich in den
ersten Jahren in den Übungsbüchern geboten. Was soll er sich
nun unter laudatum am um esse denken? Mufs ihm der Akk.
nicht rätselhaft erscheinen und ihn irre machen, wenn er aus den
Heispielen sieht, dafs das Part, überall sich dem Subjekte anpafst?
Ganz anders liegt die Sache in Tertia. Wenn der Schüler erst
weifs, warum es heifsen mufs: suis rebus contenhtm esse, dann
mag man ihm auch sagen, dafs aus demselben Grunde bei allein-
stehenden Infinitiven in der Regel locutum esse u. a. gesagt wird.
Aber warum schon dem Sextaner das als Rätsel aufbürden?
Warum soll der nicht laudatus a um esse lernen so gut wie beim
Part, laudatus a umf Ich verstehe nicht einmal, warum das eine
wissenschaftlich richtiger sein soll als das andere; die Form kommt
in der Konjugation rein als solche vor, ohne jeden Satzzusammen-
hang, während ich mir unter laudatum esse nur einen Subjekts-
Inf. denken kann; didaktisch zweckmäfsig ist es jedenfalls nicht.
Besonders auffallend zeigt sich dieser Fehler, dafs die Form
der Regel nicht für die Stufe pafst, in dem Abschnitt über das
Partizipium. Derselbe enthält natürlich Dinge, die auf den aller-
verschiedensten Stufen gelernt werden müssen, und doch sind
diese sämtlich meist in den Kontext weniger langer und ver-
wickelter Sätze verwoben. Nach Schmalz § 202 mufs schon der
Quintaner lernen: „Der sogenannte Abi. absol. ist ein mit einem
Subjektsprädikativum versehener Abi." — Kann der das verstehen?
Und doch darf er deu Satz nicht auslassen, denn der folgende:
,,[hm entsprechen . . .'' weist darauf zurück und enthält das für
den Quintaner absolut Notwendige. Aber auch andere Gramma-
tiken begehen denselben Fehler. Bei Stegmann heifst es § 192:
„Das Part, steht seiner adjektivischen Natur gemäfs: 1. als
Attribut; im Deutschen stehen gleichfalls Part, oder Relativsätze;
b) prädikativ in Vertretung eines Konjunktionalsatzes'S Zwischen
a und b wird eine Bemerkung über „sogenannt, betitelt u. s. w.''
eingeschoben. Diese Regel ist offenbar für den Quintaner; denn
den wesentlichen Inhalt mufs der kennen. Wird er sie aber
verstehen, zumal in dieser zerrissenen, erst durch einen selb-
ständigen Hauptsatz, dann durch eine ganze Anmerkung unter-
brochenen Form? Wird man dem nicht einfacher an Beispielen
zeigen, dafs das im Deutschen gerade so ist und in der Natur
der Sache liegt, nur dafs wir nicht so viele Partizipia gebrauchen
und deshalb häufig auflösen müssen? Gerade so steht es mit dem
gesamten Inhalt des § 194: der Quintaner versteht nicht, was
kondizionale, modale, kausale, konzessive Sätze sind, und dem
Tertianer ist ohne die Regel die Sache längst geläufig. Die drei
voo A. Waldeck. 751
Anmerkungen enllialten OberlUlssiges oder iu die Stilislik (>e-
hüriges, so dafs also auf den ganzen drei Seiten der Unterschied
von Part, absol. und coniunclum das Einzige ist, was der Quintaner
als eigentumlich lateinisch zu lernen hat; aber dies ist mit Dingen
vermengt, die er nicht verstehen kann. Die Lehre vom Part,
enthält Material für alle Stufen von VI bis II, und es ist deshalb
überhaupt unmöglich, dieselbe auf eine didaktisch zweckmäfsige
Weise in einem besonderen Abschnitt zu vereinigen. Daher habe
ich das ganze Material verteilt und jedes Einzelne da behandelt,
wohin es logisch gehört: 1. die aktive und passive Bedeutung des
Part § 31, 2 unter den Nominalformen (VI); 2. Abi^eichungen
davon § 34, 3 (V) ; 3. das Part, praes. von transitiven Verben
§ 66 zusammen mit dem Adiect. relat. (III); 4. das Part, zur Um-
schreibung des Grundes beim Abi. causae § 84 (III); 5. die zeit-
liche Bedeutung in der Tempuslehre $ 188 (III); 6. stilistische
Eigentümlichkeiten im adjekliven Gebrauch § 213 f. unter Adjekliva
(II); 7. den Ausfall des Pronomens beim Part. § 218 c unter is, ea, id
zusammen mit den übrigen Fällen, wo dies ausfällt (II). Damit
gebe ich also sachlich nichts, was sich von selbst versteht, dafür
aber mehr im Lateinischen wirklich Abweichendes, also zu Ler-
nendes; bezüglich der Anordnung aber erscheint jedes Einzelne
da, wohin es gehört, und es fliefsen nicht Dinge, die erst
der Tertianer oder Sekundaner lernen soll, durchein-
ander mit solchen, die schon der Quintaner oder Sex-
taner wissen mufs.
Nun halten manche diesen besonderen Abschnitt für nötig,
um in II zusammenfassende Repetitionen vornehmen zu können.
Worin bestehen aber solche? Doch darin, dafs man den gesamten
Stoff sammelt und nach bestimmten, wo möglich sachlichen Ge-
sichtspunkten ordnet und gruppiert, und das ist unter allen Um-
ständen eine vorzügliche Übung, wenn die Schüler das selbst
auszuführen haben. Bei einer zusammenfassenden Repetition
über das Part, wäre also den Sekundanern die Aufgabe zustellen:
Ordnet alles darüber Gelernte nach folgenden Gesichtspunkten:
1. Bedeutung, a) aktive und passive, b) temporale; 2. Ge-
brauch, a) zur Umschreibung des Grundes, b) adjektivischer;
3. stilistische Eigentümlichkeiten. Die Paragraphen, wo
sie das Einzelne finden, könnten ihnen angegeben werden, oder
sie könnten dieselben in dem Register in dem nachträglich er-
schienenen Anhange nachsehen. Eine solche Behandlung enthielte
doch eine wirklich gruppierende Zusammenfassung, die der Schüler
mit eigener Denkthätigkeit auszuführen hat; die langen Abschnitte
der Grammatiken aber sind eine mechanische Zusammen h auf ung
ganz heterogener, zum Teil selbstverständlicher oder überflüssiger
Dinge, und das alles in einer solchen Breite, als ob es gälte, dem
Schüler die erste Vorstellung vom Part, beizubringen. Was hat
der Sekundaner daran zusammenzufassen? Er wird die vielen
752 ^^^ induktive Verfahren und die Schnlgrammatik,
Seiten überlliegen und, weil er sieht, dafs das fast lauter bekannte
Dinge sind, höchstens darin herumsuchen, ob er irgendwo etwas
Besonderes findet, das er sich wieder merken mufs. Kann eine
solche Repetition einen anderen Erfolg haben als eine ganz
vorübergehende Auffrischung einiger Einzelheiten? Und kann man
das wirklich eine gruppierende Zusammenfassung nennen?
Welchen Zweck hat nun die Grammatik in der Hand des
Schülers zu erfüllen? Der Zweck selbständiger Studien ist, wie
schon dargethan, auszuschliefsen ; dazu ist der Schüler nicht be-
fähigt, er nimmt dabei mehr falsche und konfuse als richtige
Vorstellungen in sich auf. Auch die bisher üblichen Repetitionen
ganzer Abschnitte geschehen so mechanisch, dafs sie keinen Er-
folg haben. Aber, meint man, er mufs doch beim Arbeiten sich
Rats erholen können. Gewifs, aber doch nur über vergessene
Einzelheiten. Und geht das nicht leichter, wenn er die Regeln
in der von mir verlangten präzisen Form findet? Oder auch über
nicht Verstandenes? Wie kann er das, wenn es nicht einmal
dem Lehrer in der Stunde gelungen ist, das Verständnis herbei-
zuführen?. Die Folgen dieses Ratholens in den bisherigen Gram-
matiken sind Zeitverschwendung mit ewigem Blättern, statt selbst
nachzudenken, konfuses Suchen, oberflächliches Durchfliegen der
Sache, Mifsverständnisse und Fehlgreifen in der Wahl der anzu-
wendenden Regel, infolge dessen Mutlosigkeit und Mangel an
Selbstvertrauen, endlich unverhältnismäfsiger Zeitaufwand bei einer
Arbeit. Statt alles dessen soll der Schüler 1. zu Haus, soweit
das nicht in der Stunde selbst geschehen ist, die Musterbeispiele
sowie die Regeln selbst sicher und wortgetreu sich einprägen.
2. Er soll etwa Vergessenes im Gedächtnis wieder auffrischen
können. Damit beides leicht und rasch geschehen kann, soll jede
Regel kurz, klar und für sich aliein verständlich sein. Von dieser
Art der Repetition mache ich in der Weise Gebrauch, dafs ich bei
Fehlern, die augenscheinlich auf einem Vergessen der Regel beruhen,
den betreffenden Paragraph beim Exercitium an den Rand schreibe
oder mündlich angebe, damit die betreffenden Schüler in der
nächsten Stunde sich damit melden. Stellt sich dagegen, namentlich
wenn ein Fehler von vielen zugleich gemacht ist, heraus, dafs die
Sache noch nicht genügend verstanden ist, so hilft doch nichts als
eine abermalige, wenn auch abgekürzte Behandlung in der Schule.
3. Der Schüler soll nach der Grammatik gruppierende, bei ge-
eigneten Partieen auch mit dem Griechischen vergleichende Zu-
sammenfassungen vornehmen können, das ist die wirksamste Art
der Repetition ganzer Abschnitte.
Soll also das induktive Verfahren zur Wahrheit werden, s o fange
man nicht damitan. Formen und Vokabeln, d. h. konkrete
Einzeldinge, die sich nur anschauen lassen, induzieren zu
wollen. Ich finde es ganz begreiflich, wenn ein in der Sache noch
unbewanderter Lehrer sich wochenlang in HI b damit abgequält hat,
von A. Wtidcck. 753
den Schulero, ohne üa£s sie eine Vokabel oder eine Form kennen,
griechische Sätzchen vorzuübersetzen, dies mühselige Verfahren
aafgebend zum alten zurückkehrt und dann die Induktion über-
haupt als unbrauchbares Instrument verwirft. So führt der Mifs-
brauch der Sache zur Verkennung ihres wirklichen Wertes und
ruft die vielfach darüber verbreiteten falschen Vorstellungen her-
vor. Dann aber sind als Grundlage dabei auch für den Zweck
eingerichtete Grammatiken nötig. Gesprächige Regeln wie die
oben besprochenen zu induzieren, wird auch dem geübtesten
Heister nicht gelingen, der Anfänger aber mufs dabei in allerlei
Verkehrtheiten verfallen und den Mut verlieren. Ein schwerer,
von mangelhafter Kenntnis der Sache zeugender Irrtum ist es,
dafs eine solche Grammatik mit einem solchen Verfahren „eine
Erschwerung des Unterrichts und Vermehrung der häuslichen
Arbeit für alle wenig begabten Schüler'* bedeute. Für den Lehrer
ist sie allerdings keine Erleichterung, der mufs sich vor jeder
Stunde, die etwas neues Grammatisches bringen soll, vorher
nicht blofs die Sache, sondern auch die Art der Behandlung im
Einzelnen sorgfältig zurechtlegen. Für den Schüler aber liegt die
Sache genau umgekehrt, dessen Lernprozefs nimmt dabei diesen
Gang: erst verstehen^ und zwar in der Schule, dann gedächtnis-
mälsig einprägen. Damit fällt der Schwerpunkt der Arbeit in die
Schule selbst, und diese wird mehr zu einer Denkarbeit, und in
beidem liegt, soweit ich dieselben verstehe, die Tendenz der Lehr-
pläne. Und gerade für die wenig begabten Schüler ist das ein
bedeutender Vorteil. Oder kann man sich vorstellen, dafs ein
solcher, wenn er zu Haus allein über einer gesprächigen Regel
brütet, damit eher zum Ziele kommen soll, als wenn ihm der
Lehrer mündlich in gemeinsamer Arbeit die Sache an Beispielen
entwickelt? Ich bin seit langen Jahren an dem Gymnasium einer
kleinen Stadt tliätig, das seine Schüler grofsenteils aus solchen
Elementen rekrutiert, die nicht sehr begabt sind, bin also wahr-
lich nicht gewöhnt, nur mit auserlesenem Material zu arbeiten.
Aber gerade dieser Umstand hat uns längst genötigt, ein Verfahren
aufzusuchen, das für schwache geeignet ist, und eben diesem Be-
dürfnis sind meine Grammatiken und meine Methode entsprungen.
Die Erleichterung liegt eben darin, dafs ihm nur klar Verstandenes
sich einzuprägen zugemutet, und dies dann durch vielfaches Hin-
und Herübersetzen zu seinem vollen geistigen Eigentum gemacht
wird. Dadurch wird ohne Überlastung des Gedächtnisses die noch
schwache Denkkraft geübt und gestärkt, während sie umgekehrt
erlahmt und verkümmert, wenn man den Schüler zwingt, halb
oder gar nicht verstandene Dinge in weitschweiüger und unbehalt-
barer Form sich mühsam einzuprägen.
Corbach. A. Waldeck.
ZeitMhr. t d. OymnMUlweaen XLVIII. 12. 43
ZWEITE ABTEILUNG.
LITTERARISCHE BERICHTE.
Viktor Heho, llber Goethes Hermaon nud Dorothea. Aus dessen
NacbUTs herausgegeben von Albert Leitzmano aod Theodor
Schieinann. Stattgart 1893, Cottasche Verlagsbuchbandlaog. 146$.
Text, 18 S. Aomerkuogen. 3 M.
Habent sua fata iibelii. Viktor Helin hatte das Manuskript
des vorliegenden Buches vollendet, als ihn im Jahre 1851 die
Verbannung von Dorpat nach Tula traf. Seine Papiere wurden
mit Beschlag belegt und ihm erst lange nach seiner Begnadigung
(1855) zurückgegeben, leider auch dann nicht einmal vollständig.
So fehlten zu Hermann und Dorothea eine Anzahl Blätter. Glück-
licherweise gestatteten die zum Teil erhaltenen Konzepte, die
Lücken mit annähernder Sicherheit in Hehns Geiste auszufüllen.
Wir sind den Herausgebern dankbar für ihre Bemühungen und
hoifen, dafs sie aus dem Nachlafs des verstorbenen Autors noch
andere wertvolle Schriften ans Tageslicht bringen.
Der Inhalt unseres Buches ist folgender:
Um dem Gedicht seine Stelle, gleichsam seine substanzielle
Heimat anzuweisen, erörtert der Ausleger Wesen und Gesetze der
epischen Dichtungsart. Dann kehrt er zu Goethe zurück und
findet, dafs er durch eine einzige Gunst der Natur ganz zum
epischen Dichter geboren war, und dafs das Wesen seiner Dichtung
mit dem Wesen der epischen Poesie auf das glücklichste zusammen-
fällt. In einem zweiten Abschnitt spricht er über Zeit und Nation
des Dichters sowie über sein Verhältnis zu den politischen Be-
gebenheilen und der ihn umgebenden nationalen Welt. Darauf
folgt eine meisterhatte Analyse des Gedichtes und eine ausge-
zeichnete Charakteristik der handelnden Personen. Die Art der
Darstellung und Behandlung wird näher ins Auge gefafst, dabei
die Diktion, der sprachliche Ausdruck und Versbau feinsinnig
beurteilt. Die abschliefsende Vergleichung mit Klopstocks Messias
und Vossens Luise dient dazu, die Eigentümlichkeit und den Wert
dos Goethischen Kunstwerks ins Licht zu setzen.
Die Herausgeber haben aufser Litteraturnachweisen öfter Hehns
„Gedanken über Goethe*' citiert. In der That mufs man dieses
vortreffliche Buch zur Ergänzung und zur Berichtigung gelegent-
licher Urteile heranziehen. Wo in „Hermann und Dorothea*' und
in den ,, Gedanken über Goethe'' sich etwa Abweichungen linden,
z. B. in den Urteilen über Lessing, über Börne und den jüdischen
Einflufs in der Litteratur, da halte ich die letzten Gedanken Hehns
für die reifsten und richtigen.
Auf Einzelheiten einzugehen verbietet der Baum. Jeder Lehrer
aber, der Goethes Hermann und Dorothea zu erklären hat, sollte
Hehns Buch lesen. Den Untersekundanern wird er freilich weder
Samml. deutsch. DichtUD^eo o. Prosaw., agz. v. F. Kuntze. 755
mit dem Gedichte noch mit dem Kommentar sonderlich nützen.
Aber was wir sonst von einer Anleitung verlangen, dafs sie uns
das Kunstwerk nachempfinden und roitgeniefsen lasse, das leistet
diese in hervorragendem Mafse.
Blankenburg am Harz. H. F. Müller.
Sammlaog deutscher Dichtaogeo aod Prosawerke, für den Schal-
gebrauch herausgegeben von Augast BruDu er. Bd.I. Ausgewählte
Abhandlungen und Reden erklärt von Alex. Baldi. 120 S.
kl. 8. — Bd. II. Goethes Hermann und Dorothea erklärt von
Joh. Bapt. Krallinger. lOüS. kl. 8. Bamberg 1894, C. C. Buchner.
Goethes bekanntes Wort:
Denn bei den alten lieben Toten
Braucht man Erklärung, will man Noten,
Die Neuen glaubt man blank zu verstehen,
Doch ohne Dolmetsch wird*s auch nicht gehen,
bat sich in unseren Tagen in vollem Mafse erfüllt. Denn seit die
Werke unserer grofsen Dichter zum eisernen Bestand der Schul-
lektüre gehören, mehrt sich die Zahl der Klassikerausgaben in
einer, man möchte beinahe sagen, beklemmenden Weise. Auf die
Einzelscbriften von Düntzer und anderen sind die Sammelausgaben
gefolgt, welche Nord und Süd in ausgiebiger Weise versorgen.
Nun ist zu den norddeutschen und österreichischen Sammlungen
noch eine neue hinzugekommen, die zunächst bestimmt ist, den
Bedarf der bayerischen Schulen zu decken. Sie nimmt insofern
eine gewisse Sonderstellung ein, als das erste der beiden bis jetzt
erschienenen Bändchen eine Auswahl von Reden und Prosaaufsätzen
verschiedener Zeiten und verschiedener Verfasser bringt, während
die übrigen Sammelwerke gleicher Tendenz in der Regel die Dich-
tungen entschieden bevorzugen und, wenn sie Prosawerke ent-
halten, in der Auswahl derselben die Grenzen bedeutend enger
ziehen. Hier finden wir im ganzen sechs Stucke: 1) Schiller,
Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet; 2) Schillers
akademische Antrittsrede; 3) Jacobs' Rede über die Bildung der
Jugend zur Humanität; 4) Die Festrede Eduard von Schacks ge-
halten bei der feierlichen Grundsteinlegung der Walhalla; 5) Döder-
leins Festrede an Schillers hundertjährigem Geburtstage; 6) Curtius'
Gedächtnisrede auf Kaiser Wilhelm I. Man wird zugeben müssen,
dafs die Auswahl nicht ungeschickt getroffen ist. Schillers Mann-
heimer Abhandlung steht zwar unter dem Einflüsse einer jetzt
gröfstenteils veralteten Kunstlehre, darf aber auch heute noch ein
gröfseres Interesse beanspruchen als ein lediglich historisches;
und die akademische Antrittsrede über die Bedeutung und den
Zweck des Studiums der Universalgeschichte thut auch jetzt
noch durch die scharfe Gegenübersteilung der banausischen und
der philosophischen Studienweise wie durch die geistreiche For-
mulierung der dem Historiker zufallenden Aufgaben entschiedene
48*
756 Sammlang deutscher Dichtaogen and Prosawerke,
Wirkung. Jacobs' schwungvolle Verherrlichung hellenischer Kunst
und Geistesbildung« die sich trotzdem nicht ins allgemeine verlieiif
sondern ganz bestimmte, fest umschriebene Forderungen an den
Betrieb der klassischen Studien stellt, i^^t ein unvergleichliches
Denkmal jener am Ausgang des verflossenen Jahrhunderts ge-
zeitigten Geisteskultur, die unbeirrt durch die Wirren und Kämpfe
der Gegenwart in der Hini^ebung an die Ideale der Schönheit und
Sittlichkeit ihr volles Genüge lindet und darum, abgesehen von
ihrer sachlichen Bedeutung, auch in kulturhistorischer Hinsicht
Beachtung fordert. Üöderleins Schillerrede fesselt besonders durch
individuelle Zuge, wie sie dem Redner infolge seiner Jugend-
erinnerungen zu Gebote standen; reicher noch an persönlichen
Eindrucken und anziehendem Detail ist das Bild, das Curtius vun
dem Begründer des deutschen Reiches entworfen hat. Kurzgefafste An-
merkungen des Hsgh. begleiten den Text und geben die nötigen Winke
für das Verständnis der Aufsätze, die ihrer Beschatfenheit nach für
das Privatstudium reiferer Schüler bestimmt ist. Wenn das in Aus-
sicht gestellte zweite Bändchen der Prosaslücke dem ersten gleich-
kommt, wird die Auswahl ohne Zweifel ihren Zweck erfüllen können.
Die im zweiten Bändchen der Sammlung enthaltene Ausgabe
von Goethes Hermann und Dorothea scheint eine besondere Be-
achtung nicht zu verdienen. Die kurze Einleitung enthält Angaben
über den Eindruck, den die Goethe^che Dichtung in früherer wie
in neuerer Zeit gemacht hat, eine knappe, aber auch entbehrliche
Übersicht über Goethes Leben bis zur Veröffentlichung des Ge-
dichtes, dann die bekannte Auswanderergeschichte aus „dem liebe-
thätigen Gera'' und die einschlägigen Stellen aus der „Campagne
in Frankreich'' und der „Belagerung von Mainz". Es folgt dann
die Elegie Hermann und Dorothea und das Epos selbst, beides
mit erklärenden Fufsnoten, bei denen besonders deutlich das Be-
streben hervortritt, den Blick des Schülers auf die Kunstmittel
der poetischen und rhetorischen Darstellung, die Tropen und Fi-
guren, zu lenken. Freilich wird man nicht behaupten dürfen,
dafs dies immer mit besonderem Glück geschieht. Wenn z. B. zu
den Worten Hermanns (tV 132) „und übergebe den Kriegern
diesen Arm und dies Herz dem Vaterlande zu dienen" bemerkt
wird : .,Arm und Herz für „mich" mit Leib und Seele (Distribution
= Zerlegung und Synekdoche = Vertauschung des Ganzen mit
dem Teile zugleich)", so ist diese Erklärung, abgesehen von der
unglücklichen Fassung, sicherlich nicht geeignet das Gefühl für
die Dignität dieser Wendung zu schärfen, da es doch viel eher
darauf ankäme zu zeigen, weshalb hier gerade die Ausdrucke
„Arm" und „Herz" gewählt sind, und mindestens ebenso befremd-
lich ist die Anmerkung zu IV 118, die da lautet: „im innersten
Busen ist eine lateinische Ausdrucksweise statt: im Innern des
Busens. So denke man auch im Grunde des Herzens für im
tiefsten Herzen S. 122." Will der Hsgb. etwa auch Iphigeniens
• D^ez. von F. Kuotze. 757
Ausspruch: ,.Ich habe Dir mein tiefstes Herz entdeckt" mit der
nämlicheD, sinnreichen Glosse verseben? Zu den Worten des
Richters ferner (VI 10): „Denn wer leugnet es wohl", — „dafs
hoch sich das Herz ihm erhoben, ihm die freiere Brust mit reineren
Pulsen geschlagen", wird unter dem Texte bemerkt: ,,freiere Brust
geschlagen für: die Brust hat treier geschlagen", als ob nicht die
von Goethe gewählte Wendung anders gedacht und empfunden
wäre als die Umschreibung unseres Interpreten. Vollends abstofsend
aber wirkt die Note zu VI 31, wo die „munteren Bäume der Frei-
heit" als die „munter machenden, ermunternden" erklärt werden,
wobei denn wieder, da das Ding doch einen Namen haben mufs,
der vielsagende Ausdruck Metonymie als Vertauschung von Ursache
und Wirkung herbeigeholt wird. Das alles sind Erbstöcke aus der
schulmäfsigen Rhetorik des Altertums, die auch in die Erklärung
der alten Klassiker übergegangen sind und hier bis zu einem ge-
wissen Grade ihre Berechtigung haben mögen. Von der Erklärung
der modernen Dichter sollten sie möglichst fern gehalten werden.
Denn diese mechanische, ich möchte fast sagen kaltsinnige Be-
trachtungsweise stumpft den Sinn für die Eigenheiten des poeti-
schen Vortrages weit eher ab, als dafs sie ihn schärft und anregt.
In dem letzterwähnten Falle z. B. wäre anstatt jener spitzfindig-
scholastischen Deutung zu sagen, dafs der Dichter die Gegenstände
anders anschaut als der gemeine Menschenverstand, dafs er auch
das Leblose zu beseelen weifs und dieser Auffassung Ausdruck
verleiht durch das Wort. Dafs dies denn doch die Hauptsache
isty scheint auch der Hsgb. zu fühlen, wenn er zu VI 79: „Die
wilde Begierde dringt mit Gewalt auf das Weib und wandelt die
Lust in Entsetzen" bemerkt: „hier steht die Eigenschaft für die
Person (Metonymie), man kann übrigens wilde Begierde auch als
Personifikation auffassen". Natürlich ist es Personifikation, oder
deutlicher gesagt: anstatt des abstrakten Begriffes schiebt sich vor
die Seele des Dichters das Bild wilder auf das Weib losstürzender
Feinde, während zugleich durch die Wahl des Abstraktums die
charakteristische Eigenschaft des wutenden Haufens hervorgekehrt
und hell beleuchtet wird. So wird der Ausdruck plastisch und
bedeutsam zugleich. Er würde das Plastische einbüfsen, wenn
es etwa nach gewöhnlicher Weise hiefse: die Begierde treibt die
Feinde an auf das Weib einzudringen, und das Charakteristisch-
Bedeutsame verlieren, wenn gesagt würde: der begierige Haufe
dringt auf das Weib ein. So etwa, dünkt mich, müfste man den
dichterischen Ausdruck erläutern, wenn man wirklich seiner eigent-
lichen Kraft und Bedeutung beikommen will. Mit einem leeren
Schematismus und einer starren Terminologie ist nicht viel ge-
wonnen. Und so sollte man auch bei der Erklärung der Alten
verfahren. Was fruchtet es viel, um dies eine noch zu sagen,
Wendungen wie pallida mors oder vitiosa cura zu erklären, indem
man bemerkt, dafs der Tod bleich macht, dafs die Sorge den
758 ''• Mensel, Lexicon Caesarianum,
Menschen entstellt und dafs somit vom Dichter die von beiden
Begriffen gewirkten Attribute auf die wirkende Ursache übertragen
werden? Das Wesentliche an der Sache ist doch dies, dafs bei
dem Satze „pallida mors aequo pulsat pede pauperum tabernas
regumque turris^' anstatt der Vorstellung des Todes das Gespenst
eines Toten sich einstellt und dafs bei dem scandit aeratas vitiosa
navis cura das kummervolle Antlitz eines abgehärmten Menschen-
kindes vor das geistige Auge des Lesers tritt.
Kommen wir nach dieser Abschweifung zur Sache zurück,
so ist noch hinzuzufügen, dafs, abgesehen von den eben erhobenen
Bedenken, die erklärenden Anmerkungen in koappster Weise das
zum Verständnis der Dichtung etwa Erforderliche beibringen, was
ein besonderes Lob nicht zu bedeuten braucht^ da nach den zahl-
reichen und teilweise gründlichen Vorarbeiten der Erklärer von
Goethes Hermann und Dorothea nicht erst lange zu suchen, son-
dern nur noch zu wählen hat. Aber manchmal will es scheinen,
dafs der Standpunkt, den unser Hsgb. eingenommen hat, ein
wenig zu niedrig ist, selbst wenn man sich als Publikum nicht
nur Schuler von Lateinschulen denkt. Ausdrucke wie Kattun,
heischen, Gemeine, Knaster, einen Korb bekommen, müfsten doch
wohl jedem geläufig sein, der an die Lektüre Goethescher Dich*
tungen auch nur zu denken wagt. Andererseits sollte das Beiwort
„geflügelt'' zu V 108 nicht blofs mit „rasch'' kurzweg umschrieben,
sondern wirklich erklärt und auf seinen Ursprung zurückgeführt
werden. Wenn ferner in der Note zu II 217 „und Du immer
der unterste safsesf' bemerkt wird: ,,nach immer ist das prä-
dikative als zu denken'', so dient das zu nichts anderem, als zur
Verdunkelung des Sprachgefühls; und die Anmerkung zu II 259:
„die Anrede Er war früher gegenüber Niedrigerstehenden allge-
mein" enthält eine ungenaue, ja unrichtige Behauptung, wie man,
wenn nicht anders woher, beispielsweise aus Lessings Minna von
Barnhelm zur Genüge ersehen kann.
Karlsruhe. F. Kuntze.
Lexicon CaesarianaiD. Coofecifc H. Mensel. Vol. I. 1887. VFII S. a.
1544 Sp.; Vol. II. 1893. XI S. u. 2430 Sp.; dazu S. t— o. n. Tabala
Cooiecturarom S. 1 — 94. 45 M. Als Sooderabdrock der Tabnla erschieo :
Coniecturae Gaesarianae. Collegit H. Mensel. 1893. XVII u. 132 S.
8. 4M
C. Julii Caesaris Belli Gallici libri Vif. A. Hirtii über Vm. Receosnit,
apparata critico iostroxit Henricos Mensel. 1894. XII n. 26 IS. 8. 4M.
C. Jnlii Caesaris Belli Gallici libri VII. A. Hirtii über VIII. Für
den Scholf^ebrauch heraos^eg^ebeo von H. Mensel. Mit einem Anhang:
Das römische Kriegswesen zn 'Cäsars Zeit von R.Schneider.
1894. XV u. 238 S. 8. Geb. 1,25 M.
Sämtliche vier Werke erschienen in Berlin im Verlag von W. Weber.
Meusels Lexicon Caesarianum hat überall die verdiente Aner-
kennung gefntiden. Den ausgesprochenen Urteilen etwas Vl^esent-
aogez. von W. Nitsche. 759
liebes hiDzuzufugeD ist kaum möglich. Daher werde ich mich bei
der Besprechung des zweiten Bandes auf Einzelheiten beschränken,
indem ich im übrigen auf R. Schneiders Kritiken in den Jahres-
berichten des philologischen Vereins zu Berlin und auf meine An-
zeigen des ersten Bandes in dieser Zeitschrift verweise.
Versprochenermafsen hat der Verfasser seinem Lexikon zum
Beschlufs eine Tabula coniecturarum auf 93 Seiten beige-
geben. Sie beruht, wie das Lexikon auf dem Studium von mehr
als 3000 Schriften ; der Verfasser hat zu- seinem Zweck die ganze
Cäsar- Li tteratur von den ältesten Ausgaben an bis zum Ende des
Jahres 1891 hin durchforscht; einen grofsen Teil dieser Litteratur
hat er Seite III — X der Vorrede verzeichnet. Spärlicher beim
gallischen Krieg, reichlich beim Burgerkrieg sind den Konjekturen
der Gelehrten an den betreffenden Stellen die handschriftlichen
Lesarten von Bedeutung hinzugefugt worden. Die Vergleichung des
Codex Ashburnhamianus in Florenz und eines Teiles des
ältesten Laurentianus (pl. 68, 8) hat den Verfasser gelehrt, dafs
nicht wenige Laa. der ältesten Ausgaben, welche bis dahin nur
aus jüngeren Hss. bekannt waren, dennoch echt oder wenig-
stens beachtenswert sind. Es ist eine Lust, Cäsarstudien unter
Benutzung dieses Lexikons, welches alle Stellen in extenso bietet,
und dieser Tabula anzustellen, um so mehr, als die Korrektheit
und Zuverlässigkeit des Werkes die gleiche geblieben ist. Meusel
selbst hat zum Schlufs des Lexikons auf Seite a — n und hinter
der Tabula auf Seite 94 mit der gröfsten Gewissenhaftigkeit Corri-
genda et Addenda hinzugefügt. In den Addenda sind insbesonders
noch Litteraturangaben über sachliche Gegenstände gemacht,
die in den beiden (Seite I der Vorrede zum 2. Band angeführten)
ausgezeichneten bibliographischen Werken der Franzosen Ruelle
und de Lasteyrie und Lef^vre-Pontalis nicht enthalten sind.
Zu den vom Verfasser gegebenen Corrigenda fand ich nur folgen-
des wenige hinzuzusetzen: Durch die Angabe in der Tabula zu
b. Call. VII 73, 1 „d^mmutü nostris (^Hs} copiis: INitsche*' ist das
Lex. II Sp. 1450 Mitte gedruckte „d^^if^^tis . . . proyred. del.
Nitsche** berichtigt worden; desgleichen wird durch die Angabe
der Tabula zu b. civ. 3, 61, 2 „vulgo (vero^i) del. Vielh.; universi
del. . . . Ciacc.*' die Mitteilung Lex. 11 Sp. 2353 Mitte richtig ge-
stellt. — Lex. II Sp. 1613 unter (quom ist zum Schlufs die ent-
sprechende Endklammer vergessen. — In der Tabula zu 1, 61, 4,
gegen Ende des §, ist das Zeichen ^1 ausgefallen vor castra mu-
ntuntur. — Ebendort zu 3, 72, 1 : für diese 1 setze 2.
Im Lexikon hat Meusel alles, was man billigerweise von dem
Verfasser eines derartigen Werkes erwarten kann, nach allen Seiten
hin geleistet, wie früher schon ausfuhrlich dargethan ist. Ja er
hat mehr gethau, indem er wiederholt auf gewisse Eigentümlich-
keiten Cäsars aufmerksam macht; anderes Derartige aus den
bereiten Schätzen selbst zu entnehmen hat er dem Leser überlassen.
760 H.Mensel, Lezieoo CaesaritDam,
BesoDders für das Studium der Partikeln, für das bisher noch
nichts Ausreichendes gethan war, ist sein Werk von grofser Be-
deutung. Zum Beleg für das Gesagte will ich der alphabetischen
Reihenfolge der Artikel nachgehen und auf Einzelnes hinweisen.
Idem steht bei Cäsar stets voran, wie sich aus den angeführten
Stellen ergiebt. — Der IMural tllt wird häufig für adversarü, hostes
gebraucht; ferner wird das Pronomen in der or. obl. för tu, vos,
vester der direkten Rede angewandt« — Unter immanis wird ange*
merkt, dafs, nach der handschriftlichen Überlieferung zu urteilen,
Cäsar wahrscheinlich tnmants, tnmtYfo, inmortalis, mmunü u. s. w.
geschrieben habe; unter impar ist angegeben, dafs er wahrscheinlich
geschrieben habe: imperator, imperünSy impius^ improbare, dagegen
mpulsu und inpune; sonst wechseln inp- und imp-. — Die Stellung
von in variiert bei der Verbindung von Substantiv und AttribaU
aber weitaus überwiegend wird in vorangestelt; nur quam mpartem
scheint Cäsar immer gesagt zu haben, und der Ablativ des Relativs
steht stets vor m. (Bei andern Präpositionen finden sich ent-
sprechende Bemerkungen.) — Intervallum bezieht sich bei Cäsar
immer auf den Raum, nicht auf die Zeit. — Er gebraucht als Plural-
formen ii und iis. Welche Arbeit hat übrigens dieser Riesenartikel
is erfordert, der die Sp. 240 — 346 umfafst und bis in das Kleinste
scharf gegliedert ist! — Unter iuhere werden Sp. 383 die Stellen
zusammengestellt, wo das Subjekt beim Infinitiv zu ergänzen ist.
— Jumentum gebraucht Cäsar immer im Plural. — Er stellt
lacus Lemannus^ wie flumen Rhodanus^ mans Jura; vgl. oppidum,
mare. — Sp. 430 werden die legati Cäsars, des Pompeius u. s. w.
aufgezählt; unter praefecti werden die verschiedenen Arten dieser
Beamten gesondert; Sp. 449 werden die Legionen nach ihren
Ziflern aufgeführt. — Cäsar gebraucht licuit, nicht lieitum est. —
Der Plural loci kommt nicht bei ihm vor; auch der Plural loca
findet sich bei ihm nicht im übertragenen Gebrauch (Sp. 493);
Sp. 479 werden die verschiedenen Verwendungen des Ablativs
vorgeführt, darunter der Ablativus loci; in loco folgt Sp. 487; end-
lich Sp. 492 werden die Adjektive aufgezählt, weiche mit dem Wort
verbunden werden. — Interessant sind die Artikel hmgus und lange,
welche Aem Gebrauch dieser Wörter nach allen Verzweigungen hin
nachgehen. Dasselbe ist zu sagen von i^istus. — Auch male giebt
einen Beweis erstaunlicher Akribie; den Beschlufs bilden lehrreiche
Zusammenstellungen: mtYta gebraucht = int'/ta |K»8tit(iii oder Aomt-
num oder sestertium; sodann die Verbindungen milia armalorum
u. s. w., milia armala u. s. w.; darauf zusammengestellt duo miUa
u. s. w., singnla m. u. s. w. endlich milia . .perterritü — Modo findet
sich bei Cäsar nicht selten, wo es Cicero weglassen würde (darunter
auch unus modo, vgl. Sp. 2365 und unus omnino\ anders steht es
mit unnm . . tantum 3, 19, 1). Wie es mit der Überlieferung von
non modo (non) bei Cäsar bestellt ist, lehrt ein Blick. Quo modo
gel)raucht Cäsar nicht, dagegen quem admodum. Zum Schlufs merkt
angez. von W. Nitsebe. 761
Heusel an, dafs non tantum (sed etiam) sieb bei Cäsar nicbt findet.
Multitudo erscheint Sp. 652 einigemal xavä avveatv konstruiert.
Namque stebt wohl nur vor Vokalen. — Nanciseor gebraucht Cäsar,
abgesehen von zwei Stellen, immer nur im Participium, welches
meistens in der Form fiactus, im b. civ. immer, überliefert ist. —
Interessant ist die Bedeutungsentwicklung von nasci und nalura\
in vielen Beziehungen lehrreich der Artikel navis; instruktiv novus
in seinen Verbindungen und novitas, — Einen wichtigen Teil bilden
die Negationen von ne Sp. 717 bis non nwiq^am Sp. 812.
Sp. 770: nevt gebraucht Cäsar vor Vokalen, n^n vor Konsonanten
(bei sive und seti Sp. 1896 liegt die Sache nicht so einfach). Ntc
ist seltener als neque und durfte nach den (Sp. 741—745) ange-
gebenen Stellen von Cäsar vielleicht nie vor Vokalen gebraucht
sein. Sp. 729 IT. u. 807 kann man das Verhältnis der Häufigkeit
von ne . . quidem^ etiam . . non, quoque . . non bequem überschauen.
— Sp. 859 fr. erscheinen die verschiedenen Konstruktionen von
nuntiare gesondert. — Obtinere ist klar geschieden nach seinen
Bedeutungen: possidere, occupare, retinere ; desgleichen <«nere, bei
welchem Verbum zum Schlufs noch Verbindungen mit den ver-
schiedensten Wortklassen hinzukommen. — Die mannigfaltigen
Konstruktionen von occuliare sind übersichtlich geordnet; es wird
auch übertragen gebraucht; dagegen nicht abdere. — Cäsar stellt
immer reliqui omnes. — Ora kommt bei ihm nur vor in der Ver-
bindung ora maritima, und zwar in dieser Stellung, mit nur einer
Ausnahme. — Parte, partibus mit Attribut wird in verschiedenen
Bedeutungen als Ablativus loci gebraucht: Sp. 997. 1000. 1003;
daneben aber auch in: Sp. 999. 1001. 1004. Vgl. regionibm Sp. 1651.
— Priusquam verbindet Cäsar immer mit dem Konjunktiv
(Sp. 1206). während er prius . . . quam (Sp. 1204 in drei Beispielen)
auch mit dem Indikativ setzt. — Prohibere a re = hindern nur
zweimal (sonst mit blofsem Ablativ); = defendere stets so (dreimal).
— Die Präposition prope steht im Positiv und Komparativ stets
mit dem Akkusativ; der Superlativ kommt nur einmal vor und
zwar mit dem Dativ. Das Adjektiv propinquns steht mit dem Dativ;
proximtu gewöhnlich gleichfalls, aber zweimal mit dem Akkusativ. —
Eine reichhaltige Fundgrube ist der gewaltige Artikel que Sp. 1319
bis 1432. Zunächst wird die Stellung der Partikel besprochen:
es kommt sowohl deque vor als de senatusque consulto u. s. w.
Cäsar hat auch nicht den Ausgang commodiareque vermieden. Darauf
beginnt die Aufzählung der Beispiele mit der Verbindung einzelner
Wörter durch que und steigt schliefslich auf bis zur Verbindung
ganzer Satzteile durch atque — et— que — neque. — Bald kommt
wieder ein ungeheurer Artikel, das Relativ qui, quae, quod. Nach
einer Litteraturangabe wird zuerst wieder über die Stellung ge-
handelt; darauf folgt von Sp. 1435 an die Gliederung bis in die
letzte Einzelheit hinein. Für die Grammatik reichhaltig ist die
Vereinigung der Stellen Sp. 1473. 1474. 1531, an denen das
762 H.Mensel, Lexitoa Caesarianum,
Relativ auf vorangegangene Subslantive verschiedenen Geschlechts
bezogen wird. Sp. 1479 und 1534 handeln von quod, welches sich
auf einen voranstehenden Satz bezieht. Sp. 1481 und 1507 ent-
halten Beispiele, in welchen das vorangebende Substantiv noch
einmal wiederholt wird. Sp. 1457 IT. ist das Demonstrativ zu
ergänzen. Sp. 1497 ff. folgen die Relativsätze mit dem Konjunktiv;
Sp. 1507 ff. solche Sätze, in denen das Relativ gleichwertig einem
Demonstrativum mit Konjunktion ist. Sp. 1529 und 1541 stehen
Konstruktionen xatd <fvv€(fip. Sp. 1536 erscheint quod si u. s. w.;
hier ist nicht unterschieden, ob quod für sich als Pronomen zu
fassen oder mit der folgenden Konjunktion zusammenzunehmen ist.
Den Beschlufs bildet Sp. 1540 qui . . et quem u. s. w.; qui tarnen
u. s. w. Darauf folgen Sp. 1541 qua und quo in ihren verschiedenen
Bedeutungen und Verbindungen. — Nunmehr kommt Sp. 1547 ff.
das Interrogativ qui, quae, quod und Sp. 1569 ff. quis, quid^
wozu Sp. 1573 noch quo gefugt wird. — Dazwischen Sp. 1550 ff.
das Indefinitum qui(s), qua{e), quöd, dann Sp. 1573 ff. quis,
quid, wozu Sp. 1577 gleichfalls quo kommt. — Die Konjutiktion
^iod ist Sp. 1584 ff. behandelt; sie ist zunächst = „dafs'*; Sp. 1588
= „was das anbetrifft"; Sp. 1589 — 1612 = „weil" {quia erscheint
nur einmal an einer schlecht überlieferten Stelle). — Was die
übrigen mit q beginnenden Wörter betrifft, so mag nur noch auf
quisque Sp. 1578 — 1583 hingewiesen sein (unusquisque erscheint
nur einmal: Sp. 2367). — Cäsar hat vielleicht alle Formen von
reperire mit pp geschrieben und vielleicht reverti durchweg, auch
im Pf., als Deponens gebraucht. — Ein umfangreicher Artikel ist
wieder res Sp. 1701—1725, wozu noch res publica Sp. 1732
bis 1734 kommt. — Von welcher Wichtigkeit für die Grammatik
st Sp. 1847—1864 und nisi Sp. 776—778 sind, bedarf keiner
Auseinandersetzung. — Über sui — se handeln Sp. 1958 — 2001.
Zuerst wird sese besprochen Sp. 1958 — 1961; Cäsar gebraucht es
nur als Akkusativ. Darauf folgt se bezöglich auf denselben Satz,
dann (Sp. 1970 ff.) bezuglich auf den übergeordneten; sodann die
übrigen Kasus; endlich folgt Sp. 1999 ein Abschnitt: pronomen
pertinet ad alium casum. — Suus nimmt Sp. 2073 — 2101 ein.
— Aus dem Artikel sum Sp. 2003 — 2046 kann viel Material für
die Grammatik entnommen werden. Bis Sp. 2016 sind zusammen-
gestellt fore und futurum (esse) {ut)\ Sp. 2021 erscheinen Ver-
bindungen wie consuetudo est ut, Sp. 2042 esse mit dem Gen. und
Abi. qualitatis, Sp. 2043 esse auxilio u. s. w. — Zur Bedeulungs-
entwicklung von summa Sp. 2046 vergleiche man noch summa res
Sp. 2063. Superior, von der Zeit gebraucht, wird bei Cäsar
immer vor das Substantiv gestellt. — Zum Schlufs sei nur noch
hingewiesen auf die Gliederung der Bedeutungen von terra, tradere,
voluntas, vor allem von til, und auf die Konstruktionen dieser
Partikel und des Verbums volo.
Was Jakob Grimm von seinem deutschen Wörterbuch erhoffte,
angez. von W. Nitsche. 763
dafs die Leklure ausgewählter Artikel eine Quelle des Genusses
und der Belehrung für die Leser sein wurde, das dfirfte, wenn-
gleich für ein weit kleineres Publikum, auch von Meusels Lexikon
gelten. Beim Studium gewisser Wörter tritt einem auf das leb-
hafteste Cäsars Denkweise entgegen, die sich in seiner Sprache
bald unwillkürlich, bald in mebr berechneter Weise wiederspiegelt.
Ich möchte nur auf weniges hinweisen. Das religiöse Gebiet wird
in seinen Schriften nur gelegentlich gestreift; aber doch ist leicht
zu erkennen : für seine Person spricht er fast nur von der unbe-
rechenbaren Macht der fortuna, oder er hält mit dem Urteil zurück,
wie 1 12, 6 sive casu sive consilio dearum; in den Reden an die
Soldaten und an andere nennt er die unsterblichen Götter; die
einzelnen Götter erwähnt er, wenn es sich um bestimmte Heilig-
tumer handelt. Der volkstümlichen Wendung ]paratos prope aequo
Marie ad dimicandum bedient er sich einmal VII 19, 3, wie auch
Hirtius VIII 19, 2 pari Marie proelium xnire sagt. Wir werden uns
nicht zu sehr wundern, wenn von auspicia bei der Heeresleitung
nicht geredet wird; dagegen wird der Hinweis auf Wunder zu
Ungunsten seiner Gegner nicht verschmäht. — Eine grösere Rolle
spielt das Politische in seinen Schriften. Welche Gedanken und
Vorstellungen Cäsar mit dem römischen Staatsganzen verband und
verbunden wissen wollte, lehrt schon die Lektüre der Artikel populm
Romanm und respublica, um nur diese zu erwähnen. Lebhaftes
Zeugnis für das Gefühl der Zusammengehörigkeit des herrschenden
römischen Volkes legt die Unzahl Beispiele des Ausdrucks noster,
nostri Sp. 814 — 833 ab, besonders vom Heere angewandt, und
zwar so vorwiegend, dafs dagegen sogar der Ausdruck Rimanus
zurücktritt. — Den gröfsten Raum nimmt selbstverständlich in den
beiden Schriften Krieg und Heerwesen ein. In den von ihm ge-
wählten Worten selbst spricht sich aus, wie Cäsars logischer, scharfer,
überragender Verstand und sein energischer W'ille durchaus die
Richtung giebt, wie die Untergebenen, Soldaten wie Unterthanen, sich
strikt unterzuordnen und ihren Dienst genau zu thun haben, und
wie ein lebhaftes Ehrgefühl im Heere wach gehalten wird. So
erscheinen bemerkenswert häufig die Wörter necessarius, -o, necesse,
'itas; ratio] propomre, propositum\ ordo\ officium; prompius, däigetis,
-ter, 'tia und das Gegenteil indiligens; ferner insolens, -ier, -iia,
in$oliius\ honos, dedecus, ignominia; locus.
Durch Meusels Lexikon werden wir ferner in den Stand gesetzt,
Cäsars viel gerühmte elegantia undemendatalocutio, seinen delectus
verborum und purus sermo, den Schmuck seiner Geschichtsschrei-
bung und die Grundlage seiner Beredsamkeit (Cic. Brut. § 252
—262; Suet. Cäs. 55; Quintil. X 1, 114; Hirtius b. GaU. VIH
prooem.) näher zu erkennen. Da Cäsars Ausdruck durchaus sach-
lich ist und er alle Übertreibung und Überschwänglichkeit wie
auch alles Ungewöhnliche meidet, so finden sich ebenso wenig ver-
altete wie niedere Ausdrücke und selten Worte des hohen red-
764 H. Mensel, Lexicoo CaesariaDam,
nerischen Stils bei ihm. Scharf bezeichnende Ausdrücke und die
genauer bestimmenden Komposita liebt er vor den allgemeineren,
vagen und vor den Simplicia, da ihm bestimmte Verhältnisse,
Personen, Zeiten, Gegenstände stets vorschweben. Allerdings von
vielen Wörtern können wir nur den Tbatbestand feststellen,
dafs sie Cäsar nicht anwendet, ohne dafs wir zu den Gründen der
Erscheinung dringen können, zumal wir sehen, wie er offenbar
gewisse Wörter vermeidet, die er für seinen Gegenstand sehr wohl
hätte gehrauchen können. Er bedient sich nicht der starken Aus-
drücke flagitium, probrum und der hiervon abgeleiteten Wörter;
nicht einmal perfeäus als Adjektiv wendet er an, und doch summns^
andererseits wieder nicht supremus. Nur einmal findet sich praeclare
von ihm gesagt bei Cicero in dessen Brutus. Wohl gebraucht er
praestare, aber nicht praestans, praestobilis, praestanlia. Er ver-
meidet rabies, -idus, auch Ciceros Liehlingswörter refrenare und
redundare als ühermäfsige. Maesttis hat er nur einmal; sonst
nichts von diesem Stamm. Vom veralteten reri bat er nur die
Formel pro rata parte. Er sagt defessus und defatigare, aber nicht
fessus und fatigare; monstrare steht nur einmal in der Handschrift-
klasse /$ V 1, 2, aber auch hier ist demonstrare das Echte. Er
hat häufig deststere^ aber nur einmal desinere und niemals sinere
(nur in a erscheint es IV 2, 26, aber ß hat auch hier patiuntur^
und die Stelle wird von Paul verdächtigt). Nur einmal gebraucht
Cäsar locare, und wie häufig collocarel Während er die meisten
Komposita von ruere anwendet, hat er das Simplex nicht. Merk-
würdigerweise hat er auch suadere nicht, um so häufiger persua-
dere. Es wird nicht auffällig erscheinen, wenn proeliari bei ihm
seltener ist als pugnare; dagegen aber doch wohl, dafs er pugna
nur selten mit Adjektiven verbindet (S. 1292), während er es
häufig mit proelium thut (Sp. 1236). Er gebraucht labor, diffi-
cuUas, negotium, aber nicht molestia, noch moliri^ einmal nur moleste.
Es finden sich nicht bei ihm atrox, clades^ strenutis, hibemacula
(wenn man absieht von a II 35, 3), vielmehr immer hibema\
wohl polb'ceriy aber nie promiUere in der Bedeutung „versprechen";
wohl interficio, aber nicht interimo, auch nicht trucidare\ wohl
argumentum, aber nicht arguere und dessen Komposita; wohl sanus,
aber nicht insanus, auch nicht sane; valde nur einmal in einem
Briefe an Cicero, validus gar nichL Metus erscheint häufig, aber
niemals metuere, einmal praemetuens. Er gebraucht wohl reprehen-
dere, aber nicht vituperare, und wieder Vitium ziemlich häufig.
Er verwendet inquit, aber nicht ait, auch nicht narrare. In seinem
Wortschatz erscheinen nicht quvre, nequire, nequitia, nescire, nescius;
nicht refutare, reputare, reparare\ auch nicht so gewöhnliche Wörter
wie apparere, incohare, incola, spernere, praeditus, vilis, vanus, auch
nicht evanescere. Plus mit folgender Zahl steht nur einmal
(II Sp. 662), sonst nimmt er amplius. Nur zweimal hat er quam
ob rem, etwas häufiger qua re, nicht selten cur. Er gebraucht
aogez. von W. Nitscbc. 765
quivis, einmal auch quantusvis, aber nicht qtiüibet. Es findet sich
nicht denuo, wohl aber redintegrare, rehellionem facere u. a. Er
hat nicht die Formeln haud scio, dubito an und üherhaiipt nur
einmal haud V 54, 5: haud scio mirandumne sit. Quondatn und
olim kommen hei ihm nicht vor, auch aliq^iando nicht in der
Bedeutung ,. einst*', sondern dieses nur dreimal in der Bedeutung
„endlich einmal'*. Es findet sich nicht verum als Adverb, ferner
nicht mox. Nur einmal steht igüur; wie häutig dagegen üaque
und ital Er gebraucht etsi und tametsiy auch einmal quamvis, aber
nicht etiamsi, auch nicht quamquam; tamquam hat er nur einmal
(bei Geliius).
Vielleicht ist dem einen oder andern Leser die Vervollstän-
digung dieser Liste von Cnsar selten oder gar nicht gebrauchter
Wörter erwünscht, und zwar solcher, die er seinen Stoffen nach
hätte anwenden können; wenigstens sind derartige Wünsche wieder-
holt geäufsert worden, die ja Meusel in seinem Lexicon nicht be-
friedigen konnte. Ich habe mir noch angemerkt: es findet sich
nicht abalienare (wohl aber aUen-), nicht aberrare, abhinc, absolvere,
acclamare (auch nicht clamare und excla-, wohl aber cUtmitare und
clamor)j nicht acumen (wohl aber acutus^ indes nur sinnlich), nicht
adfluere, einmal adipiscor\ nicht adminiculum, adponere, adsequi
(aber wohl cons-), nicht adseverare, aegrotus, aegritudo (wohl aber
aeger), nicht aemulus, -ari, aeneus, aer, aerumna, aevum, agitare,
-atio, alibi, alicunde, alligare, alloqui (aber wohl coli-), nicht ambi-
gere, ambitio (einmal ambüns), nicht amovere^ anqw'rere, antecellere,
anxius, arare u. s. w., aspartare, adstritigere, astutus, ater, attentus
(aber wohl int-), nicht attrahere, attrectare, avellere, aversari (aber
wohl avertere und aversus), nicht auferre (oder höchstens einmal),
nicht avidus, avius, avocare, avolare, auscultare, beatus, belua, bestia,
benignus (aber wohl benevolentia), nicht bibere, blandus u. s. w.,
bracae, calidus, Caritas (aber wohl carus), nicht celeber (aber wohl
concelebrare), nicht celsus, cena, cicatriXj cervix, eiere (wohl aber
citare und das Adverb cito), nicht coetus, cohibeo, comis, commercium,
comere, compensare, compos, concupiscere, concutere, congregare, con-
gruere, conivere, considerare, auch nicht contemplari (aber einmal
considerate), nicht consociare, consors, construere, conticescere, con-
tumax, conturbare (auch nicht turbare, wohl aber turbate, turba,
turbidus, turbulentissimm, perturbare), nicht das Adjektiv conveniens
(aber wohl convenire), nicht convivium, copulare (einmal copula),
nicht corrigere, corroborare (zweimal robur), nicht crimen (einmal
discrimen), nicht cruentus, debellare, debilis, decere, decus, decorus,
indecorus (zweimal dedecus), nicht defungor (einmal fungi), nicht
degere, degenerare, delenire, deliciae, demoliri, describere (einmal
discr-), nicht desipere, destruere, detegere, devius, devorare, dilabi^
dilacerare, dilucescit, dilucide, diluculum, dirus, discordia, discrepare,
disertus, disiungere, dispertire, displicere, dissociare, distinguere, do-
mare, dormire (aber somnus), nicht dulcis, educare, efferatus, effluere,
766 B. Meusel, Lexicoo Caesarianum,
effrmalm, effringere, (aber ref-), nicht elegansj emendare, emergere,
emolumentum, enervare, enitere, enodare, erudire (ebensowenig rudis),
nicht esurire (auch niciit sitis und sitire), nicht evertere, evidens^
exaggerare, excolere, excutere, exhibere, exilis^ (aber wohl extguus)^
niclit exitium (wohl aber exüm\ nicht exomare, exorare, experge-
facere, expergisci, eocpers, eocpilare, explanare, exsanguis, exsecratus,
exsolvere, exmltare, exsurgere, exsuscitare, extenuare, extoUere,
extranetis, extrinsecus, exturbare, fabula, facettis, facies, facundus
(auch nicht Cicero), fastidium, fecundm (wohl aber ferax, fertilis,
fructuosm), niclit fenus, fenum, ferox, festinare (wohl aber maturare
und properare\ nicht festus, -m, festivus, findere, flagrare, nicht
das Adjektiv foedus, nicht fori, formido^ frenum, fulcire, fulgere,
fundus, -üus, generosus^ gestare (aber häufig gerere), nicht gliscere,
gnarus, gradus, gramen, haerere (einmal haesüare), hilaris, historia,
i'gnarus, ignavm, illuc (aber wohl illo), nicht trdHStrare (aber wohl
inlvstris), nicht imbuere, immemor (aber memor), nicht immensus
(ß IV 2, 2 zweifelhaft), immo, impertire, importunus und impotens
(wohl aber die Gegenteile oportunm und potens), nicht inconslans,
inmUiis^ ineuria, indoles, ineptus, infensus, infidus (wohl aber infi-
delis und perfidia)^ nicht inßiari, inflammare, informare, ingenium,
'0SU8, ingetiuus (dagegen Über), nicht itüiibere, inhone9tu$f inhu-
mawis, iniustm, inops (aber wohl inopia), nicht inservire (wohl
aber servire), nicht insipere (auch nicht sapiens u. s. w., einmal
sapere), nicht iVuti/^are, integritas (aber wohl integer, doch niemals
in moralischer Verwendung); nicht m^empesfttms, intimns (aber
interior), nicht intolerabüis (aber mfol^ranr^r), incht mubtis (aber
wohl tmpMite, -lYas), nicht tnundare, investigare, invisus „verhafst'',
ira (dafür iracundia), nicht labefactare (einmal labefacio, sinnlich),
nicht lascivta, lucrum, -ari, minüari (einmal tninari)^ nicht misereri
(mehrmals aber miserari) ; vom Stamm mitis nichts weiter als ein-
mal milissime'y nicht oboedire (aber diclo audiens, obtemperare,
parere), nicht obruere, obesse (einmal prodesse), nicht opinari (nur
einmal vermutet V 44, 11; häufig opmio), nicht probus (aber wohi
probare, improbus^ improbare), nicht principiutn (aber princeps . .
l^nVictparttö; auch tmYium), nicht pmcus (aber pmrtnus); nur ein-
mal das gewöhnliche Wort privare; nicht procella (aber wohl
fempe^^as), nicht prodigus, profundus, proles, promere (auch nicht
expromere, aber das Adjektiv promptus\ nicht pruden« (einmal pri«-
dentia), nicht propitius^ prorsus, prosperus, punire, questus, ^erela
(aber querimoma und juert); zwar gutes und quieius, aber nicht
gutescere und reqtiies, aber wohl regutescere (man sieht, wie der
Zufall spielt); nicht quippe, rapere (wohl aber rapidus, -itas^ raptnn,
raptim), nicht refert, retro, auch nicht rursus in der Bedeutung
„rückwärts*', nicht revereri, ridere, rigere, rite, scrutari, securus,
secus (aber setius) nicht segregare, sempitemns (aber semper, aetemus,
perpetuus), nicht «enstm (aber wohl setUire und pauta^tm), nicht
Simplex; zwar stVus als Substantiv, aber nicht als Adjektiv; nicht
aogez. voo W. Nitsche. 767
sobrius (auch niclit ebrius), subtilü, superstes, superstitio^ taedet,
transfuga, -ere, transigere, umus (einmal umidus). Dicht unda, urere,
Htique, vibrare, vigere, volvere (aber wohl involvere),
Lm von dieser langwierigen Aufzählung auszuruhen und zu
den übrigen Werken Meuseis öberzulenken, möchte ich auf ein
eigentumliches Zusammentreffen in Cäsars gallischem und seinem
Bürgerkriege aufmerksam machen. Während er wiederholt in jenem
Werke von den Erfolgen berichtet, die ihm seine von ihm einge-
richtete germanische Söidnertruppe verschad't hat(vgl.Meuseis
Lex. unter Germani), ist auffälJigerweise im Bürgerkriege nur einmal
1, 83, 5 von ihr die Bede; dagegen erwähnt er die Truppe der
antesignani^ die ja erst nachher von ihm eingerichtet sein mag,
niemals im gall. Kr., aber wiederholt im b. civ.: 1, 43, 3. 44, 5.
57, 1, darauf 3, 75, 5. 84, 3 0'.; und zwar heifst es 1, 57, 1
electos ex omnibus legionibus fortissimosviros, antesignanoSfCentu-
riones (gerade die letzten beiden Worte will Paul tilgen) ; und 3, 84, 3:
superius . . instüutum . . servabat, ut . . adulescentes atque expe-
ditos ex antesignanis electos mutatis ad penucttatem armis
inter equites proeliari iuberet, qui colidiana canmetudine usum
quoque eius generis proeliorum perciperent (ich vermute j^erceperant);
dann giebt er ein Beispiel von ihren Erfolgen bei dieser gemischten
Kampfweise: 1000 Beiter halten in einem Kampfe vor der Ent-
scheidungsschlacht bei Pharsalus dem Angriff von 7000 Pompejanern
stand, ein Zahlenverhältnis, welches an das im b. Gall. IV 12, 1
erinnert: 800 Beiter der Usipeter und Tenclerer werfen 5000 gal-
lische Beiter, die auf Cäsars Seite standen, in die Flucht. Nun
ist jene Kampfweise, die Cäsar 3, 84, 3 erwähnt, identisch mit
der b. Gall. VII 65, 4 von den Germanen geüblen, die Cäsar,
Reiter und Fufsvolk, in Sold nahm : Irans Rhenum in Germaniam
miltü . . equxUsque . . arcessit et levis armalurae pedites, qui inter
eos proeliari consnerant. (Diese Stelle ist heranzuziehen zum Ver-
ständnis der eben erwähnten b. civ. 1,83,5: Caesar Germanos
levis armaturae equitumque partem flumen traicit. Diese Truppen
waren auch offenbar b. Gall. VIII 3b, 2 mit verwandt, da es dort
heifi^t: equitaium omnem Germanosque pedites, summae velocitatis
homines. Dieselbe Kampfweise hatte s^chon Cäsar unter den Leuten
d^sAriovist angetroffen I 48, 4 — 7; übrigens hatte auch der Gallier
Vercingetorix VII 18, 1 eine derartige gallische Truppe. Beispiele
solcher aus anderen Völkern führt Jhne an in seiner römischen
Geschichte VII S. 63 f.. A. 6 nach Schambach, Die Beiterei bei
Cäsar, Progr. v. Mühlhausen i. Tb. 1881.)
Nun erzählt Florus IV 2 von der Schlacht bei Pharsalus:
Cum Pompeius adeo equitum copia abundaret, ut facile circum-
venturus sibi Caesarem videretur, drcumventus ipse est. nam cum
diu aequo Marie contenderent iussuque Pompei (usus a comu eru-
pisset equitatus, repente hinc (von der gegenüberstehenden Seite
aus) signo dato Germanorum cohortes tantum in effusos equites
768 H. Meosel, Rrit. Ausg. von Cäsars Bellom Gallicnm,
fecere impetum, vt Uli esse pedites, hi venire in equis viderentur.
hanc st ra gern fugientis eqnitatus levis arwatitrae ruina eomiUUa
est. Danach mnsiien germanische Fufsgänger hier gemeint sein;
dagegen nach Cäsars b. civ. 3, 84. 3 könnten eher die Reiter Ger-
mauen sein, und die antesignani müssen römische Legionssoldaten
sein, wenn b. civ. 1,57, t richtig überliefert ist. Ihne sagt daher
an der erwähnten Stelle (nach Anführung der wichtigsten oben
von mir vorgelegten Stellen): „Wahrscheinlich waren also die so
durch leichtes Fufsvolk verstärkten Reiter bei Pharsalus Ger-
manen, obgleich Cäsar es nicht erwähnt*'. Doch mit Florus stimmt
der (von Ihne übersehene, aber von Dübner in seiner Ausgabe
von Cäsars Bürgerkrieg S. 405 f. angeführte) Scholiast zu Lucan
VII 365, welcher über die Schlacht bei Pharsalus sich auf Julius
Celsus als Gewährsmann mit den Worten beruft: sictU Celsus dicit,
Pompeius cogitavit intercludere exercitum Caesaris cum equitatu, quo
longe plus praevalebat, sed Caesar hoc praecogitavit et evitavü;
nam posuit Germathos, pedites magnos et velocissimos, in medio
inter equitatum suum et aciem militum; et hi fuerunt causa
victoriae, quia sustinuerunt viriliter impetum equitatus Amtpei.
et illum in fugam posuit , unde nihil cogitavit Pompeius, Diese
Worte stammen nicht aus Caes. b. c. 3,93, wie Weber in seiner
Lucan-Ausgabe III S. 544 (vgl. S. 813 b) meint. Denn Cäsar
schreibt im vollsten Gegensatz dazu den pharsalischen Sieg viel-
mehr seiner Einrichtung einer 4. acies zu, gebildet durch Kohorten,
die er den Legionen der 3. acies entnahm, also römischen
Soldaten: 3,89,3. 93,4—6. 94,3. 4. Dagegen läfst er seine
Reiterei (unter der sich doch wohl auch die sonst so tüchtige
germanische befunden bat) dem Angriffe der Pompejanischen
nicht Stand halten, 3, 93, 3, und der noch dicht vor der Ent-
scheidungsschlacht so gerühmten Antesij^nanen gedenkt er gar
nicht weiter. Dies ist doch gewifs auffällig, zumal er so nach-
drücklich den von ihm berechneten, Ausschlag gebenden Erfolg
jener 4. acies an nicht weniger als drei Stellen herausstreicht; das
sieht sehr wie Polemik gegen nicht erwähnte abweichende Dar-
stellungen aus. Der Verdacht läfst sich kaum abweisen, da£s
Cäsar den Anteil der Germanen im Bürgerkriege in seinem Werke
möglichst herabgedrückt hat, weil er nicht Mitbürger durch Bar-
baren in seinem Dienste besiegt erscheinen lassen wollte; dagegen
hat er ihr kriegerisches Verdienst in seinem Buche vom galli-
schen Kriege nicht geschmälert, zumal auch auf ihn als den Be-
gründer dieser Truppe das gebührende Licht fiel (VU 13, 1 labo-
rantibus iam suis Germanos equites circüer CCCC submittit, quos
ab initio secum habere instituerat). Übrigens dürften die Ante-
signanen irgend welche engere Verbindung mit der germanischen
Truppe gehabt haben; aber Genaueres wird sich wohl kaum er-
mitteln lassen. —
Auf der gewaltigen Grundlage seines Lexikons und seiner
angez. voo W. Nitsche. 769
Tabula coniecturaruni, ferner auf Grund ausgedehnter und sorg-
fäicigster Handschriftenvergleichung, auch einer beinahe vollendeten
cäsarianiächen Grammatik hat Meusel zunächt eine kritische
Ausgabe des gallischen Krieges geliefert, bestimmt für die
Mitforscher und die Lehrer. Auch zum Bürgerkriege und den
übrigen unter Cäsars Namen gehenden Schriften hat er schon die
besseren Manuskripte verglichen, und er gedenkt in einigen Jahren
eine grofse kritische Gesamtausgabe Cäsars in aller Vollständigkeit
zu veröffentlichen. In dieser kleineren Ausgabe des b. Gall. hat
er sich mit dem Notwendigen begnügt. Zu Anfang der Vorrede
giebt er eine Übersicht über die benutzten Hss. in Form eines
Stammbaums; die angewandten Zeichen finden S. XI derselben
ihre Erklärung. Bisher hatte man noch keine Ausgabe, aus der
neben der Handschriftenklasse a die Überlieferung in ß mit ge-
nügender Sicherheit zu ersehen gewesen wäre; diesem Mangel hat
Heusei abgeholfen, der mit R. Schneider die Unentbehrlichkeit
auch dieser Klasse für die Kritik erkannt und nachgewiesen hat.
Von der Klasse a hat er den Ashburnhamianus verglichen; den
Vaticanus hat er nachverglichen. Wie knapp auch der unter dem
Texte beigegebene kritische Apparat ist, er enthält alles für die
Textgestaltung Nötige; auch die nach Meusels Urteil richtigen oder
doch wenigstens beachtenswerten Verbesserungsvorschläge der Ge-
lehrten sind, jene in den Text gesetzt« diese unten eingefügt. Was
nun das textkritische Verfahren betrifft, so suchte Meusel zunächst
bei Verschiedenheit der beiden Handschriftenklassen den Sprachge-
brauch Cäsars zu ermitteln ; wo ihm dies nicht gelang, folgte er a als
der treueren Überlieferung. Auch V 48, 5 verdiente die Orthographie
in a ammentum den Vorzug, den ihr Meusel im Lexikon gegeben
hatte. An vielen Stellen, wo die handschriftliche Überlieferung im
Stich liefs, niufste zur Änderung geschritten werden ; aber dabei hat
Meusel vorsichtige Zurückhaltung geübt, auch was eigene Vorschläge
betraf, von denen noch mancher zu den in der Tabula coniectu-
rarum veröffentlichten hinzugekommen ist; der wichtigste von
diesen ist: „VI 25 — 28 spui'ia iudicat Meusel'', was richtig sein
dürfte. In der Note übrigens zu VH 64, Zeile 1.2 ist nicht ge-
sagt, wem die Konjektur obsides . . . omnes"! angehört. Vi 7, 6 ist
conauUo, eine Verbesserung Beckers, in den Text aufgenommen
worden; dieses Wort würde also noch zu dem in Meusels Lexikon
aufgespeicherten Sprachschatze Cäsars hinzukommen. Zu VI 42, 1
ex statione et praesidto bemerkt Meusel: „eo; statione del. Hell.'';
es soll wohl heifsen: slalime et. Dem Prinzip der Analogie,
dem Cäsar in einer besonderen Schrift seine Huldigung erwies,
sind jetzt solche Ungleichheiten, wie sie bis dahin in den Aus-
gaben noch zu finden waren, gefallen: circiter meridie, die Dative
alterae und toto. Vielleicht dürfte Meusel in einer gewifs bald
zu erwartenden zweiten Ausgabe sich hier und da in der Kritik
anders entscheiden; aber auf einzelne Fragen der Art will ich hier
Z«iUolir. U d. OymoMialwMen XLVIIL 18. 49
770 H.Measel, Schaiausgabe vod Cäsars Bellam Gallican,
nicht eingehen. Nur noch die Bemerkung, dafs die Interpunktion
von dem Hsgb. sorgfaltig nachgeprüft ist.
Die zu gleicher Zeit von Meusel veröffentlichte Schulausgabe
entbehrt selbstverständlich der kritischen Noten; von kritischen
Zeichen finden sich keine aufser einigen rechtwinkligen Klammern.
Der Text ist derselbe wie der der kritischen Au>gabe; nur ist
sie durch einige im Vorworte bezeichnete Änderungen durchaus
dem Schulbedurfnisse angepafst worden: übersetzen läfst sich
alles, was sie bietet. Für den Schulzweck ist ferner zunäclist
eine Biographie Cäsars von Meusel beigegeben; dieser Aufsatz über
,,Leben und Schriften Cäsars*' giebt dem Schüler ein Bild von der
Gröfse des Mannes, indem in einfachen grofsen Zügen seine Tbalen
vorgeführt werden. Aber, wenn man auch von seinem wiederholt
rücksichtslosen und grausamen Verfahren gegen auswärtige Völker
absehen will : „obwohl er . . . niemandem Unrecht getban hatte'*
(S. XII oben) möchte ich doch nicht sagen; lieber würde ich an*
führen, dafs der Mann, in dem Sulla mehr als einen Marius ver-
mutet hatte, nachher im Gegensatze zu Sulla und Marius gegen
seine Mitbürger den Grundsatz (Gas. bei Cic. ad Alt. IX 7 Gl)
befolgte: haec nova sit ratio viiicendi, ul misericardia et UberaUt€Ue
nos tnuniamm, und dafs er nach menschlichem Ermessen gerade
dadurch, während jene beiden Schreckensmänner eines natürlichen
Todes starben, zu seiner Ermordung beitrug. Die bekannten Worte
übrigens: veni, vidi, vici hat Cäsar nicht „an den Senat berichtet'%
s. Drumann, Gesch. R., 111 S. 557 f. Den Beschlufs der Einleitung
bildet S. XII — XV eine Inhaltsangabe der einzelnen Bücher des
b. Gall. in knappem Umfange. Beigegeben ist beiden Ausgaben
eine die neueren Forschungen sorgfältig berücksichtigende, von
Meusel neu entworfene Karte Galliens zur Zeit Cäsars, und ein
genauer Index nominum, der nach den verschiedenen Zwecken
der Ausgaben verschieden gestaltet ist. Nach der sonst üblichen
Weise durfte hier bei Marcelius das Gentile Claudius nicht fehlen.
Zum würdigen Schlufs hat R. Schneider einen bei alier Kürze
trefilichen und auf der Höhe der Forschung stehenden, mit ge-
eigneten Abbildungen versehenen Abrifs über das Kriegswesen Cäsars
beigesteuert. S. 233 würde für „Fahnen'' besser „Feldzeichen'' zu
sagen sein; S. 227 f. konnte noch ein Wort über die übliche kurze
Bezeichnung der Dimensionen von Wall und Graben hinzugefügt sein,
unter Zugrundelegung etwa von V 42, 1 vallo pedum X et fo$$a
pedum XV, Die äufsere Ausstattung beider Ausgaben ist sehr gut.
Ich schlief^e mit der Hoffnung, dafs bald in ebenso vorzüg-
lichen Ausgaben das b. civile folgen werde. Für die zweite Aus-
gabe des b. Gallicum stelle ich folgende Bemerkungen der Er-
wägung Meusels anheim; eingereiht habe ich, soweit sie einer
näheren Begründung bedürftig erschienen, unter dem Zeichen *
einige frühere Vorschläge von mir, die auf mundliche Mitteilung
hin Meusel in der Tabula coniecturarum veröffentlicht hat.
»nf;e%, von W. Nitsche. 771
I 6, 1 beschreibt CAsnr die beiden Wege, welche sich den
Heivetiern zum Auswandern boten, im Imperfektum: Erant omnino
Hinera duo: unum . . angustum . . ., mons autem dtisstmus (mpen-
debat . .; aüerum . . expeditius; daraufgeht er in das Präsens über:
prapterea quod \inter fines Helveti<yrum et Ällohrogum, qui nuper
pacati erant, Rhodanns fluit isque non nulUs lods vado transitur;
extrenmm oppid^tm Allohrogiim est proximumqne Helvetiorum finibns
Genava. Ich möchte vermuten, dafs Cäsar hier wieder in das
Imperfektum zurucklenkte: ex eo oppido pons ad Helf?etios perti-
ne(Jba)t. Allobrogibns sese vel persuasuros . . existimabant vel u. s.w.,
wt*nn ich seine sonstige Erzähl ungs weise derartiger topographischer
Angaben bei militärischen Plänen und Operationen vergleiche:
1 7, 2 von derselben Brücke pontem, qui erat ad Genavam, iubet
rescindi, 11 5, 5 in eo flumine pons erat; ibi praesidinm ponit, 35, 3,
YII 11, 6 et quod oppidum Cenabum pons fluminis Ligeris coniingebat,
. . iubet. Überall hier hat Cäsar dem Präsens, das er hätte setzen
können, das Imperfektum vorgezogen mit Rucksicht auf die er-
zählten Vorgänge der Vergangenheit
I 13, 7 nahm Hotman an ant vor memoriam proderet Anstofs
und vermutete dafür ac. Mir scheint atU memoriam proderet die
erklärende Handbemerkung eines Lesers zu sein zum vorbeigehen-
den nomen caperet, (Übrigens folgt gleich quod memoria teneret.)
1 16, 5 ist statt des überlieferten quarum (nämlich prindpum
Haeduorum) magnam copiam zu setzen quorum magnum numerum.
Copia ist niemals schlechtweg = multitudo, sondern stets eine
Menge, Fülle hilfreicher Mittel oder Personen; vgl. Meuseis Lexikon
Caes. I Sp. 741. Für die schlichte, scharf bezeichnende Ausdrucks-
weise Cäsars ist hier numerus das genau passende Wort.
1 20, 2 scheint der Deutlichkeit halber erforderlich: quod, cum
ipse gratia (^antea^ . . posset, per se crevisset.
I 31, 16 scheint notwendig: Caesarem vel auctoritate sua atqiie
exerdtus [vel] recenti victoria vel nomine populi Romani deterrere
posse. So ist der Gedanke wohlgegliedcrt^). (Zur Verteidigung
der Überlieferung wird man wohl nicht IV 16, 7 ins Gefecht
führen, wo es heifst : wenn Cäsar persönlich verhindert wäre, den
Ubiern gegen die Sueben zu Hilfe zu kommen, exercitum modo
Rhenum transportaret: id sibi ad auxilium spemque reliqui temporis
stttis futurum: [so möchte ich interpungieren] tantum esse nomen
atque opinionem eins exereitus Ariovisto pulso et hoc novissimo
proelio facto etiam ad uUimas Germanorum nationes. Interpoliert,
nicht von Cäsar sind die nun folgenden Worte: uti opinione et
amicäia populi Romani tuti esse possent: [die Verbindung opinione
et amicitia populi R. ist sehr auffällig;] echt dagegen ist wieder:
navium magfiam copiam ad transportandum exercitum pollice-
bantur),
^) Meafel mSchte daoo auch ewerdiu» itreicheo.
49*
772 Kritische Bemerkaogeii zu Cisars Bellam GalliciiB,
I 31, 16 dürfte sich noch empfehlen: Caesarem . . delerrere
posse . . GalVamque . . [passe] defendere.
I 36, 3 ist, meine ich, zu lesen : Haeduos st6t, quaniam bdli
fortunam temptassent et armis congressi [ac] superati essent, stipen-
diarios esse factos; denn das Pariicipiiim congrem ist den folgen*
den superati untergeordnet. Wie leicht sich zwischen solche
Participien eine anreihende Konjunktion einschob, zeigt Vlli 28, 4,
wo nur der Ashburnhamianus richtig hat: contemptis pridie superatis
hostibus, während in den übrigen Hss. zu superalis ein que hin-
zugesetzt ist.
II 1, 4 ab non nnUis etiam, quod in Gallia a potentioribus
atque üs, qui ad conducendos homines factdtates habebant, vulgo
regna occupabantur ist nur eine in den Text geratene unge-
schickte Erklärung der vorhergehenden Worte partim qui
mobilitate et levitate animi novis imperiis studebant^ an welche sich
die späteren unmittelbar anschliefsen: qui minus fädle eam rem
imperio nostro cotisequi poterant. Ähnliche Erklärungen anderer
Stellen sind schon sonst erkannt und ausgemerzt, z. B. V 31, 5
[omnia excogitantur . . augeatur].
II 3, 5 wird für das überlieferte deterrere zu setzen sein:
retin er e. Jenes Wort ist so unpassend, wie dieses passend bei
den innigen politischen Beziehungen, welche zwischen den Remern
und Suessionen obwalteten.
n 5, 5 möchte commeatus . . ad eum (^sup^portari von Cäsar
geschrieben gewesen sein. Das Simplex würde in dieser Rede-
wendung nur hier bei ihm stehen; das Kompositum dagegen steht
bei ihm nach Ausweis von Meusels Lexikon siebenmal; und speziell
ad eum stipportari findet sich 3, 112, 6. Wie leicht sub ausfiel,
zeigt gleich 11 6, 4, wo hinter sibi die Handschriftklasse ß mittatur
hat statt submittatur.
II 30, 4 hat Mensel den Text so gestaltet: turrim in muro
sese (passe add. Walther) canlocare. Nun wurden aber die Türme
nicht auf die feindliche Mauer gesetzt; s. R. Schneider 8.235 der
Schulausgabe. Ich möchte daher vermuten turrim [in] muro sese
passe adplicare = ,. unmittelbar, dicht heranbringen an die
äufsere Mauer'*; dies halten die Belagerten nicht mehr für un-
möglich, sobald sie die alimähliche Näherung gewahren: übt vero
maveri et adpropinquare mnris (= 29, 3 dupHci . . mura) vide-
runt, Adplicare gebraucht Cäsar, wenn auch nicht in dieser, so
doch in entsprechenden Wendungen: 3, 101,5 adplicaiis nosMs
ad terram navibus, VI 27, 3 ad eas {arbores) se adplicant. Scalas moeni-
bus adplicare sagt Curtius 4, 2, 9. (V 43, 6 drückt sich Cäsar so
aus: quadam laca tnrri adacta,) Auch 111 4, 1 kann die Überlieferung
nicht richtig sein : brevi spatia interiecto, vix ut üs rebusy qua$ con-
stituissent, canlocandis atque administrandis tempusdaretur. £s wird
zu schreiben sien: comparandis atque administrandis, wie die
Vergleich ung von 1, 37, 1 dum kaec parat atque administrat lehrt. .
voD W. Nitscbe. 773
1133,2 ist überliefert: scuiis viminibus intextis, quae . .
peüibus induxerant. Intexere steht nur hier bei Cäsar. Es wird
zu ändern sein: contextiSf wie fol^^ende Stellen zeigen: 1,54,2
rdiquutn corpus navium viminibm contextum corüs integebatur,
IV 16, 4 simulacra, quorutn conteosta vitninibus membra, 2, 2, 1
cmtextae virninibtis vineae,
1116,2 ist überliefert: üa commutata fortuna eos, qui in
spem potiundorum castrorum venerant, utidique circumventos
interficiunt. Zwar kommt die Verbindung der Verba ctrcum-
venire und interficere bei Cäsar häufig vor (II 10, 3. V 37, 2.
VII 50, 3. 62, 7. 80, 7. 1 , 55, 3. 2, 34, 3. 35, 2), aber hier scheint
das Überlieferte unhaltbar, weil unmittelbar darauf gesagt wird,
dafs nicht alle getötet werden, sondern nur ein Teil: et., plus
tertiaparte interfecta, (An sich ist sachlich das eine wie das andere
höchst unwahrscheinlich: die durchaus nicht vollzählige römische
Legion wird schwerlich ober 10000, oder gar über 30000 Feinde
getötet haben.) Ich möchte vermuten, dafs einfach zu schreiben
ist circumveniunt und die Verderbnis eben dadurch entstanden
sei, dafs dem Schreiber jene geläufige Wortverbindung in die
Feder kam. Man könnte auch denken an circumventos incessunt
(I 25, 6 wird ähnlich gesagt: nostros . . adgressi circumvenire . .
coeperunt und VIII 12, 2 qui . . circumventos aggrederentur); aber
incessere gebraucht Cäsar nicht.
III 9, 6 haben alle Hss. quam Romanos. Heusei klammert
quam ein, der ed. 1 folgend. Mir scheint das Ursprüngliche
contra Romanos, und nach dem Ausfall der Silbe ra vor Ro cont
verwandelt zu sein in quom, dieses in quam. Contra == at ge-
braucht Cäsar V 31, 2 und 1, 71, 3. Als Ilinüeningsgrund für
meine Konjektur wird nicht angesehen werden, dafs kurz vorher
contra opinionefn gesagt ist.
III 18,8 hatte ich vorgeschlagen: fossas [Romanorum]. Man
könnte zur Verteidigung des verdächtigten Wortes VII 78, 4 muni-
tiones Romanorum entgegenhalten, aber hier fehlt Romanorum in
der Handschriftenklasse ß\ icii möchte vermuten, dafs hinter
muniliones ausliel: nras = nostras und zum Ersatz in a Roma-
norum eingeschoben wurde.
IV 1, 1 schlage ich vor: non longe a mari, qua (für quo a,
etil ß) RhenUrS influit = von der Stelle aus, wo = nicht weit vom
Meere, von der Mundungsstelle des Rheins aus gerechnet. Der-
selbe Ort wird IV 4, 2 bezeichnet: ad Rhenum pervenerunt, quas
regianes Menapii incoUbant, Für den Gebrauch von qua ist V 46, 3
zu vergleichen: alterum (nuntium) ad . . Fabium . . misit, %U in
Atrebatium fines legionem adducat, qua (dorthin, an die Stelle, wo)
sibi iter faciendum sdebat. (Umgekehrt steht qua statt quo in
einigen Uss. Vll 60, 4; s. Meusels Lexikon Sp. 1541 unten.)
IV 12, 6 dürfte zu vervollständigen sein: cecidisset . . . (item
oder ipsey interfectus est.
774 Kritische Bemerkungeo zu Casars Bellum Gallicam,
Dagegen ist IV 14, 2 interpoliert: omnibu» rebug ... [et
celeritate adventus nostri et discesfu morum], wie entsprechende
Interpolationen, schon erkannt, sich linden V 25, 5 ab omnibus
[legatis quaestoribusque]^ ÜI 7, 1 omnibus de cauiis . . . [mperatis
BelgiSy exptäsis Germanis, victis in Alpibus Sedunis].
V 14, 2 mufs, denke ich, von dauernder Sitte es heifsen:
vestiuntur. Die Hss. haben sunt vestiti; aber sunt fehlt in h 1
nach Meusels Lexikon unt. vestire.
Kann V 49, 2 Gdllum ab eodem Verticone . . repetit (N; Aid;
repperit die Hss.) heifsen: er erbittet sich wieder einen (anderen)
Gallier (denn der frühere gallische Bote 45, 2 — 5 dürfte, nach
48, 3 — 7 zu urteilen, nicht in Ciceros Lager zurückgekehrt sein),
oder scheint es notwendig einzuschieben Gallum (^aUutnyi
V 54, 4 möchte Cäsar ebenso praecipuo semper ^m) hanore
habuit gesagt haben, wie an den beiden andern Stellen 1, 77, 2.
3, 47, 7 magno in honore habere. Auch Cicero scheint in dieser
Wendung immer in zu gebrauchen. Noch ungewöhnlichere Stellung
der Präposition hat Cäsar II 21, 6: quam q^äsque ab opere inpartem
casu devenit, wenn ich auch die malende Darstellung hier nicht
verkenne.
In den Worten V 56, 3 Cmgetorigem . . quem supra demwi-
stravimus Caesaris secutum fidem ab eo non discessisse (cessisse ß)
fafst Meusel Lex. I Sp. 925 das letzte Verbum = deserere, deficere.
Dies dürfte aber, wie die von ihm noch angeführten Stellen 2, 42, 3.
3, 60, 3 zeigen, nur dann möglich sein, wenn Cingetorix nicht von
Cäsars Seite gewichen, auch räumlich bei ihm geblieben wäre.
Darauf führt aber nichts in der Erzählung von ihm V 3, 3 — 4, 4;
vielmehr dürfte er nach 57, 2 vom Gebiete der Treverer aus
Cäsar Nachrichten gegeben haben über seines Gegners Indutio-
marus' Umtriebe. Wie nun Cäsar des Cingetorix erstes Auftreten
vor ihm mit den Worten berichtet V 3, 3: se suosque amnes in
officio futuros neque ab amicitia populi Romani defecturos^
und VI 8, 9 auf die erste Hälfte hiervon zurückweist in den Worten
Cingetorigi, quem ab initio permansisse in officio demonstrtttnmuSf
so, glaube ich, hat er auch hier V 56, 3 sich des Wortes defecisse
(nicht discessisse) bedient.
V 57, 3 ist conloquendi . . causa schwerlich richtig. Ich
vermute conviciandi . . causa im Hinblick auf 58, 2 contumelia
verborum. Wenn auch nicht conviciariy das Substantiv convicium
wenigstens kommt dreimal bei Cäsar vor.
In der Stelle VI 1 , 3 magni interesse etiam in reliquum tempus
ad opinionem Galliae existimans tantas videri Italiae facuUates^ ut,
si quid esset in bello detrimenti acceptum, non modo id brevi tempore
sarciri, sed etiam maioribus auger i copiis posset ist zu augeri in
der Ausg. von Kraner-Dittenberger die Anmerkung gesetzt: „näm-
lich das durch die Niederlage verringerte Heer, obgleich gram malisch
detrimentum das Subjekt ist''. Sollte nicht wirklich hinter maioribus
voo W. Nitsche. 775
das in den Schriftzügen ähnlich ausgehende Wort [exercitus aus-
gefallen sein? Ich wüfste keine derartigen sprachlichen Licenzen
bei dem immer scharf logisch sprechenden Cäsar.
VI 5, 6 schlage ich für das schwerlich richtige congredi coge-
rttur vor: congregaretur y,»\ch vereinigte, zusammenscharte'S Wenn
das Wort auch bei Cäsar sich nicht findet, so ist es doch sonst
sehr häufig. '
Wenn nach VI 14, 3 m disdplina permanent ursprunglich
unmittelbar der Inhalt dieser Lehre § 5 ff. m primis . . (radunt
folgte, so schlössen sich hieran gut, dem Gedanken und der Form
nach, die Worte: neque fas esse existimant ea litteris mandare,
während jetzt das Neutrum ea nach dem Vorangehenden auf-
fallig ist. — Sollte öbrigens nicht in § 3 rationihus, wie schon
andere vorgeschlafen haben, zu streichen sein nach den Worten
in reliqms fere rehis puhlids privatisque*f Die letzteren wurden
gesagt sein wie VI 13, 5 fere de otnnihus controversns puhlids
prioatisque. Vielleicht ist ratianibtis als Randbemerkung zum fol-
genden causis gesetzt gewesen.
VI 16, 1 f. berichtet Cäsar: Einzelne Gallier in bedenk-
lichen Lebenslagen provictimis homines immolant . . . publiceque
eiusdem generis habent instituta sacrificia. Darauf wird fortgefahren :
Alii mmani magnitudine simülacra habent, qnanim . . . exaniman-
lur homines^ Hier werden nach der Erwähnung der privaten
Menschenopfer und nach der Andeutung der öffentlichen nun
offenbar die öffentlichen beschrieben: entweder ist also vor alii
ein anderer auch mit alH anfangender Satz ausgefallen, der eine
andere Art Menschenopfer anderer gallischer Staaten enthielt und
in dem Erhaltenen etwa zu lesen: simülacra (exstructa) habent
== halten bereit; oder habent ist mit der Handschriftklasse ß
zu tilgen und aus alii ein Verbum zu machen, etwa erigunt oder
excitant, (Diodor erzählt dieselbe Sache folgendermafsen: zovg
xaxovgyovg xatä nsvrastfjQlda (pvld^aprsg äpaüxolo7ti^ov(ri
totg &€Otg xal (A€t' äkltav noXXäv änaq^dv xa&ayi^ovaiy
nvQocg nafjbfAeyi-d'Sic xatadxeva^ovxeg, XQävxai di ytal
%o%g alxfAceidOTOig dg IsQsio^g ngog vag xcov d'ewv Ti[idg,
7»vjg 6i av%äv xal za xara noXsiJkoy Xijtpd'sma ^(oa iieiä
täv av&Qoimoif anoxzeivovciv Iq xazaxdovc^v ij ziai^v äXlaig
zifAfagia^g äcpayl^ovfft^, Strabo IV 4, 5 p. 198 Casaub. so: av&gia-
nov xaz6(f7t€i(SfjLivok^ nalaavzsg slg väzov ^laxatgcc ifiavzevoyto
i» zov (S(f>ada(Siiov. sd-vov di ovx avsv dgv^öfav. xal äXla
di av>onod'VtSi&v sidfj Xeyszat' xal yäg xazszo^svop ztvag
xal dp€<fzavgovy iv zoXg isgotg xal xazaöxevdaavztg
xoXoatsdv xogzov xal '^vXtaVy ifißaXopzeg elg zovxov ßo(fx^-
(lata xal d-fjgia navzoXa xal ap&gdTtovg, toXoxavzovv,)
VI 19, 3 möchte ich ergänzen: de morte si res in sus-
picionem venit ... et si compertum (parricidiumy est\ VI 30, 3
ut (^sitay sunt fere domidlia Gallorum (vgl. III 12, 1 erant eins
776 Kritische Bemerkoogen zu Casars Bellom Gallicam,
tnodi fere Situs oppidorum); ¥135,6 übt pons erat (^altery
f actus (statt des Überlieferten: erat perfectus. Vielhaber halte
vermutet: erat (^posteriory factus. Man vergleiche Eberz' Konjektur
VH 27, 1 promota turrt (^altera), die noch wahrscheinlicher wird
bei. der Umstellung promota (altera^ turn). Ferner schlage ich
vor: VI 37, 9 audxerant (paene} nMum esse intus praesidium^
welche Worte zurückverweisen auf 35, 9 praesidii tantum est, ut ne
murtis quidem cingi possit u. s. w.
Dafs Cäsar etiam nunc an folgenden beiden von Meusel Lex. I
Sp. 1142 angeführten Stellen: VI 40, 6 nullo etiam nunc usu rei
militaris percepto neque . . . potuerunt und VII 62, 6 incerto etiam
nunc (AQ/9; nunc etiam BiM) gebraucht habe, scheint mir unwahr-
scheinlich. Entweder dürfte unter Vergleichung der von Meusel
vorher und nachher im Lexikon ausgeschriebenen Stellen, nunc in
tum zu ändern oder nunc (= nc) zu tilgen sein. Das letzlere
Verfahren möchte ich mehr empfehlen; auch spricht dafür der
Wechsel der Wortstellung in der Überlieferung Vil 6, 6, sowie die
Vergleichung der Stellen, in welchen das blofse etiam = „noch*^
mit der Negation verbunden erscheint: VI 43, 4 nee plane etiam
abisse, VI 30, 2 ineautum etiam atque imparatum^ Caes. ap. Cic. ad
Alt. X 8 B 1 integra etiam.
VII 14, 5 möchte ich vorziehen für a Boia zu schreiben:
ab hostibus mit Rücksicht auf das folgende Subjekt in videantur,
Ciacconius hat schon ab hoste vorgeschlagen.
VII 20, 3 können vor persuasum die Worte sibi esse nicht
fehlen, die leicht ausfallen konnten nach accessisset.
VII 33, 1 ist überliefert: dintas quam ipse semper aluisset
Dieses Verbum würde bei einem anderen Schriftsteller nicht unge-
wöhnlich erscheinen, bei Cäsar hat es keine Parallele. Ich ver-
mute: auxisset, im Hinblick auf VII 54, 4 quam in ampUtudinem
duansset und auf I 43, 8 populi Romani haue esse consuetudinem,
ut socios . . . gratia, dignitate, honore auctiores velit esse.
VII 34, 1 ist devicta Gallia auffällig. Vielleicht möchte
jemand meinen, dafs Cäsar so nach Niederwerfung des Aufstandes
bei der Abfassung seiner Kommentare, nur an das grofse römische
Publikum denkend, geschrieben habe, während er etwa vorher zu
den Häduern selbst devictis adversariis gesagt habe. Aber die
Worte dürften doch wohl von fremder Hand eingeschoben sein,
da ein sprachliches Bedenken hinzukommt: der Ablativus absolulus
devicta Gallia müfste bedeuten: erwarten für die Zeit, dafs u. s. w.
Das blofse exspectarent mochte jenen erklärenden Zusatz hervor-
treiben; aber auch 3, 60, 1 wird ohne derartige Zeitbesliromuug
gesagt: monuit, ut ex stia amicitia omnia exspectarent et ex
praeteritis suis offkiis [reliqua speraretU om. Ciacc.]; vgl. auch
2, 28, 3.
VII 35, 1 dürfte auch wohl Meusel selbst durch seine Text-
gestaltung noch nicht völlig befriedigt sein. Ich wurde vorziehen«
r
voD W. Nitsche. 777
SO ZU schreiben und zu interpungieren : Cum uterque utriqut
(ß uirimque a) esset (j9= blieb; oder tsset = den Tag über
marschiert war? aiexisset) exercttus in compectu, fere [que] e
regione cast(rarum Caesd)ris (H. J. Müller) castra ponebat (Paul).
In dem Oberiiererlen ist nicht ausgedruckt, dafs Cäsar und Vercinge-
torix des Morgens gleichzeitig auszogen; ein derartiger Gedanke
mufs hineingebracht werden.
Vli 41, 1 durfte zu schreiben sein: castra ad Gergotnam <re)-
movet; vg). wegen des Sachverhalts c. 40 und den Rest von c. 41
und wegen des Ausdrucks das andere Kompositum I 48, 1 castra
pramomt.
VII 47, 1 setzt Meusel mit ß constiterunt \ ich möchte, im An-
schlufs an a, constitui[t] vorschlagen und es noch von inssit
abhängen lassen.
VII 47, 3 ist überliefert consequi . . prms sequendi. Es ist
gar nicht angegeben« wem die BetrefTenden folgen. Ich möchte
für die letzten beiden Worte setzen: prius (^proycedendi, im
Hinblick auf 52, 1 : ipsi iudicavissent, qtw procedendum.
VII 49, 3 vermute ich cum kgione ^X) progressus . . eventum
pugnae exspectahat. Das Eingreifen dieser Legion wird dann 51, 1
erzählt.
Mit VII 63 beginnt ein neuer Abschnitt der Erzählung: „In-
folge des Abfalls der Häduer wächst der Krieg an Ausdehnung'^
(co^nt^a ist wohl aus VII 59, 2 Bellavaei . . defectione Haeduorum
cognüa hier fälschlich eingeschoben). „Denn die Haeduer schicken
nach allen Seiten Gesandtschaften herum (circummittunt[ur] : Weid-
ner); sie bieten allen Einflufs, Ansehen und Geld auf, die Staaten
aufzuwiegeln; im Besitze der bei ihnen von Cäsar aufbewahrten
Geiseln, wenden sie Drohungen an bei .den Unschlüssigen; schliefs-
lich setzen sie sich mit Vercingetorix in Verbindung". Dieser Zu-
sammenhang, meine ich, fordert die Ausmerzung von cognüa.
In der Rede, welche Vercingetorix in der allgemeinen Ver-
sammlung der Gallier zu Bibracte VII 63, 5 fr. hält, ist mehreres
dunkel. Ich möchte nur bei den Worten 64, 3 verweilen : aequo
ammo sua ipsi frumenta corrumpant aedifictaque incendant, qua
rei familiaris iactura perpetunm imperium libertatemque se
consequi videant. Es wird nicht gesagt, wem und über wen Ver-
cingetorix die dauernde Herrschaft verspricht; aber es wird wohl
eine allgemeine, eine Gesamtherrschaft der Gallier, eine Weltherr-
schaft derselben nach Art der römischen gemeint sein, wenn man
die einzig sich zur Erläuterung bei Cäsar bietende Stelle VII 29, 6
vergleicht: Vercingetorix verspricht, unum consilium totius Galliae
elfecturum, cuius consensui ne orbis quidem terrarum possit
obsistere. Als Einzelheit dieses weitaussehenden Planes erfahren
wir nur VII 64, 8, dafs er den Allobrogern das imperium totius
provinciae in Aussicht stellt. — An diesem Offensiv-Gedanken
darf nicht irre machen, dafs sonst nur der Defensive gedacht
778 Kritische Bemerkaogeatzn Casars Bellum Gallienm,
wird, wie VII 14, 5 ff. salutis causa rei famüiaris commoda ita-
glegenda: vkos atque aedificia incefidi aportere u. s. w.; auch 66, 4,
da die Siege am güostigsten zu stehen scheinen und man hofft,
dafs sich die Römer in die Provinz zurückziehen werden, ist
nicht vom Traume einer Weltherrschaft die Rede, sondern Ver-
cingetorix hält den versammelten Reiterobersten vor, dafs jener
Rückzug der Römer zwar genüge ad praesentem obtinmdam liber-
tcitem^ad reliqui temporis pacem atqtie otium parum profiä. Wenn
auch VIl 64, 3 die Worte perpetuum mperium libertatemque (wohl
absichtlich) nicht näher ausgeführt sind, man wird sich doch hüten,
etwa perpetuam salutem libertatemque dafür setzen zu wollen.
VII 74, 1 hatte ich vorgeschlagen perrumpi für das überlieferte
cireumfundi; besser aber durfte sein: circumfusa perrumpi.
VH 79, 4 wird ebenso fossam cratibus [integunt] atque
aggere eocplent zu schreiben sein, wie es VH 86, 5 heifst: aggere
et cratibus fossas explent.
VIII 5, 3 mufs das Kompositum stehen: equites , . . in omnes
partes {di)mittit, wie VIII 7, 1. 25, 1. 24, 1 und überall an
zahlreichen Steilen bei Cäsar (Meusel Lex. I 91 5 f. 11 102).
VIII 11,2 ist zu ändern equites .... pabulatoribus (für
das überlieferte pabulationibu&) mittit; vgl. VIII 10, 3 lil . . , pdbu-
latores circumveniretUur, 17, 2 legianes plures, quam sokbat, educü
equitatumque, quantum (JNitsche [s. VI 43, 4 tarUo . . . equitatu],
quem Kraffert; überliefert qua) consuetudine („nach Gewohnheit*')
pabulatoribus mütere praesidio consuerat, praemittit\ auch 1, 40, 3
^uc cum . . . egressae pabulatoribus praesidio . . transissent; ferner
VIII 29, 1. 35, 2 und zahlreiche Beispiele aus Cäsar in Meusels
Lex. II Sp. 1176 — 1178, in welchen überall zu praesidio und
einem Verbum der Dativ eines Konkretums, nicht eines Abslrak-
tums, einer Handlung gesetzt ist.
VIII 14, l ist überliefert dimittuni e05, quos aut aetate aut
viribus inferiores aut inermes habebant, unaque reliqua impedi-
menta. Reliqua giebt keinen Sinn; Köchly und Rüstow über-
setzen: den gesamten Trofs. Ist reliqua durch Dittographie aus
dem vorhergehenden unaque entstanden und zu tilgen? oder ist
pleraque dafür zu setzen?
VIII 19, 7 dürfte zu ergänzen sein: qui tarnen (^paene
omnes) in fuga . . . conficiuntur, da 20, 2 folgt: ex fuga paucis
. . . receptis. Wegen des Ausdrucks vgl. 3, 79, 4 paens omnibus
copiis amissis.
VIII 26 wird erzählt, dafs der Legat Caninius' dem römer-
treueu Häuptlinge der Pictones Uuratius zu Hilfe kommt, aber zu
ausreichender Hilfe nicht stark genug ist. Darauf möchte ich
27, 1 so lesen : Eodem tempore C. Fabius legatus complures dmtales
in fidem (^dumy recipit, (^quam^ obsidibus firma(nyt, lHteris[qtu]
Caninii fit certior^ quae in Pictonibus gerantur. Jedenfalls ist das
Überlieferte anstöfsig; denn fit drückt Momentanes aus, welches
voB W. Nitsehe. 779
eintritt ionerbaib der Dauer der vorher genannten Handlung
reäpit; aufserdem würde die Verbindung mit dem vorhergehenden
Kapitel ungeschickt sein. (Wegen des Ausdrucks vgl. noch VII[
48, 8 SB . * ea facturum . . ohsidibus datis firtnat.)
VIII 47, 2 ist oiTenbar zu schreiben: [civitasque Atre-
batium in officio esset] ... farente Romanis cimtate. —
Darauf durfte wegen des Sinnes umzustellen sein: [cum suis
equitibus] latrociniis se suosque alebat infestisque ilineribus (cum
suis eqviiibus) commeattis . . . interctjnebat.
VIII 48, 3 möchte ich hinter ille . . . fuga vehementi Volusenum
produxisset lon^nis, inimicus homini ein Komma setzen und
zwei Zeilen später wieder unter Ergänzung eines Wortes um-
stellen: conversoque equo se [a ceteris incautius] permittü in
praefectum <a ceteris incautius praevectum = „vorangesprengl'*).
Hieran schliefse ich einige Vermutungen zum bellum civile:
^ 1, 2, 7 ist das überlieferte /acmmm mderi sinnwidrig. Man
erwartet facere visurum. Will man die Nachlässigkeit der Eil-
fertigkeit Cäsars und dem Mangel einer Revision zuschreiben:
jedenfalls mufsten die Herausgeber und Erklärer über die Stelle reden.
1, 7, 4 ist nach videatur das notwendige Wort ^ttira) aus-
gefallen und falschlich in den Hss. durch dona ersetzt worden.
Den Feinden Cäsars kam es vor allem darauf an, seine Wieder-
wahl zum Konsul im J. 49 und damit eine ununterbrochene Macht-
stellung desselben zu hindern. Seinerseits hatte Cäsar nach dem
Ausbruche des Bürgerkrieges, wie Hofmann zu 1,11,2 richtig
bemerkt, bei seinen bedeutenden Konzessionen das eine im Auge,
dafs Fompejus vor den Konsularkomitien in seine Provinz ginge
und die Konsulwahien nicht unter dem Druck der f^ompejanischen
Armee vor sich gingen. Das beweisen klar Cäsars Vorschläge 9, 5:
proficiscatur Pompeius in suas provincias, ipsi exerdtus dimittant;
discedant omnes in Italia ab armis, meius e civitaie toHatur^ libera
comitia atque omnis res publica senatui populoque Romano per-
mittatur. Daher dürfte nach der Erwiderung der Gegner (10, 3:
Caesar in Galliam reverteretur . . . exercilus dimitteret] quae si fe-
cisset, Pompeium in Hispanias iturum) c. 11,2 zu schreiben sein:
erat iniqua condicio postulare, ut Caesar . . . tn provinciam reverte-
retur, ipsum et provincias et legiones absentem teuere, exercitum
Caesaris veüe dimitti . .; polliceri se in provinciam iturum tuq^ie^
ante quam diem iturus sit, definire, ut, si comitiis Caesaris con-
sularibus (oder besser peractis comitiis consularibtts) non
profectus esset, nuUa tarnen mendacii religione obstrictus videretur,
wiewohl die Überlieferung in den mafsgebenden Hss. an dieser
verzweifelten Stelle von diesem Vorschlage abliegt; sie lautet
nämlich: si peracto cons. Caesaris cons. (non add. Ursinianus)
praefectus (.profectus Dpr) esset. Ich glaube hiermit wenigstens
sachlich und sprachlich Zulässiges vorgeschlagen zu haben. (Meinen
früheren Vorschlag nehme ich hiermit zurück.)
780 Kritische Bemerkun^ea zu CSsars Bellom civile,
1, 13, 1 heifst es: adventu Caesaris cognito decurionei
A^txmi ad Altium Varum . . conveniunt; doceiu sui iudicii rem non
esse; neque se neque reliquos municipes patiposse C. Caesarem. . .
oppido moenihusqiie prohiberi; proinde habeat rationem posteritatis
et periculi sui. Hier roufs für posteräatis gesetzt werden: ipso-
rum voluntatis, wie der Zusammenbang zeigt und zum Uber-
fiufs entsprechende Beispiele lehren: 2, 20, 1 — 3 und im beson-
dern 3, 12, 1 — 3: Caesar . . Apolloniam proficiscitur; eins adventu
audito L. Staberius, qui ibi praeerat, . . arcem muntre obsidesque ab
Apolloniatibus exigere coepit\ tili vero daturos se negare neque portas
consuli praeclusuros neque sibi iudicium sumpturos contra atque
omnis Italia . . iudicavisset; quorum cognita voluntate dam pro-
fugit Apollonia Staberius.
1, 19, 4 dürfte notwendig sein si qua {quae'i doch s. Mensel
Lex. II 1550) esset (füv fuisset) facultas; 1, 30, 1 duumviris (mariti-
morumy municipiorum omnium imperat, utnaves conquirant u. s. w.
1, 32, 1 beginnt mit der so häufigen Formel His rebus con-
fectis. Aber hier (wenn man sie nicht etwa durch die Annahme
erklären will, dafs 30,2 Sardiniam obtinebat — 31, in welchem
Abschnitt Cäsar nicht auftritt, erst nachträglich eiugefugt sei)
wird man wohl His in Italicis (welches Wort 3, 42, 3 Yon Cäsar
gebraucht wird) ändern müssen; Italicis konnte leicht nach cogit
entstellt werden. Ähnlich ist der Übergang VI 16, 1 Germanico
bello confecto . . . Caesar statuit sibi Rhenum esse transeundum^
und verwandt die Formel 2, 17, 1 cognitis iis rebus quae sunt in
Italia gestae.
1, 36, 1 scheint folgende Interpunktion sinngemäfser als die
übliche: . . . praecifitur. Summa . . . permittitur: eius . . .
1,41,2 sind Kasusendungen zu ändern: castrisque prae-
sidio sex cohortes relinquit atque omnibus impedmentis (überliefert
ist omnia impedimenta); den Beweis liefert der Gedankenzusammen-
hang, dazu die ParalleLstellen in Meusels Lex. II Sp. 59.
1, 58, 1 mufs es, denke ich, heifsen: et (statt aut) pluribus.
Mensel Lex. II Sp. 45fir. hat viele Beispiele zusammengestellt,
in denen illi^^adversarii, hostes gebraucht wird. Diese Deutung
ergiebt sich aus dem Zusammenhang der Stellen. In keiner von
ihnen dürfte aber dem Leser zugemutet werden, was 1, 59, 2
notwendig wird, dafs er, um Uli zu verstehen, über das Zwischen-
stück c 56 — 58, welches von Massilia handelt, hinüber zum Ver-
ständnis von Uli auf das entfernte vorhergehende Kapitel zurück-
greifen mufs. Hier entsteht doch die Frage (falls man nicht an-
nimmt, Cäsar habe die Schrift vom Bürgerkriege nur schnell hin-
geworfen hinterlassen), ob nicht statt t7/t zu setzen ist adversarii,
von dem der Anfang nach dem vorhergehenden Worte mutatur leicht
entstellt werden konnte. — Ebendort § 3 verbessert Mensel consti-
ttierant in instituerant; doch scheint nach den vorangegangenen Imper-
fekten und postremo auch hier das Imperfektum instituebant rätlicher.
voo W. Nitsche. 781
1, 75, 2 dürfte zu schreiben sein quos siiae custodiae causa
(^circum se} habere tfmeuerat, wie 2, 40, 1> vgl. Heusei Lex. I
Sp. 531. (Diese Ergänzung hat gröfsere Wahrscheinlichkeit, als
die von seciim, was an sich auch zulässig wäre, s. Meusel Lex. I
Sp. 766 f.)
* Zu 1, 80, 1 bemerkt Hofmann richtig: „Tait dum pugnatur
modo . . mbsistunt, eine allgemeine Bemerkung, wie ut tum accidit
(Bestätigung derselben durch den vorliegenden Fall) zeigt'^ Nun
folgt allerdings sonst enim (2, 4, 4. 3, 41, 3 f. vgl. 3, 68, If.) auf
die Formel ut accidit oder 'ut tum accidit, oder auch nam (Vl(
3, 2), wenn nämlich jene Bestätigung mit Einzelheilen belegt wird;
das ist jedoch hier nicht der Fall; hier folgte etwas durchaus
anderes, nämlich das schliefsliche Ergebnis. Daher vermute ich,
dafs hinter accidit der neue Satz mit (ita^ begann; nachdem
dies infolge der Buchstabeoähnlichkeit nach accidit ausfiel, wurde
nnlugischerweise das so häufige enim eingeschoben.
1, 80, 4 scheint mir equitesque revocari die unnütze Er-
klärung eines Lesers zu subsequi pabulatores iubet; unnütz, da
erst dicht vorher §3 gesagt war dimissos equites pabulandi causa;
er wollte vermutlich das Verständnis erleichtern, wie aus diesen
pabulatores sofort wieder die Reiterei wird, die ihren täglichen
Dienst, die Verfolgung der Feinde, versieht (eeleriter equitatus ad
cotidiemum itineris officium revertilur u. s. w.).
"^Während des eben erwähnten Rückzuges der Feinde pugnatur
acriter ad novissimum agmen 1 , 80, 5 ; sobald aber die Gegner
notgedrungen an einem ungünstigen Orte ein Lager aufschlagen
castra ponunt (81, 1): (tarn} isdem de causis Caesar, quae supra
sunt demonstratae (72, 1 — 4), proelio non lacessit. So, meine ich,
hat Cäsar geschrieben, und die bessere Oberlieferung trägt noch
die Spur in dem blofsen non vor lacessit. Als aber iam nach
ponunt ausfiel, wurde das weniger passende sed für iam eingesetzt,
und in den geringeren Handschriften wurde aus richtigem Gefühl
für den mangelnden Begriff amplius vor non lacessit eingesetzt.
(Weit vor non gesetztes iam zeigen, wenn auch in anderen Ver-
bindungen, I 17, 3 si iam principatum Galliae obtinere non possitU
und II 25, 1 ut iam se s^istinere non posset.) — Darauf wird nicht
entbehrt werden können: eo die labernacula statui (^a suis}
passus non est, quo paratiores essent ad insequendum omnes.
1, 82, 3 hat Paul mit Recht an der durchaus ungewöhnlichen
Formel quae sunt cognitae Anstol's genommen. Da sonst aktivische
Wendungen bei Cäsar zu stehen pQegen, ist möglicherweise ein
einfaches quibus antea so umgebildet worden, zumal yor quominus»
Wegen der Sache vgl. 81, 2.
* 1, 83, 3 dürfte uterque . . videbatur . . tlle • . impediret in den
Plural umzuwandeln sein, entsprechend dem folgenden utrique
. . Uli . . (84, 1) petunt. — 1, 83, 3 fordert der Sinn ferner: pro-
ducitwr ita (für tamen).
782 Kritische ßemerkangeo zo Cäsars Bellom civile,
1, S5, 5 neqite (^veroy nunc. — 1, 86, 4 möchte ich vor-
schlagen neu quis invüus sacramento adigatur (für das überlieferte
dicere cogatur), wie Vli 67, 1 in er steht iure iurando adacti8\ so
reden auch Livius und Tacitus.
2, 5, 5 ist vielleicht zu schreiben et honesti ex iuventute et
gravioris (für das handschriftliche cnmsque) aetatis ampUcissinu,
wie es ill 16, 2 heifst: omnis tuventus, omnes etiam gravioris aetalis
. . . eo canvenerant,
2, 17, 3 scheint atque exspectari nur erklärender Zusatz
von fremder Hand zu der bei Cäsar ungewöhnlichen und auch
sonst nicht gerade häufigen Phrase esse in spe zu sein.
% 32, 2 durfte notwendig sein neque sine causa ei Caesar
armdssime de vobis et (victi) Uli gravissime iudicaverunt, Pom-
peius antem nullo proelio pulsus, vestri facti praeiudicio demotns
Italia excessit. Vgl. § 6 incerta victoria Caesarem secuti dnudicata
iam belli fortuna victum (Paul: victos) sequamini . . .?
2,34,4 möchte hinzuzusetzen sein: quod magnum (etint)
habere usum . . . sciebat. Doch diesen Gegenstand zu erledigen,
dazu gehört eine umfassende Untersuchung.
Da Varus sein Lager nach 2, 25, t zwischen der Stadt Utica
und dem Theater davor hatte (vgl. 35, 4), so dürfte notwendig
sein 2, 35, 7 zu ändern: in oppidum tra- (statt re')ducit, auch
wenn es § 6 heifst in oppidum . . sese recipiunt.
* 2, 41, 8 scheint [parentes] als Erklärung zu suos von frem-
der Hand beigeschrieben zu sein = Anverwandte, in welcher Be-
deutung es nach Georges erst von Curtius und Florus an vor-
kommt.
3, 1 , 6 möchte ich ingratus ändern in incautus, weil, wie
Hofmann in der Anmerkung sagt, eine Restitution durch Volks-
beschlufs sicherer war.
'^ 3, 2, 3 ist überliefert galli tot bellis, ohne Sinn. Die Ände-
rung Gallicis aus gMi ist unzutreffend; dann würde der Krieg in
Italien nicht erwähnt. Auf den richtigen Weg führt Pauls assi-
dnitate belli; ich meine, es mufs gravitate belli heifsen, wie
Cäsar IV 6, 1 gravius bellum gebraucht: durch den schweren Krieg
in Italien, vor Massilia und in Spanien waren viele Mannschaften
dienstunfähig geworden. (Dafs gleich nachher gravis afUumnus
folgt, würde die Konjektur nicht unzulässig erscheinen lassen: ähn-
liche Wortwiederholungen hat Cäsar nicht wenige.)
3, 4, 6 ist vielleicht hinter adiecerat einzusetzen equites: ita
statt des überlieferten atque. (Auf die Notwendigkeit von equües
wies mich Meusel hin.)
3, 5, 1 möchte ich ergänzen Cyrenis reliquisque (mari^
timis) regionibns. Maritimis scheint nach dem Ausfall falschlich
nachher in § 2 hinter oppidis untergebracht zu sein. Dagegen ist
wohl vor oppidis ausgefallen: Epiri.
3, 6, 2 dürfte für aequo zu schreiben sein laeto (vgl. 3,
voD W. Nitsche. 783
91,3). Aequo oder, was i'aul vorschlug, magno animo wurde
passen, wenn der Feldherr aufforderte, nicht die Soldaten sich
erhöten.
3, 6, 3 sind die Worte saxa inter et alia loca peric^dosa quie-
tarn nactns stationem hinter das letzte Wort exposmt zu stellen.
3,8,3 ist wohl zu ändern: ac dedecoris (für das band-
schriftliche ac doloris) iracundiam. Vgl. IV 25, 5; auch den
Artikel ignominia in Meusels Lexikon. 3, 21, 4 ignominia et dolore
permotus entspricht dem Ausdrucke an unserer Stelle: dedecorts
iracundiam»
*" 3, 8, 4 ist tiberliefert neque subsidium exspectans si in Caesaris
complexum venire po$set. Den richtigen Gedanken hat Nipperdey
gefunden, indem er bessert: ne quod aubsidium exipectanti Caesari
in compectum venire posset; nur klingt das letzte für Cäsars
schlichte Aus^drucksweise etwas zu spöttisch; ich vermute daher
für compleocum (vor venire): commeatusve. Zu dieser Vermutung
möchte ich nur hinzulügen, dafs ich für den Anfang die Ände-
rung von Davis jetzt vorziehe :*fie qua subsidium. Ich schlage also
vor: ne qua subsidium exspectanti Caesari commeatusve venire
posset. (In Meusels Tabula Coniecturarum ist meiner Konjektur
durch ein Versehen ein Punkt und discessn hinzugefügt worden;
naturlich nehme ich auch hier eine Lücke an.) Zur Bestätigung
der Konjektur verweise ich auf 3, 42, 3 Caesar . . . de Italids
eommeatibus desperans, 3, 23, 3 sua classe auxilia sese Caesaris
prohibiturum und auf 3, tll, 4 eammeatu anxilHsque Caesar em
prohiberent.
3, 9, 2 wurde vor Jurins Vorschlag (j^antm) munitum gröfsere
äufsere Wahrscheinlichkeit haben {minusy munitum.
3, 9, 6 ist vermutlich [nuper maximi] verdorben aus nuper
manumissione, welches, von Paul durch Konjektur wiedergewonnen,
doch nur ein erklärender Zusatz zu liberaverant sein dürfte, das
nach der Erzählung im § 3 schon allein vollkommen genügte.
*3, tl, 1 vermute ich omnibus (^stationibus oder mansio-
nibus) mutatis ad celeritatem iumenlis: Vibullius wechselte in
höchster Eile auf allen Stationen der Egnalischen Heerstrafse
(§ 2) die für römische Beamte bereitstehenden Pferde. Dns
scheint der Zusammenhang der Erzählung zu verlangen. Nach-
dem infolge der Ähnlichkeit der Schriftzüge das betreffende Wort
ausgefallen war und man einen Mangel verspürte, wurde das un-
genügende coptYs dafür eingeschoben. Nicht anders ist es 3, 16,4
geschehen, wie man längst erkannt hat: nachdem suam vor sum-
mam geschwunden war, wurde dafür das falsche Pompei eingesetzt.
3, 16, 3 ist die Nichterwähnung des Konsulats auffällig. Paul
schlägt daher vor: etpraetura (^consulatuque} eonceptas. Es würde
auch genügen: et praetura ^tam) eonceptas.
3, 19, 3 müfste nach klassischem Sprachgebrauch mindestens
debebat fallen, indem ut de gefafst würde = „wie es natürlich
784 Kritische Bemerkongeo zu Casars Bellam civile,
war, da es galt''. Aber da ungebührlich des Valinius eignes Heil
{de 8ua . . Salute) hervorgehoben wird, so ist vielmehr der ganze
Nebensatz tU . . , debebat zu streichen; er enthält auch, nach dem
vorher Gesagten, nur Selbstverständliches.
3, 20, 1 haben schon andere vorgeschlagen, nach tempcrihm
einzuschalten: Romae; aber den Schriftztlgen des vorangegangenen
Wortes steht näher: m urbe.
3, 22, 2 ändert und ergänzt Paul so : ea (nämlich Cosa oder,
wie Paul will, Consentia; die Hss. haben eo) cum a Q. Pedio
praetore cum legione (tegeretury, lapide ictus ex muro pehit.
Aber iegere wird in dieser Weise bei Cäsar nicht von der Ver-
teidigung einer Stadt gebraucht. Man könnte an das gewöhnliche
Verbum defenderetur denken, wie 3, 67, 5 irrumpere und defendere
einander gegenübergestellt werden. Aber es wird wohl hier mehr
ausgefallen sein. Meusel Lex. 1 Sp. 298 macht darauf aufmerk-
sam, dafs Cäsar auf einen Stadtnamen nicht einfach mit einer
Form von ts zurückweist, die einzige Ausnahme ist 3, 41, 3, wo
Paul selbst oppido für eo einsetzen will. Man wird also zunächst
bei dem überlieferten eo hier 3, 22, 2 stehen bleiben müssen.
3, 24, t ist ein Zusatz notwendig: in litore (^portus} p/ti-
rtfrtis lods, wie die folgende Erzählung deutlich beweist.
* In diesem eben genannten Kapitel ist von einem gelungenen
Handstreich des Antonius die Rede; seine Weisungen werden ge-
bührend hervorgehoben: § 1 iussit, § 3 signo dato, dazwischen ist
§ 2 veterani (vor: th) zu ändern in: ut erant (iussi}. (An ut
erant hatte Paul schon gedacht.)
* 3, 25. 2 will H. A. Koch etus nach quatUoque einfach
streichen. Mir scheint es aus vemi enstellt zu sein, von welchem
Worte die ersten beiden Buchstaben nach den gleichen letzten in
quantoque ausgefallen waren; was die Sache anbetrifft, so war § 1
gesagt: muUi tarn menses erant et hie ms praecipitaverat.
3, 27, 2 tempore commutalo v\ird erklärt: bei den veränderten
Umständen. Wenn nur nicht darauf als Subjekt tempestas
folgte! In allen übrigen von Meusel Lex. II Sp. 2147f. ange-
führten Beispielen ist stets bei dieser Bedeutung von tempus eine
Person handelndes Subjekt, und zwar aus begreiflichem Grunde.
Sollte das Ursprüngliche gewesen sein: itaque (^exiguo^ tempore
commutata tempestas et nostros texit et naves Rhodias afflixitp und
exiguo nach dem ähnlichen Ausgange von itaque ausgefallen und
dann die andere Veränderung eingetreten sein? Dann würde
Cäsar noch einmal sein aufserordentliches Glück stark hervorge-
hoben haben, nachdem er es schon zweimal 26, 5 und 27» 1 be-
tont hatte. Ähnlich sagt Cäsar 3, 14, 3 IIa exiguo tempore
magnoque ca$u totius exercitus salus constitit.
*3, 32,6 erklären die Ausgaben promutuum: „sc. impera-
batur*'. Da aber nach dem vorangegangenen imperabantur noch
die zwei Aktiva dietitabant und feceratU stehen, scheint diese £r-
voD W. Nitsche. 785
gänzuDg unwahrscheinlich; dazu kommt, dafs Cäsar sonst immer,
im ganzen dreimal, mntutis gebraucht, wie hier auch dicht zuvor;
auch Georges fuhrt in seinem ausfuhrlichen Handwörterhuch
unter pramutuus nur unsere Stelle an und setzt dann nur noch
hinzu: „subst promutuum^ t\ n., ein Darlehn im voraus, der Vor-
schufs, alci dare, Scaev. dig. 40, 7, 40. § 5*^ Sollte es verderbt sein
aus praecipiebant mutuum^ wie 31,2 gesagt war (auf welche
Stelle mit den Worten ut in Syrta fecerant zurückgewiesen wird):
a publicanis . . . pecuniam . . . ingequeTUis anni mtUuam praeceperat.
Dann müfste wohl auch 32, 6 noch a vor publicanis eingesetzt werden.
3, 36, 4 dürften der Deutlichkeit halber die Worte qui circum
Thessaliam esse consuerat hinter eqtiitatiis regis Cotyis zu stellen sein.
* 3, 44, 4 möchte ich schreiben : ut nostri perpetuas munitiones
ducebant (statt videbant) und darauf mit H. A. Koch die Worte
perdnctas ex castellis in proxima castella streichen, welche zur
Erklärung von fremder Hand aus 3, 43, 2 hinzugesetzt sind.
Ciacconius wollte nur videbant perductas durch perducebant ersetzen;
aber dieses Kompositum dürfte wegen des vorangebenden Wortes
perpetuas nicht zuläfsig sein. (Auch 3, 99, 3 möchte videbantur
zu ändern sein, und zwar in: dicebantur,)
3, 47. 2 scheint notwendig: quicunque alterum (exercitumy
obndere canati sunt. Vgl. nachher den Gegensatz: at tum integras
. . copias Caesar . . cmtinebat Nachdem exercitum nach dem ähn-
lich ausgehenden alterum ausgefallen war, scheint hostes adorti
eingesetzt zu sein; oder vielmehr: perculsos atque infirmos
hostes adorti dürfte zu tilgen sein als erklärender Zusatz zu
den folgenden Worten aut proelio superatos . . . continuerunt, cum
ipsi numero . . . praestarent.
3, 50, 1 an einer verzweifelten Stelle haben die besseren
Hss. adversi universas inter multitudinemt die geringeren aggressi
universam in multitudinem. Wenn auch mit Sicherheit hier kaum
etwas ausgemacht werden kann, möchte ich doch folgende Ver-
mutung zur Erwägung stellen : aggressi aversos in mtiltitudem.
„Wenn Cäsars Leute, von Feuern beleuchtet, Wache hielten,
schlichen sich die Gegner von einer unbemerkten Seite heran und
warfen in die friedliche Menge hinein ihre Geschosse''. Vgl. z. B.
3, 63, 8 in aversos nostros impetum fecerunt.
3, 52, 1 dürfte ne ex proximis castellis sticcurri posset
nur erklärender Zusatz zu den vorhergehenden Worten distinendae
manus causa sein.
3, 60, 1 ist zu schreiben: rem totam dissimulavit (statt
distuUt), iUos secreto castigavit. Vgl. 1, 19, 2 res dmtius tegi
dissimularique non potuit, 2, 31, 5 quanto haec dissimulari et
occultari quam per nos confirmari praestat, auch IV 6, 5 quae cogno-
verai, dissimulantia sibi existimavit eorumque animis permulsis u. s. w.
* 3, 64, 3 ist überliefert conspicatus equites nostros, Dafs die
Erwähnung von Reitern hieher nicht gehört, haben andere richtig
erkannt. Zu der thörichten Erfindung dieses Wortes hat vielleicht
ZoitMhr. t d. GyrnnMiAlwefleii. XLVIIL 13. 50
^ I
786 Kritische Bemerknogeo za Casars Bellnm civile,
ein sehr oberflächlicher Blick auf den folgenden Satz: hoc c<uu
aquüa conservattar den Anlafä gegeben, nachdem das richtige Wort
bei conspicatus ausgefallen war. Welches ist dies nun gewesen?
Den Sinn durfte Paul richtig gelroffen haben mit der Vermutung
conspicatus perterritos nostros-, aber gröfsere äufsere Wahrscheinlich-
keit hat: con{8ternatos conyspicatus nostros. Diesen starken Aus-
druck gebraucht Cäsar Vil 30, 4 sie mni animo constemati hommes,
* 3, 73, 6 stimme ich der von Mensel vorgeschlagenen Er-
gänzung zu: quod si esset factum, (^futurum} vt detrimerUnm in
bonum vetteret, uti ad Gergoviam accidisset. Die nach diesem
wirkungsvollem Schlüsse aber folgenden Worte atque ii, qui ante
dimicare timuissent, nitro se proelio offerrent kann ich
nur für einen unglücklichen Zusatz von fremder Hand halten; ver-
anlafst wurde er wohl durch den Hinblick auf das folgende
Kapitel 74; vgl. auch 84, 1.
* 3, 75, 3 ist der Text so zu gestalten: neque vero Pompeius
cognito consilio eins tnoram ullam ad insequendutn intulit, [sed
eadetn spectans,] si in üinere impeditos perterritos deprehendere
posset, (jsedy exerdtum e castris eduasit equitatumque praemisü ad
novissimum agmen demorandum. Nachdem sed hinter posset aus-
gefallen war, sind die Worte sed eadetn spectans eingeschoben
worden, die sich schon durch die Latinität als nachcdsariscb ver-
raten. Die Ronjuktion si ist in der von mir herausgeschälten
ursprunglichen Fassung so angewendet, wie zahlreiche Beispiele
bei Cäsar es zeigen, die Meusel Lex. H Sp. 1862 f. anfuhrL —
Unmittelbar darauf ist aller Wahrscheinlichkeit nach die weitere
Erzählung so zu vervollständigen: neque (matte) conseqni pouät
„während des Vormittags''. Vgl. 3, 76, 3 meridiaiM fere tempore;
bis zu (lieser Tageszeit hatte Cäsar von der 4. Nachtwache an einen
vollen Tagemarsch vollendet: 75, 2. 76, 1.
3,78,2 scheint mir timens (entm) vor der Vermutung
anderer timens(^quey den Vorzug zu verdienen.
Meusel giebt in seinem Lexikon H Sp. 946 und 2382 höchs
dankenswerte Verzeichnisse der Städte, welche von Cäsar als oppida
oder als urbes bezeichnet werden. In beiden Verzeichnissen er-
bescheinen Gomphi und Iguvium, nicht gerade bedeutende Orte, als
urbs aber je nur einmal ; beidemale wird diese Bezeichnung zu
tilgen sein. 3, c. 80 wird Gomphi siebenmal als oppidum be-
zeichnet; daher wird mitten dazwischen § 5 zu schreiben sein
zuius [urbis] eacemplo. 1, 2, 1 wird Iguvium ein oppidum genannt,
und § 2 bleibt nur übrig, die überlieferten Worte zu reduzieren
auf e[x urbe re]ducit. Edudt war hier übrigens schon von mehreren
Gelehrten vermutet worden. Kurz darauf 1, 13, 2 sagt Cäsar genau
so: ex oppido edudt ac profugit.
3, 81, 2 geben die Hss.: gut magnis exerdtibus Sdpioms tene-
bantur, schwerlich richtig. Ich möchte vermuten, dafs die Stelle
ursprünglich lautete: qui magnis manibus Sdpionis terrebantur
(das leute Wort mit Paul). Vgl. V 8, 6 magnae mmm, V 29, 1
von W. Witsche. 787
maiores manus, V 39, i quam maximas manus. Nachdem manibm
hinter magnü ausgefallen war, wurde es ungeschickt durch eoBereiti-
bus ersetzt. Scipio hatte nicht einmal ein grofses Heer, sondern
nur zwei Legionen nach 3, 4, 3. Jene Scfalimmbesserung lag schon
vor, als sie jemand benutzte und 3, 82, 2 die Worte einschob:
duobusque magnis exercitibus coniunctis, die völlig unnutz
sind nach der vorangegangenen Bemerkung receplisque omnibus in
UHB eastra kgionibns.
3, 84, 1 — 85, 2 spricht Cäsar von den Mafsnahmen auf bei-
den feindlichen Seiten vor der Schlacht bei Pharsaius. Während
mehrerer Tage hatte Cäsar sein wieder mutiger gewordenes Deer
immer näher an das des Pompeius herangeführt, um dieses zur
Schlacht zu reizen. Schon glaubte er, dafs sein Gegner sich auf
keine Weise zur Schlacht verstehen würde, und war entschlossen,
auf immer neuen Märschen seinem Heere die nötige Verpflegung
zu verschaffen und eine gunstige Gelegenheit zum Kampfe abzu-
warten: da kam unerwartet der Entscheid ungstag. Dieser
Tag ist 85, 3 nicht ausdrucklich markiert und nicht weiter vom
Vorhergehenden abgehoben als höchstens durch den Übergang:
eonstihUis rebus. Andrerseits hat nachher paulo ante keine deut-
liche Beziehung. Ist vielleicht also paulo ante (lucemy zu schrei-
ben ? Die Mitte dieses ereignisreichen Tages wird 95, 5 hervor-
gehoben: nam ad meridiem res erat perducta.
3, 85, 4 dürfte nicht apud mit den besseren Hss., sondern
mit den recc. [die Meusel in der Tabula coniecturarum zitiert,
während Döbner schweigt] ad suos . . . inquit zu lesen sein. Bei
dem überraschenden Anblick der zur Entscheidungsschlacht vor-
gerückten Pompejaner dürfte Cäsar die hier angeführten Worte
doch nur einfach den Nächststehenden zugerufen haben; die
förmliche Anrede an das ganze Heer (cum militari more ad
pugnam cohortareiur) erfolgt erst 90, 1.
3,90,2 ist folgende Ergänzung kaum zu entbehren: quae
per Vatinium in colloquiis, quae per A. Clodium cum Säpione egisset,
quibus (tpse) modis ad Oricum cumLibone de mittendis legaiis
contendisset ,,energisch verhandelt*'. Zur Sache vgl. 3, c. 16 f.
3, 92, 3 möchte ich vorschlagen naturaliter insita (statt
innata); 99, t confixo (statt coniecto); 102, 8 ad civitates {eas^
(über diese Stellung des Pronomens vgl. Meusels Lex. 11 Sp. 251);
103, 2 i6t tum (statt casu) rex erat Ptolemaeus (aber vielleicht ist
Meusels Vorschlag vorzuziehen: ibi casu erat rex Pt. „befand
sich zufällig'').
3, 106, 4 liest man hinter dem Satze Alexandriae . . . e nave
egrediens clamorem militum audit^ qiios rex in appido praesidü
causa reliquerat, et concursum ad se fieri videt, quod fasces
atUeferrentur einen erklärenden unnötigen Zusatz von fremder
Hand: in hoc omnis muUitudo maiestatem regiam minui praedicc^at,
bei dessen Abfassung das in § 5 folgende multitudinis EinfluiÜB
geübt hat.
50*
788 E. NaumaDD, Aasgabe von Homers Odyssee,
* 3, 110, 6 würde ich so inlerpungieren und ergänzen: nwete^
raverant . . belUs: Ptolomaeum . . gesserant: magnum (^kinc) . .
habebatU,
3, 112, 3 quaeque illic (Paul; die Hss. ubtque) naves
. . . diripere eonsuerunt ist ein den Zusammenhang unter-
brechender Zusatz. Alles zum Verständnisse INöltge wird im
folgenden Satz iis autem . . . tn portum gesagt. Es scheint aber dies
einem Leser zur Erklärung der dann kommenden Worte Aoc tum
verilus nicht genügt zu haben.
Die hier sich bietende Gelegenheit möchte ich benutzen, um
zu meiner im Jahresberichte des philologischen Vereins 1893 ver-
öffentlichten Abhandlung über Piatos Apologie einige Berichtigungen
und Zusätze zu geben. S. 321, Z. 13 ?. o. lies 22 "^AXXd Sid statt
20 Ulla, — S. 322, Z. 12 v. u. setze hinter äXfiS-eiav hinzu:
und c. 5 S. 20 d axovsxs drj . . näaav vfitv r^v äXijd'Siap iga'
iyw yccQ . . — S. 324 Mitte lies: Zeller, Philos d. Gr. II ^ 1 (nicht
11 * 1). — Ebendort in der Anm. Z. 2 lies d^ (statt d^iv). — In
der Mitte dieser Anm. setze hinter anoipavdSv nzi. hinzu: und
S. 22 b tag imavd'a in* avzoifdiqm xaTalijyjofjbsvog ifkatnop
d[ß,ad'äaT€Qoy ixeivoDV ovta. — S. 327, Z. 5 setze zu c. 26 S. 36 d
hinzu: und c. 9 z. E.; endlich Z. 6 bessere 21 (statt 26).
Berlin. W. Nitsche.
Homers Odyssee. Zum Schulgebrauch bearbeitet und erläutert voo Ernst
NaumaoD. Erster Teil. Gesang I bis Gesaog XIII 184. Text und
Kommentar. Bielefeld und Leipzig 1894, Verlag von Velhagen d.
Klasing. XIII u. 212 S., bzw. 147 S. 8. geb. 1,50 M, bzw. 1,20 M.
Die genannte Ausgabe ist in der Sammlung lateinischer und
griechischer Schulausgaben von H. .1. Müller und Oskar Jager er-
schienen und laut der für diese Sammlung mafsgebenden Grund-
sätze lediglich nach Gesichtspunkten des* Unterrichts bearbeitet;
Text und Kommentar sind getrennt.
Der Text folgt im at^gemeinen der Vulgata, die der Hsgb.
in der Ausgabe von Ameis-Hentze verkörpert sieht; doch ist die
Vulgata nach der grundlegenden kritischen Ausgabe von A. Ludwich
nachgeprüft und an zahlreichen Stellen verändert. So lese ich,
um einige Stellen herauszugreifen , d 389 äq statt oq, d 724
xsd'VfivXav statt t€&vijxvTap, £ 281 otf ^ivov statt ot' igtrov,
X 75 iQQ\ insl dd'avdtOKSvv statt sqqSy inel dqa ^sotCiVt
X 84, 141, 205 xarate&vrjvlfiq statt xatatsdv^xviiiq, X 483
[AaxaQTSQoq statt (juxxdQTCCToq, Ferner sind manche Einzelheiten,
wie die Schreibung der Fragepartikeln in der Doppeifrage, vom
Hsgb. nach eigenem Ermessen mit Rucksicht auf das Verständnis
der Schuler geordnet. Derselben Rucksicht fügt sich auch die
Interpunktion, die mannigfache Änderung erfahren hat; endlich
sind häufiger als in den früheren Ausgaben Gedankenstriche an*
gewandt, die nebensächliche Bemerkungen einschliefsen. Vor
a0gez. yoo A. Schimberg. 7g9
allem aber fällt eine vielfache, glückliche Neuschaffung von Ab-
sätzen auf; bald sind gegen frühere Ausgaben Abschnitte zusammen-
gezogen, bald sinngemäß getrennt. Bei Anfang eines jeden neuen
Abschnittes wie jeder direkten Rede sind die grofsen Buchstaben
verwandt. Hierdurch gewinnt das Druckwerk ganz das vorteilhafte
Aussehen eines modernen Buches.
Da es heutzutage, wie auch die neuen Lehrpläne vom 6. Ja-
nuar 1892 anerkennen, nicht mehr möglich ist die Odyssee mit
den Schülern im Urtexte vollständig zu lesen, ist der Text stellen-
weise gekürzt, aber in einer Weise, die sich von dem in den
Schulausgaben von Fr. Stolz (t890) und A. Th. Christ (1891) an-
gewandten Verfahren vorteilhaft unterscheidet. Bei Stolz finden
wir z. B. das 1. Buch durch gelegentliche Weglassung von t bis
4 Versen von 444 Versen auf 406 gekürzt, bei Christ mit ent-
sprechender Ausscheidung von 1 — 31 Versen bis auf 311 Verse.
Was in den nicht aufgenommenen Versen steht, erfährt der Schüler
nicht; er glaubt ein Ganzes, Ursprüngliches vor sich zu haben
und hat doch ein Zurechtgemachtes erhalten. Bei Naumann ist
der Lesestoff z. B. des 1. Buches an drei Stellen gekürzt (Vers
206—223, 383—420, 428-444); aber der Inhalt der ausge-
sonderten Stücke ist durch einen verbindenden deutschen Text
gegeben. An Stelle des Auszuges ist also eine solche Kürzung
eingetreten, dafs die gleichzeitige Benutzung einer vollständigen
Ausgabe der Odyssee in der Klasse nicht ausgeschlossen ist. —
Was die Auslassungen selbst anbetrifft, so sind zunächst alle die-
jenigen Verse weggelassen, die von der Kritik einstimmig verworfen
werden und in den verbreitetsten Homerausgaben eingeklammert
stehen. Dazu kommen solche Stellen, die als dichterisch minder-
wertig erfahrungsgemäfs im Unterricht gewöhnlich überschlagen
werden. Diese Stellen sind meist empirisch gefunden, doch läfst
sich ihr Ausscheiden auch wissenschaftlich rechtfertigen; so hebt
sich das Wichtige oft überraschend heraus, z. B. der alte Nostos.
Im einzelnen hier Ausstellungen machen zu wollen wäre thöricht.
Jedenfalls, das will ich dem Hsgb. gern bestätigen, „enthält die
Ausgabe dasjenige, was gelesen werden mufs, und darüber hinaus
alles, was irgendwie in Betracht kommen könnte. Unentbehrliches
wird man unter dem Übergangenen nicht nachweisen können*'.
Einen Kanon für die Lektüre der Odyssee herzustellen lag nicht
in des Herausgebers Absicht.
Der so hergestellte Text wird in äufserst übersichtlicher
Weise dargeboten. Zuerst ist die alte willkürliche Einteilung in
24 Bücher aufgegeben, dafür die Gesamtmasse des Gedichtes durch
sinngemäfse Gliederung in neue Teile zerlegt. Diese Hauptteile
mit ihren weiteren Gliedern sind durch Absätze und durch Ober-
schriften verschiedenen Druckes innerhalb des Textes auch für
das Auge deutlich hervorgehoben. Ferner durchlaufen die ganze
Ausgabe Randbemerkungen, welche in knapper Fassung sowohl
den Inhalt der einzelnen kürzeren Abschnitte wie die Einreihung
790 £. Naomann, Ausgabe vod Homers Odyssee,
der Ereignisse in die einzelnen Tage angeben. Diese Oberschriften
und Randbemerkungen geben in ihrer gegenseitigen Ergänzung
eine vollständige Inhaltsfibersicht und für die Wiederholungen eine
zuverlässige Grundlage. Daneben ist die Bucheinteilung (deutsche
Zahl und griechischer Buchstabe) wie die Yerszählung am oberen
und inneren Rande vermerkt. — Diese sinngemäfse Neugliederung
der Odyssee gegenüber der willkürlichen alten Einteilung billige
ich grundsätzlich. Sie bezeichnet einen erheblichen Portschritt in
der Darbietung des Dichterwerkes. Deutlich treten nunmehr die
Haupt- und Unterteile hervor, und es wird eine klare Obersicht
über das Ganze gewonnen, selbst mit einem annähernden Ober-
blick über die ursprünglichen Teile der heutigen Odyssee. Nur
wünschte ich, dafs der Hsgb. die „Übersicht des Inhalts'*, welche
er in der Einleitung seiner Ausgabe vorausgeschickt hat» der
Gliederung im Texte angepafst hätte bis zur Anwendung gleicher
Zeichen hier und dort für die Haupt- wie Unterteile; ferner dafs
er in derselben Einleitung wenigstens für die Hauptteile die Bücher,
welche sie enthalten, angegeben hätte. Diese allgemeine Obersicht,
zum mindesten über die Hauptteile, wird dem Schüler vor Be-
ginn der Lektüre gegeben. Dann konnte der Hsgb. unter rück-
sichtsvoller Schonung der alten Einteilung auf dem neubetretenen
Wege noch einen Schritt weiter gehen. Ich wünschte nämlich
drittens oben auf der Seite neben der Angabe des Buches und
der Verse noch die Überschrift für den betreffenden Unterteil. So
tragen z. B. die beim Aufschlagen nebeneinander liegenden Seiten
34 und 35, die zufällig keinerlei Inhaltsangaben am Rande haben,
an ihrer Stirn einfach die Angaben S. 34: 3. Gesang (y), Vers
149 — 176 und S. 35 dementsprechend; hier wünschte ich die
Angaben erweitert durch den Zusatz: Telemach in Pylos. Bei
solcher durch die ganze Odyssee hin durchgeführten Einrichtung
würde man an keiner Stelle des Buches auch nur ein Blatt um-
zuwenden brauchen, um auf den ersten Bhck zu erfahren, zu
welchem Teil des Epos die Seite gehört. Zweifellos würde durch
solchen kleinen Zusatz die Übersicht noch erhöht.
Der beigegebene Kommentar hat den Zweck, die Schwierig-
keiten, welche sich dem präparierenden Schüler für das Ver-
ständnis des Textes entgegenstellen, zu beseitigen. Diese Schwierig-
keiten liegen bei Homer vornehmlich in der Sprache und zwar
einerseits in den Formen und Konstruktionen, andererseits in dem
Wortschatz. Die Homerischen Formen sind durch Vergleichuug
mit den altischen, nötigenfalls durch Zurückgehen auf einen
älteren Lautbestand erklärt und zwar unter Verweisung auf die
nächstvorangehende ähnliche Stelle, so dafs die Wiederholung
gleicher Erscheinungen zwanglos auf die Zusammenfassung hin-
führt, die dem Schüler dann in seiner Homerischen Formenlehre
als Regel entgegentritt. Nicht minder sind die Schwierigkeilen der
Konstruktion weggeräumt. Wenig dagegen ist geschehen, dem
Schüler die Überwältigung des überreichen Wortschatzes zu er-
«Bgez. voD A.. Schimber;. 791
leichtern, vielmehr hat der Hsgb. eine saubere Scheidung zwischen
Kommentar und Lexikon durchzufuhren gesucht, offenbar in Nach-
achtung der für diese Sammlung aufgestellten Gesichtspunkte.
Diese besagen §8 ausdrücklich: „Die Kommentare dieser Samm-
lung sind keine sogenannten Präparationen. Es wird vielmehr
bei allen, mit Ausnahme der Erläuterungen zum Nepos und Ovid,
der Gebrauch eines Lexikons vorausgesetzt''. Ich hätte dem ersten
griechischen Dichter, der den Schulern in die Hände gegeben
wird, dieselbe Ausuahmestellung wie dem ersten lateinischen ge-
wünscl)t. Jedenfalls föhrt die prinzipielle Ausschliefsung alles
Lexikalischen vielfach zu zeitraubender gleichzeitiger Benutzung
von drei Büchern für ein einziges Wort, des Dichtertextes, des
Kommentars und des I^exikons. So ist z. B. zu I 2 im Kom-
mentar bemerkt: ,,7ildyx^^] = inkayx^fi (nlaCaa). Das Aug-
ment fehlt meist, snegaey] von niQ^oa\\ Die Bedeutung dieser
beiden Verba ist nicht angegeben, und doch hätte der kleine Zu-
satz dem Schüler die Benutzung eines Buches erspart. Unter
dem obersten Gesichtspunkte der Erleichterung der häuslichen
Präparation wörde mir eher zu viel als zu wenig Lexikalisches im
Kommentar zusagen; entbehrlich wird das Lexikon ja ohnehin
nicht, nicht einmal bei den sogenannten gedruckten Präparationen.
— Die Eigentümlichkeiten des Versbaues haben nur soweit Berück-
sichtigung gefunden, als ihre Kenntnis zum richtigen Lesen des
Verses unerläfslich ist. Da der Kommentar nirgends dem Unter-
richte vorgreifen soll, sind sachliche Erläuterungen überwiegend
dem Lehrer vorbehalten worden. Die Erklärungen sind mit an-
nähernder Gleichmäfsigkeit durch den ganzen Kommentar hin
wiederholt, so dafs ohne Schwierigkeit die Lektüre an den drei
beliebten Stellen beginnen kann, mit Buch 1, Buch 5 und Buch 9.
Dem Dichtertexte ist angehängt ein Verzeichnis der Eigen-
namen, das, ohne ein vollständiger philologischer Nachweis
über alle bezüglichen Stellen sein zu wollen, nur diejenigen ent-
hält, an welchen über die Person oder Sache etwas Thatsächliches
steht. Es dürfte sich neben der übersichtlichen Darbietung des
Textes für Aufsätze brauchbar erweisen.
Endlich entspricht die äufsere Ausstattung in hervor-
ragendem Mafse den Anforderungen, die wir heutzutage an ein
Schulbuch stellen; gutes Papier, grofse Buchstaben, klarer Druck,
breiter Band u. s. w. zeichnen diese Odysseeausgabe, die, nebenbei
gesagt, nur gebunden ausgegeben wird, vor anderen aus.
Ich freue mich die vorliegende Ausgabe aufs wärmste empfehlen
zu können und wünsche ihr eine recht weite Verbreitung. Es
ist dem Schüler die erste Hälfte der Odyssee in einer Gestalt
dargeboten, die ihm das Eindringen in den Zusammenhang zu
erleichtern nnd mit Zuhülfenahme des Kommentars die Lektüre
zu einer angenehmen Arbeit zu machen wohl geeignet ist.
Berlin. Adolf Schimberg.
DRITTE ABTEILUNG.
BERICHTE ÜBER VERSAMMLUNGEN, NEKROLOGE,
MISCELLEN.
Klassisches Latein.
Obeo S. 235 ff. hat O.Storch eine Reibe von „LatiDogermaDismeo*'
zasammeDgestellt, „vor deoeo ein in klassischem Latein abzafassendes
Skriptomsich zu hüten hat nnd die einer durchaus abweichenden
Wiedergabe bedörfen^^ So .anregend und dankenswert diese Zusammen-
stellang auch ist, so sind doch bei dieser Gelegenheit eine Reihe von Wörtern
nnd Aasdrücken auf den Index gekommen, die dieses Schicksal meiner An-
sicht nach nicht verdienen. Der Grund davon scheint mir einerseits darin
zu liegen, dafs St. den Begriff „klassisches Latein'' zu eng fafst; anderer-
seits bat er selbst solche Wörter in den Bann gethan, die ihr Bürgerrecht
in der klassischen Latinität aus Cicero und Cäsar beweisen können.
1) Honoru causa zu Gunsten von o/'ßcii causa ganz zu verwerfen,
scheint nicbt begründet. Abgesehen von dem so häufig vorkommenden
honoris causa aliquem nominare und der Verbindung von honoris causa mit
dem Genetiv einer Person oder mit einem Possessiv kommt dieser Ausdruck
auch absolut vor, so Verr. II 150: si honoris causa sUüuam dederunt; de
leg. agr. II 61: non mihi videniur honoris causa excipere Cn.-Pompeium; p.
Sex. Roscio 44: quod honoris causa paier filio concessit. Ich finde keinen
erheblichen Unterschied zwischen der in diesen Sätzen zu Tage tretenden
Bedeutung von honoris causa und der von officii causa in dem Livianischen
Satze: triremes Massüienses officii causa ab domo prosecutae sunt; die
Unterscheidung bei Krebs-Allgayer, Antibarbarus (5. Aufl.) s. v. honor, er-
scheint mir spitzfindig.
2) Für ex tempore (dicere) wird als klassisch subüo angegeben. Dem
halte ich entgegen de or. III 194: Antipater iÜe Sidonius soläus est tfersits
fundere ex tempore; und p. Arch. 18: quotiens ego hunc vidi, cum Utteram
scripsisset nuUani, niagvum numerum opttmorutn versuum de eis ipsis rebus^
quae tum agerentur, dicere ex tempore. So bezeichnet denn auch Krebs-
Allgayer S. 1131 ex tempore dicere ausdrücklich als klassisch.
3) Statt composüa [verba) soll es klassisch heifsen coniuncta. Nun ist
ja freilich richtig, dafs Cicero (z. B. or. 154, 159) den Ausdruck verba iungere^
verba iuncta oder coniuncta braucht; aber wenn Qnintilian sehr häufig im
Gegensatz zu v. simplida von v. composäis spricht, so sollten es, meine
ich, unsere Primaner auch thun dürfen. Auch der Antibarbarus billigt
v. composita.
4) intim (bei Personen) wird durch familiaris wiedergegeben. Aber
intimus ist doch auch gut lateinisch, sowohl substantivisch, wie Cic. Cat II 5:
intimus Catilinae; Nep. Dio I 2: erat intimus üionysio priori; Cic. Att. IV
16, 1: in intimis est meis; Cic. fam. X]II27, 2: M. Aemüius unus est ex
Klassisches Lateia, von A. Rnppersberg. 793
meis ftf^iHarünu et intimis; als auch adjektivisch in Verbiodoog mit amicu*
oder famUiaru\ vgl. Cic. fam. III \^Zi est ex meit domesticü atque intimit
famiUaribtu^ nod aa einer Stelle heifst es nach Allgayer anch: amieiintimi;
sehr häufig kommt diese Verbindong bei Tacitas vor, dessen Wortschatz
doch anch nicht zu verachten ist.
5) Für orientalisch wird ad orientem vergens angegeben; das pafst
aber nar zur Bezeichnung einer Gegend. Orientaiis ist allerdings nach-
klassisch und kommt erst bei Gellins und Justin vor; indes diirfte der Ge-
branch dieses Wortes z. B. hei mos, vettü, bellum im Interesse der Kurze
des Ausdruckes doch nicht zu verwerfen sein.
6) populär soll nur durch civilis übersetzt werden. Aber pepularis
bedeutet bei Cicero sehr häufig nicht nur a) ,,volksfreandltch'^ sondern auch
b) „beim Volke beliebt" und c) „volkstümlich, gemeinverständlich'^ Zo b) vgl.
u. a. in Vat. 39: praesertün cum te populärem tfeUs esse neque ulla re populo
gratius facere possis; de leg. agr. 1143: volet esse popuUtris; Phil. 1 37:
plausus cum popularibus civtbus tribuerentur. ad Att. VHI 3, 5: putahü Jor-
lasse in nolns tmlandis habere aliquid populäre; zu c) fin. II 17: populariier
oqui und V 12: liber populariier scriptus,
7) trivialis für trivial möchte ich nicht verwerfen, da triviaUs
scientia schon bei Quintilian vorkommt und der Gebrauch dieses Wortes
durch Ciceros arripere maledictum ex trivio pro Mur. 13. schon vorbereitet
erscheint.
8) Für acquiriereo ist neben comparare oft auch acquirere zu
brauchen; vgl. Cic. de 01^^11122: sibi maUt quod ad usum vitae pertineat,
quam alteri acquirere; Tac. ann. XVI 17: acquirere pecuniam. Qnint. XII
ly 10: qUae iustior acquirendi ratio; Tac. Germ. 14. vgl. Krebs- Allgayer z. d. W.
9) Zu extemporieren vgl. das oben unter 2) zu ex tempore Ge-
sagte. Warum soll man nicht sagen können ex tempore verteret Auch das
so übel berufene und gefdrchtete Wort Extemporale ist nach Qointilians
oratio extemporalis nicht zu verwerfen.
10) Als Übersetzung von florieren wird vigere angegeben; das ist
richtig bei sachlichem Subjekt: man sagt nicht aries florent, sondern artes
vigent. Doch ist zu bemerken, dafs bei persönlichem Subjekt florere richtig
ist, z. B. Cic. or. 20: oratores floruerunt; Phil. IX 4: famüia viris for-
tissimis ßoruit.
11) inspizieren wird durch speculari, explorarc wiedergegeben ; aber
besonders in dem ersten Worte Hegt der Begriff des Heimlichen, Verstohlenen,
den wir mit dem Ausdruck „inspizieren" in der Regel nicht verbinden.
„Das Heer inspizieren'^ heifst (bei Cicero) exercitum lustrare^ auch recog'
noscere; vgl. Suet. Aug. 38: equüum ütrmas frequenter recognovit; aber anch
inspicere läfst sich oft für diesen Ausdruck anwenden, vgl. Liv. XXI 6, 3:
legatos mitti placuit in Hispaniam ad res socicrum inspiciendas. Cic. Caec. 61 :
arma militis inspiciunda; bei Plautus kommt vor aedes inspicere^ beim Verf.
des Bell. Alex, classem inspicere, bei Livius arma, equos, vires inspicere.
An allen diesen Stellen steht inspicere gleichbedeutend mit unserem in-
spizieren.
12) Für konspirieren heifst es nach St. richtig coniurare, doch vgl.
Ca es. BG. HI 10: priusqumn plures civitates conspirassent. Bei Soeton findet
sich öfters contpirare in aUquemy das anch der Antibarbarus gelten läfst.
794 Klassischeft Lateio,
13) kurieren soll nar dareh tnederi oder Monar« iibersetit werdan.
Aber ist curare gaos zn verwerfen? Dieses Wort bezeichoet nicht nur die
Pflei^e and die ärztliche Behandlang eines Kranken, sondern noch die er*
folgreiche Behaodlang wie nnser „karieren''. Diese Bedentang kommt
schon bei Cicero vor; vgl. in Pisoo. 13: MeminUHne . , excuMtume ie uU
vaUiudinü^ quod diceres vinolentü te quilnudam medicaminibus soiere curaril
Und Phil. IX 6 heifst es von dem kranken Snlpicins: miUtü tili in urbibusy
iter qua faeiebat, reficiendi se et curandi potestas fitit Hier kann «e curare
nicht gleichbedentend mit te reßcere sein, sondern mnfs eine Steigerang
enthalten. Aach ein sachliches Objekt hat curare in dieser Bedentang bei
sich in der bekannten Stelle p. Sex, Roscio 128: qui cum eapüi Sex, Roscü
mederi debeam, reduviam eurem, wo es parallel and gleichbedentend mit
mederi steht. Liv. II 17, 4 heifst vulnera curare dentlich „Wanden heilen**,
ebenso Cnrt. V 9, 3: medici gramores morbos asperis remediü euranl. Bei
Celsas, der Hauptaatorität auf diesem Gebiete, ist curare geradezo der
terminns techoicos and wird daher auch von dem Antibarbaros anerkannt.
Storch selbst giebt weiter aoten curatio fär „Kar".
14) Für provozieren ist provocare nicht minder gut als laeessere;
vgl. de imp. Cn. Pomp. 14: Quare si propter socios nulla ipsi uduria
lacessiti maiores nostri bella gesserwUf quanto vot studio coiwenit iniurüs
provocatos sociorum salutcm deJendereX Phil. II 46: nisi maledkUs me
provocare aums eises. post red. ad Quir. 21 : <te ulciscar ea genera (homimim\
quemadmodum a quibutqüe sum provocatus,
15) reformieren giebt St durch emmdqjre und corrigere wieder,
doch erschöpfen beide den Begriff nicht, da in „reformieren" doch auch ein
„Umgestalten" liegt. Daher halten Krebs- Allgay er den Gebrauch des bei
Plinius d. J. vorkommenden reformare für zulässig. Vgl. Pan. 53, 1: cor-
ruptos depramlosque mores reformet et corrigat. So kann auch nach Ana-
logie von morum reformatio Seo. ep. 58, 26 die Reformation mit sacrorum
reformatio und nach Plin. ep. VIII 12, 1 : Utterarum iam senescentium reduetor
ac rqformator Luther als sacrorum reformator unbedenklich bezeichnet
werden.
16) Bei repariereo ist angegeben {dadem, damnum) sareire', doch
„eine Niederlage, ein Unglück reparieren", wird man kaum sagen. „Bin
Haus, ein Schiff u. s. w. reparieren" beifst domum^ navem reßcere, renovare^
restituere', doch ist reparare nicht auszuschliersen, da Bell. Alex. 12 re-
parare classem, Plin. ep. X 15 reparare aedifida und Suet. Dom. 20 reparare
bibliothecas incendüs absumptas steht.
17) Für restaurieren ist instaurare neben reficere angegeben; doch
ist das erstere Wort io dieser Bedeutung schlechter bezeugt als das bei
Tacitus wiederholt vorkommeode restaurare (theatrum, aedem),
18) rezensieren wird durch existimare de wiedergegeben; das trifft
den Begriff nicht völlig; Kr.-Allg. geben iudicare, iudicium facere de, in
iudicium vocare. Ich würde unbedenklich das bei Gellius vorkommende re-
censere anwendeo. Doch auch recognoscere ist nach Plin. ep. IV 26, 1 an-
wendbar.
19) studieren soll discere oder cognoscere heifsen. Aber ist Utteris^
artibus studere nicht gut lateinisch? Medicinae studere steht bei Qaintilian.
Kr.-Allg. empfehlen sogar den absoluten Gebrauch von studere nach den
voo A. Rnppersberf^. 795
Sduriflttollarn der silberaon Lalinität Braacdibar »ind «och m daroy operam
darSf deditum eu9 {HiterU) oder ineumbßre (m UUera»),
20) Für triamphiereo im übertrageoeo Siaoe wird aar exsuHare
angegeben, aber gaudio triumpho sagt Cäsar bei Cic. Att. IX 16, 2,
und ebenso Cicero selbst pro Clnentio 14: exsultare ktctitiay triumphare
gaudio eoepit,
21) Dafs für usurpieren »= „widerrechtlicb sich aomafsen", auch
usurpare gebraucht werden kann, beweist Livius XXXIII 40, 5: usurpandae
aUenat postessionit causa. Ebenso brauchen das Wort Plinius, Sueton u. a.,
während Usurpator allerdings erst bei Ammian vorkommt.
22) , jemanden eitleren'' heifst nach St. areess&re\ aber cüare ist
gerade der offiiielle Ausdruck für das Vorladen von Zeugen und anderen
Peraonen durch die Behörde oder deren Diener, und anders wird das deutsche
„eitleren" doch noch kaum gebraucht. Beispiele finden sich io den Verrinen
und auch sonst. Im übertragenen Sinne steht testsm ciiare Cic. off. I 75
und eüare allein de fin. II 18: Graed qui hoc anapaesto cäantur. „Einen
Schriftsteller eitleren'' kann nach Liv. IV 20, 8 aliquem audorem cäare heifsen.
23) Für Akt wird 1) factum, 2) pars angegeben. Dafs aber der Akt
eines Schauspiels actus heifst, lehrt das Lexikon ; vgl. Terent Hecyra prol. 31 :
primo adu piaceo\ Hör. Ars poet. 189; so auch bei Cicero de senect. 64
ad Qniot fr. 1 1, 46; Phil. II 34; im übertragenen Sinne Verr. I, 32; 11 18.
24) Autorität (von Personen) heifst aueior oder prmceps. Doch ist
dem Lateinischen der Gebranch des Abstraktums auctaritas in diesem Sinne
gar nicht fremd; vgl. pro rege Deiot. 30: corruptela servi a tanta auctorüate
(i. e. a Caesare) eomprobata-, p. Marcelio 10: iUa auetoritas (i. e. Caesar)
und vor allem de imp. Cn. Pompei 68: Quodsi auetorüatibus hone causam
confirmandam putatis, est nobis auctor u, s. w. Ähnlich wird virtui gebraacht
pro Mil. 107; und honesiates civitatis steht p. Sestio 109. Dafs dies nur
mit Vorsicht nachzuahmen ist, gebe ich gern zu. Vgl. Nägelsbach, Sti-
listik § 14.
25) Effekt wird durch vis wiedergegeben. Aber auch effectus kann
stehen; vgl. Cic. Tusc. II 3: effectus eloquentiae est audientium adprohatio\
de div. 1147: vim et effectum herbarum; Cort. VIII 13,22: huius consHü
effectum morata tempestas est.
26) Heifsen die Elemente gnt lateinisch nur initia oder semiaa^ An
zahlreichen Stellen kommt dementa in der Bedeutung a) Grundstoffe, und
b) Anfangsgründe vor; vgl. zu a) Acad. I 26, zu b) de orat. II 45.
27) Exemplar eines Schriftstellers heifst Uber; danach müfste man
annehmen, dafs exemplar in dieser Bedeutung nicht klassisch ist; doch steht
Cic. Att. IV 5, 1: non lutbebam exemplar. Plin. ep. IV 7, 2: eundem Ubrum
in exemplaria mille transscriptiim per tolam Italiam provindasque dimisä.
Cie. fam. X 31,6: tibi earum {läterarum) exemplar misi. Gellins VII 20:
libri de corruptis exemplaribus facti. In allen diesen Stellen heifst exemplar
zunächst „Abschrift**, aber durch Abschreiben allein wurden ja im Altertum
neue „Exemplare" angefertigt. Daher kann man natürlich nicht sagen:
exemplar Caesaris tibi misi, wohl aber exemplar commentariorum. de beUo
Gallico. Auch in der Bedeutung „Musterbild" kommt neben exempbtm auch
exemplar vor. exemplar sibi proponere aliquid ist gnt ciceronisch; vgl. u. a.
p. Caecina 28: exemplar antiquae relig'ionis.
796 Klassisches Latein^
28) Expedition soll klassisch coeptumf ineeptum^ eanatus oder tfar
heifsea. Doch for dea klassischen Gebrauch von eaopediiio mSgeo sprechen:
Ca es. BG. V 10, 1: müäes equäetque in expeditionem mint. VI11 34: expedU
Uonibus noetumU. Cic. de div. I 72: ti^ f'n eaepMtionem exercäum edueereL
Aafserdeni ist bellum, exeursio, ineursio anweodhar.
29) Unter Familie wird richtig bemerkt, dafs „er kam mit Familie*'
venu cum suü heifst; aufserdem steht aber nur noch getu angegeben. Doch
familia heifst nicht nnr die Dienerschaft und die Hansgenosseoschaft über-
haapt, sondern anch die Geschlechtsgenossenschaft, und deckt sich so viel-
fach mit dem deotschen Lehnwort. Vgl. Phil. IX 2: (ktatnus primus in
suam famüiam atiulä consulatum; p. Mnr. 15: honestae familiae plebeiae;
17: 0d? famiUa vetere et inkistrij p. Deiot. 30: vestram famiUam abiectam ef
obseuram e tenebris in lucem evoeavit and non uni propinquo, omnibut famüiis
ftefarium bellum indicere. Caes. BG. VII 32, 4: onUquiMsima familia nalum\
37, 1: amplissima familia nati adulescentes ; Bell. Afr. 57: homp familia, -
diffnUate honoribusque praestans. Liv. II 48, 8 spricht der Vertreter der
gens Fabia pro gente von einem famiUare bellum', and das Volk rühmt
49, 1 : famiUam unam subisse civitatis onus.
30) Von den für Hospiz, Hospital gegebenen Aasdrücken ist für
das zweite Wort nur valetudinarium branchbar, welches freilich nach-,
klassisch ist. reeeptacuhtm ist mehr ein Zufluchtsort, Schlupfwinkel für
Flüchtige, anch Bahesitz, ond würde z. B. für das Gotthardhospiz anwendbar
sein; doch liefse sich dies auch mit hotpitium publicum (manachorum) oder
deversoriiim bezeichnen. Sanatorium finde ich weder bei Force llini noch bei
Georges; es ist also wohl Vulgärlatein.
31) Für Klasse wird ordo and genus angegeben. Aber ich möchte
dassis doch nicht ansschliefsen. Freilich wenn Cicero Acad. II 73 von
phihsopM quintae dassis spricht, so ist das nur eine Anspielung auf die
Servianische Heeres Verfassung; aber wir sehen doch daraus, das man das
Wort anch von anderen Einteilungen zu brauchen anfing. So teilte Tiberius
nach Sueton 46 seine comites peregrinationum expeditionumque in drei classes
ein; nach Quintil. I 2, 23 wurde die pueri in classes abgeteilt, und dueere
dassem d. h. primus sein galt damals schon als hohe Ehre. „Das ist^, sagt
Krebs-Allgayer mit Recht, „eine hinreichende Autorität für dassis". Frei-
lich heifst Menschenklasse gentu hominum und die Klasse der Bitter ordo
equester; daher auch unsere sozialen Klassen (Stände) als ordines zu be-
zeichnen sind.
32) Konstitution = Staatsverfassung übersetzt Storch durch rei-
publicae conformatio, doch sehe ich nicht, dafs diese Verbindung bei latei-
nischen Schriftstellern vorkommt. Die triumviri reipüblieae eonstituendae
berechtigen zu der Bildung des Ausdrucks constäutio reipüblieae, der bei
Cicero de rep. II 37 sich wirklich findet, hier allerdings zunächst die
Handlung des Einrichtens bezeichnet. Auch steht, wie Kr.-Allg. bemerken,
rep. 1 69 und II 53 constüutio {RomuU) deutlich in dem Sinn von Verfassung.
Dann findet sich bei Apulejns constituo civitatum und bei Plinius der Plural
constäutiones pubticae im Sinne von Gesetze, Verfassungsurkunde. Aufser-
dem steht nach Caes. BG. I 1, 2 instituta ac leges zu Gebote, ein Ausdruck,
der jedenfalls besser ist als conformatio reipüblieae.
33) Krone wird mit Kr.-Allg. nach Cicero pro Sest 58 mit insigne
voD A. Ruppersber^. 797
regivm übersetzt, docb kano dies aoch jedes andere kSoi^licbe Abzeicheo,
wie Scepter o. s. w. sein. Will mao also uieht diaäema setzea, so bleibt
noch Corona aurea oder (oach Verg. Aeo. VIII 505: regnieonma) corona regia
als eio got lateioiseher aod deotlicber Aasdrack.
34) Lax US (treibeo) soll darch luxuria wiedergegeben werden. Nacb
Sehultz* Synonymik heifst luxus die Üppigkeit ood Verschwendung selbst,
während luxuria die Freude daran und die Neigung zu derselben ist Abo-
lieh sagt der Antibarbarus, luxuria bedeute den Hang zur Schwelgerei,
luxus aber Schwelgerei, insofern sie in Handlungen sichtbar hervortritt.
Damit stimmen die Erklärungeu von firnesti und DSderlein • ziemlich äberein.
Das Wort luxus kommt freilich bei Cicero nur an einer nicht sicheren Stelle
vor, nämlich Verr. III 62: in vino aique tuxu, wo andere luMtris lesen. In
den von Merguet angeführten Stellen aas den Reden bedeutet aber luxuria
überall den Hang zur Schwelgerei, also nicht gerade das, was wir mit Luxus
bezeichnen. Dem entspricht besser das lateinische luxus = schwelgerisches
Leben. Vgl. Sali. Cat. 13, 2: omnia luxu antecapere; lug. 2, 4; dedät
corporis gaudiis per luxum et ignaviam aetatem agunt, und 6, 1: non se
htxu neque inertiae corrumpendum dedit Bei Curt. III 11, 23: tahemaculum
omni luxu et opulentia instructum heifst es „schwelgerische Einrichtung'*.
35) Dafs unser Wort Matrone nicht nur durch anus^ sondern oft
auch durch matrona gegeben werden kann, möchte ich doch behaupten.
Denn matrona ist die verheiratete anständige Frau im Gegensatz einerseits
zur virgOt andererseits zur meretrix, während onus nur auf das Alter und
die durch dasselbe herbeigeführten Charaktereigenschaften pafst. Mit
„Matrone** bezeichnen wir eine ältere Dame, wo dann lat. matrona ein-
treten kano, aufser wenn die Betreffende ein Fräulein ist Beide Wörter
verbunden finden sich bei Sueton Nero 11: onus matronae.
36) Für Medizin (konkret) giebt St. nur remedium an. Warum nicht
auch medioamen und medicamentum, die in eigentlicher Bedeutung sogar
gebräuchlicher sind? Obrigens wird tLQch medicina häufig konkret gebraucht,
besonders im übertragenen Sinne, wie Cic. p. Sext. 43: inter/ectus esset is
qui hac una medicina sola potuit a reipublieae peste depelli; vgl. aufserdem
die bei Forcellini und Mergnet angerührten Stellen ; besonders Tusc. 111 35
und 54, fam. IV 7, 1. Bei Cnrtius kommt das Wort schon in rein techni-
schem Sinne vor: medicinam dare,
37) Für Moment mächte ich neben punctum temporis tiuch momentum
temporu, wie Liv. XXI 33, 10, XXV 14, 10 und XXXV 11, 13 steht, nicht
verwerfen. Hat doch Livius vielfach momento allein, wie III 63, 1; 70, 13;
XXI 14, 3; XXIV 22, 9; XXVIII 6, 4. Dafür braucht Cäsar BG. H 26, 2
aueh vesUgio temporis,
38) Für Nation nur gens, nicht auch naüo gelten zu Isssen, wie St.
thut, ist kaum haltbar; kommt doch natümes oft genug mit und ohne gentes
ohne wesentlicbeo Unterschied bei Cicero vor. Natio bezeichnet ja aller-
dings, im Gegensatz zu gens, den einzelnen Stamm, gens dagegen die
grofsere Gemeinschaft, so Tac. Germ. 2: nationis nomen, non gentis
evaluisse paulatim und 38: Sueborum non una gens; proprüs adhue natio-
nibus nominilmsque discreti-j vgl. Vell. 11 98: omnibus eius gentis naUonibus.
Aber die Gemeinsamkeit der Abstammung wird durch natio nicht minder als
durch gens bezeichnet, so dafs man „die deutsche Nation" sehr wohl mit
798 Klassisches Lateio,
natio Germanorum bezeiehDeo ksDo. Dafor seheiot mir beweiskräftiif de
prov. coos. 33: cum acerrimis natianibus et nuunmis Germanorum et Hebm^
tiürum dßcertavü^ i. e. cum natione Germanorum et cum naUone Hehetiorum,
da letztere eio geschlossenes Volk siod.
39) Occidens und oriens für „Abeod- und Morgeoland*' zu perhorrea-
ciereo und durch regio ad ocddentem {orientem) vergene zo obersetzeo, be-
zeichnen Rrebs-Allg. mit Recht als pedantisch. Cicero braoeht allerdiofs
ad fam. XÜ 5, S und Mur. 89 orientii partes Tdr unser „Orientes aber p.
Deiot. 11 sagt er: Tatibus nuntüs et rumorihus patMfot ad orientem vi«,
und hier bedeutet oriene offenbar das Morgenland. Auch Livins sprieht
XXVI 37, 5 von dem imperkim orientis. So sind deno diese Ausdrücke bei
Tacitus, Plinius, Sneton, Seneca u. a. in dieser Bedeutung ganz gewöhnlich.
40) Person wird gewifs in den meisten Fällen, wie St. angiebt,
richtig durch AomOy z. B. homo prwatue eine Privatperson, wiedergegeben.
Doch darf nicht verschwiegen werden, dafs au eh pm^ona am Platze ist,
wenn die Bedeutung, die Persönlichkeit bezeichnet werden soll; vgl. de orat.
III 53: personarum dignäates. So würden die Worte des Rudenz im Teil:
„Welche Person ist's, Oheim, die ihr selbst hier spielt ?<< zu übersetzen
sein: Quam personam, avunctdej agi$ oder mduUtit
41) Pflanze übersetzt St. quod gignUur ex terra^ da planta klassisch
nur „der Setzling, das Pfropfreis" bedeutet. Ich möchte auf den sehr passen-
den Ausdruck etirpes et herhae aufmerksam machen, der de nat. deor. II 161
steht. Auch herha allein wird vielfach ausreichen.
42) Für Pirat giebt Storch praedo {maräimus) an. Aber Cicero
braoeht pirata und praedo ohne Unterschied neben einander, so Verr. IV 21,
V 100, p. Sex. Rose. 146, p. Flacc. 31. Pirata steht aufserdem u. a. Verr.
I 90, V 75 (hier auch archipiiraiä), 76, 90, 96, 97, 98, 100; nur praedo wird
gebraucht p. Sex. Roseio 31—35 (elfmal hintereinander); praedo mit dem
Zusatz maräimus dagegen kommt bei Cicero nur einmal, nämlieh Verr.
V 70 neben pirata und archtpirata vor. Also haben wir keinen Grund, das
Wort pirata zu meiden.
43) Privileg übersetzt St. mit Kr.-Allg. durch henefidum oder tue
praecipuumj geht aber weiter als die Herausgeber des Antibarbams, die
Privilegium nicht nur als „Ausnahmegesetz*', sondern auch als „Vorrecht*'
gelten lassen wollen.
44) Provinz (ohne Genetiv des Besitzers) soll durch regio wieder-
gegeben werden und „Provinzialen'* durch socU. Danach könnte man also
nicht sagen Alsia provineia, provincia Narboneniis. Wenngleich unsere heutigen
Provinzen etwas anderes sind als die der alten Römer, würde ich es doch
vorziehen, die Bewohner einer Provinz mit provineiaiei, einem gut latei-
nischen Wort, statt mit dem hier widersinnigen eoeH zu bezeichnen. Ich
würde mich auch nicht scheuen, von einer provincia Rhenana oder ad Rhe-
mtm Sita zo sprechen; ängstliche Gemüter können ja pra^eetura brauchen,
und den Satz: „Preufsen zerfällt in 12 Provinzen** mag man übersetzen:
Borussia in XII partes dividUur,
45) Ruin wird durch interitus, labes, also nicht durch ruinae übersetzt.
Und doch läfst sich dieses Wort in der gewünschten Bedeutung durch zahl-
reiche Stellen belegen, von denen die bekannteste Cie. Cat. 114 ist: Ftae^
termOto ruinös fortunarum tuarum, quas onans impendere tibi proseimis