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Full text of "Sokrates; zeitschrift für das gymnasialwesen"

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AT 


ZEITSCHRIFT 


fOb  das 


GYMNASIALWESEN 

97437 


HEBAUSGEGEBEN 


VON 


H.  J.  MÜLLER, 


XLVIII.  JAHRGANG. 

DEB    KST7£lf    7  OLGE  ACHTÜ»  D  Z  W  ANZI  68T  E  R  JAU  R  G  AN  G. 


BERLIN. 

WEIÜMANNSCHE  BUCHHANDLUNG. 

1894. 


INHALT  DES  XLVm.  JAHRGANGES, 

DES  AGHTUN  DZ  WANZIGSTEN  BANDES  DER  NEUEN  FOLGE. 


ERSTE  ABTEILUNG. 

ABHANDLUNGEN. 

Seite 
T.  .^drltn.  Die  Gliederung  des  geometrischeo  Uaterrichts  Dach  Lehr- 

sUfen 289 

A.   Bibnisch,  Der  gegenwärtige  Stand  der  Schalbibelfrage  (die  Völker- 

sehe,  die  Glaroer  ond  die  Bremer  Scholbibel) 455 

M.    Banner,  Zur  neuesten  Methode  des  Unterrichts  im  Französischen     353 

P.   Caaer,  Ein  deutsches  Lesebuch  fdr  Prima 442 

iL   Dnden,  Wozu  lehren  wir  die  neue  Orthographie? 559 

H.   Genz,  Die  Einheit  des  altklassischen  Unterrichts  anf  der  Oberstufe 

des  Gymnasiums 1 

S.   Gorge,  Bemerkungen  zu  den  Kiepertschen  Atlanten  der  alten  Welt    249 
G.   V.   Kobilinski,    Die    neuen    Grundsätze    der   lateinischen    Schul- 

grammatik , 545 

J.  La tt mann,  Was  ist  der  Einheitsschule  entgegenzusetzen?    ...      65 
P.  Salkowski,  Der  Apostel  Paulus  in  seinem  Gegensätze  zu  griechi- 
scher Sittlichkeit  und  Weisheit,  ein  Beitrag  zur  vergleichenden 
Befaandlang    des  Altertums    und   des  Christentums   in   der  Gym- 

aasialprima 673 

R.  Schiel,  Der  Physikunterricht  nach  den  neuen  Lehrplänen     .     .     .    241 

W.  Sehoppe,  Erfolg  und  Mifserfolg 91 

M.  Stier,  iVoeh  einmal  der  neue  Lehrplaa  für  den  evangelischen  Reli- 
gio Dsnoterricht      417 

R.  Thiele y    Xor  Methodik   des  Geschichtsunterrichts    in   den  unteren 

aad  mittlereo  Klassen  höherer  Lehranstalten 609 

J     Wald  eck.   Das  induktive  Verfahren  und  die  Schulgrammatik    .     .     737 


IV 

ZWEITE  ABTEILUNG. 

LITTERARISCHii:  BERICHTE. 

Seite 
— ,  Lehrgang   der  fraozösischeo  Sprache   für  die  ersteo  Aofangsgrüade 

des  Unterrichts,  2.  Auflage,  angez.  von  M.  Banner 32 

j4ly,  F,,  Horaz,  sein  Leben  und  seine  Werke,  angez.  von  Th.  Becker     161 

Andree^  Allgemeiner  Handatlas,  3.  Auflage,  angez.   von  A.  Kirch  hoff    209 

Bachofy  E.f  Xeoophons  Anabasis  für  den  Schulgebrauch  herausgegeben 

(Teztausgabe),  2.  Auflage,  angez.  von  W.  Gemoll 29 

ßaldamtu,  ^.,  Putzgers  Historischer  Atlas,  neubearbeitet,  19.  Auflage, 

angez.  von  A.  Kirchhoff 286 

BMi,  A.^  s.  A.  Brunn  er. 

Bannety  M.,   Französisches  Lese-  und    Übungsbuch,    2.  Kursus,   angez. 

von  K.Brandt 17S 

Baumann,  /.,   Volksschulen,  höhere  Schulen   und  Universitäten,  angez. 

von  H.  Schiller 122 

Bechsteiny  R.,  Ausgewählte  Gedichte  Walthers  von  der  Vogel  weide, 
Tür  den  Schulgebrauch  herausgegeben,  2.  Auflage,  angez.  von 
F.  Kuntze 377 

Beloch^  J.y  Griechische  Geschichte,  1.  Band,  angez.  von  M.  Hoffmann     278 

Bernecker  s.  Zweck. 

Beyer,  C,  Kleine  Poetik,  angez.  von  U.  Zernial 143 

Bezzenberger,  ^.,  s.  A.  Fick. 

Biedermann,  G.,   Lateinisches  Übungsbuch   für   die  zweite  Klasse  des 

Gymnasiums,  4.  Auflage,  aogez.  von  F.  Fügner 149 

Biese,  A,,  Die  Philosophie  des  Metaphorischen  in  Grundlinien  darge- 
stellt, angez.  von  L.  Spreer 304 

Birthy    Th.y    Eine    römische    Litteraturgeschichte   gesprochen    in    fünf 

Stunden,  angez.  von  0.  Weil'senfels 575 

Blafs^  F.,  8.  R.  Kühner. 

BoetticheTy   G.,    Parzival    von    Wolfram    von    Eschenbach,    angez.    von 

C.  Rothe 140 

Böhme,  ui.y  Rechenbücher,  Neubearbeitung;  Rechenbuch  für  höhere 
Lehranstalten  und  Lehrer-Seminare  bearbeitet  von  K.  Schäfler, 
6.  Heft  der  Aufgaben  und  Übungsbücher,  angez.  von  A.  Kall  ins       52 

Boiisier,  Cic^ron  dans  la  vie  publique  et  privee,  Schulausgabe,  angez. 

von  F.  Aly 271 

Bömer,  H.,  Leitfaden  der  Ezperimental-Physik  für  sechsklassige  höhere 

Lehranstalten,  angez.  von  E.  Hutt 287 

Breslich,  Jf.  und  0.  Koepert,  Bilder  aus  dem  Tier-  und  Pflanzenreiche, 

2.  Heft,  angez.  von  M.  Paeprer 225 

BreÜsehneider,  H.,  Hülfsbuch  für  den  Unterricht  in  der  Geschichte  für 
die  oberen  Klassen  höherer  Lehranstalten,  angez.  von  M.  Hoff- 
mano 43 

Brockfnamiy  F.  /.,  Lehrbuch  der  elementaren  Geometrie,   2.  Teil :    Die 

Stereometrie,  2.  Auflage,  angez.  von  A.Emmerich 218 

Brugmann,  K ,  Grundrifs  der  vergleichenden  Grammatik  der  indoger- 
manischen Sprachen,  angez.  von  H.  Ziemer 145 

Brüll,  /.,  8.  A.  Goebel. 


V 

Seite 
Bruamr,  j4.^  SanmliiDg  deutscher  DichtoD^eo  ood  Prosawerke,  fdr  deo 

Schali^ebraueh  herausgegebeo,  1.  Band:  Ausg^ewahlte  Abhaudluogeo 

nad  Redeo,    erklärt    voo  A.  Baldi;    2.  Baod:    Goethes    Hermano 

ood     Dorothea,     erklärt     voa    J.   B.  Kralliog^er,    an§;ez.     voo 

F.  KuDtze 755 

BHUner-WobU,  TK,  s.  H.  Uhle. 

Dmniei,  M.  A,^  Deotschland  aaeh  seioen  physiseheo  nad  politischen  Ver- 
hältaisseo,  neubearbeitet  voa  B.  Volz,  1.  Baod:  Physische  Geo- 
incaphie.  6.  Aoflage,  aog^ez.  von  E.  OehloiaBB 7t7 

BeBbrück,  B.y  Vergleicheode  Syntax   der  iodogermaDischeo  Sprachen  I, 

aogez.  voo  H.  Ziemer 311 

D^iwmSer^  P.,  Cieeroais  epistulae  selectae,  fdr  deo  Schnigebraaeh  er- 
klärt, angez.  voo  H.Schiller 385 

üadstkbein,  Irviag-Macaalay-Lesebnch  mit  zwei  Vorstnfeo,  aogez.  voo 

J.  Jelinek 273 

Deutsche  LandeM-  und  Provinzialge$ehichte,    Haadbuch  fdr  die  Heimat- 

koade  im  Geschichtsaoterricht,  aogez.  voo  R.  Breodel    .     .    .     408 

Deutsche  Weäkarte   zor    Übersicht    der   Meerestiefeo,    Höheoschichteo 

o.  s.  w.,  aogez.  voa  A.  Kirchhoff 351 

Z>i(Blhir<Drji,  /.,  s.  H.  Heilermao  o. 

Doeöert,  M.,   Moonmeota   Germaoiae  selecta,    5.  Bäodcheo,    aogez.  voo 

Th.  Sorgenfrey 406 

DoeUehj  P,,  Cornelias  Nepos,  Aoswahl  aus  den  Lebeosbeschreibangeo, 

für  deo  Schnlgebranch  bearbeitet,  angez.  voo  E.  Heuer  .     .     .     159 

DoTtnweHi  K.,    Präparatiooen   zur  methodischen  Behaodluog  deutscher 

Mosterstücke,  1.  Teil,  aogez.  voo  H.  Wiother 595 

Dreher^  Th.,    Bleioe  Grammatik  der  bebräiseheo  Sprache   mit  Obuogs- 

ood  Lesestöckeo,  aagez.  voo  P.  Dörwald 642 

EbeUng,  M.,  Leitfaden  der  Chemie  fiir  Realschuleo,  aogez.  voo  F.  Trau- 
Boller  56 

EhreUmann  nad  Schmitt,  Übnogsbuch  für  den  französischen  Anfangs- 
Unterricht,  1.  Teil,  3.  Auflage  voo  E.  Schmitt,  aogez.  voo 
P.  Schwieger 638 

EUner,  E.,  nnd  A,  PJeiJfcT,  Obnogsbnch  für  das  zweite  Jahr  des 
Lateioonterrichts  samt  Grammatik  und  Wörterbuch,  aogez.  von 
W.  Grossmann 623 

Eugeihardtj  M.,  Die  Stanimzeiten  der  lateinischen  Koojngatioo  wisseo- 

sehaftlich  ood  pädagogisch  geordoet,  aogez.  voo  F.  Fügner  145 

Evcrs,  M.,  Die  Gleichnisse  Jesu,  2.  Hälfte,  angez.  von  J.  Heidemann       16 

Fefsbaender^  F.,  Kleine  lateinische  Sprachlehre  für  Realgymnasien,  Pro- 
gymnasien und  ähnliche  Anstalten,  angez.  von  R.  Schenk    .     .     378 

Fethner,  H.,   Grundrifs   der  Weltgeschichte    fUr   die    oberen    Klassen 

preofsischer  höherer  Lehranstalten,  angez.  von  M.  Hoffmann  .      39 

Fechtj  K.,  Griechisches  (jbnngsbuch  für  Untertertia,  3.  Auflage,  aogez. 

von  P.  Weifsenfels 690 

Fick,  j4..  Vergleichendes  Wörterbuch  der  indogermanischen  Sprachen, 
4.  Auflage,  H :  ^.  Stokes,  Wortschatz  der  keltischeo  Sprach- 
eiofaeit,  abersetzt  uad  überarbeitet  von  A.  Bezzenber^er,  aogez. 
voo  H.  Ziemer 317 


VI 

Saite 
Fischer  A'.,  Groodzüge  einer  Sozialpädagogik  uod  Sozialpolitik,  aogez. 

voD  L.  Schädel 617 

Fischer f  JH.,  8.  Mach. 

Freytoffs  Schalaasgaben  klassischer  Werke  für  deo  deatflcheo  Unterricht, 

angez.  von  L.  Zürn 263 

Frick,  G.,  S.  0.  Frick. 

Frickj  0,f    Pädagogische  und  didaktische  Abhandlungen,  heransgegeben 

von  G.  Frick,  augez.  von  F.  Zange 126 

Frickf  0.,  Scholreden,  herausgegeben  von  G.  Frick,  angez.  von  F.  Zange     126 

Friedersdorffy  F.,  Lateinische  Scholgramniatik,  aogez.  von  G.  v.  Kobi- 

linski 151 

Friedländer,  K.,  und  F,  Zscheeh^  Grundrifs  der  Weltgeschichte,  für  den 
Unterricht  in  deo  Oberklassen  höherer  Schulen  bearbeitet,  angez. 
von  Th.  Sorgenfrey 292 

Fiigner,  F.*  Des  Cornelius  Nepos  Lebeosbeschreibungen  in  Auswahl 
bearbeitet  und  vermehrt  durch  eine  Vita  Alezandri  Magni,  angez. 
von  J.  Weisweiler 157 

Geistbeck,  j4.,  Eine  Gasse  fdr  die  Anschauung  im  Geographie-Unterricht 

angez.  von  E.  Oehlmann 647 

Goebel,  A.,  und  /.  BrüU,  Bibliothek  gediegener  und  interessanter  fran- 
zösischer Werke,  Band  19,  57,  58,  angez.  von  K.  Brandt   .     .     181 

Grosse,  Lateinische  Formenlehre  für  den  Anfangsunterricht,  angez.  von 

H.  Schenk 24 

Grosse^  B.,  s.  P.  D.  Chr.  Hennings. 

Gruber,  H.,    Repetitorium   der  evangelischen    Religiooslehre  fdr  obere 

uod  mittlere  Klassen  I,  angez.  von  J.  Heidemann 309 

Günther,  s.  H.  Schmidt. 

Gurckef  G,,  Englisches  Blementar-Lesebnch,  neubearbeitet  von  Chr.  Linde- 
mann, 21.  Auflage,  aogez.  von  E.  Goerlich 38 

Hähnelj  G.,  s.  H.  Jänicke. 

Handel,  Elementar-synthetische  Kegelscbnittslehre,  angez.  von  M.  Simon     221 

Harbrodt,  F.,  s.  Mach. 

Härder,  F.,   Ovids  Metamorphosen  in  Auswahl  Pur  den  Schulgebrauch 

herausgegeben,  angez.  von  M.  Koch 319 

Hartfelder,  Melanchthoniana  paedagogica,  angez.  von  W.  Sehr  ad  er    .     109 

Hausrath,   A.,    Martin    Luthers    Romfahrt,    nach    einem    gleichzeitigen 

Pilgerbuche  erläutert,  angez.  von  Chr.  Muff 371 

Hehn,  V.,  Über  Goethes  Hermann  und  Dorothea,  aus  dessen  Nachlafs 
herausgegeben  von  A.  Leitzmaon  und  Th.  Schiemanu,  aogez.  von 
H.  F.  Müller 754 

HeiArich,  H.,  Hilfsbuch  für  den  Religionsunterricht  in  den  oberen  Klassen, 

aogez.  von  J.  Heidemann 137 

Heilermann,  Fi.,  uod  /.  Diekmann,  Lehr-  und  Übungsbuch  für  den  Unter- 
richt in  der  Algebra  an  den  höheren  Schulen,  1.  Teil,  6.  Auflage, 
2.  Teil,  4.  Auflage,  aogez.  von  A.  Emmerich 652 

Hellwig,  P.,    P.   Hirt,    i\  Zernial,    Deutsches    Lesebuch    für    höhere 

Schulen,  aogez.  von  H.  Schiller 19.  310.  621 

Hengesbach,  /.,  Auswahl  aus  Byron :  Childe  Harold,  Prisoner  of  Chillon, 
Mazeppa,  für  den  Scholgebrauch  herausgegeben,  angez.  von 
E.  Goerlich 37 


VII 

Seite 
Hemingty  P.  D.  CAr.,  LateiDisches  Elemeotarbucli,  3.  AbteiloDg:  Lehr- 
stoff for  Quarta,  6.  Aofljge  von  B.  Grosse,  aogez.  vonP.  Doetsch      21 
Henogj  S.y  Lateinisches  Oboo^sbach  für  die  erste  Lateioklasse,  aogez. 

von  H.  GrossmaoD 622 

Herzoge  5.,  und  Chr.  Sc/mmzeTf  Lateiaisehes  Obno^sbach  fiir  die  zweite 

Lateinklaase,  aogez.  vod  H.  Grossmaon 622 

BeutDeSf  /.,  H.  ▼.  Kleist,  Prinz  Friedrich  von  Hombarfp,  für  deo  Scbol- 

gebranch  erläutert,  an^ez.  voo  H.  Neober 264 

Jfey,  O.,  s.  H.  Rif^gaoer. 

Hirt,  P.^  s.  P.  Hellwig. 

BirsMj  Zeitfragen  ans  dem  Gebiete  des  wörttembergischeD  Gymoasial- 

weseaa  I,  aogez.  von  Cbr.  Muff 370 

Hoffmtmnj  F.,  Deutsches  Lesebuch  für  höhere  LehranstalteD,  augez.  voo 

H.  Schiller 260 

HoßeTj  ^.,  nad  E,  Maiu,  ^atnrlehre  für  die  unteren  Klassen  der  Mlttel- 

schnlea,  aogez.  von  R.  Schiel 415 

UoUsnuniny  H.  /.,  u.  s.  w.,   Haad-Kommentar  zum  Neuen   Testament  1, 

H  2,  III  1,  IV  in  2.  Auflage,  angez.  von  A.  J  o  o  a  s 308 

U&sA,  Geographische  Charakterbilder,  angez.  von  A.  Kirchhoff    .    .     208 
Holsmiillery    G.y   Methodisches    Lehrbuch   der   Elementar- Mathematik, 

2  Teile,  angez.  von  R.  Schwering 723 

ffolsiteifsiff,   F.f    Obongsboch    Tür    den    Unterricht    im    Lateinischen, 

Kursus  der  Ober-Tertia,  aogez.  von  0.  Josupeit 585 

ffclzweifs^,  F,,   Griechische   Schnigramraatik    in    kurzer    Fassung   auf 
Grund  der  Ergebnisse  der  vergleichenden  Sprachforschung  zum 
Gebrauch  für  Schulen,  angez.  von  P.  Weifsenfeis    .     .     .     .     321 
H^ppe^  E.f  Lehrbuch  der  Physik  für  höhere  Lehranstalten,  angez.  von 

A.  Leiber 728 

üfiarv,  E.J   Die  Disputationen   und  Promotionen   an   den  deutschen  Uni- 
versitäten, angez.  von  H.Schmitt 118 

Hup/Mj  F.,    Die   apostolische  Urgemeinde  nach  der  Apostelgeschichte 
and  anderen  zeitgeschichtlichen  Quellen,  angez.  von  J.  Heide- 

maan 683 

Jig^er,  0.f  Pro  domo.  Reden  und  Aufsätze,  angez.  von  H.  F.  Müller  .     246 
Jiffer,  0.f   Weltgeschichte  in  vier  Bänden,   2.  Auflage,   Band  1  und  2, 

angez.  von  M.  Hoffmann 275 

Jägtr^  O.f  und  F.  Moldenhauery   Auswahl   wichtiger    Aktenstücke   zur 

Geschichte  des  19.  Jarbhuaderts,  an^ez.  von  M.  Hoff  mann  .     .     401 
Jamieke,  J7.,  und  G.  Hähndy   Hüjfsbuch    Tür    die  GeschichtserzähluDgeo 

ia  Sexta  und  Quinta,  angez.  von  M.  Friebe 190 

Jrlinekf  L.f  Logarithmische  Tafeln  und  Anleitung  zum  Gebrauch,  aogez. 

von  W.  Erler 655 

Raegiy  j4.y   Griechisches  Übungsbuch,    1.  Teil,    2.  Auflage,    angez.    von 

W.  Gemoll 624 

KakmSf  H,,  Bibelknode  für  höhere  Schulen,  angez.  von  H.  Hinge   .    .     372 
rax  Kampe/iy  A.^  Justus  Perthes'  Atlas  aatiquns,  angez.  von  A.  Kirch- 

hoff 47 

Eemy  E.y  Grundrifs  der  Pädagogik,  5.  Auflage  von  0.  Willmann,  angez. 

C.  Kruse 566 


Vllf 

8eit6 
Kirchhoff,  4 ,  Die  Schutzgebiete  des  Deutscheo  Reiches  zoin  Gebraoch 

beim  Schalonterricbt,  aogez.  von  £.  Oehlmann 48 

Kirchhoff^  A,  Erdkoode  für  Schalen,   2  Teile,  angez.  von  H.  Heck  er    516 
Kirchner,  F.,    Die    deutsche    Nationallitteratur   des   neunzehnten   Jahr- 
hunderts, angez.  von  G.  Boetticher 138 

Knaake,  E ,  s.  K.  Lohmeyer. 

Roch,  J.,   Kleineres    englisches    Lesebuch,    2.  Auflage,    angez.    von   G. 

Goerlich 331 

Koch,  J.,  Die  wichtigsteo  syntaktischen  Regeln  der  englischen  Sprache 

nebst  Übungsstücken,  angez.  von  B.  Goerlich 331 

Koch,  K.,  Die  Entwickelung  der  Jugendspiele  in  Deutschland,  angez.  von 

O.Kohl 531 

Kohl,  0.,  Griechisches  Lese-  und  (jbangsbucb  vor  und  neben  Xenopbons 

Anabasis,  1.  Teil,  2.  Auflage,  angez.  von  G.  Sachse      .     .     .     .     594 
Koldewey,  F.,  Braunschweigische  Schulordnungen,  2.  Band,  angez.  von 

W.  Schrader 109 

Köhler,  y4.,  s.  H.  Lieber. 

KoUm,  G.,  Verbandlungen  des  10.  Geographen tages  zu  Stuttgart,  angez. 

von  E.  Oehlmann 649 

Kopp,    W.,   Geschichte    der   griechischen    Litteratur,    5.   Auflage    von 

G.H.Müller,  angez.  von  0.  W  eifsenfels 175 

Kopp,  W.,    Griechische   Staatsaltertümer,    2.  Auflage  von  V.  Thumser, 

angez.  0.  W eifsenfels 175 

Korbgmoeit,    Physikalische  Schulwandkarte    von  Afrika,    angez.  von  A. 

Kirchhoff 722 

Kraüinger,  J.  B,,  s.  A.  Brnnner. 

Krause,  H,,  Mineralogie  für  Gymnasien,  angez.  von  F.  Tranmüller.       55 

Kriiger,  C.  A,,  Geschichte  der  Griechen  und  Römer  mit  Berücksichtigung 

der  morgenländischen  Völker,  angez.  von  F.  Ohiy 698 

Krüger,  C,  A.,  Geschichte  Deutschlands   von   der  alteren  Zeit  bis  zur 

Gegenwart,  angez.  von  F.  Ohly 698 

Kubier,    0,,    Lateinisches    Pensum    für   die    unterste    Gymnasialklasse, 

2.  Auflage,  angez.  von  R.  Büttner 266 

Kühner,  R.,  Ausführliche  Grammatik  der  griechischen  Sprache,  I.Teil: 

Elementar-  und  Formenlehre,    3.  Auflage    in    zwei  Bänden    von 

F.  Blafs,  2.  Band,  angez.  von  0.  W eifsenfels 173 

Kunze,  K,,   Kalender   für  das  höhere  Schulwesen  Preufsens,  Schuljahr 

1894/95,  angez.  von  S.Adler 305 

Kurlz,  A,  H.,   Hülfsbuch   für   den  evangelischen  Religionsunterricht  in 

den  unteren  Klassen  höherer  Schulen,  angez.  von  L.  Spreer         618 
Lamprecht,  K,,    Deutsche   Geschichte,    5.    Band    1.  Hälfte,    angez.    von 

K.Fischer 695 

Lange,  E.,  Thukydides  und  sein  Geschichtswerk,  angez.  von  Th.  Becker     164 
Lange,    J.,    Synthetische    Geometrie    der    Kegelschnitte,    angez.    von 

M.Simon 221 

Langenbeck,  R.,    Leitfaden    der  Geographie    für   höhere  Lehranstalten, 

1.  Teil:    LehrstoO^  der    unteren  Klassen,    angez.   von  E.  Oehl- 
mann   349 

Lattmann,  H.,  s.  J.  Lattmann. 


IX 

Seite 
Lattmamt,  J.^  Ober  den  griechischen  Uoterricht  oach  deo  methodischeo 

Gnindaülien  der  Lebrpläoe  von  1892,  angez.  voo  P.  WeifseDfels     503 

Lattmomi,  J.y  und  ff.  D.  Müller^  Grammatisches  Höifs-  and  Obaogsbach 

für    deo    grteehischen    Uoterricht    in   (Jotersekanda,    angez.    vod 

P.  WeifseDfels 503 

Uäimann^  X,  and  H.  D.  MäÜtr^  Griechische  Grammatik  für  Gymnasieo, 
I.Teil:  Formenlehre,  5.  Auflage  von  H.  Lattmann,  angez.  von 
P.  Weifsenfcls 587 

Leimbaeh,  IT.  L.,  Leitfaden  für  den  evangelischen  Religionsunterrirht 
in  den  höheren  Lehranstalten,  2.  Aoflage,  angez.  von  J.  Heide- 
nano 258 

Leimbaeh,  K.  L.,  In  der  Abschiedsstunde,  Mahnworte  an  deutsche 
Jäoglinge  in  25  Entlassongsreden  dargeboten,  2.  Auflage,  angez. 
von  O.Alten  barg 564 

Leitsäs,  J.,  Paris  et  ses  environs,  für  den  Scholgebrauch  herausge- 
geben, angez.  von  G.  Huth 399 

Leilimami,  ^.,  s.  V.  Heho. 

Lieber,  ff.,    nnd    F.  v.  Lühmann,    Anfangsgründe    der    Trigonometrie, 

Pensam  der  Untersekunda,  angez.  von  0.  Meyer 652 

Lieber,  B,,  and  j4,  Köhler,  Arithmetische  Aufgaben,  angez.  von  0.  M  ey  er     727 

Lindemann,  Chr.,  s.  G.  Garcke. 

Liom,  C.  Th,,  Porchat,  Trois  mois  sous  la  neige,  Journal  d'on  jeune 
habitant  da  Jora,  für  den  Schulgebraach  herausgegeben,  9.  Auf- 
lage, angez.  von  W.  Porcke 187 

Lkm,  C.   Th.,   Pressens^,    La  maison   blanche,    Tdr  den   Schulgebraach 

beraasgegeben,  2.  Auflage,  angez.  von  W.  Forcke 187 

Lukmeiifer,  /.,  Wandbilder  für  den  geschichtlichen  Uoterricht,  3.  Serie, 

angez.  von  M.  Hoff  mann 402 

Lnkmeyer,  K.,  und  A^  Thomas,  Hülfsbücher  fdr  den  Unterricht  in  der 
Geschichte,  2.  Auflage  von  E.  Koaake  und  K.  Lohmeyer,  angez. 
von  M.  Hoffmann 404 

iMbarseA,  O.,  Methodisches  Lehrbuch  für  den  chemisch-mineralogischen 

Uoterricht,  angez.  von  F.  Traumüller 54 

Laddeeke,  G,,  Der  Beobachtuogsunterricht  in  Naturwissenschaft,  Erd- 
kuade  und  Zeichnen  an  höheren  Lehranstalten,  angez.  von 
Chr.  Muff 306 

Lttdwiff^  A.y  s.  A.  Oppel. 

r.  Lühmwin^  F.,  s.  H.  Lieber. 

Lummer,  0.,  s.  MöUer-Pooillet 

Hack,  Groudrifs  der  Physik,  für  die  höheren  Schulen  des  üeutschen 
Reiches  bearbeitet  von  F.  Harbrodt  und  M.  Fischer,  1.  Teil: 
Vorbereitender  Lehrgang,  Ausgabe  für  das  Gymnasium,  angez. 
von  R.  Schiel 53 

Mmss,  E.,  s.  A.  Höfler. 

Martvt,  B.,  s.  W.  Wackeroagel. 

iiaritti,  A,  Leitfaden  für  den  Unterricht  in  der  Haumlehre,  angez.  voo 

W.  Erler 413 

Matsatf  H,j  Erdkunde,  3.  Auflage,  angez.  von  E.  Oehlmano.     .     .     .      48 

Meusd,  ff.j  Lezieon  Gaesarianom,  angez.  von  H.  Nitsche      .     .     .     .     758 


X 

Seite 
Metuel,  H.,  C.  Inlii  Caesaris  Belli  GalHci  libri  VII  A.  Hirtii  liber  VIII,  r«- 

ceosuit  et  apparatn  critico  iDstroxit  H.  M.,  aopez.  von  H.  Nitsche     758 

Meusel,  U.,  C.  lalii  Caesaris  Belli  Gallici  libri  Vll  A.  Hirtii  Über  VIII, 
für  den  Schalgebrauch  herausgebe ben,  mit  eioem  Aobaog:  Das 
römische  Kriegswesen  za  Gäsars  Zeit  von  R.  Schneider,  angez. 
von  H.  Nitsche 758 

Milier,  M.f  Schillers  Wallenstein  fiir  den  Schulgebranch  heransgegeben, 

angez.  von  A.  Jonas 310 

MotdenhaueTj  F.,  s.  0.  Jäger. 

Müller- Pouillet,  Lehrbnch  der  Physik  nnd  Meteorologie,  9.  Aollage  von 
L.  Pfaundler  unter  Mitwirkung  von  0.  Lummer,  angez.  von 
R.  Schiel 653 

Müller,  /4*f  Griechische  Schalgrammatik  auf  Grund  von  H.  L.  Ahrens' 

Griechischer  Formenlehre  bearbeitet,  angez.  von  P.  Wei  fs  e  n  f e  1  s     625 

Müller,  A.,  Grichisches  Lese-  und  Übungsbuch  für  Untertertia  im  Ao- 
schlttfs  an  des  Verfassers  Griechische  Schulgrammatik,  angez. 
von  P.  Weifsenfels 625 

Müller,  F.,  Thokydides,  Die  Geschichte  des  Peloponnesischeo  Krieges, 

für  den  Schulgebranch  herausg'egeben,  aogez.  von  H.  Bubendey     686 

Müller,  G,  H.,  s.  W.  Kopp. 

Müller,  H.,  Die  Elementar-Planimetrie,  angez.  von  Emmerich   .     .     .       49 

Müller.  H.  D.,  s.  J.  Lattmann. 

Müller,  y..  Lateinisches  Lese-  nnd  Lbungsbuch  für  Quarta,  angez.  von 

H.  Grossmaon 586 

Müller,  y..  Alphabetisch  geordnetes  VVörterverzeichnis  zu  dem  Latei- 
nischen Lese-  und  Obungsbuch  Tur  Quarta,  angez.  von  H.  Gross- 
mann 586 

Muiik,  H.,  Stoff  und  Mittel  des  Unterrichts  in  den  klassischen  Sprachen, 

angez.  von  Chr.  Muff .     .     265 

Naumann,  E.,   Homers    Odyssee,    zum    Schulgebrauch    bearbeitet   nnd 

erlänert,  angez.  von  A.  Schimberg 788 

Olbrichl,   R.,    Die    wichtigsten    Reehenregeln    nebst    Musterbeispielen, 

angez.  von  A.  Kall  ins 51 

Oppel,  A.,  und  A.  Ludwig,  Bilderschatz  zur  Länder-  nnd  Völkerkunde, 

angez.  von  E.  Oehlmanu 646 

Penck,  A.,  Bericht  der  Central-Kommission  für  wissenschaftliche  Landes- 
kunde von  Deutschland  über  die  zwei  Geschäftsjahre  von  Ostern 
1891  bis  Ostern  1893,  angez.  von  £.  Oehlmanu 721 

Pfaundler,  L.,  s.  Müller-Pouillet. 

Pffeijer,  A.,  s.  E.  Elsoer. 

Procksck,  A.,  s.  K.  Uhle. 

Püning,  H.,   Grandzüge  der  Physik,   mit   eioem  Anhange:    Chemie  und 

Mineralogie,  aogez.  von  R.  Schiel 53 

Regener,  F,,  Gruodzüge  einer  allgemeinen  Methodenlehre  des  Unterrichts, 

angezeigt  von  H.  Schiller 371 

Rethwüch,  C,   Deutschlands   höheres  Schulwesen    im  19.  Jahrhundert, 

angez.  von  H.  Schiller 11 

Reutn,  A.,   Französisches  Obungsbuch   für  die  Unterstufe,   angez.  von 

A.  Kesseler 597 


XI 

Seite 
Atdiceit,  /^.,    Neues  KlemeuUrbocb   der  fraozösiselieo  Sprache,   aogez. 

von  K.  Rohr 387 

fficfcen,  IF^.,  Grammatik  der  fraozösiseheD  Sprache  für  deoUche  Schalen, 

tB^ex.  von  A.   Rohr 391 

Rkken,  W.y  La  France,  le  pays  et  son  people,  Tdr  den  Scholgebraach 

heraosgegebeo,  aogez.  von  A.  Rohr 395 

Bidkn,  ^.,  Le  tour  de  la  France  en  cinq  mois,  angez.  von  A.  Rohr     399 
RiedeTj  A^  Vorlagen  zq  lateinischen  Retrovertierübongen,   angez.  von 

E.  Kräh 384 

BiemmijE.F.,  Les HohenzoUern  et  TAllemagne,  angez.  von  W.  Mangold     189 
Riggaumr,  H.,  and  0,  Hey,  Eine  Sammloog  antiker  Münzen  and  Medaillen 

in  Ropieen  aas  unedlem  Metall,  angez.  von  0.  Kohl   .     .    .    .    637 
Rokrbaeh,  C,  Vierstellige  logarithmisch-trigonometrische  Tafeln,  angez. 

von  P.  Lindner 352 

Rothfuehs,  Beitrage  zur  Methodik  des  altsprachlichen  Unterrichts,  ins- 

beaondere  des  lateinischen,  3.  Auflage,  angez.  von  Chr.  Maff  .     147 
Rudolph^  £.,   Heimatkunde  des  Reichslandes  £  Isafs -Lothringen,   angez. 

von  E.  Napp       210 

Airnse,  (?.,  Unsterblichkeit  and  Aaferstehang,  angez.  von  E.  Koedderitz     620 
Seitler,  j4.,  Leitfaden  der  Physik  und  Chemie  mit  Berücksichtigang  der 

Mineralogie,  13.  Auflage,  angez.  von  R.  Schiel 556 

SekaffeTj  H.,  s.  A.  Böhme. 

Sckeühom,  0.,  Das  Wichtigste  aas  der  französischen  Grammatik,  angez. 

von  A.  Hesse  1er 600 

S^tnkly    K.y    Übungsbuch    zum    Übersetzen    aus    dem    Deotschen     ins 

Griechische,  8.  Auflage,  angez.  von  P.  W  eifsenfels  .     .     .     .       30 
Sekiemmm^  Th.,  s.  V.  Hehn. 
SduÜmann^  P.y  Kleiner  historischer  Schulatlas  in  Karten  und  Skizzen 

nach    den    Angaben    des    Dr.  R.  Schulmann    gezeichnet,    angez. 

von  A.  Kirchhoff 412 

Sekälmaim,  R,;  s.  P.  Schillmann. 

Sdtmtidt,  H.,  und  ff^.  fFentck,  Elementarboch  der  griechischen  Sprache, 

10.  Auflage  von  Günther,  angez.  von  G.  Sachse 511 

SekmiAy   L,y  Maemosyne,    eine  psychologische  Dichtung   über   die  Ge- 

dichtniskraft,  angez.  von  J.  Schmidt 303 

Sckmiit,  J?.,  8.  Ehretsmann. 

SeAneü/er,  C,  Hellenische  Welt-  und  Lebensaoschaaangen  in  ihrer  Be- 
deutung für  den  gymnasialen  Unterricht,  angez.  von  Th.  Becker 

und  Chr.  Muff 162.  217 

Sthmeider,  R.,  s.  H.  Meusel. 

SckohyA.,  Lehrbuch  der  Geographie  und  Mitteilungen  über  den  Welt- 
handel für  Handels-  und  Gewerbeschulen,  5.  Auflage,  angez.  von 

E.  Oehlmann 720 

Schotten,  ZT.,    Inhalt    und    Methode    des    planimetrischen    Unterrichts, 

2  Bande,  an^ez.  von  M.  Simon 529 

Stkroder^  jy,,    Geschichte  der  FriedrichsrUniversität  zu  Halle,   angez. 

von  H.  F.  MLuller 12 

Schreyer,  H.,  Dtts  Fortleben  homerischer  Gestalten  in  Goethes  Dichtung, 

Mogez.  von  Th.  Becker 19 


XII 

Seite 
Sehulse^  £.,  Das  römische  Poram  als  Mitlelpunkt  des  öffeatlicheo  Lebeos, 

angez.  von  F.  Friedersdorff 49] 

Schulze,  0.^   Celebrated  Meo  of  Eoglaod  and  ScotlaDd,    für  den  Schal- 

gebrauch  heraasgegebeo,  vou  EGoerlich 36 

SchultSf  F,,  Kleine  lateinische  Sprachlehre,  22.  Auflage  von  M.  Wetzel, 

angez.  von  H.  Gross  mann 685 

Schwahn^  fF.,  Hülfsboch  für  deu  Geschichtsaoterricht    aof  der  Mittel- 

stafe  höherer  Lehranstalten,  angez.  von  J.  Plathner.     .     .     .       45 

Sckwahn,  ^.,  Hülfsbuch  für  den  Geschichtsunterricht  höherer  Lehr- 
anstalten, 4.  Teil:  fdr  Untersekunda,  angez.  von  J.  Plathner  .     643 

SchwahUf  W ,,    Lehrbuch    der    Geschichte    für   die   Oberstufe    höherer 

Lehranstalten,  I.Teil:  für  Obersekuoda,  angez.  von  J.  Plathner     644 

Schweizetf  Chr..,  s.  S.  Herzog. 

Schwiecker,  j4.,    Lehr-   und    Lesebuch   der  englischen  Sprache,    angez. 

von  E.  Goerlich 640 

ServuSf  H,,  Ausführliches  Lehrbuch  der  Stereometrie  und   sphärischen 

Trigonometrie,  angez.  von  A.Emmerich 219 

Süsg-lin,  fF.,  Atlas  antiquos,  angez.  von  A.  Kirchhoff 601 

Simony,  F.,  Das  Dachsteiogebiet,  angez.  von  A.  Kirchhoff.    .     .    .     208 

Sorof,  G.y    Xenophons  Auabasls    und   Hellenica   in    Auswahl,    für    den 

Schulgebrauch  herausgegeben,  angez.  von  W.  GemoU      .     .     .     177 

Staggemeier,   First    part   of  the  Geueral-Maps  for  the  Illustration  of 

Physical  Geography,  angez.  von  A.  Kirchhoff   .     .     .  .     651 

Sttin,  S,  J.  F.,  Lehrgang  der  französichen  Sprache  im  Aoschlufs  an  die 
Lehrpläne  vom  Jahre  1892,  1.  Abteilung:  Quarta,  angez.  von 
0.  Josupeit 596 

Stern,  G.,  Französische  Grammatik,  I.Teil,  angez.  von  A.  Kesseler.     600 

Stich,  ff.,  Lehrbuch  der  Geschichte  fiir  die  oberen  Klassen  der  Mittel- 
schulen, 3.  Teil:  Die  neuere  Zeit,  angez.  von  F.  Ohly      .     .     .     191 

Stokes,  /r.,  s.  A.  Fick. 

Strack,  U.  L.,  s.  K.  Voelker. 

Stutzer,  E.,   Hülfsbuch  für  geschichtliche  Wiederholungen,   2.  Auflage, 

angez.  von  M.  Ho  ff  mann 403 

Telfy,  J.,  Chronologie  und  Topographie  der  griechischen   Aussprache, 

angez.  von  H.  Röhl 270 

Teuisch,  F.,  Die  sieben bürgisch-säcbsischen  Schulordnungen,  mit  Ein- 
leitung, Anmerkungen  und  Register  herausgegeben,  2.  Band, 
angez.  von  VV.  Schrader 109 

Thomas,  A.,  s.  K.  Lohmeyer. 

Thunuer,  V.,  s.  W.  Kopp. 

Vhle,  U.y  Griechische  Schulgrammatik,  in  Verbindung  mit  A.  Procksch 
und  Th.  Büttner- Wobst  herausgegeben,  4.  Auflage,  angez.  von 
P.  Weifsenfeis 165 

Ulrich,  F.,  Carmina  academica,  eine  Auswahl  der  beliebtesten  Kommers- 
lieder ins  Lateinische  übertragen,  angez.  von  H.Ziemer      .     .     800 

f^oelker,  K.,  Biblisches  Lesebach  Tiir  evangelische  Schulen,  unter  Mit- 
wirkung von  H.  L.  Strack  herausgegeben,  2.  Auflage,  angez.  von 
H.  Kluge 18 

Foh,  B.,  s.  H.  A.  Daniel. 


Xllf 

Seit« 
Watktmügtl,  W.y  Geschichte  der  deatscbeo  LUterator,  2.  Aaflaye  von 

E.  Martio,  aogei.  vod  fi.  Fischer 373 

Wtiäig^  G.,  Griechisches  Lesebuch  for  Tertia,  aogez.  von  E.  Bachof    513 

Wendt,    0.,    Eocyklopädie    des    eoglischen    Uoterrichts,    angez.    vod 

E.  Goerlich 693 

H^ensek,  W.,  s.  H.  Schmidt. 

Wertheän,  (?.,    Die   Arithmetik   ood   die  Schrift   über  Polygooalzahlen 

des  Diophantos  vod  Alexaodria,  übersetzt  aod  mit  Aomerkaogeo 

begleitet,  aogez.  voo  A.  Emmerich 216 

ß^'etsel,  P,f    Lehrboch    der  Geschichte    für    die    Prima    höherer   Lehr- 

aastaiteo,  2.  Teil:  Die  Nenzeit,  aogez.  voo  F.  Ohly      .    .    .     .     334 
If^Ozel,  M.,  s.  F.  Schnitz. 
Wetzet  Jf.,   Griechisches  Lesebuch  mit  deotscheo   Üboogsstöckeo   für 

Unter-  ood  Ober-Tertia,  3.  Auflage,  aogez.  von  P.  Weifsenfels     268 
WiUmaim,  0.,  s.  B.  Kern. 
WiMiäel,   ff,,    Xeoophoos    Aoabasis,   Aaswahl   für    den    Scholgebrauch 

beransgegebeo,  angez.  voo  W.  Gemoll 510 

^''olfff  E.,   Wellers   Lateinisches  Lesebach  ans  Herodot,   18.  Auflage, 

aogez.  voo  L.  Spreer 5S2 

f^olfft  E.,  Obuogsboch  znm  Übersetzen   aus  dem  Deotscheo  ins  Latei- 

oische  im  Anschlofs  ao  Weilers  Lateinisches  Lesebuch  aus  He- 

rodot,  aogez.  voo  L.  Spreer 582 

Krossidhf'P.j   Aofangsgrunde    der  Mineralogie,    aogez.   voo  F.  Trau- 

miiner 225 

Zange,  F.,  Leitfadeo  für  den  evangelischen  Religioosuoterricht,  1.  Band: 

Sexta  bis  Uotersekooda,  aogez.  voo  G.  Boesche 569 

Zmtg'e,  F.,  Schulageode,  aogez.  voo  G.  Boesche 569 

Zemiai,  (].<,  s.  P.  Hellwig. 

Ziegeler,  E.,    Dispositiooeo    zu    deutschen    Aufsätzen    für  Tertia    und 

Uotersekuoda,  2.  Teil,  2.  Auflage,  aogez.  von  H.  Winther    .     .     595 
Ziemtr,  ff..  Lateinische  Scholgramniatik,  2  Bände,  angez.  von  M.  Engel- 

kardt 493 

Zimmermann,  £.,    Übungsbuch    im   Anschlofs    ao   Cicero,    Sallust   und 

Livios,  2.  und  3.  Teil,  angez.  von  F.  Thümen     ....       27.  386 
ZseAeeh,  F,,  s.  K.  Friedländer. 
Zweck  und  Bemeeker,  Hülfsbuch  für  den  Unterricht  in  der  Geographie, 

2  Teile,  angez.  voo  E.  Oehlmann 285 

Beriekligung,  yon  0,  Hohl 656 

Xaektrag,  von  £.  Fischer 535 


DRITTE  ABTEILUNG. 

BERICHTE  Ober  Versammlungen,  Nekrologe,  miscellen. 

Die     30.    Versammlang    des    Vereins    rheinischer    Schulmänner,     von 

F.  Moldenhaner 57 

Die  20.  Generalversammlung  des  Vereins  voo  Lehrero  höherer  Uoter- 
riehtsao stalten  der  Proviuzeo  Ost-  uod  Westpreufseo ,  voo 
R.  Stoewer 603 


XIV 

Seite 
Die  19.  HaoptversammlaDCf  des  Vereios  von  Lehrera  höherer  Uotorrichts- 

ansUlteo  der  ProviDZ  HesseD-Nassaa  uod  des  Fürtentams  Waldeck, 

ahf^ehalteo  in  Frankfurt  a.  M.,  von  A.  Lange 657 

Zur  Seminarfrage,  von  0.  Vogel 227 

Beispiele  zur  deutschen  Wortbilduogslehre,  von  Th.  Busch    .     .     .    .  536 

Latinogermanismen,  von  O.Storch 235 

Klassisches  Latein,  von  A.  Ruppersberg 792 

Beiträge  zur  Kritik  von  Cäsars  Bellum  civile,  von  H.  J.  Müller  607.  669.  731 


VIERTE  ABTEILUNG. 

eingesandte:  buch  er. 

S.  64.  239.  541.  608.  672.  736. 


JAHRESBERICHTE  DES  PHILOLOGISCHEN  VEREINS  ZU  BERLIN. 

Archäologie,  von  R.  Engeimann 1 

Caesar,  Beiträge  zur  Kritik  des  Bellum  Gallicam,  von  Th.  Mommsen  198 

Beiträge  zur  Kritik  des  Bellum  Gallicum,  von  H.  Measel  214 

Cornelius  Nepos,  von  G.  Gemfs 56 

Curtius,  von  M.Schmidt 26 

Horatius,  von  G.  Wartenberg 183 

LiviuSf  von  H.  J.  Müller 78 

Tacitus  (mit  Ausschlufs  der  Germania),  von  G.  Andresen     .     ...     .  129 


ERSTE  ABTEILUNG. 


ABHANDLUNGEN. 


Die  Einlieit    des  altklassisohen  Unterrichte  auf  der 

Oberstufe  des  Gymnasiums. 

Nicht  bezwecken  diese  Zeilen  die  Sache  des  altsprachlichen 
Unterricbts  zu  verteidigen ;  nur  für  diejenigen,  welche  wissen,  um 
was  es  sich  dabei  handelt,  möchte  ich  einige  Gesichtspunkte  her- 
vorheben, die  mir  wesentlich  erscheinen.  Dem  altklassischen  Un- 
terricht auf  der  Oberstufe  des  Gymnasiums  stehen  jetzt  je  sechs 
Stunden  Latein  und  Griechisch  inObersekunda  und  in  beiden  Primen, 
aufserdem  drei  Stunden  Geschichte  in  Obersekunda  zu  Gebote.  In 
diesen  soll»  von  der  sprachlich-logischen  Schulung  abgesehen,  etwas 
Einheitliches  erreicht  werden,  welches  man  mit  Worten  der  Lehr- 
pläne als  „Einführung  in  das  Geistes-  und  Kulturleben  des  Alter- 
toms'* bezeichnen  könnte. 

Einheiten  im  Unterricht  zu  schaffen,  damit  beim  Srhuler  Ein- 
sicht  und  Interesse  erwachse,  ist  eine  jetzt  viel  wiederholte  Mah- 
Dtti^.      Sie  wird    nach    meiner  Erfahrung    leicht    mifsverstanden. 
Der  Unterricht  der  nach  dieser  Richtung  bestrebten  Lehrer  ist  oft 
reich   an  interessanten  Bemerkungen,  deren  Zusammenhang  giln- 
sligen  Falls  im.  Lehrer  besteht,  aber  nicht  im  Schuler  erwächst,  — 
und   so  wirkt  er  das  Gegenteil  ?on  dem,  was  er  soll.   Ich  betone 
dem    gegenüber,    dafs    der  Lehrer   streng    bei   der  Sache  bleibe. 
Die  Sache  und  ihr  Bedürfnis  leitet  den  Schuler,  wenn  sie  in  ihm 
Macht  gewinnt,  besser  zur  Arbeit  und  Anspannung,  als  die  geist- 
Tollsten    Bemerkungen    des    Lehrers,    welche    schliefslich  —  ich 
setze   voraus,  dafs  sie  es  wirklich  sind  —  oft  mehr  dem  Herzens- 
drange des  Gebens,  als  der  Not  des  Empfängers  ihren  Ursprung 
verdanken.      Aber    Einheit    sei    das   Resultat   alles    Unterrichts! 
Mor    vfeon    der  Schuler   am    Ende    übersieht,    worauf   das    alles 
hinaus    wollte,    wenn    ihm  das  Viele    zuletzt  einfacher  erscheint, 
vreil    es    sich   ihm  unter    selbst  und    individuell    erarbeitete  Ge- 
sichtspunkte unter-  und  einordnet,  so  hat  er  wahre  Frucht,   an 
der  nicht  das  Wertloseste  das  Bewufstsein  des  Besitzes  ist. 

Hätte  der  Unterricht  in  den  alten  Sprachen  immer  diesen 
Erfolg  erzielt,  d.  h.  die  Schuler  mehr  mit  dem  Bewufstsein,  wo 
das  Ganze  hinaus  will,  erfüllt,  so  könnte  es  unter  den  Männern, 
die  studiert  haben ,  nicht  so  viele  laute  Gegner  und  stumme 
Freunde  desselben  geben.  Den  Dank,  den  sie  ihm  alle  schulden, 
sie  wissen  ihn  meist  nicht.  Wir  Lehrer  hätten  die  Aufgabe,  mehr 
als  bisher  eine  bewufste  Einsicht  in  das  Geistes-  und  Kulturleben 
der  Alten  zu  erzielen. 

UUmht.  f.  d,  OjmoMiftlweMii  XLVIU.    1.  X 


2       Die  Einheit  des  altklassischen  Unterrichts  a.  d.  Gymn., 

Wie  ist  dieses  einheilliclie-  Ziel  des  allkiassischen  UiileiTichts 
zu  erreichen?  Nicht  etwa,  indem  man  einen  neuen  Gegenstand 
einführt,  eine  Art  Encyklopädie,  welche  dem  Schuler  in  syste- 
matischer  Unterweisung  sagt,  was  er  gelernt  hat,  oder  gelernt 
haben  soll.  Das  wäre  wieder  ein  Anfangen  beim  Ende,  ein  kurz- 
atmiges Einblasen  des  Neuesten,  ein  Rückfall  in  ein  akademisches 
Verfahren  und  Auskramen  von  philologischem  Fachwissen,  welches 
nicht  ohne  Grund  der  jüngeren  Generation  und  dem  Fachlebrer- 
tum  zum  Vorwurf  gemacht  ist.  Nicht  ein  System,  sondern  die 
Persönlichkeit  des  Lehrer  hat  diese  Einheit  zu  schaffen,  und  zwar 
indem  der  Lehrer  und  die  Lehrer  (da  der  einzelne  nicht  aus- 
reicht) selbst  sie  sich  jederzeit  deutlicher  gegenwärtig  halten,  in- 
dem sie  dieses  einheitliche  Bild,  wie  es  der  Schüler  aus  dem 
StolT  heraus,  der  ihm  geboten  wird,  in  sich  aufnehmen  kann 
und  soll,  selbst  mehr  in  sich  entwickeln  und  unter  einander  ver- 
einbaren. 

Wollen  wir  bestreiten,  dafs  dies  nicht  überall  genügend  ge- 
schieht? Hat  jeder  Lehrer  des  Lateinischen  die  Aufgaben  des 
griechischen  Unterrichts,  hat  jeder  Lehrer  der  alten  Sprachen  die 
des  Unterrichts  in  der  alten  Geschichte,  und  umgekehrt,  immer 
deutlich  vor  Augen?  Wissen  die  betreffenden  Lehrer  der  Ober- 
stufe einer  vom  andern  ausreichend,  was  sie  treiben? 

Niemand  wird  verkennen,  dafs  ich  hier  an  einem  schwachen 
Punkt  rühre.  Der  Lehrer  wird  ja  in  seinem  Wirken  zu  leicht 
selbstbewufst  und  unduldsam  gegen  Widerspruch.  Sein  Beruf 
schleift  ihn  im  Verkehr  der  Amtsgenossen  nicht  ab,  wie  es  bei 
Beamten  geschieht,  die  ihre  Arbeiten  zu  gemeinsamem  Akt  be- 
raten und  vereinbaren  müssen.  Selbst  derjenige,  der  wissen- 
schaftliche Fragen  gern  erörtert,  bleibt  in  pädagogischen  zurück- 
haltend, läfst  dem  Kollegen  sein  Recht  und  denkt  sich  sein  Teil. 
Vielleicht  giebt  es  Wege,  manches  zu  bessern;  die  Konferenzen 
allein  thun  es  nicht.  Aber  auf  dem  bezeichneten  Gebiete  des 
altklassischen  Unterrichts  der  Oberstufe  z.  ß.  sollte  es  doch 
wohl  möglich  sein,  unbeschadet  der  Selbständigkeit  der  Einzelnen, 
noch  bessere  Arbeitsteilung  und  Arbeitsvereinbarung  zu  schaflen. 

Aber  setzen  wir  zunächst  einmal  voraus,  dafs  die  Lehrer  in 
gemeinsamer  Bemühung  und  jeder  zu  seinem  Teil  das  bezeich- 
nete Ziel  mit  klarem  Bewufstsein  zu  verfolgen  bestrebt  sind, 
welches  würde  das  Verfahren  sein,  welches  zu  diesem  Ziele  fuhren 
könnte?  Es  liegt,  wie  ich  meine,  in  einer  richtigen  Behandlung 
des  Einzelnen  und  des  Ganzen. 

Unter  dem  Einzelnen  verstehe  ich  die  Unterrichtsaufgaben, 
wie  sie  gestellt  werden,  d.  h.  den  grundlegenden  Geschichtsunter- 
richt der  Obersekunda  und  die  Lektüre  der  angesetzten  Schrift- 
steller. Hiernach  verteilt  sich  ja  der  Unterricht,  auch  unter  die 
Lehrer,  und  an  dieser  Teilung  ist  nichts  zu  ändern.  Vielmehr 
ist  sorglich   festzuhalten,    dafs  nicht   ein  interessanter  Unterricht 


vooH.  Genz.  3 

mil  küastlichen  Einheiten  bald  hier,  bald  dort  gastiere.  Der  Ge- 
scbichtsiehrer  der  Obersekunda  hat  zuzusehen,  dafs  er  zunächst 
sein  geschichtliches  Ziel  befriedige,  dafs  sich  sein  Unterricht  dem 
übrigen  Geschichtsunterricht  einordne.  Bei  der  Behandlung  der 
Schriftsteller  ist  die  Hauptsache,  dafs  das  Werk,  wie  es  verstanden 
sein  will,  zum  Verständnis  komme,  nicht  nur  dem  Stoff,  sondern 
auch  dem  Geist  nach,  ferner  dafs  der  Schriftsteller  und  seine  Art 
dem  Schüler  vertraut  werde.  Dies  alles  erscheint  selbstverständ- 
lich; es  ist  vorauszusetzen,  dafs  dies  zu  erreichen  immer  die  Ab- 
sicht der  Lehrer  gewesen  ist.  Aber  wenn  ich  auch  dies  als  das 
Wichtigste  betone  und  dringend  hervorhebe,  dafs  dies  Ziel  unbe- 
irrt erstrebt  werden  möchte,  so  will  ich  doch  hier  von  dem  an- 
deren sprechen,  welches  auch  zu  seinem  Rechte  kommen  mufs 
nud  ohne  welches  das  erstere  nicht  mit  wahrem  Erfolge  betrieben 
werden  kann,  nämlich  von  dem  Ganzen,  welches  in  seiner  Ein- 
heitlichkeit niemals  aus  den  Augen  verloren  werden  sollte.  Denn  i 
eine  Kenntnis  des  klassischen  Altertums  sollen  unsere  Schuler  ' 
gewinnen,  so  weit  es  ihrem  Alter  und  ihrem  Vermögen  entspricht, 
weil  wir  darin  eine  wesentliclie,  noch  jetzt  fortwirkende,  niemals 
entbehrliche  Unterlage  unserer  heuligen,  besonders  unserer  natio- 
nalen Bildung  erblicken,  die  demjenigen,  der  nach  geschichtlicher 
Bildung  trachtend  den  Werdeprozefs  der  Menschheit  sich  vergegen- 
wärtigen will,  nicht  fremd  bleiben  darf. 

Es  umfafst  aber  dieses  Ganze  das  bürgerliche  und  das  geistige 
Leben  der  Völker  des  Altertums. 

Für  die  Kenntnis  des  bürgerlichen,  besonders  des  politischen 
Lebens  giebt  der  Geschichtsunterricht  der  Obersekunda  die  Unter- 
lage, aber  auch  nicht  mehr.  Er  verhält  sich  zu  dem  Ganzen  nur 
io,  wie  die  Vorlesung  der  Institutionen  zum  Studium  des  Rechts. 
D^halb  ist  er  mil  gutem  Grunde  entfernt  aus  dem  letzten  Jahres- 
korsus  der  Mittelstufe,  wenn  einmal  nach  der  Untersekunda  ein 
Abschluls  gedacht  und  gemacht  wird:  er  steht  richtig  im  Anfang 
d»  neuen  Kursus,  welcher  die  Oberstufe  umfafst.  Um  etwas 
Ganzes  zu  schaflen,  ist  die  Zeit  eines  Jahres  zu  kurz,  das  Alter 
der  Schüler  zu  unreif:  die  rechte  Ergänzung  und  Ausfüllung  er- 
hält die  Skizze  erst  im  altsprachlichen  Unterricht  der  Prima. 
Daher  hat  allerdings  der  Geschichtsunterricht  der  Obersekunda 
nicht  biols  für  sich  zu  stehen  oder  für  die  allgemeine  Bildung  zu 
sorgen,  sondern  das  besondere  Bedürfnis  der  altklassischen  Lek- 
türe überall  im  Auge  zu  behalten.  Nur  ein  Lehrer,  der  voll  im 
aJlsprachlicben  Unterricht  lebt,  sollte  ihn  auf  dem  Gymnasium 
erteilen;  er  wird  dabei  gut  thun,  sich  in  enger  Beziehung  mit 
dem  eingeführten  Hülfsbuch  zu  halten,  welches,  auch  die  Kultur- 
geschichte umfassend,  jetzt  unentbehrlich  ist,  und  die  Schüler 
damit  wohl  vertraut  zu  machen,  damit  es  ihnen  in  Prima  eine 
Stütze  bleibe,  die  in  ihrem  zusammenhängenden  Gefüge  mehr 
leistet,  als  Ausgabenanmerkungen  und  Realwörterbücher. 

1* 


4       Die  Eioheit  dea  altiklassiscbeo  ÜDterrichts  «.  d.  Gymo., 

Soll  80  der  Geschiclitslehrer  der  Obersekunda  genau  wibseii 
und  beachten,  was  die  Lehrer  des  Griechischen  und  Lateinischen 
brauchen,  so  sollen  diese  wiederum  auf  dem  futsen  und  das  wei- 
terbilden, was  in  der  Geschichte  in  Obersekunda  gelehrt  und  ge- 
lernt ist.  Es  ist  notwendig,  dafs  die  Schüler  von  den  Haupt- 
epochen der  alten  Geschichte  allmählich  deutlichere  Vorstellungen 
gewinnen.  Nenne  ich  davon  zunächst  das  homerische  Zeitalter, 
so  meine  ich  nicht,  dafs'  bei  der  Lektüre  des  Homer  selbst  über- 
haupt auch  nur  ein  anderer  Gesichtspunkt  obwalten  dürfe,  als  der 
allbeherrschende  der  Dichtung.  Aber  soll  es  bei  dem  anderen 
entsprechenden  Unterricht  unbeachtet  und  ungenützt  bleiben,  dafs 
die  Schüler,  welche  ihre  homerischen  Sagen  von  Kind  auf,  die 
homerische  Dichtung  in  vierjährigem  Unterricht  der  Sekunda  und 
Prima  kennen  lernen  und  pflegen»  daraus  schliefslich  eine  Vor- 
stellung von  den  politischen,  sakralen,  gesellschaftlichen  Verhält- 
nissen der  geschilderten  Zeit  gewonnen  haben  müssen?  Das  Zeit- 
alter der  Perserkriege  und  der  spartanisch-thebanischen  £poclie 
wird  in  der  Obersekunda  an  Herodot  und  Xenoplion,  die  Zeit  vor 
und  während  des  l-eloponnesischen  Krieges  und  der  philippischen 
Epoche  den  gereifteren  Primanern  an  Thukydides,  Plato,  Demo- 
sthenes  zu  besserem  Verständnis  kommen.  Aber  dies  muTs  auch 
das  Ziel  sein.  Mit  Recht  tadelt  man  die  Gewohnheit,  mit  einer 
sogenannten  Einleitung  zu  beginnen,  d.  h.  dem  Schüler  über 
Person  und  Werk  des  Schriftstellers,  für  den  er  noch  gar  kein 
Interesse  haben  kann,  trockene  Notizen  zu  geben,  welche  er  in 
dem  Augenblicke  weder  versteht  noch  würdigt.  Etwas  anderes 
ist  es  aber  doch,  die  Zeit,  die  das  Schriftwerk  wiederspiegelt  und 
von  der  der  Schüler  aus  dem  Geschichtsunterricht  in  grofsen 
Zügen  schon  weifs,  zunächst  wieder  ins  Gedächtnis  zu  rufen  und 
dann  bei  der  Lektüre  durch  individuelle  Züge  zu  beleben.  Leichter 
wird  dieser  Aufgabe ,  wenn  er  es  überhaupt  versteht,  der  Lehrer 
des  Griechischen  gerecht,  schwerer  hat  es  der  Lehrer  des  Latei- 
nischen. Hier  möchte  ich  verlangen,  dafs  der  Primaner  vom  Römer- 
tum  der  älteren  Republik  noch  ein  besser  ausgeführtes  Bild  er- 
hält: dazu  kann  die  erste  Dekade  des  Livius  als  Privatlektüre  in 
der  Prima  herangezogen  werden.  Für  das  Zeitalter  der  Punischen 
Kriege  muls  die  Liviusleklüre  der  Sekunda  sorgen;  die  vor- 
gracchische  Zeit  aber  und  das  letzte  Jahrhundert  der  Republik 
mufs  an  Cicero  gründlich  und  übersichtlich,  wenn  auch  nicht 
mehr  mit  Einzelheiten,  wie  es  früher  möglich  war,  doch  um  so 
deutlicher  in  den  höchst  charakteristischen  Uauptzügen  zur  Ver- 
anschaulicfaung  kommen.  Eine  weitere  Aufgabe  ist  es,  das  Über- 
gangszeitalter des  Augustus  und  dann  die  erste  Zeit  des  ent- 
wickelten Prinzipats  wohlbekannt  und  versländlich  zu  machen, 
ohne  welchen  Gesichtspunkt  Uoraz  und  Tacitus  nur  sehr  einseitig 
oder  gar  nicht  behandelt  werden  können. 

Durch  alle  diese  Epochen  sind  die  verschiedenen  Seiten  des 


▼  08  H.  Genz.  5 

bürgerlichen  und  politischen  Lebens  zu  verfolgen,  wobei  dem 
Lebrer  des  Lateinischen  die  gröfsere  Aufgabe  zußllt,  weil  er  das 
Griechische  Kum  Vergleich  als  Gegenbild  und  Entwickelungsstufe 
ikl  mehr  heranziehen  mufs  als  umgekehrt.  Es  ist  von  unseren 
Schülern  zu  erwarten,  dafs  sie  an  den  typischen  Erscheinungen 
des  Altertums  deutlichere  Bilder  vom  Staat  und  seinen  Elementen 
in  sich  aufnehmen,  als  dies  in  der  mittleren  und  neueren  Ge- 
sdiichte  so  jugendlichem  Alter  zunächst  möglich  ist.  Sind  aber 
in  der  That  die  Vorstellungen  von  griechischen  und  römischen 
Vdksversammlangen,  vom  römischen  Senat  und  Amt,  von  der 
Verwaltung  und  Rechtspflege  immer  so  geklärt,  als  man  es  nach 
einiger  Lektüre  des  Thukydides  und  Demosthenes,  des  Livius, 
Cicero,  Sallust  und  Tacitus  erwarten  sollte?  Und  doch  giebt  zu 
allem  dem  diese  Lektüre  die  beste  und  reichste  Veranlassung, 
wenn  der  Lehrer  selbst  nur  alles  gehörig  durchdacht  und  aus 
dem  Material  der  dem  Schüler  zugänglichen  Schriftsteller  (darauf 
kommt  viel  an)  sich  jederzeit  so  gerüstet  hält,  um  es  an  der 
rechten  Stelle  dem  Schüler  vor  Augen  führen  und  auch  mit  den 
entsprechenden  modernen  Erscheinungen,  so  weit  sie  dem  Pri* 
maner  schon  verständlich  und  bekannt  sind,  in  Verbindung  setzen 
zQ  können. 

Aber  nicht  bloCB  das  politische,  sondern  auch  das  wirtschaft- 
liche Leben  der  Alten  kann  noch  viel  mehr,  als  es  bisher  ge- 
schiebt, dem  Schüler  verdeutlicht  werden,  wenn  der  Lehrer  sich 
nur  gewöhnt,  die  Dinge  für  ihn  zurecht  zu  denken  und  zu  legen; 
d.h.  wenn  er  nicht,  von  falschen  Vorstellungen  von  Schüler- 
vissen  und  Schfilererfahrung  ausgehend,  sie  entweder  vor  anderem 
ganz  übersieht  oder  nur  hoch  darüber  hinfahrend  streift. 

Neben  dem  bürgerlichen  Leben  ist  es  das  Geistesleben  der 
Ahen,  in  das  der  Schüler  eingeführt  werden  soll.  Es  ist  ja  mög- 
lich, dafs  die  eine  Seite  dieser  oder  jener  Lehrerindividualität 
weniger  nahe  Hegt:  dann  ist  ihr  vielleicht  die  andere  um  so  ver- 
wandter und  vertrauter.  Gehen  wir  von  den  Litteraturgattungen 
aus,  so  möchte  ich  wiederum  zunächst  die  Geschichtsschreibung 
Damhaft  machen.  Denn  wenn  der  Schüler  auch  nur  Stücke  aus 
den  Historikern  liest,  so  soll  er  doch  von  der  Kunst  und  Eigen- 
tamllchkeit  des  Herodot,  Thukydides,  Xenophon,  Cäsar,  Sallust, 
Livius,  Tacitus,  überhaupt  von  der  Art  der  antiken  Geschichts- 
schreibung einen  Begriff  erhalten,  was  nicht  blofs  ein  Lehrer  be- 
werkstelligen kann.  Er  soll  aber  auch  dabei  erfahren,  woher 
unser  Geschichtswissen  überhaupt  stammt,  denn  hier  ist  für  ihn 
aaf  der  Schule  dazu  die  beste,  ja  fast  die  einzige  Gelegenheit. 
Oder  soll  man  ihm,  wenn  Tacitus  Memoiren  erwähnt,  oder  wenn 
Livius  seine  Quellen  nennt,  oder  wenn  Thukydides  oder  Xeno- 
phon oder  Herodot  als  Augenzeugen  oder  nach  Erkundigungen 
schreiben,  nichts  von  Geschichtsforschung  sagen?  Soll  man  ihm 
z.  B.  an  einzelnen  Stellen  im  Cato  maior  oder  an  sonstigen  ge- 


g       Die  Einheit  des  altklassischen  Unterrichts  a.  d.  Gymn., 

legentlichen  Erwähnungen  des  Cicero  nicht  einmal  deutlich  zeigen, 
wie  sich  unser  geschichtliches  Wissen  kombiniert?  Von  Inschriften 
und  Ausgrabungen  wird  ja  wohl  gelegentlich  einmal  gesprochen 
werden,  aber  meist  ist  es  doch  dem  Zufall  überlassen,  ob  der 
Schüler  dazu  kommt,  über  diese  Dinge  einmal  nachzudenken,  oder 
ob  er  ohne  deutlichere  Vorstellungen  zur  Universität  oder  ins 
Leben  abgeht. 

Bei  den  Reden,  welche  gelesen  werden,  ist  sorgfältige  Aus- 
wahl zu  empfehlen.  Gerade  hier  hat  man  sich  in  dem,  was  sie 
der  Jugend  bieten  können,  wohl  öfters  verrechnet.  Dabei 
sollte  mit  Klarheit  auseinander  gehalten  und  dargethan  werden, 
in  wie  weit  sie  eine  politische  Aktion,  in  wie  weit  ein  littera- 
risches Produkt  bedeuten.  Dieser  Unterschied  liegt  bei  den 
Alten  oft  deutlich  zu  Tage,  und  wir  haben  zum  Abschlufs  in 
Cicero  de  oratore  eine  Schrift,  durch  die  man  in  die  Werkstätte 
des  antiken  Redners  direkt  hineinführen  kann. 

Ich  verlange  auch,  dafs  der  Schüler  von  dem  philosophischen 
Denken  der  Alten  etwas  erfährt.  Dies  kann  nicht  geschehen 
durch  einen  Abrifs  der  griechischen  Philosophie  zur  Einleitung 
der  Platolekture:  ein  solcher  ist  meist  ganz  unfruchtbar.  Nur 
allmählich  können  einige  Gesichtspunkte  und  Sätze  der  vorsokra- 
tischen  und  der  sokratischen  Philosophie  in  ihrem  Wert  und 
Wesen  erfafst  werden.  Sie  klar  zu  machen  und  in  systematischen 
Zusammenhang  zu  bringen,  ist  eine  Aufgabe,  die  nur  langsam 
und  bei  guter  Methodik  gedeiht.  Die  Lektüre  des  Plato  wird  in 
den  Lehrplänen  betont:  aber  dann  ist  es  schwer  begreiflich,  wie 
man  Cicero  so  zurücksetzen  kann.  Wie  wenig  kann  doch  dem 
Schuler  aus  jenem  unmittelbar  zu  Kenntnis  und  Verständnis  ge- 
bracht werden;  wie  viel  kann  er  von  diesem  lernen.  Dieser 
Lehrer  der  Menschheit,  bei  dem  Jahrhunderte  in  die  Schule  ge- 
gangen sind,  ist  für  unsere  Schuler  noch  gerade  recht,  wenn 
man  z.  B.  das  erste  und  fünfte  Buch  der  Tuskulanen  schnell,  wie 
es  schnell  geschrieben  ist,  mit  ihnen  liest  und  bei  den  für  sie 
besonders  lehrhaften  Dingen  ausführlich  weilt.  Warum  soll  der 
Lehrer  das,  was  Cicero  etwa  flüchtig  und  unvollkommen  sagt, 
nicht  aus  anderen,  den  Schülern  nicht  unzugänglichen,  aber 
schwerer  zugänglichen  Schriften  der  Alten  ergänzen  und  ihrem 
Verständnis  gemäfs  schlicht  und  klar  erörtern?  Wenn  von  Pia  tos 
Phädon  nicht  alles  gelesen  werden  kann,  weil  es  sprachlich  zu 
schwierig  ist,  warum  soll  man  nicht  das  Inhaltliche  zur  Erläute- 
rung und  Vertiefung  des  leichteren  Cicero  herbeiziehen?  Auch 
weifs  ich  nicht,  wie  man  wiederum  vermeiden  kann  Hülfe  bei 
Cicero  zu  nehmen,  um  die  Satiren  und  Episteln  des  Horaz  mit 
den  Schülern  recht  gedeihlich  zu  behandeln. 

Auch  die  Dichter  sollten  mit  weiterem  Uniblick  gelesen  wer- 
den. Hier  ist  es  ja  selbstverständlich,  dafs  alles  Fremde  fern 
bleibt  und    die  Poesie    ebensowenig    als  Geschieh Isquellc  wie    als 


voD  H.  Gans.  7 

Spnchquelle  gemifsbraucht  wird.  Aber  was  dem  Verständnis  der 
Diehtang  selbst  dient,  sollte  aucb  aus  der  ganzen  griechischen 
and  römischen  Schullitteratur  dem  Lehrer  immer  zur  Verfugung 
sein.  Homer  ist,  wie  gesagt,  eine  Welt  för  sich.  Ein  rechter 
Priester  seiner  Schönheit  zu  sein,  ist  eine  der  schwierigsten  Auf- 
gaben, die  der  Lehrer  haben  kann:  man  bekenne  seine  Unzu- 
länglichkeit und  verkenne  auch  nicht,  dafs  der  naturliche  Mensch  im 
JöngViDgsalter  sich  eher  davon  abwendet,  als  dem  Lehrer  auf 
balbem  Wege  entgegenkommt.  Wem  das  zu  viel  gesagt  scheint, 
der  frage  nach,  ob  er  sich  mit  dem,  was  gerade  von  dieser  Dich- 
tung gemeiniglich  aus  der  Schule  als  bleibendes  Gut  mitgenommen 
and  im  weiteren  Leben  bewahrt  wird,  zufrieden  erklären  kann. 
Ist  es  aach  zu  verantworten,  dafs  die  Odyssee  in  Prima  schon 
thatsächlich  in  Vergessenheit  verfallt?  Wie  stimmt  nun  wieder 
dazu,  dafs  man  bei  vielen  Studierenden  grofser  Gleichgültigkeit 
gegen  die  Ilias,  einiger  Schwärmerei  för  die  Odyssee  begegnet? 
Tod  sonstiger  epischer  Poesie  wird  auf  der  Oberstufe  nur  Vergil 
bekannt,  dem  ich  bei  der  beschränkten  Zeit  jetzt  nicht  breiten 
Raum  gebe.  Bei  geschickter  Behandlung  jedoch,  die  an  das 
Stoffliche  stark  anknöpft,  ist  der  Sekundaner  för  ihn  zn  gewinnen; 
dabei  wird  der  Vergleich  der  Äneis  in  ihrem  ganzen  Aufbau  mit 
den  homerischen  Gesängen  dem  Schuler  ebenso  verständlich  als 
lehrreich  sein.  Zu  diesem  Zwecke  darf  auch  in  Prima  mit  Hülfe 
der  Privatleklöre  einmal  Gelegenheit  genommen  werden,  auf  Vergil 
zoruckzukommen. 

Die  Lyrik  der  Alten  lernen  unsere  Schüler  nur  aus  Horaz 
kennen.  Hier  kommt  dem  Lehrer  das  jugendliche  Alter  so  sehr 
entgegen,  dafs  es  übel  bestellt  sein  mufs,  wenn  nicht  rechte 
Fnichi  bleibt.  Um  so  höher  sollte  man  sich  das  Ziel  stecken  und 
auch  hier  aus  anderer  Dichtung  heranziehen,  was  der  rechten 
Stimmung  förderlich  ist.  Gute  Übersetzungen  können  ein  För- 
ierungsmittel  werden,  und  damit  ist  denn  auch  die  Heranziehung 
einielner  Stellen  aus  griechischen  Lyrikern  und  römischen  Ele- 
gikem  (nämlich  in  Übersetzung)  leichter  ermöglicht.  Ich  glaube 
nicht,  dafs  sich  in  den  Bibliotheken  der  Lehrer  dafür  viel  findet. 
Mag  allgemeine  Geringschätzung  der  Grund  eines  spröden  Ver- 
haltens gegen  die  Übersetzungslitteratur  sein,  mag  der  Philologe 
die  Empfindung  des  Fremden  und  Schalen  selbst  bei  den  besten 
Leistungen  nicht  überwinden  können:  auch  hier  mufs  er  sich  auf 
den  Standpunkt  des  Schülers  und  Nichtkenners  versetzen.  Wir 
nehmen  so  manches  Produkt  auswärtiger  Litteratur  in  der  Über- 
setzung freudig  anf,  ehe  wir  das  Original  kennen!  Nachher  frei- 
lich, wenn  wir  der  Sprache  kundig  geworden  sind,  will  es  so 
weniger  munden. 

Bei  der  Tragödie  der  Griechen  habe  ich  immer  die  Empfin- 
dung, dafs  das,  was  sie  dem  Schuler  geben  könnte,  noch  nicht 
überall  erschöpft  wird.   Die  Aufführung  setzt  übergrofsen  Apparat 


8      Die  Einheit  des  altklassiaehen  UoterrichU  a.  d.  GyaiD.» 

in  Bewegung  und  bringt  grofgen  Segen  nur  wenigen.  Bei  der 
Klassenlekture  bildet  ein  Hindernis  der  Aufenthalt  bei  weniger 
Nötigem,  was  die  philologische  Gewissenhaftigkeit  zu  übergehen 
sich  scheut,  und  Zeitnot  für  reichliche  Verarbeitung  des  Ganzen, 
wodurch  erst  dem  Dichter  sein  Recht  wird.  Die  neue  Vorschrift, 
nicht  zu  einer  Zeit  Dichter  und  Prosaiker  zu  lesen,  hat  hier  ins- 
besondere ihre  Berechtigung.  Wörtlich  genommen  und  mecha- 
nisch angewandt,  kann  sie  sonst  auch  Schaden  bringen.  Einer 
sophokleischen  Tragödie  aber  kann  man  wochenlang  alle  Zeit, 
d.  h.  täglich  eine  Stunde  nebst  Hausarbeit  gewähren.  Und  dann 
ist  allerdings  aus  dem  ganzen  dem  Schüler  übersehbaren  Gebiete 
des  griechischen  Kultur-  und  Geisleslebens,  sowie  auch  aus  der 
Entwickelung  moderner  und  deutscher  dramatischer  Dichtung  gar 
vielerlei  nutzbar  zu  machen.  Dafür,  dafs  wir  von  der  antiken 
Komödie  nichts  bieten  können,  mufs  Horaz'  Satirendichtung  der 
Ersatz  sein;  eine  aufserordentlich  angenehme  Unterrichtsaufgabe, 
wenn  es  gelingt,  in  den  ganzen  Ton  die  rechte  Stimmung  zu  bringen. 

Auch  von  der  Kunst  der  Alten  müssen  wir  uns  bemühen 
dem  Schüler  bei  Gelegenheit  des  altsprachlichen  Unterrichts  eine 
deutlichere  Anschauung  zu  geben.  Der  Zeichnenunterricht  sollte 
die  Säulenordnungen,  die  wichtigsten  Mafsverhältnisse,  den  allge- 
meinen Charakter  des  antiken  Tempelbaues  praktisch  verdeutlichen; 
der  philologische  Lehrer  der  Oberstufe  kann  dies  dann  alles  in 
heileres  Licht  stellen  und  zu  besserem  Verständnis  bringen. 

Aber  auch  von  dem  griechischen  und  römischen  Hause  kann 
der  Schüler  durch  bessere  Anschauungsmittel  zur  rechten  Zeit 
eine  rechte  Vorstellung  erhalten.  Ist  er  noch  nicht  stumpf  ge- 
worden, hat  er  noch  etwas  von  der  lebendigen  Kinderphantasie, 
so  wird  er  sich  eine  machen,  wenn  nicht  eine  richtige,  so  eine 
falsche.  Das  Anzeichnen  des  homerischen  Hauses  in  gewohnter 
WeitläuGgkeit,  der  Streit  um  die  oQffo&VQfj  u.  s.  w.  wird  es  nicht 
thun.  Aber  eine  Anschauung  vor  dem  nach  innen  sich  öffnenden 
Gebäude  mufs  der  Schüler  haben.  Nicht  nur  die  Scenerie  des  Freier- 
mordes, sondern  auch  der  letzten  Gespräche  des  Sokrates  soll  er 
sich  richtiger  denken.  Auch  wo  die  Römer  im  öffentlichen  Leben 
verhandelten  und  wie  sie  im  horazischen  Zeitalter  wohnten,  kann 
er  deutlicher  erfahren. 

Nicht  alle  Schuler  sind  für  die  Schönheiten  der  bildenden 
Kunst  gleich  empfänglich,  ebensowenig  wie  alle  Lehrer.  Aber 
eine  Zusammenstellung  der  ägyptischen  Bildwerke,  der  äginetischen, 
der  hochklassischen,  der  nachklassischen  Skulpturen  wird  jedem 
von  der  Entwickelung  der  plastischen  Kunst  bei  den  Griechen  eine 
Vorstellung  geben,  zumal  wenn  diese  Anleitung  in  richtigem  Zu- 
sammenhang mit  der  sonstigen  kulturgeschichtlichen  Entwickelung 
erteilt  wird.  Ebenso  ist  Kunst  und  Kunsthandwerk  bei  Gelegen- 
heit der  lateinischen  Lektüre  zu  beachten. 

Ein  so  betriebener  altsprachlicher  Unterricht  kommt  auch  dem 


vos  H.  Genz.  9 

übrigen  rnterricht  zu  Hülfe.  In  der  Geschichte  sorgen  jetzt  die 
bftheren  Schalen  auf  der  Mittelstufe  besser  als  bisher  für  die 
dlgemeine  Bildung  auch  derjenigen,  die  mit  der  Abschlufspröfung 
die  Schule  verlassen.  Die  Lehrer  der  Oberstufe  haben  dieses 
Wissen  zu  vertiefen,  und  zwar  zunächst  auf  der  breiten  Unter- 
lage der  antiken  Staats-  und  Kulturgeschichte,  Ton  der  aus  alle 
Yerbältnisse  der  mittelalterlichen  und  neueren  Geschichte  helleres 
Licht  erhalten  können.  Aus  dem  Gegensatz  der  antiken  und  mo- 
dernen Weltanschauung  mufs  fOr  die  christliche  Glaubens-  und 
Sittenlehre  das  Verständnis  vertieft  und  erweitert  werden:  dahin  zu 
wirken  hat  nicht  nur  der  Religionslehrer,  sondern  auch  der  Lehrer 
der  alten  Sprachen  überall  Gelefrenheit.  Am  meisten  gewinnt  der 
dentsdie  Unterricht  aus  gutem  Betrieb  der  alten  Klassiker,  fiberall 
wird  er  zu  ihnen  enge  Beziehung  suchen  und  so  die  Erkenntnis 
und  das  Verständnis  unserer  vaterländischen  Litteratur,  wie  das 
Denken,  Sprechen  und  Schreiben  in  der  Muttersprache  nach  klar- 
stem Vorbilde  am  besten  f5rdern. 

Alle  diese  Dinge  erscheinen  so  wenig  neu  und  so  selbstver- 
ständlich, aber  es  kommt  darauf  an.  in  welchem  Grade  sie  in 
Wahrheit  beachtet  und  lebendig  wirksam  gemacht  werden.  Da 
der  einzelne  Lehrer  hier  nicht  alles  thun  kann,  so  bedarf  es  eines 
Zusammenwirkens,  wie  es  aus  liebevoller  Hingabe  an  die  Sache 
znd  freundschaftlicher  Verbindung  der  Personen  entspringen  kann; 
und  daran  gebricht  es  noch  oft.  Aber  auch  der  einzelne  Lehrer 
wird,  wenn  er  auf  das  eingeht,  was  ich  meine,  sich  nicht  leicht 
für  einen  Gerechten  halten.  Ich  wage  hier  einen  Übelstand  zu 
berühren,  der  vielleicht  öfters  empfunden  und  vertraulich  einge- 
standen, als  offen  besprochen  und  bekannt  worden  ist. 

Diejeni^^en  Lehrer  (ich  will  fast  ausschliefslich  von  dem  Fach 
der  klassischen  Philologie  sprechen),  welche  sich  wissenschaftlichen 
Sinn  und  wissenschaftliche  Regsamkeit  bewahren,  hängen  damit 
meist  zu  sehr  an  ihren  akademischen  Anfängen.  Ja,  es  giebt 
anter  den  besten  von  ihnen  einen  nicht  kleinen  Teil,  der  sich 
wegen  der  wissenschaftlichen  Arbeit,  die  er  aufser  Zusammen- 
hang mit  der  Schule  nebenbei  treibt,  höher  schätzt  als  wegen 
seiner  Lebrerthätigkeit.  V^ie  kann  er  das,  wenn  er  seinen  Lehrer- 
beruf  nach  seinen  besten  Kräften  zu  erfüllen  sucht,  was  er  doch 
soll?  Wie  kann  er  mit  der  geringen  Zeit,  die  ihm  dieser  Berut 
für  wissenschaftliche  Forscherarbeit  übrig  läfst,  mit  den  Männern 
wetteifern  wollen,  die  fast  alle  ihre  Zeit  wissenschaftlicher  For- 
schung zuwenden  können?  Ist  doch  die  strengwissenschaftliche 
Arbeit,  welche  Neues  auf  dem  Wege  exakter  Forschung  ergründen 
will,  jetzt  überall  so  geteilt,  dafs  die  ganze  Kraft  eines  Mannes 
sich  auf  speziellem  Gebiete  bethätigen  mufs,  wenn  er  zu  den 
Schatzgräbern  gehören  will.  Wird  das  der  Schulmann  können? 
Und  wenn  er  nun  seine  abgerungene  Zeit  daran  wendet  (wer 
möchte  ihm  die  Freude  nicht  gönnen,    und  Ausnahmen  kann  es 


10     Die  Eiohait  des  altkl.  (Joterr.  a.  d.  Gymn.,  von  H.  Gent, 

ja  geben),  kann  es  ihm  volle  Genugthuung  sein,  ein  Kleiner  zu 
heifsen  im  Reiche  der  Gelehrten?  Ich  meine,  seine  geistige 
Thätigkeit  hat,  falls  er  die  Wissenschaft  liebt  und  ein  denkender 
Mann  ist,  ein  reicheres  Gebiet,  wenn  er  möglichst  alles  zu  um- 
fassen sucht,  was  die  Schulschriftsteller  geben  und  was  der  Schul- 
unterricht irgend  brauchen  kann,  wenn  er  sein  Wissen  in  diesem 
Umfange  nach  sprachlicher,  sachlicher,  ethischer  und  ästhetischer 
Seite  mehr  und  mehr  zu  erweitern  und  zu  vertiefen  sucht.  Dazu 
kann  seine  ganze  Arbeit  im  Unterricht  und  in  der  Studierstube 
zusammenwirken;  und  aus  solcher  Arbeit  kann  eine  Höhe  der 
wissenschaftlichen  und  geistigen  Bildung  entstehen,  welche  der 
der  Durchschnittsgelehrten  an  den  Universitäten  (von  besonderer 
Genialität  sehe  ich  hier  überhaupt  ab)  vollkommen  ebenbürtig  ist. 
Möchten  die  Philologen  ihre  wissenschaftliche  Arbeit  nur  recht 
anlegen;  ob  sie  schreiben  und  drucken  lassen,  ist  nicht  entschei- 
dend: die  Jugend  soll  die  Frucht  haben. 

Wenn  v.  Wilamowitz  so  absprechend  über  die  jetzigen  und 
künftigen  Leistungen  der  Knaben,  die  von  den  Gymnasien  kom- 
men, geurteilt  hat,  so  kann  das  für  uns  Lehrer  nichts  rechtes 
bedeuten:  wir  sollten  weder  Anstofs  daran  nehmen,  noch  aus 
Groll  über  die  Verminderung  der  Stundenzahl  dem  beipflichten. 
Der  Gelehrte  mufs  ja  wissen,  was  er  braucht,  und  wie  er  in 
seinem  Elementarkursus,  den  er  für  nötig  ansieht,  sieb  seine 
Schüler  heranzieht.  Wenn  ihm  Knaben,  die  anderwärts  zu  ihren 
Universitätsjahren  gekommen  sind,  schon  eben  so  recht  sind  als 
die  Gymnasiasten,  so  möge  er  selbst  zusehen.  Unsere  Aufgabe 
auf  der  Schule  ist  es  nach  meiner  Ansicht  gar  nicht,  Schüler  für 
ein  philologisches  Seminar,  wie  sie  sich  mehr  und  mehr  gestaltet 
haben,  heranzubilden;  sondern  wir  erziehen  für  alle  Zweige  der 
Wissenschaft  und  für  alle  höheren  Berufsgattungen,  und  zwar 
gerade  auch  wir  Lehrer  der  alten  Sprachen.  Ich  wollte,  es 
wäre  dies  auch  in  früheren  Zeiten,  als  die  Stundenzahl  so 
viel  gröfser  war,  immer  beachtet  worden.  Vielleicht  hätten  wir 
dann  mehr  Freunde,  und  wir  wären  vor  der  Niederlage,  die  uns 
so  schweren  Verlust  gebracht  hat,  bewahrt  geblieben.  Unsere 
Aufgabe  ist  es  jetzt,  die  Berechtigung  unserer  Sache  noch  besser 
zu  bethätigen  und  dadurch  soviel  wiederzugewinnen,  als  zur  Er- 
reichung des  wesentlichen  Ziels  notwendig  ist.  In  diesem  Sinne 
wollen  wir  Lehrer  den  altklassischen  Unterricht  einheitlich  ent- 
wickeln als  eine  wesentliche  Grundlage  höherer  allgemeiner  Bil- 
dung, und  in  diesem  Sinne  wollen  wir  selbst  die  Alten  studieren 
mit  notwendiger  Selbstbeschränkung  und  doch  wieder  weit  um- 
fassend, damit  wir,  wenn  wir  uns  ihres  wesentlichsten  und  wert- 
vollsten Gehalts  bemächtigen,  in  unserem  Lehrerberuf  nach  Kräften 
segensreich  wirken. 

Alton».  Hermann  Genz. 


ZWEITE  ABTEILUNG. 


LITTERARISCHE  BERICHTE. 


Coarad  Rethwiaeh,  0«ottekIaada  höhere«  Schul  wegeo  im  19. 
Jahrhundert  Geschichtlicher  Überblick  im  Auftrage  des  Köoigl. 
Preursischeo  Miuisterinms  der  geistlicheo,  Uuterrichts-  und  Mediziual- 
ÄDgelegeDhetteo.  Mit  amtlichen  Nachweisungen  über  den  Besuch 
höherer  Lehranstalten  des  Deutschen  Reiches.  Berlin  1S93,  R.  Gärt- 
ners VerlagsbnchhaBdlDog.    VIII,  206  n.  53  S.  S.     4  M. 

Die  Schrift  ist  in  ihrem  historischen  Teile  vortrefflich  geeignet, 
nicht  nur  dem  Auslande,  sondern  auch  den  Deutschen  selbst  einen 
Cberbltck  über  die  Entwickelung  unseres  höheren  Schulwesens  in 
ihren  tieferen  Zusammenhängen  zu  geben.  In  fünf  Abschnitten 
werden  „Das  Erbe  der  Vergangenheit",  „Die  Sehnsucht  nach  dem 
Deutschen  Reiche*',  „Die  Kämpfe  um  die  Begründung  des  Deut- 
schen Reiches*',  „Die  Errichtung  und  der  Ausbau  des  Deutschen 
Reiches*',  endlich  „Der  Entwickelungsgang  des  Lehrverfahrens  in 
den  einzelnen  Fächern'*  vorgeführt  und  von  gröfseren  Gesichts- 
punkten aus  die  Entwickelung  beleuchtet  und  erklärt.  Freilich 
wird  der  Einzelne  manches  vermissen,  was  er  gerne  gesehen  hätte, 
Bod  namentlich  kommt  Süddeutschland  nicht  völlig  zu  seinem 
Rechte.  Dieser  Teil  unseres  Vaterlandes  ist  durchaus  nicht  alle- 
zeit den  preufsiscfaen  Reformen  im  Gymnasial-  und  Realschul- 
weäen  erst  nachgefolgt,  sondern  meist  vereinzelt  mafsgebend 
vorangegangen;  dieses  Verhältnis  tritt  aber  hier  nicht  genügend 
hervor. 

Ein  Anhang  giebt  amtliche  Nachweisungen  über  den  Besuch 
der  höheren  Schulen;  der  Verf.  erhielt  hier  das  Material  von  den 
einzelnen  Bundesregierungen;  Ungenauigkeiten  können  ihm  also 
nicht  zur  Last  fallen.  Und  doch  könnte  es  scheinen,  dafs  sich 
solche  finden.  In  den  Südwestdeutschen  Schulbl.  10,  152  A.  wird 
nämlich  behauptet,  dafs  keine  einzige  Zahl  dieser  ofliziellen  An- 
gaben mit  der  ebend.  9,  90 — 92  veröffentlichten  Statistik  überein- 
stimme. Danach  gab  es  im  Jahre  1890  nach  den  ofliziellen  An- 
gaben 26  Realanstalten  mit  Latein,  6  ohne  solches;  in  der  That 
hatte  damals  Baden  3  Realgymnasien  und  9  höhere  Bürgerschulen 


12      W.  Schrader,  Gesch.  d.  Friedrichs-UntversitSt  z.  Halle, 

mit  RealgymnasiallehrplaD,  dagegen  6  Realschulen  und  14  höhere 
Rilrgerschulen  mit  Realschullehrplan,  also  ohne  Latein.  Aber  die 
Differenz  wird  wohl  darauf  zurückzuführen  sein,  dafs  die  ofliztelle 
Statistik  auch  die  höheren  Rurgerschulen  mit  Realschullehrplan 
und  fakultativem  Latein,  überall  wo  dieser  fakultative  Unter- 
richt thatsächlich  vorhanden  war,  als  Realanstalten  mit  Latein  ge- 
zählt hat.  Auch  für  das  Grofsherzogtum  Hessen  habe  ich  einzelne 
Angaben  nicht  zu  verstehen  vermocht.  So  werden  4  Real- 
anstalten mit  Latein  angeführt,  Hessen  hatte  aber  im  Jahre  1890 
4  Realgymnasien  und  2  Realschulen,  die  zugleich  Progymnasien 
waren;  wohin  sind  letztere  gerechnet?  Unter  die  Gymnasial- 
anstalten  nicht;  denn  dort  werden  nur  8  gezählt  (Darmstadt  2, 
Uensheim,  Rndingen,  Giefsen,  Laubach,  Mainz,  Worms).  Real- 
anstalten  ohne  Latein  werden  im  Jahre  1890  14  aufgeführt;  auch 
hierbei  können  die  2  Progymnasien  nicht  mitgerechnet  sein. 
Denn  es  werden  überall,  wo  Rt'algymnasium  und  Realschule  unter 
einer  Direktion  stehen,  stets  beide  Anstalten  besonders  gezählt. 
Vielleicht  wird  es  ähnlich  mit  den  Angaben  da  und  dort  stehen, 
und  vielleicht  ist  der  Grund,  dafs  die  Leitsätze  für  die  statistische 
Rehandlung  nicht  klar  genug  lauteten;  aber  das  sind  Kleinigkeiten, 
die  dem  Werte  der  Schrift  keinen  Abbruch  tliun. 

Giefsen.  Herman  Schiller. 


Wilhelm  Schrader,  Geschichte  der  Friedrichs-Universität  zu 
Halle.  Berlin  1894,  Ferd.  Dämmler.  2  Bände.  640  und  583  S. 
gr.  8.    81  M. 

Die  Universität  Halle  wird  im  Juli  k.  J.  ihre  200  jährige 
Jubelfeier  begehen.  Zu  dieser  Feier  hat  der  Kurator  D.  Dr. 
Schrader  eine  Geschichte  der  Hochschule  geschrieben,  die  ihre 
äufsere  und  innere  Entwickelung,  sowie  ihre  Stellung  in  dem  all- 
gemeinen Gange  der  Wissenschaft  bis  auf  die  Gegenwart  darlegt, 
und  damit  ein  Werk  geschaffen,  das  als  hervorragendste  Pest- 
schrift, ein  monumentum  aere  perennius,  betrachtet  werden  darf. 
In  6  Düchern  und  25  Kapiteln  behandelt  der  Verf.  den  umfang- 
reichen Stoff.  Jedem  Kapitel  sind  Anmerkungen  und  Quellen- 
nachweise 'beigegeben;  es  ist  erstaunlich,  welches  Material  hier 
nicht  blofs  citiert,  sondern  beurteilt  und  ausgenutzt  wird.  Die 
zweite  Hälfte  des  zweiten  Randes  enthält  S.  35t — 568  Akten- 
stücke zur  Universitätsgeschichte  und  S.  569 — 583  ein  genaues 
Register. 

Die  Darstellung  beginnt  mit  den  Worten:  „Die  Fürsten  der 
preufsisch-brandenburgischen  Lande  haben  wiederholt  bei  bedeut- 
samen Wandlungen  ihrer  Machtstellung  unternommen,  durch 
Gründung  grofser  Bildungsstätten  die  Entwickelung  des  öffentlichen 
Geistes  zu  fördern  und  die  veränderten  Formen  des  staatlichen 
Lebens  mit  neuem  Gehall  zu  füllen'*  .  .  . 


an^az.  voo  H.  F.  Müller.  13 

Üocii    \^ir    luiiöseii    der    Vei^suciiung   zu   längeren  AuszOgea 
«iderslehen  und    uns  auf   das  beschränken,   was   uns  d.  b.   das 
Cymnasialwesen    näber  angebt.    Daber  nur  noch  die  Bemerkung, 
d^  nach  dem  erwäbnten  staatsklugen  Grundsatz  aucb  die  Ualliscbe 
Um^ersiläl  ins  Leben    gerufen   ist,    und  dafs  gerade  nach  Halle, 
m  der  Mille  des  Staates,  äufsere  wie  innere  Gründe  wiesen.   Ge- 
suflel  isl  die  neue  Universität  durcb  den  Kurfürsten  Friedrieb  vou 
Brandeubarg;  aber  diese  Universität  wäre  nicht  ohne  Thoniasius 
eotstandeo,  noch  ohne  Francke  zu  ihrem  gewaltigen  Einflufs  ge- 
diehen. 

Jurisprudenz  und  Theologie  trieben  gleich  im  ersten  Jahr- 
zehnt neue,  blühende  Zweige  am  Baume  der  Wissenschaft;  es 
war  das  Verdienst  von  Männern  wie  Thomasius  und  Stryk,  Ludewig 
and  Ueiueccius,  Francke,  Breithaupt  und  Joachim  Lange.  Auch 
die  Medizin  machte  einen  vielversprechenden  Anfang;  ihren  theo- 
retischen  Teil  vertrat  Georg  Ernst  Stahl,  ihren  praktischen  Teil 
Friedrich  HolTmann  i^liquor  anodjpius  Hoffmanni,  UotTmaunstropfen). 
Üörflig  war  es  mit  der  Philosophie  und  Philologie  bestellt;  die 
Humanitätsstudien  fanden  geringe  POege;  doch  soll  nicht  uner- 
wähnt bleiben,  dafs  der  gelehrte  Schulmann  uud  Theologe  Joachim 
Idnge  durch  seinen  Uodegns  Laiini  sertnanis  tripartitm  und  durch 
seine  laleiuisthe  Grammatik,  von  der  bei  seinem  Tode  (1744) 
mehr  als  100  000  Exemplare  abgesetzt  waren,  sich  entschiedene 
Verdienste  um  den  lateinischen  Unterricht  erworben  hat.  Mit  der 
Philosophie  wurde  es  besser,  seitdem  Christian  Wolff  in  Halle 
lehrte,  dessen  System  in  seineu  Gruudzügen  uud  in  seinem  Ein- 
flufs auf  das  deutsche  Geistesleben  sehr  klar  und  eiuleuchtend 
dai^estellt  wird.  Der  Philologie  fehlte  hier  wie  überall  „das,  was 
den  Humanitätsstudien  erst  Odem  und  Weihe  giebt,  die  liebevolle 
Vertrautheit  mit  griechischer  Sprache  und  Litteratur".  Gleich- 
wohl darf  von  dem  Zeitraum  lb94 — 1730  gerühmt  werden:  die 
jange  Hochschule  brachte  der  Wissenschaft,  der  Kirche,  der  deut- 
schen Sprache,  dem  Staate  reiche  Frucht.  Vou  dem  ganzen 
preuCsischen  Beamten-,  Pastoren-  uud  Lehrerstande  glaubt 
Scbmoiler  sagen  zu  dürfen,  dafs  er  in  Halle  bei  Thomasius  und 
WoUr,  bei  Ludewig  und  J.  H.  Böhmer,  sowie  bei  den  Schülern 
Speners  in  die  Schule  gegangen  sei;  ja  in  gewissem  Sinne  könne 
man  den  grofsen  König  selbst  als  einen  Schüler  der  Hallischen 
lloiTersität  bezeichnen,  da  Christian  Wolfl'  der  Ausgangspunkt  seiner 
geistigen  Entwickelung  gewesen  sei.  Halle  war  die  preufsische 
UniTersität  Tutt'  i^ox^y* 

Ot>er  das  dritte  Buch:  „Rückgang  der  ursprünglichen  Kraft, 
neue  Anfange,  1730 — 1768''  gehen  wir  kurz  hinweg.  Zu  nennen 
waren  etwa  nur  S.  J.  Baumgarten  und  Semler,  welche  die  theo- 
logische Wissenschaft  in  neue  Bahnen  lenkten.  Sonst  ist  von 
Professoren  und  Studenten,  von  Lehr-  und  Geldmitteln ^  selbst 
^00  dem  Verhältnis  der  beiden  preufsischen  Könige  zu  ihrer  Uni- 


14      W.  SchradeP;  Gesch.  d.  Friedrichs-Universi tat  z.  Halle, 

versitat  uichl  viel  Erfreuliches  zu  berichten.  Doch  soll  es  Friedrich 
Wilhelm  I  UDvergessen  sein,  dafs  er  sicii  um  die  Zuröckberufung 
des  vertriebenen  Christian  VVolfT  bemüht  hat.  Bekanntlich  gelang 
es  erst  Friedrich  I[,  den  Philosophen  für  Halle  wiederzugewinnen, 
ohne  dafs  dieser  indessen  die  frühere  Wirksamkeit  als  akademi- 
scher Lehrer  wiederzuerlangen  vermochte. 

Wenn  der  grofse  König  den  Universitäten  wirkliche  Hülfe 
und  stetige  Fürsorge  auch  nie  gewidmet  hat,  so  hatte  er  für  die 
Grundlagen  und  Ziele  der  akademischen  Bildung  doch  ein  durch- 
aus richtiges  Verständnis;  den  Wert  eines  einsichtigen  Vortrages 
über  Geschichte  und  die  Bedeutung  der  Humanitätsstudien  für  alle 
Wissenschaft  hat  er  voll  gewürdigt.  Gerade  heute  wäre  es  an 
der  Zeit,  seine  Ansichten  über  Gymnasial-  und  Universitätsbiidung 
in  Erinnerung  zu  bringen.  „Vom  Griechischen  und  Latei- 
nischen gehe  ich  durchaus  nicht  ab  bei  dem  Unter- 
richt in  den  Schulen'':  diesen  seinen  Grundsatz  halten  wir 
denen  entgegen,  die  wie  weiland  die  f^hilanthropinisten  das  Er- 
lernen der  alten  Sprachen  für  ein  Unglück  anzusehen  scheinen. 
Es  war  nicht  Friedrichs  Schuld,  dafs  der  mit  hohem  Gehalt  und 
Titel  nach  Halle  berufene  Geheimde  Rat  Klotz  unrühmlichen  An- 
gedenkens sich  so  schlecht  bewährte,  und  dafs  das  Experiment 
des  Ministers  v.  Zedlitz  mit  dem  unfähigen  Trapp  und  seiner 
philanthropinistischen  Erziehungsanstalt  mifsglückte  —  zum  Glück! 
Denn  nun  wurde  (im  August  1783)  F'riedrich  August  Wolf 
als  Professor  der  alten  Litteratur  und  Pädagogik,  wozu  bald 
auch  die  Professur  der  Beredsamkeit  kam,  berufen,  der  Mann, 
welcher  der  von  ihm  erwählten  Wissenschaft  ein  völlig  verän- 
dertes Gepräge  und  der  Friedrichs  -  Universität  neuen  Glanz  ver- 
leihen sollte. 

Was  F.  A.  Wolf  bedeutet  als  Begründer  der  Altertumswissen- 
schaft in  Deutschland,  als  akademischer  lichrer  und  Seminar- 
direktor, als  Vorkämpfer  für  einen  vom  Predigerstand  losgelösten 
besondern  Stand  der  Gymnasiallehrer  und  als  Ratgeber  der  preu- 
fsischen  Unterrichtsverwaltung:  das  braucheich  den  Lesern  dieser 
Zeitschrift  nicht  zu  erzählen.  Schrader  schildert  die  Persönlich- 
keit und  Wirksamkeit  des  grofsen  Gelehrten  und  Lehrers  mit 
dem  gereiften  Urteil  des  Mannes  und  der  Begeisterung  eines  Jung- 
lings; es  ist  immer  eine  Herzstärkung,  das  schöpferische  Thun 
eines  Fürsten  im  Reiche  des  Geistes  nachdenkend  zu  betrachten, 
mag  man  auch  im  einzelnen,  z.  B.  über  den  dauernden  Wert  der 
Prolegomena  ad  Homerum,  etwas  nüchterner  denken.  Vielleicht 
ist  es  nur  Zufall,  dafs  Schrader  die  Gescliichte  und  Kritik  der 
Wolfschen  Prolegomena  von  Richard  Volkmann,  auch  einem 
Hallenser  Philologen,  weder  im  Text  noch  in  den  Anmerkungen 
erwähnt.  Einem  aber  mufs  ich  entschieden  widersprechen,  der 
Bemerkung,  „dafs  unsere  Gymnasien  trotz  aller  Änderungen  im 
wesentlichen  noch  heute  das  Gepräge  tragen,  welches  Wolf  ihnen 


a Dg ez.  von  H.  F.  Müller.  15 

rerlieben  ftiäseo  wollte*'.  Das  ist  nicht  der  Fall,  Gott  sei«  ge- 
klagt! Wie  kann  Schrader  das  behaupten,  der  noch  in  der  vor- 
letzten Auflage  seiner  Pädagogischen  Bedenken  im  Hinblick  auf 
die  ,,Reforni''  von  1882  äufserte,  nun  sei  es  aber  mit  der  Re- 
duktion des  klassischen  Unterrichts  genug,  wir  könnten  keine 
halbe  Stunde  Latein  und  Griechisch  mehr  entbehren?  Für 
F.  A.  Wolf  waren  die  Humanitälsstudien  das  A  und  0,  die  un- 
eDtbehrliche  Grundlage  aller  höheren  Bildung:  wie  sollte  er  die 
grausame  Verstümmelung  des  griechischen  und  lateinischen  Un- 
terrichts von  unten  an  bis  oben  hin  gulheifsen!  Würde  der  un- 
Terstandige  Kampf  gegen  die  alten  Sprachen  und  die  angeblich 
dadurch  herbeigeführte  Überbürdung  der  Jugend  nicht  seinen 
grimmigen  Spott  herausgefordert  haben?  Und  nun  gar  die  päda- 
gogische Weisheit  und  Praxis  unserer  Tage!  Der  Mann,  dem  die 
Basedow  und  Trapp  und  alle  philanthropinistischen  Mätzchen  in  der 
Seele  zuwider  waren,  der  seinen  Schülern  wissenschaftliche  Gründ- 
lichkeit und  idealen  Sinn  als  die  besten  Gaben  fürs  Lehramt  ein- 
zuprägen suchte:  wahrlich,  er  würde  von  dieser  wortfrohen  Päda- 
gogik und  ihren  Künsten  wenig  erbaut  gewesen  sein  nnd  von  ihr 
gearteiit  haben,  sie  fülle  das  Papier  und  mache  die  Köpfe  leer, 
oder  noch  anzüglicher  und  derber.  Der  Rest  sei  Schweigen. 
Schrader  aber  mag  von  seiner  Höhe  herab  wie  aus  der  Vogel- 
perspektive mild  urteilen;  wir,  die  wir  mitten  drinstecken,  sehen 
die  Dinge  anders.  Dafs  freilich  die  Welt  heute  sich  „auf  die 
feinen  vielgestaltigen  und  doch  zusammenklingenden  Gesetze  der 
Geistesbildung*'  sonderlich  verstehe,  behauptet  er  nicht. 

Wie  verhängnisvoll  für  F.  A.  Wolf  die  Katastrophe  der 
Hallischen  Universität  im  Jahre  1806  wurde,  dürfte  bekannt  sein. 
Ein  ebenbürtiger  Nachfolger  war  1820  in  Karl  Reisig  gefunden, 
den  aber  der  Tod  schon  1829  auf  einer  Studienreise  in  Venedig 
hinw^;raflte.  Schraders  schöne  Charakteristik  klingt  wie  ein  warm 
empfundener  Nachruf  an  den  Frühvollendeten.  Der  Vorlesungen 
über  lateinische  Sprachwissenschaft  wird  nicht  besonders  gedacht. 
Reisigs  gröfster  Schüler,  Friedrich  Ritschi,  lehrte  nur  kurze 
Zeit  (1829 — 1833),  aber  mit  stets  wachsendem  Erfolge  in  Halle. 
Cber  Reisigs  Nachfolger,  Gottfried  Bernbardy,  und  seine  lang- 
jährige erfolgreiche  Lehrthätigkeit  hätten  wir  gerne  mehr  gehört. 
Aas  dem  Abschnitt  über  ihn  entlehnen  wir  einen  Satz,  den  un- 
sere Scfaulreformer  mit  ihrem  vorzeitigen  Dringen  auf  Sachkennt- 
nisse wohl  beherzigen  sollten:  „Die  lernbegierige  Jugend  wird  eher 
and  stärker  durch  die  Schönheit  der  alten  Sprachen  und  Schrift- 
werke, als  durch  die  erst  mittelbar  aus  ihnen  zu  entnehmende 
Sachkenntnis  angezogen*'. 

Wer  könnte  von  der  Universität  Halle  reden,  ohne  des 
Kanzlers  August  Hermann  Niemeyer  zu  gedenken!  Er  hat 
Franckes  Stiftungen  und  der  Hochschule  ein  langes,  arbeitsvolles 
Leben   in    alier  Treue  gewidmet.    Durch   sein    viel   gebrauchtes 


J 


16      M.  Evers  u.  F.  Fautb,  Hiiifsm.  z.  evaog.  ReligionsuDterr., 

Lehrbuch  für  die  obereu  Klassen  der  Geiehrleiischuleo,  1801  zu- 
erst,  1843  zuletzt  in  18.  AuOage  erschienen,  hat  er  auf  den 
Religionsunterricht  einen  weitgehenden  Einflufs  in  rationalistischem 
Sinne  geübt.  ,,Der  hohe  Wert  seiner  Grundsätze  der  Erziehung 
und  des  Unterrichts  ist  noch  heule  nicht  verblafst.  Niemand  hat 
es  seinerzeit  höher  geschätzt  als  Herbart,  der  Pädagoge  unter  den 
Philosophen,  der  es  als  die  Summe  der  Pädagogik,  das  Sicherste 
und  Bewährteste,  das  allgemein  Verständliche  und  Annehmbare, 
als  die  breite  und  feste  Erfahrungsgrundlage  für  die  Theorie  der 
Erfahrung  ansah'^ 

Aufserhalb  unseres  Gesichtskreises  liegt  es  endlich  nicht, 
daran  zu  erinnern,  dafs  sich  gerade  in  Halle  ein  beträctilliches 
Stück  der  neueren  Kirchengeschichte  abgespielt  hat.  Die  Stadien 
des  Kampfes  seien  mit  den  Worten  Pietismus,  Rationalismus 
(Semler,  Wegscheider,  Gesenius),  bibelgiäubige  VermiUelungstheo- 
logie  (aufser  Steffens  und  Schleiermacher  vornehmlich  Tholuck, 
Julius  Müller)  kurz  bezeichnet.  Die  Darstellung  des  Entwicke- 
lungsganges  rechnen  wir  zu  den  anziehendsten  und  gelungensten 
Partieen  des  vortrefflichen  Buches.  In  dem  Streite  der  Berliner 
gegen  die  Hallenser  scheint  mir  der  Verf.  nur  die  eine  Seite  zu 
sehen  oder  doch  nur  zu  beachten,  ich  möchte  sagen  die  Kehr- 
seite der  Medaille.  Die  Verdienste  der  gegenwärtigen  theologischen 
Fakultät  um  die  Wissenschaft,  die  Kirche  und  Kirchenverfassung 
will  ich  gewifs  nicht  leugnen  oder  schmälern.  Wenn  aber  Schrader 
wähnt,  die  Fakultät  habe  wesentlich  dazu  beigetragen,  „durch 
einen  aus  evangelischer  Einsicht  und  Gesinnung  hervorgegangenen 
Einspruch  den  Anstofs  zur  Beseitigung  eines  Gesetzentwurfes  zu 
geben,  welcher  der  evangelischen  Kirche  und  der  evangelischen 
Erziehung  des  Volkes  schwere  Gefahr  drohte^*:  so  mufs  ich  dem 
ganz  entschieden  widersprechen,  kann  aber  an  diesem  Orte  meinen 
Widerspruch  nicht  weiter  begründen. 

Dieser  Dissensus  thut  selbstverständlich  meiner  Verehrung  für 
den  würdigen  Verf.  und  sein  ausgezeichnetes  Buch  keinen  Ein- 
trag. Wer  so  wie  er  das  Grofse  und  das  Kleine,  das  Ideale  und 
das  Alltägliche  mit  gleicher  Sorgfalt  umspannt  und  zu  einem  an- 
schaulichen Gesamtbilde  zu  runden  versteht,  hat  wahrlich  Anspruch 
auf  dankbare  Leser.  Möchte  er  deren  auch  im  Kreise  meiner 
Amtsgenossen  recht  viele  finden! 

Blankenburg  am  Harz.  H.  F.  Müller. 


M.  Bvers  aad  F.  Ftath,  Hälfsmittel  zum  evangelischen  Reli- 
gionsunterricht für  evangelische  Religionslehrer  and  Pfarrer^ 
Studierende,  Seminaristen  nnd  reifere  Schäler  höherer  Lehranstalten. 
I.  Abteilung,  Beft  3:  Die  Gleichnisse  Jesu,  zweite  Hälfte  von  M.  £  v  e  r  s. 
Berlin  1893,  Renther  &  Reichard.    40  S.   8.    0,50  M. 

In  diesem  Hefte  der  Hülfsmittel  bietet  der  Verf.  auf  40  Seiten 
Erläuterungen  zu  28  Gleichnissen  Jesu  dar,   im  besonderen  der 


aogez.  voQ  J.  HeideiUAoo.  t7 

im  Lucas-Evangelium  miigeteillen  und  ihrer  Parallelen  bei  Mat- 
tliäus  und  Marcus.  Der  reiche  Schatz  religiöser  Wahrheiten  und 
Lehren,  der  scheinbar  offenkundig  in  den  Gleichnissen  ruht,  aber 
(loch  nur  durch  wissenschafiliches  Eindringen  vollkommen  gehoben 
werden  kann,  wird  hier  liChrern  und  Schülern  auf  dem  Wege 
eingehender  Erörterungen  zugänglich  gemacht.  Die  Methode, 
welche  der  Verf.  dabei  befolgt,  ist  die  auch  sonst  übliche.  Auf 
die  Erklärung  des  Bildes,  welche  Berücksichtigung  der  Zeitge- 
schichte und  archäologische  Notizen  erfordert,  folgt  die  Darlegung 
des  Grundgedankens  des  Gleichnisses  und  darauf  dessen  Begrün- 
dung und  Nutzanwendung  für  das  Leben.  Der  Verf.  hat  dabei 
Torzögliche  Vorarbeiten  verwertet,  aber  nicht  minder  Wertvolles 
aus  dem  Eigenen  gegeben,  denn  er  erläutert  vielfach  durch  treffende 
Citate  aus  den  Schriften  alter  und  neuer  Autoren  und  durch  gut 
gewählte  Beispiele  aus  der  Geschichte  und  dem  menschlichen  Leben. 
Der  letzte  Zwfck  der  Darlegungen  liegt  in  dem  Wunsche  des  Verf.s, 
die  Jugend  mit  Liebe  zum  Cbrislentum  zu  erfüllen  und  sie  durch 
ernste  Beiehrungen  zur  sittlichen  Lebensführung  anzuleiten. 

Im  grofsen  und  ganzen  kann  man  den  Ausführungen  des 
Verf.s  vollkommen  beistimmen,  an  einzelnen  Stellen  aber  ist  doch 
wohl  etwas  zu  viel  aus  den  Worten  des  Gleichnisses  herausge- 
lesen worden,  so  z.  B.  S.  9,  wo  es  in  Bezug  auf  den  reichen 
Mann  und  den  armen  Lazarus  heifst:  .,Es  scheint,  als  würde 
der  Reiche  blofs,  weil  er  reich  war,  gepeinigt,  der  Arme  blofs, 
weil  er  arm  war,  getröstet;  doch  nach  dem  Zusammenhange  ist 
jener  zugleich  gottlos,  dieser  zugleich  fromm'*.  Indessen  sieht 
man  sich  vergebens  nach  Beweisen  von  der  Gottlosigkeit  des  einen 
snd  der  Frömmigkeit  des  anderen  um.  Mag  auch  der  Vorwurf 
der  Teilnahrolosigkeit  an  dem  Leiden  eines  Armen  den  Reichen 
uod  mehr  noch  dessen  Dienerschaft  treffen,  von  einer  besonderen 
Frömmigkeit  des  Lazarus  ist  jedenfalls  nicht  berichtet.  Dafs  an- 
deres nicht  zur  vollen  Erkenntnis  des  .Schülers  gebracht  werden 
kann,  wie  z.  B.  S.  36  die  Ausstofsung  des  doch  von  der  Strafse 
her  ohne  Hochzeitskleid  geladenen  Gastes  von  dem  Abendmahl, 
liegt  an  der  Überlieferung,  nicht  an  dem  Erklärer.  Eine  Erläu- 
terung aber  vermifst  man  zu  dem  Schlufs^satze  des  Gleichnisses 
von  dem  Abendmahl  (Matt.  22,  14):  Viele  sind  berufen,  aber 
Wenige  sind  auserwählt,  welcher  mit  der  Ausstofsung  nur  des 
Einen  vom  Abendmahl  nicht  in  Übereinstimmung  steht.  —  Hin- 
sichtlich der  Darstellung  sei  noch  bemerkt,  dafs  sie  für  eine 
Schrift,  welche  Schüler  lesen  sollen,  zuweilen  etwas  zu  hoch  ge- 
griffen ist.  Wenn  es  S.  7  heifst:  „Treue  und  Wohlthätigkeit  im 
Irdischen  sind  nicht  der  Realgrund  der  Seligkeit,  sondern  Erkenntnis- 
KTund  der  Glaubenstreue'%  so  mufs  man  doch  zweifeln,  ob  damit  der 
Ton  richtig  getroffen  ist,  in  welchem  man  sonst  zu  Schülern  redet. 

Berlin.  J.  Heidemann. 

Zeiudir.  f.  d.  GjnuiMialweseo  XJ^VHI.    1.  2 


IS     K.  Voelker,  ßibl.  Leseb.  f.  evad(f.  Schnleo,  agz.  v.  H.  Kljige. 

Karl  Voelker,  fiiblisches  Lesebach  für  evangelische  Schulen. 
Cnter  Mitwirk  nag  von  Heroiano  L.  Strack  bearbeitet  ond  heraosge- 
gebeo.  Zweite,  neu  bearbeitete  Auflage.  Mit  1  Abbildvngen  und  2  Kar- 
ten.   Gera  1893,  Theodor  Hoffmann.     VIII  h.  622  S.    gr.  8.    1,80  M. 

Das  vorliegende  Buch  ist  eine  Umarbeitung  des  im  Jahre  1890 
erschienenen  Biblischen  Lesebuchs  für  evangelische  Schulen  von 
Karl  Voelker.  Es  sucht  dem  Bedürfnisse  des  Unterrichts  nach 
den  verschiedensten  Richtungen  gerecht  zu  werden.  Zunächst 
durch  eine  sorgdltige  Aussonderung  soiclier  Abschnitte,  die  zu 
einer  Lesung  und  Besprechung  mit  Schülern  nicht  geeignet  sind. 
Im  ganzen  wird  man  der  getroffenen  Auswahl  beistimmen  können; 
doch  hätte  vielleicht  noch  manches  geradezu  wegbleiben  sollen, 
was  nur  als  nicht  geeignet  zur  Wiederholung  bezeichnet  ist,  in* 
dem  es  in  runde  Klammern  geschlossen  ist  Ref.  will  nur  eine 
Stelle  als  Beispiel  anführen  (S.  5)  aus  1.  Mose  4,  Kains  und  Seths 
Nachkommen;  die  eingeklammerte  Stelle  ist  in  dem  gegebenen 
Zusammenhange  zum  Teil  unverständlich,  zum  Teil  nur  trockene 
Aufzählung  und  wahrscheinlich  nur  der  Erwähnung  Jubais  und 
Thuhalkains  halber  beibehalten.  —  Dem  Unterricht  dient  ferner 
die  Disposition  des  Stoffes,  der  in  folgender  Weise  gruppiert  ist: 
Der  erste  Teil  (288  S.)  giebt  den  Stoff  des  Allen  Testaments  in 
vier  Abschnitten :  A.  Die  Heilsgeschichte  des  alten  Bundes,  B.  Die 
heilige  Dichtkunst  im  Alten  Testament,  C.  Die  Propheten,  D.  Die 
Apokryphen.  Der  Stoff  des  Neuen  Testaments  umfafst  300  Seiten 
und  teilt  sich  in  drei  Abschnitte:  A.  lleiligengeschichte  des  Neuen 
Bundes,  B.  Die  Lehrschriften  des  Neuen  Testaments,  C.  Das  pro- 
phetische Buch;  ein  Anhang  behandelt  die  Leidenszeit  Jesu  und 
die  Zeit  seiner  Verherrlichung.  —  Ebenfalls  auf  die  Bedürfnisse 
der  Schule  sind  die  fünf  Beilagen  berechnet:  ein  Verzeichnis  der 
Bücher  des  Alten  und  Neuen  Testaments,  ein  Verzeichnis  der 
Anfänge  der  Evangelien  und  Episteln  aller  Sonn-  und  Festtage, 
eine  Tabelle  der  zu  behandelnden  biblischen  Geschichten  und  der 
dazu  gehörigen  Unterrichtsstoffe,  eine  Zeittafel  und  ein  Wort-  und 
Sachregister.  Beigegeben  ist  eine  Tafel  mit  den  Abbildungen  des 
Grundrisses  der  Stiflshütte  und  des  Herodianischen  Tempels, 
aufserdem  eine  Karte  der  Missionsreisen  des  Apostels  Paulus  und 
eine  Karte  von  Palästina  zur  Zeit  Christi.  Hervorhebung  unter 
den  Beilagen  verdient  die  dritte,  das  Verzeichnis  der  zu  behan- 
delnden biblischen  Geschichten  und  der  dazu  gehürigen  Unter" 
richtsstoffe;  sie  stellt  in  fünf  Kolumnen  einander  parallel  die  nach 
Stoff  und  Gedanken  zusammengehörigen  Geschichten,  Leit- 
stellen, Lesestoff,  Liederverse  und  Abschnitte  des  Kate^ 
chismus.  Dafs  damit  ein  sehr  dankenswertes  Hülfsmiltel  fQr 
die  Präparation  des  Lehrers  gegeben  ist,  leuchtet  sofort  ein. 

So  erscheint  das  Buch  nach  allen  Seiten  hin  als  ein  prak- 
tisches und  empfehlenswertes  Unterrichtsmittel,  dessen  Wert  und 
Brauchbarkeit  für  die  Schule   noch  durch  den  guten  Druck  und 


Deatsclies    Lesebuch  f.  höhere  Schaleu,  agc.  v.  H.  Schiller.     19 

die  würdige  Ausstattung  bei  billiger  Preisstellung  erhöht  wird. 
Es  Yerdieni  in  vollem  Mafse  die  Billigung  und  Empfehlung,  die 
ihm  ¥on  Behörden,  wie  dem  Evangelischen  Oberkirchenrat  in 
Berlin  und  der  Herzoglich  Anhaltischen  Regierung»  zuteil  ge- 
worden ist. 

Cötheo.  Jl.  Kluge. 

Deotsehes  Lesebach  für  höhere  Schalen.  Heraosgef^eben  von 
P.  Hellwig,  P.  Hirt  nod  U.  Zernial.  1.  and  2.  Teil  Tür  Sexta 
hexw.  QuDta.  Dresden  1893,  L.  fihlermann.  Xu  a.  272,  XII  a. 
316  S.  8.     1,70  0.  1,90  M. 

Die  Lesebücher  sind  selbstverständlich  im  Anschlüsse  an  die 
neuen  Lebrpläne  abgefalst,  und  die  danach  getroffene  Stoffaus- 
wahl int  im  ganzen  gelangen.  Ob  man  unter  die  Fabeln  die  för 
kleine  Vorscbuler  berechneten  platten  und  salzlosen  Stucke  von 
PfeM,  Lichtwer  u.  8.  w.  aufnehmen  mufste,  möchte  ich.  bezwei- 
feln. Ober  die  Märchen  habe  ich  schon  froher  meine  Ansicht 
tosgeeprochen.  Recht  ansprechend  ist  dagegen  in  dem  Quinta- 
teile  die  Auswahl  aus  den  alten  Sagen  und  Geschichten.  Das 
Gebotene  ist  öberall  so  reich,  dafs  die  betr.  Klasse  für  zwei  Jahre 
SuifT  genug  hat. 

Neu  ist  die  Aufnahme  besonderer  Lesestficke  (Übungsstucke), 
an  denen  die  deutsche  Grammatik  betrieben  werden  soll;  ich 
iiinfs  allerdings  gestehen,  dafs  ich  die  Grunde  für  diese  Mafs- 
regel  nicht  einzusehen  vermag.  Denn  die  dafür  angeführten  sind 
niclM  stichhaltig.  Aufserdem  sind  ja  die  Schreibübungen  vorhanden. 
Ke  teCsere  Ausstattung  der  Bücher  ist  vortrefflich,  der  Preis  für 
das  Gebotene  mäfsig. 

Giefsen.  Herman  Schiller. 


HernaDD  Schreyer,  Das  Fortleben  homerischer  Gestalten  in 
Goethes  Dichtung.  Gatersloh  1893,  C.  Bertelsmann.  (Gymnasial- 
bihUothek,  8.  Heft).    92  S.   8.     1,20  M. 

Der  Verf.  ist  auf  dem  von  ihm  bearbeiteten  Gebiete  nicht 
nur  dordi  Studien  heimisch,  sondern  auch  durch  Dichtungen, 
welche  sich  an  Goethescbe  Entwürfe  und  unvollendete  Schöpfungen 
aasebliefsen.  Er  hat  das  Verhältnis  Goethes  zu  Homer  überhaupt 
sdMn  einmal  bebandelt  in  einem  Programm  von  Pforta  aus  dem 
lahre  1884,  und  die  Gestalt  Helenas  im  besonderen  in  seiner 
Schrift:  Goethes  Faust  als  einheitliche  Dichtung  erläutert  und  ver- 
todigt  (Haue  1881).  Wir  besitzen  von  ihm  ein  Drama  Nausikaa, 
gedielilet  „in  freier  Ausführung  des  Goetheschen  Entwurfs'*  (Halle 
1S84),  und  ein  Drama,  welches  in  naher  Beziehung  zu  Goethes 
Achiileis  steht,  Die  Hochzeit  des  Acfailleus  (Gütersloh  1891).  So 
konnte   er   hier   in  seinem  Beitrag  zur  Gymnasial -Bibliothek   aus 

4em  Folien  schöpfen. 

2* 


20     H.  Schreyer,  Home  r.  Gest.  io  Goethes  Dicht.,  agz.  v.  Brcke  r. 

Er  begioDl  mit  eiuer  ullgemclnen  Gescbichle  von  Goelhes 
Homerstudien  und  bespricht  dann  im  einzelnen  Werke  oder  Ge- 
stalten ,  die  aus  tlonier  stammen  oder  doch  mit  Homer  einen 
näheren  oder  entfernteren  Zusammenhang  haben:  Iphigenia  in 
Taurien,  den  Plan  zu  Iphigenia  in  Delphi,  Nausikaa,  die  Achiileis 
und  Helena  im  Faust.  Oberall  beginnt  er  mit  einer  genauen  Fest- 
steilung des  Stoffes,  wie  er  bei  Homer  vorliegt,  wie  er  dann  in 
anderen  griechischen  Dichtungen  und  Sagen  geformt  ist,  und 
kommt  so  zu  Goethe.  Den  Ausdruck  im  Titel  „homerische  Ge- 
stalten^'  darf  man  dabei  nicht  zu  sehr  pressen,  da  Iphigenia  doch 
bei  Homer  gar  nicht  vorhanden  ist. 

Überall  wird  ferner  das  Einzelne  eingereiht  in  den  gröfseren 
Zusammenhang  von  Goethes  Leben.  So  geht  der  Achilleis  vorauf 
ein  Ausblick  auf  Goethes  sonstige  epische  Bestrebungen,  auf 
Reineke  Fuchs  und  auf  Hermann  und  Dorothea,  dessen  homeri- 
scher Charakter  dargelegt  wird.  In  dieser  Beziehung  hätte  jedoch 
vielleicht  nocii  mehr  geschehen  können,  besonders  bei  der  allge- 
meinen Geschichte  der  Beschäftigung  des  Dichters  mit  Homer. 
Man  kann  da  ja  alles  Wichtige  zwischen  den  Zeilen  lesen,  doch 
war  es  wohl  für  Schede r  in  seiner  Eigentümlichkeit  stärker  her- 
vorzuheben. So  wäre  zu  sagen  gewesen,  dafs  Goethe  anfänglich 
bei  diesen  Studien  in  voller  Stärke  seine  Subjektivität  walten  läfst, 
die  dann  erst  später  mehr  und  mehr  zurücktritt.  Wie  er  sich 
überhaupt  den  grofsen  Gleichnismacher  nennt,  so  benutzt  er  auch 
Züge  aus  Homer  gleichnisweise  in  Anwendung  auf  seine  persön- 
lichen Verhältnisse.  In  dieser  Beziehung  handelt  es  sich  in  seiner 
frischen  Jugendzeit  fast  weniger  um  die  Frage:  Was  macht  Homer, 
die  Antike  überhaupt,  aus  Goethe?  als  um  die  andere:  Was  macht 
Goethe  aus  der  Antike?  Die  Beispiele,  besonders  Briefstellen, 
(ludet  man  bei  Schreyer  hübsch  zusammengestellt.  Ein  anderer 
Punkt,  fast  noch  wichtiger,  ist,  dafs  seine  Versenkung  in  Homer 
ihm  ein  Weg  ist,  der  ihn  hinausführt  aus  der  Unnatur,  der 
Zopfigkeit,  Manieriertheit  und  Geziertheit  seines  Zeitalters,  und 
auf  dem  er  seine  Sehnsucht  nach  einfacher  Natürlichkeit  gestillt 
findet.  Er  ist  in  dieser  Zeit  sehr  weit  davon  entfernt,  in  Homer 
ein  formales  Schönheitsideal  zu  sehen ;  er  findet  in  ihm  ein  Heil- 
mittel gegen  die  Schäden  der  Gegenwart,  eine  Nahrung,  die  ein 
tiefes  Bedürfnis  des  Herzens  befriedigt.  Goethe  spricht  das  noch 
in  einem  seiner  Spräche  in  Prd^a  (bei  Schreyer  S.  25)  sehr  klar 
aus  und  fügt  hinzu,  dafs  die  homerischen  Gesänge  die  Kraft 
haben,  „uns  wenigi^tens  für  Augenblicke  von  der  furchtbaren  Last 
zu  befreien,  welche  die  Überlieferung  von  mehreren  tausend  Jahren 
auf  uns  gewälzt  hat''.  Wir  werden  so  eingeführt  in  die  Stimmung, 
welcher  das  Rousseausche  Nalurevangelium  entsprang,  dem  alle 
Kultur  eine  Last,  ein  Elend  ist,  welches  abgeschüttelt  werden 
mufs,  wenn  die  Menschheit  gesunden  soll.  —  Später  rückt  dieses 
kraftvolle  Bewältigen  des  Fremden,  wodurch  es  in  den  Dienst  der 


HeüBiiigs,  Lateinisches  Elcnien tarbuch,  af^z.  v.  P.  Doetscfa.     21 

persönlichen  geistigen  Bedürfnisse  gestellt  wird,  wie  gesagt,  mehr 
in  den  Hintergrund,  statt  dessen  tritt  seit  der  italienischen  Reise 
eine  selbstlose  Hingabe  ein,  ein  Streben  nacli  voller  Objektivität, 
welches  bis  zu  jenem  ungesunden  Extrem  ausartet,  von  dem  er 
am  12.  Mai  1798  an  Schiller  schreibt,  er  müsse  den  Alten  auch 
darin  folgen «  worin  sie  getadelt  werden,  ja  er  müsse  sich  zu 
eigen  machen,  was  ihm  nicht  behage.  Wie  Recht  hatte  Schiller, 
da  ein  entschiedenes,  warnendes  Wort  zu  sprechen!  (Schreyer 
S.  78f.). 

Mit  diesem  Heft  hat  die  Gymnasial -Bibliothek  die  selbstge- 
zogene Grenze,  dafs  sie  ., Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  des 
klassischen  Altertums**  bringen  wolle,  wohl  schon  etwas  über- 
schritten. Man  wird  sich  dessen  freuen  dürfen,  und  es  ist  viel- 
leicht gestattet,  den  Wunsch  anzudeuten,  dafs  ebenso  anregend 
nun  ein  Heft  folge,  welches  das  Fortleben  der  Gestalten  deut- 
scher Sage  und  Geschichte  in  Goethes  Dichtung  behandelt,  also 
G5t2,  Faust,  Egmont,  Hans  Sachs,  die  Salzburger  Emigranten, 
deutsche  Sagen  in  den  Balladen  u.  s.  f.,  und  daran  anknüpfend 
die  Röckwendung  zum  Deutschtum,  die  Goethe  in  seinem  höheren 
Aher  ausgeführt  hat. 

Neustrelitz.  Th.  Becker. 

P.D.  Chr.  Beonings,  Lateioisches  Elenientarbuch.  Dritte  Abteilung. 
Lehrsloir  fiir  Qoarta.  Fünfte  Auflage.  Nach  den  preafaischen  Lehr- 
pläoen  von  1892  bearbeitet  von  B.  Grosse.  Halle  a.  S.,  Verlag  der 
Baehhandlang  des  Waisenbaases,  1893.     V  u.  170  S.     8.     1,20  M. 

Die  Lehrpläne  und  Lehraufgaben  für  die  höheren  Schulen  in 
Preulsen  weisen  der  Quarta  der  Gymnasien  im  Lateinischen 
^.Wiederholung  der  Formenlehre,  das  Wesentliche  aus  der  Kasus- 
lehre im  Anschlufs  an  möglichst  dem  Gelesenen  entnommene 
Musterbeispiele,  Syntax  des  Verbums  nach  Bedürfnis*^  als  gramma- 
tisches Pensum  zu.  Die  mündlichen  und  schriftlichen  Übersetzungen 
sollen  aus  einem  Übungsbuche  angestellt  werden,  dessen  Inhalt 
sich  an  das  Gelesene  anlehnt,  damit  gleichzeitig  ein  gründliches 
Verständnis  des  Schriftstellers  gefördert  werde. 

Die  im  vorbezeichneten  Buche  enthaltenen  Übungsstücke  sind 
in  der  Hauptsache  an  Nepos  (Milliades,  Themistokles,  Aristides, 
Paosanias,  Cimon,  Lysander,  Aicibiades,  Thrasybulus,  Epaminondas, 
Agesilaus,  Hannibal)  angeschlossen.  Fingestreut  sind  sowohl  zu- 
sammenhängende Stücke  freieren  Inhalts  wie  auch  in  mäfsiger 
Anzahl  Einzelsätze.  Soweit  also  der  Anschlufs  an  die  Lektüre  in 
Betracht  kommt,  ist  djer  Forderung  der  neuen  Lehrpläne  genügt, 
und  zwar  ist  dieser  in  so  enger  Anlehnung  an  Nepos  erstrebt, 
ab  ibnoliGh  erschien,  ohne  den  Schülern  ein  unerlaubtes  Hilfs- 
mittel für  die  Vorbereitung  zu  liefern.  Eine  bestimmte  Grammatik 
ist  der  Reihenfolge  und  Einrichtung  der  einzelnen  Abschnitte  nicht 
zu  Grande    gelegt,    das  Elementarburh    läfst    sich    neben   jeder 


22        P*  D.  Chr.    HenDiD^s,  Lateinischrs  Eleneota  rbueh, 

Grammatik  gebrauchen.  Ausdriicksweise  und  Satzbijdnng  leiden 
nirgendwo  an  dem  Fehler  des  zurechtgelegten  „Übersetzungs- 
deutsch*', es  ist  wirkliches  Deutsch,  was  hier  zur  Übertragung 
vorgelegt  wird.  (Die  l>eliebte,  aber  darum  noch  lange  nicht  be- 
rechtigte Wendung:  „Dem  Gedächtnis  ist  überliefert  worden**  findet 
sich  zwar  auch  hier  (S.  7),  mag  aber  wohl  nur  auf  einem  Versehen 
beruhen.)  Sehr  zweckmäisig  ist  es  ferner,  dafs  den  Übungsstücken 
für  jeden  einzelnen  Kasus  (mit  Ausnahme  des  Dativ)  wiederholende 
Stöcke  eingefügt  bezw.  beigegeben  sind.  Das  Elementarbuch 
könnte  daher,  soweit  die  gedachten  Forderungen  in  Betracht 
kommen,  röckhaltlos  empfohlen  werden;  doch  dürften  sich  seiner 
gröfseren  Verbreitung  aus  einem  doppelten  Grunde  Schwierigkeiten 
entgegenstellen. 

Die  erste  liegt  darin,  dafs  ein  Teil  des  Tertianerpensums  in 
systematischer  Behandlung  hineingezogen  ist.  Die  Abschnitte  I — III 
(S.  1 — 29)  nämlich  dienen  der  Einübung  folgender  Konstruktionen: 
Accusativus  cum  hilinitivo  (man,  Attribut,  Apposition,  relative  An- 
knüpfung); dicor,  iubear,  vetor,  videor,  Participium  coniunctum, 
Pronomen,  Ablalivus  absolutus.  prädikativer  Nominativ  und  Accu- 
sativ,  Kausal-  und  Konzessivsätze  {quod,  quia,  quarnquam^  cttin), 
dum  während,  postquam  nachdem,  ubi  u.  s.  w.  sobald  als,  Con- 
secutio  temporum,  abhängige  Fragen,  ut,  ne,  timeo  ne,  tum  dubito^ 
non  est  dubium  quin^  Gerundium  und  Gerundivum.  Es  liegt  mir 
durchaus  fern  behaupten  zu  wollen,  dafs  dem  Quartaner  zum 
Verständnis  des  Nepos  die  Kenntnis  der  aufgezählten  grammatischen 
Erscheinungen  nicht  notwendig  wäre.  Thatsächlich  wird  man  sie 
ja  auch  zum  Teil  schon  am  Schlufs  des  Quinta-  oder  heim  Be- 
ginn des  Quarta-Kursus  dem  Schüler  zu  vermitteln  duchen,  soweit 
es  eben  möglich  und  notwendig  ist.  Aber  bei  dem  beschränkten 
Mafse  an  verfugbarer  Zeit  wird  es  doch  in  der  Regel  eben  nur 
eine  propädeutische,  aber  nicht  eine  so  eingehende  Belehrung  sein 
können  und  dürfen,  wie  es  in  dem  Elementarbuche  geschiebt,  da 
für  Einzelheiten  und  besondere  Schwierigkeiten  solcher  Art  auf 
dieser  Klassenstufe  das  volle  und  bleibende  Verständnis  ohne 
Zweifel  kaum  vorauszusetzen  ist. 

Und  das  leitet  mich  zu  der  Besprechung  des  zweiten  Punktes 
über,  eines  Bedenkens,  dessen  auch  der  Verfasser,  wie  mir  scheint, 
sich  selbst  nicht  ganz  erwehren  konnte,  wenngleich  er  sich  aus- 
drücklich in  einer  Bemerkung  der  Vorrede  dagegen  verwahren 
will.  Er  giebt  zu,  dafs  vielleicht  einzelne  Sätze  auf  den  ersten 
Blick  für  Quartaner  zu  schwierig  erscheinen  dürften,  glaubt  aber, 
dafs  meist  schon  die  Vergleichung  mit  Mepos  die  Schwierigkeiten 
lösen  werde.  Sodann  meint  er  auch  der  Zeilrichtung  nicht  allzu* 
sehr  nachgeben  zu  dürfen;  wenn  die  Stücke  für  einen  Quartaner 
zu  schwierig  seien,  so  sei  es  der  Nepos  noch  viel  mehr.  Der 
Verfasser  übersieht  zunächst,  dafs  die  Übertragung  eines  fremd- 
sprachlichen Schriftstellers    ins  Deutsche   viel    weniger  Schwierig- 


aagei.  voo  P.  DoetHch.  23 

keiten  macht  als  das  Hinuberietzen  solcher,  weno  auch  noch  so 
«Bga  an  diesen  angelehnler  Übungsstücke.  Wenn  er  eine  gröi^sere 
bU  derselben  im  eigenen  Unterricht  verwertet  und  dieselben  in 
keiner  Weise  als  zu  schwierig  erfunden  hat,  so  mub  ihm  ein 
fani  Tonügliches  Schulermaterial  zu  Gebote  gestanden  haben,  wie 
man  es  im  Durchschnitt  nicht  finden  wird.  Man  versuche  einmal, 
nachfolgende,  als  Stichproben  herausgegriffene  Sätze  einer  Quarta 
fsrzalegen:  «,Es  ist  schon  geschehen,  wovon  du  vermutet  hattest, 
dals  es  gescbf^en  werde**  (S.  2).  „Auf  den  Inseln  .  . .  waren 
Leute,  von  denen  man  glaubte,  dafs  sie  . .  .  lebten**  (S.  5).  „Die 
Athener  haben  aus  Furcht,  von  euch  gehindert  zu  werden,  auf 
meinen  Rat  hinter  eurem  Kücken  (elam)  die  Mauern  erbaut.  Und 
dies  ist  nach  meiner  Meinung  (d.  e.  Verbum)  für  das  gesamte 
Griechenland  nicht  ohne  Nutzen  (Adj.)'*  (S.  20).  „Wisse,  dafs  ich 
gekommen  bin,  den  Ruhm  ...  zu  vermehren.  Daher  zweifle 
nicht  (also  auch  die  Form  des  negativen  Imperativs  ist  in  das 
Qnartapensum  hineingezogen!),  dafs  ich  .  . .  gehorchen  werde  .  .  • 
fnrchle  nicht,  dafs  ich  . .  .  nicht  sagen  werde  . .  .**  (S,  24).  „Da 
sprach  Tbemistokles,  wie  man  erzählt,  ungefähr  das,  was  er  nach 
dem  Berichte  andrer  geschrieben  haben  soll**  (S.  25).  „Auf  der 
Rückkehr  .  .  .  schien  es  ihm,  dafs  einige  Inseln  .  •  .  abfallen 
wollten*^  (S.  37).  „Diese  Nachricht  (durch  cerfiorem  fieri)  war  för 
mich  von  Wichtigkeit**  (S.  54).  Und  das  alles  ohne  Fufsnoten! 
Man  glaube  nicht,  dafs  es  vereinzelte  Fälle  solcher  Redewendungen 
sind,  man  wird  sie  fast  Seite  för  Seite  finden.  Allerdings  läfst 
der  Verfasser  sie  in  den  drei  ersten  Abschnitten  gründlich  ein- 
iben;  aber  um  nur  diese  allein  nachhaltig  durchzunehmen,  hat 
man  ungefähr  das  ganze  erste  Tertial  nötig.  Da  nun  aber  die 
Abschnitte  über  die  Kasuslehre  dergleichen  syntaktische  und 
stüistische  Regeln  immer  und  immer  wieder  bringen,  so  lassen 
sieh  diese  nicht  fibersetzen,  ohne  dafs  die  Übertragung  jener 
vorausgegangen  ist.  Wo  soll  man  aber  bei  sieben  Stunden,  von 
denen  im  ersten  Halbjahre  drei,  im  zweiten  vier  fOr  die  Lektöre 
des  Nepos  abgehen,  die  Zeit  dazu  hernehmen?  Übungen,  wie  sie 
hier  dem  Quartaner  zugemutet  werden,  gehören  in  das  Pensum 
der  Tertia  und  Sekunda;  dem  Quartaner  sind  die  meisten  der 
darin  enthaltenen  stilistischen  Regeln  nur  soweit  zu  vermitteln, 
als  es  durch  die  Übertragungen  ins  Deutsche  gefordert  wird. 
Attcb  einem  mittelmäfsigen  Sekundaner  wörde  die  Übersetzung 
der  Stacke  an  manchen  Stellen  recht  vieles  zu  fiberlegen  geben. 
in  einem  Anhang  wird  Übungsstoif  zu  den  Präpositionen  „an, 
aaf,  ans,  bei,  durch,  für,  gegen,  in,  mit,  nach,  fiber,  um,  unter, 
von,  vor,  wegen,  zu*'  in  den  mannigfaltigsten  Verbindungen  ge- 
boten, eine  Zusammenstellung,  die  ich  sehr  zweckmäfsig  finde 
und  deren  Ausnutzung  nicht  genug  empfohlen  werden  könnte, 
wenn  die  nötige  Zeit  zur  Verfögnng  stände,  was  aber  bei  der 
emeaerten  Beschränkung  der  Lateinstunden  kaum  noch  zu  hoffen 


24     Grosse,  Lateinische  Formenlehre  f.  d.  Aofang^sooterricht, 

ist.  In  einem  weiteren  Anbange  sind  ans  dem  Nepos  gesammelte 
Phrasen  in  folgender  Zusammenstellung  beigegeben:  i.  respubUca, 
eivüas,  2.  bellum,  fax,  imperium,  summa  imperii.  3.  iudicium. 
4.  res  privatae.  Ein  Wörterverzeichnis  endlich  bringt  die  für  die 
Übersetzungen  notwendigen  Vokabeln,  deren  Auswahl  zu  billigen, 
<]eren  durchgehende  Quantitätsbezeichnung  zum  mindesten  über- 
flüssig ist  (sogar  das  e  im  Inf.  Praes.  der  3.  Konjugation  ist 
durchweg  mit  dem  Quantitätszeichen  verseben).  Die  Aussprache 
soll  der  Schüler  mehr  durch  das  Gebor  als  durch  das  Auge  merken 
und  behalten  lernen. 

Ich  bedaure,  dafs  das  Clementarbuch  sich  nicht  auf  die  Kasus- 
lehre beschränkt  und  in  seinen  stilistischen  Anforderungen  für 
Quarta  vielfach  zu  weit  geht;  ich  wurde  4^s  sonst  ohne  Bedenken 
empfehlen  können,  da  es  im  übrigen  recht  geschickt  und  mit 
eifrigem  Bemühen  gestaltet  ist. 

Euskirchen.  P.  Doetsch. 

Grosse,  Lateinische  Formenlehre  für  den  Anfan^sa  nterricht. 
Wisseoschaftliche  Beilage  zum  Programm  des  Gynnasiams  za  Arn- 
stadt.    1893.     8.     IV  o.  42  S. 

Mafsgebend  ist  für  Grosse,  was  Fries  kürzlich  in  den  Lehr- 
proben über  den  Betrieb  des  lateinischen  Anfangsunterrichts  ge- 
äufsert  hat.  Den  von  Fries  in  zwölf  Hauptsätze  zusammengefafsten 
Gesichtspunkten,  die  als  das  ABC  für  jeden  Lehrer  der  Anfangs^ 
gründe  des  Lateinischen  bezeichnet  werden,  hofft  Grosse  mit 
folgenden  Vorschlägen  und  Ausführungen  zu  entsprechen: 

1.  Das  mechanische  Lernen  ist  zu  verwerfen,  wenn  eine 
grammatische  Erscheinung  durch  das  sogenannte  judiciöse 
Lernen  angeeignet  werden  kann.  Dies  glaubt  Grosse  durch  An- 
wendung der  gedruckten  Wandtafeln  für  Deklination  und 
Konjugation  und  durch  eine  andere  Anordnung  der  unregelmäfsigen 
Verba  erreichen  zu  können.  Die  Wandtafel  bleibt  so  lange 
hängen,  bis  die  Bildung  der  Formen  völlig  sicher  vor  sich  geht, 
dann  erst  wird  die  Endungs reihe  eingeprägt. 

2.  Nicht  zu  umgehen  ist  das  mechanische  Lernen  der 
Genus-  und  ähnlichen  Regeln;  doch  soll  auch  dies  Lernen  in 
der  Schule  stattfinden.  Beimregeln  sind  zweckmäfsiger  d.  b. 
leichter  zu  lernen  als  die  nach  wissenschaftlicher  Geschlechts- 
bestimmung gebildeten  Prosaregeln.  Grosse  hat  deshalb  den  aus- 
gedehntesten Gebrauch  von  Beimregeln  gemacht.  Er  verhehlt 
sich  nicht,  dafs  auch  diese  ,  noch  recht  unzweckniäfsig'*  sein 
können,  hollt  aber,  „von  letzterem  Vorwurf  nur  selten  getroffen 
zu  werden".  Wir  werden  ^ehen,  inwieweit  diese  Hoffnung  be- 
gründet ist. 

3.  Die  sogenannten  unregelmäfsigen  Stammformen  werden 
nach  den  Perfektstämmen  geordnet,  und  zwar  ohne  dafs  eine 
Anordnung    nach  Konjugationen  und  Präsensstämmen    dazwischen 


aogez.  von  R.  Scheok.  25 

(rilt,  um  d«n  Vorteil  jener  verwandtschaftlichen  Gruppierung  nicht 
wieder  einzubiifsen.  Aus  demselben  Grunde  werden  auch  die 
Deponentia  mit  eingereiht,  die  nicht  am  Schlüsse  des  Ganzen 
einhermarscliieren  dürfen.  Überhaupt  seien  die  regelmäfsigcn 
Deponentia,  weil  sie  leichter  seien  als  die  t3.  Konjugation,  in  die 
Seita  za  verlegen  —  entgegen  den  neuen  Lehrplänen! 

4.  Induktion  sei  für  die  Formenlehre  nur  da  anzuwenden, 
«0  sie  sich  angezwungen  darbiete,  z.  B.  in  der  Auffindung  der 
Eodungsreihen  der  Deklination  nach  einem  vorgeführten  Beispiel, 
Tor  allem  aber  in  der  Erkenntnis  der  syntaktischen  Regeln. 
Die  Formenlehre  werde  am  einfachsten  von  „Tafel  und  Mund  zu 
Auge,  Ohr  und  Mund''  eingeprägt. 

Man  wird  diesen  Grundsätzen  gern  beipflichten,  schon  aus 
dem  Grunde,  weil  sie  —  mit  alleiniger  Ausnahme  des  dritten  — 
längst  Bekanntes  und  Erprobtes  enthalten;  denn  dafs  die  Wand- 
tafel das  grammatische  Lehrbuch  in  der  Sexta  zum  gröfsten  Teil 
zu  ersetzen  habe,  da/s  gerade  auf  dieser  Stufe  der  Lehrer  dem 
Schüler  alles  sein  müsse,  ist  keine  neue  Entdeckung,  sondern 
eine  hoffentlich  überall  anerkannte  und  im  Unterrichtsbetriebe 
beherzigte  Wahrheit. 

Was  sodann  der  Verfasser  als  „Grammatik  für  neun-  bis 
zehnjährige  Knaben^'  vorfuhrt,  bedarf  noch  starker  Sichtung  und 
Beschränkung,  ehe  es  sich  zu  praktischem  Gehrauche  eignen 
könnte.  Die  Geschlechts-  und  Flexionsregeln  sind  so,  wie  sie 
Grosse  zusammengestellt  hat,  unmöglich  zu  erlernen.  Reimregcin, 
die  ins  Ohr  fallen,  findet  man  überhaupt  nicht;  die  meisten  sind 
Dar  durch  die  im  Druck  hervortretende  Slrophenform  als  „nicht 
prosaische'^  Regeln  erkennbar.  Nach  der  Vorbemerkung  des  Ver- 
fassers sollen  auch  die  Endungsreihen  eingeprägt  werden.  Die 
strophische  Form,  in  die  die  Gruppen  gebracht  sind,  weist  gleich- 
falls auf  eine  solche  Absiebt  des  Verf.s  hin.  Ich  meinerseits  mufs 
erklaren,  dafs  ich  die  Kinder  bedauere,  die  gezwungen  werden 
sollten,  sich  mit  den  Endungsreihen  von  S.  11  oder  gar  mit  den 
portenta  ac  prodigia  der  Endungsausnahmen  (S.  12  und  13)  abzu- 
quälen. Zudem  findet  sich  schon  im  Abschnitt  von  der  Deklina- 
tion manches  Verkehrte  und  Anfechtbare.  S.  8  wird  behauptet, 
dafs  die  Eigennamen  auf  im  im  Vokativ  „das  e  verlieren  und  so 
auf  I  endigen'*,  während  doch  das  vokativische  t  lang  und  aus 
ie  zusammengezogen  ist.  Die  Angabe  der  beiden  Fälle,  in 
denen  die  Genetivendung  um  statt  orum  üblich  ist,  gehört  nicht 
io  den  Anfangsunterricht.  Statt  dessen  hätte  es  sich  empfohlen, 
ein  Substantivum  auf  er  abzuwandeln  und  ein  Wort  über  die 
Abwerfang  des  e  vor  r  zu  äufsern.  Die  nach  einem  allzu  künst- 
lichen Schematismus  gegebenen  Regeln  über  die  Endungsausnalimon 
(S.  12.  13)  fuhren  u.  a.  noch  den  Ballast  caelebsy  pubes,  sospes, 
ti9mpo$,  wpersUs,  und  §  9  wird  in  der  Ilaupt-Geschlechtsregel  ge- 
lehrt, dafs  männlich  die  Wörter  auf  o  sind,   was  doch  gegen  alle 


26     (v rosse,  Lat.  Formeiil.  f.  d.  Au fangsanterr.,  ag;z.  v.  R.  Schenk. 

Ergebnisse  der  Statistik  ist  und  den  Grammatikern  der  neuesten 
Zeit  für  längst  abgethan  gilt.  Was  soll  ferner  dem  Gymnasiasien 
der  Unter-  und  Mittelstufe  die  Bemerkung  nützen,  dafs  Wörter 
wie  gnis  und  stis  weiblich  sind  und  sus  den  dat.  pl.  subus  bildet? 
Die  Abwandlung  von  Juppüer  und  eines  Adjektivums  im  Kom- 
parativ wäre  wünschenswerter  gewesen.  Übrigens  finden  sich 
grobe  prosodische  Verstöfse:  äcer  (S.  12  und  S.  17),  ds,  qssis 
(S.  10).  Wörter  wie  lex  sind  nach  ihrer  Quantität  bestimmt, 
während  solche  wie  bonus,  vetua^  pater,  mantcs,  kgo^  cado,  vento, 
sedeo,  veto,  dedi  u.  a.  m.  ohne  Bezeichnung  sind.  S.  21  genügt 
der  Satz:  ,Mille  ist  undeklinierbar**  nicht  zur  Charakteristik  dieses 
Wortes.  Woher  soll  der  Schüler  die  darauf  folgende  Verbindung 
mille  milites  im  Gegensatz  zu  duo  miUa  nalitum  begreifen?  Was 
sodann  die  pronomina  indeßnita  (S.  24)  anlangt,  so  ist  bei  diesen 
am  allermeisten  Beschränkung  zu  üben.  Noch  immer  halten  es 
Herausgeber  von  Schulgrammatiken  für  eine  heilige  Pflicht,  Wörter 
wie  quispianty  quisquam,  quüibet,  quivis^  unusquisque  etc.  mitzu- 
schleppen, die  in  eine  Syntax  gehören  oder  bei  ihrem  Vor- 
kommen in  der  Lektüre  zu  besprechen  sind.  Der  erfahrene 
Lehrer  weifs,  dafs  von  allen  grammatischen  Dingen  die  unbe- 
stimmten Fürwörter  dem  Schüler  der  Unter-  und  Mittelstufe  der 
schlimmste  Stein  des  Anstofses  sind.  Ihre  gedächtnismäfsige 
Aneignung  ist  übermäfsig  schwer,  und  ihr  Besitz  ein  totes  Kapital 
Dasselbe  gilt  von  der  Coniugatio  periphrastica  und  dem  Gerundium 
(S.  34).     Auch  diese  gehören  in  die  Syntax. 

Anerkennung  verdient,  dafs  Grosse  in  der  Vorführung  der 
„sogenannten  unregelmäfsigen  Stammformen**  sparsam  mit  Kom« 
positis  gewesen  ist.  Noch  besser  wäre  es  gewesen,  wenn  er 
Sachen  weggelassen  hätte,  die  längst  als  unrichtig  oder  tilgungs- 
wert erkannt  worden  sind.  Ich  nenne  folgende:  pango  ^=  padscar 
ich  sciiliefse  einen  Vertrag,  tensum,  paveo  —  patn^  tcto,  t)tso,  frandeo, 
scando  (statt  der  Komposita),  vello  (statt  der  Kompos.),  ntio  (dgl.), 
ruo  (dgl.),  abolesco,  snesco,  sapwi  und  soput,  cttum,  aUlumj 
molo  (mit  Stammformen),  vomo  (dgl.),  gemitum,  ingemüum,  frem- 
Ititn,  secaiums,  sonaiwus,  frico  (mit  Stammf.),  octulo  (dgl.), 
MTo  als  V.  Simplex,  mHo  (dgl.),  amtcto,  rep/tim,  nerptum, 
induUum,  ftigo  als  v.  simplex,  fructui  stim,  mtdeeo  als  v.  s.,  vado 
(dgl.),  rodo,  meto  und  gradior  (als  v.  simplex).  Warum  setzt 
aufserdcm  Grosse  viele  Formen  hi  Klammern?  Entweder  ist  die 
Bildung  der  Form  gestattet,  und  dann  wird  sie  dem  Schüler  als 
ein  Vollwertiges  mitgeteilt,  oder  sie  geht  nicht  an,  und  dann  wird 
sie  ganz  weggelassen.  Nicht  einverstanden  kann  ich  mich  überdies 
mit  einem  Verfahren  erklären,  das  den  Quintaner  zwingt,  bei  der 
Aneignung  der  Stammformen  von  arg^io  sich  statt  des  Supinums 
die  Vokabel  ^.argutus  =  sinnreich*'  zu  merken.  Wann  begegnet 
ihm  diese  in  seiner  Schullaufbahn?  Dann  erst,  wenn  er  sie  wieder 
wie    von    neuem    lernen    mufs.     Entweder  lasse   man    die  Form 


E.  ZiBmernaBQy  Latein.  Dbuiig^sbuch,  ags.  von  P.  Thümeo.     27 

ffyuhif  gani  aus  dem  Spiele  oder  gebrauche  den  Aasweg  mit 
§iXM$alnm.  Die  Nebenformen  von  edere,  die  Grosse  sämtlich  auf- 
führt, gehören  sichUefslich  ebensowenig  in  den  Anfangsunterricht 
irie  die  BildnDgen  nolunto,    euntOy   inquiebat,   inquies,   inquiet,  in- 

friaiit    otoi,    aiant^    aiebam   und    die  Präpositionen   ponSn   versuSj 

pAut,  earam. 

Ist  nach  dieser  Darlegung  der  Grossesche  Abrtfs    in   seiner 

gegenwärtigen    Gestalt   als   geeignetes   Lehrmittel    für  neun- 

bis  lehnjährige  Gymnasiasten  anzusehen?   Ich  glaube  nicht. 

Glückstadt.  Richard  Schenk. 


E.  Z  im  m  «  r  u  a  n  o  ,  ObuDgsbach  i  m  A  d  s  eh  I  a  fs  anCicero, 
Sallnst,  Livins  zum  mUodlichea  und  schriftiicbeo  übersetzen 
ans  dem  D«Dtscheo  ios  Lateinische,  nach  deo  Anforilerongen  der  neuen 
Lehrplaoe.  Zweiter  Teil.  ObuugsstUcke  im  Anschlufs  an  Cicero« 
Catilinariscbe  Reden  und  Sallosts  Versch^^oruog^  Catilinas.  Berlin 
1893,  R.  Gärtners  VerlagsbnehhaDdinDg  (Hermann  Heyfelder).  VI  n. 
134  S.  8.     1,20  H. 

Was  ich  zu  dem  ersten  Teile  dieser  Übungsbdcher,  der 
Ciceros  Ponipejana  entnommene  Stucke  enthält,  in  dieser  Zeit- 
sdirift  (1893  S.  30  und  31)  gesagt  habe,  gilt  im  wesentlichen 
auch  TOD  dem  vorliegenden  zweiten  Teile,  der  im  Anschlufs  an 
Qceros  Catilinarien  und  Sallusts  Verschwörung  Catilinas  bearbeitet 
worden  ist.  Auch  hier  wird  in  einem  im  ganzen  einwandsfreien 
Deutsch  Material  zu  Übungen  geboten,  das  sehr  wohl  geeignet  ist, 
dem  Geiste  der  neuen  Lehrpläne  entsprechend  die  Lektüre  zu 
oDterstötzen  und  zu  fördern.  Dennoch  fordert  die  äufsere  Ein- 
richtung des  Buches  wie  der  Charakter  der  Schriftwerke,  welche 
zu  Grande  gelegt  worden'  sind,  zu  einigen  Bemerkungen  auf, 
deren  Beachtung  die  Brauchbarkeit  des  Buches  erhöhen  dürfte. 

In  den  Lehrplänen  werden  der  Lektüre  der  Untersekunda 
„leichtere  Reden  Ciceros**  neben  Livius,  Vergil  und  Ovid  zuge- 
wiesen; erst  die  Obersekunda  soll  sich  mit  Sallust  neben  Livius 
and  aosgewählten  Reden  Ciceros  beschäftigen.  Jener  Klasse  also 
werden  die  Catilinarien  zufallen,  während  diese  erst  mit  den  beiden 
pöfseren  Werken  Sallusts  sich  zu  beschäftigen  haben  wird.  Ziehen 
wir  aus  diesen  thatsächlichen  Verhältnissen  für  unser  Obungsbuch 
die  notwendige  Schlufsfolgerung,  so  sind  die  Übungsstücke,  welche 
beide  Schriftwerke  berücksichtigen,  in  eine  zweite  Hälfte  des 
Boches  zu  verweisen,  oder  der  Lehrer  mufs  zu  der  Übersetzung 
die  nötigen  Anweisungen  aus  Sallust  geben,  oder  endlich,  der 
Scholer  müfste  angehalten  werden,  privatim  die  in  der  Überschrift 
angegebenen  Kapitel  aus  Sallust  zu  lesen.  Im  zweiten  Falle  wür- 
den diese  Übungen  nur  teilweise  den  Zweck  erfüllen,  der  Lektüre 
Förderung  und  Stütze  zu  gewähren;  der  dritte  würde  dem  Geiste 
der  neuen  Lehrpläne  nicht  entsprechen,  welche  ja  —  ob  unbe- 
dingt  zum  Heile?  —  die  häusliche  Thätigkeit  der  Schüler  auf  ein 


28     B-  ZimmermaoD,  Latein.  Übungsbuch,  agz.  voo  F.  Thnmeii. 

geringstes  Mafs  herabzusetzen  bedacht  sind.  Äufserdem  aber,  in 
welcher  Weise  meint  der  Verf.,  dafs  der  Schuler  sich  die  nötige 
Grundlage  filr  eine  Übersetzung  des  fünften  Übungsstückes  zum 
Beispiel  verschafft  habe,  das  aus  der  ersten  Rede  vier,  der  zweiten 
einen,  der  dritten  vier,  der  vierten  zwei  Paragraphen  und  äufser- 
dem ein  Kapitel  aus  Sallust  verarbeitet  hat?  In  welcher  Klasse 
soll  es  übersetzt  werden?  Sicherlich  könnte  dies  doch  erst  am 
Schlüsse  der  Obersekunda  geschehen;  und  wie  bei  diesem,  so 
liegen  die  Verhaltnisse  genau  in  derselben  Weise  bei  einer  grofsen 
Anzahl  von  Übungsstücken.  Auch  die  Frage  mag  hierbei  gestreift 
werden,  ob  wirklich  sämtliche  vier  Catilinarien  als  wünschenswerte 
Lektüre  zu  bezeichnen  sind.  Überblickt  man  die  Übungsstücke, 
so  liegt  die  Vermutung  nahe,  der  Verf.  habe,  wie  es  nach  den 
Lehrplänen  von  1882  zulässig,  der  Weisung  Schillers  (Handbuch 
der  praktischen  Pädagogik  S.  413)  folgend,  die  Catilinarischen 
Reden  in  unmittelbarer  Verbindung  mit  der  Catilinarischen  Ver- 
schwörung des  Sallust  lesen  lassen  und  sie  nicht  als  selbständige 
Lektüre  behandelt,  sondern  in  die  Lektüre  dieser  episodisch  an  den 
betreifenden  Stellen  eingefügt;  daraus  sei  dann  das  vorliegende 
Übungsbuch  entstanden,  das  nunmehr  der  Verteilung  der  Lektüre 
nach  den  neuen  Lehrplänen  nicht  mehr  ganz  entspricht.  Indessen, 
mit  den  vorstehenden  Bemerkungen  soll  die  Brauchbarkeit  des 
Buches  keineswegs  in  Frage  gestellt,  vielmehr  eine  mit  den  wirk- 
lichen Verhältnissen  der  Praxis  mehr  in  Einklang  stehende  Ein- 
richtung empfohlen  werden,  durch  deren  Einführung  jene  erhöhl 
würde.  Bei  der  Fülle  des  gebotenen  Materials  läfst  sich  eine 
solche,  stufenweise  fortschreitende  Gruppierung  der  einzelnen 
Übungsstücke  leicht  herstellen;  machen  wir  den  Versuch,  so  würde 
sich  die  Reihenfolge  ergeben:  Stücke  2.  3.  4.  15.  8.  9.  10.  13. 
22.  23.  27.  28.  29.  30.  31,  dann  unter  Heranziehung  der  zweiten 
Rede  Stück  16,  und  so  weiter  fort  unter  allmählicher  Verwertung 
des  zuOiefsenden  Materials.  Die  Stücke  96,  97,  100  z.  B.  würden 
etwa  unter  die  Nummern  20 — 30  fallen,  die  meisten  aber  von  39 
an  in  den  zweiten  Teil  des  Buches,  für  Obersekunda,  kommen, 
von  dem  vorher  die  Rede  war. 

Wenn  ich  bei  der  Besprechung  der  Pompejana  desselben 
Verf.s  bereits  andeutete,  dafs  ohne  Nachhülfe  des  Lehrers  manche 
Stücke  vom  Schüler  nicht  wohl  übersetzt  werden  könnten  trotz 
seiner  Bekanntschaft  mit  dem  Stoffe,  so  hat  sich  naturgemäfs  der- 
selbe Gedanke  bei  dem  vorliegenden  Buche  stärker  her  vorgedrängt. 
Denn  während  jene  nur  eine  Nach-  und  Umbildung  eines  rheto- 
rischen Schriftwerkes  bildet  und  somit  mehr  oder  minder  ausge- 
prägt rhetorische  Prosa  bietet,  haben  die  Catilinarien  und  besonders 
Sallust  häufig  Veranlassung  zu  Übungsstücken  historischen  Charakters 
gegeben,  in  welchen  demnach  die  historische  Periode  eine  grofse 
Rolle  spielt.  Sollte  der  Untersekundaner  wirklich  die  vielen 
„aber'\  „dadurch'%  „daher'*  ohne  Anleitung  durch  Periodisierung 


E.  Bachof,  XeoophQDs  Aotbasis,  angez.  voo  W.  GemoH.        29 

beseitigen,  sollte  er  deutsciie  NebeDsälze,  die  an  den  Schlufs  des 
SaUes  gesielll  worden  sind,  im  Lateinischen  aber  vorweg  ge- 
Dommen  werden  müssen,  aus  eigener  Wissenschaft  richtig  über- 
seilen?  Man  nehme  als  Beispiel  im  ersten  Stücke  den  Satz:  Auf 
Grund  dieses  strengen  u.  s.  w.  Durch  gesperrten  Druck  des 
^ber*  war  der  Schüler  leicht  auf  die  Beseitigung  dieses  W5rt- 
chftts  hinzuweisen,  und  auch  durch  eine  bestimmte  Angabe  zu 
veranlassen,  den  letzten  Satz  „damit  er  sich  gegen  den  Staat  nicht 
rähren  kdnne^^  vorweg  zu  nehmen.  Mit  der  Übersetzung:  q^w 
ex  tarn  vehemerUi  tamque  gravi  senatusconsulto  quamquam  Catüinaai 
nierlkere  poterat,  tarnen,  ne  contra  rempubltcam  se  commovere 
pessel,  .  .  fuiavit  erhalten  wir  dann  die  lateinische  Wortstellung: 
a:A  (b)  A.      Und  solcher  Beispiele  lassen  sich  viele  beibringen. 

Wenn  der  Verf.  nach  diesen  beiden  Richtungen  hin,  der  einen 
engeren  Anscblufs  an  den  Fortgang  der  Lektüre  suchenden  Grup- 
pierung   der  Stücke  und   der  Hinweisung  des  Schülers    auf   den 
Bau  historischer  Perioden,  das  Buch  einer  Revision  unterzieht,  so 
wird  sich  dessen  Brauchbarkeit,  die  hauptsächlich  in  der  zwang- 
losen Gestaltung    eines    sehr    reichen  Materials    unter    einer    ge- 
viigenden  Berücksichtigung  der  Grammatik  liegt,  meines  Erachtens 
bedeutend  erhöhen.   Er  verspricht  eine  ähnliche  Arbeit  aus  Livius, 
wie  man  vermuten  darf,  vornehmlich  aus  den  ei*sten  Büchern  der 
dritten  Dekade;  möchten  diese  Zeilen  auf  deren  Gestaltung  nicht 
ohne  Einflufs  bleiben. 

Stralsund.  F.  Thümen. 


XeaeplioBS  Ana  basis  für  den  Schulgebraurh  heraosgeben  von  E.  Bachof. 
2.  Aufläse.  TexUosgabe.  Paderborn  1892,  P.  Scböuiogh.  242  S.  8. 
1,20  M. 

Der  Verf.  versichert  in  der  Vorrede,  dafs  meine  Programme 
Kreuzburg  1888,  1889  —  der  3.  Teil  (Liegnitz  1890)  scheint  ihm 
unbekannt  geblieben  zu  sein  —  zu  einer  Nachprüfung  einzelner 
Stellen  des  Teites  Veranlassung  gaben.  In  der  That  hat  denn 
auch  sein  Text  vielfach  ein  anderes  Aussehen  als  der  Hugsche. 
Wo  unberechtigte  Athetesen  von  mir  angefochten  sind  oder  auf 
Cpr  zurückgegangen  wurde,  hat  Bachof  sich  meistens  ange- 
schlossen, so  11,7  dnoatrfvat  nqöq  Kvqov^  tovg  (Jbiv  avTCOv, 
2,  1  iSoxsi  ^dij  noQivta&a^  avztS  at^co,  6  olxovfAiptjv  xal 
(fdalftora,  13  iyrsv&ty  öi  iXavpsij  21  äykrixavov ,  ib.  d^o 
ifäfiysy^  3,  1  ifistyfv  6  Kvqoq,  6  ov  -i^ikete,  ib.  Ixayog 
olftat  slyat  «.  s.  w. 

DaCs  er  fremde  Konjekturen  selten  in  den  Text  aufge- 
nommen bat,  fver  wollte  ihm  das  verargen?  Sie  sind  nicht 
immer,  ut  vineta  egomet  caedam  mea,  andern  so  einleuchtend 
«ie  ihren  Urhebern.  Auch  war  die  Absicht  des  Hsgb.s  offenbar 
nielir  auf   einen    gut    lesbaren  Text  für  das  praktische  Bedürfnis 


30      K-  ScbeokI,  Übangsb.  z.  Ubers.  a.  d.  Qeiitschefi  i.  Griech., 

der  Schule  gerichtet  als  auf  blofse  Befriedigung  wahrer  oder  er- 
träunUer  Wissenschaftlichkeil.  Aber  dafs  er  1  4,  4  ifpeiCtfjteeiSap 
nvQyoi,  eine  gemeinsame  Konjektur  von  Hartmann  und  mir, 
nicht  aufgenommen  hat,  nehme  idi  ihm  doch  übel;  auch  I  7,  2 
ifjM  Tfi  [iTnovafi]  ^f^sQif  scheint  mir  immer  noch  so  plausibel 
wie  früher.  Die  Umstellung  I  4,  15  vfi>tp  di  fi6po$g  ns^^ofA^yo^g 
wg  niiStOTatoiq  verdanken  wir  wohl  Bachof  selber,  sie  ist 
recht  ansprechend;  ib.  konnte  meines  firachtens  W.  Böhmes 
Konjektur  €iq  (pqovqaq%iaq  (Fleck.  1893  S.  260)  aufgenommen 
werden. 

Alles  in  allem  mufs  Ref.  Bachofs  zweite  Ausgabe  eine  ver- 
besserte nennen,  da  der  Verf.  bescheiden  dies  unterlassen  hat; 
sie  ist  wohl  geeignet,  für  unsere  Schulen  empfohlen  zu  werden. 

Liegnitz.  Wilhelm  Gemoll. 


Karl  Scheokl,  Obangsboch  zani  Cbersetzen  aus  dem  Deutschea 
ios  Griechische.  Für  die  Klassen  des  Ober^ymoasioms  bearbeitet. 
Achte,  amgearbeitete  Anflape.  Wien  1893,  Tempsky.  IV  a.  197  S. 
1  fl.  20  kr. 

Die  achte  Auflage  des  griechischen  Übungsbuches  von  K.  Schenkl 
unterscheidet  sich  von  ihrer  Vorgängerin  recht  bedeutend.  Die 
Stucke  der  letzteren  zum  Übersetzen  aus  dem  Lateinischen  in  das 
Deutsclie  (Nr.  76 — 105,  148 — 183)  sind  sämtlich,  von  ihren 
„Übungen  für  Vorgerücktere**  viele  (Nr.  121 — 137)  fortgelassen; 
somit  sind  von  dem  alten  Bestände  aufser  den  Vorübungen  nur 
96  Stucke  (von  183)  in  die  neue  Auflage  aufgenommen.  Dagegen 
ist  neu  ein  Anhang  mit  80  Übungsstücken,  die  sich  an  die  Lek- 
türe anschliefsen.  Davon  setzen  die  ersten  37  die  in  Schenkls 
Chrestomathie  enthaltenen  Abschnitte  aus  der  Anabasis,  der  Cyro- 
pädie  und  den  Erinnerungen  des  Xenophon  voraus,  38 — 49  Scenen 
aus  den  letzten  vier  Büchern  desHerodot,  50 — 65  die  Philippischen 
Reden  des  Demosthenes,  66—74  Piatos  Apologie,  Kriton  und  eine 
Scene  aus  Phädon;  75 — 80  behandeln  die  ödipussage  und  sollen 
wohl  neben  der  Lektüre  des  ödipus  Rex,  ödipus  Colon,  und  der 
Antigone  übersetzt  werden.  Diese  Änderungen  waren  nach  dem 
Begleitworte  geboten,  „da  sicli  in  der  letzten  Zeit  die  Verhält- 
nisse bei  dem  Unterrichte  in  den  klassischen  Sprachen  wesentlich 
geändert  haben'',  in  der  That  müssen  diese  Änderungen  gar 
einschneidend  sein,  die  Seh.  veranlassen  konnten,  auf  die  Übungen 
im  Übertragen  aus  dem  Lateinischen  in  das  Griechische  voll- 
ständig zu  verzichten,  die  er  noch  vor  vier  Jahren  in  66  von 
183  Nummern  vorgenommen  hatte,  und  jHzt  an  80  von  176 
Nummern  Paraphrasen  des  Gelesenen  vorzulegen,  die  von  ihm 
früher  gänzlich  gemieden  waren.  Diese  Paraphrasen  enthalten  hin 
und  wieder  etwas  mehr  als  die  Vorlage:  Erklärungen  der  letzteren 
und  Erweiterungen,  die  aus  anderen  Quellen  fliefsen.  Nur  aus- 
nahmsweise schafft  Sdi.s  Phantasie  geradezu  Neues,  von  umfang- 


anget.  von  P.  WeifsenfeU.  31 

hwen  Zusitzen  abgesehen  in  den  Nummern  13 — 15  eine  Hede, 
die  aus  den  Ansprachen  des  Xenophon  an  die  Hauplleute  des 
Proxemi«,  an  die  Feldherren  und  Hauptleute  und  an  das  ver- 
sammelte üriegsvolk  zusammengeschweifsl  ist.  Die  Thatsache, 
dafs  diese  Ansprachen  nicht  in  dem  Mafse  wie  die  stenographi- 
schen Berichte  von  ParJamentsreden  Anspruch  auf  historische 
Glaiibwürdigkeii  erheben  dürfen,  mag  die  rhetorische  Fiktion  ent- 
iduldigen.  Auifallender  Weise  beginnt  sie  Seh.  mit  den  Worten: 
JSo  lange  nun  der  Vertrag  bestand**,  wie  73  die  Rede  des  So- 
krates:  ,,Wie  nun,  Heber  Kriton,  wenn**,  als  wolle  er  nur  Fort- 
lelzitngeii  liefern.  Das  ft*emde  Idiom  Jugt  hervor  aus  den  Worten 
in  44:  ,,Die  Athener  sandten  Männer  nach  Delphi,  um  den  Gott 
hinsichtlich  des  Krieges  zu  befragen,  wie  er  ausgehen  werde**. 
Von  dieser  Stelle  abgesehen,  zeigt  sich  Seh.  wieder  als  ein  Meister 
in  der  Handhabung  der  deutschen  Sprache,  und  zwar,  da  ja  der 
Text  zunächst  griechisch  gedacht  ist,  unter  erschwerenden  Um- 
sUnden. 

Die  Anmerkungen,  die  froher  den  einzelnen  Nummern  folgten, 
hat  Sc^enkl  jetzt  vereinigt  und  den  sämtlichen  Nummern  nach- 
gestellt; sie  bilden  nunmehr  den  Anfang  eines  zweiten  Teiles,  in 
dessen  Hauptteil,  das  deutsch-griechische  Lexikon,  zur  Entlastung 
der  Anmerkungen  der  frühere  lexikalische  Inhalt  der  letzteren 
aulj^oinnien  ist.  Mit  Hölfe  dieses  Lexikons  dörften  Schüler  der 
oberen  Klassen,  die  im  Übertragen  aus  dem  Deutschen  in  das 
Griechische  geübt  sind,  die  Vorlagen  um  so  mehr  treffen,  als  ja 
I  dodi  die  umschriebenen  Abschnitte  des  Schriftstellers  selbst  vor- 

her gelesen  sein  sollen. 

Wir  Preufsen  können  freilich  in  der  Schule  von  dem  ge- 
diegenen Buche  des  österreichischen  Gelehrten  keinen  rechten 
Gebrauch  machen.  Unsere  Untersekundaner  sollen  sich  aufser  der 
Sptax  des  Noroens  die  notwendigsten  Hauptregeln  der  Tempus- 
md  Moduslehre  aneignen.  Möglich  nun,  dafs  die  besseren  unter 
ihnen  einige  Sätze  der  Vorübungen,  d.  h.  der  Beispiele  zur  Ein- 
ölning  der  Moduslehre,  bei  mundlicher  Einöbung  dieser  Regeln 
ohne  gtofsen  Zeitaufwand  übertragen;  möglich  auch,  dafs  ihnen 
die  Paraphrasen  der  Anabasis  gelingen,  wenn  zumal  der  Lehrer 
etwa  vorausgesetzte  Regeln  aus  der  Lehi*e  vom  Infinitiv  und 
Partizip  seinerseits  nicht  voraussetzt.  Weiter  lassen  sich  jedeu'- 
Wh  4it  Grenzen  der  Verwendbarkeit  nicht  ziehen;  denn  die 
Übertragnngen  des  Schülers  aus  dem  Deutschen  sollen  nun  einma) 
an  den  Lesestoff  angeschlossen  werden,  die  aufser  der  Anabasis 
von  Seh.  berücksichtigten  Schriften  aber  werden  an  unseren  An- 
stalten erst  in  Klassen  gelesen,  in  denen  die  Übersetzungen  in 
das  Griechische  fortfallen.  Dagegen  ist  Lehrern  das  Studium  der 
Schenkischen  Übungen  zu  empfehlen;  denn  die  Vergleichung  des 
Ov^inals  nnd  der  Umschreibung  ist  ein  heilsamer  Kursus  des 
Cifscbmackes    in    der  Wahl  des  Ausdruckes   beim  Übersetzen  aus 


32  Lelir^aog  der  französiscbco  Sprache, 

dem  Griechischen  und  zeigt,  wie  sich  vernunftiger  Weise  bei  eigenen 
Versuchen  die  Paraphrase  zum  Original  verballen  mufs,  wenn  das 
Übersetzen  in  das  Griechische  noch  etwas  mehr  als  Ketrovertieren 
sein  soll. 

Ziillichau.  P.  Weifsenfels. 

LehrgtLBg  der  fraozösischeo  Sprache  für  die  ersten  Aofaog^s- 
grüode  des  Unterrichts.  Zweite  Aaf Jage.  Berliu  1893,  Mittler  & 
Soho.     VllI  u.  168  S      1,70  M. 

Das  vorliegende,  ohne  Angabe  des  Verfassers  veröden ilichte 
Werk  genügt  insoweit  den  Anforderungen,  die  man  an  moderne 
Erschjeinungen  auf  dem  Gebiete  der  neusprachlichen  Schullitteratur 
zu  stellen  gewöhnt  ist,  als  auch  in  ihm  der  Lernstoff  ebensowohl 
für  die  grammatische  Schulung  wie  insbesondere  für  die  Er- 
werbung eines  im  täglichen  Leben  verwendbaren  Wortschatzes 
eingerichtet  ist.  £s  ist  ferner  nicht  im  mindesten  zweifelhaft, 
dafs  der  nach  diesem  Buche  unterrichtete  Schuler  —  vorausgesetzt 
immer  den  verständigen  Lehrer  —  zwar  langsam,  aber  sicher 
das  Ziel  erreicht,  das  der  Verfasser  zu  erreichen  beabsichtigt.  Ja, 
man  dürfte  nicht  leicht  einem  Buche  begegnen,  in  dem  der  Lern- 
stoff so  mundgerecht  gemacht  ist,  wie  hier.  Fast  ein  jedes 
Sätzchen  ist  in  einer  so  einfachen  Form  gegeben,  dafs  es  so 
gerade  am  bequemsten  im  Alltagsgebrauche  angewendet  werden 
kann,  und  der  Inhalt  entspricht  ebenfalls  unbestreitbar  dem  All- 
tagsbedürfnisse. Sätze  wie:  II  a  une  motitre  (Lektion  1),  Le  rot 
est  dans  la  ca^pitale,  La  lampe  est  dam  la  cmsine,  Avez-vous  vu  le 
tapis  dans  le  salon?  (L.  3).  Tu  as  faü  une  faute  dans  la  version 
(L.  3),  Ta  Cousine  est  d  Vecole  (L.  4),  Ou  as-tu  faü  tes  devoirs, 
Marie?  J'ai  fait  mes  devoirs  dans  ma  chambre  (L.  6),  Gelte  ecurie 
est  sah  (L.  9),  Nou;s  avons  une  veilleuse  dans  notre  chambre  ä 
coucher  (L.  12),  Cet  oeuf  est  mauvais  (L.  23),  Je  n'ai  pas  pris  de 
bain  d  cause  du  mauvais  temps  (L.  23),  Ecoutez  donc  comme  cet 
enfant  recüe  bien  sa  poesie  (L.  59),  Les  fruits  q}ie  Us  enfants  ont 
manges  sont  de  noire  jardin  (L.  60)  folgen  sich  in  schier  ununter- 
brochener Reihe  von  der  ersten  bis  zur  letzten  der  160  Seiten 
des  Werkchens.  Und  wie  wird  der  Schüler  in  diese  Sätze  ein- 
geführt, wie  wird  ihm  der  Lehrstoff  so  handlich  dargereicht.  Von 
grammatischem  Material  lernt  er  in  der  ersten  Lektion  als  aus- 
giebigstes Mittel  für  die  Bildung  von  Sätzen  das  Präsens  von  avoir 
kennen,  in  Lektion  2  dasselbe  in  fragender  Form,  Lektion  3 
bringt  Nominativ  und  Akkusativ  des  partitiven  Artikels,  Lektion  4 
die  erste  und  zweite  Person,  wohlweislich  nicht  gleichzeitig  die 
dritte  des  possessiven  Pronomens,  die  erst  in  Lektion  5  folgt. 
Die  Schwierigkeiten,  die  sich  dem  Anfänger  entgegenstellen,  sind 
soweit  berücksichtigt,  dafs  in  diesem  letzteren  Abschnitt  beispiels- 
weise so  gut  wie  keine  neuen  Vokabeln  aufUeten,  wohingegen 
die  nächste  Lektion    bei    neuen  Vokabeln    keine  Vermehrung  des 


mngez.  von  M.  Banoer.  33 

grammatischen  Materials  bietet.  Und  so  zeigt  sich  durchweg  der 
Torsichiig  und  bewufst  seinem  Ziele  zuschreitende  Führer.  Viel 
pädagogischen  Takt  verrät  die  Beschränkung  der  mit  accent 
circonf  lexe  versehenen  Worte  im  Buche  auf  L.  8  und  L.  54. 
la  L.  8  treten  zum  ersten  Male  Wörter  mit  diesem  Accent  auf, 
und  zwar  zweiundzwanzig  an  der  Zahl,  und  nur  diese  allein.  Sie 
werden  dadurch,  dafs  sie  zum  ersten  Mal  und  gleich  in  solcher 
Menge  zusammengestellt  und  abgesondert  von  anderen  Wörtern 
erscheinen,  dem  Schöler  sich  als  etwas  Besonderes  einprägen, 
und  wenn  sie  dann  auch  in  den  Sätzen  der  folgenden  Lektionen 
selbstverständlich  fortwährend  mit  anders  accentuierten  Wörtern 
antermischt  erscheinen,  bleiben  sie  doch  dem  Schüler  vom  ersten 
Eiodrack  her  als  mit  einer  besonderen  Eigentümlichkeit  behaftet 
im  Gedächtnis;  hört  er  sonst  irgendwo  den  offenen  e-Laut,  so 
wendet  er  ohne  weiteres  mit  sicherem  Griffe  den  accent  grave 
an.  Erst  L.  54  bringt  dann  eine  neue  Reihe  von  Wörtern  mit 
accent  circonflexe  wieder  isoliert  von  anderen  Vokabeln.  Wo 
bei  Yerbalformen  der  ^  vorkommt,  da  wird  er  in  roter  Farbe, 
also  auch  da  in  einer  sinnfälligen  Form  gegeben.  Wie  hier  das 
Mittel  der  „memoria  localis'*  wirksam  benutzt  wird,  so  noch 
viel  hervortretender  in  einer  anderen  höchst  nachahmenswerten 
Einrichlung  des  Buches,  die  sich  meines  Wissens  in  ihm  zum 
ersten  Mal  durchgeföhrt  findet.  Jeder  Lehrer  des  Französischen 
weils,  welch  eine  unerschöpfliche  Quelle  von  Fehlern  die  Ver- 
wechslung des  Geschlechts  bei  unseren  Schulern  bildet.  Noch  so 
sorgfaltiges  Einprägen  der  Substantiva  in  unlösbarer  Verbindung 
mit  ihrem  Artikel,  noch  so  fleifsiges  Erlernen  von  Genusregeln 
kann  diesem  Obel  nicht  wirksam  steuern.  Wie  willkommen  mufs 
hier  nun  ein  Bundesgenosse  sein,  den  in  so  einfacher  und  doch 
zweifellos  wirksamer  Art  das  Lehrbuch  selbst  bietet,  indem  es 
von  der  ersten  bis  zur  letzten  Seite  hindurch  die  den, Lektionen 
beigegenenen  Vokabeln  durchweg  nach  links  und  rechts  in  Mascu- 
üoa  und  Feminina  scheidet;  der  Schüler  erinnert  sich  des  Sub- 
stantivs als  auf  der  linken  Hälfte  der  Seite  stehend,  also  betrachtet 
er  es  ohne  weiteres  als  männlich,  und  umgekehrt.  Auch  sonst 
suchte  der  Verfasser,  alles  andere  eher  als  Regeln  zur  Belehrung 
heranzuziehen.  Dieser  Umstand  freilich,  und  noch  viel  mehr  die 
Art,  wie  die  wenigen  Regeln,  die  gegeben  werden,  abgefafst  sind, 
Üist  darauf  schliefsen,  dafs  das  Budi  von  dem  Autor  hauptsäch- 
lich auf  Zöglinge  niederer  Schulen  berechnet  ist.  Zunächst  ist 
die  Terminologie  gegen  die  Bestimmungen  in  den  „Lehrplänen  für 
die  höheren  Schulen  vom  Jahre  1892''  vielfach  die  in  den  Volks- 
schulen gebrauchte  deutsche,  nicht  die  in  höheren  Schulen  für 
alle  Sprachen  gemeinsame  lateinische.  So  heifst  es  z.  B.  Seite  61 : 
Die  französischen  Verhältniswörter  regieren  immer  den 
4.  Fall  und  nicht  wie  im  Deutschen  verschiedene  Fdite. 
Völlig  unwissenschaftlich  und  etwa  in  dem  vorsündflutlichen  Stile 

Zeitedir.  t  d.  0/maMialw6Mm  ILVIO.    1.  3 


34  LehrgaDfp  der  fraozösiseheo  Sprache, 

der  englischen  Grammatik  von  Plate  sind  Regeln  wie  folgende: 
In  Bezug  auf  das  Wetter  wird  sein  stets  mit  faire  über- 
setzt (Seite  36).  Interrompre  nimmt  in  der  dritten  Per- 
son des  indicatif  present  ein  t  an  (S.  97).  Was  ist  das 
participe  passei  es  ist  diejenige  Form  des  Zeitwortes, 
welche  manchmal  als  Eigenschaftswort  angewendet 
wird  (S.  155).  Wir  haben  gesehen,  dafs  wir  bei  einigen 
Verben  die  persönlichen  Fürwörter  im  3.  Fall,  bei 
einigen  im  4.  Fall  anwenden;  bei  sehr  vielen  Verben 
kann  man  nun  die  persönlichen  Fürwörter  auch  in 
beiden  Fällen  anwenden,  je  nachdem,  was  man  auszu- 
drücken wünscht  (S.  140).  So  veranlafst  das  an  sich  löbliche 
Streben  des  Verfassers  nach  gemeinverständlicher  Erklärung  den- 
selben bei  der  Erörterung  des  participe  passe  noch  zur  Aufstellung 
einer  geradezu  unrichtigen  Regel  (S.  158),  von  der  er  dann  (S.  159) 
eine  Ausnahme  konstatieren  mufs,  die  aber  als  solche  nirgends 
anerkannt  werden  dürfte.  Unrichtig  gefafst  ist  auch  die  Regel: 
die  Wörter  auf  al  nehmen  im  Plural  aux  an  (S.  16), 
während  zwei  Seiten  vorher  richtig  zu  lesen  ist:  die  Wörter 
auf  au  und  eu  nehmen  im  Plural  x  statt  8  an.  All  diese 
Regeln  finden  sich  mit  wenigen  Ausnahmen  nur  ganz  gelegent- 
lich, gewöhnlich  in  kleinem  Druck  unter  der  Seite  beigegeben; 
demnach  ist  also  von  einer  Übersicht  über  grammatische  Katego- 
rieen  nicht  die  Rede,  und  es  ist  leicht  zu  begreifen,  dafs,  wie 
auf  der  einen  Seite  Wiederholungen  (siehe  S.  2  und  S.  19),  so 
auf  der  anderen  sich  Lücken  finden.  So  z.  B.  hört  der  Schüler 
zwar,  dafs  ein  h  muette  als  gar  nicht  vorhanden  be- 
trachtet wird  und  dafs  man  V  davor  setzt,  die  ent- 
sprechende Behandlung  des  pronom  possessif,  des  pronom  äimon" 
stratif  und  anderer  Wortarten  aber  in  solchem  Falle  mufs  er  sich 
selbst  zurechtlegen. 

Doch  nun  zu  dem  Übuogsmaterial,  den  Sätzen!  Der  Verfasser 
verteidigt  ja  die  Eigenart  seines  Buches,  die  es  auf  diesem  Ge- 
biete zu  allen  modernen  Erscheinungen  in  Gegensatz  bringt;  er 
bat  den  Mut,  heute,  wo  alles  von  Anfang  an  nach  zusammen- 
hängenden Stücken  verlangt,  ein  Buch  ausnahmslos  mit  Einzel- 
sätzen zu  bieten,  und  er  giebt  seine  Gründe  dafür  an.  Ob  die- 
selben aber  stichhaltig  sind,  das  ist  noch  die  Frage.  Von  vornherein 
möchte  ich  weder  zugestehen,  dafs  der  geistige  Inhalt  eines  zu- 
sammenhängenden Stückes  notwendig  weniger  einfach  sein  mufs 
als  der  von  Einzelsätzen,  noch,  dafs  mit  ausschliefslichcr  Berück- 
sichtigung des  bereits  gebrachten  Stoffes  keine  zusammenhängende 
Erzählung  sich  bilden  läfst.  Aber  auch  wenn  ausschliefslich  Sätze 
geboten  werden  müfsten,  wofern  die  vom  Verfasser  für  sein  Buch 
in  Anspruch  genommenen  Vorzüge  erhalten  werden  sollten,  so 
könnte  ich  mir  auch  einen  solchen  Übungsstoff  doch  mindestens 
interessanter  gestaltet  denken,  als  dies  in  dem  vorliegenden  Buche 


mngez,  van  M.  B^anoer.  35 

der  Fall  ist.    Durch   die  Konzentrierung  des  Inhalts  von  sämtlichen 
Satien  eioer  Lektion  auf  einen  an  der  Spilze  derselben  genannten 
Gegenstand  hatte  sich  ohne  Muhe  überalJ  eine  Aneinanderreihung 
wenigstens  eines   Teils  derselben   bewerkstelligen   lassen,   die  den 
Eindruck  eines   zusammenhängenden  Stückes   gewährt     Es   hätte 
dann  auch  im   Rahmen   des  einfachen  Wortschatzes,   wie  ihn  das 
Buch  enthalt,    hier  und  dort  ein  Sätzchen  von  allgemeinerer  Be- 
ieuiung«  ein  Spruchwort,  ein  Sinnspruch,  ein  Wortspiel  sich  ein- 
igen lassen.     Wie  belebend  hätte  nicht  wenn  man  von  längeren 
Stucken  ganz  absehen  wollte,  ein  Rätselchen,  ein  kleines  Gedicht, 
«De  kurze  Anekdote  gewirkt.   Müssen  nicht  dem  gegenüber  lange 
Heiken    iron     kurzen    Sätzen    gleichgültigsten    Inhalts    über     die 
keterogensten  Gegenstände  auch  den  eifrigsten  Schuler  ermüden? 
Man  schlage  beispielsweise  I^ktion  9  auf.   Da  lautet  der  11.  Satz: 
Ce  pajfson  a  faii  le  foin  dam  les  champs,   Satz  12:   Mes  enfatUs 
acez-voug  de  ja  appris  vos  fahles?  Non,  nou$  n'avons  pas  appris  nos 
fakk$,  Satz  13:  Avez-vous  vu  man  ami?  Non,  monenfafU,  je  n*ai 
pa$   ou    ton   ami,    Satz  14:    Avez-vous  hu  de  cette  ean?   Non,  les 
ammaux  ant  bu  de  cette  eau,    Satz  15:   Dans  ma  chambre  ü  y  a 
pluskwrs  souris,  u.  s.  w.   Genau  dasselbe  Bild  bieten  die  deutschen 
Sätze.    In  Bezug  aber  auf  diese  letzteren  möchte  wohl  die  Mehr- 
zahl der  -Fachgenossen  im  Gegensatz  zu  des  Verfassers  persönlicher 
Anschauang    auf  die  Seite  derjenigen   treten,    von  denen    es    im 
Vorwort  zur  2.  Auflage  heifät  dafs  sie  die  Obungssätze  in  besseres 
Deutsch  gebracht  zu  sehen  wünschen.   Oder  wer  würde  das  nicht 
wollen,  wenn  er  Sätze  liest,  wie  Lektion  3,  15:  Hast  du  gemacht 
Fdkler  in  der  Übersetzung?   Ja,  ich  habe  gemacht  Fehler,    Lektion 
4.  13:  Ich  habe  endlidt  gefunden  den  Korb  meiner  Mutter,  Lektion 
5«  5:    Deine  Freundin   hat   sie  gesehen  die  Königin  in  der  Stadt? 
Lektion  5,  23:  Haben  Sie  gefunden  Ihren  Neffen  in  seinem  Zimmer? 
Ja,  ich  habe  gefunden  Karl  in  seinem  Zimmer,   Lektion  15, 13:  Im 
Herbst  mein  Grofsvater  ist  mmer  auf  dem  Lande,  aber  im  Winter 
€r  ist  in  der  Stadt.   Wir  mufsten  anders  geartet  sein  als  wir  sind, 
wenn  uns  nicht  derartig  falsche  Wendungen,  oft  wiederholt,  ebenso 
gut  im  Gedächtnis  haften  sollten  wie  das  Richtige.   Und  so  sicher 
gefestigt   ist  denn  doch    das  Kind,   für  welches    dieser  Leitfaden 
bestimmt  ist,  noch  nicht  in  seinem  Deutsch,  dafs  es  nicht  durch 
derartige  Mifsbildungen    irregeführt  werden  sollte.     Nun  sagt  der 
Verfasser  darüber  in  der  Vorrede  (S.  VI) :    „Die  Ausdrucksweisen 
beider  Sprachen   sind    eben   so  verschieden,    dafs  gutes  Deutsch 
wörtlich  übersetzt  ebenso  wenig  gutes  Französisch  geben  wird  als 
wörtlich  aus  dem  Französischen  übersetztes  Deutsch  jemals  gutes 
Deotsch  sein  wird.  Mufs  nun  eine  der  beiden  Sprachen  darunter 
leiden,  so  ist  der  Verfasser  der  Meinung,  dafs  es  nicht  ungerecht- 
krtigt   aej,   in    einem   Lehrbuche  der  französischen  Sprache   die 
Ruckflicht  auf  gutes  Französisch  den  Ausschlag  geben  zu  lassen'*. 
Wie  aber,  wenn  man  in  der  Lage  wäre,  keine  von  beiden  Sprachen 

3* 


36    Celebrated  Meo  of  Eoglaad  and  Scotlaad,  ag^z.  y.  E.  Goerlieh. 

leiden  zu  lassen?  Und  in  der  That  hat  diese  Alternative,  vor  die 
man  sich  gestellt  sah,  einer  von  beiden  Sprachen  zu  nahe  zu 
treten,  mit  dahin  geführt,  aus  dem  Französischen  direkt  ohne 
Vermittlung  durch  das  Deutsche  das  Französische  erlernen  zu 
lassen.  Und  so  wenig  ich,  vermutlich  in  völh'ger  Obereinstimmung 
mit  dem  Verfasser,  für  das  Erlernen  der  französischen  Sprache 
aus  chrestomathieartig  zusammengesetzten  Lehrbüchern,  so  wenig 
ich  für  eine  völlige  Beseitigung  deutscher  Übungen  bin,  so  richtig 
erscheint  es  mir  doch,  den  Anfänger  ohne  jedes  Zwischenglied  in 
den  freien  Gebrauch  der  fremden  Sprache  einzuführen.  Wie  das 
zu  machen  ist,  dazu  brauche  ich  nicht  auf  mein  eigenes  Lehrbuch 
hinzuweisen;  eine  ganze  Zahl  von  den  in  den  letzten  Jahren  er- 
schienenen und  in  den  Schulen  mit  Erfolg  benutzten  französischen 
Unterrichtsmitteln  dürfte  für  die  Möglichkeit  einer  solchen  Unter- 
weisung sprechen.  Was  den  besseren  unter  jenen  Büchern  ihren 
besonderen  Wert  verleiht,  ist  der  Umstand,  dafs  sie  durch  die 
Eigenart  ihrer  Übungsstücke  von  vornherein  und  bis  zum  Schlufs 
den  Schüler  zum  Behalten  des  aufgenommenen  Materials  anregen 
und  zur  Aufnahme  neuen  Stoffes  reizen.  Ob  man  nach  dem  vor- 
liegenden Buche  mit  dem  gleichen  Genufs  und  der  gleichen 
Freudigkeit  arbeiten  kann  wie  nach  den  angeführten,  ist  wohl  mit 
Fug  zu  bezweifeln.  Jene  Bücher  sind  es  auch,  die  den  Lehrer 
zwingen,  seine  Persönlichkeit  hervortreten  zu  lassen  und  dieselbe 
an  die  Stelle  des  Budies  an  den  ersten  Platz  zu  setzen,  indem 
sie  den  in  jenen  gebotenen  StoiT  erst  zum  Leben  erwecken,  in- 
dem sie  ihn  schöpferisch  ausgestalten,  indem  sie  selbst  das  Beste 
dazugeben.  Das  vorliegende  Werkchcn  aber  ist  der  in  seine  alten 
Rechte  eingesetzte  papierene  Schulmeister, 

Die  äufsere  Ausstattung  des  Buches  genügt  allen  Ansprächen; 
das  Papier  ist  gut,  der  Druck  sauber  und  deutlich,  der  Einband 
haltbar.  Druckfehler  sind  mir  nur  an  wenigen  Stellen  aufgestofsen: 
Seite  4,  Zeile  1  von  unten  ist  die  cidille  zu  weit  nach  oben  ge- 
druckt; S.  11,  Z.  14  von  unten  fehlt  ein  trau  d'union  zwischen  a 
und  t'On\  S.  25,  Z.  2  von  unten  fehlt  ein  Interpunktionszeichen 
hinter  freres\  S.  65,  Z.  11  von  unten  fehlt  ein  Punkt  hinter  hwint9\ 
S.  130,  Z.  11  von  oben  mufs  es  nom  aper^mes  heifsen  statt  nous 
aper^ütnent.  Zwei  weitere  Fehler  berichtigt  das  Verzeichnis  auf 
Seite  168. 

Frankfurt  a.  M.  M.  Banner. 


1)  Celebrated  Men  of  En^^laDd  and  Scotlaod.  Herausgegebea  von 
0.  Schulze.  Dresden  1892,  Gerhard  Kühtmann.  (TexUu&gabeo 
franz.  n.  engl.  Schriftsteller  für  den  Schul^ebraoch).  84  S.  0,85  M. 
Wörterbuch  dazu.     55  S.     0,35  M. 

Mit  der  Herausgabe  dieses  Bändchens  von  Lebensbeschreibungen 
berühmter  Männer  hat  sich  0.  Schulze  den  Dank  vieler  Lehrer 
erworben.     Die  Auswahl   für  die  englische  Lektüre    des   zweiten 


Auswahl  ans  Byroo,  an^ez.  vod  E.  Goerlich.  37 

Uoterrichtsjahres    ist    nicht   grofs;   und  wenn    man  erwagt,    wie 

bngsam  die  Lektüre  in  dem  zweiten  Jahre  fortschreitet,  und  wie 

schwer    es    ist,    bei    einheitlicher  Lektüre    den   Forderungen    der 

Lehrpline   zu    genügen,    so  kann  man  sich  nicht  wundern,  wenn 

nun    aaf  dieser  Stufe    dem  Lesebuch    gegenüber  der  zusammen- 

bangenden  Lektüre  den  Vorzug  giebt.   Die  vorliegende  Zusammen- 

stellang  ist  im   Grunde  ja  auch  ein  kleines  Lesebuch.    Sie  giebt, 

vie  der  Titel   anzeigt,  eine  Reihe  von  Biographieen  und  zwar  von 

Minnern    in    den  verschiedensten  Berufsstellungen:    Wir  erhalten 

da  Einzelheiten    über   das  Leben    des  Ad mirals  Nelson,    des 

Afrikaforscbers  Livingstone,  des  Generals  Gordon,  des 

Physikers  Newton,  der  Ingenieure  Watt  und  Stephenson 

und  des  Königs  Alfred. 

Giebl  die  so  getroffene  Auswahl  einerseits  dem  Schüler  ein 
treffliches  Material,  um  sich  einen  vielseitigen  und  reichhaltigen 
Wort-  und  Phrasenschatz  anzueignen,  so  ist  sie  andererseits  auch 
so  recht  geeignet,  das  Interesse  des  Schülers  rege  zu  halten  und 
ihn  zn  immer  gröfserem  Eifer  anzuhalten.  In  lebendigem,  klarem 
ond  fliefsendem  Englisch  geschrieben,  entwerfen  uns  diese  Bio- 
graphieen ein  frisches,  anschauliches,  mit  anmutigen  Anekdoten 
reich  geschmücktes  Lebensbild  von  Männern,  die  auf  die  Ge- 
schicke Englands,  Europas,  ja  der  ganzen  Welt  von  hervorragen- 
dem Einfiafs  gewesen  sind,  und  für  die  sich  unsere  Jugend  stets 
begeistern  wird.  Gerade  die  Klarheit  und'  Einfachheit  des  Stils 
lafst  diese  Lesestücke  besonders  auch  zum  Abhalten  von  Sprech* 
äbangen  geeignet  erscheinen. 

Das  beigegebene  Wörterbuch  giebt  aufser  der  Bedeutung  der 
Wörter  deren  Aussprache  in  einer  leicht  verständlichen  Lautschrift. 
Maogelbaft  bezeichnet  erscheint  mir  das  ganz  offene,  lange  e  in 
mr,  rare  u.  s.  w.,  welches  mit  dem  e  in  hed  durch  die  Bezeich- 
Dang   auf   gleiche  Stufe   gestellt  wird.     Bei  flüchtiger  Durchsicht 


fielen  mir  auf:    dufMiy  [klemsi 
rtätiance  [risistans],  re$oluti<m 


epaulets  [ppolets],  peruse  [paruz] 

1*  —  «  1       A*  T  I*  -'V  1 


resaljiisan 


,  revolution  [revoljiisan], 


S^mersetskire  [semasetSja],  volume  [völj9m],  Zanzibar  [zamibid]. 

3)  Aoswthl  aus  Byroo:  Childe  Harold  (III  und  IV),  Prisoner  of  Chillon, 
Hazeppa.  Heraosgeg^ebeo  vod  J.  Heng^esbach.  Dresden,  Gerharp 
RöbtmaDD,  1892.  (Textau8§^abea  fraoz.  a.  en^l.  Scbriftsteller  für  den 
Seholg^ebrauch.)     VIIl  o.  116  S.     1,00  M. 

Gerade  J.  Hengesbach  war  für  die  Herausgabe  einer  Aus- 
wahl aus  BtfTon  befähigter  als  kaum  ein  anderer.  Schon  im  Jahre 
1S88  hatte  er  in  seiner  Programmarbeit:  „Shall  we  read  Lord 
Bfnm  in  cur  classes,  and  which  of  his  works?'*  den  Beweis 
geliefert,  wie  vertraut  er  mit  dem  Dichter  ist,  und  wie  ein- 
gehend er  dessen  Werke  gerade  in  Rücksicht  auf  die  Schul- 
lektöFe  durchstudiert  hat.  Damals  war  er  der  Ansicht,  dafs  nur 
aasgewählte  Stellen  aus  Childe  Harold  und  den  lyrischen  Dichtungen, 
inid  von  den  erzählenden  Dichtungen  nur  Mazeppa  als  Schullektüre 


3S     C-  Gurcke,  Engl.  Elementar-Lesebach,  agz.  v.  E.  Goerlteh. 

zulässig  wären.  Nicht  einmal  der  vieigelesene  Prisoner  of  Ckillon 
fand  vor  seinem  kritischen  Auge  Gnade.  So  sehr  er  anch  den 
poetischen  Wert  anerkannte,  so  vermifste  er  darin  Handlung  und 
Bewegung  und  vor  allem  künstlerischen  Aufbau.  Die  damals  ver* 
tretene  Ansicht  hat  der  Uerausf^eber  nun  insofern  geändert,  als 
er  nicht  einzelne  Stellen  aus  Chüde  Harold,  sondern  mit  Aus- 
lassung einer  Reihe  den  Gang  der  £rzähluog  nicht  auftialtender 
Betrachtungen  den  III.  und  IV.  Gesang  im  Zusammenhang  ab- 
druckt und  auch  den  Prisoner  of  CkiUon,  „dieses  Meisterstück 
Ton  Seelenmalerei'',  den  Schülern  nicht  vorenthalten  will.  Die 
getroffene  Auswahl  ist  in  der  Ttat  eine  glückliche  zu  nennen. 
Wenn  in  I  neben  Shakespeare  überhaupt  noch  Zeit  übrig  bleibt, 
längere  Abschnitte  aus  Byron  zu  lesen,  so  wird  man  gern  zu 
dieser  Auswahl  greifen. 

3)  Gottfried  Gurcke,  Eoglisches  Elementar-Lesebach.  Neu  be- 
arbeitet u.  vermehrt  von  Chr.  Lindemano.  EiDOodzwaozigste  Auf- 
lage.   Hamburg,  Otto  Meifsaer,  1893.    IV  u.  266  S.     1,60  M. 

Es  ist  schwer,  ein  Urteil  über  ein  Buch  abzugeben,  das  be- 
reits in  der  21.  Auflage  erschienen  ist,  dessen  Vorzuge  also  schon 
anerkannt  sind,  dessen  ganze  Anlage  aber,  selbst  in  der  neuen 
Bearbeitung,  auf  eine  Zeit  zurückgeht,  die  an  ein  Lesebuch  For- 
derungen ganz  anderer  Art  stellte  als  die  Gegenwart.  Das  vor- 
liegende Lesebuch  von  G.  Gurcke  ist  von  Chr.  Lindemann 
neu  bearbeitet  und  vermehrt  worden.  Die  Umarbeitung  erstreckt 
sich,  wie  aus  der  Vorrede  hervorgeht  und  eine  Vergleichung  mit 
einer  älteren  Auflage  lehrt,  auf  die  Ausscheidung  einiger  beschrei- 
bender Lesestücke,  auf  Änderungen  in  der  Reihenfolge  der  Lese- 
stücke und  Gedichte  und  auf  eine  durch  die  Vermehrung  des 
Lesestoffes  bedingte  Neubearbeitung  des  Wörterverzeichnisses. 
Durch  Hinzufügung  von  Schilderungen  und  Biographieen  aus  der 
neueren  und  neuesten  Geschichte,  von  Lesestücken  aus  dem  Ge- 
biete der  Naturgeschichte  und  Erdbeschreibung,  sowie  einer  An- 
zahl von  Briefen  und  Anzeigen  ist  der  Unterhaltungs-  und  Lese- 
stoff bedeutend  vermehrt  worden. 

Offenbar  ist  dieses  Lesebuch,  wie  ja  auch  die  Bezeichnung: 
Elementar- Lesebuch  wohl  schon  andeuten  soll,  für  Schulen  be- 
stimmt, in  denen  der  englische  Unterricht  bereits  in  der  Sexta 
beginnt.  Denn  die  lange  Reihe  von  Fabeln,  Anekdoten  und  kurzen 
Erzählungen,  ja  selbst  ein  Teil  der  längeren  Erzählungen  dürfte 
kaum  eine  passende  geistige  Nahrung  für  unsere  Unter-  und 
Obertertianer  sein.  Für  die  Unterstufe  scheint  mir  jedoch  der 
ausgewählte  Lehrstoff  sehr  zweckentsprechend.  Auf  dieser  Stufe 
kommt  es  ja  noch  nicht  so  sehr  darauf  an  —  wie  auf  der  Mittel- 
und  Oberstufe  — ,  dafs  die  Lektüre  besonders  englische  Verhält- 
nisse berücksichtigt.  Hier  handelt  es  sich  wesentlich  darum,  durch 
eine  möglichst  abwechselungsreiche  und  anregende  Lektüre  den 
Schüler  in  die  englische  Sprache  einzuführen  und  ihm  einen  mög- 


H.  Fechncr,  Graodr.  d.  Weltfpescb.,  agz.  v.  M.  HoffmanD.      39 

liehst  grofsen  Wort-  und  Phrasenscbatz  zu  vernoitteln.  Dies  wird 
durch  die  ersten  Lesestöcke  dieses  Lesebuches  erreicht.  Die  jedem 
Lesestück  beigefügten  Fragen  scheinen  mir  allerdings  überOössig, 
denn  erfahrungsgemäfs  sind  die  Schüler  leicht  zum  selbständigen 
Stellen  Ton  Fragen  anzuleiten.  Es  will  mir  zudem  scheinen,  als 
ob  die  beigefügten  Fragen  den  Schüler  leicht  zum  mechanischen 
Aaswendiglernen  der  Antworten  verleiten  könnten. 

Die  längeren  Lesestücke,  etwa  von  Nr.  32  an,  bieten  auch 
passenden  Lektörestoff  für  das  zweite  Unterrichtsjahr  an  unseren 
Schulen,  wo  der  Beginn  des  englischen  Unterrichts  nach  Unter- 
tertia verlegt  ist.  Besonders  die  Erzählungen:  Rtp  van  Winkle, 
Rebin  Hoad,  Alfred  the  Great,  Macbeth,  Elisabeth  werden  nicht 
verfehlen,  die  Teilnahme  der  Schüler  in  hohem  Mafse  zu  erregen. 
Die  folgenden  Nummern:  The  Battle  of  Sedan,  CapitukUion  of 
SedoH,  Death  of  the  Emj^eror  Frederick  III,  ebenso  wie  die  unter 
der  Rubrik  „Geschichtliches*'  zusammengestellten  Lesestücke: 
Early  Ufe  of  Martin  Luther,  Andrew  Hofer,  Charles  Theodore 
Kihmer,  Ckaracter  of  Wallenstein,  Schiller's  Youth  gehören,  streng 
genommen,  nicht  in  ein  englisches  Lesebuch;  ein  solches  Buch 
soll  in  die  Lebens-  und  Denkweise  des  englischen  Volkes  ein- 
fahren und  darf  daher  auch  nur  englische  Stoffe  berücksichtigen. 

Die  Lesestücke  beschreibenden  Inhalts  sowie  die  Briefe,  An- 
zeigen u.  6.  w.  werden  sehr  willkommen  sein;  sie  bieten,  in  leicht 
verständlicher  und  fliefseuder  Sprache  geschrieben,  hinreichenden 
Stoff,  um  den  Schüler  mit  der  Sprache  des  praktischen  Lebens 
bekannt  zu  machen.  In  der  folgenden  Gedichtsammlung  finden 
sich  einige  Gedichte,  die  ans  dem  Deutschen  mit  grofsem  Geschick 
übertragen  sind.  Der  Schüler  liest  und  lernt  gelegentlich  gern  ein 
derartiges  Gedicht. 

Den  Schlufs  des  Lehrbuches  bildet  ein  sorgfaltig  und  fleifsig 
aasgearbeileles  Wörterbuch,  in  dem  die  Aussprache  durch  Zahlen, 
Zeichen  über  den  einzelnen  Buchstaben  und  durch  verschiedenen 
Druck  bezeichnet  ist.  Wenn  auch  diese  Aussprachebezeichnung 
nur  ein  schwacher  Notbehelf  ist,  um  eine  korrekte  Aussprache  zu 
vermitteln  und,  was  die  Deutung  der  angewandten  Zahlen  und 
Ziehen  angeht  (Seite  268  f.),  nicht  auf  der  Höhe  der  Zeit  steht, 
so  hilft  sie  doch  Lehrern  und  Schülern  die  Arbeit  wesentlich  er- 
leichtern. 

Dortmund.  Ewald  Goerlich. 


1)  Hernaoo  Fechoer,  Gruodrirs  der  Weltgeschichte  für  die 
obereo  Rlassen  preafsischer  höherer  Lehranstalten.  Erster 
TeiJ:  Altertam,  VII  u.  144  S.  Zweiter  Teil:  Mittelalter  uad  erste 
Periode  der  Neuzeit  (476— 164S},  VI  a.  156  S.  Dritter  Teil:  Neuzeit 
(bU  1888),  IV  n.  183  S.  Berlin  1893,  Wilh.  Hertz.  Preis  geb.  1,50. 
1,50.  2  M. 

Dieses  neue  Lehrbuch  will  den  Forderungen  der  neuen  Lehr- 
plane  genügen   sowohl  durch  Beschränkung  des  Stoffes  der  alten 


40  H*  Fechner,  Grandrifs  der  Weltgeschichte, 

Geschichte  als  auch  durch  „sorgfältige  Behandlung  der  Yerrassungs-, 
Sitten-,  Reh'gions-,  Kunst-,  Litteratur-  und  Wirtschaftsgeschichte, 
soweit  es  in  so  engem  Rahmen  möglich  war*'.  Gestrichen  ist 
demnach  die  griechische  und  römische  Sagengeschichte.  Nach 
einer  kurzen  Übersicht  der  alt  -  orientalischen  Geschichte  beginnt 
die  griechische  mit  einem  ßlick  auf  die  Ausbreitung  des  Griechen- 
volks; dann  folgt  die  Darstellung  seiner  Religion  und  Moral- 
anschauung, wobei  auch  von  den  Orakeln  und  Spielen  die  Rede 
ist,  dann  eine  Betrachtung  über  das  Staatsideal  der  Griechen, 
woran  sich  die  Darstellung  der  spartanischen  und  der  athenischen 
Verfassung  knüpft,  endlich  ein  Abschnitt  über  die  ältere  Kunst, 
Litteratur  und  Philosophie  der  Griechen:  damit  endet  die  erste 
Periode,  bis  zu  den  Perserkriegen.  Es  fehlt  also  zugleich  mit 
den  Sagen  auch  die  Schilderung  des  homerischen  Griechenlands; 
die  alten  Kulturstätten  Mykenä,  Tiryns,  Orchomenos  sind  nicht 
erwähnt ;  die  dorische  Wanderung  und  die  Eroberung  Messeniens 
werden  kurz  angedeutet;  Pheidon  und  Periander  sind  übergangen, 
obgleich  sie  nicht  sagenhaft  sind.  Die  allgemeinen  Betrachtungen, 
welche  statt  dessen  gegeben  sind,  enthalten  zwar  manches  treffende, 
sind  aber  von  Einseitigkeil  nicht  frei.  Bei  der  Besprechung  der 
griechischen  Vielgötterei  ist  die  Vorstellung  des  über  Götter  und 
Menschen  waltenden  Zeus  nicht  betont;  bei  dem  republikanischen 
Staatsideal  der  Griechen  ist  die  Bemerkung  angeknüpft,  es  habe 
daraus  ein  unaufhörlicher  Kampf  der  Einzelnen  und  der 
Parteien  um  die  Herrschaft  hervorgehen  müssen,  der  sich  oft  in 
grausamster  Weise  vollzog.  Da  von  den  griechischen  Staaten 
aufser  Sparta  und  Athen  in  dieser  Periode  nichts  Näheres  mit- 
geteilt ist,  so  mufs  aus  dieser  Bemerkung  eine  falsche  Vorstellung 
hervorgehen.  Die  versuchte  Beschränkung  des  Stoffs  halte  ich 
nicht  für  richtig.  Wenn  der  Unterricht  in  Obersekunda  wegen 
Mangels  an  Zeit  auf  die  Sagengeschichte  nur  wenig  eingehen  kann, 
so  ist  es  um  so  nötiger,  dafs  der  Schüler  sie  im  Lehrbuch  zum 
Nachlesen  finde.  Die  Auswahl  des  Stoffes  ist  Sache  des  Lehrers; 
das  Lehrbuch  für  obere  Klassen  mufs  ihn  gut  geordnet  und  reich- 
lich bringen.  Dagegen  mufs  es  mit  Urteilen  und  Betrachtungen 
sparsam  sein,  dem  Lehrer  nicht  vorgreifen,  noch  weniger  zum 
Widerspruch  herausfordern,  wie  es  hier  an  einigen  Stellen  weiter- 
hin der  Fall  ist,  z.  B.  in  dem  Urteil  über  die  Niobegruppe  S.  56, 
über  Demosthenes  und  Philipp  S.  65,  über  Aristoteles'  Tugend- 
lehre  S.  73. 

Auffallende  Irrtümer  finden  sich  in  der  athenischen  Verfassungs- 
geschichte. Drakon  soll  nicht  nur,  wie  wir  jetzt  aus  der  Schrift 
vom  Staate  der  Athener  wissen,  die  vier  Vermgensklassen  ein- 
gerichtet haben,  sondern  auch  die  Naukrarien  und  die  Einteilung 
des  Rats  in  vier  Prytanieen ;  Solon  soll  den  Bauern  den  sechsten 
Teil  der  von  ihnen  bebauten  Grundstücke  als  Eigentum  zugewiesen 
haben;  ferner  soll  er  Berufung  von  den  Gerichten  an  die  Volks- 


angez.  von  M.  HoffmaDo.  41 

Torsaminlaiig  erlaubt  haben,  während  die  Heliaia  für  die  „Aus- 
üboDg  der  gewöhnlichen  Straf-  und  Civilgerichtsbarkeit'*  bestimmt 
gewesen  sei.  Kleisthenes  soll  dem  Areopag  sein  Aufsichtsrecht 
über  die  Verfassung  genommen,  Perikles  soll  einen  Volksversamm* 
longssold  „in  Höhe  von  1,  später  3  Obolen'*  eingeführt  haben. 

In  der  römischen  Geschichte  bleibt  von  der  sagenhaften  Königs- 
zeit nicht  Tiel  mehr  übrig  als  die  abstrakten  Schemata  der  ältesten 
Qod  der  servianischen  Verfassung  und  eine  Belehrung  über  Reli- 
gion, Baukunst  und  Spiele  der  Römer.  Gestrichen  sind  ferner 
auch  die  Erzählungen  von  der  Vertreibung  der  Könige,  von  Por- 
senna,  Coriolan,  dem  Untergang  der  Fabier,  Appius  Claudius, 
CamiUus,  Manlius  Capitolinus,  den  caudinischen  Pässen,  Fabricius: 
alles  sagenhaft  und,  wie  es  scheint,  für  unsere  Zeit  nicht  mehr 
geeignet.  Die  „Selbstaufopferung**  des  Decius  Mus  wird  gelegent* 
Ikh  S.  81  als  Beweis  „Gnsteren  Aberglaubens*'  erwähnt  Die  ältere 
römiscfae  Geschichte  wird  somit  ganz  lückenhaft  und  erscheint 
noch  dazu  auseinandergerissen,  weil  der  Zeitrechnung  zuliebe  die 
Königszeit  in  die  griechische  Geschichte  vor  den  Perserkriegen, 
die  Zeit  des  Kampfes  um  Italien  in  die  Geschichte  der  macedoni- 
sehen  Reiche  eingeschoben  ist.  Auch  fehlt  es  nicht  an  verfassungs- 
geschichtlichen Irrtümern.  Die  Capite  censi  sollen  deshalb  so  ge- 
nannt sein,  weil  sie  nur  mit  einem  Kopfgelde  eingeschätzt 
waren  (S.  37);  die  italischen  Bundesgenossen  mit  Ausnahme  der 
Latiner  sollen  verpflichtet  gewesen  sein,  ein  Schutzgeld,  genannt 
tribntum,  zu. zahlen  (S.  80),  und  ihre  Truppen  sollen  legions- 
weise je  einer  römischen  Legion  zugeordnet  gewesen  sein.  Über- 
haupt wird  der  kunstvolle  Bau  des  römischen  Staates  nicht  ge- 
würdigt, um  so  mehr  aber  die  Entartung  der  Nobiiität  gescholten 
(S.  95f.,  115);  als  Ziel  der  römischen  Entwickelung  erscheint  ein 
bk^fses  Soldatenkaisertum  (S.  102,  115,  117f.). 

Weniger  Bedenken  hinsichtlich  des  Inhalts  erheben  sich  bei 
der  mittleren  und  neueren  Geschichte;  doch  werden  die  zum  Teil 
in  Klammern  beigefugten  Urteile  des  Verf.s  nicht  immer  Zustim- 
mung finden,  z.  B.  2  S.  30  über  den  politischen  Wert  des  römisch- 
deutschen Kaisertums,  S.  54  über  die  „Zersplitterung  des  Reiches** 
durch  Friedrich  Barbarossa,  3  S.  70  über  Rousseaus  Staatslehre, 
die*  mit  Recht  zurückgewiesen  wird,  aber  es  sollte  nicht  gesagt 
sein,  dafs  die  im  Staatsleben  unentbehrlichen  Tugenden  der  Treue 
and  des  Vertrauens  dem  Lehnswesen  entlehnt  seien.  Sie  sind 
altgermaniscb  und  schon  im  Frankenreich  durch  den  von  allen 
erwachsenen  Unterthanen  geforderten  Treueid  als  Grundlagen  des 
Staates  anerkannt;  das  Lehnswesen  hat  nur  zur  Verderbnis  des 
Staates  gedient.  Anerkennenswert  ist  die  reichliche  Einfügung 
kultorgeschichtlichen  Stoffes;  Rittertum,  Städtewesen,  Dichtung 
and  Wissenschaft  werden  gewürdigt,  mit  Vorliebe  ist  die  Baukunst 
kiiandelt,  deren  verschiedene  Stile  allerdings  die  Eigentümlich- 
keiten   der  Völker   und  Zeiten    besonders  bezeichnen.     Nicht  be- 


42      H.  Fechoer,  Graodr.  d.  Weltgesch.,  agz.  v.  M.  Hoffmaoo. 

sonders  gegluckt  ist  der  Versuch,  in  den  klassischen  deutschen 
Dichtungen  des  18.  Jahrhunderts  die  politische  Bedeutung  nachzu- 
weisen (3  S.  68  u.  112).  Goethe  soll  im  Tasso  das  durch  Etikette 
verschrobene  Hof  leben  angegriflen  haben;  Schillers  Jungfrau  von 
Orleans  soll  davor  warnen,  aus  der  Valerlandsliebe  „einen  Fanatis- 
mus zu  machen''.  Treffend  wird  3  S.  119  ff.  u.  168  die  Ent- 
stehung und  die  Verkehrtheit  des  Socialismus  dargelegt. 

Trotz  der  Mängel,  die  namentlich  in  der  alten  Geschichte 
hervortreten,  erscheint  das  Buch  im  ganzen  anregend  und  iohalt- 
reich.  Aber  es  hat  einen  Hauptmangel,  der  es  als  Schulbuch  zu 
empfehlen  verbietet:  das  ist  die  Schwerfälligkeit  der  Dar- 
stellung, namentlich  in  den  erzählenden  Abschnitten.  Da 
ist  von  dem  einfachen  Hülfsmittel,  öfters  abzusetzen  und 
wichtige  Namen  durch  den  Druck  hervorzuheben,  zu  wenig 
Gebrauch  gemacht;  die  Perserkriege,  der  zweite  punische  Krieg, 
der  Krieg  von  1870  bis  zur  Schiacht  bei  Sedan  sind  auf 
mehreren  Seiten  ohne  Absatz  und  Hervorhebung  erzählt.  Anderes 
ist  besser  gegliedert,  aber  sehr  oft  begegnen  lange  Sätze,  die  den 
Leser  ermüden,  und  leider  auch  ungeschickt  gebaute,  höchst  ver- 
wickelte Sätze,  die  dem  Schüler  nur  als  abschreckende  Beispiele 
dienen  könnten.  Die  Wichtigkeit  der  Sache  gebietet.  Beweise 
dafür  in  einer  Anmerkung  zusammenzustellen^);  ihre  Zahl  liefse 
sich  leicht  vermehren.  Der  Verf.  hat  den  neuen  Lehrplänen  dienen 
wollen,  aber  leider  den  Nachdruck,  welchen  sie  mit  Recht  auf 
guten  deutschen  Ausdruck  legen,  zu  wenig  beachtet. 


^)  Teil  1,  S.  47:  Als  aber  Atheo  aach  im  ionischen  Meere,  in  dem  die 
Korinther  bisher  die  Vormacht  gewesen  v^areo,  seine  Seeherrschaft  aussa- 
dehnen  snchte,  sich  mit  Kerkyra,  einer  korinthischen  Kolonie,  welches  die 
Rache  seiner  Matterstadt  zu  tarchten  hatte,  weil  es  dieselbe  durch  eine 
Seeschlacht  ^hindert  hatte,  der  kerkyräisclien  Kolonie  Epidamnus  gef^en  die 
vom  Volk  vertriebenen  Aristokraten  und  die  illyrischen  Taulantier  za  Hülfe 
zu  kommen,  verbündete  und  ihm  in  einer  zweiten  Seeschlacht  ge^ta  die 
Korinther  beistand,  so  dafs  dieselben,  als  seien  sie  besiegt,  abfahren 
mufsten,  klagten  die  letzteren  in  einer  zu  Sparta  abgehaltenen  Bundes- 
versammlung der  Staaten  des  Peloponneses  Athen  des  Friedens bruchs  «d, 
und  als  die  letztere  von  Athen  Auflösung  der  Symmachie,  Answeisniig 
des  Perikles  und  Aufhebung  der  von  Athen  gegen  Megara  verhängten  Handels- 
sperre beschlofs,  was  Athen  ablehnte,  so  entstand  der  Krieg,  den  man 
den  peloponnesischen  nennt,  weil  er  von  dem  peloponnesischen  Bunde  er- 
klärt wurde.  —  S.  92  ein  ähnlicher  Satz  von  21  Zeilen  über  den  dritten 
macedonischen  Krieg.  —  Teil  2,  S.  29  ein  Satz  von  ebenfalls  21  Zeilen  über 
Otto  I.  S.  98  ein  Satz  von  22  Zeilen  über  Luthers  Auftreten  1517.  —  Teil  3, 
S.  35:  Das  Kriegsgericht,  das  der  Vater  in  Besorgnis,  dafs  durch  das  schlimme 
Beispiel  des  Kronprinzen  das  ganze  mühsam  aufgeführte  Gebäude  seiner  Dis- 
ciplin  ins  Wanken  kommen  würde,  berief,  weigerte  sich,  über  ihn  ein 
Urteil  zu  fällen  und  verurteilte  auch  Katte  nur  zur  Festungsstrafe,  der  Köni^ 
aber  verurteilte  den  Kronprinzen  zu  Gefängnis  und  liefs  Katte  vor  seinem 
Fenster  hinrichten,  was  er  aber,  da  er  vorher,  als  Katte  von  ihm  Abschied 
nahm,  in  Ohnmacht  gefallen  war,  nicht  sehen  tonnte.  S.  147  ein  Sats 
von  15  Zeilen  über  den  Verfassungsstreit  in  Preufsen  1862.  S.  161  ein  Sats 
von  17  Zeilen  über  die  Kriegführung  des  Generals  v.  Werder. 


H.  Brettschneider,  Halfsb.  f.  d.  Gesch.,  agz.  v.  M.  Hoffmanii.    43 

2)  Harry  Brettschneider,  Hiiifsbuch  für  den  Unterricht  in  der 
Geschichte  für  die  oberen  Klassen  höherer  Lehranstalten.  Teil  I: 
Geschichte  des  Altertums,  X  n.  167  S.  Teil  II:  Vom  ßegione  christ- 
licher KaltQr  bis  znm  westfälischeo  Frieden,  Xu.  173  S.  Halle 
1892.  93,  Bochhandlong  des  Waiseabanses.    Jeder  Teil  1,60  M. 

Auch  in  diesem  Lehrbuch  fehlt  die  griechische  und  römische 
Sageogeschichte,  doch  gehen  die  Streichungen  in  der  römischen 
nicht  so  weit  wie  in  dem  soeben  besprochenen  Buche;  die  Sagen 
▼on  Coriolan,  den  Fabiern,  Cincinnatus  sind  wenigstens  angedeutet; 
Camillus,  Gaudium,  Decius  Hus  kommen  zu  ihrem  Recht.  Als 
Vorzöge  des  Buches  erkennt  man  anschauliche  Gliederung  des 
Stoffes,  Darlegung  der  Grunde  und  Folgen  wichtiger  Ereignisse, 
leichtTersIdndliche  und  lebhafte  Darstellung.  Doch  gelten  diese 
Vorzöge  nicht  unbedingt.  Die  Gliederung  ist  dadurch  etwas  be- 
einträchtigt, dafs  in  der  Einleitung  des  zweiten  Teils  mit  nnge- 
Dögenden  Grönden  die  herkömmliche  Einteilung  in  Altertum, 
Mittelalter,  Neuzeit  abgelehnt  ist;  ferner  fuhrt  diese  Einleitung 
nur  bis  zu  dem  Satze:  „Kaisertum  und  Papsttum  werden  die 
höchsten  Formen  des  geschichtlichen  Lebens;  eine  ähnliche  Ent- 
wickelung  zeigt  der  Orient,'*  und  knöpft  daran  einen  negativen 
Schlufs,  mit  welchem  nichts  anzufangen  ist:  „So  geht  nicht  nur 
das  Gefühl  für  die  Berechtigung  der  Völkerindividualität,  sondern 
auch  das  Bewufstsein  der  persönlichen  Individualität  verloren.*' 
Der  Verfasser  meint  damit  den  Ausgang  des  Mitlelalters  und  spricht 
das  selbst  aus  S.  104,  sein  zweiter  Teil  geht  aber  aus  didaktischen 
Gründen,  weil  er  die  Lehraufgabe  der  Unterprima  umfassen  soll, 
bis  1648.  Die  Einleitung  möfste  den  Blick  auf  das  Ganze  richten 
and  die  Bedeutung  der  Entdeckungen,  des  Humanismus^  der  Re- 
formation hervorheben,  wie  sie  nachher  auch  im  einzelnen  ent- 
wickelt wird. 

Die  Darlegung  der  Gründe  und  Folgen  ist  in  der  alten  Ge- 
sdiichte  weniger  ausgeführt  als  in  der  mittleren  und  neueren, 
wo  die  Grunde  und  Folgen  oft  sogar  numeriert  werden.  Es  ist 
anznerkennen,  dafs  dies  meist  mit  Geschick  geschieht,  aber  nicht 
fiberall  ist  streng  logische  Ordnung  erreicht.  Die  Wirkungen  der 
Völkerwanderung  werden  2,  S.  8  so  angegeben:  „1)  das  Entstehen 
der  romanischen  Nationen  und  Sprachen;  2)  die  Aufnahme  antiker 
Koltorelemente  bei  den  Germanen  und  als  eines  Teiles  der  römi- 
sdien  Slaatskultur  auch  diejenige  des  Christentums;  3)  nach  dem 
Untergänge  des  weströmischen  Reiches  der  Beginn  der  Gliederung 
Europas  in  die  Staatsgebiete,  wie  sie  im  wesentlichen  noch  jetzt 
besteben ;  4)  das  Zurückfallen  der  westeuropäischen  Völker  in  die 
Nataraiwirtscbaft  und  ein  Ruckgang  der  gesamten  Kultur;  5)  die 
Grundl^ung  för  die  Geschichte  des  deutschen  Volkes''.  Die  rich- 
t^e  Reihenfolge  wäre:  2  und  4  als  Gegensätze  neben  einander, 
dann  3,  1,  5.  Ähnlich  ist  es  S.  58  mit  den  Ursachen  der  Kreuz- 
zöge.  Treffend  werden  S.  133  die  Wirkungen  der  Reformation 
btieicbaei:  19I)  die  mittelalterliche  Kaiseridee  war  beseitigt  und  die 


44    H«  Brettsehneider,  Halfsb.  f.  d.  Gesch.,  ag^z.  v.  M.  Hoffmtnn. 

landesförstliche  Ent Wickelung  in  Deutschland  gewahrt;  2)  im 
Gegensatz  zu  der  mittelalterlich -kirchlichen  Anschauung  vom 
Staate  war  der  weltliche  Staat  zu  seinem  Recht  gekommen ;  3)  die 
Wissenschaft  war  von  den  Fesseln  der  Kirche  befreit".  Man  sieht 
auch  hier,  dafs  der  Verf.  deii  Gegensatz  von  Mittelalter  und  Neuzeit 
doch  anerkennt 

Die  Lebhaftigkeit  der  Darstellung  führt  bisweilen  zu  Urteilen, 
die  schärfer  klingen  als  nötig,  z.  B.  über  Cato  und  Sulla,  über 
Pippin  den  Kurzen,  der  „ein  politischer  Kopf  ersten  Ranges"  ge- 
nannt wird,  und  über  Heinrichs  V.  Vertrag  mit  dem  Papste  im 
Jahre  Uli,  der  als  unsinnig  bezeichnet  wird.  Ferner  finden 
sich  sorglos  gebrauchte  Fremdwörter;  Catilina  ist  ,,der  verwegenste 
der  vornehmen  Desperados",  Kaiser  Otto  II.  „eine  impulsive,  aber 
unbeständige  Natur*';  der  deutsche  „Episkopal^*  wurde  unter  Otto  I. 
„eine  Versammlung  praktisch -politischer  Intelligenzen'';  unter 
Urban  II.  sind  die  „papalen  Interessen'*  im  Fortschreiten;  in 
Italien  kämpfen  „Guelfismus'*  und  „Ghibellinismus*'.  Bisweilen 
begegnen  auch  ungeschickt  gebaute  Sätze,  z.  B.  1  S.  46  über  So- 
krates,  S.  70  über  die  Samniterkriege,  2  S.  151  über  die  Hafs- 
regeln  zum  Zweck  einer  katholischen  „Restauration".  Im  ganzen 
aber  ist  das  Buch  recht  lesbar. 

Hinsichtlich  des  Inhalts  ist  hervorzuheben,  dafs  die  verfassungs- 
geschichtlichen Abschnitte  wohl  gelungen  sind.  Die  Bedeutung 
des  römischen  Kaiserreichs  ist  besser  dargelegt,  die  Entwickelung 
der  deutschen  Reichsverfassung  im  Anschlufs  an  Nitzsch  ein- 
gehender verfolgt  als  in  dem  Fechnerschen  Buche.  Die  Kultur- 
geschichte ist  im  ersten  Teil  besonders  durch  einen  als  Anhang 
beigefügten  Oberblick  über  die  Haupterscheinungen  der  griechischen 
und  römischen  Litteratur  vertreten,  doch  sind  die  Hauptzüge  auch 
in  die  vorhergehende  Darstellung  verflochten;  über  die  bildende 
Kunst  der  Griechen  könnte  mehr  gesagt  sein.  Jener  Überblick 
enthält  bisweilen  Unwesentliches,  z.  B.  über  Ciceros  Familienver- 
hältnisse; stattdessen  wären  nähere  Angaben  über  die  wichtigsten 
Roden  und  philosophischen  Schriften  zu  wünschen.  Im  Hittelalter 
könnte  die  deutsche  Litteratur  mehr  hervortreten;  die  Entfaltung 
des  Rittertums  und  der  Städte  ist  treffend  gezeichnet.  Dem 
Bürgertum  des  15.  Jahrhunderts  wird  zuviel  Ehre  erwiesen,  wenn 
S.  107  gesagt  ist,  dafs  „die  Lebenshaltung  des  städtischen  Patri- 
ziats vorbildlich  auch  für  Fürsten  und  Adel  war".  Jene  Patrizier 
ahmten  zu  sehr  die  adligen  Sitten  nach;  vorbildlich  allerdings 
war  die  bessere  Ordnung  der  städtischen  Verwaltung.  Mit  scharfen 
Zügen  wird  der  im  15.  Jahrhundert  auf  den  Bauern  lastende  Druck 
geschildert,  aus  welchem  sich  die  gewaltsame  Erhebung  der  Bauern- 
kriege erklärt.  Wenn  es  nun  heifst,  dafs  nach  der  mifslungenen 
Revolution  die  wirtschaftliche  Lage  der  Bauern  sich  bedeutend 
verschlechterte  und  der  politische  Druck  der  Landesherren  gröfser 
wurde,  auch  religiöse  Gleichgültigkeit  sich  verbreitete,  so  hat  man 


W.Sehwabn,  Halfsb.  f.  d.  Gesehichtsonterr.,  agc.  v.  Plathner.      45 

den  Eindruck  fortdauernden  Sinkens.  Aber  die  Fürsorge  ein- 
sichtiger Landesherren  hat  im  weiteren  Verlauf  des  16.  Jahrhunderts 
doch  vieles  wieder  gebessert;  das  Aufblühen  Deutschlands  in  der 
Friedenszeit  nach  1555  hätte  betont  werden  müssen,  um  die  ver- 
derblichen Wirkungen  des  dann  folgenden  dreifsigjährigen  Krieges 
anschaulich  zu  machen.  Dafs  dieselben  „auf  anderthalb  Jahr- 
hunderte hinaus  vernichtend''  waren,  ist  zuviel  behauptet;  aber 
mit  Recht  wird  am  Schlufs  gesagt,  dafs  das  deutsche  Volk  an 
zwei  Mächten  sich  wieder  aufrichtete,  das  waren  die  Glaubens- 
freiheit und  der  preufsische  Staat.  Dem  dritten  Teil  des  Buches, 
welcher  hauptsächlich  diese  Wiederaufricbtung  darstellen  soll,  darf 
man  mit  guter  Erwartung  entgegensehen. 

Löbeck.  Max  Hoffmann. 

Waltber  Sehwaho,  Hulfsbnch  fSr  deo  Geschichtannterricht  auf 
der  MitteUtafe  höherer  Lehranstalten.  Hamburff  1892,  Otto 
SAeiCioer.  Erster  Teil  (für  Qoarta):  Geschichte  der  Griechen  und 
Romer  im  Altertum.  I  n.  57  S.  —  Zweiter  Teil  (für  Untertertia): 
Geschichte  der  Deatschea  im  Mittelaller.  1  u.  60  S.  —  Dritter  Teil 
(für  Obertertia):  Geschichte  der  Deatscben  in  der  Neuzeit  von  der 
Reformation  bis  zum  Regierungsantritt  Friedrichs  des  Grofsen.  67  S. 
Kart,  jeder  Teil  0,40  M. 

Diese  drei  Hefte  wollen  den  Lernstoff  för  die  drei  Klassen  IV 
bis  lila  geben,  ein  viertes  wird  den  für  Hb,  also  den  Abschnitt 
von  Friedrich  dem  Grofsen  bis  auf  die  Gegenwart,  hinzufugen. 
Das  umfassende  Material  ist  in  so  gedrängter  Kürze,  wie  selten 
zuvor,  gegeben,  ohne  Sprache  und  Stil  zu  vergewaltigen.  Dennoch 
übertrifft  der  Inhalt  die  meisten  Hulfsböcher  an  Reichhaltigkeit 
des  Stoffes.  Denn  nicht  allein  die  Thatsachen  der  äufseren  Politik 
and  in  zusammenhängender  Darstellung  verarbeitet,  sondern  überall 
findet  sich  am  Ende  eines  Abschnittes  das  innere  Leben  der 
Völker,  das  Alierwichtigste  aus  der  Verfassung  und  der  geistigen 
Bewegung  charakterisiert.  Es  kommt  wohl  einmal  vor,  dafs  die 
in  Klammern  eingefügten  Notizen  sich  zu  sehr  häufen  und  da- 
durch dem  Schüler,  zumal  auf  der  niedrigsten  Stufe,  die  Übersicht 
erschweren;  z.  B.  I  S.  4:  „Es  wird  im  N.  durch  eine  zwischen 
den  Akrokeraunien  im  W.,  dem  Olymp  (dessen  Fortsetzungen 
Ossa  und  Pelion)  im  0.  sich  hinziehende  Gebirgsmasse  (den  sog. 
ko^uDischen  und  kambunbchen  Bergen)  von  Ulyrien  und  Mace* 
donien  getrennt."  Ähnlich  1  S.  12,  Zeile  6  bis  11.  Aber  im 
ganzen  hat  die  Übersicht  dabei  nicbt  gelitten.  Die  Hefte  halten 
wirUich,  was  in  dem  aufserordentlich  kurzen  und  bescheidenen 
Torwort  versprochen  ist:  „Die  Darstellung  ist  möglichst  knapp 
gEbalten  und  enthält  nur  dasjenige,  was  der  Schüler  sich  ge- 
dädilnismäfsig  anzueignen  hat;  die  ausführlichere  Erzählung  mufs 
dem  Vortrage  des  Lehrers  vorbehalten  bleiben." 

Man  darf  ruhig  zugestehen,  es  gehört  viel  Geschick  dazu,  auf 
20  Seiten,  wie  hier  geschehen,  die  griechische  Geschichte  in  dieser 


46     W.  Sehwahl,  Hülfflb.  f.  d.  GeschiehtsiiDterr.,  ägz.  v.  Pltthoer. 

Vollständigkeit  zu  bebandeln.  Jeder  Teil  enthält  aufserdem  eine 
Zeittafel,  zur  Repetition  ernvunscbt  und  notwendig,  sie  bieten  eher 
zu  viel  als  zu  wenig,  hier  hätte  noch  gekürzt  werden  können, 
doch  wird  man  leicht  Auswahl  treffen.  Besonders  ausführlich 
und  ansprechend  ist  ganz  im  Sinne  der  jetzigen  liehrpläne  die 
brandenburgisch -preufsische  Geschichte  behandelt.  Überall  kann 
man  die  Spuren  eigenen  Studiums  bemerken,  auch  in  den  Zahlen- 
ausätzen  der  Zeiltafeln,  die  von  den  hergebrachten  nicht  selten 
abweichen.  Nur  durfte  das  Ende  des  dritten  messenischen  Krieges 
nicht  mehr  auf  455  angesetzt  werden;  vgl.  K.  W.  Krüger,  Hist. 
Phil.  Siud.  I  156  ff. 

Aufgefallen  ist  mir  I  S.  15,  dafs  Aristides  infolge  der 
Schlacht  bei  Salamis  zurückgerufen  sein  soll,  vielmehr  vor- 
her; vgl.  Busolt,  Griech.  Gesch.  II  164.  —  1  S.  6  herrscht  Perikles 
fast  unbeschränkt;  das  geht  zu  weit.  —  I  S.  31:  (Die  Zwölf- 
tafelgesetze) bildeten  die  Grundlage  des  gesamten  römischen 
Straf-  und  Privatrechls.  Liv.  III  34  geht  noch  etwas  welter, 
Da  wir  so  wenig  von  dem  Inhalt  wissen,  jedenfalls  Livius  nicht 
Recht  hat,  aufserdem  der  zwölfjährige  Schüler  kein  Verständnis 
dafür  besitzt,  bleibt  die  Stelle  besser  fort;  vgl.  die  betreffende 
Stelle  bei  Herzog,  Rom.  Staatsverfassung.  —  Anstatt  dessen 
mufsten  in  demselben  Abschnitt  bei  dem  Ständekampf  die  Ple- 
biscite  erwähnt  werden.  —  I  45  heifst  es:  (Die  Julier  von  Julus, 
dem  Sohne  des  Äneas);  das  soll  doch  keine  geschichtliche  Angabe 
sein,  ist  also  in  dieser  Form  unbrauchbar.  —  II  S.  18  wird  die 
Schlacht  vom  J.  496  gegen  die  Alemannen  noch  die  bei 
Zülpich  genannt.  —  1128  kommt  Heinrich  II.  nicht  zu  seinem 
Rechte.  —  II  S.  52  sieht  man  nicht,  warum  neben  den  Stamm- 
tafeln der  Julier  und  Claudier,  Pipinniden  und  Karolinger,  Hohen- 
staufen  und  V^elfen  die  der  Sachsen  und  Salier  fehlen. 

Im  übrigen  bieten  Schwahns  Hülfsbücher  ein  Lehrmittel, 
durch  das  ohne  Frage  der  Geschichtsunterricht  gefördert  wird. 
Diese  Bücher,  frei  von  unnötigen,  technischen  Ausdrucken  und 
vor  allem  von  Fremdwörtern,  können  von  dem  Schüler  wirklich 
gelesen  und  bei  der  Stoffbeschränkung  auch  gelernt  werden. 
Da  sie  zugleich  den  Bestimmungen  der  neuen  Lehrpläne  über  die 
Verteilung  der  Pensa  durchaus  entsprechen  und  deren  Erläute- 
rungen in  sinnreicher  und  praktischer  Weise  zum  Ausdruck 
bringen,  so  kann  man  ihnen  nur  die  weiteste  Verbreitung  wünschen. 

Die  äufsere  Ausstattung  ist  trotz  des  so  billigen  Preises  an- 
gemessen, von  Druckfehlern  notiere  ich  I  S.  6  la mische  statt 
malische,  S.  54  Ha  n  ibal. 

Dessau.  J.  Plathner. 


41V.  Taa  Raapen,  Perihea' Atlas  tntiqniiB,  tgs.  v.  Kirekhoff.    47 

Alb.  YAB  Kämpen,  Justas  Perthes'  Atlas  antiqnas.  TMeheoatlas 
der  Alieo  Welt.  24  kolorierte  Karten  io  Kupferstich.  Gotha  1893, 
J.  Perthes.     2,60  M. 

Dieser  kleine,  äufserst  preiswurdige  Atlas  verdient  in  den 
Kreisen,  denen  die  vorliegende  Zeilschrift  dienl,  die  allerweitesie 
Verbreitung.  Er  ist  ein  genaues  Ebenbild  des  „Perthesscben 
Taschenatlas''  der  gegenwärtigen  Länderbeschaflenheit,  der  (soeben 
in  29.  Aufl.  erschienen)  als  trefflichster  Auszug  des  „grofsen 
Süeler^'  samt  seiner  vorzuglichen,  obschon  ganz  knapp  gehaltenen 
geographisch-statistischen  Einleitung  von  Hugo  Wichmann  darum 
so  rasch  allgemein  sich  beliebt  gemacht  hal,  weil  er  für  kaum 
mehr  als  2  M.  alles  höchst  zuverlässig  giebt,  was  man  von  neuerer 
Geographie  zunächst  „fürs  Haus''  braucht.  In  gleicher  Handlich- 
keit, Sauberkeit  und  wissenschaftlicher  Vertrauenswürdigkeit  tritt 
nun  dieser  Zwillingsbruder  ihm  zur  Seite  für  die  alte  Geographie. 

So  klein  auch  das  Format  ist,  so  zeichnen  sich  doch  sämt- 
liche Karten  (die,  in  der  Mitte  gebrochen,  doppelte  Formatgröfse  be- 
sitzen) bei  einem  dem  jedesmaligen  Zweck  vollgenugenden  Mafs- 
stab  und  geradezu  idealer  Klarheit  des  Stichs  durch  ausnahmslose 
Deutlichkeit  aus. 

Zwanzig  Blätter  bringen  die  Länderdarstellung  in  teilweise 
noch  vollständigerer  Auswahl  als  die  zwölf  Blätter  von  Kieperts 
Atlas  antiquus,  drei  weitere  betreffen  Stadtpläne  (Athen,  Rom, 
Mjcenä,  Olympia,  Karthago,  Syrakus,  Alexandrien,  Tiryns,  Troja, 
Pergamum)  sowie  die  Peutiogerscbe  Tafel,  von  deren  Eigenart 
man  hier  dank  einer  glücklichen  Entlastung  von  unbedeutenderen 
Namen  eine  klarere  Anschauung  gewinnt  als  selbst  angesichts  des 
Originals. 

Nur  in  ganz  wenigen  und  meist  geringfügigen  Einzelheiten 
wird  man  dem  sehr  sachkundigen  (leider  inzwischen  durch  den  Tod 
dahingerafften)  Urheber  des  Werkes  nicht  beipflichten  können,  so  in 
der  Bezeichnung  des  Thüringerwaldes  als  ßacenis.  Entschieden 
anrichtig  jedoch  (vielleicht  nur  durch  Stichversehen  verschuldet) 
ist  die  Ansetzung  der  ehrwürdigen  Namen  ältester  Kulturstätten 
Akkad  und  Sinear  aufs  erhalb  des  babylonischen  Dellalandes; 
sie  gehören  durchaus  in  dasselbe,  Akkad  als  uralter  Name  seines 
NW,  Sinear  als  der  seines  SO  (etwa  vom  32.  Parallelkreis  ab). 

Die  Beigabe  eines  alphabetischen  Namen-Index  zur  leichtesten 
Auffindung  der  örtlichkeit  von  7000  in  dem  Atlas  verzeichneten 
Namen  ist  vollends  eine  gar  nicht  hoch  genug  anzuschlagende 
Zugabe,  die  allen  mit  aller  Geographie  sich  beschäftigenden  Philo- 
logen, Historikern  und  Geographen  verdriefsliche  Zeitopfer  im 
Namenaufeuchen  erspart. 

Halle  a.  S.  A.  Kirchhoff. 


48   A*  KircJihoff,  Schatzgeb.  d.  Deatsch.  Reichs,  agz.  v.  Oehlmann. 

1)  A.  Kirchboff,    Die  Schntzgebiete  des  Deotscheo  Reichs   zam 

Gebrauch  beim  Schaluoterricht.  Sooderabdruck  aus  des  Verfassers 
„Erdkunde  für  Schulen'*.  Halle  a.  S.  1893,  Buchhan dlang^  des  Waiseu- 
hauses.     17  S.  Text.    0,60  M. 

Die  kleine  Kunde  der  deutschen  Kolonieen  ist  eine  der  am 
besten  gelungenen  Arbeilen  des  Verf.s  auf  dem  Gebiete  der  Scbul- 
geograpbie,  aber  auch  dazu  angethan,  Leuten,  die  nicht  mehr  auf 
der  Schulbank  sitzen,  Kenntnisse  zu  vermitteln,  denn  sie  giebt 
des  Stoffes  reichlich  und  ist  in  der  K.  eigenen  anregenden  und 
bilderreichen  Sprache  geschrieben.  In  den  Anmerkungen  sind 
nützliche  Ausfuhrungen  über  Namenerklärung,  Pflanzenkunde  u.s.  w. 
gegeben,  die  nur  hie  und  da  entbehrlich  oder  anfechtbar  er- 
scheinen mögen,  so  S.  9,  Note  4:  „Stationen  sind  Ansiedelungen 
kleinsten  Umfanges,  von  Europäern  für  bestimmte  Zwecke  ange- 
legt''; ebenso  S.  10,  Note  5;  auch  stört  es  etwas,  dafs  die  häußgen 
Verweisungen  auf  die  Seiten  der  „Schulgeographie*'  nicht  entfernt 
sind.  Mit  der  in  Schulbüchern  schwer  durchzuführenden  Schrei- 
bung kolonialer  Namen  nach  amtlicher  Vorschrift  ist  eine  Art 
Kompromifs  geschlossen,  wobei  immerhin  noch  einige  unnötige 
Abweichungen  hätten  vermieden  werden  können.  Die  farbigen 
Karten  stellen  sämtliche  Schutzgebiete  dar,  Togo  und  Kamerun 
allerdings  nur  soweit,  als  sie  zur  Zeit  thatsächlich  unter  deutschem 
Einflüsse  stehen. 

2)  H.  Matzat,    Erdkunde.     Ein  Hülfsbuch    für  den  erdkundlichen  Unter- 

richt. 3.  Anflae^e.  Mit  2S  Figuren  im  Text.  Berlin  1893,  Paul  Parey. 
VlII  u.  820  S.     8.     2,50  M. 

Der  Verfasser  hat  dem  Buche  im  wesentlichen  die  Gestalt 
belassen,  die  es  in  der  2.  Aufl.  (1886)  gewonnen  hatte,  unter  der 
Begründung,  dafs  „der  Lehrgang  für  den  erdkundlichen 
Unterricht,  welchen  die  preufsischen  Lehrpläne  von 
1892  vorschreiben,  kein  anderer  ist  als  derjenige, 
welchen  dieses  Buch  schon  seit  Jahren  vertreten  hat'^ 
—  was  in  der  That  eine  auffallende  Erscheinung  wäre,  wenn  die 
Ansicht  des  Verf.s  aufser  in  einigen  grofsen  Zögen  auch  in  den 
Einzelheiten  zuträfe.  Das  „L  Buch'*  liefert  auf  21  S.  die  geogra- 
phische  Heimatkunde,  einige  Angaben  aus  der  mathematischen 
und  physikalischen  Geographie  und  einen  Überblick  über  die 
Erdteile  und  damit  den  Lehrstofl'der  Sexta,  also  strenggenommen 
etwas,  das  die  Schüler  nach  den  neuen  Lehrplänen  wenigstens 
beim  Unterrichte  nicht  benutzen  dürfen.  Nach  jenen  Lehrplänen 
sollen  Europa  und  Deutschland  im  besonderen  jedes  zweimal 
im  Unterrichte  behandelt  werden,  einmal  in  den  unteren  und 
dann  wieder  in  den  mittleren  Klassen.  Der  nicht  ganz  leicht  zu 
lösenden  Aufgabe,  denselben  Gegenstand  in  einem  Buche  zwei- 
mal durchzusprechen,  ohne  —  wie  KirchhofT  sagt  —  in  das 
„wiederkäuende  Verfahren"  zu  verfallen,  hat  sich  M.  gleich  pro- 
phylaktisch   dadurch    entledigt,    dafs   er  jene  Länder  nur  einmal 


&  Hüllar,  Die  Elementar-Planimetrie,  agz.  v.  A.  Emmerich.    49 

▼ornnnint,  aber  ähnlich  wie  Kirchhoff  in  seiner  ,,Grdkunde  für 
Schulen'*  in  Absatzen  mit  kleinerem  Drucke  das  einfügt,  was  bei 
der  Wiederholung  in  den  mittleren  Klassed  herangezogen  werden 
könnte.  Dazu  wird  für  den  zweiten  Lehrgang  auf  acht  Seiten 
Tabellen  über  „Kultur"  (Bodenbau,  Viehstand,  Einfuhr,  Religio- 
nen n.  8.  w.)  verwiesen.  In  der  Behandlung  der  Hittelmeerländer 
(S.  105 — 159),  die  alle  an  die  Besprechung  Europas  angeschlossen 
sind,  trifft  M.  durchaus  den  Sinn  der  Lehrpläne.  Die  fremden 
Erdteile  bekommen  57  S.,  und  im  V.  Buche  folgt  mit  76  S.  die 
allgemeine  Erdkunde,  deren  erstes  Kapitel  die  mathemalische 
Geographie  für  Untersekunda  bieten  soll.  Ihre  Anordnung  und 
Darstellung  ist  klar  und  ansprechend,  aber  „elementar",  wie  sie 
nach  den  Lehrplänen  sein  sollte,  ist  sie  an  gar  vielen  Stellen 
nidtt,  so  in  den  §§  664 — 672,  zu  deren  Bewältigung  den  Schulern 
der  IIb  die  notwendigen  physikalischen  Kenntnisse  abgehen.  Zahl- 
reich sind  Fragen  und  Aufgaben  eingestreut,  im  allgemeinen  gut 
gewählte  und  anregende;  einige,  wie  die  in  §  649,  650  und  663 
scheinen  von  geringem  Interesse,  auch  sind  den  Untersekundanern 
die  zu  ihrer  Lösung  erforderlichen  Formeln  nicht  bekannt.  Die 
fragende  Lehrweise  zieht  sich  durch  das  ganze  Werk,  vielfach  in 
Form  der  Aufforderung,  die  leergelassenen  Stellen  der  Tabellen 
for  Einwohnermengen,  Volksdichte  u.  s.  w.  mit  Zahlen  zu  füllen, 
die  aus  den  gegebenen  zu  berechnen  sind.  Den  Schiufs  bildet 
ein  Kapitel  „statistische  Geographie'',  das  meist  beachtens- 
werte Punkte  des  staatlichen  Lebens  der  Völker  und  ihrer  Ver- 
kehrsbeziehungen beröhrt.  Neu  sind  7  S.  über  die  deutschen 
Schutzgebiete.  Sie  enthalten  sehr  g(^drängte  Mitteilungen  und 
sind  durch  den  Hangel  an  einer  gewissen  Wärme  des  Tones  nicht 
gerade  geeignet  unter  der  Jugend  Freunde  kolonialer  ßethäligung 
zu  erwecken.  Es  fällt  auf,  dafs  die  Einwohnerzahlen  mit  solcher 
B^timratbeit  gegeben  sind;  die  Schreibung  der  Namen  ist  eine 
andere  als  die  amtliche.  Kassada  statt  Kassa ve  (S.  220)  ist 
ein  ▼ereinzeiter  Druckfehler  in  dem  sehr  sorgfällig  durchgesehenen 
Texte. 

Das  Buch  enthält  manche  einsichtig  gewählte  und  wohl  aus- 
tunatzende  Weisungen  und  reichlich  eingestreute  Angaben  über 
klimatische  und  geologische  Verhältnisse,  aber  diese,  die  endlosen 
Verweisungen  auf  andere  Paragraphen  und  die  Zerlegung  in  kleine 
und  kleinste  Abschnitte  bewirken  auch,  dafs  es  sich  sehr  unruhig 
und  zerrissen  liest. 

Hannover-Linden.  E.  Oehlmann. 


H.  Müller,  Die  KlemeDtar-Plaoimetrie.  Bin  methodisches  Lehrbuch 
for  dea  Sehol-  and  Selb  stiint  er  rieht.  Berlin  1891,  Jalius  Springer. 
188  S.    8.     Kert  2,40  M. 

Es    kann    als    ausgemacht    gelten,   dafs  einem  heuristischen 
ÜDterrichtsverfabren  in  der  elementaren  Planimetrie  die  analytische 

2ttti«farifl  f.  d.  OjiniMiUlwMeii  XLyin.   1.  4 


50     H*  Müller,  Die  Blementar-Plaoimetrie^  a^x.  v.  A.  Emmerich. 

Beweisform  sich  als  die  naturliche  ganz  von  selber  darbietet,  die 
planmäfsige  Auffindung  des  Beweises  eines  vorgelegten  Satzes  ist 
eben  nur  auf  analytischem  Wege  möglich;  ebenso  sicher  ist,  dafs, 
wenn  de  Beweis  auf  nickläufigem  Wege  gefunden,  alle  Beweis** 
gründe  klar  durchschaut  sind,  nunmehr  die  synthetische  Beweis* 
form  als  die  logisch  einfachere  zur  Fixierung  des  Gefundenen  in 
ihre  Rechte  zu  treten  hat.  Irren  wir  nicht,  so  betrachtet  die 
überwiegende  Mehrzahl  der  Facbgenossen  das  Auffindenlehren  der 
zum  System  gehörigen  Beweise  als  ureigenste  Aufgabe  des  münd- 
lichen Unterrichts,  deren  Lösung  durch  Zuhülfenahme  der  Drucker- 
schwärze unbedingt  erschwert  wird.  Nach  dieser  Ansicht,  der  wir 
auf  Grund  fünfzehnjähriger  Erfahrung  beipflichten,  sind  Bücher, 
die,  wie  das  vorliegende,  zunächst  die  ,,Entwickelung''  der  Be* 
weise  vormachen,  für  die  Hand  der  Schüler  nicht  zu  empfehlen; 
um  so  mehr  können  sie  dem  angehenden  Lehrer  zur  Vorbereitung 
auf  die  Unterrichtsstunden  sich  als  zweckdienlich  erweisen.  In 
dieser  Hinsicht  verdient  unsere  Vorlage  entschieden  als  fleifsige 
und  tüchtige  Arbeit  bezeichnet  zu  werden.  Nur  nach  einer  Seite 
hin  müssen  wir  unser  Lob  einschränken:  es  scheint  uns,  als  ob 
der  der  Dreieckslehre  vorangehende  Teil  zu  schwierig  sei,  zu 
wenig  der  Fassungskraft  der  Quartaner  entgegenkomme.  Die  De- 
finition der  Geraden  als  Rotationsachse  eines  in  zwei  Punkten 
festen  Körpers  liegt  denn  doch  dem  kindlichen  Verstände  zu  fern. 
Der  Satz:  „Alle  flachen  (ebenso  alle  rechten)  Winkel  sind  ein- 
ander gleich'*  hat  im  System  keine  Berechtigung,  er  besagt  Selbst- 
verständliches. Offenbar  ist  die  Definition:  „Ein  rechter  Winkel 
ist  ein  Winkel,  der  seinem  Nebenwinkel  gleich  ist^*  zu  künstlich. 
Die  Grundsätze  besonders  zu  behandeln  und  einzuprägen  halte 
ich  am  Anfange  für  übel  angebracht;  die  Kinder  begreifen  nicht, 
warum  man  Selbstverständliches  durch  einen  ihnen  meist  schwer 
verständlichen  Satz  begründen  soll.  Als  Übungsmaterial  für  die 
Winkellebre  eignen  sich  neben  Zeichen-  und  Rechenaufgaben 
Übungssätze  nur  dann,  wenn  sie  als  einfache  Folgerungen  in 
einfachster  Weise  bewiesen  werden.  Man  darf  also  z.  B.  den 
Satz:  „Die  Halbierenden  zweier  Nebenwinkel  stehen  aufeinander 
senkrecht'*  nicht  durch  eine  Kette  von  Gleichungen  beweisen  — 
in  der  Vorlage  füllt  die  Entwickelung  des  Beweises  5,  der  Beweis 
selbst  6  Zeilen  — ,  sondern  die  Frage  des  Lehrers:  „Wieviel 
machen  die  ganzen  Nebenwinkel  zusammen  aus?**  muCs  ge* 
nügen.  Die  Parallelentheorie  macht  dem  Quartaner  jedesmal 
grofse  Schwierigkeiten,  wenn  sie,  wie  im  vorliegenden  Buche 
(nach  Hehler),  auf  nur  einem  Anschauungssatze  begründet  wird. 
Soviel  ich  weifs  war  Hubert  Müller  in  Metz  der  erste,  der  für  die 
pädagogisch  unbedingt  zu  fordernde  Vereinfachung  dieser  Theorie 
durch  Hinzunahme  eines  zweiten  Anschauungssatzes  eintrat.  Ober 
die  beste  Wahl  der  beiden  Anschauungssätze  kann  man  verschie- 
dener Ansicht  sein.    Man  kann  z.  B.  aufser  dem  Grundsatze  voa 


R.  Olbriekt,  Die  wichtigsten  Reehearegelo,  agz.  v.  Kallios.     51 

der  einzigen  ParaOele  die  Gleichheit  der  Gegenwinkel  an  Parallelen 
als  eine  anschauliche  Wahrheit  betrachten,  die  keines  Beweises 
bedarf.  Man  wird  die  eine  Parallele  bis  zum  Zusammenfallen 
mit  der  anderen  verschieben,  wobei  sich  dann  die  Verhältnisse 
dtf  Wechselwinkel  und  entgegengesetzten  Winkel  an  Parallelen  in 
einEachster  Weise  erledigen.  Der  Beweis  für  die  Umkehrsätze  stellt 
sich  etwa  folgendermafsen:  Es  giebt  durch  den  Punkt  F  nur  eine 
Parallele  zu  AB,  und  es  giebt  im  Punkte  F  nur  einen  gleichen 
Gegenwinkel  zu  a;  da  nun  die  Parallele  den  gleichen  Gegenwinkel 
liefert,  so  mufs  auch  umgekehrt  der  gleiche  Gegenwinkel  die  Pa- 
rallele liefern,  ahnlich  für  die  anderen  Winkelpaare.  Möchte  es 
den  Bemühungen  der  Didaktiker  gelingen,  diesen  schwersten 
Stein  „an  der  schönen  Strafse,  die  zur  Geometrie  führt/'  hin- 
wegzuräunaen. 

Mülheim  a.  d.Ruhr.  A.  Emmerich. 


1)  R.  Olbricht,  Die  wichtigsten  Rechenregeln  oebst  Mosterbeispielen, 
iosbesoodere  LSsaog  aller  Aufgaben  der  Regeldetri  und  der  darauf 
beruhendeo  Rechouogsarteo  vermittelst  eioheitlicber  BehaodluDg  des 
Aosatzes.  Zur  Wiederholung  für  die  Schüler  aller  Anstalten.  Leisnig 
1893,  Herrn.  Ulrich.    4S  S. 

Der  Verf.  giebt  in  dem  vorliegenden  Buche  nach  einer  kurzen 
Obersiebt  über  die  vier  Species  in  ganzen  und  gebrochenen  un- 
benannten und  benannten  Zahlen  eine  sehr  eingehende  Behand- 
lung der  Regeldetri  nach  Regeln,  die  er  „für  aufserordentlich 
vorteilhaft,  übersichtlich,  auf  alle  Fälle  anwendbar  und  mit  grofser 
Leichtigkeit  zu  erlernen"  hält.  Er  verwirft  wie  alle  Rechenlehrer 
zur  l>ösQng  einer  Regeldetri -Aufgabe  die  Anwendung  der  Pro- 
portion und  empfiehlt  den  sogenannten  Bruclisatz  mit  dem  Schlufs 
aof  die  Einheit,  der  sich  von  der  sonst  gebräuchlichen  Darstellung 
aber  darin  unterscheidet,  dafs  die  Unbekannte  nicht  nur  an  vierter 
Steile,  sondern  auch  an  anderer  steht.  Durch  diese  Anordnung 
erreicht  der  Verf.,  dafs  bei  gewissen  Aufgaben  der  Prozentrechnung 
nicht  jedesmal  ein  neuer  Ansatz  aufgestellt  werden  mufs,  dafs 
vielmehr  ein  einziger  dasselbe  leistet.  An  vielen  vorgerechneten 
Beispielen  zeigt  er  die  Vorteile  seiner  Methode,  der  dazu  aufge- 
stellte Apparat  zur  Lösung  selbst  recht  einfacher  Aufgaben  ist  aber 
nicht  imstande  uns  von  der  Einfachheit  der  Lösung  zu  überzeugen 
und  ich  kann  mich  bei  vielen  Auflösungen  nicht  der  Wahrnehmung 
verschliefsen,  dafs  man  dabei  mit  der  gebräuchlichen  Anordnung 
des  Bruchsatzes  viel  schneller  zum  Ziele  kommt;  auch  die  An- 
wendung von  Figuren  kann  nicht  als  eine  Vereinfachung  angesehen 
werden,  ja  es  liegt  hier  die  Gefahr  nahe,  dafs  die  Schüler  sich 
an  ein  recht  mechanisches  Rechnen  gewöhnen,  indem  sie  bei 
einander  ähnlichen  Aufgaben  die  gleichartigen  Zahlen  an  dieselben 
Stellen  setzen  und  dann  die  Multiplikation  bezüglich  Division 
vornehmen:  dadurch  wird  aber  ein  wesentlicher  Zweck  des  Unter- 

4* 


52  A.  Böhmes  Reehenbnolier,  tingez,  yon  A.  Kallias. 

lichtes,  die  Gewöhnung  an  eine  Überlegung,  durchaus  vereitelt. 
Die  vielen  Regeln,  die  der  Verf.  aufstellt,  sprechen  wohl  auch 
ziemlich  deutlich  für  diese  meine  Ansicht.  Trotzdem  wird  der 
Rechenlehrer,  dessen  Unterricht  sich  vornehmlich  mit  den  Auf- 
gaben des  praktischen  Lebens  beschäftigt,  durch  die  Darstellung 
des  Verf.s  auf  viele  neue  Gesichtspunkte  gelenkt  werden,  die  er 
mit  Vorteil  bei  seinem  Unterrichte  wird  verwenden  können.  — 
Bei  der  Aufstellung  der  Regeln  vermisse  ich  zuweilen  die  durchaus 
notwendige  mathematische  Scharfe.  Regeln  wie:  „Dezimalbrüche 
werden  addiert,  indem  man  sie  sorgfältig  untereinander  setzt 
und  bei  der  letzten  Stelle  beginnt*S  „Gleichnamige  Bruche  werden 
addiert,  indem  man  die  Zähler  addiert  und  den  Nenner  darunter 
setzt''  u.  s.  w.  sollten  durchaus  vermieden  werden,  zumal  sich 
solche  Regeln  ebenso  kurz  und  vielleicht  noch  kürzer  vollständig 
richtig  aussprechen  lassen.  Auch  im  Rechenunti'rrichte  sollte 
man  es  nicht  versäumen,  die  Schüler  an  eine  richtige  sprachliche 
Darstellung  der  ausgeführten  Rechnung  zu  gewöhnen. 

2)  A.  Böhmes  Rechenbücher.  Neabearbeitong.  Recheobach  für  höhere 
Lehranstalten  und  Lehrer-Seminare.  Bearbeitet  von  K.  Schaf  Ter. 
Sechstes  Heft  der  Antraben  u.  Obongsbücher.  Zahlensystem,  Verhalt- 
nisbestimmungen,  Proportionen.  Regeldelri.  Prozent-,  Zins-,  Rabatt-, 
Termin-,  Gcsellachafts-,  Mischongs-,  Kors-Rechnong.  Gleichungen. 
Kettensatz.  Quadratwurzeln.  Raamberechnuogen.  Vermischte  Auf- 
gaben.    Berlin  1893,  G.  \V.  F.  Müller.     188  S.     1,30  M. 

Die  bekannten  Böhmeschen  Rechenbücher  erscheinen  hier  in 
einer  neuen  Form,  indem  die  Hefte  11,  12  und  13  zu  einem 
Rechenbuch  zusammengefafst  sind.  Ob  der  Titel  richtig  gewählt 
ist,  möchte  ich  bezweifeln,  denn  das  Buch  enthält  eigentlich  nur 
die  sogenannten  bürgerlichen  Rechnungsarten,  mit  Ausnahme  der 
ersten  22  Seiten,  die  die  vier  Spezies  in  ganzen  und  gebrochenen 
Zahlen  behandeln ;  die  hier  gegebenen  Aufgaben  sollen  zur  Wieder- 
holung der  Spezies  und  zur  weiteren  Ausführung  derselben  dienen, 
indem  das  Rechnen  mit  Summen,  Differenzen,  Produkten  und 
Quotienten,  die  Anwendung  der  Klammern  und  die  abgekürzte 
Rechnung  mit  Dezimalbrüchen  kurz  behandelt  sind.  Damit  ist 
aber  dem  Rechenunterricht  in  den  drei  unteren  Klassen  der 
höheren  Lehranstalten  wenig  genügt,  denn  in  diesen  handelt  es 
sich  doch  nicht  um  eine  Wiederholung  der  angeführten  Rech- 
nungen, sondern  um  eine  ganz  eingehende  Durcharbeitung.  -— 
Über  die  gegebenen  Aufgaben  selbst  hier  näheres  mitzuteilen,  halte 
ich  für  überflüssig,  da  sie  ja  hinreichend  bekannt  sind,  und  so 
möge  es  genügen,  hier  das  Erscheinen  des  Buches  angezeigt  zu 
haben. 

Berlin.  A.  Kallias. 


Machs  Gmadrirs  der  Physik,  asgez.  von  R.  Schiel.        53 

1)  Machs  GrandriTs  der  Physik  für  die  höheren  Schul eo  des  Deutschen 
Reiches  bearbeitet  von  Ferd.  Harbrodt  nod  Max  Fischer.  I.Teil: 
Vorbereitender  Lehrgang.  Ausgabe  für  das  Gymoasium.  Mit  306  Ab- 
bildaogen  nnd  175  S.     Leipzig  1893,  G.  Freytag.     Geb.  2  M. 

Machs  Arbeiten  verdankt  in  den  letzten  Jahren  eine  Reihe 
treflnicher  Lehrbücher  der  Physik  ihre  Entstehung.  Halten  die 
ersten  Ausgaben  nach  unserer  Ansicht  den  fiedürfnissen  der 
Schule  zu  wenig  Rechnung  getragen  und  waren  sie  oft  über  das 
Ziel  insbesondere  der  Gymnasien  und  die  Grenzen  hinausgegangen, 
die  man  an  die  Fähigkeiten  selbst  besserer  Schüler  zu  stellen  be- 
rechtigt ist,  so  ist  uns  jetzt  durch  Machs  Grundrifs  der  Physik 
I.  Teil  ein  Buch  überreicht  worden,  welches  von  den  Fachgenossen 
mit  der  gröfsten  Freude  und  Anerkennung  begrüfst  werden  durfte. 
Zwei  Eläässer  Kollegen,  Ferdinand  Harbrodt  und  Max  Fischer, 
haben  sich  mit  grofsem  Geschicke  der  Aufgabe  unterzogen,  den 
für  die  österreichischen  Schulen  herausgegebenen  ,,Grundrir8  der 
Naturlehre"  von  Mach  im  Anschlufs  an  die  Lehrpläne  für  die 
höheren  Schulen  des  Deutschen  Reiches  und  unter  besonderer 
Berücksichtigung  der  preufsischen  Lehrpläne  von  1891  zu  be- 
arbeiten. Der  Grundsatz,  nach  welchem  erst  die  Erscheinungen 
geboten,  dann  die  Gesetze  abgeleitet  werden,  und  dafs  Hypothesen 
erst  dann  zur  Sprache  kommen  dürfen,  wenn  sich  dafür  ein  Be- 
dürfnis herausstellt,  ist  überall  mafsgebend  gewesen.  Die  Auswahl 
des  Stoffes,  insbesondere  der  Experimente,  die  möglichst  das 
historisch  Wichtige  zur  Darstellung  bringen,  ist  angemessen  und 
durchaus  praktisch.  Manche  hübschen,  einfachen  und  lehrreichen 
Versuche  wird  man  hier  finden,  die  sonst  seltener  in  Lehrbüchern 
verwertet  werden.  Das  historische  Moment  ist,  wie  billig,  in  aus- 
giebiger Weise  benutzt  worden.  Als  Anhang  ist  ein  sehr  brauch- 
barer und  methodisch  vortrefflich  durchgearbeiteter  Abrifs  der 
Chemie  und  Krystaliographie  beigegeben.  Nehmen  wir  noch  hinzu, 
dafs  die  Abbildungen  sehr  deutlich  und  korrekt,  die  Ausstattung 
des  Buches  sehr  gut  ist,  der  Preis  aber  niedrig  gestellt  ist,  so  kann 
man  dem  Grundrisse  nur  die  weiteste  Verbreitung  in  unseren 
Schulen  wünschen. 

2)  H.  Poniog,  Graadzüge  der  Physik.  Mit  elaem  Anhaoge:  Chemie 
Did  Mioeralogie.  Zorn  Gebrauche  für  die  mittleren  Klassen  höherer 
Lebraostalten  bearbeitet.    Münster  i.  W.  1893,  Ascbendorff.   208  S.  8. 

Der  Verfasser  der  Grundzüge,  dem  eine  zwanzigjährige  Praxis 
zur  Seite  steht,  bat  die  Frage,  was  denn  von  dem  reichen  Inhalte 
der  Physik  für  einen  anderthalb-  bis  zweijährigen  ersten  Lehrgang 
auszuwählen  sei,  als  eine  leicht  zu  entscheidende  hingestellt.  Als 
mafsgebenden  Gesichtspunkt  nimmt  er  den  Gedanken,  welcher 
auch  der  Aufstellung  der  neuen  Lehrpläne  mit  als  Grundlage  ge- 
dient hat:  es  soll  denjenigen  Schülern,  die  nach  Abschlufs  der 
Untersekunda  die  Schule  verlassen,  ein  abgerundetes  Bild  der 
wichtigsten  physikalischen  Lehren  mit  auf  den  Weg  gegeben  wer- 


54     0*  Lubarsch,  Metb.  Lehrb.  f.  d.  chem.-mineral.  Uoterr., 

deD.  Wenn  dies  Ziel  sich  schon  an  und  für  sich  an  unseren 
Gymnasien  nicht  als  erreichbar  herausstellt,  so  vermifst  man  in 
den  Überlegungen  des  Verfassers  besonders  die  Röcksicht  auf  die 
übrig  bleibende  Mehrheit  der  Schuler  der  mittleren  Klassen,  welche 
die  Schule  ganz  zu  absolvieren  beabsichtigen.  Es  wird  aus  dem 
oben  angeführten  Gesichtspunkt  eine  Reihe  von  Thesen  abgeleitet, 
die  man  alle  wohl  gelten  lassen  könnte,  allein  es  fragt  sich,  in 
welchem  Mafse  jenen  Forderungen  Rechnung  getragen  werden 
soll.  Dies  allein  schon  durfte  die  Frage  nach  einer  richtigen 
Auswahl  des  Stoffes  als  recht  schwierig  erscheinen  lassen  und 
eine  Erklärung  dafür  liefern,  dafs  in  der  kurzen  Zeit  nach  Ver- 
öffentlichung der  neuen  Lehrpläne  eine  grofse  Zahl  von  Lehr- 
buchern der  Physik  für  die  Unterstufe  erschienen  sind,  die  in 
der  Regrenzung  und  Auswahl  des  Stoffes  alle  möglichen  Unter- 
schiede darbieten.  In  dem  vorliegenden  Ruche  ist  nach  meiner 
Ansicht  die  Rucksicht  auf  die  praktische  Anwendung  im  täglichen 
Leben  und  im  Gewerbsleben  für  einen  Leitfaden,  der  an  einem 
Gymnasium  im  Unterrichte  Verwendung  finden  soll,  bei  der  Aus- 
wahl des  Stoffes  wohl  zu  sehr  mafsgebend  gewesen  Die  Dar- 
stellung ist  breiter,  als  es  wünschenswert  erscheint,  denn  der 
Umfang  des  Ruches  ist  dadurch  sehr  beträchtlich  geworden,  wie 
schon  aus  der  grofsen  Zahl  von  205  Textseiten  hervorgehen  durfte« 
Im  übrigen  ist  das  Ruch  gewifs  von  sachverständigster  Hand  ge- 
schrieben, die  Ausstattung  ist  gut,  so  dafs  das  Ruch  den  Kollegen 
zur  weiteren  Prüfung  empfohlen  sein  mag. 

Rerlin.  R.  Schiel. 


1)  0.  Labarseb,  Methodiscbfs  Lehrbuch  für  deo  chemisch- 
mineralogischeD  Unterricht  auf  höhereo  BUrgerschuleo  ood 
aoderen  höherea  Schuleo  mit  einjährigem  chemisch- mineralogUchea 
Kursus.  Mit  182  in  den  Text  gedruckten  Abbildungen.  Breslau  1891. 
Ferdinand  Hirt.     184  S.  8.     2  M. 

In  der  16  Seiten  umfassenden  Einleitung  wird  zunächst  ein 
vollständiger  Überblick  über  die  hauptsächlichsten  Theorien  und 
Hypothesen  der  Chemie  gegeben.  Heiner  Ansicht  nach  hätten 
die  wichtigsten  Regriffe  aus  der  allgemeinen  Chemie  erst  an  der 
Stelle  des  Lehrgangs  ihre  Stelle  finden  dürfen,  wo  sie  sich  als 
Ergebnisse  eines  methodischen  Unterrichtsganges  hätten  darstellen 
lassen.  Da  dieses  Lehrbuch  hauptsächlich  für  Schulen  mit  ein- 
jährigem mineralogisch-chemischen  Kursus  bestimmt  ist,  so  scheint 
mir  die  ganze  Einleitung  von  einem  zu  hohen  Standpunkte  aus 
abgefafst  zu  sein.  So  findet  sich  schon  auf  der  zweiten  Seite 
folgender  Satz:  „Nach  Mayers  später  durch  Versuche  bestätigter 
Ansicht  können  die  verschiedenartigen  Rewegungsarten  der  Mole- 
küle nie  vernichtet,  sondern  übertragen  und  in  andere  umgewan- 
delt werden.  Remerkbar  werdende  Kraftverluste  sind  daher  nur 
scheinbar  vorhanden;   es  kann  weder  Kraft  verloren  gehen,  noch 


r 


«■9  es.  voD  F.  Traomiil  ler.  55 

wiche  neu  erzeugt  werden/*  Derartige  Betrachtungen  über  die 
Verwandlung  der  Energie  gehören  höchstens  an  das  Ende  des 
Lehrkureus,  aber  nicht  in  die  Einleitung.  Nach  diesen  hypothe-^ 
tischen  Betrachtungen  werden  an  einigen  einfachen  Versuchen  die 
bd  chemischen  Proxessen  wirksamen  Agenlien  erläutert;  dabei 
hätten  zugleich  die  Begri/Te  „mechanische  Arbeit'^  und  „Energie** 
ihre  Erklärung  finden  können.  Wenn  S.  11  gesagt  wird,  dafs 
die  Zersetzung  des  mit  Schwefelsäure  angesäuerten  Wassers  durch 
Galranismus  bewirkt  werde,  so  hätte  der  Vorgang  doch  genauer 
erklärt  werden  müssen;  denn  es  steht  doch  jetzt  fest,  dafs 
chemisch  reines  Wasser  durch  den  galvanischen  Strom  nicht  zer- 
legt wird,  und  dafs  die  Elektrolyse  des  Wassers  nur  ein  sekun* 
därer  Pi*ozefs  ist.  Sowohl  die  Daltonsche  Hypothese  als  auch 
das  Gesetz  der  multiplen  Proportionen  gehören  entschieden  nicht 
in  die  Einleitung. 

Aaf  die  Einleitung  folgt  zunächst  die  Betrachtung  der 
chemischen  Grundstoffe,  jedoch  stets  so,  dafs  der  Auseinander- 
setzung ihres  Verhaltens  ihre  Darstellung  aus  allgemein  bekannten, 
in  der  Natur  oder  im  Handel  vorkommenden  Substanzen  voran- 
gestellt ist.  Die  wichtigsten  Mineralien  sind  bei  den  Elementen 
beschrieben,  auf  die  sie  in  chemischer  Hinsicht  Bezug  haben; 
erst  am  Schiais  ist  eine  systematische  Übersicht  des  Mineral- 
reiches gegeben.  Auch  die  Elemente  der  Krystallographie  werden 
zuerst  Dur  an  geeigneter  Stelle  entwickelt,  und  erst  später  wird 
die  Krystallographie  systematisch  vorgetragen.  Bei  der  Zusammen« 
Stellung  der  Krystallsysteme  hätte  das  dikline  System  nicht  einmal 
erwihnt  zu  werden  brauchen,  da  ja  doch  kein  einziges  Mineral 
in  demselben  auftritt.  Die  Technologie  ist  nur  so  weit  wie  nötig 
berficksichtigt.  Bezöglieb  der  sogenannten  trockenen  Reinigung 
des  Leaehtgases  ist  zu  erwähnen,  dais  in  Deutschland  jetzt  fast 
allgemein  ein  Gemisch  von  Eisenoxydbydrat  und  Sägespänen  ver- 
wendet wird.  Die  Behandlung  der  Nichtmetalle  sowie  der  Metalle 
verdieDt  volles  Lob.  Dadurch  ist  dem  Lehrer  freie  Hand  gelassen 
in  der  methodischen  Behandlung  des  Stoffes.  Für  eine  zweite 
Auflage  erlaube  ich  mir,  dem  Herrn  Verfasser  vorzuschlagen,  zur 
Erläuterung  des  Gesetzes  von  der  Erhaltung  der  Masse  und  den 
chemischen  Umsetzungen  überhaupt  die  Elemente  der  Mafsanalyse 
in  sein  Buch  aufzunehmen. 

2)  H.  Rraofe,  Mineralogie  für  GyrnDasien.  Mit  49  io  dea  Text 
eiogedrocktea  Abbildoogeo.  Haoaover  1891,  Helwiagsche  Verlags- 
bnehbaDdlaog.     38  S.  8.     i  M. 

In  diesem  Büchlein  werden  66  Mineralien  beschrieben,  und 
zwar  sind  die  ersten  10  so  ausgewählt,  dafs  auf  jedes  Krystall- 
System  ein  oder  mehrere  Vertreter  kommen,  die  technisch  von 
Bedeutung  sind.  In  besonderen  Anmerkungen,  die  den  Beschrei- 
bungen der  einzelnen  Mineralien  beigefügt  sind,  haben  Definitionen 


56    GbeÜDgp,  Leitf.  d.  Chemie  f.  Retlsch.,  agz,  v.  TraumSiler. 

und  Beschreibungen  von  Krystallen  Platz  gefunden.  Die  Angaben 
über  die  prozentische  Zusammensetzung  der  Mineralien  scheinen 
mir  in  einem  Buche,  das  für  solche  Schüler  bestimmt  ist,  denen 
chemische  Vorkenntnisse  abgehen,  überflüssig  zu  sein.  Die  Be- 
schreibungen einiger  wichtiger  Mineralien  hätte  etwas  ausführ- 
licher sein  und  dafür  hätten  weniger  wichtige  Mineralien,  wie 
Cölestin,  Olivin,  Analcim,  wegbleiben  können. 

3)  M.  fibeliDg,  Leitfadeo  der  Chemie  für  ReaUchaien.  Mit  225 
Abbilduageo.  Berlin  1892,  Weidmanosche  Bacbhaodlung.  157  S.  8. 
2,20  M. 

In  dem  vorliegenden,  für  Schulen  mit  einem  einjährigen 
chemisch-mineralogischen  Unterricht  bestimmten  Leitfaden  werden 
die  chemischen  Grundstoffe  mit  ihren  wichtigsten  Verbindungen 
in  der  früher  üblichen  Reihenfolge  abgehandelt;  dabei  werden, 
dem  Zwecke  des  Buches  entsprechend,  die  Stoffe,  die  im  Welt- 
handel eine  hervorragende  Rolle  spielen,  in  erster  Linie  berück- 
sichtigt, z.  B.  die  Eisengewinnung,  die  Glas-  und  Porzellanfabri- 
kation. Da  es  dem  Verfasser  wohl  bekannt  sein  dürfte,  dafs  den 
neueren  Forschungen  zufolge  chemisch  reines  Wasser  durch  gal- 
vanischen Strom  nicht  zerlegt  wird,  so  dürfte  es  sich  wohl 
empfehlen,  die  Einleitung  etwas  umzugestalten  und  vielleicht  die 
Zerlegung  des  Wassers  durch  Überleiten  von  Wasserdampf  über 
rotglühendes  Eisen  zu  zeigen.  Die  prozentische  Zusammensetzung 
des  Wassers  kann  man  durch  einen  Versuch,  den  Roscoe  in 
seinem  Elementarbuch  beschreibt,  in  völlig  überzeugender  Weise 
vor  den  Schülern  zeigen.  Es  empfiehlt  sich  überhaupt,  den 
messenden  Versuchen  vor  den  qualitativen  den  Vorzug  zu  geben; 
daher  sollten  namentlich  die  Grundbegriffe  der  Mafsanalyse  in 
den  chemischen  Unterricht  aufgenommen  werden,  um  an  dem 
Austausch  der  Stoffe  zwischen  Säure  und  Basis  die  bei  chemi- 
schen Prozessen  stattfindenden  Geselzmäfsigkeiten  zu  veranschau- 
lichen. Der  Verfasser  hat  an  geeigneten  Stellen  auch  die  Ele- 
mente der  Krystallographie  in  den  Rahmen  seines  Lehrganges 
aufgenommen.  Der  Verleger  hat  das  Buch  vortrefflich  aus- 
gestattet. 

Leipzig.  F.  TraumüUer. 


DRITTE  ABTEILUNG. 


BESICHTE  ÜBER  VERSAMMLUNGEN,  NEKROLOGE, 

MISCELLEN. 


30.  Versammlung  des  Vereins  Rheinischer  Schulmänner. 

Am    4.  April   hatten   sich    132   Mitglieder   des  Vereines   Rheinischer 
ScholBanner  im  Isabelleosele  des  Giirseoieh  in  Köln  verssmaelt;   das  erste 
der  auf  der  Tagesordnong  stehenden  Themata  „Uomarsge bliche  Erfahrungen 
wt  des    neaen  Lehrplänen    nod  Lehranfgabea    ans    dem   ersten  Jahre   ihrer 
Galti^keii*%    das   von   Dir.  Matthias   (Düsseldorf)   aufgestellt   worden   war, 
hatte  wohl    die    stattliche  Zahl  herbeigeführt.    Nach  den  begrüfsenden  und 
eiaieiteDdea  Worten   des  Vorsitzenden  Dir.  Kiesel   aus  Düsseldorf,  welcher 
den  in   der  vorigen  Versanunlong  geänfserten  Besorgnissen  gegenüber  trotz 
der  kurzen  Daner  der  bisherigen  Erfahrungen  doch  eine  etwas  bessere  Stirn- 
■ng    bemerken    zu   köoneo    glaubte,   verbreitete    sich   Dir.  Matthias   in 
einem   anfaerordentlich  klaren,   interessanten   und  mit  grofsem  Beifall  auf- 
genommenen Vortrage    über  das  von  ihm  gewählte  Thema.    Er  habe  seinen 
Vortrag    „Unmarsgebliche  Erfahrungen   mit    den    neuen  Lehrplänen   u.  s.  w. 
genannt,    da   es  die  Erfahrungen  nur  eines  Jahres    und  eines  Mannes  seien, 
persönliche  Erfahrungen  aber   immer  etwas  einseitiges  und  uomafsgebliehes 
bitten.     Dan  schicke   er  voran,   um  nicht  in  diesem  oder  jenem  Punkte  bei 
äner   künftigen  Änderung  festgenagelt  zu  werden.     Ebenso  habe  er  vorher 
de  lege  ferenda  energisch  seine  Wünsche  und  Ausstellungen  über  die  neuen 
Lekrplane  nosgesprochen,  aber  lege  lata  habe  er  denn  doch  versucht,  rück- 
haltlos   die    neue  Ordnung    durchzuführen.     Redner   sprach   nun   über    das 
Denis  ehe    and   zwar  über  die  Wortbildungslehre  in  IV.    Man  müsse  sich 
Inm  hallen  von  jeder  Systematik  und  vor  allem  von  wissenschaftlich  syste- 
matisdien  Ausdrücken,  welche  die  Quartaner  nicht  verstehen  könnten.    Man 
soUe  sich  ao  die  Vorschriften  über  Rechtschreibung  halten  und  das,  was  in 
¥1  und  V  gelernt  sei,  wiederholen   und    bei   dieser  Wiederholung  an  prak- 
tischen Beispielen    die  Schüler   auf  die  Geschichte   der  Wörter   hinweisen. 
An  etwas  Bekanntes  müsse  man  anknüpfen  und  vor  allem  die  leidige  Wort- 
hüdangslehre  fernhalten.    Über  die  freien  Vorträge  im  Dentsohen  bemerkte 
ftedncr,  dafs  man  mit  ihnen  nicht  zurechtkomme,  wenn  man  nicht  vorsichtig 
sei  «nd   nicht   den  Primaner  anwiese,   dafs  er  nur  6 — 7  Minuten  sprechen 
dürfe.    Doch  müsse   man  auch  darauf  sehen,    dafs  man  den  Primaner  nicht 
aniBscharf  nech  einem  solchen  Vortrage  beurteile;  denn  der  Bescheidene  sei 
an  dieser  Stelle  —  ex  cathedra  —  viel   scheuer   als  der  Dreiste,   da  jener 
imier  etwas  von  dem  Lampenfieber  haben  würde.    Redner  legt  eine  Reihe 
▼ea  Fragen  vor,  welche  er  den  Schülern  in  einem  Vortrage  zu  beantworten 
gegeben  hahe,     Z.  B.  Welche  verwandte  Gedanken  finden  sich  in  der  7.  Be- 
tracktang  der  Glocke  und  dem  eleusischen  Feste?  Zweck  einzelner  Monologe, 


58     30*  VersammlaD^  d.  Vereins  Rheioisclier  Schulmänoer, 

Gebet  der  Iphi^eaie?  u.  s.  w.  lo  betreff  der  kleioea  deutschen  Arbeiten 
voa  IV  an  bemerkt  Redner,  dafs  er  direktes  Niederschreiben  in  die  Rein- 
schrift für  n'öiii;  halte ;  man  könne  nicht  verlangen,  dafs  der  Schüler  Kladde 
und  Reinschrift  in  50 — 55  Minaten  herstelle.  Der  Stoff  müsse  bereit  liegen* 
nicht  dürfe  man  in  das  unglückliche  Extemporale  hineinkommen.  Der  Stil 
sei  die  Haaptsache.  Für  IV  seien  derartige  Arbeiten  sehr  schwer,  man 
würde  vielleicht  erst  besser  mit  III  beginnen.  Die  Gefahr  liege  dann  nahe, 
dafs  man  zu  viel  von  diesen  Arbeiten  verlange,  dafs  man  auch  zu  viel  za 
korrigieren  habe.  Deshalb  habe  er  angeordnet,  dafs  in  jedem  Semester  jeder 
Lehrstoff  einmal  behandelt  werden  solle  nnd,  wenn  mehrere  Gegenstände  in 
einer  Hand  vereinigt  seien,  eine  mafsvolle  Aoslese  zu  treffen  aei.  Auch 
gäbe  nicht  jeder  Stoff  ein  bestimmtes  Thema.  Um  Überbürdong  durch  An- 
häufung der  Arbeiten  zu  verhindern,  könne  man  von  den  Lehrern  die  An- 
fertigungstermine  in  einem  Buche  eintragen  lassen.  Bei  diesen  sehr  niitz- 
liehen  Arbeiten  habe  er  nun  die  eigentümliche  Beobachtung  gemacht,  dafs 
Schiller,  die  sonst  keine  guten  dentsehen  Aufsätze  geschrieben,  in  andern 
Fächern  recht  gut  gearbeitet  hätten:  so  könnten  diese  Arbeiten  ausgleichend 
wirken,  dafs  ein  Schüler,  der  im  Deutsehen  nicht  genügend  habe,  dies  dnreb 
diese  Arbeiten  kompensieren  könne.  Es  habe  sieh  aber  auch  bei  diesen 
Arbeiten  ein  Obelstand  gezeigt,  den  man  nicht  verschweigen  dürfe,  das  sei 
die  sich  in  hohem  Mafse  äofsernde  Unsicherheit  im  Deutschen.  Man  sei 
noch  immer  der  Meinung,  als  flöge  uns  das  Deutsche  selbst  zu.  Alle  Kräfte 
müfsten  angespannt  werden,  um  die  stilbildende  Kraft  der  Schüler  zu  stärken. 
Dazu  könnten  diese  von  den  Fachlehrern  korrigierten  Arbeiten  sehr  viel 
helfen.  Die  Anforderungen  im  Lateinischen  w ürden  bedeutend  beschränkt 
werden  müssen.  Dafs  eine  verbesserte  Methode  dasselbe  leisten  solle,  was 
bisher  in  den  alten  Sprachen  bei  gröfserer  Stundenzahl  erreicht  sei,  davon 
könne  er  sich  nicht  überzeugen.  In  VI  und  V  würde  man  beim  Übersetzen 
vom  Deutsehen  ins  Lateinische  kaum  über  die  Übersetzung  eines  sogenannten 
naekten  Satzes  hinausgehen  können,  dagegen  beim  Übersetzen  aus  dem  Latei- 
nischen ins  Deutsche  nicht  zurückzugehen  brauchen.  Der  Grundsatz  für  die 
Oberstufe,  dafs  nur  vom  Lateinischen  ins  Deutsche  übersetzt  werden  solle, 
müsse  nach  seiner  Ansicht  auch  auf  die  Mittelstufe  angewandt  werden.  An 
schlimmsten  sähe  es  mit  dem  lateioisehen  Unterrieht  in  der  IIb  des  Renl- 
gymnasiuras  aus;  bei  den  8  Stunden  sei  die  Forderung  einer  Obersetznng 
aus  dem  Deutschen  in  das  Lateinische,  zumal  auch  für  die  Absehlufsprüfnng 
viel  zu  hoch;  sie  schaffe  Oberbürduug  und  üefse  so  und  so  viel  sonst  ganz 
guter  Sehiler  dnrehfallen.  Bei  dem  Unterrichte  in  den  neueren  Sprachen 
habe  er  Schwierigkeiten  gehabt  mit  dem  Pensum  der  lllinf.;  hier  könnten 
mit  den  Forderungen  der  neuen  Lehrpläne  die  gröfsten  Fehler  gemaeht 
werden,  wenn  man  sich  nicht  sehr  bescheide  und  beschränke.  Bei  den 
Mangel  eines  guten  Kanons  der  Lektüre  wähle  man  oft  in  das  Blaue  hinein: 
die  Lektüre  könne  sich  sehr  gut  von  lli  Inf.  bis  II  iaf.  im  gescbiehtliehen 
Gesichtspunkte  bewegen.  Für  die  oberen  Gymnasialklassea  seien  die  Be- 
stimmungen viel  zu  eng  bemessen,  hier  wäre  eine  Änderung  sehr  wünsehena- 
wert.  Von  den  Sprechübungen  dürfe  man,  zumal  bei  einer  Klasse  voa 
40—50  Schülern,  nicht  zu  viel  erwarten.  Für  diese  Sprechübungen  bildeten 
die  Vorkommnisse  des  tä^liehen  Lebens  einen  guten  Anhaltspunkt;  das  sei 
aber   nur  für  die  untere  Stufe  empfehlenswert,   da  es  auf  dieser  den  Reis 


voB  Fr.  UoldoDkauer.  59 

ler  Nenkeit  hab« :  ia  itü  oberen  Klassen  könnte  es  leicht  trivial  werden. 
ftat  diese  aei  eine  AnkniipfiiDg  in  der  Lektüre  za  soeben,  die  mSgliehst  ans 
der  Bodemea  Zeit  (gewählt  werden  mässe.  Beim  mathematiseben  und 
physikalischen  Unterricht  scheine  das  Pensom  der  Ilinf.  die  meisten 
ScbwierigkeitCB  zu  machen,  weil  dort  eine  Fälle  von  Lehrstoff  znsammen- 
ksmme.  Man  mösae  nnr  Teile  des  mathematischen  und  physikalischen  Unter- 
rtdites  elementarer,  oder  besser  noch  populärer  bebandeio.  Die  Lehre  von 
den  Korpern  s.  B.  würde  fast  anf  das  Niveaa  der  Volksschule  herahzasetzea 
sein.  Vorbaaen  kSone  für  diesen  Unterricht  der  Zeichenunterricht  aaf  III, 
indem  die  Schüler  dieser  Klassen  ei o fache  stereometrische  Gebilde  zeich- 
aeCen.  Für  die  Physik  freite  dasselbe;  Elektrizität  sei  in  den  Vordergrnad 
SB  stellen,  Akustik  ond  Optik  mehr  populär  zn  behandeln.  So  liefsen  sich 
die  neneo  Lebrpiäae  mit  einif^en  Aoderiiogeo  ganz  gut  dnrchfShren,  beson- 
dert weno  guter  Wille  vorhanden  wäre  und  wenn  man  den  Znsammenbang 
der  ▼erschiedenen  Uoterriehtsgegenstände  im  Auge  behalte.  Vor  allem 
werde  man  auf  den  deutschen  Unterricht  Rücksicht  nehmen  müssen;  die 
Schaler,  noch  die  der  unteren  Klassen  müfsten  im  Bilden  von  Sätzen  geübt 
werden,  jede  Frage  und  jede  Antwort  müfste  den  Anforderangen  des  guten 
Dsalaeh  entsprechen.  Er  wolle  sieh,  während  Dir.  Jäger  im  vorigen  Jahre 
aeiB  y,inagaa  pegna  victi  snmas'^  g^sigt  habe,  an  Hesiod  halten,  weleher  die, 
die  ikm  sein  Gat  entrissen,  Thoreo  genannt  hat,  die  nicht  wüfsten,  dafs  die 
Hälfte  mebr  sei  als  das  Ganze.  Und  dieses  nXioy  ^fnav  navtog  habe  er  so 
erklärt:  er  strenge  sich  an,  den  Rest  seines  Vermögens  so  gut  zn  ver« 
walten,  dafs  es  den  Anschein  habe,   als  habe  er  niehts  elngebüfst. 

ia  der  anf  diesen  Vortrag  folgenden  Besprechung  ergriff  zuerst  Dir. 
Jäger  (K51a)  das  Wort  und  sprach  sich  sehr  bitter  und  entschieden  über 
die  aeaea  Lehrpläne  aus.  Anknüpfend  an  das  von  Matthias  gebrauchte  Wort 
Bcsiods  meinte  er,  dafs  es  doch  wohl  nicht  möglich  sei,  den  Männern, 
weiche  die  Schulreform  gemacht,  nachzusagen,  sie  hätten  nicht  gewufst,  was 
sie  erzieiea  wollten,  und  stellte  dem  zweischneidigen  Wort  von  der  Hälfte, 
die  mehr  sei  als  das  Ganze,  die  Stelle  aus  Wallenstein  entgegen,  in  welcher 
der  Waehtmeister  zu  dem  Verluste  des  kleinen  Fingers  an  der  Rechten  sagt: 
Habt  ihr  mir  dea  Finger  blofs  genommen? 
Nein,  beim  Kuckuck,  ich  bin  um  die  Hand  gekommen! 
's  ist  nnr  ein  Stumpf  und  nichts  mehr  wert. 
Fir  den  eentralea  Uaterricht  des  Gymnasiums  sei  zu  wenig  Zeit  geblfeben, 
darwber  kSnne  man  nicht  mit  schönen  Worten  und  sogenannten  Methoden 
Uaweg.  Br  könne  den  Ansrdhrnngen  des  Dir.  Matthias  über  das  Obersetzen 
aas  dem  Dentsehen  in  das  Lateinische  und  umgekehrt  nicht  zustimmen, 
beides  atehe  ia  engem  Zusammenhang.  Schoa  nach  diesem  einen  Jahre  habe 
ia  dea  eberu  Klassen  das  Lateia  angefangen,  die  Spuren  des  beginnenden 
Verfalla  za  zeigen,  was  werde  erst  kommen,  wenn  die  mit  solchem  Unter- 
riebt erzegeaen  Sextaner  hinauf  kämen?  In  betreff  der  Sprechübungen 
stimme  er  Matthias  bei,  die  Fähigkeit  im  Sprechen  jeder  Sprache  schreite 
aidt  ^radiiaif  vor,  in  der  Mitte  der  Bntwickelnng  trete  ein  Rückschritt 
eoy  in  Sexta  sei  der  Schüler  noch  naiv,  in  den  obern  Klassen  zeige  sieh 
dagi^ea  gewisse  natürliche  Scheu,  weil  der  Schüler  wisse,  dafs  er  eine 
kseadere  Leiataag  za  bieten  habe. 

ProL  Matzbauer   (Köln)   verbreitet   sich   über  das   Übersetzea  aus 


60    ^0*  VersammlaDg  d.  VereioB  RbeiDischer  Schalmänoer, 

dem  Latein  liehen  ins  DeoUche  aad  die  RUckiiberfetzaDg.  Seit  einer  Reihe 
von  Jahren  habe  man  bei  diesen  Obersetzungen  den  Wert  auf  die  Denk- 
übung gelegt,  infoige  dessen  sei  auch  das  Räek übersetzen  überflüssig;  der 
3ehaier  würde  anfangen  za  raten.  Die  Stoffe  zam  Obersetzen  müsse  man 
<—  und  damit  habe  Matthias  Recht  —  ans  dem  Antiken  nehmen,  aber  nicht 
aus  dem  Bereich  der  Lektüre. 

Dir.  Uppeokamp  (Düsseldorf)  giebt  zu,  dafs  die  Rückübersetzung  io 
bedenklieber  Weise  vorzogsweise  das  Gedächtnis  besehüftige,  er  würde 
empfehlen,  kleinere,  leichtere  Sätze  anfzogeben);  aber  er  sähe  nicht  ein,  wes- 
halb sich  diese  Übungen  nicht  an  die  Schriftsteller  ansehliefsen  sollten. 
Man  thue  am  besten,  deu  verkürzten  Inhalt  eines  Schriftstellers  zum  Ober- 
setzen zu  geben ;  reines  Retrovertieren  schiene  ihm  nicht  zweckmäfsig  zu  sein. 

Prof.  Evers  (Düsseldorf)  wünscht  keine  streng  wörtliche  Rncküber- 
setzong:  man  solle  nicht  mechanisch  vorgeben,  sondern  Auseinanderlirgeo- 
des  zusammenfügen,  Zusammenstehendes  auseinanderziehen.  Die  Betonung' 
des  Extemporierens  habe  er  mit  Freuden  begrüfst«  Das  sei  gut  roSglich, 
wenn  man  sich  nur  im  Stoff  etwas  beschränke ;  bei  der  verringerten  Stunden- 
zahl müsse  man  sich  allerdings  mehr  anstrengen. 

Prof.  Lauer  (Köln):  Beim  Obersetzen  aus  dem  Deutschen  ins  Latel- 
nisohe  müsse  man  zwischen  den  Klassensrbeiten  und  den  häuslichen  Pensen 
unterscheiden.  Für  die  Klassenarbeiten  halte  er  einen  mehr  oder  weniger 
engen  Aoscblufs  an  die  Lektüre  für  nötig,  bei  den  häuslichen  Pensen  würde 
das  dem  Schüler  Langeweile  machen.  Es  würde  auch  mancher  Schriftsteller, 
wie  z.  B.  Tacittts,  in  diesem  Sinne  schwer  zu  behandeln  sein. 

Schulrat  Münch  (Coblenz):  An  dem  Vortrage  des  Dir.  Matthias  habe 
er  deshalb  Freude  gehabt,  weil  er  aus  der  Praxis  hervorgegangen  sei*  Bei 
der  Wortbilduogslehre  möchte  er  wünschen,  dafs  die  Schüler  dazu  angeleitet 
würden,  die  Worte  sinnig  aufzufassen,  ihr  Gerdhl  für  die  Mottersprach« 
reger  zu  machen.  Die  Unfähigkeit  der  Schüler,  für  das  Gedachte  einen 
guten  Ausdruck  zu  finden,  sei  noch  zu  grofs ;  das  käme  daher,  dafs  die  vor- 
gesprochenen Worte  von  ihnen  einfach  nachgesprochen  würden.  Im  Latei- 
nischeu  gelte  es  das  Ziel  zu  verschieben,  das  sei  allerdings  keine  leichte 
Aufgabe.  Doch  lasse  sich  Neues,  Schönes,  Grofses  leisten  und  dann  werde 
man  nach  Jahrzehnten  sagen  können:  das  Alte  ist  verschwunden,  aber  es 
ist  etwas  anderes  Gutes  an  die  Stelle  getreten.  Dafs  in  der  Lektüre  der 
neuem  Sprachen  noch  immer  ein  Kanon  nicht  gefunden  sei,  sei  gar  nieht 
so  sehr  zu  beklagen.  In  betreff  der  Lehrbücher  sei  der  Wunsch  ausge- 
sprochen, dafs  die  Zahl  der  verschiedenen  Bücher  gemindert  werden  möge; 
das  sei  möglich,  wenn  die  Herren,  die  nahe  zusammen  wohnten,  die  Sache 
bei  Zeiten  besprächen.  Dann  drückt  Redner  seine  Freude  darüber  aus,  dafs 
er  einen  Optimisten  gehört  habe;  was  Dir.  Jäger  sage,  dafs  er  in  der  Praxis 
optimistisch  sei,  das  sei  ganz  vorzüglich.  Als  die  neuen  Lehrpläne  so  viele 
strenge  Kritiker  gefunden,  sei  er  zuerst  sehr  erschrocken  gewesen;  dann 
aber  habe  er  sich  etwas  beruhigt  gefühlt,  als  Fachmann  A  in  Stadt  N  sich 
über  dieses  beklagt  und  am  andern  Tage  Fachmann  B  in  Stadt  X  gerade 
das  gelobt  habe,  was  A  tadelte. 

Dir.  Becker  (Düren)  sieht  die  Dinge  auch  nicht  mehr  so  tragisch 
an  als  im  vorigen  Jahre,  namentlich  habe  er  seine  Meinung  über  die  freien 
Vorträge  geändert     Er  habe  gefunden,    dafs  wenn  man  z.  B.  in  II  inf.  eine 


▼OD  Fr.  Moldeohaaer.  Qt 

Seletene  Sx«ae  for  die  oSehst«  Stnode  unter  eioem  befttimmten  GesicbU- 
fuktß  sam  Vortrag^e  aofgebe,  man  sebr  viel  danit  machen  könne.  Ancb 
»eine  Bedealien  wefpen  der  denUeben  Arbeiten  seien  (gefallen,  die  von 
Lebrern  der  oicbt-dentacben  Facber  aufgegeben  würden.  Sie  bitten  den 
Verteil,  dafs  der  Lebrer,  der  dentscbe  Febler  babe  verbessern  müssen,  naeb- 
bcr  um  so  sorgfältiger  auf  den  dentscben  Aasdrnck  acbte. 

Dir.  Ilppenkamp  wSoscbt,  dafs  die  freien  Vortrage  niebt  sebriftlicb 
geaMcht  worden;  er  siebt  das  Wesentlicbe  dieser  Arbeit  darin,  dafs  allen 
Sehälero  dieselbe  Aufgabe  gegeben  werde.  Dann  könnten  sieh  alle  dabei 
beteiligeB;  mache  einer  allein  den  Vortrag,  so  w&re  es  ancb,  wenn  derselbe 
km  wäre,  mifslicb. 

Dir.  Matthias  bemerkt  dazu,  dafs  beides  sich  vereinigen  lasse.  Er 
babe  z.  B.  im  Anschlafs  an  die  Lektüre  der  Iphigenie  44  kleine  Themata 
aafgestcllty  die  alle  in  einander  griffen,  so  dafs  die  ganze  Klasse  sich  daran 
bcIcili^eD  könne.  Ober  schriftliche  Ansarbeitong  könne  man  dem  Schüler 
keine  Vorschrift  maeben;  aber  das  verlange  er,  dafs  er  sich  die  Haupt- 
gesichtjpvokte  anfschreibe;  dagegen  aosgearbeitete  deutsche  AufsXtze  vor- 
Iragea  zu  lassen,  halte  er  fdr  ausgeschlossen. 

Oberlehrer  Gloel  (Wesel)  wirft  die  Frage  auf,  ob  freiere  selbständige 
Themata  aosznscbliefsen  seien,  welche  die  ganze  Klasse  interessierten.  Nach 
seiner  Ansicht  könne  man  z.  B.  an  die  Iphigenie  eine  Inhaltsangabe  der 
Orestie  anscbliefsen.    Kein  Vortrag  aber  dürfe  langer  als  10  Minuten  danern. 

Ümck  einer  halbstündigen  Pause  werden  die  Verhandlungen  mit  einem 
Vortrage  des  Dir.  Jäger  ,,Bioige  Bemerkungen  über  Einrichtung  und  Ver- 
teilnog  des  geographischen  Unterrichts''  wieder  aufgenommen.  Ehe  er  die 
Aufmerksamkeit  auf  den  Lehrpian  der  Geographie  lenke,  so  führt  Bedoer 
ans,  aSchie  er  den  allgemeinen  deutschen  Sprachverein  um  Verzeihung 
bitten,  wenn  er  doch  Geographie  statt  Erdkunde  sage.  Er  erinnert  dabei 
an  die  Vorrede  zur  ersten  Ausgabe  von  Jacob  Grimms  deutscber  Grammatik, 
wo  Grimm  sieb  nachdrücklich  gegen  Obersetzuog  geschichtlich  gewordener 
Worter  erklart,  und  betont,  dafs  er  einen  besondern  Patriotismus  in  solchen 
aeaea  Wortprägungen  nicht  finden  könne,  er  werde  nach  wie  vor  Geogra- 
phie sagen,  besonders  auch,  weil  alle  europäischen  Colturvölker  dieses 
Wort  gebranebten.  In  dem  geographischen  Lehrplan  für  VI  hebt  er  als 
wichtig  hervor,  dafs  der  Ausdruck  „Heimatskuode*'  vermieden  sei:  der  Lehr- 
pian fübre  auf  verständige  Weise  die  Knaben  in  den  Unterricht  ein.  Ganz 
verfefalt  erscheine  ihm  aber  das  Pensum  der  V.  Man  habe  vielleicht  ge- 
meiat,  man  könne  den  Patriotismus  nicbt  früb  genug  in  die  Schaler  binein- 
kfiagea :  er  glaube,  dafs  für  das  Vaterlandsgefnbl  in  V  ausreichend  gesorgt 
sei  dorcfa  Taterländiscbe  Feste  u.  s.  w.  Nach  dem  Gange  unserer  Gymnasial- 
arbeit sei  es  immer  früh  genug,  wenn  die  Geographie  Deutschlands  in  III 
bebaadelt  werde.  Auf  den  ersten  Stufen  solle  man  die  Knaben  binausfübren 
in  die  weite  Welt,  das  mache  ihre  Neugier  rege,  und  diese  sei  die  erste 
Stvfe  za  wissenschaftlicher  Betrachtung.  Er  schliefse  auch  die  Behandlung 
anlserearopaiseher  Erdteile  unmittelbar  an  das  Vorhergehende  an.  Der 
aatargemaTse  Weg  sei  der,  dafs,  wenn  man  in  VI  den  Gang  durch  die  Welt 
gmacbt  habe,  man  in  V  die  aufserenropäischen  Erdteile  durchgehe,  in  IV 
Eoropa  aalser  Dentsebland,  wie  für  diese  Klasse  sebr  verständig  im  Lebr- 
pkae  TOJigeacfariebeD   sei.    Der   Schüler  lerne   dort  zum  ersten  Male   Ge* 


62    30.  VersammluDi;  4.  Vereins  Rheinitcber  Scbulminner  , 

schichte,    «n   welche   sich   die   Geographie  GriecheoIaDds,   Italiens   o.  s.  w. 
get  aoschlÖsse.     Der  woodeste  Punkt   aber    sei  nan  die  Geographie  in  Olli 
und  U III.    Bei  der  Verteilung  des  Lehrplanes  stände  ihm  sein  bischen  Ver- 
stand still,   er  frage,  sich,  ob  nicht  irgend  ein  Druck-  oder  anderer  Fehler 
%a  Grunde  liege.    Der  Lehrplan  setze  die  Wiederholung  der  politischen  Geo* 
graphie    an    den  Anfang;    er    sei  der  Ansicht,    dafs    eine  „Wiederholung'^ 
der  politischen  Geographie    in  die  0  III   gehören  würde,   wenn    der  Schüler 
zwei  Jahre  deutsche  Geschichte  getrieben  habe;  zu  Anfang  wSre  dagegen 
eine    Wiederholung   der    physischen    Geographie    am   Platze.      Mit    der 
Wiederholuog   aber   werde   es   überhaupt   nicht  zu  glänzend  hestellt  sein; 
es  werde  eben  so  gut  wie  nichts  mehr   ans  dem  Pensum  der  V  zu  wieder- 
holen sein.     Das    habe   doch  bisher  als  unbestritten  gegolten,    dafs  mit  der 
deutschen  Geschichte   in    III    der   geographische  (jnterricht   eoge  Beziehung 
haben  müsse,   so  dafs  in  Olli  physische  Geographie  Deutsehlands:  Wieder- 
holung des  Pensums  der  V,  aufsereuropäische  Erdteile  und  in  U  III  politische 
Geographie   Deutschlands   unter  Berücksichtiguog   seiner   überseeischen    Be* 
Ziehungen  zu  treiben  sei.    Die  Behandloog  der  Kolonien   sei  übrigens  nicht 
ao    die   physische  Geographie   sondern  an  die  politische  anzuschliefsen  und 
nicht  als  Hauptpensum   der  Ulli  hinzustellen.    So  stelle  er  denn  folgenden 
Lehrplan   für  die  Geographie  auf:   VI  wie  der  Lehrplan;   V  die  anfsereurö- 
päischen  Erdteile;    IV  Europa    aufser   Deutschland,   III    in  Verbindung   mit 
dem   geschichtlichen    Unterricht    eine    möglichst    tiefgehende    Kenntnis   der 
Geographie  Deutschlands   und   zwar    der   physischen    und    der    politischen. 
Dann    könne   man    iu  Uli   in   sehr   nützlicher  Weise   die  Verhältnisse   der 
europäischen   Staaten   behandeln,   indem    man    sie   stets    mit  den  dentscheo 
Verhältnissen  vergleiche.    Ein  solcher  Unterricht  sei  utilitarisch,  aber  au<^ 
wissenschaftlich;    beides   schliefse  sich  durchaus   nicht  aus.     Den  geographi'- 
schen  Unterricht   in  den  obern  Klassen  möchte  er  lediglich  als  AnwenduDg 
der  erlangten    geographischen    Kenntnisse   beim    Geschichts-   und   sonstigen 
Unterricht  bezeichnen.    Gerade  beim  Geschichtsunterricht  müsse  der  Schüler 
sich  gewöhnen,    nicht  einen  Ort  gedankenlos  nennen  zu  hören,    ohne  ihn  io 
Verbindung   zu   bringen    mit   irgend    einer  geographischen  Beziehoog.    Der 
Vortrag   wurde  von  der  Versammlung   mit  lautem,  allgemeinen  Beifall  aaf- 
genommen.    In  der  darauffolgenden  Besprechung  legte  Dir.  Menge  (Boppard) 
im  Namen  des  deutschen  Sprachvereins  Verwahrung   ein   gegen  Jägers  Be- 
mängelung des  Ausdruckes:    „Erdkunde*^    Im  übrigen  stimmte  er  den  Aas- 
führungen  Jägers  bei. 

Schulrat  Münch  spricht  den  Worten  Jägers  seinen  Beifall  aus,  nament- 
lich was  er  über  die  III  gesagt  habe;  dagegen  könne  er  ihm  in  betreff  der 
V  nicht  zustimmen.  Das  Gefühl,  dafs  man  erst  Kunde  von  der  heimatlichen 
Welt  haben  müsse,  ehe  man  weiter  gehe,  finde  man  auch  sonst  wohl.  Die 
Geographie  Deutschlands  zweimal  durchzunehmen  sei  nach  seiner  Ansicht 
sehr  wünschenswert,  was  ja  auch  die  Praxis  der  meisten  Schulen  zeige. 
Es  komme  darauf  an,  dafs  die  Geographie  in  V  besonders  anregend  gegeben 
werde,  dann  lasse  sieb  doch  etwas  erreichen.  In  betreff  der  Behandlung 
der  Kolonien  gebe  er  JÜger  Recht;  dafs  man  denselben  ein  paar  Standen 
widme,  tbörichte  Anschauungen  bekämpfe,  das  halte  er  für  ganz  riehtig.  In 
den  ebern  Klassen  solle  allerdings  die  Geographie  dem  geschichtlichen 
Unterricht  dienen,  aber  nicht  ausschlierslich. 


TOD  Pr.  Moldenhaoer.  63 

'  Prof.  PoklmaDo  (Werden)  fragt  ia  beireff  der  V,  ob  nieht  mit  dem 
ubedio^B  Vergchiebeo  von  DeotscblaDd  bis  Hl  der  Erdbescbreibuog  der 
Volksschule  das  Todesurteil  gesproeheo  wurde  aad  ob  oicbt  die  Sebüler  zu 
karz  kamea,  welche  mit  IV  die  Sohule  yeriierseoT 

Prof.  BrauD  (DusseldorO  bat  auf  Grund  seiner  Thätigkeit  io  V  gute 
Erdhi-Bu^B  mit  dem  neuen  Lebrplane  gemacht  und  balt  Jäger  entgegen, 
ials  ciu  aoleher  Uaterrieht,  der  allerdings  nicht  trocken  gegeben  werden 
dirfe,  doch  wohl  auf  den  richtigen  Boden  fallen  werde.  Er  glaube,  dafs  die 
KaahcD  recht  viel  Wertvolles  mit  in  die  folgende  Klasse  genommen  hätten. 

Prof.  Moldenhaner  (Köln)  giebt  wohl  an,  dafs  der  Lehrer  in  V  dea 
Cnterricht  recht  anzieheud  machea  koone  und  müsse,  aber  ebenso  sei  er  nach 
seiaer  Erlafaroog  davon  überzeogt,  dafs  die  Schüler  nieht  weniger  freodig 
dem  Lehrer  in  die  Steppen  Amerikas,  in  die  Wüsten  Asiens,  in  das  Innere 
Afrikas  folgen  würden:  und  wenn  man  bedenke,  mit  wie  viel  Anteil  Schüler 
dieses  Alters  Fremdartiges,  z.  B.  Indiaaergeschichten  lasen,  dann  käme  man 
■ic  dem  Uoterricht  in  dea  anfserenropäischen  Erdteilen  Ihrer  Phantasie  doch 
mehr  entgegen,  was  zugleich  auf  den  Unterricht  gat  einwirke.  Dann  möchte 
er  firageo,  wann  der  eigentliche  Unterricht  in  den  anfserenropäischen  Erd- 
teilen an  die  Reihe  käme? 

Dir.  Jäger:  Die  Verhältaisse  der  Volksschule  und  die  Frage  der  von 
IV  abgehenden  Seh&ier  darf  man  nicht  heranziehen;  der  Lehrplan  müsse  sich 
nach  der  grofsen  Mehrzahl  richten,  welche  die  Schule  länger  besuchten. 
Wenn  er  gebort  habe,  wie  entzackt  die  Schuler  in  der  V  von  der  Geogra- 
phie Deutschlands  seien,  dann  könne  er  sich  gar  nicht  mehr  vorstellen, 
ia  welchem  Himmel  der  Tertianer  schweben  müsse,  wenn  ihm  die  Geogra* 
phie  seinen  Vaterlandes  so  lebendig  gemacht  würde.  Was  der  Vorredner 
habe  beweisen  wollen,  habe  er  in  Wahrheit  nicht  bewiesen;  denn  er  selbst 
habe  nicht  sagen  wollen,  dafs  fdr  den  Schüler  der  Uoterricht  io  der  deut- 
schen Geographie  nicht  nötig  sei,  sondern  noch  oicbt  auf  dieser  Stufe. 
Mit  Schulmt  Münch  wolle  er  einen  Kompromifs  machea  derart,  dafs  man 
ia  VI  den  Unterricht  mit  Deotschland  schliefse,  ihn  ia  V  so  fortsetze,  dafs 
dea  Schillern  das  Notwendigste  von  Dentschlaod  gessgt  werde,  dafs  aber 
die  Haoptsache  die  Geographie  der  aofsereoropäischen  Erdteile  bilde,  in  III 
umgekehrt,  die  anfserenropäischen  Länder  zor  Nebeoaufgabe,  die  deutsche 
Geegraphie  znr  Hanptsache  werde. 

Dir.  Matthias  spricht  sieh  entschieden  für  den  Lehrplan  ans,  wie  er 
jetzt  für  die  V  festgesetzt  sei;  die  Schüler  hätten  viel  gelerot,  und  für  die 
aalserearopaischea  Erdteile  sei  Zeit  genog  vorhanden.  Der  dritte  von 
Prof.  Evers  (Düsseldorf)  angekündigte  Vortrag:  „Gedanken  über  die  deutsche 
Lektüre  in  den  Oberklassen  mit  besonderer  Beziehung  auf  Schilters  Ab- 
handlnng  über  naive  und  sentimentale  Dichtnng"  mufste  der  vorgerüekten 
Zeit  wegen  der  nächsten  Versammlung  aufgespart  werden.  An  Stelle  der 
satmngsmnfslg  ausscheidenden  Mitglieder  des  geschäftsfÜhrenden  Ausschusses 
Dir.  Schmita  (Köln)  und  Evers  wurden  gewählt  Dir.  Jäger  und  Prof.  L.  Stein 
(Koln-Marzelien).  An  die  Verhandlungen  schlofs  sich  das  gut  besuchte 
Mittagsmahl    an,    bei    welchem   Sehnlrat  Münch   das  Hoch   auf  den    Kaiser, 

an/  das  Provinzial-Schnlkolleginm  ausbrachte. 

£glii.  F*  Moldenhaucr. 


VIERTE  ABTEILUNG. 


EINGESANDTE  BÜCHER. 


1.  H.Kraenkel,  Hermaoo  der  Befreier.  Ein  vaterländisches  Fest- 
spiel fSr  die  deotsehe  Jagend.    Programm  Lahr  1893.    44  S.   4. 

2.  Leo  Bahlsen,  Schalfestspiele  ans  der  Geschichte  des 
Vaterlandes.  Für  die  Dilettantenbiihoe.  Leipzig,  Ph.  Reclam  juo.  72  S. 
0,20  M.  —  Inhalt:  1)  Aus  Karls  des  Grofsen  Tagen;  2)  Im  FrUbrot  eioer 
neuen  Zeit;  3)  Des  Vaterlandes  Not  nod  Erhebung;  4)  Durch  Sieg  zur 
Einheit 

3.  Bötticher  nnd  Kinzel,  Denkmäler  der  alteren  deutschen 
Litteratur.  III  1:  Hans  Sachs,  ausgewählt  und  erläutert  von  K.  Kinzel. 
2.  Auflage.  VIII  u.  120  S.  0,9U  M.  IV  2:  Die  Litteratur  des  18.  Jahrhunderts 
vor  Klopstock,  ausgewählt  und  erläutert  von  G.  Bötticher.  VIII  u.  122  S. 
0,90  M.     Halle  a.S.  1893,  Buchhaudluog  des  Waisenhauses. 

4.  F.  Linnig,  Deutsches  Lesebuch.  Zweiter  Teil.  Für  die 
mittlereo  Klassen  höherer  Lehranstalten  einschliefslich  Sekunda.  Achte,  ver- 
besserte Auflage.  Paderborn  1893,  F.  Schöningh.  XVUI  n.  581  S.  3,5011. 
—  Vgl.  diese  Zeitschrift  1892  S.  312. 

5.  Ed.  Büttner,  Orthographisches  (Ibungsheft  für  Schüler 
Beigabe  zu  dem  „ÜbungsstoGT  für  den  üuterricht  in  der  deutscheo  Recht- 
schreibung". Dritte  Auflage.  Berlin  1893,  Weidmaonsche  Bnchhandluog. 
76  S,  hart.  0,60  M. 

6.  W.  Berg,  Aufgaben  zu  deutschen  Aufsätzen  und  Vor* 
trägen  in  den  oberen  Klassen  höherer  Lehranstalten.  Aus  den  Jahres- 
berichten der  höheren  Lehraostalten  der  Provinz  Sachsen  zusammeogestellt 
und  systematisch  geordoet.  Berlin  1893,  R.  Gärtners  Verlagsbuchhandluog 
(H.  Heyfelder).     XX  u.  202  S.     2,80  M. 

7.  Symbolae  Pragenses.  Festgabe  der  deutschen  Gesellschaft  für 
Altertumskunde  in  Prag  zur  42.  Versammluag  deutscher  Philologen  und  Schul- 
männer in  Wien.     Prag  1893,  Tempsky.     221  S.  gr.  4. 

8.  J.  Rappold,  Chrestomathie  aus  griechischen  Klassikern, 
X  u.  93  S.  kart.l,40M;  Chrestomathie  aus  lateinischen  Klassikern, 
XIV  u.  193  S.  kart.  2  M.  Wien  18 J3 ,  C.  Gerolds  Sohn.  —  Die  Hefte 
sind  bestimmt  „zur  Erleichterung  und  Förderung  des  Übersetzens  aus  dem 
Stegreife"  und  erfüllen  diesen  Zweck  vortrefflich,  da  der  Herausgeber  seine 
Auswahl  mit  Sachkenntnis  und  Geschmack  getroffen  hat. 

9.  P.  Harre,  Lateinische  Schnlgrammatik.  Teil  II:  Lateinische 
Syntax.  Zweite  Auflage.  Berlin  1893,  Weidmaonsche  Buchhandlung.  VIII 
u.   160  S.  nebst  Anhang  XLV  S.     1,80  M. 

10.  L.  Bauer,  Handschriftliche  und  kritisch-exegetisehe 
Erörterungeo  ku  den  Punica  des  Silius  Italiens.  Programm  Augs- 
burg 1893.  55  S.  -—  Die  Abhandlung  bildet  eioe  Art  Ergänzung  za  der 
Praefatio  der  Silius-Ausgabe  des  Verfassers. 

11.  Plaut!  comoediae.  Rec.  G.  Goetz  et  Fr.  Schoell.  Fase.  I. 
(Amphitruo,  Aslaaria,  Aulularia).  Leipzig  1893,  B.  G.  Teubner.  XXXIII 
tt.  158  S.     1,50  M. 

12.  Scholia  Terentiaoa.  Collegit  et  diaposnit  Fr.  Schlee.  Leip- 
zig 1893,  B.  G.  Teubner.     184  S.    2  M. 

13.  C.  Stande,  De  Arnobii  oratione.  Progr.  Saargemünd  1893. 
86  S.    4. 


E  EISTE  ABTEILUNG. 


ABHANDLUNGEN. 


Waa  ist  der  Einheitssoliule  entgegenzusetzen? 

Wir  können  uns  der  Besorgois  nicht  verschlierseo,  dafs  die 
Reform  des  höheren  Schulwesens  darauf  hinauslaufen  möge,  dafs 
Gfmnasium  und  Realgymnasium  in  die  „Einheitsschule"  aufgehen 
werden,  dab,  wie  Paul  Cauer  in  der  Deutschen  Litteraturztg. 
V.  J.  Nr.  34  sagt,  an  der  entscheidenden  Stelle  bereits  erwogen 
wird,  das  in  Hoffnung  auf  einen  gönstigen  Erfolg  gestattete  Frank« 
iarier  Experiment  nachher  als  erprobtes  System  einer  allgemeinen 
Ofganisation  des  höheren  Schulwesens  zu  Grunde  zu  legen.  Ver- 
matlicb  ist  das  nicht  bestimmte  Absicht,  aber  doch  wohl  in  Aus- 
sicht genommen,  zur  Beschwichtigung  des  Reformstreites  die 
Binheitsschule  als  eine  besondere  Form  neben  den  anderen  zu 
dulden.  Nach  einer  solchen  Anerkennung  des  Prinzipes  werden 
die  Torläufig  eingestellten  AgitationsstQrme,  wie  bereits  angekündigt 
ist,  wieder  losbrechen,  und  sobald  jene  Form  in  einer  gröfseren 
Zahl  Ton  Anstalten  Wurzel  gefafst  hat,  wird  sich  herausstellen, 
daCs  —  schon  wegen  der  Verwickelungen  des  Übertritts  —  die 
Gymnasien  daneben  nicht  bestehen  können.  Dafs  diesen  durch 
die  Lehrpläne  Yon  1892  neue  Lebenskraft  eingehaucht  sei,  wird 
schwerlich  jemand  behaupten;  und  doch  bieten  sie  eine  Grund- 
lage, die  sich  so  ausgestalten  liefse,  daüB  es  wohl  geschehen 
könnte.  Die  Reform  ist,  wie  Paulsen  es  ausspricht,  obgleich 
sie  das  richtige  Ziel  verfolgte,  unser  höheres  Schulwesen  den  Be- 
diirfDiss^i  der  Gegenwart  anzupassen,  nicht  ganz  auf  das  richtige 
Geleise  gekommen.  Unter  diesen  Umständen  wäre  es  möglich, 
dals  der  Versuch  einer  Vermittelung,  die  ich  seit  längeren  Jahren 
angestrebt  nnd  in  mehreren  Schriften  vorgeschlagen  habe,  jetzt 
aber  aof  Grundlage  der  neuen  Lebrpläne  besser  und  entschiedener 
ausgefahrt  vorlegen  kann,  Beachtung  und  eine  günstigere  Beur- 
tdlang  fände. 

Zuvor  muts  ich  zeigen,  weshalb  ich  den  Bau  der  Einheits- 
idnile,  obgleich  ich  deren  Grundsätze  in  ihrer  Allgemeinheit 
durchaus  ab  berechtigt  anerkenne,  nicht  billigen  kann. 


65  W»s   ist  der   Eioheitsschale   entgegenzusetzea?, 

Eine  Hauptstutze  der  Gegner  ist  der  äufserliche,   praktische 
Grund,   dafs  durch  die  Einheitsschule  die  Entscheidung  über  die 
Wahl    des  Berufes    länger    hinausgeschoben  werde.     Es   ist  nicht 
zu  leugnen,  dafs  dies  in  manchen  Fällen  wünschenswert  sein  kann, 
aber    so    allgemein,    wie  es  als  Bedürfnis  hingestellt  wird,    ist  es 
nicht.     Recht  oft  pflegen  Eltern,    sei  es  genötigt  durch  das  Mafs 
der  zur  Verfügung  stehenden  Mittel,  sei  es  aus  Vorliebe  für  einen 
Stand,  oder  aus  Ehrgeiz,  oder  nach  Überlegung,  was  für  das  Fort- 
kommen   am    vorteilhaftesten   sei,    schon    früh    Beschlüsse    oder 
Wünsche    für   die  Wahl    der  Berufsgattung  der  Söhne  zu  fassen; 
diese  Wünsche  wirken  auf  die  Kinder  eiu  und  bilden  gewöhnlich 
die  Neigung    zu    dem    einen    oder  anderen  Berufe  in  ihnen  aus. 
Glücklicherweise    ist    die  geistige  Begabung   der  grofsen  Mehrzahl 
eine    mittlere,    die   für  das  Durchschnittsmafs  der  Befähigung   zu 
jedem  Berufszweige  ausreicht,  so  dafs  die  Wahl  nach  jenen  Wünschen 
oder  Einflüssen  in  den  meisten  Fällen  sich  als  eine  angemessene 
oder  ausführbare    erweist.     Alle  diese  werden  es  vorziehen,   eine 
Schule    zu    haben,    die    schon   früh   in  der  Richtung  auf  den  in 
Aussicht  genommenen  Beruf  hinarbeitet.    Aber  es  war  der  Mehr- 
zahl gleichsam  Trotz  geboten  durch  die  Norm,   dafs  alle  höheren 
Schulen  den  spezifischen  Unterbau  haben  sollten,  wie  er  für  einen 
Fortgang  im  Gymnasium  verlangt  wurde.    Eine  grofse  Menge  von 
Schülern,  denen  es  längst  feststand,  dafs  sie  mit  dem  t5.  Normal- 
lebensjahre   in    das  bürgerliche  Leben    eintreten  würden,    fanden 
zu  wenig,    was    sie    bedurften,    und   mufsten  sich  gefallen  lassen 
behandelt   zu  werden,   als    ob    sie  die  Maturitätsprüfung  machen 
sollten.     Dieser  Druck    hat  seit  langen  Jahren  immer  weiter  ver- 
breiteten Verdrufs  erregt  und  läfst  jetzt  einen  indifi'erenten  Unter 
bau  als  erlösende  Panacee  erscheinen.    Daher  der  grofse  Anhang. 
Wenn  damit  aber  die  Schüler  im  12.  bis  13.  Lebensjahre  vor  ein 
Entweder-Oder  gestellt  werden,  so  mag  das  in  den  meisten  Fällen, 
wo    nur    die    vorher  schon    gefafsten  Absichten    sich    bestätigen, 
unbedenklich  sein,    in  anderen   auch  genügender  Anhalt  zu  einer 
Änderung  des  früheren  Wunsches  sich  darbieten,  aber  ihn  durch- 
weg als  Scheidepunkt  hinzustellen,  dazu  ist  er  keineswegs  beson- 
ders geeignet.   In  diesem  Alter  haben  die  Knaben  noch  zu  weaig 
Kenntnis    von   den   Lebens-    und   Berufsverhältnissen,    sie    lassen 
sich    leicht  durch  zufällige  äufsere  Eindrücke    bestimmen.     Auch 
den  Eltern  fällt,  wie  Lehrer  aus  Erfahrung  wissen,  ein  Entscblufs 
in  der  Regel  recht  schwer,  wenn  sie  von  früher  gehegten  Wünschen 
und  Hofl'nungen    dann  schon  ablassen  sollen;    und    höhere  Pläne 
zu    fassen    oder  gar  dazu  zu  raten   ist  auch  noch  eine  unsichere 
Sache.    Nicht  selten  tritt  nach  der  Pubertät  ein  Umschwung  des 
Geistes    ein;    bis  dahin  schwache  Schüler  zeigen  sich  als  tüchtig, 
kleine  Musterschüler  der  unteren  Klassen    täuschen   die  gehegten 
Erwartungen.     Bei    zweifelhaften  Naturen    und    in  den  gleichfalls 
nicht   seltenen  Fällen,    daIJs  Eltern    trotz    der   entgegenstehenden 


von  J.  Lattmano.  67 

Bedeoken  den  Weg  zu  einem  höheren  Ziele  noch  offen  halten 
wollen,  IriU  in  Wirklichkeil  die  Entscheidung  auf  der  Stufe  der 
Miiilärberechtigung  ein;  da  wird  die  Frage  durch  die  Lage  der 
Dinge  gestellt.  Meistens  sind  gerade  die  alten  Sprachen  der  Prüf- 
stein, an  dem  nach  und  nach  bei  den  sich  steigernden  Anforde- 
rungen zum  Bewufstsein  kommt,  dafs  wissenschaftliche  Studien 
oder  ein  längerer  Schulbesuch  der  Natur  des  Schülers  nicht  ent- 
sprechen, womit  keineswegs  immer  gesagt  ist,  dafs  die  geistige 
Befähigung  überhaupt  eine  geringe  sei;  es  handelt  sich  meist  nur 
am  die  Art  ihrer  Bethätigung  und  die  entsprechenden  Charakter- 
eigenschaften. Jene  Probe  sollte  der  Entscheidung  vorausgehen, 
nicht  nachfolgen.  Und  auch  bei  denen,  die  ohne  erheblichen 
Anstofs  durch  die  höhere  Schule  hindurchgehen,  kommt  die  Ent- 
scheidung oft  erst  bei  der  Reifeprüfung;  nicht  selten  wird  auch 
da  noch  ein  Beruf  oder  Studium  angegeben,  das  in  letzter  Stunde 
wieder  gewechselt  wird.  Die  Ansetzung  jenes  Termins  für  die 
Berafswahl  durch  eine  Schuleinrichtung  ist  also  keineswegs  so 
allgemein  praktisch,  wie  gerühmt  wird.  Die  Bequemlichkeit  des 
ganz  gleichen  Unterbaues  wird  erkauft  mit  einem  in  eine  be- 
stimmte Zeit  gelegten  Zwange,  dessen  Verlegenheiten  übersehen 
werden.  Und  ob  die  „Einheitlichkeit  der  Bildung'',  die  durch  den 
ganz  gleichen  Unterbau  erzielt  werden  soll,  durch  den  vom  ihm 
80  scharf  geschiedenen  Oberbau  nicht  wieder  aufgehoben  und 
der  Unterschied  und  Gegensatz  vielmehr  geschärft  werde,  ist  gleich- 
falls eine  noch  unbedachte  Frage.  Eine  Gestaltung  des  höheren 
Schulwesens,  die  mehr  Gleichartigkeit  der  Bildung  und  mehr 
Freiheit  der  Berufswahl  gewährt,  ist  notwendig,  aber  sie  ist  auf 
anderem  Wege  zu  erstreben.    S.  unten. 

Die  gröfste  Kraft  der  Gegner  liegt  in  der  innerlichen, 
idealen*'  Stütze  ihrer  Bestrebungen,  dafs  die  fortgeschrittene 
Kulturentwicklung  der  Neuzeit  eine  gröfsere  Ausdehnung  und 
Wertschätzung  der  modernen,  darunter  insbesondere  auch  der 
nationalen  Elemente  in  der  Jugendbildung  gebieterisch  fordere. 
Die  Berechtigung  dieser  Forderung  und  die  Notwendigkeit  ihr 
mehr  nachzukommen,  als  geschehen  ist,  ist  unzweifelhaft;  die 
Frage  ist  nur  auch  hier:  welches  ist  der  richtige  Weg  der  prak- 
tischen Ausführung?  Da  möchte  es  angebracht  sein  daran  zu  er- 
innern, dal^  dieser  Weg  schon  vor  50  Jahren  von  mifsliebigen 
„Reformern''  eingeschlagen  wurde.  Wie  haben  damals  Mager, 
Scheiben,  Langbein  in  der  Pädagogischen  Revue  (Archiv) 
und  viele  andere  darum  gekämpft,  die  lateinlose  „Realschülers 
das  „Börgergymnasium'',  die  „Höhere  Bürgerschule''  ins  Leben 
zu  rufen  oder  ihr  Dasein  zu  sichern!  Es  war  ein  Kampf,  der  an 
Heftigkeit  den  neueren  Reformslreitigkeiten  nicht  nachstand,  er 
wurde  jedoch  auf  schuitechnischem  Gebiete  von  Lehrern  gefuhrt. 
Weil  aber  einer  aus  den  Lebensbedürfnissen  herauswachsenden, 
von  berufenen  Vertretern    angeratenen  Reform  nicht  Genüge  ge- 

5* 


68 


Was  ist  der  Eiolieitssehole   eatgegeosasetzaDT, 


schab,  darf  man  sich  nicht  darüber  wandern,  dafs  darauf  die 
Laien  die  Agitation  in  die  Hand  genommen  und  die  soziale  Seite 
der  Frage  heftiger  gellend  gemacht  haben.  Das  hat  ja  auch  ge- 
holfen. Dieselbe  Hand,  die  froher  die  Real-  oder  auch  die  Höhere 
Börgerschule  nicht  gedeihen  liefs,  fördert  jetzt  die  „lateinlose 
Schule*^  mit  aller  Macht.  Dieser  Umschlag  bringt  es  nun  mit 
sich,  dafs,  wie  früher  alle  höheren  Schulen  der  Norm  des  Gym- 
nasiums unterworfen  wurden,  jetzt  umgekehrt  das  Prinzip,  das 
Gymnasium  nach  dem  Mafse  der  lateinlosen  Schule  umzugestalten, 
die  Oberhand  gewinnt.  Die  frühere  Realschule,  selbst  noch  als 
sie  aus  äufserlichen  Rücksichten  sich  gezwungen  sah  nach  einer 
Gleichstellung  mit  dem  Gymnasium  zu  streben,  wollte  nur  nebea 
das  Gymnasium,  die  Einheitsschule  will  an  dessen  Stelle  treten. 
Die  Einheitsschule  mit  gleichem  Unterbau  ist  übrigens  nichts  so 
Neues,  wie  manche  anzunehmen  scheinen;  der  Idee  nach  wurde 
sie  gleichfalls  schon  vor  fast  50  Jahren  einmal  versucht.  Es  ist 
charakteristisch,  den  „Unterbau'*  mit  „Bifurkation'\  wozu  sich 
1849  die  Realschulmänner  in  einer  gewählten  Konferenz  ver* 
standen,  mit  der  jetzigen  Einheitsschule  zu  vergleichen.     Damals: 


Uotergymoasium 


VI 


IV 


Obergymnasiom 


m 


II 


I 


RealfymDulam 


m 


II 


Deutsch  .  . 

Lateioiseh 

Französisch 


6 
6 


4 
6 
4 


4 
6 
4 


3 

8 
2 


3 

8 
2 
6 


3 
8 
2 
6 


Engl.  3 


4 
3 


Griech.  6 
o.  s.  w. 

Man  sieht,  für  wie  unüberwindlich  damals  noch  das  einseitige 
Prinzip  galt,  der  Unterbau  der  höheren  Schule  müsse  den  Cha- 
rakter der  lateinischen  Schule  haben.  Ist  nun  nicht  der  latein* 
lose  Unterbau  das  ebenso  einseitige  Gegenstück  dazu?  In  dieser 
Beziehung  ist  die  Einheitsschule  ebenfalls  auf  ein  nicht  richtiges 
Geleis  gekommen;  ihr  ganzer  Bau  ist  doktrinär  konstruiert  und 
das  Gesetz  einer  gesunden  Fortentwicklung  nicht  beachtet,  dafs 
eine  solche  von  dem  Boden  des  geschichtlich  Überlieferten  aus- 
gehen mufs.  Aber  freilich  lastet  auf  der  anderen  Seite  die  Schuld, 
dafs  sie  immer  noch  an  diesem  Boden  haften  bleiben  will;  wenn 
das  auf  der  einen  Seite  geschieht,  geht  es  ohne  einen  einseitigen 
Vorstüfs  von  der  anderen  nicht  ab. 

Mit  der  Behauptung,  dafs  der  altsprachliche  Unterricht  das 
einzig  wahre  Mittel  der  „formalen  Bildung'*  sei,  das  „Cen- 
trum'', an  das  sich  die  übrigen  Disziplinen  anlegten,  um  im 
wesentlichen  nur  das  notwendige  reale  Wissen  herbeizubringen 
und  die  ethischen  Seiten  der  Religion  und  der  Nationalität  anzu- 
fügen, ist  das  Gymnasium  nicht  mehr  zu  halten.  Das  mochte 
geschehen  in  der  Zeit,  wo  diese  Idee  des  alten  Gymnasiums  seine 
Stütze   an    einer    wenigstens   noch    vorherrschenden    allgemeinen 


voa  J.  Lattmasn.  g9 

Meinung  und  an  einer  staatlichen  Protektion  hatte,  jetzt  aber  ist 
die  Lage    der  Dinge    die,   dafs  wir  einer  überwältigenden  Zeit- 
strömung  entgegen,  die  auch  die  Regierungen  als  eine  berechtigte 
mehr  als  früher  anzuerkennen    nicht  umhin  können,   die   huma- 
nistischen Elemente    als  einen  Teil    der  höheren  Bildung,    aller- 
dings  als  einen  sehr  wesentlichen  Teil,   als  ein  notwendiges  und 
starkes    Glied    des   Ganzen    zu    erhalten    streben    müssen.     Das 
scheint  die  Einheitsschule  ja  auch  zu  wollen,    da  sie  den  alten 
Sprachen   in   der  einen  Gabelung   einen   sehr  weiten  Raum    zu- 
gesteht.    Ja,  man  lärst  den  Baum  stehen,    sticht  ihm  aber  seine 
Wurzeln    ab,   indem    aus   dem   allgemeinen  Bildungsmittel 
eine  konzentrierte  Vorbereitung  auf  Fachstudien  gemacht  wird. 
Das   mögen   einige   der  Väter   oder  Freunde   der   Einheitsschule 
nicht  beabsichtigen,   aber  die  Mehrzahl  glaubt  wohl  nur  der  noch 
sehr    verbreiteten  Hochschätzung   des   altsprachlichen  Unterrichts 
einige  Rücksicht   schenken    zu    müssen,   während  sie  im  Grunde 
kein  Herz  dafür  haben  und  meinen,   dafs  er  nur  denen,   die  ihn 
für  ihr  Fachstudium    bedürfen,   von  Wert   sei,    da  die  Kenntnis 
vom  Altertum,  soweit  sie  nötig  sei,    auf  anderen  Wegen   erlangt 
werden  könne.    Darauf  treibt  die  Einheitsschule  hin.     Ihre  Ver- 
teilang  der  Disziplinen  führt  zu  einer  noch  stärkeren  Ausbildung 
des  Facblehrertums.    Alsdann,   sobald  sie  zur  Grundlage  der  all- 
gemeinen    Organisation    des   höheren  Schulwesens    erhoben    sein 
wird,  werden  alle  Schüler,    die  nicht  ein  Universitätsstudium  be- 
absichtigen, zu  dem  noch  allein  eine  humanistische  Reifeprüfung 
als  berechtigend  festgehalten  wird,  der  realistischen  Gabelung  sich 
zowenden.     Die   späteren  Jahre    der  Schulbildung   in    so    ausge- 
dehntem Mafse,  wie  es  die  humanistische  Gabel  verlangt,    diesen 
femliegenden  Studien  zu  widmen  und  dazu  noch   zweimal   die 
saure  Arbeit  der  Erlernung  der  Elemente  der  alten  Sprachen  auf 
sich  zu  nehmen,    das  mufs  jeden,   der  nicht  dazu  genötigt  wird, 
afaecbrecken.    Solchen  Forderungen  gegenüber  werden  auch  wohl 
diejenigen  Mediziner,   die   bisher  noch  gern  an  dem  Gymnasium 
festhalten  wollten,  der  realistischen  Gabel  den  Vorzug  gebeo,   die 
obeoein    dem  Lateinischen    noch  etwas  Besseres  gewährt   als  der 
Lehrplan   des  Realgymnasiums.     Es   würden    also   in  der  huma- 
nistiscben   nur  Theologen,  Philologen  und  Juristen  bleiben.     Wie 
lange   aber  die  letzteren    eine  so  konzentrierte  Beschäftigung  mit 
dem  Altertume,   insbesondere   mit  dem  zuguterletzt  noch  zu  be- 
ginnenden Griechisch   auszuhalten   bereit  sein  möchten,    ist    sehr 
fraglich.     Wir  würden  wohl  bald  das  Griechische   auf   die  Theo- 
legen und  die  sehr  verminderte  Zahl  der  Altphilologen  beschränkt 
und  damit  den  bisherigen  Begriff  vom  Gymnasium  ganz  beseitigt 
sehen.     Ohne  den  Rückhalt  an  einem  Vollgymnasium   aber  wird 
auch  das  dürftige  Latein  der  realistischen  Gabel  immer  mehr  er- 
matten und  abbröckeln. 

Man  sollte  sich  nicht  durch  das  Bild,   in  welchem   die  Ein- 


70  Was   ist  der  Einheitsschule  eDtgegeozusetzen?, 

heitsschule,  noch  getragen  und  gehoben  von  der  Tradition  des 
Gymnasiums  und  der  Rivalität  mit  diesem,  auftritt,  täuschen  lassen, 
sondern  bedenken,  was  ihrer  Natur  nach  daraus  werden  mufs. 

Welches   ist   denn    nun  der  Stein,   an  dem  die  Reform  sich 
gestofsen   hat   und    in    das    nicht   ganz  richtige  Geleis  abgelenkt 
ist?  —   Es   ist    den  Vertretern   der  Einheitsschule   nicht  zu  ver- 
denken, wenn  sie  den  Eindruck  empfunden  haben,  dafs  man  (um 
das  Antistrophon    eines    froheren   Ausdrucks   zu    benutzen)    den 
realistischen  Forderungen   der  Neuzeit    zwar    Röcksicbt   schenke, 
aber  kein  Herz  dafür  habe.    Ihr  gröfster  Gewinn  ist  die  lateinlose 
Realschule,    im  Gymnasium    selbst    aber  sind    die  Zugeständnisse 
trotz  der  grofsen  Opfer  an  den  alten  Sprachen  problematisch  oder 
den  Wünschen  nicht  entsprechend.   Dagegen  spurt  man  durchweg 
das  Streben,    gleichsam   im  Gegensatze   zu  der  „lateinlosen'',    an 
dem  spezifischen  Charakter  der  „lateinischen  Schule*'  festzuhalten. 
Es  ist  bekanntlich  ein  Grundsatz  dieser,  dafs  das  Lateinische  die 
Grundlage  alles  Sprachunterrichts    sein    müsse;    deshalb   wird   an 
dem  Beginne  mit  dem  Latein  in  Sexta  wie  an  einer  heiligen 
Satzung  festgehalten  und  der  so  dringende  Wunsch  der  Vertreter 
der  Neuzeit,    mit    einer  neueren  Sprache    den    fremdsprachlichen 
Unterricht  beginnen  zu  lassen,  zurfickgewiesen.     Ja    man  könnte 
die  Verschiebung  des  Französischen    nach  Quarta   so  deuten,    als 
ob  sie  geschehen  wäre,  um  nur  ja  das  Fundament  des  Lateinischeu 
in  aller  Breite  und  Festigkeit  zu  legen,    obgleich    andere  Gründe 
dafür  geltend  gemacht  werden;    aber   die  Wirkung    ist  doch   die, 
dafs    der  Charakter  der  lateinischen  Schule   gleich  von  unten  auf 
recht    hervorgekehrt  wird.     Man    steift    sich    auf  den  alten  Satz, 
dafs  die  Formen  zu  einem  unverlierbaren  Gedächtniseigentum  ge> 
bracht,    Gedächtnissachen  •  aber  möglichst  früh    begonnen  werden 
müfsten.     Das  war    richtig,    solange  das  Latein  als  eine  notwen- 
dige Realkenntnis  für  mündlichen    und  schriftlichen  Gebrauch  im 
späteren  Leben  gelehrt  werden  mufste,  mochte  auch  noch  gelten, 
solange  der  lateinische  Aufsatz  als  Endziel  und  Pfeiler  des  Gym- 
nasiums angesehen  wurde;    nachdem  aber  diese  Zwecke  beseitigt 
sind,    dagegen    eine    tüchtigere  Kenntnis    der    neueren  Sprachen 
oder  wenigstens  einer  von  ihnen  sowohl  mehr  als  ein  notwendiges 
Stuck  der  allgemeinen  Bildung,  als  auch  für  praktischen  Gebrauch 
wünschenswert  geworden  ist,  wird  mit  Recht  verlangt,  einer  solchen 
diejenige  Stelle  einzuräumen,  wo  in  der  That  die  Grundlagen  einer 
fremden  Sprache,  die  zu  künftigem  Gebrauche  dauernd  festgehalten 
werden    soll,    am    zweckmäfsigsten    gelegt    werden.     Dafs  wir  im 
Prinzipe  mit  jener  Tradition  der  allen  lateinischen  Schule  brechen 
und  sehr  wohl  einer  neueren  Sprache  den  Anfangsplatz  einräumen 
können,  habe  ich  in  einem  Clausthaler  Programme  von  1888   zu 
begründen   gesucht    und  dann  auch  in  einem  „Lern-,  Lese-  und 
Übungsbuch    für    den    in   Quinta    zu   beginnenden   lateinischen 


von  J.  LattmanD.  7} 

Unterricht^'  1889  praktisch  dargelegt,  dafs  die  grammatischen  An- 
forderungen, die  wir  jetzt  noch  an  den  Elementarunterricht  stellen 
mössen,  auch  unter  dem  Verlangen  der  „Gründlichkeit'*  der 
Lektüre,  in  kürzerer  Zeit  befriedigt  werden  können.  Nur  Rück- 
sichtnahnaen  auf  einen  Ultrakonseryatismus,  den  in  den  oberen 
Klassen  stark  zu  beschneiden  notwendig  erschien,  mögen  es  ver- 
ursacht haben,  dafs  ihm  sein  umstrittener  Unterbau  erhalten  und 
der  Beginn  des  fremdsprachlichen  Unterrichts  mit  einer  neueren 
Sprache  nicht  als  allgemein  berechtigt  anerkannt  wurde.  Und 
irunderbar  genug,  dafs  dieser  daneben  in  einer  extravaganten 
Ausführung  bereitwillig  zugestanden  wird! 

Seitdem  man  merkte,  dafs  das  Latein  immer  mehr  seine 
praktischen,  realen  Stützen  verlor,  hat  man  allerlei  Mittel  benutzt, 
ihm  neue  Stützen  zu  verschaffen.  So  beseitigte  man  den  in  den 
ersten  Jahrzehnten  unseres  Jahrhunderts  noch  eifrig  (allerdings 
onzweckmäfsig)  betriebenen  grammatischen  Unterricht  im  Deutschen 
und  koppelte  ihn  mit  dem  lateinischen  zusammen.  Daher,  trotz- 
dem dafs  der  Fehler  von  deutscher  Seite  erkannt  ist,  das  auch 
in  den  neuen  Lehrpiänen  noch  festgehaltene  Axiom,  dafs  der 
deutsche  und  lateinische  Unterricht  der  Sexta  in  die  Hand  des 
nimlichen  Lehrers  gelegt  werden  solle.  Diese  Verkoppelung  wurde 
noch  weiter  verfolgt,  indem  man  den  naturgemäfs  dem  altsprach- 
lichen Unterrichte  zukommenden  Inhalt,  die  alle  Sage  und  Vor- 
geschichte, auch  in  den  deutschen  und  den  Geschichts-Unterricht 
hineinschob.  Beide  Selten  der  Verkoppelung  wurden  von  der 
ueneren  Pädagogik  mit  Eifer  aufgegriffen,  um  dem  autorisierten 
Gedanken,  daCs  in  dem  altsprachlichen  Unterricht  als  dem  „Cen- 
tnim^'  des  Gymnasiums  sich  der  übrige  „konzentrieren''  solle,  zu 
Diensten  zu  sein.  Hit  diesem  Kunststuck  ist  in  den  oberen  und 
mittleren  Klassen  wenig  zu  machen,  dagegen  kann  man  die  unter- 
sten in  dieser  Art  Konzentration  schwelgen  lassen,  indem  man 
den  inhaltlichen  Stoff  danach  präpariert.  Da  holt  man  den  antiken 
Sagenstoff,  mit  dem  man  in  den  deutschen  und  den  Geschichts- 
stunden die  Köpfe  der  Kleinen  angefüllt  hat,  aus  diesem  Unter- 
richte in  den  lateinischen  zurück,  —  und  um  die  Konzentration 
vollständig  zu  machen,  läfst  man  sie  neuerlich  auch  über  „heimat- 
lichen und  vaterländischen''  Boden  auf  lateinischen  Stelzen  einher- 
spazieren.  Die  neuere  Pädagogik  hat  über  dem  Eifer  für  die 
Th<»rie  den  Blick  für  die  praktischen  Forderungen  der  Zeit  ver- 
loren; sie  sucht  sich  nur  den  gegebenen  Normen  einzufügen,  zu 
der  ganzen  Heformbewegung  steht  sie  kaum  in  ^Beziehung  und 
ist  ohne  Einfluls  darauf  geblieben. 

Ganz  gewifs  ist  die  alte  Heroensage  und  Vorgeschichte  ein 
ganz  vorzüglicher  Unterrichtsstoff  für  das  frühere  Knabenalter. 
Zugleich  ist  sie  ein  sehr  wesentliches  Stück  des  Altertums,  nicht 
our  als  lehrreiches  Bild  der  Kulturentwicklung  der  Menschheit, 
sondern  sie  durchzieht  auch  die  alte  Litteratur  und  ist  von  daher 


72  Was   ist  der  Einheitsschale  entf^eg^eozasetzen?, 

in  die  schöne  Litleralur  der  neueren  Völker  tief  eingedrungen. 
Wenn  wir  die  Kenntnis  vom  Altertume  als  einen  notwendigeD 
Teil  unserer  höheren  allgemeinen  Bildung  betrachten,  so  ist  jener 
Sagen-  und  Geschichtskreis  wohl  das  am  meisten  populäre  Stück 
davon.  Da  wäre  es  nun  eine  vortreffliche  Stütze  für  den  alt* 
sprachlichen  Unterricht,  wenn  man  sich  darauf  berufen  könnte, 
dafs  dieses  ohne  Zweifel  allgemein  geschätzte  Stück  der  höheren 
Bildung  durch  ihn  der  Jugend  zugeführt  werde,  und  dafs  das 
der  Natur  des  Gegenstandes  geroäfs  in  einem  frühen  Lebensalter 
geschehen  müsse.  Diese  vorzügliche  Stütze  eines  frühzeitigen 
Beginns  des  lateinischen  Unterrichts,  der  naturgemäfs  an  diesend 
Stoffe  betrieben  wird,  hat  man  weggerissen  durch  die  ausgedehnte 
Verwendung  desselben  im  deutschen  und  für  den  geschichtlichen 
Unterricht  der  unteren  Klassen.  Hit  Recht  können  die  Gegner 
sagen,  dafs  der  ganze  lateinische  Unterricht  von  Sexta  bis  Quarta 
inhaltlich  wertlos  sei,  da  dieser  Inhalt  den  Schülern  ja  ander- 
weitig zugeführt  werde.  Wenn  man  ihn  auch  in  den  lateinischen 
Stunden  benutze,  so  geschähe  das  nur,  um  daran  die  Elemente 
der  Sprache  zu  lehren,  um  „auf  die  Lektüre  des  Cäsar  vorzu- 
bereiten''; die  dazu  nötige  Vorbereitung  lasse  sich  in  vorgerück- 
terem Lebensalter  weit  schneller  erreichen.  Darin  haben  sie 
recht;  wenn  man  von  dem  lateinischen  Unterrichte  in  den  unteren 
Klassen  nichts  weiter  will,  als  sprachlich  auf  die  Lektüre  der 
Schriftsteller  vorbereiten,  so  braucht  man  die  drei  Jahre  dazu 
nicht.  Dieser  Unterricht  läfst  sich  nur  halten,  wenn  er  auch 
seinem  Inhalte  nach  als  ein  selbständiger,  d.  h.  als  ein  aus  den 
Schriftstellern  selbst  entnommenes  oder  abgeleitetes,  der  betreffen- 
den Altersstufe  zustehendes  und  allein  durch  ihn  vermitteltes 
Stück  des  Altertums  sich  erweist.  Diesen  durchschlagenden  Grund 
gegen  die  zu  weite  Verschiebung  des  altsprachlichen  Unterrichts 
hat  man  preisgegeben,  ohne  zu  merken,  dafs  man  damit  der 
Meinung  der  Gegner,  das  Altertum  brauche  nicht  aus  den  Quellen, 
sondern  könne  in  anderer  Weise  übermittelt  werden,  entgegen- 
gekommen ist. 

Während  man  dem  lateinischen  Unterrichte  in  den  unteren 
Klassen  die  einzige  reale  Stütze,  die  er  in  unseren  Zeiten  noch 
haben  kann,  entzog,  verdarb  man  auch  den  deutschen  Unter- 
richt, indem  man  ihn  antikisierte.  Die  deutschen  Lesebücher  von 
Sexta  bis  Tertia  enthalten  etiya  zum  dritten  Teile  antike  Stoffe. 
Vgl.  „Verirrungen  des  deutschen  und  lateinischen  Elementarunter- 
richts" S.  57  ff.  Wie  viel  Zeit  würden  wir  für  das  Deutschtum 
gewinnen,  wenn  dieser  ungehörige  Stoff  aus  den  Lesebüchern 
entfernt  würde!  Die  Abneigung  gegen  den  grammatischen  Unter- 
richt im  Deutschen,  die  sich  auf  Jakob  Grimm  zu  berufen  pflegt, 
ist  unberechtigt,  wenn  man  ihn  eben  nur  nicht,  wie  das  zu 
Grimms  Zeiten  geschah,  nach  dem  Muster  oder  unter  dem  Ein- 
flüsse des  Lateinischen   treibt,    sondern  als  eine  Bewufstmachung 


von  J.  LattmaDD.  73 

des  deutschen  Sprachgefilbls.  Das  wird  durch  die  Vermischung 
mit  dem  Lateinischen  gerade  beeinträchtigt;  erst  wenn  dieses  Be- 
wafstsein  selbst  genügend  entwickelt  ist,  kann  der  Vergleich  des 
Lateinischen  stärkend  und  weiterführend  eintreten. 

Ähnlich  ist  es  mit  dem  Geschichtsunterrichte  gegangen. 
Der  neueren  Geschichte  wird  von  den  neuen  Lehrplänen  weiterer 
Raum  gegeben;  dennoch  macht  sich  die  humanistische  Tendenz 
dadurch  noch  immer  bemerklich,  dafs  von  den  Geschichtsstunden 
der  drei  Jahre  des  Unterbaues  zwei  Jahreskurse,  die  der  Quinta 
und  Quarta,  der  alten  Geschichte  gewidmet  sind.  Man  beruft 
sich  dafür  wohl  auf  Herbart;  aber  es  liegt  eine  Verkehrung  darin, 
da£s  man  das,  was  der  zur  Begründung  eines  frühen  Beginns  des 
allsprachlichen  Unterrichts,  insbesondere  des  Griechischen  sagt, 
auf  den  Inhalt  des  Geschichtsunterrichts  anwendet.  Vgl.  Verirr. 
S.  60.  Attfserdem  wird  der  Plan  dieses  beeinflufst  durch  die 
Absicht,  eine  ausgiebige  sachliche  Vorbereitung  auf  die  künftig  zu 
lesenden  Schriftsteller  zu  schaffen,  was  man  in  dem  Elementar- 
unterrichte der  alten  Sprachen  über  den  zu  exklusiven  sprach- 
lichen Zwecken  vernachlässigt  oder  nicht  als  zweite  eigentliche 
Aufgabe  bebandelt.  Und  das  fällt  nun  gerade  in  die  Lebensjahre, 
in  denen  der  Unterricht  besonders  erziehend  auf  das  Gemüt,  auf 
den  ganzen  Sinn  der  Jugend  wirken  soll  Der  Schüler  wird,  wie 
es  schon  in  den  lateinischen  Stunden  geschehen  mufs,  wo  es 
jedoch  in  Verbindung  mit  der  Erlernung  der  Sprache  seinen  guten 
Grand  bat,  auch  noch  in  diesen  Geschichtsstunden  zwei  Jahre 
lang  von  seinem  vaterländischen  Boden  losgerissen  und  in  ein 
fremdes  Volksleben  gestellt;  das  mufs  in  einer  Zeit,  wo  das  natio- 
nale Bewufstsein  so  lebhaft  pulsiert,  wie  in  der  unsrigen,  als  eine 
Dngehörigkeit  erscheinen.  Also:  der  altgeschichtliche  Unterricht 
in  Quinta  und  Quarta  ist  zu  streichen  und  die  Stunden  sind  dem 
deutschen  Unterrichte  anzuschliefsen,  der  auch  die  deutsche  Ge- 
schichte planmäfsig  zu  lehren  hat.  (Verirr.  S.  72  ff.)  Das  ist  eine 
richtige  Konzentration.  Der  Schüler  mufs  in  die  deutschen 
Stunden  voll  und  ganz  mit  dem  Bewufstsein  kommen,  dafs  er 
Deatsch  habe  und  nichts  anderes;  dann  aber  ebenso  in  die 
lateinischen,  dafs  er  da  in  das  Altertum  eingeführt  werde,  nicht 
nur  in  die  Sprache,  sondern  auch  in  das  Leben  der  alten  Völker. 
Das  ist  das  richtige  sich  konzentrieren.  Zu  diesem  Zwecke  ist 
es  erforderlich,  dals  der  lateinische  Lesestoff  der  unteren  Klassen 
möglichst  aus  den  Schriftstellern  entnommen  und  seinem 
inhaltlichen  Zusammenhange  nach  ausgewählt  und  geordnet 
sei  Ich  habe  dies  praktisch  auszuführen  gesucht;  ob  es  immer  gut 
gelungen,  stehe  dahin,  aber  wer  meine  lateinischen  Lesebücher 
(or  Quinta  und  Quarta,  auch  Untertertia  (Cornelii  Nepotis  liber  in 
osum  scholaruro  dispositus  et  emendatus,  ex  . . .  scriptoribus  sup- 
pietus)  und  die  Inhaltsangabe  in  den  Geschichtstabellen  S.21 1—220 
Audi  memoria  tenendi   ansehen  will,    die   mit   der  Sprache   und 


74  WtiS  ist  der   EiDheitsschnle  entgegeosasetzen?, 

diese  wieder  mit  dem  Inhalte  durch  die  und  bei  der  Lektöre 
eingeprägt  werden  sollen,  wird  sich  überzeugen,  welche  Fülle  der 
alten  Geschichte  auf  diesem  Wege  dem  Schuler  zugeführt  werden 
kann.  Eine  vollständige  Ausbildung  dieses  Planes  könnte  natur- 
lich nur  unter  angemessenen  Verhältnissen  in  der  Praxis  gewon- 
nen werden. 

Übrigens  ist  zuzugestehen,  dafs  der  Gedanke,  die  Bildungs- 
elemente  des  Altertums  könnten  auch  auf  indirektem  Wege  über- 
mittelt werden,  seine  Berechtigung  hat,  wenn  man  ihn  da  geltend 
macht,  wohin  er  gehört,  nämlich  für  die  eigentlichen  Realschulen. 
Diese  müssen  zwar  auf  die  Sprachen  und  die  Quellen  des  Alter- 
tums verzichten,  aber  um  so  mehr  sollen  sie  das  Inhaltliche  des- 
selben durch  eine  abgeleitete  Darbietung  den  Schülern  zuführen. 
Wenn  nun  ,Xehrziel,  Lehraufgaben  und  methodische  Behandlung 
des  Geschichtsunterrichts  und  des  deutschen  Unterrichts  für  die 
entsprechenden  Stufen  aller  Arten  von  höheren  Schulen  im 
wesentlichen  als  die  nämlichen*'  festgesetzt  sind,  so  ist  das  eine 
erklärliche  Folge  der  oben  erwähnten  Antikisierung  dieser  Unter- 
richtszweige in  den  unteren  Klassen.  Sobald  man  von  dieser 
Vermischung  abläfst  und  jenen  sowohl  wie  dem  Lateinischen  den 
Inhalt  zuweist,  der  einem  jeden  seinem  Wesen  nach  zusteht,  tritt 
sogleich  hervor,  dafs  ein  Unterschied  in  dem  Plane  zu  machen 
ist,  dafs  die  Heroensage  und  die  Geschichfsteile,  die  auf  den 
Gymnasien  lateinisch  gelesen  werden,  und  Mitteilungen  aus  der 
alten  Litteratur,  die  in  den  oberen  Gymnasialklassen  gelesen  wird, 
durch  Übersetzungen  (die  ja  auch  ein  Stück  der  deutschen  Litte- 
ratur geworden  sind)  dem  geschichtlichen  und  dem  deutschen 
Unterrichte  der  Realschulen  als  besondere,  ihnen  eigentümliche 
Stücke  hinzugelegt  werden  müssen.  Mit  diesen  soll  der  Real- 
schüler den  Gymnasiasten  auf  seinem  Gange  durch  das  Altertum 
begleiten«  —  ebenso  wie  der  Gymnasiast  in  den  übrigen  Dis- 
ziplinen, namentlich  aber  auch  in  dem  neusprachlichen  Unter- 
richte, der  ja  vorzugsweise  das  Moderne  repräsentiert,  sich  mit 
dem  Realschüler  auf  gleichen  Boden  gestellt  fühlen  soll.  In  diesen 
gegenseitigen  Beziehungen  wird  das  Band,  das  die  verschiedenen 
Schularten  unter  einander  verbindet,  erst  vollständig  durch  alle 
Unterrichtszweige  hin  und  von  unten  auf  geschlungen  und  da- 
mit die  „Einheitlichkeit  der  Bildung''  gesichert. 

Über  die  Frage,  mit  welcher  der  beiden  in  Betracht 
kommenden  neueren  Sprachen  der  Anfang  zu  machen  sei,  ist 
viel  gestritten.  Das  Französische  scheint  die  Oberhand  zu  be- 
halten, wahrscheinlich  hauptsächlich  aus  dem  von  Ostendorf 
nach  Bra tuscheck  besonders  hervorgehobenen  Grunde,  dafs  es 
„der  Hauptnorm  für  die  formale  Sprachbildung  ganz  vorzuglich 
genüge'S  ebenso  gut  oder  noch  besser  als  das  Latein.  Dieser 
Gedanke  stammt  aus  der  Zeit  des  Kampfes  der  Realschule  gegen 
das    Gymnasium,    wo   man    die   Humanisten    mit   ihren    eigenen 


voo  J.  LattmaDD.  75 

Waffen,  mit  denen  sie  das  Latein  schützten,  schlagen  wollte.  Aber 
der  in  Beziehung  auf  die  Syntax  und  Stilistik  richtige  Gedanke 
bat  Dur  sehr  beschränkte  Gehung  von  dem  elementaren  Anfangs- 
unterrichte; denn  die  allgemeinen  Vorstellungen  und  Begriffe,  die 
der  Schüler  von  Sinn  und  Zweck  der  Formen  haben  mufs,  um 
sie  zu  lernen  und  zu  üben,  kann  er  nur  aus  und  an  seiner 
Mattersprache  gewinnen,  und  nur  weil  man  dieses  BewuTstmachen 
der  grammatischen  Elemente  mit  dem  Latein  verschmolzen  hat, 
kann  man  sagen,  dafs  „die  Gesetze  der  deutschen  Sprache  im 
lateinischen  Unterricht  erkannt  werden'^  Überhaupt  aber,  so 
hoch  die  Wirkung  einer  Sprache  für  „formale  Sprachbildung"  zu 
schätzen  ist,  so  ist  doch,  wenn  die  Frage  gestellt  wird,  in  welcher 
Reihenfolge  wir  sie  lehren  sollen,  eine  andere  Seite  von  weit 
gröfserer  Bedeutung,  nämlich  in  welcher  Reihenfolge  die  Aneignung 
des  Wortschatzes  am  leichtesten  sich  vollzieht.  Da  bat  man 
nun,  um  dem  Französischen  den  Vorrang  zuzuweisen,  daran  er- 
innert, wie  leicht  der  französische  Knabe  sich  das  Lateinische  an- 
eigne,  ohne  den  grofsen  Unterschied  zu  schätzen,  dafs  der  deutsche 
Knabe  die  W^örter  und  Formen,  die  der  französische  weifs,  erst 
lernen  roufs.  Wenn  beides  gelernt  werden  soll,  so  ist  es  doch 
das  Natürliche,  dafs  die  Tochtersprache  der  Mutter  nachfolge. 
Dafar  spricht  bei  dem  Französischen  noch  der  Umstand,  dafs  die 
Ähnlichkeit  in  vielen  Fällen  nicht  im  Laute,  sondern  erst  in  der 
Schrift  hervortritt,  so  dafs  gerade  für  manche  stumme  oder  uns 
anders  klingende  Schriftzeichen  die  Ableitung  aus  dem  Lateinischen 
einen  guten  Halt  giebt.  Daran  ist  nicht  zu  zweifeln,  dafs  der 
franzöeische  Knabe  am  besten  mit  dem  Lateinischen  seinen  fremd- 
sprachlichen Unterricht  beginnt;  aber  man  sollte  diesen  Vergleich 
our  nicht  äufserlich,  sondern  nach  seinem  psychologischen  Grunde 
auf  den  deutschen  Knaben  übertragen.  Dieser  kann  von  seiner 
angeborenen  Sprache  freilich  nicht  zu  einer  Mutter  zurückgehen, 
wohl  aber  einer  Schwester  sich  zuwenden,  die  in  Wortschatz  und 
Formenbildung  eine  reiche  Fülle  von  Anklängen  an  das  Deutsche 
hat.  Das  ist  für  eine  Pädagogik,  die  sich  nicht  durch  Traditionen 
oder  gesuchte  Theoreme,  sondern  durch  psychologische  Beobach- 
tung leiten  läfst,  ein  durchschlagender  Grund  für  den  Beginn  mit 
dem  Englischen.  Infolge  dieser  Verwandtschaft  ist  auch  die  eng- 
lifche  Litteratur  unserer  Natur  und  unserm  nationalen  Sinne  weit 
sympathischer  als  die  der  romanischen  Völker,  und  namentlich 
lar  das  deutsche  Gemüt  des  Kindes-  und  Knabenalters  bietet  sie 
uns  eine  weit  reichere  Auswahl  dar,  während  die  französische 
Litteratur,  auch  deren  Kinderschriften,  ein  esprit  durchzieht,  der 
uns  weniger  nahe  liegt,  so  dafs  zu  seiner  Auffassung  ein  reiferes 
Älter  erforderlich  ist.  Die  Bevorzugung  des  Französischen  war 
20  der  Zeit,  als  unsere  höhere  Bildung  und  Gesellschaft  von 
Frankreich  beherrscht  wurde,  ganz  berechtigt,  und  dazu  um  so 
mehr,  ah  der  B^inn  mit  dem  Lateinischen  aufser  Zweifel  stand, 


76  ^«8  ist  ^^^  EiDheitsschole  entgegencnsetzeD?, 

an  das  sich  naturlich  das  Französische  richtig  anschlofs.  Aber 
wenn  man  jetzt,  wo  es  sich  um  die  Voraufstellung  einer  neueren 
Sprache  vor  das  Lateinische  handelt,  noch  an  jener  Bevorzugung 
wie  an  einer  selbstverständlichen  Sache  festhält,  so  ist  das  wohl 
nur  ein  unseren  Philologen,  den  alten  wie  den  neuen,  anhaften- 
des Stuck  Romanismus.  Die  Stimmung  wurde  sich  wahrschein- 
lich bald  ändern,  wenn  erst  in  den  oberen  Klassen  dem  Alt- 
deutschen ein  etwas  ernstlicherer  Betrieb  zugestanden  würde; 
eine  gewisse  Stärkung  des  Germanismus  im  Sprachunterricht 
gegenüber  dem  Romanismus  ist  doch  wohl  die  notwendige  Kon- 
sequenz der  Umwandlung  der  „lateinischen''  Schule  in  eine 
„deutsche'*.  Für  deutsche  Schüler  ist  die  rationelle  Sprachen- 
folge: Deutsch,  Englisch,  Latein,  Französisch;  für  Franzosen: 
Französisch,  Latein,  Englisch,  Deutsch. 

Hier  mag  eine  bedeutsame  Äufserung  des  Wirkl.  Geh.  Ober- 
Regierungsrats  Wiese  angefügt  werden,  die  dieser  im  J.  1888 
auf  Zusendung  meines  Programms  in  einem  Briefe  vom  26.  April 
machte,  deren  gelegentliche  Veröffentlichung  mir  gestattet  ist. 
„Dem  Enthusiasmus,  mit  dem  einst  Ostendorf  für  seinen  Lehr- 
plan eintrat,  und  womit  er  auch  alle  seine  Lehrer  erfüllt  hatte, 
gab  ich  gern  nach;  aber  eine  allgemeine  Anordnung,  den  fremden 
Sprachunterricht  auf  allen  höheren  Schulen  mit  dem  Französischen 
zu  beginnen,  würde  ich  beklagen.  Unter  meinen  Gründen  da- 
gegen nimmt  der  ethische,  den  Sie  wie  Völcker  aufser  Acht  lassen, 
eine  der  ersten  Stellen  ein.  Die  Franzosen  hätten  dann  eine 
nicht  gering  anzuschlagende  Revanche,  wenn  allgemein  die  deutsche 
Jugend  so  früh  französische  Sprachformen  und  Vorstellungen  zur 
Geistes-Nahrung  und  Bildung  erhielte,  zumal  da  der  Unterricht 
aufs  Parlieren  über  die  täglichen  Vorkommnisse  eingerichtet  werden 
soll".  Übrigens  wurde  auch  der  Beginn  mit  dem  Englischen  nicht 
gebilligt.  In  beiden  Fällen  „wäre  damit  der  gymnasiale  Charakter 
der  Schule  in  der  Grundlage  des  Sprachunterrichts  aufgegeben''. 
Dies  ist  nun  jetzt  durch  Zulassung  der  Einheitsschule  dem  Prin- 
zipe  nach  geschehen,  so  dafs  man  mit  dieser  Voraussetzung 
rechnen  darf. 

Das  Englische  ist  in  den  neuen  Lehrplänen  als  ein  Bestand- 
teil der  höheren  Schulbildung  anerkannt;  aber  man  kann  doch 
den  grofsen  Übelstand  nicht  verkennen,  dafs  dadurch  die  oberen 
Klassen  mit  einer  neuen  Disziplin  belastet  werden.  Diesen  Übel- 
stand damit  zu  verdecken,  dafs  das  Englische  als  fakultativ  ange- 
setzt wird,  ist  nicht  zu  billigen;  als  Extralast  wird  es  vielen 
verleidet  werden.  Und  wie  soll  es  sich  in  die  schon  reichliche 
Menge  der  fakultativen  Fächer  —  Singen,  Zeichnen,  Hebräisch 
nebst  dem  Turnen  —  hineindrängen?  Vgl.  „Eine  ausgleichende 
Lösung  der  Reformbewegungen"  1890  S.  17.  Diese  Übelstande 
werden  beseitigt,  wenn  man  unten  mit  der  einen  neueren  Sprache 
beginnt  und  die  andere  in  den  oberen  Klassen  allein  darauf  folgen 


von  J.  LtttmanD.  77 

li&t.     Bei  dieser  Teilung   geht  aber  wiederum  das  Englische  am 

zfreckmäCsigsten  Torauf,   nicht   nur  weil   es    für  den  Anfang  am 

leicihlesten  ist,  sondern  auch  weil  deshalb  in  ihm  die  schnellsten 

Fortschritte  za  machen  sind,  so  dars  mit  der  IIB  ein  Verhältnis- 

mäTsig  vollkommener  Abschlufs,   namentlich  auch  in  der  Sprech- 

fertigkeit,    sich   gewinnen   lälst,   soweit    man    einen  solchen  von 

einem   Gymnasium    beanspruchen   kann.      Danach    ist   dann    ein 

Abbrach    dieses  Unterrichts   um  so  eher   zulässig,   als   in  dieser 

uns  nationalsympathischen  Sprache  eine  private  Fortsetzung  der 

Lektüre  und  Sprechübung  erwartet  werden  kann.   Vgl.  Bern.  e. 

Aus  diesen  Gründen  habe  ich  in  dem  Lektionsplane  S.  78 
das  Englische  dem  Französischen  voraufgesetzt.  Will  man  es  aber 
anders  haben  —  und  die  praktischen  Interessen  der  Grenzdistrikte 
könnten  das  für  sie  als  zweckmäfsig  erscheinen  lassen  — ,  so 
möge  man  die  beiden  Sprachen  vertauschen;  an  dieser  Frage  hängt 
nein  Plan  nicht  notwendig. 

Nun  habe  ich  noch  einen  Einwurf  zu  widerlegen,  der  vielen 
ab  ein  sehr  gewichtiger  erscheint,  nämlich  dafs  nicht  zwei  fremde 
Sprachen  Jahr  auf  Jahr  hintereinander  begonnen  werden  durften, 
namentlich  nicht  in  früherem  Lebensalter.  Der  Satz  ist  im  all- 
gemeinen wohl  richtig,  namentlich  unter  den  Voraussetzungen, 
die  man  nach  dem  Mafsstabe  der  Lateinschule  zu  machen  sich 
gewöhnt  hat,  dafs  jeder  Sprachunterricht  nach  dem  Huster  des 
lateinischen  zu  beginnen  sei.  Trotzdem  ist  es  bei  dem  Gedränge 
der  Fremdsprachen  auf  dem  Gymnasium  kaum  möglich,  ihm  immer 
nachznkommen;  die  neuen  Lehrpläne  lassen  Französisch  und 
Griechisch  in  IV  und  III  auf  einander  folgen.  Die  Sache  gewinnt 
aber  auch  auf  den  unteren  Stufen  ein  anderes  Ansehen,  wenn 
man  sich  entschliefst,  die  neuere  Sprache,  insbesondere  das  Eng- 
fische, in  VI  ganz  streng  nach  der  natürlichen  Unterrichtsmethode 
zn  lehren  und  dies  auch  in  V  noch  eine  Zeitlang  fortzusetzen, 
das  Latein  daselbst  aber  in  einer  Kombination  der  deduktiven 
und  induktiven  Methode  zu  beginnen.  Bei  dem  Englischen  be- 
gleitet den  Schüler  immer  das  Bewufstsein  der  Anlehnung  an  die 
Mattersprache;  erst  das  Lateinische  erscheint  als  ein  ganz  Neues. 
Eine  weitere  Demonstration  glaube  ich  unterlassen  zu  können, 
wenn  man  mit  dem  Urteile  nur  so  lange  zurückhalten  will,  bis 
man  sich  von  den  genannten  methodischen  Verfahrungs weisen 
eine  genügende  und  richtige,  nicht  durch  Konzentrationskünsteleien 
entstellte  Vorstellung  gemacht  und  durch  angemessen  ausgeführte 
Proben  eine  hinreichende  Erfahrung  verschafft  hat.  Leider  läfst 
sidi  auf  solche  pädagogische  Proben,  die  nicht  eine  gewaltige 
Agitation  hinter  sich  haben,  kaum  hoffen. 

Nachdem  ich  die  Grundzüge  einer  Umgestaltung  des  Gym- 
nasiums dargelegt  habe,  möge  sogleich  der  entsprechende  — 
ibrigens  auf  Grundlage  der  sachlichen  Anforderungen  der  Lehr- 
pläne von  1892  gestaltete  —  Lehrstundenplan  aufgestellt  werden; 


78 


Was  ist  der  Eioheitsscbale   ent^epe  ozosetzeB?, 


denn  Neuerungen  dürfen  wohl  nicht  vorgebracht  werden,  ohne  zu 
zeigten,  wie  sie  in  das  Ganze  einzufügen  sind.  Einige  andere  ab- 
weichende und  auffällige  Punkte  sollen  hinterher  noch  in  Be- 
merkungen besonders  begründet  werden;  man  lasse  sich  durch 
diese  Anstöfse  nicht  gleich  von  vornherein  stören. 


VI 

V 

IV 

HIB 

IIIA 

HB 

HA 

!B 

lA 

Sa. 

Lpl. 

Religion  .  .a) 

S.     4 
W.  6 

2 

2 

2 

2 

(^) 

2 

2 

2 

20^* 

19 

Deutsch  .  .  b) 

r 

3 

m 

^2 

2 

3 

3 

4 

4 

28 

26 

Geschichte 

0.  Geogr. 

3 

3 

3 

3 

3 

26 

26 

Lateinisch   d) 

— 

8 

8 

8 

8 

8 

7 

7(6) 

7(6) 

t> 

62 

Griechisch . 

— 

— 

6 

6 

7 

(6) 

7 

6(7) 

6(7) 

38 
39 

36 
6 

Englisch .  .  e) 

6 

4 

6 

4 

4 

5 

(4) 

- 

29 

d») 

Französisch 

— 

— 

— 

4 

4 

(3) 

4 
(2) 

12 

19 

(6) 

Mathematik 

6 

4 

4 

3 

3 

4 

4 

4 

4 

36 

34 

Natarwiss.    f) 

S.     2 
W.- 

2 

2 

2 

2 

2 

2 

2 

2 

1^^ 

18 

Schreiben  . 

4 

2 

— 

__ 

— 

._ 

,^M. 

6 

4 

Zeichnen    . 

— 

2 

2 

2 

2 

— 

^~ 

— 

.1— 

8 

8 

Singen  .  .  .  g) 

2 

2 

2 

(1) 

— 

Hebr. 

(i) 

(2) 

6 

4 

Sa.  der  Lek- 

tionen   .  .  h) 

30 

32 

32 

32 

32 

32 

32 

32 

32 

286 

ab     aafser- 

ord.  Pansen 

4,30 

4,30 

2,80 

2,80 

2,20 

2,20 

2,20 

2,20 

2,20 

25,80 

Sa.  der  Un- 

terrichtszeit 

25,80 

27,80 

29,40 

29,40 

29,40 

29,40 

29,40 

29,40 

29,40 

260,40 

262 

An  zweiter  Stelle  ist  zu  untersuchen,  welche  Umwandlung 
das  Realgymnasium  zu  erleiden  habe.  Diese  Anstalt  hat  von 
jeher  um  ihr  Dasein  schwer  ringen  müssen,  und  es  war  bekannt- 
lich nahe  daran,  dafs  ihr  ein  Ende  gemacht  wurde.  Diese  Absicht 
war  sehr  erklärlich  und  nicht  ohne  guten  Grund.  Denn  es  ist 
nicht  zu  leugnen,  dafs  die  Anstalt  nach  einer  gesunden  Geburt 
zwitterhaft  aufgewachsen  ist.  Sie  entstand  als  lateinlose  Real- 
schule mit  sechs-  bis  siebenjährigem  Kursus;  aber  niedergedrückt 
vom  Berechtigungsmonopol  des  Gymnasiums  suchte  sie  sich  da- 
durch zu  retten,  dafs  sie  sich  nach  oben  hin  ausreckte  und 
„Koordination  mit  dem  Gymnasium''  erstrebte.  Diese  wurde  ihr 
der  Theorie  nach  zugestanden,  jedoch  unter  der  Bedingung,  dafs 
sie  Latein  aufnehme.  Das  war  gegen  ihre  ursprüngliche  Natur, 
aber  anderseits  ein  richtiges  Postulat,  wenn  eine  Gleichstellung 
mit  dem  Gymnasium  gefordert  wurde.  Sie  verstand  sich  dazu; 
aber  da  sie  zugleich  eigentliche  Realschule  bleiben  wollte,  konnte 
das  Latein  nur  so  dürftig  betrieben  werden,  dafs,  um  von  Philo- 


von  J.  LattmaDD.  79 

logen  und  Theologen  zu  schweigen,  auch  den  Juristen  und  Medi- 
dnern  ein  solcher  Brocken  der  humanistischen  Bildung  nicht  ge- 
Dägle;  die  Anstalt  war  für  sie  zu  realistisch.  Das  mufste  sie 
aber  sein,  weil  sie  ja  zugleich  und  vorzugsweise  denen  dienen 
wollte,  für  die  man  jetzt  die  lateinlose  und  die  Oberrealschule 
eingerichtet  hat.  Nachdem  diese  beiden  Anstalten  selbständig 
hingestellt,  gleichsam  aus  dem  Realgymnasium  herausgezogen  sind, 
konnte  es  allerdings  scheinen,  dafs  seine  Existenz  nicht  länger 
berechtigt  sei.  Dennoch  ist  wohl  anzuerkennen,  dafs  das  Real- 
gymnasium einen  richtigen  Gedanken  in  sich  trug,  der  aber  jetzt 
erst  zu  einer  klaren  Entwicklung  kommen  kann,  nämlich  dafs  es 
eine  Mittelstellung  zwischen  Gymnasium  und  den  eigentlichen 
Realanstalteu  einzunehmen  habe.  Ein  annähernder  Schritt  dazu 
war  1882  geschehen  durch  Verstärkung  des  Lateinischen;  statt 
aber  auf  dieser  Bahn  fortzuschreiten,  was  eben  nach  Absonderung 
jener  Realanstalteu  zulässig  wurde,  ist  vielmehr  das  Latein  wieder 
auf  den  Stand  von  1859,  d.  h.  die  Anstalt  ist  auf  ihre  frühere 
Haltlosigkeit  zurückgebracht.  Sie  wird  sehr  bald  von  der  Ein«^ 
beitsschule  verschlungen  werden  und  dieser  breiten  Raum  ver* 
schaffen. 

Lange  Zeit  war  das  Gymnasium  die  einzige  höhere  Schule, 
eine  wirkliche  Einheitsschule,  in  dem  MaCse,  dafs  es  häufig  auch 
die  Volksschule  mit  umschlofs.  Alsdann  aber  drängte  die  Weiter- 
entwicklung nach  einer  Differenzierung  der  Schulen  in  der 
Weise,  dafs  man  zwar  den  Grundcharakter  einer  allgemeinbilden- 
den Schule  festhalten,  aber  doch  auf  die  besonderen  Bedürfnisse 
der  grofsen  Berufskategorieen  Rücksicht  nehmen  wollte. 
Dem  so  lange  hingehaltenen  Begehren,  dafs  einer  auf  frühzeitigen 
Eintritt  in  das  bürgerliche  Leben  vorbereitenden  Schule  eine 
sichere  staatliche  Stütze  gegeben  werde,  ist  jetzt  endlich  voll  Ge- 
nüge geschehen.  Daneben  kann  und  soll  das  Gymnasium  an 
seiner  ursprünglichen  besonderen  Aufgabe  festhalten,  nämlich 
Diener  der  Kirche  (und  Schule)  und  des  Staates,  d.  h.  alle,  die 
weitergehender,  geschichtlich  in  das  Altertum  zurückgreifender 
Studien  bedürfen,  vorzubilden.  Dazwischen  aber  ist  in  neueren 
Zeiten  das  Bedürfnis  der  Ausbildung  einer  grofsen  Menge  von 
Slaatsdienern  getreten,  die  früher  bei  der  kleineren  Anzahl  und 
bei  geringeren  Anforderungen  durchweg  von  dem  Gymnasium 
mit  geschehen  konnte:  von  Bau-,  Berg-,  Forst-,  Post-,  Steuern- 
Beamten  und  manchen  anderen  wird  eine  der  Gymnasialbildung 
analoge  Schulbildung  verlangt,  die  zwar  wegen  der  unmittelbaren 
Berührung  dieser  Beamten  mit  dem  praktischen  Leben  und  mit 
den  gewaltigen  Fortschritten  der  nationalökonomischen  Yerhällnisse 
die  reah'stischen  Elemente  stärker  pflegen,  aber  auch,  um  zu  den 
höheren  Stellen  zu  befähigen,  ein  gut  Stück  der  humanistischen 
Kidang  in  sich  tragen  soll.  Man  hat  es  getadelt,  dafs  dieses 
TerJaogen,  teilweis  auch  bei  den  Ärzten,  aus  einem  „Standesdünkel'^ 


hervorgegangen  sei;  doch  läfst  sich  nicht  leugnen,  dafs  es  sich 
auf  einen  berechtigten  Hintergrund  stützt.  In  der  That  ist  diesen 
Männern  (abgesehen  von  einigen  auch  für  ihre  Berufsthäügkeit 
erforderlichen  oder  nützlichen  humanistischen  Kenntnissen)  der 
hochentwicJLeiten  Bourgeoisie  gegenüber  ein  gewisses  Obergewicbt 
an  allgemeiner  Bildung  zu  wünschen,  das  ihnen  auch  eine  den 
Studierlen  nahe  stehende  persönliche  Stellung  verleiht 

Beachtenswert  ist  auch,  dafs  die  Kadettenhäuser,  deren 
Unterrichtsplan  früher  dem  Gymnasium  konform  war,  zu  dem 
Schema  des  Realgymnasiums  übergegangen  sind.  Als  allgemeine 
Bildungsanstalten  verfolgen  sie  die  nämlichen  Zwecke,  wie  sie  für 
andere  Staatsdienerkategorieen  dem  Realgymnasium  zugeschrieben 
sind,  sie  unterscheiden  sich  nur  dadurch,  dafs  sie  Alumnate  sind 
und  die  Vorbereitung  auf  einen  einzelnen  Stand  stärker  betreiben. 
Für  den  Zuzug  zu  dem  Offizierstande  von  öffentlichen  Schulen 
her  ist  ein  entsprechend  organisiertes  Realgymnasium  (s.  unten) 
doch  wohl  das  Zweckmäfsigste.  Wir  mögen  es  loben  oder  tadeln, 
es  ist  einmal  so,  dab  der  erste  „Abschlufs"'  der  höheren  allge- 
meinen Bildung  von  Seiten  des  Militärstandes  festgesetzt  ist  Dem 
entsprechend  ist  wahrscheinlich  das  auffällige  Hinaufschrauben  der 
Anforderungen  an  die  Schulbildung  der  unmittelbar  in  den  Dienst 
eintretenden,  Uniform  tragenden  Staatsbeamten  daraus  zu  erklären, 
dafs  man  glaubte,  das  Mafs  der  allgemeinen  Bildung  dieser 
nach  einer  Gleichsteilung  mit  den  entsprechenden  Anforderungen 
an  den  aktiven  Oftizierstand  bestimmen  zu  müssen. 

Aus  alle  diesem  ist  der  Schlufs  zu  ziehen,  dafs  eine  mitt- 
lere Anstalt  zwischen  Gymnasium  und  Realschulen  ein  praktisches 
Bedürfnis  geworden  ist,  welche  ein  Stück  Humanismus,  nicht  in 
verkümmerter  Gestalt,  sondern  soweit  als  möglich  in  gleicher  Kraft 
wie  das  Gymnasium  in  sich  trägt  Das  heifst:  das  Realgymnasium 
mufs  das  Lateinische,  wenn  auch  nicht  ganz  in  dem  nämlichen, 
so  doch  in  nahezu  gleichem  Umfange  und  mit  gleichem  Nach- 
druck treiben,  wie  das  Gymnasium.  In  diesem  Sinne  fasse  ich 
den  Satz  Pauisens  auf:  „Das  Gymnasium  will  jetzt  sein  eine 
deutsch-humanistische  Schule  ...  Weltgeschichtliche  That* 
Sachen  machen  (daneben)  das  Realgymnasium  notwendig:  eine 
Schule,  welche  die  Sprache  unserer  geschichtlichen  Welt 
lehrt,  aber  nicht  Griechisch''. 

Blicken  wir  von  diesem  Standpunkte  aus  auf  den  Lehrplan 
von  1892,  so  mufs  es  auffallen,  dafs  der  Unterbau  zwar  mit  dem 
des  Humangymnasiums  übereinstimmt,  in  dem  daraufgesetzten 
Oberbaue  aber  das  Latein  zu  einer  dünnen  Säule  von  je  4  Stunden 
in  den  zwei  mittleren,  und  je  3  in  den  vier  oberen  Klassen  zu- 
sammenschrumpft. Wahrscheinlich  hat  man  gedacht:  weniges, 
aber  gründlich.  Ohne  Zweifel  ist  tüchtige  Kenntnis  der  Gram- 
matik eine  notwendige  Vorbedingung,  aber  zu  einem  gründlichen 
Verständnis  der  alten  Schriftsteller,  ihres  Inhalts»  ihrer  Gedanken, 


von  J.  Lattmaan. 


81 


ihrer  Lebens-  und  Weltanschauang,  dazu  gehört  doch  mehr,  und 
iwar  gar  manches,   das    auch   erst  gelernt  und  länger  und  viel- 
seitig   geübt    sein   will.    Mit  Recht   ist  gesagt,   es  komme  nicht 
uur  darauf   an,    dafs  in  der  Reifeprüfung  irgend  welche  Schrift- 
steller   grammatisch    richtig   übersetzt  werden  könnten,    sondern 
daÜB    die  Schüler   auch   eine   angemessene  Menge  von   oder  aus 
ihnen  wirklich  gelesen  und  in  sich  aufgenommen  hätten.     Wenn 
nun    das  Griechische   dem  Realgymnasium    ganz  erlassen  ist,   so 
muls  im  Lateinischen  wesentlich  Gleiches,  wie  auf  dem  Gymnasium, 
gefordert  werden,  namentlich  müssen  gerade  in  den  oberen  Klassen 
an  die  Lektüre  die  nämlichen  Anforderungen  gestellt  werden.   In 
dieser  Beziehung   könnte  man  selbst  dem  Frankfurter  Lehrplane 
noch  den  Vorzug  vor  dem  staatlichen  geben.  —  Die,   denen  die 
überwiegende  Zahl  der  lateinischen  Stunden   auffallt,  mögen  sich 
erinnern,  dafs  diesen  der  altgeschichtliche  Unterricht  eingelegt  ist, 
der   dem    Geschichts-    und    deutschen    Unterrichte    der   unteren 
blassen  abgenommen  werden  soll. 

Nun  muls  ich,  um  Mifsdeutungen  zu  verhüten,  ausdrücklich 
erklären,  dafs  ich  in  dem  S.  79  Gesagten  nur  den  konkreten,  die 
Spezies  bestimmenden  Boden  des  Realgymnasiums  (wie  den  des 
Gymnasiums)  festzulegen  gesucht  habe,  dafs  ich  ihm  aber  noch 
eine  weitere  allgemeine  Bedeutung  zuschreibe,  worüber  besser  zu 
sprechen  sein  wird,  nachdem  ich  seinen  Lehrplan  vorgelegt  habe. 


|vi 

V 

IV 

HIB 

III A 

IIB 

HA 

IB 

lA 

Sa. 

Lpl. 

Religio..  -OJ^J 

2 

2 

2 

2 

W 

2 

2 

2 

18 
20 

19 

Deutseli   .  .b)l  ,3 

.3 

{' 

U 

3 

3 

3 

4 

4 

29 

28 

Geschidite 

1. 

a.  Geogr.  e) 

3 

3 

4 

3 

3 

28 

28 

Lateinisch    d) 

— 

8 

8 

8 

8 

6 

6 

6 

6 

56 

43 

EufÜMtb  .  .  e) 

6 

4 

6 

6 

6 

3 

— 

— 

— 

31 

18 
(31) 

FraazSsif  eil  e) 

— 

— 

— 

— 

— 

5 

5 

6 

5 

20 

31 
(18) 

IkCkeiMtik 

6 

4 

4 

5 

5 

5 

5 

5 

5 

44 

42 

• 

lUtarwisfl.    f) 

S.    2 

2 

2 

2 

3 

(4) 

5 

(4) 

5 

5 

5 

31 

29 

30 

Sehreibea  . 

4 

2 

-_ 

— — 

\  / 

_- 

.i— 

6 

4 

Zeiciuen    . 

— 

2 

2 

2 

2 

2 

2 

2 

2 

16 

16 

Sisfcen.  .  .g) 

2 

2 

2 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

7 

4 

S«.derLek- 

ttesM    .  .h) 

30 

32 

82 

32 

32 

32 

32 

32 

32 

286 

afc    avfsef^ 

•ri.  Paoseo 

440 

4,M 

2,ao 

2,20 

2,so 

2,80 

2,80 

2,80 

2,80 

25,80 

Sa.  der  Uo-               | 

terrichCszeit  | 

2SM 

27,80 

29,40 

29,40 

29,40 

29,40 

29,40 

29,40 

29,40 

260,40 

263 

Ein  solches  Realgymnasium,    das  beide  TeUe  seines  Namens 
mit  Recht   führen    kann,    wurde  sicherlich  von  allen  Medizinern, 

r.  £  d.  OjrmiuwUlwMea  XLVIU.  8.  8.  $ 


82  y^tis   ist  der  EinheiUschule  entgeg^eoznsetzeo?, 

und  wahrscheinlich  auch  von  den  Juristen  als  eine  unbedenklich 
zulässige  Vorbereitungsanstalt  tur  ihre  ßerufe  anerkannt  werden. 
Selbst  Theologen  und  Philologen  brauchten  nicht  ausgeschlossen 
zu  werden,  wenn  man  ihnen  eine  Ergänzungsprüfung  im  Griechi- 
schen gestattete  (im  Hebräischen  wäre  sie  nicht  zu  verlangen), 
korrespondierend  den  Bestimmungen  für  die  Zulassung  zum  Studium 
an  technischen  Hochschulen  bezüglich  der  gymnasialen  Reifezeug- 
nisse; s.  unten.  Beides  sind  Ergänzungsprüfungen,  die  im  Inter- 
esse des  betreffenden  Fachstudiums  verlangt  und  deshalb  von 
jedem  bereitwillig  übernommen  werden,  während  nach  dem  be- 
stehenden Zustande  die  medizinischen  und  juristischen  Abiturienten 
des  Realgymnasiums  noch  bei  oder  nach  dem  Eintritte  in  ihr 
Fachstudium  mit  einer  Ergänzungsprufung  ihrer  allgemeinen  Bil- 
dung gepeinigt  werden. 

Ein  solches  Realgymnasium,  das  eine  Mittelstellung  unter  den 
höheren  Schulen  einnimmt,  ist  nun  der  rechte  Mittelweg  für 
alle,  die  zweifelhaft  über  die  Berufswahl  sind.  Sein 
Unterbau,  mit  dem  der  des  zeitgemäüs  umgestalteten  Gymnasiums 
(S.  78)  vollständig  übereinstimmt,  beginnt  mit  den  modernen 
Bildungsmitteln  und  gewährt  diesen  einen  gröfseren  Baum,  als 
das  alte  Gymnasium  es  that,  läfst  dann  aber  auch  bald  die  An- 
fänge der  humanistischen  Seite  folgen,  so  dafs  die  kleinen  Geister 
bei  Zeiten  und  hinlänglich  geprüft  werden  können,  für  welche 
Schulart  sie  mehr  geeignet  oder  geneigt  sind;  bleibt  die  Ent- 
scheidung aber  im  12.  Normaijahr  noch  zweifelhaft,  so  ist  es  auch 
weiterhin  der  Mittelweg,  von  dem  aus  bis  zu  seinem  Abschlüsse 
die  Wahl  frei  steht.  Dafs  dann,  wenn  die  Entscheidung  weit 
hinausgeschoben  wird,  einige  aufserordentliche  Forderungen  (S.  83) 
gestellt  werden  müssen,  liegt  in  der  Natur  der  Sache  und  erregt 
keinen  Unwillen  gegen  die  Anstalt  als  solche.  Auch  die,  welche 
mit  dem  Abschlüsse  der  Militärberechtigung  in  das  praktische 
Leben  übertreten,  werden  mit  der  gewonnenen  Vorbildung  recht 
wohl  zufrieden  seiu  können. 

Als  die  bedeutendste  Empfehlung  der  dargestellten  Form  des 
Realgymnasiums  ist  es  anzusehen,  dafs  es  die  richtige  Form 
der  höheren  Schule  für  alle  die  kleineren  Städte  sein 
würde,  die  nur  eine  solche  Anstalt  haben  können.  Selbst  wo 
nur  eine  Anstalt  mit  sechsjährig(?ni  Kursus  möglich  ist,  wird  ein 
solches  Prorealgymnasium  richtiger  sein  als  eine  laleinlose 
Realschule.  Die  Beamten,  Prediger,  Lehrer  solcher  Orte  und  deren 
Umgebung  und  auch  andere  besser  situierte  Familien  wünschen 
eine  solche  Anstalt.  Wenn  daneben,  was  erwartet  werden  kann, 
eine  gehobene  Volksschule  besteht,  werden  nur  wenige  Schüler, 
die  schon  mit  der  Konfirmation  abgehen  wollen,  in  jene  eintreten; 
die  dieser  Art  es  doch  thun,  haben  eben  die  Absicht,  einen  solchen 
Versuch  zu  machen,  oder  einer  Eitelkeit  zu  fröhnen,  der  wir  keine 


von  J.  LattmiDn.  g3 

Rücksicht  schuldig  sind.  Diejenigen  aber,  weiche  bis  zur  Erlangung 
des  üilitärzeugnisses  bleiben,  werden  in  der  Regel  keine  Beschwerde 
darüber  erheben,  dafs  sie  das  Latein  mitlernen  sollen,  wenn  nur 
den  moderDen  Disziplinen  gleich  von  unten  auf  der  nötige 
Raum  und  die  gebührende  Schätzung  zu  teil  wird.  In  Wahrheit 
ist  es  nicht  das  Latein  an  sich,  das  den  Unwillen  erregt,  sondern 
das  hartnäckige  Hallen  an  seinem  Privilegium,  dem  zu  Diensten 
die  neueren  Sprachen  zurück-  und  beiseitegeschoben  werden; 
dazu  dann  der  zu  exklusiv  formalistische  Betrieb,  der  unserem 
realistischen  Zeitalter  anstöfsig  ist  Wenn  diese  beiden  Ungebühr- 
liebkeiten  beseitigt  wären,  würde  es  sich  bald  zeigen,  wie  sehr 
auch  in  unseren  bürgerlichen  Ständen  das  Latein  noch  geschätzt 
wird  als  ungewöhnlich  wirksames  Geistesbildungsmittel  und  als 
eine  innerliche  Brücke  zu  den  studierten  Ständen. 

Wo  ein  Realgymnasium  allein  steht,  wird  man  parallel  mit 
der  zweiten  neueren  Sprache  einen  fakultativen  Unterricht  im 
Griechischen  einrichten  müssen,  dem  auch  wohl  von  dem 
naturwissenschaftlichen  Unterrichte  eine  oder  zwei  Stunden  zu- 
gelegt werden  könnten.  Sich  mit  der  zweiten  neueren  Sprache 
einigerniafsen  bekannt  zu  machen,  mu£s  der  Privatthätigkeit  dieser 
Schüler  überlassen  werden,  wie  das  ja  auch  bei  dem  staatlichen 
Lehrplane  des  Gymnasiums  in  fakultativen  Stunden  geschieht, 
nach  meinem  Plane  aber  um  so  eher  geschehen  kann,  da  anderer 
fakultativer  Unterricht  wegfallt.  Ob  die  Anstalt  dazu  eine  Hülfe 
bieten  soll  oder  nicht,  mufs  für  den  Spezialfall  entschieden  werden. 

Es  ist  ein  Übelstand  der  Einheitsschule,  dafs  sich  auf  ihrer 
Grundlage  eine  alleinstehende  Anstalt,  die  nicht  die  nötige  Schüler- 
menge hat,  um  beide  Gabelungen  zu  füllen,  nicht  gut  bilden 
lädst,  namentlich  nicht  wenn  sie  nur  eine  sechsklassige  sein  kann. 
Daher  denn  die  Neigung,  den  kleinen  Städten  dieser  Art  die 
lateinlose  Realschule  aufzunötigen,  wobei  man  nicht  umhin  können 
wird,  in  den  meisten  Fällen  mit  einem  fakultativen  Unterricht  im 
Lateinischen  auszuflicken. 

Städte,  welche  ihrer  Gröfse  oder  Schuifreqnenz  nach  zwei 
oder  mehr  höhere  Schulen  haben  wollen,  von  denen  die  eine 
jedenfalls  eine  lateinlose  Realschule  sein  wird,  müssen  als  zweite 
ein  Gymnasium,  d.  h.  in  der  S.  78  aufgestellten  Form,  ein- 
richten. Dieses  mit  einer  solchen  Bestimmung  zu  fordern,  ist 
wünschenswert,  weil  dadurch  der  Standard  des  humanistischen 
Gymnasiums  hochgehalten  wird.  Es  wird  vorausgesetzt,  dafs 
Schäler,  die  nur  die  Militärberechtigung  erreichen  wollen,  in  diese 
Anstalt  nicht  eintreten;  rereinzelte,  die  es  versuchsweise  dennoch 
than,  werden  sich  den  Unterrichtsplan  natürlich  gefallen  lassen. 
Oberhaupt  aber  werden  wohl  auch  die,  deren  künftiger  Beruf  das 
Griechische  nicht  notwendig  verlangt,  doch,  wo  etwa  die  Verhält- 
nisse dazu  nötigen,  ihre  Befriedigung  mit  jener  modernisierten 
Form  des  Gymnasiums  dadurch  nicht  stören  lassen;  ja  wir  dürfen 

6* 


g4  WtiS  ist  der   Einheitsschule  eutgef^enzosetzen?, 

die  IlofTnung  hegen,  dafs  die  Anziehungskraft,  die  das  Griechische, 
richtig  beirieben,  üben  kann,  auch  manchen  Schüler  der  Art  zu 
dem  llumangynmasium  hinziehen  werde.  Nur  für  solche  Schüler, 
die  auf  eine  technische  Hochschule  gehen  wollen,  sollte  in  der 
Prima  ein  erweiternder  Nebenunterricht  für  Naturwissenschaft 
und  Mathematik  eingerichtet  werden,  dessen  Stunden  den  alten 
Sprachen  abzunehmen  wären,  etwa  die  der  grammalischen  Übungen 
und  der  Lektüre  einzelner  Schriflsleiler  oder  Schriftwerke. 

Die  Lösung  des  Reformstreites  ist  in  der  Hauptsache  treffend 
mit  der  laleinlosen  Realschule  begonnen,  aber  ihre  richtige  Fort- 
führung beruht  auf  der  Zurückziehung  des  Lateinischen  aus  Sexta 
und  auf  der  richtigen  Organisation  des  Realgymnasiums.  „Der 
Schulfriede  wird  nicht  kommen,  bis  man  dem  Phantom  der  Ein- 
heitsschule nachzujagen  aufhört  und  Wahlfreiheit  für  verschiedene 
Wege  giebt"  (Paulsen).  Dieses  Phantom  wird  nur  gestärkt, 
wenn  die  „geschlagene  Armee"  in  eitler  Hoffnung  auf  höchst  un- 
wahrscheinliche Chancen  ihren  Kampf  fortsetzt  oder  nur  resigniert 
in  ihr  Schicksal  sich  ergiebl,  statt  einen  gerechten  Frieden  zu 
suchen,  der  ihr  das,  was  ihr  auch  in  der  jetzigen  Zeit  mit  gutem 
Rechte  zusteht,  für  die  Zukunft  mehr  sichert  Das  Gymnasium 
mufs  aus  seiner  traditionellen  exklusiven  Stellung  heraustreten 
und  sich  einem  einheitlichen  Systeme  der  höheren  Schulen 
einfugen,  dessen  Arten  sich  nach  den  grofsen  Berufskategorieen 
differenzieren,  aber  in  der  Gemeinschaft  aller  Elemente  der 
höheren  allgemeinen  Bildung,  die  sie  die  eine  wie  die  andere  nur 
in  einer  gewissen  Abstufung  pflegen  (über  das  Verhältnis  des 
humanistischen  Elements  auf  den  Realschulen  zu  den  Gymnasien 
s.  S.  74),  ihre  Einheitlichkeit  finden.  In  diesem  Systeme  müssen 
wir  einem  Realgymnasium  der  oben  beschriebenen  Form  die  Stelle 
des  Hauptstammes  zugestehen,  dem  einerseits  das  volle  Human- 
gymnasium, anderseits  die  Realschulen  zur  Seile  treten.  Auch 
der  Zahl  nach  würde  diese  Schulart  häufiger  werden  als  die 
eigentlichen  Gymnasien.  Aber  gerade  der  Rückzug  des  Gym- 
nasiums auf  sein  zweifellos  berechtigtes  Gebiet  und  die  Harmonie, 
in  welche  es  mit  dem  Realgymnasium  tritt,  würde  ihm  seine  feste 
Stellung  geben. 

Bemerkungen  zu  den  Lehrplänen  S.  78  u.  81. 

a.  Um  die  Unterbrechung  des  Religionsunterrichts  in 
HB  zu  rechtfertigen,  mufs  ich  etwas  weiter  ausholen.  Für  die 
Schule  ist  „Religion''  zunächst  ebenso,  wie  jede  andere  Disziplin, 
ein  Lehr  gegenständ,  aber  in  diesem  ist  das  erziehliche  Element 
von  einem  Umfange  und  einer  Bedeutung,  wie  in  keinem  anderen. 
Gleichwohl  ist  der  Lehrplan  des  Religionsunterrichts,  ähnlich  wie 
der  der  Naturwissenschaften,  nach  dem  Schema  gemacht,  dafs  der 
Lehrstoff  in  gleichen  Portionen  durch  alle  Klassen  hindurchgefuhrt 
werde.     Es    wäre    vielmehr    die  Frage    zu    stellen:    auf   welchen 


voQ  J.  Lattmann.  g5 

Stufen  und  in  welchen  Formen  kann  dieser  Unterricht  seiner  und 
der  Schuler  Natur  nach  seine  erziehende  Kraft  besonders  entfalten, 
wo  sind  die  Verhältnisse  dafür  mehr  oder  weniger  gilnstig?  Die 
höheren  Schulen  nehmen  den  Schüler  in  einem  Lebensalter  auf, 
in  dem  die  willige,  unbefangene  kindliche  Hingabe  an  das  Religiöse 
noch  grofs  ist.  Dem  sollten  wir  in  der  Sexta  mit  einer  gröfseren 
Anzahl  von  Religionsslunden,  möglichst  mit  jeder  ersten  Morgen- 
stunde, entgegenkommen.  Die  Pensenteilung  der  Lehrpläne:  VI 
Biblische  Geschichte  des  A.  T.,  V  Bibl.  Gesch.  des  IV.  T.  ist  zu 
sehr  nach  dem  Lehrstoffe  gemacht,  zu  wenig  nach  der  Natur  der 
jungen  Seelen.  Die  Patriarcbenzeit  und  die  Könige  bis  Salomo 
sind  allerdings  so  ganz  der  rechte  Stoff  für  das  Alter  der  Sexta, 
aber  die  Geschichte  von  der  Teilung  des  Reiches  an  ist  dafür 
weniger  geeignet.  Alsdann  sollen  „die  betreffenden  Geschichten 
des  N.  T.  vor  den  Hauptfesten"  behandelt  werden.  Man  wird  die 
erste  Bekanntschaft  damit  wohl  als  aus  den  Vorschulen  mitgebracht 
voraussetzen  können,  aber  übel  ist  es  doch,  dafs  mit  Himmelfahrt 
und  Pfingsten  der  Anfang  gemacht  werden  mufs.  Überhaupt 
können  diese  Festgeschichten  nicht  zu  rechter  Wirkung  kommen, 
wenn  sie  nicht  aus  dem  ganzen  Zusammenhange  des  Lebens 
Christi  hervorgehen,  und  gerade  dieses  recht  voll  und  eindringend 
vorzuführen  entspricht  der  oben  bezeichneten  Aufgabe  des  ersten 
Religionsunterrichts.  Der  Sexta  ist  also  als  zweiter  Teil  ihres 
Pensums  das  Lesen  der  drei  ersten  Evangelien  zuzuweisen.  Keine 
,3fnopse*%  sondern  Wiederholung  und  gegenseitige  Ergänzung. 
Die  ausznglichen  „Biblischen  Geschichten*'  sind  von  dem  A.  T., 
auch  vom  N.  T.  für  die  Vorschule  zweckmäfsig;  aber  in  der  Sexta 
ist  das  N.  T.  im  deutschen  Originaltexte  zu  lesen.  Man  lasse 
weniger  geeignete  Stellen  überschlagen  oder  durchlesen,  ohne  dabei 
zu  verweilen.  In  dem  Religionsunterrichte  der  unteren  Klassen 
mufs  sehr  viel  dem  Gedächtnisse  der  Schüler  eingeprägt  werden. 
Dabei  wird  viel  gesündigt,  indem  man  immer  noch  an  der  den 
ganzen  Unterricht  der  früheren  Jahrhunderte  beherrschenden 
camificina  memoriae  festhält.  Es  ist  nichts  wichtiger,  als  den 
Kleinen  das  Lernen  zu  lehren,  das  Gedächtnis  richtig  auszu- 
bilden. Ober  das  entsprechende  Verfahren  vgl.  Methodische  An- 
leitung zu  Latein.  Elementarb.  f.  Sexta.  1891.  Der  Lernstoff  ist 
ans  dem  Gelesenen,  aus  seinem  Zusammenhange  zu  entnehmen; 
so  die  zu  behaltenden  Sprüche,  wozu  auch  2.  Mos.  20,  Matth. 
6,9;  26,26,  Teile  der  Bergpredigt  gehören;  ebenso  aber  auch 
längere  erzählende  Stellen,  wie  z.  B.  1.  Mos.  4,  3 — 16,  Matth. 
4,1 — 11,  Luk.  10,25 — 37,  Teile  der  Leidensgeschichte.  Alles 
dies  ist  in  den  Stunden  einzuprägen,  nicht  zum  Lernen  im  Hause 
aufzugeben.  Jedoch  s.  bei  V  und  IV.  Dagegen  ist  das  beliebte 
aus  dem  deutschen  Unterrichte  entnommene  „Nacherzählen'',  halb 
mit  eigenen,  halb  mit  zufallig  hängen  gebliebenen  Textesworten, 
Dicht  zu  biliigen.     Entweder  wörtlich    nach  der  Heiligen  Schrift, 


gg  Was  ist  der  Einheitsschule  eotgepeozusetzeo?, 

oder  nur  kurze  InhaltsaDgabe    mit  Einfügung   der  zu  merkenden 
Sprüche. 

Dasselbe  Verfahren  ist  in  Quinta  fortzusetzen.  Zu  lesen: 
die  alttestamentliche  Geschichte  seil  der  Teilung,  dann  die 
Apostelgeschichte,  Stücke  aus  den  Briefen,  wichtige  Psalmen.  -Dazu 
mündliche  Wiederholung,  hi^r  freie  Nacherzählung  des  Lebens 
Jesu,  wobei  auf  die  in  Sexta  gelernten  Stellen  und  Spräche  hin-^ 
zuführen  ist.  Sitzen  diese  noch  nicht  fest,  so  ist  hier  ein  Nach- 
lernen im  Hause  aufzugeben.  So  müssen  die  Schüler  in  den 
beiden  unteren  Klassen  mit  dem  Spruchinhalte  des  Katechismus 
recht  bekannt  gemacht  werden;  der  Katechismus  als  Lehrbuch  ist 
nicht  zu  benutzen. 

Nachdem  aber  so  die  Hauptmenge  des  Stoffes  aus  dem  Lesen 
der  Heiligen  Schrift  aufgenommen  ist,  tritt  in  Quarta  der  Ka- 
techismus als  Lehr-  und  Lernbuch  ein.  Das  heifst:  der  Reli- 
gionsunterricht soll  in  analoger  Weise,  wie  es  jetzt  von  dem 
Sprachunterrichte  verlangt  wird,  induktiv  verfahren.  Das  System 
darf  erst  eintreten,  nachdem  der  Iniialt  im  einzelnen  schon  be- 
kannt und  geläufig  geworden  ist.  Nur  Luthers  kleiner  Katechis- 
mus ist  zu  benutzen;  es  ist  Sache  des  Lehrers,  die  Erklärung 
aus  und  mit  dem  schon  bekannten,  event.  wieder  nachzuschlagen- 
den Spruch-  und  Stellenmaterial  zu  entwickeln.  Wo  Ejgänzungen 
aus  anderen  Teilen  der  Bibel  herangezogen  werden  müssen,  sind 
diese  —  nach  „dem  Allgemeinsten  von  der  Einteilung  der  Bibel 
und  der  Reihenfolge  der  biblischen  Bücher'*  —  nachzuschlagen. 
So  sind  die  „Übungen  im  Aufschlagen  von  Sprüchen*',  die  „Lesung 
wichtiger  Abschnitte  des  A.  und  N.  T.  behufs  Wiederholung",  auch 
die  „Kirchenlieder**  dem  Unterrichte  einzugliedern.  Vielleicht  ein 
Spruchbuch,  um  Schwachen  oder  Trägen  ein  häusliches  Nachlernen 
aufzugeben. 

Die  Pensen  der  HIB  und  A  in  den  neuen  Lehrplänen  zeigen 
wieder  die  systematische  Teilung:  das  Reich  Gottes  im  A.  T.  — 
im  N.T.  Auffällig  ist  es,  dafs  die  Lektüre  des  Ev.  Johannis 
und  dor  Briefe  der  Prima  zugewiesen  ist,  da  doch  vom  Reiche 
Gottes  im  N.  T.  kaum  anders  die  Rede  sein  kann,  als  unter  Ver- 
weisungen auf  diese  Schriften,  die  auch  schon  vor  der  Konfirma- 
tion den  Schülern  in  ihrem  Zusammenhange  näher  bekannt  werden 
sollten.  Es  erscheint  richtiger,  sie  der  lüB  zuzuweisen,  selbst 
wenn  einzelne  Partieen  daraus  überschlagen  oder  nur  oberflächlich 
behandelt  werden  müssen,  alsdann  aber  „das  Reich  Gottes  im  A. 
und  N.  T.**  nach  111 A  zu  legen,  da  das  eine  doch  immer  unter 
Bezugnahme  auf  das  andere  zu  lehren  ist.  Auch  in  dem  Lehr- 
plane von  1859  ist  beides  zusammengestellt  der  IIB  zugeteilt;  die 
Ansetzung  für  IIIA  ist  richtiger.  Aber  es  ist  dann  auch  anzu- 
erkennen, dafs  damit  ein  Abschlufs  bezeichnet  ist,  und  zwar 
sehr  tretfend,  weil  er  mit  dem  Normalalter  der  Konfirmation  zu- 
sammenfällt.    Der  neue  Lehrplan    thut  dies   in  Wirklichkeit   auch 


v«o  J.  Lattmaon.  g7 

dadurch,  dafd  er  eine  „Reforinationsgeschichte^'  hinzufügt.  Aber 
auffälliger  Weise  wird  dieser  faktische  Abschlufs  ignoriert  und  es 
heifst:  „Ein  erster  Abschlufs  wird  in  dem  sechsten  Jahreskursus 
UlB)  erreicht,  indem  ein  synoptisches  Evangelium  behufs  zusammeu- 
fasaeoder  Auffassung  des  Lebens  Jesu  gelesen  und  erklärt  wird*S 
Das  ist  die  eine  Hälfte  des  Reiches  Gottes  im  N.  T.  Dieses  um- 
(afsi  doch  daneben  auch  die  Gründung  der  Kirche,  wie  sie  in 
der  Apostelgeschichte  und  in  den  Briefen  dargestellt  wird;  diese 
werdea  ,.ais  Einleitung  in  die  Geschichte  der  Kirche"  der  IIA 
zttgewieseo.  Beide  Pensen  sind  im  Grunde  also  nur  eine  er- 
weiterte Wiederholung  des  Fensums  der  111 A.  Übrigens  ist  an 
den  neuen  Lehrplänen  zu  rühmen,  dafs  ihre  Pensenverteilung 
iosofem  eine  bessere  ist  als  die  der  früheren,  als  sie  faktisch 
den  richtigen  Abschlufs  in  III A  machen,  anderseits  den  Eintritt 
io  eine  höhere  Unterrichtsform  —  eine  kirchengeschichtliche  und 
dogmatische,  also  mehr  auf  wissenschaftlichen  Grundlagen  be- 
ruhende Behandlung  —  bestimmter  auf  die  Prima  verschieben, 
während  der  frühere  Plan  die  Abgrenzung  der  beiden  verschiedenen 
Standpunkte  mehr  verwischte.  Freilich  ist  auch  jetzt  nicht  recht 
verständlich,  welcher  Unterschied  stattfinden  soll  zwischen  dem  für 
JB  Angesetzten  „das  Judenchristentum,  die  Paulinische  Auffassung 
über  Person  und  Werk  Christi"  und  einerseits  dem  Pensum  der 
IIa,  anderseits  der  Lektüre  des  R6merbriefes  in  lA.  Denn  jene 
Lehren  k6nnen  doch  nur  gegeben  werden  auf  Grundlage  einer 
,,Eridärung  der  ganzen  Apostelgeschichte  und  Lesung  von  Abschnitten 
anderer  neutestamentUcher  Schriften'',  also  der  Briefe,  namentlich 
auch  des  Römerbriefes.  Das  beides  aber  so  auseinanderzunehmen, 
daJs  in  IIA  und  lA  die  Quellen  gelesen  und  „erklärt''  werden, 
in  IB  aber  die  daraus  abstrahierte  Darstellung  zu  bieten  sei, 
kann  nicht  angemessen  erscheinen.  Hier  liegt  doch  das  eine  zu 
sehr  in  dem  andern.  Kurz,  von  welcher  Seite  aus  man  die  für 
IIB  und  A  angesetzten  Pensen  betrachtet,  man  kann  sich  des 
Eindrucks  nicht  erwehren,  dafs  sie  herbeigesucht  sind,  um  den 
einmal  angesetzten  Stunden  einen  Inhalt  zu  verschaffen.  Und 
am  die  Lücke  mehr  zu  füllen,  heifst  es  für  beide  Klassen: 
„Wiederholung  von  Katechismus,  Sprüchen,  Liedern'*.  Obenein 
hieb  es  schon  in  HIB:  „Wiederholung  des  Katechismus  nebst 
Sprächen  ..  und  Kirchenliedern"  und  inlllA:  „Sicherung  der 
erworbenen  Kenntnis  des  Katechismus  und  Spruch-  und  Lieder- 
schatzes". 

Macht  man  sich  los  von  äufserlichen  Rücksichten  und  eng- 
herzigen Meinungen  und  betrachtet  dagegen  einmal  ernstlich,  in 
welcher  Weise  die  religiöse  Bildung  in  der  Seele  des  Schülers 
sieh  entwickelt,  so  kann  man  nicht  verkennen,  dafs  es  ein  natur- 
gemälses  Bedürfnis  ist,  mit  dem  Abschlufs  der  Konfirmation  auch 
wirklich  einen  Abschlufs  zu  machen  und  —  ähnlich  wie  es  bei 
jedem  Abschlüsse,    wie   auch   nach  dem  der  Abgangsprüfung  der 


88  Was   ist  der   EiDheitssehnle  6d tgpegeDzasetzeo?, 

Fall  ist  —  vorläufig  die  Sache  einmal  ruhen  zu  lassen,  fürs 
erste  wenigstens  nicht  weiter  mit  ihr  bearbeitet  zu  werden.  Eine 
so  tiefgreifende  Erregung,  wie  die  Konfirmation  ist,  wie  wir 
wünschen  müssen  dafs  sie  sei,  fordert  eine  Periode  der  Ruhe, 
wenn  diese  auch  nicht  immer  genau  mit  jener  zusammentrifft. 
Mufs  nicht  jenes  unausgesetzte  schulmäfsige  Bibellesen  und 
Katechismustreiben  dazu  beitragen,  gute  Keime,  die  in  früheren 
Jahren  gelegt  sind,  mehr  zu  ersticken  als  zu  fördern? 

Für  die  IIA  scheint  mir  als  Vorbereitung  auf  den  Unterricht 
der  Prima  das  passendste  Pensum  eine  eingehendere  Bibelkunde 
zu  sein,  an  die  sich  (in  der  Form  von  Inhaltsangaben)  Wieder- 
holungen des  früher  Gelernten  anschliefsen;  in  dem  Gymnasium 
könnten .  solche  Auffrischungen  auch  nach  einer  trefflichen  Be- 
stimmung des  alten  Lehrplans  geschehen  an  „Lesung  und  Er- 
klärung der  biblischen  Bücher  des  N.  T.  . ,  wobei  die  Schüler  sich 
des  griechischen  Grundtextes,  auch  mit  Luthers  Obersetzung 
zur  Seile,  bedienen^'. 

Aber  ich  sehe  voraus,  dafs  Theologen  die  Unterbrechung  des 
Religionsunterrichts  in  HB  mifsbilligen  werden;  hat  man  neuerlich 
doch  umgekehrt  eine  Vermehrung  verlangt.  Es  ist  eine  traurige 
Vorstellung,  wenn  man  meint,  die  Bedeutung  und  die  Wirksamkeit 
dieses  Unterrichts  nach  der  Stundenzahl  bemessen  zu  können. 
So  verbitte  ich  es  mir  denn,  den  vorgeschlagenen  Ausfall  des 
Religionsunterrichts  in  IIB  als  eine  Geringschätzung  desselben  zu 
deuten.  Wie  ich  die  Verschiebung  des  Latein  nach  Quinta  an 
erster  Stelle  im  Interesse  des  Lateinischen  selbst  gefordert  habe 
(schon  1871  in  Progr.  Clausthal  S.  14  über  „die  grofsen  päda- 
gogischen Übel  des  unverhältnismäfsig  langen  Hinziehens  dieses 
Unterrichts  durch  drei  Klassen'*,  dann  Progr.  1888  S  11,  b  und 
„Verirrunger"  im  Nachwort  S.  163  ff.),  ebenso  betrachte  ich  jene 
Unterbrechung  des  Religionsunterrichts  als  einen  Segen  für  ihn 
selbst.  —  Aber  für  den  Fall,  dafs  meine  Rechtfertigung  nicht 
anerkannt  wird,  habe  ich  mit  kleinen  Zahlen  eine  andere  Stunden- 
ansetzung  zur  Wahl  gestellt. 

b.  Über  den  deutschen  Unterricht  und  die  damit  zu  kon- 
zentrierende deutsche  Geschichte  habe  ich  gehandelt  in  der  Schrift 
„Die  Verirrungen  des  deutschen  u.  latein.  Elementarunt/*  1892 
S.  69  ff.     Danach  ist  mein  Lehrplan  aufzufassen. 

c.  Die  vierte  Stunde  in  IIA  des  Realgymnasiums  soll  der 
Geographie  zugute  kommen. 

d.  Die  siebenten  Stunden  für  Latein  und  Griechisch  in 
IIA  und  die  zwischen  beiden  geteilten  siebenten  Stunden  der 
Prima  sind  als  die  Grammatikstunden  gedacht,  um  die  übrige  Zeit 
ganz  der  Lektüre  widmen  zu  können.  Ich  denke,  die  sechs  den 
Klassen  IV — I  zugelegten  Stunden  des  Latein  sind  mehr  wert  als 
die  acht  der  Sexta  genommenen.     Dazu  im  Griechischen  +3. 

e.  Die  Abminderung  der  Stunden  des  Englischen  in  V  soll 


von  J.  Lattmann.  g9 

dem  Beginne  des  Lateinischen  mehr  Raum  und  Arbeitskraft  des 
Schälers  frei  lassen.  Er  soli  sich  in  VI  und  im  ersten  Halbjahre 
der  V  zunächst  ein  reichh'ches  Sprachmaterial  praktisch,  mündlich 
aneignen  (wo  nötig,  nur  für  den  einzelnen  Fall  ausreichend  er- 
klärt), der  eigentliche,  syi^tematische  Grammatikunterricht  im 
zweiten  Halbjahre  der  Y  einsetzen.  —  Bei  der  ersten  der  neueren 
Sprachen  ist  es  vorzugsweise  auf  Sprech-  und  Schreibfertigkeit 
abgesehen.  Man  nenne  das  nicht  eine  banausische  Absicht;  die 
Fähigkeit,  seine  Gedanken  in  einer  fremden  Sprache  auszudrücken, 
^tt  als  ein  hervorragendes  Stück  der  höheren  Bildung.  In  dieser 
Beziehung  tritt  die  neuere  Sprache  an  die  Stelle  einer  dem  La- 
teinischen verloren  gegangenen  Seite.  Vgl.  Progr.  1888  S.  22f. 
Man  darf  erwarten,  dafs  nach  einer  Anleitung  und  Übung,  wie 
die  angesetzten  Stunden  sie  bieten  können,  die  Schüler  Interesse 
daran  gewinnen,  weiter  in  dieser  Sprache  zu  lesen,  unter  einander 
zu  sprechen,  einen  Brief  zu  schreiben;  auch  dafs  sie  darin  dem 
Lehrer  „freie  Privatarbeit''  entgegenbringen  werden.  Bei  der 
zweiten  neueren  Sprache  ist  mehr  Gewicht  auf  die  Lektüre  auch 
der  höheren  Litteralur  des  betr.  Volkes  gelegt.  Hier  ist  die  Stelle, 
wo  Wert  und  Wirkung  einer  tüchtigen  Kenntnis  des  Latein  für 
Erlernung  fremder  Sprachen,  namentlich  der  romanischen,  stärker 
in  die  Wagschale  fallen  kann;  ohne  Zweifel  wird  man  in  den  vier 
Stunden  der  lA  mehr  lesen  können,  als  Latein  in  den  sechs  lateini- 
schen Stunden.  —  Es  ist  die  Meinung,  den  aus  IIB  des  Real- 
gymnasiums Abgehenden  in  einer  neueren  Sprache  eine  tüchtige 
Ausbildung  za  geben,  von  der  zweiten  nur  die  Elemente  zu  lehren. 
Dieses  ist  zwar  kein  Abschlufs,  aber  ein  schätzenswertes  viaticum, 
dem  auch  ein  weiterer  Fortschritt  im  Lateinischen  zugute  kommen 
wird.  Beim  Gymnasium,  das  niemals  allein  steht,  wird  voraus- 
gesetzt,  dafs  nur  ausnahmsweise   ein  Abgang  aus  II  B  stattfindet. 

Die  Fertigkeit  des  Schreibens  in  Sexta  mehr  zu  üben,  ist 
sehr  nötig.  Auch  dem  Rechnen  ist  eine  Mehrung  der  Unter- 
richtsstunden nützlich;  jedoch  erleiden  die  angesetzten  sechs  eine 
zeitweilige  Abmindening  nach  f. 

f.  Der  naturgeschichtliche  Unterricht  der  Sexta  sollte  in 
höherem  Mafse  ein  induktiver,  ein  „natürlicher**  sein,  als  er  es 
wohl  schon  ist;  er  sollte  den  Ausgang  von  einer  unmittelbaren 
Beobachtung  der  Natur  selbst  nehmen,  d.  h.  der  Lehrer  hat  so 
oft  wie  möglich  die  Schuler  in  das  Freie  zu  führen  und  sie  da 
zum  Beobachten  anzuleiten,  und  zwar  ohne  Systematik  zum  Be- 
obachten der  Pflanzen  und  Tiere,  wie  gerade  die  Gelegenheit  oder 
die  Jahreszeit  sie  darbietet,  Käfer,  Insekten,  Vögel,  Fische,  Säuge- 
tio«,  auch  die  Haustiere.  Warum  sollte  man  nicht  auch  Stein- 
nnd  Erdarten  betrachten  lassen,  oder  auf  physikalische  Gesetze 
aufmerksam  machen,  die  in  ihren  Wirkungen  bemerklich  sind 
oder  von  den  Schülern  bei  ihren  selbstangefertigten  Spielzeugen, 
wie  KDailbficbse,  Drachen,  Fontäne,  Elektrophor  u.  dgl,  praktisch 


90     ^tiS  ist  d.  Einheitsschule  entg^e^^eozasetzen?,  V.  J.LattmtDD. 

verwertet  werden?  Also  in  Sexta  Anleitung  zur  Nalurbeobachtung 
überhaupt  nach  allen  diesem  Alter  zuganglichen  Teilen  hin.  Ein 
solcher  ünterrichl  kann  nur  im  Sommer  erteilt  werden.  Dasselbe 
gilt  von  der  Heimatskunde.  Beide  sind  deshalb  in  vier  Nach- 
mittagsstunden zu  legen.  Daneben  zwei  Rechenstunden,  die  zu 
den  Ausgängen  an  jedem  Tage,  wo  das  Wetter  es  erlaubt,  mit- 
benutzt werden.  Abwechselnd  wird  auch  der  seminaristisch  ge- 
bildete Rechenlehrer  die  Führung  übernehmen  können,  wofern  er 
nicht  schon  einen  jener  Unterrichte  hat.  In  den  ersten  Wochen 
nach  Ostern  und  an  allen  ungeeigneten  Tagen  wird  der  Unter- 
richt im  Klassenzimmer  gegeben:  Vorbereitungen  auf  die  Beob- 
achtungen, Wiederholung  des  Beobachteten  an  kunstlichen  An- 
schauungsmitteln, Elemente  der  Systematik. 

g.  Der  Sing  unter  rieht  sollte  in  den  unteren  Klassen 
weiter  gelrieben  werden  bis  HIB,  mindestens  bis  IV;  und  zwar 
unter  Vereinigung  dieser  Klassen  mit  der  V,  um  rechte  Sicherheit 
m  zweistimmigen  Gesänge  zu  erzielen.  Eine  Anzahl  zwei- 
stimmiger Lieder  ist  zum  geläuGgen  Auswendiglernen  einzuüben; 
ebenso  mehrere  Choräle,  um  es  später  der  Mehrzahl  der  Männer 
möglich  zu  machen,  in  der  Kirche  mitzusingen,  was  sie  bei  der 
hohen  Lage  der  Melodieen  nicht  können.  Nachdem  so  die 
Knabenstimmen  recht  tüchtig  geschult  sind,  werden  sich  später 
die  Männerstimmen  leicht  von  selbst  zu  finden  wissen;  ein  be- 
sonderer Unterricht  ist  ihnen  nicht  zu  erteilen.  Nur  vor  dea 
Schulfesten  haben  sich  die  Stimmbegabten  zu  einigen  Stunden 
einzufinden,  um  die  erforderlichen  vierstimmigen  Gesangstücke 
einzuüben.  Aufserdem  wird  den  Schülern  der  oberen  Klassen  er- 
laubt einen  Singverein  zu  bilden,  zugleich  als  gesellige  Vereinigung^ 
in  den  auch  gleichalterige  junge  Leute  des  Ortes  mit  guter  Stimme, 
die  die  Anstalt  besucht  aber  früher  verlassen  haben,  als  Mitglieder 
aufgenommen  werden  können.  Die  Kunst  führt  am  leichtesten 
zur  Ausgleichung  der  Stände.  —  In  ähnlicher  Weise  ist  das 
Zeichnen  der  oberen  Klassen  einer  freien  Vereinigung  der  Schüler 
zu  überlassen.  (Auch  Anleitung  zum  Zeichnen  und  Skizzieren 
nach  der  Natur!)  Beiden  Vereinen  wird  von  der  Anstalt  äufsere 
Unterstützung  gewährt,  im  übrigen  aber  eine  gewisse  Selbst- 
verwaltung zugestanden;  natürlich  unter  Oberaufsicht  des  Direktors 
und  Vorbehalt  der  Schuldisziplin. 

Für  den  fakultativen  Unterricht  im  Hebräischen  sind  die 
Schüler  des  Gymnasiums  von  je  zwei  Stunden  des  neusprachlichen 
Unterrichts  in  Prima  zu  dispensieren. 

Demnach  fällt  aller  eigentliche  Unterricht  in  die  32  Stunden 
der  gewöhnlichen  Schulzeit,  aufserhalb  derselben  nur  das  Turnen 
und  die  der  freien  Vereinigung  überlassenen  Kunstübungen. 

h.  Die  neuen  Lehrpläne  sind  besonders  darauf  ausgegangen, 
die  ganze  Unterrichtszeit,  namentlich  die  der  unteren  Klassen  zu 
kürzen.     Sehr  mit  Recht;  aber  die  Weise,   wie  es  geschehen  ist. 


Erfolg  und   Mifserfolg,  von    W.   Schuppe.  9t 

scheinl    mir   nicht    die   richtige    zu  sein.     So  lange  ich  selbst  in 
den  unteren  Klassen  unterrichtet  und  später  Kandidaten  eingeführt 
habe,   ist    mir    immer   aufgefallen,    dafs    für    dieses    Lebensalter 
die    Stunden   zu  lang  sind.     Die   Kleinen  können  nicht  eine 
volle    Stunde    lang    ihre    Aufmerksamkeit  auf  denselben  Gegen- 
stand heften,   sie  erschlaffen    gegen    das  Ende,    ihre   Natur   ver- 
langt   schnellere  Abwechselung    und  Erfrischung.     Danach    meine 
ich,    dafs    ihre   Lektionen    nicht    länger   als    45  Minuten   dauern 
sollten.     Man    lasse   sie    für  VI  und  V  morgens  erst  um  81  Uhr 
beginnen,   um  9  Uhr  die  übliche  Pause  von  5  Min.,  aber  Schlufs 
dieser  Stunde   um  9,50.     Der  Lehrer  fuhrt  die  Schüler    auf  den 
Hof  oder  in  die  Turnhalle  und  läfst  sie  in  ruhiger  Bewegung  ihr 
Fröhstfick  verzehren,  das  sonst  im  Spieleifer  häußg  weggeworfen 
oder  heimlich  genossen  wird;  nach  10  Uhr  mögen  sie  zum  übrigen 
Haufen    springen.     Dritte   Stunde    von    10,i5  bis  11,    vierte  von 
11,5    bis    11,50;    dann    entlassen.      Auch    die    übrigen    Klassen 
sciiiiefsen    um  ll,5o.     Nachmittags,   wo  allen  die  langen  Stunden 
drückend    sind,    beginnt    der  Unterricht   überhaupt  um  2,io    und 
wird    am  3,50   geschlossen.     Damit   erhallen   die   unteren   beiden 
Klassen  eine  wöchentliche  Verkürzung  um  4$  Stunde,  die  übrigen 
am  2  Stunden  20  Minuten.    Die  wöchentliche  Unterrichtszeit  nach 
meinem   Ansätze   ist    also   einschliefslich    des   Singens    und    des 
fakultativen    Unterrichts    noch   um    etwas  geringer    als    die    der 
neuen  Lehrpläne. 

Göttingen.  J.  Lattmann. 


Erfolg-  und  Mifserfolg. 

Ich  weifs  nicht,  ob  und  in  wie  weit  es  angezeigt  ist,  an  dieser 
Stelle  den  bekannten  Klagen  über  den  Mifserfolg  unseres  Unter- 
richts entgegenzutreten.  Doch  da  ich  auch  selbst  aus  Lehrer- 
kreisen das  Urteil  gehört  habe,  dafs  die  Leistungen  der  Schüler 
trotz  der  gewissenhaftesten  und  eifrigsten  Bemühungen  ihrer 
Lehrer  fortwährend  schlechter  wurden,  so  mag  ein  kurzes  Wort 
gestattet  sein,  wenn  es  auch  für  manche  überflüssig  ist.  Wenn 
dieses  Urteil  wahr  ist,  so  ist  nur  folgender  Schlufs  möglich :  ent- 
weder ist  der  Erfolg  überhaupt  unseren  Bemühungen  gänzlich 
entzogen  und  hängt  von  einem  Fatum  ab  —  welcher  Annahme 
Konsequenzen  ich  nicht  weiter  verfolgen  mag  — ,  oder  unser  bis- 
heriger Unterricht  i^t  in  allen  seinen  Prinzipien  von  Grund  aus 
verfehlt  Und  wenn  nun  doch  nicht  klar  werden  will,  warum 
diese  Prinzipien  falsch  sind  und  welches  (wenn  wir  uns  an  das 
unter  den  gegebenen  Umständen  Mögliche  halten)  die  besseren 
sind,  so  bleibt  nur  Verzweiflung,  nur  ein  begriflloses  Herumtappen 


92  Erfolge   nod   Mifserfolg, 

fibrig.  Sollen  wir  lieber  gar  nicht  mehr  unterrichten?  oder  soll 
es  des  Nachts  geschehen,  statt  am  Tage?  oder  sollen  wir  mit  der 
Lektüre  des  chinesischen  Gesetzbuches  beginnen?  oder  was  sonst? 
Glücklicherweise  erinnern  wir  uns,  dafs  die  Klagen  über  den 
Verfall  der  Jugend  nie  verstummt  sind  und  bis  ins  graueste  Alter- 
tum zurückreichen.  Und  glücklicherweise  haben  die  Ankläger  aller 
Zeiten  den  Verfall  immer  erst  von  der  Jugend  ihrer  Zeit  an 
datiert,  sich  selbst  dagegen  noch  zur  guten  alten  Zeit  gerechnet. 
„Da  waren  wir  doch  anders'S  sagen  sie  alle  mit  selbstgefälliger 
Bliene,  ohne  zu  bedenken,  dafs  ihre  alten  Lehrer  in  betreff  ihrer 
selbst  dasselbe  gesagt  haben.  V^enn  sie  alle  recht  hätten,  mufste 
vor  Alters  ein  vollkommenes  Geschlecht  bestanden  haben,  dem  es 
doch  bei  aller  Vollkommenheit  nicht  gelungen  wäre,  schon  die 
nächste  Generation  vor  dem  Verfalle  zu  bewahren;  und  das  wäre 
nun  immerfort  so  weiter  gegangen  bis  zu  uns.  Die  heutige  Jugend 
müfste  schon  tief  unter  die  Stufe  des  Menschentums  hinabgesun- 
ken sein.  Aber  in  Wahrheit  hat  jenes  vollkommene  Geschlecht 
nie  existiert,  und  in  Wahrheit  gehört  der  stete  Verfall  der  jungen 
Generation  zu  den  Trugbildern. 

Als  ich  ein  junger  Lehrer  war,  sagte  mein  alter  Direktor 
mit  bekümmerter  Miene  zu  mir:  „Seit  25  Jahren  lehre  ich  nua 
das  Lateinische  in  Prima;  ich  kann  Ihnen  versichern,  mein  lieber 
Herr  Doktor,  die  Leistungen  werden  von  Jahr  zu  Jahr  schlechter^*. 
Er  mag  Recht  gehabt  haben,  aber  die  Schuld  war  bei  ihm.  Man 
wird  es  müde,  dieselben  Irrtümer  und  Mifsverständnisse  alljähr- 
lich aufs  neue  zu  bekämpfen.  Die  freudige  Lebendigkeit  und 
Eindringlichkeit  der  Belehrung  nimmt  ab,  und  mit  ihr  zugleich 
die  Anpassung  an  den  Schülerstandpunkt  und  die  verständnisvolle 
Nachsicht  mit  den  natürlichen  Schwächen,  welche  in  jedem  Jahr- 
gange aufs  neue  hervortreten.  Aber  auch  der  Irrtum  wäre  eben 
daher  erklärlich.  Der  Alte  vergifst,  dafs  es  immer  andere  sind, 
denen  er  alljährlich  nun  schon  so  lange  Zeit  dasselbe  erklärt; 
und  je  langweiliger  es  ihm  mit  der  Zeit  wird,  desto  ärgerlicher 
ist  er,  dafs  es  immer  noch  nicht  begriffen  ist,  und  desto  schlechter 
fällt  sein  Urteil  über  die  Leistungen  aus.  Ganz  ebenso  beurteile 
ich  die  Klagen  mancher  Universitätslehrer,  welche  „den  Füchsen** 
Anfangsgründe  mitzuteilen  haben,  dafs  die  Jünglinge  von  Jahr  zu 
Jahr  schlechter  vorbereitet  auf  die  Universität  kommen. 

Vieles  kommt  zusammen,  woraus  die  stete  Wiederkehr  des 
falschen  Urteils  erklärbar  wird.  Mancher  gefällt  sich  in  der  Rolle 
des  strengen  Richters.  Sein  Auge  sieht  schärfer  als  andere;  je 
gröfser  seine  Entrüstung  über  die  vorhandenen  Übelstände  ist 
und  je  schwärzer  er  sie  zu  zeichnen,  je  ausdrucksvoller  zu  be- 
klagen vermag,  desto  höher  scheint  er  selbst  zu  stehen.  Nur 
seine  eigene  Gröfse  kann  ihn  ja  so  feinfühlig  machen. 

Und  sodann  ist  die  wichtige  psychologische  Thatsache  in 
Erwägung  zu  ziehen,  dafs  unser  geistiges  Wachstum  in  der  Regel 


von  W,  Schuppe.  93 

sich  IQ  unmerklichen  Zunahmen  vollzieht.  Nur  sehr  selten  erinnern 
ivir  uns,  durch  eine  gluckliche  Verkettung  äufserer  Umstände  oder 
durch  die  überwältigende  ÜberzeugMOgskraft  eines  Lehrers  plötz- 
lich auf  eine  höhere  Stufe  gehoben  worden  zu  sein,  und  können 
zugleich  festhalten,  wie  unser  Geisteszustand  vor  dieser  Erhebung 
gewesen  ist.  Gewöhnlich  schreiten  wir  so  allmählich  fort,  dafs 
wir  den  Eintritt  der  später  errungenen  Einsicht  nicht  zu  datieren 
wissen  und  ihn  demgemäfs  in  Lebensjahre  versetzen,  in  welchen 
wir  noch  weit  davon  entfernt  waren.  Dazu  kommt  nicht  nur 
die  Eitelkeit,  sondern  auch  der  Leichtsinn  und  die  naturliche 
Folge  der  Dummheit,  dafs  der  Dumme  nie  weifs,  wie  dumm  er 
ist;  natörlich  ist  auch  treue  Erinnerung  daran  in  späteren  Jahren 
wenn  nicht  unmöglich,  so  doch  schwer  und  selten. 

Ais  ich  selbst  schon  den  Unterricht  des  Deutschen  in  Prima 
gab,  habe  ich  einen  Aufsatz  aus  meiner  Primanerzeit,  den  mein 
Lehrer  mit  „gtif*  censiert  hatte,  wiedergefunden.  Geschämt  habe 
ich  mich,  als  ich  ihn  durchlas.  Ich  hatte  nie  geglaubt,  dafs  ich 
ab  Achtzehnjähriger  so  schlottrige  Sätze  und  so  quatschiges  Zeug 
geschrieben  hätte.  Solche  Erfahrungen  wurden  gewifs  die  meisten 
machen,  wenn  sie  Gelegenheit  dazu  hätten.  Wenn  ich  über  den 
zaweilen  unglaublichen  Unverstand  der  jungen  Studenten  unwillig 
werde,  pQege  ich  mir  zu  sagen:  „So  bist  du  auch  gewesen''. 
Gerade  dasjenige,  worauf  es  am  meisten  ankommt,  die  Klarheit 
der  Begriffe,  stellt  sich  so  ganz  allmählich  in  stetigem  Flusse  ein, 
da£s  die  meisten  wähnen,  als  Jünglinge  und  Knaben  viel  verstän- 
diger gewesen  zu  sein,  als  sie  wirklich  waren. 

Vieles  noch  liefse  sich  anführen,  um  die  Irrtümlichkeit  der 
Klagen  zu  beweisen  und  zugleich  den  Irrtum  psychologisch  be- 
greiflich erscheinen  zu  lassen.    Doch  es  sei  genug. 

Oft  mag  hier  und  da  ein  Schwanken  vorkommen,  nament- 
lich in  einzelnen  Fächern  eine  Zeit  schlechterer  Erfolge  eintreten, 
aber  im  allgemeinen  kommen  die  Junglinge  hent  nicht  mit 
schlechteren,  sondern  eher  mit  besseren  Kenntnissen  zur  Uni- 
versität als  früher. 

Nach  dieser  Erklärung  werde  ich  nicht  als  laudator  temporis 
acti  abgethan  werden  können,  wenn  ich  Mängel  hervorhebe,  welche 
n.  E.  der  Gegenwart  eigen  sind.  Ich  betone  den  engsten  Zu- 
sammenhang derselben  mit  allen  charakteristischen  Zögen  unserer 
ZeiL  Die  Klage  erscheint  begründeter  und  läfst  zugleich  mehr 
Hoffnang  auf  Besserung  hegen,  wenn  der  Gbelstand  in  dem  Ganzen 
des  sog.  Zeitgeistes  seinen  Platz  bat,  wenn  er,  zum  Teil  wenig- 
stens, als  die  unvermeidliche  Nebenwirkung  wirklicher  Verbesse- 
mngen  erscheint,  und  wenn  er  auch  auf  nennbare  bestimmte 
Einrichtungen  bezogen  werden  kann,  als  wenn  er  einem  blinden 
ferhängnis  zugerechnet  wird,  dem  wir  vergeblich  Widerstand  zu 
lebten  versuchen.  Ich  bin  zwar  weit  entfernt,  für  so  allgemein 
auftrelende    Erscheinungen   nur  vereinzelte  Einrichtungen   bezw. 


94  Erfolg  uod   Mifserfolg, 

Anordnungen  einer  Behörde  verantwortlich  zu  machen,  aber  voll- 
ständig wirkungslos  sind  sie  nicht  gewesen,  und  so  mag  auch  ihr 
Anteil  an  dem  Gesamtresultat* erwähnt  werden. 

Viel  geringer  ist  gegenwärtig  der  Prozentsalz  derjenigen 
Studenten,  welche  ihr  Ziel  ganz  und  gar  verfehlen,  welche  volU 
ständig  verbummeln,  um  schliefsiich  als  Strolche  zu  enden  — 
gewifs  höchst  erfreulich!  — ,  aber  viel  geringer  auch  der  Prozent* 
satz  derjenigen,  welche  von  eigenstem  Wissensdrang  getrieben  sich 
ihren  Weg  suchen,  in  urwüchsigem  Ringen  nach  Erkenntnis  die 
Schwierigkeiten  finden  und  —  so  gut  es  eben  gehen  will  —  zu 
überwinden  lernen.  Viel  breiter  ist  der  Strom  der  Mittelmäfsig- 
keit  geworden.  Es  fehlt  an  der  rechten  Spontaneität  des  Denkens, 
an  Initiative,  an  eigenem  wirklichem  Interesse  an  der  Erkenntnis. 

Einst  kam  man  mit  weniger  positiven  Kenntnissen  zur  Uni- 
versität, aber  man  schätzte  sie  höher  und  sah  in  dieser  allgemeinen 
Bildung  etwas  um  seiner  selbst  willen  unbedingt  Wertvolles.  In 
dieser  Schätzung  lag  zugleich  das  Gefühl  des  Wertes,  den  mensch- 
liche Kunst  und  Wissenschaft  überhaupt  haben.  Beides  geht 
zusammen  und  ging  zusammen:  die  idealere  Auffassung  des  Fach- 
studiums und  nebenbei  noch  lebendiges  Interesse  für  allgemeine 
Bildung,  namentlich  für  Poesie  und  Philosophie.  Und  das  Fach- 
studium kam  gut  dabei  weg.  Mehr  Schwung  und  Frische  lag 
darin;  oft  sogar  gewann  es  gerade  dadurch  die  heilsame  Direktion 
auf  das  entscheidend  Wichtige,  dafs  es  in  dem  Ganzen  höchster 
menschlicher  Interessen  seine  Stelle  fand  und  Saft  und  Leben  aus 
der  gemeinsamen  Wurzel  zog.  In  der  lebendigen  Berührung  mit 
allen  andern  Interessen  dos  geistigen  Lebens  konnte  der  Buch- 
stabe des  Spezialfaches  nicht  so  seine  tötende  Macht  üben,  konnte 
die  durch  dasselbe  gesetzte  Einseitigkeit  nicht  zu  so  krankhaften 
Auswüchsen  führen,  nicht  zur  vollständigen  Verkehrung  des  Wesens 
der  Sache,  welche  auch  heut  noch  „Vernunft  Unsinn,  Wohlthat 
Plage'*  werden  läfst.  Tausendfach  ist  die  richtige  Würdigung  der 
Einzelheiten  eines  Gebietes  von  der  Erkenntnis  abhängig,  welche 
Stellung  und  Bedeutung  dieses  Gebiet  in  dem  Ganzen  hat,  zu  dem 
es  gehört. 

Das  ist  alles  anders  geworden.  Die  jungen  Leute  kommen 
mit  besseren  Kenntnissen  zur  Universität,  als  wir  Alten  einst, 
aber  sie  scheinen  diese  ihre  Bildung  gar  nicht  als  ein  grofses 
Gut  zu  schätzen.  Oft  sogar  sind  sie  von  der  Frage  angekränkelt, 
warum    und  wozu  eigentlich  sie  dies  alles  hätten  lernen  müssen. 

Was  Verstandesgebrauch  und  Lebensauffassung  anbetrifft,  so 
halten  sie  sich  für  fertig,  und  meinen,  dafs  es  nun  blofs  noch 
der  Aneignung  der  für  eine  Lebensstellung  erforderlichen  Fach- 
kenntnisse bedürfe.  Mit  nüchterner  Verständigkeit  wird  mehr 
oder  weniger  eifrig  auf  das  Examen  losgearbeitet.  Zeit  genug 
bliebe  zu  wissenschaftlicher  Nebenbeschäftigung,  nur  der  Sinn 
dafür  fehlt.     Die  deutsche  klassische  Dichtung  hat  für  diese  Ge- 


voD  W.  Schuppe.  95 

Seilschaft  keinen  Geschmack  mehr.  Die  Mehrzahl  unserer  Stu- 
denten hat  von  Lessing,  Schiller  und  Goethe  nicht  mehr  gelesen, 
als  was  in  der  Schule  gelesen  wurde  und  was  ein  Aufsatzthema 
zu  lesen  zwang.  Wie  viele  haben  den  Faust  gelesen?  Es  ist 
jammervoll,  die  verwunderten  Gesichter  zu  sehen,  wenn  man 
Stellen  aus  ihm  citiert,  die  den  Alten  allen  vollständig  ge- 
läufig sind. 

Hand  in  Hand  mit  der  Poesielosigkeit  unserer  Jugend  geht 
ihre  Abneigung  gegen  Philosophie.  Daraus  erklärt  sich  auch  die 
Frage  ,,wozu  eigentlich  sie  dies  alles  hätten  lernen  müssen*'. 
Probleme  quälen  sie  nicht.  Was  zu  dem  erstrebten  Ämtchen 
nicht  nötig  ist,  zum  Examen  nicht  gefordert  wird,  existiert  für 
sie  nicht. 

Einen  Vorzug  wiederum  will  ich  ihr  bereitwillig  zugestehen. 
Die  Examenleistungen  sind  in  Bezug  auf  feste  Kenntnisse  un- 
zweifelhaft bessere  als  früher  —  sind  doch  auch  überall  die 
Anforderungen  erhöht  worden  — ,  aber  geringer  geworden  ist 
Neigung  und  Fähigkeit  zu  durchdringender  Reflexion,  zur  einheit- 
lichen Gestaltung  der  Masse  durch  beherrschende  Gesichtspunkte. 
Die  mechanischen  Köpfe  nehmen  zu.  Ein  Versuch  „tiefer  zu 
bobren^^  findet  kein  Verständnis,  und  es  ist  schon  viel,  wenn  er 
nicht  als  Spielerei  oder  wertloses  Gerede,  sondern  nur  als  ent- 
behrlicher Luxus  angesehen  wird. 

Das  liegt  nun  ganz  im  „Geiste''  der  Zeit,  und  die  Jugend 
steht  nicht  nur  unmittelbar  unter  seinem  EinQusse,  sondern  auch 
unter  dem  der  Verbesserungen  des  Unterrichts  und  der  Prüfungs- 
ordnungen, in  welchen  er  sich  sehr  wirksam  geltend  macht. 

Ich  hoife,  mich  nicht  dem  Verdachte,  dafs  ich  die  wohl- 
gelungene  Feststellung  von  Thatsachen  nicht  nach  Gebuhr  zu 
schätzen  wüfste,  auszusetzen,  wenn  ich  es  beklage,  dafs  unsere 
Zeit  die  Reflexion,  welche  das  Thatsachen material  zur  Einheit  ge- 
staltet und  dadurch  erst  wirkliche  Einsicht  gewährt,  nicht  nach 
Gebuhr  zu  schätzen  weifs.  Man  ist  von  dem  oberflächlichen  Ein- 
drucke beherrscht,  dafs  das  doch  nichts  Positives,  sondern  nur 
ein  hifschen  Hin-  und  Herreden  ist,  kann  die  inhaltlichen  Unter- 
schiede dieser  „Gerede''  nicht  taxieren  und  weifs  nicht,  dafs, 
während  das  eine  in  der  That  wertlos  ist,  ein  anderes  den  höch- 
sten Wert  menschlicher  Wissenschaft  haben  kann.  Deshalb  gilt 
eigentlich  nur  Feststellung  von  Thatsachen  als  rechte  That,  Reich- 
toin  an  Kenntnissen  als  Bildung.  Es  ist  der  Materialismus  in  der 
Wissenschaft  und  in  der  Pädagogik. 

Daraus  ist  die  überreiche  Entwicklung  des  einseitigsten  Spe- 
nalistenturos  erklärlich,  daraus  zugleich  die  gedankenlose  Hinnahme 
überlieferter  Theorieen  und  Standpunkte  und  die  Unfähigkeit,  ja 
die  Abneigung  dagegen,  ihre  Unzulänglichkeit  und  ihre  inneren 
Widersprüche  zu  sehen,  und  daraus  endlich,  wenn  doch  im  klein- 
üen  Einielgebiei  der  Trieb  zu  systematisieren,  d.  h.  Einklang  und 


96  Erfolg  and  Mifserfolgp, 

Einheit  herzustellen,  sich  unbewufst  und  unwiderstehlich  geltend 
macht,  eine  BegrilTsverwirrung,  welche  jeder  Beschreibung  spottet. 
Was  nur  methodische  Überlegung  im  grofsen  Zusammenhange 
leisten  kann,  soll  dann  eine  kurze  Anstrengung  diiettantenbaften 
Nachdenkens  leisten,  welche  sich  natürlich  kritiklos  in  über- 
kommenen Redensarten  bewegt.  Der  Widerwille  gegen  tief- 
dringende Begriüsprüfung,  welche  ja  vermutlich  ein  ganzes  mor- 
sches Gebäude  zu  Falle  bringen  und  wer  weifs  was  noch  alles  in 
seinen  Fall  hineinziehen  könnte,  ist  gröfser  als  je.  Und  eben 
deshalb  ist  auch  die  geistige  Unselbständigkeit  und  die  Herrschaft 
der  Phrase  gröfser  als  je. 

Nichts  ist  charakteristischer  als  dies,  dafs  die  jungen  Leute 
zwar  im  allgemeinen  nicht  positiv  gläubig  sind,  aber  doch  nur 
verschwindend  wenige  unter  ihnen  von  der  Frage  gequält  werden : 
„wie  ist  es  nun?  hat  wirklich  der  Materialismus  recht ?*^  Von 
der  Theorie  desselben  mit  allen  ihren  Voraussetzungen  und  Kon- 
sequenzen Kenntnis  zu  nehmen,  um  sich  von  ihrer  Unmöglichkeit 
zu  überzeugen,  ist  zu  langweilig,  und  erst  recht  natürlich  die 
Erkenntnistheorie,  welche  entweder  mit  einem  klaren  non  liquet 
die  Zurückhaltung  des  Urteils  rechtfertigen  läfst,  oder  neue  Wege 
mit  neuen  Aussichten  eröffnet.  Solche  Bedürfnisse  sind  nicht 
vorhanden. 

Ich  sehe  das  freilich  für  einen  moralischen  Mangel  an,  be- 
tone aber  zugleich,  dafs  von  einem  moralischen  Verfall  im  ge- 
wöhnlichen engeren  Sinne  des  Wortes  keine  Rede  sein  kann. 
Entehrende  Vergehen  sind  bei  den  heuligen  Studenten  ebenso 
seltene  Ausnahmen,  wie  früher,  und  die  jugendlichen  Exzesse  in 
Baccho  et  Venere  kommen  verhältnismäfsig  nicht  häufiger  vor  als 
vor  30  und  vor  60  Jahren. 

Wenn  ich  nur  darüber  Klage  erhöbe,  dafs  das  junge  Ge- 
schlecht im  allgemeinen  keinen  Sinn  für  Philosophie  hat,  so 
würde  ich  vielleicht  wenig  Teilnahme  finden;  denn  die  Abnahme 
desselben  ist  schon  Jahrzehnte  alt.  Aber  vermutlich  wird  es  nicht 
ganz  ohne  Eindruck  bleiben,  wenn  ich  davon  überzeugen  kann, 
dafs  alle  die  aufgezählten  Mängel  und  Schwächen  derselben  Arl 
sind  und  zusammengehören,  sich  gegenseitig  setzen  und  bedingen. 

Die  Geisteserhebung  in  der  Poesie  berührt  in  ihrem  Wesen 
dieselben  Gegenstände,  deren  theoretisches  methodisches  Durch- 
denken Philosophie  genannt  wird.  Die  Werke  der  Dichter  sind 
voll  von  philosophischen  Gedanken,  und  nur  die  Untergeordnetsten 
machen  Verse  und  leimen  Schauspiele  oder  Romane  zusammen« 
ohne  von  der  Tiefe  etwas  zu  wissen,  in  welcher  der  philosophische 
Gedanke  mit  den  Gegenständen  der  höchsten  Kunst  und  des  höch- 
sten Gefühls  zusammentrifil.  Von  der  schulmäfsigen  Erlernung 
mag  wohl  manchen  gefühls-  und  phantasiereichen  Jüngling  die 
Abstrusität  dessen,  was  und  wie  es  ihm  gerade  sein  Lehrer  bot, 
abgeschreckt  haben,  aber  echte  dichterische  Begabung  und  tieferes 


von  W.   Schappe.  97 

Interesse  an  Dichterwerken  hat  noch  immer  zu  den  Fragen 
der  Philosophie  hingeführt.  Soll  ich  erst  Namen  nennen?  Und 
wirkliches  sch(^pferisches  Philosophieren  ohne  die  Gemütstiefe, 
welche  zur  Poesie  hindrängt,  lafst  sich  kaum  denken. 

Und  ferner  wird  es  vermutlich  nicht  ohne  Eindruck  bleiben, 
wenn  sich  zeigt,  dafs  diese  Poesie-  und  Philosophielosigkeit  zu- 
gleich gesetzt  ist  mit  Gleicbgöltigkeit  gegen  alles,  was  nicht 
das  Amt  bezw.  das  Spezialfach  und  das  höchst  persönliche  Ver- 
gnügen betrifft,  namentlich  mit  Gleichgültigkeit  gegen  alle  religiösen 
Dinge,  dafs  sie  zugleich  gesetzt  ist  mit  dem  Handwerkertum  im 
Spezialfach  und  im  Amt,  mit  der  Kritiklosigkeit  gegen  die  Tages- 
phrasen und  aller  geistigen  Unselbständigkeit,  mit  der  Bescheiden- 
beil, welche  sich  mit  dem  Notwendigsten  für  das  Examen  begnügt 
oder  dem  einseitigsten  und  borniertesten  Spezialistentum.  Das 
gehört  und  geht  alles  zusammen. 

Ich  bekenne  nun  gern,  dafs  die  obige  Darstellung  an  starker 
Übertreibung  leidet.  Ich  selbst  kenne  Jünglinge,  denen  es  an 
echtem  Erkenntnistrieb,  an  eigener  Regsamkeit  des  Denkens  und 
lebhaftestem  Interesse  für  alles  Wahre  und  Gute  nicht  gebricht. 
Aber  Tollständig  falsch  ist  das  entworfene  Bild  doch  nicht.  Nach 
Abzog  des  Obertriebenen  bleibt  noch  etwas  dieser  Art  zurück, 
and  diese  Art  ist  schlimm  genug,  um  auf  Abhülfe  sinnen  zu 
lassen.  Ich  erlaubte  mir  die  Übertreibung,  um  die  Richtung,  in 
weldier  das  Übel  liegt,  recht  unverkennbar  zu  machen. 

Ich  bin  auch  weit  entfernt  von  einer  ungünstigen  Prognose; 
mein  Vertrauen  zum  deutschen  Volke  ist  viel  zu  grofs.  Aber  es 
ziemt  sich  nicht,  nur  von  der  Zeit  Hülfe  zu  erwarten;  mein  Ver- 
trauen zum  deutschen  Volke  schliefst  eben  auch  dies  in  sich,  dafs 
die  Berufenen  in  ihm  das  Übel  ins  Auge  fassen  und  zu  bekämpfen 
wissen. 

Fragen  wir:  wie  ist  es  gekommen? 

Es  wird  bereitwillig  von  allen  Seiten  wie  eine  Naturnotwen- 
d%keit  zugestanden,  dafs  der  Zeitgeist  sich  ändern,  dafs  die  Inter- 
essen, welche  die  Generationen  beherrschen,  abwechseln  müssen. 
Und  es  ist  gewifs  nicht  schwer  zu  verstehen,  dafs  seit  Jahrzehnten 
die  politischen  und  wirtschaftlichen  Interessen  im  Vordergrund 
stehen.  Noch  bei  keinem  Volke  haben  sich  Dichtkunst  und  Philo- 
sophie dauernd  auf  gleicher  Höhe  gehalten.  Blute  und  Verfall 
wechseln  ab  und  mit  ihnen  zugleich  steigt  und  sinkt  das  Interesse 
der  grofsen  Menge.  Und  die  letzte  Blüte  der  deutschen  Philo- 
fophie  —  wie  sehr  auch  der  Fachmann  Genie  und  Scharfsinn 
ihrer  Vertreter  zu  würdigen  weifs  —  hat  wahrlich  dem  grofsen 
Publikum  Anlafs  genug  geboten,  l^^sein  Interesse  von  ihr  abzu- 
wenden. 

Doch  auch  speziellere  Gründe  lassen  sich  anführen.  Merk- 
würdigerweise haben  ganz  verschiedene  Mächte,  welche  sich  sonst 
bekämpfen,    auf    dasselbe   Ergebnis    hingewirkt.      Der    nüchtern 

t  L  OjmiuMialweMii  XLVUL    a.  8.  7 


98  Brfolg  und   Mifserfolg, 

praktische  Sinn  iäfst  nur  nahe  Ziele  setzen,  deren  Erreichbarkeit 
aus  den  vorhandenen  Umständen  und  yerfugbaren  Mitteln  ein- 
leuchtet. Er  fällt  keineswegs  mit  Materialismus  zusammen,  aber 
auch  der  letztere  ist  geeignet,  hochfliegende  Begeisterung  zu 
dämpfen  und  nur  das  praktisch  Verwertbare  anzuraten.  Die  sog. 
konservativ-klerikale  Richtung  ist  sein  programmmäfsiger  Gegner, 
aber  thatsachlich  hat  sie  ihm  stets  in  die  Hände  gearbeitet.  Motive 
und  Ausdrucksweise  sind  verschieden,  aber  die  Furcht  vor  der 
philosophischen  Reflexion  („Geist  ist  Teufel'^  hat  immer  nur  den 
Bann  der  sinnlichen  Auffassung  befestigt:  was  nicht  im  Bauche 
kollert,  das  nützt  nichts,  und  was  überhaupt  existieren  soll,  mufs 
wie  ein  räumlich-zeitliches  Ding  gedacht  werden. 

Wie  verschieden  auch  die  Beweggrunde  waren,  man  fand 
sich  in  dem  Programm:  keine  fahrige  unklare  Begeisterung  für 
höchste  Zwecke,  sondern  festes  positives  Wissen  für  die  nächsten, 
kein  Herumtappen,  sondern  schrittweises  methodisches  Vorgehen, 
immer  sichere  Schulung  und  Führung,  durchweg  Zugein,  Gängeln, 
Abrundung,  Konzentration  des  Unterrichts,  und  vor  allem  Fern- 
haltung alles  desjenigen,  was  doch  nicht  recht  verstanden  werden 
könnte,  also  vermutlich  nur  Verwirrung  und  unreife  Parteinahme 
zur  Folge  haben  würde. 

Beachten  wir  die  verschiedenen  Seiten  des  Ergebnisses.  Wenn 
die  weise  Vorenthaltung  alles  desjenigen,  was  nur  verwirren  und 
von  den  nächsten  dringendsten  Aufgaben  ablenken  könnte,  wenn 
das  Gängeln  und  Anleiten  und  Abrunden  zu  besseren  und  festeren 
Kenntnissen  führt,  und  wenn  letzteres  doch  eben  die  Hauptsache 
ist,  so  kann  es  in  der  Tbat  nichts  Vorteilhafteres  und  Verstän- 
digeres geben  als  dies.  Und  wirklich  ist  solcher  Vorteil,  wie  ich 
eingangs  behauptet  habe,  erreicht  worden. 

Wenn  aber  das  Selbstdenken  aus  eigensten  inneren  Antrieben 
nur  zuerst  die  Sammlung  geordneter  Kenntnisse  erschwert,  dafür 
aber  um  so  energischer  vorwärts  treibt  und  das  Unbefriedigende 
der  jedesmal  errungenen  Stufe  um  so  lebendiger  fühlen  läfst,  und 
wenn  andererseits  eine  begeisterungslose  trockene,  nie  aus  eigenem 
Drang,  sondern  stets  unter  genauer  Anleitung  erfolgende  Aneignung 
von  Kenntnissen  zwar  zuerst  bessere  Erfolge  hat,  um  so  früher 
aber  stillstehen  läfst,  zwar  vor  manchen  Tollheilen  und  Störungen 
bewahrt,  dafür  aber  das  Unzulängliche  und  die  inneren  Wider- 
sprüche der  mitgegebenen  Gesichtspunkte  niemals  fühlen,  sondern 
behaglich  auf  dem  Faulbett  der  Tradition  ruhen  läfst,  so  wird  es 
sehr  fraglich  erscheinen,  ob  wirklich  das  letztere  dem  ersteren 
vorzuziehen  ist. 

Mit  Recht  wird  man  entgegenhalten,  da£^  wir  ja  gar  nicht 
einfach  zwischen  letzterem  und  ersterem  zu  wählen  haben,  dafs 
wir  den  jugendfrischen  inneren  Trieb,  wenn  er  fehlt,  nicht  schaffen 
können,  und  dafs  es  aufserdem  noch  keine  gewaltthätige  Unter- 
drückung desselben  ist,  wenn  wir  durch  sorgfältige  Führung  und 


von  W.   Schuppe.  99 

Leilaog  dea  Jungen  und  Jüngling  vor  Irrwegen  bewahren.  Hat 
doch  manchen  der  unreife  Drang  nach  Selbständigkeil  in  eine 
Begriffsverwirrung  gestürzt,  aus  welcher  er  sich  nie  wieder  heraus- 
gefunden hat.  Das  mag  ganz  richtig  sein,  trifft  mich  aber  nicht. 
Denn  ich  denke  gar  nicht  daran,  eine  radikale  Reform  vorzu- 
schlagen oder  einfache  Umkehr  anzuempfehlen.  Anregen  will  ich 
and  auf  das  Bekannte  hinweisen,  dafs  die  menschlichen  Verbesse- 
rangea  sehr  oft  neue  Übelstände  einfuhren.  Mögen  die  letzteren 
geringer  sein,  als  die  alten  beseitigten,  mag  das  gewonnene  Gute 
die  neuen  Gbelstände,  welche  ihm  anhängen,  überwiegen,  immer 
lohnt  e«  sich  doch  auch  auf  die  Abstellung  der  letzteren  bedacht 
zu  sein.  Um  Vervollkommnung  handelt  es  sich,  nicht  um  Um- 
kehr. Ich  will  auch  gern  zugeben,  dafs  dasjenige,  was  ich  de- 
sideriere,  viel  weniger  die  sicher  voraussehbare  Wirkung  bestimmter 
Einrichtungen  ist,  welche  schleunigst  ins  Werk  gesetzt  werden 
inülsteD,  um  Deutschlands  Jugend  vor  dem  Verfall  zu  retten,  als 
vielmehr  Sache  der  persönlichen  Kunst  des  Lehrers.  Aber  auch 
dann  wäre  doch  mein  Hinweis  nicht  überflüssig. 

Wenn  wir  die  frische  eigene  Regsamkeit  des  Denkens  und 
Strebens,  wo  sie  fehlt,  nicht  hinzaubern  können,  so  versteht 
sich  doch  von  selbst,  dafs  ich  nur  solches  zu  thun  anempfehlen 
will,  was  sich  thun  läfst.  Es  ist  aber  weltbekannt,  dafs  diese, 
wie  jede  andere  Anlage,  in  verschiedenen  Graden  vorhanden  sein 
kann  und  dafs  sie  durch  die  Art  des  Unterrichts  gefördert  oder 
gehemmt,  entfallet  oder  unterdrückt  werden  kann.  Es  giebt  an- 
regenden, den  geistigen  Blick  erweiternden,  Interesse  erweckenden 
Unterricht,  und  es  giebt  auch  solchen,  der  von  alledem  das 
Gegenteil  ist  Geschick  oder  Ungeschick  des  Lehrers  bezw.  seine 
unabsichtlich  im  Unterricht  sich  geltend  machende  Natur  und 
Geffitesbeschaffenheit  ist  imstande  das  glimmende  Fünkchen  zur 
bellen  Flamme  anzufachen  oder  auch  es  auszutreten.  Bedürfnisse, 
die  dauernd  unbefriedigt  bleiben,  verlieren  sich  allmählich;  Kräfte, 
die  nie  zur  Ausübung  kommen,  gehen  ein. 

Was  habe  ich  nun  vorzuschlagen,  um  den  Erkenntnistrieb 
zu  beleben,  die  Studien  zu  vergeistigen,  das  Handwerkertum  fern- 
zuhalten, um  die  rechte  Feinfühligkeit  für  vorhandene  Schwierig- 
keiten zu  erwecken,  welche  nicht  ruhen  läfst  und  immer  tiefer 
zn  dringen  treibt?  was  speziell  habe  ich  zu  widerraten,  damit 
der  vorhandene  Trieb  nicht  erstickt,  das  Fünkchen  nicht  ausge- 
treten werde?  Vieles  könnte  ich  anführen,  aber  ich  will  mich 
auf  eins  beschränken,  und  zwar  will  ich  dieses,  um  es  einleuchten- 
der zu  machen,  an  eine  allbekannte  Ansicht  anschliefsen,  indem 
ich  zeige,  dafs  es  eigentlich  in  dieser  als  einer  zugestandenen 
Toraussetzung  enthalten  ist. 

Niemand  zweifelt,  dafs  der  Unterricht  im  Deutschen  in  her- 
vorragender Weise  berufen  ist,  geistig  anzuregen  und  zu  beleben. 
Wer  im  „deutschen  Aufsatz'*  auf  die  eigenen  Gedanken  der  Schüler 

7* 


JOO  Erfolg  ond   Mifserfol^, 

eingebt,  wer  mit  ihnen  deutsche  Dichtungen  liest,  wer  ihnen  von 
Lessings,  Schillers,  Goethes  geistigem  Leben  und  den  Triebfedern 
ihrer  Zeit  erzählt,  vermag  naturgemäfs  auch  am  meisten  in  die 
Gedankenwelt  der  Schüler  einzugreifen  und  ihr  Interesse  für  alles 
Wahre  und  Scliöne  zu  erwecken,  und  nun  behaupte  ich:  wer 
dies  am  besten  und  nachhaltigsten  versteht,  verdankt  diese  Kunst 
nicht  seiner  deutsch  -  philologischen  Gelehrsamkeit.  Ich  bin 
keineswegs  gesonnen,  den  Wert  dieser  Studien  herabzusetzen, 
sondern  will  nur  darauf  aufmerksam  machen,  dafs  auch  der  Lehrer 
des  Deutschen  in  den  oberen  Klassen,  von  welchem  vorzugsweise 
die  verlangte  Anregung  erwartet  und  wirklich  auch  oft  geleistet 
wird,  diese  seine  Kraft  aus  anderen  Wurzeln  zieht,  als  denen 
historisch-philologischer  Kenntnisse.  Die  allgemeinen  Interessen, 
welche  er  belebt,  weil  sie  iu  ihm  so  lebendig  sind,  sind  philo- 
sophischer Natur.  Wer  unserer  Dichterheroen  inneres  Leben  und 
die  Bewegung  ihrer  Zeit  versteht  und  verstehen  lehren  kann, 
mufs  auch  ihr  Philosophieren  verstanden  haben  und  dafür  zu 
interessieren  wissen.  Die  feinsinnigen  Bemerkungen,  welche  die 
Schönheit  ihrer  Dichtungen  dem  Schuler  zugänglich  zu  machen 
vermögen,  sind  zum  gröfsten  Teil  ihrem  Inhalte  nach  philosophische 
Gedanken  (wenigstens  wenn  man  die  Psychologie  mit  zur  Philo* 
Sophie  rechnet).  Und  gerade  je  besser  ein  Lehrer  die  Gelegenheit 
zu  solchen  Einwirkungen  wahrzunehmen  weifs,  je  weniger  er  in 
steif  pedantischer  Manier  mit  philosophischen  Terminis  und  Lehr- 
sätzen wirtschaftet,  welche  nur  abschrecken  könnten,  desto  gründ- 
licher sind  seine  philosophischen  Studien  gewesen,  freilich  auch 
desto  gröfser  sein  angeborenes  Talent.  Die  Philosophen  haben 
zum  Verständnis  des  geistigen  Gehaltes  unserer  grofsen  Dichtungen 
mehr  beigetragen  als  die  germa^iistiscben  Philologen. 

Und  wer  in  der  Besprechung  der  Schülerleistungen  in  her- 
vorragender Weise  klärend  auf  ihre  Auffassungsweise  und  Begriffs- 
bildung  einzuwirken  vermag,  hat  auch  dies  (die  unentbehrliche 
Anlage  vorausgesetzt)  wesentlich  seiner  philosophisdien  Bildung 
zu  vei^anken.  Nicht  natürlich  einzelne  Paragraphen  eines  Lehr- 
buches der  Logik  und  der  Psychologie  haben  es  gemacht  (viel- 
leicht verfiele  ein  findiger  Kopf  darauf,  sicli  diese  allein  anzu- 
sehen), sondern  das  Durchdenken  der  Probleme  und  des  ganzen 
Zusammenhanges  ihrer  Lösungsversuche.  Mag  mancher  Lehrer 
des  Deutschen,  auch  ohne  ernstliche  philosophische  Studien  ge- 
macht tu  haben,  in  der  bezeichneten  Richtung  Tüchtiges  geleistet 
haben;  dann  ist  er  jedenfalls  ein  philosophisch  beanlagter  Mann 
gewesen;  nur  Zufälle  haben  ihn  von  diesen  Studien  abgehalten, 
und  wenn  er  sie  gemacht  hätte,  würde  er  jedenfalls  noch  Vorzug- 
Ucheres  geleistet  haben. 

Der  Unterricht  im  Deutschen,  sagte  ich,  gilt  als  das  vor- 
nehmste und  direkteste  Mittel,  alle  höheren  geistigen  Interessen 
anioregen  und  zu  beieben,  wie  auch  die  Letslungea  des  Jünglings 


von  W.  Schuppe.  \Q\ 

in  diesem  Punkte  das  sicherste  Mittel  zur  Beurteilung  seiner 
geistigen  Höhe  sind.  Aber  es  versteht  sich  von  selbst,  dafs  jeder 
Dnterricht  zu  diesem  Enderfolg  beiträgt,  keiner  blofs  niitzh'che 
Kenntnisse  zu  praktischer  Verwertung  geben  will,  und  dafs  unter 
allen  andern  Unterrichtsgegenständen  wiederum  die  Lektüre,  dies- 
mal die  der  fremdsprachlichen  Dichter  und  Denker,  eine  hervor- 
ragende Stelle  einnimmt.  Naturliche  Begabung  und  pädagogisches 
Interesse  lassen  auch  ohne  philosophische  Bildung  oft  genug  die 
richtigen  Worte  der  Belehrung  und  die  richtigen  Fragen  finden. 
Aber  es  sei  gleich  hinzugesetzt,  dafs  „die  naturliche  Begabung'', 
welche  dies  leistet,  nicht  die  für  das  Spezialfach  ist,  sondern  die 
fior  feine  psychologische  Beobachtung,  die,  welche  aus  den  Worten 
des  Schulers  merken  läfst,  was  es  ist,  was  ihm  in  seinem  Denken 
fehlt,  was  in  seinem  Kopfe  vorgeht  und  wie  er  es  eigentlich 
iDeiot,  dafs  sie  also  eine  philosophische  Begabung  ist,  und  dafs 
femer  zu  ihr  die  logische  Begabung  gehört,  welche  auch  nicht 
mit  dem  Talent  für  das  Spezialfach  zusammenfällt.  Während 
dieses  oft  instinktiv  die  Eindrücke  erfafst  und  zu  Kombinationen 
verwendet,  befähigt  jene  mehr  zur  scharfen  BegrifTsanalyse  und 
setzt  gerade  dadurch  in  den  Stand,  auch  den  Schuler  bei  der 
Zergliederung  seiner  Antworten  und  durch  in  diesem  Sinne 
passend  gestellte  Fragen  zur  richtigen  BegrifTsbildung  bezw.  Kor- 
rektur  der  falschen  Begriffe  zu  fuhren,  also  im  eigentlichen  Sinne 
nicht  blofs  Kenntnisse  möglichst  fest  und  schnell  zu  übermitteln 
and  zum  Spezialfach  vorzubereiten,  sondern  die  Köpfe  zu  klären. 
Es  wird  nicht  zweifelhaft  sein,  dafs  die  Fähigkeit  zu  diesen 
f^istuogen  durch  grundliche  philosophische  Studien  erhöht  wird, 
nnd  dafs  letztere  also,  wie  grofs  oder  gering  die  angeborene  Anlage 
sein   mag,    ceteris  paribus  den  vorzuglicheren  Lehrer  ausmachen. 

Gilt  es,  in  den  sogenannten  „Geist'*  einer  fremden  Sprache,  eines 
Schriftstellers  einzuführen  (das  Wort  ist  banal,  aber  ich  überhebe 
mich  der  Kürze  halber  an  dieser  Stelle  der  Mühe,  das  Wirkliche, 
was  damit  gemeint  sein  kann,  auseinanderzusetzen),  so  wird  die 
erwähnte  Kunst  von  ausschlaggebender  Bedeutung. 

Vor  allem  wird  aber  die  Übung  in  philosophischer  Beflexion 
allein  imstande  sein,  den  Gedankenscliatz  und  die  Weltansichten, 
welche  doch  wohl  zum  „Geist"  des  klassischen  Altertums  gehören, 
der  Jugend  verständlich  zu  machen. 

Der  Sinn  für  philosophische  Beflexion  und  das  Verständnis 
ihrer  Probleme  ist  also  dem  Lehrer  zu  wünschen,  denn  es  wird 
seine  pädagogische  und  didaktische  Kunst  vervollkommnen;  es 
gehört  aber  auch  zu  demjenigen,  was  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
fnr  den  Schüler  notwendig,  also  zum  Unterrichtsstoffe  zu  rechnen 
ist.  Denn  er  wird,  wovon  oben  schon  gehandelt  wurde,  ihre 
Berafsstudien  vertiefen  und  beleben,  ja  sogar  auf  ihre  künftige 
Berafsaosubnng  heilsam  einwirken,  überhaupt  den  Ernst  der 
LebensanfTassung  erhöhen.     Es  handelt  sich    um   den  Wert   der- 


102  Brfolg  aod   Mirfle.rfolgp, 

jenigen  Geistesverfassung  und  Denkrichtung,  welche  durch  die 
Klärung  der  Grundbegriffe,  durch  die  gründliche  Kenntnis  der 
philosophischen  Probleme  und  durch  das  lebhaft  gefühlte  Bedürf- 
nis ihrer  Lösung  und  einer  einheitlichen  Weltauffassung  natur- 
notwendig hervorgebracht  werden  mufs  (Grdzge  d.  Eth.  S.  162  ff. 
u.  198 — 201).  Diese  Geistesverfassung  schliefst  den  Materialismus 
aus.  Ich  betone:  nicht  von  dem  Inhalte  eines  philosophischen 
Systems,  welches  eben  deshalb  wie  ein  Dogma  gelehrt  werden 
müfste,  erwarte  ich  diese  Wirkung,  sondern  blofs  von  dem  ernst- 
haften Eindringen  in  die  Probleme.  Das  preufsische  Kultus- 
ministerium hat  oft  die  Absicht  bekundet,  dem  Materialismus 
entgegenzuwirken,  aber  es  wird  dieselbe  sicherlich  nur  so  er- 
reichen, dafs  es  sich  bemüht,  die  Klärung  der  Begriffe  zur 
konstanten  Denkrichtung  zu  machen.  Wer  zu  der  Er- 
kenntnis gebracht  worden  ist,  dafs  die  Wissenschaft,  welche  die 
Grundbegriffe  in  ihrer  Wurzel  und  in  ihrem  Zusammenhange 
kennen  lehrt,  das  Fundament  sein  mufs,  der  wird  alle  blofsea 
Redensarten  verschmähen  und  vor  allem  durch  seine  Einsicht  in 
jene  Begriffe  den  materialistischen  Redensarten  unzugänglich  sein. 
Blofse  Gelehrsamkeit  hat  noch  nie  vor  ihnen  geschützt. 

Demnach  ergäbe  sich  die  Aufgabe,  die  philosophischen  Studien 
auf  der  Universität  überhaupt  möglichst  zu  fördern.  Wie  kann 
das  geschehen? 

Einst  bestand  für  alle  Studenten  die  Verpflichtung,  Logik 
und  Psychologie  zu  hören.  Sie  ist  vor  ungefähr  30  Jahren  auf- 
gehoben worden,  und  ich  wage  nicht  ihre  Erneuerung  zu  empfehlen. 
Vielleicht  könnte  allen  Studenten  ein  Examen  in  der  Philosophie 
auferlegt  werden,  doch  auch  dieser  Vorschlag  hat  vieles  gegen 
sich,  was  ich  hier  nicht  ausführen  will.  Nur  eine  beherzigens- 
werte Thatsache  will  ich  hervorheben. 

Es  bedarf  keines  Beweises,  obwohl  ein  solcher  sich  aus 
psychologischen  Gründen  leicht  erbringen  liefse,  sondern  ist  ein- 
fach  Erfahrungsthatsache,  dafs  diejenigen  Studenten  am  meisten 
Neigung  zur  Philosophie  haben,  welche  auf  dem  Gymnasium  in 
der  philosophischen  Propädeutik  zweckentsprechend  unterrichtet 
worden  sind  und  auch  in  den  anderen  Unterrichtsgegenständen 
philosophisch  gebildete  Lehrer  gehabt  haben,  und  dafs  umgekehrt 
diejenigen  Studenten  Philosophie  als  Unsinn  verachten,  welche  auf 
dem  Gymnasium  nie  etwas  davon  kennen  gelernt  haben,  dabei 
aber  um  so  ungenierter  mit  allen  philosophischen  Begriffen  und 
Voraussetzungen  umgeben,  ohne  zu  ahnen,  dafs  Schwierigkeiten 
in  ihnen  stecken,  immer  meinend,  das  sei  alles  ganz  selbstver- 
ständlich, ganz  so  wie  es  auch  ihre  philosophisch  ungeschulten 
Lehrer  gemacht  haben. 

In  derselben  Zeit,  welche  die  Verpflichtung  aller  Studenten 
zum  Hören  philosophischer  Vorlesungen  aufheben  liefs,  ist  auch 
der  Unterricht  in  der  philosophischen  Propädeutik  auf  den  Gym- 


von  W.  Schuppe.  103 

nasien  aufgehoben  worden  (die  blofse  Erlaubnis  desselben  ist  in 
der  Wirkung  einer  Aufhebung  gleichgekommen).  Kann  jene  Ver- 
pflichtung wiederherzustellen  unthunlich  erscheinen,  so  scheint  es 
dagegen  nicht  nur  nicht  unthunlich,  sondern  sogar  sehr  empfeh- 
lenswert, den  Unterricht  in  der  philosophischen  Propädeutik  wieder 
allgemein  einzufahren. 

Jene  Aufhebung  hat  man  vielfach  auf  die  Meinung,  dafs  die 
philosophischen  Studien  religionsgefahriich  seien,  zurückgeführt. 
Ich  könnte  diese  Meinung  nur  als  einen  bedauerlichen  Irrtum  be- 
zeichnen. Die  Entfernung  von  dem  methodischen  philosophischen 
Denken  hat  thatsSchlich  nicht  der  Religiosität,  sondern  nur  der 
OberOächlichkeit  und  dem  Materialismus  Vorschub  geleistet. 

Vielleicht  hat  einst  die  Verirrung  philosophischer  Spekulation 
zur  Oberschätzung  des  blofsen  Thatsachenmaterials,  vielleicht  hat 
die  Nichtigkeit  und  Leerheit  der  sog.  formalen  Logik  zur  ünter- 
schätzung  aller  Unterweisung  in  der  Logik  geführt;  heut  liegt 
längst  kein  Grund  mehr  vor,  einen  Rückfall  in  jene  verfehlten 
Methoden  zu  befürchten. 

Was  die  Meinung  anbelrifft,  dafs  der  Unterricht  in  der 
philosophischen  Propädeutik,  wenn  doch  keine  geeignete  Lehrkraft 
dazu  vorhanden  ist,  besser  unterbleibe  —  was,  nebenbei  gesagt, 
noch  für  viele  Unterrichtsgegenstände  gelten  würde,  z.  B.  für  die 
Mathematik  — ,  so  kann  ich  daraus  nur  die  Aufforderung  ent- 
nehmen, mit  allen  Kräften  dahin  zu  wirken,  dafs  stets  genug 
tüchtige  Lehrer  für  dieses  wichtige  Fach  vorhanden  seien. 

Diese  zulet/t  genannten  Rücksichten  haben  gewifs  nicht  den 
Ausschlag  gegeben,  die  Entscheidung  schreibe  ich  vielmehr  der 
oben  schon  erwähnten  Verbindung  der  Furcht  vor  den  Gefahren 
der  philosophischen  Reflexion  mit  der  bornierten  Verständigkeit 
zo,  welche  unter  Fernhaltung  alles  dessen,  was  vielleicht  störend 
und  ablenkend  wirken  könnte,  nur  das  Nächste,  d.  i.  den  Erwerb 
der  nötigsten  positiven  Kenntnisse  erstreben,  unter  Abscheu  vor 
aller  „Verstiegenheit'*  nur  „das  Reale*'  ins  Auge  fassen  läfst  Die 
Schüler  verstehen  ja  doch  von  philosophischen  Fragen  noch  nichts. 
Sie  werden  durch  Behelligung  mit  dem  für  sie  Unverständlichen 
nur  verwirrt,  eventuell  wenn  sie  sich  doch  etwas  davon  angeeignet 
haben,  naseweis  und  dünkelhaft.  So  etwa  läfst  sich  die  anti«- 
pfailosophische  Weisheit  vernehmen.  Gerade  umgekehrt  ist  es. 
Die  philosophischen  Probleme  haben  sich  von  selbst  dem  denken- 
den und  beobachtenden  Menschen  aufgedrängt  und  thun  es  noch 
beut.  Thatsächlich  philosophiert  oder  philosophelt  jeder  ein 
bi&chen,  auch  der  Ungebildetste,  auch  der,  welcher  der  Philo- 
sophie Feindschaft  geschworen  hat,  nur  mit  mehr  oder  weniger 
Unverstand.  Unser  ganzes  Denken  der  Welt  mit  allen  den  Einzel- 
gebieten, welche  Gegenstand  der  SpezialWissenschaften  sind,  ist 
durchzogen  von  philosophischen  BegriiTen,  d.  h.  solchen,  welche 
philosophische  •  Schwierigkeiten   in    sich    haben,    Sein,  Substanz, 


104  Erfolg  and  Mifserfolg, 

Thätigkeit,  Einheit,  Kraft,  Stoff,  Subjekt,  Objekt,  Ursache,  Be- 
diDgung  u.  dergl.  Wer  ist  wohl  mehr  verwirrt  in  seinem  Denken, 
derjenige,  welcher  von  den  Schwierigkeilen  etwas  kennen  gelernt 
hat,  oder  derjenige,  welcher  nichts  davon  ahnt,  demgemäfs  auch 
gar  nie  merkt,  in  wie  viel  verschiedenen  Sinnen  er  und  andere 
diese  Wörter  gebrauchen,  und  sich  vollständig  daran  gewöhnt  hat, 
gar  nichts  dabei  zu  denken  oder  immer  nur  etwas  Sinnliches 
oder  nach  Analogie  des  Sinnlichen?  Ich  habe  Vertreter  dieser 
Verständigkeit  sich  aussprechen  hören  und  kann  nur  erklären: 
ihre  eigene  Begriffsverwirrung,  sobald  sie  die  positiven  Thatsachea 
ihres  Spezialfaches  nur  um  Haares  Breite  verliefsen,  überstieg 
jedes  Mafs;  schlimmer  kann  sie  bei  keinem  Schuler  sein. 

Und  wenn  die  philosophischen  Fragen  sich  nicht  von  selbst 
im  Schüler  regen,  die  Umgebung  verschont  ihn  nicht  damit. 
Schon  im  Beligionsunlerricht  müssen  sie  auftauchen,  der  unver- 
meidliche Zweifel  führt  sie  mit  sich;  in  ihrer  Lektüre,  oft  genug 
in  einem  Zeitungsblalt  stofsen  sie  darauf.  In  den  verschiedensten 
Wendungen  und  Redensarten  ist  ein  Gedanke  enthalten,  der  seine 
Klärung  nur  im  Zusammenhange  philosophischer  Reflexion  fin- 
den kann. 

Wenn  das  gesamte  Lehrerkollegium  von  alledem  nichts  zu 
wissen  scheint,  so  kann  das  nur  das  Vertrauen  und  den  Respekt 
des  Schülers  vor  diesen  Lehrern  herabsetzen.  Und  nur  zu  leicht 
lernen  die  Jünglinge  sich  über  die  Schwierigkeiten  mit  Phrasen 
hinwegsetzen.  Oft  genug  lernen  sie  es  von  den  Lehrern,  welche 
die  höchste  pädagogische  Weisheit  zu  üben  meinen^  wenn  sie  über 
das  dem  Schüler  „doch  noch  nicht  recht  Verständliche*'  schnell 
mit  einigen  verdeckenden  täuschenden  Worten  hinweggehen.  Ent- 
weder wird  sein  Sinn  für  ernstes  Nachdenken  überhaupt  erstickt, 
oder  er  kommt  in  seiner  Unklarheit  zu  dem  Tollsten,  was  es 
giebt,  dem  blödsinnigsten  Radikalismus  oder  der  wüstesteu 
Schwärmerei,  hi  seinem  Kopfe  kompliziert  sich  die  philosophische 
Schwierigkeit  mit  prinzipalen  Mifsverständnissen  in  einer  Art  und 
Weise,  welche  der  wahren  Aufklärung  viel  gefährlicher  ist,  als  es 
je  eine  nicht  ganz  richtig  verstandene  Erörterung  der  Sache  von 
Seiten  des  Lehrers  sein  kann.  Dieser  soll  selbstverständlich  nicht 
etwa  philosophische  Dogmen  einpflanzen  wollen,  sondern  Richtung 
geben,  Ziele  und  Wege  zeigen,  für  die  Probleme  mit  ihren  eigen- 
tümlichen Schwierigkeiten  und  ihre  Bedeutung  Verständnis  erwecken. 
Dünkelhaft  macht  nur  die  Borniertheit;  wer  nicht  weifs,  was 
und  wie  viel  er  nicht  versteht,  der  verfällt  dem  unerträglichsten 
Dünkel,  der  auch  immer  ungerecht  macht;  wer  aber  die  Schwie- 
rigkeiten gekostet  und  die  Fernsichten  gewonnen  hat,  von  denen 
ich  spreche,  ist  am  meisten  vor  dieser  Gefahr  gesichert. 

Zu  unverständlich  soll's  dem  Primaner  sein!  Was  hat  das 
für  Sinn,  wenn  doch  bei  den  meisten  diese  gefährlichen  Gedanken 
sich   einmal  von  selbst   einstellen?    Und    was   hat  das    für  Sinn, 


voD  W.  Schuppe.  105 

wenn  doch  keines  Unterrichtsgegenstandes  Wesen  und  Wert  von 
den  Schülern  ganz  verstanden  wird?  Wie  verstehen  und  würdigen 
die  meisten  ihre  lateinischen  und  griechischen  Schriftsteller?  wie 
die  Mathematik?  Und  doch  halten  wir  an  diesen  Unterrichtsgegen- 
ständen  fest  Etwas  geht  doch  ein,  meinen  wir,  und  dieses  Etwas 
ist  wichtig  genug,  und  die  Hauptsache  ist,  dafs  es  noch  in  der 
Erinnerung  sich  klärt  und  zu  den  AuiTassungen  des  späteren 
Lebens  seinen  Beitrag  leistet. 

Wenn  der  Primaner  mit  diesem  für  ihn  doch  noch  nicht 
Verständlichen  verschont  werden  soll,  hat  denn  das  Reifezeugnis 
die  Zauberkraft,  es  ihm  nun  sogleich  verständlich  zu  machen? 
Wenn  er,  gänzlich  unvorbereitet,  als  junger  Student  in  ein  philo- 
sophisches Kolleg  kommt,  so  versteht  er  erst  recht  nichts,  und 
da  er  keinen  Zwang  sieht,  sich  mit  besonderer  Muhe  hineinzu- 
bohren, so  bleibt  er  nach  den  ersten  Stunden  weg. 

Und  endlich,  wenn  die  Fragen  der  Philosophie,  welche  seit 
Jahrtausenden  das  Menschengeschlecht  bewegen,  doch  noch  zu 
keinem  befriedigenden  Abschlufs  gebracht  worden  sind,  wenn  also, 
am  mit  Fichte  zu  reden,  „die  unendliche  Aufgabe'^  das  Wesen 
des  Menschen  ausmacht,  so  kann  die  Schwierigkeit,  welche  mit 
der  ersten  Einführung  verbunden  ist,  kein  Grund  sein,  von  dieser 
abzustehen.  Dem  Junglinge  den  Blick  in  diese  Tiefen  ersparen 
woUen,  heifst  ihn  über  sein  eigenes  innerstes  Wesen  täuschen 
and  allem  dem,  was  aus  diesem  folgt  und  zu  ihm  gehört,  d.  i. 
seinem  Berufe  entfremden. 

Was  soll,  was  kann  nun  geschehen? 

Die  preufsische  Prüfungsordnung  verlangt  von  allen  Kandi- 
daten des  höheren  Schulfaches  den  Nachweis  allgemeiner  Bildung 
in  der  Philosophie.  Sollen  die  Anforderungen  verschärft  werden? 
Die  Frage  ist  schon  deshalb  schwer  zu  beantworten,  weil  diese 
Anforderungen  sich  äufserst  schwer  fixieren  lassen.  Doch  sehen 
wir  von  dieser  Schwierigkeit  ab;  auch  dann  würde  es  sich  nicht 
empfehlen,  einfach  Verschärfung  der  Anforderungen  anzuordnen. 
Manchem  armen  Teufel,  der  seine  liebe  Not  und  Muhe  hat,  einige 
Fakultäten  für  die  unteren  und  mittleren  Klassen  zu  erwerben, 
erscheinen  sie  schon  jetzt  furchtbar  scharf.  Diese  Sorte  aus  der 
Well  zu  schaffen,  wäre  freilich  das  Beste.  Aber  wie?  Meine 
Erwägungen  müssen  sich  an  die  gegenwärtig  vorhandenen  Um- 
stände halten.  Da  hätte  die  blofse  Anordnung  höherer  Anforde- 
rongen  keinen  Wert.  An  der  bestehenden  Prüfungsordnung  ist, 
was  die  allgemeine  Bildung  in  der  Philosophie  anbetrifft,  nichts 
ZD  ändern.  Ganz  der  Natur  der  Sache  entsprechend  ist  die  Be- 
stimmung, dafs  der  Fachexaminator  auch  allein  über  den  Erfolg 
der  Präfang  in  seinem  Fache  entscheidet.  Der  Einfall,  durch 
Majorität  entscheiden  zu  lassen,  ob  die  Prüfung  in  der  allgemeinen 
Bildung  bestanden  sei  oder  nicht»  wobei  Kompensationen  statt- 
finden, miisversteht  das  Wesen  der  Sache. 


106  Erfolg  DDd   Mifierfolg;, 

Die  Entscheidung  durch  Hajoritätsvotum  ist  nur  nach  Analogie 
der  juristischen  Examina  gedacht;  denn  auch  bei  den  Medizinern 
entscheidet  jeder  Examinator  allein  in  seinem  Fache,  und  auch 
bei  ihnen  ist  die  in  einem  Fache  mifslungene  Prüfung  in  diesem 
zu  wiederholen.  Bei  den  Juristen  liegt  die  Sache  insofern  ganz 
anders,  als  jeder  von  den  Examinatoren  das  Fach  der  anderen 
doch  soweit  versteht,  um  die  Antworten  des  Kandidaten  beurteilen 
zu  können.  Aber  die  Milexaminatoren  im  Examen  für  allgemeine 
Bildung  (Geschichte,  deutsche  Litteratur,  Religion)  sind  gewöhn- 
lich nicht  entfernt  zu  beurteilen  imstande,  wie  klug  oder  dumm 
die  Antworten  des  Kandidaten  in  der  Philosophie  sind. 

Aufserdem  mufs  die  ganze  obige  Erörterung  lehren,  dafs  das 
verlangte  bescheidene  Mafs  philosophischer  Bildung  ein  so  drin- 
gendes Bedürfnis  ist,  dafs  sein  Mangel  jedenfalls  nicht  durch  ein 
Mehr  an  geschichtlichen  Kenntnissen  ersetzt  werden  kann. 

Besonders  wertvoll  ist  die  Bestimmung  der  bestehenden 
Prüfungsordnung,  dafs  der  Examinator  für  Philosophie  zugleich 
in  der  Pädagogik  zu  prüfen  hat.  Ich  erwähne  es  deshalb,  weil 
die  neueren  Einrichtungen,  welche  die  pädagogische  Vorbildung 
des  jungen  Lehrers  betreffen,  wohl  schon  manchem  den  Gedanken 
nahe  gelegt  haben,  dafs  die  praktischen  Lehrer  allein  imstande 
wären,  den  Kandidaten  zur  Lehrpraxis  vorzubereiten.  Ich  unter- 
schätze den  Wert  der  Erfahrungen,  welche  die  Praxis  bietet, 
keineswegs,  und  heifse  jene  Einrichtungen  willkommen,  aber  die 
Pädagogik  ist  und  bleibt  eine  philosophische  Disziplin.  Aus  Psycho- 
logie,  Ethik  und  Logik  setzt  sie  sich  zusammen,  und  ihre  Ge- 
schichte zeigt  ihre  Abhängigkeit  von  der  Philosophie  auf  das 
handgreiflichste.  Auch  die  philosophische  Pädagogik  stützt  sich 
auf  Erfahrung,  wie  es  bekanntlich  die  Psychologie  auch  thut  Zu 
befürchten  ist  nicht,  dafs  apriorische  Spekulation  zu  undurchführ- 
baren oder  gar  schädlichen  Vorschlägen  führte.  Ich  bin  auch, 
wie  schon  gesagt,  ganz  damit  einverstanden,  dafs  die  jungen 
Lehrer  von  den  alten  sozusagen  „angelernt''  werden.  Aber  nicht 
immer  sind  diese  Praktiken  völlig  einwandsfrei.  Nicht  jeder  hat 
beobachten  gelernt;  die  angeblichen  „Erfahrungen''  sind  zuweilen 
grundfalsch.  Die  Unannehmlichkeiten  der  Praxis,  die  gegebenen 
ungünstigen  Umstände,  die  Mifserfolge,  welche  sich  vorzugsweise 
dem  Bewufstsein  aufdrängen,  können  zuweilen  auch  den  Blick 
trüben  und  verengen  und  nichts  anderes  mehr  sehen  lassen,  als 
das  Nächstliegende,  täglich  Beängstigende  und  immer  aufs  neue 
Verstimmende,  und  so  allmählich  zu  einer  Art  von  Handwerker- 
tum  hindrängen,  wie  es  bekanntlich  bei  allen  Ständen  und  Berufs- 
arten vorkommt.  Was  die  tägliche  Praxis  lehrt  und  fordert  und 
was  der  junge  Lehrer  nur  von  seinen  älteren  Kollegen  erfahren 
und  durch  ihr  Beispiel  lernen  kann,  und  andererseits  die  Ge- 
sichtspunkte der  philosophischen  Theorie,  welche  aus  den  Prin- 
zipien   der  Ethik,   der   Psychologie   und    Logik   Erziehungs-  und 


von  W.    Schuppe.  107 

Unterrichtsziele  und  Erziehungs-  und  Unterrichtsmethoden  über- 
sehen läfst,  sollen  deshalb  einander  ergänzen.  Letztere  ist  im- 
stande, die  geistige  Frische  und  die  Weite  des  Blickes  länger 
bewahren  zu  lassen,  vor  allem  die  für  pädagogische,  sowie 
für  alle  andern  Beobachtungen,  unentbehrlichen  Gesichtspunkte  zu 
bieten  and  die  (nicht  alJzu  häufige)  Fähigkeit  zu  geben,  aus  ein- 
zelnen wahrnehmbaren  Thatsachen  eine  Erfahrung  zu  machen. 

Also  weil  bezw.  insoweit  die  bestehende  Prüfungsordnung 
den  Studenten  anweist,  sich  auch  um  diejenige  Pädagogik  zu 
kümmern,  welche  die  Philosophie  lehren  kann,  wünsche  ich  sie 
erhalten  zu  sehen.  Dafs  der  Nutzen,  welchen  das  Examen  in  der 
Philosopliie  und  Pädagogik  bisher  gestiftet  hat,  nicht  grofs  ge- 
wesen ist,  kann  man  ja  behaupten.  Wie  wird  die  Gröfse  des- 
selben gemessen?  wer  weifs  genau,  wie  es  aussähe,  wenn  diese 
Forderung  nicht  bestände?  Jedenfalls  darf  sie  nicht  aufgegeben 
werden,  auch  wenn  sie  —  was  ja  oben  zugestanden  wurde  -^ 
der  berechtigten  Wünsche  Erfüllung  nicht  gebracht  hat. 

Das  Mittel,  ihr  gröfsere  Wirksamkeit  zu  geben,  d.  h.  die 
philosophischen  Studien  zu  beleben,  würde  darin  bestehen,  dafs 
an  die  bessere  Erfüllung  der  Forderung  auch  bestimmte  Vorteile 
geknüpft  würden.  Auch  bei  der  idealsten  Gesinnung  sieht  sich 
doch  jeder  zuletzt  darauf  angewiesen,  sich  nach  den  realen  Be- 
dingungen des  Lebens  zu  richten.  Studienzeit  und  Mittel  sind 
beschränkt;  also  mufs  jeder  sie  so  verwenden,  dafs  er  möglichst 
bald  Anstellung,  später  Beförderung  zu  finden  und  bei  Bewer- 
bungen als  der  Vorzüglichere  zu  erscheinen  hellen  kann.  Wenn 
wirklich,  wie  oben  behauptet  wurde,  der  philosophisch  gebildete 
Lehrer  (ceteris  paribus)  der  bessere  ist,  so  darf  er  nicht  blofs 
auf  den  heimlichen  Genufs  angewiesen  werden,  sich  dieses  Vor- 
zuges bewufst  zu  sein,  sondern  dieser  Vorzug  mufs  auch  irgendwie 
durch  Gewährung  eines  Voiteils  Anerkennung  linden.  Wird  diese 
Tersagt,  so  ist  ja  eigentlich  auch  jener  Genufs  nicht  als  berechtigt 
anerkannt.  Jedenfalls  würden  die  philosophischen  Studien  von 
vielen  eifriger  betrieben  werden,  wenn  sie  die  Überzeugung  ge- 
winnen könnten,  dafs  das  Mehr  an  Zeit  und  Arbeitskraft,  was  sie 
auf  dieselben  verwenden,  auch  für  ihr  Fortkommen  Frucht  tragen 
würde.  Gegenwärtig  glauben  sie  zu  sehen,  dafs  es  in  der  ge- 
nannten Beziehung  für  sie  ganz  gleichgültig  ist,  ob  sie  in  der 
Philosophie  ein  gutes  oder  ein  schlechtes  Zeugnis  haben. 

Dafs  es  schwer  ist,  für  die  verlangte  Gewährung  von  Vor- 
teilen bestimmte  Vorschläge  zu  machen,  will  ich  gern  zugestehen. 
Vorläufig  wollte  ich  nur  die  Aufmerksamkeit  auf  diesen  Punkt 
lenken.  Dagegen  kann  ich  in  betrefif  der  Lehrbefähigung  in  der 
philosophischen  Propädeutik  einen  Vorschlag  machen. 

Unser  Prüfungsreglement  giebt  ihr  den  Wert  einer  Lehr- 
befahigang  für  die  mittleren  Klassen.  Wie  kann  die  Befähigung, 
in  Prima  zu  unterrichten,  eine  Lehrbefähigung  für  die  „mittleren'' 


108  Erfolg   nod    Mifserfolg,   voo    W.   Schuppe. 

Klassen  genannt  werden?  Die  Anforderungen,  welche  an  den  Be- 
werber um  eine  Fakultas  für  obere  und  um  eine  solche  für  mitl- 
lere  Klassen  gestellt  werden,  unterscheiden  sich  als  Grade  wissen- 
schaftlicher Durchbildung  in  einem  Fache.  Die  Bezeichnung  der 
preufsischen  Prüfungsordnung  kann  also  wohl  nur  den  Wert 
meinen,  welchen  das  Zeugnis  über  erworbene  Lehrbefähigungen 
in  Anbetracht  der  praktischen  Verwendbarkeit  seinem  Besitzer 
beilegt.  Aber  unter  Umständen  liegt  doch  an  der  richtigen  Be- 
zeichnung der  Sache  recht  viel.  Wer  seine  Zeit  und  Kraft  zur 
Lehrbefähigung  in  der  philosophischen  Propädeutik  verwertet, 
bringt  doch  schon  dadurch  der  edeln  Neigung  ein  Opfer,  dafs  er 
—  wenn  seine  Arbeitskraft  nicht  so  grofs  ist,  dafs  er  auch  ohne 
sie  schon  ein  Oberlehrer-Zeugnis  erwerben  kann  —  seine  that- 
sächliche  Verwendbarkeit  herabsetzt.  Ist  das  nicht  genug?  Warum 
soll  er  auch  noch  dadurch  für  sie  bestraft  werden,  dafs  der  Grad 
der  wissenschaftlichen  Bildung,  welche  er  in  diesem  Fache  er- 
reicht hat,  mit  demjenigen,  welcher  in  anderen  Fächern  für  die 
mittleren  Klassen  genügt,  offiziell  gleichgestellt  wird?  Diese  Gleich- 
stellung ist  eine  Unwahrheit. 

Nebenbei  die  Fakultas  für  die  mittleren  Klassen  in  Geschichte 
oder  Deutsch  zu  erwerben  ist  für  den  klassischen  oder  modernen 
Philologen,  die  für  Latein  oder  Französisch  für  den  Historiker 
oder  Germanisten  unvergleichlich  leichter,  kostet  lange  nicht  soviel 
Kopfzerbrechen  und  ernste  echt  wissenschaftliche  Arbeit,  als  die 
in  der  philosophischen  Propädeutik.  Die  offizielle  Geringschätzung 
dieser  Lehrbefähigung  kann  natürlich  nur  abschrecken.  Sie  müfste 
zu  den  wichtigsten  und  wertvollsten  gerechnet  werden,  wobei 
selbstverständlich  nicht  vergessen  sein  soll,  dafs  sie  ihren  hervor- 
ragenden Wert  nur  dann  haben  kann,  wenn  sie  nicht  allein, 
sondern  zusammen  mit  einer  oder  zwei  anderen  Fakultäten  für 
die  oberen  Klassen  erworben  wird. 

Wenn  jemandem  bei  meinen  Erörterungen  das  bekannte  Wort 
„der  beste  Unterricht  ist  der  schlechteste"  eingefallen  ist  und 
sein  Nachdenken  in  Anspruch  genommen  hat,  so  habe  ich  er- 
erreicht, was  ich  wollte.  Natürlich  haben  wir  den  „besten'* 
Unterricht  wieder  etwas  schlechter  zu  machen,  schlechter  im  Sinne 
derjenigen,  welche  in  der  philosophischen  Bildung  des  Lehrers 
keinen  Gewinn  zu  sehen  vermögen  und  auch  die  geschickteste 
Aufklärung  über  die  ungelösten  Schwierigkeiten,  welche  die  Einheit 
des  Seins  und  die  der  Wissenschaften,  welche  es  zu  ihrem  Ob- 
jekte haben,  betreffen,  nur  als  Störung  und  Verwirrung  ansehen 
können,  während  doch  die  Ordnung  und  Übereinstimmung,  welche 
da  gestört  wird,  in  Wirklichkeit  nur  vorgetäuscht  ist,  nur  durch 
flache  Bedensarten  erhallen  wird  und  schliefslich,  wenn  letztere 
nicht  dauernd  den  Sinn  für  Erkenntnis  untergraben,  doch  zu 
Bruche  geht  und  einem  begriGTlosen  Phantasieren  Platz  macht. 

Greifswald.  Wilhelm  Schuppe. 


ZWEITE  ABTEILUNG. 


LITTERARISCHE  BERICHTE. 


1)  Hartfelder,   M  elaacbthoniana  Paeda^ogica.     Mit  eioem  Bildnii 

MelanchthoDS.     Leipzig  1892,  B.  G.  Teuboer.     XVIII  o.  287  S.     8  M. 

2)  Monumenta    Germantae    Paedagogica.     Unter    Mitwirkung    einer 

Anzahl  von  Fachgelehrten  herausgegeben  von  Karl  Kehrbach. 
Band  Xni:  Die  siebenbärgisch-säcbsischen  Schulordnungen 
mit  Binleituug,  Anmerkungen  und  Register  herausgegeben  von  Fried r. 
Teutsch,  zweiter  Band  1782—1883;  LXXXVlll  u.  623  S.  Berlin 
1892.  20  M.  —  Band  V1I1:  Braunschweigische  Schulordnungen, 
heraasgegebeo  von  Fried  r.  Koldewey,  zweiter  Band ;  GXIV  u.  8  ]  0  S. 
Berlia    1890,  T.  Hofmann  fr  Comp.     24  M. 

1.  Nicht  ohne  ein  Gefühl  der  Webmut  zeige  ich  die  unter 
^r.  l  benannte  Schrift  an,  da  der  Herausgeber  seit  ihrem  Er- 
scheinen mitten  aus  voller  Wirksamkeit  abberufen  ist,  weiche  noch 
manche  Frucht  aus  einem  grofsen  Arbeitsfelde  versprach.  Be* 
kannllich  halte  uns  der  Professor  Hartfelder  schon  den  Prae- 
eeptor  Germaniae  (Mon.  Germ.  Paed.  VII)  und  die  Bedeutung  der 
Humanisten  für  unsere  Schulen  (Schmid,  Gesch.  der  Erzieh.  II  2) 
ge:»childert;  vergl.  Jahrg.  45,  S.  23 — 30  dieser  Zeitschr.  Er  liefert 
Dan  in  den  Melanchthoniana  eine  Ergänzung  sowohl  zu  seinen  eben 
genannten  Werken  als  zu  sonstigen  Schriften  über  den  grofsen 
Reformator  des  deutschen  Schulwesens,  gleichsam  ein  Urkunden- 
bacfa,  um  seine  Schiiderungen  durch  zeitgenössische  Zeugnisse  zu 
bekräftigen  und  zu  beleben.  Den  Inhalt  hat  er  nicht  nur  aus 
seltenen  Drucken  und  schwer  zugänglichen  Gelegenheitschriften, 
sondern  auch  aus  Handschriften  entnommen,  unter  denen  einige 
Mondiner  und  eine  St.  Galler  sich  als  besonders  ergiebig  erwiesen. 
Auch  die  Mehrzahl  der  schon  gedruckten  wird  man  hier  gern 
vereinigt  finden ;  nur  mufs  von  vorn  herein  der  irrigen  Erwartung 
begegnet  werden,  als  ob  hiermit  der  schier  unermefsliche  Reich- 
tarn  der  Schriftzeugnisse  aus  jener  grofsen  Zeit  ausgeschöpft  sei 
und  andere  grofse  Quellenwerke,  z.  B.  das  corpus  reformatorum, 
irgendwie  entbehrlich  werden  könnten.  Dieser  Anspruch  hat  dem 
Herausgeber  durchaus  fern  gelegen ;  er  hat  offenbar  nur  gemeint, 
durch  das  Dargebotene  das  Bild  jener  deutschen  Humanisten-  und 
Pidagogenweit,  insbesondere  die  Zeichnung  Melanchthons  mit  mehr 


]iQ  Hartfelder,  MelaDchthoniana  Paedagogica, 

Licht  und  Farbe  auszustatten.  Bei  weitem  nicht  alles  Gegebene 
ist  von  Melanchthon;  unter  den  Briefen  des  zweiten  Abschnitts 
sind  dreizehn  von  ihm,  fünfzehn  an  ihn  erlassen.  Auch  sonst 
findet  sich  namentlich  unter  den  Studentenbriefen  in  Abschn.  IV 
vieles,  das  sich  zwar  auf  ihn,  auf  seinen  gröfseren  Genossen,  auf 
Wittenberg  und  die  Giaubenserneuerung  bezieht,  aber  weder  an 
Luther  noch  an  Melanchthon  gerichtet  und  nur  als  gleichzeitiges 
Zeugnis  von  Wert  für  das  Verständnis  der  damaligen  Bewegung 
in  Kirche  und  Schule  ist.  Gerade  nach  dieser  Richtung  sind  die 
Briefe  anziehend,  in  denen  Wittenberger  Studenten  ihrer  Ehr- 
furclit  vor  Luther,  ihrer  Liebe  zu  Melanchthon,  ihrer  religiösen 
Umwandlung  begeisterten  Ausdruck  gaben.  Die  hervorragende 
Tugend  des  Philippus,  so  schreibt  ein  Wittenberger  Student  1524 
(S.  124),  und  sein  Lchrgeschick  haben  dahin  gefuhrt,  ihm  wider 
das  Herkommen  das  Rektorat  cum  maxima  gloria  zu  übertragen, 
weiches  sonst  nur  Unverheirateten  zuteil  werden  durfte.  Wohl- 
thuend  tritt  in  diesem  und  in  ähnlichen  Briefen  die  frische 
Glaubensfreudigkeit  zu  Tage,  welche  die  studierende  Jugend  vollen 
Herzens  und  aus  innerem  Drange  bekannte,  noch  unberührt  von 
den  scholastischen  Zänkereien,  die  nach  des  grofsen  Reformators 
Tode  sein  Werk  so  schwer  beschädigten  und  die  letzten  Jahre 
seines  milden  und  doch  innerlich  festen  Freundes  so  schmerzlich 
verdüsterten. 

Wie  schon  bemerkt,  erhebt  unser  Band  keineswegs  den^^n- 
Spruch,  den  QuellenstolT  für  die  pädagogische  Wirksamkeit  Melanch- 
thons  vollständig  zu  liefern.  Immerhin  mufs  diese  geschickt  an- 
gelegte Urkundensammlung,  welche  anziehende  Bilder  aus  jener 
grofsen  Bewegung  des  deutschen  Geistes  bietet,  als  eine  erwünschte 
(Ergänzung  zu  des  verewigten  Verfassers  Melanchthon  und  auch  an 
sich  als  wertvoll  gelten.  Die  Sammlung  gliedert  sich  in  zwölf 
Abschnitte  von  ungleicher  Länge,  unter  denen  besonders  in  II 
die  Briefe  von  und  an  Melanchthon,  in  IH  die  Aktenstücke  zur 
Geschichte  der  Wittenberger  Universität,  namentlich  aber  in  IV 
die  Sludentenbriefe,  dann  in  V  die  Ordnung  der  theologischen 
Promotion  für  Frankfurt  a.  0.  (der  von  den  Wittenbergern  für 
Tübingen  gelieferten  ziemlich  gleich),  und  unter  den  Lobgedichten 
auf  Melanchthon  in  XII  das  Enkomion  von  Edo  Hilderich  oder 
nach  des  Herausgebers  richtiger  Ermittelung  S.  231  von  Hildersen 
von  Bedeutung  sind.  Alles  ist  mit  Anmerkungen  meist  bibliogra- 
phischer und  litlerargeschichllicher  Art  ausgestattet,  welche  von 
neuem  die  sehr  achtungswerte  Litteraturkenntnis  des  Heraus- 
gebers bekunden. 

Ob  unter  Nr.  1  die  beiden  erst  mitgeteilten  Schulordnungen 
von  Melanchthon  selbst  herrühren,  ist  unsicher,  obschon  sie  seinen 
Anschauungen  entsprechen.  Die  dritte,  von  Luther  und  Melanch- 
thon gemeinschaftlich  für  eine  dreiklassige  Schule  der  Stadt 
Hei*tzberg  aufgestellt,    zeichnet  sich  durch  Klarheit   und   scharfe 


aogez.  voD  W.  Sehrader.  111 

GliedeniDg  aus.  Unter  den  Briefen  in  Abschn.  II  liefert  der 
fierte  S.  19,  1521  von  Pellikanus  (Kärschner)  an  Melanchthon 
gerichtet,  eine  feine  Zeichnung  des  vorsichtigen  Erasmus:  Eras- 
muB  nobtscum  est,  prudenter  scribü  et  loquitur,  ne  veritati  noti  aBsit 
fl  pmculum  nofi  uribendi  evadat.  Expedit,  ut  sapienter  dissmu- 
lando  mmdiam  superet  et  pramoventis  vos  in  sacris  studiis  non 
änpedcri  stnat.  Egit  sapienter  id  et  catUe  nuper  cum  Aleandro,  — 
omtiu  atque  sollicitns  ad  omnes  semper.  Non  possvm  nan  cam- 
mendare  virum.  Sed  spiritum  Lutheri  non  aequat.  £in  anderer 
Brief,  von  Melanchlhon  1529  an  seinen  Bruder  gerichtet,  bezeugt 
die  Sehnsucht  des  Schreibers  nach  Eintracht  unter  den  Reforma- 
toren: „Die  beiden  Männer,  Luther  und  Zwingli,  können  nicht 
öbereiakomroen,  welches  doch  mein  sehnlichster  Wunsch  wäre. 
Herr,  wann  wirst  du  Friede  in  deinem  Reich  schaffen!  —  Da 
disputieren  sie  über  das  Abendmahl,  gleich  als  ob  sie  in  den 
Himmel  gesehen  und  Jesum  gefragt  hätten,  wie  er  die  Worte: 
das  ist  mein  Leib!  verstanden  habe.  —  Genug  wenn  wir  nur  wissen 
und  glauben,  was  zu  unserem  Heile  nötig  ist''.  Und  dieser  Mann 
des  Friedens,  dessen  Gegenwart  bei  einer  kirchlichen  Disputation 
selbst  katholischen  Professoren  erwünscht  schien  (Hartfelder  Me* 
lanchth.  S.  515),  hält  gleichwohl  bei  Abfassung  der  Augustana 
seine  Überzeugung  selbst  gegen  Glaubensgenosen  mit  aller  Selb- 
ständigkeit fest,  auch  hier  freilich  zur  möglichen  Förderung  der 
Aussöhnung,  womit  er  bekanntlich  auch  die  volle  Anerkennung 
des  abwesenden  Luthers  gewann. 

Wichtig  für  die  Methode  des  lateinischen  Unterrichts  ist  so- 
wohl der  Brief,  mit  welchem  die  Lehrer  der  Torgauer  Schule  1537 
ihr  Hilfsbuch  Melanchthon  widmen  (Nr.  19  S.  49),  als  das  Schreiben 
Melanchthons  1538  an  die  Zwickauer  Schuljugend  (Nr.  24  S.  63). 
Es  ist  der  Freund  der  Jugend  und  der  nie  übertroffene  Alt- 
meister der  Pädagogik,  welcher  die  grammatische  Unterweisung 
mit  den  Worten  empfiehlt:  Äc  plurimum  refert  semina  gramma- 
twes  reete  initio  accipi,  de  quibtis  etsi  sdo  quosdam  hone  habere 
fenuastonemy  sine  regulis  Latinam  linguam  ex  kctione  eorum,  qui 
reete  locuti  swU,  et  ex  consuetudine  loqnetidi  disci  posse:  tarnen  oro 
et  obtestar  non  solum  eos,  qui  docent,  sed  etiam  magistratus,  qui 
isupicnint  studia  iuventutis,  ut  acerrime  ptignent,  ut  iuventus  ad 
regulas  grammatices  asmefiat,  quod  multis  de  causis  necessarium 
est.  Etsi  enim  lectio  suppeditat  sermonem,  volo  enim  et  ipse  addi 
leäianem  et  loquendi  consuetudinem,  tarnen  hi,  qui  sine  regulis 
qiialicunque  verborum  copia  instructi  sunt,  quia  saepe  dubitant, 
qiuomado  verba  iungenda  sint,  cum  aetas  firmior  pudorem  adferet, 
nee  scnbere  nee  loqui  audebunt,  und  was  er  dann  weiter  über 
die  zum  Verständnis  des  Sinnes  unentbehrliche  grammatische 
Skberheit  vorschreibt,  und  wie  er  diese  Vorschrift  ebenso  klar  als 
»ffnig  an  den  ersten  Worten  des  Johannisevangeliums  erläutert. 
Möchten  sich  dies  doch  die  gesagt  sein  lassen,    welche  heute  so 


112  Monnmeatt  Germaniae  Paedagogica, 

unerfahren  und  so  sinnlos  gegen  den  grammatischen  Unterricht 
anstürmen  und  die  Sprachlehre  nicht  nur  zur  dienenden  Helferin 
—  das  wäre  in  gewisser  Form  noch  erträglich  — ,  sondern  zum 
Notknecht,  zur  leidigen  Krücke  im  klassischen  Unterricht  herab- 
setzen wollen!  Als  ob  die  Sprache  nur  ein  Verkehrsmittel  und 
nicht  vielmehr  der  feinste  und  vollständigste,  ja  in  dieser  Aus- 
dehnung der  einzig  mögliche  Abdruck  des  volksartig  und  geschicht- 
lich gewordenen  Menschengeistes  und  als  ob  die  Sprachlehre 
etwas  anderes  wäre  als  die  geordnete  Analyse  dieser  obersten  und 
reichsten  Geistesschöpfung. 

Anziehend  und  von  wohlthuender  Frische  sind  die  von 
S.  110 — 146  Abschn.  IV  mitgeteilten  Briefe  suddeutscher  Studenten 
aus  und  über  Wittenberg,  welche  zwar  die  Annehmlichkeiten 
ihrer  Heimat  vermissen  (S.  114:  deest  enim  studiosis,  nämlich  in 
Wittenberg,  quicquid  a  literis  eos  avocare  posset:  loois  inamoennsy 
papulus  incidtus,  haud  splendidae  mensae,  et  quod  potisstmum  alienat 
a  Musis,  Bacchus  ignotus  est  und  S.  140:  nihil  ego  magis  a  Deo 
optarim,  quam  ut  hie  liceret  perpetuo  vivere,  incommoda  nostri 
potus  pensant  alia  innumera  hotia),  aber  sich  glücklich  preisen, 
mit  Luther  und  Melanchthon  sein  zu  können.  Der  lateinische 
Ausdruck  dieser  Briefsteiler  ist  öfters  fehlerhaft,  aber  flüssig  und 
bequem. 

Wichtig  für  die  Geschichte  unserer  Universitäten  ist  der  S.  147 
mitgeteilte,  wenn  nicht  von  Melanchthon  allein,  so  doch  von  den 
Wittenberger  Tbeologen  überhaupt  ausgehende  Entwurf  einer 
theologischen  Promotionsordnung  für  Frankfurt  a.  0.  von  1546, 
ähnlich  den  gleichartigen  Gutachten,  die  Melanchthon  und  Came- 
rarius  für  Königsberg  und  Tübingen  geliefert  hatten.  Die  S.  150 
nicht  enträtselten  Buchstaben  de  R.  0  mögen  doch  de  reditu 
Christi  bedeuten.*) 

Weshalb  unter  den  S.  158 — 166  mitgeteilten  Gedichten  Me- 
lanchthons  die  beiden  ersten  schon  in  desselben  Verfassers  Me- 
lanchthon S.  648  veröffentlichten  hier  nochmals  abgedruckt  sind, 
ist  nicht  einzusehen,  unter  den  Lobgedichten  auf  Melanchthon 
nimmt  das  schon  erwähnte  von  Hildersen  nach  Umfang  und  Inhalt 
bei  weitem  den  ersten  Rang  ein;  die  übrigen  sprechen  meist  in 
epigrammatischem,  übrigens  geschmeidigem  Ausdruck  die  Vereh- 
rung aus,  welche  Melanchthon  in   den  weitesten  Kreisen   genofs. 

2.  Dem  ersten  Bande  der  siebenbürgisch-sächsischen  Schul- 
ordnungen, welcher  die  Zeit  von  1543 — 1778  umfafst  (vgl.  diese 
Zeischr.  Jahrg.  42,  S.  675),  hat  der  Herausgeber  Herr  Dr.  Fr. 
Teutsch,  jetzt  Seminardirektor  in  Hermannstadt,  1892  den  zweiten 


*)  Die  Vermatong  Hartfelders,  dafs  in  den  Worten  des  Gelenins  S.  60 
hie  (i.  0.  Ariitophanes )  unus  in  eommuni  crimine  impetravit  veniantj 
rnmirum  praerogativa  Aiticae  eloquentiae  za  lesen  sei  praerogativamt  scheint 
mir  nicht  zutreffend,  wenn  die  Worte  bedeaten:  nämlich  wenn  die  attische 
Beredsamkeit  entscheidet. 


«Dgez.  von  W.  Schrader.  113 

6)od  folgen  lassen;  dieser  bietet  in  gleicher  Vollständigkeit  die 
«icbligsten  Urkunden  über  die  Enlwickelung  und  leider  auch  die 
Bedrängnis  der  deutschen  Schulen  in  Siebenburgen  bis  1883. 
Aach  an  diese  Erscheinung  knüpft  sich  nach  zweifacher  Richtung 
eine  wehmutige  Empfindung,  zunächst  sofern  sie  dem  Vater  des 
Herausgebers,  D.  Georg  Daniel  Teutsch,  dem  Bischof  dor 
evangelischen  Landeskirche  Augsburgischen  Bekenntnisses  in  Sieben- 
burgen, gewidmet  und  dieser  hochverdiente  Mann  seitdem  heim- 
gegangen ist.  Seiner  hat  der  Dr.  Hermens  in  den  deutsch-evan- 
^ischen  Blättern  von  1893  S.  555  in  ebenso  gerechter  als  warmer 
Weise  gedacht.  Noch  mehr  stimmt  die  Wahrnehmung  zur  Trauer, 
daCs  die  deutschen  Schulen  jenes  Landes,  welche  sich  früher  des 
iesoitismus  zu  erwehren  hatten,  seit  1848,  besonders  aber  seit 
iS6S  durch  den  vordringenden  Magyarismus  gefährdet  werden 
trotz  des  Schutzes,  den  sie  hiergegen  im  43.  Artikel  des  Gesetzes 
aber  die  Vereinigung  Ungarns  und  Siebenburgens  hätten  finden 
sollen;  vgl.  S.  427  dieses  Bandes. 

Nicht  weniger  als  131  Aktenstücke,  Schulordnungen  und 
Stondenpläne,  Reformentwurfe,  endlich  auch  Vorstellungen  g(*gen 
nitionale  Bedrängung  sind  in  dem  neuen  Bande  enthalten,  ver- 
sehen mit  einer  Einleitung  über  ihren  Anlafs,  ihre  Verfasser  und 
die  Art  der  Abfassung.  Diese  Einleitung  entspricht  zwar  nicht 
völlig  dem  Wunsche  nach  einer  pragmatischen  Darstellung  des 
Mclttisch-siebenburgiscben  Schulwesens,  welchen  ich  in  der  An- 
zeige des  ersten  Bandes  geäufsert  habe;  aber  sie  ist  wohl  ge- 
eigoet,  den  aufmerksamen  Leser  über  die  einzelnen  Stadien  dieses 
eigenartigen  Schul-  und  Geisteslebens  zu  unterrichten.  Vielleicht 
entschlieCst  sich  der  geehrte  Herausgeber  doch  noch  zu  einer 
solehen  gesonderten  Arbeit;  sie  wurde  um  so  anziehender  sein, 
>ls  er  in  der  Vorrede  S.  I  mit  Recht  bemerkt,  dafs  die  Geschichte 
dieses  Schulwesens  mit  der  gesamten  Geistesentwickelung  des 
dortigen  Volksstammes  in  engster  Verwandtschaft  steht.  Auch  in 
der  vorliegenden  Gestalt  liefert  das  Werk  ein  klares  Bild  des 
nstlosen  und  doch  besonnenen  Strebens,  mit  welchem  jene  Volks- 
vf,  zähe  und  aufgeschlossen  zugleich,  ihre  Kirche  und  Schule  als 
hoheitlichen  Bau  weiter  zu  führen  und  zu  schützen  bemüht  war. 
Aoch  was  schon  für  die  frühere  Zeit  bemerkt  werden  durfte,  dafs 
dieser  Baa  in  stetigem  Hinblick  auf  die  geistigen  Schöpfungen  des 
grofsen  Mutterlandes  entworfen  und  befestigt  sei,  giebt  sich  hier 
vieder  deutlich  zu  erkennen.  Deutsche  Anregungen,  deutsche 
Methoden  und  Schulbücher  begegnen  uns  überall,  sei  es  in  der 
nihigen  Schularbeit  oder  in  dem  Kampfe  um  die  Erhaltung  deut- 
xber  Sprache  und  deutschen  Volkstums,  und  diese  Verbindung 
nährt  trotz  aller  trüben  Erlebnisse  die  Hoffnung,  dafs  das  so 
tapfpjr  und  einsichtig  verteidigte  Kleinod  des  sächsischen  Stammes 
SQDem  Wesen  nach  sich  durch  alle  Drangsale  erhalten  werde. 

Unter  den  mitgeteilten  Urkunden,    welche   eine    wachsende 

Zettidtf.  1  d.  Gymnasialwesea  XFiTUI.    3.  3.  3 


114  MoDumeota  GermtDiae  Paedago^ica, 

Klarheit  über   die   Aufgabe,    die  Gliederung   und    die  Mittel   der 
höheren  Schulerziehung  erkennen  lassen,  treten  einige  als  beson- 
ders wichtig  hervor.    Hierzu  möchte  ich  zunächst  die  neue  Ord- 
nung für  die  sächsischen  Landschulen  in  dem  Burgenländer  Distrikt 
von  1791  rechnen  (Nr.  84  S.  82),    welche  ihre  äufseren   und  in- 
neren Angelegenheiten,    die  Wahl  der  Unterrichtsfächer  und  be- 
sonders   die  Schulaufsicht   genau    regelt    und    der    methodischen 
Vorschriften  mehr  als  gut  ist   bietet,    auch   dies    in  Nachahmung 
der  Bestrebungen,  zu  denen  sich  im  Mutterlande  die  Schulen  des 
Philanthropinismus  bekannten.    Ähnlich  fällt  in  den  Schulgesetzen 
des  Kronstädter  Gymnasiums    (Nr.  88  S.  122),    welche    eine  Er- 
weiterung der  von   dem    verdienten  Honterus  (Bd.!  S.  XXXI) 
gegebenen  Vorschriften  enthalten^  die  kasuistische  Aufzählung  der 
Vergehen,  dazu  die  häufige  Anwendung  der  Geldstrafen  auf.    Aus 
dem    Volksschulplan   des    D.   Neugeboren    von    1821    (Nr.  95 
S.  189)  hebe  ich  den  Vorschlag  hervor,  dafs  niemand  ein  Pfarr- 
amt erhallen  solle,   der  nicht   zuvor  Lehrer   gewesen   sei.     Nach 
der  Bildung  eines  besonderen  Lehrstandes  für  die  höheren  Schulen 
seit  F.  A.  Wolf  und    bei    der    leidigen,    womöglich    noch    immer 
wachsenden  Zersplitterung  der  Lehrfakultäten  wurde  dies  bei  uns 
nicht  mehr  durchführbar  sein;  aber  leugnen  läfst  sich  nicht,  dafs 
dieser  Durchgang  auch   einige  Vorteile  für  beide  Ämter  schaffen 
und  namentlich  unsere  Gymnasien  vor  manchem  Angriffe  schützen 
wurde,  den  sie  jetzt  aus  Unkenntnis  ihres  Lebens  so  häufig  aus 
der  Mitte  der  Geistlichkeit  erfahren.     Übrigens  liefert  dieser  Plan 
und  noch  mehr  der  folgende  (Nr.  96  S.  26),  welcher  sich  wesent- 
lich  auf  das  Gutachten    des  Konrektors   Binder    zu  Schäfsburg 
stutzt   (Einl.  S.  XXXVl  ff.),    den  Beweis   sorgfältigen    und    sach- 
kundigen Nachdenkens,  in  der  Gliederung  auch  Bucksicht  auf  die 
psychologischen  Stufen  der  Jugendbildung,    so  manches  in   ihnen 
uns  auch  fremd  anmutet.     Wiederholt    treten    uns  Ansätze    zur 
Gründung  einer  mit  den  obersten  Schulklassen  irgendwie  zu  ver- 
bindenden juridischen  Fakultät  entgegen,  sehr  erklärlich  bei   der 
Abgelegenheit  der  dortigen  Bewohner,    welche  häufig  genug  zum 
Besuche   der   deutschen  Universitäten    weder    die  Zeit    noch    die 
Mittel  hatten,    auch  sonst   hierbei   manchem  Hindernis  begegnen 
mochten.     Von  Bedeutung  sind  auch  die  unter  Nr.  106  und  107 
erwähnten  gegenseitigen  Besuche  der  Schulen,  dort  Lustrierungen 
genannt;  nichts  kommt  der  Schule  mehr  zu  gute,  als  dafs  kundige 
und  von  Liebe  zur   Sache    erfüllte  Männer    sich   unter   einander 
über   die    wahrgenommenen    Mängel    und  Vorzüge    verständigen. 
Unter  Nr.  1 17  S.  385  werden  mit  richtigem  Blicke  die  Bedenken 
dargelegt,    welche  gegen  das   von  Bonitz  und  Exner  entworfene 
Organisationsstatut  überhaupt  und  insbesondere  gegen  seine  Ein^ 
fuhrung  in  die  siebenbürgischen  Gymnasien  obwalteten.    An  die 
unter  Nr.  123  u.  ff.    mitgeteilten   Vorstellungen    gegen   das    Auf- 
drängen des  Unterrichts  in  der  magyarischen  Sprache  knöpfe  ich 


anges.  von  W.  Scfarader.  115 

bei  aller  Anerkennung  der  reichen  Anlagen  dieses  Volkes  die 
Hoffnung,  dafs  das  Uorazische  Graecia  capta  u.  s.  w.  sich  auch  für 
unsere  Landsleute  so  weit  bewähren  werde,  um  ihnen  ihre  Eigen- 
art EU  schützen.  Immer  noch  iafst  sich  trotz  mancher  Rock- 
ond  Querschritte,  trotz  zeitweiliger  Verdunkelung  der  obersten 
Unterrichtazwecke  und  trotz  falscher  Nachgiebigkeit  gegen  unklare 
Zeilsti'ömungen  wohl  behaupten,  dafs  das  höhere  Schulwesen  in 
Deutschland  nach  Einheit,  Gliederung  und  Wahl  der  Mittel  den 
mebten  voran  — ,  keinem  nachsteht. 

Unter  den  verdienten  Schulmännern  dieser  Zeit  sind  beson- 
ders die  schon  genannten  Neugeboren,  Binder  und  der  Bischof 
Teutsch  zu 'erwähnen.  Eine  wohlthuende  Erscheinung  ist  der 
Jugcodbund,  der  sich  dort  1848  bildete  und  in  idealer  Weise  um 
die  Hebung  der  Volksbildung  bemühte;  schmerzlich  freilich,  dafs 
seine  beiden  Leiter,  Roth  und  Fabini,  ihre  Beteiligung  an  diesen 
Kämpfen  mit  dem  Leben  bufsten.  Wenn  manches  in  den  vor- 
gelegten Plänen  und  Entwürfen  unbeholfen  erscheint,  so  erklärt 
sich  dies  leicht  aus  der  dortigen  Äbgescbiedenheit;  überall  ist  aber 
eine  verständige  und  zugleich  gemötswarme  Abwägung  der  Ent- 
sdieidungsgrunde  sichtbar.  Unrecht  würden  wir  thun,  wenn  wir 
lediglich  die  deutschen  Unterrichtsnormen  dort  wiederzusehen  er- 
warteten; jene  Schulen  haben  für  mancherlei  Bedürfnisse  zu 
Mrgen,  auch  mögen  die  Mittel  spärlich  fliefsen.  Aber  das  Streben 
dieser  Volksart  ist  hochachtbar,  und  ich  spreche  zum  Schlüsse 
nochmals  meine  Freude  darüber  aus,  dafs  ihre  Schulordnungen 
in  das  grofse  Sammelwerk  aufgenommen  und  dafs  diese  von  so 
sachkundiger  tJand  und  mit  so  warmem  Herzen  vor  uns  ausge- 
breitet sind. 

3.  Dem  zweiten  Bande  der  braunschweigschen  Schulordnungen 
von  Dr.  Koldewcy  gebührt  dasselbe  anerkennende  Urleil  wie 
dem  ersten;  er  bringt  einen  reichen,  gut  gewählten  und  wohl- 
geordneten Stoff,  beweist  eine  ansehnliche  Quellen*  und  Litteratur- 
kenntnis  und  liefert  zu  der  Geschichte  des  deutschen  Schulwesens 
einen  wertvollen  Beitrag  von  wissenschaftlichem  Gepräge.  Die 
Einleitung  dient  der  Erläuterung  der  nachfolgenden  Urkunden 
Bnd  giebt  hierin  einen  Überblick  über  die  Entwickelung  der  braun- 
schweigischen  Schulen  mit  Ausschlufs  der  in  dem  ersten  Bande 
behandelten  Hauptstadt,  obschon  gelegentlich  auch  deren  Einrich- 
longen  gestreift  werden;  sie  beschreibt  hierbei  die  verschiedenen 
Arten  von  den  anfanglichen  Stifts-  und  Klosterschulen  bis  zu  den 
heut  bestehenden  Schulgattungen  ^twa  bis  1830  nach  ihrer  all- 
gemeinen «Gestalt,  ihren  Mitteln,  ihrem  gegenseitigen  Verhältnis. 
Wenn  seitdem  ihr  inneres  Leben  und  Wirken  manche  Änderung 
and  Förderung  erfahren  hat,  so  wird  hierdurch  ihre  gesetzliche 
Form  wenig  berührt.  Eine  zusammenhängende  Schulgeschichte 
wird  hiernach  freilich  nicht  überflüssig;  innerhalb  dieser  würde 
auch  eine  beurteilende  Musterung  der  jeweiligen  Schulbücher  und 

8* 


11g  Monumenta  Germaniae  Paedag^ogpica, 

Unterrichtsmittel  unentbehrlich  sein.  Der  Herr  Herausgeber  hat 
diese  Aufgabe,  deren  Bedeutung  und  Schwere  er  in  der  Vorrede 
S.  VIIl  f.  richtig  schildert,  als  zu  wenig  vorbereitet  noch  von  der 
Hand  gewiesen;  es  ist  mein  dringender  Wunsch,  dals  er  für  sie 
später  noch  Zeit  und  Neigung  gewinne.  Bei  aller  Anerkennung 
der  Leistungen,  welche  wir  auf  diesem  Gebiete  Specht,  Kämmel, 
G.  Schmid  u.  a.  mehr  freilich  für  die  Pädagogik  als  für  das  Leben 
in  der  Schule  selbst  verdanken,  sind  wir  noch  weit  entfernt  Ton 
einer  pragmatischen  Geschichte  unseres  Erziehungswesens,  welche 
dessen  Bahnen  und  Bedingungen,  seine  wechselnden  und  doch 
geschichtlicher  Notwendigkeit  entspringenden  Gestalten  und 
seinen  Zusammenhang  mit  der  Gesamtentwickelung  des  nationalen 
Geistes  verständlich  machte.  Dafs  in  einer  solchen  Geschichte, 
welche  sich  naturlich  nicht  auf  ein  einzelnes  Landesgebiet  be- 
schränken könnte,  die  Lehrbücher,  sowohl  Mittel  als  Schöpfungen 
des  Unterrichts,  eine  eingehende  Betrachtung  verdienen,  bedarf 
des  Beweises  nicht. 

In  der  Einleitung,  welche  die  Schulgesetzgebung  des  Landes 
in  sieben  Abschnitten  beschreibt,  werden  die  niederen  und  höheren 
Schulen  nicht  gesondert,  da  beide  ursprünglich  in  den  Trivial- 
schulen einen  gemeinsamen  Boden  haben  und  überdies  wichtige 
Vorgänge,  so  die  Schulordnung  des  hochverdienten  Herzogs  Julius 
von  1569  S.  25—78  und  des  Herzogs  August  von  t651  S.  144 
bis  168,  sich  auf  beide  Gattungen  erstrecken.  Einzelnen  Anstallen, 
welche  an  sich  oder  nach  ihrem  Einflufs  von  Bedeutung  waren, 
so  dem  Pädagogium  zu  Gandersheim,  das  die  eigentliche  Pflanzschule 
der  späteren  Universität  in  tielmstedt  bildete,  der  Klostei*schule  in 
Walkenried,  den  Schulen  und  der  Ritterakademie  in  Wolfenbültel,  ist 
eine  breitere  Betrachtung  gewidmet;  ihi*e  Ordnungen  liefern  ein 
lebendiges  und  belehrendes  Bild  der  damaligen  Einrichtungen  und 
Erziehungszwecke.  Manches  bestand  vorübergehend,  wenn  auch 
nicht  ohne  Wirkung;  hierzu  ist  das  philologisch  -  pädagogische 
Seminar  zu  rechnen,  welches  Wiedeburg  an  der  Helmstedter 
Stadtschule  und  neben  der  dortigen  Universität  errichtete,  mit 
deren  Aufhebung  1810  auch  dieses  Seminar  einging;  vgl.  S.  LXVH 
u.  463 — 477.  Wenn  in  früherer  Zeit  die  Vermehrung  der  Kennt- 
nisse neben  der  Erziehung  zu  Sitte  und  Ordnung  das  Hauptziel 
war,  so  setzte  sich  dieses  Seminar  die  Bildung  der  geistigen  Kraft 
zum  allgemeinen  Zwecke.  Der  Herr  Herausg.  hat  ganz  Recht  mit 
der  Bemerkung,  dafs  ich  diese  Anstalt  in  meinem  Aufsatze  über 
pädagogische  Seminare  (Schmiffs  Encykl.  V)  übersehen  habe;  sie 
hätte  mir  um  so  eher  bekannt  sein  sollen,  als  ich  später  selbst 
das  Gymnasium  in  Helmstedt  besucht  und  dort  auch  die  Vorteile 
der  Stiftung  genossen  habe,  welche  von  der  brandenburgischen 
Prinzessin  Anna  Sophia  an  dem  Gymnasium  in  Schöningon  be* 
gründet  und  von  dort  nach  Helmstedt  übertragen  wurde;  vgl. 
S.  LXXVIH  u.  177. 


angez.  von  W.  Schrader.  117 

\iiz\ebeud  ist  S.  CXXXI  dargestellt,  wie  gering  trotz  Campes  per- 
sönticbem  Einnusse  die  Wirkung,  namenllich  die  Nachwirkung  des 
PhWanlhropmismus  im  Herzogtum  gewesen  ist;  dies  mag  uns  ein 
Trost  unter  den  Bekümmernissen  sein,    welche  heute    über    uns 
durch  die  Versuche  und  zeitweiligen  Erfolge  ungeberdiger  Schul- 
verbesserer  heraufgeführt  werden.     Umgekehrt  ist  die  Wahrneh- 
mang  erquickUch,    dafs  die  Ordnung  der  Maturitätsprüfungen  an 
den  braunschweigischen  Gymnasien  nicht  sofort  von   oben  herab 
vorgeschrieben  wurde,  sondern  sich  allmählich  und  in  Freiheit  an 
den  einzelnen  Anstalten  bis   zu    allgemeinen  Normen    entwickelt 
hat.     Ich  kann  aus  eigener  Beobachtung  versichern,  dafs  die  For- 
derungen in  dieser  Prüfung  z.  B.  an  dem  Gymnasium  in  Helmstedt 
nicht  geringer,  die  Leistungen  in  den  sprachlichen  Fächern  höher 
wenn  auch  nicht  so  gleichförmig  waren,    als   dies   bei    uns    heut 
zn  Tage  der  Fall  ist.     Nicht  ebenso  möchte    ich  über    die  Prü- 
fungen der  Schulamtskandidaten  urteilen;  der  damalige  Mangel  an 
einheitlichen  Bestimmungen  hat  sicher  manchem  Unberufenen  den 
Zugang  zum  Lehramt  erleichtert.     Nur  dafs  auch  hier  die  Gleich- 
mäl^igkeit  nicht  übertrieben  und  den  Prüfungsbehörden  eine  nicht 
zu    eng    bemessene    Freiheit   verstattet    werden    sollte!     Da    das 
Prüfungsgeschäft  jetzt  überwiegend  in  den  Händen  der  Universitäts- 
lehrer liegt,   so  ist  nicht  zu  besorgen,   dafs   die  Fachbildung  der 
Wünftigen  Lehrer  zu  kurz  komme.     Es  mufs  nur  irgendwie  dafür 
gesorgt   werden,    dafs    auch    der    allgemeinen    und    einheitlichen 
Geistesentwickelung  ihr  Recht  innerhalb  der  Prüfung  werde.    In- 
des ist  diese  Frage  zu  schwierig  und  inhaltsreich,  um  hier  auch 
nur  andeutungsweise  behandelt  zu  werden.     Wichtig  sind  hierfür 
die   mitgeteilten   Protokolle    und   Zeugnisse    über    die  Lehramts- 
prüfungen von  1653  —  1815  S.  541  fT.:    auch  abgesehen  von  ein- 
zelnen Dokumenten  der  Unwissenheit  zeigen  sie  deutlich,  wie  man 
von  geringen   und    einfachen  Forderungen    zu    wissenschaftlicher 
Strenge    und  Vervielfältigung   fortgeschritten    ist.     Arbeiten    und 
Präfungsergebnisse  aus  den  letzten  Jahrzehnten  des  vorigen  Jahr- 
hunderts,   welclie  ich  früher  durchzusehen  Gelegenheit  hatte,  er- 
reichten   nicht  ganz  das  Mafs    der    Kenntnisse,    welche    unseren 
abgehenden  Gymnasiasten  nach  den  Prüfungsordnungen  von  1834 
und   1856   abverlangt  wurden.      Jene  Zeit    fiel   freilich   vor   die 
Wirksamkeit  des  grofsen  Wolf. 

Auch  in  anderer  Richtung  ist  der  Vergleich  zwischen  früher 
und  jetzt  lehrreich :  unser  Buch  teilt  verschiedene  Speiseordoungen 
mit,  so  namenllich  für  das  Pädagogium  in  Gandersheim  S.  104 
und  für  das  Alumnat  in  Walkenried  S.  176.  Es  erhellt  aus  ihnen 
klar  genug,  daOs  die  Jugend  in  jenen  Schulen  damals  reichlichere 
Kost  erhielt,  als  dies  jetzt  innerhalb  und  aufserhalb  solcher  An- 
stalten die  Regel  ist.  Dieselbe  Beobachtung  ergiebt  sich  aus  dem 
Küchenzettel  des  1701  zu  Königsberg  gestifteten  Waisenhauses, 
selbst  aus    der  Speiseordnung  der  Freitische   an    der  Halleschen 


Ilg      E.  Horo,  DispiitatioDen  ao  den  deutschen  Universitäteo, 

Univcrsiläl  um  1700,  wiewohl  diese  doch  wahrlich  nicht  auf 
Üppigkeit  berechnet  waren.  Dergleichen  Thatsachen  verdienen 
auch  Ueachlung,  wenn  man  das  Aussehen  unserer  heuligen  Jugend 
allzu  schmächtig  finden  will. 

Für  die  Kenntnis  des  braunschweigischen  Schulwesens  liefert 
unser  Werk  reichen  Stoff;  wenn  sich  doch  hierzu  eine  wissen- 
schaftliche Geschichte  der  zu  ihrer  Zeit  so  bedeutenden  Helm- 
stedter Universität  aus  berufener  Feder  gesellen  wollte!  Jenes 
Schulwesen  hat  sich,  der  Eigentümlichkeit  des  Landes  entsprechend, 
im  ganzen  stetig  und  konservativ  entwickelt  und  verdankt  diesem 
Gange  unschätzbare  Vorteile.  Der  Kenntnis  dieser  Entwicklung 
dient  auch  eine  kleinere  Schrift  desselben  Verfassers,  auf  welche 
ich  mir  gestatte  hiermit  aufmerksam  zu  machen.  Dies  ist  die 
landeskundliche  Litteratur  auf  dem  Gebiete  der  Kirche  und  des 
IJnterrichtswesens  im  Herzogtum  Braunschweig,  welche  der  Verein 
für  Naturwissenschaft  zu  Braunschweig  in  seinem  VH.  Jahres- 
berichte veröfTentlicht  hat. 

Halle  a.  S.  Wilh.  Schrader. 


ß.  Hörn,  Die  Disputationen  und  Promotionen  an  den  deutschen 
Universitäten,  vornehmlich  seit  dem  16.  Jahrhundert.  Mit  einem 
Anhangs,  enthaltend  ein  Verzeichnis  aller  ehemalij^en  und  gegenwärtigen 
deutschen  Universitäten.     Leipzig  1S93,  0.  Harrassowitz.    8. 

Wenn  Hörn  von  seiner  Schrift  sagt  fKafAijaszai  v^g  fiäXXov 
^  ln$fiij<f€Tai,  so  hat  er  recht  mit  der  Annahme,  dafs  wohl  keiner 
ihm  seine  Arbeit  nachmachen  wird;  denn  tausende  von  alten 
Dispulationsschriften  und  Dissertationen  auf  ihre  Titelblätter,  ihren 
Inhalt  uud  ihre  Beigaben  hin  gründlich  durchzustudieren,  das  ist 
weder  eine  kleine  noch  eine  lockende  Arbeit  Dagegen  hat  er 
das  fji(io(iä<fd'ak  kaum  zu  befürchten,  ist  es  ihm  doch  gelungen, 
aus  spr5dem  StoiT  die  Farben  zum  anschaulichen  Bilde  eines 
wichtigen  Teiles  des  früheren  Universitätsunterrichtes  zu  gewinnen 
und  dadurch  ein  wertvolles  Hülfsmittel  für  die  Bibliographie  der 
Universitäten  und  einen  sehr  schätzenswerten  Beitrag  zur  Ge* 
schichte  der  Pädagogik  zu  liefern. 

Die  Grundlinien  dieses  Bildes  sind  folgende.  Die  Universitäten 
haben  seit  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  eine  wesent- 
lich andere  Stellung  und  Bedeutung,  als  sie  vor  dieser  Zeit  hatten. 
Während  sie  jetzt  Forschungsanstalten  sind,  fiel  ihnen  in  der  Zeit 
vom  14. — 17.  Jahrhundert  die  Aufgabe  zu,  die  heutzutage  die 
Gymnasien  und  anderen  höheren  Lehranstalten  haben,  nämlich 
den  überkommenen  wissenschaftlichsn  Stoff  besonders  in  der  Ge- 
stalt, wie  ihn  die  Schriftsteller  des  Altertums  und  ihre  Erklärer 
festgestellt  haben,  vorzutragen;  ferner  sollten  sie  die  Studenten 
in  den  Stand  setzen,  ein  zu  beweisendes  Thema  nach  allen  Regeln 
und  mit  allen  Künsten  der  Dialektik  zu  behandeln.  Das  docere 
und  disputare  sind  also  die  beiden  Bestandteile  des  akademischen 


angez.  von  H.  Schmitt.  119 

DnterriGhts  gewesen.  Das  Dozieren  vollzog  sich  in  den  Vor- 
lesungen (lectiones,  lecturae,  scholae),  die  zum  gröfsten  Teil 
öffentlich  waren.  Durch  die  Vorschriften  der  Universitätsstatuten 
war  den  Professoren  aufgetragen,  an  bestimmten  Wochentagen  zu 
bestimmten  Stunden  bestimmte  Bücher  ihres  Faohes  zu  lesen,  zu 
analysieren,  zu  interpretieren.  Da  kursorisch  gelesen  wurde  über 
eine  Disziplin,  die  sich  mehrere  Jahre  hindurchziehen  konnte,  so 
war  es  leicht  möglich,  dafs  die  Studenten,  die  kamen  und  gingen, 
bei  einer  solchen  Lehrweise  nur  bruchstücksweise  Einblicke  in 
die  verschiedenen  Zweige  ihrer  Wissenschaft  erhielten.  Um  diesem 
Lbelstande  abzuhelfen,  richtete  man  Privatvorlesungen  ein.  Wäh- 
rend die  öffentlichen  Vorlesungen  in  den  Auditorien  der  Uni- 
versität gratis  gehalten  wurden,  versammelten  sich  die  Studenten 
zu  diesen  in  einem  privaten  Räume,  etwa  im  Hause  des  Pro- 
fessors, und  bezahlten  ihn  für  die  hier  gehaltenen  Vorträge  be- 
sonders. Wichtiger  beinahe  als  die  Vorlesungen  waren  die  Dis- 
putationen, denen  man,  wie  es  scheint,  einige  Tage  in  der 
Woche  ganz  und  von  den  übrigen  Tagen  die  Zeit  widmete,  die 
nicht  durch  Vorlesungen  in  Beschlag  genommen  war.  Der  Zweck 
der  Disputationen  war  ein  doppelter,  ein  objektiver  und  subjektiver; 
sie  zielten  erstens  auf  die  Ermittlung  der  Wahrheit,  zweitens  auf 
dialektische  Fertigkeit  und  Handhabung  der  Autoren  ab.  Der  Form 
nach  unterschied  man  disputationes  publicae,  circulares  und 
privatae. 

Bei  den  disputationes  publicae  ging  es  folgendermafsen  her. 
Durch  öffentlichen  Anschlag  war  bekannt  gemacht,  dafs  nach  acht 
Tagen  unter  dem  Vorsitze  des  Praeses  N  (meistens  eines  Pro- 
fessors) der  Respondens  N  (ein  dem  Professor  -  Praeses  nahe- 
stehender Student)  über  die  gleichfalls  öffentlich  angeschlagenen 
Thesen  (später  wurden  aus  den  Thesen  vollständige  Disputations- 
schriften mit  angehängten  Thesen)  disputieren  werde.  An  dem 
betreffenden  Tage  war  das  Auditorium  festlich  geschmückt,  die 
Subseliien  waren  mit  Teppichen  belegt;  auf  dem  oberen  Katheder 
safs  der  Professor-Präses;  auf  dem  unteren  stand  vor  ihm  der 
Respondent;  diesem  gegenüber  nahmen  die  zwei  oder  drei  ordent- 
lichen Opponenten  Platz.  Die  Corona  bildeten  die  Professoren, 
Magistri  und  Baccalarien  der  Fakultät,  alle  in  Amtstracht;  zu- 
gegen waren  auch  der  Dekan  als  Aufsicht  führende  Amtsperson 
und,  seiner  Befehle  gewärtig,  die  Pedellen.  Der  Präses  eröffnete 
die  Disputation,  die  opponentes  ordinarii  brachten  ihre  Einwände 
gegen  die  Thesen  vor;  der  Respondent  antwortete.  Es  folgten 
die  Einwände  der  aufserordentlichen  Opponenten,  der  Professoren 
nnd  Magistri  der  Corona,  nach  Rang  und  Alter;  jedem  war  dabei 
eine  bestimmte  Zeit  und  eine  bestimmte  Anzahl  Argumente  zu- 
gemessen. Der  Präses  gab  Acht,  dafs  die  Ordnung  aufrecht  er- 
halten und  nach  der  Regel  verfahren  wurde,  bisweilen  half  er 
auch  dem  von  ihm  bestellten  Respondenten  ein.    Zur  Abhaltung 


t20     K.  Ilorn,  Dispotatiooeo  an  deu  deatschea  Universitäten, 

einer  Anzahl  von  solchen  disputationes  publicae  waren  die  Pro- 
l'HSSoren  aller  Fakultäten  verpflichtet;  sie  waren  die  Verfasser  der 
Thesen  bezw.  der  Disputationsschriflcn,  für  deren  Druck  die  Uni- 
versiiät  sorgte  oder  wenigstens  den  Professoren  bestimmte  Beträge 
zahlte;  sie  hatten  sich  auch  den  Respondenten  zu  beschaffen; 
fanden  sich  keine  freiwilligen  Uespondenten,  so  nahm  man  sie 
aus  der  Zahl  derer,  die  eine  der  drei  akademischen  Wurden,  des 
Uaccalareats,  der  Licentiatur,  des  Doktorats  erstrebten.  Diese 
Art  der  disputationes  publicae  hiefsen  ordinariae.  Viel  zahlreicher 
waren  die  nun  zu  besprechenden  disputationes  publicae  extra- 
ordinariae.  Die  Studenten  hatten  in  einer  Reihe  von  Fällen  ein 
Interesse  daran,  als  Respondenten  aufzutreten;  dann  wandten  sie 
sich  an  einen  ihrer  Professoren  mit  der  Bitte,  eine  dispulatio 
publica  zu  veranstalten  und  als  Präses  zu  fungieren.  Auch  in 
diesen  Fällen  verfafste  meistens  der  Professor,  selten  der  Respon- 
dent  die  Thesen  bezw.  die  Disputationsschrift;  im  übrigen  verlief 
die  Disputation  in  derselben  Weise  wie  bei  den  disputationes 
ordinariae,  nur  dafs  hierbei  die  Respondenten  für  die  Druckkoslen 
aufkommen  mufsten.  Die  Disputationsschriften  waren  somit  für 
die  Professoren  eine  gunstige  Gelegenheit,  die  Ergebnisse  ihrer 
Studien  auf  billige  Weise  zur  Drucklegung  zu  bringen  und  ihnen 
die  Feuertaufe  der  ersten  Kritik  zuteil  werden  zu  lassen.  Solcher 
Anlässe  zur  Veranstaltung  von  Disputationen  gab  es  für  die  Stu- 
denten folgende:  erstens  mulslen  alle,  die  baccalarei,  licentiati 
oder  doclores  werden  wollten,  nachweisen,  dafs  sie  in  einer  be- 
stimmten Anzahl  von  Disputationen  als  Respondenten  aufgetreten 
waren;  ferner  diente  der  durch  die  Disputationsschrift  erbrachte 
Nachweis  (die  öfl'entliche  Bekanntmachung  der  Disputation  war 
zugleich  Titelblatt  zu  den  Thesen  oder  der  Disputationsschrifl)  in 
manchen  Staaten  geradezu  als  Fakultätsexamen,  so  in  Sachsen, 
wo  man  auf  Grund  solcher  juristischen  Disputationen  zur  niederen 
Gerichtspraxis  zugelassen  wurde;  sodann  galten  diese  Disputations- 
schriften als  specimina  eruditiouis  zur  Erlangung  von  Stipendien 
oder  als  Zeugnisse  des  Studienfleifses  Eitern,  Verwandten  und 
Gönnern  gegenüber;  auch  pflegte  man,  wenn  einer  zu  einer 
anderen  Universität  überging,  die  Abhaltung  einer  Valedictions- 
disputation  zu  veranlassen  und  die  Schrift,  auf  der  man  als  Re- 
spondent  genannt  war,  als  eine  Art  Studienzeugnis  dorthin  mit- 
zunehmen; manche  wohlhabende  und  dialektisch  geschulte  Studenten 
veranlafsten  eine  Disputation  wohl  auch  aus  reiner  Lust  am  Dis* 
puderen;  endlich  pflegte  man  hochstehenden  Persönlichkeiten,  die 
die  Universität  mit  ihrer  Anwesenheit  beehrten,  das  Schaugepränge 
einer  Disputation  als  eine  Art  Paradestück  vorzuführen.  Wegen 
der  Entfaltung  dieses  Prunkes  hiefsen  die  disputationes  publicae 
auch  solennes;  die  ordinariae  waren  durchweg  solennes,  bei  den 
extraordinariae  schenkte  man  sich  bisweilen,  wohl  um  der  Kosten 
willen,  die  Entfaltung  des  Prunkes.  —  Abweichungen  von  dieser 


an^ez.  von  H.  Schmitt.  121 

{*e«^&hDlichen  Ordoung  der  Dispulatioaeii  fanden  nur  in  seltenen 
Fällen  statt,  hauptsächlich  in  folgenden.  In  manchen  öffentlichen 
Disputationen,  die  wohl  durch  die  Universitälsstatuten  genauer 
bestimmt  waren,  fungierten  Baccalarien  oder  Magistri  als  Präsiden. 
Ferner  ^cnn  ein  Student  eine  der  akademischen  Wurden  erringen 
wollte,  so  mufsle  er  zu  der  betreffenden  Inauguraldisputation  die 
Thesen  oder  die  Disputationsschrift  liefern  und  disputierte  ohne 
Präses  vom  unteren  Katheder  aus.  Umgekehrt  wenn  ein  Doktor 
üch  als  Professor  habilitieren  wollte,  so  disputierte  er  über  die 
ron  ihm  verfafslen  Thesen  oder  die  Schrift  vom  oberen  Katheder 
herab  als  Präses  ohne  einen  Respondenten. 

Da  die  disputationes  puhlicae  für  die  Studenten  vielfach  sehr 
kostspielig  waren,  manche  auch  wohl  die  Öffentlichkeit  abgeschreckt 
haben  mag,  so  scheint  es,  als  ob  dadurch  ihre  Frequenz  allmählich 
abgenommen  habe  und  als  ob  daneben  eine  einfachere,  minder 
kostspielige  Form  aufgekommen  sei,  nämlich  die  disputationes 
circolares.  Darunter  sind  Übungen  zu  verstehen,  die  ein  ge- 
schlossener Kreis  von  Studenten,  ein  „Disputierkränzchen'^  unter 
der  Leitung  eines  Professor- Präses  anstellte,  und  zwar  unter  Zu- 
grundelegung eines  Autors  (z.  B.  der  Institutionen),  der  durch- 
disputiert  wurde,  oder  von  geschriebenen  Thesen  oder  einer 
diktierten  Streitschrift.  Der  Name  erklärt  sich  daraus,  dafs  die 
Mitglieder  in  einem  bestimmten  Zirkel,  d.  h.  in  einer  durchs  Los 
bestimmten  Folge  abwechselnd  als  Respondenten  oder  Opponenten 
thätig  waren.  Den  Vorsitz  führte  ein  Professor,  den  die  Studenten 
sich  wählen  konnten,  aber  nicht  besonders  zu  honorieren  brauch- 
ten, weil  die  Professoren  für  diese  Zirkulardisputationen  einen 
Teil  ihres  Gehaltes  bezogen;  auch  hier  stammten  die  strittigen 
Salze  oder  die  Streitschrift  meistens  von  dem  Professor-Präses 
her;  doch  kam  es  bisweilen  vor,  dafs  über  Arbeilen  der  Teil- 
nehmer disputiert  wurde.  Diese  Übungen  fanden  in  einem  Audi- 
torium der  Universität  statt  unter  Anwesenheit  von  Zuhörern,  die 
sich  jedoch,  anders  als  bei  den  öffentlichen  Disputationen,  stumm 
verhielten. 

Aber  selbst  diese  vereinfachte  Art  der  Disputationen  mochte 
schüchternen  Naturen  noch  zuwider  sein.  Hatten  sie  das  nötige 
Geld,  so  veranlafsten  sie  den  einen  oder  andern  Professor,  wie 
private  Vorlesungen  so  auch  private  Disputationen  zu  veranstalten. 
Für  diese  disputationes  privatae  mufsten  sie  natürlich  besonderes 
Booorar  zahlen ;  der  Verlauf  derselben  war  im  übrigen  wohl  der- 
selbe _wie  bei  den  Zirkulardisputationen. 

Ähnlich  wie  an  den  Universitäten  wurden  die  Dispulations- 
übungen  auch  an  den  akademischen  Gymnasien,  jenen  nicht  voU- 
berecdbtigten  Universitäten,  insofern  als  sie  die  akademischen 
Wurden  nicht  verleihen  konnten,  gehalten.  —  Schon  frühe  kom- 
men Klagen  vor  ober  den  abusus  disputandi,  über  Spiegelfechterei 
und  leeres  Scbarigepränge  bei  dieseu  Disputationen.    Die  Achtung 


122  ^*  BftumaoD,  Volksschnlea  etc. 

vor  diesen  Übungen  sank  daher  allmShIicb,  ihre  Frequenz  nahm 
mehr  und  mehr  ab.  Vergeblich  war  es,  dafs  zu  Ende  des  17.  und 
im  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  eine  Anzahl  Hallenser  Professoren 
der  leeren  Form  neuen  Gehalt  zu  geben  suchten;  ein  neuer  Geist 
war  seit  dem  dreifsigjährigen  Kriege  in  die  studentische  Jugend 
gefahren;  auch  die  Bemühungen  jener  Männer  konnten  den  Dis- 
putationen ihre  alte  Bedeutung  an  den  Universitäten  nicht  wieder- 
geben. Nur  ein  spärlicher  Rest  dieser  einst  so  eifrig  gepfleg- 
ten Übungen  hat  sich  auf  einigen  Universitäten  in  der  öffentlichen 
Disputation  aus  Anlafs  der  Doktorpromotion  bis  in  die  Jetztzeit 
erhalten,  ebenso  wie  es  bis  in  den  Anfang  unseres  Jahrhunderts 
an  einigen  süddeutschen  Universitäten  noch  Sitte  war,  dafs  die 
Doktordissertationen  von  den  Professoren  verfafst  oder  doch  über- 
arbeitet wurden. 

Dies  die  wichtigsten  Ergebnisse  der  auf  einem  umfassenden 
Studium  beruhenden,  überaus  sorgfältigen  und  durchweg  mit  über- 
zeugender Beweiskraft  geschriebenen  Ausfuhrungen  des  Verf.s  über 
die  Disputationen.  Sie  haben  ihn  unvermerkt  auf  die  Promotionen 
hingeführt,  und  nachdem  er  vorher  gelegentlich  über  das  Wesen 
und  den  Ursprung  der  drei  akademischen  Grade  gehandelt  hat, 
spricht  er  in  den  letzten  Abschnitten  seines  Buches  über  deren 
weitere  Entwicklung  und  die  Doktorpromotionen  einst  und  jetzt. 
Hervorheben  möchte  ich  aus  diesen  Kapiteln  die  lehrreichen  und 
teilweise  ganz  Neues  bringenden  Abschnitte  über  die  doctores 
bullati  und  die  doctores  legitime  promoti  sowie  über  die  Privi- 
legien, die  den  Doktoren  zustanden.  Wichtig  und  teilweise  neu 
ist  auch  das,  was  Hörn  über  die  akademischen  Gymnasien  mit- 
teilt; sein  Verzeichnis  derselben  ist  jedesfalls  vollständiger  als  alle 
bisher  bekannt  gewordenen.  Wir  schliefsen  unsere  Besprechung 
des  gehaltvollen  Werkes  mit  dem  Wunsche,  dafs  der  Verfasser 
seine  reichen  Kenntnisse  benutzen  möge,  um  weitere  Aufschlüsse 
über  die  Geschichte  des  akademischen  Unterrichts  zu  geben. 

CasseL  H.  Schmitt. 


Jalius  BtnmaDD,  Volksschulen,  höhere  Schalen  und  Universi- 
täten. Wie  sie  heutzutage  eingerichtet  sein  sollten.  GÖttingea 
1893,  Vandenhoeck  und  Ruprecht.     VIII  u.  144  S.  8.     2,40  M. 

Der  Verf.  bestimmt  zunächst  die  moderne  CivilisatTon ,  als 
deren  Ilauptstücke  bezeichnet  werden :  Vermehrung  von  Kraft  und 
Wohlsein  auf  Grund  der  Naturwissenschaft,  Streben  nach  gröfserer 
Ausgleichung  in  Verteilung  der  Güter,  ausgebreitetere  Teilnahme 
am  Staatsleben  und  religiöse  und  wissenschaftliche  Freiheit.  Von 
dieser  Grundlage  aus  wird  in  grofsen  Grundzugen  dargelegt,  wie 
unser  gesamtes  Schulwesen  eingerichtet  werden  müfste,  wenn  es 
dem  heutigen  Standpunkte  der  ganzen  Weltauffassung  und  Lebens- 
bebandlung  entsprechen  soll.  Die  Alimacht  der  Erziehung,  die  das 
vorige  Jahrhundert  proklamierte,  wird  von  dem  Verf.  verworfen. 


aoges.  von  H.  Schiller.  123 

Die  Volksschule  hat  den  Schäler  so  weit  zu  bringen,  dafs  er 
sich  im  Leben  durch  eigne  Kräfte  forthelfen  kann.  Dazu  sind 
aber  nur  die  Elemente  des  Lesens,  Schreibens,  Rechnens  und 
Zeichnens,  sowie  der  Naturwissenschaft  erforderlich,  auch  Hand* 
fertigkeitsunterricht ,  einige  Kenntnis  der  deutschen  Sprache  — 
die  Orthographie  wird  heute  überschätzt  — ,  Geographie,  Geschichte, 
eio^e  nationalökonomische  Kenntnisse,  einige  Kenntnis  der  Lan- 
des- iinil  Gemeindeverfassung,  die  Grundbegriffe  von  der  Macht 
des  Menschen  gegenüber  der  Natur,  von  Naturgesetzen,  der  Er- 
haltung der  Masse,  der  Verwandlung  der  Naturkiäfte  in  einander. 
Ein  besonderer  Moralunterricht  ist  nicht  erforderlich;  denn  das 
Ganze,  was  den  Schülern  in  dem  Unterrichte  vorgeführt  wird, 
rathäit  schon  ein  praktisches  Lebensideal,  n<imlich  dasjenige,  das 
Locke  einmal  so  ausgedruckt  bat,  die  moralische  Aufgabe  des 
Menschen  sei,  seine  Kräfte  auszubilden  zur  eigenen  Subsistenz 
und  zum  gemeinsamen  Gebrauche  des  Lebens.  Auch  das  wird 
bei  dieser  Art  des  Unterrichts  ganz  von  selbst  in  dem  Kinde  ent- 
stehen, was  man  das  religiöse  Gefühl  nennt;  denn  dieses  ist  etwas 
ganz  Natürliches,  in  jedem  Menschen  von  selbst  Entspringendes. 
Das  Lesebuch  soll  eine  ganz  objektive  Darstellung  der  Haupt- 
rel^ionen  geben,  derer,  die  bei  uns  sind,  und  auch  derer,  die 
bei  uns  nicht  sind;  letztere  werden  kurz  behandelt.  Wenn  nun 
auch  ein  besonderer  Religionsunterricht  nicht  notwendig  ist,  so 
ist  ein  kirchlicher  Unterricht  doch  wünschenswert;  er  soll  blofs 
die  Grundzüge  der  christlichen  Lehre  vermitteln  und  von  vorn- 
herein darauf  rechnen,  dafs  erst  im  späteren  Leben  die  eigent- 
Uclie  Wirksamkeit  dieser  Lehren  eintreten  werde.  Zwang  zu  die- 
sem Religionsunterrichte  soll  nicht  stattfinden;  die  Kirche  mufs 
ihn  durch  ihre  Geistlichen  erteilen  lassen;  denn  der  Lehrer  hat 
nicht  die  dazu  erforderliche  theologische  Bildung,  die  ihn  be- 
^higte,  zu  der  Entwickelung  der  im  steten  Flufs  begriffenen  reli- 
giösen Dinge  Stellung  zu  nehmen  und  zu  behaupten.  Der  Verf. 
schwärmt  für  eine  allgemeine  Volksschule  bis  zum  14.  Jahre,  ver- 
kennt aber  nicht,  dafs  bei  der  heutigen  sozialen  Lage  dieses  [deal 
Doch  nicht  durchzuführen  ist.  Wir  fürchten,  dafs  es  mit  seinen 
übrigen  Aufstellungen  nicht  anders  sein  wird.  Gerade  die  Lehrer 
wünschen  den  Religionsunterricht  beizubehalten  und  zu  erteilen; 
darin  sind  Konservative  und  Liberale  völlig  einig,  wie  sich  erst 
wieder  auf  der  Allgem.  Lehrerversammlung  in  Leipzig  Pfingsten 
1893  konstatieren  liefs. 

Unter  höheren  Schulen  will  der  Verf.  alle  umfafst  wissen, 
.,deren  Unterricht  über  das  14.  Lebensjahr  hinauszielV'.  Was  im 
allgemeinen  über  die  höheren  Schulen  gesagt  wird,  ist  nicht  neu, 
so  z.  B.  dats  der  mathematisch -naturwissenschaflliche  Unterricht 
eine  zu  geringe  Stundenzahl  habe,  die  Bedeutung  der  Geschichte, 
fonnaJe  Bildung  u.  a.  Das  Mittelalter  wird  für  die  Litteratur  un- 
seres Volkes  als  nicht  so  wertvoll  betrachtet,  „dafs  auf  den  vor- 


X24  J*  BanmaDiiy.Volksschaleii  etc., 

bereitenden  höheren  Schulen  dasselbe  einen  Teil  des  deutschen 
Unlerrichtes  als  solchen  bilden  miifste".  Das  Englische  tritt  sehr 
in  den  Vordergrund,  obgleich  das  Französische  nicht  vernach- 
lässigt wird;  die  methodischen  Vorschläge  des  Verf.s  bleiben 
hinter  dem,  was  auf  diesem  Gebiete  an  guten  Anstalten  that- 
sächlich  bereits  geleistet  wird,  zurQck.  Nationalökonomie  wird 
gefordert,  ebenso  Bekanntschaft  mit  den  Grundzugen  des  recht- 
lichen Lebens  und  den  Einrichtungen  des  Staatslebens,  eigent- 
licher Moralunlerrichl  ist  nicht  nötig,  Religionsunterricht  nach  der 
Konfirmation  ist  wünschenswert,  „mufs  aber  mehr  in  geschicht- 
licher Weise  gegeben  werden''.  Das  griechische  und  römische 
Altertum  müssen  immer  in  der  höheren  Jugendbildung  eine  Rolle 
behalten;  aber  Griechisch  und  Lateinisch  sollen  erst  ?on  Ulli  ab 
eintreten  (also  das  Frankfurter  System);  aber  das  Griechische 
möfste  in  U  III  beginnen,  das  Latein  erst  in  U  II.  Privatanstalten 
sind  wünschenswert;  das  Abilurientenexamen  als  solches  müfste 
beseitigt  werden.  Die  höhere  Mädchenerziehung  mufs  sich  von 
der  der  männlichen  Jugend  durch  Anschlufs  an  das  Konkrete  und 
das  Helfen  im  Detail  unterscheiden;  denn  diese  beiden  Züge  bil- 
den die  Hauptstärke  der  Mädchen.  Damit  werden  die  Mädchen- 
gymnasien mit  Recht  verworfen,  insofern  sie  einfach  die  Gym- 
nasien kopieren. 

Auch  für  die  Reform  der  Universitäten  macht  der  Verf.  Vor- 
schläge. Das  Allgemeine  und  blofs  Angedeutete  übergehen  wir; 
denn  man  würde  vielleicht  manches  irrig  auffassen,  was  bei  dem 
Mangel  an  präzisen  Vorschlägen  fast  unvermeidlich  ist.  Gegen 
das  Studium  nur  für  das  Examen,  das  mit  Recht  als  recht 
verderblich  bezeichnet  wird,  und  gegen  die  Übertreibung  der 
Doktordissertationen,  die  stets  eine  neue  wissenschaftliche  Ent- 
deckung enthalten  sollen,  zieht  der  Verf.  sehr  glücklich  zu  Felde ; 
aber  wirklich  brauchbare  Vorschläge  zur  Abhülfe  macht  er  nicht, 
da  das,  was  er  vorschlägt,  so  gut  gemeint  es  ist,  praktisch  durch 
führbar  sich  nicht  erweisen  wird. 

Das  Einjährigenjahr  soll  entweder  vor  oder  nach  dem  Univer- 
sitätsstudium abgedient  werden,  Einberufungen  nur  in  den  Ferien 
erfolgen.  Die  körperlichen  Übungen  treten  künftig  allgemein  her- 
vor, Fechten  und  Tanzen  wird  allgemein  gelehrt,  auch  Anleitung 
zu  feineren  künstlerischen  oder  mechanisch-technischen  Arbeiten 
wird  gegeben.  Hier  wie  überall  stimmt  der  Verf.  in  die  über- 
triebenen Erwartungen  vom  Handfertigkeitsunterrichte  ein.  Da 
ich  denselben  bereits  vor  42  Jahren  selbst  erhalten  habe,  gestatte 
ich  mir,  an  die  weltumgestaltende  Wirkung  desselben  nicht  zu 
glauben;  er  wird  vielmehr,  wie  alle  Wunderdinge,  allmählich  auf 
das  ihm  gebührende  Mafs  der  Wertschätzung  zurückgeführt  werden. 

Die  Stipendien  werden  abgeschafll,  an  ihre  Stelle  treten 
„Häuser  mit  Selbstverwaltung",  in  die  der  Student  vom  dritten 
Semester   ab   eintreten  und  „in  denen  er  sich  halbe  oder  ganze 


angez.  von  H.  Schiller.  125 

freie  Station  verdienen  kann  durch  Nachweis  von  Kenntnissen 
und  freiwilligen  Arbeiten*^  In  jedem  solchen  Hause  wohnt  ein 
Privatdozent;  für  diese  Häuser  werden  die  bisherigen  Stipendien 
verwendet.  Die  Honorare  werden  zu  einer  Gesamtsumme  erhöht, 
für  welche  18 — 24  Kollegienstunden  beliebig  belegt  werden  können; 
wer  sich  einem  strengen  Examen  unterzieht  in  irgend  einem 
wahrend  der  Ferien  selbständig  betriebenen  Zweige,  erhält  das 
Honorar  erlassen,  für  das  die  Regierung  eintritt.  Die  Ferien  be- 
tragen vier  Monate,  verteilt  auf  zweimal  zwei  Monate,  die  nach  je 
vier  Monaten  Vorlesungen  eintreten.  Bezüglich  der  Zulassung  zur 
Doktor-  und  Staatsprüfung  bildet  nur  der  Ausweis  über  die 
wissenschaftliche  Vorbereitung  durch  eine  Arbeit  die  Vorbedingung. 
Für  die  einzelnen  Fakultäten  werden  ebenfalls  grundlich  ein- 
gehende Vorschläge  gemacht.  Wir  beben  nur  hervor,  was  sich 
auf  die  Lehrerbildung  bezieht.  Jeder  künftige  Lehrer  der  Mathe- 
matik und  Naturwissenschaften  sollte  drei  Semester  nur  Wissen- 
schaft als  solche  studieren  und  nach  dieser  Zeit  ein  Examen 
machen  in  dem,  was  er  gelrieben,  mündlich  oder  schriftlich;  für 
die  künftigen  Gymnasiallehrer  sollten  dann  etwa  vier  Semester 
gelehrt  werden:  Algebra,  Elemente  der  Integralrechnung,  dann 
sphärische  Trigonometrie  und  praktische,  analytische  und  dar- 
stellende Geometrie,  Physik,  Astronomie,  Botanik,  Anatomie  und 
Physiologie,  Zoologie,  Mineralogie  und  Geologie,  Elemente  der  an- 
organischen, Grundbegriffe  der  organischen  Chemie,  Hygiene. 
Doch  kann  man  auch  den  Lebrerkursus  zuerst  durchmachen  und 
die  drei  wissenschaftlichen  Semester  nachfolgen  lassen.  Später 
erhalten  die  Lehrer  alle  fünf  Jahre  einen  dreiwöchigen  Kurs  an 
einer  Universität,  wo  ihnen  die  Fortschritte  der  Wissenschaft  vor- 
geführt werden.  Die  Bildung  der  alten  Philologen  soll  haupt- 
sächlich durch  Lesen  und  bei  den  neueren  durch  die  Übung  in 
den  lebenden  Sprachen  erworben  werden,  wozu  drei  Semester 
eigentlich  wissenschaftliche  Studien  kommen;  von  der  Pädagogik 
wird  nur  die  wissenschaftliche  Grundlegung  der  Universität  zuge- 
wiesen. Der  Bildungsgang  der  Geschichtslehrer  ist  dem  der  hu- 
manistischen und  modernsprachlichen  Pädagogen  analog;  etwa 
drei  Semester  historisches  Fachstudium,  dann  drei  bis  vier  Se- 
raester Geschichte  und  Geographie  mit  besonderer  Rücksicht  auf 
^e  vorbereitenden  höheren  Schulen.  An  keiner  Universität  dürfte 
ein  wöchentlicher  orientierender  Vortrag  über  die  neuesten  Tages- 
ereignisse oder  sozialpolitischen  Inhalts  fehlen.  Die  Professoren 
werden  sich  noch  mehr  als  bisher  in  folgende  Arten  scheiden: 
1.  Forscher,  die,  indem  sie  die  Wissenschaft  fortbilden,  auch  ihre 
Scfanler  anleiten,  dasselbe  zu  Ihun.  2.  Lehrer  der  Wissenschaften, 
die  ihr  Fach  im  ganzen  vortragen  und  dem  Studenten  ein  Bild 
davon  geben,  und  3.  diejenigen,  welche  besonders  den  künftig 
praktisch-geistigen  Beruf  im  Auge  haben,  die  theoretischen  Grund- 
lagen desselben  geben  und  darauf  hinweisen,   was  von  dem  Ge- 


126  0.  Frick,  Schulreden, 

triebenen  für  die  Praxis  als  besonders  wertvoll  auszusondern  ist. 
Die  zweite  Art  mufs  dem  Studierenden  die  Einfölirung  geben  auf 
der  Universität,  der  ersten  mufs  dieser  mindestens  zwei  Semester 
widmen;  will  er  nicht  wissenschaftlicher  Forscher  werden,  so  gebt 
er  dann  zur  dritten  über.  Über  die  Behandlung  dei*  Prüfungen 
wird  manches  Interessante  gesagt,  und  aucli  über  die  Umgestal- 
tung des  studentischen  Lebens  durchaus  wünschenswerte  Ände- 
rungen empfohlen,  llis  zur  Durchfutirung  einer  gröfseren  Frei* 
heil  im  Unterrichtswesen  wird  die  Einsetzung  eines  Ober-Unter- 
richtsrates vorgeschlagen,  der  dem  Unterrichtsminister  als  beratende 
Behörde  zur  Seite  stehen  soll. 

Die  Schrift  ist  sehr  wohlgemeint,  und  theoretisch  findet  sich 
auch  manches  Wertvolle.  Aber  dafs  sie  von  praktischen  Folgen 
begleitet  sein  wird,  kann  ich  mir  nicht  vorstellen  —  namentlich 
weil  das  Vorgeschlagene  häufig  recht  unpraktisch  ist. 

Giefsen.  Herman  Schiller. 


0.  Frick,  Schalrede  n.    Herausgegeben  vod  Georg  Prick.    Gera  1893, 

Theod.  Hofmaon.     117  S.  gr.  8.     1,50  M. 
0.  Frick,  Pädagogische  und  didaktische  AbhandloogeD. 

Herausgegeben    von  ^ Georg  Frick.     Band  I  und  IL     Halle  a.  S.  1893, 

Bochhaodlnng  des  Waisenhauses.     VI  u.  580,  bezw.  739  S.  gr.  8.     9, 

bezw.  12  M. 

Nicht  nur  von  den  Freunden  des  entschlafenen  bekannten 
Direktors  der  Franckeschen  Stiftungen,  sondern  gewifs  auch  in 
weiteren  Kreisen  werden  diese  Sammlungen  seiner  Schulreden 
und  pädagogischen  Abhandlungen  willkommen  geheifsen  werden. 
Sie  ermöglichen  einen  tieferen  Einblick  in  die  reiche  Gedanken- 
welt des  Mannes,  der  wie  kein  zweiter  in  den  letzten  Jahrzehnten 
anregend  auf  die  Gestallung  des  Unterrichts  an  höheren  Schulen 
eingewirkt  hat.  Sie  zeigen,  dafs  die  vielen  weit  verstreuten,  zum 
Teil  gar  nicht  mehr  zugänglichen  VeröfTentlichungen  Fricks  durch 
ein  starkes  inneres  Band,  eine  wohlbegründete,  einheitliche  Grund- 
anschauung zusammengehalten  werden.  Die  Grundlinien  der  spä- 
teren Ausführungen  sind  bereits  in  den  meist  der  früheren  ^eit 
angehörigen  „Schulreden''  intuitiv,  ohne  die Rechensdiafl  eines 
Systems,  mit  kühner  Freiheit  hingeworfen. 

Der  Verf.  trieb  eben  nie  seinen  Beruf  mechanisch,  in  be- 
quemer Anlehnung  an  die  Überlieferung,  sondern  mit  ernster 
Besinnung  auf  das  wahre  Ziel  seiner  Arbeit  und  auf  die  besten 
Mittel  und  Wege  das  Ziel  zu  erreichen.  Dabei  kam  es  seiner 
Entwickelung  sehr  zu  statten,  dafs  ihm  bereits  in  dem  Jugend- 
lichen Alter  von  32  Jahren  der  ebenso  verantwortungsvolle  wie 
ehrenvolle  Auftrag  wurde,  die  Realschule  zu  Burg  zu  einem  Gym- 
nasium auszubauen.  Damit  wurden  die  praktischen  pädagogischen 
Berufsaufgaben  in  den  Mittelpunkt  seines  Denkens  und  Strebens 
gerückt,    und  obwohl  er  als  Student,    Kandidat  und  angehender 


aDg«z.  von  F.  Ztng«.  127 

Lekrer  mit  höchster  Begeisterung  seiner  Spezialwissenschaft,  der 
Philologie,  und  den  ihr  dienenden  allgemeinen  Wissenschaften, 
Philosophie  und  Geschichte,  gelebt  und  die  philologische  Wissen- 
schaft durch  bedeutsame  Spezialforschungen  wie  über  die  Schlan- 
gensänle  in  Konstantinopel  bereichert  hatte,  war  von  nun  an, 
nachdem  ein  Mann  wie  Schulrat  Heiland  ihm  die  Gröfse  seiner 
pädagogischen  Aufgabe  mit  heiligem  Ernst  vor  die  Seele  gemalt, 
die  Fürsorge  für  die  liebe  Jugend,  für  ihre  Erziehung,  für  die 
erzieherische  und  wahrhaft  bildende  Gestaltung  des  Unterrichts 
das  oberste  Ziel  alles  seines  Strebens,  in  dessen  Dienst  sich  alle 
weiteren  wissenschafth'chen  Studien  stellen  mufsten. 

Die  erste  Frucht  dieser  Bemühungen  waren  die  ausgeführten 
Lehrpläne  für  den  deutschen,  den  lateinischen  und  griechischen 
und  den  französischen  Unterricht,  welche  zuerst  den  Programmen 
des  Borger  Gymnasiums  als  wissenschaftliche  Beilage  hergegeben 
worden  und  nun  mit  Recht  in  den  zweiten  Band  der  Abhand- 
longen aufgenommen  sind.  Über  sie  wie  über  die  in  dieselbe 
Zeit  gehörige  Abhandlung  zur  Programmfrage  hat  sich  Ref.  bereits 
früher  in  dieser  Zeitschrift  ausgesprochen  (Bd.  XLVl  Heft  6). 
Desgleichen  über  die  bis  dahin  zugänglichen  Schulreden.  In  der 
vorliegenden  Sammlung  sind  diese  nun  vereinigt  und  durch  neue 
bis  dahin  noch  ungedruckte  erweitert  worden.  Das  Ziel  der  Gyni- 
nasialbildung,  wie  der  Bildung  überhaupt,  ist  auch  in  den  neuen 
Reden  das  gemeinsame  Thema. 

Die  in  Rinteln  bei  seiner  Einfuhrung  Ostern  1874,  bei  der 
Grundsteinlegung  des  neuen  Gymnasialgebäudes  am  2.  Juni  1875 
and  l>ei  der  Einweihung  am  18.  Oktober  1876  gehaltenen  Reden 
fuhren  die  Beschreibung  des  Zieles  der  Gymnasialbildung  einfach 
weiter  fort.  Pflege  des  Naturgefühls,  Weckung  und  Pflege  wissen- 
schaftlichen Lebens,  der  Freude  am  Schönen,  des  Trachtens  nach 
dem  Guten,  Umsetzung  des  ästhetischen  und  wissenschaftliciien 
Lebens  in  ein  sittliches,  wodurch  allein  erst  das  ideale  Leben,  in 
das  die  Schüler  eingeführt  werden,  jene  Bildung  wirkt,  welche  in 
der  Ausprägung  eines  gehaltvollen  Bildes,  d.  h.  eines  Charakters 
besteht,  dazu  Erhebung  des  durch  die  Ideale  erhöhten  persön- 
lichen Lebensgeföhls  zum  Volks-  und  Nationalgefühl  und  endlich 
die  Einsenkung  dieses  ganzen  idealen  Lebens  in  den  Ernst  und 
äie  Tiefe  des  religiösen  Lebens,  ohne  welche  es  doch  ein  „leerer 
Klang*'  bleibt,  das  sind  die  l\e\e,  die  hier  aufgestellt  werden. 
Das  Bild  Christi,  der  die  Wahrheit,  der  Weg  und  das  Leben  ist, 
io  die  jungen  Seelen  zu  prägen,  daCs  er  ihnen  wird  zum  Centrum 
nicht  nur  religiöser  Erkenntnis,  sondern  zu  dem  Centrum,  von 
den  alle  Erkenntnis  Klarheit  empfängt,  und  zum  Ruheport  ihres 
vlösongsbedurftigen  Herzens  wie  zum  Quell  des  Lebens,  in  dem 
alles  sonstige  ideale  Leben  erst  seinen  tiefsten  Grund  und  sein 
iiöcbstes  Ziel  findet,  das  ist  die  höchste  Aufgabe,  welche  er  hier 
ailfr  gymnasialen  Unterrichtsarbeit  stellt 


128  0.  Frick,  SchalredeD, 

Gekrönt  werden  alle  diese  Gedankengänge  durch  die  in  Halle 
gehaltenen  Reden  über  das  Wesen  der  sittlichen  Freiheit  (am 
22.  März  1879)  und  über  die  Idee  der  Persönlichkeit,  beides  zu- 
gleich Entlassungsreden. 

„Dadurch,  dafs  wir  in  freier  Wahl  unsern  Willen  einordnen 
in  den  göttlichen,  den  kategorischen  Imperativ  der  Gewissens- 
stimme, dadurch  allein  überwinden  wir  den  Dualismus  zwischen 
angeborener  Freiheit  und  entgegenstehender  Notwendigkeit  eines 
anderen  höheren  Willens,  den  Zwiespalt,  welchen  der  unlautere 
Eigenwille  in  unsere  Seele  hineinträgt;  und  Gewissensrulie,  höch- 
ster Seelenfriede,  das  wahre,  unverlierbare  Freiheitsgefühl  tritt  ein, 
welches  zusammenfallt  mit  dem  Leben  in  Gott'*. 

Zu  dieser  Freiheit  zu  führen,  ist  Aufgabe  der  Bildung  und 
Erziehung: 

„Wie  äufserlich,  freudeleer  wäre  unsere  Arbeit  —  ein 
Stundengeben ,  nicht  Bildungsarbeit;  mechanische  Abrichtung, 
nicht  Seelenleitung;  geistloser  Unterricht,  nicht  Erziehungskunst 
— ,  wenn  sie  nicht  auch  euer  Inneres  anzufassen,  aufzurühren, 
hineinzuheben  suchte  fort  und  fort  in  die  Welt  des  Jenseitigen 
und  Ewigen  und  dadurch  zu  sittlicher  Freiheit  zu  entbinden?'* 

Besonders  fein  und  tief  ist  die  Erörterung  der  „Idee  der 
Persönlichkeit'*.  Wie  schon  die  vorhergehende  Entlassungs* 
rede,  veranlafst  durch  die  gleichzeitige  Feier  des  Geburtstages  des 
Kaisers  Wilhelm  I,  sich  von  dem  Blick  auf  diesen  einzigartigen 
Herrscher  halte  das  Thema  diktieren  lassen  und  aus  seinem  Bilde 
die  schönsten  konkreten  Zuge  entlehnt  hatte,  so  ist  es  auch  in 
dieser  Entlassungsrede  zum  22.  März  1880  die  erhabene  Gestalt 
unseres  unvergefslichen  grofsen  Kaisers  Wilhelm  I,  welche  den 
Redner  begeisterte  und  ihm  eine  Erörterung  gelingen  liefs,  welche 
zu  dem  Besten  gehört,  was  über  diesen  wichtigen,  aber  schwie- 
rigen Begriff  gesagt  worden  ist.  „Was  in  beiden  Welten  lebt, 
der  diesseitigen  und  der  jenseitigen,  der  irdischen  und  der  gött- 
lichen, das  erst  führt  ein  ganzes  Leben  und  solch  ein  ganzes 
Leben  erst  erzeugt  geschlossene,  volle  harmonische  Bildung.  Diese 
Bildung  erst  reift  wahre  Persönlichkeiten,  d.  h.  annähernde  Aus- 
gestaltung der  Gottesebenbildlichkeit,  zu  welcher  der  Mensch  von 
Anbeginn  berufen  war.  Solche  Persönlichkeiten  sind  unabhängig 
von  dem  Mafs  irgend  einer  sogenannten  Bildung,  d.  h.  von  dem 
Mafs  irgend  eines  gelehrten  Könnens  oder  Wissens.  Ob  Kind, 
ob  Greis,  ob  Weib,  ob  Mann,  ob  Farbig  oder  Weifs,  gleichviel, 
führen  sie  nur  ein  ganzes  Leben,  d.  h.  ist  ihr  irdisches  Dasein 
gegründet  auch  im  ewigen,  und  dieses  Zusammengehen  zu  har- 
monischer Ausgestaltung  einer  geweihten  Persönlichkeit  gelangt, 
so  haben  sie  die  höchste  Bestimmung  des  Erdenlebens  erfüllt, 
und  es  kann  ihr  Dasein  darum  wieder  fruchtbar  werden,  dafs 
von  ihnen  ausgehen  Ströme  lebendigen  Wassers,  Impulse  auf  viele 
andere  zu  einer  ewigen  Bewegung**. 


angez.  voD  F.  Zaoge.  129 

So  weit,  80  frei  ?on  aller  Eagherzigkeit  gelehrter  und  so- 
genannter „gebildeter^'  Kreise  wird  der  Begriff  der  Persönlichkeit 
bestimmt.  Um  so  überraschender  ist  der  Nachweis,  der  im  Fol- 
genden ans  dem  allgemeinen,  wie  an  der  besonderen  hehren  Ge- 
stalt Kaiser  Wilhelms  geführt  wird,  dafs  der  König  als  der  von 
Gott  bestellte  („von  Gottes  Gnaden*'!)  Hirle  des  Volkes,  Hüter 
seiner  Sprache  und  Bildung,  seiner  Sitte  und  Ehre,  als  der  Pfleger 
seines  religiösen  Lebens,  seiner  Kunst  und  Wissenschaft,  als  der 
Trager  seiner  Ideale,  in  Wahrheit  als  der  erste  seines  Geschlechts 
zur  Idealpersönlichkeit,  zum  Vertreter  der  gesamten  Volkspersön- 
lichkeit, zur  herrlichsten  irdischen  Erscheinung  der  Idee  der  Per- 
sönlichkeit selbst  wird.  „Und  kommt  dann  nun  vollends  in  sol- 
chen Trägern  zu  dem  idealen  Glänze,  den  das  Königtum  an  sich 
schon  ober  sie  ausgiefst,  noch  ein  eigenes  Heroentum  einer 
grolsen  Persönlichkeit  hinzu,  dann  giebt  das  jenes  Schauspiel 
höchster  irdischer  Herrlichkeit,  darüber  alle  Welt  frohlockend 
jauchzt,  unendlichen,  in  alle  Zeit  sich  ergiefsenden  Segens  jener 
bahnbrechenden,  auf  Jahrhunderte  fortzeugenden  Herrscher- 
oaturen,  deren  zwei  von  den  wenigen,  welche  die  Geschichte  über- 
haupt hervorgebracht  hat,  das  Preufsenvoik  sein  eigen  nennen 
darf,  den  grofsen  Kurfürsten  und  den  grofsen  Friedrich,  und 
denen  die  Geschichte  dereinst  anreihen  wird  auch  den  Helden- 
könig, dem  die  heutige  Feier  gilt*'. 

Das  aber  rühmt  Frick  zum  Schlufs  als  den  Vorzug  aller  Zög- 
linge deutscher  Gymnasien,  dafs  sie  vor  anderen  den  Umgang  der 
eMen  Geister  der  Welt  genossen,  durch  Eindringen  in  den  Geist 
antiker  und  moderner  Klassiker  dem  Verständnis  dieser  grofsen 
Persdnlicbkeiten  näher  gebracht  worden  sind.  Nur  so  kann  der 
Nachwuchs  eines  von  Idealen  erfüllten,  thatenbegeisterten,  glauben- 
haltenden  Geschlechtes  erstehen,  dessen  unsere  Zeit  so  sehr  be- 
darf.  So  erhält  auch  diese  historisch  -  philosophische  Erörterung 
ihre  praktische,  Ziel  und  Mittel  der  Pädagogik  bestimmende  Spitze. 

Es  folgen  noch  zwei  Reden,  welche  ebenfalls  wie  die  vorher- 
gehenden nach  Form  und  Inhalt  Muster  ihrer  Gattung  sind.  Es 
sind  die  beiden  Gedächtnisreden  auf  Kaiser  Wilhelm  und  Kaiser 
Friedrich  vom  22.  März  und  30.  Juni  1888,  Charakteristiken 
beider  Männer,  so  tief  geschöpft,  so  umfassend  und  zugleich  klar 
erschaut,  mit  so  innigem  königstreuen  Gefühl  und  vaterlands- 
liebendem Empfinden  entworfen,  wie  es  nur  ein  den  Gang  der 
Geschichte  so  klar  überschauender,  die  Idee  der  Persönlichkeit  so 
tief  erbssender,  die  höchsten  Güter  der  Nation  so  richtig  schätzen- 
der, nur  ein  so  treu  und  heüjs  liebender  Mann  wie  der  Entschla- 
fene vermochte. 

Abgesehen  von  diesen  beiden  Reden,  haben  alle,  wie  wir 
gesehen  haben,  dazu  gedient,  das  Ziel  der  Bildung  und  Erziehung 
Oberhaupt,  im  besonderen  aber  das  der  Gymnasialbildung  immer 
klarer  herauszustellen.   Als  Abschlufs  dieser  Gedankenbewegungen 

Satehr.  f.  d.  GTmiutfulwMen  XLVIII.   3.  S.  Q 


130  0.  Frick,  Seholreden, 

kann  daher  der  Vortrag  „Über  das  Wesen  der  wahren  Bil- 
dung" angesehen  werden,  welcher  in  den  „Zeitfragen  des  Christ* 
liehen  Volkslebens''  Bd.  II  Heft  3  gedruckt  ist. 

Die  Bildung  ist  ihm  „Verklärung  der  menschlichen  Persön- 
lichkeit zur  Harmonie  des  inneren  Lebens  mit  der  M^elt  in  sich, 
um  sich  und  über  sich  hinein  in  die  Wahrheit  des  ewigen 
Lebens". 

Diese  Definition  kehrt  ja  auch  in  den  „Abhandlungen",  wie 
es  begreitlich  ist,  mehrmals  wieder,  und  auch  die  übrigen  Haupt- 
gedanken finden  sich  unter  anderen  Gesichtspunkten  hie  und  da 
wieder.  Trotzdem  hätten  wir  es  gern  gesehen,  wenn  dieser  Vor- 
trag entweder  den  „Schulreden"  als  Anbang  oder  den  „Abhand- 
lungen" als  Eingang  beigegeben  worden  wäre,  zumal  er  zugleich 
ein  Muster  einer  ebenso  umsichtigen  und  in  die  Tiefe  fährenden 
wie  klaren  Begrißsentwickelung  ist. 

Mit  dem  Eintritt  in  das  Direktorat  der  Franckeschen  Stif- 
tungen trat  Frick  wie  in  eine  neue  Sphäre  praktischer  Arbeit,  so 
auch  in  einen  neuen  Abschnitt  seiner  wissenschaftlichen  und 
lilterarischen  Thätigkeit.  Getreu  dem  Grundsatz,  nicht  nur  das 
überkommene  Erbe  A.  H.  Franckes  zu  wahren,  sondern  auch 
Ideen  und  Einrichtungen  des  Stifters,  welche  man  im  Laufe  der 
Zeit  fallen  gelassen  hatte,  so  weit  sie  zeifgemäfs  waren,  wieder 
aufzunehmen,  erkannte  er  es  bald  als  eine  der  brennendsten  Auf- 
gaben, das  Seminarium  praeceptorum  der  Franckeschen  Stiftungen 
wieder  ins  Leben  zu  rufen,  und  dem  Eifer,  mit  welchem  er  diese 
Aufgabe  angriff  und  unter  schweren  Kämpfen  durchführte,  danken 
wir  jene  Fülle  yon  „Abhandlungen",  welche  zum  ersten  Mal 
gröfstenteils  in  den  zur  Förderung  einer  besseren  Lehrmethode 
und  der  Lehrerbildung  gegründeten  „Lehrproben  und  Lehrgängen'^ 
veröffentlicht  wurden  und  nun  durch  die  Mühewaltung  des  Sohnes 
des  Entschlafenen,  Herrn  Dr.  Georg  Frick,  in  zwei  starken  Bän- 
den von  580  und  739  Seiten  vor  uns  liegen. 

Der  Herausgeber  hat  die  sämtlichen  Abhandlungen  nicht 
chronologisch,  sondern  nach  rationellen  Gesichtspunkten  geordnet, 
so  dafs  zuerst  unter  I  alle  Abhandlungen  über  Fragen  der  allge- 
meinen Pädagogik,  sodann  unter  H  Abhandlungen  über  einzelne 
Unterrichtsfächer  zusammengestellt  sind.  Nr.  I  zerfallt  wieder  in 
die  Abteilungen:  a)  Prinzipielle  Fragen  der  allgemeinen  Pädagogik, 
b)  Fragen  zur  allgemeinen  Didaktik,  c)  Pädagogische  Seminare. 

Man  kann  über  die  Gruppierung  anderer  Meinung  sein.  Hier 
genügt  es,  einen  Überblick  zu  geben  und  auf  die  bedeutsamsten 
Arbeiten  mit  besonderem  Nachdruck  hinzuweisen. 

Alibekannt  sind  die  beiden  grundlegenden  Arbeiten:  „Inwie- 
weit sind  die  Herbart- Ziller-Stoyschen  didaktischen  Grundsätze 
für  den  Unterricht  an  den  höheren  Schulen  zu  verwerten?'* 
(IL  Band,  Abb.  9)  und  „Das  Seminarium  praeceptorum  an  den 
Franckeschen  Stiftungen  zu  Halle,  ein  Beitrag  zur  Lehrerbild ungs- 


angez.  von  F.  Zange.  131 

frage''  (IL  Bd.  S.  188  IT.),  welche  Ref.  ebenfalls  Bd.  XXXXIV  H.  6 
dieser  Zeitschrift  bereits  besprochen  hat.  Neben  diesen  verdienen 
folgende  Abhandlungen  hervorgehoben  zu  werden: 

1.  „Was  fordert  die  Gegenwart  von  uns,  damit  der 
Jugend  unseres  Volkes  die  Güter  des  Evangeliums  be- 
wahrt werden?'',  ein  Vortrag,  der  schon  im  Jahre  1876  auf 
dem  XVIII.  RongreCs  für  innere  Mission  zu  Danzig  gehalten 
wurde. 

Mit  Recht  ist  er  dieser  Sammlung  einverleibt  worden.  Kenn- 
zeichnet er  doch  ebenso  die  ernst  christliche  Lebensauffassung 
des  Verewigten,  wie  sein  warmes  Herz  fürs  Vaterland,  seinen 
weiten  geschichtlichen  Blick,  seine  weise  Erkenntnis  dessen,  was 
dem  Volke  notthut.  Besonders  beachtenswert  sind  in  diesem  un- 
gemein umsichtigen  und  praktischen  Aufsatz  die  Erörterungen 
fiber  die  Simultanschule,  der  Nachweis  aus  dem  Begriff  der  wahren 
Bildung,  dafs  durch  die  Simultanscbule  systematisch  nur  jene 
seichte  Halbbildung  grofsgezogen  wird,  welche  für  das  kirchliche, 
staatliche  und  soziale  Leben  im  höchsten  Mafse  gefahrvoll  ist,  so 
dafe  prinzipiell  an  der  konfessionellen  Schule,  der  Volksschule  so- 
wohl wie  der  höheren  überall  festgehalten  werden  mufs,  wo  sie 
nidit  durch  ganz  besondere  Verhältnisse  gerechtfertigt  erscheint. 
Mit  Nachdruck  wird  auch  schon  in  diesem  Vortrag  vom  Jahre  1876 
darauf  hingewiesen,  was  heute  keinem,  der  Bescheid  weifs,  mehr 
verborgen  ist,  dals  öberall  da,  wo  zu  Gunsten  der  Simultan- 
schulen  die  sogenannte  Parität  geltend  gemacht  wird,  das  evan- 
gelische Element  im  Niedergang  ist.  Die  Zustande  in  Öster- 
reich reden  eine  laute  Sprache.  Zu  beachten  ist  ferner  der 
Nadiweis  für  folgende  Sätze:  „Verleugnung  des  religiösen,  des 
christlichen,  des  evangelischen  Faktors  in  unserem  Volksleben  ist 
Yerieugnung  deutscher  Art".  „Die  Reichsgenossenschaft,  welche 
die  Gläubigen  um  das  Haupt  der  Kirche,  Christus,  schart,  ist  die 
emzige  Genossenschaft,  in  der  die  sozialen  Unterschiede  nicht 
oor  ausgeglichen  und  aufgehoben  sind,  sondern  auch  eine  Ver- 
sAhnong  mit  ihrem  Druck  und  ihrem  Leiden  möglich  ist".  Für 
Religionslehrer,  Schulleiter,  Hausväter,  Kirchen-  und  Staatsmänner 
enthilt  diese  Abhandlung  eine  Fülle  wichtiger  Anregungen  für  die 
Gestaltung  des  kirchlichen,    häuslichen.  Schul-  und    öffentlichen 

2.  „Die  Einheit  der  Schule.  Referat  gehalten  am  1.  Ok- 
tober 1884  auf  dem  dritten  Deutschen  evangelischen  Schulkongreis 
zo  Stuttgart'*. 

Dieser  Vortrag  nimmt  ähnlich  wie  die  beiden  Arbeiten  des 
Jahres  1883  eine  programmartige  Stellung  in  den  pädagogischen 
Abhandlungen  ein.  In  ihm  steigt  der  Verf.  auf  eine  noch  höhere 
Warte,  indem  er  einer  einheitlichen  Didaktik  und  Pädagogik  für 
bUere  und  niedere  Schulen  das  Wort  redet,  die  Förderung  nach- 
iretst,    welche   jede   didaktische  Durcharbeitung   des   Lehrstoffes, 

9* 


132  0.  Frick,  Schalredeo, 

notwendig  der  wissenschafilichen  Durchdringung  des  Materials 
bringen  mufs,  und  den  Lehrern  an  den  höheren  Schulen  die 
Föhrerrolle  in  der  Behandlung  der  unzähligen  grofsen  Fragen  des 
Unterrichts  und  der  Erziehung  zuweist. 

3.  Die  Möglichkeit  der  Einheitsschupe.  In  diesem 
Vortrag  tritt  der  Verf.  för  eine  Gymnasium  und  Realgymnasium 
verschmelzende  höhere  Einheitsschule  mit  Beibehaltung  des  Grie- 
chischen för  alle  Schuler  ein.  Bedeutsam  bleiben  in  dieser  Ab- 
handlung auch  für  diejenigen,  welche  dem  Verf.  in  der  Forderung 
der  Kenntnis  der  griechischen  Sprache^)  för  alle  Gebildeten  nicht 
folgen  können,  die  Richtlinien,  welche  hier  bereits  für  die  Aus- 
wahl der  Unterrichtsgegenstände  gezogen  werden.  Sie  werden 
weiter  geföhrt  und  tiefer  begründet  in  den  Aufsätzen  der  zweiten 
Reihe  Ib,  6:  „Allgemeine  Gesichtspunkte  für  eine  didaktische 
Stoffauswahl'\  7.  „Aphorismen  zur  Theorie  eines  Lehrplans  be- 
treffend die  Klassenlektüre  der  Prima'*  und  8.  „Unmafsgebliche 
Vorschläge  zur  Gestaltung  des  neuen  Gymnasiallehrplans'',  sowie 
endlich  in  dem  unter  I  a  4  eingeordneten  Ref.  über  „Die  Arten 
der  höheren  Schulen",  welches  der  Verf.  för  die  bekannte  Ber- 
liner Konferenz  1891  ausgearbeitet  hat.  Das  gemeinsame  Thema 
dieser  Abhandlungen,  die  hätten  zusammengestellt  werden  sollen, 
ist  die  Theorie  eines  Lehrplans  för  die  höheren  Schulen.  Als 
Grundlage  dienen  diesen  Aufstellungen  noch  die  Untersuchungen 
Ib4  „Über  die  praktische  Bedeutung  des  Apperceptionsbegriffes 
für  den  Unterricht"  und  I  b  5  „Zur  Charakteristik  des  elemen- 
taren und  typischen  Unterrichtsprinzips'',  welche  zwar  auch  der 
Unterrichtsweise  im  einzelnen  die  rechten  Wege  zeigen,  vor  allem 
aber  für  die  Ordnung  des  Lehrplans  im  einzelnen  und  im  ganzen 
die  fruchtbarsten  Anregungen  geben,  wie  sie  eben  in  den  obigen 
Abhandlungen  verwertet  sind.  Es  ist  unmöglich,  von  der  Fülle 
der  in  diesen  Abhandlungen  vorgeführten  Erwägungen  auch  nur 
ein  schattenhaftes  Bild  zu  geben.  Nur  einiges  Wenige  sei  an- 
gedeutet. 

Der  landläufige  Grundsatz:  „För  den  Schuler  ist  das  Beste 
gerade  gut  genug'',  ist  berechtigt  und  wird  anerkannt,  aber  er 
reicht  nicht  hin.  Soweit  es  auf  das  Objekt  ankommt,  mufs,  wie 
schon  Kern  gefordert,  noch  engere  Beschränkung  auf  das  „Ele- 
mentare und  Fundamentale"  eintreten;  nur  diejenigen  typischen 
und  wahrhaft  klassischen  Vertreter  und  Erzeugnisse  der  Litteratur 
z.  B.  dürfen  gewählt  werden,  welche  ihr  Wesen  am  vollkommen- 
sten und  durchsichtigsten  zum  Ausdruck  bringen,  nicht  Äschylus 
und  Euripides,  so  fruchtbar  sie  auch  an  sich  gemacht  werden 
mögen,  sondern  Sophokles,  nicht  Plutarch,  sondern  Xenophon  und 
Thukydides  u.  s.  w. 

>)  Nor  daram  handelt  es  sich.  Dicht  om  die  EiofUhrung  in  die  grie- 
chische Litteratur,  was  bis  zu  einem  gewissen  Grade  auch  durch 
ÜbersetzuDgeu  geschehen  kann. 


angez.  von  F.  Zange.  133 

Aber  es  genögt  überhaupt  nicht,  sich  von  der  Rucksicht  auf 
das  Objekt,  den  Lehrgegenstand  leiten  zu  lassen;  Einheitlichkeit 
und  ein  geschlossenes  Zusammenwirken  kann  in  die  Vielheit  der 
Gegenstände  nur  gebracht  werden  durch  die  Beziehung  auf  das 
Subjekt  des  Zi^llngs,  auf  die  an  diesem  zu  treibende  Bildungs- 
arbeit. Es  kommt  an  auf  eine  planmäfsige  einheitliche  Ausge- 
staltang  der  gesamten  Innenwelt  des  Zöglings,  wie  sie  sich  in 
dem  Wesen  und  den  Strebungen  der  menschlichen  Seele,  dem 
empirisch -ästhetischen,  dem  spekulativen,  dem  ethischen,  dem 
sympathetischen,  dem  soaialen,  dem  religiösen  Interesse  oOenbarL 
Ausbildung  von  festen  Gedankenkernen  und  Centren  als  Apper- 
ceptions-Kernen  und  -Massen,  das  ist  die  andere  Forderung,  wel- 
cher neben  dem  Zurückgehen  auf  das  Elementare  und  Funda- 
mentale genögt  werden  mufs  bei  der  Aufstellung  eines  Lehrplans. 
Beispiele  wie  die  Zusammenstellung  der  gesamten  Lektüre  der 
Prima  I  S.  487,  Griechische  Geschichte  in  Quarta  I  S.  421,  StoiT- 
pläne  für  Naturbeschreibungen  im  dritten,  vierten,  fünften,  sech- 
eten,  siebenten  und  achten  Schuljahr  S.  451,  StofTauswahl  für  den 
Lebrplan  der  Gymnasien  S.  430  und  508  in  tabellarischer  Ober- 
siebt erläutern  die  aufgestellten  Grundsätze. 

Obwohl  diese  Proben  zum  Teil  sehr  ins  einzelne  gehen  und 
nberall  die  Fühlung  mit  der  praktischen  Erfahrung  offenbaren, 
so  beansprucht  doch  der  Verf.  nicht,  etwas  Endgültiges  vorgelegt 
zu  haben.  Er  weifs,  dafs  die  energische  Arbeit  einer  ganzen 
Generation  dazu  gehört,  um  einen  befriedigenden  Lehrplan  zu 
schaffen.  Aber  wer  es  auch  unternimmt,  für  eine  ganze  Schule 
oder  für  einzelne  Fächer  einen  neuen  Lehrplan  zu  entwerfen,  der 
wird  an  diesen  grundlichen  und  umsichtigen  Arbeiten  nicht  vor- 
beigehen dürfen.  Man  darf  wohl  sagen,  dafs  seit  der  Aufstellung 
des  ausgeführten  Lehrplans  für  die  achtklassige  Volksschule  von 
Rein,  Pickel  und  Scheller  die  Lehrplanarbeit  nicht  wieder  so  ener- 
gisch und  gründlich  angefafst  worden  ist,  als  in  diesen  Vorarbeiten 
for  einen  Lehrplan  des  Gymnasiums. 

Neben  diesen  Abhandlungen,  welche  sich  um  die  Theorie  des 
Lehrplans  drehen,  sind  unter  den  Fragen  zur  allgemeinen  Didaktik 
noch  besonders  zu  beachten  diejenigen  Aufsätze,  welche  die  unter- 
ricfaÜJche  Arbeit  selbst  behandeln,  wie  der  „Didaktische  Kate- 
chismus" mit  den  Hauptteilen  A.  betreffend  den  psychischen 
Lern-  und  Lehrprozels  in  dem  erziehenden  Unterricht,  B.  betr. 
die  Kunst  des  erziehenden  Unterrichts  (Ib2),  „Das  Schöpfe- 
rische in  der  unterrichtlichen  Arbeit'*  (Ib9),  „Bemerkungen 
ober  das  Wesen  des  Naturgefühls  und  seine  Pflege  im  Unterricht'* 
(Ib  10),  „Bemerkungen  über  das  Wesen  und  die  unterrichtliche 
Pflege  des  Heimatsgefühles*'  (Ib  11),  „Bemerkungen  über  die  Art 
und  Kunst  des  Sehens**  (Ib  12)  und  „Winke  betreffend  die  An- 
eignung der  Kunst  des  Erzählens**  (Ib  13),  sowie  im  II.  Band  die 
drü  Aufsätze:    „Robmaterial   didaktischer  Richtlinien  zur   ersten 


134  0.  Frick,  Schalreden, 

Handreichung  für  Anfänger''  (I  b  14),  „Die  Memorierarbeit  in  den 
untern  Klassen''  (I  b  15)  und  „Die  Mission  in  der  Schule". 

Diesen  allgemeinen  Erörterungen  wichtiger  didaktischer  Fra- 
gen und  Aufgaben  gehen  zur  Seite  Spezialabhandlungen  über  be- 
sondere Unterrichtszweige  und  Unterrichtsgegenstände,  wie  „über 
den  Religionsunterricht  an  höheren  Schulen"  (I  a  8),  „über  die 
Mission  in  der  Schule"  (II  b  16),  ober  ,,den  grammatischen  Unter- 
richt in  der  Muttersprache'*  (II  3) ,  ,,über  die  Lektüre  der  deut- 
schen Lyriker  in  den  oberen  Klassen  der  höheren  Schulen"  (11  4), 
„Aus  dem  Homerheft  meiner  Primaner"^n  7),  Materialien  für  den 
Geschichtsunterricht  in  Quinta  (H  8),  Aus  dem  Geschichtsheft 
meiner  Obersekundaner  (II 13),  „Typische  Dispositionen  aus  dem 
geographischen  Unterricht"  (ü  14),  „Stoffauswahl  für  den  Ge- 
schichtsunterricht in  Quinta"  (II  9)  und  eine  ganze  Reihe  ein- 
zelner Lehrproben  wie  „Zur  elementaren  Behandlung  von  Thukyd. 
VU  c.  70,  71;  „Tarent  und  Pyrrhus"  (II  11),  „Die  römische  Kö- 
nigsgeschichte" (II 10)  und  eine  ganze  Sammlung  unter  dem  Titel: 
„Mitteilungen  aus  der  Praxis  des  Seminarium"  u.  s.  w. 

Vier  Abhandlungen  sind  der  Lehrerbildungsfrage  gewidmet, 
die  bereits  besprochene  über  das  Seminarium  p.,  sodann  „Mit- 
teilungen aus  der  Arbeit  im  Seminar"  (I  c.  2),  „Winke  betreffend 
eine  pianmäfsige  Anleitung  der  cand.  probandi  (I  c.  3),  und  „His- 
cellen  zur  Lehrerbildungsfrage"  (I  c.  4). 

In  allen  diesen  Arbeiten  zeigt  sich  eine  grundliche  Vertraut- 
heit mit  der  gesamten  einschlagenden  pädagogischen  und  wissen- 
schaftlichen Litteratur,  überall  eine  ebenso  Achtung  gebietende 
Selbständigkeit  der  Anschauung  und  des  Urteils  wie  ehrliche  An- 
erkennung und  treue  Verwertung  fremder  Leistung,  überall  das 
redliche  Bestreben,  Theorie  und  Praxis  in  Einklang  zu  setzen, 
alle  Kräfte  zur  Ausgestaltung  einer  rationellen  Didaktik  heranzu- 
ziehen und  so  dahin  zu  wirken,  dafs  „die  Lehrer  an  den  höheren 
Schulen  als  führende  die  Behandlung  der  unzähligen  grofsen  Fra- 
gen des  Unterrichts  und  der  Erziehung  in  die  Hand  nehmen". 

Zum  Schlufs  müssen  wir  noch  auf  eine  Arbeit  die  Auf- 
merksamkeit lenken,  welche  wie  eine  Probe  auf  das  Exempel  der 
Lebensarbeit  des  Entschlafenen  dasteht.  Es  ist  die  Beantwortung 
der  sieben  Kaiserfragen,  jener  Fragen,  welche  Kaiser  Wilhelm  II 
der  bekannten  Berliner  Konferenz  als  seine  eigenste  Willensmei- 
nung vorlegte»  zu  bezeichnend  für  die  Stellung  des  Entschla- 
fenen in  dem  Kampfe  um  die  Schulreform,  als  dafs  wir  sie  in 
dieser  Besprechung  übergehen  dürften.  Die  Fragen  lauteten  be- 
kanntlich: 

1.  Was  soll  aufser  dem  rationeller  zu  verwendenden  Turnen 
für  die  Schulhygiene  geschehen? 

2.  Ist  die  Ermäfsigung  der  Lehrziele,  also  die  Veriiainderung 
des  Lehrstoffs,  scharf  ins  Auge  gefafst  und  wenigstens  das  Aus- 
zuscheidende genau  festgestellt? 


«Bgez.  voD  F.  Zange.  135 

3.  Sind  die  Lehrpläne  klassenweis  für  die  einzelnen  Fächer 
festgelegt? 

4.  Sind  Cur  die  neue  Lehrmethode  wenigstens  die  Hauptpunkte 
aufgesteUt? 

5.  Ist  der  in  den  Prüfungen  bisher  zu  Tage  getretene  Ballast 
für  immer  beseitigt  und  dadurch 

6.  auch  der  noch  durch  andere  Mittel  zu  bekämpfenden 
Oberburdung  für  die  Zukunft  vorgebeugt?  und  schliefslich 

7.  wie  ist  die  Kontrolle  gedacht,  ohne  welche  all  das  wohl- 
meinend Geplante  doch  nur  auf  dem  Papier  bleibt?  Ist  hinrei-r 
chend  auf  regelmäfsige  und  aufserordentliche  Revisionen  durch  die 
verschiedenen  Oberbehörden  Bedacht  genommen? 

Im  Vorwort  sagt  Frick: 

„Es  ist  sofort  deutlich,  dafs  die  Kaiserfragen  eine  sehr 
weseDtlicbe  Ergänzung  der  14  von  dem  Ministerium  gestellten 
Fragen  bilden.  Es  fehlte  die  Frage,  in  welchen  Punkten  und  in- 
wieweit die  gegenwärtig  in  betreff  der  höheren  Schulen  erhobenen 
Klagen  begründet,  wo  sie  als  völlig  unbegründet  einfach  abzu- 
weisen, wo  die  etwaigen  Mängel  nur  von  besonderen  Verhält- 
nissen abhängig  und  darnach  zu  behandeln,  wo  sie  schon  durch 
einzelne  MaXsnahmen  und  Verordnungen,  wo  nur  durch  eine  all- 
gemeine Neuordnung  zu  beseitigen  sind. 

Eine  Prüfung  und  Untersuchung  gerade  dieser  Punkte  kam 
in  den  Verhandlungen  der  Berliner  Konferenz  nicht  genügend  zu 
ibreoa  Recht.  Die  vorhandenen  Mängel  wurden  nur  gelegentlich 
gestreift ;  auf  Seiten  der  Schulmänner  war  die  Neigung  vorhanden, 
die  Schuldfrage  allzusehr  zu  verneinen;  die  Laien  hatten  mancher- 
lei anf  dem  Herzen,  wurden  aber  fort  und  fort  von  den  Vertre- 
tern der  Schule  ermahnt,  nicht  zu  „generalisieren'^  So  blieb 
vieles  unausgesprochen  oder  wurde  nur  im  Vorübergehen  gestreift, 
was  doch  in  weiten  Kreisen  und  sehr  lebhaft  als  ein  offenbarer 
Schaden  empfunden  wird,  z.B.,  um  nur  eines  zu  nennen:  die 
Extemporalenot.  Hier  treten  nun  die  Kaiserfragen  ergänzend  ein. 
Sie  richten  die  Aufmerksamkeit  auf  diejenigen  Punkte,  wo  Mängel 
allgemeiner  Art  offenbar  vorhanden  sind,  treffen  den  innersten 
Kern  derselben  und  verlangen  eine  Antwort,  welche  zugleich 
die  Wege  einer  Abhülfe  weisen  soll.  Wer  hat  den  Mut, 
die  Fragen  2 — 6  mit  einem  entschiedenen  Ja  zu  beantworten? 
Wer  muls  damit  nicht  auch  zugestehen,  dafs  die  Voraussetzung, 
weldie  den  Kaiserfragen  zu  Grunde  liegt,  zutreffend  ist,  dafs  in 
recht  wesentlichen  Punkten  unser  höheres  Schulwesen  einer  Re- 
form fähig  und  bedürftig  ist?  Und  wer  wollte  denn  nicht  auch 
das  einraomen,  dafs  diejenigen  unter  uns  Lehrern  den  höheren 
Schulen  den  besten  Dienst  erweisen,  welche  auf  klar  erkannte 
MiDgel  selbst  den  Finger  legen,  sich  zum  Organ  berechtigter 
Wünsche  machen,  die  Mittel  der  Abhülfe  aufzeigen  und  damit  den 


136  0.  Frick,  Schalreden,  ungez.  von  F.Zange. 

zunächst  beteiligten  Kreisen  der  Familie  die  sicherste  Gewähr  für 
eine  Abstellung  solcher  Obelstände  bieten? 

Die  sieben  Fragen  geben  zugleich  aber  auch  planmäfsig  den 
Weg  an,  welchen  die  Prüfung  solcher  Schäden  einzuschlagen  hat. 
Denn  sie  bilden  unter  sich  ein  geschlossenes  System  pädagogischer 
Erwägungen. 

So  stellen  diese  sieben  Kaiserfragen  in  einem  einheitlichen 
Gedankenzuge  ein  organisches  Gebilde  dar,  wie  es  selbst  die  Pä- 
dagogen von  Fach  nicht  zweckmäfsiger,  YoUständiger  und  zugleich 
einfacher  halten  ersinnen  können". 

Schon  dieses  Vorwort  läfst  erkennen,  wie  und  mit  welchem 
Rüstzeug  die  Kaiserfragen  beantwortet  werden.  Die  runde  Ant* 
wort  auf  Nr.  2,  3,  5,  7  ist  „Nein",  auf  6  „Noch  nicht  genügend**, 
auf  4  „Ja  —  aber!"  (!)  Das  Rüstzeug  aber,  womit  gezeigt  wird, 
was  zu  geschehen  hat,  damit  man  auf  alle  Fragen  mit  einem 
freudigen  „Ja!"  antworten  könne,  ist  die  auf  den  gründlichsten 
wissenschaftlichen  Studien  und  einer  stets  vom  ernstesten  Nach- 
denken geleiteten  dreifsigjährigen  Erfahrung  ruhende  Pädagogik 
und  Didaktik  des  Verewigten,  wie  sie  in  den  „Schulreden"  und 
„Abhandlungen"  vor  uns  liegt. 

Man  hat  Frick  unter  die  Realisten  auf  dem  Gebiete  der  Pä- 
dagogik gezählt.  Das  ist  sehr  mifsverständlich.  Ja,  er  war  sehr 
weltoffen.  Er  hatte  einen  so  klaren  und  sicheren  Blick  für  die 
realen  Bedürfnisse  der  Gegenwart,  wie  man  ihn  bei  den  Männern 
der  Schule  selten  findet.  Und  diesen  Bedürfnissen  der  Gegen- 
wart, frei  von  allen  Vorurteilen,  unbekümmert  um  traditionelle 
Schulmeinungen  auch  bei  der  Gestaltung  des  höheren  Unterrichts, 
des  klassischen  wie  des  modernen,  Rechnung  zu  tragen,  darin 
bestand  sein  Realismus.  Er  war  frei  von  allem  Doktrinarismus 
und  Formalismus.  An  wahrem  Idealismus  aber,  dem  die  unsicht- 
bare Welt  ewiger  Ideen  als  das  allein  wahrhaft  Reale  gilt,  dürfte 
er  keinem  anderen  Pädagogen  der  Neuzeit  nachgestanden  haben. 
Gerade  von  allem  Scheinwesen  einer  blofs  äufserlichen,  zufalligen, 
es  sei  formalistischen  oder  materialistischen  Ausbildung  die  Gym- 
nasialpädagogik freizumachen  oder  freizuhalten  und  wahre  Bildung, 
„die  Verklärung  der  jungen  Seelen  zur  Harmonie  des  inneren 
Lebens  mit  der  Welt  in  sich,  um  sich  und  über  sich  hinein  in 
die  Wahrheit  des  ewigen  Lebens"  ihr  als  Aufgabe  zuzuweisen, 
das  war  das  ebenso  idealistische  wie  wahrhaft  realistische  Ziel, 
welchem  er  vom  Anfang  seiner  pädagogischen  Wirksamkeit  bis  zu 
seinem  Ende  nachstrebte.  Mögen  die  vorliegenden  Sammlungen 
seiner  Reden  und  Abhandlungen  dazu  dienen,  den  ernstgesinnten 
Pädagogen  auch  noch  nach  seinem  Tode  unter  uns  lebendig  und 
die  von  ihm  angeschlagene  Bewegung  im  Flufs  zu  erhalten,  zum 
Segen  für  unsere  Jugend  und  zum  Heile  des  Vaterlandes! 

Erfurt.  F.  Zange. 


Heidrieli,  B&lfsb.  f,  d.  Religioosnoterr.,  tgz.  v.  Heidemann.     137 

B.   Heidrich,    Hüirsbuch    für    deo    ReligioDsuBterricht    in    den 
obereD  Klassen.     Berlin  1893,  J.  J.  Heines  Verlag.     248  S.  8.    3  M. 

Auf  das  für  den  Lehrer  bestimmte  Handbuch  für  den  Re- 
ligionsunterricht hat  der  Verf.  in  diesem  Jahre  ein  Hülfsbuch 
för  den  Religionsunterricht  folgen  lassen,  welches  den  Schülern 
der  oberen  Klassen  in  die  Hand  gegeben  werden  soll.  Es  lehnt 
sich,  248  Seiten  umfassend,  durchweg  an  das  erstere  Werk  an 
und  behandelt  in  drei  Abschnitten,  wie  das  Handbuch  in  drei  Teilen, 
die  heilige  Geschichte,  die  Kirchengeschichte  und  die  christliche 
Glaubenslehre,  indem  es  die  Hauptergebnisse  des  gröfseren  Werkes 
korz  zusaramenfafst.  Handbuch  und  Hülfsbuch  ergänzen  sich 
somit,  ]a  erfordern  einander,  da  die  besondere  Art  und  Weise,  wie 
der  Verf.  den  Reh'gionsunterricht  nach  seinem  Handbuche  erteilt 
wBsen  will,  einen  entsprechenden  Leitfaden  zum  Nachlesen  und 
zur  Repetilion  in  den  Fländen  der  Schüler  wünschenswert  er- 
seheinen läfst.  Es  versteht  sich  von  selbst,  dafs  das  Hülfsbuch 
in  demselben  Geiste  geschrieben  ist  wie  das  Handbuch.  —  Bei 
der  Darstellung  der  biblischen  Geschichte  des  A.  und  N.  Test. 
vermifst  man  freilich  die  Berücksichtigung  der  Bibelkunde,  welche 
gerade  in  dem  Handbuche  von  dem  Verf.  sehr  eingehend  behandelt 
worden  ist  und  bei  der  Bibellektüre  nicht  wohl  entbehrt  werden 
kann.  Der  Verf.  giebt  dem  Schüler  nur  „einen  Überblick  über 
die  Entwicklung  der  heiligen  Geschichte",  erzählt  dabei  aber  nicht, 
wie  das  häufig  geschieht,  einfach  die  Thatsachen  der  biblischen 
Geschichte,  sondern  er  ordnet  den  Stoff  nach  allgemeinen,  grofsen 
Gesichtspunkten.  In  einem  Abschnitte  mit  der  Überschrift: 
,,Die  Gesetzesreligion  nach  ihrer  Begründung  und  ihrem  Wesen'^ 
fafst  er  die  Hauptsachen  der  alttestamentlichen  Gesetzgebung  zu- 
sammen, indem  er  den  Schüler  über  den  Namen  Gottes,  den  Bund 
Gottes  mit  Israel,  den  Dekalog,  die  Bundeslade,  die  Stiftshütte, 
den  Tempel,  die  Feste,  Opfer,  das  Priestertum  u.  dergl.  belehrt. 
Ebenso  zweckgemäfs  sind  die  folgenden  Abschnitte  bearbeitet, 
welche  die  Überschriften  tragen:  „Die  Hoffnungen  der  Frommen 
des  A.  Bundes;  die  Propheten  und  die  Weissagung^*,  und  ferner: 
,,Der  Glaube  der  Frommen  des  A.  Bundes  nach  den  Psalmen,  den 
Spruchen  Salomos  und  dem  Buche  Hiob".  In  ihnen  ist  weit 
Zerstreutes  und  doch  innerlich  Verwandtes  einheitlich  zusammen- 
gefafst  nnd  übersichtlich  gruppiert.  Gerade  auf  diesem  Wege 
wird  es  den  Schülern  leicht  gemacht,  „Inhalt  und  Zusammenhang 
der  Heiligen  Schrift*'  zu  erfassen,  wie  es  das  Reglement  für  die 
Reifeprüfung  vorschreibt.  —  Um  dem  Religions- Lehrplane  vom 
6.  Januar  1892  zu  genügen,  hat  der  Verf.  dem  Hülfsbuche  noch 
mehrere  wertvolle  Zugaben  beigefügt.  Da  die  christliche  Glaubens- 
lehre im  AnscbluTs  an  die  Lektüre  des  Römerbriefes  oder  der 
Confesfiio  Angnstana  vorgetragen  werden  soll,  so  bietet  das  Buch 
auch  eine  genaue,  klare  Analyse  des  ersteren  und  eine  sachgemäfse 
Gruppierung  der  Artikel  der  letzteren  dar,  in  welcher  die  Artikel 


13S         Fr.  Kirehner,  Die  deatsche  Natiooallitteratar, 

mit  Terwandtem  Inhalte  zusammengestellt  und  autserdem  durch 
Anmerkungen  erläutert  sind.  In  einem  besonderen  Abschnitte, 
genannt  das  Kirchenbuch,  findet  der  Schüler  Belehrung  über 
die  Bibel,  die  Bibelübersetzungen,  die  evangelischen  Bekenntnis- 
Schriften,  den  Gang  des  evangelischen  Gottesdienstes,  das  Gesang- 
und  Cboralbuch  und  das  Kirchenjahr.  Ein  letzter  Abschnitt  end- 
lich, das  Lernbuch  genannt,  enthält  den  eigentlichen  Memorier- 
stoif,  besonders  Luthers  kleinen  Katechismus  mit  dem  revidierten 
Texte  und  eine  Auswahl  von  Kirchenliedern.  —  Sprache  und 
Darstellung  des  Hülfsbuches  sind  im  übrigen  klar  und  einfach  und 
dem  Verständnisse  von  Schülern  angemessen.  Nur  die  Bezeich- 
nung des  jüdischen  Halljahres  durch  Jobeljahr  (S.  10)  hat  für  den 
des  Hebräischen  nicht  kundigen  Schüler  etwas  Befremdendes.  Da 
das  hebräische  Wort  Jobel  dem  Sinne  nach  unserem  Jubel  ent- 
spricht, so  würde  der  auch  sonst  übliche  Ausdruck  Jubeljahr 
vorzuziehen  sein.  Schliefslich  sei  noch  bemerkt,  dals  der  Satz 
S.  206,  in  welchem  von  „den  würdigen  Tönen  der  den  ganzen 
Kirchenraum  ausfüllenden  Orgel*'  die  Rede  ist,  einer  leichten 
stilistischen  Änderung  bedarf,  denn  es  sind  doch  die  Töne,  welche 
den  ganzen  Kirchenraum  ausfüllen,  nicht  die  Orgel. 

Berlin.  J.  Heidemann. 


Fr.  Rirchner,  Die  deutsche  Nationallitterator  des  oeonzehoteD 
Jahrhunderts.  Heidelberg  1893,  Georg  WeiTs.  Lfg.  1— 2.  Voll- 
staodig  iD  7  Lieferaageo.    je  1  M. 

Herr  Professor  Kirchner  schreibt  so  ziemlich  jedes  Jahr  ein 
oder  mehrere  gelehrte  Werke.  Aus  den  Titeln  seiner  Bücher,  die 
ich  zum  gröfsten  Teile  erst  aus  dem  vorliegenden  neuesten  Er- 
zeugnis kennen  gelernt  habe,  schliefse  ich,  dafs  er  von  Haus  aus 
Philosoph  ist,  und  diese  seine  Eigenschaft  ist  auch  ganz  besonders 
dieser  Litteraturgeschichte  des  19.  Jahrhunderts  zugute  gekommen. 
Wo  er  sich  sonst  schon  auf  das  Gebiet  der  Litteraturgeschichte 
begeben  hatte,  z.  B.  mit  seinem  „Synchronismus  der  deutschen 
Nationallitteratur**  und  jüngst  mit  seinem  „Gründeutschland'S  hat 
er  nicht  viel  Lob  geerntet,  aber  für  manche  Strömungen  unserer 
Litteratur  bringt  er  in  seinen  philosophischen  Studien  ein  be- 
währtes und  geradezu  unentbehrliches  Rüstzeug  mit.  Die  buch- 
händlerische „Voranzeige^*  dieses  seines  neuesten  Buches  hebt  her- 
vor, dafs  er  „Dozent  für  Litteraturgeschichte  an  der  Humboldt- 
Akademie  zu  Berlin'*  sei,  und  das  Buch  verrät  deutliche  Spuren, 
dafs  es  aus  Vorlesungen  vor  dem  bildungsbeOissenen  Herren-  und 
Damenpublikum  Berlins  hervorgegangen  ist.  Es  hat  einen  popu- 
lären Zweck.  Es  soll  *eine  ebenso  angenehme  als  nützliche 
Lektüre'  sein,  und  deshalb  ist  die  Darstellung,  wie  die  Voranzeige 
sagt,  'gründlich  ohne  gelehrt-pedantisch,  populär  ohne  seicht  zu 
sein'.    Ich  stimme  dem  zu,  soweit  die  philosophische  Behandlung 


an^ez.  voo  G.  Boetticher.  139 

reichi,  ui^d  wenn  auch  die  Ansprüche,  die  der  Verf.  an  das  Ver- 
ständnis eines  greiseren  Leserkreises  stellt,  nicht  gering  sind,  so 
ist  das  kein  Schade  für  das  Buch.  Die  Transzendentalphilosophie 
an  der  Schwelle  des  19.  Jahrhunderts  läfst  sich  nun  einmal  nicht 
popularisieren. 

Auch  sonst  verdient  manches  Anerkennung.  Verf.  ver- 
ehrt im  wesentlichen  biographisch  und  zeigt  den  Zusammen- 
hang  der  Werke  mit  der  ganzen  Entwicklung  und  Eigenart 
des  Dichters.  Diese  Analysen  sind  kurz,  heben  das  Wesent- 
liche meist  treffend  heraus  und  sind  zugleich  so  gehalten,  dafs 
der  sittliche  und  nationale  Wert  der  betr.  Werke  erkennbar 
ist  Der  Mafsstab,  den  der  Verf.  hierbei  anlegt,  ist  der  einer 
religiös  bestimmten  Sittlichkeit,  ohne  dafs  sich  darüber  etwas 
Näheres  sagen  liefse«  Er  läfst  nur  seine  Abneigung  ebenso  gegen 
die  seichte  Aufklärung  wie  gegen  den  Mystizismus,  ebenso  gegen 
Fichteschen  und  Schleiermacherschen  Pantheismus  und  Subjektivis- 
mus wie  gegen  konfessionellen  Dogmatismus  durchblicken.  Jeden- 
falls haben  wir  es  nicht  mit  einer  einseitigen  Parteirichtung  zu 
thuD,  sondern  mit  im  ganzen  unparteiischer  Würdigung  des  ethisch 
Wertvollen  auf  allen  Seiten.  Um  so  lieber  hätte  man  daher  auch 
auf  gelegentliche  kleine  Ausfälle  und  Bemerkungen,  die  vieUeicht 
für  das  Publikum  der  Humboldt-Akademie  berechnet  waren,  ver- 
zichtet. Aber  auch  des  Bedenklichen  ist  in  dem  Buche  nicht 
wenig,  r^ebenbei  erwähnt  sei  nur  die  ganz  unzureichende  Be- 
kanntschaft des  Verf.s  mit  dem  deutschen  Hittelalter  und  seiner 
Litteratur,  wie  sie  S.  6  hervortritt.  Störender  ist,  dafs  er  sich 
in  dem  an  sich  löblichen  Streben  nach  Kürze  bei  den  Inhalts- 
skizzen der  Dichtungen  öfter  unklar  ausdrückt  oder  doch  dem 
Gehalt  derselben  nicht  gerecht  wird.  Von  Kleists  'Penthesilea' 
z,B.  heifst  es  S.  103  ganz  unverständlich:  „Die  Amazonenkönigin 
ist  voll  Ehrbegier  und  Kriegslust  vor  Troja  erschienen,  um  Achill 
zu  besiegen.  Da  er  sie  aber  überwunden,  wagen  ihre  Gefährtinnen 
nicht  ihr  dies  zu  sagen,  und  der  Held  . .  .  bestärkt  sie  in  ihrem 
Wahne".  Oder  vom  Käthchen  von  Heilbronn:  „Käthchen  .  .  .  . 
störzt  sich,  als  einst  Wetter  vom  Strahl  in  die  Werkstatt  tritt, 
ihm  nach  aus  dem  Fenster  und  bricht  die  Beine'S  Ähnliches 
findet  sich  öfter. 

Die  ganze  Besprechung  von  Kleists  Dramen  verrät  ferner, 
dafs  Kirchner  für  manche  Seiten  der  Romantik  wenig  Verständnis 
hat.  Gerade  die  mystische  Richtung  auf  das  Übersinnliche,  dieses 
Haschen  nach  den  Geheimnissen  des  Seelenlebens,  darf  doch 
nicht  unterschätzt  werden.  Kirchner  bebandelt  diese  bei  Kleist 
so  stark  hervortretende  Seite  nur  obenhin  als  eine  lächerliche 
Beigabe  der  Romantik  und  insbesondere  eine  gewissermafsen 
koraisehe  Ader  bei  Kleist,  aber  damit  nimmt  er  dem  Käthchen 
sowohl  wie  dem  Prinzen  von  Homburg  den  Lebensnerv.  Derselbe 
MaogeJ  tritt  auch  in  der  Beurteilung  der  Schicksalstragödie  hervor. 


140     G*  Boetticher,  Parzival  von  Wolfram  v.  Eschenbach, 

Sie  ist  auch  keine  blolse  Schrulle,  wie  sie  Kirchner  aufzufassen 
scheint,  sondern  sie  soll  —  so  hat  sich  einmal  HotTmann  oder 
Houwald  selbst  geäufsert  —  das  Hineinragen  einer  übersinnlichen 
Welt  in  die  sichtbare,  die  Ohnmacht  und  Beschränktheit  des 
Irdischen  gegenüber  dem  Ewigen  zur  Anschauung  bringen.  Mag 
das  ungeschickt,  ja  lächerlich  ausgeführt  sein,  so  mufs  man  doch 
der  leitenden  Idee  gerecht  werden. 

Schiiefslich  noch  ein  Wort  über  den  Entwickelungsgang  der 
Litteratur  dieses  Jahrhunderts  überhaupt,  soweit  dazu  die  vor- 
liegenden zwei  Hefte  ÄnJafs  geben. 

Kirchner  stellt  neben  die  Romantiker,  zu  denen  er  Fouque, 
Ghamisso  ohne  weiteres  zählt  (erstes  Kapitel),  die  „patriotische 
Dichtung''  als  zweites  und  den  „schwäbischen  Dichterkreis'^  als 
drittes  Kapitel.  Später  werden  vielleicht  die  „österreichischen 
Dichter*'  als  viertes  folgen.  Das  ist  das  beliebte  Schema  der 
populären  Litteraturgeschicfaten,  aber  es  entspricht  dem  Sachver- 
hältnis nicht.  Wir  haben  es  mit  der  Romantik  noch  bis  zum 
jungen  Deutschland  zu  thun,  und  gerade  dieser  Entwicklungsgang 
von  den  Überspanntheiten  der  eigentlichen  romantischen  Schule 
zu  der  reineren  Herausbildung  ihrer  wirklich  gesunden  Gedanken, 
wie  sie  diese  späteren  Zweige,  die  sogenannten  Jungromantiker, 
die  Freiheitsdichter,  die  Schwaben,  die  Österreicher  zeigen,  hätte 
meines  Erachtens  gezeichnet  werden  müssen.  Dann  hätten  auch 
die  Brüder  Grimm,  die  nur  in  der  Einleitung  erwähnt  werden,  in 
diesem  Gesamtbilde  die  ihnen  gebührende  Stellung  erhalten.  Sie 
gehören  entsc-hieden  in  die  „Nationallitteratur  des  19.  Jahrhunderts** 
„voll  und  ganz''  hinein.  Erst  das  junge  Deutschland,  die  Revolu- 
tionspoesie, bricht  grundsätzlich  mit  allem,  was  romantisch  heifst, 
und  besonders  mit  der  geläuterten  Romantik.  Hier  tritt  wirklich 
ein  anderer  Geist  ins  litterarische  Leben.  So  gefafst  wird  die 
Entwickelung  der  Litteratur  des  19.  Jahrhunderts  durchsichtig,  klar 
und  verständlich,  und  Herr  Kirchner  hätte  seinen  Lesern  gewifs 
nicht  zuviel  zugemutet,  wenn  er  die  bequeme,  allerdings  populäre, 
biographische  Aneinanderreihung  diesen  höheren  Gesichtspunkten 
geopfert  hätte.  -^  Das  Werk  soll  7  Lieferungen  zu  5->6  Bogen 
umfassen.     Die  Ausstattung  ist  gut. 

Berlin.  G.  Boetticher. 


G.  Boetticher,  Parzival  von  Wolfram  von  Eachenbach.  a)  grofse 
Aasgabe  410  S.  8.  2.  Auflage.  3  M.  b)  kleine  Ausgabe  zum  Ge- 
brauche an  hb'heren  Lehranstalten.  199  S.  8.  1,20  M.  Halle  a.  S. 
1893,  Buchhandlung  des  Waisenhauses. 

Der  Verf.  hat  die  zweite  Auflage  mit  Recht  eine  verbesserte 
genannt,  da  er  überall  in  der  Dbersetzung  wie  in  der  Einleitung 
und  in  den  Anmerkungen  viel  wirklich  zum  Vorteil  geändert  hat. 
Besonders  angenehm  berührt  es,   dafs  eine  recht  erhebliche  An- 


anges.  von  C.  Rothe.  141 

lahl  uDDützer  Fremdwörter  beseitigt  und  durch  gute  deutsche 
WenduDgen  ersetzt  ist.  Gleichwohl  läfst  sich  in  dieser  Beziehung 
hier  in  einer  neuen  AuOage  noch  manches  nachholen,  so  „Beiwort'' 
für  Epitheton,  „im  besonderen**  statt  speziell  u.  a. ;  besonders  stört 
S.  66  (gr.  Ausgabe)  die  Wendung:  „Charakteristisch  vermutet 
auch  im  Hildebrandsliede  Hadubrand  .  .  /'  und  zehn  Zeilen  weiter 
^and  charakteristisch  genug  wird  daher  auch  als  Gruud- 
charakter  des  Bösen  die  Untreue  bezeichnet". 

Die  reimlosen  Jamben,  über  deren  Berechtigung  die  An- 
sichten so  geteilt  sind,  sind  beibehalten.  Vielleicht  liefse  sich 
hier  ein  Mittelweg  einschlagen  und  der  Schmuck  des  Reimes  in 
besonders  ergreifenden  Stellen  anwenden  (wie  es  Schiller  mit  den 
föDflufsigen  Jamben  nicht  selten  gethan  hat),  während  für  die 
schlichte  Erzählung  der  „Knittelvers**  genügt.  Geändert  hat  auch 
hier  der  Verf.  viel,  und  das  meiste  scheint  mir  entschiedene  Ver- 
besserung. 

ÄuHserlich  hat  die  zweite  Auflage,  namentlich  aus  Röcksicht 
auf  die  kleinere,  insofern  eine  Änderung  erfahren,  als  die  Ein- 
leitung auch  die  früheren  „Exkurse**  am  Ende  des  Buches  mit 
umfalst  und  so  geteilt  ist,  dafs  A  Wolframs  Leben  und  Werke 
(S.1— 59),  B  Kulturgeschichtliche  Erläuterungen  (S.  61— 126) 
enthält,  während  die  früheren  Anmerkungen  unter  dem  Texte  an 
den  Schlüfs  des  Buches  getreten  sind,  wo  sich  aufserdem  ein 
,^'anien-  und  Sachregister*,  eine  Übersicht  über  „das  Anjou-  und 
Gralsgeschlecht*'  und  endlich  eine  Probe  des  Originaltextes  (Lachm. 
116ts — llSio)  beGndet.  W^ir  sehen  auch  in  dieser  Anordnung  eine 
entschiedene  Verbesserung  schon  allein  für  das  Auge,  da  nun  der 
Text  regelmäfsig  fortläuft 

>Väbrend  aber  die  gröfsere  Ausgabe  im  wesentlichen  dieselbe 
geblieben  ist,  hat  der  Verf.  in  der  kleineren  Ausgabe  etwas  Neues 
nnd  wir  können  gleich  hinzufügen  recht  Brauchbares  geschaffen. 
Der  Preis  der  gröfseren  Ausgabe  und  der  Umfang  des  Gebotenen 
ist  für  den  Zweck  der  Schule  zu  grofs.  Wenn  es  auch  wün- 
schenswert ist,  dies  gehaltreichste  Werk  der  hößschen  Dichtung 
in  der  Schule  ausführlicher  zu  behandeln  als  die  anderen,  so 
reicht  doch  die  Zeit  nicht  aus,  um  es  mit  der  Ausführlichkeit 
durchzunehmen,  welche  die  gröfsere  Ausgabe  verlangt.  Dadurch, 
da£s  in  der  kleinen  Ausgabe  die  kulturgeschichtlichen  Erläute- 
rungen ganz  weggefallen  sind,  wird  ferner  auch  die  Möglichkeit 
geboten,  die  Schuler  in  Aufsäzten  oder  Vorträgen  einzelnes  sich 
selbst  zusammensuchen  zu  lassen. 

Die  Einleitung  enthält  so  in  21  Seiten  nur  das  Notwendigste 
über  das  Leben  und  die  Werke  Wolframs.  Sie  lielse  sich  zum 
Vorteil  des  ganzen  sogar  noch  um  drei  Seiten  kürzen,  wenn 
S.  16 — 19  der  „Plan  des  Gedichtes**  und  die  „Bedeutung  der 
Frage*'  weggelassen  würde.  Wie  weit  ein  Lehrer  Punkte  von 
solcber  Wichtigkeit  wie  diese  beiden  behandeln  will,  mufs  jedem 


142  Boetticher,  Parzival  v.  Wolfram  v.  Eseheabach,  agz.  y.Rothe. 

eiDzelnen  überlassen  werden.  Auch 'werden  die  Ansichten  darüber 
weit  auseinander  gehen,  und  es  ist  immerhin  mifslich,  wenn  die 
Erklärung  des  Lehrers  mit  der  im  Buche  gegebenen  nicht  über- 
einstimmt. In  solcher  Körze,  wie  es  der  Verf.  versucht,  ist 
endlich  auch  eine  verständliche  Erklärung  kaum  möglich,  und  so 
erscheint  mir  auch  wenigstens  der  Schlufs  S.  19  sowohl  in  der 
Deutung  der  Frage  verfehlt  wie  für  Schüler  unklar  und  kaum 
fafslich.  B.  schreibt  nämlich :  „Die  Wirkung  der  Frage  hängt 
nach  Wolframs  Darstellung  augenscheinlich  von  der  sittlichen  Be- 
schaffenheit des  Fragenden  ab.  Diese  (?)  zu  erweisen,  war  zu- 
nächst (?)  die  Bedingung  gestellt,  dafs  er  nicht  „gewarnt''  werden 
solle.  Ist  dieselbe  (?)  aber  nun  anderweitig  erwiesen  und  zweifel- 
los anerkannt,  so  wird  jene  Bedingung  bedeutungslos,  und  die 
Frage  thul  ihre  Wirkung  nicht  blofs  als  opus  operatum  (?!),  son- 
dern weil  sie  aus  dem  Munde  des  jetzt  sittlich  vollkommenen 
Parzivals  kommt''.  Ich  sehe  ab  von  der  nicht  glücklichen  stili- 
stischen Fassung  der  Gedanken,  ich  sehe  ab  auch  von  dem  völlig 
unverständlichen  opus  operatum,  wofür  in  der  gröfseren  Ausgabe 
„Zaubermittel'*  steht,  frage  aber,  wo  ist  auch  nur  die  geringste 
Andeutung  im  Parzival,  dafs  die  Frage  ihre  Wirkung  thue,  weil 
sie  aus  dem  Munde  eines  sittlich  vollkommenen  Mannes  kommt 
Dieser  Sinn  ist  unzweifelhaft  hineingelegt;  Wolfram  weifs  davon 
nichts.  Vielmehr  befinden  wir  uns  hier  einem  der  zahlreichen 
Widerspruche  und  Unebenheiten  gegenüber,  wie  sie  nicht  nur  bei 
Homer,  wo  man  sie  so  gern  durch  die  Annahme  verschiedener 
Verfasser  erklärt,  sondern  auch  bei  den  verschiedensten  älteren 
und  neueren  Dichtem  findet  (vgl.  meinen  Jahresbericht  über  Homer 
XIII  S.  293  fr. ,  sowie  XIX  S.  133  ff.  und  „Die  Bedeutung  der 
Wiederholungen  für  die  Homerische  Frage"  S.  167). 

Derartige  Widersprüche  sind  offen  zuzugeben  und  durch  keine 
kunstliche  Erklärung  zu  beseitigen.  Es  ist  allein  zu  zeigen,  wie 
der  Dichter  notwendig  zu  dem  Widerspruch  kommen  mubte, 
oder  aus  welchem  Grunde  er  ihn  nicht  gescheut  hat. 

So  hat  in  diesem  Falle  die  Frage  eine  doppelte  Bedeatun^;: 
sie  soll  einmal  Anfortas  von  seinen  Leiden  erlösen  und  anderer- 
seits die  sittliche  Beife  des  Fragenden  feststellen.  Damit  dem 
letzteren  Zwecke  genügt  werde,  darf  der,  welcher  fragen  soU^ 
vorher  nicht  über  die  Bedeutung  der  Frage  aufgeklärt  werden. 
Da  er  die  Frage  nun  nicht  gestellt  und  dadurch  schwere  Schuld 
auf  sich  geladen  hat,  so  ist  es  nötig,  ihm  zu  sagen,  worin  diese 
Schuld  besieht,  d.  h.  ihn  über  die  Frage  aufzuklären.  Wena 
dann  die  Frage  doch  noch  den  ersten  Zweck,  den  Anfortas  zu 
heilen,  erfüllen  soll,  so  mufs  dies  genau  so  zu  einem  Wider-- 
Spruch  fuhren,  wie  etwa  in  der  Ilias,  wo  Zeus  die  Griechen  noch 
verfolgt,  um  Achilleus  zu  ehren,  obwohl  diesem  volle  Genug- 
thuung  zu  Teil  geworden  ist,  oder  in  der  Odyssee,  wo  die  Ver- 
kappung  des  Odysseus,  die  im  13.  Buche  erzählt  und  lange  not- 


C.  Beyer,  Kleine  Poetik,  tDgeE.  von  U.  Zeroial.  143 

wendig  ist,  zuletzt  Tergessen  scheint,  weil  der  Dichter  die  gemüt- 
Hcfae  ErzählaDg  Yon  der  Wiedererkennung  der  Gatteo  so  ausfuhren 
wollte,  wie  es  jetzt  geschieht.  Lassen  wir  also  auch  hier  den 
Widerspruch  offen  vor  den  Schulern  bestehen,  so  kommen  wir 
nicht  nur  der  Wahrheit  am  nächsten,  sondern  geben  ihnen  auch 
einen  klaren  Blick  in  die  Werkstatt  des  Dichters. 

Aufser  der  Einleitung  ist  auch  der  Text  erheblich  gekürzt 
(roD  264  Seiten  der  gröfseren  Ausgabe  auf  164),  und  zwar 
überall  mit  richtigem  Takt.  Es  sind  namentlich  die  Stellen  weg- 
gelassen» welche  auf  die  Phantasie  von  Schulern  gerade  dieses 
Alters  Terderblich  wirken  können.  Wegbleiben  könnte  wohl  noch 
S.  70 — 75  die  Schilderung  des  zweiten  Zweikampfes  mit  Klamide 
(aacfa  dem  mit  Kingrun),  da  ja  zuletzt  noch  der  mit  Feireliz  so 
aosföfarlich  beschrieben  wird.  Auch  „Anfortas  und  der  Gral** 
S.  83 — 93  könnte  gekürzt  werden,  während  S.  152  wenigstens 
Parzivals  Bedenken  (Lachm.  69526*^6964),  an  den  Hof  des  Artus 
zorückzukehren,  wörtlich  wiederzugeben  waren,  da  sie  auch  er- 
klären, weshalb  er  nicht  früher  Kondwiramur,  nach  der  er  sich 
doch  so  sehnt,  hat  wiedersehen  wollen. 

Die  Anmerkungen  sind  mit  ganz  wenigen  Ausnahmen  ange- 
messen sowohl  in  der  Auswahl  des  zu  Erklärenden  als  in  der 
Erklärung  selbst  Einzelheiten  werden  sich  auf  anderem  Wege 
benchtigen  lassen.  Alles  in  allem  genommen  also  ist  diese  Aus- 
gabe ein  gutes  Hülfsmittel  für  die  Behandlung  des  gröfsten  mhd. 
Dichters  in  der  Schule. 

Friedenau.  C.  Rothe. 

C  Beyer,    Kleine   Poetik.     Für   höhere  Schalen  und  zum  Selbstanter- 
ricbt.  Stuttgart,  Deutsche  Verla|fMD8talt,  1893.   Vlirn.  127  S.  8. 1  M. 

Das  Buch,  Seiner  Majestät  dem  Könige  von  Württemberg  Wil- 
helm II  zugeeignet,  ist  ein  Abrilüs  der  vom  kgl.  wurttembergischen 
Kttltnsminisienum  zur  Einführung  in  Schulen  empfohlenen  drei- 
bändigen  „Deutschen  Poetik*'  des  gleichen  Verfassers.  Ziel  dieses 
grdlsaren  Buches  ist,  die  ihm  noch  von  Fr.  Rückert  ans  Herz  ge- 
legte deutsch-nationale  Metrik  und  Prosodik  durch  den  wissen- 
schaftlichen Ausbau  einer  echt  deutschen  Beton ungslehre  zu 
schaffen  und  zu  begründen,  und  an  den  Musterwerken  unserer  klas- 
sischen Dichter  hat  er  darzulegen  sich  bemüht,  „wie  der  deutsche 
6e»t  sein  Empfinden  in  einer  Rhythmik  zu  entfalten  vermag, 
die  auf  den  lieblichen  Wellen  des  urdeutschen  Accents  —  der 
Allgewalt  unseres  Sprachgeistes  die  Schwingen  löst*^  Jener 
„hvndige  Abrifs  aus  der  Deutschen  Poetik'*  soll  nun  ein  Leit- 
Men  für  die  Hand  des  Lernenden  sein.  Das  Wissenswerteste 
ans  dem  grofsen  Gebiete  der  deutschen  Poetik  hofft  der  Verf. 
geboten  zu  haben,  soviel  als  ein  poesieverständiger  Lehrer  ge- 
iwermaAen  als  Diktat  geben  möchte,  als  aber  auch  ein  Laie  inne- 
habeo  mufs,  wenn  er  sein  gesteigertes  Rhythmusgefühl  schön  und 


144         C'  Beyer,  Kleine  Poetik,  angez.  von  (J.  ZerBial. 

richtig  zum  Ausdrucke  briogen  will,  ja  der  Verf.  möchte  mit  diesem 
Abrisse  gern  einen  thatsächlichen  Beitrag  dazu  liefern,  die  Allge-         '^ 
roeinbildung   und    das  Allgemeinverständnis    unserer   Nation   fär        ' 
Poesie  zu  heben  und  dem  Realismus  unserer  Tage  gegenüber  in 
sonnige  Gefilde  des  Idealismus  zu  geleiten. 

Im  ersten  Teile  (S.  1 — 82)  wird  nun  die  deutsche  Verslehre        =^ 
behandelt  in  sieben  Hauptstucken:    Vorbegriffe;  Ästhetik;  dichte- 
rische Sprache;  die  Schönheitsblüten  bildlichen  Ausdrucks;  Tropen 
und  Figuren;  Betonungslehre  (Prosodik  und  Rhythmik);  Verslehre        '* 
(Metrik);    Lehre  vom  Gieichklange  (Reim);    die    Lehre   ?on    den         ^ 
Strophen;  im  zweiten  (S.  83—127)  werden  die  Dichtungsgattungen 
behandelt  in  fünf  Hauptstücken:  Charakter  der  Poesie,  Einteilung         : 
derselben;   Begriff   und  Umkreis  von  Lyrik,    Didaktik,   Epik  und        3 
Dramatik;  die  lyrischen,  die  didaktischen,  die  epischen,  die  drama-        ^ 
tischen  Diebtungen.  '^ 

Wenn  der  Teil  von  der  deutschen  Verslehre  (S.  82)  mit  der  : 
Hoffnung  schliefst,  dafs,  wenn  wir  erst  zum  Bewufstsein  von  dem  \ 
Vorhandensein  guter  deutsch-nationaler  Strophen  gelangt  sind,  für  ^ 
die  Folge  die  Bevorzugung  fremder  Strophen  der  Pflege  an-  :; 
serer,  dem  urdeulschen  Geiste  eutblühten  deutschen  i 
Strophen  weichen  mufs;  dafs  ferner  man  die  fremden  Stro- 
phen zwar  nicht  ausrotten,  sich  aber  nur  mit  ihnen  beschäftigen  i 
wird,  um  das  Gute  derselben  bei  Handhabung  jener  dem  deut-  $ 
sehen  Geiste  entsprossenen  Strophen  in  Anwendung  zu  bringen;  i 
dafs  endlich  unsere  Losung  sein  wird:  Im  neuen  deutschen  i 
Reiche  eine  deutsch  -  nationale  Strophik!  —  wenn  man  «; 
diese  Worte  liest  und  zusammenhält  mit  jenem  oben  erwähnten 
Hinweise  auf  den  Idealismus,  so  wird  niemand  sich  dem  Urteile  ^ 
entziehen,  dafs  es  dem  Verf.  heiliger  Ernst  ist  mit  seinem  Gegen-  ^ 
Stande,  und  dafs  die  Arbeit  desselben  auf  streng  wissenschaftlicher 
Grundlage  beruht. 

Zweifelhaft   nur  wird    es  wie  dem  Ref.,    so   auch  manchem 
andern  erscheinen,  ob  es  auch  nur  annähernd  möglich  sein  sollte, 
den  ganzen  oder  auch  nur   den  wesentlichsten  Inhalt  dieses  Ab-       l 
risses   in    einer  höheren  Schule   zu  besprechen.     Es  scheint  das 
um  so  weniger  möglich,   als    eine  Fülle   dem  Schüler  immerhin       ^^^ 
fernliegender,  fremdsprachlicher  Ausdrücke   zur  Erklärung  heran-       ^ 
gezogen  ist.    So  soll  das  Schöne  sich  enthüllen  in  der  Proper-       ^ 
tionalität,    die  den  Gegensatz  von  Gleichheit  und  Verschieden- 
heit auftiebt;   so   erstreben  die  Tropen  und  Figuren  die  ästhe- 
tische Farbengebung;    so    werden   die  Metaphern   geteilt   in 
vergeistigende,    versinnlichende,    materiale    und    gei- 
stige; so  werden  naive  Hyperbeln  und  Hyperbeln  der  Reflexion 
unterschieden  —  alles  sehr  feine  ästhetische Begriffsdefinitionen, 
aber  für  Schüler  teilweise  schwer  verständlich  und  sicherlich  eine 
doch  heute  um   alles    in    der  Welt   zu  vermeidende  Abweichung 
von  der  Beschränkung  auf  das  AUernotwendigste. 


Bra^maaD,  Groodr.  d.  ver^l.  Grammatik,  agz.  v.  H.  Ziemer.     145 

Der  Verf.  ,,setzt  der  altklassischen  quanlitierenden  Prosodik 
die  deutsche  accentuierende  entgegen"  —  wenige  Seiten  spater 
erscheinen  die  Namen  Jambus,  Trochäus,  Daktylus,  Anapäst,  ohne 
dafs  aach  nur  mit  einem  Worte  ausgesprochen  wird,  dafs  diese 
Namen  doch  eben  nur  der  Einfachheit  halber  geborgte  sind.  — 
Hit  Interesse  liest  man,  was  im  4.  Kapitel  der  Verslehre  (Metrik) 
„Ton  den  freien  Versarten  (Accentversen)"  gesagt  wird,  aber  auch 
hier  fehlt  es  wieder  nicht  an  Ausdrücken,  wie  „symmetrischen 
AceentTersen  (Silbenzählungsversen),  mafsföllenden  Silbenzähiungs- 
Tejrsen,  strophisch  vereinten  Accentversen ,  freien  Accentversen, 
deotschen  Hebungsversen  und  freien  Volksversen*'. 

Bei  der  Besprechung  der  Dichtungsgattungen  wird  die  Di- 
daktik ganz  selbständig  als  vierte  Gattung,  als  „subjektive  Poesie 
wie  die  Lyrik  hingestellt.  Sie  will  Wahrheiten  der  schönen  Form 
vermählen.  Von  der  Lyrik  des  Gefühls  unterscheidet  sie  sich 
dadarcb,  dafs  bei  ihr  die  Erregung  des  Gefühls  keine  unmittelbar 
diktierte  ist,  dafs  vielmehr  die  Erhebung  auf  den  Gedanken 
sich  gründet  In  diesem  Sinne  ist  die  Didaktik  als  Verstandes- 
logik aufzufassen:  als  Gedankenlyrik'^»  Schiller  und  Rückert 
werden  als  die  eigentlichen  Begründer  einer  echten  didaktischen 
Poesie  in  hohem  Sinne  bezeichnet,  bei  der  die  schöne  Form 
den  tiefen  Inhalt  decken  mufs. 

Ob  es  richtig  ist,  dafs  das  dichterische  Genie  nicht  ange- 
boren ist,  dafs  es  erworben  werden  kann  durch  angestrengten 
FleiTs,  durch  eine  Schule  der  Technik  und  des  Handwerks,  dafs 
Voraussetzung  ist  Urkräftigkeit  der  Anlagen  sowie  Gesundheit  des 
Geistes?  Das  letzte  ist  unbedingt  richtig,  aber  das,  was  wir  im 
Gegensatze  zum  Talente  Genie  nennen,  ist  auch  auf  dem  Gebiete 
der  Dichtung  angeboren. 

Berlin.  U.  Zernial. 

Karl  Brasmano,  Grnndrifa  der  vergleichenden  Grammatik  der 
indosermaniachen  Sprachen.  Schlafaliefernng :  Indicea  (Wort-, 
Sach-  aod  Aatoreniadez.  Strafabarg  1893,  Karl  J.  Tröbner.  236  S. 
gr.  8.    6  M. 

Nachdem  die  gewaltige  Arbeit  des  Brugmannschen  Grund- 
risses vollendet  worden  ist,  folgt  nun  als  wertvoller  Schluüsstein 
ein  aosföbrlicher  Registerband,  der  Schlüssel  des  Gebäudes.  Ein 
R^ister  dieses  Umfangs  dürfte  zu  den  Seltenheiten  gehören;  aber 
wie  es  einerseits  beweist,  welche  ungeheure  Formenfülle  in  dem 
„Grundrisse'^  selbst  behandelt  worden  ist,  so  zeugt  es  andrerseits 
von  dem  unermüdlichen  Bienenfleifs  des  Verf.  und  seiner  bewun- 
dernswertes Sorgfalt,  der  sich  nicht  hat  verdriefsen  lassen,  die 
notwendige,  aber  unendlich  langweilige  Arbeit  der  Registeranfer- 
tigüDg  selber  zu  leisten.  Diese  Arbeit  war  hier  durchaus  keine 
JDechaniscfae  oder  leichte.  Denn  da  im  „Grundrifs**  bei  der  Er- 
örterung der  Einzelheiten  der  Laut-  und  Formenlehre  in  der  Regel 

Z^ttehr,  C  ^  OjmaMialwes«!  XLVHL   2.  8.  IQ 


146     Brag^mana,  Grund r.  d.  vergl.  Granimatik,agz.  v.  H.Ziemer. 

als  Belege  eine  gröfsere  Anzahl  von  solchen  Wörtern  und  Wort- 
formen zusamnoengestellt  ist,  die  sich  in  mehreren  Sprachen  zu- 
gleich finden  und  auf  dieselbe  Grundform  zurückzuführen  sind, 
so  hat  Verf.  das  Wortregister  so  eingerichtet,  dafs  es  nebenher 
zur  Orientierung  in  etymologischen  Fragen,  in  solchem,  was 
Gegenstand  des  vergleichenden  Wörterbuchs  ist,  benutzt  werden 
kann.  Es  ist  auch  dem,  der  nicht  Fachmann  ist,  die  Möglichkeit 
gegeben,  sich  in  etymologischen  Fragen  Rats  zu  erholen. 

Der  Wortindex,  167  Seiten  stark,  beginnt  mit  Altindisch 
(24  S.),  darauf  folgen  die  übrigen  indog.  Sprachen  mit  ihren  Ab- 
zweigungen un«l  Dialekten,  z.  B.  Phrygisch,  Thrakisch,  Altgriechisch 
(32  S.);  Lateinisch  (20  S.);  Romanisch,  Faliskisch,  Umbriscb, 
Oskisch,  Sabellisch  (a.  Sabinisch,  b.  Vestinisch,  c.  Marrucinisch, 
d.  Pälignisch,  e.  Marsisch,  f.  Volskisch)  8  Seiten  umfassend;  das 
Keltische  mit  seinen  Zweigen  (12  S.);  Gotisch,  Althochdeutsch 
(8S.);  Niederdeutsch,  Niederländisch,  Friesisch,  Angelsachsisch- 
Englisch,  Altisländisch,  Schwedisch- Dänisch,  Urnordisch  (32  S.); 
Litauisch,  Lettisch,  Preulsisch  (13  S.);  die  slavischen  Sprachen 
(13  S.).  Und  jede  Seite  hat  drei  Kolumnen,  so  dafs  auf  einer 
Seite  etwa  120  Wörter  und  Wortformen  stehen,  auf  den  167  S. 
also  rund  etwa  20  000  Wörter  nachgewiesen  worden  sind. 

Der  Sachindex  (etwa  65  S.  stark)  beschränkt  sich  auf  die 
wichtigsten  Kategorieen.  Besonders  interessant  sind  die  Gruppen 
der  lautlichen  Angleichung  oder  Assimilation,  der  Angleichung 
gegensätzlicher  BegrilTe  (z.  B.  fneridianälis  nach  septentrionalis),  der 
Angleichung  von  Wörtern  infolge  BegrifTsverwandtschaft  (vgl. 
o^Tt;^  nach  xoxxt;^  u.  a.,  lat.  ne(^o  =  Verbalstamm  *ncdfc--f-pfecro), 
ferner  die  Gruppen:  Bildungselemente  durch  Analogiewirkung 
doppelt  gesetzt,  graphische  Ausgleichung  (z.  B.  lat.  urbs  st.  vrps), 
Neubildung  von  Formen,  bei  der  ein  einzelner  Laut  der  Musler- 
form nur  partiell  nachgeahmt  wird,  Volksetymologie  (z.  B.  snoip 
nach  aY&oifj,  vinodsg  nach  nodsg,  levir  nach  vir).  Das  Register 
der  Suffixe  umfafst  hier  allein  etwa  28  viergespaltene  Seiten  und 
ist  in  sich  nach  Sprachen  geordnet;  15  Spalten  kommen  auf  die 
griechische,  10  Spalten  auf  die  lateinische  Sprache. 

Im  Autorenindex  fällt  der  Löwenanteil  Bartholomae,  Bezzen- 
berger,  Brugmann,  Curlius,  Danielsson,  Hubschmann,  Johansson, 
Kluge,  Leskien,  G.  Meyer,  Miklosich,  Osthoß',  J.  Schmidt,  Stolz, 
Thurneysen,  Wackernagel,  Windisch,  Whitney  und  Zimmer  zu; 
aber  auch  die  zahlreichen  anderen  Namen  beweisen,  dafs  Verf. 
Vertreter  aller  Richtungen  hat  zu  Worte  kommen  lassen. 

Indem  wir  diese  Registerarbeit  mit  gebührendem  Danke  gegen 
den  Verf.  begrüfsen,  erwähnen  wir  noch  zum  Schlüsse,  dafs  nach 
einer  Ankündigung  der  Verlagshandlung  die  Fortsetzung  zu  Brug- 
manns  Grundrifs,  B.  Delbrücks  Grundrifs  der  vergleichenden 
Syntax  der  indogerman.  Sprachen,  soeben  erschienen  ist. 

Colberg.  H.  Ziemer. 


Rotkfaehs,  Methodik  d.  altspracbl.  Unterr.;  agz.  v.  Maff.     147 

Rothfuebs,  Beitrage  zur  Methodik  des  altsprachlicheo  Unter- 
richts, iosbesoodere  des  iateioischeo.  3.  Auflage.  Mar- 
barg  1893,  Elwert.     156  S.   8.     2,70  M. 

Ein  für  die  Lehrer  besUmmles  Buch,  das  in  3.  Auflage  er- 
scheint, braucht  nicht  noch  besonders  empfohlen  zu  werden;  es 
ist  bekannt  und  geschätzt  genug.  Auch  habe  ich  desselben  Ver- 
fassers „Bekenntnisse  aus  der  Arbeit  des  erziehenden  Unterrichts'', 
eine  Schrift,  die  in  vielen  Stücken  der  vorliegenden  verwandt  ist 
und  dieselben  Vorzuge  wie  sie  aufweist,  in  dieser  Zeitschrift  so 
eingehend  besprochen,  dafs  ich  auf  jene  Besprechung  verweisen 
kaoou  Ich  beschränke  mich  also  darauf,  den  Inhalt  des  Buches 
kurz  anzugeben.  Unsere  Schuler  sollen  von  Sexta  an  reines, 
echtes  Latein  lernen;  denn  das  Lateinische  erfüllt,  wenn  es  recht 
betrieben  wird,  eine  hohe  Aufgabe,  es  macht  den  Geist  gewandt 
und  kräftig.  An  einer  Reihe  von  Beispielen  wird  nachgewiesen, 
wie  die  syntaxis  ornata  durch  alle  Klassen  hindurch  geübt  werden 
mufs,  damit  der  lateinische  Unterricht  auch  in  formaler  Beziehung 
recht  fruchtbar  werde.  Dann  wird  gezeigt,  welchen  Wert  das 
Konstruieren  für  die  leichtere  Auffassung  der  Schriftsteller  hat, 
und  wie  zum  richtigen  Konstruieren  methodisch  anzuleiten  ist. 
Hierauf  wird  vom  Extemporieren  und  zuletzt  vom  Präparieren 
eingehend  gehandelt.  Die  Überschriften  sind,  wie  man  sieht, 
schon  verlockend  genug;  sie  betreffen  Dinge  und  Fragen,  die  von 
hoher  Bedeutung  sind  und  jeden  denkenden  Lehrer  oft  und  viel 
beschäftigen.  Aber  wie  die  Titel  viel  versprechen,  so  bieten  die 
Ausführungen  viel.  Erfahrung  und  reifliches  Nachdenken  haben 
zosammengearbeitet,  um  Rothfuchs  in  den  Stand  zu  setzen,  zu- 
mal jungen  Lehrern  zu  zeigen,  wie  sie  den  Unterricht  anzugreifen 
haben,  um  die  Schuler  für  die  Sache  zu  gewinnen  und  gute  Er- 
gebnisse zu  erzielen.  Es  wäre  zw  wünschen,  dafs  auch  die  hier 
niedergelegten  wohlerwogenen  Anschauungen  recht  fleifsig  be- 
herzigt würden;  und  das  darf  um  so  eher  gehofft  werden,  als 
der  Gegenstand  anschaulich,  mit  behaglicher  Breite  und  doch  in 
fesselnder  Sprache  behandelt  ist. 

CasseL  Christian  Muff. 


1)  Max  Engelhardt,  Die  Stammzeiten  der  lateioischen  Kon- 
jogation  wisseosehaftlich  and  pädagogisch  geordoet.  Handboch  für 
Lateiolebrer.  Berlin  1892,  Weidmaoasche  Buchbaodloog.  47  S.  8. 
1,20  M. 

Der  Verf.  führt  seine  Schrift  ein  als  einen  Versuch,  die 
wissenschaftliche  Ordnung,  wie  sie  sich  in  seinem  Buche  „Die 
lateinische  Konjugation''  (Berlin  1887,  Weidmann)  S.  108—140 
darstelle,  pädagogisch  zu  verwerten.  Die  erwähnte  Schrift  ist  ja 
mit  Beifall  aufgenommen,  darum  wird  der  vorliegende  Nachtrag 
dazu  auch  dankbar  begrüfst  werden.  Für  den  Lehrer,  der  sprach- 
wissenschaftUch    gebildet   ist,    enthält   das  Büchlein  freilich  nicht 

10* 


148     EDgelhardt,  Stammzeiten  der  lat.  Rodj.,  agz.  v.  Pagner. 

viel  Neues,  aber  frischt  doch  manches  wieder  auf  und  liefert  den 
nötigen  Stoff  in  brauchbarer  Kürze;  für  die  Philologen  aber,  die 
auf  Sanskrit  und  Gotisch  mitleidig  lächelnd  herabblicken,  und 
solche  gab's  selbst  in  Leipzig  zu  Lebzeiten  von  Georg  Curtius 
übergenug,  bringt  der  Verf.  des  Neuen  vielleicht  zu  viel.  Das 
Buch  ist  aber  auch  ohne  Renntnisse  auf  sprachvergleichendem 
Gebiete  verständlich  und  bietet  viel  Anregung.  Es  ist  sorgfältig 
gearbeitet,  korrekt  gedruckt  und  ausführlich  genug,  auch  auf  ab- 
weichende Deutungen  anderer  Gelehrter  ist  bei  streitigen  Punkten 
Rücksicht  genommen.  Ein  Register  ist  angehängt,  das  seine  Be- 
nutzung erleichtert  und  Etymologisches  und  Verwandtes  aus  andern 
Sprachen  anschliefst. 

Der  Verf.  hat  laut  dem  Vorworte  erst  die  Absicht  gehabt, 
ein  Hülfsbüchlein  für  den  Quintaner  zur  leichteren  Erlernung  der 
Stammzeiten  der  3.  Konjugation  zu  schreiben,  hat  die  Ausführung 
dieses  Planes  aber  „auf  ruhigere  Zeiten'*  verschoben.  Sehr  mit 
Recht;  vielleicht  erspart  er  sich  diese  Mühe  nun  überhaupt,  da 
anzunehmen  ist,  dafs  die  Schulgrammatiken  seine  Aufstellungen 
berücksichtigen.  Wenn  das  der  Fall  ist,  braucht  der  Schüler  ein 
Buch  weniger  zu  handhaben,  was  gewifs  wünschenswert  ist.  Dann 
ist  aber  die  gleichmärsige  Berücksichtigung  der  wissenschaftlichen 
und  pädagogischen  Gesichtspunkte  ein  Ding  der  Unmöglichkeit. 
So  wissenschaftlich  richtig  es  ist,  nuo,  suo  u.  s.  w.  als  Verba  zu 
bezeichnen,  in  denen  die  Präsensverstärkung  t  (Engelhardt  schreibt 
genauer  t)  gänzlich  ausgefallen  sei,  so  unpädagogisch  wäre  es, 
diese  Verba  unter  die  T- Klasse  aufzunehmen.  Das  wäre  sonst 
ein  Punkt,  wo  dem  gegen  die '„Wissenschaftlichkeit''  der  Gram- 
matiken eifernden  Waldeck  beizupflichten  wäre.  Im  vorliegenden 
Buche  konnten  aber  die  Komposita  wegbleiben;  der  Verf.  hat  sie 
beibehalten,  ,.da  ihm  der  Gedanke  einer  Umarbeitung  zu  einem 
Schulbuch  auch  jetzt  noch  vorschwebt**.  Ich  fürchte,  dafs  es  als 
Schulbuch  doch  eine  wesentlich  einfachere  Gestalt  haben  müfste 
und  die  Hinzufügung  der  Komposita  nur  eine,  und  nicht  die 
wichtigste,  der  notwendig  werdenden  Veränderungen  sein  würde. 
Im  wesentlichen  dürfte  doch  die  Anordnung,  wie  sie  z.  B.  Harre 
giebt,  den  didaktischen  Forderungen  genügen,  und  nur  das  bliebe 
zu  erwägen,  ob  nicht  hier  und  da  mnemotechnische  Hülfen  hin- 
zugefügt werden  sollten,  wie  sie  für  den  Schülerverstand  passen. 
Also,  ich  meine,  man  könnte  nichts  dagegen  haben,  wenn  acuo 
durch  Beifügung  des  deutschen  ,,Ecke**,  ango  durch  „Enge,  Angst*^ 
caedo  durch  „scheiden,  Scheitholz**,  cäno  durch  „Hahn**  u.  s.  w. 
dem  Schüler  näher  gebracht  würde,  zumal  es  auch  der  Mutter- 
sprache Dienste  thut.  Solcherlei  hat  ja  freilich  der  Lehrer  münd- 
lich in  Bereitschaft,  aber  es  könnte  gewifs  nicht  schaden,  wenn 
das  Buch  ihn  und  die  Schüler  dabei  unterstützte. 


BiedernaiiB,  Lat  IJbuofsbuch,  aogex.  von  F.  Füf  ner.     149 

2}  Georg  BiedermaDo,  Lateinisches  Obaogsbach  für  die  zweite 
Rlassedes  Gymoasiams.  4.  umgearbeitete  Auflage.  Miiocheo 
1S92,   Ackermaou.    V  a.  195  S.    8.    1,60  M. 

lonerhalb  der  blau-weifsen  GrenzpfShIe  lebt  sich's,  wie  es 
scbeinl,  auch  nach  der  neuen  Schulordnung  noch  behäbiger  für 
den  Lateinlebrer  als  bei  uns  in  Preufsen.  Man  braucht  mit  der 
Hinute  noch  nicht  so  zu  geizen,  bei  der  Auswahl  des  Stoffes  noch 
nicht  so  ängstlich  zu  sein,  man  hat  noch  etwas  mehr  Zeit  zur 
Verfügung.  So  ist  es  zu  erklären,  wenn  das  zur  Anzeige  vorge- 
legte Buch  Biedermanns,  ein  lateinisches  Übungsbuch  für  die  Quinta, 
sieb  noch  manchen  Luxus  in  Vokabeln  und  Formen  leisten  darf,  die 
bei  uns  nicht  mehr  erlaubt  wären.  Ein  munificentiar  z.  B.  werden 
wir  unsern  Schülern  nicht  zu  übersetzen  geben,  es  steht  noch 
nicht  einmal  im  Neue,  und  mit  evomere  und  resfuere  plagen  wir 
sie  auch  nicht  mehr.  Aber  das  Buch  ist  sorgfältig  gearbeitet  und, 
so  weit  ich  sehe,  ebenso  gedruckt,  so  dafs  ich  glaube,  es  läfst 
sich  nach  ihm  ganz  gut  unterrichten.  Die  4.  Auflage  beweist 
dies  ja  aucii  hinlänglich.  Meistens  bietet  der  Verf.  Einzelsätze, 
erst  nach  der  3.  Konjugation  mehren  sich  die  zusammenhängenden 
Stöcke.  Zu  Grunde  gelegt  sind  die  Grammatiken  von  Englmann 
und  Landgraf,  die  sogar  ab  und  zu  zitiert  werden,  was  bei  uns 
auf  dieser  Stufe  nicht  üblich  ist.  Angehängt  ist  eine  Sammlung 
?on  Synonymen  nach  Sepps  bekanntem  Büchlein;  eine  ebensolche 
fon  Phrasen  wäre  am  Ende  auch  nützlich,  aber  nicht  nur  zum 
Nachschlagen,  wie  B.  es  bei  den  Synonymen  wünscht,  sondern 
zum  festen  Lernen.  Die  Sprache  der  Übungssätze  in  beiden 
Sprachen  genügt  und  übertrifft  im  Ausdruck  manches  andere 
Übungsbuch ;  die  Schreibung  milUa  fällt  auf.  Cato  (S.  73)  hat 
kein  langes  a;  interemere  S.  70  ist  verdruckt;  Quantitätsangaben 
sind  wohl  zu  spärlich,  namentlich  die  Endungen  sollten  öfter  be- 
seichnet  werden,  als  es  geschieht.  Bemerkenswert  erscheint  mir 
schlieDslich  die  Abfolge  der  grammatischen  Pensen.  Nach  den 
Deklinationen  und  der  Komparation  werden  die  1.,  2.  und  4. 
Konjugation  behandelt,  dann  aber  erst  Numeralia,  Pronomina  und 
Adverbia,  ehe  die  3.  Konjugation  daran  kommt.  Es  folgen  Kon- 
junktionen, Imperativ,  Gerundium,  Partizip,  Conj.  periphr.,  Infinitiv 
und  Acc.  c.  inf.,  später  die  Deponentia,  endlich  die  anomalen, 
ddißktiven  und  impersonalen  Verben.  Zwischen  die  syntaktischen 
Vorübungen  und  die  Deponentien  sind  zusammenhängende  Ab- 
schnitte geschoben,  „Aus  der  römischen  Geschichte*'  und  „Fabeln'', 
ebenso  beschliefsen  „Fabeln''  und  „Aus  der  römischen  Geschichte" 
das  Ganze.  Aber  entgegen  dem  norddeutschen  Usus  überwiegen 
die  Einzelsatze  zu  stark,  ist  ihr  Inhalt  überdies  zu  bunt  und  die 
gewünschte  Vokabelmasse  zu  grofs.  Wir  könnten  ihre  Bewältigung 
unsem  Quintanern  nicht  zumuten. 


150  M.  Heynacher,  Beitrage,  aogez.  von  F.  Fo^oer. 

3)  Max  Heynacher,  Beiträge  zur  zeitgemäfseo  Behaudlaog  der 
lateinischen  Grammatik  auf  statistischer  Grundlage.  Ber- 
lin 1892,  Weidmannsche  Bochhandlang.     52  S.     8.     1  M. 

Nach    den  Vorarbeiten    über  Nepos  von  Köhler,    Sallust  von 
Braun,  Livius  vom  Ref.  und  Cäsar  von  ihm  selbst  bat  Heynacher 
nun  den  Kreis  geschlossen,  indem  er  die  sechs  gelesensten  Reden 
Ciceros    nach    den    bekannten  Gesichtspunkten  untersucht     Aber 
die  kleine  Schrift  hat  nicht  nur  das  an  sich    schon    grofse  Ver- 
dienst,   die  Lektüre  Ciceros   für  die  Behandlung   der  Grammatik 
im   Unterrichte    nach    der   Seite    der  Statistik   hin    verwertet    zu 
haben,    sondern   sie  bietet  zugleich  einen  Rückblick  auf  die  ver- 
wandten Beobachtungen  und  Zusammenstellungen,    die  sich  nun- 
mehr über  vier  Unterrichtsjahre    erstrecken,    und  zwar  über  die- 
jenigen   vier,    in    denen    die    Syntax    den    Hauptgegenstand    der 
grammatischen  Unterweisung  ausmacht.    So  entsteht  in  der  That 
eine  Syntax    auf  Grund    des  Lektürebetriebes  vor  uns,    die    sich 
dadurch    auszeichnet,    dafs    ihre  Aufstellungen    sich  sämtlich  auf 
sicherem     und     der    unmittelbarsten    Nachprüfung    ausgesetztem 
Boden    erheben.     Schon    deshalb    ist    die  Schrift  von  Belang  für 
den  lateinischen  Unterricht  und  wird  hoffentlich  recht  oft  zu  Rate 
gezogen,  wenn  man  über  die  Grenze  zwischen  mehr  oder  minder 
notwendigem  Lehrstoff  (und  Lernstoff)  ungewifs  ist.   Dazu  kommen 
als  dritter  Vorzug  des  Werkchens  die  Winke  für  verständige  Aus- 
nutzung des  statistisch  geordneten  Materials,    in  denen  der  Verf. 
wieder  einmal  aufs  bündigste  den  Vorwurf  widerlegt,  als  leide  er 
an  Zahlenwut  und  Zifferngröfsenwahn.     Es  ist  klar,    dafs  H.  aus 
den  Eingangs  genannten  Schriften    erst   den  wahren  Nutzen    ge- 
zogen hat;  nur  soll  der  Lehrer  nicht  meinen,   er  sei,  im  Besitze 
der  Schlufslieferung    des  schulgrammatisch- statistischen  Sammel- 
unternehmens, der  Heranziehung  der  früheren  Lieferungen  über- 
hoben.   Auch  unter  dem  Verdachte  pro  domo  zu  sprechen,  weise 
ich    vielmehr    bei    dieser  passenden  Gelegenheit   empfehlend    auf 
jene  Arbeiten  hin,  die  zusammen  ein  Ganzes  bilden  wollen. 

H.  hat  also  ausgezogen  die  vier  Catilinarischen  Reden,  die 
Rosciana  und  Pompeiana.  Dabei  ist  freilich  der  rhetorische  Cha- 
rakter zu  berücksichtigen,  der  die  Ergebnisse  hier  und  da  etwas 
beeinflufst,  aber  da  auch  in  die  geschichtlichen  Schriften  Reden 
eingeflochten  sind  und  die  lateinische  Prosa  selbst  im  nüchternsten 
Chronikstil  ihre  Herkunft  vom  Forum  nicht  verleugnet,  so  sind 
die  Abweichungen  der  Statistik  aus  Cicero  von  der  aus  den 
den  Historikern  nicht  so  grofs,  wie  man  vielleicht  erwartet  hat 
Die  Geschlossenheit  und  Übereinstimmung  des  Stoffs  ist  immerhin 
derartig,  dafs  man  danach  den  Aufbau  der  syntaktischen  Pensen 
und  ihre  Verteilung  auf  die  einzelnen  Jahre  recht  wohl  vornehmen 
könnte,  ohne  in  arge  Künsteleien  zu  verfallen.  Aber  H.  selbst  ist 
ja  frei  von  der  Einseitigkeit,  die  Statistik  als  alleiniges  Einteilungs- 
prinzip aufzustellen;  ein  sehr  wichtiges  bleibt  sie  jedenfalls.    Wie 


Friedersdorff^  Lat  Scholgrammatik,  agz.  v.  v.  Kobilioski.     151 

weit  H.  von  der  Überschätzung  der  Zahlen  entfernt  ist,  erhellt 
z.  B.  aas  seiner  Forderung,  dafs  eine  Grammatik,  die  dem  Schüler 
verständlich  und  zweckdienlich  sein  solle,  „gesprächig  und  aus- 
fohrlicli^'  sein  müsse.  Im  einzelnen  könnte  das  Ergebnis  für  den 
grammatischen  Unterricht  noch  etwas  vereinfacht  werden,  wenn 
H.  TOD  den  Lebensbeschreibungen  des  Nepos  nur  die  berücksich- 
tigt hätte,  die  wirklich  gelesen  werden.  Z.  B.  kommt  reliquum 
ta  tu  nur  einmal  im  Atticus  vor,  der  doch  thatsächlich  nicht  in 
Betracht  kommt,  und  einschränkendes  tantum  ut  begegnet  nur 
einmal  in  de  regibus,  auch  das  zweimalige  fuam  ut  nach  einem 
Komparativ  wird  der  Quartaner  nicht  zu  sehen  bekommen.  Aber 
im  ganzen  bleibt  die  Arbeit  Heynachers  ein  beachtenswertes  Hulfs- 
mittel  für  jeden  Lehrer,  der  es  mit  der  Verwertung  der  Lektüre 
im  grammatischen  Unterricht  ernst  nimmt. 

Nienburg  a.  Weser.  F.  Fügner. 


Franz     Friedersdorf  f^     Lateinische     Schalgrammatik. 
B«r]in  1893,  Ferd.  Diimmlers  Verlassbnchhaodluog.    201  S.  8.  ],S0  M. 

Wer  sich  die  grofsen  Verdienste  vergegenwärtigt,  welche  um 
die  lateinische  Schulgrammatik  ihr  erster  Meister  Zumpt  sich  er> 
Worten  hat,  der  wird  dem  Verf.  vorliegender  Grammatik  getvifs 
zostimmenf  wenn  er  es  für  eine  Pflicht  der  Pietät  erklärt  (Vorw. 
S.  lU),  eine  Neubearbeitung  des  alten  grundlegenden  Lehrbuchs  zu 
versuchen.  Und  um  so  dankenswerter  müssen  die  Bemühungen  des 
Verf.8  scheinen,  da  die  Veränderung  der  Ziele  des  grammatisshen 
Unterrichts  eine  völlige  Umgestaltung  der  früheren  Form  nötig 
machte.  Die  erste  und  schwierigste  Aufgabe,  den  grammatischen  Stoff 
den  heutigen  Forderungen  entsprechend  zu  Gxieren,  ist  nach  des 
Rez.  Ansidit  mit  grofsem  Geschick  gelöst  worden.  Sowohl  in  der 
Formenlehre  als  in  der  Syntax  wird  der  Grundsatz,  der  im  Vor- 
wort aufgestellt  ist,  durchaus  gewahrt,  bei  möglichster  Kürze  „Ent- 
behrliches aus  dem  Lehrstoff  auszuscheiden  und  doch  den  Rat 
suchenden  Schüler  nicht  ohne  Auskunft  zu  lassen*'.  Dieses  Prinzip 
scheint  dem  Rez.  entgegen  der  augenblicklichen  extremen  Rich- 
tung der  äufsersten  Beschneidung  des  Inhalts  für  die  Brauchbar- 
keit des  grammatischen  Lehrbuchs  ausschlaggebend  zu  sein.  Denn 
eine  derartig  aufgebaute  Grammatik  leistet  einmal  denen  Genüge, 
welche  von  derselben  mehr  als  den  blofsen  Lernstoff  verlangen, 
sie  kann  aber  auch  auf  der  andern  Seite  keine  Beanstandung 
finden,  da  bei  richtiger  Anlage,  wie  sie  von  Fr.  getroffen  ist,  der 
Lernstoff  schon  abgesondert  dargeboten  wird  oder  mühelos  sich 
ausscheiden  Idfst.  So  wird  trotz  des  geringen  Umfangs  der  vor- 
liegenden Grammatik  (188  S.)  der  an  den  bisherigen  Inhalt  ge- 
wöhnte Lehrer  kaum  eine  Regel  vermissen;  überdies  enthält  sie 
Bocb   einen    reichhaltigen  grammatisch- stilistischen    Anhang,    ein 


152  Friedersdorff,  Lat  Seholgrainmatik, 

Kapitel   über   die  Metrik  und    den  römischen  Kalender,  und  der 
Formenlehre  ist  ein  Abschnitt  ober  die  Wortbildung  angefägt. 

Die  Bewältigung    des    umfangreichen  Stoffs    auf   so  kleinem 
Räume  wird    ermöglicht   durch    die  kurze  und  treffende  Fassung 
der  Regeln.   So  zeugt  von  dem  pädagogischen  Geschick  des  Vei^.s 
z.  B.    die  Behandlung    der  Wortbildungslehre,   der  Präpositionen, 
der  hypothetischen  Sätze  und  der  oratio  obliqua.     Besondere  Be- 
achtung verdienen  ferner  die  Regeln  über  den  Gebrauch  der  Tem- 
pora, welche  in  den  meisten  Lehrbüchern  die  zahlreichen  Einzel- 
falle   aneinander   reihen,    ohne    ihren   Zusammenhang    genügend 
hervorzuheben.   Bei  Fr.  deckt  den  Gebrauch  des  Imperfektum  z.  ß. 
vollständig  die  kurze  Hauptregel  (§  155) :  „Das  Imperfektum  dient 
auf  die  Frage:  was  war?  zur  Angabe  einer  dauernden  (unvollen- 
deten) Handlung  in  der  Vergangenheit'*,  und  diesem  Gesetz  wer- 
den dann  die  Fälle,  auf  welche  es  Anwendung  findet,  untergeordnet: 
„Es   steht   daher    1.  zur  Schilderung    von  Sitten,    Gewohnheiten, 
Einrichlungen,  Stimmungen  und  wiederholten  Handlungen  (absolut). 
2.  Zur  Angabe  einer  gleichzeitig  mit  dem  Eintreten  einer  andern 
Handlung    noch    dauernden  Handlung  (relativ)'*.     Einen    weiteren 
Vorzug  des  Lehrbuchs    bilden  die  vortrefllich  gewählten  Lehrbei- 
spiele.    Von    einem    guten    Lehrbeispiel    verlangt   man    mehrere 
Eigenschaften,  die  sich  schwer  in  einem  Satze  vereinigen  lassen. 
Es    müfs    kurz    sein,    damit   die  Aufmerksamkeit  nicht  von  den 
wesentlichen,  die  Regel  zum  Ausdruck  bringenden  Worten  abge- 
lenkt wird,  ferner  soll  es  in  der  Form  als  Muster  dienen  können, 
und  wird  daher  am  besten  den  Klassikern  entlehnt,  dann  darf  es 
eines  gewissen  der  Beachtung  würdigen  Inhalts  nicht  entbehren. 
Diese  Forderungen    erfüllen    die  Lehrbeispiele    bei  Fr.    durchaus. 
Die  den  Klassikern  entnommenen  Stellen  sind  zweckentsprechend 
zu  abgerundeten,  den  lateinischen  Tenor  wahrenden  Sätzen  ver- 
kürzt:   wo  es  nötig  ist,   wird    nach    dem  Vorgange  von  Schmalz 
eine  deutsche  Erklärung  zum  Verständnis  des  Zusammenhangs  der 
Sätze  beigefugt.     Noch   mag   auf  eine  Neuerung    des  Verf.s    bei 
der  Anordnung  der  Genusregeln  hingewiesen  werden,  die  für  ähn- 
liche Fälle    in    der  Schulgrammatik    Nachahmung    verdient.    Die 
Bestimmungen    über    das  Genus   werden    in    der  bisher  üblichen 
Form  von  Reimregeln  gegeben,    daneben    aber   ist    der  neueren, 
immer    mehr  wachsenden   Strömung   gegen    die   gereimte  Form 
Rechnung    getragen,    und  die   reimlose  Regel  der  gereimten  zur 
Seite    gestellt.     Eine  solche  vermittelnde  Stellung    ist  der  Schul- 
grammatik,   zumal    bei   dem   jetzt  gerade  aufserordentlich  regen 
Streben,   ihre  Form  zu  vervollkommnen,  sehr  ratsam,   wenn  sie 
die  schwierige  Aufgabe  lösen  soll,  für  die  verschiedenartigen  Me- 
thoden,   die   dem    grammatischen   Unterricht    zu   Grunde   gelegt 
werden  können,    als  Lehrbuch    zu   dienen..    Zum  Schlufs  ist  die 
in  den  Regeln  und  Beispielen  durchgeführte  Hervorhebung  der  in 
Frage  kommenden  Wörter  durch  den  Druck  anzuerkennen,  die  in 


■  n^ez.  von  G.  v.  Kobilinski.  153 

dieser  Art  als  ein  wesentliches  Hölfsmittel  zur  Erleichterung  der 
Cbersichtiichkeit  angesehen  werden  mufs. 

Neben  den  besprochenen  Vorzögen  der  Form,  die  überall  den 
kundigen  Pädagogen  verrät,  dürfen  manche  Mängel,  die  den  In- 
halt der  Grammatik  betreffen,  nicht  unerwähnt  bleiben.  Zunächst 
steht  die  Grammatik  noch  auf  dem  Boden  des  rigorosen  Cicero- 
nianismos,  dessen  Herrschaft  schon  lange  bekämpft  wurde  und 
nun  nach  den  neuen  Lehrplänen,  wohl  allgemein  und  endgültig 
gebrochen  ist  Wenn  der  grammatische  Unterricht  in  Wechsel- 
besiehuDg  mit  der  Lektüre  stehen  soll,  bei  der  den  Historikern 
ein  weit  gröfserer  Raum  als  den  ciceronianischen  Schriften  zu- 
gewiesen ist,  so  müssen  die  Regeln  fallen,  mit  denen  der  Sprach- 
gebrauch Ciceros  vor  der  Weiterentwickelung  der  silbernen  Lati- 
Ditlt  geschützt  wurde.  Deshalb  darf  der  transitive  Gebrauch  des 
Yerbum  (nvadere^  der  dem  Schüler  bei  der  Lektüre  des  Livius 
geUofig  wird,  nicht  verboten  werden  (§71),  eben  so  wenig  die 
Anwendung  der  Phrase  eo  arrogantiae  venit  nach  demselben  klas- 
suchen  Muster  (§  94),  und  die  Konstruktion  des  Participium 
Futuri  ohne  Verbindung  mit  esse  (§  145).  Aus  demselben  Grunde 
empfiehlt  es  sich  nicht,  bei  den  mit  cum  zusammengesetzten 
Komposita  die  Wiederholung  der  Präposition  als  Regel  aufzu- 
stellen (§81),  noch  die  Gerundivkonstruktionen  im  Dativ  und 
Akkusativ  trotz  ihrer  Häufigkeit  bei  den  Historikern  zu  beschrän- 
ken (§  139  und  140).  Auch  die  Anmerkung  zu  donecy  in  der 
angegeben  ist,  dafs  die  Konjunktion  bei  Cäsar  nicht  vorkommt 
und  sonst  nur  mit  dem  Indik.  Perf.  verbunden  steht  (§  185), 
dürfte  besser  zu  Gunsten  des  freien  Gebrauchs  im  silbernen  La- 
tein aufgegeben  werden.  Zu  eng  ist  ferner  die  Begrenzung  der 
Konstruktion  von  recoricr  (§  96),  das  selbst  bei  Cicero  sächliche 
Objekte  nicht  nur  im  Akkusativ  bei  sich  hat,  wie  die  Regel  fest- 
stellt, sondern  auch  im  Genitiv,  z.  B.  flagitiorum  suorum  recar- 
dahäw  in  Pis.  12,  und  mit  de,  vgl.  de  Ulis  (lacrimis)  recordar 
pro  Plane  104.  Weiter  ist  trotz  der  Stütze  klassischer  Beleg- 
stellen unberücksichtigt  geblieben  der  persönliche  Gebrauch  von 
9pu$  e$i  (§  103),  die  Verbindung  von  similis  und  dissmilis  mit 
dem  Dativ  persünlicher  Nomina  (§  79),  die  häufige  Konstruktion 
der  Ortsbestimmungen,  zu  denen  toius  tritt,  mit  der  Präposition 
m  (§  1 16),  und  die  Bestimmung,  dafs  die  Präposition  cum  ebenso 
gut  vor  dem  pron.  rel.  stehen  darf  (§  51).  Gegen  diese  Bean- 
standungen kann  der  Einwand  erhoben  werden,  dafs  die  Schul- 
grammatik nur  die  gebräuchlichsten  Spracherscheinungen  zu  be- 
ricksicbtigen  habe  und  die  Ausscheidung  von  mitberechtigten 
Kooatruktionen  zur  Vereinfachung  des  grammatischen  Unterrichts 
beitragen  müsse.  Allein  gerade  dieser  Grundsatz  verdient  die 
schirfsfe  Zurückweisung;  denn  seine  Befolgung  hat  der  Schul- 
graoBmatik  den  schwersten  Schaden  zugefügt,  indem  sie  durch 
denselben  in  einen  starren  Formalismus  getrieben  wurde,  der  die 


154  Friedersdorff,  Lateinische  SchalgrammatiiL, 

Sprache   in    die   engsten    Fesseln    zwang.     Wo    die  Sprache   die 
Freiheit  des  mannigfaltigen  Ausdrucks  hatte,  da  wurde  die  relative 
Häufigkeit  der  einzelnen  Fälle,    die   nicht  selten  auf  Zufall  oder 
individueller  Vorliebe    des  Schriftstellers   beruht,   als  Hafs   ihrer 
Güte  festgestellt,    und  aus  dem  Sprachgebrauch  Ciceros  eine  ge- 
wissermafsen  gereinigte  Form  gewonnen,    in   deren  Grenzen  der 
Schüler  sich  bewegen  mufste.    Abgesehen  von  der  Unnatur  einer 
solchen  Sprache  erzielt  dieses  sogenannte  SchuUatein  nicht  einmal 
die  Verminderung  des  grammatischen  Stoffs,  vielmehr  läfst  es  sich 
beweisen,  dafs  gerade  der  weitere  Umfang  der  Sprachgesetze  ihren 
Inhalt  vereinfacht.  Für  die  Phrase  alicuiin  mentem  venu  z.  B.  ist  nach 
dem  überwiegenden  Sprachgebrauch  Ciceros  die  unpersönliche  Kon- 
struktion in  der  Verbindung  mit  Substantiven,  die  persönliche  bei 
dem  Neutrum  des  Pronomens  und  Adjektivums  Regel  geworden. 
Der  dem    silbernen  Latein   geläufige    persönliche  Gebrauch   beim 
Substantivum  ist  auch  aus  Cicero  zu  belegen:  res  et  actio  pro  Cae- 
cina  40,  conluvio  et  eversio  de  bar.  resp.  55,  ratio  de  invent.  11 132, 
res,  genus  epist.  IV  13,  1,  res  ad  Attic.  XII  37,  2,  mufs  also  zweifel- 
los auch  im  engsten  Sinne  als  klassisch  bezeichnet  werden.    Die 
Erweiterung  der  Regel  aber,  die  diesen  Punkt  berücksichtigt,  be- 
deutet   eine  Vereinfachung  derselben.     Denn    die   Einschränkung 
der  persönlichen  Konstruktion  liegt   so  wenig   in  der  Natur    der 
Phrase  begründet,    dafs  diese,  statt  die  Regel  zu  entlasten,   der- 
selben gerade  ein  neues,  lediglich  gedächtnismäfsiges  Moment  hin- 
zufügt.    Dazu  kommt  noch,  dals  solche  Bestimmungen,  die  durch 
die  Logik  der  Sprache  nicht  gestützt  werden,  ohne  häufige  Wie- 
derauffrischung dem  Gedächtnis   entschwinden,    zumal  wenn    sie 
auch  in  der  Lektüre  nicht  genügenden  Schutz  finden.    Die  Lek- 
türe aber  tritt  zu  der  Grammatik  in  ein  gewisses  feindliches  Ver- 
hältnis, das  den  Lehrer  zwingt,  nicht  nur  manche  nachciceronianische 
und  deshalb    in    dem  Lehrbuch    unberücksichtigte  Spracherscbei- 
nungen  zu  behandeln,  sondern  auch  die  klassische  Ausdrucksweise 
diesen  gegenüberzustellen  und  einzuprägen. 

Aufser  diesen  Ausstellungen,  welche  die  oben  berührten  Fälle  nur 
dann  treffen,  wenn  das  bekämpfte  Prinzip,  wie  es  jetzt  und  früher  in 
dieser  Zeitschrift  nachzuweisen  versucht  wurde,  als  unhaltbar  anzu- 
sehen ist,  bedürfen  noch  einige  Stellen  in  der  Grammatik  von  Fr.  der 
Verbesserung.  Unter  den  Parisyllaba,  welche  den  Abi.  auf  e 
bilden,  wird  imher  besonders  angeführt  (§  1 1) ;  doch  ist  die  En- 
dung t  häufig,  nach  Wagener  (Gr.  §  28)  sogar  der  ersteren  vorzu- 
ziehen. Von  den  Adjektiven,  die  der  konsonantischen  Deklination 
folgen,  giebt  die  Reimregel  (§11)  neun  an,  nicht  zehn,  wie 
vorausgeschickt  wird;  die  seltenen  Worte  cadebs  und  sospes 
könnten  in  dieser  Reihe  ohne  Schaden  fehlen,  das  klassische 
pubes  aber  durfte  nicht  zu  entbehren  sein,  ebenso  wenig  memor 
und  inops  mit  dem  Abi.  auf  t  und  den  Gen.  auf  um.  Sehr  selten 
ist    ferner   in    klassischer  Prosa    die   griechische   Akkusativform 


an^ez.  vod  G.  v.  Kobilinski.  155 

auf  a,  und  deshalb  empfiehlt  sich  auch  für  Salamis  die  latei- 
nische Endung  als  Regel  (§  16).  Auch  die  Bestimmung,  dafs 
die  zweisilbigen  Wörter  nach  der  4.  Dekh'nation,  die  auf  cus 
ausgehen,  den  Dat.  und  Abi.  Plur.  auf  ubus  bilden  (§  13),  trilTt 
nicht  zu.  Am  beslen  erklärt  man  aus  der  Natur  des  Vokals  t 
das  Schwanken  der  Schreibweise  in  dieser  Endung,  wie  Harre 
and  Landgraf  es  thun;  in  keinem  Falle  aber  darf  die  regelmäfsige 
Form,  die  bei  den  Klassikern  gebräuchlicher  ist,  verboten  werden. 
Bei  den  Verba  defectiva  ist  inqtat  (§  49)  zu  kurz  gekommen; 
wenn  schon  inquidat  und  inquisti  wegen  ihrer  Seltenheit  zu  ent- 
behren sind,  so  darf  doch  das  Perfekt  inquit  nicht  fehlen.  Dafs 
rex  TOT  dem  Beziehungswerte  zu  stehen  pflegt,  lehrt  die  An- 
merkung (§  63)  mit  Unrecht;  denn  in  den  Reden  Ciceros  allein 
findet  sich  etwa  zwölfmal  die  Apposition  nachgestellt.  Auch  die 
Konstruktion  posco^  flagüo  aliquod  ab  aliquo  darf  nicht  eingeschränkt 
werden  (§  76) ;  flagiio  z.  B.  ist  nur  einmal  bei  Cicero  mit  dem 
doppelten  Akkusativ,  fünfmal  mit  der  Präposition  verbunden.  In 
der  Regel  über  interest  ist  die  Zusammenstellung  9ua  interest  (§  100) 
nicht  möglich.  Die  Trennung  der  Konstruktion  bei  den  Adjek- 
tiven nudus,  vaetius,  orbus,  liberj  für  die  die  Präposition  a  bei 
Personen,  der  Abi.  bei  sächlichen  Substantiven  festgesetzt  wird 
($  101),  läfst  sich  nach  bestem  Sprachgebrauch  nicht  halten:  vacui, 
lAeri  ab  omni  sumptu,  molestia^  muntre  Cic.  in  Verr.  IV  23,  ab 
Att  rebus  vaetia,  nuda  ib.  IV  3,  vacua  a  furto^  scelere,  crudelüaie, 
ßagitio  ib.  I  34  u.  s.  w.  Zu  weit  ist  die  Regel  vom  Abi.  compa* 
rationis,  wenn  sie  bestimmt,  dafs  der  Abi.  statt  fiiam  zu  stehen 
pflege  and  ausscbliefslich  in  negierten  Sätzen  anzuwenden  sei 
(§  105),  zu  eng  fafst  sie  den  Gebrauch,  wenn  der  Abi.  nur  beim 
Nom.  and  Subjekts-Akkus,  gestattet  wird.  Für  den  ersteren  Fall 
icheinen  Beispiele  überflüssig;  dafs  das  verglichene  Objekt  in  den 
Abi.  gesetzt  werden  könne,  mögen  einige  Stellen  beweisen:  nf'At'I 
aienle  praestabilius  dedüset  Cic.  Cato  40,  Herodottim  cur  vera- 
d&rem,  ducam  Ennio?  de  div.  II  116,  quem  .  .  auctarem  de  illo 
laeupieiiorem  Piaione  laudare  possumus?  de  republ.  I  16;  dahin 
gehören  auch  die  Phrasen  omnia  mferiora  putare,  ducere,  äliquid 
müqnhu  habere  aliqua  re.  Der  Zusatz  zu  der  Regel  über  domus 
lautet  (§  115):  „Die  Possessivpronomina  und  der  Name  des  Be- 
sitzers treten  zu  dornt  und  domum  ohne  Präposition  hinzu'*.  Wes- 
kaJli  domo  ausgenommen  wird,  ist  nicht  ersichtlich;  domo  mea, 
nm  sagt  Cicero  pro  Caecin.  34,  de  dom.  111,  domo  eiuSj  patroni 
in  Verr.  H  89;  III  155.  Unter  den  Verba,  welche  mit  dem  noro. 
c  infin.  in  allen  Formen  des  Passivum  verbunden  werden,  steht 
kabeor  angeführt  (§  133),  das  in  dieser  Konstruktion  kaum  durch 
ein  Beispiel  gestützt  werden  kann^).    Dann  folgt  der  Zusatz:  „Der 


^3  Naek  Kichoer    steht  häbeor    bei  Tacitos    mit  dem  Part,  fut.,   z.  B. 
habetur. 


156     Friedersdorff,  Lat.  Scholgrammatik,  agi.  v.  v.  KobiliDski. 

Akk.  c.  iiifiD.  steht  bei  den  mit  esse  gebildeten  Formen:  traditum 
e5^  memoriae  proditum  est,  credendum  est,  ptUandtm  est".    Doch 
wird  memoriae  prodere  auch  sonst  nicht  mit  dem  nom.  c.  infin. 
angewendet,  bei  iudicare  und  existimare  ist  die  zusammengesetzte 
Form   kein   Hindernis,   z.  B.  regnum  appetisse   est  indieattu  Cic. 
de  dom.  101,  habuisse  nimis  magnam  iudicatus  est  cupidüatem  pro 
Sulla  73,   idem  fedsse  erit  existimanduus  in  Verr.  lü  214,   tum 
.  .  8t(m  existimandus  de  gestis  rebus   gloriari  de  dom.  93.    Nicht 
genau  ist  ferner  die  Regel  über  die  indirekten  Fragesatze  (§  169), 
die  zugleich  die  Erklärung  liefert  für  die  Entstehungsursache  ahn* 
lieber  Fehler  in  der  Schulgrammatik.    Nach  dem  Sprachgebrauch 
Ciceros   ist  für  die  Anwendung  von   nonne   bestimmt,    dafs   die 
Partikel  nur  nach  quaero  in  der  Bedeutung  „ob  nicht"  gesetzt  wer- 
den darf.    Bei  Fr.  wird  die  Regel  fehlerhaft  durch  die  Umkehrung 
dieses  Falles:  „Doch  heifst:  ob,  ob  nicht,  fte  und  num  ohne  Unter- 
schied,   nach   quaero  aber  heifst   ob  nicht:   nonne^\    Denn  auch 
nach  qaaero  findet  sich  bei  Cicero  im  indirekten  Fragesatz  meist 
die  Partikel   ne,    z.  B.  quaero  abs  te  drcumsessrnnt   sis  Lampsad 
Cic.  in  Verr.  I  78  >  quaeram  remotaene  sint  litterae  ib.  II  180,  hoc 
ex  te  quaero  .  .  .   pecunia  pubUca  .  .  .   fueritne   tibi  quaestui  ib. 
III  165  u.  8.  w.     Zum  Schlufs   mögen   einige  Verbesserungen  für 
die  beiordnenden  Konjunktionen  vorgeschlagen   werden.     Et   zu- 
nächst  soll    verbinden,    was    verschieden   gedacht    wird  (§  203). 
Doch  ist  der  Gebrauch  der  Konjunktion  viel  allgemeiner  und  hat 
kaum    einen   geringeren  Umfang   als  das  deutsche  „und"'.     Dafs 
dieselbe    auch  Zusammengehöriges  anreiht,    beweist   ihre   häufige 
Anwendung  in  der  Ciceronianischen  Redefigur,    die  einen  Begrifi 
durch  mehrere  Wörter  auszudrücken  sucht,    wie  perdere  et  ad- 
fligere,  vexare  et  spoliare,  tollere  et  delere,  obicere  et  opponere  etc. 
Für  etiam  wird  dann  bestimmt,  dals  es  an  erster  Stelle  zu  stehen 
habe;  an  zweiter  findet  sich  die  Konjunktion  sehr  häufig,  wie  der 
Vergleich  in  Merguets  Cicerolexikon  (Bd.  II  S.  239)  ergiebt.   Dann 
folgt  die  Bemerkung:     „Für  etiam  findet  sich  et  vor:   Ate,    üUf", 
Auch  hier  beweisen  die  Stellen  aus  Cicero,  dafs  die  Konjunktion 
in  dieser  Bedeutung    keineswegs   auf   die  beiden  Pronomina    be- 
schränkt ist :  et  aln  muUi  pro  Seit  Rose.  92,  ei  tu  pro  Q.  Rose.  32, 
et  Cluvio  ib.  43  u.  s.  w. 

Wenn  nun  diese  Ausführungen  ein  wahres  Bild  von  den  Vor- 
zögen und  Mängeln  der  besprochenen  Grammatik  geben,  ao  ist 
das  abschliefsende  Urteil  des  Ref.  berechtigt,  dafs  die  Grammatik 
von  Friedersdorff  in  der  Form  mit  unsern  besten  Schulbüchern 
sich  wohl  messen  könne,  dafs  sie  aber,  was  die  Zuverlässigkeit 
des  Inhalts  betrifft,  hinter  der  Grammatik  von  Harre,  Landgraf, 
Schmalz- Wagener  und  auch  Ellendt-Seyffert  zurücksteht. 

Königsberg  i.  Pr.  G.  von  Kobilinski. 


Nepos'  LebeBsbeschreibaogeo,  agz.  v.  Weisweiler.       157 


Des  Cornelias  Nepos  Lebeosbeschreibaogen  io  Auswahl  bearbeitet 
ond  Termehrt  durch  eine  Vita  Alexaodri  Magoi  von  Franz  Fügoer. 
I.  Text  104S.  8.  geb.  1,20  M.  IL  Erläuterungen  183  S.  8.  geb.  1,20  M. 
Leipzig  1893,  B.  G  Teubner. 

FögDers  Corneiias  Nepos  bildet  den  Anfang  eines  umfang- 
reicheren Unternehniens  des  Teubnerschen  Verlages,  einer  Samm- 
lung von  Schöierausgaben  lateinischer  und  griechischer 
Schriftsteller,  welche  nach  Möglichkeit  den  in  den  letzten  Jahren 
hl  FachbUttem  und  Schuim2nnerversammlungen  vielfach  laut  ge- 
wordenen Wünschen  entsprechen  sollen.  Der  Verf.  selbst  hat 
durch  seine  Anfsdtze  und  Rezensionen  in  den  „Jahrb.  f.  Phil.  u. 
Pid."  nicht  nur  die  bedeutsamste  Anregung,  sondern  auch  man- 
chen Beitrug  zur  Klärung  und  Ausgestaltung  dieser  Idee  gegeben, 
ond  nachdem  sowohl  andere  Verleger  als  auch  Teubner  selbst 
bereits  einzelne  Schulausgaben  nach  verwandten  Gesichtspunkten 
haben  Teranstalten  lassen,  will  nun  der  Verf.  durch  die  Heraus- 
gabe des  ersten  Schulschriftstellers  die  Grundlage  schaffen,  auf 
welcher  die  in  Prinzip  und  Durcharbeitung  der  einzelnen  Teile 
innerlich  und  äufserlich  übereinstimmende  Sammlung  aufgebaut 
werden  soll.  Über  die  hauptsächlichsten  Anforderungen  an  eine 
gute  Schülerausgabe,  die  Notwendigkeit  eines  klaren,  deutlich  ge- 
gliederten Druckes,  die  angemessene  Einführung  in  die  Schrift 
dveh  Vorbemerkungen  über  den  Schriftsteller  und  sein  Werk, 
knappe  Skizzierong  des  Inhaltes,  sei  es  am  Rande  oder  in  den 
Übmchriften  der  einzelnen  Abschnitte,  kurze  und  klare  Fassung 
des  nur  für  den  Schülerstandponkt  berechneten,  lediglich  auf  die 
Schrift  beschränkten  Kommentars  und  Illustration  desselben  durch 
das  nötigste  Anschauungsmaterial  in  Karten  u.  dgl,  herrscht  ja 
wohl  jetzt  ziemlich  allgemeines  Einverständnis,  und  der  hier  be- 
sonders geforderte  innere  Anschlufs  der  einzelnen  Schüierausgaben 
aneinander  und  die  enge  Anlehnung  derselben  an  den  jeweiligen 
Unterrichtsstand  der  Klasse  läfst  für  die  in  Aussicht  gestellte 
Sammlung  besonders  viel  hoffen.  Die  Schwierigkeit  liegt  hier 
in  der  praktischen  Ausführung,  und  gerade  der  Verf.  der  vorliegen- 
den Schölerausgabe  bat  sich  und  seinen  zukünftigen  Mitarbeitern  so 
hohe  Ziele  gesetzt,  dafs  es  schwer  sein  dürfte,  alle  Hoffnungen  tu 
erfnilen:  am  schwersten  war  die  Aufgabe  bei  der  Bearbeitung  bezw. 
Eriiaterang  des  „Lesestoffes  für  das  erste  Lektürejahr",  welche  in 
zwei  —  einzeln  käuflichen  —  Bandchen  vorliegt,  die  bei  nie- 
drigem Preise  an  äufserer  Ausstattung  nichts  zu  wünschen  übrig 
lassen.  Das  erste  Bändchen  bietet  die  meist  gelesenen  Viten  des 
Gornei  von  MUtiades  bis  Hannibal  mit  Einfügung  einer  frei  be- 
arbeiteten vita  Alexandri  in  einem  ,,gereinigten**  Texte:  alles  Un- 
rcgelmäfsige  und  Ungewöhnliche  der  Sprache  ist  beseitigt,  der 
Satzbao  ist  durchweg  vereinfacht  und  der  Fassung  des  Schülers 
angenähert,  ond  auch  die  sachlichen  Unebenheiten  des  überlieferten 
Hepos  sind    durch  Ausmerzungen,  Änderungen  und  Zusätze   ge- 


158       Nepos'  Lebeasbeschreiboogeu,  agz.  v.  Wei^weiler. 

glättet.     Im    Drucke   ist   das    Zusammengehörige    durch    Absätze 
übersichtlich    gekennzeichnet;    alle    indirekten   Reden  sind  durch 
kursiven,  die  durch  den  Gegensatz  der  Gedanken  betonten  Worte, 
besonders    oft    die  Hauptprädikate   sind    durch    gesperrten  Druck 
hervorgehoben.     Jeder  Vita  geht  eine  Gedankengliederung  voraus, 
und    aufserdem    ist    fortlaufend    auf  dem  Rande    der  Inhalt  kurz 
angegeben.     Dem  Texte    ist   eine   Zeittafel   der   alten  Geschichte 
von  Lykurg  bis  zur  Zerstörung  Karthagos  und  ein  Verzeichnb  der 
Eigennamen  mit  fast  vollständiger  Stellenangabe  beigefügt:  nament- 
lich  wird    bei  geographischen  Namen  sorgfältig  auf  eine  der  drei 
Karten  am  Schlüsse  (Griechenland,  Reich  Alexanders,  Besitzungen 
Roms  und  Karthagos)   verwiesen.  —  Der  2.  Teil    bietet   in    neun 
Kapiteln  nach  einem  kurzen  Vorworte    über  den  Text  Winke  für 
die  Präparation  (in  der  Weise  von  Rolhfuchs),  eine  Anleitung  zum 
übersetzen    (nach    dem  Vorgänge   von   Menges  Cäsar),    dann  An- 
merkungen zum  Texte  iS.  8 — 99),    die   durch   21  eingefügte  Ab- 
bildungen antiker  Gegenstände  illustriert  sind,  ein  Wörterverzeichnis 
nach  Haake  (ohne  Stellenangabe)    mit   noch  vier  Bildern  (S.  100 
— 144),  eine  Obersicht  der  wichtigsten  Synonyma,  der  vorgekom- 
menen Phrasen  (S.  149 — 163),  eine  Stellensamrolung  zur  Wieder- 
holung   der   Kasuslehre,    desgleichen    zur    induktiven    Ableitung 
grammatisch-stilistischer  Regeln  (S.  170 — 179),    und   zuletzt  eine 
Zusammenfassung  der  dagewesenen  Realien.     Kein  Zweifel,  wenn 
ein  Schüler   dieses    alles    in  einem  Jahre    bewältigen  könnte,    er 
würde  die  Aufgabe  der  Quarta  lösen,  wie  sie  nie  gelöst  ist,  auch 
wenn   er  nur  zwei  Drittel  des  Nepos  gelesen  hätte.     Aber  es  ist 
sehr  zu  furchten,    dafs    die  Menge   der  „Erläuterungen''  und  die 
Mannigfaltigkeit    der    aufgestellten    Gesichtspunkte    den    Anfänger 
verwirrt    und    ihn    vielleicht   von    dem,    was    für  ihn  immer  die 
Hauptsache   ist   und   bleibt,    dem   Texte  des  Schriftstellers    und 
seinem  Verständnis  bezw.  seiner  einfachen  Verdeutschung,  abzieht. 
Der  Verf.  hat  das  wohl  gefühlt  und  deshalb  dem  Lehrer  ausdruck- 
lich im  allgemeinen  und  besonderen  je  nach  dem  Stande  der  Klasse 
eine   angemessene  Auswahl    des  Gebotenen   zur  Pflicht   gemacht. 
Es  scheint  nämlich  für  diesen  ersten  Teil  der  Sammlung  die  Idee 
der  ganzen  Sammlung  in  der  Weise  mafsgebend  gewesen  zu  sein, 
dafs  mit  Rücksicht  auf  die  folgenden  Stufen  manche  Rubrik  und 
manche  Ausführung   eingefügt  wurde,    die    für  den  beschränkten 
Standpunkt  des  Quartaners  entbehrlich  gewesen  wäre.   Namentlich 
die  Anleitung  zur  Präparation  und  Übersetzung  geht  für  die  be- 
ginnende Neposlektüre  zu  hoch,   und  auch  im  Kommentar  und 
in  den  stilistischen  und  sachlichen  Zusammenfassungen  ist  manches 
geboten,    was    für  den  Tertianer  und  Sekundaner  zu  wissen  an- 
genehm,   für   den  Quartaner   aber  m.  E.   unnütz  ist.     Ober  den 
gebotenen  Text  geben  wir  kein  Urteil  ab:  wenn  man  den  groben 
Schritt  thut,   statt  des  Originales  einen  umgestalteten  Autor  dem 
Schüler  vorzulegen,  dann  giebt  es  keine  objektive  Norm  mehr  für 


Nepos'  LebensbeschreiboDgeo,  agz.  v.  Heuer.  159 

die  Art  der  Umarbeitung.  Doch  hat  der  Verfasser  die  eigenartigen 
Vorzöge  des  INepos  unserer  Jugend  zu  erhalten  versucht,  wenn- 
gleich er  die  Sprache  desselben  mit  besonderer  Berücksichtigung 
des  Cäsar  umgearbeitet  hat. 

Posen.  Joseph  Weisweiler. 

Savmlnng    lateinischer  and   gpriechischer  Scbalaosgabeo,   her- 

aasgegebeo  von  H.  J.  Müller   aod  0.  Jäger.     Verlag  von  Velhageo 

&  Klasiog  io  Bielefeld  uod  Leipzig. 
Coroelins  Nepos.     Auswahl  aus  den   LebeosbeschreibuDgeD.     Bearbeitet 

TOD  Dr.  P.  Do  et  seh,    Direktor   des   Progymoasiams  za  Easkircheo. 

Mit  zwei  Karteo.     2  BÜDdcheo.     1894.    Text  X  a.  91  S.  geb.  0,90  M, 

Rommeotar  1 16  S.  geb.  0,90  M. 

1.   Der  Text   ist    nach  Vorwort  S.  VI,    indem  vorzugsweise 
die  Nepos-Ausgaben    von  Cobet,   Andresen    und  Weidner  benutzt 
wurden,  so  gestaltet,  dafs  „ausgeschieden  ist:  1)  was  irgendwie  an- 
stöfsig  erschien;  2)  was  in  der  Darlegung  der  inneren  slaatjichen 
Verhältnisse  dem  Verständnis  des  Quartaners  fern  steht;    3)  was 
in   der  Charakierislik  der  Personen  ohne  Bedeutung  ist;    4)  was, 
besonders  in  schwierigen  Satzgefügen,  unbeschadet  des  Zusammen- 
hanges, sich  entbehren  läfst'*.    Der  Text  ist  überhaupt,  und  zwar 
mit  grofsem  Geschick    und  einer  Einsicht  und  Sorgfalt,    die  den 
töcfaiigen  Schulmann  auf  Schritt  und  Tritt  erkennen  läfst,  so  um- 
giestaltet,  dafs  er  dem  Latein,  welches  der  Schuler  bisher  gelernt 
bat    und    fernerhin  verstehen  bezw.    schreiben  muls,   weit  mehr 
entspricht    als   der  Text  des    Cornelius  Nepos    mit    seinen    zahl- 
reichen Abnormitäten   und  sprachlichen  Mängeln.     Die  Auswahl 
enthält  dieselben  Lebensbeschreibungen,  wie  das  Lesebuch  von  H.  J. 
Möller  (Oslermanns  lat.  Übungsbuch  für  Quarta),  welches  der  Hsgb., 
wie   er  selbst  Vorrede  S.  VI  angiebt,  bei  Anfertigung  seiner  Ausgabe 
hier  und  da  benutzt  hat:  MiItiades,Themistokles,  Aristides,  Pausanias, 
Cioion,  Alcibiades,  Lysander,  Thrasybulus,  Pelopidas,  Epaminondas, 
Hamilker,  Hannibal;   aufserdem  Agesilaus  und  Dalames.     Mit  der 
Reihenfolge    der  Lebensbeschreibungen,    für   welche    „lediglich 
der  geschichtliche  Zusammenhang  mafsgebend  war**  (Vorrede  S.  V), 
kaoD    man    ganz  einverstanden   sein.     Zu  Agesilaus  könnte  man 
CoQon  aufgenommen  wünschen,  weil  beide  Lebensbeschreibungen 
zasammen   Gelegenheit    bieten,    das  Aufhören   der  herrschenden 
Stellung    Sparlas    in  Griechenland    zu    beleuchten.      Die  Lebens- 
beschreibung des  Datames,    welche  „zwar  griechische  Verhältnisse 
nicht  berührt,    aber    auf   den  Verfall   des  einst  für  Griechenland 
bedrohlichen  Perserreichs    ein    helles    Streiflicht    wirft'*    (Vorrede 
S.  Vi),  scheint  dem  Ref.  von  geringerer  Wichtigkeit  zu  sein,  weil 
das   in    ihr  Erzählte  den  Schulern   im  Geschichtsunterricht  wohl 
nicht  vorgetragen  wird  und  auch  wohl  nicht  interessant  genug  für 
•ie  hl.    Dagegen    halten  vielleicht  die  Lebensbeschreibungen  des 
Pbocfon  und  des  Eumenes  Aufnahme  verdient,  weil  dieselben  einen 
Ansbljck  bieten  auf  die  Zeit  des  Demosthenes  und  auf  die  Kämpfe 


160  Nepos'  Lebeasbeschreibongen,  agx.  v.  Heaer. 

Alexanders  d.  Gr.  und  die  der  Diadochen.  Die  Einteilung  der 
Lebensbeschreibungen  in  einzelne  Abschnitte  ist  praktisch.  Die 
vorausgeschickten  Einleitungen  sind  sehr  geeignet,  das  Interesse 
an  der  Lektüre  zu  erregen ;  anderseits  allerdings  könnte  man  der 
Ansicht  sein,  dafs  die  einzelnen  Inhaltsangaben  bezw.  z.  B.  in  der 
Vorrede  zu  Themistokles  die  unter  II  angegebenen  Punkte  nach 
der  Lektüre  durch  die  Schuler  unter  Anleitung  des  Lehrers  zu 
finden  seien.  Das  sorgfaltige  Verzeichnis  der  Eigennamen  und 
die  zwei  übersichtlichen,  im  einzelnen  hinreichend  genauen  Karten 
am  Ende  des  Rändchens  beweisen  ebenfalls  das  liebevolle  Ein- 
gehen des  Verfassers  auf  das  Interesse  und  das  Verständnis 
des  Quartaners. 

2.    Der    Kommentar    soll    „dem    Schüler    einerseits    die 
schwierige    Einführung    in    die    lateinische   Lektüre    erleichtern, 
anderseits    ihm   durch    Herausschälen   allgemeiner  Gesichtspunkte 
für  die  Übertragung  und  durch  Zusammenstellung  häufig  wieder- 
kehrender Phrasen    die  Vorbereitung   auf  die  weitere  Lektüre  in 
Quarta  und  Tertia  vereinfachen.    In  ersterer  Beziehung  sind  die 
Erläuterungen  so  gehalten,    dafs  sie  ihn  1)  der  Benutzung  eines 
Wörterbuches    überheben,    2)   durch    stetes  Ausgehen    von    der 
Grundbedeutung  eines  Wortes  oder  Ausdruckes  zur  richtigen  und 
stiigemäfsen  Übersetzung  anleiten,   3)  durch  Zerlegung  und  Ord- 
nung schwieriger  Konstruktionen  zur  schnellen  und  leichten  Auf- 
fassung des  Inhalts  führen.    Nach  der  anderen  Richtung  sind  aus 
den  Erklärungen  zu  den  beiden  ersten  Biographieen  anleitende 
Winke  gezogen,  auf  welche  in  den  folgenden  Erläuterungen  Be- 
zug genommen  wird'*   (Vorrede  S.  VI,  S.  VII).     Diese   ganz    ver- 
ständigen Gesichtspunkte  sind   so  gut  ausgeführt,   die   „Erläute- 
rungen*' sind  so  sorgfältig,  korrekt  und  gelungen,  dafs  der  Kom- 
mentar  uneingeschränktes  Lob  verdient.     Es  ist   aber  Sache  des 
Lehrers,   dafür  zu  sorgen,    dafs  der  Gebrauch  des  vortrefflichen 
Kommentars,  insbesondere  der  äufserst  ausführlichen  Erklärungen 
zu  den  beiden  ersten  Biographieen,  mit  der  Forderung  der  neuen 
Lehrpläne,  wonach  die  Vorbereitung  der  Lektüre  im  ersten  Halb- 
jahre in  der  Klasse  stattfinden  soll,  sich  vereinbaren  lälst;  jeden- 
falls darf  der  Kommentar  nicht  die  Anleitung  des  Lehrers  in  der 
Klasse    entbehrlich    machen.     Der  Lehrer   hat  insbesondere  auch 
darauf  streng  zu  achten,   dafs   die  auf  Seite  10  ff.  und  auf  Seile 
27  ff.  zusammengestellten  „anleitenden  Winke*'  (für  die  Übersetzung) 
zunächst    durch   gemeinsame    Arbeit    von    Lehrer    und 
Schülern    während  der  Lektüre  gewonnen  werden.     Denn 
der   Unterricht   mufs    den  Schüler   zur   Selbstthätigkeit    anregen 
und  an  selbständiges  Denken  gewöhnen.    Bei  richtigem  Gebrauch 
ist  der  Kommentar  von  Doetsch  für  den  Schüler  ein  empfehlens- 
werter Begleiter  auf  dem  ersten  Wege   zur  lateinischen  Lektüre. 
Die  von  D.    angefertigte  Zusammenstellung   der  Redewendungen, 
die  der  Schüler  erst  aus  der  Lektüre  kennen  lernt,  ist  einerseits 


Aly,  Horaz,  leio  Leben  nod  seine  Werke,  agz.  v.  Becker,     ig! 

iKichtig  für  das  Verständnis  des  Nepos  und  für  die  spätere  Lektüre 
des  Cäsar,  anderseits  bietet  sie  dem  Schiller  eine  nicht  unwichtige 
Hülfe  zum  Obersetzen  aus  dem  Deutschen. 

Die  Ausstattung  der  anerkennenswert  billigen,  solid  gebun- 
denen Bändchen  entspricht  allen  Anforderungen  der  Schulhygiene. 

An  denjenigen  Anstalten ,  an  welchen  das  oben  erwähnte 
Lesebuch  von  H.  J.  Müller  (Ostermanns  latein.  Übungsbuch  für 
Quarta)  nicht  im  Gebrauch  ist,  wird  sich  die  Nepos-Ausgabe  von 
Doetscb  gaoz  besonders  zur  Einführung  empfehlen*  Der  Kom- 
mentar ist  in  vortrefflicher  Weise  geeignet,  auf  die  Lektüre  des 
Cäsar  vorzubereiten,  und  bietet,  dem  Programm  der  Müller*Jäger- 
seheo  Sammlung  entsprechend,  nicht  mehr,  aber  genau  das,  was 
der  Schüler  braucht. 

Bettthen  0.  S.  E.  Heuer. 


1]  Friedrich  Aly,  Horaz,  sein  Leben  nnd  seine  Werke.  Giiters- 
loh  1893,  C.  Bertelsnann.  46  S.  8.  0,60  M.  (Gymnasiai-Bibliothek, 
15.  Heft) 

Nach  einem  kurzen  Rückblick  auf  die  früheren  litterarischen 
Leistungen  der  Römer  stellt  der  Verf.  Uorazens  Leben  und  Dich- 
tungen in  enger  Verbindung  mit  einander  dar,  und  zwar  nicht 
nur  so,  dafs  äufserlich  in  die  jedesmalige  Lebenszeit  die  hinge- 
hörigen Werke  eingefugt  sind,  sondern  so,  dafs  sich  sein  Leben 
und  seine  Anschauungen  in  seinen  Gedichten  abspiegeln,  eine 
Einheit,  wie  sie  ja  bei  wenigen  Dichtern  in  solchem  Grade  besteht. 
Die  Darstellung  ist  dabei  durchweg  anr^end  und  frisch,  das  Ur- 
teil maJOsvoll  und  gesund.  Man  wird  das  Heft  gern  zur  Privat- 
lektöre  in  den  Händen  der  Primaner  sehen,  ja,  man  könnte  es 
zum  Leitfaden  für  die  Lektüre  machen,  wobei  dann  freilich  pri- 
vate Lektüre  der  Horazischen  Dichtungen  im  Urtext  oder  in  der 
Übersetzung  als  Ergänzung  hinzutreten  müfste. 

Das  Buch  beginnt  mit  der  Behauptung,  der  Niedergang  des 
römischen  Freistaates  habe  um  dieselbe  Zeit  begonnen,  wo  die 
römische  Litteratur  ihre  Geburtsstunde  feierte;  jener  sei  einge- 
treten mit  dem  Oberschreiten  der  natürlichen  Grenze  Italiens,  die 
Geburt  der  Litteratur  habe  staltgefunden  durch  die  Obersetzung 
der  Odyssee  in  römische  Saturnier,  die  Livius  Andronikus  lieferte, 
d.  i.  mit  dem  Oberschreiten  der  Grenzen  der  Nationalität.  Nun 
ist  es  ja  wahr,  dafs  mit  der  Ausbreitung  über  die  Grenzen  Ita- 
Heus  der  erste  Keim  gelegt  ist  zur  Verderbnis  des  alten  gesunden 
Voiksgeistes.  Aber  für  uns  ist  doch  die  kommende  Weltherrschaft 
Roms  erst  der  Höhepunkt  seiner  Geschichte;  sie  allein  ist  es, 
weshalb  wir  uns  noch  jetzt  mit  der  Geschichte  des  römischen 
Volkes  zu  beschäftigen  haben,  wodurch  es  weltgeschichtliche  Wir- 
kungen hervorgebracht  hat.  Jene  Bemerkung  so  ohne  Einschrän- 
koii;^  Eingestellt,  kann  die  Schüler  nur  verwirren. 

StUaekr,  t  d.  Ojmntmialwe»9n  XLYIII.    2.  S.  W 


102      SehDeider,  Helleoische  Welt-  u.  l^ebeosanschanaogen, 

Ohne  kritische  Bemerkung  wird  S.  39  berichtet,  dafs  Horaz 
Epist.  11  13  dem  August  die  Dichter  empfohlen  habe,  die  für  das 
Auge,  nicht  für  das  Ohr  dichteten,  auch  öfter  berichtet,  er  habe 
seine  Gedichte  nicht  vorlesen  lassen.  Das  mag  nun  damals  be- 
rechtigt gewesen  sein,  aber  dürfen  wir  dem  Scliüler  verschweigen, 
dafs  es  im  Grunde  ein  Fehler  ist?  Wozu  dient  alle  metrische 
Feinheit,  wenn  die  Gedichte  nur  mit  dem  Auge  gelesen  werden, 
wenn  die  Metrik  nur  mit  dem  Verstände  betrachtet,  nicht  mit 
dem  Ohr  genossen  wird,  wofür  sie  einzig  da  ist?  Bei  Horaz  ist 
das  ein  Zeichen  seiner  gelehrten  Stubenpoesie,  die  Schüler  müssen 
doch  hören,  dafs  dies  nicht  das  Ideal  der  Dichtung  ist. 

Ebenfalls  ohne  Beurteilung  wird  S.  3  die  Erziehungsweise 
von  Horazens  Vater  geschildert.  Ist  sie  nicht  an  sich  bedenklich? 
Wollen  wir  jemand  stärken  gegen  die  Verführungen  der  Zeit,  so 
nähren  wir  in  ihm  edle  Gedanken,  machen  ihn  vertraut  mit  hohen 
Vorbildern,  begeistern  ihn  für  selbstloses  Streben;  wer  wird  es 
aber  versuchen,  „den  Sohn  durch  den  Hinweis  auf  die  verderb- 
lichen Folgen  eines  wüsten  Lebens  gegen  Versuchungen  zu 
festigen'^  und  sich  auf  seine  Einsicht  berufen,  wenn  er  ihn  vor 
Verschwendung  und  Unsittlichkeit  warnt?  Das  ist  rationalistisch. 
Es  hat  freilich  in  Horaz  den  grofseu  Satiriker  herangebildet.  Aber 
allgemeingültig  ist  es  nicht,  und  doch  muts  es  den  Schülern  so 
erscheinen,  wenn  es  ohne  Widerspruch  bleibt. 

So  hätte  ich  noch  an  mehreren  Stellen  gewünscht,  dafs  der 
Verf.  über  den  blofsen  Bericht  hinausgegangen  wäre  zu  Urteil 
und  Reflexion,  auch  zu  vergleichenden  Ausblicken  auf  analoge 
Verhältnisse  in  Deutschland.  Er  wird  vielleicht  sagen,  das  gehört 
in  den  Unterricht.  Aber  soll  es  deshalb  aus  dem  zur  Privatlektüre 
bestimmten  Buche  ausgeschlossen  sein?  Ohnehin  macht  es  der 
eine  so,  der  andere  anders.  Raum  war  da;  einem  so  wichtigen 
Dichter  wie  Horaz  konnten  auch  ein  paar  Seiten  mehr  gewidmet 
werden. 

2)  Gastav  Schneider,  Hellenische  Welt-  und  Le  bensaoschaa- 
no^en  in  ihrer  Bedeutnn^  für  den  gymnasialen  Unterricht. 
Gera  1B93,  Th.  Hofmann.     43  S.     8.    0,60  M. 

Das  Gymnasium,  so  ist  der  Gedankengang  des  Verf.s,  trifft 
oft  und  zum  Teil  mit  Recht  der  Vorwurf,  es  vermittele  seinen 
Schülern  zu  sehr  nur  Wissen  und  Kenntnisse  und  Übung  im  lo- 
gischen Denken,  es  biete  zu  wenig  Erhebendes  und  Erfreuliches, 
zu  wenig  Anregung  für  Gemüt  und  Phantasie.  Wenn  es  diese 
Einseiligkeit  überwindet,  wird  es  die  Zuneigung  des  Publikums 
die  es  verloren  hat,  wiedergewinnen.  Das  Mittel,  sie  zu  über- 
winden, ist  die  Einführung  in  die  griechische  Welt-  und  Lebensan- 
schauung. Der  alldurchdringende  Lebenssaft  dieser  Weltanschauung 
ist  der  Gedanke  des  Schönen.  Er  bestimmt  erstens  die  Ge- 
dankenwelt der  Griechen,  wie  wir  sie  sowohl  in  dem  Sprach- 
gebrauch,   als    auch    besonders    in    Piatos    Philosophie    finden. 


an^ez.  von  Th.  Becker.  Ig3 

(Schneider  selbst  ist  begeisterter  Platoniker,  er  erwähnt  von  sich 
eine  Schrift  über  Platonische  Metaphysik,  Leipzig  1884.)  Er  be- 
stimmt aber  zweitens  auch  die  Kunst.  Wollen  wir  nun  dem 
Scbdler  Erhebung  für  das  Gemüt  und  Anregung  für  die  Phan- 
tasie darbieten,  so  müssen  wir  ihn  in  beides  lief  hineinführen. 
Wir  müssen  zeigen,  wie  Piatos  ganze  Gedankenwelt  durchtränkt 
ist  Yon  dem  Begriff  des  Schönen,  und  da  der  Platonische  Geist 
„der  griechische  Geist  in  seiner  vornehmsten  Höhe  und  in  seiner 
gröGsten  Erhabenheit'*  ist  (S.  27),  so  ist  dadurch  der  Schüler  in 
die  griechische  Weltanschauung  überhaupt  eingeführt;  wir  müssen 
aber  auch  Mittel  finden,  um  den  Schüler  mit  der  griechischen 
Kunst  bekannt  zu  machen  und  zu  zeigen,  wie  auch  hier  das  Schöne 
der  alleinherrschende  Begriff  ist. 

Die  Platonischen  Gedanken,  auf  die  es  hierbei  ankommt, 
hegen  nur  sehr  stückweise  vor  in  den  Dialogen,  welche  die  Schule 
liest  (Verf.  schöpft  bei  seiner  Darlegung  derselben  besonders  aus 
dem  Staat,  TimSus,  Philebus,  Gastmahl,  Phädrus),  aber  es  finden 
sich  doch  überall  Anklänge  daran,  sie  sind  zu  entwickeln  und 
darch  den  Liehrer  zu  ergänzen. 

Mit  griechischer  Kunst  sollen  die  Schüler  bekannt  gemacht 
werden  durch  Abgüsse  und  Abbildungen.  Doch  ist  mit  Vorsicht 
zu  verfahren.  Das  Vorzeigen  soll  nicht  zerstreuen,  es  soll  auch 
nicht  durch  unbehülfliche  archaische  Darstellungen  enttäuschen 
oder  ein  Lächeln  abzwingen;  man  soll  immer  ein  Ganzes  bieten, 
also  neben  einer  Büste  im  Abgufs  ein  Bild  von  der  ganzen  Statue, 
nicht  yerstümmelte,  sondern  ergänzte  Bildwerke. 

Das  sind  die  Hauptgedanken  der  Schrift.  Verf.  beruft  sich 
auf  seine  Erfahrung,  er  hat  den  Unterricht  lange  Jahre  so  erteilt. 
Er  legt  auch  grofses  Gewicht  darauf,  dafs  dies  eine  Einführung 
in  die  Philosophie  sei;  für  dieses  sein  Streben  beruft  er  sich 
S.  8  auf  Virchows  Vortrag  über  Lernen  und  Forschen,  wonach 
Aditong  vor  der  Philosophie  schon  auf  der  Schule  sich  anerziehen 
lasse,  und  S.  36  führt  er  aus,  wie  die  philosophische  Propädeu- 
tik einzuführen  habe  in  Begriffe,  „welche  Begriffe  der  Wissen- 
schaft überhaupt  und  der  gebildeten  Sprache  geworden  sind'^  die 
„dem  Schüler  immer  wieder  begegnen,  die  er  schon  oft  selbst 
gebraaeht  bat,  und  die  er  doch  nicht  versteht,  die  er  aber  ver- 
stehen lernen  muls,  wenn  er  die  Sprache  der  Wissenschaft  ver- 
stehen wiiP'. 

Was  der  Verf.  uns  bietet,  ist  die  Besprechung  eines  ein- 
zelnen Gedankenkreises,  der  neben  anderen  auch  im  Unterrichte 
▼erarbeitet  werden  kann,  ja,  wenn  möglich,  mufs.  Andere  Kreise 
sind  die  sittlichen  Begriffe  der  Ehre,  Treue  u.  s.  f.  Bei  seiner 
Befaaodlaog  des  Schönen  nun  fehlt  die  Kritik,  die  griechische 
Weftaoschauung  gilt  ohne  weiteres  als  die  allgemein  gültige.  Die 
'eaCscbe  Kunst,  welche  mehr  Charakteristik,  mehr  innerliches 
Lebea     mehr  Gemüt  erstrebt,   bleibt  fern,   und  doch  leistet  sie 

11* 


154  Lao^e,  Thukydides,  angez.  v.  Th.  Becker. 

gerade,  was  der  Verf.  zur  Gesundung  des  Gymnasiums  wünscht, 
Erhebung  für  das  Gemüt  und  Anregung  der  Phantasie,  in  beson- 
derem Grade.  Überhaupt  macht  es  einen  eigentümlichen  Eindruck, 
dafs  nach  einer  Einleitung,  welche  das  ganze  Gymnasium  bessern 
will,  nur  der  griechische  Unterricht  in  der  Prima  zur  Sprache 
kommt.  Soll  denn  der  griechische  Unterricht  wirklich  der  einzige 
sein  und  Prima  die  einzige  Klasse,  wo  solche  Herz  und  Gemüt 
erquickenden  Gedankenkreise  zur  Sprache  kommen? 

3)  EdmoDd  LaDge,  Thukydides  und  sein  Geschichtswerk.  Mit  3 
Abbilduoseo.  Gütersloh  1893,  C.  Bertelsmano.  76  S.  8.  1  M.  (Gym- 
nasial-Bibliothek,  16.  Heft.) 

Lange  bespricht  zuerst  das  Leben  des  Thukydides  nach  sei- 
nem äufseren  Verlaufe  und  zeigt,  wie  es  die  Ausbildung  des  Ge- 
schichtsschreibers begünstigte.     Es  folgt  ein  Abschnitt  über  seine 
Lebensanschauung,    seinen   tiefen  Ernst   an  Stelle    des   sonst  die 
Athener   kennzeichnenden    leichten  Sinnes,   sein  Verhältnis    zum 
Gölterglauben,  zu  den  Naturerscheinungen,  sein  Urteil  über  das, 
was  den  Wert  des  Menschen    ausmacht,    seine    staatsmännischen 
Fähigkeiten.     Als  Geschichtsschreiber  ist  er  der  erste,   der  Kritik 
übt,    der   auch    die  Sage  für  geschichtliche  Zwecke  benutzt;    im 
Gegensatz  zu  Herodot  scheidet  er  das  Element  des  Wunderbaren 
aus  seiner  Darstellung  aus  und  sucht  alles  aus  den  Gesetzen  der 
menschlichen  Natur  herzuleiten;  Xenophon  übertrifft  er  an  Tief- 
sinn und  Unparteilichkeit.   Daran  schliefst  sich  an  S.  15—26  eine 
ausführliche,    sehr   treffende  und    klare  Charakterisierung   seines 
Geschichtswerkes,   ich  möchte  zu  diesem  ganzen  Teile  des  Buches 
mir   nur    die  Bemerkung    gestatten,    ob  Xenophons  Hellenika  es 
wirklich  verdienen,   so  schlecht  gemacht  zu  werden,  wie  es  hier 
und  auch  von  anderen  herkömmlich  geschieht.   „Dieser  war  über- 
haupt   kein  Historiker  im    strengen  Sinn,    auch    nicht  in  seinen 
historischen  Schriften.     Er   war    vorwiegend    Memoirenschreiber^' 
u.  s.  f.     Ich  will   gewifs    seine  Mängel    nicht    beschönigen,    aber 
wenn  ich  Hellen.  III — VII  nach  der  Auffassung  von  L.  Breitenbach 
als  Einheit  betrachte  und  sehe,   wie    der  Grundgedanke  durchge- 
führt ist,  dafs  Sparta,  durch  sein  Glück  zu  Übermut  und  Frevel 
verleitet,    selbst    seinen  Sturz    herbeiführt,    nnd    dafs  nun  nach 
Athens  und  Spartas  Schwächung    äxQiola  xal  tagaxij  herrscht, 
so    ist   das    eine  Auffassung    der  Dinge    unter  einem  vieles   um- 
fassenden Gesichtspunkt,    aber    keine  Zusammenhäufung  der  zu- 
fälligen persönlichen  Erlebnisse,  keine  Memoirenschreiberei.     Aber 
darüber  werden  wir  ja  bald  im   9.  Hefte  Hoffmann  vernehmen. 

Das  Eigentümlichste  an^  Langes  Arbeit  ist  der  S.  26 — 76  ge- 
machte Versuch,  durch  eingehende  und  übersichtliche  Inhaltsan- 
gabe dem  Schüler  eine  Einsicht  in  das  ganze  Werk  zu  verschaffen, 
die  ihm  beim  stückweisen  Lesen  in  der  Schule  notwendig  fehlen 
muCs.   Wir  erhalten  also  eine  Art  Geschichte  des  Peloponneaischen 


H.Uhle,  Griechisefae  Scholgraniiuatik,  agz.  v.  WeirsenfeU.     Ig5 

Krieges,  im  ganzen  natörlich  in  strenger  Beschränkung  auf  das, 
was  Tbukydides  bietet,  jedoch  mit  Einfügung  zusammenfassender 
Schilderungen  vom  Leben  und  Charakter  des  Perikles,  des  Kleon 
und  Brasidas,  des  Deroosthenes  und  des  Alkibiades  (bei  diesem 
jedoch  mit  bedeutender  Überschreitung  der  Grenzen  Ton  Thu- 
kfdides'  Darstellung). 

Dabei  werden  überall  die  Reden  entsprechend  ihrer  Bedeu- 
tung eingehender  behandelt,  einmal  sogar  die  Übersetzung  eines 
ganzen  Kapitels  aus  der  Leichenrede  eingeschoben.  —  Der  Zweck, 
den  der  Verf.  hier  verfolgt,  ist  sehr  zu  billigen.  Wollen  wir  un- 
seren Schülern  eine  Bekanntschaft  mit  dem  Geiste  des  Altertums 
vermitteln,  so  werden  wir  immer  wieder  darauf  hingeführt,  eine 
Bekanntschaft  mit  den  ganzen  Werken  ins  Auge  zu  fassen.  Aber 
die  Frage  ist,  ob  wir  dann  nicht  statt  solcher  litterarhistorischen 
Inhaltsübersichten  uns  lieber  zum  Lesen  einzelner  wichtiger  Ab- 
schnitte in  deutscher  Übersetzung  entschliefsen,  .die  doch  eher 
weitere  eigene  Kenntnisnahme  von  dem  Werk  erzielen.  Man 
könnte  sie  teils  in  Sekunda  bei  der  griechischen  Geschichte 
heranziehen,  teils  in  Prima  bei  der  Lektüre  des  Tbukydides 
selbst  Freilich  wurde  wohl  nicht  mehr  Zeit  sein^  als  dafs  viel- 
leicht einzelnes  in  der  Klasse  vorgelesen,  anderes  zu  Schülervor- 
tragen benutzt  würde. 

Die  drei  auf  dem  Titel  genannten  Abbildungen  stellen  antike 
Büsten  von  Tbukydides,  Perikles  und  Alkibiades  dar.  Dazu  kommt 
eine  hübsche  Skizze  von  Syrakus  nach  Lübker  im  Hafsstabe  von 
1:100  000,  auf  der  nur  für  den  vorliegenden  Zweck  stört,  dafs 
die  Unagebungsmauern  der  Sladt  unter  Dionysios  L  eingezeichnet 
sind.  —  Der  Druck  ist  sehr  korrekt,  nur  S.  11  ist  mir  aufgefallen 
Mitylenaier  statt  Hytilenaier. 

Neastrelitz.  Th.  Becker. 


H.Uhle,  Griechische  Schalgramnifttik,  io  VerbiodoDg  mit  A.  Procksch 
ood  Th*  Bätto er- Wobst  heraasgegebeo.  Vierte,  verkürzte  Auflage. 
Leipzig  1893,  B.  6.  Tenboer.    VHI  o.  210  wS.    geb.  2,60  M. 

Uhles  Schalgrammatik  ist  jetzt  aus  dem  Verlage  von  Grunow 
in  den  von  Teubner  übergegangen  und  liegt  in  vierter  Auflage 
vor.  Was  ich  1884  im  Novemberhefte  dieser  Zeitschrift  von  der 
dritten  Auflage  geschrieben  habe,  sie  genüge  den  wesentlichen 
Anforderungen,  die  an  ein  Schulbuch  zu  stellen  seien,  in  vollem 
Mafse  nnd  sei  eine  recht  erwünschte  Bereicherung  unserer  Unter- 
richtsmittel, kann  ich  auch  der  neuen  .aus  voller  Überzeugung 
nachröhmen.  Freilich^  wer  da  glaubt,  ein  genügendes  Verständnis 
der  Schriftsteller  lasse  sich  auch  ohne  gründliche  grammatische 
Kenntnis  erreichen,  oder  gar,  eine  grammatische  Bildung  von  der 
Art,  wie  man  sie  noch  vor  kurzem  unbedenklich  oberflächlich 
genannt  hätte,  sei  eine  stille  Forderung  der  neuen  Lehrpläne,  wird 


166  H*  Uhle,  Griechische  Schulgramniatik, 

wie  die  ältere,  so  auch  die  neuere  Auflage  bald  bei  Seite  legen 
Ich  kann  weder  das  eine  noch  das  andere  denken;  wer  mit  mir 
verlangt,  dafs  ein  Schüler  die  sprachlichen  Gesetze,  die  auf  jedem 
Blatte  eines  griechischen  Schriftstellers  wiederkehren  oder  doch 
wiederkehren  könnten,  wirklich  beherrscht,  wird  entweder  U.s 
Grammatik  benutzen  müssen  oder  eine  solche,  die  ihr  sehr  ähn- 
lich sieht. 

Es  ist  nun  einmal  im  Wesen  der  griechischen  Sprache  be- 
gründet, dafs  eine  Grammatik,  selbst  eine  Schulgrammatik  der- 
selben, in  ihrer  Formenlehre  ohne  eine  gewisse  Zahl  ?on  Bildungs- 
regeln undenkbar  ist.  Neuere  Versuche,  zur  Vereinfachung  des 
Lehrstoffes  an  diesen  zu  streichen,  haben  zu  einem  kläglichen 
Fiasko  geführt,  in  das  hoffentlich  nicht  erst  die  Schüler  werden 
hineingezogen  werden.  U.  hat  also  ganz  recht  daran  gethan,  dafs 
er,  um  seine  Grammatik  den  neuen  Bestimmungen  entsprechend 
zu  gestalten,  von  derartigen  Kürzungen  abgesehen  hat.  Dennoch 
ist  es  ihm  gelungen,  den  Umfang  der  Formenlehre  von  106  Seiten 
auf  94  zu  beschränken.  Diesen  Umfang  wird  man  bescheiden 
nennen  müssen,  wenn  man  bedenkt,  dafs  erstens  Paradigmen  von 
U.  in  reichster  Fülle  geboten  sind,  und  zweitens  gleiche  und  ähn- 
liche Formen  unter  dem  Texte  planmälsig  und  fast  zu  umständ- 
lich auseinander  gehalten  werden. 

Nach  der  eingehenden  Anzeige  der  dritten  Auflage  habe  ich 
nicht  nötig,  mich  über  die  allgemeine  Anlage  die  Flexionslehre 
weiter  auszulassen,  die,  von  vornherein  wohl  durchdacht,  eine 
einschneidende  Änderung  nicht  aufweisen  kann.  Ich  hebe  daher 
nur  einiges  aus  dem  Abschnitt  heraus,  um  daran  Vorschläge  zu 
weiteren  Verbesserungen  im  einzelnen  zu  knüpfen.  Den  sämt- 
lichen Paradigmen  der  Deklinationslehre  ist  der  Stamm  voran- 
gesetzt, was  in  anderen  Grammatiken  allgemeiner  nur  in  der 
dritten  Deklination  geschieht.  Diejenigen,  die  einen  Gewinn  auch 
für  die  A-  und  0- Deklination  davon  nicht  abzusehen  vermögen, 
verweise  ich  auf  Curtius'  Erläuterungen  S.  47  ff.  Die  Lehre  von 
der  Steigerung  der  Adjektiva  ist  dadurch  jedenfalls  vereinfacht: 
wer  gewöhnt  ist  deiXo  ßqaxv  fieXav  (Xaipea  als  Stämme  der 
Adjektiva  dsMg  ßqaxvq  fiiXag  caifqq  zu  betrachten,  bedarf  für 
die  Steigerung  nur  der  einen  Regel,  dafs  die  Endungen  t^qog 
laiog  an  den  Stamm  des  Mask.  anzuhängen  sind,  und  ist  wohl- 
vorbereilet  für  die  Regel  in  der  Konjugation,  dafs  die  v.  pura  fast 
alle  von  Nominalslämmen  abgeleitet  werden.  Ich  will  nun  nicht 
die  erste  Regel  unter  den  Vorbemerkungen  der  konsonantischen 
Deklination  beanstanden:  den  Stamm  erhält  man  aus  dem  Genetiv 
Sing,  durch  Abwerfung  der  Endung  og\  denn  eine  Vorbemerkung 
zumal  die  erste,  soll  nicht  Ausnahmen  berücksichtigen,  und  der 
Schüler  findet  sie  in  den  ersten  Paradigmen,  denen  der  Konsonant- 
stärome,  regelmäfsig  bestätigt  Aber  wie  schon  die  hier  zuletzt 
erwähnten  synkopierenden   Wörter,   so  weisen    die   meisten    mit 


aogez.  VOR  P.  Weifseofels.  167 

Yokablämmen  und  elidierenden  Stämmen  doch  einen  andern 
Stamm  auf;  darum  wäre  wohl  eine  Bemerkung  angebracht,  die, 
ohne  vorhistorische  Sprachwandlungen  zu  berühren,  die  jeden- 
falls beachtenswerte  Erscheinung  feststellt.  Der  Ausdruck  „reiner 
Stamm'',  der  §  49  und  zwar  in  der  Deklinationslehre  nur  hier 
gebraucht  wird,  wurde  dann  ausgemerzt  werden  können.  — 
Auf  das  Verhältnis  des  Nom.  Sing,  zum  Stamme  einzugeben,  lag 
die  erste  Veranlassung  in  der  konsonantischen  Deklination  §  31 
^Guttural-  und  Labialstämme*'  vor.  Leider  kann  nun  in  den 
NominatiTen  q>vla^j  aV^j  Ai&toif/j  iflitp  wie  auch  in  den  Dat. 
Pinr.  der  Mischlaut  nicht  graphisch  als  die  Summe  des  Stamm- 
aosJautes  und  eines  q  (<;)  dargestellt  werden;  infolge  davon  bleibt 
es  dem  Schäler  fürs  erste  dunkel,  dafs  für  die  Maskulina  und 
Feminina  dieser  Deklination  g  als  Kasuszeichen  des  Nom.  Sing., 
(f«  als  solches  des  Dat.  Plur.  anzusetzen  sei.  Darum  wäre  wün- 
schenswert, dafs  U.  in  der  Erläuterung  der  Paradigmen  der  Regel 
^mit  €f  wird  jeder  Guttural  zu  $,  jeder  Labial  zu  \fj'*'  eine  dahin 
gehende  Bemerkung  vorausschickte.  In  §  32  „Dentalstämme*'  ist 
allerdings  durch  den  Druck  (xaxoTff-g,  xaxoT^-at)  das  Kasus- 
zetchen  sinnlich  wahrnehmbar  geworden ;  dagegen  besteht  zwischen 
den  Paradigmen  und  den  Regeln  über  die  Bildung  des  Vok.  Sing. 
ein  kleiner  Widerspruch.  Der  Vokativ  der  Oxytona,  heifst  es, 
und  aller  Participia  ist  gleich  dem  Nominativ,  aufser  bei  denen 
auf  ig  und  vg ;  in  den  übrigen  Fällen  stellt  der  Vokativ  den 
reinen  Stamm  dar,  soweit  er  im  Auslaut  möglich  ist:  xaxovijg 
für  »ccMOTiiv,  KdXxäp  von  Kdlxäg,  apnogy  ''^QtsfAt  von  ''Aqvsikig, 
tÖ0g  u.  s.  w.  Hiernach  versteht  der  Schuler,  dafs  nach  dem  bary- 
lonen  Nominativ  xaxoxti-g  ein  Vok.  xaxor^g  gedruckt  wird,  ver- 
steht auch  KdX%av  und  "AqTsikt  und  lernt  aus  der  Anwendung  in 
konkreten  Fällen,  dafs  die  nach  §6c  unmöglichen  Auslaute  der  Stämme 
%  und  d  bei  der  Vokativbildung  in  g  übergehen  (xaxotfig)  oder  ohne 
weiteres  ausfallen  {KdX%av,  ^Aqzsik^).  Aber  so  richtig  es  ist,  danach 
als  Vokativ  des  oxytonen  Nominativs  kafjbna-g  wieder  laf^na-g  zu 
dnidien,  so  geht  es  doch  nicht  an,  nach  dem  ebenfalls  oxytonen  No- 
minativ yvfäy^-g  den  Vok.  r^fjbvijg  anzugeben.  Denn  danach  niüfsle 
der  Auslaut  g  ebenso  wie  in  dem  Vok.  naxoTtjg  gleich  dem  Stamme 
lauten,  nur  dafs  er  dessen  Auslaut  t  in  g  verwandelt  hätte,  wäh- 
rend er  doch  wie  der  Vok.  lafAna-g  gleich  dem  Nom.  lauten  und, 
wie  dieser  sigmatisch  gebildet,  vor  g  als  dem  Kasuszeichen  den 
Stammauslaut  t  eiogebüDst  haben  soll.  Leider  würde  nun  das 
Ergebnis  nach  genauer  Einprägung  des  Gebotenen  zu  dem  Auf- 
wsad  an  Mühe  in  keinem  rechten  Verhältnis  stehen;  es  würde 
sich  daher  m.  £.  empfehlen,  den  ungebräuchlichen  Vok.  Sing. 
von  xtxxoTifgj  yvikv^g,  lafj^nag  und  gleichgearteten  Substantiven 
ibcrhaupt  nicht  zu  lehren,  für  die  übrigen  als  Hauptregel  die 
Gleichheit  des  Nom.  und  Vok.  Sing,  hinzustellen  und  die  Aus- 
nahmen unter  denen  auf  k^  vgj  aov  anzufügen.  —  Das  Verhältnis 


l()g  H.  Uhle,  Griechisehe  Schulgraminatik, 

des  Nom.  Sing,  zu  dem  Stamme  ist  unter  „Liquidastlmme'*, 
,, Vokalstamme**,  ,,E)lidierende  Stämme*'  nicht  weiter  verfolgt.  Man 
kann  dies  eine  Inkonsequenz  nennen,  Nvird  aber  doch  damit  ein- 
verstanden sein  müssen,  da  die  vorher  erwähnten  Mittel  der 
Nominativbildung,  Anhängung  von  g  und  organische  Dehnung, 
wiederkehren  und  damit  das  Verhältnis  thatsächiich  erschöpft  ist, 
vorausgesetzt  dafs  U.,  dem  oben  ausgesprochenen  Wunsche  ent- 
sprechend, späterhin  eine  kurze  Bemerkung  Ober  den  in  einigen 
Fällen  vom  eigentlichen  Stammvokal  abweichenden  Vokal  des 
Genetivstammes  einschaltet.  —  Kaum  ein  zweites  Lautgesetz  ist 
ven  dem  Griechen  so  streng  durchgeführt  wie  die  Ersatzdehnung 
vor  <r  nach  Ausfall  von  vt\  darum  lohnt  es  sich,  §  32  Anro.  1 
XccQl€(fi  und  §  49  x^Q^^<^''^^Qog  auf  den  Nebenstamm  zurOckzu* 
führen,  wenn  auch  der  Übergang  von  r  vor  t  in  a  erst  unter 
den  V.  mutis  von  gröfserer  Bedeutung  wird.  —  vUog  von  einem 
diphthongischen  Stamm  abzuleiten,  liegt  kein  Grund  vor; 
dagegen  wQrde  die  Bemerkung,  vlog  bilde  Nebenformen  nach 
ifdi;^,  nicht  blofs  praktisch  sein,  sondern  auch  das  Richtige  treffen, 
da  ja  ein  Nom.  vivg  nachweisbar  ist.  Anders  mag  es  mit  dem 
homerischen  vlog  stehen. 

Den  Übergang  zur  Besprechung  der  Konjugationslehre  mag 
eine  Bemerkung  über  die  Tonangabe  für  kontrahierte  Silben  bilden. 
„Bei  der  Zusammenziehung  einer  letzten  und  vorletzten  Silbe,** 
sagt  U.  §  9,  „entsteht  meist  -,  nur  aus  ^  ^  wird  jl/'  Das  sieht 
fast  so  aus,  als  sei  für  den  Fall  der  Kontraktion  eine  offene  auf 
der  vorletzten  Silbe  betoute  Form  in  der  Regel  vorauszusetzen, 
daneben  und  selten  ein  offenes  Oxytonon,  ein  offenes  Propar- 
oxytonon  aber  undenkbar.  Unglücklich  wie  diese  Regel  ist  auch 
die  in  §  87  für  die  v.  contracla  gegebene,  die  als  „auf  den  all- 
gemeinen Regeln  über  die  Betonung  zusammengezogener  Silben 
beruhende  Spezialregel**  eingeführt  wird:  die  kontrahierte  Silbe 
wird  betont,  womöglich  mit  Zircumflex,  d.  h.  wenn  nach  den  all- 
gemeinen Accentregcln  der  Zirkumflex  stehen  kann.  Ausgenommea 
sind  der  Singular  und  die  3  Plur.  Imperf.  Akt.  und  die  2  Sing. 
Imp.  Akt.,  welche  vor  der  kontrahierten  Silbe  betont  werden.** 
Als  Ausnahme  von  der  Regel  ist  bezeichnet  worden,  was  sich 
durchaus  einer  andern,  ebenbürtigen  Regel  fugt  und  nur  dann 
als  Ausnahme  erscheinen  kann,  wenn  man  jene  erste  Regel  mit 
Unterschälzung  der  andern  über  Gebühr  erweitert  hat.  Die  be- 
kannten drei  gleichwertigen  Regeln,  durch  idv—ijpj  voog — vovg^ 
hlfjLaop'hlfiooy  erläutert,  gehörten  in  §  9  aus  wissenschaftlichen 
Gründen  und  —  aus  praktischen.  Denn  die  Ausnahmen,  denen 
die  zweite  in  evvov,  die  dritte  in  XQ^^ovg  unterliegt,  w*erden, 
wenn  auch  in  der  Grammatik  vor  den  v.  contractis  behandelt,  in 
praxi  erst  erwähnt,  wenn  die  Regeln  selbst  an  den  v.  contractis 
geübt  sind;  und  von  den  weiteren  Ausnahmen  darf  anXai  dem 
Schüler  erlassen  werden,  svfj&aty  aber  ist  durch  §  10  „Komposita 


aB(^ez.  von  P.  Weirsenfels.  169 

werden   so    weit    wie   möglich   vom    Ende    weg   betont**   für  U. 
hiofiUig. 

Unter  den  allgemeinen  Vorbemerkungen  zur  Flexion  des 
Yerbums  ist  §  71  einer  recht  gründlichen  Revision  bedürftig; 
voeh  ist  die  Regel  über  die  Endungen  des  Opt.  §  72  nur  im  all- 
gemeinen richtig  iXvot'fyy  ekvo-y).  —  Unter  „Augment  und  Re- 
duplikation'* werden  Verba,  die  mit  f^,  Wj  l^  v  anlauten,  schlecht- 
hin augmentlos  genannt;  wenn  es  hiefse,  durch  die  Dehnung 
dieser  schon  langen  Vokale  entstehe  kein  neuer  Laut,  so  bedürfte 
der  Ton  in  %a&^c%o  keiner  Erwähnung.  Um  die  Reduplikation 
als  das  notwendige  Zeichen  aller  Perfekts Umme  ansetzen  zu 
können,  wird  Reduplikation  auch  in  itftQcersvxaj  ii^t^xa,  sQQ^tpa, 
^cxiixa  angenommen;  durch  diese  Ausdehnung  des  üegriffes,  die 
seinem  Inhalt  geradezu  widerspricht,  wird  nicht  einmal  die  An- 
eignung dem  Schüler  erleichtert.  —  Unter  den  Verben  der  Dehn- 
klasse §  91  wird  der  Schuler  aufgefordert,  die  später  behandelte 
Tempusbildong  der  Verba  nal&siv  und  tqißshv  zu  vergleichen, 
die  offenbar  beweisen  soll,  dafs  die  Präsensdehnung,  aufser  in  den 
starken  Aoristen,  in  der  ganzen  Tempusbildung  bleibe;  das  trifft 
bei  rgißsty  nicht  zu,  dessen  Perf.  ja  titQlipa  lautet,  auch  nicht 
bei  (^ety^  X^^^^  Isint^Vj)  nei&Biv  wegen  {iq^vfixa,  ixvd^v^ 
UXoifia,)  ninoi^a.  —  Als  reiner  Stamm  von  xqAtsiv  ist  §  93  b 
Aom.  und  §  103.  2  xqäy  angeführt;  er  ist  vielmehr  xqäy  und  daher 
xocfCo»  eins  derjenigen  Verba,  die  zwar  durch  die  Versetzung  des 
Präaensstammes  mit  «  zur  vierten  Klasse  gehören,  aber  doch  durch 
die  damit  verbundene  Dehnung  auch  Verwandtschaft  mit  der  zweiten 
Klasse  haben  (vgl.  f*äXa— (AäXXov).  —  Ein  reiner  Stamm  (fglx, 
den  wir  §  103.2  lesen,  ist  nicht  nachweisbar.  —  §  111  wird 
a«fU$y  als  Form  nach  der  bindevokalischen  Flexion  aufgeführt; 
es  ist  unmöglich  zu  sagen,  nach  welchem  Paradigma  die  Form 
gebildet  sein  soll.  Ein  häufig  sichtbares  Streben,  dem  Schüler 
bttges  Grübeln  über  singulare  Erscheinungen  zu  ersparen,  hat 
ebenda  unter  2  U.  veranlafst,  über  die  Aoristform  stifo  hinweg- 
zugehen und  3  Anm.  von  xQdfAWfiat  abzusehen.  Die  letzterwähnte 
Anm.  hat  überhaupt  keine  Rerechtigung,  nachdem  unter  2  ^dryta 
—  (inia%a<so)  inUftw,  ^niarw  keine  Stelle  gefunden  haben.  — 
{  113.  2  sollte  xst(Aa$  als  Vertreter  des  §  110  einzuklammernden 
Ti^€$f$ai>  bezeichnet  und  damit  der  Accent  in  naqaxBta&at 
erklart  werden.  Das  ist  auch  But^fiai  {xad'^if&ai)  auszudehnen; 
die  Aufforderung  in  9  11 4R  zu  xa&ijfievog  (jedenfalls  wegen  des 
Accentes)  xtifAsvog  zu  vergleichen  gewinnt  erst  Sinn,  wenn  beide 
Verba  als  Perfekta  aufgeführt  sind.  —  Recht  wünschenswert  wäre 
et,  wenn  §  116  die  Aoriste  Sßi^y,  anidqav^  syvwv,  idkoav,  ißiooVj 
üvy,  Sipw  (und  iffß^y,  das  hier  wie  §  119.6  nicht  behandelt 
wird)  in  Beziehung  zu  iittfiy  gesetzt  würden,  wenn  also  gelehrt 
virde,  daüs  dort  wie  hier  im  ganzen  Ind.  und  im  Inf.  derselbe 
Vokal,  die  organische  Dehnung  des  Stammvokals,  steht  und  ebenso 


170  H.  (Jhle,  Griechiselie  Schalgi*amin«tik, 

im  Imper.  ausgenommen  die  Form  auf  vttarj  in  der  wie  immer 
vor  VT  die  Kurze  eintritt,  dafs  dort  wie  hier  der  Partizipialstamm 
durch  AnbSngung  von  yr  an  den  Verbalstamm  gebildet  wird, 
womit  die  Aneignung  des  Nom.  Sing,  wesentlich  erleichtert  wird, 
der  Optativ  durch  Anhängung  von  l^v  an  den  Verbalstamm,  der 
Konj.  durch  Anhäogung  von  o>  und  Kontraktion,  bei  der  die 
Stämme  auf  a  impurum  und  o  dieselben  Abweichungen  von  den 
Konjunktiven  zific^^  fintS-ä  zeigen  wie  latdS  und  didä.  §  124.9 
könnte  dann  gekürzt  werden,  das  schon  jetzt  in  den  Aoristformen 
aufser  dem  §  116  vergessenen  Inf.  nur  eine  Wiederholung  aus 
§  116  ist.  Die  Praxis  lehrt,  dafs  eine  nur  mündlich  hergestellte 
Beziehung  dieser  Aoriste  zu  iifTijy  Formen  wie  Yvoit^v,  fvA^üLi,, 
ypopiBg,  aß^yat  nicht  für  die  Dauer  einprägen  kann.  —  Alle 
Teile  der  Formenlehre  sind  von  vereinzelten  Besonderheiten  und 
Unregelmäfsigkeiten  gereinigt  worden,  ganz  besonders  die  S§  über 
die  Verba  auf  PVfkt  und  die  unregelmäfsigen  Verba  der  ersten 
Hauptkonjugation.  Neu  aufgenommen  sind  nur  einige  weitere 
Formen  schon  früher  behandelter  Verba«  die  vielleicht  überflüssig 
scheinen  und  mit  denen  vermutlich  U.  ausgesprochenen  Wünschen 
entgegen  kommen  wollte:  xaToyä  nach  xaredy^y^  dyot^a^  nach 
dviw^a,  die  Tempora  von  naqaßaivsiv  nach  ßaiveiv,  alad^ia&ak 
nach  ^<J&6fi^yj  Xd߀Ts  nach  Xixßd  u.s.w. ;  fernerhin  und  wieder 
kurze  Bemerkungen  über  die  syntaktische  Behandlung  der  Verba. 
Dies  weiter  auszuführen  halte  ich  für  überflüssig. 

Auch  die  Syntax  hat  in  der  neuen  Auflage  eine  bedeutende 
Kürzung  erfahren:  sie  ist  von  97  S.  auf  79  beschränkt  worden. 
Neu  ist  §  244  „Vorbemerkungen  über  die  oratio  obliqua*'  als  Ein- 
leitung der  „Modi  in  Nebensätzen",  nach  dessen  Einfügung  der 
frühere  §  244  mit  dem  früheren  §  245  unter  der  letzten  Nummer 
verbunden  ist.  Der  jetzige  §  244.  1  enthält  auch  den  Inhalt  der 
nun  gestrichenen  Anm.  2  zu  §  255  der  älteren  Auflage,  wonach 
die  Verweisung  des  §  267.  2  b  noch  zu  ändern  ist.  Die  Fassung 
der  Regeln  ist  auch  in  diesem  Teile  meist  präcis  und  dem  Ver- 
ständnis des  Schülers  angepaist.  Leider  aber  haben  gewisse  An- 
regungen, die  ich  in  der  Anzeige  der  dritten  Auflage  gegeben 
habe,  nicht  die  erwartete  Beachtung  gefunden.  Ich  bringe  jene 
also  in  Erinnerung  und  knüpfe  daran  folgende  weitere  Bemer- 
kungen. §  218  ist  nicht  glücklich  redigiert;  denn  die  Fassung: 
jjSidj  lateinisch  per,  ob,  deutsch  durch,  wegen  steht  A  mit 
Genetiv  ...  B  mit  Accusativ  wegen,  propter,  ob  (bei  Personen 
durch,  opera  alcjs)''  erweckt  die  Vorstellung,  dafs  did  mit  Gen. 
ob,  wegen,  mit  Acc.  unter  allen  Umständen  per,  durch  bedeuten 
könne.  Auch  220  nicht,  wo  die  Worte:  ^ypstd  (mit)  heifse  A 
mit  Genetiv:  mit,  cum;  B  mit  Accusativ:  nach*'  eine  Sprachver- 
gleichung treiben,  die  üble  Früchte  zeitigen  könnte.  %  223  A 
würde  besser  b  mit  a  verbunden  und  damit  ini  mit  Dativ  sur 
Bezeichnung  der  Abhängigkeit  als  eine  Art  des  die  räumliche  Mähe 


angez.  ym  P.  WeifseBfels.  171 

bezeichnenden  hingestellt.  Der  Schuler  wird  dann  leichter  ver- 
stehen,  dafs  dieselbe  Präposition  mit  demselben  Kasus  auch  das 
entgegengesetzte  VerbäUnis  der  Überordnung  ausdrucken  kann 
(ini  xiVk  slvak,  yiyyec&at  als  Vorgesetzter  bei  jem.  sein,  zu 
j^m.  kommen).  Diese  Thatsache,  die  dem  Schüler  gar  wohl  be- 
greiflich gemacht  werden  kann,  ferner  die  Verbindungen  ä&Xa 
ini  JlarQoxiMj  XiyBiv  ini  riv»  (am  Grabe  jem.)  und  die  Kom- 
posita innfzcnetVj  in&ßovxolog  lieferten  eine  erwünschte  Er- 
i^eiterung  der  Regel.  Auch  nsQi  TioXlov  nouta&ai^  könnte 
i  225«  zumal  vor  negulyai  (mehr  sein  als)  dem  Verständnis  des 
Schülers  näher  gebracht  werden  als  durch  die  Übertragung  „viel 
darauf  geben^'  geschieht  —  Die  hypothetischen  Fälle  sind  in  recht 
lehrbarer  Form  aufgeführt.  So  ist  z.  ß.  löblich,  dafs  Ü.  nicht  von 
einer  realen  Bedingung,  sondern  von  einem  reinen  Conditionalfall 
redet.  Aber  der  Ausdruck  „bestimmte  (objektive)  Annahme*',  der 
dand>en  zu  lesen  ist,  wird  doch  wohl  besser  vertauscht  mit 
,,blofise  Annahme  ohne  Andeutung  der  Wirklichkeit  oder  Nicht- 
wirkUchkeit*' ;  im  Nachsatze  dieses  Falles  ist  übrigens  nicht  nur 
der  ^Judikativ  aller  Tempora'*  angewandt.  Die  gleiche  Über- 
setzung der  Fälle  sX  ri  ^oi,  öidtafAt  und  iäy  t»  sxf^j  didcofAi^ 
.,wenn  ich  etwas  habe,  gebe  ich**  sowie  die  Obersetzung  des  Falles 
H  t$  ixo^iiky  didoifiv  är  „wenn  ich  etwas  hätte,  wurde  ich 
geben**  ist  ein  übler  Zusatz  der  neuen  Auflage;  die  alte  brachte 
noch  die  griechischen  Schemen  ohne  Obersetzung  und  vermied 
damit  auch  den  Fehler  der  neueren,  die  in  einer  Parenthese  be- 
zeichneten, auf  Wechsel  im  Tempus  beruhenden  Varianten  der 
Schemen  in  der  Obersetzung  nicht  zu  berücksichtigen.  —  Zu  den 
Regeln  des  §  267  über  ngly  ist  zu  bemerken,  dafs  ngiv  auch 
nach  negativem  Satze  den  Infinitiv  nach  sich  haben  kann  und 
ngiy  av  mit  dem  Konj.,  n^iv  mit  dem  Opt  auch  in  iterativen 
Fällen  vorkommen.  Xen.  schreibt  an  IV,  5.30:  {SsvoifAvza  xal 
%o¥  xüßfiaQxtjy)  QvdafAoS'fy  ätfUcay,  nqly  naga&etsy  avzoZg 
a^$atoy;  wenn  hier  von  vielen  Herausgebern  naqad'sXyai  gesetzt 
ist,  so  ist  doch  der  Grund  kein  syntaktischer.  —  DaDi  xwkvsiy 
(f  274  b  Anm.  2)  stets  den  blofsen,  nicht  durch  ^mIi  resp.  iati  ov 
verstärkten  Inf.  regiere,  ist  nicht  richtig;  vgl.  Xen.  hell.  III,  2.  22. 
—  S  280  (über  das  attributive  Partizipium)  würde  besser  1  und  2 
klarer  gestaltet.  ^£s  hat  mindestens  den  Anschein,  als  ob  U.  das 
zwischen  Artikel  und  Substantivum  gesetzte  Participium  und  das 
mit  Wiederholung  des  Artikels  nachgesetzte  trennen  will  und  meint, 
dafs  jenes  dem  deutschen  attributiven  Participium,  dieses  dem 
deutseben  attributiven  Relativsatze  entspricht;  dieser  Aufl'assung 
aber  läge  ein  Verkennen  des  deutschen  und  des  griechischen 
Sprachgebrauches  zu  Grunde.  Wir  entscheiden  uns  für  die  eine 
oder  die  andere  Art,  das  verbale  Attribut  auszudrücken,  lediglich  vom 
Gesichtspunkte  der  Glätte  aus  und  zwar  so,  dafs  wir  das  blofse 
Veitum  im  Participium  einfügen,   das  eingeschränkte,  besonders 


172      H.  Uhle,  Griech.  Schul(^rajnmatik,  ägz.  v.  P.  Weifsenfels. 

das  durch  längere  Zusätze  eingeschränkte,  in  einem  attributiven 
Relativsatze  folgen  lassen.  Der  logische  Wert  beider  Ausdrucks- 
weisen ist  aber  derselbe,  nämlich  der  eines  distinguierenden  Zu* 
Satzes  zu  dem  Substantivum.  Jedenfalls  kommt  für  U.s  Haupt- 
regel der  Fall  nicht  in  Betracht,  in  dem  das  eingefügte  Partidp 
nicht  ein  solcher  Zusatz  ist,  sondern  irgend  eine  Modalität  des 
Prädikats  ausdrückt,  wie  in:  die  einziehenden  Krieger  wurden 
bekränzt  (ol  atQattwta^  elgiiovxsg  i(ST€(p(xy(i&fiaav)\  ein  Fall, 
der  sein  Analogon  hat  in  den  von  U.  hier  unter  dem  Texte  be- 
sprochenen deutschen  Relativsätzen  wie:  Tissaphernes,  der  dies 
gemerkt  hatte,  eilte  zum  König  (*0  T.  xatayoijcag  ravra  noqsv- 
sxah  dg  ßafftlia).  Wie  nun  das  attributive  Parlicipium  und  der 
attributive  Relativsatz  im  Deutschen  nur  stilistisch  unterschieden 
werden  können,  so  auch  im  Griechischen  das  eingeschobene 
und  das  mit  Wiederholung  des  Attributs  nachfolgende  Participium ; 
dafs  der  Grieche  häufiger  die  letztere  Stellung  wählt  als  der  Deutsche 
den  attributiven  Relativsatz,  was  wenigstens  nach  meinen  Beob- 
achtungen statt  hat,  ist  eher  ein  Grund  mehr,  nicht  zu  lehren, 
dafs  ein  mit  Artikel  nachgestelltes  Participium  zum  Unterschiede 
von  einem  eingeschobenen  einem  deutschen  attributiven  Relativ- 
satze entspreche. 

Die  Beispiele  sind   mit  Sorgfalt   gewählt  und   lenken   nicht 
durch  weitere  Schwierigkeilen  die  Aufmerksamkeit  von  der  ein- 
zuübenden Regel  ab.    Allerdings  hätte  U.  die  Pietät  gegen  den 
Schriflsteller  nicht  so  weit  treiben  sollen,   mit   dem  Satze  auch 
dessen  logische  Verbindung  mit  dem  Vorhergehenden   I/oq,  di) 
oder  Folgenden  (ja^p)  aufzunehmen,  es  sei  denn,  dafs  er  durch 
Beibehaltung  derselben  nicht  das  Metrum  zerstören  wollte;   hätte 
auch  wohl  grundsätzlich  statt  der  Pronomina  die  Nomina  einsetzen 
sollen.   Mifs verstanden  ist  von  ihm  (§246  Anm.)  Xen.  an.  VII  1.31: 
ovdip  ßiaiov  Ttoi^aovxeq  nageXfilvd-aasv  slg  Tfjv,  nohvy  äiX' 
fv  fAiy  dvvfiiksd'a  naq'  Vfitay  ayad-ov   t«    stqitSuteiSd'a^^    was 
beweisen  soll,  dafs  „ob  =  um  zu  versuchen  ob^*  nach  einem  Haupt- 
tempus durch  idv  mit  dem  Konj.    ausgedrückt   wird.    Nehmen 
wir  den  von  U.  nicht  mehr  abgedruckten  Gegensatz  zu  i^v  fiiy 
dvvoifAsd-a  hinzu :  st  di  f^ij^  äkXd  ö^Xditfoyreg  ort  ovx  ^SaTraro»- 
fievoi  äXld  nei&OfAepoi  i^eqxoH'^^^i  so  ^ird  klar,  dafs  als  re- 
gierendes Verbum  für  ^v  [Air  dvvcifie&a — svqlaxead'ah  ein  durch 
einen  Gestus  ersetztes  evQijtfOfiepoi  vorschwebt.    Genau  so  sagt 
Plat.  Prot.  pag.  31 1  D  dqyvq^ov  insivw  unf&vy  itoifAO^  iffoft&d'ot 
Tslcty  vnig  dov,  av  fiiv  i^ixp^tak  ta  ijfk^Tsqa  XQ^f^^^  ^^'^ 
rot'roic  nel&Qdfjbev  avxov  (sc.  lovzohq  nsid-ovteq),   sl  di  ju«^ 
xal  td  tmv  ^iXoav  nqoqavaXlfSxovtsq,     Wir   lesen  also    in   i^if 
dvvoif^ed-a  bei  Xenophon  einen  gewöhnlichen  Bedingungssatz.   Vgl. 
auch  Hom.  A  135  [f.   —   Das  Beispiel  für  die  Konstruktion   der 
Kausalsätze  (i  247) :  o  XotnoQ  SXel^ep,  ot$  offtog  ov  q>ai^  stdiva^^ 
0Z&  avTW  itvyxavs  d'vydtfjq  ixet  naq*  äydql  ixdsöofkivti  (Xen. 


RoliBer,  Grammatik  d.  ;r.  Sprache,  »gz.  v.  0«  Weirsenfels.      173 

an.  IV  1.  24)  ist  nicht  gerade  glöcidich  gewählt,  weil  mühelos  nur 
demjenigen  verständlich,  dem  der  verwickelte  Zusammenhang  ge- 
läufig ist.  Auch  aus  einem  andern  Grunde  eignet  sich  der  Satz 
Dicht  als  Musterbeispiel:  der  Grund,  der  zum  Berichte  des  über- 
lebenden Führers  gehört,  sollte  als  solcher  eigentlich  nach  ov 
faHi  im  (Indik.  Präs.  oder)  Opt.  Präs.  stehen;  Xenophon  hat  ihn 
im  Indik.  Impf.  gesetzU  um  ihn  zu  dem  seinigen  zu  machen  oder 
ihm  das  Gepräge  einer  objektiven  Thatsache  zu  geben.  —  Das 
Beispiel  aus  Lyc.  Leoer.  71  in  §  248.  1  enthält  keinen  Potentialis, 
radi  nicht  —  wenigstens  nicht  nach  griechischer  Denkweise  — 
einen  Irrealis;  es  würde  also  passender  in  dem  grofs  gedruckten 
Teile  des  §  stehen.  —  Der  neuen  Auflage  ist  ein  kurzer  Abrifs 
des  homerischen  und  des  herodoteischen  Dialektes  beigegeben. 

Wie  die  Form  des  Lernstoffes,  so  zeugt  auch  die  saubere 
Korrektur  der  Druckbogen  von  dem  ernsten  Willen  des  Verfassers, 
eine  mühelose  Verwendbarkeit  seines  Schulbuches  zu  erreichen. 
Mir  ist  nur  ein  Druckfehler  aufgefallen:  rorroi^  S.  116.  Falsch 
dtiert  hat  U.  S.  25:  |  32  sUtt  31,  und  S.  190  Z.  16  v.  u.  Sing, 
statt  Plur.  gesetzt.  Wie  diese  Irrtümer  so  werden  hoffentlich  in 
einer  neuen  Auflage  auch  Verbindungen  wie  „Enklitiken  und 
Atona,  Imperativ  Aoristi,  Indikativ  Futuri'*  beseitigt  werden. 

Züllichau.  P.  Weifsenfeis. 


1)  Rapkael  Käkner,  Ansf'dhrliche  Grammatik  der  sriechiscben 
Sprache.  Erster  Teil:  Elementar-  and  Formeolehre.  Dritte  Avf- 
la^e  io  zwei  Bacdeo  io  neuer  Bearbeitung  besorgt  von  F  r  i  e  d  r  i  e  h 
Blafs.  Zweiter  Band.  Hannover  1892,  Hahnscbe  BucbhandluDg. 
Xn  u.  652  S.  Lexikonformat.    12  M. 

Der  zweite  Band  dieser  neuen  Bearbeitung  ist  dem  ersten 
durchaus  ebenbürtig.  Oberall  dieselbe  staunenerregende  Beherr- 
schung des  sprachlichen  wie  des  bibliographischen  Materials.  Eine 
Grammatik  wie  diese,  welche  vor  allem  das  historische  Griechisch 
in  seinem  ganzen  Reichtum  darstellen  will,  wird  ja  zunächst 
beim  ersten  Anblick  den  Eindruck  einer  ungeheueren  Materialien- 
sammlung machen.  So  vor  allem  der  Hauptabschnitt  dieses 
zweiten  Bandes,  das  Verbalverzeichnis,  welches  nicht  weniger  als 
2M  grofse  Seiten  umfafst  und  in  welchem  auch  der  gelehrteste 
Kenner  des  Griechischen  eine  Fülle  von  Formen  finden  wird,  von 
denen  er  sich  bis  dahin  nichts  hatte  träumen  lassen.  Aber  es 
nnd  diese  Hassen  von  sprachlichen  Thatsachen  nicht  blofs  einzeln 
vor  ihrer  Zulassung  von  dem  Herausgeber  methodisch  geprüft, 
sondern  auch  lichtvoll  geordnet  worden.  Auch  folgt  er  überall 
sicher  leitenden  Sternen.  Gegen  das  Philosophische  der  heutigen 
Sprachforschung  verhält  er  sich  ja  nicht  durchaus  ablehnend. 
Doch  ist  es  begreiflich,  dafs  es  ihm  in  einer  Grammatik,  welche 
die  Elemente  des  in  zahllosen  Inschriften  und  Litteraturwerken 
mr  Darstellung  gelangten  Griechischen  zusammenfassen  und  grup- 


174       Kühoer,  Grammitik  d.  gr.  Sprache,«^?.,  v.  0.  Weifseofels. 

piereD  sollte,  nicht  in  den  Sinn  kommen  konnte,  an  spekulativer 
Kühnheit  mit  den  neuesten  Forschungen  Ober  den  Ursprung  und 
die  Wandlungen  der  Sprache  wetteifern  zu  wollen.  His  non  erat 
hie  locus.  Er  trägt  auch  kein  Bedenken,  durch  den  Gebrauch 
geheiligte,  wenn  auch  in  einem  Irrtum  wurzelnde  Bezeichnungen 
beizubehalten.  Alte  Terminologieen  mit  neuen  zu  yertauschen, 
scheint  ihm  mifslich.  Er  kann  sich  deshalb  nicht  entschliefsen, 
die  sogenannten  tempora  secunda,  die  doch  einer  älteren  Bildung 
angehören,  ältere  Tempora,  die  tempora  prima,  die  jüngeren  Ur* 
Sprungs  sind,  jüngere  Tempora  zu  nennen.  Vielfach  angefeindet 
worden  ist  Kuhners  Ansicht  vom  Optativ.  Beide,  der  Konjunktiv 
und  der  Optativ,  lehrt  er,  bezeichnen  etwas  Vorgestelltes.  Der 
Konjunktiv  entspreche  in  seiner  Bildung  dem  Indikativ  der  Haupt- 
tempora, der  Optativ  dem  Indikativ  der  historischen  Zeitformen. 
Der  Optativ  sei  seiner  Form  wie  seiner  Bedeutung  nach  nichts 
anderes  als  der  Konjunktiv  der  historischen  Zeitformen  anderer 
Sprachen.  Der  Aorist  hat  freilich  beide  Konjunktivformen.  Daraus 
schlössen  die  alten  Grammatiker,  diese  beiden  Formen  mufsten 
eine  verschiedene  Bedeutung  haben.  Da  sie  nun  sahen,  dafs  die 
eine  Konjunktivform  oft  in  Wunschsätzen  gebraucht  wurde,  so 
legten  sie  ihr  den  höchst  einseitigen  Namen  Wunschmodus 
(sifXTixij)  bei.  Kühner  erklärt  diese  beiden  Konjunktivformen  des 
Aorist  so.  Alle  Modi  des  Aorist,  sagt  er,  bezeichnen  die  Hand- 
lung an  und  für  sich  ohne  alle  Rucksicht  auf  ihre  Beschaffenheit 
Deshalb  bilde  der  Aorist  in  allen  seinen  Formen  einen  Gegensatz 
zu  denen  der  übrigen  Tempora,  welche  entweder  die  Entwicke- 
lung  (den  Verlauf,  die  Dauer)  der  Handlung  oder  das  Bestehen 
der  Handlung  in  ihrer  Vollendung  ausdrücken.  Daraus  gehe  deut- 
lich hervor,  dafs  der  Aorist  zwei  Konjunktive  haben  müsse.  Stehe 
doch  der  Konjunktiv  des  Aorist  dem  des  Präsens  und  Perfekts, 
der  Optativ  des  Aorists  dem  des  Imperfekts  und  Plusquamper- 
fekts gegenüber. 

Blafs  erklärt  in  einer  Anmerkung,  sich  nicht  ohne  weiteres 
diesen  Ansichten  anschliefsen  zu  können.  Wegen  der  Wichtig- 
keit jedoch,  die  Kühner  dieser  Auflassung  beigelegt  hätte,  habe  er 
den  Abschnitt  über  die  Stellung  des  Optativs  in  der  Konjugations- 
tabelle  unverändert  gelassen.  Was  die  Gesamtdarstellung  des 
Verbums  belrilTt,  so  bedauert  der  Hsgb.  in  dem  Nachtrage  am 
Schlufs  des  Bandes,  dafs  ihm  die  Erkenntnis  von  der  Verschie- 
denheit eines  Fut.  praesentis  und  eines  Fut.  aoristi  erst  so  spät 
gekommen  sei.  Zwar  hat  er  diese  Lehre  im  systematischen  Teil 
dargelegt  und  auch  im  Verbenverzeichnis  durchgeführt,  aber  sie 
habe,  gesteht  er,  notwendige  Konsequenzen,  die  nicht  zu  ihrem 
Rechte  gekommen  seien.  So  schon  hinsichtlich  der  Ordnung  der 
Tempora.  Statt  in  den  Paradigmen  die  übliche  Reihenfolge  zu 
beobachten  (Präsens,  Imperf.,  Perf.,  Plusqn.,  Aor.,  Fut,  Fut 
ezekt.)  hätte  er  die  drei  Aktionen  sondern  sollen:  I.  (Aktion  der 


Rtpp,  Grieehisehe  Staatsaltertämer,  «(TZ.  v.  0.  Weirsenfeli.     175 

Dauer).  1.  Pris.,  2.  lonperf-,  3.  Fut.  prfts.  —  II.  (Aktion  der 
Volleodung).  1.  fehlt,  2.  Aor.,  3.  Fut.  aor.  —  lil.  (Aktion 
der  dauernden  Vollendung).  1.  Perf.,  2.  PJusqu.,  3.  Futur,  perf. 
—  Er  gesteht  allerdings,  dafs  dieses  System  fast  nur  im  Passiv 
durchgeführt  ist,  und  selbst  da  nur  im  Attischen,  während  das 
lonisehe  das  Fut.  aor.  pass.  nicht  so  entwickelt  habe  und  die 
spätere  xotvij  dasselbe  als  Fut.  der  Dauer  verwende.  Mit  welcher 
Grdndliclikeit  der  Hsgb.  allen  neu  entdeckten  Thatsachen  des 
griechischen  Sprachschatzes  Rechnung  trägt,  dafür  bieten  aus  der 
Fülle  von  Belegen,  welche  sich  bis  auf  die  Arbeiten  der  jüngsten 
Vergaogenheit  erstrecken,  vor  allem  die  Berichtigungen  und  Nach- 
träge zum  ersten  Bande,  welche  er  diesem  zweiten  Bande  ange- 
fügt hat,  ein  glänzendes  Zeugnis.  Wie  viel  Neues  und  Modifi- 
zierendes hat  er  neu  entdeckten  Inschriften  oder  Litteraturwerken 
abzugewinnen  gewufsti  Für  den  ionischen  Dialekt  ist  besonders 
viel  aus  Herodas  zu  gewinnen  gewesen,  dessen  Mimiamben  vor 
zwei  Jahren  von  dem  ersten  Herausgeber  der  Aristotelische  Schrift 
über  den  Staat  der  Athener  veröffentlicht  worden  sind.  Ich  ver- 
weise unter  anderem  auf  die  Nachweisungc^i  Ober  Kontraktionen, 
Krasen,  Synizesen,  Diäresen  im  ionischen  Dialekte.  Auch  über 
die  Dualformen  des  attischen  Dialekts  finden  sich  in  den  Nach- 
tragen Berichtigungen  des  bisher  für  sicher  Gehaltenen. 

Doch  es  bedarf  keiner  weiteren  Worte  der  Empfehlung.  Das 
Bkicfa  ist  ein  Kompendium  des  Griechischen,  welches  bei  dem 
weiten  Kreise,  den  es  umspannt,  von  erstaunlicher  Vollsländig- 
keit  und  Zuverlässigkeit  ist.  Ein  sorgfältig  gearbeitetes  Register 
von  60  zweispaltigen  Seiten  im  Lexikonformat  erleichtert  das 
Auffinden.  Man  wird  trotz  des  grofsen  Umfanges  gestehen  müssen, 
da&  es  ein  handliches,  knapp  und  übersichtlich  angelegtes 
Werk  ist 

2)  \V.  Kopp,  Griechische  Staatsaltertamer  für  höhere  Lehranstalten 

ob4  zum  Selbststadiom.  Zweite,  gänzlich  nmirearbeitete  Auflage,  be- 
sorgt roo  Viktor  Thnmser.  Berlin  1893,  Jalius  Springer.  X  a. 
148  S.  8.   2  M. 

3)  W.  Kopp,    Geschichte    der    griechischen    Litteratur.     Fünfte 

Auflage,  nach  der  Umarbeitang  von  F.  6.  Hobert  besorgt  von 
Gerh.  Heinr.  Müller,  Berlin  1893 y  Jalius  Springer.  XII  u. 
240  S.  8.  3  M. 

Beide  Bücher  I6sen  ihre  Aufgabe  in  geschickter  Weise.  Was 
zuDäehst  die  griechischen  Staatsalterlumer  betriiTt,  so  sind  sie  in 
dieser  neuen  Bearbeitung  hervorragend  geeignet,  lernbegierigen 
Schulern  ein  anschauliches  Bild  der  wichtigsten  griechischen 
Staatsverfassungen  entstehen  zu  lassen.  Alles  ist  klar  und  knapp, 
•ine  trocken  zu  sein.  Auch  trägt  der  Abrifs  nicht  den  Charakter 
«■er  trivialen  Popularität.  Der  Verf.  schöpft  aus  dem  Vollen, 
und  an  streitigen  Punkten  blickt  eine  genaue  Kenntnis  der  wissen- 
sdttOlicbea  Forschung  durch.  Trotz  des  bescheidenen  Um- 
bqges  de»  Bucbes  wird    man   nicht   leicht   etwas  Wichtiges   aus 


176     K^PP>  Gesch.  d.  gricch.  Litteratur,  agz.  v.  0.  VVeifseofelt. 

der  Enlwickelungsgescbichte  der  griechischen  Staalen  darin  ver- 
missen. Aufserdem  besitzt  es  die  Eigenschaft  des  evtfvvomoy 
in  hervorragendem  Grade. 

Der  andere  Band,  die  Geschichte  der  griechischen  Littejratur, 
bietet  sich  nur  als  eine  Bearbeitung,  nicht  als  eine  Umarbeitung 
dar.  An  einigen  Stellen  indessen  hat  der  neue  Hsgb.,  an  ihn 
gerichteten  Wünschen  Rechnung  tragend,  selbständige  Erweite- 
rungen hinzugefugt.  So  bietet  er  z.  B.  Inhaltsangaben  von  drei 
Epinikien  Pindars,  von  der  neu  aufgefundenen  Aristotelischen 
Schrift  über  den  Staat  der  Athener,  von  den  Adoniazusen  Theo* 
krits.  An  anderen  Stellen  sind  die  blofsen  Titel  durch  kurze 
Charakterisierungen  ersetzt.  Ferner  sind  einige  neue  Seiten  den 
Vertretern  der  christlichen  Litteratur  gewidmet  worden.  Schliefs- 
lieh  hat  der  Abschnitt  über  die  byzantinische  Litteratur  in  der 
neuen  Auflage  beträchtlich  an  Umfang  gewonnen.  In  der  Anlage 
des  Ganzen  ist  insofern  eine  Änderung  getreten,  als  die  längeren 
Gedichtproben  weggelassen  sind.  Nicht  zu  billigen  scheint  es  mir» 
dafs  die  einzelnen  Verse,  welche  der  Darstellung  eingewebt  sind, 
nicht  griechisch,  sondern  deutsch  geboten  werden.  Von  dem  be- 
rühmten Epigramm  des  Simonides  auf  die  dreihundert  Spartaner 
führt  er  den  griechischen  Vfortlaut  an.  Weshalb  citiert  er  aber 
Homerverse  auf  deutsch?  Auch  einige  den  bessern  Schülern  ge- 
läufige Sentenzen  aus  Hesiod  bringt  er  in  deutscher  Sprache 
(S.  25).  Ebenso  wissen  doch  wohl  die  meisten  Schüler  die 
Verse  von  den  sieben  Städten,  die  sich  die  Ehre  streitig  machten, 
den  Homer  geboren  zu  haben,  auf  griechisch  anzuführen.  Was 
soll  da  die  ungelenke  Übersetzung  (S.  12)?  Auch  die  zornigen 
Verse,  die  Xenophanes  gegen  Homer  und  Hesiod  schleuderte  (S.27), 
pflegen  sich  die  Schüler  gern  auf  griechisch  zu  merken. 

Was  die  Anlage  des  Ganzen  betrifi't,  so  glaube  ich  wohl,  dafs 
die  Schüler  der  obersten  Klasse,  für  welche  doch  das  Buch  be- 
stimmt ist,  es  mit  Interesse  und  Gewinn  studieren  können.  Es 
ist  freilich  eine  schwere  Aufgabe,  auf  so  engem  Räume  einen  so 
umfangreichen  Stofi'  zu  behandeln,  ohne  durch  trockene  Aufzäh- 
lungen zu  ermüden.  Der  Vollständigkeit  wegen  mufste  eben  vieles 
wenigstens  gestreift  werden.  Bei  einer  künftigen  Auflage  wird  es 
sich  der  Hsgb.  angelegen  sein  lassen  müssen,  alle  äufserlich  ge- 
lehrten Notizen  zu  unterdrücken  und  den  so  frei  werdenden  Raum 
dem  innerlich  Bedeutsamen  zu  gute  kommen  zu  lassen.  Wozu 
z.  B.  in  einem  solchen  Abrisse  die  Notiz,  dafs  die  Gesetze  Plaios 
wahrscheinlich  erst  nach  des  Lehrers  Tode  von  seinem  Schüler 
Philippos  von  Opus  veröffentlicht  seien,  dafs  1483  in  Florenz 
eine  lateinische  Übersetzung  sämtlicher  Platonischer  Dialoge  von 
Marsilius  Ficinus  erschien?  Um  die  Darstellung  zu  vertiefen, 
werden  an  wichtigen  Stellen  kurze  Inhaltsangaben  gegeben.  Nichts 
ist  schwerer,  als  den  Inhalt  eines  bedeutenden  Werkes  in  einer 
wirkungsvollen  und  geschmackvollen  Weise   in  einige  Zeilen    zu- 


XeiophoBS  Anabasis  n.  Helleoica  io  Aasw.,  igz.  v.  Gemoll.     177 

sammenzudrängen.  Hier  bietet  sich  dem  Verf.  in  künftigen  Auf- 
lagen ein  weites  Feld  zu  Verbesserungen.  Hinsichtlich  der  Pro- 
portion mufs  für  ein  solches  Buch  der  Satz  gelten,  dafs  das  beste 
nnd  das  fär  die  Schale  in  erster  Linie  in  Betracht  Kommende 
die  eingehendste  Behandlung  verdient.  Lege  ich  diesen  Mafsstab 
an,  so  finde  ich,  dafs  manches  Unbedeutende,  Entlegene  und  bis 
auf  den  Namen  Verschollene  selbst  in  diesen  vorwiegend  kurzen 
Erwähnangen  oft  noch  zu  viel  Raum  einnimmt,  während  wichtige 
Erscheinungen  nicht  ausführlich  genug  behandelt  sind.  Vor  allem 
wäre  z.  B.  dem  Abschnitte  ober  Homer  eine  Vertiefung  und  Er- 
weiterung zu  wünschen. 

Gr.-Lichterfelde  bei  Berlin.  0.  Weifsenfeis. 


Xenophons  Aaabasis  nod  Helleoica  in  Auswahl.  Text  und 
Kommentar.  Herausgegeben  von  F.  G.  Sorof.  Erstes  Bändchen: 
Anabasis  Buch  I~IV.  Leipzig  1893,  B.  G.  Tenbner.  Text  199  S., 
geb.  1,20  M,  geb.  1,50  M.  Kommentar  182  S.,  geb.  1,20  M,  geb.  1,50  M. 

Dem  Ref.  gefällt  an  diesem  Buche  vieles  nicht,  zunächst 
Dicht,  daft  den  Schülern  eine  Xenophon-Chrestomathie  in 
die  Hand  gegeben  wird.  Freilich  verlangen  die  neuen  Lehrpläne 
Cberblicke  und  ,yDurchblicke''  durch  das  jedesmalige  Pensum  und 
schnelieres  Tempo  der  Lektüre;  aber  liefs  sich  das  am  unver- 
kunten  Xenophon  nicht  fernerhin  ebenso  gut  machen,  wie  es 
auch  früher  meistens  schon  geschah  ?  An  die  fable  convenue  von 
den  bittern  Wurzeln  der  Bildung  wird  bald  niemand  mehr  glauben, 
wenn  den  Schülern  die  Arbeit,  sich  in  einem  Schriftsteller  heimisch 
za  machen,  zu  sehr  erleichtert  wird. 

Der  Verf.  hat  Text  und  Kommentar  gesondert  herausgegeben, 
—  eine  löbliche  Einrichtung.  Im  ersten  Bändchen  folgt  auf  eine 
karze  Vorrede  die  Einleitung,  welche  den  Schuler  über  Xenophons 
Leben  und  Teilnahme  am  Feldzuge  des  jungem  Cyrus  orientiert, 
darnach  der  Text,  als  Anhang  eine  Übersicht  über  das  griechische 
Heerwesen,  ein  sehr  ausführliches  Verzeichnis  der  Eigennamen  und 
dne  Karte  von  Kleinasien.  Was  den  Text  einrahmt,  so  zu  sagen 
die  aya^fjuxta  datrog,  ist  gut  und  schön,  aber  die  daig  selbst, 
der  Text,  ist  nicht  einwandfrei. 

Einige  Beispiele  aus  dem  1.  Buch  mögen  das  beweisen.  Wir 
lesen  bei  Sorof  I  4,  15  VfAty  di  dg  maxordvoig  XQV^^^^^  ^>  ^ 
f  ßaa^Ximg  Aqx^  (CD  Schenkl  t^  ßad^Xioag  &QX^)y  6,  7  o  ^Oqovvag 
2 mal  (Com.  art),  8  o^'OQovxag  (Com.  art.),  \\  sitfijx^  (CDBAE 
tiif^dx^)j  7,  2  a(Mc  vfj  imovtffi  ^(J^^Qff  ^xov  avzofjLoXoi  naqä 
l^eydXov  ßaatXdtag,  16  ßaükksig  notet  (CBA  add.  (liyag),  ib. 
Tovtfy  dff  KvQog,  8,  3  ividv  (C  pr  ivsdvezo),  8  al  Xoyxctt 
(CBA  om.  art.),  14  ikiXoi  (CDB  Krüger  /i^Ac»),  21  nqogntvvov- 
ft€ifog  ^öij  ((«pr  ^?*  ^-  ßccifiXsvgj  AB  co^  ßatftXevg),  10,  15 
i  j^vMiog  (Cpr  om.  art),  18  ^aav  ö'avtat  TevQaxoatai  (CBadd. 

Xaifnhr.  £  d.  OTimiMiftlwwen.  XLYIIU   8.  8.  12 


178        M.  Banner,  Französisches  Lese-  und  Übnng^sbuch, 

(ig  iHyomo),  I  4«  15  ist  nach  Kruger  und  Hug  eDtschiedeo 
worden,  wahrscheinlicher  ist  aber  doch,  was  Bachof  bietet:  fnov. 
n€i&,  cö^.  nktst.j  oder  meine  Streichung  von  max.  (Progr.  Kreuz- 
burg 1888  S.  12).  1  7,  2  ist  nach  meinem  Vorschlag  a.  a.  O. 
S.  14  inioviffi  zu  streichen  und  mitCpr  zuschreiben  ^x.av.n. 
fi.  ß,  (fTQaTiäg,  I  7,  16  ist  Weidners  Tavvfjp  6^  aufgenommen, 
ich  verweise  nur  auf  Hartmans  An.  Xen.  S.  65,  wo  ravVij  mit 
nicht  verächtlichen  Gründen  empfohlen  ist,  und  mein  Programm 
S.  16. 

Der  Verf.  sagt  Vorrede  S.  4,  dafs  er  als  Grundlage  seiner 
Textgestaltung  die  Ausgaben  von  Hug,  Weidner  und  Rebdantz- 
Carnuth  benutzt,  mit  andern  Worten,  dafs  er  selbst  keine  text- 
kritischen Studien  gemacht  habe.  Ich  kann  mich  mit  einem  sol- 
chen Standpunkte  nicht  einverstanden  erklären ;  bisher  wenigstens 
war  es  der  Ruhm  der  deutschen  Gymnasiallehrer,  dafs  sie  auch 
in  Schulausgaben  die  Wissenschaft  pro  parte  virili  zu  fördern 
suchten  und  wufsten. 

Das  2.  Bändchen  enthalt  auf  S.  1 — 124  den  Kommentar,  auf 
S.  125 — 182  den  syntaktische  n  Anhang.  Die  Notwendigkeil 
oder  auch  nur  Zweckmäfsigkeit  des  letzteren  vermag  ich  durchaus 
nicht  einzusehen.  Wozu  hat  der  Schüler  seine  Grammatik?  Diese 
kann  ihm  der  syntaktische  Anhang  nicht  ersetzen.  Aufserdem  balle 
ich  es  für  ganz  unpraktisch,  wenn  im  Kommentar  statt  der  dem 
Schüler  nötigen  lirkiärung  ein  Hinweis  auf  eine  solche  Zusammen- 
stellung gegeben  wird.  Der  Kommentar  ist  nicht  immer  auf 
das  Bedürfnis  des  Obertertianers  berechnet  (vgl.  S.  80  „Zum  Ge- 
danken vgl.  Hör.  od.  134,  11:  valet  ima  summis  mutare  et  in- 
signem  attenuat  deus,  obscura  promens**);  im  allgemeinen  aber 
ist  er  sorgfältig  und  praktisch  gearbeitet.  An  meinem  Gesamt- 
urteil über  die  vorliegende  Ausgabe  kann  dies  nichts  ändern;  ich 
halte  sie  neben  den  vielen  guten  Ausgaben  von  Xenophons  Ana- 
basis, die  wir  schon  haben,  für  überflüssig. 

Liegnitz.  Wilhelm  Gemoll. 


1)  Max  Banoer,  Französisches  Lese-  und  OboDg^sbueh.  Zweiter 
Kursus.  Bielefeld  und  Leipzig  1893,  Velhageo  &  Klasing.  VIII  u. 
165  S.     8.     1,60  M,  geb.  1,90  M. 

Wie  der  erste  Kursus  (vgl.  diese  Zeitschrift  1893  S.  285  fr.) 
hat  auch  der  vorliegende  zweite  den  doppelten  Charakter  des  Lese- 
und  Übungsbuchs  gewahrt:  auch  er  „enthält  nur  zusammen- 
hängende, französisch  geschriebene  Stücke,  z.  T.  den  besten  Schrift- 
stellern entlehnt,  mehrfach  auch  in  der  Franzosen  Land  und  Sitte 
einführend  und  mannigfaltig  wechselnde  Stoffe  in  verschiedenen 
Stilarten  bietend;  andrerseits  dient  jedwedes  Prosastuck  zur  Be- 
festigung und  Erweiterung  unserer  Sprachkenntnis  auf  dem  Ge- 
biete des  fremden  Idioms*'.     Auch  hier  also  soll  der  Schüler  die 


aogez.  voD  K.  Brandt.  179 

in  den  französischen  Lesestucken  zum  Ausdruck  gelangte  Sprach- 
encheinung  in  der  Formenlehre  in  knapper  und  präziser  Fassung 
«riederfinden.  Während  nun  in  dem  ersten  Kursus  in  der  Weise, 
daCs  nach  Absolvierung  eines  Prosastückes  die  Durchnahme  und 
Eioprägung  bestimmter  grammatischer  Abschnitte  folgt,  die  regel- 
mäfsige  Formenlehre,  insbesondere  avoir,  ^tre  und  das  regelmäfsige 
Verbum  behandelt  worden  ist,  bringt  der  zweite  Kursus  die  un- 
regeimS£iige  Formenlehre,  hauptsSchlich  das  unregelmälsige  Verbum 
nach  obiger  Methode,  so  zwar,  dafs  auch  hier  dem  Haupterforder- 
nis,  die  mündliche  Übung  der  Sprache  zu  pflegen,  in  den  „questions'* 
vielfach  Rechnung  getragen  ist.  Wir  begrüfsen  es  als  einen  glück- 
lichen Gedanken  des  Verf.s,  diese  in  der  Art  gestallet  zu  haben, 
dals  sie,  inhaltlich  an  Stucke  des  ersten  Kursus  anknüpfend,  den 
einmal  gewonnenen  Wortschatz  durch  stete  Wiederholung  be- 
festigen, zugleich  aber  auch  zur  Einübung  einer  neuen  Er- 
scheinung auf  dem  Gebiete  der  unregelmäfsigen  Formenlehre  An- 
lals  bieten. 

Die  Stoffe  der  Lesestücke  sind,  wie  schon  beiläufig  bemerkt, 
lT.  aus  der  Geschichte  des  französischen  Volkes  bezw.  seiner 
Utteratur  genommen;  daneben  linden  sich  —  eine  gar  willkommene 
Abwechselung  —  kleinere  Gedichte,  Anekdoten,  Fabeln,  Sprüch- 
w&rter  u.  s.  w. 

Von  den  Prosastöcken  heben  wir  als  solche,  die  den  Anfor- 
derungen der  neuen  Lehrpläne  gemäfs  die  Verhältnisse  des 
realen  Lebens  kopieren  und  deshalb  von  besonderem  Interesse 
sind,  namentlich  hervor  Nr.  11  (S.  8):  Poste  et  tilegrapke\  Nr,  22 
IS.16C):  Le  train  de  Versailks;  Nr.  60  (S.  42):  Les  boutemrds; 
Nr.  61  (S.  43):  Le  temps  und  Nr.  73  (S.  49):  Au  magasm  du 
b'tfO'uittrm 

Unter  den  Gedichten  eignen  sich  auch  in  diesem  Kursus 
zwei  recht  wohl  dazu,  „nach  allgemein  bekannten  Melodieen  ge- 
sungen zu  werden''.  Es  sind  dies  „£e  petü  Pierre''  (27)  nach 
der  Melodie  von  „Üb'  immer  Treu'  und  Redlichkeit"  und  „Les 
trm  hraoes^'  (53)  nach  der  von  „Es  gingen  drei  Jäger  wohl  auf 
£e  Birsch". 

Die  „questions**,  die  einem  bestimmt  vorgeschriebenen  Zwecke 
dienen  (s.  o.),  sind  einfach  und  im  ganzen  und  grofsen  geschmack- 
voll; einzelne  könnten  allerdings  fortbleiben  wie  z.  B.:  Est-ce 
fii'oii  souffre  de  la  fam  ou  de  la  $<nf,  (^and  im  a  la  fievre? 
(fir.  21.  S.  16.)  Qui  d'entre  vaus  coudrait  lui-mime  au  besain 
m  boHion  d  tes  culottes?  (Nr.  35.  S.  25.)  DestraierU-ih  boire 
M  9utnger  pendatU  la  fUvre  qu'äs  avaient  attrapee?  (Nr.  41. 
&28.) 

Die  Laut-,  Formen-  und  Satzlehre  dieses  Kursus,  welche  auf 
<&  des  ersten  zurückgreift  und  in  einem  dritten  Kursus,  worin 
fie  Syntax  propädeutisch  behandelt  werden  wird,  ihren  Abschlufs 
Boden  soll,  so  dafs  im  einzelnen  sich  die  Grammatik  in  drei  kon- 

12* 


180       Banoer,  Französ.  Lese-  u.  Oboogsbuch,  agz.  v.  Braodt. 

zentrischen,    von  Jahr  zu  Jahr   sich    erweiternden    Kreisen   auf- 
genommen darbieten  wird  (vgl.  Vorrede  z.  I.  Kursus  S.  VUI).  ent- 
hält  auf  den  ersten  Seiten    die  grammatischen  Regeln  in  durch- 
gängig   unveränderter    Fassung.      Neu    hinzu    treten    als   höchst 
vereinzelte  Ausnahmen  die  Pluralbildung  von  Substantiven  auf  ou 
und  ail,    die  Regeln    über  die  Unveränderlichkeit    des  part.  frh. 
und  die  Veränderlichkeit  des  part,  passe  reflexiver  Verben.     Nicht 
ganz  scharf  und  durchsichtig  ist  hier  die  folgende  Fassung  (S.  65): 
„ebenso  wie    das  letztere^'  (d.  h.  das  mit  avoir  verbundene  Part. 
Perf.,  welches  nur  dann  verändert  wird,  wenn  das  Objekt  voran- 
geht) „wird  das  (abweichend  vom  Deutschen)  mit  etre  verbundene 
Part  Perf.  reflexiver  Verba  behandelt",  wozu  als  Beispiel  der  Satz 
gegeben  ist:    üs  se  sont  lav4  les  mains\    wir  erwarteten    eher  ein 
Beispiel  wie:  üs  se  sont  vus  au  spectacle.   Weiterhin  ist  §  17  des 
ersten  Kursus  ergänzt  durch  Aufnahme  des  zweiten  substantivischen 
Fragefürwortes  lequel,  §  19  durch  Hinzufugung  der  Bruchzahlen. 
Mit  Recht    ist   ferner  in  diesem  Kursus  die  „Tafel  zur  Übersicht 
über  die  Ableitung  der  Formen  des   regelmäfsigen  Verbums''  der 
Konjugationstabelle  des  Passivs  und  Reflexivs  vorangestellt.    Eine 
Erweiterung    hat   auch  §  26  (Umstandswort)  erfahren    durch    die 
Anmerkung  über  die  Adverbialbildung  der  Adjektiven  auf  ant  und 
ent.   Das  Hauplpensum  jedoch  bildet  der  Abschnitt  §  25,  das  un- 
regelmäfsige  Verbuni    in    tabellarischer  Form    gebracht.     Die    all- 
gemeinen Bemerkungen  über  Eigentümlichkeiten  einzelner  Gruppen 
der  vier  Klassen  unregelroäfsiger  Verben  sowie  über  „gemeinsame 
Eigentümlichkeiten  aus  dem  Gebiete   sämtlicher  Verba'^  enthalten 
in   anschaulicher  Weise    die    Grundgesetze    der  Unregelmäfsigkeit 
und    erleichtern    dem  Schüler   das  mechanische  Auswendiglernen, 
das    doch    nun    einmal    hier  wenigstens   nicht  umgangen  werden 
kann.     Was  nun  die  Tabellen  der  unregelmäfsigen  Verben  selbst 
betrifl't,    so    bat  Verf.  darin  das  Prinzip   befolgt,   welches  Ref.  in 
der  Praxis  schon  früher  in  Anwendung  zu  bringen   gewohnt  war 
und  noch  jetzt  befolgt :  er  will  „feste  Einübung  der  Verben  nach 
dem  Averbo''  und  hat  zu  diesem  Zwecke  die  diesbezüglichen  For- 
men durch  den  Druck  gekennzeichnet.   Im  allgemeinen  ist  an  den 
Tabellen  die  Übersichtlichkeit  anzuerkennen,  die  zur  Erleichterung 
der  Einprägung    nicht  unwesentlich  beiträgt;    auch  finden  wir  es 
billigenswert,  dafs  der  I.  Tabelle  der  unregelmäfsigen  Verben    auf 
er   aul'ser  aller  die  Paradigmen    solcher  Verben    einverleibt  sind, 
deren  „Besonderheiten    ausschliefsiich    durch  Rücksichten    auf  die 
Aussprache  hervorgerufen  sind",  wie  appeler,  jeter^  fcoer,  repiter^ 
forcer,  soiiger,  employer,  appuyer.    Unter  der  Sippe  o/frtr,  <mvrir^ 
souffrir  vermissen  wir  zwar  couvrir,    welches    sich    sonst    in  den 
Grammatiken  mit  aufgezeichnet  findet,  erklären  uns  aber  im  Hin- 
blick  darauf,   dafs    es    als  ein  Kompositum  von  oiwrir  erscheint, 
mit  dem  Wegfall  einverstanden. 

Was  die   „Präparationen   zu  den    Lesestucken'*   betrifift,    so 


Bibliotliek  ^edieg.  fraotösiseher  Werke,  agz.  v.  Brandt      iSl 

lassen  sie  den  Scböler  im  ganzen  und  grofsen  nicht  im  Stich; 
folgende  Phrasen  hätten  freilich  noch  Aufnahme  linden  können: 
äre  ä$tm  aüe  „wohlhabend  sein*'  (Nr.  12.  S.  10  Z.  6  v.  o.),  faire 
h  mauvaise  tete  „eigensinnig  sein'*  (Nr.  66.  S.  46  Z.  3  v.  o.)  und 
äre  bcn  enfami  „gutmütig  sein'*  (Nr.  76.  S.  53  Z.  10  v.  o.).  In 
das  „alphabetische  Vokabular*'  ist  vielleicht  noch  nachzutragen  die 
Bedeutung  von  meritant,  welches  sich  in  Nr.  76  (S.  53  Z.  13  v.  u.) 
findet:  tl  signdla  le  sotiB-Ueutenant  camme  Is  seul  meritanU 

Ausstattung  nnd  Druck  auch  dieses  Kursus  verdienen  An- 
erkennung. In  Bezug  auf  den  letzteren  ist  dem  Ref.  nur  fol- 
gendes aufgefallen.  S.  14  Z.  7  v.  o.  steht  par  statt  pas;  S.  16 
Z.  18  ▼.  o.  lesen  wir  dans  le  temps  les  plus  recules  st  dans  les 
ttwips  L  p.  r.,  S.  133  Z.  17  v.  u.  ehere  st.  chere,  S.  143  Z.  1  v.  u. 
fone  f.  St.  gerne  m.,  S.  153  particulere  st.  partmiUere.  Im  alpha- 
betischen Vokabular  war  die  alphabetische  Ordnung  zu  wahren 
auf  S.  149  {marchi  war  vor  marehepied  zu  stellen)  und  S.  155 
iprecedent  vor  preceder).  Nicht  recht  scharf  ausgeprägte  Typen 
indeo  sich  auf  S.  21  Z.  12  v.  u.:  a  st.  d  und  S.  100:  fecris  st. 
feeris,  Punktzeichen  fehlen  auf  S.  67  Z.  3  v.  u.  hinter  les  lewrs 
und  S.  160  hinter  socUti  f. 

Auch  dieser  zweite  Kursus  des  Bannerschen  Buches  ist  wohl 
geeignet,  die  Übung  im  mundlichen  Gebrauch  der  Fremdsprache 
zu  fördern  und  einige  Geübtheit  im  schriftlichen  Gedanken- 
ausdruck  zu  erzielen:  wir  empfehlen  deshalb  denselben  angelegent- 
lichst den  Facbgenossen.  Dem  Erscheinen  des  dritten  Kursus 
sehen  wir  gern  entgegen. 

2)Bibliothek  gediegener  nod  interessanter  französischer  Werke. 

Zum  Gebrauche  höherer  Bildangsanstalten  ausgewählt   und    mit    den 

Biographieeo    der   betrefienden    Klassiker    ausgestattet    von    Anton 

Goebel,  fortgesetzt   von  Johannes  BriiJI.     Münster,    Drnck    und 

Verlag  der  Theifsingschen  Buchhandlung,     gr.  16. 

Das  Verdienst,  den  namhaftesten  Klassikern  der  französischen 
Liiteratur  und  ihren  hervorragendsten  wie  interessantesten  Werken 
in  die  höheren  Bildungsanstalten  Eingang  verschafft  zu  haben, 
gebührt  unstreitig  dem  Herausgeber  dieser  „Bibliothek'',  Anton 
Goebel.  Wenn  vordem  auch  hier  und  da  neben  den  vielfach 
benetzten  Chrestomathieen  einzelne  ganze  Werke  im  Gebrauche 
waren,  so  fehlte  es  doch  damals  noch  an  der  für  die  Zwecke  des 
gymnasialen  Unterrichts  so  nötigen  Sichtung  bezw.  Ausscheidung. 
Dienn  worauf  es  heutzutage  hauptsächlich  bei  der  Lektüre  eines 
Klassikers  ankommt,  nämlich  mit  ihm  möglichst  genau  bekannt 
zu  werden,  erheischt  entweder  die  Kenntnis  seines  Gesamtwerkes 
oder  einer  in  sich  abgeschlossenen  bezw.  durch  Ausscheidungen 
zu  einem  einheitlichen  Ganzen  abgerundeten  Partie.  Da  nun  aber 
<tie  klassischen  Werke  der  französischen  Litteratur  nicht  selten 
«SDen  ziemlich  grofsen  Umfang  haben,   so  dafs  es  nicht  gut  an- 


iS2  Bibliothek  gediegener  französischer  Werke, 

gängig  ist,  bei  der  beschränkten  Stundenzahl,  die  namentlich  auf 
Gymnasien  dem  Französischen  zugemessen  ist,  ein  Werk  in  seiner 
Vollsländigkeit  zu  bewältigen^  so  ist  man  nicht  zum  geringsten 
auf  eine  Kürzung  angewiesen.  Dafs  indes  die  Kürzung  der  Texte 
für  Schulen  ihre  grofse  Schwierigkeit  hat,  bedarf  wohl  kaum  der 
Erwähnung,  wenn  man  bedenkt,  dafs  der  volle  Zusammenhang 
und  die  Verständlichkeit  gewahrt  bleiben  mufs.  Und  gerade  das 
ist  zunächst  ein  wesentlicher  Vorzug,  weicher  die  „Bibliothek'^ 
auszeichnet,  und  der  ein  Grund  davon  ist,  dafs  sie  sich  in  ihren 
einzelnen  Bändchen  einer  ganz  besonders  günstigen  Aufnahme  zu 
erfreuen  gehabt  hat. 

Was  sodann  die  Stoffe  anlangt,  welche  die  „Bibliothek'' 
bietet,  so  ist  eine  ergiebige  Auswahl  getroffen :  Geschichtliche  Dar- 
stellung grofser  Zeiten,  wichtige  Ereignisse  des  Altertums,  Mittel- 
alters und  der  neueren  Zeit,  Biographieen  hervorragender  Fürsten, 
Staatsmänner,  Feldherren,  Naturforscher,  Schriftsteller,  Bilder  aus 
der  Natur  und  dem  Völkerleben,  Unterhaltungslektüre,  Märchen, 
Novellen,  Erzählungen,  Konversationsstücke,  Meisterwerke  der  Be- 
redsamkeit und  Poesie. 

Aber  auch  die  Grundsätze,  die  bei  der  Herausgabe  der  „Bi- 
bliothek" mafsgebend  gewesen  sind,  müssen  allseitige  Billigung 
Gnden,  stimmen  sie  doch  mit  den  Forderungen  überein,  welche 
die  neuen  Lehrpläne  und  Lehraufgaben  an  die  Lektüre  stellen. 
Die  Bibliothek  will  „nur  stilistisch  Mustergültiges,  nur  Klassisches'' 
berücksichtigt  wissen,  „nur  gesunde  Geistesnahrung,  nur  wahrhaft 
veredelnde.  Verstand  und  Herz  bildende  Lektüre*'  bieten  und 
„durch  Biographieen  der  betr.  Schriftsteller  die  Bekanntschaft  mit 
der  französischen  Litteraturgeschichte''  anbahnen;  sie  will  aber 
,, fernhalten  bezw.  ausscheiden  im  ganzen  wie  im  einzelnen  Alles 
und  Jedes,  was  in  religiöser,  moralischer,  politischer  Hinsicht  ver- 
fänglich sein  könnte*'.  Auf  solchen  Grundsätzen  fufscnd,  gewährt 
diese  „Bibliothek'*  eine  höchst  passende  und  wertvolle  Jugend- 
lektüre, und  es  ist  erfreulich  zu  vernehmen,  dafs  der  Fortsetzung 
derselben  ein  naher  Verwandter  des  Herausgebers  seine  hilfreiche 
Hand  zugesichert  und  die  Zusage  bereits  bethäligt  hat. 

Jedem  Bändchen  ist  eine  biographische  Notiz  über  den  betr. 
Klassiker  vorausgeschickt,  welche  in  kurzen  Zügen  das  Wissens- 
würdigste aus  dem  Leben  des  Autors  sowie  eine  summarische 
Übersicht  über  seine  bedeutendsten  litterarischen  Erzeugnisse 
enthält. 

Dem  Referenten  liegen  von  dieser  „Bibliothek'*  drei  Bändchen 
zur  Besprechung  vor:  Bd.  19,  57,  58. 

1.  Neunzehntes  Bändchen.  J.-F.  Michaud.  Histoire  de 
la  troisi^me  croisade.  Suivie  d'un  commentaire  historique 
et  geographique.  Edition  stereotype.  Munster,  imprimerie  et 
librairie  de  Theissing.     X  u.  220  S.    12.     0.80  M,   geb.  1,05  M. 

Gewifs  nicht  mit  Unrecht  ist  von  dem  Herausgeber  aus  der 


9Lügez.  von  K.  Brandt.  Ig3 

Histoire  des  croisades  neben  der  Geschichte  des  ersten  Kreuzzuges 
die  des  dritten  von  demselben  Verfasser  gewählt  worden.  Denn 
abgesehen  davon,  dafs  man  der  Lektüre  eines  Schriftstellers,  wel- 
cher sich  ebensowohl  durch  Reichtum  und  Neuheit  der  Gedanken 
via  durch  edle  und  geschmackvolle  Sprache  auszeichnet,  ein 
warmes  Interesse  entgegenbringt,  fesselt  die  jugendlichen  Gemüter 
ganz  besonders  der  Inhalt  des  dritten  Kreuzzuges,  nächst  dem 
ersten  nnslreitig  des  bedeutendsten  und,  wie  der  Herausgeber 
ihn  so  treffend  bezeichnet,  des  romantischsten,  dadurch  dafs  hier 
drei  ritterliche  Gestalten  in  den  Personen  eines  Friedrich  Barba- 
rossa, Richard  LAwenherz  und  Philipp  August  handelnd  vorgeführt 
werden. 

In  20  Kapiteln  sind  die  wichtigsten  Begebenheiten  des  dritten 
Kreazzuges  in  gedrängter,  den  Zusammenhang  und  das  Verständnis 
nicht  beeinträchtigender  Kürze  zusammengefafst,  und  die  Auswahl 
ist  unseres  Erachtens  als  eine  glückliche  zu  bezeichnen. 

Was  die  Ausstattung  des  Bändchens  betrifft,  so  ist  als  ein 
wesentlicher  Fortschritt  gegen  die  früheren  Ausgaben  der  ge- 
schmackvolle Kaliko  -  Einband  anzuerkennen,  in  welchem  jetzt 
sämtliche  Bändchen  der  „Bibliothek''  fertiggestellt  sind.  Ehe  wir 
sodann  das  Verzeichnis  der  verhältnismäfsig  zahlreichen  Verstüfse 
aufstellen,  die  uns  im  Druck  begegnet  sind,  möchten  wir  im  all- 
gemeinen darauf  hinweisen,  dafs  die  academie  fran^aise  1S78 
innerhalb  eines  Wortes  das  e,  auf  welches  ein  stummes  e  folgt, 
uieisi  als  ein  oflenes  e  (e),  nicht  als  ein  geschlossenes  e  (e)  be- 
handelt, dafs  also  Wörter  wie  avenement,  pelerin,  piege,  auch  ste^e, 
nglement  zu  schreiben  sind:  avenemmt,  pelerin,  piege,  siege,  regle- 
«en/.  Auf  diese  Weise  wird  wenigstens  die  Grundregel  möglichst 
gewahrt,  was  in  einer  Sprache,  welche  so  gar  viel  Eigenartiges 
enthält,  höchst  wünschenswert  ist  (vgl.  neben  avenement:  evine^ 
Menl  u.  a.).  Als  mehr  oder  weniger  starke  Versehen  im  Druck 
haben  wir  folgende  notiert:  S.  18  Z.  15  v.  u.:  resister  st.  resister; 
S.  20  Z.  8  V.  u. :  potit;ous  st.  pouvons;  S.  24  Z.  9  v.  o.:  couverts 
st  eauvertes;  S.  28  Z.  7  v.  u.:  delai  st.  delai;  S.  30  Z.  10  v.  o.: 
cre  a  st.  crea;  S.  32  Z.  6  v.  u.:  d'lbelin  st.  dlbelin;  S.  39  Z.  8 
v.u.:  dcH$  st  dans;  S.  56  Z.  9  v.  o.:  d^ance  st.  d'onces-,  S.  69 
Z.  3  V.  o. :  Le  duc  de  Souabe  chef  de  Vartnee  st.  Le  d.  d,  5.,  eh. 
de  farmee;  S.  83  Z.  1  v.  o.:  fvU-rent  st  fu-rent;  S.  83  Z.  14  v.o.: 
CoKrad  fäs  du  m.  d.  M.  st.  Conrad,  füs  d.  m,  d.  M.\  S.  91  Z.  13 
V.  o.:  neufmille  st.  neuf  mtlfe;  S.  93  Z.  5  v.  u.:  surpit  st  surprit; 
&  99  Z.  1  V.  u.:  mulHdude  st  multitude;  S.  119  Z.  13  v.  o.:  reussit 
9t.  reuMsä;  S.  123  Z.  1  v.  o.:  qni  pendcent  les  tr.  d.  C,  st.  qui, 
pendmU  ks  tr.  d.  C;  S.  152  Z.  8  v.  o.:  deux  st.  d'eux;  S.  189 
Z.  11  V.  o.:  Mesapotamie  st  Mesapotamie;  S.  183  Z.  16  v.  o.:  perdu 
sl  perdus;  S.  198  Z.  14  v.  o. :  mon-fra  st  mon-tra. 

Aufserdeni  sind  nachstehende  kleinere  Ungenauigkeiten  beob- 
achtet: S.  19  Z.  14  V.  u.:  plan  ter  st  plan-ter'^  zu  kehren  ist  das 


Ig4  Bibliothek  gfediegeoer  französischer  Werke, 

s  in  auires  (S.  21  Z.  11  ?.  u.),  das  x  in  aux  (S.  24  Z.  10  v.  u.)* 
das  r  in  Autriche  (S.  124  Z.  8  v.  o.),  das  s  in  tous  (S.  125  Z.  10 
V.  u.),  das  s  in  parts  (S.  161  Z.  12  y.  u.)»  das  s  in  poursutViit  (S. 
180  Z.  15  y.  u.)  und  das  s  in  rwus  (S.  192  Z.  11  v.  o.).  Ferner 
fehlen  I-Punkte  auf  S.  24  Z.  9  y.  u.  in  faisaü,  S.  34  Z.  6  v.  o.  in 
ainsij  S.  97  Z.  15  y.  u.  in  premier,  S.  148  Z.  14  y.  o.  in  chrelimne, 
S.  172  Z.  12  y.  u.  in  Quoique  und  S.  183  Z.  1  y.  u.  in  S'ih.  End- 
lich sind  uns  in  den  „Erläuterungen^'  folgende  Ungleichmäfsig- 
keiten  bezw.  Inkorrektheiten  aufgefallen:  S.  205  Z.  14  y.  o.:  irr- 
thümlich  gegen  irrtümlich  (S.  218  Z.  7  y.  u.);  S.  206  Z.  6  y.  o.: 
geehlicht  gegen  ehelichte  (S.  207  Z.  7  y.  u.)  und  vereheUcht  (S.  209 
Z.  14  y.  0.);  S.  208  Z.  7  y.  o. :  Kaukasus  gegen  Kaucasus  (S.  208 
V.  10  y.  o.);  S.  211  Z.  9  y.  o.  und  Z.  17  y.  u.:  Jerusalem  gegen 
das  oft  wiederkehrende  Jerusalem;  S.  215  Z.  1  o.:  Athiopen  sU 
Äthiapen;  S.  217  in  der  Überschrift:  Erläuterungen  st.  Erläu- 
terungen; S.  218  Z.  6  y.  0.:  Ägypten  st.  Ägypten;  S.  219  Z.  15  f. 
V.  0.  ist  zu  bessern :  Thuron  nordöstlich  van  PtolemaU  91. 

2.  Siebenundfunfzigstes  Bändchen.  Madame  Göttin.  Eli- 
sabeth ou  les  exiles  de  Siberie.  Edition  r^digee  pour  la 
jeunesse  et  les  ecoles.  Munster,  imprimerie  et  librairie  de 
Theissing.     111  u.  184  S.  12.     0,60  M,  geb.  0,85  M. 

Kaum  findet  sich  in  der  Litteratur  ein  lieblicheres  und  das 
menschliche  Herz  ansprechenderes  Denkmal  kindlicher  Pietät  als 
„Elisabeth'^  das  Werk  derselben  Romanschriftstellerin,  welche,  mit 
Michaud  befreundet,  diesen  bat,  für  ihren  Roman  ,.MathiIde''  eine 
Einleitung  über  die  Kreuzzöge  zu  schreiben,  aus  welcher  später 
das  bekannte  historische  Meisterwerk  Michauds,  Histoire  des 
croisades,  heryorging,  und  es  ist  nicht  zu  verwundern,  dafs  man 
„seit  Jahren  die  Aufnahme  der  „Elisabeth''  in  die  Goebelsche 
Bibliothek  yerlangt  hat'*. 

Äufserst  einfach  in  der  Handlung  bei  grofsem  Reichtum  der 
Schilderung  und  gekleidet  in  eine  gewählte,  leichte  und  Oiefsende 
Sprache,  ist  „Elisabeth''  recht  eigentlich  eine  Jugendschrift,  welche 
das  Gemüt  des  Lesers  packt  und  ihn  für  die  edelsten  Triebe 
eines  reinen^  unyerdorbenen  Menschenherzens  begeistert. 

Anfangs  wollte  es  allerdings  dem  Ref.  scheinen,  als  ob  der 
Inhalt  dieser  Schrift  sich  mehr  für  die  Lektüre  an  den  höheren 
Mädchenschulen  eigne,  eben  weil  dieselbe  „nichts  mehr,  aber  auch 
nichts  weniger  als  der  unmittelbare  Ergufs  eines  edlen  Frauen- 
herzens, mit  dem  Herzen  genossen  sein  will'S  allein  bei  genauerer 
Prüfung  und  wenn  man  bedenkt,  dafs,  Gott  sei's  geklagt,  die 
Pietät  bei  der  so  sehr  materialistischen  Richtung  unserer  Zeit  in 
höchst  erschreckender  Weise  abzunehmen  droht,  dürfte  die  Lektüre 
der  „Elisabeth*'  auch  an  höheren  Unterrichtsanstalten  für  die 
männliche  Jugend  recht  erspriefslich  erscheinen. 

Ein  Vorzug,  welchen  die  Goebel-Brüllsche  Ausgabe  yor  andern 
aufzuweisen  hat,  besteht  darin,  dafs  das  Schriftchen  in  zwei  Teile 


angez.  von  K.  Braodt.  ]^g5 

mit  tl  und  9  Kapiteln  eingeteilt  ist,  und  dafs  diese  Kapitel  mit 
Überschriften  versehen  sind,  eine  Anordnung,  welche  die  Obersicht 
wesentlich  erleichtert  und  das  Anmutige  der  Erzählung  erhöht 

Was  die  Ausstattung  des  Buches  betrifft,  so  verweisen  wir 
im  allgemeinen  auf  das  bei  Gelegenheit  der  Besprechung  des 
neunzehnten  Bändchens  Gesagte.  Im  Druck  sind  uns  aufser  den 
bereits  am  Ende  verzeichneten  Errata  noch  folgende  weitere  Ver* 
stölse  begegnet:  In  der  Vorbemerkung  Z.  7  v.  o.:  annonym  st. 
anarnftn;  S.  10  Z.  2  v.  u.:  mere  st.  mere;  S.  12  Z.  6  v.  o.:  tres-dair 
St.  tres  darr;  s.  13  Z.  15  v.  o.  ist  nach  les  chatnps  ein  Komma  zu 
letzen  bei  zu  ergänzendem  Prädikat  (se  couvrent)  [vgl.  Goebel- 
Brüll,  Higuet,  Histoire  de  la  r6v.  fr.  S.  36  Z.  9  u.  8  v.  u.];  S.  17 
Z.  7  ▼.  u. :  iustrttction  st.  mstruction\  S.  20  Z.  16  v.  o.:  e  $es  moindres 
dain  st  ä  s.  m.  d. ;  S.  20  Z.  2  v.  u.:  etait  st.  äait]  S.  25  Z.  3  v.  o. : 
Pelerdfcurg  st.  Fetersbourg;  S.  25  Z.  4  v.  o.:  pere  st  pere\  S.  34 
Z.  12  T.  u. :  generale  st.  generale;  S.  36  Z.  12  v.  o«:  carresse  st 
caresse;  S.  39  Z.  7  v.  o.:  partemd  st  patemel;  S.  41  Z.  7  v.  u.:  sous 
$L  pous;  S.  42  Z.  11  v.  o.:  abbattre  st  abattre;  S.  46  Z.  9  v.  o.: 
/itt^  en  st  /U5^'«f»;  S.  48  Z.  13  v.  u.:  s'apercöf  st.  s'aper^üt; 
S.  50  Z.  6  V.  u.:  mois  st.  mot;  S.  54  Z.  5  v.  o.:  j^ronocerenr  st 
pnmoncerent;  S.  57  Z.  15  v.  u.:  qu'elle  st  juelte;  S.  71  Z.  8  v.  o.: 
kfemlles  st.  [es  feuiües;  S.  71 Z.  16 v.o. :  ineffa^ab-les  st  meffa^a-bles; 
S.  86  Z.  16  v.  u.:  si'I  st.  sVI;  S.  91  Z.  3  v.  o.:  benir  st.  (enrr; 
S.  99  Z.  15  V.  u.:  potissstere  st  potisstera;  S.  103  Z.  13  v.  u.:  ili- 
itthetk  st  Elisabeth;  S.  109  Z.  8  v.  o.:  vos  st  votis;  S.  114  Z.  16 
f.  0.:  $an$  faire  de  bien  st  sans  faire  du  bien;  S.  116  Z.  9  v.  o.: 
traca  st.  tra^a;  S.  129  Z.  2  v.  u.:  de  mal  st  du  mal;  S.  139 
Z.  10  T.  u.:  Jaques  st  Jacgties;  S.  140  Z.  13  v.  u.:  sontiendra  st. 
tmaiendra;  S.  140  Z.  5  v.  u.:  Int  st  lui;  S.  146  Z.  2  v.  o.:  jtcetle 
sL  9i»'e//e;  S.  147  Z.  8  v.  o.:  liberte  st  liberte;  S.  149  Z.  8  v.  o.: 
rteampense  st  recompense;  S.  151  Z.  10  v.  o. :  reneonnait  st  recon- 
iwil;  S.  152  Z.  1  v.  u. :  at  je  st  ai-je;  S.  155  Z.  5  v.  u.:  (ie  ces 
imc9fuiaH€e$  st.  de  «es  inccmstances.  Ungenaues  in  Bezug  auf  Inter- 
punktion bemerkten  wir  S.  20  Z.  4  v.  o. :  plus,  st  plus.;  S.  57 
Z.  14  V.  o. :  £n  t;oyatU  Smoloff  eile  st.  £.  v.  S.,  eile;  S.  61  Z.  14 
V.  0.:  id  s'ü  St.  tct,  s't7;  S.  62  Z.  14  v.  o.:  rinfortnne  eile  st.  Vin- 
/orTioie,  eUe;  S.  63  Z.  9  v.  o.:  d  lui  tu  m'as  st  d  lui,  ^u  m'os; 
S.  120  Z.  2  v.  o.:  s'arreter  ilisabeth  st.  s'arreter,  Elisabeth, 

3.  Achtondfönfzigstes  Bändchen.  Mignet,  Histoire  de  la 
revolution  fran^aise  depuis  1789  jusqu'en  1814.  Texte 
abrege  et  commente  pour  les  ecoles.  Munster,  imprimerie  et 
fibrairie  de  Tbeissing.     VIII  u.  535  S.  12.     1,50  M,  geb.   1,80  M. 

Wenn  auch  diesem  drittletzten  der  bis  jetzt  erschienenen  Bänd- 
eben der  ,JBibJiothek*S  dessen  Lektüre  allerdings  bei  ungeschicktem 
bezw.  absichtlich  falschem  Gebrauche  die  Unverdorbenheit  jugend- 
bcfaer  Gemüter  gefährden  kann,  von  vornherein  mit  einigem  Mifs- 
traoeo  begegnet  ist  und  gegen  seine  Verwendung  als  Schullekture 


186     Bibliothek  ge&ieg,  frtazösischer  Werke,  ags.  v.  Brandt 

an  UDsern  höheren  BilduDgsaDstaiten  zuerst  Bedenken  erhoben 
worden  sind,  so  hat  es  sich  doch  nach  und  nach  in  denselben 
eingebürgert  und  bildet  gerade  jetzt,  wo  die  Forderungen  der 
neuen  Lehrpläne  und  Lehraufgaben  eine  Vertiefung  der  Einsicht 
in  die  historischen  Vorgänge  und  die  inneren  staatlichen  Verhält- 
nisse unserer  westlichen  Nachbarn  betonen^  einen  beliebten  und 
wiilkommnen  Unterrichtsstoff.  Freilich  ist  die  Kürzung  vornehm- 
lich dieser  Schrift,  auf  deren  vollständige  Bewältigung  das  Gym- 
nasium bei  der  schon  erwähnten  beschränkten  Stundenzahl 
unbedingt  verzichten  mufs,  eine  ebenso  schwierige  wie  verant- 
wortliche Aufgabe,  aber  diese  Aufgabe  in  höchst  geschickter  und 
anerkennenswerter  Weise  gelöst  zu  haben,  ist  das  Verdienst  der 
Goebei-Brüllschen  Ausgabe:  ihre  Sichtung  und  Auswahl  ist  unseres 
Erachlens  mustergültig.  Die  dieser  Ausgabe  beigegebenen  Noten, 
welche  Besonderheiten  teils  geschichtlicher,  teils  sprachlicher  Art 
enthalten,  sind  wohl  dazu  geeignet,  das  Verständnis  zu  erleichtern 
und  das  Interesse  des  Lesers  zu  wecken  und  zu  erhalten.  Wir 
empfehlen  deshalb  diese  Ausgabe  der  wohlwollenden  Berücksichtig 
gung  der  Fachgenossen  aufs  angelegentlichste. 

Von  der  Ausstattung  auch  dieses  Bändchens  gilt  das  bereits 
über  Bd.  19  und  57  Gesagte.  Im  Druck  haben  wir  aufser  den 
am  Schlüsse  des  Buches  unter  den  Errata  aufgeführten  Verstöfsen 
noch  folgende  Versehen  gesammelt:  Titelblatt  Z.  4  v.  u.:  abregt 
st  abrege-y  S.  1  Z.  9  v.  o. :  ih  ichoue  st.  iledioue;  S.  25  Z.  15  ▼.  u.: 
promvit  st.  proscnvit\  S.  30  Z.  11  v.  u.:  prmier  st  premier;  S.  32 
Anm.  Z.  2  V.  o.:  evSques  st  eveques;  S.  45  Z.  6  v.  u.:  de  la  part 
st  de  la  part;  S.  49  Z.  11  v.  u.:  dn  st  du\  S.  50  Z.  14  v.  o.: 
beaucaup  st.  beaucoup\  S.  60  Z.  7  v.  u.:  Fayei  e  st  Fayelte;  S.  74 
Z.  10  V.  u.:  declaration  st.  declaration\  S.  75  Z.  11  v.  o. :  audeseus 
St.  au'dessus;  S.  82  Z.  6  v.  o.:  revolutionnaires  st  revolutionna(res\ 
S.  83  Z.  1  V.  u.:  lou8  st  tons;  S.  90  Z.  11  v.  o.:  des  st  des:  S.  92 
Z.  8  V.  u.:  departement  st  dipartement;  S.  106  Z.  7  v.  u.:  Les  st, 
Les  und  deciderent  st  deciderent;  S.  129  Z.  6  v.  o.:  defendre  sU 
defendre;  S.  130  Z.  3  v.  o.:  grauche  st.  gauche;  S.  135  Z.  9  v.  o.: 
a  l'egard  st  d  legard;  S.  157  Z.  10  v.  u.:  sueces  st  su€ces\  S.  162 
Z.  10  V.  0.:  in  fermi  kursives  e;  S.  164  Z.  2  v.  o.:  on  st  ow^ 
S.  169  Z.  1  V.  0.:  chä*teau  st.  chd-teau;  S.  179  Z.  11  v.  o. :  mini- 
stres  st  minis'tres  (vgl.  S.  144  Z.  10  v.  o.);  S.  183  Z.  10  v.  u.: 
in  cwistitutiannel  kursives  s;  S.  209  Z.  2  v.  u.:  preUde  st.  pricide\ 
S.  209  Z.  1  V.  u.:  ectte  st  ceUe\  S.  216  Z.  11  v.  u.:  ConventionneUe 
st.  conventionneUe\  S.  216  Z.  1  v.  u.:  in  st  il\  S.  249  Z.  12  v.  u. : 
etaient  st.  itaient;  S.  266  Z.  6  v.  o.:  long-temps  st.  longtemps;  S.  279 
Z.  10  V.  u.:  geniale  st  generale;  S.  286  Z.  4  v.  o.:  republique  sl. 
republique;  S.  299  Z.  3  v.  o.:  ecoutie  st  fcoiiree;  S.  304  Z.  9  v.  o.: 
disinterresse  st  disintiresse;  S.  360  Z.  1  v.  o.:  rependre  st  reprendre* 
S.  373  Z.  1 1  V.  u. :  se  st.  se;  S.  375  Z.  3  v.  o.:  dkretes  st.  decr^fes; 
S.  377  Z.  1  V.  0,:   surperflue  st  «uper/Iue;    S,  384  im  Zitat  Z.  2    ij 


Porekat,  Trois  mois  soos  la  neige,  angez.  von  Forcke.       Ig7 

T.  0.:  ta$$<isms  st.  d'assassins;  S.  387  Z.  5  v.  u.ijusq'au  st.  /uäfM'au; 
S.  390  Z.  16  V.  u. :  il  st.  tb;  S.  393  Z.  5  v.  o.:  eonfre-rei^ohUtonnatre 
d.  eonire-rioolutionnaire;  S.  393  Z.  13  v.  u.:  defendre  st.  difendre; 
S.  404  Z.  8  V.  a.:  p€nit  st.  perit;  S.  409  Z.  13  v.  u.:  quils  st.  qu'ils; 
S.  429  Z.  2  ▼.  o.:  Eies-wnis  st.  i/e^-votis;  S.  430  Z.  10  v.  o.:  fejrts- 
{ofMrrs  sL  legülateur$\  S.  432  Z.  5  v.  o.:  Mlections  st.  ^lecfto»«; 
S.  433  Z.  13  y.  a.:  tMgrocta  st.  negocfa;  S.  436  Z.  10  v.  u.:  de$ir 
St.  de$ir;  S.  454  Z.  4  v.  o.:  Luxemburg  st.  Iua;ein6otir^;  S.  463 
Z.  4  ▼.  o.:  penetre  st.  p^n^rre;  S.  478  Z.  14  v.  u.:  riligieuse  st 
re%etm;,  S.  479  Z.  8  v.  u.:  «s  st.  et;  S.  480  Z.  14  v.  o.:  Citait 
gl  C*etei«;  S.  491  Z.  4  v.  o.:  Sirrurier  st.  Serrurier;  S.  501  Z.  9 
T.  a.:  quü  st.  9u'i7;  S.  512  Z.  5  v.  u.  ein  et  zu  streichen;  S.  514 
Z.  6  T.  tt.:  rest-stonce  st.  risis-tance;  S.  532  Z.  4  v.  u.:  d  st.  a; 
Kommata  sind  zu  setzen  auf  S.  37  Z.  9  v.  o.  nach  Paris;  S.  56 
Z.  15  T.  u.  nach  partir;  S.  180  Z.  12  v.  u.:  nach  qui;  S.  215  Z.  11 
T.  0.  nach  Moi;  S.  448  Z.7  v.  u.  nach  brillante.  Auch  in  dem 
Verzeichnisse  der  Errata  sind  zu  vermerken  Z.  2  v.  o. :  S.  11  st. 
S.  16;  Z.  6  V.  u. :  legislative  st.  legislative  und  auf  der  letzten 
Seite  Z.  7  v.  o.:  5.  75  Z.  3  v.  o.  st.  S.  76  Z.  12  v,  o. 

Salzwedel  i.A.  K.  Brandt. 


S.  J.  Porchat,  Trois  mois  sons  la  neige.  Journal  d'un  jeune  ha- 
bitantdaJura.  Im  Auszöge  mit  Anmerkangeo  ond  Fragen  nebst 
einem  Wörterbuch  znm  Schul-  und  Privatgebraueh  neu  herausgegeben 
von  C.  Th.  Lion.  9.  Auflage.  Dresden  1892,  Gerhard  KUhtmanu. 
145  S.  8.     1,30  M. 

Madame  E.  de  Pressenge,  La  maison  blanche.  En  deux  parties. 
In  Auszügen  mit  Anmerkungen  und  Fragen  nebst  einem  Wörterbuch 
zum  Schulgebranch  herausgegeben  von  C.  Th.  Lion.  2.  umgearbeitete 
Auflage.    Dresden  1892,  Gerhard  Kuh tmann.     191  S.  8.     1,60  M. 

Die  von  Professor  Dr.  C.  Tb.  Lion  bearbeitete  Biblioth^ue 
fran^aise,  die  Auszüge  aus  Werken  der  modernen  französischen 
Utleratur  enthält,  hat  manche  vorteilhafte  Wandlungen  durch* 
gemacht  Die  Ausgaben  sind  mit  Anmerkungen,  Fragen  und 
einem  Wörterverzeichnis  versehen.  Die  Anmerkungen  (am  Fufse 
jeder  Seite)  sind  in  der  neuesten  Auflage  auf  das  geringste  Mafs 
beschränkt  und  geben  nur  sachliche  und  grammatische  Erklärungen, 
sowie  Übersetzungen  schwieriger  Ausdrucke,  während  alle  Wort- 
erUäruDgen  getilgt  und  in  dem  Wörterverzeichnis  aufgenommen 
sind,  das  dadurch  zu  einem  Wörterbuch  geworden  ist.  Der  Vor- 
teil ist  klar:  Der  Schüler  kann  nicht  mehr  gedankenlos  die 
deutsche  Bedeutung  eines  französischen  Wortes  ablesen  —  oft 
hat  er  wohl  weniger  das  unbekannte  Wort  als  die  nebenstehende 
Ziffer  angesehen  — ,  sondern  er  wird  zur  schriftlichen  Vorberei- 
lang  gezwungen,  er  mufs  die  unbekannten  Wörter  aufsuchen  und 
aobchreiben,  und  schon  dadurch  wird  ihm  das  Lernen  und  Be- 
hahen  derselben  leichter.  Die  Fragen  folgten  früher  nach  jedem 
einzelnen  Kapitel,  jetzt  sind  sie  an  das  Ende  des  Buches  gestellt. 


Igg  de  Presseoge,  La  maison  blanche,  ao^ez.  v.  Forcke. 

Willkommen  ist   auch    die  bessere   Übersichtlichkeit   des  Textes 
durch  Bezeichnung  der  Zeilenzahl  am  Rande  mit  5,  10,  15  u.  s.  w. 

Das  Questionnaire  erleichtert  dem  Schüler  sowohl  als  dem 
Lehrer  die  Arbeit.  Ersterem  bietet  es  die  Möglichkeit  einer  ge- 
wissen Vorbereitung  auf  die  Fragen  über  den  Inhalt  des  be- 
treffenden  Kapitels,  während  es  dem  Lehrer  naturiich  unbenommen 
bleibt  seine  Fragen  nach  eigenem  Ermessen  einzurichten. 

Trois  mois  sous  la  neige  bringt  ein  Knabe  mit  seinem  GroDs- 
vater  in  einer  Sennhütte  auf  dem  Schweizer  Jura  zu.  Sie  sind 
vom  Winter  überrascht,  und  die  Schneemassen  hindern  sie,  den 
Rückweg  anzutreten.  Eine  Ziege,  die  zurückgeblieben  ist,  bildet 
ihre  einzige  Gesellschaft  und  macht  es  ihnen  möglich,  ihr  Leben 
zu  fristen.  Tinte,  Federn  und  Papier  finden  sich  in  einem 
Schranke  vor.  Diese  benutzt  der  Knabe,  um  seine  Erlebnisse 
aufzuschreiben,  die  in  Form  eines  Tagebuches  erzählt  werden. 
Trotz  der  Einförmigkeit  ihres  Lebens  versteht  es  der  Verfasser 
durch  lebhafte  und  anschauliche  Schilderungen  —  die  Schrecknisse 
des  Winters  im  Gebirge,  das  Nahen  der  Wölfe,  der  Tod  des 
Grofsvaters,  sein  Begräbnis,  der  Trost  des  Knaben  in  seiner  Ein* 
samheit  —  das  Interesse  für  die  Erzählung  rege  zu  erhalten;  man- 
nigfaltig sind  die  Mittel,  die  die  Unglücklichen  gegen  die  Lange- 
weile erfinden;  dazu  kommen  die  vielseitigen  Belehrungen  des 
Grofsvaters,  die  nach  seinem  Tode  den  Enkel  in  den  Stand  setzen, 
weiter  zu  leben,  bis  er  endlich  vom  Vater  befreit  wird. 

Von  Berichtigungen,  die  nicht  im  Eingange  des  Buches  an- 
gegeben sind,  erwähnt  Ref.:  S.  24  Z.  27  lies  bais  st.  hoü;  S.  81 
Z.  16  lies  le  malade  st.  la  malade;  S.  93  Z.  2  lies  la  priere  st. 
le  priere, 

La  maison  blanche  im  Dorfe  Saint-Real  ist  das  Heim  einer 
glücklichen  Familie;  zwei  Söhne  und  zwei  Töchter  bilden  die  Freude 
der  Eltern ;  die  letzteren  sind  in  der  glücklichen  Lage,  sich  ganz 
der  Erziehung  der  Kinder  widmen  zu  können.  Der  erste  Teil 
schildert  uns  das  Leben  im  Elternhause;  im  zweiten  Teile  finden 
wir  die  Knaben  in  einem  Pariser  Pensionat,  aus  dem  sie  nach 
einjährigem  Aufenthalte  zurückkehren,  um  ihre  Ferien  bei  ihren 
Eltern  zu  verleben.  Warum  soll  sich  diese  Erzählung  gerade  be- 
sonders für  Oberklassen  in  Mädchenschulen  eignen?  Warum  sollte 
sie  keine  passende  Lektüre  für  vorgeschrittenere  Knaben  sein,  da 
die  Knaben  doch  überall  in  den  Vordergrund  treten? 

Aufser  den  im  Eingange  des  Buches  angegebenen  Berichti- 
gungen sind  Ref.  aufgefallen:  S.  24  Z.  13  lies  Jiröme  pensa  que 
son  oncle  ne  savait  pas  statt  Jerdme  pensa  son  ancle  ne  savaU  pos; 
S.  42  Z.  14  lies  fit  statt  ß;  S.  84  Z.  24  lies  k  statt  la\  S.  t26 
Z.  14  lies  faites  statt  faücs. 

Der  Stil  beider  Erzählungen  ist  fliefsend  und  gefällig  und 
hält  sich  nach  Möglichkeit  frei  von  schwierigen  Konstruktionen. 
Die  Sprache  ist  dem  Charakter  der  Erzählungen  angepa£$t.     Ab 


Let  Hohenzollern  et  rAllemagoe,  an^^es.  vod  Mangold.       tg9 

and  SU  fallen  uns  Wendungen  auf,  die  den  Regeln  unserer  fran- 
zösischen Grammatiken  widersprechen,  Freiheiten,  die  in  mo- 
dernem Französisch  nicht  gerade  selten  zu  fmden  sind. 

Druck  und  äufsere  Ausstattung  lassen  nichts  zu  wünschen 
übrig.  Somit  eignen  sich  die  Bücher  in  jeder  Hinsicht  zum 
Schul-  und  Privatgebrauche. 

Gotha.  W.  Forcke. 


Las  HoheDSollera  et  rAllemagDe,  Recoeil  des  biographiea  des  soa- 
venÜDS  de  Prosse  depais  le  graod  electear  josqa'a  Teaipereor  Frid^ric. 
Berlia  1892,  Lackhardt.     VIII  u.  175  S.  8.    2  M. 

Schöne  Worte  sind  dem  Mifsbrauch  ausgesetzt,  auch  in  der 
pädagogischen  Litteratur.  Um  nicht  junge  Franzosen  zu  erziehen, 
sondern  junge  Deutsche,  sagt  die  Vorrede,  müssen  wir  „die  vater- 
ländische Geschichte  in  ihrer  Mannigfaltigkeit  unter  verschiedenen 
Gesichtspunkten  betrachten''.  Für  einen  solchen  Gesichtspunkt 
hält  der  Verfasser  die  Vorführung  im  französischen  Gewände  zum 
Zwecke  von  Sprechübungen.  Welche  Gründe  alle  gegen  diesen 
Gedanken  sprechen,  brauche  ich  nicht  erst  zu  erörtern.  Wird  im 
französischen  Unterricht  Geschichte  behandelt,  so  sei  es  in  erster  Linie 
französische  Geschichte,  vor  allem  aber  sei  sie  anziehend  geschrieben. 
Dies  läfst  sich  hier  nur  von  einem  Teile  des  Buches  sagen,  von 
dem,  der  Friedrich  dem  Grofsen  gewidmet  ist,  sowie  von  einigen 
kleineren  Abschnilten,  z.  B.  dem  Tode  Wilhelms  I.,  dessen  Bio- 
graphie im  übrigen  ebenso  ungenügend  behandelt  ist  wie  die 
Napoleonische  Zeit  unter  Friedrich  Wilhelm  III.  Der  Verfasser 
(E.  F.  Riemann)  schreibt  in  Anlehnung  an  französische  Quellen, 
die  er  leider  nicht  nennt,  die  aber  zum  Teil  unzuverlässig  sind. 
Sie  haben  ihn  zu  manchen  Fehlern  verfährt,  deren  gröbster  wohl 
der  erste  Satz  des  Buches  ist:  „Frederic-Guillaume,  fils  de  Jean 
Sigismond'M  Auf  derselben  Seite  ist  fälschlich  von  einer  „regence" 
des  grofsen  Kurfürsten  die  Rede;  S.  6  der  Todestag  desselben 
fälschlich  9.  Mai  datiert;  S.  9  25  000  st.  250  000  r.;  ib.  Zeutha 
St.  Zenta;  S.  70  Laddick  st.  Haddick;  S.  11  ist  von  einer  Eheschei- 
dung Eriedrichs  III.  mit  Sophie  Luise  die  Rede,  die  nicht  statt- 
gefunden hat;  S.  17:  1738  st.  1732  für  die  Vertreibung  der 
Salzburger  angegeben;    S.  26:    1734  st.  36;    S.  35:    4.  Juni   st. 

5.  Juli;  S.  45:  20.  st.  25.  December:  S.  68:  14.  st.  16.  (Pirna); 

6.  sL  5.  Mai  (Prag)  u.  s.  w.,  von  umständlicher  zu  erklärenden 
Fehlern  abgesehen:  kurz  das  Buch  ist  nicht  zuverlässig,  nicht 
einmal  das  Datum  der  Kapitulation  von  Paris  ist  richtig  angegeben. 

Am  Teite  ist  mir,  von  Druckfehlern  abgesehen,  nichts  Un- 
französisches aufgefallen.  S.  54 — 65  sind  Gedichte  Friedrichs  des 
Grofsen  mitgeteilt,  die  man  nie  ohne  Interesse  liest. 

FriedeDau  bei  Berlin.  W.  Mangold. 


190     JäolcLe  u.  Hähne],  GesohichtserzahluogeD,  a^K.  v.  Priebe. 


H.  Jäoicke  und  G.  Hähnel,  Hiilfsbuch  für  die  Geschicbtserzah- 
luDgen  in  Sexta  ood  Quinta.  Im  Anschlafs  au  die  (^eschichllichen 
Lehrbücher  von  Janicke.  Berlin  1893,  WeiduianDsche  BnchhandlnDgr. 
VI  u.  70  8.     kart.  0,80  M. 

H.  Janicke,  der  den  Lesern  dieser  Zeitschrift  durch  seine 
geschichtlichen  Lehrbücher  für  die  Klassen  von  Qaarta  bis  Prima 
schon  bekannt  ist,  hat  jetzt,  und  zwar  im  Verein  mit  G.  Hälinel, 
noch  ein  Hülfsbuch  erscheinen  lassen,  welches  den  Stoff  für  die 
Geschichtserzählungen  in  Sexta  und  Quinta  enthält.  Die  neuen 
Lehrpläne  verlangen  ein  solches  Buch  nicht;  es  heilst  im  Gegen- 
teil in  den  methodischen  Bemerkungen  zu  diesen  Lehrpiänen: 
„Begeisterung  des  Lehrers  selbst,  schlichte,  aber  lebenswarme 
Schilderung  der  vorgeführten  Helden  in  freier  Erzählung  ohne 
Anschlufs  an  ein  Buch  thun  hier  fast  alles*^  Das  übrige  soll 
das  deutsche  Lesebuch  thun.  Demgegenüber  bemerken  die  Ver- 
fasser des  vorliegenden  Buches  in  ihrem  Vorworte,  es  habe  schon 
im  ersten  Jahre  des  Bestehens  der  neuen  Lehrpläne  die  Erfah- 
rung an  ihrer  Anstalt  gelehrt,  dafs  ohne  Anschlufs  an  ein  Buch 
der  geschichtliche  Unterricht  auf  den  untersten  Stufen  einen 
nennenswerten  Erfolg  nicht  erzielen  könne.  Die  Schüler  hätten 
von  acht  zu  acht  Tagen  nahezu  alles  vergessen,  was  der  Lehrer 
mit  auch  noch  so  grofser  Anschaulichkeit  vorgetragen  hätte,  und 
am  Ende  des  Schuljahres  sei  bei  dem  gesamten  Unterricht  nichts 
Erspriefsliches  herausgekommen.  Die  Schüler  hätten  selbst  häufig 
den  Wunsch  geäufsert,  man  möchte  ihnen  ein  Hülfsbuch  be- 
zeichnen ,  in  dem  sie  das  in  der  Klasse  Durchgenommene  zu 
Hause  nachlesen  könnten.  Da  die  beiden  Herren  annehmen  zu 
können  glauben,  dafs  diese  Erfahrung  nicht  nur  am  Gymnasium 
zu  Kreuzburg,  sondern  auch  an  vielen  anderen  Schulen  gemacht 
worden  sei,  und  da  sie  andererseits  der  Ansicht  sind,  dafs  das 
deutsche  Lesebuch  nicht  auch  noch  den  Stoff  für  den  Geschichts- 
unterricht aufnehmen  dürfe,  sind  sie  zu  der  Herausgabe  eines 
besonderen  Hülfsbuches  geschritten.  Dafs  sie  mit  ihrer  Ansicht 
nidit  allein  stehen,  beweist  der  Umstand,  dafs  schon  mehrere 
Hülfsbücher  für  die  Geschichtserzählungen  in  Sexta  und  Quinta 
erschienen  sind,  welche  sich  genau  an  die  neuen  Lehrplänen  an- 
schliefaen.  Ich  für  meine  Person  möchte  mit  der  Einfuhrung 
eines  solchen  Hülfsbuches  noch  warten  und  erst  weitere  Erfah- 
rungen sammeln.  Wer  aber  den  Standpunkt  von  Janicke  und 
Hähnel  teilt,  dem  kann  ich  das  von  ihnen  herausgegebene  Hülfs- 
buch zur  Einführung  warm  empfehlen.  Es  behandelt  in  der 
ersten  für  Sexta  bestimmten  Hälfte  der  Reihe  nach  König  Wil- 
helm L,  Friedrich  HL  und  Wilhelm  IL,  Arminius,  Karl  den  Grofsen, 
Heinrich  L,  Otto  den  Grofsen,  Friedrich  Barbarossa,  Rudolf  von 
Habsburg,  den  grofsen  Kurfürsten  und  die  preufsischen  Könige 
Friedrich  L,  Friedrich  Wilhelm  L,  Friedrich  den  Grofsen  und 
Friedrich  VVilhelm  Hl.     Persönlichkeiten  aus  der  Reformationszeit 


H.  Stieb,  Lehrbach  der  Geschichte,  agz.  v.  F.  Ohly.         191 

und  aas  der  Zeit  des  dreifsigiährigen  Krieges  werden  von  den 
Verfassern  nicht  besprochen,  sondern  dem  Religionsunterrichte 
Obertassen;  was  durchaus  zu  billigen  ist.  Die  zweite  für  Quinta 
bestimmte  Hälfte  behandelt  den  Argonauten zug,  den  trojanischen 
Krieg,  Odysseys,  die  Kämpfe  um  Theben,  Lykurg,  die  messenischen 
Kriege,  Theseos,  Kodrus,  Solon,  die  Gründung  Roms,  die  Königs- 
zeit, die  Kämpfe  der  Republik  gfgen  Tarquinius  Superbus,  die 
Auswanderung  der  Plebejer  auf  den  heiligen  Berg,  Coriolan,  die 
DecemTirn,  die  Kämpfe  gegen  die  Äquer,  Volsker,  Etrusker, 
Gaiüer,  Latiner,  Samniter  und  gegen  Pyrrhus.  Die  Auswahl  der 
Fersdnlichkeiten  ist  zweckentsprechend;  die  Auswahl  des  ge- 
schichtlichen Stoffes  bei  den  einzelnen  Helden  ist  zwar  im  ersten 
Teile  stellenweise  etwas  reichlich  ausgefallen,  doch  thut  dies  dem 
Werte  des  Buches  keinen  Eintrag.  S.  6  ist  die  Aussprachebe- 
zeichnung von  Versailles  falsch.  —  S.  7,  Zeile  18  ist  für  Bundes- 
kanzler „Reichskanzler"'  zu  setzen.  —  S.  14,  Z.  14  ist  die  Wen- 
dung „liefs  auswandern''  zu  beseitigen.  —  Der  auf  derselben 
Seite  Zeile  16  beginnende  Satz  ist  zu  lang.  —  S.  60  darf  im 
letzten  Satze  das  Prädikat  nicht  im  Singular  stehen.  —  Die  Sprache 
des  Buches  steht  mit  dem  kindlichen  Standpunkte  der  Schiller, 
für  die  es  geschrieben  ist,  in  gutem  Einklänge;  die  zweite  Hälfte 
liest  sich  ganz  besonders  glatt  und  angenehm. 

Fraustadt.  Moritz  Friebe. 


B.  Stich,  Lehrbuch  der  Geschichte  für  die  oberen  Klassen  der 
Mittelschnlen.  lif.  Teil.  Die  neuere  Zeit.  München,  Bamberg^,  Leip- 
xig  1892,  C.  C.  Buchner.    263  S.     8.    geb.  2,40  M. 

Aus  äufseren  Gründen  ist,  wie  der  Verf.  in  dem  Vorwort 
sagt,  der  yorliegende  HI.  Teil  des  Lehrbuches  zuerst  herausgegeben 
worden,  und  von  der  Aufnahme  dieses  Bandes  soll  es  abhängen, 
ob  der  Verf.  auch  eine  Bearbeitung  der  alten  und  mittleren  Ge- 
schichte veröffentlichen  wird.  Es  gilt  deshalb  schon  jetzt,  mit 
den  Grundsätzen,  nach  denen  der  Verf.  gearbeitet  hat,  sich  aus- 
einanderzusetzen. „Das  Buch  ist  aus  dem  Unterricht  hervor- 
gegangen und  soll  dem  Unterricht  und  zwar  zunächst  an  den 
oberen  Klassen  des  Gymnasiums  dienen,  in  weiterer  Linie  aber 
auch  den  Schülern  anderer  Lehranstalten,  sowie  Privatstudie- 
renden einen  brauchbaren  Leitfaden  bieten,  sich  indem 
grolseo  Gebiet  der  Weltgeschichte  zurecht  zu  finden''.  Es  ist 
bezeichnend,  wie  hauiig  man  in  den  so  zahlreich  erschienenen 
„Uölbbachern  für  den  Geschichtsunterricht  in  den  oberen  Klassen 
höherer  Lehranstalten'*  neuerdings  die  doppelte  Bestimmung  aus- 
gesprochen findet,  ein  fiülfsmittel  für  Unterricht  und  Studium 
tugleieb  zu  sein.  Man  soilte  sich  doch  darauf  beschränken,  ein 
^irkücb  gutes  Schulbuch  zu  schauen,  das  ist  wahrlich  eine  Auf- 
gabe schwierig  genug  und  „des  Schweilses  der  Edlen  wert",  denn 


192  H.  Stich,  Lehrbach  der  Geschichte, 

für  unsere  Jugend  gilt,  wenn  irgendwo,  das  Wort:  das  Beste  ist 
gerade  gut  genug!  Und  wie  weit  wir  noch  von  diesem  erstrebens- 
werten „Besten'*  entfernt  sind,  das  beweist  doch  zur  Genüge  die 
noch  immer  mehr  sich  steigernde  Anzahl  von  Hülfsbuchern,  von 
denen  eins  immer  besser  als  die  anderen  sein  will.  Das  Ziel 
aber  kann  nur  erreicht  werden,  wenn  man  „auf  Grund  einer 
langjährigen  Praxis'*  nun  auch  wirklich  nur  das  eine  im  Auge 
behält,  was  unserer  Schuljugend  frommt  und  notthut,  nicht  aber 
daneben  noch  andere,  seien  sie  nun  wirklich  Studierende  oder 
„Privatstudierende'S  befriedigen  zu  können  und  befriedigen  zu 
müssen  glaubt^)!  Der  eine  Zweck  kann  nur  auf  Kosten  des 
anderen  erreicht  werden,  und  wir  werden  sehen,  dafs  auch  der 
Verf.  des  vorliegenden  Lehrbuches  allzu  viel  dem  Nebenzweck  zu 
Liebe  aufgenommen  hat,  was  im  Hinblick  auf  die  Ziele  des  Gym- 
nasialunterrichts besser  beiseite  gelassen  wäre. 

Die  besonderen  Gesichtspunkte  nun,  nach  welchen  der 
Verf.  sein  Buch  entworfen  hat,  sind  folgende: 

1.  Übersichtliche  Gruppierung  und  Einteilung  des  Stoffes; 
Scheidung  der  Hauptsachen  von  den  näheren  Ausführungen 
durch  den  Druck. 

2.  Andeutung  der  leitenden  Ideen  und  Hervorhebung  der 
grofsen  Ereignisse,  sowie  des  inneren  Zusammenhangs  der 
Geschichte. 

3.  Beschränkung  der  Kriegsgeschichte  zu  Gunsten  der  Kultur- 
geschichte im  weiteren  Sinne  des  Wortes:  Verfassung  und 
wirtschaftliches  Leben  miteinbegriffen. 

4.  Mitteilung  einzelner  Quellen  sowie  einiger  weniger  Sätze  aus 
mustergültigen  neueren  Darstellungen. 

Der  Verf.  weifs  wohl,  „dafs  diese  Punkte  keineswegs  der 
allgemeinen^  und  unbedingten  Billigung  gewifs  sind",  und  glaubt 
sie  deshalb  eingebend  im  Vorwort  verteidigen  zu  sollen.  Am 
meisten  gefährdet  und  Angriffen  ausgesetzt  erscheint  ihm  der 
zweite  Punkt,  dessen  Besprechung  wir  deshalb  gleich  vorweg 
nehmen.  Ref.  ist  der  Ansicht^  dafs  der  Verf.  die  Bedenken,  die 
diesem  Punkt  gegenübergestellt  werden  könnten,  sich  denn  doch 
zu  schwarz  ausmalt;  er  braucht  wahrlich  nicht  so  ängstlich  be- 
sorgt zu  sein,  dafs  man  ihm,  wenn  er  in  einleitenden  Überblicken 
auf  „die  leitenden  Ideen  der  Geschichte*'  hinweist  oder  sonst  bei 
passender  Gelegenheit  „den  inneren  Zusammenhang  der  Geschichte*' 
enthüllt,  alsobald  den  Vorwurf  „einer  geschichtsphilosophischen 
Betrachtungsweise*'  oder  eines  wenig  angebrachten  „Raisonnements** 
über  die  Tliatsachen    machen  werde.     Die  Ausdrücke    lauten    ge- 


*)  Eio  wirklich  gntes  Schnlbach  wird,  wenn  durch  dasselbe 
im  Unterricht  eio  gesicherter  Grund  tüchtiger  Geschichtsieontnis  gelegt  ist, 
sowieso  auch  im  späteren  Leben  eio  treoer  Berater  bleiben^  der  noch  dem 
Erwachsenen  vertraat  ist,  aof  den  er  schon  deshalb  gern  sorüekgreift. 


angez.  vob  F.  Uhly.  193 

fibriicher,   als  sie  sind,   und  es  ist   gottlob   ein  überwundener 
Standpunkt,   dafs    raan    mit  „dem    oft  wiederholten  Wort   eines 
verstorbenen  Staatsmannes**  operierend    sich  im  Geschichtsunter- 
ricbt  auf  den  Gymnasien    mit  der  blofsen  Einprägung  der  Daten 
begnügen  zu  müssen  glaubte,  dafs  man  z.  B.  in  der  Reifeprüfung 
die  Geschicbtskenntnis  des  Abiturienten    darnach    bemafs,    ob    er 
auch   ja    alle    einzelnen    Römerzöge   Barbarossas,    alle  einzelnen 
Kriege    zwischen  Karl  V  und   Franz  I    mit   genauer  Angabe    der 
Jahreszahlen  und  „Hauptschlachten**    herschnattern  könne,    unbe- 
kümmert  darum,    ob    er  auch    ein  Verständnis    habe    für  die 
folgenschwere  Bedeutung  der  Römerpolitik,  des  Kampfes  zwischen 
Kaisertum  und  Papsttum,  der  Rivalität  zwischen  dem  Hanse  Habs- 
burg und  der  Krone  Frankreich  1  Es  ist  wahrlich  an  der  Zeit,  offen 
and  rückhaltlos  wieder  und  immer  wieder  zu  betonen,  dafs  der  Ge- 
schichtsunterricht auf  den  oberen  Klassen  —  denn  nur  um  diese 
bandelt    es    sich    hier  —  nicht   in    der   möglichst  grofsen  Be- 
lastang  des  Gedächtnisses  mit  einer  Fülle  von  Einzelkennt- 
Bissen  sein  Ziel  suchen  soll,   sondern  vielmehr  in  der  An- 
bahnung   des    Erkennens   von    Ursache    und    Wirkung,    eines 
Verständnisses    für  den  Gang  der  geschichtlichen  Entwicklung, 
tor  den  Umschwung,    mit  dem  z.  B.  gewaltige  Männer,    die   doch 
wiederum  nur  als  Kinder  ihrer  Zeit  zu  verstehen  sind,  eine  neue 
Zeit  heraufgeführt,  derselben  das  Geprflge  ihres  Geistes  aufgedruckt 
haben.     Wenn    nun    noch    so    oft  gerade  von  älteren  und  wohl- 
meinenden  Schulmännern   unter   Berufung   auf  die    Geschichts- 
unterweisung,  die  ihnen  selbst  zuteil  geworden  sei,  eingewendet 
wird,    man   solle   dem  Schuler  nur   die  Thatsachen  und   Zahlen 
darbieten,   das  Verständnis  werde,  wenn  nicht  sogleich,   so  doch 
sicherlich  in  den  späteren  Jahren  von  selbst  sich  entwickeln,    so 
giebi    der  Verf.  mit  vollem  Recht  zu  bedenken,    dafs  die  jungen 
Leute,    die   heute  das  Gymnasium  verlassen,    „zu  einem  grofsen 
Teile  keine  Gelegenheit  mehr  suchen  und  finden,  ihr  geschicht- 
liches  Wissen  zu  ergänzen  und  zu  vertiefen**.     Ref.  glaubt  darin 
noch   viel  weiter  gehen  zu  sollen.     Denn  es  ist  leider  eine  unbe- 
streitbare  Thatsache,    dafs    die   grofse    Mehrzahl    nicht   nur    der 
jimgen,  sondern  auch  der  herangewachsenen  Leute  sich  mit  der 
Ge^chichtskenntnis   begnügen    und  von  derselben  auch  späterhin 
zehren,  die  ihnen  die  Schule  vermittelt  hat.    Die  Zeiten  beschau- 
lieher   Betrachtung,    wo   es   auch  dem  Nichtfachmann  ein  Genufs 
war,    in  ein  gutes  Geschichtswerk  sich  zu  vertiefen,    sind   dahin; 
in  dem  Hasten  und  Treiben  des  Zeitalters  des  Dampfes   und  der 
EldJLtrizitflt  findet  man  keine  MuiÜBe  mehr  dazu.   Wenn  schon  von 
den  Lehrern  des  Deutschen    so  bitter  darüber  geklagt  wird,    dafs 
unsere  Klassiker  so  wenig  mehr  gelesen  werden,  während  es  doch 
Bodb    zum    „guten  Ton**   gehört,    dafs    sie  wenigstens   in  feinen 
Uebhaber-Einbänden  in  einem  stilvollen  Bücherschrank  im  „Salon'* 
prangen:    wo    findet   man   neben  ihnen  in  den  Häusern  der  Ge- 

Zcitoifar.  t  a.  &TiDnMUlw«Mii  XLVin.    a.  8.  13 


194  H.  Stich,  Lehrbueh  der  Geschichte, 

bildeten  jetzt  noch  gute  Geschichtswerke  und  in  welchen  Häusern 
werden  sie  gelesen?  Höchstens  ein  so  epochemachendes  Werk  wie 
Sybels  „Die  Begründung  des  Deutschen  Reiclies  durch  Wilhelm  I'' 
findet  auch  aufserhalb  der  Fachgenossen  noch  einen  Leserkreis, 
doch  in  erster  Linie  nur  deshalb,  weil  es  die  Geschichte  der  Zeit 
behandelt,  in  der  unser  Geschleclit  lebt  und  wurzelt.  Diese  Er- 
scheinung ist  betrübend  genug,  aber  nicht  abzuleugnen,  und  io 
richtiger  Erkenntnis  derselben  haben  denn  auch  die  neuen  Lehr- 
pläne ^)  S.  44  das  Ziel  des  Geschichtsunterrichts  höher  gesteckt, 
wenn  sie  sagen:  „Zwar  ist  das  Vorfuhren  von  Tbalsächlichem 
und  das  gedächtnismäfsig  geordnete  Festhallen  desselben  auch 
hier  erforderlich,  aber  die  inneren  Verhältnisse  müssen  vor  den 
äufseren  in  den  Vordergrund  treten»  das  Verständnis  für  den 
pragmatischen  Zusammenhang  der  Ereignisse  und  für 
ein  höheres  Walten  in  der  Geschichte,  die  Fähigkeit 
zum  Begreifen  der  Gegenwart  aus  der  Vergangenheit 
müssen  vor  allem  geweckt  werden''.  Daijs  diese  hohe  Auf- 
gabe aber  nicht  dem  mündlichen  Vortrage  des  Lehrers  allein 
überlassen  werden  kann,  sondern  dafs  es  „erwünscht  ist,  auf  das 
Lehrbuch  verweisen  zu  können'',  ist  ohne  weiteres  zuzugeben. 
Bedenken  endlich,  „in  konfessioneller  Beziehung  Anstofs  zu  er* 
regen'',  die  der  Verf.  auch  noch  glaubt  zerstreuen  zu  müssen, 
dürfen  unseres  Ei*acbtens  für  die  Bearbeitung  eines  historischen 
llülfsbuchs  gar  nicht  ernstlich  in  Frage  kommen. 

Auch  gegen  den  vierten  der  vom  Verf.  aufgestellten  Gesichts- 
punkte —  Mitteilung  einzelner  Quellen  sowie  einiger 
weniger  Sätze  aus  mustergültigen  neueren  Darstellungen  —  hat 
Ref.  nichts  Wesentliches  einzuwenden.  „Nur  in  sehr  beschränktem 
Mafse"  ist  von  diesem  Hulfsmittel  Gebrauch  gemacht,  und  in 
durchaus  ansprechender  Weise  sind  „für  die  früheren  Zeiten  solche 
Stücke  ausgewählt,  welche  zugleich  ein  ungefähres  Bild  von  der 
damaligen  Schreibweise  geben  können".  So  finden  wir  einige 
Sätze  aus  Luthers  Sendschreiben  „An  den  christlichen  Adel  deut- 
scher Nation",  einen  bezeichnenden  Vei*s  eines  katholischen  Ge- 
dichtes über  Karl  V,  S.  2S,  einen  Satz  aus  dem  „reservatum 
ecciesiasticum"  S.  30/31,  den  Brief  Wallensteins  an  den  Kaiser 
über  den  Kampf  bei  Nürnberg  S.  öO,  des  Kaisers  Brief  an  Wallen* 
stein  nach  der  Schlacht  bei  Lützen  S.  61,  das  Glückwunach- 
schreiben Maximilians  an  den  Kaiser  (nach  der  Ermordung  Wallen- 
steins)^) S.  62,  einen  Abschnitt  aus  dem  ausführlichen  Bericht 
des  Speierer  Dorodechanten  von  fiollingen  über  die  Verwüstung  der 
Pfalz  S.  81,  verschiedene  Stellen  aus  Briefen  Friedrichs  des  Grofsen 


')  Von  deoselben  oimmt  der  Verf.  als  Bayer  keioe  Notiz^  er  spricht 
uor  ^auz  allgemein  von  den  y^oeuereo  ScholordDungea  aller  deotschen 
Staate  Q*'. 

')  Dieseu  Beispielen  der  ,,damaligen  Sprachmengerei^'  wird  S.  66  das 
Sinngedicht  Logaus:  „Die  deutsche  Sprache^*  angereiht. 


«Dgez.  voD  F.  Ohly.  1Q5 

(aber  seinen  Einfall  in  Schlesien  S.  111,  über  Lowositz  S.  114, 
aber  Leuthen  S.  116,  den  Brief  an  den  Hinister  von  Finckenstein 
12.  Aug.  1759  S.  117),  sowie  die  Eingangsworte  seines  Testaments 
f.  i.  1769  S.  123,  die  Schilderung  der  Schlacht  bei  Rofsbach 
aas  einem  Briefe  des  Feldmarschalls  Keith  an  seinen  Bruder 
S.  116,  die  Proklamationen  Napoleons  an  die  italienische  Armee 
S.  153,  S.  154  aus  seinem  Briefe  an  den  Erzherzog  Karl  31.  März 
1797,  an  sein  Heer  ror  dem  Feldzuge  gegen  Preufsen  1806 
S.  165,  desgleichen  von  1809  S.  169,  die  Proklamation  des  Erz* 
herzogs  Kari  an  die  „deutsche  Nation''  (1809)  S.  169,  die  be- 
zeicbnendste  Stelle  aus  der  Abdankungsurkunde  Kaiser  Franz  II 
(1806)  S.  164,  S.  201 :  Worte  König  Wilhelms  I  bei  seinem  Re- 
gierungsantritt, den  bekannten  Brief  Napoleons  III  nach  der  Schlacht 
bei  Sedan  S.  214,  die  Kaiserproklamation  vom  18.  Januar  1871, 
S.  219,  und  endlich  einen  Abschnitt  aus  der  kaiserlichen  Botschaft 
vom  17.  November  1881  S.  225.  Dazu  kommt  eine  ganze  Reihe 
charakteristischer  Ausspruche  bedeutender  Männer,  die,  in  die 
Darstellung  eingestreut,  wesentlich  beitragen,  dieselbe  belebend 
ond  anregend  zu  gestalten.  Auffallend  ist,  dafs  der  berühmte 
„Aufruf  an  mein  Volk''  vom  Jahre  1813  der  Aufnahme  nicht  ge- 
würdigt ist.  Es  erklärt  sich  das  wohl  nur  aus  dem  bayerischen 
Standpunkt  des  Verf.,  durch  welchen  die  preufsische  Geschichte 
überhaupt  in  einzelnen  Parlieen  eine  etwas  kärgliche  Behandlung 
erfahren  bat.  Aus  mustergültigen  neueren  Darstellungen')  sind 
in  der  That  nur  sehr  spärlich  Citate  angeführt,  so  S.  59  einige 
Zeilen  aus  Schillers  Geschichte  des  dreifsigjährigen  Krieges  (über 
Gustav  Adolb  Siegeslaufbahn  nach  dem  Tage  von  Breitenfeld), 
S.  72  das  Urteil  Rankes  über  Karl  I  (von  England)  und  seine 
Richter,  S.  123  Häussers  Urteil  über  den  Furstenbund,  S.  134 
Rankes  Urteil  über  die  Forderung  der  nordamerikanischen  Kolo- 
nisten dem  englischen  Parlament  gegenüber,  S.  152  Häussers 
Schilderung  der  Lage  nach  dem  Baseler  Frieden,  S.  117  die  Zu* 
sammenfassung,  mit  welcher  Moltke  seine  Darstellung  des  Krieges 
von  1870/71  schliefst.  Die  Auswahl  dieser  Citate  ist  eine  etwas 
eigenlamliche,  und  man  ist  versucht,  sie  durch  eine  Reihe  anderer, 
ebenso  charakteristischer  zu  vermehren,  was  der  Verf.  nicht  gethan 
hat,  um  den  Umfang  des  Buches  nicht  über  die  Gebühr  anschwellen 
ZD  lassen.  Dem  Prinzip  selbst  aber  läfst  sich  die  Berechtigung 
sieht  wohl  absprechen. 

„Obersicbtiiche  Gruppierung  und  Einteilung  des 
Stoffes**,  der  erste  besondere  Gesichtspunkt,  den  der  Verf.  auf- 
stellt, bezeichnet  eine  Forderung,  deren  Beobachtung  heutzutage 
von  einem  historischen  Hulfsbuch    als   selbstverständlich    voraus- 


*)  Dia  Worte  über  iie  Nördlieger  Niederlas®  «Q*  ^^^  „Geschichte  des 
•dbwcdisehee  lo  Teotschieod  geführten  Krieges^'  vod  Chemoitz,  dessen 
Tedesjahr  sogar  aogemerkt  ist,  erscheint  mindestens  entbehrlich. 

13* 


196  H.  Stich,  Lehrbach  der  Geschichte, 

gesetzt    wird.     Der  Verf.    weist    die    „regressive  Methode''   ohne 
weiteres,  die  synchronistische  Beha  ndiuDg  der  neueren  Geschichte 
mit  dem  wohlbegründeten  Bemerken  zurück,  dafs  „die  Aneignung 
des  geschichtlichen  Stoffes  durch  die  synchronistische  Betrachtungs- 
weise   nicht    erleichtert,    während    dieselbe    bei  Überblicken    und 
Wiederholungen    mit  Erfolg    angewendet  wird'^     Um    nun   noch 
mehr  Übersichtlichkeit  zu  gewinnen,    hat  der  Verf.   die  „Schei- 
dung der  Hauptsachen  von  den  näheren  Ausführungen 
durch  den  Druck''  beliebt,  ein  Verfahren,  das  ja  im  Prinzip 
nicht    neu   und    gewifs   auch    zu    billigen  ist.     Aber  während  in 
früheren  Hulfsbüchern  der  kleinere  Druck  nur  angewendet  wurde, 
um  z.  B.  Biographisches  aus  dem  Leben  bedeutender  Männer  oder 
aus  der  Jugend  der  Herrscher,  oder  endlich  um  die  „Vorgeschichte'' 
eines  Landes,  wie  Brandenburg-Preufsens,  Rufslands  u.  a.  auszu- 
führen, ist  dieser  Grundsatz  hier  in  solchem  Mafse  und  so  durch- 
gängig angewandt,  dafs  dagegen  doch  schwerwiegende  pädagogische 
Bedenken  sich  erheben.     Für  den  Verf.  eines  historischen  Hülfs- 
buches  ergeben  sich  zwei  Wege:  er  wird  entweder  auf  eine  gute 
erzählende  Darstellung  Wert  legen  und  dadurch  ein  Buch  schaffen, 
das    nicht    nur   als  Lernbuch,    sondern  auch  als  Lesebuch    von 
dem    wifsbegierigen   Schüler   gern  in  die  Hand    genommen  wird 
und    ihm    die  Möglichkeit   bietet,    an   diesem  Muster   auch    seine 
eigene   mündliche  Vortragsweise,    auf  die  mit  Recht  neuerdings^) 
der  gröfsle  Wert  gelegt  wird,  zu  bilden,  oder  er  wird  unter  Ver- 
zichtleistung auf  eine  stilistisch  abgerundete  Darstellung  in  mehr 
abgerissenen  Sätzen  dem  Schüler  nur  ein  Mittel  in  die  Hand  geben 
wollen,    den  Vortrag   des  Lehrers    nach  seinen  Hauptpunkten   zu 
rekapitulieren.     Den   letzteren  Weg  verfolgen  die  in  ihrer  Art  ja 
vorzüglichen  Lehrbücher  von  W.  Herbst,    den   ersteren   wohl    mit 
Recht  die  meisten  übrigen  (älteren  und)  neueren  Geschichtsbücher. 
Der  Verf.  des  vorliegenden  Buches    schlägt   einen  Mittelweg  ein, 
in  den  durch  den  Druck  als  „Hauptsachen"  bezeichneten  Partieen 
nähert  er  sich  mehr  der  Herbstschen  Manier,  in  den  kleingedruckten 
„Ausführungen"  erzählt  er,    doch   ist   auch   diese  Verschiedenheit 
nicht   konsequent  durchgeführt.     Jedenfalls  aber  wird  hierdurch 
Zusammengehöriges    allzu  sehr    auseinandergerisseu, 
und   Ref.  kann   sich  schon  deshalb  für  diese  Methode  nicht  er- 
wärmen.    Und   wenn  der  Verf.   sich  noch  recht  klar  wäre    über 
die  Begriffe  „Hauptsachen"  und  „Ausführungen"!  Sollen  die  «Haupt- 
sachen" etwa  das  Minimum  dessen  angeben,   was   der  Lehrer  als 
Memorierstoff  von  dem  Schüler  verlangen  soll?  Das  kann  die  Ab- 
sicht des  Verf.  nicht  gewesen  sein;    denn  unmöglich  können  wir 
mit   dem,    was    die   grofsgedruckten  Abschnitte   bieten,    für    die 


^)  Lehrpläoe  and  Lehraof^abeo,  8.45:  „Der  mÜDdliche  freie  Vor- 
trag der  Schüler  muls  io  dem  Geschichtsaoterricht  besonders  ^eUbt 
werden". 


aofcez.  von  P.  Obly.  t97 

Primaner  uns  begnügen.  Nehmen  wir  dagegen  alle  „Ausfuhrungen" 
als  wissenswert  an,    so   begegnen  wir  einer  Fülle  von  Stoff,    die 
geradezu    beängstigend    wirkt').     Unseres    Erachtens    hStte    eben 
gar  vieles  in  die  grofsgedrucklen  Hauptsachen  gehört,  was  wir  in 
den  kleingedruckten  Ausführungen  finden.     So  wie  sie   hier  vor- 
liegt,   könnte    die  Unterschiedlichkeit  des  Druckes    höchstens    den 
Wert  haben,  dafs  durch  den  grofsen  Druck  der  Gang  der  Ereig- 
nisse vorweg  genommen,   gewissermafsen   nur  eine  Disposition 
gegeben    und  diese  dann  in  den  einzelnen  Unterabteilungen  aus- 
geführt  wird.     Dies    geschieht   in    der  That   vielfach,    besonders 
charakteristisch  in  §  14  (Bildung  und  Höhepunkt    der  spanischen 
Weltmacht;    Abschnitte:    1,  a,  b,  c,  d,  e;   2,  3,  a,  b,  c;  a,  b,  c 
mit  Ausführungen  zu  den  einzelnen  Teilen),  in  §  16  (Frankreich 
im  Zeitalter  der  Reformation  etc.).   wo  z.  B.  in  Nr.  4  die  letzten 
?alois  einfach  aufgezählt,  in  vier  Zeilen  gesagt  wird,  dafs  „Frank- 
reich in  lange  Religions-  und  Bürgerkriege  (die  Bartholomäusnacht 
in  Klammem!)  gestürzt  wird,   welche  erst  von  Heinrich  IV,  dem 
ersten  Könige  Frankreichs    aus    dem  Hause  Bourbon,    durch   das 
Edikt  von  Nantes  (1598)    beendigt    wurden'',    diese    kurzen  An- 
deutungen   dann    durch    zwei  ganze  Seiten    kleingedruckter  Aus- 
fuhmngen  erläutert  werden.   Ganz  ebenso  wird  z.  B.  auch  S.70 — 74 
in  der  englischen  Geschichte  unter  Jakob  i  und  Karl  I  (8  Zeilen 
zu  li  Seiten)'),    der  Geschichte  der  nordischen   Reiche  (8  Zeilen 
zo  i| Seiten)  und  Katharinas  II  S.  130/131  (4 Zeilen  zu  1^ Seiten)') 
verfahren.     Wäre    dieser  Grundsatz    folgerichtig  durchgeführt,    so 
liebe  sieb  darüber  reden.   Dagegen  finden  wir  S.  77  ff.  zwar  auch 
erst  eine  Übersielit  über  die  „3  Angriffskriege  und  die  sogenannten 
Reanionen''    Ludwigs  XIV,    dann    die  einzelnen  Abschnitte   näher 
ausgeführt,  doch  fast  alles  in  grofsem  Druck  (auch  z.  B.  das  ius 
devolutionis,  Senef  und  Safsbach!),    ebenso   die  Geschichte  Eng- 
lands 1649—1702  S.  88— 92,    den  ganzen  spanischen  Erbfolge- 
krieg S.  94/95  (auch  z.  B.  die  Erhebung  des  Tiroler  Landsturms 
unter  dem  Amtmann  Sterzinger  (1703)  und  den  Sieg  Vendomes 
bei  Villaviciosa  (1710)!),    alle  Abschnitte   des    Nordischen  Krieges 
(auch  Travendahl,    Fraustadt,  Altranstädt,    Mazeppa!).     Man   wird 
einwenden,    dafs   diese  Ereignisse    zu  wichtig  seien,    um   nur  in 
kieingedruckten  Ausführungen  Platz  zu  finden.    Aber  gehören  denn 
z.B.  die  Quadrupel-Allianz  von  1718  und  der  polnische  Erbfolge- 
krieg 1733—38,  gehören  die  fast  ereignislosen  Türkenkriege  von 
1736—39,    die  S.  103/104    grofsgedruckt    sich    finden,    auch   zu 
solchen  Hauptsachen?   Was  ist  das  für  ein  Verhältnis,  wenn  die 
preuDsische  Geschichte    bis  1740  kleingedruckt   auf  4  Seiten  (Ge- 


^)  Ober  dai  Obermafs  von  Stoff  vgl.  nnteo. 

*)  Die  Siege  CromwelU  (Marstoomoor-Naseby)  and  der  ganze  P  2  zefs 
RarbJ  nor  im  Kieingedruckten  I 

^  Die  2.  oad  3.  Teilung  Polens  (Roscinsko)  finden  sich  hier  nur  im 
lEkiDgedniektan. 


198  H.  Stich,  Lekrboch  der  Geschichte, 

schichte  des  Grofsen  Kurfürsten  j  Seitel),  dagegen  die  schwedische 
und  russische  Vorgeschichte  grofsgedruckl,  wenn  S.  124  sämtliche 
Reform  versuche  Josephs  II  grofsgedruckt,  dagegen  die  Geschichte 
Preufsens  his  Austerlitz  im  kleinen  Druck  sich  finden!^)  Diese 
Andeutungen  mögen  genügen,  um  die  ungleichmäfsige  Be- 
handlung des  Stoffes  zu  erweisen. 

Doch  noch  einen  anderen  Übelstand  hat  die  Anwendung  des 
kleinen  Drucks  im  Gefolge  gehabt,   eine  Überfülle  von  Stoff, 
die  die  ernstesten  Bedenken  wachruft.    Es   scheint    fast,    als  sei 
eben    dadurch    dem  Verf.    der   richtige  Mafsstab   Yöllig  abhanden 
gekommen.     Vorweg  sei  bemerkt,    dafs  die  Behandlung  der  Ge- 
schichte   der  aufserdeutschen  Staaten   seit  1815    S.  227 
— 255  über  alles  Mafs  hinausgeht.   Nicht  genug,  dafs  z.  B«  in  der 
französischen    Geschichte    „die   dreifache    Gegnerschaft    des 
Juliköniglums''    ausführlich    auseinandergesetzt    wird:     über    die 
„Hauplwaffenthaten   in  Algier*'  finden  wir  ebenso  viel,   wie   ober 
die    Schlachten    um  Metz,    die  viertägigen   Strafsenkämpfe    unter 
General  Cavaignac,    die  Eroberung  von  Saigun  in  Anam  sogar  in 
grofsem  Druck,    selbst   die  Anlage  Bisertas  zu  einem  Kriegshafen 
ersten    Ranges   erscheint   der   ErwähnuDg   wert,   naturlich   auch 
die  „Patriotenliga*'    und    Boulanger.    Die   fast   ununterbrochenen 
Bürgerkriege  in  Spanien    unter  Isabella,    selbst  die  Kämpfe  der 
baskischen  Provinzen  für  ihre  „fueros'\  die  Thätigkeil  der  Gene- 
rale Espartero  und  Narväez,    sowie  Prim   und  Serrano  u.  dgl.  m. 
sind    als  Hauptsachen    dem  Gedächtnis  des  Schulers  aufgebürdet, 
ja  selbst  für  das  unbedeutende  Portugal   werden    sämtliche  Re- 
gierungswechsel   und    die   sie  begleitenden  Unruhen,    in  der  Ge- 
schichte des  zerrissenen  Italiens   sogar  Sachen  wie  die  Ermor- 
dung Rossis  im  KircheDstaat,  die  Erneuerung  der  Republik  Venedig 
unter  Manin  angemerkt  und  teils  durch  grofsen,    teils  durch  ge- 
sperrten Druck  hervorgehoben.  In  der  englischen  Geschichte 
begnügt  sich  der  Verf.  nicht  etwa  mit  der  Darstellung  auswärtiger 
Unternehmungen,    unter  denen  auch  Dinge,    wie  der  sogenannte 
Opiumkrieg  gegen  China,    „die  Einnahme  der  Bergfeste  Magdala'* 
in  Abessinien,  die  Unternehmungen  gegen  die  Aschantis  und  Zulus, 
nicht   fehlen,    sondern    zieht  auch  „die  wichtigsten  Reformen  im 
Innern'*,  die  Emanzipation  der  Katholiken  1829  (mit  einer  „Aus- 
führung*' von  8  Zeilen),    die    gleichmäfsige  Verteilung   des  Wahl- 
rechts 1832  (die  „Ausführung"  von  6  Zeilen  spricht  sogar  von  der 
Übertragung    desselben    von    den    „verfallenen    Flecken**    (rotten 
boroughs)  auf  die  noch  nicht  vertretenen  Städte),  die  Einführung 
einer  Einkommensteuer  1842  („die  grofsen  Einkommen  wurden 
zur   direkten  Besteuerung  (3%)   herbeigezogen**),  die  Beförderung 
des  Freihandels  und  die  Aufhebung  der  Kornzölle  (!)  1 846  in  den 


M  S.  191/192  fioden  wir  z.  B.  daa  Wartburgfest  im  KleiofedroekteD, 
das  Haiiibacher  Fest  grofsd^edrackt. 


ao^ez.  voD  F.  Ohiy.  199 

Kreis  seiner  Darstelluog^).  Und  in  derselben  Ausführlichkeit, 
mit  derselben  Fülle  von  Einzelheiten  werden  in  §  47  Schweden 
und  Norwegen,  Dänemark,  die  Niederlande  (Belgien  und  Holland), 
die  Schweiz,  in  §  48  Rufsland  und  die  übrigen  slavischen  Staalen 
im  t9.  Jahrhundert,  in  §  49  die  Türkei  seit  dem  Bukarester  Frie- 
den von  1812  und  die  Befreiung  Griechenlands,  in  §  50  endlich 
Amerika  und  die  übrigen  aufsereuropäischen  Erdteile  im  19.  Jahr- 
hundert  bebandelt').  Dem  Ref.  ist  es  unerfindlich,  wie  der  Verf., 
der  doch  sein  Buch  als  aus  der  Praxis  heryorgegangen  bezeich- 
net, es  fertig  bringen  will,  die  Stoffmenge  zu  bewältigen,  diese 
zum  Teil  so  verwickelten,  für  den  Schüler  so  entlegenen  und 
deshalb  auch  vielfach  so  wenig  durchsichtigen  und  unklaren  Ver- 
hältnisse dem  Verständnis  des  Schulers  nahe  zu  bringen,  sie  so 
einprägen  zu  lassen,  dafs  sie  wirklich  im  Gedächtnis  haften,  nicht 
nur  als  GedächtnisstofT,  sondern  aU  wohlverstandene  geschichtliche 
Entwicklung.  Unseres  Erachtens  könnte  das  nur  auf  Kosten  der 
deutschen  vaterländischen  Geschichte  geschehen,  und  das  wäre 
docli  aofs  strengste  zu  verurteilen. 

Hat  der  Verf.  so  in  diesem  letzten  Teile  seines  Buches  seinem 
Sammel-  und  Forschungstrieb  ganz  über  Gebühr  die  Zügel  schiefsen 
lassen  und  sich  eben  damit  an  dem  Standpunkt  der  Schule 
entschieden  versündigt,  so  kann  es  nicht  auffallen,  wenn 
wir  auch  im  allgemeinen  denselben  Vorwurf  der  Überfülle 
des  Stoffes,  des  Sichverlierens  in  Einzelheiten  gegen  das  Buch 
erheben  müssen.  Derselbe  erklärt  sich,  wie  schon  angedeutet, 
zom  Teil  aus  einem  rein  äufserlichen  Grunde:  254  Seiten  (ohne 
die  Zeittafel)  für  ein  Lehrbuch  der  Geschichte  von  1492 — 1888*) 
sind  scheinbar  nicht  zu  viel;  wie  hoch  aber  würde  sich  wohl  die 
Seitenzahl  belaufen,  wenn  von  den  so  zahlreichen  „Ausführungen" 
die  wissenswerten,  ja  nur  die  unbedingt  notwendigen  durch  gleich 
groCsen   Druck   ausgezeichnet  wären?    Wir  sind  überzeugt,    dafs 

^)  ftatSrlich  fehlen  S.  239  die  Homerale-Bestrebongen,  „die  Ermorduos 
der  bochstcD  eoflischeo  Beamten  io  Dublin  (1882)^*  und  das  dritte  Ministerium 
dea  „ireofreundlichen,  greisen  Staatsmannes  Giadstone  (Aug.  1892)^^  nicht. 

*)  Nor  einige  Proben :  S.  242  „Antwerpen  hielt  sich,  von  dem  holländi- 
sckem  General  Chasa^  verteidigt,  bis  1832";  die  Militärverschwbraug  der 
^Deeabriaten''  in  Rafaland  S.  244  in  9  Zeilen;  Alexander  Kasa  (S.  246)  Fürst 
von  Ramänien  (2^3  Zeilen) ;  S.  247  die  „neue  Erhebung  Polens  unter  Mie- 
roslawaki  und  Langiewicz  (t)^'  sowie  die  „Festsetzung  der  Russen  in  Kho- 
kand  (!)*'  im  Grofsgedrociiten;  S.  248  der  serbisch-bnlgarische  Krieg  und 
Slivniiza  (1885).  S.  252:  „Chile  befreite  sich  unter  San  Martin";  die 
II o a r  0 e -  Doktrin  (1823)  2V2  Zeilen;  S.  253  die  Erwerbung  von  Louisiana, 
Florida,  Alaska,  ^eu-Mexiko  und  Kalifornien  einzeln  mit  Angabe  der  Jahres- 
lahl  aogemerkt    n.  dgl.  m. 

*)  h  vielen  Einzelheiten  geht  der  Verf.  noch  weiter,  sogar  bis 
1892,  z.  B.  Mioisteriom  Giadstone  (1892),  die  Mac  Kinley-Bill  (1890)  S.  252; 
Tod  Wilkelmg  III  von  Holland,  Thronfolge  der  jungen  Wilhelmine  in  H.,  des 
Herzogs  Adolf  v.  Nassau  in  Luxemburg  S.  243  (8  Zeilen) ;  „das  Ablcommen 
ailEaglaod  foid  J*  ^^^^  1890^'  (Abtretung  von  Helgoland)  im  Grofsgedruckten ; 
Verfiageran^  dcM  Dreibundes  (1891)  S.  226  u.  dgl.  m. 


200  H.  Stich,  Lehrbuch  der  Geschichte, 

der  Verf.,  wenn  er  diese  Frage  in  ihrer  Tragweite  sich  vorgelegt 
hätte,  ganz  gewifs  statt  der  Feder  vielfach  die  Schere  zur  Hand 
genommen  und  eifrig  gekürzt  hätte,  in  der  richtigen  Erkenntnis, 
dafs  ein  Schulbuch  nicht  ein  Sammelwerk  und  Nach- 
schlagebuch für  alle  möglichen  Cinzelnachrichten  sein 
soll  und  darf.  Ref.  enthält  sich  weiterer  Ausführungen  und  giebt 
im  folgenden  nur  eine  Zusammenstellung  von  Nachrichten,  die 
seiner  Ansicht  nach  über  den  Rahmen  eines  Schulbuches  ent- 
schieden hinausgehen.  Dabei  soll  das,  was  der  Verf.  durch  ge- 
sperrten Druck  hervorgehoben  hat,  auch  hier  so  bezeichnet  werden. 
S.  5  „Nautische  Kenntnisse  vermittelte  u.  a.  der  Nürnberger  Pa- 
trizier Martin  Behaim  den  Portugiesen^S  S.  14  in  den  Kriegen 
Maximilians  die  Schlachten  bei  Ravenna  (1512,  Gaston  de  Foixf; 
Bayard,  der  „Ritter  ohne  Furcht  und  Tadel''),  bei  Novara  (1513), 
„die  dreitägige  Schlacht  von  Marignano  (1515)'^;  S.  20  die 
Niederlage  der  Bauern  bei  Pfeddersheim;  S.  25  die  Fehde  des 
fränkischen  Ritters  Grumba.ch  (5  Zeilen  mit  2  Jahreszahlen) ;  S.  37 
„der  Aufstand  der  sog.  heiligen  Junta  unter  Don  Juan  dePadilla 
wurde  blutig  unterdruckt";  S.  41  die  Eroberung  Antwerpens 
1585  durch  Alexander  von  Parma  (Giani belli s  Anstalten);  S.  43 
Religionsgespräch  zu  Poissy  (1561)  und  Toleranzedikt  von 
St.  Germain  (1562),  „Blutbad  von  Vassy<<  (1562);  S.  44 
der  „Krieg  der  3  Heinriche"  (8  Zeilen);  S.  47  sämtliche 
6  Gemahlinnen  Heinrichs  VIII;  S.  52  die  Brüder  des  Kaisers  Mat- 
thias („Maximilian  von  Tirol,  zugleich  Hochmeister  des  1530 
nach  Mergentheim  übergesiedelten  Deutschherrenordens,  und 
Albrecht,  spanischer  Statthalter  in  Brüssel");  S.  53  Rettung 
König  Ferdinands  „durch  500  Kürassiere,  welche  der  bei  Budweis 
siegreiche  General  Boucquoi  schickte";  S.63/64  „die  4 Schlachten 
in  Schwaben"  im  schwedisch-französischen  Kriege,  Tuttlingen, 
Mergentbeim,  Alerheim,  Zufsmarshausen,  „ein  Calvinist, 
der  frühere  hessische  General  Melander,  führte  zuletzt  das 
kaiserliche  Heer^'  (im  ganzen  9 j  Zeilen  mit  5  Jahreszahlen  I);  S.  69 
,, Aufstand  der  Neapolitaner  (1647  unter  dem  Fischer  Thomas 
Aniello  oder  Masaniello)  unterdrückt";  S.  73  Friede  zu  Brömsebro 
(1645)  mit  genauer  Angabe  seiner  Bestimmungen;  S.  85  wird  als 
Anführer  der  venezianischen  Flotte,  die  die  Küsten  von  Morea 
erobert,  sogar  im  grofsen  Druck  Morosini  genannt,  ebenso  S.  99 
im  nordischen  Kriege  Karls  XII  „Landung  im  Hafen  von  Pernau*' 
und  S.  104  „das  von  Münich,  dem  „Eugen  des  Nordens"  zurück- 
eroberte Asow"  im  Grofsgedruckten;  S.  107  Albrecht  Achilles  »»als 
Kurfürst  und  Feldherr  des  Kaisers  Friedrich  HI  von  dem  Witteis- 
bacher Ludwig  dem  Reichen  bei  Giengen  besiegt  (1462)*);  S.  128 


^)  Die  Aufoahme  dieser  Schlacht  erk)ärt  sich,  wie  noch  manches  andere» 
aas  dem  bayerisheo  Standpunkt  des  Verf.;  vgl.  z.  B.  die  £rwähouiig 
Ndrobergs  S.  66,   Franz  Ludwigs  von  Ertbal   S.  119,   die  Reformen  in 


aagez.  von  F.  Ohiy.  201 

,,der  Minister  Pombal  (1750 — 77)  Vertreter  des  aufgeklärten  Ab- 
»olotismus  in  Portugal"  (im  grofsen  Druck»  dazu  in  10  Zeilen  ,,die 
Ziele  der  Thätigkeit  Pombals'*);  S.  130/131  sind  die  beiden  Türken- 
khege  1768 — 74  und  1787 — 92    viel    zu   ausfuhrlich   und  unter 
Beifügung  allzu  entlegener  Namen  (z.  B.  Friede  zu  Kutschuk  Kai- 
nardscbe  bei  Silistria  1774  —  die  Festung  Oczakow)  behandelt'); 
S.   132    Dänemark   im   Zeitalter   des    aufgeklärten    Absolutismus, 
BerDstorff  und  Struensee,  12  Zeilen,   grofsgedruckt;    S.  157 
die  Siege  der  verbündeten  Österreicher  und  Russen  bei  Cassano, 
an  der  Trebbia    und    bei  Novi  in    grofsem  Druck  (desgleichen 
Korsakow    S.  158),    S.   172    Wellingtons    Sieg    bei   Toulouse 
(Äpril   1814);    S.  197  das  Rumpfparlament  „durch  den  württem- 
bergisclien  Minister  Römer  aufgelöst'*  (im  grofsen  Druck  I);  S.  198 
die     Erschiefsung    Robert    Blums     (2j  Zeilen),     die    Berufung 
T.  Schmerlings.    Wir  wollen  nicht  durch  weitere  Aufzählungen 
ermudeD  und  überlassen  das  Urteil  darüber,  ob  solche  Sachen  in 
ein  Schulbuch  gehören,  dem  Ermessen  des  unbefangenen  Lesers. 
,,Wa8  weiter  die  Beschränkung   der  Kriegsgeschichte 
zu  Gunsten    der  Kulturgeschichte    anlangt,    so  glaubte  ich, 
darin    nicht   so  weit  gehen  zu  dürfen,    wie  z.  B.  Biedermann  in 
setner  Deutschen  Volks-  und  Kulturgeschichte  .  . .  Auch  glaubte  ich, 
dem   Unterricht   in  der  deutschen  Litteraturgeschichte   nicht  vor- 
greifen zu  dürfen;  die  betreffenden  Abschnitte  meines  Lehrbuches 
sollen  nichts  sein  als  Fingerzeige  zur  Auffindung  des  Zusammen- 
hangs  zwischen  politischer  und  Kulturgeschichte"  —  so  sagt  der 
Verf.    in    seinem  Vorwort,    und   Ref.    denkt  nicht  daran,    diesem 
Grandsatz   als    solchem    die  Berechtigung   absprechen   zu  wollen. 
Nnr  geht  leider  auch  hier  die  Ausfuhrung    zum  Teil    über 
alles    Mafs    hinaus.     „Gewifs   soll    der  Schüler   auch    für   die 
Geistesthaten    und    für   die    Fortschritte   des    materiellen  Lebens 
Interesse  gewinnen^S    gewifs  sollen  die  Namen  der  Geistesheroen 
in    allen  Zweigen   von  Kunst  und  Wissenschaft    dem  Schüler  der 
Prima  nicht  vorenthalten  werden,   aber  taktvolles  Mafs  halten 
ist  hier  mehr  denn  irgendwo  dringend  geboten.   Herangezogen 
wird     hier   aber   so    ziemlich    alles,    Philosophie    und    Theologie 
(Kirchengeschichte),  Philologie  und  Historiographie,  Litteratur  und 
Kunst  (Architektur  —  Plastik  —  Malerei  —  Musik),   Naturwissen- 
schaften  nebst  Er6ndungen  und  Entdeckungen,    und   man    mufs 
staunen,    welch'  ein   umfassender  Gesichtskreis    bei  dem  Schüler 
Toraosgesetzt,  welch  eine  Fülle  von  zum  Teil  sogar  nur  dem  Fach- 
mann   und    Kenner    vertrauten    Namen    vorgeführt   wird,    deren 
Würdigung  unmöglich  Sache  der  Schule  sein  kann.   Zudem  kann 
man    es  wahrlich    nicht  immer  blofs  einen  „Fingerzeig''  nennen, 

%uj€rm  ODter  Mootgelas  S.  159  (7  Zeilen),  die  röhmeode  Hervorhebung 
G4ft  JbartBickjgeo  Kampfes  Wredes  bei  Hanau*'  S.  177,  die  Erwähuaus  der 
eefadtf«  bei  flaJmalädt,  Rofsbrnno  (im  GrofsgedrackteB)  S.  207,  während  z.  B. 
HihserwaMer  noerwälint  bleibt! 


202  H.  Stich,  Lehrbneh  der  Geschichte, 

was   der  Verf.    bietet.     In    der  Philosophie    zumal    finden  wir 
fast  ein  vollständiges  Kompendium  derselben.     Schon  bei  Bacon 
wird  S.  49  in  8  kleingedruckten  Zeilen  nicht  nur  seine  Bedeutung 
als  Vater  der  induktiven  Methode,  als  „Begründer  der  auf  Empirie 
begründeten  neueren  Wissenschaft"  hervorgehoben,  sondern  auch 
sein  Hauptwerk,  novum  organon  scientiarum,  mitgeteilt,  das  „erst 
nach    seinem  Tode,    1630    erschienen''    seil    In  ähnlicher  Weise 
werden    S.  83    Descartes    (sogar    das    „cogito,    ergo    sum''   in 
Klammern!),   Bayle  und  Spinoza,    S.  87    Leibniz   und   seine 
Lehre  von  den  Monaden,    S.  125    Kant  (Kritik  der  reinen  Ver- 
nunft,   Kritik    der  praktischen  Vernunft,    Kritik  der  Urteilskraft), 
S.  136  John  Locke  (nihil  est  in  intellectu,  quod  non  prius  fnerit 
in  sensibus),  George  Hume,  die  Deisten,  Materialisten  und 
Encyklopädisten  behandelt^)!  Auch  in  der  Religion  wird  ent- 
schieden dem  Unterricht  in  der  Kirchengeschichte  vorgegriffen. 
Hören  wir  doch  z.  B.  S.  15  von  den  „Brfidem  vom  gemeinsamen 
Leben"  und  der  von  ihnen  gegründeten  Schule  zu  Deventer,  von 
Thomas  von  Kempen    (f  1472),    „der   für   den  Verfasser  des  in 
viele  Sprachen    übersetzten,    nächst   der  Bibel    am   meisten  ver- 
breiteten Andachtsbuches  De  imitalione  Christi  gilt^S   von  Johann 
Wessel  und   Johann  von  Wesel  (um  1490).     Auch  das  Genauere 
von  §  1 1  über  Calvins  Leben,  Schriften  (institutio  Christianae  re- 
ligionis),  Lehre  und  Wirken  (Servet),  über  die  strengen  Lutheraner 
(Fiacius),  Melanchthons  „Kryptocalvinismus''  und  die  Konkordien- 
formel  S.  32    gehört   der  Kirchengeschichte    an,    ebenso  wie  das 
meiste  des  §  12  über  den  Jesuitenorden  (z.  B.  „Canisius,  Ver- 
fasser  eines  Katechismus  (1554),    führte   den  Orden  in  Deutsch- 
land,  zunächst  an  der  bayerischen  Universität  Ingolstadt  ein''  — 
collegium  germanicum,  congregatio  de  propaganda  fide)  und  aber 
„die  Neubelebung  und  innere  Vertiefung  der  katholischen  Kirche" 
Gesagte.     Finden    sich    doch    hier  neben  einem  Karl  Borromeo*) 
sogar   Männer   wie    Phihpp  Neri  (tl595)   und    Franz  von  Sales 
(t  1622)    im   Grofsgedruckten.     Ebenso    würde    Ref.    den    Streit 
zwischen  Arminianern    und  Gomaristen  S.  42   und  die  Lehre  der 
Jansenisten  S.  84  (8  Zeilen)  lieber  der  Kirchengeschichte  zuweisen. 
Mit  besonderer  Vorliebe  scheint  der  Verf.  Männer  der  Philologie 
und  Geschichtswissenschaft  namhaft  zu  machen.   Schon  S.  9 
hören  wir,  dafs  „seit  1396  der  Byzantiner  Manuel  Chrysoloras 
in  Florenz  Griechisch   lehrte'S  dafs    „der  gewandte  Latinist  Lau- 
rentius  Valla,    welcher  die  Unechtheit  der  sog.  Konstantiniscben 


^)  Natürlich  bleiben  auch  „die  Natarphiiosophie  Schelling^s  (tl854) 
und  die  Lehre  Hegels  (f  1831),  welche  viele  Deatoogea  ood  Pol^eraogen 
zaliefs'*,  nicht  anerwähnt.     S.  194. 

')  Der  Verf.,  der  sonst  immer  die  Beziehungen  der  Lttteraturipeseliichte 
geflissentlich  hervorkehrt,  hatte  bei  diesem  Namen  auf  Manzoais  Charak- 
teristik dieses  Kircheafürsten  hiaweisen  können,  da  er  doch  S.  257  Maasoai 
nnd  seinen  Roman  „Die  Verlobten"  erwähnt. 


ani^ez.  vdn  F.  Ohly.  203 

Schenkung  nachwies,  durch  geistige  Bedeutung  und  vielseitige 
Wirksamkeit  die  übrigen  Humanisten  Italiens  überragte''.  S.  11 
werden  Alexander  Hegius  (um  1480;  „alle  Gelehrsamkeit  ist 
rerderblich,  die  mit  dem  Verlust  der  Frömmigkeit  erkauft  wird''), 
Dringenberg  (tl490),  „der  in  Scblettstadt  einer  vielbesuchten 
Schule  Yorstand",  und  „der  patriotische  Wimpheling  in  Strafs- 
burg  (tl528),  der  Verfasser  einer  deutschen  Geschichte  (Epitome 
rerum  Germanicarum  usque  ad  noslra  tempora)"  erwähnt.  Was 
sollen,  so  fragen  wir  biUig,  solche  Namen  dem  Schüler?  Aber 
so  geht  es  weiter  durch  das  ganze  Buch.  S.  45  werden  uns  der 
Historiker  Nie.  de  Thou  und  Casaubonus,  „der  erste  Philo- 
loge seiner  Zeit",  „der  Latinist  Muretus,  die  gelehrten  Buch- 
drucker Robert  Stephanus  und  dessen  Sohn  Heinrich  Stephanus, 
sowie  der  Chronolog  Scaliger"  vorgeführt,  8.46  Thomas  More, 
^der  gelehrte  Verfasser  der  Utopia",  $.67  Johann  Turmayr 
aus  Abensberg  a.  d.  Donau  (Aventinus  f  1534)  und  Sleidanus 
(de  statu  religionis  et  rei  publicae  Carolo  V  imperatore),  4^  Zeilen! 
S.  87  y,der  Staatsrechtslehrer  Samuel  v.  Pufendorf  (tt694)  wies 
in  seiner  Schrift  De  statu  imperii  Germanici  die  Mängel  der  deut- 
scheB  Reichsverfassung  nach".  S.  126  wollen  wir  uns  die  Er> 
wihoung  eines  Johannes  v.  Müller  und  Justus  Moser  gefallen 
lassen:  wozu  aber  daneben  einen  Schlözer  und  Spittler,  deren 
blofse  Namen  doch  gar  nichts  besagen,  und  den  Altertumsforscher 
Heyne?  Das  Höchste  aber  leistet  sich  der  Verf.,  wenn  er  S.  194, 
wie  billig,  die  Bedeutung  Niebuhrs  und  Leopold  v.  Rankes,  sowie 
die  Herausgabe  der  Monumenta  Germaniae  historica  erwähnt  und 
dann  wörtlich  fortfahrt:  „Aber  aiuch  die  Geschichtsschreiber  ver- 
suchten eine  Einwirkung  auf  den  Zeitgeist,  indem  sie  teils  (wie 
Fr.  Yon  Raumer,  Leo,  Görres)  für  die  Erhaltung  der  alten  Zu- 
stande eintraten,  teils  (wie  Schlosser,  Dahlmann  und  Gervinus)  in 
doeno  Verfassungsleben  nach  dem  Muster  des  englischen  das  Ziel 
Deutschlands  erblickten,  teils  (wie  Rotteck)  geradezu  demokratische 
Bestrebfingen  verfolgten''!  Ref.  mufs  ofiTen  bekennen,  dafs  ihm 
etwas  Ähnliches  bisher  in  einem  Schulbuch  noch  nicht  vorge* 
kominen  ist!  Ganz  abgesehen  davon,  dafs  die  hier  so  kurz  und 
bändig  gegebene  Charakteristik  durchaus  nicht  über  alle  Anfechtung 
erhaben  ist:  was  soU  der  Schüler  mit  diesen  Namen?  soll  er 
oiioe  weiteres  dies  Urteil  Ober  Männer  zu  seinem  eigenen  machen, 
deren  Werke  er  zum  weitaus  gr&fsten  Teile,  falls  er  nicht  Ge- 
schichte studiert,  höchst  wahrscheinlich  niemals  zu  Gesicht  be- 
kommt? Wir  können  nicht  anders  als  annehmen,  dafs  der 
Verfasser  diese  Ausführung  für  die  im  Vorwort  erwähnten 
rJ^Tatsludierenden''  bestimmt  hat;  die  Schule  wenigstens  möge 
er  dasiit  verschonen.  —  Zu  den  weitestgehenden  Konzessionen 
könnte  man  sich  noch  in  der  Litteraturgeschichte  bereit 
erklaren,  zumal  in  der  deutschen.  Hier  mögen  immerhin  nicht 
nur  die  j^oryphäen,    sondern  auch  einige  Pygmäen,   wenn  anders 


204  H.  Stich,  Lehrbuch  der  Geschichte, 

sie  und  ihr  Auftreten  fiir  ihre  Zeit  besonders  charakteristisch 
sind,  ihr  bescheidenes  Plätzchen  finden,  das  wir  deshalb  auch 
einom  Kaiser  Maximilian  (Theuerdank  und  Weifskunig  S.  14), 
einem  Rabelais  (Gargantua  und  Pantagruel  S.  42),  einem  Mosche* 
rosch,  Gryphius,  Albrecht  von  Haller  und  Gottsched  (S.  125),  wenn 
auch  mit  einigem  Widerstreben,  gönnen  wollen.  Aber  verdienen 
denn  z.  B.  Martin  Opitz  („im  Jahre  1624  erschien  Opitzens  Buch 
„von  der  deutschen  Poeterei'*)  und  die  „fruchtbringende  Gesell* 
schaff'  zu  Weimar  seligen  Angedenkens  in  einem  Lehrbuch  der 
Weltgeschichte  eine  solche  Würdigung,  wie  sie  S.  68  ihnen  zuteil 
wird?  Und  nun  die  Namen  der  ausländischen  Litteraturen :  der 
Spanier  Cervantes,  Lope  de  Vega,  Calderon  (S.  69),  der  Fran- 
zosen Boileau,  Bossuet,  Pascal,  F^oelon  (Telemach)  (S.  83), 
Chateaubriand,  Stael  (S.  161)  bis  herab  auf  Victor  Hugo,  B^ranger, 
Lamartine,  Dumas  und  last  not  least  Emile  Zola  (S.  232),  der 
Engländer  John  Dryden  (S.  91),  Defoe,  Thomson,  Young, 
Macpherson,  Burns  (S.  136),  der  Italiener  Alfieri  und  Goldooi 
(S.  129,  3  Zeilen),  Leopardi  und  Hanzoni  (S.  237,  4  Zeilen),  ja 
sogar  der  Amerikaner  ßeecher- Stowe  und  Washington  Irving 
(S.  254,  4  Zeilen)!  WJr  enthalten  uns  angesichts  dieser  Über- 
fülle von  Namen  jeder  ins  Einzelne  gehenden  Kritik,  aber  ebenso 
wie  hier  steht  es  auf  dem  Gebiete  der  Naturwissenschaften, 
wo  neben  Namen  wie  Paracelsus,  Tycho  de  Brahe^)  (S.  67), 
Newton  (S.  92),  Herschel  (S.  126),  Darwin  (S.  189)  aucJi  solche 
wie  „der  Magdeburger  Burgermeister  Guericke*\  der  Erßnder  der 
Luftpumpe,  „der  Naturforscher  BufTon  (tl788),  der  Er6nder  des 
naturlichen  Systems  der  Pflanzen'*  (8.  127),  Cuvier,  Laplace,  La- 
marck  (S.  171),  Sennfelder,  Daguerre,  König  (S.  188)  und  selbst 
Pasteur  (S.  232)  erscheinen,  auf  dem  der  Musik,  wo  S.  10 
„Palestrina,  der  seit  1555  päpstlicher  Kapellmeister  war*',  den 
Reigen  eröffnet  und  nun  den  berühmten  Namen  Bach,  HSndel, 
Gluck,  Haydn,  Mozart,  Beethoven  (S.  125),  Schubert,  Karl  Maria 
von  Weber,  Mendelssohn-Bartholdy,  Schumann  (S.  194)  auch  ein 
Mehul,  Auber  (S.  232),  Bellini  (S.  237)  u.  a.  m.  sich  anreiben, 
und  ganz  besonders  auf  dem  Gebiete  der  bildenden  Kunst. 
Auch  hier  neben  den  Heroen*)  eine  Reihe  von  Meistern,  deren 
Werke  gewifs  zum  Teil  bewunderungswürdig,  deren  Verdienste 
hoher  Anerkennung  wert  sind,  die  aber  nun  und  nimmer  in  ein 
Schulbuch  gehören,  ja  deren  Namen  zum  Teil  dem  grofsen  Kreis 


^)  Dafg  Dttärlich  Copernicos,  Kepler,  Galilei  o.  a.  nicht  feUeo, 
ist  klar. 

*)  Wir  sind  bereit,  uoter  diese,  selbst  vom  StADdpuakt  der  Schale 
aus,  einen  Veronese,  Marillo,  Poassio,  Claude  Lorrain,  Cornelius  zu  rechnen^ 
obwohl  wir  das  Bedenken  nicht  unterdrücken  können,  ob  dem  Schiller,  der 
noch  so  wenig  aus  ei§;ener  Anschauung  kennt,  auch  nur  annähernd  ein  Be- 
griff von  der  Bedeutung  dieser  Meister,  zumal  des  letztgenannten,  klar 
gemacht  werden  kann. 


«oges.  voD  F.  Ohly.  205 

der  sog.  Gebildeten  fast  unbekannt  sind,  deren  Würdigung  man 
daher  billig  einer  Kunstgeschichte  oder  dem  neuerdings  ja  mehr 
und  mehr  uuentbehrlicben  Konversationslexikon  überlassen  mag. 
Man  höre  und  slauneP)  In  der  Architektur:  „Brunelleschi 
(t  1466),  der  Erbauer  des  Domes  zu  Florenz,  sowie  Uramante, 
der  Erbauer  der  Peterskirche  zu  Rom''  (S.  10);  „Meister  des 
Barocks  der  Spälrenaissance  warMansard  (f  1708),  der  Erbauer 
des  V'ersailler  Schlosses  und  des  Invalidendomes''  (S.  83);  in  der 
Malerei:  S.  70  „in  der  Malerei  herrschte  der  sog.  iSaturalismus, 
vertreten  durch  Caravaggio'';  Rafael  Mengs  flllQ,  Hackert 
(tl806)  und  Angeiica  Kaufmann  (S.  125);  der  Maler  Carstens 
(aus  Schleswig  tl798)  neben  dem  Bildhauer  Thorwaldsen  S.  129 
io  einer  Anmerkung  genannt;  „die  antikisierende  Richtung  fand 
ihren  Ausdruck  in  dem  bedeutendsten  Maler  dieser  Zeit,  David*''); 
die  Charakteristik  der  Düsseldorfer  Schule  in  3  Zeilen  auf  S.  193; 
die  Historienmaler  Dela röche  (tl856)  und  Vernet  (t  1863).  In 
der  riastik  Gndet  sich  Adam  Kraft  S.  11  sogar  im  Grofsge- 
druckten,  seine  „Stationen"'  und  das  „Saki*amenlshäuschen**  in 
der  Ausführung.  Manche  Namen,  wie  die  Meister  der  Baukunst 
Leo  von  Klenze  (tl864)  und  Gärtner  (tl847),  der  Biidhauer- 
kuDst  Schwanthaler  (tl848)  u.  a.  erklären  sich  aus  der  bei  der 
bayerischen  Herkunft  des  Verfassers  erklärlichen  Neigung,  die  Be- 
deutung der  kunslsinnigen  Herrscher  Bayerns  gebührend  hervor- 
zuheben. 

Auch  Verfassung  und  wirtschaftliches  Leben  werden 
rom  Verf.  und  zwar  mit  Recht  bei  den  verschiedenen  Gelegen- 
heiten behandelt.  So  wird  S.  65  die  Reirhsverfassung  in  der  Zeit 
nach  dem  Westfälischen  Frieden,  S.  219ir.  auf  3j  kleingedruckten 
Seiten  die  Verfassung  des  neuen  Deutschen  Reiches  dargestellt, 
auch  die  anderer  Staaten,  z.  B.  S.  37  das  Aufkommen  der  Cortes 
and  selbstverständlich  auch  das  Wichtigste  aus  der  englischen 
nnd  französischen  Verfassungsgeschichte.  In  Bezug  auf  Handel 
and  Wandel  hören  wir  z.  B.  von  dem  Emporkommen  der  Weberei 
in  England  (S.  49),  von  der  Ausbildung  des  Merkantilsystems 
in  Frankreich  (S.  83),  von  der  steigenden  Bedeutung  der  Presse, 
der  Umbildung  der  Arbeitsweise  und  der  sozialen  Frage 
(S.  188/189)  io  neuerer  Zeit.  Doch  scheint  uns  der  Verf.  auch 
hierin  zu  weit  zu  gehen,  wenn  er  z.  B.  dem  „Versuch  des  Schotten 
Law,  durch  Gründung  einer  Zettelbank  und  einer  Handelsgesell- 
schaft anf  Aktien  dem  französischen  Handel  und  zugleich  der 
Staatskasse  aufzuhelfen,**  S.  126  ganze  9  Zeilen  widmet,  wenn  er 
S.  188/189,  wo  er  von  der  Neubegrunduog  der  Wissenschaft  der 
Nationalökonomie  und  ihren  Versuchen,  theoretisch  die  sozialen 


')   Aaeh  hier  heben  wir,  wie  obeo,  die  Mamen  durch  den  nrack  hervor, 
die  tQcfc  im  Boeh  gesperrt  gedrackt  siod. 
*)  S.  232  noch  einnal  erwähnt 


206  H.  Stich,  Lehrbuch  der  Geschichte, 

Fragen  zu  lösen,  redet,  nicht  nur  John  Stuart  Mill  (1806—73) 
erwähnt,  sondern  auch  die  Ansichten  der  sog.  IManchesterschule 
und  der  sog.  Kathedersozialisten  charakterisiert,  und  ebenso 
den  Grafen  Saint-Simon  (t1825  „der  erste,  welcher  den  Gegen- 
salz zwischen  dem  besitzenden  ßörgerstand,  bourgeoisie,  und  dem 
niederen  Volk,  peuple,  dem  vierten  Stande,  betonte"),  wie  Karl 
iMarx  (tl883  in  London)  und  Ferd.  Lassalle  (tl864)  und 
dessen  „ehernes  Lohngesetz'*  (5  Zeilen)  verhältnismSrsig  eingehend 
berücksichtigt.  Liegt  hier  nicht  die  dringende  Gefahr  vor,  dafs 
das  gerade  Gegenteil  von  dem  Gewollten  erreicht  und  in  den 
jugendlichen  Köpfen  eine  heillose  Verwirrung  betreffs  dieser  für 
das  Verständnis  ohnehin  so  schwierigen  Fragen  erzeugt  wird? 

Im  allgemeinen  zeichnet  sich  das  Buch  durch  grofse  Zu- 
verlässigkeit seiner  Angaben  aus,  wenn  auch  im  einzelnen 
Mängel  sich  finden.  So  ist  es  S.  150  nicht  richtig,  daCs  Keller- 
mann bei  Valmy  „eine  starke  Verteidigungsstellung  bezogen*'  habe 
(vgl.  darüber  Sybel,  Gesch.  der  Revolutionszeit),  ebenso  wenig  wie 
S.  170  Schill  „eine  Zuflucht  auf  englischen  SchifTen  gesucht  halte*% 
während  er  doch  seine  rechtzeitige  Rettung  auf  diesem  Wege  ver- 
säumte, da  er  hoffte,  Stralsund  zu  einem  zweiten  Saragossa  zu 
machen.  S.  200  ist  das  Zurücktreten  Preufsens  vom  dänischen 
Kriege  nicht  ersichtlich,  die  Bedeutung  der  Demütigung  von  Olmutz 
nicht  zu  erkennen.  Auch  kommt  es  bei  dem  ureigensten  Werke 
König  Wilhelms  I  nicht  nur  auf  eine  Vermehrung  des  preufsiscben 
Heeres,  sondern  auf  eine  völlig  neue  Organisation  an,  von  der 
wir  kein  Wort  hören.  „Während  des  italienischen  Krieges  ver- 
harrte Preufsen  in  seiner  abwartenden  Stellung''  (S.  202)  —  ja, 
aber  weshalb?  S.  205  „Baden  vereinigte  seine  Truppen  mit  denen 
der  übrigen  süddeutschen  Staaten"  —  ja,  aber  der  Not  gehorchend, 
nicht  dem  eigenen  Triebe.  Auch  der  Ausdruck  ist,  allerdings 
nur  vereinzelt,  nicht  ganz  glücklich,  wenn  es  z.  B.  S.  108  heifst: 
„Auf  den  prachtliebenden  und  eleganten  Friedrich  I  folgte  sein 
sparsamer  und  derber  Sohn  Friedrich  Wilhelm  P',  oder  S.  207 
von  der  Schlacht  bei  Königgrätz  gesagt  wird:  „Aber  einzelne 
Generäle  des  rechten  österreichischen  Flügels  hatten  sich  in  den 
anscheinend  erfolgreichen  Kampf  gegen  das  preufsische  Centrum 
ziehen  lassen,  so  dafs  der  Vorstofs  der  preufsischen  Garde  atif 
Ghlum  gelang".  Das  klingt  ja  gerade,  als  hätten  wir  unseren  Sieg 
nur  den  Fehlern  der  Österreicher  und  nicht  der  unvergleichlichen 
Strategie  Moltkes  zu  verdanken!  Merkwürdig  ist  die  S.  29  ge- 
gebrauchte Pluralform  „die  fnterime",  sowie  die  Schreibweise 
des  Wortes  Chauss6  (S.  120  statt  Chaussee  oder  Chaussee),  der 
Eigennamen  ZrinI  (statt  Zriny)  S.  35,  de  Seize  (statt  de  S^ze) 
S.  145  und  Wttndischgrätz  S.  198  u.  199  (statt  Windischgrätz.) 
Weshalb  S.  146  „Cintrachtsplatz"  und  nicht  Place  de  la  Concorde 
gesagt,  weshalb  die  Stelle  aus  dem  Briefe  der  Madame  Roland  in 
der  deutschen  Übersetzung  geboten  wird,  während  doch  das  Buch, 


aoipez.  TOD  F.  Ohly.  207 

durchaus  nicht  mit  Unrecht,  französische  Citate,  zumal  aus  Briefen, 
in  ziemlicher  Anzahl  enthält,  versteht  man  nicht. 

Auffailend  ist  endlich  das  fast  gänzliche  Fehlen  biogra- 
phischer Notizen.  Nur  von  den  drei  Paladinen  Kaiser  Wil- 
helms 1,  Roon,  Mollke,  Bismarck,  Gnden  wir  S.  201  die  wichtig- 
sten Angaben,  dagegen  nicht  das  Geringste  über  Stein  und  Scharn- 
horst,  Blücher  und  Gneisenau,  York  und  Büiow,  geschweige  denn 
über  die  Helden  des  siebenjährigen  Krieges,  wie  Seydiitz  und 
Ziethen!  Fast  könnte  man  versucht  sein,  anzunehmen,  ein  ge- 
wisser, ja  auch  sonst  hervortretender  bayrischer  Partikularismus 
habe  den  Verf.  dazu  verleitet,  in  diesen  Männern  nur  spezifisch 
preufsische  Gröfsen  und  nicht  zugleich  deutsche  Helden  zu  er- 
blicken, zumal  wenn  man  sieht,  wie  gerade  die  Thaten,  die  an 
die  Namen  dieser  unvergefslichen  Männer  sich  knüpfen,  im  Ver- 
hältnis zu  der  sonstigen  Ausführlichkeit  des  Buches  geradezu 
stiefmütterlich  behandelt  sind.  Ganz  besonders  gilt  das  von  den 
Befreiungskriegen,  deren  Darstellung  den  unsterblichen  Verdiensten 
der  Männer  der  schlesischen  Armee,  zumal  eines  Blücher,  durchaus 
nicht  in  gebührendem  Mafse  gerecht  wird. 

Anerkennenswerte  Vorzüge  des  Buches  sind,  wie  schon 
bemerkt,  seine  hervorragende  Zuverlässigkeit,  die  es  zu  einem 
recht  brauchbaren  Nachschlagewerk  macht,  Unbefangenheit  in 
konfessioneller  Beziehung,  z.  B.  durchaus  vorurteilsfreie  Würdigung 
Luthers,  sowie  recht  hübsche  und  lehrreiche  Vergleiche  zwischen 
sonst  und  jetzt,  z.  B.  bei  den  Einwohnerzahlen  von  Städten  und 
Uiidem,  den  Religions-,  bezw.  Konfessions -Verhältnissen,  der 
fieise  um  die  Welt  im  16.  und  19.  Jahrhundert  (S.  7)  u.  dgl.  m. 
Recht  belebend  wirkt  auch  der  Hinweis  auf  einschlägige,  zumal 
zeitgenössische  Gedichte,  wobei  freilich  ein  Mafs  von  Litteratur- 
kenotnis  vorausgesetzt  wird,  das  über  den  Umfang  des  von  einem 
Schuler  zu  Erwartenden  denn  doch  zum  Teil  bedenklich  hinausgeht. 
Vgl.  z.  B.  S.  174  Rückerts  Sonett  „Der  grofse  Donnerer  ist  nun 
aach  erschrocken'';  S.  182  Schenkendorfs  Gedicht:  „Wollt  ihr 
keinen  Kaiser  küren?'';  S.  184:  die  von  Goethe  übersetzte  Ode 
Hanzonis  „II  cinque  maggio";  S.  192:  Uhlands Gedichte  „Zum  18.  Ok- 
tober 1S15  und  1816'*;  S.  193  „das  scherzhafte  Gedicht  von  tlof- 
maan  von  Fallersleben  auf  den  deutschen  Zollverein*'  u.  dgl.  m. 

Fassen  wir  unser  Urteil  noch  einmal  kurz  zusammen,  so 
mässen  wir  sagen,  dafs  das  Buch  bei  manchen  Vorzügen  im 
einzelnen  wie  in  der  Anlage  dennoch  den  Standpunkt  der 
Schule  zu  wenig  als  Richtschnur  nimmt,  als  dafs  seine 
Einführung  als  Schulbuch  empfohlen  werden  könnte,  während 
CS  als  Leitfaden  für  den  „Privatstudierenden"  oder  als  ergänzen- 
des Naciiscbiagebuch  neben  einem  Hülfsbuch  für  den  Geschichts- 
wtterricbt  als  brauchbar  und  in  mancher  Beziehung  anregend 
smA  erweißen  mag. 

inden  i*   ^*  Ferdinand  Ohly. 


208     Hölzels  Geogr.  Charakterbilder,  agz.  v.  A.  Kirchhoff. 

1)  HölzeU    Geographische   Charakterbilder.     Zweites  Sopplemeot. 

Wieo,  £d.  Hölzel.     Blatt  33  und  34  (zu  je  4  M)    oebst  erläuterodem 
Textheft  (zu  0,90  M). 

Die  ihrem  Werte  gemäfs  vielfach  auf  unseren  Schulen  be- 
nutzte schöne  Sammlung  geographisch  bezeichnender  Landschafts- 
bilder, die  wir  dem  Hölzelschen  Verlag  zu  danken  haben,  erfährt 
durch  die  vorliegenden  zwei  neuen  Bilder  eine  zweck mäfsige  Er- 
weiterung. 

In  den  norwegischen  Norden  fuhrt  uns  das  Bild  „Reine  auf 
den  Lofoten**.  Es  zeigt  das  kleine  Fischerdörfchen  Reine  im  Vor- 
dergrund am  Strande,  samt  den  Mastenschiffen  und  Fischerboten 
sich  im  klaren  Wasser  des  nordischen  Meeres  freundlich  spiegelnd ; 
dahinter  ein  Streifen  jenes  eigentümlich  iichtgrönen  Rasens»  wie 
er  unter  der  langscheinenden  Sommersonne  des  Nordens  gedeiht, 
dann  die  kühn  aufragenden  Granitfelsen,  unbewachsen,  noch  mit 
Schneeschmitzen  bedeckt,  im  Hintergrund  in  fjordenhaft  Jäher 
Wand  zum  Meeresspiegel  abfallend. 

Das  andere  Bild  zeigt  uns  die  zweithöchste  Erhebung  der 
Gentralpyrenäen ,  den  Mont  Perdu,  von  der  Nordseite  aus  nebst 
dem  zu  ihm  hinanziehenden  Thal  von  Gavarnie,  das  hier  seinen 
grofsarligen,  halbkreisförmigen  Thalschlufs  im  „Circus  von  Ga- 
varnie'' findet.  Der  Schuler  erhält  einen  trefflichen  Eindruck 
pyrenäischer  Gebirgsnatur:  über  vom  gelagerten  braunen  Schie- 
fern sieht  er  in  Blaugrau  die  etwas  wellig  gebogenen  massigen 
Bänke  des  Kreidekalks  der  Centralkette  in  steilem  Nordabbruch, 
auf  den  Simsen  der  Steilwände  mit  Schaeelagen;  ringsum  Ode, 
wenig  grüne  Weide,  fast  kein  Wald,  kein  See,  keine  Sennhütte. 
Er  empfängt  einen  naturwahren  Begriff  davon,  was  es  heifst,  der 
Mont  Perdu  (wie  die  Maladetta)  sei  nicht  ein  einzelner  Berg, 
sondern  ein  viele  Kilometer  langer  Gebirgszug,  ein  ganzes 
„Massiv". 

Der  ausführliche  liegleittext  des  ersten  Bildes  ist  von  V.  von 
Haar  dl,  der  des  zweiten  von  Prof.  A.  Penck  verfafst;  letzterer 
enthält  eine  recht  gute  orographische  Charakteristik  des  Pyrenäen- 
gebirges überhaupt. 

2)  Fr.  Simooy,  Das  Dachsteiogebiet.     Ein  geographisches  Charakter- 

bild aus  den  Österreichischen  Nordalpen.     Lfg.  2.     Wien  und  Olmtttz 
1893,  Bd.  Hölzel.     14  N. 

Diese  zweite  Lieferung  des  grofsartigen  Simonyschen  Dach- 
steinwerkes ist  weit  über  ihren  ursprunglich  geplanten  Umfang 
erweitert  worden.  Sie  bildet  daher  mit  der  ersten  Lieferung  zu- 
sammen eigentlich  schon  eine  im  wesentlichen  abgeschlossene 
Gesamtdarstellung  der  herrlichen  Kalkalpengruppe,  die  nach  dem 
Hauptmassiv,  dem  Dachstein,  ihren  Namen  trägt. 

Abgesehen  von  den  zahlreichen,  ganz  ausgezeichneten  Photo- 
typieen,  die  in  den  beschreibenden  Text  eingedruckt  sind,  bringt 
die  neue  Lieferung  rund  30  weitere  grofse  Landschaftsbiider  der 
Dachsteingruppe,    teils   nach   vorzüglichen   photographischen  Auf- 


Aodrees  Wlgemeiner  Handatlts,  aogez.  von  A.  Kirchhoff.     209 

nahmen,  teils  nach  Zeichnungen,  die  der  Verf.  an  Ort  und  Stelle 
panoramaartig  entworfen  hat,  mil  peinlichster  Sorgfalt  jede  Ter- 
rainform  bis  ins  einzelnste  nachbildend,  wie  man  es  selbst  von 
der  genauesten  Photographie  (namentlich  für  weiter  abliegende 
Gebirgsmassen)  nie  erwarten  dürfte. 

Wir  sollen  den  Schulern  in  der  erdkundlichen  Stunde  yor 
allem  den  Bodenbau  klar  beschreiben.  Das  läfst  sich  nur  mit 
Bildern  von  solcher  Naturwahrheit,  wie  sie  die  vorliegenden  adelt, 
gründlich  erzielen.  Dem  Dachstein  allein  können  wir  freilich 
nicht  so  viel  Zeit  beim  Unterricht  widmen,  um  speziell  hierzu  dieses 
reichhaltige  Meisterwerk  Simonys  zn  verwerten.  Aber,  wie  schon 
bei  Anzeige  der  ersten  Lieferung  desselben  an  dieser  Stelle  her- 
forgeboben  wurde,  es  gestatten  viele  der  prächtigen  Bilder  generelle 
Verwendung  zur  Yeranschaulichung  heimischer  Hochgebirgsnatur, 
so  för  Erosionserscheinungen  in  den  Kalkalpen,  Seeenbildung  da- 
selbst, Dolinen  im  Karrengebiet,  Eisfelder,  Aussehen  eines  Glet- 
Scherbettes  beim  zeitweiligen  Rückzug  der  Gletscherzunge  aus 
dessen  unterstem  Teil  u.  a.  m. 

3)  Aodrees  Allgemeiner  Handatlas  ia  91  Haopt-  and  86  Nebenkartea 
oebst  volistäDdigein  alphabetischem  Namen verzeichois.  Dritte,  völlig 
neubearbeitete  and  vermehrte  Auflage.  Herausgegeben  von  der  Geo- 
graphischen Anstalt  von  Velhagen  &  Klasing  in  Leipzig.  Bielefeld 
nod  Leipzig  1893,  Velhagen  &  Klasing. 

Nachdem  über  den  Umfang  der  Erneuerung  dieses  weitver- 
breiteten Kartenwerkes  schon  nach  dem  Erscheinen  der  ersten 
Abteilungen  desselben  an  dieser  Stelle  berichtet  worden  ist,  er- 
abrigt  nur  noch  die  Versicherung,  dafs  auch  in  den  nachfolgenden 
Lieferungen  bis  zum  nun  erreichten  Abschlufs  des  Ganzen  das 
Versprechen  im  wesentlichen  eingelöst  ist,  diesen  Handatlas  auf 
die  Höhe  der  Gegenwart  zu  erheben. 

Nur  bei  wenigen  Karten  bleibt  einiges  nachzutragen.  So  ver- 
mil^t  man  auf  der  Karte  von  Griechenland  die  Angabe  des  für 
deo  södosteuropäischen  Seeverkehr  so  wichtigen  Kanals  durch  den 
Korinther  Isthmus  mit  Hellas'  zwei  jüngsten  Seestädten  an  den 
beiden  Endpunkten  des  Kanals,  Posidonia  und  Isthmia.  Dringend 
bedarf  vor  allem  noch  die  Zeichnung  von  Kaiser  Wilhelms-Land 
(auf  Karte  138)  der  Modernisierung.  Nicht  einmal  die  Ortssignatur 
för  den  jetzigen  Verwaltungssitz  Friedrich  Wilhelms-Hafen  ist  an- 
gegeben, sondern  nur  die  Lage  des  Hafens;  wozu  ferner  der  eng- 
lische, wohl  vordem  berechtigte  Name  ,,Kap  Fortification''  statt 
d^  deutschen  „Pestungs- Vorgebirge^'? 

Doch  das  sind  bedeutungslose  Kleinigkeiten  gegenüber  der 
des  Uotadelhaften,  die  dieser  Atlas  darbietet.  Freuen  wir 
ans  Tor  allem  der  höchst  inhaltreichen  ganz  neuen  Karte  des 
Deutschen  Reiches,  die  hier  fast  durchweg  in  dem  grofsen  Mafs- 
stab  1:1^  MilJ.  ihrer  Sektionen  gegeben  ist,  folglich  in  der  Reich- 
haltigkeit topographischer  Einzelheiten  sogar  die  soeben  fertig  ge- 

ZdtHbrift  C  d.  OTmnMialwMen  XLVm.    9.  8.  X4 


210        Radolph,  Heimatk.  d.  Reichsl.  Bisars-Lothringeo, 

wordene  klassische  Arbeit  Karl  Vogels  („Atlas  des  Deutschen  Reichs") 
in  nur  ^/s  jenes  Linearmafsstabes  überbietet. 

Halle  a.  S.  A.  Kirchhoff. 


E.  Rudolph,  Heimatkande  des  Reichslaodes  EIsars-Lothriae^eo. 
Zunächst  zur  Ergäocuag  der  Schul (^eog^raphie  von  B.  vod  Seydlitz. 
Breslau  1893,  Ferdioaud  Hirt.     48  8.     8.     0,60  M. 

Die  auf  dem  Gebiete  der  Geographie,  besonders  der  Schul- 
geographie, so  rührige  Yerlagshandlung  von  Ferd.  Hirt  hat  seit 
einigen  Jahren  eine  Anzahl  Hefte  unter  dem  Titel  „Landeskunden*' 
erscheinen  lassen,  welche  die  Einzellandschaften  des  Deutschen 
Reiches  nach  mancher  Richtung  hin  eingehender  behandeln,  als 
dies  in  den  verschiedenen  Ausgaben  der  Seydlitzschen  Geographie, 
zu  deren  Ergänzung  sie  zunächst  bestimmt  sind,  möglich  war. 
Die  Sammlung  (im  ganzen  23  Hefte,  alle  mit  Bilderanhang,  einige 
auch  mit  einer  Heimatkarte  ausgestattet;  der  Preis  schwankt 
zwischen  0,30  und  0,50  M;  das  Heft  für  Hamburg  kostet  0,75, 
das  für  das  Reichsland  0,60  M)  liegt  jetzt  abgeschlossen  vor;  nur 
das  Heft  für  Westfalen  mit  Lippe  und  Wahleck  ist  noch  in  Vor- 
bereitung. Diese  Bändchen  scheinen  mit  Recht  weite  Verbreitung 
gefunden  zu  haben,  mehrere  sind  bereits  in  2.  Auflage  erschienen. 

Die  vor  kurzem  erschienene,  von  Oberlehrer  Dr.  E.  Rudolph 
in  Strafsburg  herausgegebene  Heimatkunde  des  Reichs- 
landes reiht  sich  den  früher  erschienenen  Bändchen  würdig  an. 
Auswahl  und  Behandlung  des  StofTes  sind  sehr  geschickt,  und  das 
Büchlein  wird  in  den  niederen  und  höheren  Schulen  Elsafs-Loth- 
ringens  von  Lehrern  und  Schülern  mit  Nutzen  gebraucht  werden 
können;  was  die  höheren  Schulen  betrilTt,  so  soll  nach  den  ,, All- 
gemeinen Vorschriften  für  die  höheren  Schulen  in  Elsafs-Lothringen 
vom  20.  Juni  1883''  die  Beschreibung  Elsafs-Lotbringens  und  des 
übrigen  Deutschlands  den  Mittelpunkt  des  geographischen  UDter- 
richts  auf  den  drei  unteren  Klassen  der  Gymnasien  und  Real- 
schulen bilden.  Aber  auch  in  anderen  Staaten  des  Reichs  wird 
wenigstens  der  Lehrer  zu  seiner  Vorbereitung  das  Büchlein  mit 
Nutzen  zu  Rate  ziehen  können. 

Der  Verf.  hat  den  StoiT  in  sechs  Abschnitten  behandelt: 
1)  Lage,  Grenzen,  Gröfse  (S.  1 — 2),  2)  Oberflächengestalt  und 
Bewässerung  (S.  2 — 17;  mit  den  Unterabteilungen:  das  Gebirgs- 
land  der  Vogesen,  S.  2 — 11,  das  lothringische  Stufenland,  die 
Vorhügel,  Jura  und  Sundgau,  das  Tiefland,  der  Rhein);  3)  das 
Klima  (S.  17—18);  4)  Bevölkerung  und  Kultur  (S.  18—26);  5)  ge- 
schichtliche Entwicklung  (S.  26 — 28);  6}  Verfassung  und  Verwal- 
tung (S.  28—32). 

Den  besonders  reichhaltigen  Abschnitt  über  Oberflächen- 
gestalt  und  Bewässerung  des  Landes  möchte  ich  zugleicli 
als  den  besten  bezeichnen.     Trefflich  hat  der  Verf.  die  im   Vor- 


anges.  von  E.  Napp.  211 

wort  ausgesprochene  Absicht  erreicht,  „durch  scharfe  Gliederung 
der  Oberflächenformen  die  Auffassung  des  vertikalen  Reliefs  des 
Landes  zu  erleichtern*'.  Selten,  selbst  in  grölseren  geographischen 
Handbüchern,  wird  man  eine  ebenso  klare  und  übersichtliche  wie 
in  der  Form  schöne  Darstellung  namentlich  des  Gebirgsiandes 
und  seiner  Bewässerung  Onden.  Allen  Punkten,  die  bei  der  Be- 
schreibung in  Betracht  kommen,  wird  der  Verf.  gleichmäfsig  ge- 
recht, und  der  Kenner  des  schönen  Landes  wird  in  diesem,  dem 
wichtigsten  Abschnitte  kaum  etwas  Wesentliches  vermissen. 

Im  einzelnen  möchte  ich  zu  diesem  Abschnilt  folgendes  be- 
merken.    Da    der  Verf.    nur   das  Reichsland    behandeln  will,    so 
beschreibt   er   die  Vogesen    (dieser  Name    Gndet  sich  durchweg 
statt  der  deutschen  Bezeichnung  „Wasgen  wald'')  nur  innerhalb 
der  politischen  Grenzen    desselben.     Der  Anteil   Frankreichs    am 
Gebirge  ist  nicht  berührt,  obwohl  er  im  Süden  und  auch  in  der 
Mitte,  bis  über  den  Donon  hinaus^  nicht  unbeträchtlich  ist.    Auch 
hätte   jedenfalls    gesagt  werden  sollen,    dafs    manche  Geographen 
auch  das  politisch  zur  bayrischen  Pfalz  gehörige  Gebirgsland  von 
der  Lauter  bis  zur  Queich  den  Nordvogesen   hinzurechnen,    wäh- 
rend   andererseits  Lepsin s  („Die   oberrheinische  Tiefebene  und 
ihre    Randgebirge**    S.   43)    meint,    schon    nördlich    der   tiefsten 
Senkung  des  Kammes  bei  Pfalzburg  und  Lülzelstein,  der  im  Osten 
der  Ebene    die    ebenso    tiefe    Einsenkung    zwischen  Schwarzwald 
and  Odenwald    entspreche,    solle    man    nicht  mehr  von  Vogesen 
sprechen,    das    „Bitscher  Land*'    gehöre    bereits    zur   Haardt.  — 
S.  3    wird    richtig   gesagt,    dafs    die   im  Süden    nur  etwa  12  km 
breiten  Vogesen    nach  Norden  zu   an  Breite    bald    erheblich    zu- 
oehmen;    nicht  erwähnt  aber  ist,    dafs  an  der  schmälsten  Stelle 
des  Gebirges,    am  Zaberner  Pafs,    die  Entfernung   zwischen    der 
rhetoischen  Tiefebene    und    der   lothringischen  Hochebene    kaum 
9  kai    beträgt,    während    nördlich  von  Zabern   die  Breite  des  im 
Durchschnitt   allerdings   selten    über  400  m    hohen  Gebirgslandes 
wieder  beträchtlich  wächst.  —  Die   isolierte  Sandsteinmasse    des 
auch    in    seiner  Totalansicht   so  charakteristischen  Climont   als 
htefasten  Punktes  am  Nordende  der  Südvogesen  wird  mit  Recht 
etwas    ausführlicher   beschrieben.     Wenn    Rudolph    meint,    dafs 
»«dichter  Wald  ein  Besteigen  erschwere**,  so  ist  das  doch  weniger 
richtig,  als  dafs  vielmehr  bis  zur  Vollendung  des  geplanten  Aus- 
akhtsgerüstes    die   Aussicht    erschwert    ist     Auch    hätte    hinzu- 
gefügt werden  sollen,   dafs   der  Berg   auf   manchen  Karten   eine 
andere  Bezeichnung  hat:  auf  der  neuen  im  Erscheinen  begriffenen 
^Karte  des  Deutschen  Reichs**  1  :  500  000  (Gotha,  Perthes)  heifst 
er  „Weinberg**;    auf  der  Generalstabskarte  1:100000    finden 
»cfa    beide  Namen    (Climont  und  Weinberg).  —  Von  den  Burg- 
mineii  des  vielleicht  burgenreichsten  aller  Länder    sind  viele  ge- 
■annt,  zwei  der  mächtigsten  und  schönsten  (nächst  der  S.  8  er- 
wibnlen   Hah&öoigsburg)   aber   übergangen,   nämlich  Gir baden 


212         Rudolph,  Heimatk.  d.  Reichsl.  Elsa  rs-Lothriogen, 

(bei  Niederhafslach)  und  Hohbarr  bei  Zabern,  „des  Landes 
Auge'^  —  Über  die  Bedeutung  der  zu  den  verschiedensten  Zeiten 
hartumstrittenen  Burgundischen  Pforte  (trouee  de  Beifort) 
als  Wasserscheide  und  vor  allem  als  eins  der  wichtigsten  euro- 
päischen Völkerthore  mit  ihren  vielen  weltgeschichtlichen  Er- 
innerungen (Cäsar  gegen  Ariovist,  Alemannen  und  Römer,  Attila, 
Friedrich  i  vor  dem  Konzil  von  Besannen,  die  Kämpfe  im  dreifsig- 
jährigen  Kriege,  im  Befreiungskriege  1814  und  1815  und  zuletzt 
in  den  furchtbaren  Januar- Tagen  1871)  hätte  wohl  einiges  mehr 
gesagt  werden  können,  als  es  S.  14  geschieht.  — Von  der  Mosel 
heilst  es  etwas  ungenau  S.  12,  dafs  sie  zwischen  dem  Elsässer 
Beleben  und  dem  Col  de  Bussang  aus  mehreren  Quellbächen  ent- 
stehe; als  eigentliche  Moselquelle  wird  doch  in  der  Regel  die 
starke,  von  einer  Bretterbude  überdeckte,  auf  französischem  Boden 
beGndliche  Quelle  am  Col  de  Bussang,  westlich  von  dem  Grenz- 
tunnel, etwa  9  km  nordnordöstlich  vom  Ballon  d'Alsace,  ange- 
sehen. —  Die  Quelle  der  Meurthe  (s.  S.  5)  befindet  sich  2  km 
nördlich  vom  Hohneck,  etwa  1  km  von  der  Grenze,  aber  ebenfalls 
auf  französischem  Boden,  hart  an  der  grofsen  Strafse,  die  von 
Colmar  über  Münster,  die  Schlucht,  Gerardmer  nach  Epinal  führt. 
—  Ganz  auf  deutschem  Boden  fliefst  die  Saar  samt  ihren  beiden 
Quellflüssen,  der  Roten  und  der  Weifsen  Saar,  von  denen  die 
letztere  allerdings  auch  unweit  der  französischen  Grenze  entspringt; 
es  hatte  S.  11  hinzugefügt  werden  können,  dafs  die  Vereinigung 
der  beiden  Quellflüsse  bei  Hermelingen,  etwa  7  km  südlich  von 
Saarburg,  erfolgt. 

Der  Abschnitt  3  (über  das  Klima)  ist  lobenswert.  Am 
Schlüsse  desselben  wird  mit  einigen  Worten  des  Einflusses  des 
Klimas  auf  die  VVeinkultur  gedacht.  Im  übrigen  aber  vermifst 
man  jede  Berücksichtigung  der  Vegetation  in  den  Vogesen, 
die  doch,  namentlich  im  Vergleich  mit  dem  benachbarten,  ähnlich 
gebauten  Scbwarzwald,  manches  Charakteristische  aufweist.  Die 
Pflanzen  der  Ebene  haben  in  den  Vogesen  freieren  Zutritt  durch 
die  tief  eingeschnittenen  Thäler  auf  die  Höhen  als  im  Schwarz- 
wald, die  Vegetation  auf  den  Vogesenhöhen  ist  daher  im  all- 
gemeinen viel  reicher  als  auf  denen  des  benachbarten  Gebirges. 
Vor  allem  aber  hätte  bemerkt  werden  sollen,  dafs  die  Pichle 
(Rottanne)  auffallend  hinter  die  fast  ausschliefslich  herrschende 
Weifstanne  zurücktritt  und  dafs  wir  nur  in  wenigen  Gebirgen 
Europas  so  viele  grofse,  geschlossene  und  zugleich  schöne  Tannen- 
waldungen finden  wie  im  Wasgenwalde. 

Die  Bemerkungen  über  Bodenkultur,  Industrie  und 
Verkehr  im  4.  Abschnitt  sind  mit  Recht  ziemlich  ausführlich  ge- 
halten, dabei  ist  im  allgemeinen  die  Kreiseinteilung  zu  Grunde 
gelegt,  jedoch  so,  dafs  mehrere  Kreise  mit  gleichartiger  Kultur 
und  Industrie  zusammengefafst  sind.  Bei  Forbach  hätte  die  grofse 
Papier-mache-Fabrik  Erwähnung  verdient.   Vermifst  wird  ein  Hin- 


«Dgez.  voD  E.  Napp.  213 

weis  auf  die  namentlich  auf  den  Höhen  (z.  B.  auf  dem  fast  1100  m 
hohen  Hochfelde)  in  sehr  ergiebiger  Weise  betriebene  Rindvieh- 
zacht  und  Milchwirtschaft,  ferner  auf  die  Alpen  Wirtschaft  mit 
Sennhütten  und  Käsefabrikalion  in  der  Umgebung  von  Munster, 
ßetrefiend  den  Weinbau  hätte  S.  24  hinzugefügt  werden  können, 
dafs  im  Elsafs  fast  nur  Weifswein,  in  Lothringen  fast  ausschliefst 
lieh  Rotwein  angebaut  wird.  Unter  den  bereits  im  2.  Abschnitt, 
S.  14,  aufgezählten  Mineralquellen  ist  nicht  aufgeführt  die  schon 
im  Mittelalter  bekannte,  1888  wieder  aufgedeckte  Quelle  bei 
Rappoltsweiler.  —  S.25  f.  findet  sich  eine  übersichtliche  Zusammen- 
stellang  der  wichtigsten  Kanal-  und  Eisenbahnlinien,  während  die 
sechs  Hauptstrafsen,  welche  innerhalb  der  (südlichen)  Hochvogesen 
den  Verkehr  zwischen  dem  Elsafs  und  Frankreich  vermitteln,  be- 
reits S.  5  aufgezählt  sind,  ßei  der  Beschreibung  des  Rhein-Marne- 
kanals  S.  25  hätte  als  Merkwürdigkeit  erwähnt  werden  sollen, 
da(s  im  Zornthal  von  Lützelburg  (im  Gebirge)  bis  Brumath  (in 
der  Rbeinebene,  etwa  18  km  nördlich  von  Strafsburg)  Flufs, 
Kanal,  Landslrafse  und  Eisenbahn  stets  nebeneinander  laufen. 

Die  Bemerkung  S.  18,  dafs  „die  überwiegende  Mehrzahl  der 
Bevölkerung  deutsch  spreche  und  nur  im  westlichen  Lothringen 
und  in  einigen  Tbälern  der  Vogesen  französisches  Patois  gesprochen*' 
werde,  ist  zu  allgemein.  Genauer  liegt  das  Verhältnis  so,  dafs  die 
Einwohnerzahl  der  deutsch  redenden  Gemeinden  etwa  80  Prozent, 
die  der  französisch  redenden  11,5  Prozent,  die  der  sprachlich  ge- 
mischten etwa  8,5  Prozent  der  Gesamtcivilbevölkerung  ausmacht. 
Von  der  französisch  redenden  Bevölkerung  finden  sich  über  drei- 
viertel, von  der  beide  Sprachen  redenden  nicht  ganz  dreiviertel  in 
Lothringen.  In  Lothringen  ist  die  Zahl  der  französisch  redenden 
bezw.  sprachlich  gemischten  Gemeinden  derjenigen  der  deutsch 
redenden  fast  gleich,  jedoch  so,  dafs  die  Einwohnerzahl  der  letz- 
teren die  gröfsere  Hälfte  der  Gesamtbevölkerung  ausmacht.  — 
Französisches  Patois  wird  übrigens  innerhalb  des  Elsasses  nicht 
blofis  im  oberen  Weifsbachthale,  sondern  auch  gröfstenteils  im 
Steinthal  vom  Breuschthal  zwischen  Rothau  und  Urbach  östlich 
etwa  bis  (zum  Hochfed)  gesprochen.  Im  übrigen  hat  Rudolph 
den  Laaf  der  Sprachgrenze  ebenso  kurz  als  zutreffend  angegeben. 

Der  Überblick  über  die  geschichtliche  Entwicklung  des 
Landes  (Abschnitt  5)  erscheint  selbst  für  einen  so  knapp  ge- 
haltenen Abrifs,  wie  ihn  die  „Landeskunde''  bieten  kann,  etwas 
dürftig.  So  sind  z.  B.  Rudolf  von  Habsburg,  der  Aufstand  des 
Bantschub,  Bernhard  von  Weimar  gar  nicht  erwähnt,  obgleich  sie 
doch  in  die  Geschichte  des  Landes  tief  eingegriffen  haben.  — 
Die  Sage  ist  gar  nicht  berührt,  obwohl  doch  das  Elsafs  der 
Schaoplatz  einer  der  schönsten  Heldensagen  ist:  ganz  im  Norden 
des  Landes,  hart  an  der  pfälzischen  Grenze,  steht  im  Walde  ver* 
steckt  die  Raine  des  Wasigensteines,  an  den  das  Waltarilied 
den  Kampf   seines  Helden    mit  den  Recken  Günthers  verlegt.  — 


214         Rudolph;  Heimatk.  d.  Reiclisl.  v.  Elsafs-Lothriag^eD, 

Auf  die  Bedeutung  des  RIsasses  für  die  Geschichte  der 
Kunst  und  Litteratur  ist  fast  gar  nicht  eingegangen. 
Zwar  finden  sich  bei  der  Beschreibung  der  einzelnen  Orte  einige 
architektonisch  interessante  Gebäude  erwähnt,  die  auch  zum  Teil 
im  Biideranhang  zur  Abbildung  gebracht  sind.  Aber  es  ist  doch 
auffallend,  dafs  bei  der  sonst  recht  guten  Beschreibung  Strafs- 
burgs  das  (allerdings  im  Bilderanhang  trefflich  abgebildete)  Münster 
und  der  Name  seines  Erbauers  mit  keinem  Worte  erwähnt  sind. 
Von  hervorragenden  Männern  ist  nur  (S.  27)  Jakob  Sturm  ge- 
nannt. Namen  wie  Olfrid,  den  Minnesänger  Reinmar  den  Alten 
von  Hagenau,  Meister  Gottfried  von  Strafsburg,  die  Mystiker  Eckard 
und  Johann  Tauler,  Gutenberg,  die  Humanisten  Wimpheling  und 
Beatus  Rhenanus,  die  Reformatoren  Capito  und  Butzer,  den  Ge- 
schichtsschreiber der  Reformation  Sleidanus,  den  Pietisten  Spener, 
den  Historiker  des  Elsasses  Job.  Dan.  Schöpflin,  die  Dichter  Kon- 
rad PfefTel  und  Aug.  Stöber  sucht  mau  vergebens.  Besonders  ist 
das  Elsafs  zu  den  verschiedensten  Zeiten  die  Geburtsstätte  gerade 
der  hervorragendsten  deutschen  Satiriker  gewesen:  ich  nenne 
nur  Joh.  Geiler  von  Kaisersberg,  Seh.  Brant,  Job.  Pauli,  Thomas 
Murner,  Jörg  Wickram,  den  genialen  Job.  Fischart,  Moscherosch 
(Philander  von  Sittewald).  Auf  die  Bedeutung  dieser  Männer  bade 
doch,  ohne  den  Umfang  des  Büchleins  allzu  sehr  anschwellen  zu 
lassen,  entweder  in  kurzer  zusammenhängender  Darstellung  oder, 
wenigstens  zum  Teil,  bei  Erwähnung  ihrer  Geburtsorte  in  Ab- 
schnitt 4  mit  wenigen  Worten  hingewiesen  werden  sollen. 

[m  6.  Abschnitt  ist  das  Wichtigste  über  Verfassung  und 
Verwaltung  zusammengestellt.  Die  Tabelle  auf  S.  30  und  31 
giebt  Flächeninhalt  und  Bevölkerungsziffer  der  einzelnen  (22)  Kreise 
des  Landes  nebst  deren  Anteil  an  Acker-  und  Gartenland,  Wiesen, 
Weiden,  Weinbergen  und  Forsten  (in  Hektaren)  sowie  die  wich- 
tigeren Orte  und  deren  Einwohnerzahl  nach  der  Volkszählung  vom 
1.  Dezember  1890  an.  Es  hätte  aber  ausdrücklich  bemerkt  werden 
sollen,  dafs  das  Militär  in  der  Bevölkerungsziffer  ein- 
geschlossen ist.  So  beträgt  z.  B.  die  Givilbevölkerung  von  Metz 
rund  46  000,  während  mit  Einrechnung  der  Garnison  (der  stärksten 
im  Deutschen  Reich  nächst  Berlin)  die  Gesamtzahl  der  Bewohner 
sich  auf  rund  60  000  (1893:  63  000)  beläuft.  Besonders  wird 
das  Zahlenverhältnis  bei  den  kleinen,  mit  Militär  stark  belegten 
Orten  in  Lothringen  alteriert.  Der  Flecken  Mörchingen  z.  B. 
hat  eine  Givilbevölkerung  von  rund  1100;  mit  Einscfalufs  des 
Militärs  zählt  der  Ort  rund  3700  E.  Das  Städtchen  Saarburg 
(3000  E.)  wird  durch  die  starke  Garnison  (ein  Regiment  Infanterie, 
zwei  Regimenter  Kavallerie,  zwei  Batterieen  Artillerie)  auf  5500  E. 
gebracht.  —  Überhaupt  hätte  über  die  militärische  Bedeutung 
des  Reichslandes  als  Grenzland  einiges  gesagt  werden  können. 
Die  dürre  Bemerkung  am  Schlüsse  des  Abschnittes,  dafs  „vom 
Reichsheere  zwei  Armeekorps  im  Reichslande  stehen,  das  15.  im 


aogez.  von  fi.  Napp.  215 

Elsafs,  das  16.  in  Lothringen'S  genügt  um  so  weniger,  als  sie 
nicht  ganz  zuirelTend  ist.  Denn  aufiserdem  sieht  mehr  als  ein 
Drittel  des  14.  Korps  im  Oberelsafs  und  fast  ein  Viertel  des  grofsen 
2.  Bayrischen  Korps  in  Lothringen. 

Sehr  reich  ist  der  Bilderanhang,  reicher  als  in  fast  allen 
andern  Bandchen  der  „Landeskunden'';  er  umfafst  ein  Drittel 
der  Seitenzahl  des  ganzen  Buchleins  (S.  33 — 48).  Die  Auswahl 
ist  recht  geschickt  getroffen.  Aufser  ?ier  Kartenskizzen  und 
Plänen  finden  sich  zwölf  Ansichten  ¥on  Landschaften,  elf  von 
merkwürdigen  Bauwerken,  Tier  Trachtenbilder  und  je  eine  Dar- 
stellung des  fränkischen  und  alemannischen  Hauses.  Die  Aus- 
f&brung  der  Bilder  verdient  alles  Lob.  Doch  ist  der  Plan  der 
Stadt  Strafsburg  in  zu  kleinem  Mafsstab  gehalten,  die  blofse 
Zeichnung  des  Strafsengewirres  mit  nur  sehr  wenigen  eingestreuten 
Namen  ohne  sonstige  blrläuterung  orientiert  nicht.  Eine  Karte  ist 
leider  nicht  beigegeben;  der  Verf.  sagt  im  Vorwort,  dafs  er  sich 
nach  den  Ueimatkarten  von  H.  Ilabenicht  (Gotha,  J.  Perthes)  ge- 
richtet habe. 

Druck  und  Ausstattung  sind  tadellos.  Aufgefallen  ist 
mir  nur,  dafs  S.  10,  Z.  4  v.  u.  „Zaberne  Tieflandsbucht'^  und 
S.  11,  Z.  18  V.  0.  „Zaberne  Steige''   statt  „Zaberner''   gesetzt  ist. 

So  reiht  sich  denn  das  Buchlein  den  früher  erschienenen 
„Landeskunden''  desselben  Verlags  würdig  an  und  sei,  ungeachtet 
mancher  oben  gemachten  Ausstellungen,  Lehrern  und  Schulern 
und  überhaupt  jedem  Freunde  des  Beichslandes  innerhalb  und 
aufserhalb  desselben  aufs  beste  empfohlen. 

Zum  Schlufs  möchte  ich  für  spätere  Auflagen  nicht  nur 
dieser,  sondern  auch  der  übrigen  „Landeskunden"  noch  einen 
Wunsch  geltend  machen,  der  meines  Wissens  bisher  noch  nicht 
ansgesprochen  ist,  vielleicht  aber  von  manchem  Benutzer  derselben 
geteilt  wird,  nämlich  jedem  einzelnen  Bändchen  ein  Verzeichnis 
der  wichtigsten  und  am  leichtesten  zugänglichen  lilterarischen 
Hülfemittel  sowie  der  auf  das  behandelte  Gebiet  fallenden  Sektionen 
der  vom  Generalstabe  herausgegebenen  Karte  des  Deutschen 
Reiches  1:100  000  beizugeben;  vielleicht  empfiehlt  sich  statt 
des  letzteren  Verzeichnisses  noch  mehr  ein  Ausschnitt  aus  dem 
von  der  Verlagshandlung  von  R.  Eisenschmidt  in  Berlin  zu  be- 
ziehenden Übersichtsblatt.  —  Zur  Aufnahme  in  Rudolphs  „Heimat- 
kunde des  Reichslandes  Elsafs- Lothringen"  möchte  ich,  ohne  den 
Anspruch  auf  Vollständigkeit  und  richtigste  Auswahl  zu  erheben, 
etwa  die  Aufführung  folgender  Schriften  für  geeignet  hallen: 
Lorenz  und  Scherer,  Geschichte  des  Elsasses,  3.  Aufl.,  X  u. 
574  S.,  1887;  Aug.  Stob  er,  Die  Sagen  des  Elsasses,  Neue  Ausg., 
besorgt  v.  C.  Mündel.  In  2  Teilen.  L  Teil:  Die  Sagen  des  Ober- 
Elsasses.  XV  u.  151  S.,  Strafsburg,  Heitz,  1892;  Schmoller, 
Strafsburgs  Blüte  u.  die  Volkswirtschaft!.  Revolution  im  13.  Jahrb., 
35  5.,  Stra&burg,  Trübner,  1875;    Schmoller,    Strafsburg  zur 


216  Die  Arithmetik  n.  b.  w.  des  Diophantus, 

Zeit  der  Zunflkämpfe  u.  die  Reform  seiner  Verfassung  u.  Ver- 
gällung im  15.  Jahrb.,  164  S.,  ebenda;  Baumgarten,  Jacob 
Sturm,  34  S.,  ebenda  1876;  Mitscher,  Zur  Baugeschichte  des 
Strafsburger  Munsters,  60  S.,  Strafsburg,  R.  Schultz  8:  Comp.,  1876; 
Beiträge  zur  Landes-  und  Volkskunde  von  Elsafs- 
Lothringen,  Strafsburg,  Heilz,  seit  1887  (besonders  Heft  1  : 
Constant  This,  Die  deutsch-französische  Sprachgrenze  in  Loth- 
ringen, 34  S.,  1887;  Heft  5:  This,  Die  deutsch -französische 
Sprachgrenze  im  tllsafs,  48  S.,  1888,  beide  Hefte  mit  Karte);  Die 
Bewegung  der  Bevölkerung  in  Elsafs-Lolhringen.  Sta- 
tistische Mitteilungen  XXIH:  1.  Rückblick  auf  den  Zeitraum  von 
1880—1889;  2.  Tafeln  für  die  Jahre  1887—1890.  Herausgeg.  v- 
Statist.  Bureau  des  Kaiser!.  Minist,  f.  Elsafs- Lothringen,  lOVa  Bogen, 
Strafsburg,  C.F.Schmidt,  1893;  Lepsius,  Die  oberrhein.  Tief- 
ebene u.  ihre  Randgebirge  (Forschungen  z.  deutschen  Landes-  u. 
Volkskunde,  I.  Bd.,  2.  Hefl,  S.  33—92).  Mit  Übersichtskarte,  Stutt- 
gart, Fngolhorn,  1885;  Curt  Mündel,  Die  Vogesen,  6.  Aufl., 
Strafsburg,  Trübner,  1891,  518  S. 

Saarbrücken.  E.  Napp. 


1)  Die  Arithmetik  und  die  Schrift  jiber  Pol ygODalzahleo  des 
Diophantus  von  Alexandria.  Übersetzt  aod  mit  Anmerkuoi^eD 
begleitet  von  G.  Wertheini.  Leipzig  1890,  B.  G.  Teabner.  IX  n. 
346  S.     8.     8  M. 

Nachdem  man  in  weiterem  Kreise  begonnen  hat,  die  Mathe- 
matik in  ihrer  geschichtlichen  Entwickelung  zu  verfolgen,  ist  auch 
die  Thatsache  zu  allgemeinerer  Kenntnis  gelangt,  dafs  die  „Dio- 
phantischen  Gleichungen'*  diesen  Namen  zu  Unrecht  führen,  sinte- 
mal Diophant  bei  seinen  Problemen  nicht  auf  ganzzahlige,  sonderu 
nur  auf  rationale  Lösungen  abzielte,  so  dafs  die  Gleichung 
ax  -{-  by  =  c  aufserhalb  seines  Interesses  lag.  Wer  sich  nun 
bisher  genauer  über  die  von  Diophant  behandelten  Aufgaben  und 
über  die  Art  seiner  Behandlung  aus  deutsch  geschriebenen  Büchern 
unterrichten  wollte,  war,  abgesehen  von  Nesselmanns  Algebra  der 
Griechen  (1842),  auf  die  Übersetzung  von  0.  Schulz  (1822)  an- 
gewiesen, die  aber  sprachlich  etwas  veraltet  und  überdies  nur 
mehr  schwer  zu  beschaffen  ist.  Es  war  daher  ein  glücklicher 
Gedanke  des  durch  seine  deutsche  Bearbeitung  von  Serrets  Höherer 
Algebra  bei  vielen  Fachgenossen  im  besten  Andenken  stehenden 
Verf.s,  nun  auch  die  noch  vorhandenen  Werke  des  grolsen  grie- 
chischen Algebraikers  einem  weiteren  Leserkreise  zugänglicl)  zu 
machen. 

Wenn  man  das  Hauptwerk  des  Alexandriners,  die  W^*^/irij^T»xa, 
von  deren  13  Büchern  uns  sechs  erhalten  sind,  nach  heutigen  Be- 
griffen klassifizieren  wollte,  so  müfste  man  sie  als  eine  Sammlung 


von  A«  Bminerich.  217 

Ton  gelöslen,  teils  bestimmten,  der  Mehrzahl  nach  unbestimmten 
arithmetischen  Textaufgaben  definieren,  die  in  allgemeiner  Form 
gestellt  sind,  bei  deren  Lösung  jedoch  die  etwa  gegebenen  Gröfsen 
als  bestimmte  positive  ganze  Zahlen  gewählt  werden,  und  wo 
durch  geeignete  Nebenannahmen  jede  Unbestimmtheit  so  weit 
beseitigt  wird,  dals  es  sich  schlieCslich  um  eine  Gleichung  1.  oder 
2.  Grades  handeil,  die  zu  einer  einzigen  rationalen  positiven  Lö- 
sung führt.  Was  die  Bedeutung  des  Werkes  für  den  heutigen 
algebraischen  Unterricht  anbetrifft,  so  liegt  diese  vorzugsweise  auf 
Seite  der  bestimmten  Aufgaben  oder  vielmehr  ihrer  Lösungen, 
da  man  die  Aufgaben  selbst,  wenn  auch  in  anderer  Form,  heut- 
zutage in  jeder  algebraischen  Sammlung  wiederfindet.  An  zahl- 
reichen Beispielen  zeigt  uns  Diophant,  wie  man  durch  geschickte 
Wahl  der  Unbekannten  auf  einfachstem  Wege  zur  Gleichung, 
oder  aber  zu  einer  möglichst  einfachen  Gleichung,  z.  B.  statt 
zu  einer  gemischt  quadratischen  zu  einer  rein  quadratischen, 
gelangt.  Sollen  z.  B.  zwei  Zahlen  gesucht  werden,  deren  Summe 
=  10  and  deren  Kubensumme  =  370  ist  (IV,  1),  so  wählt  er 
die  Abweidiung  der  Zahlen  von  ihrer  halben  Summe  als  Unbe- 
kannte und  findet  nach  unserer  Schreibweise  30  x'  -f"  ^^^  =  370, 
sonach  3  und  7  als  Werte  der  gesuchten  Zahlen.  Während  so 
die  bestimmten  Aufgaben  nach  mehr  als  1500  Jahren  in  lebendiger 
Beziehung  zum  mathematischen  Unterrichte  stehen,  liegt  das  Inter- 
esse bei  den  unbestimmten  Aufgaben  mehr  auf  Seiten  des 
Mathematikers,  um  so  mehr,  als  bei  ihnen  von  einer  methodischen 
Behandlung,  die  eine  Anleitung  für  den  Anfanger  böte,  kaum  die 
Rede  sein  kann.  Hit  Genufs  folgt  man  „dem  gewaltigen  Virtuosen 
in  der  Kunst  der  unbestimmten  Analystik",  wie  er  auf  vielver- 
schlungenem  Pfade  mit  Benutzung  von  allerlei  unerwarteten 
HülCsmitteln  sich  zu  dem  erstrebten  Ziele  hindurcharbeitet.  Dio- 
phant stellt  z.B.  die  Aufgabe  (iV,  24):  ürei  Zahlen  zu  finden, 
deren  Produkt,  wenn  es  um  jede  der  Zahlen  vermindert  wird,  ein 
Quadrat  bildet.  Er  bezeichnet  die  erste  Zahl  mit  x  (im  Original 
mit  ^),  setzt  das  Produkt  der  drei  Zahlen  s=  x*  -{- x,  findet  mit- 
hin als  Produkt  der  beiden  anderen  Zahlen  (C-j-  1,  wählt  für  die 
zweite  Zahl  \,  also  für  die  dritte  o;  -j-  1,  und  gelangt  so  zu  zwei 
Forderungen,  die  in  unserer  Schreibweise  folgendermafsen  dar- 
gestellt und  nach  Diophants  Gedankengange  erledigt  werden: 

flp*-f-a?—  l  =  tt*,  a?*  —  l=t?*; 

x  =  u* — 17*;  ^•2x={u  —  t?)(u-f-t?); 

u  —  t7  =  i,  u^v  =  2x\ 

v  =  x  —  j;  AD*  —  i  =  (x  — l)*. 

Die  Auflösung  der  letzten  Gleichung  liefert  x  =  2%;  die  gesuchten 
Zahlen  sind  daher  2\i,  l  und  3%.  Solche  in  speziellen  Zahlen 
errechneten  Lösungen  hat  nun  der  Herausgeber  durch  Anwendung 


218        BrockmtQD,  Lehrbuch  d.  elemeutaren  Geometrie, 

der  Buchstaben  verallgemeinert  und  damit  das  Versläudnis  des 
Werkes  erleichtert  und  seio  Studium  mehr  fruchtbringend  gemacht; 
nur  so  auch  wird  es  ihm  in  vielen  Fällen  möglich,  eine  Würdi- 
gung der  von  Diophant  gegebenen  Determinationen  der  Aufgaben 
zu  erzielen.  In  anderen  Fällen,  bei  Aufgaben  mit  verwickelter 
Lösung,  hat  er  den  Gang  dieser  Lösung  kurz  und  allgemein 
wiederholt.  Noch  einer  anderen  wichtigen  Zugabe  ist  dann  Er^ 
wähnung  zu  thun.  Gehörigen  Ortes  giebt  uns  nämlich  der  Verf. 
neben  den  Anmerkungen  von  Bachet  die  Zusätze  und  Bemerkungen, 
die  ehedem  Paul  Fermat  an  den  Rand  seines  Exemplares  von 
Bachets  üiophantausgabe  geschrieben,  und  die  1670  in  einer  neuen, 
durch  Fermats  Sohn  besorgten,  Ausgabe  erstmals  ihren  Abdruck 
fanden.  Diese  Zusätze  des  Toulouser  Ratsherrn  gewähren  uns 
einen  Blick  in  den  zauberhaften  Morgenglanz  der  Zahlentheorie; 
es  sind  Dokumente  von  unvergänglichem  Werte  für  die  zahlen- 
theoretische Wissenschaft  und  Forschung. 

Die  Schrift  über  die  Polygonalzahlen  fafst  20  Seiten.  Dio- 
phant beweist  unter  Zuhulfenahme  von  Strecken  auf  umständ- 
lichem Wege  einige  Eigenschaften,  die  sich  bei  Übertragung  in 
die  algebraische  Zeichensprache  in  wenigen  Zeilen  erledigen  lassen. 
Um  das  Studium  der  Abhandlung  genufsreicher  zu  machen,  be- 
handelt der  Herausgeber  in  einem  ersten  Anhange  die  figurierten 
Zahlen  vermittelst  der  Lehre  von  den  Binomialkoeffizienlen.  —  Ein 
zweiter  Anhang  bringt  Lagranges  Beweis,  dafs  sich  jede  ganze 
Zahl  als  Summe  von  höchstens  vier  Quadratzahlen  darstellen  lasse. 
Der  letzte  Anhang  bietet  das  Rinderproblem  des  Archimedes  und 
die  arithmetischen  Epigramme  der  griechischen  Anthologie,  in 
deren  einem  („Hier  dies  Grabmal  .  .  .'')  alles  enthalten  ist,  was 
wir  über  Diophants  persönliche  Verhältnisse  wissen. 

In  dem  gleichen  Verlage  wie  die  vorliegende  Verdeutschung 
des  Diophant  ist  vor  kurzem  der  erste  Band  einer  neuen  Ausgabe 
des  griechischen  Originals  (Diophanti  Alexandrini  Opera  omnia. 
Edidit  et  latine  interpretatus  est  Paulus  Tannery.  Vol.  1) 
erschienen. 

2)  F.  J.  BroekmaDD,  Lehrbuch  der  elementareo  Geometrie.  Für 
Gymnasien  and  Realscholen.  Zweiter  Teil:  Die  Stereometrie. 
Zweite,  revidierte  Auflage.  Mit  84  Figuren  in  Holzschnitt.  Leipzig 
1892,  B.  G.  Tenboer.     8.     VIII  u.  144  S.    geb.  1,80  M. 

Der  Inhalt  dieses  Buches  geht  an  einzelnen  Stellen  über  das 
übliche  Pensum  hinaus.  So  werden  die  Poinsotschen  Stern- 
polyeder abgeleitet  und  beschrieben,  und  man  mufs  zugeben,  dafs 
die  Behandlung  dieser  Körper  ohne  besondere  Figuren,  nur  unter 
Zugrundelegung  des  Bildes  der  Kernform,  eine  nützliche,  das 
räumliche  Anschauungsvermögen  fördernde  Übung  bildet.  Bei  der 
Körperberechnung  wird  auch  die  Guldinsche  Regel  für  mehrere 
wichtige  Sonderfälle  hergeleitet,  ferner  die  Kubatur  des  Prismen- 
stumpfes nicht  übergangen. 


angez,  von  A.  Brnmerich.  219 

Die  Gliederung  des  StofTes  und  die  Anordnung  der  Sätze 
innerhalb  der  einzelnen  Kapitel  halten  wir  für  angemessen.  Nur 
wünschten  wir  die  Definition  des  Senkrechtstehens  einer  Geraden 
auf  einer  Ebene  hinter  den  bekannten  Lehrsatz  1  gestellt  und 
temer  in  der  Einleitung  zu  diesem  Satze  den  Anschauungssatz 
gestrichen:  ,, Dreht  sich  ein  rechter  Winkel  um  den  einen  Schenkel, 
so  beschreibt  der  andere  Schenkel  eine  Ebene'';  denn  sonst  hat 
der  Lehrsalz  2 :  ,,Steht  eine  Gerade  zugleich  auf  dreien  anderen 
io  ihrem  gemeinschaftlichen  Durchschnitte  senkrecht,  so  liegen 
diese  in  einer  Ebene''  keine  Berechtigung. 

Die  Darstellung  des  Lehrstoffes  ist  klar  und  hinreichend  um- 
finglich.  In  den  ersten  Kapiteln  wird  mehrfach  auf  die  Plani- 
metrie des  Verf.  (3.  Aufl.  1887)  verwiesen.  Zu  den  methodischen 
Eigenlumiichkeiten  des  Buches  gehört,  dafs  der  Winkel  zweier 
Windschiefen  nicht  nur  eingeführt,  sondern  auch  benutzt  wird; 
ferner,  dafs  vor  falschen  Umkehrungen  gewarnt  wird.  Mängel  im 
Ausdruck  sind  uns  nur  in  geringer  Zahl  aufgefallen,  z.  B.:  Zwei 
Gerade  bilden  eine  Ebene;  „Ergänzung"  eines  Obelisken  als  Be- 
zeichnung einer  Fläche  ist  wohl  nicht  angängig. 

Die  im  letzten  Abschnitte  auf  44  Seiten  zusammengestellten 
(366)  Übungssätze  und  Aufgaben  sind  nach  den  einzelnen  Kapiteln 
geordnet  und  eignen  sich  zur  Bearbeitung  in  den  obersten  Klassen. 
Vielfach  sind  Resultate  oder  Andeutungen  zur  Lösung  beigegeben; 
hier  und  da  wird  auch  die  Lösung  ausführlich  mitgeteilt, 
z.  B.  bei  der  Berechnung  der  Um-  und  Inkugeln  der  regulären 
Polyeder. 

Der  Druck  ist  sehr  deutlich  und  korrekt,  nur  zwei  Druck- 
fehler (S.  3  Z.  8,  S.  71  Z.  21)  sind  uns  vorgekommen. 

Ref.  trägt  kein  Bedenken,  das  Buch  zum  Gebrauche  in  der 
Prima  unserer  höheren  Lehranstalten  zu  empfehlen. 

3)  H.  Servas,  Ausführliches  Lehrbuch  der  Stereometrie  and 
sphärischeo  Trigoa ometrie.  Zam  Gebrauch  an  höheren  Lehr- 
aasUlten  und  zum  Selbststudium.  Mit  zahlreichen  Figuren  im  Texte. 
In  2  Teilen.  I.  Teil:  Von  der  Lage  der  Linien  und  Ebenen  im  Räume. 
Von  den  körperlichen  Ecken,  II.  Teil:  Prisma,  Parallelepipedon,  Pyra- 
mide, Kegel,  Cylinder  und  Kugel.  Von  den  regulären  Körpern  und 
Polyedern  (sie!).  Die  sphärische  Trigonometrie.  Leipzig  1891, 
B.  6.  Teubner.    48  u    144  S.     8.    geb.  0,80  u.  2  M. 

Die  Zweiteilung  dieses  „ausführlichen  Lehrbuches"  beruht  auf 
der  in  den  neuen  Lehrplänen  abgelehnten  Auffassung,  dafs  sich 
die  Beziehungen  zwischen  Punkten,  Geraden  und  Ebenen,  in- 
sonderheit die  Lehrsätze  von  der  körperlichen  Ecke  als  Lehrstoff 
far  den  Anfangsunterricht  in  der  Stereometrie  empfehlen.  Wenn 
Terf.  sich  im  Vorworte  zu  der  seltsamen  Äufserung  versteigt: 
^Darum  fort  mit  den  reinen  VerstandesbegrifTen  aus  den  mittleren 
liassen,  man  setze  die  Anschauung  dafür  und  man  wird  mit  den 
beslen  Erfolgen  belohnt  werden",  so  sollte  man  erwarten,  dafs  er 
QiM,  wenigstens  im  ersten  Teile,  mit  einer  Vorschule  der  Stereo- 


220       Servus,  Lehrbuch  der  Stereometrie,  agz.  v.  fimmerich. 

nietrie  beschenken  will,  die  sich  als  wesentlicher  Hulbmittel  des 
Zeichnens  und  der  Modelle  bedient.  Aber  gerade  im  Gegenteil, 
er  scheucht  uns  tief  in  die  Abstraktion,  erwähnt  keine  Modelle, 
giebt  keine  Übungsaufgaben,  zeigt  uns  nicht  im  mindesten,  wie 
räumliche  Gebilde  durch  Zeichnungen  in  der  Ebene  dargestellt 
werden,  und  verfährt  im  übrigen,  von  Einzelheiten  abgesehen,  ganz 
nach  der  Methode  bewährter  Vorgänger.  Die  auf  dem  Titel  be- 
tonte Ausführlichkeit  bezieht  sich  im  Vergleich  mit  unseren  gang- 
baren  Leitfäden  viel  weniger  auf  Reichhaltigkeit  des  Inhalts  als 
auf  i.  a.  vollständig  ausgeführte  Beweise.  Vielfach  wird  ein  vorher 
angegebener  und  bewiesener  Satz  bei  der  Anwendung  seinem 
vollen  Wortlaute  nach  wiederholt;  dann  müfste  wenigstens  auch 
noch  der  Paragraph  angegeben  werden,  wo  der  Satz  gedruckt 
steht,  um  keine  wesentliche  Verschlechterung  im  Vergleich  zu  der 
üblichen  Darstellungsweise  zu  erzielen.  Unvorteilhaft  ist  ferner 
eine  Ausführlichkeit,  die  in  den  Beweis  Bemerkungen  verwebt, 
die  seinen  Gang  hemmen.  Pleonasmen,  wie:  „Die  Neigungs- 
winkel der  von  einem  Punkte  nach  einer  Ebene  gezogenen  Linien 
sind  um  so  gröfser,  je  .  .  .,  sie  sind  um  so  kleiner,  je  .  .  .;  wir 
setzen  voraus,  dafs  x  von  a  bis  b  stets  zunimmt,  aber  von  b  bis 
a  stets  abnimmt;  eine  Funktion,  welche  nur  den  2.  Grad  erreicht, 
nicht  aber  den  3.  übersteigt",  darf  man  m.  E.  auch  im  münd- 
lichen Unterrichte  nicht  zulassen. 

Was  die  Einteilung  des  Buches  anbelangt,  so  fallt  uns  auf, 
dafs  der  Stoff  zu  wenig  und  nach  den  Überschriften  im  Texte 
meist  fehlerhaft  gegliedert  ist,  doch  wollen  wir  den  Leser  mit 
einer  Aufzählung  dieser  Mängel  nicht  behelligen  sondern  statt 
dessen  einige  Eigentümlichkeiten  des  Inhaltes  erörtern.  Mit  grofser 
Weitschweifigkeit  wird  auf  7  Seiten  die  Kubatur  der  Kugel  und 
Kugelteile  traktiert,  nachdem  die  Oberflächenberechnung  schon  er- 
ledigt ist.  Mitten  eingeflochten  zwischen  Pyramide  und  Cylinder 
findet  sich  die  Simpsonsche  Regel,  die  dann  aber  nur  auf  die 
elementaren,  auch  auf  anderem  Wege  berechneten  Körper  ange- 
wandt wird.  Bei  der  Berechnung  des  Mittelschnitts  des  Pyramiden- 
stumpfes  zieht  Verf.  die  Höhe  herbei  und  kommt  daher  nur  durch 
höchst  umständliche  Rechnung  zum  Ziel.  Wenn  einmal  die 
Simpsonsche  Regel  gelehrt  wird,  so  sollte  auch  ihre  Anwendung 
auf  solche  Körper  gezeigt  werden,  die  sich  nach  den  elementaren 
Methoden  nicht  berechnen  lassen,  z.  B.  auf  das  Sphäroid  und  das 
Rotationsparaboloid.  Und  auf  Anwendungen  wäre  dann  der  Nach- 
druck zu  legen,  z.  B.  auf  die  Bestimmung  des  Erdvolumens  oder 
auf  den  schönen  Satz,  dafs  eine  in  einem  cylindrischen  Gefäfse 
um  dessen  Achse  rotierende  Flüssigkeit  ebenso  viel  in  die  Höhe 
steigt,  wie  sie  sich  unter  den  ursprünglichen  Spiegel  senkt. 
Leichter  zu  beweisen  und  praktisch  wichtiger  als  die  genannte 
Regel  sind  freilich  die  Pappus-Guldinschen  Sätze,  von  denen  sich 
in  dem  ausführlichen  Lehrbuche   ebenso  wie  vom  Prismenstumpf 


Handel,  Regelschoittslehre,  angos.  von  M.  Simon.         22t 

nichts  findet.  —  Unter  der  Hauptüberschrift:  Allgemeines  über 
die  Polyeder  steht  30  Seiten  später:  Elementare  Theorie  der 
Maxiroa  und  Minima.  Hier  wird  auf  12  Seiten  eine  Aufgabe  vom 
Kegel  abgehandelt,  die  unglücklich  gewählt  ist,  da  sie  aus  zwei 
Teilen  besteht,  die  nichts  miteinander  zu  thun  haben.  Der  Ab- 
schnitt: Sphärische  Trigonometrie  kann  für  die  Zwecke  unserer 
höheren  Schulen  schwerlich  in  Betracht  kommen,  da  des  recht- 
winkligen Dreiecks  erst  nachträglich  gedacht  und  möglichst  direkt 
auf  die  Herleitung  der  allgemeinsten  eleganten  Formeln  losge- 
steuert wird. 

Bedenkliche  Konfusionen  ergaben  sich  bei  der  Durchsicht  des 
ersten  Teils.  So  wird  der  Satz:  „Steht  eine  Gerade  auf  zwei 
Ebenen  senkrecht,  so  sind  diese  parallel**  beim  Beweise  des  Satzes 
}  17,  2  als  selbstverständlich  benutzt,  im  §  32  aufgestellt  und 
richtig  bewiesen;  im  §  34  wird  dann  §  17,  2  in  anderen  Worten 
ausgesprochen  und  §  17,2  (ohne  Verweisung)  als  Grund  angeführt. 
Eine  Behauptung  im  §  10  wird  im  §  40  wieder  aufgestellt  und  erst 
hier  bewiesen.  Der  Satz  im  §  12  entbehrt  jeder  Andeutung  des  Be- 
weises, wird  aber  im  §  39  wieder  aufgetischt  und  unklar  bewiesen. 

Nachlässigkeiten  im  Ausdruck  finden  sich  vielfach,  z.  ß.:  eine 
Ebene  verlängern,  die  kürzeste  Verbindungslinie  der  Punkte  einer 
Ebene  mit  einem  äufseren  Punkte,  ein  Punkt  innerhalb  zweier 
sich  schneidender  Ebenen  u.  s.  w. 

Ein  Vergleich  mit  unseren  verbreiteten  Leitfäden  der  Stereo- 
metrie fallt  zu  Ungunsten  der  Vorlage  aus. 

Mulheim  a.  d.  Ruhr.  A.  Emmerich. 


1)  Haadel,   Elementar  ^  synthetische    Kegelschnittslehre.     Zorn 

Gebraoch  an  höheren  Lehranstalten  bearbeitet.  Mit  60  in  den  Text 
gedruckten  Figaren.  Berlin  1893,  Weidinanusche  BuchhandluDg.  IV 
Q.  91  S.     S.     1,40  M. 

2)  J.  Lange,    Synthetische   Geometrie    der    Kegelschnitte    nebst 

Obangsanfgaben  für  die  Prima  höherer  Lehranstalten.  Mit  55  Figuren 
im  Text.     Berlin  1893,  H.  W.  Möller.     II  u.  68  S.     8.     1,20  M. 

In  Bertrams  vorzuglichem  Artikel  „  Mathematik '%  in  der 
zweiten  Auflage  von  Schmids  Encyklopädie,  findet  sich  die  Stelle: 
.^Dals  Ton  den  Resultaten  mathematischen  Denkens  eine  wenn 
auch  langsame  doch  stetig  wachsende  Zahl  den  Charakter  der 
Elemente  annimmt,  die  das  Leben  der  Kulturvölker  so  durch- 
dringen, dafs  ein  ihrer  Unkundiger  wie  ein  PVemdling  im  eigenen 
Lande  erscheinen  wurde''.  Am  Schlüsse  tritt  dann  Bertram  warm 
für  die  Aufnahme  der  Kegelschnitte  in  jenen  Kreis  der  Elemen- 
taren ein.  Von  Desargues  und  Pascal  an  läfst  sich  die  Arbeit 
verfolgen,  die  Lehre  von  den  Kegelschnitten  zusammenfassender 
und  damit  einfacher  zu  gestalten,  bis  Poncelet  in  der  Projection, 
Steiner  in  der  Projectivität  Methoden  schufen,    die  Eigenschaften 


222     Lange,  Synthetische  Geometrie  der  Kegelschnitte, 

des  Kreises  auf  die  Kegelschnitte   zu  übertragen.     Steiners  Lieb- 
lingsbeschäftigung war  es  geradezu,  jene  elementarisch  zu  behan- 
deln.  Wenn  ich  nicht  irre,  war  die  Vorlesung,  welche  das  Problem, 
die  Kegelschnitte  mit  den  Mitteln  der  Schule  zu  bewältigen,  end- 
giltig  löste,    die  letzte  des    gröfsten    deutschen  Geometers:   „Die 
wesentlichen    Eigenschaften    der    Kegelschnitte ,    synthetisch    und 
elementarisch    entwickelt.     Mich.  1860— Ost.  186^^     Ihr    Inhalt 
wurde,  erweitert  von  Geiser,    1867   veröffentlicht  (Jacob  Steiners 
Vorles.  ober  synth.  Geom.    Teil  1).     Seit  der  Zeit  hat  die  Arbeit 
der  direkten  und  indirekten  Schüler  Steiners  nicht  geruht.     Ret 
veröflentlicbte  1878  eine  Monographie  über  die  Parabel,  in  welcher 
das  Mafs  der  benutzten  Sätze  nicht  über  die  Obertertia  des  Gym- 
nasiums hinausging,    und  in  welcher  zum   ersten  Male    die   har- 
monischen Eigenschaften   eines  Kegelschnittes  ganz   direkt,    ohne 
Übertragung   vom  Kreise   abgeleitet  wurden.     Die  kleine  Schrift, 
viel  benutzt  und  wenig  citiert,  war  eine  Gelegenheitsschrift,  welche 
in  sechs  Wochen  fertig  gestellt  werden  mufste,  sie  enthielt  Pascal 
und  Brianchon  nicht.     Diese  Lücke   fällte  Milinowski  aus,    jener 
hervorragende  Schüler   Steiners,    der    der   Wissenschaft    so    früh 
entrissen    wurde    (Die   Kegelschnitte,    behandelt   für    die    oberen 
Klassen  höherer  Lehranstalten  von  M.  Simon  und  A.  Milinowski, 
zweite  Abteilung:    Ellipse   und  Hyperbel,    Berlin,   Calvary,  1879). 
Er  bediente  sich  der  schon  von  Möbius  gebrauchten  harmonischen 
Verwandtschaft,    was  um  so  mehr  zu  rechtfertigen,    als  die  har- 
monische Teilung  längst  in  den  Gymnasien  Aufnahme  gefunden 
hat.     Ich  möchte  auf  jene  Schrift  Milinowskis  nachdrücklich  hin- 
weisen.    Seit  jener  Zeit  folgen  sich  die  Bemühungen   und    haben 
jetzt  einen  abschliefsenden  Erfolg  insofern  erzielt,   als  der  neue 
preufsische  Lehrplan  die  Kegelschnitte  allen  neunstufigen  höheren 
Lehranstalten  vorschreibt.     Es  liegen  dem  Ref.   gleichzeitig   zwei 
Arbeiten   vor,    welche  sich  das  Ziel  setzen,    die  Kegelschnitte  in 
Rücksicht  auf  jenen  Lehrplan  synthetisch  und   elementar    zu   be- 
handeln.    Was  nun  die  Arbeit  von  Dr.  Handel  betrifft,    so  zeigt 
sie  gegenüber  den   genannten  Schriften  in  einer  Hinsicht   einen 
entschiedenen  Fortschritt.    Sie  enthält,  nicht  sowohl  in  dem  Satz, 
dafs  der  Schnittpunkt  zweier  Tangenten   von    den  Brennstrahlen 
der  Berührungspunkte   gleichen  Abstand  hat,    wohl  aber   in  der 
Anwendung  dieses  Satzes  zur  direkten  Ableitung  der  harmonischen 
Eigenschaften    eine    eigene    wissenschaftliche  Leistung   des   Verf. 
Die  Ableitungen  sind  überhaupt  fast  sämtlich   einfach   und    klar, 
die  Darstellung,  wie  es  sich  gehört,    entwickelnd,    der  Gang    ein 
ruhiger,  da  eine  Kurve  nach  der  andern  in  ihrer  Gestalt  und  mit 
ihren  Eigenschaften  dem  Schüler  sich  zu  eigen  giebt.     Der  Verf. 
beginnt  mit  der  Parabel,    die  Behandlung  hat  den  Ref.    sehr  an 
seine  Jugendarbeit  erinnert,  wie  auch  die  Aufgaben  über  die  Pa- 
rabel sich  dort  vorfinden,  nur  dafs  dort  auch  noch  der  Menelaos 
als  zu  kompliziert  vermieden  und  manches  wie  der  Beweis,  dafs 


•  Dgez.  von  M.  Simoo.  223 

die  Parabel  Kurve  zweiten  Grades  ist,  noch  einfacher  gezeigt 
worden  ist  Auch  die  sehr  zweckmäfsige  Unterordnung  des  Aut- 
gabenmaterials  unter  die  einzelnen  Paragraphen  ist  dieser  Schrift 
mit  jener  gemeinsam.  Das  Aufgabenmateriai  (402)  ist  reichlich, 
die  Auswahl  wohlgelungen.  Ellipse  und  Hyberbel  werden  zu- 
nächst durch  die  Konstanz  der  Summe  bezw.  Differenz  der  Ab- 
stände von  den  Brennpunkten  definierU  Wenn  man,  wie  Ref. 
billigt,  von  der  Parabel  ausgeht,  so  ist  es  richtiger,  von  Leitlinie 
und  Brennpunkt  auszugehen,  weil  dadurch  die  Verwandtschaft  der 
Kurven  von  vorn  herein  klargestellt  wird.  Die  Ellipse  wird  am 
einfachsten  als  Zusammendruckung  des  Kreises  behandelt,  wie  dies, 
wenn  ich  nicht  irre,  vor  etwa  39  Jahren  in  Grunerts  Archiv 
geschehen  ist.  Zum  Beweis  des  Pascal  hat  sich  der  Verf.  leider 
veranlafst  gesehen,  die  Projectionsmethode  zu  benutzen,  damit 
zerstört  er  den  Vorzug  seiner  Behandlung  der  harmonischen  Eigen- 
schaften gröfstenteils;  Verf.  mufsle  hier  durchaus  den  Weg  Mili- 
nowskis  einschlagen  oder,  was  noch  weit  vorzüglicher,  den  Pascal 
direkt  ableiten.  Dabei  wäre  vom  Viereck  auszugehen,  denn  der 
Satz :  , Jn  dem  einem  Kegelschnitt  eingeschriebenen  und  dem  zu- 
gehörigen umgeschriebenen  Vierecke  schneiden  sich  die  Diagonalen 
im  selben  Punkte*'  ist  eine  einfache  Folge  der  harmonischen 
Eigenschaften.  Hoffentlich  nimmt  der  Verf.  in  einer  zweiten  Auf- 
age  der  empfehlenswerten  Schrift  Gelegenheit,  diese  Änderung  zu 
bewirken.  —  Die  Arbeit  des  Herrn  Dr.  Lange  hält  sich  eng  an 
die  von  Geiser,  die  Vorrede  ruft  die  Autorität  Steiners  an,  um 
damit  zu  rechtfertigen,  dafs  am  Schlüsse  in  den  §§12  und  13  die 
projecti vischen  und  involutorischen  Beziehungen  entwickelt  sind. 
Nun  mufs  man  zugeben,  dafs  diese  Entwickelungen  keineswegs  über 
das  Pensum  der  Oberrealschule  hinausgehen.  Die  projectivische 
Beziehung  giebt  die  im  Grunde  einfachste  Erzeugung  der  Kegel- 
schnitte, sie  liefert  Pascal  und  Brianchon  unmittelbar  aus  der 
Definition,  und  darin  besieht  ihr  Vorzug  vor  jeder  andern.  Sie 
am  Schlüsse,  nachdem  die  harmonischen  Eigenschaften  und  der 
Pascal  durch  die  geistlose  und  nicht  plani metrische  Projections- 
methode abgeleitet  sind,  hinten  anzuhängen,  hätte  niemand  mehr 
verurteilt  als  Steiner.  Unpraktisch  ist  es,  dafs  wie  bei  Geiser, 
der  aber  für  Studenten  schrieb,  die  Kegelschnitte  nebeneinander 
behandelt  sind,  dadurch  kommt  eine  Unruhe  hinein,  welche 
schädlich  ist.  Die  Darstellung  ist  nicht  entwickelnd  und  nicht 
durchsichtig  genug,  es  schneit  gelegentlich  im  §  38  ein  ganzes 
Stock  analytischer  Geometrie  hinein,  §  90  sogar  einige  Flächen 
zweiter  Ordnung,  deren  Volumina  bestimmt  werden.  Die  Inhalts- 
bestimmung ist  unelegant,  die  der  Hyperbel  stellt  an  Gedächtnis 
und  Zeit  der  Schüler  viel  zu  hohe  Ansprüche  und  gehört  nicht 
auf  die  Schule.  Das  Aufgabematerial  (250)  ist  ausreichend,  aber 
nicht  geordnet,  und  vielfach  zu  schwierig.  Die  Figuren,  welche 
in  der  ersten  Schrift  ausgezeichnet  deutlich  sind,  sind  in  viel  zu 


224 


Beweis  des  Pasctl,  von  M.  Simoo. 


kleinem  Mafsstabe  und  erscheinen  daher  oft  überladen,  ich  er- 
wähne aufser  der  Titelvignelte  Nr.  13  noch:  8,  9,  20,  27,  30,  31, 
32,  49.  Der  Vergleich  fällt  ohne  Zweifel  zu  Gunsten  der  Arbeit 
des  Herrn  Handel  aus,  welche  auch  für  das  Gymnasium  recht 
brauchbar  ist. 

Elementarer  und  direkter  Beweis  des  Pascal. 

Dieser  Beweis,  das  letzte  Glied  in  der  Kette  der  „Elementa- 
risierung'' der  Kegelschnitte,  ist  gefuhrt,  sobald  man  zeigen  kann, 
dafs  die  Potenz  eines  Punktes  P  auf  einer  Sehne  s  einer  Kurve  K 
die  Form  annnimmt:  Pgz=q>(P)  .f(8),  wo  (p  nur  von  Pund  f  nur 
von  8  abhängt.  [Multipliziert  man  die  3  Gleichungen  des  Meneiaos, 
so  kommt  auf  jeder  Seite  jede  der  drei  zusammenhängenden 
Sehnen  und  jeder  der  drei  Eckpunkte  ihres  Dreiecks  vor.]  Der 
Satz  selbst  findet  sich  Salmon- Fiedler  110;  hier  sein  elementarer 
Beweis : 

1.  Parabel  (Fig.  1).     Sei  AB  eine  Sehne  S,    P  ein  Punkt 

auf  ihr,  0  die  Mitte  von  AB,  Q 
der  zu  P  conjugierte  vierte  har- 
monische auf  S,  C  der  Pol  von 
AB,  CQ  also  die  Polare  von  P, 
D  der  harmonische  Pol  von  P,  DP 
und  CO  also  Durchmesser,  AO=-s. 
Es  ist  ganz  allgemein:  Pg=OP'PQ 
und   s'^OP'OQ,    somit   P,= 


^-^s^CO=DP.^-. 


Da 


DP  nur  von  P  abhängt  und  s* :  CO 
(=p*  dem  Parameter  des  Durchmesser  CO)  nur  von  S,  so  ist 
der  Satz  bewiesen. 

2.  Ellipse  und  Hyperbel   (Fig.  2).     DP   und    CO  sind 

nicht  mehr  parallel,  sondern  schnei- 
den sich  in  M,  dem  Centrum  der 
Kurve. 


Es  ist '^= 
sin<f 

Pg  =  PM  DP 


OP      PQ       «WITT      , 

I  —  •    — -=^=s .  also 

PM'    DP     sin»' 

stnjt    sin  u  ,  ^ 

-T—  •  -7—5 ;  ^  und  (T 
sm  (X    sin& 


sind  Winkel  zwischen  conjugierten 
Durchmessern,  von  denen  n  nur  von 
P,  er  nur  von  S  abhängt,  /u  und  & 
sind  ein  Paar  conjugierter  Winkel, 
^  d.  h.  Winkel    zwischen    zwei  Durch- 

Fig-  2.  messern  und  deren  conjugierten.    Sei 

der  Halbmesser,    auf   dem    OM   liegt,    b^    sein   conjugierter; 


BresVielkU.Roepert,  Bilder  a.  d.  Tierreiche,  ag^z.  v.  Paeprer.     225 

c'  der  auf  PMy  d}  sein  Partner,  so  ist  wegen  der  Fläcliengleich- 
heit  der  Dreiecke  -r-S=-r-T  w.  z.  b.  w.  (Wegen  der  Konstanz 

der  amgeschriebenen  Parallelogramme  ist:  Jtn7r=-Y-T^,  nn^  = 

^„  also  P,=P,^  .  6,« :  c,«). 

SraTsbarg  i.E.  Max  Simon. 


W.  Breslich  u,  0.  Koepert,  Bilder  ans  dem  Tier-  und  Pflanzeo- 
r eiche.  PSr  Schole  und  Haus  bearbeitet.  Heft  II.  Vögel,  Rep- 
tilieo,  Amphibien,  Fische.  AUeoborg  1893,  Stephan  Geibel. 
IV  D.  244  S.  8.    3  M,  geb.  3,80  Bf. 

Das  vorliegende  zweite  Heft  umfafst  37  Bilder  gegen  33  des 
ersten,  und  zwar  häußger  Schilderungen  ganzer  Gruppen  verwandter 
Tiere.  Der  gröfsere  Teil  des  Buches  handelt  von  den  Vögeln, 
denen  ja  auch  im  Unterrichte  eine  eingehendere  Berücksichtigung 
zuteil  wird.  Die  Auswahl  des  Stoffes,  die  Sammlung  des  Materials, 
die  Darstellung  sind  ebenso  wie  im  ersten  Hefte  wohl  gelungen. 
Wieder  sind  nur  wenige  Bemerkungen  zu  machen.  Nicht  das 
Herz,  sondern  die  Leber  frifst  der  Adler  dem  Prometheus  ab. 
Dafi»  der  Storch  auch  Regenwurmer  vertilgt,  kann  ihm  nicht  als 
Nntzenstiflen  angerechnet  werden.  S.  164  wird  angegeben,  dals 
die  Oberhaut  über  den  Augen  der  Schlangen  sich  nicht  mit 
häutet.  „Nicht^^  ist  zu  streichen,  wie  auch  aus  den  folgenden 
Zeilen  hervorgeht.  Ob  die  Frösche  überhaupt  gröfsere  Fische  zu 
verletzen  im  stände  sind,  ist  zweifelhaft;  unmöglich  aber  können 
sie  denselben  die  Augen  auskratzen,  da  ihnen  die  Krallen  fehlen. 
Zu  ändern  ist  S.  126  ,,Wie  alle  Schwimmvögel,  so  ist  auch  das 
Gefieder  der  Wildente  dicht  und  fest  anliegend^*.  „Die  Amphibie'* 
för  „das  Amphibium'*  durfte  nicht  anerkannt  werden. 

Wie  das  erste  Heft,  das  sich  inzwischen  im  Gebrauche  wohl 
bewährt  hat,  wird  auch  das  zweite  dem  Lehrer  die  Vorbereitung 
oft  erleichtern,  dem  Schüler  passenden  Stoff  zu  Wiederholungen 
und  zu  eigenem  Studium  darbieten.  £s  ist  in  gleicher  Weise 
wie  das  erste  warm  zu  empfehlen.  Möge  der  zweite  Teil  bald 
nadifolgen. 

Seehausen  i.  d.  Altmark.  M.  Paeprer. 


P.  Wossidio,  Anfangsgründe  der  Mineralogie  für  Gymnasien, 
Real-  und  höhere  Bürgerschulen.  Mit  373  in  den  Text  gedruckten 
Abbildungen.  Berlin  1892,  Weidmannsche  Buchhandlung.  111  S.  8. 
geb.  1,80  M. 

Diese  „Anfangsgrunde*'  zeichnen  sich  ebenso  wie  die  andern, 
bereits  in    dieser  Zeitschrift   angezeigten  naturwissenschaftlichen 

ZsiiNkrill  L  d.  GTmnMialweten  XLVIIL  S.  8.  15 


226     Wossidlo,  Anftog^sg^r.  d.  Mineralogie,  agz.  v.  TraumüUer. 

Schulbücher  desselben  Verfassers  durch  eine  klare  und  elemen- 
tare Darstellungsweise  vorteilhaft  vor  ähnlichen  Büchern  aus.  Die 
Krystallographie  ist  nur  insoweit  behandelt,  als  sie  für  das  Ver- 
ständnis des  gesetzmäfsigen  Baues  der  Mineral-Individuen  unent- 
behrlich ist.  An  etwa  20  Mineralien  werden  die  wichtigsten 
mineralogischen  Grundbegriffe,  insbesondere  aber  die  Elemente 
der  Krystallographie  entwickelt  und  im  zweiten  Abschnitt  über- 
sichtlich zusammengestellt..  Auf  etwa  40  Seiten  giebt  der  Ver- 
fasser einen  mit  vielen  schönen  und  charakteristischen  Figuren 
geschmückten  Abrifs  der  Geologie.  Der  Verleger  hat  das  kleine 
Buch  vortrefflich  ausgestattet. 

Leipzig.  F.  Traumüller. 


DRITTE  ABTEILUNG. 


BERICHTE  ÜBER  VERSAMMLUNGEN,  NEKROLOGE, 

MISCELLEN. 


Zar  Seminarfrage. 

Die  Oberscbrift  ist  oatürlich  nicht  so  za  versteheo,  als  ob  die  Existenz 
eines  Seminars  für  höhere  Schalen  noch  in  Frage  zo  stellen  wäre,  oder  als 
•b  die  Absicht  sei,  in  einer  Kontroverse  über  das  Seminar  das  Wort  zu 
ergreifen.  Heines  Wissens  hat  bisher  über  das  Seminar,  abgesehen  von 
eiaigen  sachlichen  Berichten  aas  ihm,  noch  wenig  verlautet.  Und  das  scheint 
jedenfalls  das  Richtige.  Das  Werdende  soll  heimlich  wachsen  und  unge- 
stört KraAe  sammeln  zur  Reife:  es  vertragt  keine  rauhe  Berührung,  keine 
scharfe  Beleuchtung,  keine  bohrende  Kritik.  Darum  wäre  der  Einwand  nicht 
ohne  Grund,  die  bisherige  Erfahrung  reiche  nicht  bin,  schon  jetzt  Mifs- 
i&üde  aufzuzeigen ,  Neuerungen  anzuregen  und  die  kaum  Wurzel  fassende 
Pflanxe  in  ihrer  Bntwickelung  anzukrankeln.  Sollte  das  Folgende  mein  Be- 
giaaeo  nicht  rechtfertigen  durch  den  Nachweis,  dafs  eben  der  Boden,  auf  dem 
das  Seminar  gestellt  ist,  seinem  Gedeihen  wenig  günstig  und  daher  eine  Ver- 
^fUazung  auf  anderen,  besseren  Boden  notwendig  sei,  kurz  dafs  diese  Ein- 
richtunfT  fundamentaler  Wandlung  bedürfe,  um  ihren  Zweck  ganz  zu  genügen, 
so  wurde  der  Vorwurf  der  Voreiligkeit  allerdings  auf  mir  sitzen  bleiben. 

Ein  Kandidat  des  ersten  Jahrganges  führte  sich  bei  mir  höchst  unbe- 
Cangen  mit  der  Bemerkung  ein,  das  neu  geplante  Seminar  sei  ja  doch  nur 
ein  tatgebornea  Kind:  so  habe  sich  auch  ein  hochgestellter  Schulmann  zu 
ihm  geänfsert.  In  der  That  begegnete  Einrichtung  und  Organisation  der 
Seminare  für  die  höheren  Schulen  bei  Lehrern  wie  Kandidaten  anfangs 
aiaigera  Hibtrauen.  Die  einen  wufsten  nicht  recht,  wie  das  Ding  anzufassen 
sei,  die  anderen  glaubten  durch  ihre  wissenschaftliche  Vorbildung  für  den 
Lehrberuf  hinlänglich  ausgerüstet  zu  sein.  Es  war  und  ist  auch  wohl  heute 
nach  das  bequeme  Vorurteil  rege,  dafs  die  philosophische  Vorschuluog,  die 
wiaaenschaltliehe  Methode  des  Studiums  und  die  Gelegenheit  und  Übung  des 
Unterrichts  hinreiche,  um  einen  brauchbaren  höheren  Lehrer  zu  erzeugen. 
Wir  machten  jedesmal  zu  Anfang  eines  neuen  Jahres  die  Erfahrung,  dafs 
die  jungen  Leute  trotz  aller  Kollegien,  die  sie  auf  der  Universität  über 
Pädagogik  gehört  hatten,  in  der  Regel  nicht  darauf  gefafst  waren,  in  der 
Scialmeisterei  eine  Kunst  zu  finden,  deren  Technik  mit  einiger  Selbst- 
iberwiaduag  und  Mühe  von  den  ersten  Anfängen  zu  erlern eu  sei.    Sie  waren 

15* 


228  Zar  Seminarfra  (^e, 

höchlich  verwundert,  dafs  von  ihnen  keine  Referate  aber  profunde  wi«B«n- 
schaftliche  Themata,  sondern  über  die  einfachsten  Schulfrag;en  verlang 
wurden.  Meist  währt  es  gerttume  Zeit  und  fordert  selbst  einigen  Druck 
heraus,  den  Kandidaten  eine  gewisse  akademische  Überhebnng  zn  nehmen, 
sie  in  die  kleinlich  scheinende  Praxis  unterzutauchen  und  Verständnis  ood 
Geschmack  für  die  persönliche  Darstellung  des  Lehrers  vor  der  unteren 
Klasse  zu  erwecken.  Zur  Eotschuldigaog  für  sie  mag  dienen,  dafs  kaum  io 
einem  anderen  Berufe  das  Vorstudium  mit  der  Praxis  io  so  entferntem  Zu- 
sammenhange steht. 

Ein  besonderer  Vorzug  der  Instruktion  besteht  darin,  dafs  sie  sich  mit 
allgemeinen  Direktiven  begnügt  and  den  betrauten  Lehrern  in  der  AusrdhroDg 
ziemlich  freien  Spielraum  läfst.  Freilich  wird  die  nächste  Folge  sein,  dafs 
die  Auflassung  der  „Ordnung*^  nicht  überall  dieselbe  ist  und  daher  die  Wege, 
um  ihr  nachzukommen,  gar  sehr  auseinandergehen.  Hier  lehnt  man  sich 
vielleicht  an  eines  der  gangbaren  Lehrbücher  der  Pädagogik  an  und  glaubt, 
mit  seiner  eingehenden  gemeinsamen  Lektüre,  illustriert  und  belegt  durch 
Muster-  und  Probelektionen,  der  Anleitung  eine  genügend  feste  und  breite 
Basis  zu  geben;  dort  versucht  der  Dirigent  aus  der  allmählich  gesteigerten 
und  umfangreicheren  Obung  heraus  die  methodischen  Grundlagen  in  der  Be- 
sprechung selbst  finden,  formulieren  uud  zusammenstellen  zu  lassen;  am 
dritten  Orte  endlich  wird  weniger  Wert  auf  die  Oberlieferung  eines  ge- 
schlossenen Systems  gelegt  als  auf  reichhaltige  Anschauung  und  intensive 
Obung,  auf  selbständig  erworbenes  Urteil  über  methodische  und  sachliche 
Fragen,  wobei  die  vorhandenen  Lehrbücher  mehr  zum  gelegentlichen  Nach- 
schlagen und  Vergleichen  dienen.  Anderswo  mag  das  Verfahren  ein  noch 
anderes  sein.  Diese  Freiheit,  die  den  Seminarlehrern  in  der  Ausführung  der 
Bestimmungen  beUssen  ist,  hat  nun  zwar  den  Nachteil,  dafs  die  Ausbildaog 
der  Kandidaten  sich  verschieden  gestaltet,  dafs  nicht  allenthalben  im  Durch- 
schnitt dieselben  Resultate  erreicht,  dieselben  Lehrpotenzen  ins  Probejahr 
und  weiterhin  ins  Amt  geschickt  werden.  Der  natürliche  Gang  der  Dingo 
wird  jedoch  durch  Abwägen,  Vergleichen,  Anlehnen  mehr  und  mehr  ein  einheit- 
liches Verfahren  herausbilden.  Dazu  wirken  auch  die  neueren  ministeriellen 
Verfügungen  mit,  wonach  die  Protokolle  der  Seminarverhandlungen  inner- 
halb  der  Provinz  ausgetauscht  und  die  Seminare  selbst  möglichst  lange  bei 
den  einmal  ausgewählten  Anstalten  verbleiben  sollen.  Die  erstere  Bestim- 
mung verbürgt  gegenseitige  Anregung,  Belehrung  und  Klärung,  die  zweite 
die  einer  reifenden  Erfahrung  notwendige  Stetigkeit. 

Anfangs  besorgte  man,  dafs  die  Seminare  aus  Kandidaten  derselben 
oder  doch  verwandter  Fakultäten  zusammengesetzt  sein  wurden.  Das  Ge- 
schäft der  Ausbildung  wäre  dadurch  ohne  Zweifel  erleichtert  worden,  aber 
zugleich  eine  verhängnisvolle  Einseitigkeit  grofs  gezogen.  Zum  Glück  bat 
sich  diese  Befürchtung  nicht  bestätigt:  soweit  die  Verhältnisse  es  gestatten 
und  mein  Wissen  reicht,  sind  im  Seminar  die  verschiedensten  „Lehr- 
berähigungen'^  vereinigt.  Die  angehenden  Lehrer  werden  sofort  gewöhnt, 
sich  in  der  Gemeinschaft  des  praktischen  Berufs  zusammen zuschliefsen,  statt 
nach  der  Verschiedenheit  der  speziellen  Fächer  auseinanderzugehen.  Sie 
lernen  den  Beitrag  anderer  Disziplinen  kennen  und  schätzen,  die  Bedeutung 
und  Aufgabe  der  eigenen  schärfer  erfassen,  sich  bescheiden,  gegenseitig 
stützen  und  in  die  Hände  arbeiten.    So  wird  die  rechte,  sozusagen  persönlich 


von  0.  Vogel.  229 

«■enogene  Konzentratioo  des  Unterrichts  angebahnt,  wirksamer  als  alle 
späteren  firwägnngen  nnd  Vorschlage  in  Konferenzen  und  Programmen.  Nicht 
Bor,  dafs  die  Kandidaten  im  Seminar  Urteil  and  Einblick  in  die  Ziele,  Zwecke 
ond  Leistungen  samtlicher,  anch  ^dnrch  Ihresgleichen  vertretenen  Fächer 
erhalten:  ganz  besonders  trägt  znr  pädagogischen  Erziehung  bei  die  An- 
regung, welche  sie  selber  unter  sich  in  freier  Aussprache,  in  ihren  durch 
keine  Autoritäten  gestörten  Auseinandersetzungen  und  Disputen  geben.  Es 
kann  wohl  sein,  dafs  sie  dabei  ebensoviel  lernen  als  ans  mancher  offiziellen 
»Besprechung*'. 

Nur  wer  die  Notwendigkeit  jeder  straffen  organisierten  praktischen 
Vorbildung  leugnet,  sei  es  von  dem  ideal  schillernden  Standpunkt  aus,  dafs 
die  freie  Lehrkunst  eben  selbst  nicht  gelehrt  werden  könne  —  „wer  Geist 
hat,  wird  Geist  wecken'*  — ,  oder  in  dem  selbstgefälligen  Bewofstsein,  dafs 
es  doch  früher  auch  ohne  das  sehr  gut  gegangen  sei,  wird  den  ungemeinen 
Vorzug  verkennen,  mit  dem  jetzt  die  jungen  Lehrer  vor  die  Klasse  treten. 
Sie  wissen  sich  zu  bewegen,  die  Schüler  anzufassen,  den  Lehrstoff  zurecht- 
zulegen und  dem  jeweiligen  Verständnis  anzupassen,  methodisch  Rat  zu 
finden  y  fordernde  Fragen  zu  stellen  und  auch  disziplinarisch  die  gröbsten 
Mifsgriffe  zu  vermeiden.  Natürlich  sind  und  bleiben  sie  vor  der  Hand  An- 
fänger, und  nichts  wäre  für  sie  geHihrlicher  als  die  Einbildung,  nach 
einem  Jahre  tastenden  Versnches  der  Sache  Meister  zu  sein,  eine  Einbildung, 
die  übrigens  die  rauhe  V^irklichkeit  ihnen  bald  benimmt.  Ein  weiterer  Vor- 
zug, den  die  „Ordnung**  allerdings  nicht  ausdrücklich  in  Aussicht  stellt, 
dessen  Mitgabe  aber  kein  Semioardirigent  versäumen  wird,  ist  die  Richtung 
auf  die  allgemeinen  ethischen  und  phychologischen  Grundlagen  der  Erziehung 
nad  des  Unterriehts,  in  denen  jedes  Fach  gleichmäfsig  seine  Voraussetzungen 
und  seine  Mittel  findet  nnd  in  die  es  mit  seinem  menschlich  bildenden  Er- 
folge wieder  einmunden  soll.  Das  noch  empfängliche  Gemüt  mit  seinen 
jugendlichen  Idealen  ist  hierfür  jungfräulicher  finden  und  das  praktisch  ge- 
weckte Interesse  die  beste  Schutzwehr  gegen  späteres  Philister-  und  Banausen- 
tuB,  auch  wenn  die  Erfahrung  manche  Illusion  zerstört.  lu  Summa:  wir 
älteren  Lehrer  können  die  jungen  Kollegen  nur  beneiden,  dafs  uns  auch  nicht 
annaherud  eine  solche  Anleitung  zuteil  geworden  ist.  Sie  hätte  uns  nnd 
anseren  Schülern  vieles  an  Zeit,  Ärger,  Mifserfolgen  und  üblen  Angewohn- 
heiten erspart 

Man  wird  den  bisherigen  Ausführungen  das  Zugeständnis  nicht  ver- 
sagen wollen,  dafs  sie  gern  und  unbefangen  alle  Vorteile  der  bestehenden 
Seminar  -  Einrichtung  aufzählen  nhd  anerkennen ,  und  ungeduldig  die  Frage 
stellen:  wenn  sich  die  Einrichtung  so  trefflich  bewährt  und  wirklich  alles 
leistet,  was  von  ihr  gerühmt  wird,  wo  fehlt's  da  noch?  wozu  und  wie  eine 
„faadamentale  Wandlung**  vornehmen? 

Jedenfalls  ist  mit  dem  Seminar,  sowie  es  ist,  ein  positiver  Anfang  ge- 
geben, der  die  treibende  Kraft  weiterer  Entwickeluog  in  sich  trägt.  Die 
Staatsbehörde  wird  selbst  nicht  der  Meinung  sein,  mit  dieser  überaus  dankens- 
werten uad  a  priori  wohlerwogenen  Organisation  das  endgültig  Richtige  ge- 
treffen  zu  haben.  Beginnen  wir  mit  den  Bedenken  oder  Ausstellungen,  welche 
weniger  ins  Gewicht  fallen  und  am  Ende  auch  unter  den  gegenwärtigen  Ver- 
haltaissen  beseitigt  werden  könnten. 

1.   Die  Instruktion   setzt  für  die  Kandidaten  ein  Vierteljahr  des  Hos- 


230  Zar  Semiuarfraf^e, 

pitierens  an,  ohoe  sie  zam  Uoterricht  zuzulassen.  Dieser  Zeitraum  der 
blofseo  Rezeptivität  ist  sicher  zu  laof^.  Erstlich  wirkt  das  An- 
hören selbst  der  interessantesten  Lektionen  auf  die  Dauer  abspannend  und 
ermüdend,  dann  begehrt  der  jugendliche  Drang  sich  baldigst  zu  bethätigen, 
und  endlich  entbehren  die  Besprechungen  so  lange  des  konkreten  Ver- 
ständnisses, als  nicht  eine  eigene,  wenn  auch  nur  sozusagen  vorläufige  Er- 
fahrung mitspricht. 

2.    Die    durch    die  Ordnung    verlangte    schriftliche    Vorbereitung    auf 
jede   Lehrstunde   erreicht  leicht   entweder  zu   viel  oder  zu   wenig.     Geht 
diese  Vorbereitung  sehr  ins  Einzelne,  so  ist  der  Lehrende  so  gebunden  und 
befangen,    dafs   er  wider  sein   besseres  Wissen  und  Wollen  im  Augenblick 
zum  Richtigen  nicht  zu  greifen  wagt,  falls  seine  Voraussetzungen,  was  doch 
oft  der  Fall   sein  wird,  nicht  zutreffen.     Ist  sie  allgemein  gehalten,  so  ge- 
währt sie  weder  dem  Unterrichtenden  noch  der  Kritik  rechten  Anhalt.    Zu 
Anfang  mag  die  schriftliche  Vorbereitung  auf  die  Versuchsstunde  wohl  nütz- 
lich sein;  bald  bietet  bessere  Übung  die  ausführliche  schriftliche  Bearbeitung 
derselben  Lehraufgabe  in  Frage  und  Antwort,  von  allen  Seminaristen  durch- 
geführt und  gegenseitig  beurteilt,  auch  wenn  das  Thema  nicht  in  das  spezielle 
Fach  fallt.    Es   stellte   sich   bisweilen  heraus,   dafs  der  Fachgelehrte   nicht 
immer  auch  die  beste  Methode  befolgt  und   von  Laien    noch  manches  lernen 
kann.     Von   Beginn    des    zweiten   Semesters    an    scheint    die  Führung  eines 
pädagogischen    Tagebuchs    am  besten   den  praktischen   Lehrversuchen 
Halt    und   Znsammenhang    zu    geben.      Ein   solches  Tagebuch  hat  besonders 
folgende  Punkte  zu  berücksichtigen:   die  Znrechtlegung  des  Pensums  zu  jeder 
Lektion,    die  spezielle  Durchführung,    die  Angabe  der  Methode,    den  firfolg, 
bezw.  Mifserfolg,    Ursachen  des  letzteren,    die  Aufmerksamkeit  der  Schiller, 
die  Disziplin,    Beurteilnng  und  Behandlung   einzelner  anormaler  Schüler    — 
sonstige  Vorkommnisse  und  Wahrnehmungen,  Vorsätze,  Zweifel,  Bedenken  n.  a. 
Diese  Einrichtung  hat  sich  nach  meiner  Erfahrnog  vorzüglich  bewährt.    Das 
Tagebuch  nötigt  den  Verfasser  zu  stetiger  Selbstkontrolle,  giebt  seiner  Tbätig- 
keit    durch   gleichmäfsigen  Rück-    und  Vorblick  Zusammenhang,    seiner  Er- 
fahrung Klärung,  seinem  Streben  bewufstes  Ziel.     Die  schriftliche  Fixierung 
zwingt  eben  Beobachtung  und  Urteil  zu  gröfserer  Ausgiebigkeit  und  Schärfe. 
Die  anfängliche  Befürchtung,  dafs  das  Tagebuch  zu  Schönfärberei  und  Selbst- 
bespiegelung  führen  könnte,  ist  nirgends  eingetroffen.     Die  meisten  Kandidaten 
haben  es  mit  grol'sem  Interesse  an  der  Sache  und  ernstlicher,    auch  erfolg- 
reicher Arbeit  an  sich  selbst  geschrieben.    Andererseits  gewinnt  der  Seminar- 
lehrer,    dem  allein  der  Einblick  in  das  Tagebuch  freisteht,    einen  oft  öber- 
raschenden  Einblick  in  das  pädagogische  Wollen  und  Können  des  Verfassers 
und  tritt  mit  ihm  in  eine  Art  Privatverhältnis,  welches  ihn  befähigt,  Zweifel, 
Mifsgriffe,  schiefe  Urteile  zu  beseitigen  und  mit  vertraulicher  Mahnaog  ond 
Rat  nachzuhelfen. 

3  Die  Kandidaten  werden  nicht  vollauf  beschäftigt.  Es  ist  ja  nicht 
schwer,  mit  Hospitieren  und  häuslichen  Arbeiten  ihre  Zeit  reichlich  io  An- 
spruch zu  nehmen;  aber  der  Nutzen  des  Hospitierens  hat  doch  auch  seiue 
Grenzen,  die  Arbeiten  nehmen  den  Besprechungen  viel  Zeit  und  belasten 
durch  die  notwendige  Kontrolle  die  Seminarlehrer  noch  mehr.  Die  eigent- 
lich praktische  Ausbildung,  die  ßethätigung  im  lebendigen  Unterricht,  kommt 
nicht  zu  ihrem  Rechte.    Man  l<»hrt  die  jungen  Leute  wohl  am  Gerät  schwimmen^ 


von  O.  \oge\.  231 

aber  nicht  im  vollen  Strom  sieb  über  Wasser  halten;  man  läfst  sie  neben- 
her traben,  statt  sie  in  das  Getriebe  intensiver  BerufsthÜtie^keit  zu  spannen, 
ia  dem  auch  der  Anfänger,  oder  gerade  er,  gehen  lernen  sollte.  Drei  bis 
vier  Standen  wöchentlichen  fJnterrichts  am  Schlafs  des  Jahres  in  weit 
aoseinanderliegenden  Lektionen  sind  mehr  blofses  Tasten  als  Arbeit  und 
Eitschalang. 

Sollten  sich,  wie  voraosznsehen  ist,  gegen  die  Mehrbeschäftignog  der 
Kandidaten  Bedenken  erbeben  and  der  bisherige  Usus  vorgezogen  werden,  so 
begegnen  wir  im  Folgenden  Schwierigkeiten,  die  sich  unabweisbar  geltend 
■achen,  and  denen  bei  der  bestehenden  Einrichlong  nicht  abzuhelfen  ist. 

4.  Die  durch  die  Übungslektionen  der  Kandidaten  herbeigeführten  Unter- 
breehungea  wirken  auf  Gang  nnd  Ergebnisse  des  regalären  Unterrichts  höchst 
aaehteilig  ein.  Selbst  wenn  der  Kandidat  das  Pensum  ziemlich  geschickt 
weiterführt,  so  lenken  doch  die  neue  Persönlichkeit,  sei  es  auch,  dafs  sie 
nur  als  Stern  fünfter  oder  sechster  Gröfse  am  Schülerhimmel  aufgeht,  die 
zahlreiche  Begleitung,  die  neue  Methode,  die  Unsicherheit  in  der  Behand- 
lung der  Schüler  die  letzteren  so  ab,  dafs  es  um  ihre  Besinnung  und  Samm- 
Inng  meist  geschehen  ist  und  das  Erträgnis  der  Lektion  erst  hinterher 
vom  ordentlichen  Lehrer  gesichert  werden  mufs.  Wird  nun  gar  am  Ende 
des  Jahres,  besonders  beim  Osterkursus,  dem  Kandidaten  eine  umfangreichere 
und  selbständigere  Lehraufgabe  gestellt,  so  kann  es  sich  wohl  ereignen,  dafs 
itr  betreifende  Lehrer  gegen  diesen  Ersatz  protestiert,  da  er  die  Verant- 
wortlichkeit für  den  Erfolg,  die  Versetzungsreife  seiner  Schüler,  zu  tragen 
habe.  Kleinere  Anstalten,  die  den  Vorzug  bieten,  dafs  die  Seminaristen  mit 
den  eiazeloen  Klassen  und  Schülern  vertraut  werden,  können  die  stete  Er- 
sebütterang  des  Lebrbodens  und  den  Wechsel  der  Lehrindividuen  auf  die 
Daner  nicht  ertragen,  während  gröfsere  Anstalten  zwar  von  diesem  Mifs- 
stand  weniger  betroffen  werden,  dafür  aber  die  jungen  Lehrer  schwer  heimisch 
werden  lassen,  indem  sie  ihnen  nur  Klasseotypen  vorführen,  statt  Gelegen- 
heit za  geben,  einzelne  Schüler  beobachten,  beurteilen  und  behandeln  zu 
lernen. 

5.  Die  Bestimmung,  dafs  bei  jeder  Lektion  der  Kandidaten  der  Dirigent 
oder  ein  beauftragter  Lehrer  zugegen  sein  soll,  ist  ohne  schwere  Schädigung 
des  regalären  Unterrichts  nicht  durchfuhrbar.  Soll  die  Lektion,  wie  doch 
veraasgesetzt  werden  mufs,  in  die  planmäfsige  Stande  fallen,  so  kollidiert  sie 
aar  zu  oft  mit  den  Lehrstundeo  der  Seminarlehrer,  nötigt  zur  Verschiebung 
nad  schafft  auch  hier  Unruhe  und  Störung.  Soll  ferner  der  Dirigent  ein 
selbsigewonnenes  Urteil  ^ber  die  Schlufsle istungen  der  Kandidaten  abgeben, 
das  Urteil  der  Seminarlehrer  aus  eigener  Erfahrung  bestätigen,  wie  doch 
seine  Pflieht  ist,  so  steigert  sich  seine  Arbeit  um  6 — ]0  Stunden  wöchentlich, 
die  Besprechungen  einbegriffen:  eine  Mehrleistung,  deren  Aufwand  seiner 
sonstigen  amtlichen  Tbätigkeit,  zum  Teil  wenigstens,  abgebrochen  werden 
■afs.  Dieser  Obelstand  macht  sieh,  nicht  zum  Vorteile  der  ihm  anvertrauten 
Anstalt,  besonders  dann  fühlbar,  wenn  der  Schlafs  des  Seminarjahres  mit 
dem  Schlafs  des  Schaljahres  zusammenfällt,  also  zu  Ostern,  wo  Versetzungs- 
aad  andere  Geschäfte  Zeit  und  Kraft  des  Direktors  in  erhöhten  Anspruch 
nehmen.  Endlich  erscheint  jene  Vorschrift  durchgehender  Beaufsichtigung 
nA  im  Interesse  der  Kandidaten  selbst  wenig  zweckmäfsig.  Sie  haben  so- 
zosagea  ein  menschliches  Recht   auf  eine   gewisse  Freiheit   der  Bewegung. 


232  Zar  Semioarfrafl^e, 

Sie  müssen  lernea  aaf  eifpenea  Füfsea  stehen,  die  volle  Veraatwortlichkeit 
übernehmeD,  ihr  p'adafpoglsches  Vermb'g^en  anbedrückt  von  dem  oaehsichtigeo 
Wohlwollen  der  Lehrer  ood  nnbemiikeU  von  merkendea  Genossen  erproben. 
Aus  Gründen,  die  schon  vorhin  angedeutet  sind,  kann  die  Schale  eine  solche 
Dressur  in  Freiheit  —  man  verzeihe  den  hippologischen  Ausdruck  —  in  dem 
erforderlichen  Mafse  nicht  g^ewähren. 

Aber  dafür  ist  ja  das  Probejahr  da!  Das  Probejahr  ist,  beiläufig  ge- 
sagt, ein  recht  wunder  Punkt.  Die  wenigsten  Herren  Direktoren  haben  eine 
Vorstellung  davon,  was  das  Seminar  leisten  soll  and  im  annähernden  Grade 
auch  wirklich  leistet.  Sie  behandeln  die  sog.  Probekandidateo  nach  alter 
Weise  als  ganz  unerfahrene  Neulinge,  lassen  sie  wiederum  wochenlang  hos- 
pitieren, versehen  sie  mit  gelegentlichen  elementaren  Belehrungen,  über- 
lassen sie  im  übrigen  sich  selbst  und  entlassen  sie  am  Schlnfa  mit  wohl- 
wollendem Zeugnis.  Die  Kandidaten  selbst  führen  mit  ihrer  geringen  Stunden- 
zahl nach  der  verhältnismäfsig  straffen  Arbeit  im  Seminar  ein  bequemes  Da- 
sein und  finden  kaum  Gelegenheit,  ihre  Erfahrung  in  weiterer  geordneter 
Anleitung  zu  befestigen  und  zu  vertiefen.  Der  Hauptvorteil,  den  das  Probe- 
jahr bringt,  ist  bei  der  herrschenden  Misere  die  Möglichkeit,  durch  Privat- 
stunden den  Lebensunterhalt  zu  sichern.  Item:  das  Probejahr  in  der  jetzigen 
Handhabung  stellt  eher  eine  Hemmung,  einen  Rücklauf,  einen  unnötigen  Zeit- 
aufwand dar.  Ich  bitte  ausdrücklich  um  Wiederlegung  dieser  scharfen 
Äufserungen.  Sollten  die  Ausnahmen  wirklich  überwiegen,  so  bin  ich  zum 
Widerruf  gern  erbötig. 

Die  angegebenen  Mifsstände  und  Mängel  des  Seminarjahres  lassen  sich 
in  der  Hauptsache  auf  zwei  Punkte  zurückführen.  So  richtig  es  war,  die 
Vorbildung  der  Lehrer  nicht  der  Universität,  sondern  der  Schule  anzavar- 
trauen,  so  geraten  doch  bei  der  bestehenden  Einrichtung  die  Aufgaben  und 
Interessen  beider  Anstalten  in  solchen  Widerstreit,  dafs  sie  sich  gegenseitig 
empfindlich  gefährden.  Namentlich  ist  die  Schule  auf  die  Daner  nicht  im 
Stande,  das  in  sie  gelegte  fremde  Ei  zu  hegen,  ohne  der  eigenen  Brut  Zeit 
und  Kraft  zn  entziehen.  Zweitens  nutzt  das  Seminarjahr  weder  die  Arbeits- 
kraft der  Kandidaten  noch  die  Gelegenheit  aus,  um  sie  zu  dem  zu  machen, 
was  sie  werden  könnten  und  müfsten.  Die  Anzahl  der  Probelektionen,  Um- 
fang und  Bedeutung  der  behandelten  Pensen  reichen  weder  zur  Befestigung 
in  der  Methode,  noch  zur  Gewöhnung  sicheren  Auftretens  und  selbständiger 
Verantwortlichkeit  aus.  Es  liegt  auf  der  Hand,  dafs  die  Hebung  des  einen  Obel- 
standes  den  andern  nur  verschärft.  So  weist  das  Conto  des  bisherigen  Versoclis, 
die  Vorbildungsfrage  praktisch  zu  regeln,  im  Verhältnis  zum  Aufwände,  den 
sowohl  der  Staat  wie  die  Kandidaten  machen,  ein  bedenkliches  Manco  aaf. 

Aber  was  soll  geschehen?  Um  sogleich  und  kurz  die  Antwort  zu 
geben:  Das  Seminar  für  höhere  Schulen  wird  seinen  Zweck  erat 
ganz  erfüllen,  wenn  es  nach  dem  Vorbilde  der  Sehnllehrer- 
Seminare  mit  einer  in  seinen  Diensten  stehenden  Übunga- 
schule  verbunden  ist.  Der  Gedanke  an  sich  ist  keineswegs  neu,  aber 
bisher  noch  nicht  mit  Bestimmtheit  und  Nachdruck  ausgesprochen.  Haupt- 
sächlich scheint  die  Schwierigkeit  der  Organisation  und  die  Furcht,  dafs  die 
Schüler  in  den  Händen  unerfahrener  Pädagogen  Schaden  leiden  könnten^  zu* 
rückzuschrecken.  Und  doch  sind  diese  Hindernisse,  wenn  man  sie  nur 
ücharf  ins  Auge  fafst,  keineswegs  unübersteiglich.     Wenn  ich  im  Folgeodeo 


voDO.Vojel.  233 

die  GrvadzQge  der  Orgaoisatioo  entwerfe  nod  diejenig^ea  EinwSode  za  eot- 
krüfteB  svehe,  welche  sieb  sofort  aofdrängeo,  so  bio  ich  mir  wohl  bewafst, 
dals  noch  weitere  Sehwierigkeiteo  zn  beheben  bleiben,  die  deshalb  nicht  ge- 
ringer sind,  dafs  sie  sich  dem  ersten  Blick  verbergen. 

Seminar  nebst  Obungsschale  sind  in  gröfsere  Städte  zn  verlegen,  wo 
sich  verschiedene  Arten  höherer  Schulen  befinden.  Als  Lehrer  fangieren 
der  Dirigent  mit  einem  Stabe  von  etwa  vier  Lehrern,  welche  verschiedene 
Fächer  vertreten.  Die  Anzahl  der  Seminaristen  mag  sich  aaf  zwanzig  oder 
vtni^  mehr  belaafen.  Woher  die  Schüler  nehmen?  Wenn  ich  vorschlage, 
das  Material  aas  den  Preisehölern  und  solchen  za  bilden,  welche  sich  am 
Sehnlgeldbefreinng  bewerben,  so  wird  sofort  der  Einspruch  lant,  dafs  dies 
S^&ler  zweiter  Ordnung  schaffen,  die  Seminarschüler  za  Versachsobjekten 
herabsetzen  und  ihre  Aasbildang  dorcb  anerfahrene  Anfiinger  verpfuschen 
hiefse.  Der  Binwand  entbehrt  nicht  jeder  Berechtigung,  ist  jedoch  nicht  so 
darehsehlagendy  wie  er  sich  anhört. 

Zar  EinfHhrang  in  die  eigentliche  Unterrichtstechnik  und  zur  Grand- 
legang  in  der  Methode  braucht  die  Obungsschale  nur  aus  unteren  und  mitt- 
leren Klassen  za  bestehen.  Um  auch  mit  dem  Unterricht  in  den  oberen 
Klaaseo,  dessen  Erfordernisse  schon  weniger  durch  Oberlieferaog  erlernbar 
sind,  bekannt  zn  maehen,  genügt  für  die  Kandidaten  das  Hospitieren  bei  ge- 
schickten Lehrern  der  vorhandenen  höheren  Lehranstalten  nebst  einigen  dort 
abzohaltenden  Versuchslektionen. 

Die  Seminarscholer  gehen  nach  vorschriftsmafsig  bestandener  Absehlufs- 
prifaag  io  die  höheren  Klassen  der  von  ihnen  gewählten  Vollanstalten  über. 
Verlaaaen  sie  nach  der  Abschlufsprüfung  die  Schale  überhaupt,  so  wird 
niemaBd  ihnen  den  Vorwarf  machen,  dafs  sie  Seminarschüler  gewesen  sind; 
gehen  sie  weiter,  so  haben  sie  zu  zeigen,  dafs  ihre  Vorbildung  sie  voll- 
kommea  befähigt,  mit  den  übrigen  Schülern  gleichen  Schritt  zu  halten.  Aber 
das  ist  ja  eben  der  Punkt,  wird  man  sagen,  wo  es  hapert  l  Werden  solche 
Schaler  die  Abschlufsprüfung  innerhalb  der  ausgeworfenen  Zeit  überhaupt 
bestehen?  Können  die  undisziplinierten  „Lehrkräfte^*  des  Seminars  dieselben 
Erfolge  erreichen,  wie  die  alten  gedienten  Lehrer  der  regulären  Schule? 
Der  Beweis  dafür  läfst  sich  auf  dem  Papier  allerdings  schwer  fuhren. 

Wenn  ich  mich  zn  der  Meinung  bekenne,  dafs  die  Seminarschule 
ceteris  paribus,  d.  h.  namentlich  gleiche  Veranlagung  der  Schüler  voraos- 
geaetzt,  mit  ihren  Leistungen  nicht  hinter  dem  Durchschnitt  anderer  Schüler 
lorickzastehen  braucht,  und  nicht  anstehen  würde,  im  Ernstfalle  für  diese 
Behanptong  persönliche  Bürgschaft  zu  übernehmen,  so  mag  das  unüberlegt 
Bad  anmafslich  genug  klingen.  Und  doch  bin  ich  —  man  verzeihe  die 
wiederholte,  unbescheidene,  aber  leider  unumgängliche  Anweodong  der  1.  Pers. 
Siig.  —  doch  bin  ich  ebensoweit  von  einer  Überschätzung  meiner  eigenen 
tidaktischen  Befähigung  als  von  der  Unterschätzuog  der  Wirksamkeit  des 
•rdeatlichen  Lehramts  entfernt. 

Noch  mehr.  Unter  Voraussetzung  der  vorgeschlagenen  Organisation 
Um  die  gesamte  Vorhereitnngszeit  der  Kandidaten,  welche  jetzt  auf  zwei 
ithrc  bemessen  ist,  auf  drei  Semester  beschränkt  werden  und  doch  un- 
gleich günstigere  Resultate  reifen.  Im  ersten  Semester  werden  die  Neulinge 
trieatiert,  eingewiesen  und  vorgeobt,  in  den  beiden  letzten  Semestern  haben 
üt  Kandidaten    dagegen    regulären,    zosammenhängenden  Unterricht   za  er- 


234  Zoi*  Semioarfrage,  von  O.  Vogel 

teileu.  Im  letzten  Semester  bildet  sich  schon  eine  Anzahl  zaverlässiger 
„Stützen'^  heran,  die  mit  dem  Ordinariat  betraut  werden  können  und  deren 
erziehlicher  Einflufs  auf  ihre  jüngeren  Kollegen  sicher  nicht  zu  uoterschätzen 
ist.  Die  Zahl  der  wöchentlichen  Unterrichtsstunden  im  letzten  Jahre  beträgt 
mindestens  zwölf,  was  mit  dem  immer  noch  fortzusetzenden  [lospitieren,  Be- 
sprechungen, Konferenzen,  Referaten  und  Schlufsarbeiten  eine  ausreichende 
Summe  intensiver  Arbeit  nnd  energischer  Förderung  abgiebt.  Genügen  Be- 
fähigung und  Leistungen  eines  Kandidaten  nicht,  so  tritt  entweder  Wechsel 
ein,  oder  der  beaufsichtigende  Lehrer  übernimmt  selbst  den  Unterricht 

Freilich,  der  vorhin  beklagte  Übelstand,  dafs  durch  den  häu6gen  Wechsel 
der  Lehrer  der  Unterricht  gelähmt  oder  ins  Schwanken  gebracht  werde, 
bleibt  bei  der  Seminarschule  in  erhöhtem  Mafse,  wie  es  scheint,  bestehen. 
Es  giebt  jedoch  ein  Mittel,  um  diesen  Mifsstand ,  wenn  auch  nicht  zu  be- 
seitigen, so  doch  in  seinen  üblen  Folgen  zu  mildern.  Jedem  Seminaristen 
wird  nämlich  als  Tutor  eine  gewisse  Anzahl  von  Schülern  aus  verschiedenen 
Klassen  zuerteilt,  deren  Verhalten  und  Fortschritte  er  zu  fiberwachen  hat. 
Auch  aufserhalb  der  Schule  ist  er  verpflichtet  den  häuslichen  Fleifs  zn  kon- 
trollieren, wenn  nötig,  einige  Nachhülfe  zu  gewähren,  kurz  ihrer  sich  in 
schul  väterlicher  Weise  anzunehmen.  In  den  Konferenzen  berichtet  er  über 
seine  Totelaren  und  vertritt  sie  überall  nach  bestem  Vermögen.  Diese  Ein- 
richtung scheint  für  beide  Teile  gleich  nützlich.  Während  der  Seminarist 
verschiedene  Schülernaturen  kennen  und  behandeln,  ihnen  menschlich  nahe 
treten,  das  Vermögen  der  Altersstufen  abschätzen,  Mafs  und  Art  der  häus- 
lichen Arbeit  beurteilen,  und  —  was  besonders  wichtig  ist  und  dem  Lehrer 
sonst  nnr  spät  in  dem  Falle  ermöglicht  wird,  wo  eigene  Söhne  die  AbsUU 
besuchen  —  die  Schule  in  Ansprüchen  und  Leistung  auch  von  aufseo  an- 
sehen lernt,  gewährt  er  seinen  Pflegebefohlenen,  die  aulserhalb  der  Schule  der 
Anleitung  und  Anregung  in  der  Regel  entbehren  werden,  persönlichen  An- 
halt und  geistige  Förderung.  Diese  erzieherische  Bethätigungp  der 
Kandidaten,  welche  durch  die  Seminarschole  geboten  wird,  wäre  ein  sehr 
wesentlicher  Vorzug,  der  manche  sonstige  Mängel  aufwiegt. 

Die  Klassen  der  Seminarschule  teilen  sich  von  der  Untertertia  ao  in 
gymnasiale  und  reale.  Dem  Dirigenten  steht  es  frei,  je  nach  Befinden  and 
Bedarf,  Parallelcöten  zu  sondern  oder,  etwa  zur  Übung  in  der  Beherrschung 
gröfserer  Schülermassen,  solche  wieder  zusammenzulegen.  Wie  denn  über- 
haupt bei  der  Lockerheit  des  Gefüges  manche  didaktischen  Ver- 
suche angestellt  werden  können,  welche  sich  in  der  regulären  Sehnte 
von  selbst  verbieten. 

Berücksichtigen  wir,  dafs  der  Unterricht  in  der  Seminarschule  straf- 
ferer Direktion,  eingehenderer  Beaufsichtigung  nnd  durchgreifenderer  Korrektor 
unterliegt,  als  an  anderen  Schulen  möglich  ist,  dafs  daran  auch  bewährte 
Lehrer  mitwirken  und  fast  jeder  Schüler,  besonders  aber  die  schwächereo, 
sich  individueller  Fürsorge  erfreuen,  so  wird  die  Behauptung,  dafs  er  sehr 
wohl  das  leisten  kann,  was  von  einer  entsprechenden  höheren  Schale  ver- 
langt wird,  nicht  zu  gewagt  erscheinen. 

Perleberg.  0.   Vogel. 


J 


LatiDog^ermsDismeD,  von  O.Storch.  235 


LatinogermanismeD. 

Mit  obigem  Ausdruck  bezeichoe  ich  diejenigeo  GermaDismcD,  io  deren 
VersehnHang  sich  die  fremde  wie  die  Muttersprache  gewissermafsen  teilen. 
Dadarch  oämlich,  dafs  das  Latein  Jahrhunderte  lang  die  Sprache  a]]er  Ge- 
bildeten war,  haben  sieb  eine  Masse  spät-  oder  gar  neulateinischer  Vokabeln 
und  Phrasen,  wie  in  anderen  Sprachen,  so  auch  im  Deutschen  eingebürgert, 
die  im  klassischen  Latein  entweder  gar  nicht  oder  doch  in  anderer  ßeden- 
toag  vorkommen,  so  dafs  mau  nicht  berechtigt  ist,  sie  ins  Latein  zurückzu- 
ibertragen.  Diese  Latinogermanismen  zerfallen  in  solche  Wendungen,  die 
vir  mit  lateinischem  Wortlaut  beibehalteu  und  im  Monde  führen,  und  io 
solche  einzelne  Worter,  die  wir  germanisiert,  d.h.  mit  deutscher  Flexion 
versehen  haben;  manche  der  letzteren  sind  uns  so  in  Fleisch  und  Blut  über- 
gegangen, dafs  wir  dabei  das  Bewnfstsein  ihrer  Herkunft  ans  der  fremden 
Sprache  fast  eingebüfst  haben ;  einige  unterscheiden  sich ,  aufser  durch  die 
dentsche  Flexion,  nur  durch  den  Zusatz  einer  Präposition  von  den  ent- 
sprcehenden  Ausdrücken  des  klassischen  Latein,  andere  wiederum  weichen 
nur  im  Numerus,  noch  andere  nur  in  der  Konstruktion  von  den  richtigen 
lateinischen  Vokabeln  ab;  jedoch  sind  dies  alles  nur  Ausnahmen:  der  über- 
wiegenden Mehrzahl  nach  wird  die  folgende  Obersicht,  die  zum  gröfsten  Teil 
der  Schulpraxis  entnommen  ist,  solche  Ausdrucke  enthalten,  die  im  guten 
Latein  einer  durchaus  abweichenden  Wiedergabe  bedürfen.  Ich  beginne  mit 
desjenigen  Wendungen,  die  wir  lateinisch  im  Munde  führen,  unter  Bei- 
fügung der  richtigen  lateinischen  fJbersetzung,  und  reihe  daran  diejenigen 
ans  dem  Lateinischen  stammenden  Adverbia,  Adjektiva,  Verba  und  Snbstan- 
tiva,  vor  denen  ein  in  klassischem  Latein  abzufassendes  Skriptum  sich  zu 
hiten  hat,  in  alphabetischer  Reihenfolge.  Selbstverständlich  macht  meine 
Aafzühlung  auf  auch  nur  annähernde  Vollständigkeit  nicht  die  geringsten 
Ansprache. 

L  ffo/eiu  vo/eftf  (etwas  thun):  richtig  invüus'^  pro  und  contra  (sprechen): 
r.  tff  itiramque  pariem;  verbotenus  (etwas  aufsagen):  r.  adverbum  oder  wer- 
tem ex  verbog  proforma:  r.  spedei causa;  inabsentia  (jemanden  verurteilen): 
r  abtetUeni'^  ad  oculos  (jemandem  etwas  demonstrieren):  r.  plane  oder 
a?wrfe;  post  festum  (kommen):  r.  sero;  praeter  propter  (bei  Zahlbegriffen): 
r.  dreüer  oder/ere;  iunior  und  senior  nach  einem  Familiennamen:  r.  fiUus 
nad  pater\  terminus  technicus:  r.  vox  sollemnis  oder  artis  vocabukitn;  ho- 
noris causa:  r.  officii  causa;  in  flagranti  (jemanden  ertappen):  r.  in  facinore 
ipso  oder  in  manifesto;  ex  tempore  (sprechen):  r.  subäo;  pro  domo  (sprechen) : 
r.  sua  causa;  praemanerando  (zahlen):  r.  antea;  composita  (Verba):  r.  con- 
imtda;  ad  Ubiium  (sprechen):  r.  ut  libet,  ad  libidinem,  arbitratu  suo;  alias 
(bei  HInzufugong  eines  Nebennamens  zu  einem  Familiennamen):  r.  alio  no- 
anwe;  vice  versa  («»umgekehrt):  r.  vicissim  oder  rursus;  nomen  proprium: 
r.  blofs  nomen;  brevi  manu  (etwas  beantworten):  r.  breviter. 

n.  a)  korrekt  (sprechen):  richtig  reiste;  strikt  (befolgen):  r.  diligenter 
oder  religiöse;  snceessiv  (sich  nähern):  r.  sensim, 

b)  abstrakt:  richtig  infinittiSy  universus;  civil  (in  der  Zusammensetzung 
Gvilprozefs) :  r.  {causa)  privata;  direkt  (d.  Rede):  r.  (oratio)  recta;  degene- 


236  LatiDogermanisnen, 

riert:  r.  qui  d^g^erauit;  diskret:  r.  urbanus;  disponiert  (gut  oder  schlecht): 
r.  1)  affectuM  («=  gestimmt),  2)  divisus  («»  eiogeteilt);  diverse:  r.  muHi, 
.complures;  emaozipiert:  r.  nimis  liberi  extraordinär:  r,  smgularis,  eagimius, 
insignUf  unieui]  famos:  r.  praeclarut;  fatal:  r.  tniser,  trUtü,  lugvbriSf  in^ 
fdue;  fidel:  r.  hilarü,  laetu*;  historisch  (h.  Treae):  r.  kistoriae  (fides);  in- 
diskret: r.  inurbamUy  ineptus,  inhwnanuM,  rtuticus;  inspiriert:  r.  numme 
(spiritu)  divino  afftatut  {inHmeitui)\  intakt:  r.  inieger,  sospeM^  ineoUtmU\ 
intim  (bei  Personen):  r.  familiaris;  kardinal  (z.  B.  Kardinaltn(^end):  r.  summa 
{ofrius);  klassisch:  r,  optimtu,  praesiantistimtu \  konfSderiert:  r.  foederatus^ 
socius;  konkret:  r.  definihts,  proprüUy  eertus^  konsequent:  r.  consUms;  kri- 
minal (s.  Prozefs):  r.  (causa)  publica;  knrios:  r.  mirificuSy  memorabiUs; 
miserabel:  r.  contemnendu^  (homo);  moralisch  (z.  B.  Haadlnng):  r.  himestus; 
natürlich:  r.  1)  amsentaneum  (eiQ,  2)  z.  B.  mors  necessaria;  negativ:  r. 
neg^ans;  neutral:  r.medius;  nobel  (z.  B.  Gesinnung):  r.  honestus,  gmerosus\ 
ordinär:  r.  vulgaris ,  tritus^  cUidiamu;  orientalisch:  r.  ad  orieniem  vergens\ 
populär:  r.  civilis;  positiv:  r.  a/firmans;  revolutionär:  r.  seditiosus,  nova- 
rum  rentm  cupidus;  solide  (z.  B.  Lebensweise):  r.  integer,  honestus,  fru- 
galis;  sozial  (z.  B.  Leben):  r.  {vitae)  societas;  stnpende  Gelehrsamkeit:  r. 
admiranda  dodrina;  trivial:  r.  vulgaris,  trüus,  eof^ui/rtfi  (ebenso :  vulgär); 
universal:  r.  generalis,  universus, 

c)  acquirieren:  r.  eomparare;  applaudieren:  r.  plaudere;  attestieren: 
r.  testari,  conßnnare;  deklamieren:  r.  pronuntütre;  disputieren:  r.  eonten- 
dere,  altercari;  excerpieren  (ein  Buch):  r.  ex  libro  exeerpere;  existieren:  r. 
esse;  expedieren:  r.  asportare;  exponieren  (sich):  r.  (se)  opponere;  extempo- 
rieren: r.  sidrt'to  vertere,  dicere;  florieren:  r.  v^ere;  ignorieren:  r.neglegere^ 
contemnere;  imponieren:  r.  admirationi  esse;  inspizieren:  r.  specuJÜtri,  ea>- 
plorare;  instruieren:  r.  docere,  eerOorem  facere;  insnrgieren:  r.  solUciiare; 
interpellieren:  r.  alloqui,  increpare;  involvieren:  r.  eontinere,  oompledi,  ha-- 
bere;  kalkulieren:  r.  eomputare;  kollidieren:  r.  repugnare,  pugnare  cum; 
komponieren:  r.  modos  facere;  kondolieren:  r.  dolorem  suum  testari;  kon- 
kurrieren: r.  coniendere;  konspirieren:  r.  coniurare;  koordinieren:  r.  ad" 
lungere;  korrespondieren:  r.  1)  per  Utteras  colloqui,  Utteras  seribere  et  acei" 
pere,  2)  convenire  und  congruere  cum,  respondere  alicui;  kurieren:  r.  mederij 
sonore;  molestieren:  r.  incommodare;  monieren  (etwas):  r.  notare,  vitupe-- 
rare ;  numerieren :  r.  ordine  expUcare;  opponieren :  r.  adversari;  präparieren 
(etwas):  r.  parare,  (sich):  r.  commeniori,  medäari;  probieren:  r.  experiri; 
produzieren:  r.  efßcere,  gignere,  fabricari;  proklamieren:  r.  renwUiare; 
prolongieren:  r.  propagare,  prorogare,  producere;  protegieren:  r.  patrod- 
nari,  tueri;  protestieren!:  r.  contra  dicere,  fldversari,  intercedere;  provozieren 
(jemanden):  r.  lacessere,  (etwas):  r.  auctorem  eise;  publizieren:  r.  edere, 
promulgore;  reflektieren  (auf):  r.  oppetere,  (über):  r,r^näare,  considerare; 
reformieren:  r.  emendare ,  eorrigere;  regleren  (einen  Kasus):  r.  eoniungi 
cum;  rekognoszieren:  r.  1)  explorare  {ein  Terrain),  2)  o^oaeere  (jemanden) ; 
reparieren:  r.  {clodem,  damnum)  sarcire;  residieren:  r.  sedem  regiam  ha- 
bere; restaurieren:  r.  instaurare,  reficere;  revidieren:  r.  perquirere,  per- 
scrutari,  explorare;  rezensieren:  r,  existimare  de;  rezitieren:  r,  pronunHare; 
sekundieren:  r.  adesse,  assentiri,  auxiUari,  adiuvore ;  spekulieren  (auf):  r. 
sperare,  (mit):  r.  quaestum  facere  ex;  studieren:  r.  diseere,  eognoseere;  sub- 
ordinieren: r.  subiungere;    taxieren:   r.  aestimare;    triumphieren  (über):  r. 


von  0.  Storch.  237 

tufmorem  ducederey  (absolut):  r.  esesuitare;  usurpieren:  r.  arnpere^  vi 
eapere'j  zitiereo  (eiae  Stelle):  r.  afferre^  commernorare ^  (jemaDden) :  r.  ar- 
tetstrw. 

d)  Advokat:  r.  patronus]  Äquator:  r.  eireulus  meridianu* ;  Affekt:  r. 
animimotus,  eomtnotio,  perturbatio]  Akt:  r.  1)  faetunty  2)  pars;  Assistent: 
T.  mHutori  Andieoz:  t,  adüus\  Auditorium:  r.  eoruessusy  frequentia;  Autor: 
r.  tcriptor;  Autorität  (voo  Personeo):  r.  auctor,  princeps.  Datum:  r.  dies; 
Defekt:  r.  frausy  viUum;   Defizit:  r.  damnutn,  deirimentum ;  Disposition:  r. 

1)  divitiOf  2)  (=»  StimmuDf^)  affectio  animi;  Dokument:  r.  tabula  publica, 
momtmmdum^  Duell:  r.  certamen  singulare,  Effekt:  r.  vir;  Elemente:  r. 
uidto,  semina\  Exemplar:  1)  eines  Schriftstellers:  r.  Über,  2)  =  Musterbild : 
r.  exempium;  Exkurs:  r.  digressio;  Expedition:  r.  1)  coeptum,  inceptutriy 
muAus,  2)  üer\  Exzefs:  r.  1)  delictumy  peccatumy  2)  immoderatio.  Fak- 
toreo:  r.  res\  Familie:  r.  1)  gensy  2)  possessivum  (z.  B.  venit  cum  suis)'y 
Pestivitüt:  r,  dies  festus  (festtvitas  ^^  heilere  L^unt);  Fragmente:  r.reliquiae. 
Genie:  r.  ingemum'y  Gestikulation:  r.  gestus\  Grazie:  r.  decor.  Honorar: 
r.  merees,  stipendium'y  Hospiz,  Hospital:  r.  receptaculunty  Sanatorium,  vale- 
tudinarium;  Humor:  r.  lepos,  facetiae,  urbanitas,  Ignorant:  r.  homo  rudis; 
ladisposiiioo:  r.  mala  affectio,  crudäas;  Individuum:  r.  homo;  Instinkt:  r.  appe- 
täusi  Institution:  r.  institutum;  Insubordination:  r.  immodestia;  Insurrektion: 
r.  motus,  seditio,  tumultus;  Intention:  r.  consilium,^  mensy  propositum,  animtis, 
tülmäas;  Interesse:  r.  Studium-,  Introduktion:  r.  principium,  prooemium;  lova- 
sioo:  r.  mcursio;  Jurisprudenz:  r.  iuris  scientia.  Kalender:  r.  fasti\  Kammer:  r. 
cendave,  eubiculum;  Kapazität:  r.  1)  ingenü  vis,  inteüeffentia,  2)  (konkret) 
audor,  princeps;  Kaution:  r.  sponsio;  Klasse:  r.  ordo,  genus;  Kommission: 
r.  1)  negotium,  munus,  mandaium,  2)  (Vereinigung  von  Personen)  consiliurn; 
Konstitution:  r.  1)  staatlich  reipublicae  conformatio,  2)  körperlich  tempe- 
ratio y  habitus;  Konzept:  r.  scriptum;  Kopie:  r.  exemplum;  Korrektur:  r. 
cmrectio;  Kreatur:  r.  1)  quod  procreatur,  gignitur,  2)  homo,  3)  jemands 
essentisior;  Krone:  r,  \)  insigne  regium,  2)  bildlich /umeA;  Kultur:  r,  animi 
tuUus,  kumanitas;  Kur:  r.  curatio.  Lektion:  r.  schola;  Linie  (=  Zeile): 
r.  versus;  Litteratur:  r.  litterae;  Lokal:  r.  locus,  conclave;  Luxus  (treiben): 
r.  luxuria.  Manuskript:  r.  scriptum;  Matrone:  v,  anus;  Medizin  (konkreti): 
r.  nena^mm;  Mode:  r.  consuetudo;  Moment:  r.  punctum  temporis.  Nation: 
r.  gens;  Notiz  (nehmen):  r.  ratumem  {habere);  Nummer:  unter  Nr.  1: 
r.  primo  loeo.  Objekt:  r.  res;  Occideot:  r.  regio  ad  occidentem  vergens; 
Orieot:  r.  regio  ad  orientem  vergens.    Passion:  r.  1)  per/Mr#rto  (das  Leiden), 

2)  eupiditas  (die  Leidenschaft),  Studium  (Vorliebe);  Person:  r.  homo;  Pest: 
r.  pestäentia;  Pflanze:  r.  quod gignäur  e  terra;  Pirat:  r.praedo  (marilimus); 
PosHioa:  r.  locus;  Prädikat:  r.  attributum;  Präludium:  r.  praefprojktsio; 
Prisideat:  r.  praefectus,  praepositus;  Primat:  r.  principatus;  Prinz:  r.regis 
fHuSy  regulus;  Prinzip:  r.  ratio,  institutum;  Privileg:  r.  beneficium,  ius 
fraecipuum;  Produkt:  r.  quod  efficitur,  ingenü  monumentum,  arteficium; 
Profession:  r.  munus,  negotium;  Prosa:  r.  oratio  soluta;  Protektion:  r.  pa- 
treeüdum,  iuida,  praesidium,  defensio;  Provinz  (ohne  Genetiv  des  Besitzers): 
r.  regio;  Provinzialen:  r.  socii;  Prozefs:  r.  causa,  iudicium;  Publikum:  r. 
fre^ientia,  consessus.  Qualität:  r.  natura,  proprietas  (gute  Qualität  virtus, 
aeUecbte  Qualität  xntium);  Quantität:  r.  multitudo,  numerus.  Regel:  r.  lex, 
fneeeptumi   Kog^nt:  r.  rex,  dominus;   Regiment:  r.  1)  regnum,  dominatio, 


238  LatinogermaDismeD,  von  0.  Storch. 

2)  legio;  Rekonvaleszent :  r.  qtä  convaluit;  RemiDiacenz:  r.  recordatio,  me- 
moria; Repablik:  r.  ewä<u  libera;  Residenz:  r.  »ede*  reß^a;  Respekt:  r. 
verecimdiay  obsequium;  Revolotioo:  r.  verum  eiviUum  conversio,  sedUtOf 
tumuäus,  motus;  Rain:  r.  interüus^  lahe$\  Roineo:  r.  parietinae,  Sektion: 
r.  pars;  Session:  r.  consessuty  conciUum;  Skalptar:  r,ars  fingendi,  ars  eta- 
tuaria;  Spektakel:  r.  tumultut,  fremüus;  Spekulation :  r.  quaestus;  Statne 
(eines  Gottes):  r.  eimulacrum,  sigyitem;  Studiom  (allgemein):  r.  studio 
Uüerarum;  Subjekt  (von  Personen):  r.  homo;  Subordination:  r.  obsequiumj 
modesHa.  Temperament:  r.  animi  affedio,  temperetio;  Temperatur:  r.  eoeU 
temperatio;  Termin:  r.  dies;  Text:  r.  ver^n,  oratio ,  scriptum;  Titel:  r. 
nomeHf  inscriptio;  Tradition:  r.  fabula^  narratio^  opinio  tradüa;  Traktat:  r. 
foedusj  pactum,  Universität:  r.  sedes  liUerarum.  Vagabund:  r.  erro,  homo 
vaffus;  Viktualien:  r.  victus,  alimenta,  commeatus;  Vision:  r.  visunt^ 
ostentum,  species;  Votum  (abgeben):  r.  sententiam  {dicere),  suffragium  (ferre), 

Waiden  bürg  i.  Schi.  0.  Storch. 


VIERTE  ABTEILUNG. 


EINGESANDTE  BÜCHEB. 


1.  LehmaDn-Hohenberg,  Einiges  Christentum.  Volksschrift 
xor  ForderiiDg    der  Bestrebaogeo  Bf.  v.  Egidy's.     Heft  5.     121  S.     0,50  M. 

2.  G.  Glode,  Die  deutsche  Interpuoktiouslehre.  Die  wichtig- 
«ten  Regeln  über  die  Satz-  und  Lesezeichen  und  die  Redestriehe,  dargestellt 
and  durch  Beispiele  erläutert.  Leipzig  1893,  B.  G.  Teubner.  33S»kart.  0,30  M. 

3.  Aasgewählte  Balladen  Goethes  und  Schillers.  Mit  aus- 
ührUehen  Erläuterungen  für  den  Schulgebrauch  und  das  Privatstndium  >'on 
J.  Heowes.  Paderborn  1893,  F.  Schöningfa.  129  S.  IM.  —  Die  Erläu- 
teroogeo,  auf  den  gründlichsten  Studien  berubend|  sind  für  den  Schalgebrauch 
sehr  geeignet. 

4.  Goethe  and  Schiller.  Beiträge  zur  Ästhetik  der  deutschen 
Klassiker.  Nach  seinen  an  der  Universität  Berlin  gehaltenen  Vorträgen 
aafgezeiehoet  von  K.  H.  v.  Stein.    Leipzig,  Ph.  Reclam  jun.    127 S.    Oj20  M. 

5.  Dionis  Prusaensis,  quem  vocant  Chrysostomum,  quae 
eztant  omnia.  Edidit,  apparatu  critico  instruxit  J.  de  Arnim.  Vol.  L 
Berlin  1S93,  Weidmannsche    Buchhandlung.     XL  u.  338  S.  gr.  8.     14  M. 

6.  Flaminio  Nenzini,  Sul  proverbio  an*  ovov  {ano  x^^Sf 
dnb  jvfißov)  xaianeatlv,    Firenze-Roma  1893.     15  S 

7.  H.  Perthes,  Lateinisches  Lesebuch  für  die  Quinta. 
Vierte  Auflage  von  W.  Gillhausen.  XIV  u.  77  S.  Dazu  H.  Perthes, 
Granraatiscb-etymologisches  Vokabularium.  Vierte  Auflage  von 
W.  Gillhausen.  107  S.  Zusammen  2  M.  Berlin  1893,  Weidmannsche 
Bochhandlang. 

8.  Ciceronis  Cato  maior  de  senectute.  Für  den  Schulgebrauch 
heraasgfgeben  von  Th.  Schiebe.  Zweite,  verbesserte  Auflage.  Leipzig 
1S93,  G.  Prevtag.  XVIII  u.  42  S.  0,40  M,  geb.  0,70  M.  —  Im  Tejtt  ist 
die  La.  an  eli  Stellen  geändert. 

9.  Edw.  Capps,  Vitruvius  and  the  Greek  stage.  Chicago 
1893,  The  University  Press  of  Chicago.    23  S. 

10.  S.  v.  Räumer,  Die  Metapher  bei  Lukrez.  Erlangen  1893, 
Th.  Bläsings  Unxv.-Bachbandlung.     129  S. 

11.  Lueianus.  Recognovit  J.  Sommerbrodt.  Voluminis  11  pars  1. 
BerUn  1893,  Weidmannsche  Buehhandluog.    X  u.  344  S.    6  M. 

12.  S.  Sepp,  Pyrrhoneische  Studien  (Teil  I:  Die  philosophische 
Bichtaog  des  Cornelias  Celsus ;  Teil  II :  Untersuchungen  auf  dem  Gebiete  der 
Sepsis).     Diss.  von  Erlangen.    Freising  1893.     149  S.  gr.  8. 

13.  A.  Amend,  Ober  die  Bedeutung  von  fieigdxtov  und  AvtI- 
uais.     Progr.  DilHngen  1893.     74  S. 

14.  F.  Rnst,  Atalante.  Dramatische  Dichtung  mit  Tanz  in  3  Auf- 
zigen  mit  einer  Vorbemerkung.  Kommissionsverlag  von  P.  Schweitzer,  Buch- 
haadlong  in  Breslau.  XVI  o.  55  S.  —  Die  Hauptrolle  (Atalante)  ist  durch 
eine  Taozerin  darzostellen ;  es  ist  vermieden,  „ihr  auch  nur  ein  einziges 
Wart  abzofordern''. 


240  Eingesandte  Büeher. 

15.  A.  Holder,  Alt-Celtischer  Sprachschatz  Vierte  Lieferong 
(GaraDt-o(n)  bis  Cintu-smas).    Leipzifp  1893  B.  G.  Teoboer,.    Sp.  769— 1024. 

16.  W.  Sauer,  Mababharata  und  Wate.  Eine  indof^ermanische 
Studie.  Stuttgart  1893,  A.  F.  Prechter  (Wildtsche  Buchhandlung).  74  S.  4. 
2  M.    (Progr.  Eberhard-Ludwigs-Gymn.). 

17.  J.  Bauer,  A.  Englert  und  Th.  Link,  Wörterverzeichnis 
zu:  Französisches  Lesebuch  von  Bauer,  fingiert,  Link.  München,  R.Oldenboargf 
o.  J.     112  S.     1,50  M.  —  VgL  diese  Zeitschr.  1890  S.  467  ff. 

18.  K.  Kühn,  Kleine  französische  Schulgrammatik.  Zweite 
umgearbeitete  Auflage.  Bielefeld  und  Leipzig  1893,  Velhagen  &  Riasing. 
VIII  u.  120  S.  geb.  1,30  M.  —  Vgl.  diese  Zeitschr.  1892  S.  314. 

19.  Sandeau,  Mademoiselle  de  la  Seigliire.  Erklärt  von 
K.^Kaph engst.  Zweite  Auflage.  Berlin  1893,  Weidmannsche  Buehhand- 
lung.     XV  n.  148  S.     1  M. 

2(1.  G.  Plötz,  Elementarbuch  der  französischen  Sprache. 
Ausgabe  C  (für  Realschulen  und  Oberrealschulen).  Berlin  1893,  F.  A.  Herbig. 
XVI  u.  242  S.     1,80  M. 

21.  H.  K.  Stein,  Handbuch  der  Geschichte  für  die  oberen 
Klassen  der  Gymnasien  und  Realschulen.  Zweiter  Band:  Das  Mittelalter. 
4.  Auflage.  238  S.  1,80  M.  Dritter  Band:  Die  neuere  Zeit.  Vierte  Auf- 
lage. 324  S.  2,25  M.  —  Vgl.  diese  Zeitschr.  1882  S.  378.  1886  S.  296. 
1889  S.  624. 

22.  C.  Frenzel  und  G.  Wende,  Deutschlands  Kolooieen. 
Kurze  Beschreibong  von  Land  und  Leuten  unserer  anfserenropäischen  Be- 
sitzungen. Nach  den  neuesten  Quellen  bearbeitet.  Dritte,  vermehrte  Auf- 
lage. Hannover  1893,  C.  Meyer  (G.  Prior).  180  S.  kart  3  M.  —  Vgl. 
diese  Zeitschr.  1889  S.  490. 

23.  E.  DÜDzelmann,  Das  römische  Strafsennetz  in  Nord- 
deutschland. Mit  3  Karten.  Leipzig  1893,  B.  G.  Teubner.  (S.  A.  aus 
dem  20.  Suppl.-B.  der  Jahrb.  f.  klass.   Phil.)    60  S.     2  M. 

24.  A.  Schaeffer,  Der  geometrische  Unterricht  auf  psycho- 
logischer Grundlage.    Progr.  Strafsburg  1893.     28  S.  4. 

25.  E.  Bardey,  Algebraische  Gleichugen  nebst  den  Resultaten 
und  den  Methoden  zu  ihrer  Auflösung.  Vierte  Auflage.  Leipzig  1893,  B.  G. 
Teubner.     XI  u.  378  S.     6  M. 

26.  M.  Krafs  und  H.  Landois,  Das  Pflanzenreich  in  Wort 
und  Bild.  Siebente,  verbesserte  Auflage.  Freiburg  i.  B.  1898,  Herdersche 
VerlagshandluDg.     XI  u.  218  S.     2,10  M,  geb.  2,45  M. 

27.  J.  Buschmann,  Sagen  und  Geschichten  für  den  ersteo  Ge- 
schichtsunterricht. Dritter  Teil:  Erzählungen  aus  der  preufsischen  Geschichte. 
Zweite,  vermehrte  Auflage.  Padernborn  1893,  F.  Schöningh.  193  S.  1,20  11. 
—  Vgl.  diese  Zeitschr.  1888  S.  487. 

28.  J.  Hoffmann,  Turnen  und  Bewegungsspiel.  Esehweiler  1893, 
Verlag  des  Verfassers.    30  S.    0,50  M. 

29.  Neues  Taschenbuch  für  die  Lehrer  an  den  Mittel- 
schulen auf  das  Schuljahr  1893/94.  Fünfter  Jahrgang.  München  1893, 
Lindauersche  Buchhandlung,  geb.  IM.  —  Die  Einrichtung  Ist  unver- 
ändert geblieben. 

30.  G.H.  Müller,  Stereometrische  Konstruktionen.  Projek- 
tionslehre für  die  Prima  des  Gymnasiums.  Progr.  Kaiser-Friedrichs-Gyma. 
Frankfurt  a.  M.  1893.     32  S.  u.  6  Tafeln  in  4. 

31.  G.Neufflann,  Die  Haupt-jund  Brennpunkte  eines  Linsen- 
Systems.  Zweite  Auflage.  Leipzig  1893,  B.  G.  Teubner.  VIII  a.  42  S. 
gr.  8.     1,20  M. 

32.  G.  Weinländer,  Zur  Würdigung  der  v.  Köcheischen 
Mineraliensammlung.     Progr.  Krems  1893.     24  S. 


ERSTE  ABTEILUNG. 


ABHANDLUNGEN. 


Der  PhysikunteiTicht  nach  den  neuen  Lehrplänen. 

Durch  die  neuen  Lehrpläne  vom  6.  Januar  1892  sind  nicht 
nur  wichtige  Änderungen  auf  dem  Gebiete  des  humanistischen 
Unterrichts  herbeigeführt  worden,  sondern  es  hat  auch  in  dem 
naturwissenschaftlichen  Lehrgänge  eine  bemerkenswerte  Verschie- 
bung stattgefunden.  Die  ,,Zeitschrift  für  das  Gymnasiaiwesen'^  hat 
diese  Wandlungen  nach  den  einzelnen  Fächern  kritisch  beleuchtet, 
nur  die  Physik  hat  eine  entsprechende  Bearbeitung  bisher  nicht 
erfahren.  Da  die  neuen  Lehrpläne  sich  in  vielen  Punkten  noch 
abwartend  verhailen,  so  haben  die  Physiklehrer  die  Pflicht,  ihrem 
Urteile  über  die  Reorganisation  Ausdruck  zu  geben,  und  so  sind 
denn  in  Fachzeitschriften,  in  Verhandlungen  von  Direktoren- Ver- 
sdfliiDlungen  und  an  anderen  Stellen  die  bezüglichen  Fragen 
eingehend  erörtert  worden.  Indem  ich  diese  Erörterungen  prüfte 
und  meine  eigenen  Erfahrungen  zu  Hülfe  nahm,  gelangle  ich  zu 
den  folgenden  Ansichten,  die  ich  als  einen  Beitrag  zur  Verständigung 
über  eine  angemessene  Gestaltung  des  Physikunterrichls  der  Gym- 
nasien beurteilt  wissen  möchte. 

Zunächst  darf  man  es  mit  Freude  begrüfsen,  dafs  die  Physik 
einen  Zuwachs  von  einem  Semester  zu  zwei  Stunden 
wöchentlich  erfahren  hat,  wenn  auch  auf  Kosten  des  nalur- 
geschichtlichen  Unterrichtes.  Zwar  hat  diese  Eiobufse,  welche  die 
.Naturgeschichte  betroffen  hat,  hier  und  da  zu  Klagen  Veran- 
lassung  gegeben,  doch  glaube  ich,  daTs  ein  Verlust  sich  an 
dieser  Stelle  noch  am  leichtesten  ertragen  läfst,  und  dafs  er 
durch  den  Gewinn,  der  aus  dem  Physikunterrichte  infolge  des 
Zuwachses  an  Zeit  nunmehr  hervorgehen  wird,  hinreichend  aus- 
geglichen  werden  dürfte.  Als  zweite  wichtige  Änderung  ist  die 
Einrichtung  eines  vorbereitenden  Lehrganges  hervorzuheben, 
der  ein  Semester  der  Obertertia  und  zwei  Semester  der  Unter- 
sekunda umfafst  und  dem  eigentlichen  wissenschaftlichen  Kursus 
der  oberen  Klassen  vorangeht.  Eine  Teilung  des  physikalischen 
l'ntcmrhts  in  zwei  solche  Stufen  ist  wohl  unser  aller  Zustimmung 

Zcitachr.  f  d.  OjimiMialweien    XLVIU.    4.  Iß 


242      D^i*  Physikuuterr icht  nach  den   neuen  Lehrpläneo, 

sicher,  hat  man  doch  schon  vor  den  Verhandlungen  der  Dezember- 
Konferenz  den  Vorschlag  der  Bildung  zweier  konzentrischer  Unter- 
richsstufen  in  der  Physik  zum  Ausdruck  gebracht  und  begründet*). 
So  sehr  den  Wünschen  der  Physiklehrer  nach  dieser  Richtung  hin 
Rechnung  getragen  zu  sein  scheint,  so  wenig  sind  die  Beweggrunde, 
welche  von  seiten  der  in  diesem  Sinne  wirkenden  Lehrer  geltend 
gemacht  wurden,  in  den  Kommissionen  und  bei  den  Behörden 
ausschlaggebend  gewesen.  Um  so  tiefer  muTs  unser  Bedauern 
darüber  sein,  als  diese  Gesichtspunkte  nicht  nur  für  die  Zeit- 
bemessung, sondern  auch  für  die  Feststellung  der  Aufgaben  und 
Ziele  der  beiden  Stufen,  sowie  für  die  Lehrpläne  hätten  mafsgebend 
werden  können.  Eine  äufserliche  Begründung  der  eintretenden 
Veränderungen  aus  praktischen  Rücksichten  und  eine  rein  technicbe 
Aufzählung  der  Kapitel,  die  auf  den  einzelnen  Stufen  behandeil 
werden  sollen,  ist  in  dem  neuen  Reglement  statt  eines  allge- 
meinen, idealen  Lehrzieles  geboten  worden  und  läfst  deutlich 
erkennen,  dafs  die  Verfasser  der  neuen  Lehrpläne  von  dem  exakt- 
naturwissenschaftlichen Unterricht  die  Förderung  einer  eigentlich 
inneren  Bildung  nicht  erwarten').  Der  innere  Gegensatz,  den  ich 
soeben  angedeutet  habe,  mufs  zu  grundsätzlich  verschiedenen  An- 
sichten über  die  Lehraufgaben  des  Physikunterrichtes  und  die 
nötige  Zeilbemessung  fähren.  Deshalb  möchte  ich  im  Folgenden 
auf  diesen  Gegensatz  näher  eingehen  und  zwar  zunächst  die  Ab- 
sichten, die  den  neuen  Lehrplänen  zu  Grunde  liegen,  und  die 
Möglichkeit  ihrer  Verwirklichung  und  dann  die  Auffassung  von 
dem  idealen  Bildungswerle  der  Physik  und  ihr  Verhältnis  zu  den 
neuen  Verordnungen  besprechen. 

In  den  Erläuterungen  zu  den  neuen  Lehrplänen  wird  auf  den 
hohen  Prozentsatz  von  Schülern")  hingewiesen,  die  das  Gym- 
nasium nicht  absolvieren.  Nur  20,5  Prozent  sämtlicher  Schuler 
erreichen  das  Ziel  der  Schule  und  40,2  Prozent  gehen  mit  dem 
Zeugnis  der  Reife  für  den  Einjährig-freiwilligen-Dienst  ab.  Hieraus 
ergiebt  sich  die  Notwendigkeit,  für  diese  letzteren  Schüler  einen 
Abschlufs  ihres  Bildungsganges  herbeizuführen.  Zu  diesem  Zwecke 
ist  der  propädeutische  Physikunterricht  eingerichtet  worden, 
durch  den  dem  abgehenden  Sekundaner  „ein  möglichst  abge- 
rundetes Bild  der  wichtigsten  Lehren  auf  dem  Gebiete 
der  Physik,  Chemie  und  Mineralogie  mit  in  das  Leben 
gegeben  werden  soll''^).  Hit  Rücksicht  auf  die  gewaltige 
Fülle  des  LehrstoiTes  hat  man  einerseits  die  Unterrichtszeit  um 
ein  Semester  erhöht  und  andererseits  es  zur  Pflicht  gemacht,  auf 
eine  angemessene  Stoffauswahl  die  gröfste  Sorgfalt  zu  verwenden. 

^)  Vergl.  Glatzel,  Zur  Methodik  des  physikalischen  Unterrichts.    Prof  r. 
Friedr.-Realg.    Berlin  1889. 

<)  Zeitschrift  fdr  die  Reform  der  höheren  Schulen  1892,  iSr.   ]. 
•)  Lehrpläne  Briäat  1  (S.  67). 
*)  Lehrpläne  S.  54. 


voD  R.  Schiel.  243 

Im  übrigen  hat  man  sich  darauf  beschränkt,  die  Namen  derjenigen 
Kapitel  ansugeben,  die  auf  den  einzelnen  Stufen  zu  behandeln  sind. 
Schliefslich  ist  die  Lebrbuchfrage  noch  offen  gehalten. 

Der  hohe  Prozentsatz  von  Schälern,  die  nach  der  Ab- 
schlufsprüfting  die  Schule  verlassen,  ist  ein  Obelstand,  der  für 
unser  ganzes  höheres  Schulwesen  eine  beträchtliche  Last  reprä- 
sentiert. Durch  die  Bildung  von  Realschulen  hofft  man  mit  der 
Zeit  hierin  Wandel  zu  schaffen  und  den  druckenden  Prozentsatz 
zu  vermindern.  Solche  Folgen  sind  nicht  mit  Sicherheit  zu  erwarten, 
und  eine  wesentliche  Besserung  auf  diesem  Gebiete  wird  voraus- 
sichtlich noch  lange  auf  sich  warten  lassen.  Daher  bat  man  dem  Zwange 
äolserer  Verhältnisse  nachgeben  und  dem  Schulorganismus  einen 
Abschinfs  einfugen  müssen,  der  in  seiner  Natur  nicht  begründet  liegt. 

In  der  Physik  wurden  bis  dahin  dem  abgehenden  Unter- 
sekundaner einige  Kenntnisse  aus  der  Chemie  und  der  Mechanik, 
zuweilen  auch  aus  eine  der  anderen  Kapitel  der  Physik  über- 
liefert. Vom  Magnetismus  und  von  der  Elektrizität  hatte  ein 
solcher  Schüler  auf  der  Schule  meist  ebenso  wenig,  wie  von  den 
Gesetzen  der  Optik  und  der  Wärme  gehört.  Selbstverständlich 
hatte  eine  so  rudimentäre  physikalische  Bildung  für  den  in  das 
praktische  Leben  übertretenden  jungen  Menschen  nur  sehr  geringe 
Bedeutung,  so  dafs  der  Wunsch,  es  möchte  den  abgehenden 
Schülern  etwas  Ganzes  und  Festgefügtes  mitgegeben  werden,  ge* 
rechtfertigt  erscheint.  Die  Einrichtung  eines  Vorkursus  und  sein 
Beginn  in  der  Obertertia  ist  von  seiten  einzelner  Physikiehrer 
angefochten  worden,  indem  sie  den  Physikunterricht  als  über  das 
geistige  Niveau  so  junger  Schüler  hinausgehend  bezeichnen  und 
die  Gefahr  betonen,  es  könnte  durch  Vorwegnahme  der  Experimente 
auf  d^  Unterstufe  das  Interesse  im  späteren  Unterricht  lahm- 
gelegt werden.  Diese  Einwände  sind  durch  die  nach  dieser  Rich- 
tung hin  günstigen  Erfahrungen,  die  man  im  österreichischen 
Schulwesen^)  gemacht  hat,  und,  wie  es  scheint,  auch  durch  die 
Erfahrungen  der  letzten  beiden  Jahre  auf  den  preufsischen  Schulen 
eotkriftet,  femer  dürfte  die  Überlegung  dagegen  sprechen,  dafs 
auf  den  beiden  Stufen  die  Auswahl  der  Experimente  nicht  über- 
emstimmen  kann  und  auch  die  gleichartigen  Versuche  doch  in 
verschiedener  Weise  behandelt  und  von  verschiedenen  Gesichts- 
punkten aus  im  Unterrichte  verwendet  werden  müssen. 

Der  neu  eingerichtete  Vorkursus  umfafst  nun  leider  nur  drei 
Semester  zu  wöchentlich  zwei  Stunden.  Dabei  sollen  die  Schüler, 
indem  der  Versuch  in  den  Vordergrund  des  Unterrichtes  tritt, 
^zu  eigenem  Denken  und  Beobachten  angeleitet  werden 
und  ein  abgerundetes  Bild  der  wichtigsten  Lehren  auf 

*)  Zeitschrift  für  den  physikalischeD  uod  chemischen  Unterricht  V:  Die 
nenen  österreichischen  Verordnungen  für  den  Unterricht  am  Untergyninasiam; 
VI:  Hofler,  Der  Zosammenhans  zwischen  dem  physikalischen  Unterricht  in 
dei  unteren  and  oberen  Klassen  der  Gymnasien. 

16* 


244       D^>*  Pbysili  Unterricht  oach  deo  neuen  LehrplaneD, 

den  Gebieten  der  Physik,  Chemie  und  Mineralogie  er- 
halt en'^  Unter  den  wichtigsten  Lebren  werden  wir  die 
höchsten  und  allgemeinsten  Grundgesetze  verstehen 
müssen,  deren  Wirkung  in  den  verschiedenen  Formen  physischer 
Erscheinungen  erkannt  werden  sollen.  Die  so  formulierte  Aufgabe 
hake  ich  für  unlösbar  mit  Schülern  so  jugendlichen  Alters  und 
auch  nicht  ffir  annähernd  lösbar  in  der  gebotenen  Zeit,  und  ich 
schliefse  mich  in  dieser  Hinsicht  nur  den  Anschauungen  an,  die 
bereits  von  sehr  namhaften  Physiklehrern  zum  Ausdruck  gebracht 
worden  sind.  Besonders  lehrreich  sind  in  dieser  Hinsicht  die 
Verhandlungen  der  Direktoren-Versammlung  der  Rheinprovinz,  die 
im  Juni  v.  J.  stattfand.  Sie  bewegen  sich  streng  auf  dem  Boden 
der  durch  die  neuen  Lehrpläne  geschaffenen  Verhältnisse  und 
bringen  die  Resultate  und  Erfahrungen  zur  Darstellung,  die  den 
Physiklehrern  der  Rheinprovinz  aus  sorgfaltiger  Beobachtung  der 
neuen  Vorschriften  erwachsen  sind.  Der  Berichterstatter  berichtet 
u.  a.  über  die  Erfahrungen,  die  man  gemacht  hat  in  dem  Be- 
streben, das  Ziel  der  Unterstufe  in  der  vorgeschriebenen  Zeit  zu 
erreichen').  Darnach  glaubt  man  in  ausreichender  Weise  das 
Pensum  erledigen  zu  können,  wenn  man  für  die  Behandlung  der 
aligemeinen  Eigenschaften  der  Körper  7  Stunden,  der  Mechanik  31, 
des  Schalles  5,  des  Lichtes  14,  der  Wärme  11,  des  Magnetismus 
und  der  Elektrizität  40,  der  Chemie  und  Mineralogie  20  Stunden, 
zusammen  128  Stunden  ansetzt  unter  der  Voraussetzung,  dafs 
in  jeder  Stunde  das  in  der  vorigen  Durchgenommene  wiederholt 
werde.  Wenn  ich  auch  der  Ansicht  bin,  dafs  man  in  der  ange- 
gebenen Zeit  den  Schülern  einige  Kenntnisse  übermitteln  kann, 
so  halte  ich  doch  dafür,  dafs  diese  Zahlen  nur  als  untere  Grenze 
bei  nicht  zu  grofsen  Klassen  gelten  können,  und  dafs  man  bei 
dieser  Unterrichtseinteilung  auf  die  Anleitung  der  Schüler  zum 
eigenen  Denken  und  zum  Beobachten  doch  fast  ganz  wird 
verzichten  müssen  und  ihnen  mehr  fertiges  Wissen  bieten  als 
Resultate  wird  erarbeiten  können.  Damit  aber  die  so  ge- 
wonnenen Kenntnisse  nun  auch  zu  einem  sicheren  Besitze  werden, 
sind  häufigere  zusammenfassende  Repetitionen  nicht  zu  entbehren. 
Ferner  sollen  nach  dem  neuen  Reglement  schriftliche  Ausarbei- 
tungen und  ihre  Besprechungen  in  der  Klasse  regelmäHsig  statt- 
finden. Diese  Forderungen  erhöhen  die  eben  als  notwendig 
aufgestellte  Stundenzahl  beträchtlich.  Eine  Berechnung,  die 
nicht  einmal  Rucksicht  nimmt  auf  die  oft  zahlreichen  Ausfälle  an 
Unterrichtsstunden  bei  gelegentlichen  Veranlassungen,  ergiebt  aber, 
dafs  dem  vorbereitenden  Physikunterricht  auf  dem  Gymnasiam 
nur  ca.  123  Stunden  im  ganzen  zur  Verfügung  gestellt  sind. 
Somit  scheint  mir  erwiesen  zu  sein,  dafs  die  Forderungen  der 
neuen  Lehrpläne    bezüglich    des  Vorkursus   in    der  ge- 

1)  VerhandluDgen  der  Direktoren- VersammloDseo  inPrenfsen  (Berlia  1898). 


von  R.  Schiel.  245 

gebenen  Zeit  sich  nicht  erfuDen  lassen.  AU  Resultat  des 
vorbereitenden  Untemchtes  kann  sich  unter  den  vorgeschriebenen 
Bedingungen  nur  ergeben,  dafs  den  Schulern  ein  lückenhaftes 
KoDglomerat  unsicherer  chemisch  -  mineralogisch  -  physikalischer 
Kenntnisse  überliefert  wirdM.  Diese  Schwierigkeiten  sind  schon 
gleich  nach  Veröffentlichung  der  Lehrpläne  erkannt  und  in  Berichten 
iierrorgehoben  worden.  Darauf  ist  einigen  Berliner  Gymnasien 
ihren  Anträgen  gemäfs  gestattet  worden,  beide  Semester  der  Ober- 
tertia dem  vorbereitenden  Lehrgänge  zu  widmen.  Die  Erfahrungen, 
die  mit  diesem  erhöhten  Zeitmafse  bisher  gemacht  wurden,  unter* 
stützen  meine  Bedenken  durchaus;  denn  es  zeigt  sich,  dafs  der 
um  ein  Semester  vermehrte  Zeitaufwand  den  Lehraufgaben  nur 
knapp  genögt. 

Aus  meinen  bisherigen  Ausföhrungen  ergiebt  sich  also  die 
Forderung,  den  vorbereitenden  Kursus  um  ein  Se- 
mester zu  vermehren'),  wozu  die  dem  naturkundlichen  Unter- 
richt noch  zugewiesene  Zeit  der  Obertertia  sich  verwenden  läfsL 
Ferner  erscheint  es  notwendig,  den  Begriff  der  wichtigsten 
Lebren  nicht  auf  die  obersten  und  schwierigsten  Prinzipien  der 
Physik  zu  beziehen,  wie  oben  angedeutet  wurde,  sondern  ihm  eine 
andere  Deutung  zu  geben,  die  aus  den  folgenden  Überlegungen 
hervorgehen  soll. 

Es  scheint,  dafs  die  praktischen  Erfolge  naturwissen- 
schaftlicher Entdeckungen  und  Erfindungen  im  Publikum  den 
Wunsch  rege  gemacht  haben,  es  möchten  unsere  abgehenden 
Sekundaner  eine  bessere  Kenntnis  dieser  Erfolge  mit  ins  Leben 
nehmen,  und  dieser  Wunsch  scheint  zu  der  Forderung  des  Lehr- 
planes geführt  zu  haben,  nach  welcher  jene  Schuler  ein  abge- 
rundetes Bild  der  wichtigsten  Lehren  der  l^hysik  in  sich  aufnehmen 
sollen.  Solche  praktischen  Rücksichten  halte  ich  mit  Prof.  Höfler') 
nicht  für  ausreichend,  um  selbst  nur  die  Aufnahme  der  Physik  in 
den  Gymnasiallehrplan  zu  begründen ;  denn  kein  Unterrichtsgegen- 
stand  darf  seine  Bedeutung  nach  solchen  realistischen  Werten 
bemessen.  Der  Realismus,  der  die  Bedeutung  des  Physikunter- 
ricbtes  ausmacht,  liegt  vielmehr  in  seiner  Aufgabe,  „die  klare  Er- 
kenntnis und  besonnene  Wertschätzung  des  Wirklichen  in  der 
physischen,  wie  in  der  psychischen  Welt  zu  begründen*',  und  ist 
eine  notwendige  Ergänzung  des  humanistischen  Prinzips.  Diese 
Auffassung    wird   in  weiten  Kreisen  der  Kollegen  geteilt,    sie  hat 


*)  Zeit5chr.  f.  d.  phys.  o.  ehem.  Unterricht  IV:  Pietzker,  Die  Stelluoc 
<er  Pkffik  im  Gymotsialaoterrieht  S.  233;  V:  Poske,  Propädentiscbe  Physik 
im  Lehrplao  der  GymoasieD. 

*)  für  eiftc  Vermehraog  der  ÜBterrichtszeit  ^iod  oachdrücklieh  eioge- 
tretea  die  VersammlaDg  der  Physiklehrer  za  Jena,  die  Herren  Pietzker, 
P«fke  n.  a. 

*)  Zcltsehr.  f.  d.  pbys.  o.  ehem.  Unterr.  11:  Höfler,  Die  hnmanietische 
4i%abe  dea  phyiikalischeo  Unterrichts. 


J 


246      ^^^  Phyjiikontei'rich  t  aach  den  neuen  Lehrplänen, 

ZU  folgender  eingehender  Feststellung  des  Unterrichtszweckes  der 
Physik  geführt^).    Durch  richtig  geleitete  Übung  sollen  die  Sinnes- 
organe gebildet  und  geschärft  und  die  Beobachtungsgabe  entwickeil 
werden,  die  Beobachtungen  sollen  zu  sicheren  Urteilen  führen  und 
diese    zu   richtigen  Schlössen  verarbeitet  werden.     Die  als  Unter- 
richtsstoff überlieferten  Kenntnisse  sind  so  auszuwählen,  dafs  sie 
zum  Verständnis  der  Natur  und  der  Verhältnisse  der  gegenwärtigen 
Kultur    dienen    können.     Dabei  sind   die  Schuler  zu  einer  ästhe- 
tischen   und    gemütvollen   Auffassung  der  Natur  anzuregen,    ins- 
besondere   wird    die  wichtige  Aufgabe  zu  erfüllen  sein,    eine  rein 
materialistische  Denkweise  zu  bekämpfen.    Demnach  hat  der  Physik- 
unterricht als  nächste  Aufgabe  die  Einführung  in  die  Methode 
des    induktiven    Denkens,   und    zwar,    wie  von  vielen  Seiten 
verlangt  wird,  unter  möglichstem  Anschlufs  an  die  histo- 
rische Entwickelung^)  zu  erfüllen.    Nun  ist  mit  Recht  darauf 
hingewiesen    worden,    dafs    Knaben    den    naturwissenschaftlichen 
Dingen  ein  besonderes  natürliches  Interesse  entgegenbringen,  dafs 
ihr  Geist  in  diesem  jugendlichen  Alter  noch  besonders  bildsam  isL 
Daraus  ergiebt  sich  die  Forderung,  den  Anfang  des  Physikunter- 
richtes schon  auf  eine  frühere  Stufe  zu  verlegen,  wobei  der  Auf- 
fassungsfähigkeit der  Schüler  Rechnung  zu  tragen  und  insbesondere 
bei  der  Auswahl  des  Stoffes  auf  das  natürliche  Interesse  Rücksicht 
zu  nehmen  ist.     Auf  dieser  Stufe  wird  sich  die  Physik  nicht  voll 
für  die  geistige  Bildung  der  Schüler  ausnutzen  lassen,  schwierigere 
und  zwar  die  wertvollsten  Teile  werden  unberührt  bleiben  müssen, 
der  Unterricht  wird  nur  ein  propädeutischer  sein  können,  und 
es   wird    ein    zweiter  Kursus    für   die   gereifteren  Schüler  folgen 
müssen.     Der  Vorkursus    hat  demnach  in    erster  Linie   die  Auf- 
gabe,   den    Hauptkursus    vorzubereiten,    in    zweiter  Linie 
wird  er  erst  die  Vorbereitung  der  abgehenden  Sekundaner  für  die 
Bedürfnisse  des  praktischen  Lebens  ins  Auge  zu  fassen  haben. 

Die  Mittel,  welche  gegenwärtig  im  Physikunterrichte  zur 
Anwendung  kommen,  bestehen  zunächst  in  Versuchen,  welche  auf 
der  Unterstufe  im  wesentlichen  nur  qualitativer  Art  sein  können. 
Um  die  Anschauungen  der  Schüler  sicherer  zu  festigen,  wird  man 
schematische  Zeichnungen  von  Apparaten  und  Versuchsanordnungen 
verlangen  müssen.  Die  mündliche  Beschreibung  des  Angeschauten 
und  Begriffenen  bildet  ferner  einen  wichtigen  Teil  der  Thätigkeit 
der  Schüler,  und  schriftliche  Ausarbeitungen  geringeren  Umfanges, 
die  durch  die  neuen  Lehrpläne  eingeführt  sind,  haben  sich  als 
sehr  fruchtbar  und  nützlich  erwiesen.  Indem  die  Entwickeluug 
des  Unterrichtes  hauptsächlich  in  Dialogform  fortschreitet  und  von 
den  genannten  Mitteln  fortwährend  Anwendung  macht,  ist  sie  der 
geistigen  Anregung  der  Schuler  sicher  und  wird  als  Frucht  einen 

^)  Verhandlungen  derDirektoreu-Versamniluogen  inPreafsen  (Berlin  1893). 
')  Vgl.  £.  Mach,    Mechanik   in    ihrer  ßntwickelung   historisch- kritisch 
dargestellt. 


von  R.  Schiel.  247 

Lerneifer  hervorbringen,  der  mit  Überbürdung  nichts  zu  thun 
hat^).  Soll  der  propädeutische  Unterricht  die  angeführten  Aufgaben 
lösen,  so  mufs  er  mit  Ruhe  und  Freudigkeit  gegeben  werden 
können.  Dies  verlangt  aber  ausreichende  Zeit  und  eine  dem 
Schüierinteresse  durchaus  entsprechende  Auswahl  und  Be- 
schränkung des  Stoffes,  welche  zwar  auch  in  den  Lehrplänen 
den  Lehrern  ausdrücklich  zur  Pflicht  gemacht^),  aber  wieder  durch 
die  Formulierung  der  Lehraufgabe  auf  der  Unterstufe  aufgehoben 
wird.  Nicht  die  Lehre  von  der  Erhaltung  der  Arbeit,  nicht  der 
Energiebegrifl\  nicht  die  Wandlungen  der  Energieformen  und 
Ähnliches,  was  doch  sicher  zu  den  wichtigsten  Lehren  gerechnet 
werden  muls,  eignet  sich  für  diese  Stufe,  sondern  die  elemen- 
tarsten und  einfachsten  Dinge^)  sind  auszuwählen  und  in 
Zusammenhang  zu  bringen,  so  dafs  sie  ein  abgerundetes  Bild 
liefern  können.  Auch  diese  Beschränkung  wird  noch  nicht  aus- 
reichen, um  mit  Sicherheit  das  Gesamtgebiet  der  Physik  im  Vor- 
kursus durchwandern  zu  können,  sondern  es  wird  den  Lehrern 
noch  längere  Zeit  gestattet  sein  müssen,  die  Stoffauswahl  nach 
bestem  Ermessen  derait  zu  treffen,  dafs  einzelne  Gebiete,  z.  B. 
die  Akustik,  die  Mineralogie  u.  a.,  nur  gestreift  werden,  während 
andere  Teile,  z.  B.  die  Elektrizitätslehre,  ausführlicher  behandelt 
werden,  —  bis  die  gesammelten  Erfahrungen  zu  einem  geeigneten 
Spezial-Lehrplan  gefuhrt  haben  werden.  Dabei  erachte  ich  es, 
wie  schon  oben  begründet,  als  eine  notwendige  Voraussetzung, 
dafs  das  aufzuwendende  Zeitmais  etwa  um  ein  Semester  zu 
wöchentlich  zwei  Stunden  erhöht  werde. 

Der  Oberstufe  stehen  nunmehr  sechs  Semester  zu  zwei 
Stunden  wöchentlich  zur  Verfugung,  in  denen  das  in  dem  Vor- 
kursus gewonnene  „Wissen  zu  vertiefen  und  zu  erweitern'^ 
ist,  wie  die  Erläuterungen  zu  den  Lehrplänen  bestimmen.  Auch 
hier  sind  für  die  einzelnen  Klassen  nur  die  Namen  der  Kapitel 
der  Physik  angeführt,  die  in  der  vorgeschriebenen  Zeit  zu  be- 
handeln sind.  Bemerkenswert  ist  dabei  die  Bestimmung,  nach 
welcher  die  Wärmetheorie  und  die  Wellenlehre  ausgeschlossen 
werden  dürfen^). 

So  sehr  es  von  manchen  Seiten  befürwortet  wird,  es  möchte 
dem  Physikunterrichte  auch  auf  der  Oberstufe,  entsprechend  seinem 
hohen  Bildungswerte,  ein  ausgedehnteres  Zeitmafs  zugewiesen 
werden,  und  so  sehr  ich  von  den  Vorteilen  überzeugt  bin,  die 
eine  noch  tiefergehende  physikalische  Bildung  unseren  Schülern 
bieten    würde,    so   wenig   kann    ich  mich  mit  Rücksicht  auf  den 


*)  ZciUchr.  f.  d.  phys.  n.  ehem.  (Jot.  IV:  Pietzker,  Die  Stelluogp  der 
Pkysik  im  GymDasialuoterricht  S.  217  ff. 

*)  Lehrpläoe  S.  55. 

^  Zeitsehr.  f.  d.  phys.  u.  ohem.  Uot  V:  Poske,  Propädeutische  Physik 
ia  L«iirplao  der  Gymoasieo. 

*)  Lehrpläoe  S.  54. 


248     I)cr  Physikunterricbt   oach   d.   neuen  Lehrpl.,  v.  R.  Schiel. 

Charakter  unserer  Gymnasien  für  eine  Erfüllung  dieser  Forderungen 
schon  jetzt  aussprechen.     Wir   leben  in  der  Unsicherheil  vielum- 
stritlener   Versuche;    es   mufs    die    Wirkung    der    Reorganisation 
auf  den  Erfolg   unseres  jetzigen  Unterrichtsbetriebes  in  dem  hu- 
manistischen Fächern    abgewartet    werden,    um  zu  erkennen,    ob 
eine    weitere   Beschränkung    dieser    Fächer  geraten    erscheint^), 
ohne   die  Erfüllung  ihrer  wichtigsten  Aufgaben   ernstlich   zu  ge- 
fährden.    Auch  für  die  Oberstufe  müssen   wir  daher  als  Grund- 
satz festhalten:  Beschränkung  des  Stoffes,  aber  gründliche 
Ausnutzung    der   verfügbaren  Zeit   und   der  gebotenen 
Bildungsmittel').    Die  neuen  Lehrpläne  sprechen  nur  von  der 
Vertiefung  und  Erweiterung  des  physikalischen  Wissens  als  Auf- 
gabe  des    zweiten  Lehrganges.     Eine    solche  Vertiefung    und  Er- 
weiterung wird  von  selbst  sich  als  Frucht  des  Unterrichtes  ergeben, 
wenn    auf  der  Oberstufe    an    der  Erreichung  von  Bildungszielen 
gearbeitet  wird,   die   sich  nicht  wesentlich  von  denen  der  Unter- 
stufe  unterscheiden,    sondern    nur    höher   als  jene  gesteckt  sind. 
In    erster    Linie   ist   die    Übung    in    der   Anwendung  induktiven 
Denkens   gemeint,    welches    nunmehr   nicht   blofs   zum  wohlver- 
standenen Wissen,  sondern  zum   wohigeObten    Können   führen 
soll^).  Es  tritt  jetzt  die  Reflexion  auf  diese  Methode  hinzu^},  so 
dafs    sich    das  Verfahren   zu  einem  bewufsten  logischen  Akte  ge- 
staltet.    Dementsprechend  mufs  die  Methode  schärfer  werden  und 
zwar  im  wesentlichen  unter  Benutzung  messender  Versuche,  deren 
Verwertung  eine  ausgedehntere  Anwendung  mathematischer  Hülfs- 
mittel    verlangt.     Die  Thätigkeit   der   Schüler    wird   zum  gröfsten 
Teile    in    der  Auffassung    und   korrekten  Wiedergabe  zusammen- 
hängender Untersuchungen   und  Entwickelungen   bestehen,    wobei 
besonders  eine  scharfe  Gliederung  der  Gedankenreihen  zu  fordern 
ist^).    Dazu  treten  Aufgaben,  an  deren  Bearbeitung  sich  die  Selbst- 
(hätigkeit  entwickeln  soll.    Endlich  wird  die  Zusammenfassung  der 
gewonnenen  Kenntnisse  unter  dem   Gesichtspunkte  der  höchsten 
und    wertvollsten  Prinzipien   der  Physik  das  letzte  materielle  Ziel 
bilden  müssen.    Wenn  der  physikalische  Unterricht  auf  der  Ober- 
stufe diese  Aufgaben  löst,  so  erfüllt  er  damit  auch  die  Forderungen 
des  Reglements,  es   wird  aber  nicht  nur  das  Wissen  der  Schüler 
vertieft    und    erweitert,    sondern    es    erfährt  auch  ihre  geistige 
Bildung  einen  wertvollen  Zuwachs. 


^)  Jahrb.  f.  Phil.  a.  Päd.  1893,  Heft  6:  Scbrader,  Über  den  vorbereitenden 
physikalischeo  Lehrgang  an  Gymnasien  S.  284  ff. 

')  Zeitscbr.  f.  d.  phys.  u.  ehem.  Unt.  IV:  Noack,  Bemerkangeu  zum 
physikalischen  Gymnasialunterricht  8.  161  ff. 

3)  Zeitschr.  II:  Höfler,  Die  hamanistische  Aufgabe  des  physikalischen 
Unterrichte.^. 

*)  Zeitschr.  VI:  Höfler,  Der  Zusammenhang  des  physikalischen  Unter- 
richtes auf  den  unteren  und  den  oberen  Klassen  der  Gymnasien. 

^)  Zeitschr.  IV:  Noack,  Bemerkungen  zum  physikalischen  Gymoasi«!- 
unterricbt. 


Za  den  Kiep  er  Ischen  A  t  lauten  der  alte  o  Welt,  v.  S.  George.     219 

')  In  den  oberen  Klassen  wird  der  Physikunterricht  nunmehr 
Scbülern  erteilt^  die  schon  eine  gewisse  Vorbildung  in  den  ße- 
griifen  und  Methoden  physikalischen  Denkens  durch  den  vorbe- 
reitenden Lehrgang  erhalten  haben,  docli  darf  die  Thatsache  nicht 
übersehen  werden,  dafs  tut  die  eingehendere  Behandlung  des  ge- 
samten Gebietes  nicht  mehr  vier,  sondern  nur  drei  Jahre  zur 
Verfügung  stehen.  Wenn  sich  auch  ein  Teil  des  Pensums  in 
Form  einer  Repetition  wird  erledigen  lassen,  so  mufs  doch  das 
meiste  jetzt  von  einem  h5heren  Gesichtspunkte  aus  von  neuem  be- 
handelt werden,  es  kommt  eine  Fülle  z.  T.  recht  schwieriger 
Kapitel,  sowie  eine  ausgedehntere  Anwendung  der  Hypothesen 
hinzu.  So  ergiebt  sich  auch  auf  der  Oberstufe  ein  beengender 
Mangel  an  Zeit,  dem  sich,  wie  oben  bemerkt,  gegenwärtig  nicht 
durch  Vermehrung  der  Unterrichtsstunden,  sondern  nur  durch 
Ausscheidung  selbst  wichtiger  Partieen  der  Physik  abhelfen  läfst. 
.Nun  ist  durch  das  Reglement  eine  allgemeine  Anordnung  des 
Stoffes  getroffen  worden,  der  ich  durchaus  beipflichte.  Es  haben 
sich  Stimmen  erhoben,  welche  diese  Vorschriften  als  wenig  ge- 
eignet bekämpfen  und  eine  andere  Stoffverteilung  unter  Anführung 
von  Gründen  verlangen.  Gerade  die  Mannigfaltigkeit  der  Forde- 
rungen, für  die  sich  gute  Gründe  anführen  lassen,  bringt  mich  zu 
der  Überzeugung,  dafs  es  keine  notwendig  gebotene  Anordnung 
dt*r  Pensen  giebt,  die  nicht  auch  durch  eine  andere,  sehr  brauch- 
bare ersetzt  werden  könnte:  die  in  den  neuen  Lehrplänen  vor- 
geschriebene hat  aber  nach  meiner  Erfahrung  viele  Vorteile  für  sich. 
Ebenso  wenig  wie  über  die  letzte  Frage,  hat  man  sich  über 
die  geeignetste  Form  eines  Lehrbuches  einigen  können.  Es  ist 
in  der  Zeit  seit  Veröffentlichung  der  neuen  Lehrpläne  eine  Fülle 
von  Lehrbüchern  insbesondere  für  den  vorbereitenden  Kursus 
entstanden,  unter  denen  sich  eine  Zahl  vortrefflicher  Arbeiten 
findet,  üie  Richtung,  welche  durch  Mach  in  Prag^)  angegeben 
ist,  scheint  mir  mafsgebend  zu  sein,  wenn  man  den  neuen  An- 
schauungen in  der  Physik  auf  der  Schule  gerecht  werden  will. 
Daher  halte  ich  es  durchaus  für  angemessen,  dafs  in  den  neuen 
Lehr|)länen  die  Lehrbuchfrage  noch  offen  gehalten  ist. 

Berlin.  R.  Schiel. 


Bemerkungen  zu  den  Kiepertschen  Atlanten  der 

alten  Welt. 

Wohl  mit  bewufstem  Hinweis  auf  den  Kiepertschen  Atlas  an- 
tiquus  geschieht  es,  wenn  Otlokar  J^orenz  in  seiner  Schrift  „Über 
Gymnasialwesen,  Pädagogik  und  Fachbildung'*')    behauptet,    dafs 


')  £.  Mach,  Leitfadeo  der  Physik  (1891). 
')  Wien  1879,.  G.  Gerold's  Soha  S.  17. 


250     Bemerkao^eo  z.  den  Kiepertdchen  Atlanten  d.  alten  Welt^ 

die  Fortschritte  in  der  Methodik  von  denen  in  der  Wissenschaft  be- 
dingt sind,  und  den  der  modernen  Anforderung  der  Wissenschaft 
entsprechenden  historischen  Atlas  dem  noch  von  Herbart  eine 
gewisse  Bedeutung  beigelegten  „Strom  der  Zeiten"  entgegenhält.  In 
der  That  hat  auch  der  Kiepertsche  Atlas  der  alten  VVelt  seit  sei- 
nem Erscheinen^)  den  historischen  Unterricht  wesentlich  gefördert 
und  sich  als  ausgezeichneter  Lehrbehelf  bewährt,  ja  seitdem  auch 
bei  uns  in  Österreich^)  nahezu  die  Alleinherrschaft  in  der  ein- 
schlägigen Schulbücherlitteratur  behauptet.  Dies  rechtfertigt  es, 
wenn  wir  demselben  hier  einige  besondere  Worte  in  der  Weise 
widmen  >  dafs  wir  die  unter  Kieperts  Namen  im  Geographischen 
Institut  zu  Weimar  erschienenen^)  und  die  vom  Autor  bei  Dietrich 
Reimer  in  Berlin  verlegten  letzten  Ausgaben^)  einer  vergleichenden 
Betrachtung  unterziehen. 

Bekanntlich  unterscheidet  sich  die  letztere  von  der  ersteren 
schon  äufserlich  durch  das  gröfsere  Format,  eine  geringere  An- 
zahl von  Blättern  und  den  Mangel  eines  erläuternden  Textes. 
Durch  das  erstere  Moment,  welches  die  Anwendung  eines  gröfseren 
Mafsstabes  gestattete,  ist  einerseits  den  jetzt  mit  Recht  so  be- 
tonten hygienischen  Rucksichten  in  der  Schule  mehr  Rechnung 
getragen  worden,  andererseits  konnten  dabei  die  in  der  Weimarer 
Ausgabe  auf  besonderen  Blättern  zur  Darstellung  gebrachten  Ta- 
feln IV  und  V  (Ägypten  und  Palästina),  IX  und  XIU  (Länder  am 
westlichen  Mittelmeerbecken),  sowie  XIV  und  XV  (Gallien,  Bri- 
tannien und  Germanien)  in  der  Reimerschen  zu  je  einer  Karte 
vereinigt  und  so  die  Zahl  der  Blätter  verringert  werden,  was  uns 
bei  einem  Schulatlas  keineswegs  als  Nachteil  erscheint,  da  es  für 
den  Unterricht  besser  ist,  sich  weniger  und  übersichtlicher  als 
vieler  und  solchem  Zwecke  in  geringerem  Grade  entsprechender 
Karten  zu  bedienen.  Würde  nicht  die  Frage  der  Handlichkeit 
des  Formats,  wie  etwa  hinsichtlich  der  Verpackung  im  Verhältnis 
zur  Gröfse  der  anderen  Lehrbücher,  hier  mitspielen,  so  müfstc 
man  sich  unbedingt  für  das  gröfsere  Format,  namentlich  bei  so 
schön  und  rein  ausgeführten  Karten  entscheiden.  Was  schliefslich 
den  erläuternden  Text  anbelangt,    so  wird    gewlfs   niemand    den 

^)  Historisch  -  geographischer  Atlas  der  alten  Welt.  Weimar  1S48, 
16  Blatt  mit  erläuterndem  Text. 

^)  Die  8.  Weimarsche  Auflage  von  der  österreichischen  Unterrichts- 
Verwaltung  empfohlen,  ddo.  25.  März  1850,  Z.  2121,  die  bei  D.  Reimer  1859 
in  8  Blättern  erschienene,  ddo.  19.  August  1861,  Z.  7552,  nach  Matanscheks 
„Normaliennachschlagebuch",  4.  Auflage,  Prag  1875,  Bellmann.  S.  264 
und  266. 

*)  19.  Auflage  in  16  Hauptkar teo,  1884,  neu  bearbeitet  von  Carl  Wolf ; 
über  das  Verhältnis  Kieperts  zu  den  späteren  Weimarschen  Auflagen  von 
1867  an  vgl.  man  die  Vorrede  zu  seinem  „Lehrbuch  der  alten  Geographie'% 
Berlin  1878,  D.  Reimer. 

^)  11.  berichtigte  Auflage  in  12  Hauptkarteo,  mit  Namensverzeiehois; 
wir  werden  uns  für  die  beiden  Ausgaben  der  Abkürzungen  W.  und  R.  be- 
dienen. 


vou  S.  Gorge.  251 

Wert  und  die  Bedeutung  dieser  ursprünglich  vom  Altmeister  Kie- 
pert herrührenden  Unterweisungen  verkennen,  doch  waren  die- 
selben mehr  für  den  Lehrer  bestimmt,  der  sich  jetzt  besser  des 
Kiepertschen  „Lehrbuchs^',  wie  der  Schuler  des  ,,Leilfadens  der 
alten  Geographie''  bedienen  wird^). 

Wenn  wir  nun  nach  diesen  Worten  mehr  allgemeiner  Natur 
aufs  einzelne  eingehen,  so  mag  auch  der  kleinere  Mafsstab  der 
Tafel  1  (W.),  welche  die  ethnographischen  Verhältnisse  der  den 
Alten  bekannten  Erde,  namentlich  die  Dreiteilung  der  mittellän- 
dischen Rasse  in  den  hamitischen,  semitischen  und  indogerma- 
nischen Zweig,  wenn  auch  wenigstens  in  einer  Ausgabe  minder 
ausdrucksvoll  gezeichnet,  zum  Gegenstande  hat,  diesem  Zwecke 
genügen.  Daneben  enthält  dieses  Blatt  zwei  instruktive  Seiten- 
kartons,  welche  die  Vorstellung  von  dem  Umfang  und  der  Gestalt 
der  Erde  zur  Zeit  Herodots  um  450  v.  Chr.  und  des  Alexandri- 
ners Ptolemäus  um  150  n.  Chr.  veranschaulichen  sollen,  weil 
daraus  zu  ersehen  ist,  dafs  in  diesem  Zwischenraum  von  600 
Jahren  die  Erdkunde  hinsichtlich  der  Vorstellung  von  der  Um- 
schiffbarkeit  Afrikas  und  der  Annahme  einer  Landverbindung  zwi- 
schen dem  Osten  dieses  Erdteils  und  dem  Sudosten  Asiens  durch 
eine  terra  australis  incognita  einen  Rückschritt  zu  verzeichnen 
hal^).  Das  korrespondierende  Blatt  I  (R.)  setzt  statt  Herodots 
Eratosthenes  um  200  v.  Chr.  ein,  wodurch  die  Differenz  weniger 
augenfällig  und  das  auch  aus  dem  Grunde  nicht  so  instruktiv  er- 
scheint, weil  in  anderer  Beziehung,  wie  hinsichtlich  der  Vorstel- 
lung von  dem  Zusammenhang  des  Caspisees  mit  dem  nördlichen 
Ozean,  sowohl  Eratosthenes  als  auch  Ptolemäus  Herodot  gegenüber 
einen  Ruckschritt  bezeichnen  °). 

Dagegen  ist  Tafel  H  (W.),  das  persisch- macedonische  Welt- 
reich darstellend,  namentlich  für  die  westlichen  Gebiete:  Klein- 
asien, Syrien  und  Mesopotamien  entschieden  zu  klein,  was  sich 
beispielsweise  beim  Aufsuchen  und  Verfolgen  'der  hier  mit  den 
Nummern  der  herodoteischen  Zählung^)  versehenen  20  Satrapieen 
fühlbar  macht.  Auf  dem  entsprechenden  Blatt  II  (R.)  sind  infolge 
des  gröfseren  Mafsstabes  auch  die  erwähnten  Gebiete  noch  deut- 
lich wahrnehmbar,  andererseits  finden  wir  daselbst  weder  die  Nu- 
merierung noch  die  übliche  Zahl  der  Satrapieen  vielleicht  wegen  der 


^)  Mao  v^l.  die  Vorrede  zum  „Lehrbuch**;  der  „Leitfaden'  erschien 
17^9  bei  D.  Reimer  in  Berlio. 

'}  Mao  vgl.  0.  Peschel,  Geschichte  der  Erdkunde.  München  1865, 
CoUa.  S.  447ff,j  S.  Gorge  in  Seiberts  „Zeilschrift  für  Schul- Geographie" 
Xni  S.  245  und  XIV  S.  319  und  „Zeitschrift  für  das  Realschulweseu**  XIX 
S.  71,  Wien  1892,  1893  uud  1894,  Holder. 

^)  Peschel,  ebds.  S.  6f.;  A.  y.  Humboldt,  Kosmos  11  S.  175  und  225 ff., 
Slattgart  und  Augsburg  1847,  Cotta. 

*)  Boeh  HI  Kap.  90ff. ;  doch^  sind  auf  der  Karte  die  Satrapieen-Num- 
Bcra  XVIII  und  XIX  vertaascht,  sowie  Nummer  XIV  nicht  ersichtlich. 


252     Bomerkangen  z.  den  Kiepertschen  AtlaBten  d.  altea  Welt, 

nämenllich  späteren  Schwankungen  in  den  Unierabteiiungen  und 
des  Wechsels  ihrer  Grenzen^)  beibehalten. 

Blatt  III  (W.),  das  Indien,  Arabien  und  das  kontinentale  Vor- 
derasien mit  besonderer  Rücksicht  auf  die  Staalenbitdungcn  unter 
den  Seleuciden  und  Arsaciden  umfafst,  ist  weder  in  der  Ausfüh- 
rung ganz  glücklich  noch  überhaupt  notwendig,  daher  die  Rei- 
mersche  Ausgabe  dieses  Biatt'  mit  Recht  ausgeschieden  und  auf 
ihrer  das  persisch  -  macedonische  Wellreich  zur  Darstellung  brin- 
genden Tafel  II  durch  hübsch  ausgestattete  und  übersichtliclie 
Nebenkarten  der  Diadochenreiche  hinlänglich  ersetzt  hat. 

Blatt  IV  und  V  (W.),  Ägypten  und  Palästina  auf  zwei  beson- 
deren Tafeln,  von  denen  Palästina  wenigstens  in  einer  Ausgabe 
auch  etwas  minder  lesbaren  Druck  zeigt,  konnten  bei  dem  Rei- 
merschen  Format  gut  auf  zwei  karten  in  einer  Tafel  (ill)  und, 
von  der  besseren  Lesbarkeit  der  Karte  Palästinas  abgesehen,  zum 
Vorteil  der  weiteren  Erstreckung  Ägyptens  gegen  Äthiopien  statt 
nach  Libyen  hin,  sowie  Phöniziens  gegen  Norden  zur  Darstellung 
g<*langen.  Dagegen  erscheint  hier  (R.)  der  Seitenkarton  mit  der 
Verteilung  der  zwölf  Stämme  Israels  nicht  so  instruktiv  als  dort 
(W.)  der  Wüstenzug  der  Israeliten  wegen  Nennung  manches 
alten  Beduinenstammes  der  Sinaihalbinsel,  andererseits  weist  die 
Reimersche  Ausgabe  durch  den  interessanten  und  belehrenden 
Spezialplan  von  Tyrus,  mit  seiner  Inselstadt  und  dem  Melkart- 
tempel, dem  Damm  Alexanders  d.  Gr.  und  den  im  Laufe  der 
Zeit  erfolgten  Küstenveränderungen  eine  Bereicherung  auf). 

Blatt  VI  (W.)  mit  Kleinasien,  Armenien,  Mesopotamien  and 
Nordsyrien  entspricht  im  wesentlichen  der  Tafel  IV  (R.),  die  aber 
auch  das  südliche  Syrien  und  selbst  einen  Streifen  Ägyptens  und 
Libyens  umfafst,  zudem  auch  lesbarer  ist.  Doch  hätten  wir  gern 
bei  letzterer  gleich  auf  Blatt  II  bei  dem  Zuge  Alexanders  d.  Gr. 
auch  hier  die  Route  der  „Zehntausend*'  farbig  dargestellt  ge- 
sehen. 

Tafel  VII  (W.),  das  europäische  Griechenland,  den  Arcliipel 
und  die  Westküste  Kleinasiens  mit  den  griechischen  Kolonieen 
darstellend,  ist  namentlich  für  Mittelgriechenland  entschieden  zu 
klein  und  wohl  für  die  Kenntnis  der  einzelnen  griechischen  Stämme 
und  ihrer  Kolonisation  ganz  gut,  weniger  aber  für  die  der  Landschaften 
von  Hellas  und  am  wenigsten  für  die  Topographie  der  besagten 
Teile  verwendbar,  wie  sich  dies  beispielsweise  bei  dem  Zuge  des 
Xerxes  hinsichtlich  der  Thermopylen  zeigt,  daher  in  diesem  Falle 
zur  entsprechenden  Karte  V  (R.)  gegriffen  werden  mufs. 

Tafel  VIII  (W.),  das  eigentliche  Griechenland  enthaltend,  ent- 
spricht im  wesentlichen  dem  Blatt  VI  (R.),  doch  war  es  hier  noch 

^)  „Erläateroder  Text''  der  Weimarer  Ausgabe  S.  4. 
^}  Mto  ygL  auch  Kieperts  „Lehrbuch  der  altaa  Geosrraphie''.     B^rlia 
1878,  D.  Reimer.  S.  170. 


voD  S.  Gorge.  253 

möglich,  die  Chalcidice  zur  Darstellung  zu  bringen,  während  das 
Seitenkärtchen  mit  der  Akropolis  entfiel,  wofür  die  Legende  auf 
dem  Spezialplan  Athens  teilweise  Ersatz  bietet. 

Tafel  IX  (W.),  für  den  Gebrauch  beim  Unterricht  der  puni- 
»rhen  Kriege  bestimmt,  mit  einem  gröfseren  Seitenkarton  „Grofs- 
griechenland'S  macht,  wie  bereits  früher  angedeutet  wurde,  Blatt 
Xllf  (W.),  das  Spanien,  Mauretanien  und  die  Provinz  Afrika  dar- 
stellt, in  der  That  überflüssig,  so  dafs  bei  letzterem  nur  die 
Seitenkarte  mit  Rücksicht  auf  den  Periplus  des  Hanno  ^)  in  ße- 
U^cht  käme.  Zweckmäfsig  hat  die  Reimer^che  Ausgabe  das 
neslliche  Mittelmeerbecken  in  einer  Karte  auf  Tafel  X  mit  der 
farbigen  Route  Hannibals  übersichtlich  und  deutlich  zur  Darstel- 
lung gebracht. 

Blatt  X  (W.),  Mittelitalien,  entspricht  im  ganzen  —  hervor- 
siechend ist  doch  die  Differenz  bezüglich  der  Stammeszugehörig- 
keit der  Äquer  und  teilweise  der  Herniker  und  Aurunker')  — 
dem  Blatt  VIII  (R.),  nur  dafs  hier  in  Bezug  auf  das  Anbringen 
von  Seitenkartons,  gleichwie  in  anderen  Tafeln,  Verschiebungen 
eingetreten  sind.  So  hat  die  Weimarer  Ausgabe  auf  dem  ent- 
sprechenden Blatte  den  Spezialplan  Roms  zur  Zeit  der  Republik, 
an  dessen  Stelle  die  Reimersche  auf  der  korrespondierenden  Tafel 
den  bereits  erwähnten  Seitenkarton  „Grofsgriechenland'S  vermut- 
lich als  Annex  zu  Mittelitalien  der  Hauplkarte  eingesetzt  und  jenen 
Spezialplan  in  schöner  und  deutlicher  Ausführung  im  Zusammen- 
hang mit  anderen  Stadtplänen  Roms  auf  Blatt  IX  (R.)  gebracht 
hat.  Schlielslich  weist  Tafel  VIII  (R.)  durch  ein  Nebenkärlchen 
des  nordwestlichen  Teils  des  Busens  von  Cumä  mit  Neapel  und 
dem  Vesuv  eine  Bereicherung  auf;  nur  schade,  dafs  Raummangel 
die  Darstellung  dieses  gesamten  interessanten  Gebietes  verhin- 
dert hau 

Die  Tafeln  XI  (W.),  Stadtpläne  Roms  enthaltend,  XIII  (W.), 
Geaamtitalien  darstellend,  decken  sich  im  wescntUchen  mit  IX 
ond  VII  (R.),  —  doch  enthält  die  Nebenkarte  der  letzteren  die 
XIV  Regionen  des  Augustus,  die  korrespondierende  Weimarer  die 
iDhailsvolle,  aber  nicht  ganz  entsprechend  ausgeführte  der  altita- 
lischen  Spracbstämme  — ;  von  ersteren  wurde  auch  teilweise,  wie 
wiederholt  von  Blatt  XIII  (W.)  gesprochen. 

Die  Tafeln  XIV  (W.) ,  Gallien  und  Britannien,  und  XV  (W.), 
Germanien  und  Sarmatien,  sind  in  der  Reimerschen  Ausgabe  zu 
einer  Karte,  Blatt  XI:  Gallien,  Britannien,  Germanien  und  statt 
der  schon  auf  Tafel  I  (R.)    ersichtlichen  sarmatischen  Gebiete  die 


>)  C.  Tk  Pisclier,  De  HanoonU  Carthagiaiensis  Periplo,  I.  Heft  der 
^^'■tersiicliaageo  aaf  dem  Gebiete  der  alteo  Länder-  und  Völkerkunde  *^ 
Leipzig  1S93,  Teobaer. 

>}  Maa  vgl.  aoch  den  Seitenkarton  zu  XII  (W.),  „Erlaaternden  Text" 
&  31  aad  Kiepert  Lehrbuch  S.  417,  wonach  die  höchstwahrscheinliche  Ver- 
waadtsehaft  der  Aqaer  uad  Sabiner  sprachlich  nicht  nachweisbar  ist. 


254     Zu  den  K  iepertscheo  Atlanten  der  alten  Welt,  v.  S.  Gor^e. 

DoDauproWnzen  enthalteDd,  vereinigt  worden.  Neben  den  metho- 
dischen Gründen,  welche  die  möglichste  Obersicht,  in  unserem 
Falle  auch  ohne  Beeinträchtigung  der  Deutlichkeit,  heischen, 
sprechen  wohl  auch  ökonomische  für  ein  solches  Zusammenlegen 
der  Karten,  da  sonst  die  Atlanten  und  ihre  Preise  zu  sehr  an- 
schwellen müssen.  Statt  des  Seitenkartons  der  Weimarer  Aus- 
gabe, das  Reich  am  cimmerischen  Bosporus,  hai  die  Reimersche, 
durch  die  diesbezüglichen  Raumverhältnisse  genötigt,  auf  einer 
solchen  Nebenkarte  Dacien  und  Mösien  gebracht,  zumal  in  der- 
selben auf  Tafel  H  (R.)  bei  der  Darstellung  des  persisch- mace- 
donischen  Weltreichs  die  milesische  Kolonisation  nicht  wie  im 
Seitenkarton  zu  XV  (W.)  auf  den  Nordosten  des  Ponteuxin  be- 
schränkt, sondern  an  der  ganzen  Peripherie  desselben  anschaulich 
gemacht  wurde. 

Schliefslich  enthält  Tafel  XVI  (W.)  das  imperium  Romanum 
zwiefach,  einmal  unter  Gebrauch  verschiedener  Farben  mit  Rück- 
sicht auf  die  Zeit  der  Erwerbung  der  einzelnen  Provinzen,  was 
in  der  That  instruktiv  wirkt  —  das  korrespierende  Blatt  XII  (R.) 
unterscheidet  in  Farben  nur  zwischen  der  Zeit  vor  und  nach 
Augustus  und  erläutert  das  Detail  in  einer  Legende  — ,  das 
andere  Mal  gleichfalls  das  imperium  Romanum  mit  der  diocletia- 
nisch-constantinischen  Präfektur-,Diöcesan-  und  Provinzialabteilung. 
Indem  die  Reimersche  Ausgabe  trotz  ihres  gröfseren  Mafsstabcs 
die  letztere  auf  einen  schönen  farbigen  Seitenkarton,  der  filr 
diese  Zwecke  wohl  ausreicht,  beschränkte,  konnte  sie  füglich  für 
imperium  Romanum  der  Hauptkarte  einen  gröfseren  Raum  ge- 
winnen. 

Wien.  S.  Gorge. 


ZWEITE  ABTEILUNG. 


LITTERARISCHE  BERICHTE. 


Oskar  Jiger,    Pro  Domo.     Reden   ood  Aufsätze.     Berlio  1893,    Oswald 
Seehageo.  410  S.  8.    6  M. 

Ein  Buch  von  Direktor  Oskar  Jäger  braucht,  zumal  in  dieser 
Zeitschrift,  nicht  besonders  empfohlen  zu  werden.  Ich  i»rauche 
auch  kaum  zu  sagen,  dafs  das  Haus,  für  welches  Jäger  spricht, 
das  humanistische  Gymnasium  ist,  dieses  gute  alte  vaterländische 
Baus,  das  jetzt  in  Freufsen,  Braunschweig  und  öberall  da,  wo  die 
neuen  preufsischen  Lehrpläne  eingeführt  sind,  in  seinen  Grund- 
festen erschüttert  ist  und  in  allen  Fugen  kracht.  Wir  müssen 
und  wollen  ja  hoffen ,  dafs  wir  das  Verlornene  einst  wiederge- 
winnen und  dafs  die  eindringlichen  Heden  von  Männern  wie  Jäger 
nicht  wirkungslos  verhallen;  aber  in  der  Adventsstimmung:  hebet 
eure  Häupter  auf,  darum  dafs  sich  eure  Erlösung  nahet,  sind  wir 
nicht.  Nur  den  einen  Trost  haben  wir:  tiefer  können  wir  nicht 
gut  sinken.  „Da  steh  ich,  ein  entlaubter  Stamm".  Nicht  biofs  den 
Schmnck  der  Zweige  hat  man  weggehauen,  man  hat  das  Lebens- 
mark angetastet.  Das  ist  es,  was  jedem  redlichen  Verstand  aus 
dem  dritten  Teil  des  vorliegenden  Buches  zum  Erschrecken  klar 
werden  niufs.  Wie  begreiflich,  iing  ich  von  hinten  an  zu  lesen: 
es  war  ein  Gang  aus  sonniger  Tageshelle  durch  Abendschatten 
hindurch  in  Nacht  und  Nebel  hinein.  Wie  freudig  der  Ton  in 
den  Reden  bei  Übernahme  der  Direktion  des  Friedrich-Wilhelms- 
Gjmnasiums  zu  Köln  1865  und  über  das  Verhältnis  der  Schule 
zum  öffentlichen  Leben  am  22.  Mäi^  1870!  Apologetisch  und  nicht 
ohne  Ahnung  der  drohenden  Gefahren  klingt  die  Jubiläumsrede 
aber  das  Verhältnis  zu  Staat  und  Haus  vom  18.  Oktober  1875. 
Sieben  Jahre  darauf  hebt  das  Unheil  an,  die  Lehrpläne  von  1882 
sind  da,  und  nun  geht  es  more  ruentis  acervi  bis  hinab  zu  der 
Niederlage  von  1892:  magna  pugna  victi  sumus.  Die  Thesen 
über  Vergängliches  und  Bleibendes  am  humanistischen  Gymna- 
sium, erläutert  in  der  pädagischen  Sektion  der  allgemeinen  deut- 
schen Pbilologenversammlung  in  München  1891,  sie  sind  ein  Ver- 
such,  festes  Land  oder  doch  einen  Ankerplatz  für  das  sinkende 


256  Oskar  Jäger.     Pro  Domo, 

Schiff  zu  entdecken.  Jäger  will  nun  zwar,  dafs  man  pessimistisch 
im  Urteilen  und  optimistisch  im  Handeln  sei,  vielleicht  rankt  sich 
auch  die  Hoffnung  manches  Kollegen  an  seinem  Optimismus  em- 
por; ich  aber  kann  mich  nicht  halbieren  und  thue  meine  Pflicht 
als  Kantianer,  mir  tönt  es  in  den  Ohren:  lasciate  ogni  speranza. 
Zur  Zeit  geht  es  in  den  beiden  obersten  Klassen  allenfalls  noch; 
aber  wenn  erst  die  jetzigen  Sextaner  sich  bis  zur  Prima  herauf- 
geturnt und  herangespielt  haben,  dann  wird  das  fivariJQioy  r^g 
fioogiag  offenbar  werden.  Nur  eins  überdauert  jeden  Wechsel:  die 
Liebe  zur  Jugend,  und  unsere  liehe  Jugend  wollen  wir  unter- 
richten und  erziehen,  soweit  wir  dürfen,  mit  aller  Treue.,  mit 
allem  Eifer:  für  die  Folgen  des  anbefohlenen  Unterrichts-  und  Cr- 
ziehungssystems  sind  wir  nicht  verantwortlich. 

Der  zweite  Abschnitt  unseres  Buches  enthält  Abhandlungen 
und  Vorträge  meist  historisch  -  philologischen  Inhalts.  Sie  sollen 
den  Beweis  erbringen,  dafs  gerade  die  Thätigkeit  des  Gymnasial- 
lehrers auch  den  Trieb  der  Einzelforschung  und  dadurch  den 
wissenschaftlichen  Sinn  frisch  erhält.  Für  seine  Person  hat  Jäger 
den  Beweis  glänzend  erbracht.  Wir  heben  nur  hervor  die  Ab- 
handlungen über  Alexander  den  Grofsen  als  Regenten  und  über 
M.  Atilius  Regulus,  die  indes  vielen  bereits  bekannt  sein  werden. 
Auch  die  realistischen  Bemerkungen  zu  Horatius  sind  nicht  neu, 
wohl  aber,  sowiel  ich  weifs,  die  homerischen  Aphorismen,  in  denen 
Verstand  und  rechter  Sinn  gegen  gelehrte  Hyperkritik  und  Düftelei 
kräftig  zu  Felde  zieht.  Ober  die  homerische  Frage,  meint  Jäger, 
dürfe  man  mit  einer  gewissen  Unbefangenheit  und  ohne  Scheu 
reden:  wie  wenig  auch  zutreffe,  was  man  vorbringe,  in  jedem 
Fall  sei  schon  Thörichteres  in  der  Sache  gesagt  worden;  und  zwar 
nicht  blofs  von  Dilettanten,  sondern  von  Meistern  der  Wissenschaft, 
wie  dies  denn  auch  einem  vom  andern  mit  wenig  höflichen  Worten 
vorgehalten  zu  werden  pflege.  „Oder  kann  es  für  einen,  der  ohne 
Voreingenommenheit  des  Weges  kommt,  etwas  Verkehrteres  geben 
als  etwa  dies:  einen  Widerspruch  zu  finden  zwischen  dem  Anfang  des 
zweiten  und  dem  Ende  des  ersten  Buches  der  Uias?  Giebt  es  hier 
einen  schwierigeren  Denkprozefs  zu  vollziehen  —  für  einen  ein- 
fachen Leser  von  heute  und  mithin  für  einen  einfachen  Hörer  vor 
3000  Jahren  —  als  etwa  Odyssee  15,  4  ff.  oder  auch  selbst 
Odyssee  20,  Iff.?  Und  doch  ist  kein  geringerer  als  Lachmann 
der  Entdecker  dieses  Widerspruchs,  und  ein  so  feiner  und  in 
Wahrheit  überfeiner  Gelehrter  wie  Bonitz  triumphiert  über  diesen 
Stein  des  Anstofses,  den  Lachmann  damit  den  Einheitsgläubigen 
in  den  Weg  gewälzt  habe,  und  über  die  grofse  Entdeckung,  dafs 
hier  'ein  Abbrechen  des  Gesanges  und  neues  Anheben  anerkannt 
sei',  als  ob  es  sich  nicht  für  jeden  Standpunkt  von  selbst  ver- 
stünde, dafs  zuweilen  der  Gesang  abbricht  und  wieder  neu  anhebt 
—  und  schreibt  über  diese  Stelle  zwei  der  überflüssigsten  Seiten, 
die  je  geschrieben   worden  sind.'*   Lachmanns  Gröfse  in  Ehren, 


■  ogpez.  voo  H.  F.  Maller.  257 

aber  ich  finde,  dafs  in  der  Philologie  gerade  so  wie  in  der  Politik 
di«  Saggesiion  ihr  unheimliches  Wesen  treibt,  und  ich  kann  Jäger 
Dor  Kastimmen,  wenn  er  im  Hinblick  auf  den  Scharfsinn  und  das 
{[ombiDatorische  Genie  in  Kirchhoffs  und  Wilamowitz'  homerischen 
Untersuchungen  an  ein  Wort  von  Moriz  Haupt  erinnert,  wonach 
zwei  halbe  Gründe  nicht  einen  ganzen  Grund  machen  und  tausend 
halbe  Gründe    eben   immer  tausend   halbe    bleiben   ohne  irgend 
welche  überzeugende  Kraft.     Was  Jäger  sonst  noch  sagt  über  die 
Widersprüche  bei  Homer  mit  Parallelen  aus  Goethe  und  nament- 
lich Shakespeare,  über  die  Einheit,   Komposition  und  Ökonomie 
der  Dichtungen,  über  die  Einheit  und  Individualität  des  Dichters, 
ober  Bild,  Gleichnis  und  andere  Kunstmittel:  das  alles  atmet  einen 
gesunden  Realismus  und  verständnisvolle  Einsicht  in  dichterisches 
Srhaffen.     Sehr  willkommen  ist  endlich  die  Anleitung,  Homer  mit 
Schülern  zu  lesen.    Weiter  auf  diesen  zweiten  Abschnitt  einzu- 
geben,   rerbietet  der  Raum.      Es  stehen    aber  hübsche   Sachen 
darin. 

Die  Reden  des  ersten  Teils  über  Schule  und  Vaterland  wollen 
dem  Vorwurf  begegnen,  als  sei  der  Vorkämpfer  des  humanistischen 
Gymnasiums  ein  Stockphiiologe,  der  die  Zeit  oder  den  Zeitgeist 
oder  wie  man  das  Irrlicht  sonst  bezeichnen  mag,  nicht  verstehe. 
Sie  beweisen  in  der  That,  dafs  Jäger  das  philologische  Lehramt 
und  die  gymnasiale  Erziehung  stets  in  ihrem  Zusammenhang  mit 
den  Aufgaben  unserer  Nation  in  diesem  unserm  19.  Jahrhundert 
aofgefafst  hat.  Wer  Veranlassung  haben  sollte,  ähnliche  Reden 
zu  halten,  kann  sich  an  den  vorliegenden  ein  Beispiel  nehmen. 
Aus  allen  spricht  ein  warmes  Herz,  ein  weiter  Blick,  ein  gesundes 
und  gereiftes  Urteil,  vor  allem  auch  ein  herzerfrischender  Freimut: 
fkszä  naQQfjaiag  ndofig  lalnv  xov  Xoyov. 

Dnd  nun  verzeihe  mir  der  geneigte  Leser,  wenn  ich  noch 
einmal  auf  den  dritten  Teil  zurückkomme.  Es  wird  ja  nichts 
helfen,  aber  es  ist  mir  ein  Herzensbedürfnis,  im  Anschlufs  an 
Jägers  pro  domo  meinen  Kummer  über  die  unglückselige  Schul- 
reform auszusprechen. 

„Das  humanistische  Gymnasium  kann  seine  Aufgabe  als  Vor- 
bereitungsanstalt für  akademische  Studien  nur  dann  lösen,  wenn 
in  seinem  Lehrplan  ein  zentraler  Unterrichtsgegenstand,  auf 
allen  Klassen  mit  überwiegender  Stundenzahl  ausgestattet,  vor- 
banden ist''. 

Dieses  Zentrum  ist  jetzt  nicht  mehr  vorhanden,  der  Schwer- 
punkt liegt  nicht  mehr  in  den  Altertumsstudien,  es  ist  überhaupt 
kein  Schwerpunkt  mehr  da,  sondern  ein  Vielerlei  von  nebenein- 
ander hergebenden  Unterrichtsgegenständen,  und  dies  Vielerlei  zer- 
splittert und  schwächt  die  geistige  Kraft  der  Schüler.  Das  Studium 
des  Lateinischen  und  Griechischen  und  in  Verbindung  damit  der 
alten  Geschichte  bindet  die  verschiedenen  Unterrichtsfächer  nicht 
mehr  zusammen,   es  schafft  für  ihren  wissenschaftlichen  Betrieb 

Z«ttMhr.  r.  d    Ojmaasialwesen  XLYIIi.    4.  17 


258     K*  L.  Leimbacb,  Leitf.  f.  d.  evaDpel.  RelfgioosoDterrichC, 

weder  die  historische   Grundlage  noch  die  psychologischen  Vor- 
aussetzungen. 

Was  uns  an  Boden,  an  Licht  und  Luft  entzogen  ist,  kann 
die  Methode  oder  Virtuosität  des  Unterrichtens  nicht  ersetzen. 
Denn  diese  gepriesene  Methode  kann  weder  die  Natur  der  Lehrer 
noch  die  Natur  der  Schuler  verändern,  sie  trägt  die  Kraft  der 
Wiedergeburt  nicht  in  sich.  Unsere  Väter  sind  auch  keine  Dumm- 
köpfe gewesen,  aber  die  alle  Pädagogik  legte  ihre  Eier  ohne  viel 
zu  gackern  —  sagt  Jäger. 

Dazu  kommt  als  besonders  erschwerender  Umstand,  dafs  der 
Jugend  seit  zwei  Jahrzehnten  Torgeredel  wird,  sie  sei  überbürdet.  Dar- 
über lächeln  sie  zwar,  die  robusten  deutschen  Jungen,  wie  weiland 
die  römischen  Auguren;  aber  die  Kinder,  sie  hören  es  gern  und 
machen  es  sich  zu  Nutze.  Ferner:  seit  einem  Menschenalter  pfeifen 
es  die  Spatzen  von  den  Dächern,  dafs  Griechisch  und  Latein  und 
alte  Geschichte  recht  unnütze  Wissenschaften  seien.  Der  Knabe 
wird  schon  gewöhnt,  nach  dem  Marktwert  der  Kenntnisse  zu 
fragen,  und  lernt  nur  mit  Unlust,  was  ihm  keinen  unmittelbaren, 
keinen  greifbaren  Nutzen  verspricht.  Die  Erziehung  zu  wahr- 
haft wissenschaftlicher,  ernster,  unerbittlicher  Arbeit  wird  uns  vom 
Haus  und  vom  Staat  ganz  erheblich  erschwert,  und  darin  er- 
blicken wir  den  gröfsten  Schaden  für  unsere  Jugend  und  damit 
für  unser  Volk. 

Blankenburg  am  Harz.  H.  F.  Müller. 


Karl  L.  Leimbach,  Leitfaden  für  den  evtni^eliseheo  Relifioas- 
UDterricht  io  den  höheren  Lehranstalten.  L  Teil:  Unterslufe  und 
Mittelstufe.  IL  Teil :  Oberstufe.  Zweite  nach  den  neuen  preufsischen 
Lehrplünen  vom  6.  Januar  1892  umgearbeitete  Auflage.  Hannover, 
1893,  Carl  Meyer  (Gustav  Prior).     237  und  164  S.  8.    1,80  N  u.  1,60  M. 

Das  vorliegende  Werk  ist  eine  nach  Mafsgabe  der  neuen  Lehr- 
pläne vom  6.  Januar  1892  vorgenommene  Umarbeitung  eines  von 
demselben  Verf.  schon  früher  herausgegebenen  Leitfadens.  Die 
Änderungen  an  dem  ursprünglichen  Werke,  welche  notwendig  ge- 
worden waren,  betreffen  vorwiegend  das  Mafs  und  die  Gruppierung 
des  Unterrichtsstoffes;  die  innere  Ausgestaltung  desselben  ist  in 
beiden  Ausgaben  im  wesentlichen  dieselbe.  Der  erste  Teil,  welcher 
die  Unterstufe  mit  umfafst,  enthält  eigentlich  den  Lehrstoff 
für  die  Mittelklassen,  denn  auf  der  Unterstufe  ist  eine  besondere 
biblische  Geschichte  zu  benutzen,  und  es  kommen  nur  ein- 
zelne Abschnitte  des  Katechismus  und  einige  Kirchenlieder  und 
Bibelsprüche  in  Betracht.  Den  Hauptinhalt  des  1.  Teiles  bilden 
daher  die  Pensa  der  Mittelstufe :  eine  Erklärung  des  Katechismus, 
die  Bibelkunde,  eine  Übersicht  (iber  die  Geographie  von  Palästina, 
sowie  über  das  Kirchenjahr,  Lebensbilder  kirchlich  hervorragender 
Persönlichkeiten  von  Luther  bis  auf  die  Neuzeit  und  endlich  ein 
Oberblick  über  die  Entwicklung   des  evangelischen  Kirchenliedes. 


ao^fz.  voD  J.  HeidemaoD.  259 

Der  2.  für  die  oberen  Klassen  bestimmte  Teil  enthält  eine  Ge- 
schichte der  christlichen  Kirche  von  ihren  Anfangen  an  bis  heute, 
und  einen  Überblick  über  die  christliche  Glaubens-  nnd  Sitten- 
lehre, daneben  die  aligemeinen  Bekenntnisse  der  Kirche,  die  Con- 
fessio  August.,  sowie  eine  Obersicht  über  die  wichtigsten  Unter- 
scheidangslehren  der  christlichen  Konfessionen.  Der  Verf.  kann 
daher  mit  Recht  von  seinem  Bache  sagen,  dafs  ein  Lehrer,  welcher 
Dor  nach  dem  amtlichen  Lehrplane  unterrichten  will,  keins  der 
rorgeschriebenen  Lehrstucke  in  seinem  Buche  vermissen  werde. 
Es  mufs  daneben  hervorgehoben  werden,  dafs  der  gesamte  Lehr- 
stoff übersichtlich  geordnet,  die  Darstellung  klar  und  lebendig 
und  überall  das  für  den  Schüler  Bedeutsame  geschickt  in  den 
Vordergrund  gestellt  ist  Niemand  wird  verkennen,  dafs  der  Verf. 
für  sein  Bach  Erfahrungen  verwertet  hat,  welche  nur  durch  lang- 
jahrige  Unterrichtspraxis  erworben  werden  können. 

Diesen  Vorzögen  des  Buches  gegenüber  mufs  der  Ref.  je- 
doch bekennen,  dafs  nicht  jeder  Lehrer  in  der  Lage  sein  wird, 
den  fachwissenschaftlichen  Angaben  des  Verf.  durchweg  beizu- 
stimmen. Dies  gilt  im  besonderen  von  seiner  Darstellung  der 
Bibelkande,  in  welcher  die  Berücksichtigung  mehrerer  fast  allge- 
mein anerkannter  Ergebnisse  der  neueren  Bibelforschung  vermifst 
wird.  Der  Pentateuch  z.  B.  ist  nach  IS.  123  ein  Werk  des  Moses 
and  beruht  auf  mundlicher  Überlieferung  oder  göttlicher  Offen- 
barung. Dafs  jedoch  die  biblische  Kritik  von  einer  Komposition 
des  Pentateuches,_  von  älteren  und  jüngeren  Bestandteilen  des- 
selben redet  und  das  Verhältnis  des  Deuteronomiums  zu  den 
früheren  Büchern  erörtert,  davon  erfährt  man  kein  Wort;  und 
do€h  sind  das  Erörterungen,  welche  in  einer  Bibelkunde  fuglich 
nicht  umgangen  werden  können,  vielmehr  eine  kurze,  orientierende 
Darlegung  erfordern.  —  In  einer  Anmerkung  zu  den  Büchern 
Saaiuelis(S.  127)  werden  zwei  Schreibfehler  im  alttestamentlichen 
Grandtexte  nachgewiesen,  nämlich  2.  Sam.  21,  8,  wo  Merob  statt 
Miehal  und  ebendaselbst  V.  19,  wo  statt  Goliath  Bruder  des  Go- 
liath zu  lesen  ist.  Dafs  hier  Schreibfehler  vorliegen,  ist  zweifellos; 
aber  es  ist  nicht  recht  ersichtlich,  wozu  das  hervorgehoben  wird, 
da  jenes  Kapitel  mit  seinem  dem  Schülerinterresse  fern  liegenden 
Inhalte  wohl  kaum  jemals  in  der  Schule  gelesen  wird.  Sollen 
überhaupt  Grand lextfehler  berücksichtigt  werden,  um  das  Bibel- 
verständnis zu  erleichtern,  so  müfsten  vor  allem  solche  Bibelab- 
schnitte berücksichtigt  werden,  welche  für  den  Schulunterricht  be- 
sonders in  Betracht  kommen,  wie  z.  B.  die  Geschichte  Sauls 
L  Sam.  9  u.  fg.  Hier  nennt  V.  21  Saul  sein  Geschlecht  das  ge- 
ringste der  Stämme  Benjamin,  während  es  heifsen  mufs:  des 
Stammes  Benjamin,  da  es  unter  den  12  Stämmen  Israels  nur 
einen  dieses  Plamens  gab.  Ein  anderer  Schreibfehler  liegt  vor 
10,  3,  wo  die  Eiche  Thabor  statt  Deborah  bei  Bethel  genannt 
wird.     Gemeint  ist    ein  schon  Genes.  35,  8    und  Rieht.  4,  5  er- 

17* 


260     P*  Hoffmao D,  Deatsch  es  Lesebuch  f.  höhere  LehraosUlteo, 

wähnter  Baum.     Ferner:    10,  12  fragen  die  Leute:    Wie  kommt 
Saul  unter  die  Propheten?    Wer  ist  ihr  Vater?    In  der  zweiten 
Frage  mufs  es  heifsen:  Wer  ist  sein  Vater?  Denn  es  soll  der  Ver- 
wunderung Ausdruck  gegeben  werden,   dafs  der  Sohn  des  Land- 
mannes   Kis   unter   die    Propheten    gegangen    ist.      In  2.  Sam. 
5,  8,  wo  von  der  Eroberung  Jerusalems  durch  David  die  Rede  ist, 
fehlt  zum  Vordersatze  der  ganze  Nachsatz,  welcher   glücklicher- 
weise I.Chron.  11   (12),  6  erhalten  ist.     Dieses  Verzeichnis  von 
Schreibfehlern  könnte  fortgesetzt  werden,   wenn  es  überhaupt  in 
einen  Leitfaden  gehörte.  —  Die  Frage,  ob  der  Psalter  auch  Lieder 
aus  der  Zeit  der  Hakkabäer  enthält,  entscheidet  der  Verf.  S.  129 
im  negativen  Sinne;   ganz    entgegengesetzt  der  neueste  Psalmen- 
erklärer Friedr.  Baethgen  in  der  Einleitung  zu  seinem  Handkom- 
mentar S.  31.  —  Die  Lösung  des  Problemes  im  Buche  Hiob  findet 
der  Verf.  nicht  in  der  eindrucksvollen  Rede  Gottes,    sondern  in 
der  Rede  des  Elihu,  welche  schon  der  Sprache  nach  sich  als  der 
Nachtrag  eines  späteren  Autors  kund  giebt  und   die  Einheit  des 
ganzen  Buches  stört.     Eiihus  Anwesenheit  bei  dem  leidenden  Hiob 
wird  weder  im  Prolog  noch  im  Epilog  erwähnt,  und  dennoch  uht 
er  Kritik  an   den  Reden  Hiobs  wie  seiner  Freunde,   wobei  man 
nicht  weifs,  woher  er  Kunde  von  ihnen  hatte.   Bei  der  Annahme 
eines   späteren    Verfassers    der    Elihu -Rede    erledigt    sich  diese 
Schwierigkeit   von  selbst,    denn  derselbe  hatte  die  Reden  Hiobs 
und  seiner  Freunde  geschrieben   vor  sich.    —    S.  136  wird   dem 
Jesaias  auch  die  Abfassung  von  Jes.  Kap.  40 — 66  zugeschrieben, 
obgleich  in  ihnen  bereits  der  Perserkönig  Kyros   und  die  Erobe* 
rung  Babylons  im  Jahre  538  v.  Chr.  erwähnt  werden.   —    Auch 
in  betreff  der  Angaben  über  einzelne  neutestamentliche  Schriften 
wird  der  Verf.  Einspruch  erfahren,   wie  z.  B.  hinsichtlich  des  2. 
Briefes  Petri,  dessen  Authentie  nicht  beanstandet  wird,  obgleich 
sich  darin  (III  15  u.  16)  bereits  ein  Hinweis  auf  eine  Sammlung 
der  paulinischen  Briefe  findet.  —  Zu  ändern  ist  endlich  der  Satz 
I  204:  Auch  in  Brandenburg  war  1539  Joachim  L  gestorben,  und 
sein   Sohn   Joachim  IL    führte    die   Reformation    ein.      Mit    dem 
„auch"  wird  auf  dem  Tod  Herzogs  Georg  von  Sachsen  verwiesen, 
welcher  im  Jahre  1539  erfolgte;  Joachim  I.  aber  starb  schon  im 
Juli  1535. 

Berlin.  J.  Heideroann. 


F.  HoffmaoD,  Deatschea  Lesebach  für  höhere  Lehraostal  ten. 
Siebente  Abteilao^:  für  Obersekonda.  Auswahl  ans  der  klassischen 
Litterator  des  Mittelalters.  (I. — 1IL  Abteilang:  rür  Sexta,  Quinta  und 
Quarta,  von  J.  Hopf  und  K.  Paolsiek,  neu  bearbeitet  von  K.  Paalsiek 
and  Chr.  Moff;  IV.— VL  Abteilang:  für  Untertertia,  Obertertia  uod 
Untersekanda,  von  Chr.  Muff.)  Berlin  1893,  G.  Grotesche  Verla^s- 
buchhandlang.     VIII  a.  175  S.  8.     geb.  2  M. 

Die  vorliegende  Auswahl  aus   der  klassischen  Litteratur    des 
Mittelalters    verzichtet   aus    guten    Gründen    darauf,    „abgerissene 


•  ■gel.  von  il.  Sohmitt  261 

Brochsiucke  aus  zahlreichen  Dichtern'*  vorzuföhren;  sie  sucht  viel- 
mehr eine  klare  Vorstellung  von  den  wichtigsten  Erscheinungen 
auf  dem  Gebiete  der  mittelalterlichen  Litteratur  zu  geben  durch 
Anfnahme  „gröfserer,  möglichst  abgerundeter  und  zusammen^ 
haogender  Abschnitte  aus  den  besten  Dichtungen'*.  Mit  vollem 
Rechte  ist  daher  der  gröfste  Teil  des  Buches  (HO  von  140  Seiten 
Text)  den  beiden  Yolksepen,  dem  Nibelungenliede  und  der  Gudrun, 
gewidmet.  Von  dem  höfischen  Epos  sollen  die  Schüler  eine  Vor- 
stellung erhalten  durch  Vorführung  zweier  Werke  Hartmanns 
von  Aue,  des  iwein  und  des  armen  Heinrich.  Endlich  ist  die 
Lyrik  trefiflich  vertreten  durch  die  Aufnahme  einer  verhältnismäfsig 
grofsen  Anzahl  der  besten  Lieder  Walthers  von  der  Vogelweide. 
Da  eine  Wiedergabe  der  vollständigen  Epen  sich  aus  äufseren  wie 
inneren  Gründen  verbot,  so  bat  HofTmann  von  diesen  nur  die 
besten  und  wichtigsten  Teile  in  der  mhd.  Form  aufgenommen 
und  den  Inhalt  der  ausgelassenen  Teile  in  knapper,  klarer  Prosa- 
erzahlung  angegeben,  so  dafs  die  Schüler  einen  deutlichen  Ober- 
blick über  die  ganze  Dichtung  erhalten.  Was  die  Auswahl  aus 
dem  Nibelungenlied  anlangt,  so  wird  sie  im  allgemeinen  gewifs 
den  vollen  Beifall  jedes  Kenners  der  Dichtung  erlangen;  bedauert 
habe  ich  nur,  dafs  Hagens  Zusammentreffen  mit  den  Nixen  und 
dem  grimmen  Fährmann  an  der  Donau,  ferner  der  nächtliche 
Kampf  im  Baiernlande  und  endlich  der  Saalbrand  im  Hunenlande 
keine  Aufnahme  gefunden  haben,  sondern  nur  in  dem  Prosabericht 
erwähnt  werden;  diese  drei  Scenen  enthalten  soviel  urwüchsige 
Kraft  und  grausige  Schönheit,  die  meiner  Erfahrung  nach  niemals 
ihren  Eindruck  auf  die  Schüler  verfehlt,  dafs  es  sich  wohl  ver- 
lohnt hätte,  hier  und  da  an  den  anderen  Aventiuren  zu  kürzen 
und  Raum  hierfür  zu  schaffen.  Rückhaltlose  Anerkennung  verdient 
dagegen  m.  E.  die  Auswahl  aus  den  Dichtungen  Hartmanns  und 
aus  der  Gudrun.  Mit  Recht  hat  sich  Hoffmanu  darauf  beschränkt, 
von  dem  letztgenannten  Epos  nur  die  Teile  wiederzugeben,  die 
nach  Müllenhoffs  Untersuchung  und  Martins  Nachprüfung  als  die 
ältesten  angesehen  werden;  mag  man  auch  die  Versuche,  die  alten 
Epen  selbst  aus  den  Überarbeitungen  der  Überlieferung  wiederzu- 
gewinnen, für  nicht  viel  mehr  als  ein  geistreiches  und  scharf^ 
sinniges  Spiel  kritisch  und  ästhetisch  hochveranlagter  Männer  halten, 
das  eine  Gute  haben  jene  Untersuchungen  jedenfalls  gehabt,  daf$ 
sie  die  besten  Bestandteile  der  Epen  klar  erkannt  und  scharf  her- 
vorgehoben haben;  und,  da  unsere  Schüler  unter  keinen  Um- 
standen mit  dem  durch  einen  Wust  von  Überarbeitungen  ent- 
stellten Epos  bekannt  gemacht  werden  dürfen,  wenn  man  ihnei^ 
dessen  Lektüre  nicht  absichtlich  langweilig  machen  will,  so  genügt 
es,  wenn  ihnen  dieses  Beste  vorgeführt  wird.  Sehr  zu  billigeq 
ist  ferner  die  Gruppierung  der  Lieder  Walthers  nach  den  Gesichts- 
punkteu  „Lenz  und  Liebe"  und  „Staat,  Kirche  und  W^elt'*;  die 
Gedichte  der  letzten  Gruppe  hat  Hoffmann  chronologisch  geordnet 


262     Deutsches  Leseb.  f.  höh.  Lehranstalten,  a^z.  v.  H.  Schmitt. 

und   ihr  Verständnis  durch   kurze  Hinweise  auf  die  Zeitereignisse 
erleichtert.    Bin  ich  demnach  mit  der  Grundanlage  des  Werkchens 
im  ganzen  durchaus  einverstanden,  so  darf  ich  doch  ein  Bedenken 
uud  Bedauern  nicht  verschweigen,  das  nämlich,  dals  als  Vertreter 
des  höGschen  Epos  Hartmauu  von  Aue  mit  seinem  Iwein  und  dem 
armen   Heinrich    und    nicht  Wolfram    von  Eschenbach    mit  dem 
Parzival  gewählt  worden  ist.    Hoffmann  sagt  in  der  Vorrede,  dafs 
es  aus  verschiedenen  Gründen  ihm    nicht  rätlich  und  sogar  aus- 
geschlossen erschienen  sei,  auch  den  „Parzival''  oder  ,, Tristan  und 
Isolde*'   zu   berücksichtigen.     Eine  Berücksichtigung  von  „Tristan 
und  Isolde"  halte  auch  ich  für  ausgeschlossen;  dagegen  hätte  ich 
gewünscht,  dafs  die  fünfzehn  Seiten,  die  nun  auf  Hartmann  ent- 
fallen,   ganz  dem  Parzival   gewidmet  worden  wären.     Ich  zweifle 
nicht,  dafs  Hoffmann  seine  guten  Gründe  gehabt  hat;  aber  meines 
Erachtens  überragt  die  Parzivalsage  die  übrigen  Sagen  des  höfischen 
Epos  so  gewaltig  an  innerem  Wert   und  an  Bedeutung  auch  für 
die  Gegenwart,  dafs,  mochten  auch  die  Schwierigkeiten  der  Aas- 
wahl grofs   sein,   der  Versuch  hätte  gemacht  werden  sollen,  dies 
Epos    durch  Wiedergabe    einzelner  Teile  und   Inhaltsangaben   der 
übersprungenen  den  Schülern  im  Zusammenhange  vorzuführen.  — 
Der  mhd.  Text  ist  durchweg  nach  guten  Textausgaben  abgedruckt: 
das  Nibelungenlied  nach  Zarncke,  die  Gudrun  nach  Martin,  der  Iwein 
nach  Benecke-Lachmann,  der  arme  Heinrich  nach  Schulz,  diti  Lieder 
Walthers  nach  Wilmanns.  —  Dem  Text  der  Dichtungen  ist  zunächst 
hinzugefügt  ein  sorgfältig  gearbeitetes  Wörterverzeichnis,   das  alle 
Wörter  aufführt,  deren  mhd.  Bedeutung  von  der  neuhochdeutschen 
abweicht,  oder  die  sich  im  Neuhochdeutschen  nicht  mehr  finden; 
ferner    nimmt    es  Rücksicht  auf  Formen,    die  für  den  Anfänger 
nicht  leicht  zu  erkennen  sind,  wie  deich,  deiz,  bedaht,  bekerä  u.  a.; 
aufserdem    giebt    es  hier   und  da  Hinweise  auf  syntaktische  Be- 
sonderheiten   (z.  B.    die    Bemerkung   über    das    suffigierte    — ne) 
und  Anleitung  zur  Übersetzung  mancher  dem  Mittelhochdeutschen 
eigentümlichen   Wendungen.     Wünschenswert  wäre  es,   wenn   bei 
Wendungen    wie   smaehe   haben,   fümames  niht    u.   a.  nicht  ein- 
fach   die   Übersetzung,    sondern    auch    die   Grundbedeutung    der 
Worte  smaehe  und  fümames  angegeben  wäre,  damit  der  Schüler 
erkennt,  wie  diese  W^endungen  zu  der  Bedeutung  „verachten"  bezw. 
„ganz  und  gar  nicht"  kommen;  auch  wäre  es  zweckmäfsig,  wenn 
die  Bestandteile  zusammengesetzter  Wörter  durch  einen   kleinen 
Strich  kenntlich  gemacht  würden,  damit  den  Schülern  der  Unter- 
schied der  Silben    er-   und  ge-    in  Wörtern    wie  er-manen   und 
ermen,   ge-ruowen   und  gertoen  schon   durch  den  Druck  deutlich 
wird.  —   in  dem   grammatisch-litterarischen  Anhang   giebt  Hoff- 
mann zuerst  einen  kurzen  Überblick  über  die  Stellung  der  deutschen 
Sprache  zu  den  übrigen  indogermanischen  Sprachen,   sowie  über 
ihre  geschichtliche  Enlwickelung,  sodann  einen  knappen,  aber  völlig 
ausreichenden  Abrifs    der    mhd.   Grammatik    und  das   Wichtigste 


Prejtags  Sehulaasg.  f.  d.  deutschen  Unterr.,  agz.  v.  L.  Ziirn.     263 

Über  die  Verslehre ;  in  dem  Abrifs  der  Grammatik  sind  als  wohlge- 
laogen  her?orzaheben  die  Deklinations-  und  Konjugationstabellen, 
weniger  gelungen  ist  der  Abschnitt  über  die  Lautlehre.  Endlich 
fügt  er  noch  einige  Jitterarische  Bemerkungen  zu  den  im 
Lesebuch  enthaltenen  Gedichten  hinzu,  die  die  wichtigsten  Er- 
gebnisse der  Forschung  über  diese  in  gedrängter  Form  wieder- 
geben. —  Die  Ausstattung  des  Buches  ist,  was  Papier  und  Druck 
anlangt,  trefflich;  die  Schrift  ist  grofs  und,  was  bei  mhd.  Texten 
besonders  wichtig  ist^  klar  und  übersichtlich.  Die  Zeilenzahlen 
sind  überall  angegeben;  praktischer  wäre  es  vielleicht  gewesen,  bei 
den  strophischen  Dichtungen  Strophenzahlen,  und  nur  bei  den 
niebtstrophischen  die  Zeilenzahlen  zu  geben.  Das  Buch  ist  nach 
alledem  sehr  wohl  geeignet  für  die  erste  mhd.  Lektüre  und  kann 
zur  Einführung  an  den  höheren  Lehranstalten  warm  empfohlen 
werden. 

Cassel.  H.  Schmitt. 

Freytags  Seholtnftgaben  klassisclier  Werke  für  den  deotachea 
üaterriebt:  1)  Goethes  Hermaon  uod  Dorothea,  2)  Kleists  Prinz 
Friedrich  von  Horobarg,  geb.  je  0,50  M;  3]  Kleists  Hermannsschlacht, 
4)  Schillers  Jangfran  von  Orleans,  5)  Schillers  Teil,  geb.  je  0,60  M. 
Leipxig  1893,  G.  Frey  tag. 

Vorliegende  Schulausgaben  klassischer  Werke  der  neuhoch- 
deutschen Litteratur  für  den  deutschen  Unterricht,  besorgt  von 
Dr.  Haaffen,  Dr.  KhuU,  Prof.  Benedict,  Prof.  Ullsperger,  Direktor 
Straemcba,  sind  in  erster  Linie  dazu  bestimmt,  den  Schüler  bei 
seiner  Vorbereitung  oder  Privatlektüre  zu  unterstützen.  Sie  bieten 
zu  diesem  Zwecke  den  Text  in  der  für  die  Schulen  amtlich  an- 
geordneten Rechtschreibung.  Eine  dem  Text  vorangehende  Ein- 
leitung enthält  die  nötigen  litterarhistorischen  Angaben  und  Er- 
örterungen über  die  stoffliche  Grundlage  des  Kunstwerkes,  die 
dichterische  Umgestaltung  dieser  slofQichen  Grundlage,  über  Sprache, 
Metrum,  besondere  Eigentümlichkeiten.  Dem  Text  folgen  Anmer- 
kungen, die  dem  Schüler  sachlich  oder  sprachlich  schwierige  oder 
der  Erklärung  bedürftige  Stellen  und  Ausdrücke  erklären,  so  dafs 
es  möglich  ist  durch  Ersparung  von  Unterrichtszeit  eine  gröfsere 
Anxahl  von  Werken  in  der  Schule  zu  behandeln.  Einleitung  und 
Anmerkungen  sind  nach  Inhalt  und  Umfang  so  bemessen,  dafs 
sie  den  Lehrer  nicht  überflüssig  machen.  Die  Brauchbarkeit  dieser 
Schulausgaben  wird  noch  erhöht  durch  Beigabe  sorgfältig  ausge- 
führter Kärtchen  und  Bilder  (Plan  der  Schlacht  bei  Fehrbellin, 
Kärtchen  von  Frankreich  und  den  Niederlanden,  Kärtchen  der  Ur- 
schweiz,  Abbildung  des  Rütli,  der  Tellsplatte).  Die  äufsere  Aus- 
stattung (Papier,  Druck,  Einband)  ist  vortrefflich. 

Freiburg  i.  B.  L,  Zürn. 


264     Prinz  Friedrich  von  Hombarf,  aogez.  von  H,  Neaber. 

PrioK  Priedrieh  voo  Homburg.  Ein  Schauspiel  von  Heinrich  von 
Kleist.  Mit  auaführlichea  ErläatorunffCD  für  den  Schiilgebraach  und 
das  Privatstudiom  von  .1.  Heawes.  Mit  einer  Text  - 111  ustratioo. 
Paderborn  1892,  F.  Schöoingh.     176  S.  1,20  M. 

Die  Ausgabe  ist  eine  von  sorgfältigem  Reifs  und  eindringen- 
dem Verständnis  des  Yerf.s  Zeugnis  ablegende  Arbeit,  sehr  wohl 
geeignet,  dem  Zwecke  zu  dienen,  für  den  sie  bestimmt  ist:  das 
Verständnis  der  herrlichen  Schöpfung  Kleists  in  Schule  und  Haus 
zu  fördern. 

Die  Anmerkungen  unter  dem  Text  —  eine  Einrichtung  frei- 
lich, welche  den  Gebrauch  der  Ausgabe  in  der  Klasse  selbst  nicht 
empfiehlt  und  überhaupt  die  Gefahr  in  sich  birgt,  die  Aufmerk- 
samkeit vom  Text  allzu  leicht  abzulenken  und  das  eigene  Nach- 
denken zurückzudrängen,  —  diese  Anmerkungen  also  führen 
gründlich  in  die  geschichtlichen  Verhältnisse  ein  und  enthalten 
überhaupt  das  Wichtigste,  was  zum  Verständnis  des  Dramas  ge- 
hört, namentlich  auch  treffliches  Material  für  die  Behandlung  in 
den  oberen  Klassen. 

Sehr  dankenswert  sind  hier  z.  B.  gleich  die  dem  Personen- 
verzeichnis beigefügten  Anmerkungen,  die  einen  vorläufigen  raschen 
Einblick  in  wichtige,  das  Verhältnis  der  dichterischen  Arbeit  zur 
Geschichte  betreifende  Punkte  ermöglichen.  In  den  Bemerkungen 
zu  den  einzelnen  Aufzügen  und  Auftritten  ist  zunächst  immer  — 
auch  äufserlich  durch  den  Druck  hervorgehoben  —  ihr  Inhalt 
kurz  und  treffend  zusammengefafst  und  ihre  Bedeutung  im  Zu- 
sammenhang des  Ganzen  sowie  für  den  Fortschritt  der  Handlung 
hervorgehoben,  dann  das  einzelne  gründlich  nach  Inhalt  und  Form 
erklärt  unter  besonderer  Berücksichligung  der  sprachlichen  Eigen- 
art, gelegentlich  mit  Einflechtung  sprachgeschichtlicher  Hinweise. 
Man  wird  hier  kaum  etwas  Erwähnenswertes  vermissen  und  eher 
hin  und  wieder  meinen,  des  Guten  sei  etwas  zu  viel  geschehen; 
das  gilt  auch  von  Anklängen  an  andre  Dichtungen,  die  gewissen- 
haft verzeichnet  sind.  Auf  bedeutsame  Wendepunkte  im  StQck 
und  psychologisch  wichtige  Vorgänge,  die  bei  flüchtigem  Lesen 
leicht  übersehen  werden  können,  wird  gebührend  aufmerksam 
gemacht  und  ihre  Bedeutuug  mit  feinem  Verständnis  gewürdigt. 

Dazu  kommt  ein  30  Seiten  umfassender  Anhang.  In  diesem 
verbreitet  sich  der  Verf.  zunächst  knapp  und  geschickt  über  den 
Dichter  und  seine  Werke  im  allgemeinen,  sodann  über  die  Ent- 
stehung des  „Prinzen  von  Homburg'',  über  die  Schicksale  der 
Dichtung  und  ihre  Beurteilung  durch  hervorragende  Kunstkenner 
sowie  über  die  stoffliche  Grundlage  und  das  Verhältnis  der  dichte- 
rischen Wahrheit  zur  geschichtlichen  Wirklichkeit  bezüglich  der 
Thatsachen  wie  Personen;  hier  fehlt  auch  ein  Plan  der  Schlacht 
bei  Fehrbellin  nicht  aus  Meriaus  theatrum  Europaeum.  —  Es  folgt 
eine  eingehende  Darlegung  der  Art  und  des  Hauptthemas  des 
Schauspiels,    wobei  der  Verf.    die    von  Hans    von  WoLsogen  ver- 


H.  Mnzik,  Unterr.  i.  d.  klassischen  Spr.,  ags.  v.  Chr.  Moff.     265 

tretene,  übrigens  bereits  von  Bultbaupt  in  seiner  ,,nramaturgie 
der  Klassiker*'  überzeugend  zurnckgewiesene  Auflassung  des  Stuckes 
als  eines  Lastspiels  anziehend  erörtert  und  seinen  historiscli- 
nationalen  Charakter  wie  psychologischen  Gehalt  treffend  würdigt. 
—  Der  sechste  Abschnitt  giebt  eine  sehr  anschauliche  übersieht 
über  den  Gang  der  Handlung  mit  graphischer  Darstellung  nach 
Unbescheids  bekanntem  Vorgang.  Darauf  werden  die  sprachlichen 
und  metrischen  Eigentümlichkeiten  in  einem  besonderen  Absclinitt 
im  Zusammhang  besprochen.  Zum  Schlufs  sind  drei  vaterlän- 
dische Gedichte  Kleists  abgedruckt:  „Germania  an  ihre  Kinder'', 
das  Sonett  „an  die  Königin  von  Preufsen'*  mit  Zollings  und 
Bernays'  Würdigung  des  Gedichts  und  ,«das  letzte  Lied'*  mit  Fou- 
ques  schöner  Einführung. 

Das  mag  genügen  zur  Kennzeichnung  des  reichen  Inhalts  des 
Bändchens,  das  in  mancher  Hinsicht  die  gediegene  Arbeit  Zürns 
(Leipzig  1881,  Verlag  von  Siegismund  und  Volkening)  gerade  für 
die  Zwecke  der  Schule  ergänzt,  ohne  sie  entbehrlich  zu  machen. 
Dem  Lehrer  bietet  es  vortreffliche  Anregung  für  die  Vorbereitung 
und  auch  in  der  Hand  strebsamer  Schüler  wird  man  es  gern 
sehen.  Mit  der  einschlägigen  Litteratur  ist  der  Verf.  gründlich 
>ertraut;  doch  ist  ein  Hinweis  auf  Otto  Brahms  Arbeit  über  Kleist 
wohl  am  Platz.  Die  Ausgabe  sei  neben  der  erwähnten  von  Zürn 
bestens  empfohlen. 

Wetzlar.  H.  Neuber. 


Hugo  Mazik,   Stoff  und  Mittel    des  Uoterrichts    in    deo    klassi- 
schen Spracheo.     Krems  a.D.  1893,  Österreicher.  71  S.  8.    1  M. 

Dafs  der  Titel  des  Buches  nicht  glücklich  gewählt  ist,  ge- 
steht der  Verf.  im  Vorwort  selbst  zu;  es  wird  eigentlich  nur  von 
lateinischen  Schriftstellern  und  von  den  Grundsätzen,  die  bei  Her- 
stellung lateinischer  Schulaufgaben  befolgt  werden  sollen,  ge- 
handelt. Ganz  nebenher  ist  von  der  rechten  Schulzeit,  den  schäd- 
lichen Freitischen,  der  wünschenswerten  Einheit  in  der  Ortho- 
graphie, der  Schwierigkeit  bei  Beurteilung  der  Schülerleistungeu 
und  der  kläglichen  Lage  der  Lehrer  die  Rede.  Aber  das  Buch 
leidet  noch  weiter  an  Einseitigkeit.  Es  befafst  sich  fast  aus- 
schliefslicb  mit  österreichischen  Verordnungen,  Gewohnheiten  und 
Zuständen  und  verwertet  von  der  einschlägigen  Litteratur  nur 
einen  sehr  kleinen  Teil.  Männer  wie  Schrader,  Schiller  und 
Frick,  die  doch  in  solchen  Fragen  gehört  zu  werden  verdienen, 
werden  mit  keinem  Worte  erwähnt,  selbst  der  grofse  Pädagoge 
an  der  Universität  Prag,  0.  Willmann,  wird  mit  Stillschweigen 
übergangen,  und  die  Berichte  der  preufsischen  Direktorenver- 
sammlungen sind  für  M.  nicht  vorhanden.  Indessen  auch  in  der 
Beschränktheit  könnte  sich  der  Meister  zeigen;  es  könnte  Muzik 
von  allen  bisherigen  Leistungen  abgesehen  uns  doch  etwas  Brauch- 
bares, eine  Bereicherung   der  pädagogischen  Litteratur   geboten 


266     ^*  Kfibidr,   Lat.  Pensum  für  d.  uotersle  Gymaasialklasse, 

• 

haben.  Dies  ist  aber  nicht  der  Fall.  Es  soll  nicht  verkannt  wer- 
den, dafs  der  Verf.  kerngesunde  Anschauungen  hat  und  sie  mit 
Eifer  verficht.  So  tritt  er  warm  für  die  Konzentration  des  Unter- 
richts ein,  ohne  zu  vergessen,  dafs  die  Klassikerlektöre  auch 
Selbstzweck  sein  mufs;  er  will  die  Cicerolekture,  die  leider  jetzt 
sehr  in  den  Hintergrund  gedrängt  ist,  zum  Mittel-  und  Kernpunkt 
des  lateinischen  Unterrichts  gemacht  wissen;  er  eifert  gegen 
die  Schülerkommentare;  er  wünscht  dringend  und  aus  guten 
Gründen  die  Aufhebung  des  Nachmittagsunterrichts;  er  stellt  eine 
Reihe  von  Grundsätzen  für  Bearbeitung  von  Schultexten  auf,  die 
Beachtung  verdienen,  u.  a.  m.  Aber  es  finden  sich  doch  auch 
verfehlte  Sachen  in  Menge.  Die  Verteidigung  des  Nepos  i^t 
mifsglückt,  wie  sie  mifsglücken  mufs;  der  Wert  der  Liviuslektüre 
wird  gewaltig  unterschätzt;  was  das  Schlimmste  ist,  Sophokles, 
Herodot,  Demosthenes  und  Thukydides  werden  kurzer  Hand  aus 
dem  Lehrplan  des  Gymnasiums  gestrichen.  Der  Herr  Verf.  ver- 
langt, und  er  ist  mit  seiner  Forderung  im  Rechte,  durch  „Argu- 
mente*'  widerlegt  zu  werden  (die  Fremdwörter  spielen  in  der 
buntscheckigen  Schrift  eine  grosse  Rolle);  ich  bedaure,  ihm  hier 
mit  Gründen  nicht  dienen  zu  können,  der  Raum  reicht  dazu  nicht 
aus;  ich  bin  aber  in  der  glücklichen  Lage,  ihn  auf  die  Verhand- 
lungen der  Pommerschen  Direktoren  -  Konferenz  v.  J.  1885  ver- 
weisen zu  können;  dort  findet  er  eine  Zusammenstellung  der  la- 
teinischen und  griechischen  Schulschriftsteller,  letztere  von  mir, 
und  ich  denke,  er  findet  sie  auch  hinreichend  begründet. 

Cassel.  Christian  Muff. 


O.  Kubier,  Lateinifches  PensDin  für  die  unterste  Gymoasial- 
klasse  (Sexta).  Zweite,  nach  deo  Lebrplioeo  vom  Jahre  1892  um- 
gearbeitete Auflage.  Berlio  1893,  Wiegandt  8c  Griebeo.  Gramma- 
tischer Teil  IV  Q.  42  S.,  Übungsbuch  IV  u.  67  S.     1,75  M. 

Kühlers  lateinisches  Elementarbuch  für  Sexta  besteht  aus  zwei 
getrennten  Teilen:  aus  dem  grammatischen  Teile  und  aus  dem 
Übungsbuche  nebst  einem  Wörterverzeichnis  zu  den  lateinischen 
Übungsstücken.  Der  grammatische  Teil  ist  im  wesentlichen  eine 
Wiederholung  des  Sextanerpensums  aus  den  „lateinischen  Pensen 
für  die  unteren  Gymnasialklassen"  desselben  Verf.s,  die  Ref.  in 
dieser  Zeitschrift  1888  S.  436  angezeigt  hat.  Die  neuen  Lehr- 
plane  vom  Jahre  1892  nötigten  den  Verf.  nicht,  eine  grundsätz- 
liche Änderung  vorzunehmen  (vgl.  die  Darlegung  der  leitenden 
Gesichtspunkte  des  Verf.s  im  Jahresbericht  des  K.  Wilhelms-Gym- 
nasiums  in  Berlin  1892),  nur  sind  die  Deponentia  jetzt  dem 
Pensum  der  Quinta  zugewiesen.  Zur  Ausarbeitung  eines  Übungs- 
buches dagegen,  das  auch  Beispiele  zum  Übersetzen  aus  dem 
Deutschen  in  das  Lateinische  enthielte,  ist  der  Verf.  —  sicher  zum 
Vorteile  seiner  Bestrebungen  —  durch  die  Forderungen  der  neueq 
Lehrpläne  gezwungen  worden. 


aii^es.  voo  R.  Büttner.  267 

Das  Obungöbuch  tritt  der  gediegenen  Bearbeitung  des  gram- 
matischen Teiles  würdig  zur  Seite.  Es  wird  von  Einzelsätzen 
aasgegangen,  die  zuweilen  auch  in  einen  gewissen  Zusammenhang 
unter  einander  gebracht  sind,  dann  werden  eine  Anzahl  Fabeln 
und  leicht  verständliche  Sagen  und  Erzählungen  aus  dem  grie- 
chischen und  römischen  Altertume  in  einer  für  die  unterste  Stufe 
IMSsenden  Form  eingefugt  und  in  den  deutschen  Sätzen  wieder 
verwertet  Die  Heranziehung  einer  weit  gröfseren  Anzahl  von 
später  häutig  vorkommenden  Abstrakta,  als  wir  gewöhnlich  in 
den  Elementarbuchern  linden,  giebt  auch  den  Sätzen  einen  an- 
deren und  zwar  gehaltvolleren  Inhalt  Die  Wiederholung  des- 
selben Gedankens  unter  mannigfachen  Formen  schadet  nichts, 
aber  einige  Sätze  durften  dem  Verständnis  der  Sextaner  Schwie- 
rigkeilen bereiten.  Doch  wird  der  Lehrer  diese  leicht  durch  Vor- 
führung irgend  eines  konkreten  Beispiels  heben  können.  Die 
höchste  Anerkennung  verdient  aber  die  aufserordentliche  Sorgfalt 
and  das  Geschick,  das  auf  die  Bestimmung  der  Wortbedeutungen 
verwandt  ist.  Hier  erkennt  man  nicht  nur  den  erfahrenen  Schul- 
mann, der  immer  das  Ganze  und  die  Bedürfnisse  aller  Stufen 
des  lateinischen  Unterrichts  im  Auge  hat,  sondern  auch  den  feinen 
Renner  beider  Sprachen.  Der  Kundige  wird  bald  merken,  wie 
durch  die  gewählten  Bedeutungen  und  Wortverbindungen  manchen 
in  höheren  Klassen  häußg  vorkommenden  falschen  Anwendungen 
von  vornherein  vorgebeugt  wird.  Ref.  mufs  gestehen,  dafs  ihm 
sogar  die  Durchsicht  des  Wörterverzeichnisses  dadurch  zu  einer 
interessanten  Lektüre  geworden  ist 

Der  Druck  des  Buches  ist  sehr  sauber  und  korrekt.  Es  sind 
dem  Ref.  nur  wenige  Druckfehler  aufgefallen.  Im  grammatischen 
Teile  sind  S.  14  zwei  Wörter  durch  Verschiebung  des  Satzes  an 
die  unrechte  Stelle  gekommen;  S.  34  ist  wohl  das  Pf.  assidi  statt 
osserfi  nicht  beabsichtigt,  sondern  nur  ein  Druckfehler,  weil  gleich 
darunter  consent  steht  und  auch  im  Wörterverzeichnis  atsedi  sich 
lindet.  Im  Wörterverzeichnis  steht  falschlich  nex,  neeis  für  nex, 
neos,  bei  pes,  pidis  fehlt  die  Angabe  der  Quantität,  bei  rado  steht 
rati  im  Sup.  statt  rasum. 

Das  tüchtige  Buch  wird  gewifs  allgemeine  Anerkennung  lin- 
den und  nun,  da  dem  Mangel  eines  Übungsbuches,  der  die  Ein- 
föhruog  der  ,,lateinischen  Fensa"  des  Verf.s  an  anderen  Anstalten 
vor  allem  erschwert  hat,  abgeholfen  ist,  sicher  auch  eine  weitere 
Verbreitung  finden.  Im  Interesse  des  lateinischen  Unterrichts 
können  wir  nur  wünschen,  dafs  der  Verf.  sein  in  dem  erwähnten 
Jahr^berichte  ausgesprochenes  Vorhaben,  die  lateischen  Pensa 
in  der  neuen  Gestalt  bis  Untersekunda  fortzusetzen,  recht  bald 
ausführt. 

Gera.  Richard  Büttner. 


^ 


268  ^-  Wetiel,  Griechisches  Lesebaeh, 

M.  Wetzet,  Griechisches  Lesebuch  mit  deatschen  (Ibaogsstückeo  für 
Unter-  aod  Ober-Tertia.  Dritte,  mit  Rücksicht  auf  die  oeaeo  prea- 
Isischeo  Lehrpläoe  umgearbeitete  Auflage.  Preibnrg  im  Breisgau  1893, 
Herdersehe  Verlagsbachhandlung.  XI  uad  217  S.  2,20  M,  geb. 
2,55  M. 

Das  griechische  Cbuogsbuch  von  Wetzel  hat  in  Verhältnis- 
mäfsig  kurzer  Zeit  die  dritte  Auflage  erlebt,  ein  Beweis,  dafs 
seine  Vorzuge  Anerkennung  Gnden  und  seine  Mängel  er- 
tragen werden.  Dennoch  unterscheidet  sich  die  neue  Auflage  sehr 
von  der  früheren,  wie  auch  diese  sich  von  der  ersten  gar  weit 
entfernt  hatte.  Will  der  Verf.,  der  durch  die  jüngsten  Änderungen 
den  neuen  preufsischen  Lehrplänen  gerecht  zu  werden  meint, 
diesen  auch  in  Zukunft  genügen ,  so  wird  er  die  jetzige  Gestalt 
seines  Werkes  in  der  Hauptsache  als  die  endgültige  betrachten 
müssen  und  nicht  wieder  durch  eine  neuerliche  Auflage  die  frühere 
verdrängen  dürfen. 

Die  leitenden  Gedanken  der  zweiten  Auflage  zu  ändern,  sah 
W.  keinen  Grund:  er  läTst  auch  jetzt  den  Tertianer  zunächst 
einen  Kursus  des  Regelmäfsigen  durchmachen,  alsdann  einen  sol- 
chen der  wichtigsten  Unregeimäfsigkeiten ,  nach  deren  Überwäl- 
tigung von  der  für  sein  Verständnis  zugeschnittenen  Lektüre  zu 
der  der  Anabasis  geschritten  werden  soll,  und  schliefst  mit  einer 
erweiternden  Wiederholung  der  Formenlehre,  bei  der  fast  aus- 
schliefslich  Paraphrasen  der  Anabasis  durch  Obersetzungen  in  das 
Griechische  den  Stoff*  zur  Einübung  liefern.  Nur  hat  er  ein 
Dutzend  unregelmäfsiger  Verba,  die  bisher  vor  dem  Übergänge  zur 
Anabasis  geübt  worden  sind,  dem  Erweiterungskursus  zugewiesen, 
um  der  neuen  Unterrichtsordnung  entsprechend  früher  an  die 
Anabasis  gehen  zu  können.  Die  Ausführung  des  Gedankens  da- 
gegen ist  etwas  anders  ausgefallen.  Waren  früher  Übertragungen 
aus  dem  Griechischen  und  solche  aus  dem  Deutschen  als  gleich 
wirksame  Übungsmittel  in  demselben  Umfange  geboten,  so  treten 
jetzt,  wir  wissen  aus  welchem  Grunde,  die  ersten  mehr  in  den 
Vordergrund,  sowohl  durch  den  eigenen  Umfang  als  auch  durch 
das  Verhältnis  der  deutschen  Übungsstücke  zu  den  griechischen, 
an  die  jene  sprachlich  und  inhaltlich  angeschlossen  sind;  daher 
ist  auch  der  Titel  des  Werkes,  der  früher  „Übungsbuch*'  lautete, 
geändert  in  „Lesebuch''. 

Was  ich  über  Inhalt  und  Form  der  Sätze  in  der  zweiten 
Auflage  (Jahrgang  XLIV  S.  6260*.)  gesagt  habe,  gilt  auch  für 
die  dritte  Auflage.  Einerseits  bildet  W.  durch  allerhand  Kombi- 
nationen aus  einem  verhältnismäfsig  geringen  Vokabelschatz  gar 
zu  viel  Sätze,  die  durch  ihren  Inhalt  Bedenken  erregen.  Wie 
soll  ich  mir  die  Sachlage  ausmalen,  in  der  i^  xqavyij  zijv 
ipvyipf  xiaXvei'i  Darf  ich  die  Moral  predigen,  die  aus  den 
Worten  spricht:  ädixa  nqaTtsiB'  axopiag  ydg  tovg  äp&Qci- 
novc  ov  deX  ävayxd^eivt  ist  es  wahr,  was  ein  deutscher  Satz 
lehrt,  dafs  die  Erde  den  Menschen  freiwillig  die  Nahrung  bietet? 


ao^ez.  voD  P.  WeifseBfeli.  269 

Anderseits  bescbleicht  mich  auf  den  ersten  Bogen  and  in 
sämtlichen  zusammenhängenden  Lesestucken  gar  zu  häufig  das 
Gefühl,  dafs  der  Grieche  den  Gedanken  nun  und  nimmer- 
mehr in  der  von  W.  gewählten  Form  ausgedrückt  hätte.  Das 
Verbum  i/xatfiidCBiv  hat  er  jedenfalls  nicht  vom  bildenden  Künst- 
ler gebraucht  wie  W.  in  den  Worten  ol  rcx^rror»  rrfv  t&v  &€wv 
ngo^  Tövg  yi/ayrag  fidxv^  iyxcofud^oviXtv,  und  jedenfalls  nur 
von  sittlichen  Gröfsen  oder  sittlichen  Regungen,  während  W. 
schreibt:  'OfkijQog  t^v  tov  ^Ax^Xkioag  nqoq  tovg  ^AxQsidag  ogyi^v 
ijrxwiAtdZBt.  Was  wir  an  anderer  Stelle  lesen :  oi  atganeoTai  Xid-ovg 
sig  toy  noxaikov  ^iTtrortsg  d&aßaivovcfiv,  soll  zweifelsohne  be- 
deuten:  Oft  atQccTiärai  tov  noraaop  dtaßaivovcft  li&otg  ye- 
fpt*Qfa<savT€g,  Ol  dovXo^  (poßoy  exovts^  tmv  dsanoxMv  ist  so 
wenig  griechisch  wie  $ertn  dommorum  timorem  habent  lateinisch. 
Vom  Befragen  des  Apollo  und  dem  Bescheide  der  IViesterin  lesen 
wir  alle  anderen  Ausdrücke,  nur  nicht  die  richtigen  in€Q(0Tcey 
{hteqia&ai)  und  ayatQsty.  Auch  die  zusammenhängenden  Lese- 
stücke,  deren  Zahl  sehr  vermehrt  worden  ist,  kranken  noch  an 
den  Fehlern,  die  ich  in  der  Anzeige  der  zweiten  Auflage  gekenn- 
zeichnet habe,  und  zwar  so,  dafs  diese  in  den  ersten  Stücken  in 
geradezu  unerträglicher  Menge  sich  finden,  in  dem  Mafse,  in  dem 
die  Bekanntschaft  mit  der  Formenlehre  zunimmt,  ihrerseits  ab- 
nehmen, aber  nicht  einmal  in  den  letzten  Stücken  ganz  ver- 
schwinden. W.  selbst  hat  sich  laut  Vorrede  sagen  müssen,  „dafs 
die  zu  früh  gebotenen  zusammenhängenden  Stücke  inhaltlich  und 
sprachlich  manche  Härte  aufweisen  müssen^*,  und  meint  in  der 
Anfnahme  solcher  Stücke  noch  Mafs  gehalten  zu  haben,  insofern 
er  erst  von  der  Komparation  an  regelmäfsig  zusammenhangenden 
l^hrstoiT  darbiete.  Aber  noch  diese  Stücke  unter  „Komparation'^ 
um  wie  viel  mehr  die  vorhergehenden,  haben  aufser  den  Vokabeln 
kaum  etwas  Griechisches  an  sich  und  beweisen,  dafs  gut  Ding 
Weile  haben  will,  und  nicht  schon  ernten  kann,  wer  kaum  erst 
gesaet  hat.  Gelingt  es  nicht,  gröfsere  zusammenhängende  Stücke 
in  wirklichem  Griechisch  für  den  Anfänger  zusammenzustellen,  so 
begtiiige  man  sich  mit  kleineren  (z.  B.  Anekdoten);  und  sollten 
auch  diese  mifslingen,  was  ich  nicht  für  notwendig  halte,  so  thäte 
man  besser,  ganz  auf  Zusammenhänge  zu  verzichten,  als  den  Kopf 
des  AnfSngers  mit  den  irrigsten  Vorstellungen  über  den  Geist  der 
Sprache  zu  füllen,  die  später  wieder  ausgetrieben  werden  müssen. 
W.  bat  sich  übrigens  diesen  Teil  seiner  Aufgabe  dadurch  er- 
schwert, dafs  er  einen  zu  geringen  Teil  der  Konjugation  parallel 
mit  der  Deklination  übt  und,  um  die  Aufmerksamkeit  des  Schü- 
lers auf  die  jedesmalige  Aufgabe  zu  konzentrieren,  ihm  Scheu- 
klappen anlegt,  die  ihm  nicht  gestatten,  auch  nach  den  Seiten 
tu  blicken.  —  Zum  Schlufs  noch  einige  Bemerkungen,  die  die 
syntaktische  Seite  betreffen.  Mehrfach  lese  ich  in  den  Stücken 
Genetive,  die  attributiv  gestellt  sind  und  doch  nicht  als  Attribute 


270     Iwan  T^lfy,  Griechische  Aassprache,  «Dgez.  von  H.  Rohl. 

gellen  dürfen;  z.  B.  in  al  nokXwv  oqvid-iav  (fiaval  xaXai  etoip, 
das,  grammatische  Korrektheit  vorausgesetzt,  nur  bedeuten  konnte : 
vielstimmige  Vogellieder  sind  schön;  in  17  näci^g  %ixvfi<;  oiqxh 
XaksTc^  iifTiv;  in  rä  noXlw  r^fjQdoy  xgia  totg  ävx^Qcinoig 
äyad-fjv  TQO(pfiV  naqi%Bh,  Der  Artikel  ist  fehlerhaft  in  t^^ 
nivQag  S.  26  Z.  13  v.  0.  (oder  meint  W.  die  Kadmea?  Jeden- 
falls setzt  er  Z.  22  dxQonoXig  für  nitga  ein)  und  S.  91  Z.  12 
V.  u. ;  sein  Fehlen  unzulässig  §  32,  1  vor  rvg  yvpaixog,  S.  78  Z.  6 
v.  u.  vor  xiyr«*,  S.  89  Z.  6  v.  u.  vor  naxfjq.  Die  Worte  iv 
avty  stehen  S.  68  Z.  13  v.  u.  sinnwidrig  am  Anfang  des  Satzes, 
wo  sie  in  ipsa,  nicht  in  ea  bedeuten.  §  52  dürfte  taSia  ra  ai- 
Tia,  äira  aoi  ^diCTÜ  ia%tv  zu  ändern  sein  in  aita  aoi  ijÖKTToi 
iari'  a^ria.  Der  Fotentialis  in  Tovg  ä&Kovg^  ovg  Sv  ixeXpog 
avTM  iniö'dfiy  relicai  (S.  73  Z.  8  v.  u.)  ist  in  dem  Bescheide 
der  Priesterin  befremdend.  Endlich  hätte  yqdipetv  ontog  „bean- 
tragen, dafs''  nicht  dem  Plutarch  entlehnt  werden  sollen. 

Dafs  ein  Schüler  aus  W.s  Lesebuch  einen  dem  Umfange  des 
Werkes  entsprechenden  Teil  des  griechischen  Sprachgeistes  ein- 
saugt, bestreite  ich;  gewifs  aber  ist  für  mich,  dafs  er  die  grie- 
chische Formenlehre  mit  dieser  Unterstützung  sich  aneignen 
kann. 

ZüUichau.  P.  Weifsenfeis. 

Iwan  T^lfy,  Chronologie  und  Topographie  der  griechischen 
Aussprache.  Nach  dem  Zeugnisse  der  loschrifteD.  Saxa  loquuntor. 
Leipzig  1893,  Wilhelm  Friedrich.     86  S.  8.     2  M. 

Die  Freude,    die    man    über    den   schönen  Titel  der  Schrift 
empfindet,    hält   leider   nicht  lange  vor.     Statt    einer  Kritik    sei 
lieber  eine  Probe  abgedruckt,    aus  der  sich  die  Methode  und  die 
Tendenz  des  Buches  beurteilen  lafst.    Nachdem  Verf.  all-tberäische 
Schreibungen  wie  'Ps^apog  =  'Pfj^wcoQj  Ilsgatevg  =  llsiQa&evg 
u.  dgl.  angeführt  hat,  unter  die  auch  äfVTo  =»  avxov  geraten  ist, 
fährt  er  S.  1    unten    fort:     „Damals   schrieb  man    also    auf  der 
Insel  Thera    diese   homerischen  Wörter  (X£idc,    sldov^    sXöioXoy^ 
stnop,  ixaaTog,  iXeZr,  aviaxog,  avegvco,  Xeinev^  oidtv  auf  fol- 
gende Weise:  aeds,  Fedovj  FedoXov,  Fenov,  FBxaatog,  Fsksv^ 
aFiaxHog^  aFsqvia^  Xsnsv^  odsv.    Wenn  also  die  Schrift  damals, 
wie  die  Erasmianer  behaupten,  phonetisch  gewesen  wäre,  so  hätten 
die    Bewohner   der   Insel    Thera    obige  Wörter    phonetisch    aus- 
sprechen   müssen.     Die  Erasmianer    sprechen    sie   aber    so  aus : 
aeide,  eidon,  eidölon,  eipon,  hekastos«  helein,  auiachos  und  aüiakhos, 
auerüo  und  aüreüo,    leipein,  uden.    Folglich  widerlegen  sie  sich 
selbst.     Denn  einerseits  sagen  sie,   die  Schrift  sei  phonetisch  ge- 
wesen,   und    andererseits  sprechen    sie   die    homerischen  Wörter 
doch  anders  aus,   als  sie  im  7.  Jahrhundert  auf  der  Insel  Thera 
geschrieben  wurden''. 

Durch  solche  Beweisführung  wird  es  dem  Verf.  nicht  schwer. 


G. Schneider,  Hellen.  WeltaDschaaDBgen,  agz.  v.  Chr.  Moff.     271 

das  hohe  Alter  der  bei  den  jetzigen  Griechen  herrschenden  Aus- 
sprache in  einer  seiner  Überzeugung  nach  zwingenden  Weise  zu 
erhärten. 

Haiberstadt.  H.  Röhl. 


Gastav  SchDeider,  Hellenische  Welt-  and  Lebensanachao- 
an  gen  in  ihrer  Bedeotnng  Tür  den  gymnasialen  Unterricht.  Gera 
1693,  Hofmann.    43  S.  S. 

Es  ist  ein  wärmer  Freund  des  humanistischen  Gymnasiums, 
der  hier  daraber  nachdenkt,  wie  der  weitverbreiteten  Abneigung 
gegen  das  Gymnasium  und  namentlich  gegen  den  Betrieb  der 
klassischen  Sprachen  am  besten  begegnet  wird. 

Von  der  Oberzeugung  ausgehend,  dafs  sich  unser  Unterricht 
bisher  zu  einseitig  an  das  Gedächtnis  und  den  Verstand  und  zu 
wenig  an  das  Gemüt  und  die  Phantasie  gewendet  habe,  legt  der 
Verf.  auf  die  Lektüre,  auf  die  Erfassung  des  Inhalts,  auf  die  Er- 
kenntnis des  Kalturlebens  das  gröfste  Gewicht  und  empfiehlt  be- 
sonders die  gründliche  Beschäftigung  mit  PJato.  Ich  meine  zwar, 
dafs  der  Verf.  in  seinem  Eifer  zu  weit  geht  und  mehr  fordert, 
als  geleistet  werden  kann;  aber  was  thut  das?  Wenn  nur  sein 
Rat  befolgt,  die  herrliche  Persönlichkeit  des  Sokrates  in  den  Mittel- 
punkt gestellt  und  eine  Anzahl  wichtiger  platonischer  Gedanken 
den  Schülern  zum  Verständnis  gebracht  wird,  so  ist  schon  viel 
erreicht  Und  zu  solchem  Thun  anzuregen,  ist  die  schöne  Aus- 
/  einandersetzung  über  das  Schöne  bei  den  Griechen  wohl  geeignet. 
Recht  ansprechend  sind  am  Schlub  die  Bemerkungen  über  die 
Einführung  in  das  Verständnis  der  griechischen  Kunst  durch  Vor- 
ffihning  von  Modellen,  Bildern  und  sonstigen  Anschauungsmitteln. 
Der  Verfasser  ist  sehr  für  sie  eingenommen  und  giebt  gute  Winke 
für  ihre  Benutzung,  versäumt  aber  auch  nicht  auf  den  Schaden 
hinzuweisen,  den  ein  unvorsichtiger  Gebrauch  derselben  anzu- 
richten imstande  ist. 

Ich  habe  die  feinsinnige  und  schön  geschriebene  Abhandlung 
mit  Vergnügen  und  zu  meinem  Vorteil  gelesen,  und  ich  bin 
überzeugt,  diese  Erfahrung  macht  jeder,  der  sie  zur  Hand  nimmt. 

Cassel.  Christian  Muff. 

Boissier,  Cic^ron  dans  la  vie  publique  et  priv^e.  Edition  adaptee 
a  rasage  des  ecoles.  A.  n.  d.  T.  Bibliothek  {^edieg^ener  nnd  inte- 
reaaanter  franzSsiseher  Werke.  Band  59.  Münater  1893,  Theiaainip. 
X  Q.  147  S.  12.  0,50  M. 

Ein  Verehrer  Ciceros  wird  es  mit  Freuden  begrüfsen,  dafs 
Boissiers  gei8tvolIes  Buch  sich  immer  mehr  als  ständige  Lektüre 
in  unseren  Primen  verbreitet,  wie  das  ja  auch  die  neuen  Lehr- 
plane im  Interesse  einer  gröfseren  Konzentration  des  Unterrichts 
empfehlen.  Es  wird  davon  nicht  nur  der  französische,  sondern 
vor  allem    der  lateinische  Unterricht  den  gröfsten  Vorteil  ziehen. 


272     Boissier,  CiceroD  dang  !•  vie  publique,  tg^z.  v.  Fr.  Aly. 

Denn  das  Charakterbild  Giceros,  das  uns  der  feinsinnige  Franzose 
zeichnet,  ist  sehr  wohl  geeignet,  endh'ch  einmal  die  Vorurteile  zu 
beseitigen,  die  Mommsens  parteiische  Darstellung  hervorgerufen  hat. 
Und    dabei    ist  Boissier    keineswegs    nach    Art    des   Panegyrikers 
Middleton  ein  unbedingter  Lobredner;  unparteiisch,  aber  billig  und 
wohlwollend  geht  er  der  Entwickelung  des  gröfsten  Sprachmeisters 
lateinischer  Zunge  nach.    Allerdings  besieht  der  Hauptvorzug  des 
trefflichen  Buches  in  dem  feinem  Nachempfinden  des  Seelenlebens 
Ciccros:  in  den  Einzelheiten  findet  sich  hin  und  wieder  oine  Uii- 
genauigkeit,  vor  der  die  moderne  Akribie  fast  erschrecken  möchte. 
Ein  charakteristisches  Beispiel  mag  hier  genügen,  da  ich  ja  nicht 
das  Werk  selbst,  sondern  eine  Schulausgabe  besprechen  soll.    Auf 
S.   66/67'  redet   Boissier    von    ces    vieux    centurions  qui   avaient 
vu  la  Germanie  et  la  Bretagne,  qui  avaient  pris  Alesia  et  Gergovie 
—  Seltsam!  Bisherhaben  unsere  Tertianer  immer  gelernt:  Caesar 
a  Gergovia  discessit,  eben  weil  er  es  nicht  hat  erobern  können. 
Doch  nun  zur  Sache.     Die   erschreckende  Betriebsamkeit  unserer 
Schulbücherfabrikation  hat  in  den  letzten  Monaten  meines  Wissens 
nicht  weniger  als  drei  Chrestomathieen  von  Boissiers  Werk  zu  Tage 
gefördert.    Nun  bin  ich  gewifs  kein  Gegner  von  Chrestomathieen; 
habe  ich   doch  selbst  eine  solche  aus  Ciceros  Briefen  zusammen- 
gestellt.    Jedoch  ist  dabei    zweierlei  zu  berücksichtigen:    erstens 
mufs  das  ausgewählte  Buch  durch  seinen  Umfang  eine  Abkürzung 
notwendig  machen,  und  zweitens  mufs  das  Prinzip   der  Auswahl, 
wenigstens  in  den  Augen  des  Herausgebers,  den  Vorzug  verdienen 
vor  den   Leistungen    der  Vorgänger.     Entspricht  die   vorliegende 
Chrestomathie  diesen  Anforderungen?     Zunächst   möchte  ich  be- 
zweifeln,  ob  der  Umfang  des  Werkes  eine  Abkürzung  erfordert. 
Wenn  man  es    als  ständige  Prosaiektüre    in    beiden  Primen  ein- 
führt, was  ich  dringend  empfehlen  möchte,   so  könnte  man  ganz 
wohl  den  gröfsten  Teil  des  Buches  lesen  und  den  Rest  der  Privat- 
lekiöre   überweisen.     Der  Herausgeber  der  vorliegenden  Auswahl, 
J.  Brüll,  ist  anderer  Ansicht.    Wenigstens  wüfste  ich  nicht,  warum 
er  das  Werk  in  vier  Teile  zerlegt  bat,  deren  erster  uns  vorliegt; 
die  folgenden  sollen  Atticus-Cälius,  Cäsar-Cicero,  Brutus-Octavius  um- 
fassen. Ferner  hat  er  Kurzungen  des  Textes  „in  geringem  Umfange  ans 
erziehlichen  Rücksichten,  in  gröfserem  zur  Beseitigung  alles  dessen, 
was  für  den  deutschen  Schüler  als  Länge  zu  betrachten  ist,'*  vor- 
genommen.    Die  letzteren  Abschnitte  beziehen  sich  auf  den  Ver- 
gleich   der    Cicero  -  Briefe    mit  denen    der    Frau  v.  Sevigne,    die 
ersteren  vor  allem  auf  die  Polemik  des  Verfassers  gegen  Druraann 
und  Mommsen.     Ich  kann  nicht  finden,  dafs  der  Herausgeber  in 
diesen  Kürzungen  sehr  glücklich  gewesen  ist.   Was  Boissier  z.  B.  auf 
S.  19/20  über  die  Würdigung  der  Briefe  sagt,   ist  eigentlich   das 
Beste  in   dem    ganzen  Buche,  die   Grundlage    der  späteren   Aus- 
führungen.   Und  bei  alledem  so  mafsvoU  und  fein,  dafs  eine  Aus- 
lassung gerade  dieser  Stelle  bedauert  werden  mufs.   Oder  gebieten 


DeitflehbeiOy  Irvin^-Macaalay-Leseb.,  agz.  v.  J.  Jelinek.     273 

es  „erziehliche  Rücksichten'*,  die  Autorität  eines  grofsen  lebenden 
Gelehrten  zu  schonen,  der  selbst  so  wenig  Pietät  bewiesen  hat 
bei  der  Beurteilung  eines  gröfseren  verstorbenen  Geistes?  Ich 
meine,  es  ist  hohe  Zeit,  die  Kunsturteile  Mommsens,  deren  un- 
zureichende Begründung  icii  in  meiner  soeben  erschienenen  „Ge- 
schichte der  römischen  Litteratur''  nachgewiesen  zu  haben  hoffe, 
ernstlich  und  ohne  falsche  Schonung  zu  bekämpfen.  Mcht  anders 
steht  es  um  die  Auslassungen,  die  sich  im  Original  auf  S.  26/27 
finden.  Dafs  der  Herausgeber  auf  Anmerkungen  verzichtet,  ist 
verständig.  Um  so  notwendiger  ist  ein  erklärendes  Verzeichnis 
der  Eigennamen,  das  sich  in  Vorbereitung  befindet.  In  summa: 
die  vorliegende  Chrestomathie  hat  wenig  selbständigen  Charakter; 
sie  wird  die  Lektüre  des  als  Ganzes  empfehlenswerten  Buches 
weder  erschweren  noch  erleichtern. 

Magdeburg.  Friedrich  Aly. 

Deatschbeio,  Irviag-Maeanlay-Lesebach  mit  zwei  Vorstafeo.  228  S. 
8  2,40  M;  die  Vorstnfeo  besoDders  88S.  8.  1  M;  Korzgefafste  Bog- 
liselie  Grammatik.  78  S.  8.  0,80  M;  CbuDgsbnch.  120  S.  8.  1  M. 
Colhea  1893,  Otto  Scholzes  Verlag. 

Unter  den  Lehrmitteln  für  die  engUsche  Sprache,  die  bereits 
vor  der  allgemeinen  Aufnahme  dieses  Faches  in  den  Lehrplan 
des  preufaischen  Gymnasiums  sich  auswärts  im  Gymnasialunter- 
ridite  bewährt  und  von  berufenster  Seite  rühmende  Anerkennung 
gefanden  haben,  stehen  die  eigens  für  das  Gymnasium  geschrie- 
benen und  bereits  seit  Jahren  im  Königreich  Sachsen  allgemein 
eingeführten  Bücher  von  Deutschbein  in  erster  Linie.  Da  eine 
Würdigung  der  in  Rede  stehenden  Lehrmittel  in  Anbetracht  des 
früheren  Lehrplans  des  Gymnasiums  bis  vor  kurzem  nicht  zu  den 
Aufgaben  dieser  Zeitschrift  gehörte  und  übrigens  die  im  vorigen 
lahre  erschienene  Bearbeitung  nicht  unerhebliche  Abweichungen 
von  den  früheren  Auflagen  aufweist,  so  dürfte  eine  Besprechung 
dieser  Bücher  an  dieser  Stelle  durchaus  zeitgemäfs  sein. 

Das  Lesebuch  enthält  in  seinem  Hauptteiie  eine  Auswahl 
aus  Irvings  Sketchbook  und  besonders  wichtige  Abschnitte  aus 
Xacaulays  History  of  England,  als  Anhang  Sinnsprücke,  Reden 
und  Szenen  aus  Shakespeare  —  ohne  Zweifel  ein  höchst  gedie«- 
gener  und  eines  Primaners  würdiger  Lesestoff.  Die  Schwierig*- 
keiten  des  Textes  werden  durch  mafsvoU  beschränkte  Verwei* 
sangen  auf  die  in  Betracht  kommenden  Paragraphen  der  Gram- 
natik  und  gelegentliche  sachliche  Erläuterungen  gehoben.  Ein 
SpezialWörterbuch  erleichtert  die  Präparation. 

Vorausgeschickt  sind  diesem  eigentlichen  Irving -Hacauly- 
Lesebuche  die  sogenannten  zwei  Vorstufen,  weiche  Fabeln,  Anek- 
doten, die  Geschichte  König  Alfreds  nach  Dickens,  diejenige  Mac- 
ketbs nnd  Maria  Stuarts  nach  Walter  Scott,  einen  in  einfacher 
Sprache  gehaltenen  und  zu  Sprechübungen  ganz  besonders  ge- 
eigneten Abrils  der  Geographie   von  England,   Briefe  von  Irving 

r.  1  4.  OTiDBMialwtMn  XLVllL    4.  1$ 


274     Deutschbeio,  Irviog-Macaula y-Leseb.,  ags.  v.  J.  Jelioek. 

und  Macaulay,  sowie  eine  Anzahl  zum  Teil  bekaDnterer  englischer 
Gedichte  enthalteo. 

Diese  Vorstufen,  deren  Lesestoff  in  seiner  Sprache  die  Be- 
ziehung auf  bestininite  Abschnitte  der  Aussprachelehre  und  Gram- 
matik nicht  verkennen  läfst,  sind  jetzt  auch  als  Sonderausgabe 
eriicbienen.  Das  zeitraubende  und  verhältnismäfsig  wenig  frucht- 
bringende Aufsuchen  der  Vokabeln  im  VVörterbucbe  wird  dem 
Anfänger  in  der  neuen  Auflage  der  Vorstufen  durch  das  im  An- 
hange enthaltene,  dem  Gange  des  Textes  sich  ansei) liefsende 
Wörterverzeichnis  erspart. 

Die  Grammatik  ist  in  der  Fassung  der  Regeln  durchaus 
dem  Standpunkte  der  Schüler  angemessen.  Diesem  Standpunkte 
entspricht  auch  der  auf  drei  Seiten  zusammengedrängte  laut- 
physioiogische  Abrifs,  sowie  der  Anhang,  der  u.  a.  Wortbildungs- 
lehre  und  in  sehr  übersichtlicher  Form  das  für  die  Aneignung 
des  Wortschatzes  so  wichtige  Gesetz  der  germanischen  Lautver- 
schiebung enthält.  In  der  neuen  Auflage  der  Grammatik  hat  der 
eigentliche  Lernstoff  eine  nur  zu  billigende,  hier  und  da  vielleicht 
noch  nicht  weit  genug  gehende  Einschränkung  erfahren^  indem 
das  minder  Wichtige  unter  den  „Strich''  gesetzt  ist. 

Zur  Einübung   der    Grammatik    enthält    das    Übungsbuch 
in    seinen    einzelnen    „Übungen''  zuerst   noch  (nur  bis  zum  Ab- 
schlufs  der  Formenlebre)  englische  Einzelsätze,    die   aber  ebenso 
wie  die  in  der  Grammatik  selbst   zur  Veranschaulichung  der  Re- 
geln gewählten  Sätze  fast  durchweg  dem  Lesestofl'e  der  Vorstufen 
entnommen  sind,  dazu  mei^t  ein  deutsches  Stück,  das  eine  Umfor- 
mung   eines    entsprechenden  Abschnittes  aus  den  Vorstufen  dar- 
stellt und  nicht  nur  das  bezügliche  Kapitel  der  Grammatik,    son- 
dern auch    den  im   englischen  Stücke  vorkommenden  Wort-  und 
Phrasenschatz  durch  die  Rückübertragung  fester  einzuprägen  be- 
stimmt ist.   Dazu  kommen  in  einer  grofsen  Anzahl  von  „Übungen'' 
die  zum  gröfseren  Teile   in    englischer  Sprache    abgefafsten  Dia- 
loge,   in    denen  es  dem  Verfasser  in  bewundernswürdiger  Weise 
geglückt   ist,    das  Wesen    des   Zwiegesprächs    in    ungezwungener 
Weise    mit    dem    einer  grammatischen    Übung    in    eins    zu   ver- 
schmelzen und  diese  Form  zugleich  mit  einem  wertvollen   Inhalte 
zu  erfüllen.     Zur  Kennzeichnung  dieses   letzteren,    der   in  seiner 
Gesamtheit    als    eine  Darstellung  englischer  Realien    gelten  kann, 
seien  aus  der  grofsen  Zahl  (ungefähr  30)   wenigstens  einige  StoflTe 
angeführt:    Sundays   in  London  —   the  English  language   —  the 
Higher  Schools  in  England  —  Englishmen  and    their  autbors  — 
Proposal    to    go    to   the    Crystal    Palace    —   the   London  Police 
Courts. 

Alles  in  allem  wird  man  den  besprochenen  Lehrbüchern,  die 
Rez.  in  zweijährigem  Unterricht  erprobt  hat,  bei  näherer  Prüfung 
kaum  das  Lob  vorenthalten  können,  dafs  sie,  was  Gediegenheit 
und  Angemessenheit    grammatischer   Belehrung,    abwechselungs- 


Oskar  Jäger,  Weltgeschichte,  angez.  von  M.  Hoffmaoo.     275 

neiche,  auch  inhaltlich  anregende  und  lehrreiche  Übungen,  soi^ 
bequeme,  auf  möglichster  Konzentration  des  Unterrichts  be- 
ruhende Vermittelung  eines  nach  verschiedenen  Seiten  hin  reichen 
Wortschatzes  betrifft,  unter  den  für  den  gleichen  Zweck  in  Be- 
tracht kommenden  Lehrmitteln  nicht  ihresgleichen  haben. 

Breslau.  J.  Jelinek. 


])  Oskar  Jäger,  Weltgeschichte  io  vier  Bäodeo.  Zweite  Auflage. 
Bielefeld  nod  Leipzig  1894,  Velbagea  und  Klasiug.  Erster  Band:  Ge- 
schichte des  Altertums,  mit  243  autbentischeo  Abbildongeo  im  Text 
ood  20  Beilagen  in  Schwarz-  uod  Farbeodruck,  579  S.  Zweiter  Band: 
Geaebiehte  des  Mittelalters,  mit  226  autbentischeo  Abbilduageo  im 
Text  aod  21  Beilagen  in  Schwarz-  und  Farbendruck,  561  S.  Jeder 
Band  geb.  10  M. 

Zu  den  mancherlei  Versuchen,  die  Gesamtentwickelung  der 
Kulturvölker  darzustellen,  ist  hier  ein  neuer  hinzugetreten,  aus- 
gezeichnet durch  lebhafte  Darstellung,  die  nur  bisweilen  durch 
moderne  Ausdrucke  in  die  alten  Zeiten  etwas  Fremdes  hineinträgt, 
und  durch  zahlreiche,  schön  ausgeführte  Abbildungen,  die  zumeist 
den  Zeiten  selbst,  welche  sie  veranschaulichen  sollen,  entnommen 
sind  (Wandgemälde,  Skulpturen,  Vasenbilder,  Münzen,  Inschriften, 
Handschriften);  doch  sind  für  die  Bauwerke  auch  Rekonstruktionen 
zu  Hilfe  genommen,  um  den  vollen  Eindruck  zu  erzielen  (Akro- 
polis,  Parthenon,  römisches  Forum  u.  a.).  Das  Werk  ist  auf  vier 
Bände  beschränkt,  um  übersichtlich  zu  bleiben;  es  will  besonders 
der  Jugend  unserer  höheren  Schulen  dienen,  „welche  der  Verfasser 
kennt,  veil  er  sein  Leben  in  ihrer  Mitte  zugebracht  hat".  Er- 
gebnisse der  neueren  Forschung  werden  reichlich  verwertet,  das 
rorzöglich  Wissens  würdige  tritt  mit  Hilfe  der  wohlgewählten  Ab- 
bildmigen  eindrucksvoll  hervor.  Die  erste  Auflage  erschien  1887 
bis  1889;  die  zweite,  durchgesehen  und  verbessert,  liegt  bereits 
ToUsländig  vor;  doch  genügt  näheres  Eingehen  auf  die  beiden 
ersten  Bände,  um  zu  erkennen,  dafs  wir  es  mit  einem  anregenden 
und  gediegenen,  wenn  auch  nicht  ideal  vollkommenen  Werke  zu 
thuD  haben. 

Die  Einleitung  betont,  dafs  die  Weltgeschichte  eine  religiöse 
Betrachtungsweise  voraussetzt,  den  Glauben  an  eine  von  Gott  ge- 
setzte Bestimmung  der  Menschheit  und  an  göttliche  Leitung  der 
Geschicke.  Abgelehnt  wird  die  naturwissenschaftliche  Betrachtung, 
welche  die  Menschheit  nur  als  Gattung  erfafst  und  gegen  die 
IndiTiduen  gleichgiltig  ist;  abgelehnt  wird  auch  die  Betrachtungs- 
weise Burkies,  welche  mit  geflissentlicher  Hintansetzung  der  so- 
genannten grofsen  Männer  den  Schwerpunkt  in  die  Massen  verlegt; 
doch  soll  die  Darstellung  „etwas  weniger  Heroengeschichte  und 
etwas  mehr  Volksgeschichte''  geben,  als  oft  geschieht.  Unerfreulich 
ist,  da/s  die  zu  Grunde  gelegte  Einteilung  in  Altertum,  Mittel- 
alter, 3feuzeit  als  verjährt,  hausbacken  und  fast  naiv  unwissen- 
icha/Uich  bezeichnet  wird  (S.  3);  wer  so  urteilt,  mufs  eine  anderp 

18* 


276  Oskar  Ja^er,  Weltgpeschichte, 

EinteiluDg  wählen.    Es  zeigt  sich  hier,  was  öfters  hervortritt,  dafs 
die  Lebhaftigkeit  der  Darstellung  den  Verfasser  zu  weit  führt. 

Das   erste  Buch  behandelt   die  orientalischen  Völker   bis  auf 
Kyros,   mit   angemessener  Hervorhebung  des  Volkes  Israel  gegen- 
über  der   hochentwickelten  Kultur  Ägyptens  und   Babylons.     Das 
zweite  Buch   stellt  Perser  und   Hellenen   einander   entgegen;  bei 
den  Hellenen  zuerst  entfaltet  sich   der  Begriff  der  Freiheit,  in 
welchem  die  Einzelnen  zu  ihrem  Rechl  kommen  (S.  84) ;  es  wäre 
hinzuzufügen,  dafs   er  ergänzt  und  gezugelt   wird  durch  die  den 
Hellenen  eigentümliche  Tugend  des  Mafses.    Bei  der  Besprechung 
des  athenischen  Staates  sind  in  der  neuen  Auflage  die  Ergebnisse 
der  1890   gefundenen  aristotelischen   Schrift  beröcksichtigt;   doch 
steht  S.  142  noch  fälschlich,  dafs  Aristides  auch  die  Theten  zum 
Archontat  zugelassen  habe  (vgl.  Aristoteles  c.  26).    Die  Abbildung 
einer  Kolumne  des  Papyrus,  mit  beigefügtem  Text  und  Obersetzung, 
läfst  erkennen,  wie  schwer  es  war,  diese  Schrift  zu  entziffern.   Die 
Perserkriege  sind  veranschaulicht  durch  Abbildungen  der  Dareios* 
vase,  der  Aristionstele,  der  Büste  des  Themistokles,  des  platäischen 
Schlangengewindes;  das  Urteil   über  die  griechische  Kriegführung 
ßllt  sehr  hart  aus  (S.  139).    Beim  perikleischen  Athen  wird  treffend 
hervorgehoben,  dafs  ein  athenischer  Bürger,  dessen  Jugend  in  die 
Zeit  der  Perserkriege   fiel,  ,,früh   den  Eindruck  empfangen  hatte, 
dafs  sein  ganzes  Dasein  auf  ein  Vaterland  gepflanzt  sei*',  und  wenn 
er  dann  an  dem  Wiederaufbau  und  der  Ausschmückung  der  Vater- 
stadt sich  beteiligte,  so    „wurde  es  ihm  zu  einer  sich  von  selbst 
verstehenden  Sache,   dafs   man  dem  Staate  lebe'*.     Das   folgende 
Kapitel  ist  überschrieben  „Die  Auflösung  der  hellenischen  Nation"; 
aber  so  schlimm  der  peloponnesische  Krieg  war,  die  reiche  Lebens- 
kraft des  Volkes  wurde  durch  ihn  keineswegs  vernichtet;  ihre  Zu- 
sammenfassung   durch    die   makedonische  Macht  wird   mit  Recht 
(S.  205)  als  ein  geschichtlicher  Portschritt  bezeichnet.    Alexanders 
Regententhätigkeit    wird    mit  Begeisterung    geschildert,    aber  ver- 
geblich sucht  der  Verfasser  zu  rechtfertigen  (S.  236),  dafs  er  von 
den  Hakedoniern  und  Griechen  die  Anbetung   verlangte  und  dafs 
ihm  das  Heer  als  „Vehikel  einer  gleichartigen  Zivilisation**   (un- 
schöner Ausdruck,  S.  245)  dienen  sollte.    Dadurch  wurde  er,  trotz 
seiner   hellenischen   Bildung,    zum  orientalischen  Despoten;  vergh 
Schäfer,    Demosthenes  3^  146,  284,  Holm,  Geschichte  Griechen- 
lands 3,  396,  404. 

Bei  Alexanders  Tode  setzt  die  römische  Geschichte  ein,  doch 
wohl  zu  früh,  da  die  griechischen  Staaten  noch  bis  200  v.  Chr. 
ein  selbständiges  Dasein  führen.  Die  Einfügung  ihrer  Geschichte 
in  die  römische  bei  Pyrrhus  und  nach  dem  zweiten  punischen 
Kriege  stört  den  Eindruck  der  römischen.  Auch  müfste  die  Ent- 
faltung griechischer  Kunst  und  Wissenschaft  in  der  Zeit  nach 
Alexander  eingehender  geschildert  sein,  damit  man  das  berechtigte 
Portleben  griechischen  Geistes  upter  römischei*  H^rrsch,aA  erl^enoe; 


äuget,  von  II.  HoffmaDD.  27T 

es  ist  docb  nicht  blofs  „griechi8ch-asiatischeKorruplion"(S.344,345), 
«^s  zu  Catos  Zeit  in  Rom  sich  verbreitet.  Die  abschreckenden 
römischen  Bürgerkriege  sind  wohlthuend  unterbrochen  durch  eine 
Schilderung  des  Kulturzustandes  der  Hittelmeerländer  um  die 
Zeit,  als  Sulla  starb  (S.  400).  Auch  der  römischen  Litteratur 
nird  gedacht,  aber  zwischen  den  beiden  Hauptstellen  S.  403  und 
457  fehlt  die  Mitte  (Lucrez,  Varro,  Cicero,  Sallust);  auch  Livius 
ist  weggeblieben.  Anziehend  ist  Cäsars  und  Augustus'  Staats- 
männische  Thätigkeil  geschildert;  ebenso  die  Segnungen  der  Friedens- 
zeit im  zweiten  Jahrhundert  n.  Chr.  Die  wellbewegende  Macht  des 
Christentums  wird  beim  Jahre  250  gewürdigt,  dann  folgt  noch 
ein  gewaltiges  Ringen  um  die  Erhaltung  des  alten  Kulturreiches; 
mit  dem  Jahre  476  schliefst  der  erste  Band. 

Der  zweite  Band  beginnt  mit  einem  Rückblick  auf  die  Vorzeit  der 
Germanen,  die  nun  als  Träger  der  weiteren  geschichtlichen  Ent- 
Wickelung  erscheinen;  daran  schliefst  sich  die  Geschichte  der  Ger- 
manen reiche  auf  römischem  Boden  und  des  ersten  Kampfes  gegen 
den  Islam;  leuchtend  tritt  Karls  d.  Gr.  Herrschergestalt  hervor. 
Er  wird  bei  seiner  Kaiserkrönung  mit  Alexander  d.  Gr.  verglichen: 
die  verschiedenen  Länder,  welche  er  erobert  hatte,  konnte  er  nicht 
mehr  als  König  der  Franken  regieren,  so  wenig  wie  einst  Alexander 
sein  grofses  asiatisches  Reich  als  König  der  Makedonier  (S.  73). 
Aber  auch  als  Kaiser  blieb  Karl  ein  Deutscher;  er  nahm  nicht 
römische  Sitten  an,  wie  Alexander  die  persischen.  Weiler  wird 
die  deutsche  Geschichte  bis  zum  Jahre  1106  erzählt;  dann  folgt, 
um  die  grofse  Erscheinung  des  ersten  Kreuzzugs  vorzubereiten, 
ein  Umblick  auf  die  aufserdeutschen  Staaten,  wohei  die  Länder 
des  Ostens  und  Nordens  in  die  geschichtliche  Betrachtung  ein- 
treten. Die  deutsche  Geschichte  bildet,  dem  vorwaltenden  Ansehen 
des  deutschen  Reichs  entsprechend,  auch  weiter  den  Hauptinhalt 
der  Darstellung  bis  zum  Jahre  1254;  die  Kreuzzuge  werden  darin 
eingefügt.  Um  ihre  Folgen  darzulegen,  tritt  dann  wieder  ein  Um- 
bück auf  die  anderen  Staaten  ein,  ebenso  beim  Jahre  1410,  weil 
die  dann  beginnende  Konzilienbewegung  alle  Staaten  berührt. 
Aber  wo  ist  nun  der  Höhepunkt  des  Mittelalters?  Wo  beginnt  der 
Verfall?  Das  Kapitel  über  die  Folgen  der  Kreuzzüge  hebt  das 
schiiefsliche  Hifslingen  dieser  grofsen  Unternehmungen  hervor  und 
schildert  dann  die  Machtstellung  der  Kirche,  die  Entfaltung  des 
Rittertums  und  der  ritterlichen  Dichtkunst,  die  gedrückte  Lage 
der  Bauern,  das  Emporkommen  der  Städte;  darin  erscheint  Blüte, 
Verfall,  neues  Aufstreben  neben  einander.  Als  Höhepunkt  müfsle 
vorher  die  Zeit  um  1184  (S.  259)  bestimmter  hervorgehoben  sein: 
da  ist  Deutschland  noch  einig  und  mächtig,  Kaisertum  und  Papsttum 
haben  sich  gegenseitig  anerkannt,  Jerusalem  ist  noch  im  Besitz 
der  Christen,  die  Kirche  hat  ihre  Macht  noch  nicht  zu  Ketzerver- 
folgungen  gemifsbraucht,  Ritter  und  Städte  sind  noch  nicht  in 
Feindschaft  gegen  einander. 


278  Jalias  Beloch,  Griechische  Geschichte, 

In  der  Zeit  des  sinkenden  Mittelalters  möchte  man  vom  welt- 
geschichtlichen Standpunkt  die  meist  vergeblichen  Kämpfe  der 
deutschen  Könige  und  Kaiser  nach  Rudolf  von  Habsburg  kürzer 
behandelt  wünschen,  ausführlicher  dagegen  das  deutsche  Siädte- 
leben  und  die  Entfaltung  der  Kunst  in  Italien.  Letztere  tritt  in 
den  Abbildungen  bedeutsam  hervor  durch  das  schöne  Bild  von 
Giotto  S.  291,  im  Gegensatz  zu  den  oft  recht  mangelhaften  Zeich- 
nungen aus  mönchischen  Handschriften  (S.  185,  247 — 249,  297, 
243);  doch  mögen  auch  diese  gelten,  um  zu  zeigen,  wie  im  Mittel- 
alter Gutes  und  Unvollkommenes  neben  einander  besteht.  Den 
Schlufs  des  Bandes  bildet  wiederum  ein  geographisch  geordneter 
Umblick  auf  die  Ereignisse  nach  1450,  im  Osten  beginnend  mit 
dem  Eindringen  der  Türken,  im  Südwesten  endig(*nd  mit  Portugal, 
Spanien,  Italien.  Was  diese  drei'  Länder  leisten,  Entdeckungen 
und  Humanismus,  arbeitet  dem  Eintreten  der  Neuzeit  bedeutend 
vor ;  aber  zur  Thatsache  wird  es  erst  durch  den  deutschen  Mönch, 
„dem  es  mit  dem  Christentum  ernst  war'S  der  den  geistigen 
Bann  der  mittelalterlichen  Kirche  durchbrach,  was  die  Humanisten 
nicht  vermochten. 

Vom  dritten  und  vierten  Bande  mag  hier  nur  gesagt  sein, 
dafs  die  in  ihnen  gegebene  Darstellung  der  neueren  Geschichte 
recht  geeignet  erscheint,  religiösen  und  vaterländischen  Sinn  in  der 
Jugend  zu  erwecken  und  zu  nähren. 

2)  Julius  Beloch,  Griechische  Geschichte.  Erster  Band:  Bis  aof die 
sophistische  Bewe^ng  uod  den  peloponnesischen  Krieg.  Strafsborg  1S93, 
Tröbner.     XII  a.  637  S.    7,50  M. 

Eine  neue  Gesamtdarstellung,  nicht  zur  Einführung  bestimmt, 
sondern    für  Wissende,    oft   in  Gegensatz   zu    bisher  verbreiteten 
Ansichten,  jedenfalls  beachtenswert,  da  der  Verfasser  aus  umfäng- 
licher Kenntnis  schreibt  und  manche  SpezialStudien  schon  früher 
veröffentlicht  hat,  auch  durch  vielfache  Anführung  neuerer  Schriften 
den  Fortgang  der  Forschungsarbeit  auf  diesem  Gebiet  vor  Augen 
stellt.    Die  Anlage  des  Buches  ist  auf  den  Überblick  der  hellenischen 
Gesamtentwickelung   gerichtet.     Die  Geschichte    der   Einzelstaaten 
erscheint  daher  sehr  verteilt,  und  die  chronologische  Übersicht  ist 
für   die  ältere  Zeit  schwer  zu  gewinnen,   da  manche  bisher  fest- 
gehaltene Zeitansetzungen  verworfen  werden.     Dafür  aber  bringt 
der    Überblick   die   verwandten    Erscheinungen    in    ver^jchiedenen 
Staaten  besser  zur  Anschauung  und  hält  uns  gegenwärtig,   dafs  es 
sich  immer  um  ein  weit  ausgebreitetes  und  mannigfach  gegliedertes 
Volk    handelt.     Besonderen    Nachdruck    legt   der  Verfasser,    nach 
Böckhs  Vorgang  und  entsprechend  den  neueren  Behandlungen  der 
deutschen  Geschichte,   auf  die  Darlegung  der  wirtschaftlichen 
Verhältnisse;    doch    auch    dem   Geistesleben    sind    besondere  Ab- 
schnitte gewidmet:  die  Betrachtung  soll  allseitig  sein,  denn  „unsere 
ganze   moderne  Gesittung  ruht  auf  dem  Boden  der  hellenischen*^ 
(S.  33). 


an^ez.  von  M.  Hoffmano.  279 

Nach  eioem  einleitenden  Blick  auf  die  Überlieferung  versucht 
der  Verfasser  für  die  ältere  Zeit  eine  möglichst  scharfe  Scheidung 
zwischen  dem,  was  wirklich  geschehen  ist,  und  der  .^konventionellen 
Irgeschicble^S  wie  sie  von  den  Hellenen  selbst  schon  im  fünften 
Jahrhandert  geglaubt  wurde.  Geschichtlich  ist  die  ursprüngliche 
Ansiedelung  des  Volkes,  nachdem  es  sich  von  der  indogermanischen 
Gemeinschaft  gelöst  hat,  in  der  nach  ihm  benannten  Halbinsel, 
dann  die  allmähliche  Ausbreitung  über  die  nahen  Inseln  und 
Kästen,  die  Ausbildung  vieler  Gaustaaten  mit  befestigten  Königs- 
burgen, die  Entfaltung  einer  mit  Asien  zusammenhängenden  Kultur, 
deren  Reste  in  den  Ausgrabungen  von  Troja,  Mykenai,  Tiryns  vor- 
liegen, und  deren  Wesen  wir  aus  den  homerischen  Schilderungen 
kennen.  Verworfen  wird  (mit  Holm,  Gesch.  Griechenlands  1,  69  fT.) 
die  Annahme  einer  gleichmäfsig  pelasgischen  Urbevölkerung  (S.  160); 
sehr  eingeschränkt  wird  (gegen  Holm  1,  112  IT.)  der  Einflufs  der 
Phönicier  in  alter  Zeit;  ihre  regelmäfsigen  Fahrten  nach  Griechen- 
land scheinen  nicht  vor  dem  achten  Jahrhundert  begonnen  zu 
haben,  am  ägäischen  Meer  haben  sie  keine  Ansiedelungen  ge- 
gründet (S.  74  f.).  Zurückgewiesen  werden  (S.  53,  166)  alle  aus 
gleichen  Orts«  und  Kultusnamen,  sowie  aus  mythischen  Genea- 
logien gezogenen  Schlösse;  von  den  Heldensagen  wird  nur  aner- 
kannt, dafs  im  Epos  „ein  Niederschlag  historischer  Ereignisse  mit 
dem  Mythos  verbunden  wurde'^  (S.  131,  143).  Verworfen  wird 
aber  auch  die  bisher  noch  unbezweifelte  Wanderung  der  Dorier 
(S.  147  ff.);  sie  sei  nur  erfunden,  um  zu  erklären,  warum  das 
Epos  eine  andere  Verteilung  der  griechischen  Stämme  zeige  als 
die  historische  Zeit.  Dafs  diese  Wanderung  nicht  mit  einem 
Schlage  erfolgte  und  mit  den  Herakliden  erst  später  in  Verbindung 
gebracht  wurde,  haben  schon  Curtius  (1*,  146)  und  Holm  aner- 
kannt, aber  hier  wird  das  Vordringen  der  Dorier  von  Norden  her 
mit  allen  Folgen,  die  es  gehabt  haben  soll,  abgelehnt,  trotz  Herodot 
und  Thnkydides,  die  freilich  auch  an  die  Herakliden  glauben.  Für 
die  Entstehung  der  Stammnamen  Dorier,  Jonier,  Äoler  kann  ein 
bestimmter  Grund  nicht  angegeben  werden;  sie  sind  vermutlich  in 
Klctnasien  entstanden  durch  religiöse  Vereinigung  um  bestimmte 
Hetligtömer  (S.  56)  und  dann  nach  dem  Mutterlande  übertragen 
(S.  152);  der  Name  Achäer  scheint  mit  ihrem  Fürsten  Agamemnon 
durch  die  Heldensage  nach  der  Peloponnes  übertragen  zu  sein 
(S.  157).  Auch  Kodros  und  Lykurg  sind  unhistorisch;  die  Spar- 
taner haben  ihre  kriegerische  Organisation  von  Kreta  empfangen 
und  erst  im  achten  Jahrhundert  das  Eurotasthai  allmählich  unter- 
worfen (S.  282  nach  Tansanias  3,  2);  dann  erst  konnte  die  Land- 
teUuDg  stattfinden.  Lykurgs  Name  ist  (nach  Gilbert  und  H.  Geizer) 
m  deuten  als  „Lichtbringer^S  er  ist,  wie  Minos  bei  den  Kretern, 
vom  Gott  zum  Heros  herabgesunken  (S.  306),  denn  ursprünglich 
galteo  die  Gesetze  den  Indogermanen  als  göttliche  Oflenbarungen. 
Das   geistige    Leben  jener   frühen  Jahrhunderte   zeigt   eine 


280  Julius  Boloch,   Griechische  Geschichte, 

reiche  Ausbildung  der  Götter-  und  Heldensage;  Belocb  behandelt 
dieses  „mythopöische  Zeitalter^'  geringschätzig  als  ein  Zeitalter  der 
Unbildung  (S.  95).  Er  weist  im  einzelnen  nach,  wie  aus  den 
Eindrücken  der  Naturvorgänge  G6ttervorstellungen  entstanden  sein 
mögen,  hebt  dann  die  Mannigfaltigkeit  der  griechischen  Kulte 
und  die  allmähliche  Ausbildung  eines  Göttersystems  hervor,  aber 
von  der  edlen  Grundlage,  die  in  dieser  Religion  mehr  als  in 
anderen  heidnischen  Religionen  vorhanden  war,  will  er  nichts 
wissen;  „die  Begriffe  vom  Wesen  der  Gottheit  mufsten  naturlich, 
dem  Kulturniveau  jener  Zeit  entsprechend,  sehr  rohe  sein**  (S.  123). 
Doch  giebt  er  zu,  dafs  in  der  homerischen  Zeit  eine  höhere  Auf- 
fassung sich  Bahn  zu  brechen  beginnt  (S.  124).  Die  Betrachtung 
der  epischen  Poesie  giebt  ihm  Anlafs,  eine  kritische  Zergliederung 
der  beiden  homerischen  Gedichte  einzufügen,  im  Anschlufs  an  die 
neueren  Forschungen  von  Niese,  Kirchhoff,  v.  Wilamowitz,  was 
als  Kern  und  was  als  später  hinzugedichtet  anzusehen  sei. 

In  helleres  geschichtliches  Licht  treten  wir  mit  der  weiteren 
Ausbreitung  der  Griechen  Aber  den  Westen  und  die  Küsten  des 
schwarzen  Meeres,  doch  beruhen  auch  hier  die  Grundungsdaten, 
wie  sie  z.  B.  Thukydides  6,  2—5  für  die  sicilischen  Städte  giebt, 
„auf  Berechnungen  nach  Generationsreihen  oder  auf  Kombinationen 
von  noch  geringerem  Werte**  (S.  173).  Mit  dieser  Ausbreitung 
hängt  eine  bedeutende  „Umwälzung  im  Wirtschaftsleben'*  zu- 
sammen: Aufschwung  der  Gewerbthätigkeit,  der  Schiffahrt,  des 
städtischen  Lebens,  Ausbildung  von  Mafs,  Gewicht  und  Münze, 
Anwachsen  des  Grofsgrundbesitzes  und  der  Sklaverei.  Auch  die 
geistige  Entwickelung  des  Volkes  ist  im  Aufstreben  begriffen: 
Veredelung  der  Sitte  und  Religion,  glänzendere  Feier  der  National- 
feste, damit  verbunden  Ordnung  des  Kalenders,  Fortbildung  des 
Epos  durch  die  Rhapsoden,  reiche  Entfaltung  der  Lyrik,  Erhebung 
der  bildenden  Künste  über  den  frühereu  „mykenäischen  Stil*'. 
Darauf  folgt  die  Übersicht  der  politischen  Geschichte  bis  zu  den 
Perserkriegen,  zuerst  die  „Anfänge  der  Einheitsbewegung**,  die 
delphische  Amphiktionie,  „unter  deren  Einflufs  höchst  wahr- 
scheinlich der  Name  der  Hellenen  zur  Bezeichnung  des  gesamten 
griechischen  Volkes  wurde**  (S.  272,  so  auch  Curtius  1,  105, 
Holm  1,  271),  dann  die  landschaftlichen  Einigungen  in  Attika, 
ßöotien,  Thessalien,  Makedonien,  Argos,  Sparta.  Pheidon  von  Arges 
wird  um  570  angesetzt,  als  Zeitgenosse  des  Kleisthenes  von  Sikyon 
(Herod.  6,  127),  während  Holm  und  Busolt  (IS  145)  die  Angabe 
des  Pausanias  Ol.  8  =  749  festhalten.  Auf  den  Inseln  und 
Küsten  kommt  es  nicht  zur  Bildung  fester  Einungen;  die  asiatischen 
Kolonieen  werden  um  560  dem  Kroisos,  dann  den  Persern  unter- 
than.  Die  inneren  Verhältnisse  betrachtet  der  folgende  Abschnitt 
„Die  Adelsherrschaft  und  ihr  Sturz**:  Gesetzgebung  in  Kreta, 
Sparta,  Lokri,  Drakon  in  Athen;  die  Tyrannis  in  Milet  und  Samos, 
Leontini  und  Akragas,  Sikyon,  Korinth,  Megara;  Solon,  Peisistratos, 


«D^fs.  von  M.  Hoffnann,  281 

Kleislhenes  in  Athen.  Die  Einteilung  der  athenischen  Bürgerschaft 
in  vier  ¥erai6gensklassen  wird  nach  der  älteren  Auffassung  dem 
Soloo,  nicht  Drakon  zugeschrieben,  dagegen  die  Einsetzung  de& 
RaU  der  Vierhundert  dem  Soion  abgesprochen.  Die  Erlösung  der 
Arehonten  statt  der  Erwählung  wird  erst  487  v.  Chr.  eingeführt 
(&360  nach  Aristoteles,  Staat  der  Athener  2t,  dessen  entgegen- 
slehenile  Angabe  Kap.  8  verworfen  wird);  die  dritte  Bfirgerklasse 
wird  erst  457  zum  Archontat  zugelassen  (S.  441  nach  Arist.  26). 

Mit  den  Perserkriegen  wird  die  Erzählung  ausfuhrlicher, 
die  Kritik  mehr  in  die  Anmerkungen  verlegt.  Die  übertriebenen 
Angaben  der  Überlieferung  über  die  persischen  Heeresmassen 
werden  im  Anschlufs  an  Delbrücks  Schrift  „Perserkriege  und 
Bargunderkriege"  (1887)  ermäfsigt,  jedoch  nicht  so  weitgehend: 
bei  Marathon  landeten  nicht  viel  über  20000  Perser  mit  wenigen 
Reitern:  ihre  Schlachtreihe  war  nach  Herodot  6,  111  nicht  länger 
als  die  griechische,  ihr  Verlust  betrug  nach  Her.  6,  117  nur  6400. 
Xerxes  führte  „etwa  100000  Kombattanten''  über  den  Hellespont; 
Mardonios  hatte  bei  Platää  „etwa  50 — 60000  Mann  asiatischer 
Tnippen'S  dazu  griechische  Bundesgenossen.  Die  Schlacht  am 
Eorrmedon  wird  „um  470"  angesetzt  mit  der  Bemerkung,  dafs 
die  „Anekdote",  wonach  Themistokles  auf  seiner  Flucht  nach 
Asien  Naxos  nahe  kam,  während  es  von  den  Athenern  belagert 
«urde,  für  die  Chronologie  nicht  verwendet  werden  dürfe  (S.  384): 
aber  es  ist  Thukydides,  der  dies  erzählt  (1,  137,  vgl.  98,  100). 
Beim  Sturz  des  Pausanias  wird,  ebenfalls  gegen  Thukydides,  seine 
rerrJterische  Verbindung  mit  Persien  bezweifelt;  der  wahre  Grund 
sei  seine  Anflehnung  gegen  die  Macht  der  Ephoren  (S.  455). 

Es  folgt  wiederum  eine  Zeit  wirtschaftlichen  Aufschwunges, 
den  wir  namentlich  in  Athen  an  den  Preisen  und  Steuern  er- 
boDen  können;  zugleicli  breitet  sich  in  den  anwachsenden  Städten 
die  Demokratie  aus:  Verfassungsänderung  in  Tarent  um  473,  dann 
in  Akragas,  Syrakus,  Kyrene,  Theben,  Argos,  Elis.  Athens  um 
sich  greifende  Politik  mufs  445  auf  die  Landhegemonie  verzichten; 
der  Seebund  wird  mehr  und  mehr  zu  einer  Gewaltherrschaft. 
Abennaliges  Vordringen  Athens  führt  den  peloponnesischen  Krieg 
berbei,  dessen  Ausbruch  Perikles  durch  Nachgeben  noch  hätte 
binausscbieben  können  (S.  516,  ebenso  Duncker,  Gesch.  des  Alter- 
toms 9,  397);  aber  „er  fühlte  den  Boden  unter  sich  wanken  und 
war  entschlossen,  den  drohenden  Sturm  nach  aufsen  abzulenken". 
Diesen  selbstsuchtigen  Beweggrund  hat  Duncker  ihm  doch  nicht 
untergelegt;  entgegengesetzt  urteilt  Curtius  (2",  396):  „Perikles 
boote  nicht  verkennen,  dafs  der  Krieg  ihm  persönlich  wieder  neue 
^bren  bereiten  würde;  nicht  aus  Selbstsucht,  sondern  aus 
rräister  Vaterlandsliebe  mufste  er  wünschen,  dafs  der  Krieg  be- 
ginnen möchte,  so  lange  er  noch  die  volle  Kraft  habe  Athen  zu 
l^teD'^  Beloch  zweifelt  überhaupt,  ob  Perikles  ein  grofser  Staats- 
mann zu  nennen  sei  (S.  466);  die  defensive  Kriegführung  seiner 


282      Friedlander  u.  Zschech,  Gruodrifs  d.  Weltgeschichte, 

letzten  Jahre  tadelt  er  ebenso  wie  Duncker.  Er  erzählt  dann  den 
weiteren  Gang  des  peloponnesischen  Krieges  bis  zum  Jahre  416; 
liier  bricht  er  ab,  um  vor  dem  siciiischen  Kriegszuge,  welcher  die 
„Vernichtung  des  athenischen  Reiches*'  herbeiführte,  das  Wirken 
der  „geistigen  Mächte''  zu  schildern,  die  „dieser  Umwälzung  den 
Boden  bereitet  haben'*.  Damit  ist  für  die  nun  folgende  Betrach- 
tung der  Blute  von  Kunst  und  Wissenschaft  ein  einseitiger  Stand- 
punkt genommen.  Allerdings  hat  die  in  der  Wissenschaft  auf- 
tretende Sophistik  dazu  mitgewirkt,  dafs  Athens  Politik  mafslos 
wurde  und  sich  ins  Unglück  stürzte,  aber  die  geistige  Bewegung 
des  fünften  Jahrhunderts  hat  doch  viel  reicheren  Inhalt  und  bessere 
Nachwirkung.  Beioch  urleilt  leider  geringschätzig  über  die  sittlich 
veredelnde  Wirkung  der  Kunst  (S.  592),  dagegen  schreibt  er  es 
der  wissenschaftlichen  Aufklärung  zu,  dafs  „die  Griechen  des 
vierten  Jahrhundorts  sehr  viel  humaner  gewesen  sind,  als  die  Zeit- 
genossen des  Perikles".  Er  setzt  Sophokles  in  aufTälliger  Weise  herab 
gegen  Guripides  (S.  575)  und  redet  den  Sophisten  das  Wort. 
Wenn  ihre  Wissenschaft  zum  Atheismus  führt,  so  ist  das  nur  die 
Konsequenz  der  Aufklärung,  welche  siegreich  vorschreitet  trotz 
der  von  den  Anhängern  der  Volksreligion  ausgehenden  Anfeindungen 
(S.  628,  634,  637).  Man  ist  nach  dieser  Darstellung  gespannt, 
wie  im  nächsten  Bande  Sokrates  dargestellt  werden  wird.  Einst- 
weilen erkennen  wir  gern  an,  dafs  dieser  Band  viel  Anregung  zu 
erneutem  Erwägen  und  weiterem  Ausblicken  giebt. 

Lübeck.  Max  Hoffmann. 


Konrad  Friedländer  nod  Franz  Zschech,  Grundrifs  der  Weltge- 
schichte. Für  den  Unterricht  in  den  Oberklassen  höherer  Schulen 
bearbeitet.  Leipzig  1893  o.  94,  R.  VoigtlKnders  Verlag.  2  Teile,  286 
bezw.  315  S. ;  3  bezw.  4  M. 

Jedes  neue  Lehrbuch  der  Geschichte  wird  vor  allem  darauf- 
hin geprüft  werden  müssen,  inwieweit  es  zur  Lösung  der  unter- 
richtlichen Aufgaben  beiträgt:  ein  Grundrifs  der  alten  Geschichte 
zumal  mufs  nach  der  einen  oder  der  anderen  Seite  hin  die  Seh  wie- 
rigkeiten  zu  beseitigen  trachten,  welche  sich  bei  der  Beschränkung 
der  alten  Geschichte  durch  die  neuen  Lehrpläne  ergeben.  Denn 
darin  dürften  alle  Fachgenossen  übereinstimmen,  dafs  die  Frage 
nach  der  Gestaltung  des  Unterrichts  in  der  alten  Geschichte  die 
bei  weitem  brennendste  unter  den  mancherlei  Fragen  ist,  welche  die 
Gestaltung  des  Geschichtsunterrichts  überhaupt  betreifen.  Nach 
den  jüngsten  eigenartigen  Versuchen  von  Fechner  und  Schultz 
liegt  ein  neuer  Grundrifs  der  Weltgeschichte  von  Friedländer  und 
Zschech  vor,  von  denen  letzterer  die  griechische  und  römische, 
ersterer  die  mittlere  und  neuere  Geschichte  behandelt  hat.  Ref. 
will  es  scheinen,  als  wenn  die  beiden  Teile  einander  nicht  recht  ent- 
sprächen,   denn  schon  äufserlich  betrachtet  übertrifft  die  Darstel- 


an^ez.  von  Th.  Sorgcofrey.  283 

lung  der  alten  Geschichte  mit  ihren  286  Seiten,  die  mittlere  und 
neo^e  mit  zusammen  315  Seiten  nicht  unerhebUch.  Auch  inner- 
lich sind  die  beiden  Teile  nicht  gleichwertig.  Die  Darstellung  der 
alten  Geschichte  ist  ganz  in  der  Weise  geboten,  als  ob  dem  Lehrer 
noch  zwei  Jahre  zur  Verfügung  ständen.  Mit  allzu  grofser  Breite 
hält  sich  Zschech  bei  den  Wanderangen  der  griechischen  Stämme, 
bei  Lykurg,  bei  den  messenischen  Kriegen  auf,  allzu  ausfuhrlich 
ist  auch  die  römische  Geschichte  vor  Pyrrhus  behandelt.  Die  Ge- 
schichte des  Beginns  der  Völkerwanderung  ist  sowohl  bei  Zschech 
als  auch  bei  Friedländer  behandelt:  diese  Behandlung  ist  nicht 
nur  gegen  die  für  die  meisten  Anstalten  geltenden  Bestimmungen, 
da  io  Unterprima  mit  Theoderich  begonnen  wird,  sondern  bei  der 
Jetzigen  Beschränkung  des  Unterrichts  in  der  alten  Geschichte  auf 
ein  Jahr  geradezu  unmöglich.  Vor  allen  Dingen  kommt  es  bei 
den  jetzt  erscheinenden  Grundrissen  darauf  an,  in  der  Geschichte 
der  Griechen  und  Bömer  das  auszuscheiden,  was  weniger  wichtig 
und  deshalb  entbehrlich  ist.  Jeder  Bearbeiter  eines  neuen  Lehr- 
bachs muTs  zu  dieser  Frage  Stellung  nehmen,  Zschech  hat  dies, 
so  scheint  es,  unterlassen.  Nicht  nur  gilt  es,  die  ältere  Gechichte 
Griechenlands  und  Roms  zu  beschränken,  wie  ja  auch  die  preufsi- 
schen  Lehrpläne  ausdrucklich  vorschreiben,  es  gilt  bei  jedem  Ab- 
schnitte zu  prüfen,  was  und  wie  zusammenzufassen  ist.  Die  älteste 
Geschichte  der  Germanen  z.  B.  mufs  in  Obersekunda  behandelt 
und  mit  der  Geschichte  der  römischen  Kaiserzeit  verbunden  wer- 
den: so  lesenswert  die  Darstellung  Friedländers  im  2.  Teile  ist, 
alles  was  dem  Auftreten  Theoderichs  vorausgeht,  gehört  in  den 
1.  Teil. 

Wie  der  1.  Teil  benutzt  werden  soll,  hat  Zschech  nicht  an- 
gegeben, es  fehlt  jedes  Vorwort  —  so,  wie  er  ihn  dargeboten 
bat,  kann  die  alte  Geschichte  nicht  dargestellt  werden.  Auch  die 
litterarisch-kulturgeschichtlichen  Teile  bieten  mancherlei,  was  in 
der  Schule  kaum  verwertet  werden  kann.  Es  ist  doch  wohl  not- 
wendiger, bei  Praxiteles  z.  B.  auf  den  Hermes  hinzuweisen,  den 
mancher  Schüler  im  Ellernhause  oder  auch  in  Schaufenstern  zu 
sehen  bekommt,  von  dem  vielleicht  auch  manche  kleinere  Anstalt 
einen  Abgufs  besitzt,  als  auf  die  Aphrodite.  Was  wird  den 
meisten  Schülern  der  Hinweis  auf  die  GrafTsche  Sammlung  der 
hellenistischen  Porträts  nützen?  Nicht  minder  unzulässig  erscheinen  j 

zum  Teil  die  Ausführungen  in  den  Abschnitten  über  Litteratur 
und  Bildung  im  silbernen  Zeitalter  und  in  der  letzten  Zeit  des 
römischen  Kaiserreichs.  Da  sind  Namen  gebraucht,  die  dem 
Schüler  fremd  bleiben  können,  ja  fremd  bleiben  müssen.  Lucanus, 
Silius  Italicus,  Valerius  Flaccus,  Statius  stehen  dem  Schuler  ebenso 
fem  wie  Cassius  Dio  und  Herodian,  von  Martalis,  Petronius  und 
Apuleius  soll  ein  Schüler  nichts  hören.  Würde  der  Verf.  wagen 
das  „anziehende"  Sittenbild  des  Petronius  oder  den  „lehrhaften^' 
Sittenroman  des  Afrikaners  Apuleius  seinen  Schülern  in  die  Hand 


284     FriedlSnder  d.  Zschecb,  Weltgescb.,  agi.  v.  Tfi.  Sorfenfref. 

ZU  geben?  Ebenso  wenig  angemessen  wie  die  Berührung  der  ge- 
nannten SchrifUteller  scheint  mir  die  für  den  Entwickelungsgang 
Athens  doch  ganz   gleichgültige  Thatsache,   dafs   Ferikles  (S.  84) 
seine  Gemahlin  Aspasia  wegen  „Kuppelei''  verteidigt  hat.   Solches 
Geklätsch  (vgl.  Adolf  Schmidt,  Das  Perikieische  Zeitalter  1288 f.) 
sollte  der  Schule    doch   erspart    bleiben,    ganz  abgesehen  davon, 
dafs  der  Begriff  Kuppelei  nicht  in  der  Unterrichtsstunde  erläutert 
werden  kann.     An    manchen  Stellen  wäre  schärfere  Fassung  des 
Ausdrucks  angebracht.     So  wird  S.  32  von  Erziehungshäusern  be- 
richtet,  die  in  Sparta  von  Lykurg  errichtet  worden  sind,    S.  182 
wird  von  industriellen  Anlagen  in  Italien,  S.  193  von  grofsartigen 
Fabrikanlagen  ebendaselbst  gesprochen.    Hier  wäre  ein  erklärendes 
Wort    wohl  am  Platz  gewesen,    um  jede  falsche  Vorstellung  von 
vorn  herein  fern  zu  halten.     Unnötig  dürften  Abweichungen  von 
den  gewöhnlichen  Annahmen  sein,    wie   die   Zeitbestimmung  für 
die  Errichtung  der  olympischen  Spiele  mit  777  oder  die  Benen- 
nung der  grofsen  Entscheidungsschlacht    des    zweiten    punischen 
Kriegs  als  Schlacht  bei  Naragarra.   Doch  Einzelheiten  sollen  nicht 
gehäuft  werden.     Anzuerkennen  ist  das  Bestreben  Zschechs,   den 
Grundrifs  möglichst  sorgfältig  zu  stilisieren  und  somit  seine  Arbeil 
mit  der  manches  seiner  Vorgänger  in  Gegensatz  zu  bringen,  nur 
hätte  der  ailzuhäufige  Gebrauch  der  Partizipien  auf  end  vermieden 
werden    sollen.     Für    den    Schulgebrauch    wird    Zschech    seinen 
Grundrifs    fast  um    die   Hälfte    kürzen    können,   jetzt   bietet   er 
für  eine  ausführliche  Darstellung  zu  wenig,   für  einen  Grundrifs 
zu  viel. 

Fast  im  Gegensatze  zu  Zschech  steht  die  Arbeit  Friedländers. 
Hier  ist  knapp  zusammengefalst,  was  etwa  dem  Primaner  geboten 
werden  kann,  mit  nicht  zu  verkennender  Absicht  tritt  die  Kriegs- 
geschichte überall  zurück,  wo  das  Ergebnis  der  Kämpfe  wichtiger 
ist  als  die  Kämpfe  selbst.  Die  \\ örtlichen  Anführungen  aus  be- 
deutenden Geschichtswerken,  von  denen  manches  auch  ausdrück- 
lich genannt  wird,  beleben  die  Darstellung,  die  fortlaufenden  Hin- 
weisungen auf  Kiepert  -  Wolfs  trefflichen  historischen  Atlas  er- 
leichtern dem  Schüler  den  Überblick.  Dafs  Zschech  sich  in  dieser 
Beziehung  nicht  an  Friedländer  angeschlossen  hat,  ist  nur  zu  be- 
dauern. W^ir  begrüfsen  in  Friedländers  Grundrifs  einen  wirklichen 
Fortschritt  und  möchten  wohl  wünschen,  dafs  ihm  der  Eingang 
in  die  Schule  nicht  verschlossen  bleibt. 

Der  Preis  des  Grundrisses  ist  für  ein  Schulbuch  ziemlich 
hoch,  werden  die  oben  angedeuteten  Kürzungen  vorgenommen, 
so  läfst  er  sich  wesentlich  ermäfsigen.  Die  Ausstattung  verdient 
volle  Anerkennung. 

Neuhaldensleben.  Th.  Sorgenfrey. 


Zweck  o.  Bernecker,  Hulfsb.  d.  Geogr.,  ags.  v.  E.  Oeh!iB«nD.     285 

Zweck  aod  Bernecker,  Hülfsbach  für  deo  Uoterricht  io  der 
Geographie.  I.  Teil.  Lehrstoff  für  QoiDt«  nod  Qaarta.  II.  Teil. 
Lehrstoff  der  nittlereo  nod  obereo  Klassen.  HaoDover  1893,  Hahnsche 
BnchhaodloDg.  L  Teil:  VI  a.  79  S.  kart.  0,90  M.  IL  Teil:  IV  a. 
2^1  S.     geb.  2,40  M. 

Dars  im  Scbulbetriebe  der  Erdkunde  eine  Rückstrom ung  ein- 
getreten ist,  geboten  darcb  die  Vorscbriften  der  neuen  Lehrpläne, 
durch  die  Verminderung  der  Stundenzahl,  die  tbatsäcbliche  Be- 
schränkung des  Unterrichts  auf  die  Klassen  bis  IIb,  geboten  auch 
durch  manche  Erfahrungen,  —  das  mag  nicht  mehr  bestritten 
werden.  Verführerisch  war  es  ja  in  der  That,  die  „dürre  Topik*' 
Satz  für  Satz  mit  anregenden  Beobachtungen  über  die,  wenn  auch 
manchmal  nur  vermutete,  ursächliche  Entwickelung  ihrer  Gebilde 
zu  tränken  und  die  erdkundlichen  Begriffe  durch  Beziehung  auf 
mancherlei  andere  Erscheinungen  und  auf  Hülfswissenschaften  in 
anziehende  Beleuchtung  zu  rücken;  und  „interessanter'*  war  durch 
dies  Verfahren  die  Schulgeographie  zweifellos  geworden,  jedoch 
mit  dem  Zusätze:  für  die  fähigen  Köpfe.  Dem  Durchschnitts- 
schüler  aber  ist,  bei  dem  jetzigen  Mafse  der  Ansprüche  an  die 
Leistungen  der  Schüler  auf  höheren  Lehranstalten  vor  allem, 
nicht  mehr  zuzumuten,  dafs  er  in  einem  Fache  von  so  geringer 
Unterrichtszeit  soviel  Denkstoff  bewältigen  soll.  So  sind  wir  denn 
in  rund  20  Jahren  von  der  harmlos  beschreibenden,  zu  der 
..vergleichenden*',  dann  zur  zeichnenden,  weiter  zur 
wissenschaftlich  entwickelnden  und  „ursächlich  ver- 
knüpfenden'* Erdkunde  gekommen.  Mit  dem  Erscheinen  der 
neuen  Lehrpläne  hat  dann  der  eine  mit  der  Verkehrskunde  oder 
mit  volkswirtschaftlichen  Beziehungen,  der  zweite  mit  der  Terri- 
torialgeschichte, der  dritte  mit  der  mathematischen  Geographie 
seinem  Schiffe  einen  polynesischen  „Ausleger**  angehängt,  der  ja 
bekanntlich  bei  unruhiger  See  zweckdienlich,  bei  engem  Fahr- 
wasser aber  hinderlich  ist.  Andere  endlich  sind  zur  beschrei- 
benden Schulgeographie  zurückgekehrt,  und  in  ihrem  Zeichen 
stehen  die  beiden  vorliegenden  Bücher. 

Bei  dem  Lesen  dieser  Bücher  bekommt  niemand  Kopfweh, 
auch  der  Durchschnittsschüler  nicht,    denn   alles   ist  einfach  und 

•m 

verständlich.  Ursächliche  Entwickelungen  oder  Ahnliches  berüh- 
rende Winke  sind  nur  in  Form  von  Ellipsen  angebracht,  die 
freilich  häufig  sehr  störend  wirken,  wenn  sie,  zwischen  zwei 
Treonungsstriche  gestellt,  den  Gedankengang  zerschneiden.  Aber 
es  wird  zuviel  beschrieben,  der  Lauf  der  Küsten,  der  Gang  der 
Stromrichtungen,  der  Wechsel  eines  Gebirgslaufes,  Dinge,  die  der 
Schüler  aus  dem  Atlas  herauslesen  mufs  und  kann.  Dann  sind 
lange  Seiten  mit  ödesten  Städtereihen  gefüllt,  nur  mit  Attributen 
versehen  wie:  „Industrie,  Handelsindustrie,  Fabrikindustrie,  Grofs- 
indostrie**  u.  s.  w. ,  ohne  jede  Andeutung  über  das  Warum  und 
Wie.    Die  Ansicht    der  Vorrede    des   II.  Teiles,    dafs  die  Zahlen 


1 


286     Pntz^erd  Historischer  Schulallas,  agz.  v.  A.  Rirchhoff. 

auf  das  Mindestmafs  beschräokt  seien  (was  nebenbei  bemerkt 
doch  auch  nicht  nötig  ist,  denn  sie  brauchen  ja  nicht  alle  ge- 
lernt zu  werden),  ist  wohl  kaum  aufrecht  zu  erhalten.  Im  L  Teile 
ist  allerdings  ihre  Verwendung  durch  verschiedene  Hulfsmiltel  der 
Typographie  vermieden,  wie  Punkte,  Kreischen,  Unterstreichungen, 
weiche  die  Einwohnerzahl  einer  Stadt  innerhalb  gewisser  Zahlen- 
grenzen andeuten  sollen,  ein  Verfahren,  das  den  Verfassern  viel- 
fältige Mühe  gemacht  haben  mufs  und  vermutlich  recht  nützlich 
ist  Im  II.  Teile  flnden  sich  hingegen  aufserordentlich  viele  Ein* 
wohnerzahlen  bei  Städten  angegeben  und  ohne  ersichtlichen  Grund 
bald  stark  abgerundet,  bald  bis  in  die  Hunderter  genau.  So  hat 
S.  116  Stade  10  190  Einwohner,  gleich  darunter  Geestemünde, 
das  „die  Vervollständigung  von  Bremerhaven  bildet^S  16  T.  E.  = 
16  000  Einwohner.  An  Einzelstellen  bleibt  noch  mancherlei  zu 
verbessern.  Der  Druck  ist  sehr  deutlich  und  sorgfältig  durchge- 
sehen, Bilder  und  Karten  sind  grundsätzlich  fortgelassen. 

Hannover-Linden.  E.  Oehlmann. 


Putzgpers  Historischer  Schulatlas  zor  alteo,  mittleren  uod  oeoea 
Geschichte  io  66  Haupt-  aod  63  Nebenkarten.  Neu  bearbeitet  von 
A.  Baldamas.  Neanzehnte  vermehrte  ond  verbesserte  Aoflage. 
Bielefeld  und  Leipzig  1883,  Velhagen  und  Kissing.    2  M. 

Der  derzeitige  Bearbeiter  des  wegen  seiner  Preiswürdigkeit 
mit  Recht  beliebten  Putzgerschen  liistorischen  Schulatlas  hat  den- 
selben auch  in  der  vorliegenden  Neuauflage  nicht  unwesentlich 
bereichert  und  verbessert.  Insbesondere  bezieht  sich  das  auf  die 
Terrilorialentwickelung  PreuCsens  und  der  süddeutschen  Staaten, 
die  ebensowohl  im  geschichtlichen  wie  im  erdkundlichen  Unter- 
richt eingehendere  Beachtung  verdient.  Die  räumliche  Ausgestal- 
tung des  preufsisclien  Staates  ist  durch  Verteilung  auf  drei  Karten 
viel  deutlicher  in  dieser  Auflage  dargestellt  worden  als  in  dea 
früheren. 

Neu  hinzugekommen  sind  13  Haupt-  und  Nebenkarten  zur 
Territorialgeschichte  Bayerns,  Badens,  Württembergs  und  der 
Weltinischen  Lande,  die  früher  nur  den  für  die  Schüler  dieser 
Staatsgebiete  bestimmten  Exemplaren  beigegeben  zu  werden 
pflegten.  Jedenfalls  entspricht  es  der  Einheitlichkeit  deutscher 
Schulbildung,  dafs  z.  B.  der  Schüler  eines  preufsischen  Gymna- 
siums über  die  Grundzüge  des  Werdens  auch  der  wichtigsten 
aulserpreufsischen  Teilstaaten  des  Deutschen  Reiches  klar  wird, 
und  das  gelingt  am  besten  unter  Beihilfe  so  vortrefl'lich  sauber 
und  durch  kräftigen  Flächenfarbendruck  eindrucksvoll  hergestellter 
Karten,  wie  sie  diesen  Atlas  auszeichnen. 

Höchst  selten  ist  hie  und  da  noch  ein  unbedeutender  Stich- 
fehler stehen  geblieben,  z.  B.  auf  Karte  9  Mare  Hyreanum  (slatl 
Ilyrcanum);  auf  Karte  6  verdiente  wohl  die  Namenform  Arachthiis 
neben  Arathus  Erwähnung. 


[ 


fl.  Boroer,   Leitf.   d.  Experimental-Pliysik,  agz.  v.  B.  Hatt.     287 

Ein  Originalwerk  will  dieser  Schulallas  nicht  sein.  Aber  er 
bietet  nach  besten  Quelleowerken  in  didaktisch  so  zutreffender 
Ausnahl  den  gesamten  Stoff  geschichtlicher  Länderkunde  aller 
Zeiträume  dar,  wie  man  ihn  sich  für  deutsche  Schulen  nicht 
besser  wünschen   könnte. 

Halle   a.  S.  A.  Kirchhoff. 


H.  Börner,  Leitfadeo  der  Cxperimeotal  -Physik  für  sechsklassige 
höhere  Lehranstalten.  Berlin  1893,  Weidmannsche  Buchhandlang.  V. 
oDd     170  S.    gr.  8.     2,20  M. 

üas   Buch    ist  im  wesentlichen  ein  Ahdruck  der  ersten  Stufe 
des    Ton   demselben  Verf.  i.  J.   1892   herausgegebenen  Lehrbuchs 
der  Physik     für    höhere    Lehranstalten.     Letzteres    ist    in    dieser 
Zeitschrift   1892  S.  308  ff.   besprochen   worden.     Alles,    was   dort 
über  Anlage    und  Inhalt  des  Buches,    sowie    Ober  die  Form    der 
Darstellung   gesagt  worden  ist,    gilt   unverändert  auch  für  unsern 
Leitfaden  und    soll  hier  nicht  wiederholt  werden. 
Nur  das   Folgende  möge  hinzugefügt  werden: 
Wahrend   in  dem  „Lehrbuch''  die  ziemlich  allgemein  übliche 
l^eihenfolge  der  Abschnitte  beibehalten  war  (Kräfte  und  Bewegung, 
ScbaU,  Licht,   Wärme,  Elektrizität  und  Magnetismus),  folgt  in  dem 
„Leittaden^^  auf  die  Mechanik  die  Lehre  von  der  Wärme,    dann 
die  Elektrizität  jind  der  Magnetismus,  die  Akustik  und  die  Optik. 
IVef.  bä\t  diese  Änderung  in  einem  Buche,  das  dem  elementarsten 
physikalischen  Unterrichte  dienen  soll,  nicht  für  wesentlich,  glaubt 
auch  nicht,  dafs  die  Mehrzahl  der  Fachlehrer  in  der  Schule  dieser 
Anordnung  folgen    werde.    Die  Reihenfolge  der  Unterabteilungen 
in  den  einzelnen  Abschnitten  ist  mit  wenigen  Ausnahmen  unver- 
ändert geblieben. 

Der  Inhalt  ist  durch  manche  treffende  Bemerkung  und 
manche  lebrreiche  physikalische  Wahrnehmung  vermehrt,  seltener 
ist  von  dem  früher  vorhandenen  Texte  etwas  gestrichen  worden. 
Wesentlich  neu  sind  die  Kapitel,  welche  von  dem  Begriffe  der 
Energie  und  der  Erklärung  der  physikalischen  Kräfte  (Wärme, 
Elektrizität,  Schall  und  Licht)  als  besonderer  Formen  der  Energie 
handeln,  ferner  die  Abschnitte  von  der  spezifischen  Wärme  und 
der  Meteorologie,  diejenige  über  das  Auge  und  das  Sehen  und 
einige  irdische  Lichterscheinungen,  endlich  die  Zusammenfassung 
der  Endergebnisse,  welche  in  dem  „Lehrbuche"  mit  Recht  der 
zweiten  Stufe  vorbehalten  war. 

Eine  weitere  Vermehrung  des  Inhalts  in  späteren  Auf- 
lagen möchte  sich  kaum  empfehlen. 

Die  Besprechung  der  Energie  und  der  verschiedenen  Formen 
derselben  in  besonderen,  wenn  auch  in  kurzen,  Kapiteln  am 
Schlüsse  der  Hauptabschnitte  hält  Ref.  nicht  für  einen  glücklichen 


288     H.  BSroer,  Leitf.  d.  Expertincotal-Physik,   agz.  v.  B.  Hott. 

Griff,  hätte  es  vielmehr  für  ausreichend  und  zweckdienlich  er- 
achtet, wenn  davon  gelegentlich  an  passender  Stelle  das  Not- 
wendige gesagt  worden  wäre. 

üafs  die  Vermengung  von  Grundbegriffen  und  Grundge- 
setzen einerseits  und  den  daraus  abgeleiteten  Begriffen  und 
Gesetzen  andererseits  zu  beanstanden  sei,  wurde  schon  bei  Be- 
sprechung des  ,,Lehrbuch8*'  hervorgehoben.  Auch  anderen  Bericht- 
erstattern (Beiblätter  zu  den  Annalen  der  Phys.  u.  Chemie, 
Bd.  17,  Stuck  9,  S.  859)  ist  die  daraus  folgende  grofse  Anzahl 
von  Einzelgesetzen  aufgefallen. 

Die  vorliegende  neue  Ausgabe  der  ersten  Stufe  des  „Lehrbuchs*' 
ist,  wie  ja  auch  der  Titel  andeutet,  durch  das  Besti^ebeu  beein- 
flufst  worden,  den  Anforderungen  der  sechs  klassigen  Realanstalten 
zu  entsprechen  und  kann  wegen  seiner  vielen  Vorzüge,  welche 
schon  früher  gewürdigt  worden  sind,  zur  Einführung  an  denselben 
empfohlen  werden.  Die  Brauchbarkeit  des  Buches  für  den  vor- 
bereitenden physikalischen  Unterricht  an  neunklassigen  Schulen  ist 
durch  seine  Umarbeitung  vielleicht  in  etwas  beeinträchtigt  worden. 

Druck  und  Ausstattung  des  Werkes  sind  gut 

Bernburg.  £.  Hutt. 


Verein  zur  Förderung  des  Unterrichts  in  der  Mathematik 

und  in  den  Naturwissenschaften. 


Die  dritte  Hauptversamalang  soU  zu  Pfingsten  t894  in  Wiesbaden  statt- 
finden. 

Anmeldangen  zu  Vorträgen  für  die  allgeneinen  wie  für  die  Abteilanga- 
Sitzongen  dieser  Versammlaog  werden  bis  Ostern  erbeten;  dieselben  sind 
an  die  Adresse  des  Prof.  Pietsker  in  ^ordhansen  zu  richten. 


r 


ERSTE  ABTEILUNG. 


ABHANDLUNGEN. 


Die  Gliederung    des  geometrischen  Unterrichts   nach 

Lehrstufen. 

Die  Mathematik,  sagt  Paulsen  in  seiner  Vorlesung  über 
Pädagogik,  bietet  eigentlich  kein  unmittelbares  Interesse,  wie 
Liiteraturgeschichte,  Weltgeschichte,  Geographie  und  Naturkunde. 
Dreiecke,  Kreise,  Logarithmen  sind  an  und  für  sich  uninteressant ; 
sie  können  es  nur  werden  durch  die  Form  des  Unterrichts.  Daher 
ist  der  Unterricht  in  der  Mathematik  schwieriger,  weil  er  erst  das 
Interesse  erzeugen  mufs. 

Vom  Standpunkte  der  Schulermehrzahl  aus  betrachtet,  wird 
man  Paulsen  recht  geben  müssen.  Es  ist  dem  wissenschaftlichen 
Mathematiker  nur  dienlich,  wenn  er  sich  bald  mit  dem  Gedanken 
vertraut  macht,  dafs  die  Lehre  von  der  reinen  Form,  die  er  mit 
Stolz  Tertritt,  in  ihrer  reinen  Wirkung  manches  Knaben  und 
Jänglings  Geist  gleichgiltig  läfst,  ja  sogar  abstöfst.  Unter  dem 
Druck  dieser  Erkenntnis  wird  er  seiner  pädagogischen  Existenz 
gar  nicht  anders  Luft  schaffen  können  als  durch  die  methodische 
Aasgestaltang  seines  Unterrichts  nach  einer  solchen  Seite  hin, 
dalüs  die  Schüler,  wenigstens  in  ihrer  überwiegenden  Zahl,  für 
die  Sache  gewonnen,  zu  ihr  hingezogen,  durch  sie  gefördert  und 
dem  gesteckten  Ziele  der  Gesamtbildung   näher  gebracht  werden. 

Wenn  wir  die  beiden  grofsen  Abteilungen  der  Mathematik 
einzeln  prüfen,  so  kann  auf  Grund  der  Erfahrung  gesagt  werden, 
dafs  auf  den  höheren  Schulen  der  Unterricht  in  der  Arithmetik, 
im  grofsen  und  ganzen  wenigstens,  nicht  so  vielen  Schwierigkeiten 
begegnet  wie  derjenige  in  der  Geometrie.  Im  Gebiete  der  Zahl, 
auch  der  allgemeinen,  in  Buchstaben  gekleideten,  überwiegt  das 
Scheroatische ,  und  daher  hängt  der  Erfolg  nneistens  allein  von 
der  sorgfaltigen  Behandlung  eines  geeigneten  Übungsmaterials  ab. 
Beim  geometrischen  Unterricht  aber  ist  mancherlei  zu  berück- 
sichtigen und  viel  zu  überlegen,  wenn  man  die  Schüler  zu  einer 
Vertiefung  in  den  oft  recht  schweren  Stoff,  zu  einer  gewissen 
Beherrschung  des  durchgearbeiteten  Gebietes  führen  will.  Anderer- 

Zeitaehr.  t  d.  OjmaMUlweMo    XLYIU.    5.  19 


290     Gliederung  des  geometrischen  Unterr.  nach  Lehrstofen, 

seils  darf  hervorgehoben  werden,  dafs  wohl  kaum  eine  andere 
Wissenschaft  den  denkenden,  pflichteifrigen  Lehrer  in  höherem 
Mafse  zur  didaktischen  Bearbeitung  reizen  möchte  als  die  Geo- 
metrie. Schon  das  blofse  Bewufslsein,  wie  viel  in  diesem  Fache 
von  einem  guten  Unterricht  bezuglich  des  Erfolges  abhängt,  wird 
den  l^ädagogen  locken  und  anspornen.  Es  kommen  aber  noch 
andere  Umstände  hinzu,  welche  den  Unterrichtenden  bei  der  Aus- 
übung seiner  Thätigkeit  mit  einer  gewissen  Befriedigung  erfüllen 
können.  Nicht  nur,  daCs  das  mechanische  Auswendiglernen  hier 
zurücktritt,  wodurch  ermüdende  Repetitionen  alles  gedächtnis- 
mäfsig  erarbeiteten  Stoffes  ausgeschlossen  werden,  so  kann  die 
grofsartige  Verknüpfung  von  Anschauung  und  logischem  Denken, 
wie  die  meisten  Lehrgebiete  der  Geometrie  und  Stereometrie  sie 
darbieten,  dem  Pädagogen  keinen  Zweifel  lassen,  dafs  durch  dieses 
Fach  eine  sehr  günstige  Gelegenheit  zur  Schulung  in  ernster 
Geistesarbeit  gegeben  wird;  es  kann  ferner  der  geometrische 
Unterricht,  nächst  dem  in  der  Naturkunde,  die  Lehren  der  neueren, 
auf  Psychologie  gegründeten  Methodik  in  ungekünstelter  Weise  zur 
häufigen  Anwendung  bringen. 

Auf  den  Unterricht  in  der  Geometrie  sollen  sich  die  folgen- 
den Erwägungen  und  Vorschläge  beziehen,  unter  besonderer  Be- 
rücksichtigung der  ncunklassigen  höheren  Schule. 

Die  Frage,  warum  dieser  Unterricht  Schüler  und  Lehrer  oft 
so  wenig  befriedigt,  hat  schon  Karl  von  Raumer  in  dem  Kapitel 
über  Geometrie  im  dritten  Teile  seiner  Geschichte  der  Pädagogik 
erörtert.  Er  urteilt,  dafs  die  enge  Anlehnung  der  Schulgeometrie 
an  das  berühmte  Lehrbuch  des  Euklid  die  Hauptquelle  des  Übels 
sei.  Der  griechische  Meister  habe  seine  atoix^ia  nicht  für  An- 
fänger geschrieben,  sondern  für  Männer,  welche,  schon  ausgerüstet 
mit  mathematischen  Kenntnissen,  zu  ihm  nach  Alexandria  kamen 
und  weitere  Förderung  suchten.  Der  Titel  seines  Werkes  kann 
nur  dahin  gedeutet  werden,  dafs  darin  alle  geometrischen  Gebilde 
aus  den  einfachsten  Elementen  aufgebaut  werden. 

So  geistvoll  und  überzeugend  Raumers  Darlegungen  in  dem 
erwähnten  Kapitel  sind,  so  sehr  ist  es  zu  bedauern,  daCs  er  für 
eine  Umgestaltung  des  geometrischen  Unterrichts  keine  positiven 
Vorschlage  macht,  ausgenommen  den  einen,  durch  die  Vorliebe 
für  sein  Spezialfach  eingegebenen,  nämlich  die  Benutzung  der 
Kryslallkunde  als  Vorstufe  für  den  eigentlichen  geometrischen 
Unterricht.  Wenn  Raumer  dann  noch  besonders  wünscht,  dafs 
dabei  natürliche  Krystalle  vor  Krystallmodellen  den  Vorzug  haben 
sollen  —  natürliche  Krystalle  zeigen  bekanntlich  fast  nie  mathe- 
matische Genauigkeit  und  sind  meistens  von  geringer  Gröfse  — , 
so  dürfte  dieser  Vorschlag  schwerhch  die  Mehrzahl  der  Mathe- 
matiker befriedigen. 

Wenn  wir  der  durch  Raumer  ziemlich  bestimmt  ausgesprochenen 
Verwerfung  des  Euklid  für  Schulzwecke  auf  den  Grund  gehen,  so 


voD  T.  Adrioo.  291 

kann  kurz  gesagt  werden,  dafs  die  Lebrweise  des  geprieseoen 
Griechen  für  Anfänger  zu  schwer  ist  und  daher  nur  in  Seltenen 
Fällen  vollständig  erfafst  werden  kann.  Ähnlich  urteilt  auch 
Paulsen  in  seinem  Kolleg  über  Pädagogik,  indem  er  sagt:  Der 
synthetische  Unterricht,  dem  Euklid  Vorbild  war,  ist  für  Schuler 
nicht  geeignet. 

Fast  in  allen  Gebieten  der  Wissenschaft  hat  sich  in  den 
letzten  Jahrzehnten  die  Erkenntnis  darchgehrochen ,  dafs  man 
zwischen  exakt  wissenschaftlicher  Behandlung  eines  gegebenen 
Stoffes  und  der  Behandlung  desselben  im  Schulunterricht  strenge 
zu  unterscheiden  habe.  Manche  bedeutsame  Neuerung,  welche 
entschieden  als  Fortschritt  anerkannt  werden  mufs,  ist  dieser 
Erkenntnis  entsprungen.  Als  eklatantes  Beispiel  möge  die  moderne 
Gestaltung  des  naturkundlichen  Unterrichts  hingestellt  werden, 
weiche  so  überzeugend  gewirkt  hat,  dafs  man  heutzutage  ein 
Schulbuch  wie  den  früher  so  weit  verbreiteten  Grundrifs  der 
.Natargeschichte  von  Schilling  geradezu  verspottet. 

Als  Ergänzung  dieser  Erkenntnis  hat  in  jüngster  Zeit  unter 
den  Pädagogen,  besonders  den  Anhängern  Herbarts,  der  Gedanke 
immer  mehr  Raum  gewonnen,  dafs  man  zwischen  Elementar- 
unterricht und  höherem  Unterricht  keinen  prinzipiellen  Unter-^ 
schied  machen  dürfe,  sobald  die  Methode  in  Frage  kommt,  da 
sich  das  Lernen  stets  nach  denselben  psychologischen  Gesetzen 
vollzieht.  Wo  dieser  Gedanke  offen  ausgesprochen  wird,  da  wird 
zugleich  darüber  geklagt,  dafs  die  Lehrweise  der  höheren  Schulen 
in  mancher  Beziehung  zu  abstrakt  sei  und  dafs  eine  genaue  Be- 
obachtung der  praktischen  Gestaltung  des  Volksschulunterrichts 
einer  gesunden  Förderung  der  Interessen  der  höheren  Schulen 
dienlich  sein  könne. 

Was  nun  speziell  den  geometrischen  Unterricht  anbetrifft,  so 
wird  heutzutage  in  der  pädagogischen  Litteratur  die  Forderung 
einer  schulmäfsigen  Behandlung  des  Wissensstoffes  schon  vielfach 
anerkannt  und  eine  elementare  Methode  für  den  Unterricht  auch 
an  höheren  Schulen  empfohlen.  Aus  den  neuesten  Veröffent- 
licbongen  mögen  zwei  Belege  aufgeführt  werden.  F.  Schultze, 
Professor  der  Pädagogik  an  der  technischen  Hochschule  zu  Dres- 
den, sagt  in  seinem  jüngsten  Werke:  Deutsche  Erziehung,  Leipzig, 
Ernst  Günther,  1893  auf  Seite  279  folgendes:  „Da  das  rein 
Formaie  und  Abstrakte  dem  kindlichen  Geiste  fern  liegt  und  am 
schwersten  fallt,  so  mufs  die  Mathematik  in  der  Erziehungsschule 
and  zumal  in  ihren  Anfängen  so  konkret  und  anschaulich  wie 
möglich  verfahren''.  Ebenso  Arnold  Ohlert,  der  junge,  rüstige 
Kampfer  für  die  centrale  Stellung  des  deutschen  Unterrichts,  in 
seiner:  Allgemeinen  Methodik  des  Sprachunterrichts,  Hannover, 
Carl  Meyer  (G.  Prior),  1893  auf  Seite  145:  „Der  mathematische 
Unterricht  auf  unsern  heutigen  höheren  Schulen  ist  in  weitem 
Umböge    noch    immer   viel  zu  abstrakt    und  viel  zu  wenig  ver- 

19* 


292     Gliederung  des  geometrischen  Uoterr.  naeh  Lehrstofeo, 

knöpft  mit  den  übrigen  Vorstellungskreiseu  des  Unterrichts  und 
des  Leßens^S 

In  die  Schulpraxis  ist  diese  neue  Anschauung,  wie  es  scheint, 
noch  nicht  tief  eingedrungen.  Immer  noch  ist  das  verbreitetste 
Lehrbuch  der  Planimetrie  dasjenige  von  Kambly,  welches  nach 
synthetischer  Methode  abgefafst  ist  und  schon  in  den  ersten  An- 
fangen die  ernsteste  Wissenschaftlicfakeit  walten  läfst.  Was  die 
andern  plani metrischen  Lehrbücher  anbetrifft,  die  för  höhere 
Schulen  bestimmt  sind  und  auf  ihnen  benutzt  werden,  so  zeigen 
dieselben  im  Vergleich  mit  einander  und  mit  Kambly  meistens 
nur  geringe  Unterschiede  in  der  Anordnung  und  Behandlung  des 
Stoffes.  Der  von  einigen  Mathematikern  angestellte  Versuch,  die 
sogenannte  neuere,  auf  Bewegung  gegründete  Geometrie  für  die 
Schule  zu  bearbeiten,  hat  sich  bis  jetzt  nicht  sehr  aussichtsvoll 
erwiesen  und  wird  gerade  vom  pädagogischen  Gesichtspunkte  aus 
bekämpft. 

Es  ist  wohl  kein  Zweifel  mehr  darüber,  dafs  dasjenige,  was 
die  Würde  und  Hoheit  der  Mathematik  ausmacht,  das  peinlich 
genaue,  wissenschaftliche  Verfahren,  die  strenge  Begründung  jedes 
weiteren  Schrittes,  den  man  nach  vorwärts  thut,  die  straffe  Ver- 
bindung aller  Erkenntnisglieder  zu  einer  unlösbar  festen  Kette, 
dafs  gerade  dies  einen  starken  Beibungsfaktor  abgiebt,  wenn  man 
die  Wissenschaft  des  Mafses  und  der  Zahl  im  Geleise  der  Schule 
fortschieben  will.  Wie  soll  man  sich  dabei  helfen?  Soll  man 
auf  die  wissenschaftliche  Behandlung  der  Mathematik  beim  Unter- 
richt ganz  verzichten  und  ähnlich  verfahren,  wie  die  Volksschule 
dies  thut? 

Es  giebt  in  unseren  Tagen  pädagogische  Schriftsteller,  welche 
sich  nicht  scheuen,  den  Bruch  mit  der  früheren  Lehrweise  der 
Geometrie  zu  einem  vollständigen  zu  gestalten,  den  Sprung  in 
das  Neuland  einer  besonderen  Schuigeometrie,  wo  gröfsere  Frei- 
heit herrscht  als  im  alten  Beiche  Euklids,  ohne  jedes  Bedenken 
zu  wagen.  Man  will  alles  Theoretische  aus  dem  geometrischen 
Unterricht  ausgeschlossen  und  nur  das  gegeben  wissen,  was 
praktisch  für  jeden  Erwachsenen  wertvoll  und  unentbehrlich  ist. 
Dafs  bei  der  Durchführung  dieses  Standpunktes  an  eine  streng 
wissenschaftliche  Behandlung  der  Geometrie  nicht  zu  denken  ist, 
versteht  sich  wohl  von  selbst.  Indessen  schreckt  dieser  Gedanke 
heutzutage  nicht  mehr  so  sehr.  Werden  ja  doch  zuweilen  Stimmen 
laut,  welche  ohne  Einschränkung  sagen,  dafs  eigentliche  Wissen- 
schaft, sofern  man  darunter  Ableitung  aus  Prinzipien  versteht,  lo 
den  Schulen ,  selbst  in  den  höheren ,  nicht  gelehrt  werden  soll, 
wie  in  dem  Buche  von  J.  Baumann:  Volksschulen,  höhere  Schulen 
und  Universitäten.    Göttingen,  Vandenhoeck  und  Ruprecht,    1893. 

Wer  das  psychologische  Gesetz  des  Gegensatzes  kennt,  wird 
sich  nicht  darüber  wundern,  dafs  man  bezüglich  des  geometrischen 
Unterrichts  von  einem  Extrem    ins    andere    zu    fallen    in  Gefahr 


j 


voD  T.  Adrian.  293 

siebt,  zunächsl  wenigstens  der  theoretischen  Anschauung  nach. 
In  der  Kunstgeschichte  ist  ja  die  Erscheinung  des  Übergangs  zum 
Extrem,  sobald  ein  Ideal  sich  überlebt  hat,  etwas  ganz  Altes  und 
Bekanntes.  Die  Didaktik  ist  auch  eine  Kunst,  und  so  darf  es  ihr 
nicht  verdacht  werden,  wenn  sie  gelegentlich  eine  ganz  entgegen- 
gesetzte Richtung  einzuschlagen  versucht.  Aber  immer  sollte 
man,  wenn  das  Extrem  die  Menschheit  zu  reizen  und  zu  be- 
stechen beginnt,  an  den  alten  Erfahrungssatz  denken,  daüs  die 
Wahrheit  in  der  Mitte  liegt.  Inter  utrumque  tene.  Der  Sinn, 
welcher  in  diesen  Worten  Ovids  steckt,  hat  meistens  den  Sieg 
dayoDgetragen  über  die  fast  immer  einseitige  Thorheit  des 
Extrems. 

Für  eine  ruhige,  gemäCsigte  Betrachtung  der  Frage  des  geo- 
metrischen Unterrichts  kann  es  sich  also  wohl  nur  um  eine 
richtige  Ausgleichung  zwischen  dem  alten  und  neuen  Standpunkt 
handeln.  Auf  dem  alten  Standpunkt  unverändert  zu  beharren, 
ist  nach  den  mancherlei  Anklagen,  welche  einsichtsvolle  Pädagogen 
dagegen  erhoben  haben,  und  nach  den  Thatsachen  der  Erfahrung 
über  die  Unterrichtserfolge  nicht  ratsam.  Der  neue  Kurs,  welcher 
den  geometrischen  Unterricht  allein  auf  praktische  Ziele  verweisen, 
aUes  rein  Wissenschaftliche,  durch  abstrakte  Operationen  Erreich- 
bare dagegen  aus  demselben  möglichst  fern  gehalten  wissen  will, 
könnte  vielleicht  auf  einer  sechsklassigen  Realschule  eingeschlagen 
werden;  wollte  die  neunklassige  höhere  Schule,  welche  auf  die 
Universität  und  die  technische  Hochschule  vorbereitet,  ihn  voll- 
ständig annehmen,  so  würde  dadurch  eine  nicht  unwesentliche 
Lücke  in  der  Ausbildung  zur  Reife  für  ein  gelehrtes  Fachstudium 
entstehen,  so  hätte  man  eine  gute  Gelegenheit  versäumt,  dem 
zakänftigen  Studenten  mustergiltige  Proben  wissenschaftlicher 
Methode  zu  bieten  und  dadurch  den  Geist  wissenschaftlicher  Ge- 
nauigkeit und  Gründlichkeit  in  ihm  zu  wecken.  Diesen  wichtigen 
Punkt  zu  übersehen  oder  leicht  zu  nehmen,  wäre  unverant- 
wortlich. 

Wie  soli  man  nun  den  rechten  Ausgleich  finden?  Eine  Ver- 
mischung der  beiden  Tendenzen,  ein  abwechselndes  Hervorheben 
d«  einen  und  der  andern  scheint  nicht  ratsam,  da  auf  diese 
Weise  der  Unterricht  einen  unbestimmten,  schwankenden  Cha- 
rakter annehmen  würde.  Es  giebt  glücklicherweise  einen  andern 
Ausweg  aus  diesem  Dilemma,  einen  Ausweg,  den  man  ohne 
Schwierigkeit  benutzen  kann.  Dies  ist  der  Aufbau  des  geometri- 
schen Unterrichts  in  Stufen,  welche  von  derber  Sinnlichkeit  zu 
immer  feinerer  Abstraktion,  von  niederer  praktischer  Fertigkeit 
zur  Höhe  wissenschaftlichen  Denkens  heraufführen. 

Zur  Empfehlung  dieser  Idee  erlaube  man  mir,  den  Finger 
auf  die  beiden  Hauptfehler  zu  legen,  -die  gewöhnlich  beim  geo- 
metrischen Unterricht  gemacht  werden. 

Der  eine  derselben  betrifTl  die  Anordnung  des  Stoffes.   Hier- 


294     GliederoD(^  des  f^eometrjsohen  Uoterr.  oaoh  Lehrstofen, 

bei   läfst    man    sich    fast    ausschliefslich    vom    wissenschaftlichen 
Gesichtspunkte  leiten  und  vernachlässigt  den  pädagogischen,  indem 
besonders    das   Gesetz    des    Fortschreitens   vom    Leichteren   zum 
Schwereren  übertreten  wird.     Die  ziemlich  schwierige  Parallelen- 
theorie z.  B.  wird  in  der  Quarta  abgehandelt.     Man    beginnt  die 
in  ihren  Anfängen    recht   leichte  Kreislehre    meistens    erst  dann, 
wenn    die  Eigenschaften    der  Dreiecke   und   Parallelogramme   er- 
schöpft   sind.     Ober    die    einfachen  Körper    empfängt    nach  den 
neuen  preufsischen  Lehrplänen  erst  der  Sekundaner  einige  nutz- 
liche Belehrungen;  früher  hütete  man  die  Geheimnisse  der  Stereo- 
metrie,   die   grofsen  wie  die  kleinen,    noch  sorgfältiger  und  liefs 
sie    erst   auf  die  Primaner  los.     Was  soll  überhaupt  die  strenge 
Abgrenzung  der  einzelnen  Kapitel?    Es  ist  nicht  wahr,    dafs   sie 
für  das  Verständnis  geometrischer  Wahrheiten  absolut  notwendig 
ist.    Man  könnte   sehr  oft  eine  neue  Erkenntnis  auf  dem  Gebiet 
der  Dreieckslehre  sofort  auf  das  Parallelogramm,    den  Kreis  oder 
das  reguläre  Polygon  anwenden.   Dadurch  würde  eine  Verbindung 
dieser  Gebiete  entstehen,   die  der  Konzentration  des  Unterrichts 
nur  förderlich  wäre.     Man    denke    an    die   heutige  Methode    des 
naturkundlichen  Unterrichts,    bei  welcher  die  Kenntnisse  in  kon- 
zentrischen Kreisen  erweitert  werden,   während  die  systematische 
Zusammenstellung   den  Abschlufs  des  Ganzen    bildet.     WiU   man 
dies  Verfahren    unwissenschaftlich    nennen?    Wenn  wirklich  ein- 
seitige Facbgelehrsamkeit  diesen  Vorwurf  erheben  sollte,  so  wird 
die  Erziehungswissenschaft    dagegen    mit   den    stärksten  Gründen 
protestieren  können. 

Noch  schlimmer  aber  ist  der  zweite  Fehler,  zu  dem  fast  alle 
für  höhere  Schulen  geschriebenen  Lehrbücher  der  Geometrie  ver- 
leiten.    Dieser    bezieht   sich   auf  die  Lehrform.     Der  Quartaner 
bekommt  die  geometrischen  Wahrheiten  in  derselben  Einkleidung 
wie  der  Sekundaner  und  Primaner.     Die  strenge  Unterscheidung 
von  Definitionen,    Grundsätzen,   Lehrsätzen,    Zusätzen   und  Um- 
kehrungen, die  akkurate  Form  der  Beweisführung  unter  dem  vor- 
sichtigen Schutze   von  Voraussetzung  und  Behaiiptung,    das   sind 
Dinge,  die  für  alle  Klassen  der  höheren  Schule  als  unabänderliche 
Norm  zu  gelten  pflegen.   Dem  wissenschaftlichen  System  zu  Liebe 
soll  gleich  der  Anfänger  die  Wahrheil,  welche  aus  einer  abstrakten 
Verknüpfung  von  Begriffen  und  Schlüssen  resultiert,  höher  stellen 
als  die  deutliche,  aus  einer  anschaulichen  Zeichnung  entspringende 
Erfahrung.      Er   soll   Umkehrungssätze   aus    indirekten  Beweisen 
erschliefsen ,   bei  denen  ihm  entweder  gar  keine  Figur  hilft  oder 
wo    die  Figur   absichtlich    den  wirklichen  Thatbestand    verhöhnt. 
So  passiert  es  leicht,   dafs  Lehrer  und  Schüler  sich  beim   Unter- 
richt   mit   einem    teiiweisen  Verständnis    begnügen    und  dafs  die 
letzteren    dann   auch  auf  einer  vorgerückteren  Stufe  der  Geistes- 
entwickelung,   wo  sie  reif  genug  wären,    um  in  den  tiefen  Sinn 
dieser  Lehrform    eindringen  zu  können,    sich   bei  solchem   ober- 


voo  T.  Adriao.  295 

flächlicben,  unvoUsländigen  Erfassen  des  Dargebotenen  beruhigen. 
Man  kann  sogar  sagen,  dafs  die  äufserliche  Gewöhnung  an  den 
wisseDschaftlichen  Zuschnitt  des  Stoffes,  welche  beim  Unterricht 
TOD  Anfang  an  Platz  greift,  das  tiefere  Verständnis  der  Grofsartig- 
keit  und  Bedeutsamkeit  der  mathematischen  Methode  bindert, 
deon  dasjenige,  woran  man  lange  gewöhnt  ist,  fordert  Durch- 
schnittsgeister  nur  selten  zu  wirklichem  Nachdenken  auf. 

Beim  Aufbau  des  geometrischen  Unterrichts  in  Stufen,  der 
ron  gewissen  Gesichtspunkten  aus  geradezu  als  Notwendigkeit 
erscheinen  mufs,  wären  die  beiden  gerügten  Fehler  leicht  zu 
vermeiden.  Die  Lehrmethode  mufste  schrittweise  von  der  em- 
pirischen Wahrheit  der  geometrischen  Zeichnung  und  der  Über- 
leugung,  welche  aus  einer  klaren  sinnlichen  Anschauung  folgt, 
zu  der  idealen  Wahrheit  einer  geschlossenen  logischen  Deduktion 
übergehen.  Damit  ist  zugleich  auch  die  Möglichkeit  geboten,  den 
Lehrstoff  anders  zu  ordnen,  als  dies  bisher  geschehen,  die  ein- 
fachsten geometrischen  Wahrheiten  aus  den  verschiedensten  Ge- 
bieten zusammenzustellen  und  dann  den  Umfang  der  Kenntnisse 
bei  allmählicher  Heranziehung  der  wissenschafth'chen  Hilfsmittel 
immer  mehr  zu  erweitern,  bis  dann  am  Schlufs  ein  wissenschaft- 
liches System  der  Geometrie  geboten  wird,  welches,  wenn  auch 
nicht  mit  Ausführlichkeit  behandelt,  doch  überall  die  genaue  Ab- 
leiluDg  aus  den  einfachsten  Prinzipien  und  die  enge  Verkettung 
aller  Erkenntnisglieder  nach  wissenschaftlichem  Muster  deutlich 
za  erkennen  giebL 

Ober  die  Zahl  der  Stufen,  welche  der  geometrische  Unterricht 
an  einer  neunklassigen  höheren  Schule  aufweisen  soll,  lieEse  sich 
streiten.  Der  Verfasser  dieses  Aufsatzes  würde  darüber  gern  die 
Meinung  anderer  hören  und  mit  der  seinigen  vergleichen.  Ihm 
erscheint  diese  Frage  erst  in  zweiter  Linie  wichtig;  wenn  er  sie 
hier  nach  seiner  Auffassung  in  ziemlich  einfacher  Weise  beant- 
wortet, so  geschieht  dies  hauptsächlich,  um  der  Idee  des  stufen- 
mllsigen  Unterrichts  eine  deutlichere  Form  zu  geben  und  ihr  so 
leichteren  Eingang  zu  verschaffen. 

In  vollständigem  Anschlufs  an  die  schon  lange  eingeführte 
Unterscheidung  von  unteren,  mittleren  und  oberen  Klassen 
wollen  wir  für  den  geometrischen  Unterricht  drei  Hauptstufen 
ansetzen,  eine  Unter-,  Mittel-  und  Oberstufe,  deren  jede  ihren 
besonderen  Lehrstoff  und  ihre  besondere  Lehrmethode  hat.  Hier- 
über einige  Eriäuterungen  zu  geben,  soll  nunmehr  unsere  Auf- 
gabe sein. 

Der  geometrische  Unterricht  pflegt  in  Quarta  zu  beginnen. 
Vielfach  wird  vom  Rechenunterricht  der  Quinta  eine  wöchentliche 
Lebrstunde  abgetreten  und  für  eine  geometrische  Propädeutik 
verwendet.  Die  preufsischen  Lehrpläne  vom  Jahre  1882  empfehlen 
dies  ausdrücklich;  die  neuen  Lehrpläne  erwähnen  nichts  davon 
und   lassen  es  unbestimmt,    ob  dies  noch  ferner  stattfinden  soll. 


i 


296     Gliederung  des  geometrischen  Unterr.  nach  Lehrstufen, 

Mit  der  Quarta,  eventuell  auch  der  Quinta,  wurde  die  Unterstufe 
des  geometrischen  Unterrichts  es  also  zu  Ihun  haben.  Auf  der- 
selben lassen  wir  fast  ausschliefslich  die  Wahrheit  der  geometrischen 
Zeichnung  zum  Schüler  sprechen.  Die  Betrachtung  der  Körper 
wird  entweder  ganz  ausgeschlossen  oder  in  sehr  knapper,  sehr 
elementarer  Form  als  Vorstufe  verwendet.  Die  wichtigsten  gerad- 
linigen Figuren  und  der  Kreis  werden  teils  einzeln,  teils  in  ihrer 
Beziehung  zu  einander  zeichnend  bebandelt,  naturlich  mit  ange- 
schlossenen Erläuterungen  und  mit  Einübung  der  technischen 
Bezeichnungen.  An  die  vorgebrachten  Namen  sollen  keine  wirk- 
lichen Definitionen  angeschlossen  werden;  es  genügt  zunächst, 
wenn  das  Kind  die  geometrischen  Gebilde  kennt  und  be- 
nennen kann. 

Der  Stoff  für  diese  Unterstufe  würde  mit  der  geometrischen 
Formenlehre,  wie  die  Volksschule  sie  lehrt,  viele  Ähnlichkeit 
haben.  Die  zahlreichen,  zum  Teil  recht  praktischen  Bücher,  die 
es  hierüber  giebt,  könnte  der  Lehrer  mit  Nutzen  beim  Unterricht 
in  der  Quarta  verwenden;  allerdings  müfste  man  hier  und  da 
abweichen  und  manches  weglassen,  wenn  der  Standpunkt  der 
direkten  Belehrung  durch  Zeichnung  und  Messung  rein  erhalten 
werden  soll.  Wir  sind  nämlich  der  Ansicht,  dafs  die  Kongruenz- 
sätze und  die  Anwendungen  derselben  auf  Beweise  nicht  für  die 
erste  Stufe  passen,  weil  dabei  längere  Gedankenläufe  zu  durch- 
wandern sind. 

Neben    der  Messung  von   geraden  Linien   ist   diejenige   von 
Winkeln    auf  der  Unterstufe    sehr  zu  üben.     Die  Gleichheit  und 
Verschiedenheit    der  Winkel   wird    empirisch   durch  die  bekannte 
Bogenmessung  oder  mit  Hilfe  des  Transporteurs  festgestellt.    Alle 
diejenigen  Eigenschaften  der  betrachteten  Figuren,  welche  durch 
Messung  von  Linien   und  Winkeln  klar  gemacht  werden  können, 
kommen  zur  Behandlung;    sie  werden   in  die  Form  kurzer  Sätze 
gebracht,    die  also  eigentlich  geometrische  Lehrsätze    sind,    doch 
ist    es    nicht   nötig,    die  Bezeichnung  „Lehrsalz'*  schon  jetzt    zu 
gebrauchen.    Der  Beweis  dieser  Sätze  wird  allein  als  empirischer, 
aus  der  Zeichnung   fliefsender  gegeben.     Der  ausgebildete  Mathe- 
matiker darf  sich  bei  einem  solchen  Beweise  nicht  beruhigen;  für 
das  Kind  aber  hat  er  mehr  Überzeugungskraft  als  die  akkurateste 
Deduktion    aus  Grundsätzen   und  Hilfssätzen.     Eine    grofse  Reihe 
von  Sätzen  aus  der  Dreiecks-,  Vierecks-  und  Kreislehre  läfst  sich 
auf  diese  Weise  vorführen  und,  wenn  auch  nicht  eigentlich  be- 
weisen,   so  doch  zur  klaren  Einsicht  bringen,   z.B.:    Im  gleich- 
schenkligen Dreieck  sind  die  Basiswinkel  gleich.   —    Die  Summe 
der  Dreiecks  Winkel  ist  =  2  R.  —   In  jedem  Parallelogramm  hal- 
bieren   die  Diagonalen    einander.    —    Im  Rechleck  und  Quadrat 
sind    die  Diagonalen    gleich.   —    Gleiche  Sehnen    haben   gleichen 
Abstand  vom  Mittelpunkt.  —  Die  Tangente    steht   senkrecht    auf 
dem  zugehörigen  Radius,  u.  s.  w.   Die  sogenannten  Fundamental- 


von  T.  Adrito.  297 

aufgaben  der  Geometrie  und  einige  andere  leichter  Art,  die  für 
Konstruktionen  von  Figuren  von  Wert  sind,  werden  ohne  viel 
Erläuterung  durch  Vorzeichnen  des  Lehrers  zur  Kenntnis  der 
Schäler  gebracht. 

Um  einen  bestimmten,  bezeichnenden  Ausdruck  zu  gebrauchen, 
köooeo  wir  sagen,  dafs  auf  der  Unterstufe  zeichnende  und  messende 
Geometrie  gelehrt  vvird.  Dafs  die  Schuler  zum  Zeichnen  an  der 
Wandtafel  und  zu  möglichst  genauen  Zeichnungen  auf  dem  Papier 
mit  Bilfe  von  Lineal,  Zirkel  und  rechtem  Winkel  —  der  letztere 
darf  durchaus  nicht  fehlen  —  anzuhalten  sind,  versteht  sich  von 
selbst.  Zu  warnen  ist  vor  jenen  kombinatorischen  Spielereien, 
welche  die  Pestalozzische  Schule  in  die  geometrische  Formenlehre 
eingeführt,  wo  man  untersucht,  in  wieviel  Punkten  sich  zwanzig 
Linien  schneiden  und  wieviel  Diagonalen  ein  Zwölfeck  hat.  Trotz 
mancher  scharfen  Kritik  treten  sie  immer  noch  in  Schul- 
büchern auf. 

Während  auf  der  ersten  Stufe  die  Zeichnung  von  Figuren 
und  die  Messung  von  geraden  Linien  und  Winkeln,  welche  an 
ihnen  vorkommen,  die  Hauptrolle  spielt,  tritt  auf  der  zweiten  die 
geometrische  Anschauung  in  ihr  Recht.  Freilich  ist  es  nicht  die 
Anschauung  allein,  welche  uns  geometrische  Wahrheiten  liefert, 
sondern  ihre  Verbindung  mit  logischem  Denken.  Da  das  letztere 
aber  hier  stets  von  der  Anschauung  ausgehen  soll,  so  darf  der 
Ausdruck  „Geometrische  Anschauungslehre^^  oder  „Anschauende 
Geometrie'*  zugelassen  werden.  Wir  wollen  den  letzteren  vor- 
ziehen wegen  der  besseren  Übereinstimmung  mit  der  für  die 
erste  Stufe  gewählten  Bezeichnung.  Auf  die  zeichnend-messende 
Geometrie  der  Quarta  hätte  also  in  den  beiden  Tertien  und  der 
Dnter-SekuDda  die  anschauende  Geometrie  zu  folgen. 

Auf  dieser  Stufe  kann  der  Ausdruck  „Lehrsatz''  ohne  Be- 
denken angewendet  werden.  Das  Wort  „Beweis''  könnte  hier 
vielleicht  durch  „Untersuchung"  ersetzt  werden,  wie  dies  zuweilen 
in  elementaren  Lehrbuchern  geschieht.  Die  Untersuchung  über 
die  Richtigkeit  des  Lehrsatzes  mufs  im  allgemeinen  den  Charakter 
eines  strengen  Beweises  tragen;  in  besonderen  Fällen  aber,  wo 
der  wissenschaftliche  Beweis  zu  abstrakt  ist,  darf  der  Lehrer  auf 
der  Mittelstufe  auch  andere  Wege  suchen,  um  die  betreffenden 
Wahrheiten  zu  einer  möglichst  klaren  Auffassung  seitens  der 
Schüler  zu  fähren.  Es  ist  auch  durchaus  keine  Sunde,  dann  und 
vann  einen  Lehrsatz  ohne  Beweis  hinzustellen,  indem  man  den 
Schülern  sagt,  dafs  es  einen  solchen  wohl  gebe,  dafs  derselbe 
aber  schwierig  und  umständlich  sei  und  daher  weggelassen  werden 
solle.  Die  Schuler  werden  dem  betreffenden  Lehrsatze  darum 
kein  geringeres  Vertrauen  entgegenbringen,  vorausgesetzt,  dafs 
der  Sinn  desselben  ihnen  durch  gehörige  Erläuterung  klar  ge- 
worden ist.  In  anderen  Wissenschaften  beweist  der  Lehrer  ja 
anch    bei  weitem    nicht   alles,    was    er  vorbringt.     Besonders  ist 


L 


298     Gliederani;  des  geometrischen  (Joterr.  nach  LehrstnfeB, 

von  indirekten  Beweisen  entweder  vollständig  abzusehen,  oder  es 
sind  nur  zuweilen  solche  leichterer  Art  als  Proben  zu  geben. 

Sehr  wichtig  und  gewissermafsen  das  Charakteristikum  der 
Mittelstufe  ist  es,  dafs  als  Lehrmethode  die  heuristisch-analytische 
gewählt  wird.  Alles,  was  gegen  die  synthetische  Methode  gesagt 
worden,  parst  besonders,  wenn  man  sich  einen  Tertianer  mit 
seinem  mathematisch  noch  zu  wenig  geschulten  Denken  als  Ob- 
jekt derselben  vorhält.  Vor  allen  Dingen  kann  die  synthetische 
Methode  in  ihrer  strengen  Durchführung  auf  einem  solchen  Stand- 
punkt kein  grofses  Interesse  erregen,  da  sie  die  Selbstthätigkeit 
des  Schülers  nicht  genügend  in  Bewegung  setzt.  Sie  ist  zu 
wissenschaftlich,  zu  vornehm,  zu  wenig  herablassend  gegen  das 
unerwachsene  Schälervolk,  welches  mit  geringen  Ausnahmen  zu 
einer  wirklichen  Wertschätzung  der  Geometrie  in  solcher  Behand- 
lung  nicht  gut  kommen  kann. 

In    der  Praxis  wird    sicher  manch  denkender  Lehrer,    dem 
die  dogmatische  Schablone  nicht  mehr  genügte,  trotz  synthetisch 
abgefafster  Lehrbücher  auf  dieser  Stufe  mehr  oder  weniger  analytisch 
vorgegangen  sein.  Die  schnelle  Anerkennung  der  Verdienste  Fenkners 
um  die  Analysis  des  Beweises  deutet  darauf  hin.  Noch  konsequenter 
als   dessen  Unterrichtswerk    geht   ein  kürzlich  erschienenes,    von 
der   Kritik    sehr  günstig    aufgenommenes   Lehrbuch    der   ebenen 
Geometrie  von  Bensemann,   Dessau,  P.  Baumann,  1892,  vor.     Es 
ist  vielleicht  die  methodisch  bedeutsamste  Erscheinung  der  letzten 
Jahre  auf  diesem  Gebiete.     Nicht  nur   dafs   der  Verfasser    päda- 
gogisch klug  genug  ist,  sich  auf  die  Definitionen  der  Grundbegriffe 
und  die  Grundsätze  nicht  einzulassen  und  die  indirekten  Beweise 
fast  ganz  zu  vermeiden,  er  ist  auch  mutig  genug,  eine  Lehrweise, 
derjenigen  ähnlich,  die  auf  der  Oberstufe  von  Volks-  und  Hittel- 
schulen (im  norddeutschen  Sinne)  vielfach  geübt  wird,  der  höheren 
Schule  als  Muster  vorzuhalten.  Mag  auch  mancher  dies  für  Verrat 
an  der  mathematischen  Wissenschaft  und  an  der  Idee  der  höheren 
Schule  erachten,   so  werden  Schulmänner,  welche  auf  eine  prak- 
tische Gestaltung  des  Unterrichts  Wert  legen  und  gerne  in  jeder 
Stunde    von    dem    Erfolg    ihrer    Bemühungen    deutliche    Proben 
empfangen  mögen,  ohne  viel  Bedenken  diese  Bahn  betreten,  falls 
ihnen    dieselbe    frei    gegeben    wird.      In    den   mittleren    Klassen 
höherer  Lehranstalten   halten  wir  sie  für  die  einzig  richtige  und 
die  Lehrform    des  Bensemannschen  Buches  —  Voraussetzung   in 
Form    einer   konstruierbaren  Figur,    Frage   zur  Feststellung    des 
Zieles,  Untersuchung  an  Stelle  des  Beweises  und  schliefslich  For- 
mulierung des  Lehrsatzes  —  für  die  beste. 

Was  nun  die  Behandlung  von  geometrischen  Aufgaben  an- 
betrifft, die  auch  schon  auf  der  Mittelstufe  eine  wichtige  Rolle 
spielen  müssen,  da  sie  die  Anwendung  des  Gelernten  ermöglichen 
und  das  produktive  mathematische  Denken  fördern,  so  sind  die 
Lösungsmethoden    durch   Sätze,    durch    Teildreiecke    und     durch 


voo  T.  Adriao.  299 

geometrische  Örler  zu  besprechen  und  mit  Beispielen  zu  belegen, 
worauf  dann  selbständige  Lösungen  ähnlicher  oder  sonst  passend 
ausgewählter  Aufgaben  seitens  der  Schüler  folgen  müssen.  Ge- 
legentliche schriftliche  Ausarbeitungen  solcher  Übungsaufgaben  sind 
sehr  zu  empfehlen,  doch  ist  es  auf  dieser  Stufe  ratsam,  die 
sehriflliche  Darstellung  zunächst  auf  die  Konstruktion  zu  be- 
schränken and  später  —  vielleicht  hei  den  Verwandlungsaufgaben 
anfangend  —  auch  den  Beweis  hinzuzunehmen;  die  Analysis  da- 
gegen, deren  wissenschaftlich  genaue  Darstellung  oft  ebenso 
schwierig  als  umständlich  ist,  möge  man  den  Schüler  lieber  in 
Gedanken  vollziehen  lassen.  Anders  ist  es,  wenn  der  Lehrer 
selbst  die  Aufgabe  vorfuhrt;  da  kann  er  unbedenklich  alle  die 
Überlegungen,  welche  zu  ihrer  Lösung  hinleiten,  in  eine  akkurate 
Form  zusammenfassen.  Dies  würde  dann  eine  Vorbereitung  sein 
auf  das,  was  die  Oberstufe  leisten  soll,  von  der  man  Ausarbeitungen 
mit  Analysis,  Konstruktion,  Beweis  und  Determination  zu  fordern 
hätte.  Dabei  wären  denn  die  Aufgaben  am  besten  so  zu  wählen, 
dafs  der  Schüler  ihnen  ohne  eine  planmafsige  Analysis  gar  nicht 
beizokommen  vermöchte. 

Ehe  wir  uns  nun  dieser  Oberstufe  zuwenden,  möge  noch 
die  kurze  Bemerkung  Platz  finden,  dafs  die  Anfangsgrunde  der 
Trigonometrie  und  der  Stereometrie,  wie  die  neuen  preufsischen 
Lehrpläne  sie  für  Unter-Sekunda  vorschreiben,  sich  sehr  wohl  in 
der  gleichen  Lehrart  behandeln  liefsen,  wie  wir  sie  für  die  Plani- 
metrie deutlich  gemacht  haben,  so  dafs  das  Hineinziehen  derselben 
in  eine  mittlere  Klasse  die  tragende  Idee  unserer  Mittelstufe  nicht 
zerstören  würde.  Was  die  Stereometrie  anbetrifft,  so  wäre*es 
durchaus  möglich,  schon  in  der  Tertia  eine  Reihe  von  einfachen 
Wahrheiten  auf  analytisch -heuristischem  Wege  zu  erschliefsen ;  die 
rrühe  Anwendung  der  erworbenen  planimetrischen  Kenntnisse  auf 
die  Eigenschaften  der  Körper  dürfte  sich  überhaupt  als  ein  be- 
lebendes Moment  des  geometrischen  Unterrichts  erweisen,  wie  sie 
andererseits  dem  arithmetischen  Unterricht  eine  Aufgabensphäre 
erschliefst,  in  die  der  Schüler  mit  Interesse  und  Nutzen  ein- 
treten kann. 

Der  Oberstufe  gehört  die  wissenschaftliche  Geometrie.  Hier 
kommt  es  zur  Erörterung  der  Grundbegriffe  und  Grundsätze,  auf 
denen  das  ganze  I^ehrgebäude  ruht;  hier  wird  der  Schüler  mit 
der  Anschauung  vertraut  gemacht,  dafs  die  geometrischen  Gebilde 
etgentlicfa  nur  Gedankendinge  sind,  ideale  Formen,  welche  weder 
die  Natur  noch  die  Kunst  verwirklichen  kann.  Unter  Benutzung 
des  früher  erworbenen  Wissenstoffes  werden  häufige  Übungen  im 
strengen  Definieren  angestellt,  welche  auf  dieser  Stufe  aufser- 
ordentlich  nützlich  sind,  da  sie  die  beste  Einführung  in  den  An- 
lang der  Logik,  nämlich  in  die  Lehre  vom  Begriff,  zu  geben  ver- 
mögen. Auch  die  beiden  andern  Teile  der  logischen  Elementar- 
iekre,   welche    vom    Urteil    und    Scblufs    handeln,    können    den 


300     GliederuBg  des  geometrischen  Unterr.  nach  Lehrstufeo, 

Schülern  der  Prima   an    der  Hand    mathematischen  Stoffes    nahe 
geführt  werden. 

Die  Lehrmethode  der  Oberstufe  ist,  so  weit  dies  möglich, 
die  synthetische,  weil  sich  in  ihr  der  wissenschaftliche  Charakter 
am  deutlichsten  ausprägt.  Durch  die  beiden  ersten  Lehrstufen 
genügend  vorbereitet  und  auch  dem  Alter  nach  gröfseren  Denk- 
schwierigkeiten gewachsen,  wird  der  Scbüler  der  oberen  Klassen 
diese  Methode  durchdringen  können  und  ihren  Wert  einigermafsen 
schätzen  lernen.  Die  analytische  Geometrie,  welche  gegenwärtig 
in  ihren  Anfängen  an  allen  neunklassigen  preuCsischen  Anstalten 
gelehrt  wird,  pafst  allerdings  nicht  zu  dem  aufgestellten  Prinzip; 
doch  kann  es  dem  Primaner  nur  nützlich  sein,  wenn  er  zu  der 
Einsicht  geführt  wird,  dafs  die  Wissenschaft  auch  auf  andern 
Bahnen  wandeln  kann.  Für  die  synthetische  Lehrform  bleibt  in 
der  Ober-Sekunda  und  Prima  ja  immer  noch  genügender  Stoff 
aus  den  Gebieten  der  Planimetrie  und  Stereometrie;  selbst  die 
Trigonometrie  erlaubt  diese  Behandlungs weise,  wenn  auch  nicht 
ganz  rein,  so  doch  bis  zu  einem  gewissen  Grade. 

Mehr  als  die  andern  Zweige  der  Geometrie  mufs  die  Plani- 
metrie in  den  oberen  Klassen  zu  einem  gehörigen  Abschluts  ge- 
bracht werden.  Um  einen  solchen  gut  zu  erreichen,  möchte  es 
sich  empfehlen,  dafs  jede  dieser  drei  Klassen  einen  bestimmten 
Bruchteil  der  geometrischen  Stunden  des  Schuljahres,  vielleicht 
ein  Drittel,  allein  der  Planimetrie  zuwendete.  Planimetrische 
Aufgaben,  deren  Art  und  Behandlung  auf  dieser  Stufe  schon  früher 
besprochen  wurde,  könnten  aufserdem  auch  in  der  übrigen  Zeit 
zur  schriftlichen  Bearbeitung  gegeben  werden  und  würden  zur 
Befestigung  der  erworbenen  Kenntnisse  dienen. 

Was  die  Lehrsätze  dieses  Gebietes  anbetrifft,  so  kommt  es 
auch  hier  nicht  darauf  an,  dafs  möglichst  viele  derselben  bewiesen 
werden,  sondern  darauf,  dafs  an  möglichst  geeigneten  Beispielen 
das  Wesen  des  geometrischen  Beweises  aufgedeckt  wird.  Beweise 
verschiedener  Gattungen  sind  also  vorzuführen  und  die  verschie- 
denen geometrischen  und  logischen  Hilfsmittel,  deren  sich  der 
Beweis  bedienen  kann,  klar  zu  stellen.  Die  Idee,  welche  Fenkner 
vorschwebt,  dafs  der  Schüler  nicht  die  Beweise,  sondern  das  Be- 
weisen lernen  soll,  ist  auf  dieser  Stufe  der  Verwirklichung  einiger- 
mafsen nahe  zu  führen. 

Natürlich  werden  hier  auch  indirekte  Beweise  behandelt,  vor 
denen  wir  uns  auf  den  früheren  Stufen  zu  hüten  haben.  Um 
die  peinliche  Genauigkeit  des  Mathematikers  zu  illustrieren,  darf 
man  den  Schülern  der  oberen  Klassen  auch  dann  und  wann  aus- 
führliche Beweise  von  solchen  geometrischen  Wahrheiten  bringen, 
die  sie  früher  als  selbstverständlich  hingenommen  haben,  wie 
z.  B.  den  Beweis  des  Satzes,  dafs  ein  Kreis  mit  einer  Geraden 
nicht  mehr  als  zwei  Punkte  gemeinsam  haben  kann.  Wollte  man 
denselben    bei    der  Behandlung    der  Kreislehre    in    Unter- Tertia 


von  T.  AdritD.  301 

Tortragen,  wozu  viele  Lehrböcher  verleiten,  so  mufs  dem  natQr- 
licbeo  Denken  des  Schülers  dieser  Klasse  solch  mathematisches 
Gebahren  wunderlich  vorkommen. 

Ein  kleines  Kompendium,  die  wichtigsten  Wahrheiten  der 
Planimetrie  zu  einem  kurzgefafsten  System  vereinigend,  würde 
aaf  der  Oberstufe  dem  Zweck  der  Wiederholung  und  der  Kon- 
zentration des  erworbenen  Wissens  dienen  können.  Dieses  System 
müCste  in  seinem  wesentlichsten  Teile  aus  Definitionen  und  Lehr- 
sätzen bestehen,  welche  nach  Gruppen  zu  ordnen  sind.  Innerhalb 
jeder  Gruppe  ist  die  Reihenfolge  der  Lehrsätze  naturlich  eine 
solche,  dafs  der  folgende  immer  durch  die  vorhergehenden  ge- 
stützt wird,  also  wie  die  geometrische  Wissenschaft  dies  vorschreibt. 
Die  Beweise  sind  in  diesem  Systeme  entweder  wegzulassen  oder 
nur  bei  den  Hauptsätzen  kurz  anzudeuten,  damit  der  Gesamt- 
überblick nicht  gestört  wird.  Die  wichtigsten  planimetrischen 
Aufgaben,  die  mit  dem  Lehrstoff  dieses  Gebietes  in  besonders 
enger  Beziehung  stehen,  dürften  dabei  auch  nicht  fehlen;  sie 
könnten  entweder  bei  den  einzelnen  Gruppen  oder  am  Schlufs  in 
besonderer  Zusammenstellung  aufgeführt  werden. 

Ein  ähnliches,  leicht  und  schnell  zu  übersehendes  System 
möchte  sich  auch  für  die  Stereometrie  empfehlen,  während  man 
in  der  Trigonometrie  mit  einer  Tafel  von  Formeln  als  Quintessenz 
auskäme. 

Das  Gesagte  möge  genügen,  um  der  vorgetragenen  Idee  feste- 
Boden  zn  geben.  Durch  die  Gliederung  des  geometrischen  Untern 
richts  nach  Lehrstufen  hoffen  wir  den  Zögling  langsam  und  sicher 
in  die  Tiefen  der  mathematischen  Wissenschaft  hinabzuführen, 
während  man  ihn  jetzt  meistens  hinabstöfst  und  sich  vielleicht 
noch  wundert,  dafs  der  Überraschte,  Betäubte  sich  nicht  zurecht 
finden  kann.  Die  Anpassung  der  Lehrform  unserer  drei  Stufen 
an  den  geistigen  Entwickelungsgrad  der  Schüler  liefert  eine  ge- 
wisse Bürgschaft  dafür,  dafs  eine  blofs  äufserliche  Aneignung  un- 
verdauten Wissens  zurückgedrängt,  andererseits  aber  das  Interesse 
der  Schüler  durch  die  Möglichkeit,  jederzeit  zu  folgen,  ge- 
hoben wird. 

Ein  sehr  gewichtiger  innerer  Grund  ist  vorhanden,  welcher 
die  Reibenfolge  der  Stufen,  wie  wir  sie  gegeben,  als  notwendig 
und  einzig  richtig  erscheinen  läfst.  Dies  ist  das  biogenetische 
Gesetz  in  seiner  Anwendung  auf  die  Geometrie. 

Es  ist  wohl  ziemlich  klar,  wie  man  sich  den  historischen 
Entiftickelungsgang  dieser  Wissenschaft  zu  denken  hat.  Die  An- 
fange der  Geometrie  dürften  wohl  mit  den  Anfängen  der  dar- 
stellenden Kunst  zusammenfallen.  In  Verbindung  mit  ihr  ent- 
wickelte sich  die  Freude  an  regelmäfsigen  Formen,  welche  zur 
Nachbildung  derselben  durch  die  Zeichnung  führte.  Es  ist  kein 
Zufall,  dafs  das  kunstsinnige  Volk  der  Griechen  es  in  der  Geo- 
metrie   so    weit   gebracht    hat.      Die    genauere  Ausführung   von 


302     GliederuDg  des  geometrischen  Uoterricbts,  von  T.  Adrito. 

Zeichnungen  machte  Messungen  nötig,  auf  welche  die  Menschheil 
auch  schon  durch  praktische  Bedurfnisse   hingeleitet  wurde,   und 
dabei  konnten  dann  gewisse  geometrische  Wahrheiten  empirisch 
festgestellt    werden.      Aufgaben    über   Mafsbestimmungen    durch 
Rechnung   führten  später  zur  genaueren  Erforschung  der  Eigen- 
schaften der  Figuren,  wobei  Anschauung  und  denkende  Betrach- 
tung   vereinigt    wurden,    unserer    zweiten    Stufe    entsprechend. 
Natürlich    mufste    man    dabei   auf  analytischem  Wege   vorgehen, 
wenn  man  etwas  Neues  finden  wollte;  die  vorangegangene  Unter- 
suchung vertrat  die  Stelle  des  Beweises.   Erst  nachdem  eine  Menge 
von  Wissensstoff  auf  solche  Weise  gewonnen  war,  ging  man  daran, 
denselben  zu  ordnen  und  ein  wissenschaftliches  System  daraus  zu 
machen.     Nun    mochte    es    vorteilhafter    erscheinen,    die    fertige 
Wahrheit  voran  zu  stellen  und  den  Beweis  folgen  zu  lassen.   Der 
Beweis  aber  konnte  seine  volle  Überzeugungskraft  nur  dann  ent- 
falten, wenn  er  sich  auf  genaue  Erklärungen  der  vorkommenden 
Begriffe   stützte;    so  mufste  sich  zugleich  mit  dem  geometrischen 
System  die  wissenschaftlich  strenge  Definition  entwickeln.   Darnach 
erst    konnte    ein  Euklid   an  die  grofse  Aufgabe  herantreten,   ein 
synthetisches  Werk  über  Geometrie  zu  schreiben. 

Darf  man  die  Kinder  einen  andern  Weg  fuhren,  als  diesen 
durch  die  Entwickelungslehre  vorgeschriebenen  ?  Dafs  es  geschehen 
konnte    und   so    lange   geschehen    ist,    wird   denjenigen  nicht  in 
Verwunderung   setzen,    der  da  weifs,    wie  langsam  sich  die  Idee 
verbreitet   hat,    dafs   der  Lehrer  beim  Unterricht  geistige  Selbst- 
entäufserung    üben    und    sich    auf   den  Standpunkt  des  Schülers 
stellen  müsse,   und  wie  unendlich  schwer  die  vollständige  Durch- 
führung   dieser  Idee    in    der  Praxis    ist.     Dafs  das  biogenetische 
Gesetz    der  Didaktik    in  dieser  Beziehung  beachtenswerte  Finger- 
zeige   geben    kann,    wird  wohl    niemand    bestreiten.     In  welcher 
anderen  Wissenschaft  aber  wollte  man  dem  Leitstern  dieses  Ge- 
setzes gröfseres  Vertrauen  schenken,  als  in  der  Wissenschaft  von 
der  reinen  Form  mit   ihren  Wahrheiten,    die  für  alle  denkenden 
Menschen  gelten,   die   nie  einen   zeitlichen  W'andel  durchgemacht 
haben?  Wo  könnte  dieser  Leitstern  willkommener  sein  als  beim 
geometrischen  Unterricht,  der  den  Lehrer  vor  eine  so  schwierige 
Aufgabe  stellt  mit  der  beunruhigenden  Erkenntnis,  dafs  von  seiner 
Lehrmethode  der  wesentlichste  Teil  des  Erfolges  abhängt? 

Ploen.  T.  Adrian. 


J 


ZWEITE  ABTEILUNG. 


LITTERARISCHE  BERICHTE. 


Leoolmrd  Schmidt,    Moemosyne,   eioe   psychologische  Dichtung   über 
die  Gedächtniskraft.    Bromberg  1894.     32  S.    8. 

Eine  Studie  philosophischen  [nhalts,  die  aber  mit  ihrer  poeti* 
sehen  Einkleidung  —  sie  ist  in  fönffüfsigen  Jamben  geschrieben  — 
sich  an  einen  gröfseren  Leserkreis  wendet.  Dafs  man  heutzutage 
jeder  poetischen  Behandlung  abstrakter  Begriffe,  wie  überhaupt 
jedem  Lehrgedicht  zunächst  mit  einem  gewissen  Iklifstrauen  be- 
g^net,  darüber  wird  der  durch  seine  Bearbeitung  des  Gudrun- 
liedes bekannte  Verfasser  sich  nicht  getäuscht  haben.  Offenbar 
hat  er  gehofft,  dafs  Mnemosyne  als  die  Mutter  der  neun  Musen 
ihm  über  die  Gefahren  seines  Vorhabens  glücklich  hinweghelfen 
werde.  Und  in  der  That  rechtfertigt  besonders  der  erste  Ab- 
Kiinitt,  der  das  Glück  der  Erinnerung  und  den  weltumfassenden 
Stoff  des  Gedächtnisses  schildert,  diese  Hoffnung.  Schwieriger 
war  die  Aufgabe  des  zweiten  Teils,  der  uns  das  Wesen  der  Ge- 
dächtniskraft und  ihren  Zusammenhang  mit  allen  andern  Kräften 
der  Seele  erklären  soll.  Hier,  wo  der  spröde  Stoff  mehr  zu 
abstrakter  Reflexion  zwang,  werden  dem  Leser  allerdings  hin  und 
wieder  Zweifel  an  der  Berechtigung  poetischer  Form  auftauchen. 
Gewagte  Spekulationen  auf  Grund  der  platonischen  dpdfjtptjatg^ 
die  man  in  einem  dichterischen  Ergüsse  über  das  Gedächtnis 
Termuten  könnte,  liegen  dem  Verfasser  fern;  seine  Gedanken  be- 
wegen sich  innerhalb  eines  besonnenen  Idealismus,  wie  ihn  etwa 
Trendelenburg  im  AnschluCs  an  Aristoteles  vertrat.  Das  Eigen- 
artige und  Anziehende  der  Schrift  liegt  eben  in  dem  erfrischenden 
Hauche  persönlicher  Begeisterung,  welcher  unbeschadet  der  Klarheit 
der  Gedanken  das  Ganze  durchweht.  Deshalb  scheint  mir  die 
kleine  Dichtung  gleichsam  als  Einleitung  in  die  Psychologie  auch 
den  Primanern  zur  Lektüre  empfohlen  werden  zu  können;  wer 
weiCs,  ob  nicht  gerade  der  Reiz  der  Darstellung  in  manchem 
jogendiichen  Gemfite  den  leider  immer  seltener  werdenden  philo- 
Bopfaischen  Sinn  zu  erwecken  imstande  ist! 

Berlin.  Johannes  Schmidt. 


304     A.  Biese^  Philosophie  d.  Metaphorischen,  b^z.  v.  L.  Spreer. 

A.  Biese,  Die  Philosophie  des  Metaphorischeoi  In  Grandlinien  darge- 
stellt.   Hambarg  uod  Leipzig  1893,  L.  Vofs.   VI  u.  226  S.  gr.  8.  5  M. 

Die  Grundgedanken  des  vorliegenden  Buches  haben  sich  dem 
Verf.  offenbar  aus  seinem  früheren,  bekannten  Werk  über  die 
Entwickelung  des  Naturgefühls  ergeben.  Was  er  da  als  Eigen- 
tümlichkeit des  menschlichen  Geistes  auf  einem  begrenzten  Ge- 
biet erkannt  hat,  weist  er  jetzt  als  notwendige  Form  nach,  in 
welcher  der  Mensch  sich  und  die  Welt  erfafst. 

Der  Verf.  spricht  dies  am  gedrängtesten  in  folgenden  Worten 
der  Einleitung  aus:     „Wer  sich  einmal  die  Mühe  macht,  in   der 
Sprache,  im  Denken  und  Dichten  den  Spuren  des  Metaphorischen 
nachzugehen,    der  mufs  finden,    dafs,    was    gemeinhin    in    der 
Sprache,    besonders    in   der  Poesie,    als  eine   künstliche  oder 
künstlerische  Redeweise,  als  ein  rhetorischer  Tropus  gilt,  viel- 
mehr eine  naturgemäfse  und  naturnotwendige  Ausdrucksweise 
ist,  dafs  das  Metaphorische  nicht  nur  in  der  Sprache,  sondern  in 
unserem  ganzen  geistigen  Leben  von  hervorragendster  Bedeutung 
ist,    dafs  die  Synthese  des  Inneren  und  Äufseren,  die  Verinner- 
lichung    des  Äufseren   und    die  Verkörperung    des  Geistigen    der 
notwendige  Ausdruck  unseres  geistigleiblichen  Wesens  ist.    Das 
Metamophorische,  in  welcher  Form  es  sich  auch  kundgiebt,  ist  der 
naturgemäfse  Ausdruck  jener  centralen  Nötigung   unserer  ganzen 
geistigen  Existenz  —  nennen  wir  sie  das  Anthropozentrische  — , 
diese  selbst  zum  Mafs  aller  Dinge  zu  machen,   das  Äufsere,  also 
das  an    sich  Fremdartige,    durch   das  einzig  voll  Bekannte,    d.  i. 
eben  unser  eigenes  inneres  und  äufseres  Leben,    uns  zugänglich 
zu  machen  und   andererseits   unser  Inneres  mit  allen  seinen  Re- 
gungen,   Gedanken    und    Empfindungen    auszugestalten    in    der 
Sprache  und  in    der  Kunst,    in   der  Religion   und  in    der  Pbilo- 
sophie*^ 

An  Aristoteles  anknüpfend,  der  am  richtigsten  von  allen 
Früheren  das  Wesen  der  Metapher  in  der  Annahme  einer  Ana- 
logie gefunden  habe,  begründet  und  erläutert  der  Verf.  den  an- 
geführten Grundgedanken  durch  eine  Fülle  von  Beobachtungen, 
Zeugnissen  und  Thatsachen  aus  dem  Walten  der  kindlichen  Phan- 
tasie, aus  dem  Gebiet  der  Sprache,  des  Mythos,  der  Religion  und 
besonders  der  Kunst  und  der  Philosophie. 

Auf  das  Einzelne  einzugehen,  ist  an  dieser  Stelle  unmöglich. 
Das  Buch  ist  in  dreifacher  Beziehung  von  besonderem  Werte. 
Zunächst  durch  die  Darlegung  des  Wesens  alles  Metaphorischen 
in  unserem  Denken.  Der  Philologe  wird  an  der  Hand  desselben 
sich  nicht  mehr  lange  mit  den  äufserlich  nach  zufälligen  Merk- 
malen von  den  Rhetoren  gemachten  Unterscheidungen  desselben, 
wie  Synekdoche,  Metonymie  u.  s.  w.  aufhalten,  sondern  wird  alle 
Übertragungen,  von  der  einfachsten  Metapher  bis  zum  Gleichnis 
und  der  Allegorie,  von  einem  höheren  Gesichtspunkt  aus  zu  er- 
klären   vermögen.     Der   Theologe    wird    in    dem   Gleichnis    und 


Kileoder  f.  d.  boh.  Schulw.  Preafsens,  ang«z.  v.  S.  Adler.     305 

Symbol  die  notwendige  Darstellungsform  des  Obersinnlichen  er- 
kennen. Im  Streit  über  theologische  und  philosophische  Dogmen 
wird  man  weniger  am  Wort  hängen,  wenn  man  sich  z.  B.  klar 
macht,  dafs,  wer  die  Ansicht  von  der  Weltseele  als  etwas  lange 
Überwundenes  ansieht  und  nun  von  der  Kraft  als  dem  Zweiten 
neben  dem  StoiT  redet,  doch  nur  eine  Metapher  an  die  Stelle  der 
anderen  setzt. 

Daneben  hat  das  Material,  welches  der  Verf.  aus  eigner  Be- 
obachtung und  aus  einer  erstaunlich  umfangreichen  Lektüre  her- 
beibringt, um  seine  Ansicht  über  das  Metamophorische  zu  be- 
gründen, als  eine  Blütenlese  schöner  und  bedeutender  Gedanken 
etwas  sehr  Anregendes. 

Endlich  hat  das  Buch  aber  auch  noch  hohen  Wert  durch  des 
Verf.s  eigene  idealistische  Weltanschauung,  die  überall  hervor- 
leuchtet, namentlich  aber  der  Schlufsbetrachtung  eine  besondere 
Wärme  verleiht. 

Putbus.  L.  Spreer. 

Kalender  für  das  höhere  Schalwesen  PrenTsens.  Schuljahr 
1894/95.  Im  Auftrage  der  Delegierten -Versammlnng  der  Provinzial- 
Vereine  der  Lehrer  der  höheren  Anstalten  Prenfsens  herausgegeben 
von  Karl  Kunze.  Teil  I:  Notizbuch;  Teil  II:  Gesetze,  Verordnungen, 
DienstaltersHsten.    Breslau,  Preufs  und  Jünger.    Zusammen  geb.  2  M. 

Mit  dem  Erscheinen  von  Kunzes  Kalender  ist  ein  wirkliches 
Desideratum  der  Lehrerschaft  erfüllt;  mit  Recht  betont  der  Verf. 
in  der  Vorrede,  dafs  der  Kalender  zum  ersten  Male  die  Lehrer- 
schaft als  eine  grofse  Gemeinde  zeigt  mit  gleichen  ideellen  und 
materiellen  Interessen.  Wenn  wir  bedenken,  dafs  K.  bei  Zusammen- 
stellung der  so  mühsamen  Dienstaltersiisten ,  die  den  hauptsäch- 
lichsten Wert  des  Kalenders  ausmachen,  keinerlei  Vorarbeiten  vor- 
fand, der  Unterstützung  der  vorgesetzten  Behörden  entbehren 
molste  und  lediglich  auf  die  nicht  immer  freundlich  gewährte 
Mitwirkung  der  einzelnen  Kollegien  angewiesen  war,  so  werden 
wir  trotz  mancher  UnvoUkommenheiten  —  namentlich  in  den 
Angaben  über  die  Hilfslehrer  —  dem  Verf.  unsere  gerechte  Be- 
wunderung und  aufrichtigen  Dank  zollen  für  all  die  Mühe  und 
peinliche  Sorgfalt,  die  er  bei  der  Aufstellung  entwickelt  hat:  die 
Delegierten-Versammlung  der  Pro vinzial -Vereine  konnte,  wie  der 
Kalender  zeigt,  in  der  That  keine  geeignetere  Persönlichkeit  zur 
Herstellung  der  Alterslisten,  deren  Fehlen  so  schmerzlich  empfun- 
den wurde,  gewinnen  als  ihren  Vorsitzenden,  der  sein  warmes 
Herz  für  die  Interessen  der  Lehrerschaft  wiederholt  bekundet 
hat.  Alle  die  Mifsstände,  über  welche  die  Lehrerschaft  trotz 
mancher  Verbesserungen  in  den  letzten  Jahren  noch  immer  zu 
klagen  hat,  die  geradezu  jammervollen  Verhältnisse,  in  denen  die 
Hilbiefarer  sich  beflnden,  sie  werden  schonungslos  durch  die 
Alterslisten  aufgedeckt  und  holTentlicb  an  den  geeigneten  Stellen 
bekannt  und  gewürdigt. 

JBestMhr.  f.  d.  GymuMialwesen  XLVni.    5.  20 


306     G*  Lüddecke,  BeobachtaogsuDterr.  in  IVaturwisseoschaft, 

AuTser  den  Dienstalterslisten,  die  nicht  weniger  als  450  Seiten 
des  zweiten  Teils  einnehmen,  enthält  derselbe  eine  Fülle 
dankenswerter  Mitteilungen.  Zuerst  werden  die  Thesen  der 
Delegierten  aufgeführt,  die  1890  der  Unterrichts-Enquele- Kom- 
mission überreicht  wurden,  dann  folgt  der  Normaletat  von  1892, 
das  Gesetz,  betreffend  das  Einkommen  der  Lehrer  an  den  nicht- 
staatlichen öffentlichen  höheren  Schulen,  der  Allerhöchste  Erlafs, 
betreffend  die  Amtsbezeichnung  u.  s.  w.  vom  28.  Juli  1892,  die 
letzten  Verordnungen  über  die  Titel-  und  Rangyerhältnisse,  über 
die  Anrechnung  des  Probejahres,  die  Anstellung  u.  s.  w.  Von 
älteren  Gesetzen  hat  der  Verf.  u.  a.  das  Gesetz,  betreffend  die 
Gewährung  von  Wohnungsgeldzuschüssen,  die  Unizugskosten, 
Tagegelder  und  Reisekosten,  das  Pensions-  und  Reliktengesetz 
aufgenommen.  Unmittelbar  vor  den  Dienstalterslisten  werden  die 
vorgesetzten  Behörden  (Ministerium,  Provinzial- Schulkollegien)  auf- 
geführt, ein  alphabetisches  Namensregister  beschliefst  das  Buch. 

Nicht  minder  reichhaltig  und  recht  praktisch .  ist  der  erste 
Teil,  der  bei  dem  verhältnismäfsig  billigen  Preis  des  Kalenders 
gleichsam  als  Gratisbeilage  angesehen  werden  kann.  In  reichlicher 
Anzahl  finden  wir  hier  nach  dem  Wochenkalender  Stunden-  und 
Lektionspläne,  Listen  für  den  Ordinarius,  Schüler-  und  Pensions- 
listen, Listen  für  Gedenktage,  Bücher  und  Adressen  und  schliefs- 
lich  eine  Zusammenstellung  der  Ferien  in  den  verschiedenen 
preufsischen  Provinzen. 

Berlin.  S.  Adler. 

G.  Lüddecke,  Der  Beobachtan^Bnoterricht  io  Natarwissenscbaft, 
Erdkunde  und  Zeichnen  an  höheren  Lehranstalten,  besonders  als 
Unterricht  im  Freien.  Brannscbweig  1893,  Salle.  151  S.  8.     2,40  M. 

Als  ich  diese  zweifelsohne  hochinteressante  und  beachtens- 
werte Schrift  las,  mufste  ich  unwillkürlich  an  die  naturwissen- 
schaftlichen Romane  von  Jules  Verne  denken.  Die  spannenden 
Erzählungen  dieses  Mannes  verlaufen  ganz  folgerichtig,  sind  aber 
auf  Voraussetzungen  aufgebaut,  die,  wie  z.  B.  der  Scbufs  aus^  der 
Kanone,  unmöglich  oder  doch  unwahrscheinlich  sind.  Etwas  Ähn- 
liches findet  in  diesem  Buche  statt.  Die  Forderungen  des  Verf.s 
sind  wohibegründet,  folgen  eine  aus  der  anderen,  erscheinen  im 
ganzen  als  recht  heilsam,  vielleicht  sogar  notwendig,  aber,  wenn 
wahr  und  wirklich  werden  soll,  was  er  zunächst  in  der  Theorie 
so  schön  ausführt,  mufs  noch  eine  Voraussetzung  erfüllt,  miifs 
seinem  V^unsche  gemäfs  die  bisherige  verkehrte  Stundenverteilung 
geändert,  mufs  dem  sprachlich-historischen  oder  Milteilungsunler- 
richt,  wie  er  ihn  nennt,  ein  gut  Teil  seiner  Stunden  genommen  und 
dem  Beobacbtungsunterricht  zugelegt  werden,  so  dafs  dieser  so 
viel  Stunden  erhält  vvie  jener  (84)  und  mit  ebensoviel  Kraft  und 
Wertschätzung  erteilt  wird. 

Ich  mufs  diese  Forderung  wie  die  andere,  dafs  wöchentlich 


an  gez.  von  Chr.  Moff.  307 

zwei  halbe  oder  dafür  ein  ganzer  Tag  auf  den  Unterricht  im 
Freien,  die  „Feldubung'^  verwandt  werde,  als  übertrieben  zurück- 
weisen, und  ich  bin  überzeugt,  fast  alle  Lehrer  höherer  Bildungs- 
aostallen  thun  es  mit  mir.  Die  Zeit,  die  dem  Betriebe  der  Spra- 
chen gelassen  ist,  reicht,  so  viel  kann  man  jetzt  schon  sehen, 
kaum  noch  aus,  etwas  Ordentliches  zu  leisten  und  die  wunder- 
berriichen  Bildungsschäfze,  die  in  der  klassischen  Litteratur  liegen, 
zu  heben.  Werden  die  Sprachen  noch  mehr  in  den  Hintergrund 
gedrängt,  wie  es  der  Verf.  nicht  nur  wünscht,  sondern,  durch  die 
Vorgänge  auf  der  Dezemberkonferenz  von  1890  und  die  Zuge- 
ständnisse in  den  Lehrplänen  von  1892  ermutigt,  mit  Sicherheit 
annimmt,  dann  wird  der  humanistischen  Bildung  die  Möglichkeit 
tieferen  Einflusses  für  immer  entzogen.  Ob  das  ein  Schade  wäre? 
Ganz  gewifs,  was  auch  die  „Modernen"  dagegen  sagen  mögen. 

Ich  halte  also  die  Einführung  der  Zukunftsschule,  die  der 
Verf.  so  schön  aufbaut  und  so  warm  empfiehlt,  für  ein  Ding  der 
Unmöglichkeit  oder  doch  für  ein  Beginnen,  das,  wenn  es  wirklich 
ins  Leben  gerufen  wird,  die  Entwickelung  der  höheren  Bildung 
in  hohem  Grade  schädigt.  Das  hindert  mich  aber  nicht  anzu- 
erkennen, dafs  Lüddeckes  Schrift  Gedanken  von  bleibendem  Wert 
enthält  und  auf  Mängel  und  Schäden  des  bisherigen  Unterrichts 
hinweist,  die  dringend  der  Abhülfe  bedürfen.  Es  ist  recht  und 
gut,  dahin  zu  wirken,  dafs  unsere  Jugend  zum  genauen  Sehen, 
zum  selbständigen  Beobachten  der  umgebenden  Well,  zum  den- 
kenden Durchdringen  thalsächlicher  Verhältnisse  angehalten  wird. 
Es  kommt  das  jedem  zu  statten,  oder  vielmehr  es  ist  unerläfslich 
für  jeden,  welchen  Beruf  er  auch  ergreifen *mag.  Männer,  die 
wohl  theoretisches  Wissen  besitzen,  aber  der  Fähigkeit  entbehren, 
thatsäcbliche  Verhältnisse  zu  schauen,  in  ihrem  Verlauf  zu  ver- 
folgen und  anschaulich  darzustellen;  Männer,  die  wohl  in  Büchern 
Bescheid  wissen,  aber  das  Buch  des  Lebens  und  der  Natur  nicht 
zu  lesen  vermögen;  Männer,  die  wohl  Gelehrsamkeit,  aber  keinen 
Blick  und  kein  Verständnis  für  die  Fragen  und  Bedürfnisse  der 
Gegenwart  haben:  solche  Männer  sind  uns  nichts  nütze.  In  die- 
sem Punkte  bin  ich  mit  dem  Verf.  ganz  einverstanden.  Ich  heifse 
es  auch  gut,  wenn  er  auf  Mittel  und  Wege  sinnt,  wie  der  ein- 
seitigen Buchgelehrsamkeit  durch  Erschliefsung  der  Natur,  der 
einseitigen  Verstandes-  und  Gedächtnispflege  durch  Schulung  des 
Auges,  der  Sinne  überhaupt,  der  Hand  u.  s.  w.  abzuhelfen  ist.  Ich 
bin  mit  ihm  einverstanden,  wenn  er  das  Fachlehrersystem  und 
die  Zersplitterung  in  Einzelfächer  beklagt  und  der  Zusammen- 
fassung verwandter  Fächer,  vor  allem  der  Naturwissenschaft,  der 
Erdkunde,  des  Zeichnens,  mit  einem  Worte,  der  Konzentration 
das  Wort  redet.  Ich  freue  mich,  wenn  er  den  Nachmittagsunter- 
richt verwirft,  wenn  er  Ausflüge  in  das  Freie  verlangt,  wenn  er 
die  Heimatkunde  als  den  Anfang  der  Erdkunde  bezeichnet,  wenn 
er  überhaupt  vom  Gegebenen,   Naheliegenden,   Einfachen,  Natür- 

20* 


308     Haodkommeatar  zum  Neaeo  Testameut,  angez.  v.  A.  Jooas. 

liehen  ausgegangen  wissen  will  und  ein  Geschlecht  heranbilden 
möchte,  das  mit  den  Dingen  selber,  nicht  nur  mit  den  allge- 
meinen Formen  umzugehen  weifs,  dabei  durch  häufiges  Wandern 
in  Feld  und  Wald  körperlich  sich  abhärtet,  die  Heimat  und  die 
Natur  liebgewinnt  und  in  die  gegebenen  Verhältnisse  sich  zu 
schicken,  mit  unvorhergesehenen  Dingen  fertig  zu  werden  ver- 
steht; kurz,  ich  gebe  ihm  in  sehr  vielen  Punkten  recht,  freue  mich 
des  Eifers,  mit  dem  er  für  seine  Sache  eintritt,  und  halte  dem- 
nach das  empfehlende  Vorwort,  das  H.  Schiller  ihm  mit  auf  den 
W'eg  gegeben  hat,  für  wohl  verdient:  ich  beklage  nur,  dafs  er 
mit  seinen  Forderungen  zu  weit  gegangen  ist  und  mit  der  Über- 
lieferung in  einer  Weise  zu  brechen  vorschlägt,  die  auch  das  an- 
erkannt Gute  wegnimmt. 

Der  Verf.  hätte  mehr  erreicht,  wenn  er  weniger  gefordert 
und  mit  seinen  Vorschlägen  sich  an  das  Bestehende  mehi*  ange- 
schlossen hätte,  wenn  er  nicht  sowohl  als  Kämpfer  und  Feind, 
sondern  als  Freund  und  Ratgeber  aufgetreten  wäre.  Aber  auch 
in  der  Übertreibung  enthalten  seine  Ausführungen  so  viel  Beach- 
tenswertes, dafs  sie  keiner  der  Fachlehrer,  die  hier  in  Betracht 
kommen,  kein  Schulvorsteher  und  kein  Vorgesetzter  unbeachtet 
lassen  sollte. 

Cassel.  Christian  Muff. 


H.  J.  HoltzmauD,  R.  A.  Lipsias,  P.  W.  Schmiedel,  H.  v.Soden, 
Hand-Kommentar  zum  Neuen  Testament.  Erster  Band:  Sy- 
noptiker und  Apostelgeschichte  von  H.  J.  Holtzmana,  XVI  a.  432  S. 
8  M.  Zweiter  Band,  zweite  Abteilnng:  Die  Briefe  an  die  Galater, 
Römer,  Philipper  v.  R.  A.  Lipsias.  VlII  u.  254  S.  4,60  M.  Dritter 
Band,  erste  Abteilung:  Die  Briefe  an  die  Kolosser,  Epheser,  Pbilemoo  ; 
die  Pastoralbriefe  von  H.  v.  Soden.  VIII  u.  261  S.  4,50  M.  Vierter 
Band:  Evangelium,  Briefe  und  Offenbarung  des  Johannes  von  H.  J.  Holtz- 
mann,  X  u.  363  S.  Zweite,  verbesserte  und  vermehrte  Auflage. 
6,50  M.  Freiburg  i.  B.  1893,  Akademische  Verlagsbuchhandlung  von 
J.  C.  B.  Mohr  (Paul  Siebeck). 

Die  erste  Auflage  der  meisten  Bände  des  Hand-Kommentars 
ist  schnell  vergriflen  und  eine  zweite  notwendig  geworden.  In 
dieser  Zeitschrift  sind  die  verschiedenen  Kommentare  in  mehr- 
fachen Anzeigen  eingehend  besprochen,  gelobt  und  nachdrucklich 
empfohlen  worden.  Darum  genügt  es,  auf  das  Erscheinen  der 
zweiten  Auflage  hinzuweisen;  die  gelehrten  Verfasser  bezeichnen 
dieselbe  als  verbessert  und  vermehrt;  ganz  besonders  anerkennend 
hervorzuheben  ist,  dafs  der  in  manchen  Exkursen  der  ersten  Auf- 
lage angewandte  kleine  Druck  beseitigt  und  damit  eine  nicht  un- 
erhebliche Belästigung  der  Augen  fortgeräumt  ist.  Ich  empfehle 
auch  bei  dieser  Gelegenheit  die  Anschaffung  des  Hand-Kommentars 
für  Gymnasialbibliotheken. 

Stettin.  Anton  Jonas. 


f 


H.  Grober,  evan^el.  ReligioDslehre,  agz.  v.  J.  Heideina  an.     309 

H.  Grnber,  Repetitoriom  der  evanipeliflcheo  Religionslehre  fdr 
obere  und  mittlere  Klassen,  sowie  zar  Vorbereitung  für  die  Abgangs- 
prüfung an  höheren  Schulen,  Lehrer-  und  Lehrerinnensemioarien  und 
für  die  höhere  Lehramtsprüfung.  Erster  Teil:  Kirchengeschichte. 
Leipzig  1893,  Druck  und  Verlag  von  B.  G.  Teubner.  61  S.  8. 
0,40  M. 

Diese  auch  mit  „Repetitorium  der  Kirchengeschichte^*  bezeich- 
nete kleine  Schrift  hält  die  Hitte  zwischen  einer  Geschichtstabelle 
and  einem  Leitfaden.  Sie  ist  weder  ein  blofses  Zahlengerippe 
mit  zugefügten  Namen  von  Personen  und  Begebenheiten,  noch 
ein  Leitfaden  mit  einer  fortlaufenden,  den  ursächlichen  Zusam- 
menhang der  geschichtlichen  Ereignisse  darstellenden  Erzäh- 
laog.  Der  Verf.  des  Repetitoriums  hat  vielmehr  die  Mittel- 
stralse  zmrischen  beiden  eingeschlagen,  indem  er  in  61  kurzen 
Abschnitten  den  kirchengeschichtlichen  Lehrstoff  zusammendrängte, 
zu  Jahreszahlen  und  Namen  in  kurzen  Sätzen  Bemerkungen  über 
Personen,  Ereignisse  und  Zustände  hinzufügte  und  durch  Schlag- 
worte die  Ansichten  hervorragender  Vertreter  der  Kirche  und  ihrer 
Lehre  charakterisierte.  Dals  ein  solches  Buch,  weil  es  einen 
schuellen  und  leichten  Überblick  über  ein  weites  wissenschaftliches 
Gebiet  gewährt,  seine  Berechtigung  hat,  kann  nicht  bestritten 
werden;  an  dem  vorliegenden  aber  dürften  doch,  damit  es  seinen 
Zweck  vollkommen  erfülle,  einige  Änderungen  vorzunehmen  sein, 
welche  teils  einzelne  Angaben,  teils  die  Gruppierung  des  Stoffes 
betreffen. 

Berücksichtigen  wir  zunächst  die  ersten  Seiten  des  Buches, 
so  heilst  es  im  2.  Abschnitte,  der  von  Paulus  handelt,  dieser  sei 
zu  Rom  enthauptet  worden.  Diese  Angabe  müfste  als  auf  einer 
Sage  beruhend  gekennzeichnet  werden,  denn  ein  historisches 
Zeugnis  dafür  ist  nicht  vorhanden.  Im  4.  Abschnitte,  in  dem  die 
ersten  christlichen  Sekten  genannt  werden,  fehlen  die  Montanisten, 
deren  nur  beiläufig  im  Leben  des  Tertullian  (6.  Abschn.)  gedacht 
wird.  Im  5.  Abschnitt  überschrieben :  „Die  apostolischen  Väter", 
ist  der  anonyme  Brief  an  Diognet  angeführt,  welcher  doch  in  die 
apologetische  Litteratur  gehört.  Die  Apologeten,  die  einen  be- 
sonderen Abschnitt  verdienten,  sind  überhaupt  nicht  erwähnt.  In 
der  Aufzählung  der  apostolischen  Väter  heifst  es:  2,  Hermes;  Hirt 
des  Hermes  (pastor).  Der  richtige  Name  aber  ist  nicht  Hermes, 
sondern  Uermas. —  Der  Märtyrertod  des  Ignatius  von  Antiochien 
unter  Trajans  Regierung  ist  jedenfalls  später  als  in  das  Jahr  106 
T.  Chr.  zu  setzen.  —  Wenden  wir  uns  zu  den  Abschnitten,  welche 
eine  spätere  Zeit  betreffen,  so  ist  auch  hier  stellenweise  eine  Än- 
derung wünschenswert.  Von  den  Bestimmungen  des  Wormser 
Konkordates  vom  Jahre  1122  (23.  Abschn.)  heifst  es,  die  Wahl 
der  Bischöfe  durch  die  Kapitel  solle  in  Gegenwart  des  Kaisers  ge- 
schehen, dann  die  Investitur  mit  Ring  und  Stab  durch  den  Papst 
und  zuletzt  die  Belehnung  mit  den  Regalien  durch  den  Kaiser  er- 
folgen.    Dies  ist   aber   nicht  die  1122  für  Deutschland,    sondern 


310     M.  Miller,  Schillers  Waileosteia,  aa§:ez.  vod  A.Jonas. 

für  die  aufserdeutschen  kaiserlichen  Vasallenländer  festgesetzte 
Reihenfolge  der  drei  Akte.  In  Deutschland  sollte  vielmehr  die 
Belehnung  durch  den  'Kaiser  der  Investitur  durch  den  Papst 
vorangehen.  —  Bonifacius  VIII.  ferner  lebte  nicht  um  1204,  son- 
dern kam  erst  1294  zur  Regierung.  Wahrscheinlich  liegt  bei 
jener  Angabe  ein  Druckfehler  vor.  —  Der  24.  Abschnitt  mit  der 
Überschrift:  „Wichtige  Konzilien"  fuhrt  neben  denen  von  Pisa 
(1409),  Konstanz  und  Basel  auch  das  Konzil  zu  Pisa  vom  J.  1511 
auf.  Allein  dieses  letztere  war  ein  Werk  nur  der  französischen 
Politik.  Es  wurde  bald  nach  Mailand,  dann  nach  Asti  und  end- 
lich nach  Lyon  verlegt,  wo  es  1512  resultatlos  endete.  Zu  den 
^,wichtigen'^  Konzilien  kann  es  also  nicht  gerechnet  werden. 

Schliefslich  sei  noch  daran  erinnert,  dafs  in  dem  46.  Ab- 
schnitte, welcher  von  dem  Stifter  und  den  Gelübden  des  Jesuiten- 
ordens handelt,  doch  auch  der  Moralgesetze  und  der  Kasuistik  der 
Jesuiten  zu  gedenken  ist. 

Berlin.  J.  Heidemann. 

P.  Hellwigp,  P.  Hirt,  U.  Zernial,  Deutsches  Lesebach  für  höhere 
Schulen.  3.  Teil:  Lesebuch  für  Quarta.  Dresden  1893,  L.  £hler- 
maon.     VIR  n.  312  S.  8.  2  M,  geb.  2,50  M. 

Dieser  Teil  enthält  aus  der  erzählenden  Prosa  Fabeln  und 
Parabeln,  Märchen,  Erzählungen,  Sagen  (griechische,  germanische) 
und  Bilder  aus  der  Geschichte  des  Altertums  und  der  neueren 
Zeit.  Unter  der  Bezeichnung  der  neueren  Zeit  ist  auch  das  Mittel- 
alter inbegrilTen.  Dann  folgen  aus  der  beschreibenden  und  schil- 
dernden Prosa:  Bilder  aus  der  Natur  und  Erdkunde  und  kleinere 
Beschreibungen  und  Schilderungen.  Im  poetischen  Teile  enthält 
der  Abschnitt  „epische  Poesie'*:  Reinispruche,  Fabeln  und  Parabeln, 
Märchen,  Legenden,  Sagen  und  Geschichten,  „Aus  dem  Menschen- 
leben'*, während  in  die  Sammlung  der  lyrischen  Poesie  weltliche 
und  geistliche  Lieder  Aufnahme  gefunden  haben.  Ein  gramma- 
tischer Anhang  behandelt  aus  der  Satzlehre  den  einfachen  und 
zusammengesetzten  Satz  und  Satzbilder  und  giebt  einige  Beiträge 
zur  Wortbildungslehre. 

Die  Auswahl  des  prosaischen  und  des  poetischen  Teils  ist 
durchaus  zweckmäfsig  und  geschickt;  für  die  poetischen  Stöcke 
läfst  sich  sehr  gut  eine  innere  Verbindung  mit  dem  übrigen 
Unterrichtsstoffe  herstellen;  für  die  prosaischen  ist  das  selbstver- 
ständlich, da  die  Auswahl  in  dieser  Rucksicht  getroffen  ist 

Giefsen.  Herman  Schiller. 

Schiller,  Wallenstein.  Mit  vielen  Fragen  und  Aufgaben  behofs  An- 
leitUDg  zum  Machdeukeo  nad  Selbstfiodeo  u.  s.  w.  herausgegeben  voo 
Max  Miller.  Trier  1693,  Heinrich  Stephanus.  292  S.  8.  kart. 
1,20  M. 

Die  Ausgabe  will  neben  sauberer  äufserer  Ausstattung  einen 
korrekten  Text  bieten  mit  Ausscheidung  aller  Stellen,  welche  das 


B.  Delbrück,  Syntax  d.  indogerm.  Spr.,  ä§z,  v.  H.  Ziemer.      3t  1 

Sitdichkeitsgefühl  irgendwie  verletzen  können  und  zugleich  eine 
AnleiluDg  za  wahrhaft  geistbildender  Lektüre  und  selbständiger 
Auffassung  und  Erweiterung  des  Lehrstoffes.  —  Die  Werke  un- 
serer grofsen  Dichter,  welche  seit  Jahren  in  den  oberen  Klassen 
der  höheren  Schulen  gelesen  werden,  bedürfen  solcher  Beschnei- 
düngen  in  usum  Delphini  nicht,  am  wenigsten  Schillers  Wallen- 
stein.  Die  Zeile  aus  der  Kapuzinerpredigt:  „Das  Kalb  nicht  sicher 
in  der  Kuh'*  sollte  doch  fuglich  ein  Schüler  der  oberen  Klassen 
ertragen  können,  ohne  Schaden  an  seiner  Seele  zu  nehmen.  — 
Eine  historische  Einleitung  wird  nicht  gegeben.  In  den  Anmer- 
kungen, welche  unter  dem  Text  gedruckt  sind,  hat  Verf.  Mafs  zu 
halten  gewufst;  sie  konnten  jedoch  am  besten  ganz  fortbleiben. 
Besonderen  Nachdruck  legt  Verf.  offenbar  auf  die  am  Schlufs  jeder 
Szene  von  ihm  zur  Anregung  des  Nachdenkens  aufgeworfenen 
Fragen.  Ich  weifs  nicht,  wie  sich  Verf.  die  geistbildende  Wir- 
kung dieser  Fragen  denkt.  Soll  der  still  für  sich  lesende  Schüler 
diese  Fragen  sich  zu  beantworten  suchen ,  dann  wird  ihm  wohl 
bald  die  Lust  an  dem  Dichterwerke  erlahmen;  soll  der  unter- 
riditende  Lehrer  dieselben  den  Schülern  vorlegen,  dann  sind 
sie  überflüssig  und  können  füglich  dem  nachdenkenden  Lehrer 
selbst  überlassen  bleiben.  Ich  habe  schon  eine  gute  Anzahl  von 
Klassikerausgaben  mit  Anmerkungen  für  Schüler  besprochen, 
komme  aber  stets  zu  demselben  Ergebnis:  weg  mit  denselben  aus 
den  Schulen,  sie  schaden;  ich  wiederhole,  was  ich  schon  einmal 
gesagt:  für  die  Schüler  Texte  ohne  Kommentar,  für  die  Lehrer 
Kommentare  ohne  Text. 

Stettin.  Anton  Jonas. 

I)  B.  Delbroek,  Vergleichende  Syntax  der  iDdogrermanischen 
Spraeheo.  Erster  Teil.  (Karl  BrugmanD  aad  B.  Delbrück,  Grond- 
rifs  der  vergleicheodeD  Grammatik  der  iodogermaDischen  Spracbea. 
Dritter  Baad).  Strafsbarg  1S93,  Karl  J.  Trübner.  XXIV  a.  795  S.  8. 
20  M. 

Bei  der  Anzeige  des  ersten  Bandes  dieses  Grundrisses  spra- 
chen wir  in  dieser  Zeitschrift  den  Wunsch  aus,  es  möchte  diese 
Grammatik  nicht  wie  so  manche  anderen  Grammatiken  unserer 
Zeit  sich  nur  auf  die  Formenlehre  beschränken  und  so  ein  Torso 
bleiben,  sondern  es  möchte  eine  Syntax  in  gleichem  Umfange  und 
gleicher  Anlage  hinzukommen.  Der  Verf.  der  ersten  beiden  Bände, 
Brugmann,  ging  auf  den  Wunsch  ein  und  versprach  eine  Syntax 
zu  bringen,  wobei  er  auf  Delbrücks  Mitwirkung  rechnete.  Schliefs- 
fith  übernahm  aber  Delbrück  allein  die  Syntax.  In  gewisser  Hin- 
sicht ist  dies  zu  bedauern.  Wir  hätten  es  doch  lieber  gesehen, 
wenn  der  Geist  Brugmanns  auch  dieses  Werk,  das  erste  in  seiner 
Alt,  mit  geleilet  und  mit  gefördert  hätte.  In  syntaktischen  Dingen 
ist  zwar  Delbrück  eine  Autorität ,  und  seine  bisherigen  Schriften 
l^ecfatigen  ihn  ohne  Zweifel  zu  einer  solchen  Arbeit.  Sie  ist 
^cb,  im  grofsen  und  ganzen  betrachtet,  eine  recht  achtbare  und 


312     ß*  Delbrück,  Vergl.  Syatax  d.  iudogeriiiAiiisclieD  Spracheo, 

auch  für  den  Philologen  brauchbare  Leistung,  aber  ihr  fehlt  doch 
manches,  was  bei  einer  Mitarbeit  Brugmanns  vermieden  worden 
wäre,  ein  Umstand,  den  nach  dem  Vorworte  S.  VI  Verf.  sich  selbst 
nicht  verhehlt. 

Im  Gegensatze  nämlich  zu  den  von  Brugmann  bearbeiteten 
Teilen  mufste  Delbr&ck  von  der  Heranziehung  des  Armenischen, 
Albanesischen  und  Keltischen  völlig  absehen.  Wir  Philologen 
können  dies  eher  verschmerzen  als  die  Sprachforscher  von  Fach. 
Weniger  begreifen  wir  die  aufserordentiich  wohlwollende  und 
reichliche  Behandlung  des  Slavischen  und  Litauischen  gegenüber 
den  oft  dürftigen  Bemerkungen,  mit  denen  das  Lateinische  abge- 
funden wird.  Man  gewinnt  oft  den  Eindruck,  dafs  der  Verf.  ab- 
sichtlich lateinischen  Sprachgebrauch  übergeht,  über  den  man 
Aulschlufs  erwartet,  oder  manches  als  selbstverständlich  betrachtet, 
was  gar  sehr  der  Erklärung  bedarf.  So  vermissen  wir  zum  Bei- 
spiel bei  der  Lehre  vom  Akkusativ  gänzlich  eine  Erwähnung  des 
Akkussativs  bei  den  Impersonalien,  der  doch  gewifs  zu  den  ,,An- 
wendungstypen*'  gehört,  auf  welchen  die  ganze  Darstellung  natur- 
gemäfs  aufgebaut  ist  Oder  wird  dieser  Typus  erst  später  seine 
Erklärung  Onden?  Für  die  zurücksetzende  Behandlung  des  La- 
teinischen durfte  Verf.  nicht  als  Grund  anführen  (S.  87),  dafs  wir 
gerade  jetzt  eine  historische  Syntax  des  Lateinischen  zu  erwarten 
haben.  Im  Gegenteil,  die  letztere  hätte  gerade  der  Anlehnung  an 
diese  vergleichende  Syntax  gar  sehr  bedurft.  Denn  die  „histo- 
storische*'  Syntax  kann  nicht  vom  Indogermanischen  und  Alt- 
indischen ausgehen,  sondern  mufs  sich  auf  eine  Verfolgung  des 
Sprachgebrauches  innerhalb  der  Einzelsprache  beschränken;  Auf- 
gabe der  vergleichenden  Syntax  ist  es  aber,  alle  einigermalsen 
bedeutenden  Gebrauchstypen  der  Einzelsprache  im  Lichte  der 
Sprachwissenschaft  zu  beleuchten  und  zu  klären.  Für  die  histo- 
rische Grammatik  und  die  Philologie  überhaupt  war  daher  eine 
stiefmütterliche  Behandlung  des  Slavischen  eher  erträglich  als  des 
Lateinischen. 

Andererseits  hätte  eine  Mitarbeit  Brugmanns  vielleicht  ver- 
hindert, dafs  die  Litteraturangaben  nur  spärlich  und  nur  hier  und 
da  eingestreut  erscheinen,  dafs  manches  unentschieden  gelassen, 
ja  die  Beantwortung  mancher  Frage  ganz  abgelehnt  wird.  Zwei 
sehen  und  wissen  immer  mehr  als  einer.  W^ir  tadeln  nicht,  dafs 
Verf.  in  der  Aufnahme  neuerer  Vermutungen  zurückhaltend  ge- 
wesen ist,  „so  zurückhaltend,  dafs  ich  gewifs  manchen  meiner 
Fachgenossen  veraltet  erscheinen  werde*'  (S.  VI).  Aber  auch 
Vermutungen  zurückzuweisen,  ist  sehr  oft  am  Platze  auf  einem 
Gebiete,  wo  so  vieles  unsicher  und  hypothetisch  ist,  wie  denn 
Verf.  selbst  oft  genug  sich  genötigt  sieht,  eigene  Vermutungen 
zu  bringen,  welche  vielleicht  ein  anderer,  wie  Brugmann,  abge- 
lehnt hätte. 

Trotz  dieser  Unvollkommenheiten  oder  Lücken,  die  uns  be- 


aogez.  voD  H.  Ziemer.  313 

» 

dauerljch  erscheinen,  stehen  wir  nicht  an,  das  Werk,  eben  weil 
es  eiue  erste  Grundlegung  auf  einem  bisher  unbebauten  Gebiete 
hi  und  namentlich  im  Hinblick  auf  den  fast  unendlichen  Stoff, 
der  Id  ihm  bewältigt  worden  ist,  filr  eine  bewunderns-  und  dan- 
kenswerte Leistung  zu  erklären.  Was  Delbrück  bietet,  ist  noch 
immer  genug  für  jeden,  der  aus  der  vergleichenden  Sprachbe- 
IrachtuDg  Aufschlösse  ober  die  syntaktischen  Grundbegriffe  und 
ifpischeo  Erscheinungen  erhalten  will.  Denn  nur  auf  diese  Typen 
kann  sich  eine  vergleichende  Betrachtung  ausdehnen.  Die  Ge- 
brauchstypen sind  entweder  in  den  Sprachen  noch  lebendig  und 
weiterbilduogsfähig  wie  der  Genitivus  objectivus,  oder  erstarrt  wie 
der  zeitbestimmende  Genitiv  des  Tags  u.  ä.  (aber  nicht  der  Woche). 
Soweit  es  irgend  möglich  ist,  sucht  Verf.  die  Grundbegriffe  und 
die  typischen  Gebrauchsweisen  auf  dem  kombinatorischen  Wege 
in  der  Grundsprache,  und  in  dieser  scharfsinnigen,  oft  genialen 
Anknüpfung  und  Verknüpfung  der  Thatsachen,  die  den  Verf.  man- 
ches glückliche  Ergebnis  finden  läfst,  sehen  wir  die  Hauptstärke 
seines  Buches. 

Die  Einleitung  ist  zwar  etwas  lang  (88  S.),  aber  keineswegs 
überflüssig.  Denn  sie  zeigt,  wie  die  wichtigsten  der  syntaktischen 
Begriffe  in  der  ?ielhundertjährigen  wissenschaftlichen  Entwickelung 
allmählich  hervorgetreten  sind,  sich  vererbt  und  verändert  haben, 
liier  kommt  vor  allem  der  Einflufs  der  Philosophie  auf  die  Syntax 
in  Frage.  Von  der  Techne  des  Dionysius  Thrax  bis  auf  Herrn. 
Panls  Prinzipien  der  Sprachgeschichte  wird  der  allmähliche  Fort- 
schritt der  syntaktischen  Erkenntnis  in  durchsichtiger  Klarheit 
dargelegt.  Das  Urteil  über  die  Leistungen  der  Vergangenheit, 
2.ß.  eines  Dionysios  Dyskolos,  des  Vaters  der  Syntax,  eines 
Sanctius,  G.  Hermann,  VV.  von  Humboldt  steht  ja  fest,  aber  auch 
die  Neueren  wie  Älfr.  Ludwig,  Brugmann,  Steinthal,  H.  Paul  wer- 
den in  aller  Objektivität  gewürdigt.  Das  sind  nun  alles  hochbe- 
deutende  Männer,  mit  denen  der  Schreiber  dieses  sich  in  keiner 
Weise  messen  kann  und  mag,  aber  vielleicht  hätte  es  zumal  hier 
die  Gerechtigkeit  erfordert,  wenn  auch  nur  in  einer  bescheidenen 
FnIsDote  zu  erwähnen,  dafs  Ref.  zuerst  psychologische  Betrach- 
tung auf  die  Syntax  auszudehnen  im  Jahre  1879  versuchte  und 
seitdem  weiter  auf  diesem  Gebiete  thätig  gewesen  ist,  wie  andere 
nach  ihm,  dals  einzelne  Kapitel  der  mit  Recht  gefeierten  „Prin- 
zipien'' Pauls,  soweit  sie  Syntaktisches  behandeln,  auf  diesen  Vor- 
arbeiten fufsen.  Es  liegt  mir  aber  fern,  dem  Verf.  hieraus  einen 
Vorwurf  zu  machen,  denn  er  ist  selbst  so  bescheiden,  seiner 
eigenen  Verdienste  um  den  Ausbau  der  Syntax  an  jener  Stelle 
gar  nicht  zu  gedenken. 

Nach  den  geschichtlichen  Erörterungen  geht  Delbrück  zur 
Vorfahrung  seiner  eigenen  Ansichten  über  (S.  73  IT.).  Er  gelangt 
Dach  Abweisung  anderer  Definitionen  zu  folgender  Definition  des 
^tzes:     „Ein  Satz   ist  eine  in  artikulierter  Rede  erfolgende  Äu- 


314     ^-  Delbrück,  Verg^l.  Syotax  d.  indogermoDiucheo  Sprachen, 

fseruDg,  welche  dem  Sprechenden  und  Hörenden  als  ein  zusam- 
menhängendes und  abgeschlossenes  Ganzes  erscheint''.  Eingliedrige 
Sätze,  an  deren  Existenz  Delbrück  festhält,  sollen  in  dieser  Defi- 
nition ausdrücklich  einbegriffen  sein.  Er  teilt  nicht  ganz  die  Auf- 
fassung Pauls  vom  Satze,  ohne  zu  erwähnen,  dafs  Fr.  Kern,  der 
also  definiert:  „Satz  ist  sprachlicher  Ausdruck  eines  Gedankens 
mit  Hülfe  eines  finiten  Verbums''  hiermit  eine  besonders  beach- 
tenswerte Definition  aufgestellt  und  in  seiner  „Deutschen  Satz- 
lehre", 2.  Aufl.  S.  31ff.  bereits  nachdrücklich  gegen  Paul  sich  ge- 
wendet  hat.  Für  Delbrück  lag  so  die  Notwendigkeit  vor,  Kern 
zu  bekämpfen.  Denn  wenn  man  vom  Vokativ  und  von  der  Inter- 
jektion absieht,  so  bleiben  nur  noch  die  Impersonalien  übrig,  und 
für  diese  pafst  Kerns  Definition  jedenfalls.  Es  bleibt  nur  übrig, 
alles  andere  wie  das  Jjessingsche  Klagen,  nichts  ah  Klagen!  als 
unvollkommene  Sätze  zu  bezeichnen. 

Es  folgt  eine  Fünfteilung  der  Satzteile:  Wörter  als  Substrate 
der  Aussage  (Substantiva  und  Substantivierungen),  Aussage- Wörter, 
attributive,  verbindende,  hervorhebende  Wörter.  Einige  Partikeln 
freilich  wie  die  Negationen  und  einzelne  andere  entziehen  sich 
dieser  Einteilung.  Unter  Syntax  versteht  D.  die  Lehre  vom  Satze 
und  seinen  Teilen,  stellt  aber  in  seinem  Buche  die  Satzteile 
voran,  wobei  er  mit  dem  Nomen  beginnt,  und  zwar  mit  dem 
Geschlecht  der  Substantiva;  hier  geht  Verf.  von  den  alten  Genus- 
regeln, wie  sie  die  Schultradition  erhalten  hat,  aus,  um  hieran 
die  Bedeulungs-  und  die  Formgruppen,  sowie  die  Mehrgescblech- 
tigkeit  anzuknüpfen.  Dann  folgen  die  Numeri,  die  Kasus;  zweck- 
mäfsig  wird  letzteren  ein  längerer  geschichtlicher  Abschnitt  über 
die  Grundbegriffe  der  Kasus,  beginnend  mit  den  Lehren  der  in- 
dischen Grammatik,  und  über  den  Synkretismus,  die  Mischung 
der  Kasus,  vorangeschickt.  Ein  ähnlicher  einleitender  Abschnitt 
dispositiven  Inhalts  wird  jedem  einzelnen  vorangeschickt.  S.  400  ff. 
folgen  das  Adjektivum,  460  die  Pronomina,  522  die  Zahlwörter, 
536  dieAdverbia;  ihnen  wird  eine  allgemeine  Übersicht  über  ihr 
Gebiet,  die  Erstarrungsvorgänge  und  die  hauptsächlich  zu  ihrer 
Bildung  verwendeten  Begriffe  vorangeschickt,  worauf  die  sehr 
zweckmäfsige  Einteilung  der  Adverbialbildungen  nach  den  Kasus 
!  folgt.     Den  Schlufs  bilden    die  Präpositionen;    nach   einleitenden 

I  allgemeinen  Bemerkungen  werden  sie  in  alphabetischer  Folge  ge- 

trennt nach  dem  Gesichtspunkt,  ob  sie  zugleich  Präverbia  (ge- 
trennt vom  Verbum)  sind  oder  nicht.  Endlich  werden  die  Prä- 
positionen nach  den  Einzelsprachen  besonders  aufgezählt  (754  ff.) 
und  zwei  Seiten  Nachträge  und  Berichtigungen  gegeben.  Ein 
!  sehr    dankenswerter   Index    umfafst    die    mit  Kasus    verbundenen 

Verba   und  Adjektiva   dieses  Bandes;    ein  vollständiger  Index    soll 
nach  Schlufs  des  ganzen  Werkes  folgen. 

Hiermit  glauben  wir    unserer  Aufgabe    gerecht  geworden    zu 
sein:    auf   die  wertvolle  Reichhaltigkeit  wie    auf  gewisse  Unvoll- 


angez.  voo  H.Ziemer.  315 

koiDDi«nheiten  des  Buches  hingewiesen  zu  haben.  Um  diese  An- 
zeige nicht  zu  sehr  auszudehnen,  beschränken  wir  uns  in  dem 
Eingehen  auf  Einzelheiten.  S.  110  entwickelt  Verf.  die  Gründe, 
weshalb  im  Lateinischen  Wörter  auf  -a  als  Maskulina  auftreten. 
Ohne  mich  dem  Gewicht  seiner  Gründe  zu  verschliefsen ,  denke 
ich  doch,  dafs  Verf.  den  Einflufs  alter  Cognomina  wie  Scaevola, 
irsoj  Coila,  Galba,  Glaucia,  Pansa  u.  ä.  übersehen  hat.  Sie,  die 
ursprunglich  appellative  Feminina  zu  Maskulinen  werden,  können 
sehr  wohl  darauf  eingewirkt  haben,  dafs  analogisch  gebrauchte 
AppellatiTB  wie  aurtga,  vema  zu  reinen  Maskulinen  wurden. 
Oberhaupt  scheint  mir  Verf.  den  mächtigen  Einflufs  der  Analogie 
in  den  Gebilden  der  Syntax  in  seinem  ganzen  Werke  nicht  genug 
berrorgehoben  zu  haben.  Er  hält  den  historischen  Weg  für  den 
vornehmlich  gangbaren,  mufs  aber  auch  hier  zu  vielfachen  Kom- 
binationen greifen.  Ohne  diese  kommt  man  eben  nicht  aus, 
wenn  man  eine  sprachliche  Schöpfung  alter  Zeit  erklären  will 
Unbedingt  hat  D.  darin  Recht,  dafs  der  lateinische  Gebrauch  der 
Wörter  auf  -a,  die  Maskulina  sind,  sich  unabhängig  von  dem 
Griechischen  entwickelt  hat,  und  dafs  man  höchstens  von  einer 
Parallelerscheinung  sprechen  darf.  —  An  der  Auffassung  des  Ab- 
lativs (S.  182),  dafs  er  ursprünglich  nur  im  Singular  der  Prono- 
mina entwickelt  war,  später  mit  Dativ  zusammenfiel,  im  Plural 
schon  seit  Alters  her,  sodann  auch  mit  dem  Genitiv,  und  wie 
dies  kam  —  an  dieser  von  Delbrück  klar  dargelegten  Auffassung 
lilst  sicli  nun  wohl  nicht  mehr  rütteln.  Gerade  die  Erörterung 
der  Grundbegriffe  des  Kasus  S.  172  ff.  gehört  zu  den  Glanzpunkten 
des  Werkes.  Das  Ergebnis  ist  kurz  folgendes:  die  Kasus  drücken 
Verhältnisse  des  Substantivbegriffs  zu  dem  Verbalbegriff  aus.  Er 
kann  Träger  oder  Mittelpunkt  der  Handlung  sein  (Nominativ), 
oder  von  ihr  betroffen  werden,  und  zwar  entweder  nahe  und 
ganz  (Akkusativ)  oder  teilweise  (Genitiv),  oder  so  dafs  die  Hand- 
long  mit  Hinblick  und  Rückblick  auf  den  Substantivbegriff  ge- 
sdiieht  (Dativ).  Dieser  kann  ferner  bei  der  von  dem  Träger  voll- 
zogenen Handlung  eine  begleitende,  helfende,  dienende  Stellung 
donehmen  (Instrumentalis).  Endlich  kann  er  den  Punkt  angeben, 
von  dem  ans  die  Handlung  erfolgt  (Ablativ)  oder  den  Ort,  inner- 
halb dessen  sie  sich  abspielt  (Lokalis).  Das  Ziel,  dem  die  Hand- 
lung zustrebt,  wurde  also  ursprünglich  durch  Kasus  nicht  be- 
zeichnet, entwickelte  sich  aber  am  Akkusativ  und  Dativ.  Hieraus 
folgt:  unhistorisch  ist  die  Auffassung  Deeckes  in  seiner  Latei- 
nischen Schulgrammatik  §  263.  274,  der  den  Wenfall  und  den 
Wemfall  ursprünglich  räumliche  Fälle  sein  läfät,'die  beide  auf 
die  Frage  wohin?  das  Ziel  angeben,  wohin  die  Bewegung  sich 
richtet  otler  erstreckt,  bezw.  wo  sie  zur  Ruhe  kommt.  Eine  solche 
■nhistorisclie  .'Auffassung  sollte  auch  in  einer  Schulgrammatik  nicht 
gelehrt  werden,  namentlich  kann,  wie  Delbrück  S.  184  zeigt,  am 
allerwenigsten  der  Dativ  seinem  Ursprünge  nach  lokalistisch  sein. 


315     B.  Delbrück,  Syotax  d.  indogerm.  Spr.,  agi.  v.  H.  Ziemer. 

Die   Gründe   für   das  Verschwinden    des  Abi.  Lok.  Instr.  werden 
S.  198  einleuchtend  vorgeführt.  —  Bezuglich  der  §§  92.  196.  197 
(AJ)1.  beim  Komparativ,    Berührung  des  Komp.  und  Superlativ  in 
Konstruktion  und  Bedeutung,  dopp.  Komp.)  —  wo  Verf.  mir  die 
Ehre  der  Erwähnung  zuteil  werden  läfst  —  hätte  ich  gewünscht, 
dafs    derselbe    die    erneute    Prüfung    dieses    Gegenstandes    bei 
0.  Schwab,    Hist.   Syntax    der   gr.    Komparation  I  (Würzburg, 
Staber,  1893)  bereits  gekannt  hätte,    wo  S.  38  sowohl  Delbrücks 
wie  meine  Aufstellungen  in  manchen  Punkten  korrigiert  werden, 
während  er  in  der  Hauptsache  uns  beistimmt.  —  S.  220  wird  an 
dem  Lokativ  in  anmt  pendere  festgehalten.  Trotz  manchen  Wider- 
spruchs namhafter  Grammatiker  habe  ich  in  meiner  Lat.  Gr.  §  199 
A.  2  den  Kasus  ebenso  erklärt.   —   Eine  vorzügliche  Klarstellung 
erhält  S.  274 ff.  der  homerische  Kasus   auf  -9».    —    Bemerkens- 
wert, aber  zunächst  auffallend  ist  die  S.  308  und  186.  333  ver- 
fochtene  Ansicht,  dals  der  adverbale  Genitiv  älter  sei  als  der  ad- 
nominale,    eben  weil    er  ein  verengerter  Akkusativ  sei.     Aus    er 
ifst  des  Brodei,  .einen  Bissen,  sei  man  leicht  zu  er  ifst  des  Brodes 
einen  Bissen  gelangt,    so  dals    auf  diese  Weise  die  Kategorie  des 
partitiven  Genitivs  bei  Substantiven  zuerst  entstand.   Diese  scharf- 
sinnige Hypothese  würde   an  Wahrscheinlichkeit  gewinnen,   wenn 
sich    aus   den    nichtindogermanischen  Sprachen   analoge  Prozesse 
nachweisen  liefsen.   Aber  die  finnischen,  drävidischen,  kolarischen 
Sprachen,  das  Koreanische  behandeln  den  Genitiv  rein  adnominal 
(v.  d.  Gabelentz,  Sprachw.  442).    Welches  Verhältnis  das  ursprüng- 
liche war,    läfst  sich  also  wohl  nur  durch  Vergleichung  der  Aus- 
drucksweise der  verschiedensten  Sprachstämme  erkennen.  —  Dafs 
der  lat.  Gen.  pretii  ein  prädikativer  Genitiv  ist,    wird   jetzt  auch 
durch   die  Untersuchung  von  Landgraf,    Beitr.  zur   lat.  Kasus- 
syntax (Bamberg  1894]  bestätigt.     Delbrück  möchte  S.  329   auch 
den  Genitiv    bei    den  Verba  iudicialia    hier   anlehnen.     Wenn    er 
die  oben  genannte  Schrift,    die  auch  refert  und  interest  ganz  in 
unserem    Sinne   erklärt,    eingesehen,    dürfte    er  von   seiner  An- 
nahme, dafs  re  Nominativ  ist,  mit  der  er  ganz  allein  steht,  wohl 
abkommen.  —  S.  387  würden  wir  die  lateinischen  Beispiele  durch 
iusta  orator  Plaut.  Amph.  34,   datar  divitias  ergänzen.  —  S.  393 
vermissen  wir  den   nhd.  Akkusativ  der  Beziehung  z.  B.  so  lag  er 
da,  die  Glieder  wie  gelähmt,  den  Mund  offen  u.  s.  w.  Sollte-  dieser 
Akkusativ,  wie  ich  es  in  der  Lat.  Gr.  §  172  A.  gethan  habe,  sich 
nicht  mit  dem  lat.  os  hnmerosque  deo  similis,  nudus  membra  ver- 
gleichen lassen?    Verf.  erblickt  in  diesen  lateinischen  Wendungen 
griechische  Entlehnung,  da  aufser  aind.  näma  und  den  Nachahnaun- 
gen  desselben,  sowie  den  griechischen  bekannten  Konstruktionen 
in  den  übrigen  Sprachen  dieser  Akkusativ  nicht  mehr  vorhandeu  ; 
zu  sein  scheine.  —  Sehr  hübsch  klärt  sich  nach  S.  424  die  Thai-  ! 
Sache,   dafs  cder,  princeps  cet.  nur  Adjektiva  einer  Endung  sind.  1 
—  Zu  S.  538  möchte  ich  hinzufügen,   dafs  die  von  D.  dort  er-1 


j 


A.  Pick,  Wörterb.  der  indogerm.  Spr.,  ags.  v.  H.  Ziemer.     317 

örterte  Erstarrung  auch  ein  Subst.  mit  Adjektiv  trifft  wie:  einen 
grofsen  Bogen  [weißes  Papier  (nicht:  weifsen  Papiers),  wie  bei 
Grimm'y  Uirtenbüblein  zu  lesen.  —  Ebenso  zu  S.  596  und  304 
(Akk.  der  Richtung,  des  Zieles)  noch  das  lateinische  missum  in 
missum  faeere^  das  man  nicht  als  Supinum  erklären  darf,  auf 
Grund  yod  Stellen  wie  cohortes  ad  me  missum  facias  Cic.  Att. 
8,  t2B,  wo  eine  Emendation  ganz  überflüssig,  vgl.  Gromat.  p.  351, 
23  eolores  .  .  .  et  genera  notum  faciam;  Oribas.  Syn.  7,  48  haee 
omnia  probatum  habemus,  einem  französischen  les  lettres  que  j'ai 
re^ues  (receptas)  entsprechend.  Dieses  mismm  steht  in  gleichem 
syntaktischen  Verhältnis  wie  venum,  pessum^  domumf  deutsch  heim^ 
und  infiiias  in  infUias  ire.  —  S.  672  fragt  Verf.,  ob  interrogare 
wohl  heifse  „fragend  dazwischen  treten*'?  Sicherlich,  vgl.  inter- 
fMare.  —  S.  709  perdere  heifst  etymologisch  genau  verthun  und 
eBtspicht  so  ganz  dem  Sinne  nach  unserem  deutschen  Ausdruck. 

Der  Druck  ist  mit  peinlicher  Sorgfalt  überwacht,  die  Aus- 
stattung ebenso  vortrefiflich  mit  Augen  schonendem  Drucke  wie 
in  den  früheren  von  Brugmann  verfafsten  Bänden.  Es  ist  mir 
nur  aufgefallen  S.  459  Z.  7  von  unten  nullus  st.  null i 8  (venit), 
538  Mitte  Mensehen  st.  Menschen.  Für  einen  alten  Grammatiker 
eodlich  klingt  das  Beispiel  S.  773  ^,Tauno  tenuSj  vom  Taunus 
an  gerechnetes  komisch,  da  Tauro  tenus  aus  Cic.  Deiot.  13,36  jedem 
Laieiner  bekannt  ist.  Vielleicht  liegt  auch  hier  ein  Druck- 
fehler vor. 

Die  reichen  Schätze  der  Belehrung,  die  in  dieser  Syntax 
aufgespeichert  sind,  ganz  dazu  angethan,  manchen  Wissensdurst 
zu  stillen  und  zu  weitereu  Forschungen  anzuregen,  müfsten  in 
jeder  Gymnasialbibliothek  dem  unterrichtenden  Lehrer  zugäng- 
lidi  sein. 

2)  Ao^QSt  Fick,  Verg^leichendes  Worterbach  dez  indogerma- 
nischeD  Spracheo.  4.  Aoflage.  Zweiter  Teil:  Wortschatz  der 
keltischeo  Spracheioheit  (tJrkeltischer  Sprachschatz)  voo  Whitley 
Stokes.  Übersetzt,  überarbeitet  ODd  herausgegeben  voo  Adalbert 
ßezzenberger.  GöttiogcD  1894,  Vandeohoeck  und  Raprecht.  V1I1 
n.  337  S.  8.    8,60  M. 

Ober  den  Wert  und  die  Vorzüge,  die  Anlage  und  Ausstattung 
dieser  neuen  Auflage  des  Wörterbuchs  von  Fick  haben  wir  im 
46.  Bande  dieser  Zeitschrift  S.  477  fr.  gesprochen.  Mehr  als  drei 
Jahre  später  ist  nun  der  IL  Band,  den  urkeltischen  Sprachschatz 
enthaltend,  von  der  Hand  des  kundigen  Keltologen  Stokes  ver- 
£a(st  und  von  Ad.  Bezzenberger  übersetzt,  überarbeitet  und  her- 
au^egeben,  erschienen.  Von  ihm  gilt  im  wesentlichen  alles,  was 
dort  über  den  I.  Teil  bemerkt  worden  war.  Er  ist  auch  nicht 
miDder  lehrreich  nicht  blofs  für  den  Sprachforscher  im  allgemeinen, 
sondern  auch  für  den  Philologen,  der  sich  tiefer  in  die  lateinische 
oder  griechische  Sprache  versenkt.  Wir  wollen  zum  Beweise 
dessen  nur  einiges  anführen. 

Man  ersiebt  zunächst  aus  diesem  Teile,    welche  lateinischen 


31S     A*  Pick,  Wörterb.  der  iDdogerm.  Spr.,  agz.  v.  H.  Ziemer. 

Wörter  echt  gallischen  Ursprungs  sind.  Da  fällt  zuerst  alauda 
die  Haubenlerche  auf,  während  das  keltische  kolombd  (wir  ci- 
tieren  stets  urkeltische  Grundform,  wo  nichts  weiter  angegeben 
ist)  eher  aus  dem  Lateinischen  entlehnt  scheint.  Ferner  sind  echt 
keltisch:  älce  Elch;  amhactos;  Älbeis  die  Alpen;  die  Namen  der 
Wagen  carpentum  und  reda;  sagulum  Kriegsgewand;  vergohretus 
(von  verg  wirken,  also:  celui  dqnt  le  jugement  (breta)  est  eflicace 
nach  d'Arbois  de  Jubainville,  Etudes  sur  le  droit  celtique  108), 
Vergilim;  das  spätlateinische  cambiare  wechseln,  tauschen  aus 
kmbion,  ir.  cimb  Silber;  vgl.  Gallia  bracata  (von  brdka  Bein- 
kleid) u.  a. 

Ferner    kann   man    hier    die  Erklärung   der  verschiedensten 
latinisierten  keltischen  Namen  Gnden,    ein  Umstand,    der  jedem 
Cäsar-Erklärer  interessant  sein  mufs.   Nur  einige  Beispiele:  Atre- 
bates  =  possessores;    Ällobroges  etwa  =  die  Welschen  aus  äU.og 
und  brog  =mrog  Land;  Arnos  =  arnos  Strom,  Adda  „die  schnelle*', 
Aremorici  .,die  beim  Meer  wohnenden'*  =  Pomerani,   Pommern; 
Argentoratum  „Weifswand";    Dubis   „der  dunkle**;    Benacus  „der 
spitzige'*;    Bituriges    „Weltherrscher"    (von    rix,    rÄx    Herrscher, 
König);  vgl.  Caturiges  von  kam  Kampf,  Catuvolcus,  Cingetotix  von 
kenget  Krieger,  also  Ver-cingeto-rix  =  der  über  {ver)  Krieger  Herr- 
scher;   Tanaros  „der  brausende**;    Mediolanum  Mitte  der  Ebene; 
der  zweite  Teil  der  Komposita  zeigt  -brigd  Macht  in  Niiiobfiges; 
'dunon  Burg,   Schlofs  (ähnlich  -duro:    Ododums)  in  Noviodtmum 
Neuenburg  u.  a.;  -mdros  grofs  in  Virdomaru$  cet.  vgl.  Maro,  das 
cognomen  Vergils;   -magos  Feld,   Ebene   in   Nomomagus  Neufeld. 
Dagegen   Cassi   in    Cassivellaunus  u.  a.   ist  indogermanisch,   vgl. 
Cassandra,     Oberhaupt  verrät    dieses  Wörterverzeichnis    fast    auf 
jeder  Seite    den    engen  Zusammenhang    des  Keltischen    mit    den 
übrigen  indogermanischen  Sprachen,  vor  allen  aber  mit  dem  La- 
teinischen.    Wir  finden  hier  hunderte  von  lateinischen  Stämmen 
und  Wörtern  wieder,  wie  angu  =  Schlange,  arö  pflöge,  aratro  = 
Pflug,  argento  glänzend  weifs,  Silber,  ardvos  hoch,   alo  ernähre, 
assan  (irisch)  Esel,  aus  asinm  direkt  entlehnt,  edo  ich  esse;    en- 
sedon  Kriegswagen,  laL  essedum,  gr.  ivedqa^  iVero  =  fortis,   vgl. 
gr.  äv'qq  Mann,  germ.  Nerthus.  Kunos  hoch,  deutsch  hünB.     Got. 
tisam  ist  aus  dem  Kelt.  eisamo,  ebenso  ist  nhd.  btnne  =  Futter- 
krippe von  hier  entlehnt;    das  Negativpräfix   kelt.  an-  entspricht 
dem  griech.  und  osk.  an-,  lat.  in-  (auch  als  Intensivpräfix),  ebenso 
dem   deutschen   un-\    kelt.    aballo  unserem    Apfelbaum;    altkeit. 
nomso  Brauch,  Gesetz  dem.  gr.  yofiog^  lat.  numerus  und  nummus 
aus  sicil.  pov[ifiog.     Albion  ist  „Weifsland'*. 

Einiges  vermissen  wir.  So  fehlt  Arkona  bei  arkunion  Berg 
S.  18,  Brennus  und  der  italienische  Flufs  Brenta  bei  brend  (bre$ino) 
schwellen  S.  184.  Zu  dubron  Wasser  gehört  vielleicht  Duris  und 
Adour,  zwei  bekannte  Flusse.  Zu  S.  182  brdgnt  =  Hals,  Nacken 
gehört  auch  wohl  ndd.  brägen  Gehirn,  Mark,  Kopf,  ags.  braegen. 


F.  Härder,  Ovids  Metamorphosen,  tD^ez.  von  M.  Koch.     319 

engl,  brarn,  holi.  brein,  mnd.  bragen,  bregen^  vgl.  ir.  brdge,  iat. 
cervix.  Zu  152  doÄrlo  =  Franse,  Locke  läfst  sieb  vielleicht  ndd. 
docke  Büschel,  Bündel  (vgl.  eine  Docke  Seide)  vergleichen.  Gehört 
ferner  S.  234  zu  rou  =  graben  nicht  arrügia  Stollen  im  Berg- 
werk? Und  endlich  warum  ist  in  dem  Verzeichnis  der  Wörter 
von  A  bis  C  nicht  der  Name  Alfred  Holders  erwähnt?  Hält 
Bezzenberger  dessen  „Altkeltischen  Sprachschatz'*  für  so  gering- 
wertig ? 

Kolberg.  H.  Ziemer. 

Orids  Metamorphosen.  Auswahl  für  den  Schol^ebraaeh  von  Franz 
Härder.  Zwei  Bändeben,  Bielefeld  und  Leipzig  1894,  Velhegen  & 
Kissing.  I.  Text,  XVII  u.  164  S.,  IL  KommenUr,  185  S.  8.  geb.  1,20 
n.  1,50  M. 

Es  ist  unter  allen  Umständen  mit  Dank  zu  begrüfsen,  dafs 
die  bekannte  Verlagsfirma  Velbagen  und  Klasing  sich  entschlosseu 
hat,  ihren  deutschen,  französischen  und  englischen  Schulausgaben 
auch  solche  für  den  Unterricht  in  den  klassischen  Sprachen  folgen 
zu  lassen.  Dafs  die  Ausgaben  ihrem  Zweck,  wirkliche  Schulaus- 
gaben zu  sein,  entsprechen  werden,  dafür  bürgt  schon  der  päda- 
gogische Ruf  der  beiden  Herausgeber,  der  Direktoren  H.  J.  Müller 
in  Berlin  und  0.  Jäger  in  Köln.  Ohne  Zweifel  werden  die  Freunde 
des  klassischen  Unterrichts  mit  den  von  den  beiden  genannten 
Herren  ausgearbeiteten  Grundsätzen,  welche  die  Verlagshandlung 
wohl  den  meisten  Kollegen  zugänglich  gemacht  hat,  sich  rück- 
haltlos einverstanden  erklären  können. 

Nach  diesen  Grundsätzen,  auf  welche  näher  einzugehen  der 
Raum  yerbietet,  ist  nun  die  vorliegende  Auswahl  aus  Ovids  Meta* 
morphosen  von  Härder  bearbeitet.  Sie  enthält  nach  einem  kurzen 
Yorwort  knapp  gehaltene,  aber  völlig  ausreichende  Mitteilungen 
über  Ovids  Leben  und  Werke,  die  dem  Standpunkt  des  Tertianers 
bezvr.  Sekundaners  angepafst  sind;  sodann  äufsert  sich  der  Hsgb. 
in  sehr  klarer  Weise  über  den  Begriff  des  Wortes  „Metamor- 
phosen'', wobei  er  auch  des  „Katasterismus''  und  der  „Apotheose" 
gedenkt,  und  giebt  einige  Andeutungen  über  die  Komposition,  die 
Qoelie  und  den  Wert  des  Gedichtes.  Hieran  schliefst  sich  ein  kurzer 
Abschnitt  über  den  Bau  des  Hexameters,  der  gleichfalls  völlig  dem 
Standpunkt  der  jugendlichen  Leser  entspricht.  Dann  folgt  der 
Text,  enthaltend  30  Erzählungen,  und  am  Schlüsse  des  ersten 
Bäodchens  ein  Verzeichnis  der  Eigennamen.  Das  zweite  Bändchen 
endlich  enthält  den  Kommentar. 

Was  nun  zunächst  die  aus  dem  Gesamtwerke  Ovids  ge- 
(roflene  Auswahl  anlangt,  so  hat  sich  H.  im  ganzen  dem  her- 
kömailichen  Kanon  angeschlossen;  einige  kleinere  Stücke  von  ge- 
ringerem Werte,  die  sonst  fehlen  (z.  B.  Invidia  II  760 — 96),  sind 
aafjgenomnien,  wie  Herausgeber  selbst  sagt,  um  am  Schlüsse  des 
Kargos  etwa    übrig  bleibende  Stunden  auszufüllen.     Die  Auswahl 


320     F.  Härder,  Ovids  MetaniorphoseD,  aogez.  von  M.  Roch. 

ist  entsprechend  der  durch  die  neuen  Lehrpläne  eingetretenen 
Beschränkung  der  Ovidlektüre  bedeutend  weniger  umfangreich  als 
die  von  Siebeiis,  enthält  aber  immer  noch  mehr,  als  das  un- 
mittelbarste Bedürfnis  der  Schule  erfordert,  so  dafs  dem  Lehrer 
eine  gewisse  Freiheit  der  Wahl  gewahrt  bleibt.  Ref.  erklärt  sich 
mit  der  getroffenen  Auswahl  einverstanden;  wenn  es  ihm  ver- 
stattet ist,  besondere  Wunsche  zu  äufsern,  so  möchte  er  die  sehr 
schwere  Schöpfungsgeschichte  getilgt  sehen  und  gleich  mit  den 
Weltallern  beginnen,  dagegen  wurde  er  gern  mit  den  Schulern 
gelegentlich  die  Abschnitte  über  Orpheus  (X  u.  XI  Anfang)  lesen, 
zumal  sie  sich  durch  ihre  Kurze  empfehlen  und  gleichfalls  als 
„Lückenböfser*'  dienen  könnten.  Aus  den  späteren  Buchern  ver- 
misse ich  ungern  den  Kampf  der  Lapithen  und  Centauren  (XII), 
eher  würde  etwa  die  schwere  Erzählung  von  Ceyx  und  Alcyone 
(XI)  zu  entbehren  sein,  die  freilich  grofse  poetische  Schönheiten 
aufweist. 

Auch  die  Gestaltung  des  Textes  entspricht  durchaus  den  an 
eine  Schulausgabe  zu  stellenden  Anforderungen;    sie  beruht  na- 
mentlich  auf  den  Forschungen  von  H.  Magnus,   wie  er  sie  teils 
in  seiner  Ausgabe  (Gotha  1885),  teils  in  den  „Studien  zu  Ovids 
Metamorphosen''  (in  Programmen  des  Sophien-Gymnasiums  zu  Ber- 
lin), teils  in  den  Jahresberichten  des  Philologischen  Vereins  nieder- 
gelegt hat,  ferner  auf  der  neuen  Ausgabe  von  A.  Riese.  Da  Magnus 
selbst  für  die  Bücher  VI — XV  seine   eigenen  Forschungen   noch 
nicht  in  den  Text  setzen  konnte,  so  ist  dies  in  Härders  Ausgabe 
zum  ersten  Male  geschehen.  Ref.  möchte  an  einer  Stelle  (VI  201) 
die  Magnussche  Lesart  vorziehen ;  pro  re  („für  die  Veranlassung^*) 
klingt    doch  gar  zu  nüchtern:    wie  viel  lebhafter  ist  propere  ttel 
Auf  die  Zeichensetzung  ist  besonders  geachtet,  wie  ein  Vergleich 
mit  Merkels  Ausgabe  sehr   zu  Gunsten    der  vorliegenden  ergiebt. 
Am  Rande   des  Textes   sind   kurze  Notizen   über  den  Inhalt  ge- 
geben,   die   dem  Schüler   zu    schneller  Orientierung   von  Nutzen 
sein   werden.     Zu  billigen  ist  auch,   dafs  die  herkömmliche  Zäh- 
lung der  Verse  beibehalten  wurde;   mit  Recht  hat  Härder  darauf 
verzichtet,  jedes  Stück  für  sich  zu  numerieren. 

Der  Kommentar  ist,  wie  schon  erwähnt,  in  einem  besonderen 
Bande  beigefügt,  so  dafs  der  Schüler  während  des  Unterrichts 
nur  den  Text  vor  sich  hat.  Derselbe  ist  sehr  sorgfältig  gearbeitet 
und  fufst  auf  einer  verständigen  Benutzung  der  früheren  Er- 
klärer. Es  versteht  sich  von  selbst,  dafs  in  einer  Schulausgabe, 
zumal  auf  so  vielfach  beackertem  Felde,  viel  Eigenes  und  Neues 
nicht  gebracht  werden  konnte;  doch  verweise  ich  in  dieser  Hin- 
sicht z.  B.  auf  Vlil  336 f.,  wo  ausführlich  von  den  verschiedeuen 
Rohrarten  die  Rede  ist.  In  den  mir  zugänglichen  Ausgaben 
ist  diese  Stelle  nur  wenig  berücksichtigt.  Mafsgebend  war  für 
den  Kommentar  der  Gesichtspunkt,  dem  Schüler  einerseits 
das  Vokabelsuchen   in    einem  Lexikon    zu  ersparen,    andererseits 


F.  Holiweiisig,  Grieeh.  Sckolgr.,  tgz.  v.  P.  WeirseofeU.     321 

ihm  die  Auflösung  selbst  schwierigerer  Konstruktionen  ohne  Bei- 
hilfe des  Lehrers  zu  ermöglichen.  Letzterer  wird  auf  diese  Weise 
in  den  Stand  gesetzt,  schon  nach  kurzer  Zeit  zu  einer  umfassen- 
deren Lektüre  zu  schreiten.  Natürlich  mufste  zu  diesem  Zwecke 
der  Umfang  des  Erklärten  ziemlich  bedeutend  sein;  auch  war  es 
selbstverständlich  erforderlich,  in  zweifelhaften  Fällen  lieber  etwas 
zu  yiel  als  zu  wenig  zu  bieten ;  immerhin  bleibt  aber  der  Thätig- 
keit  des  Lehrers  noch  ein  hinreichend  weiter  Spielraum.  Die 
Stücke,  mit  denen  man  die  Lektüre  gern  beginnt,  wie  z.  B. 
Cadmas,  Niobe,  Daedalus,  sind  am  reichlichsten  mit  Anmerkungen 
bedacht;  die  für  Vorgerücktere  bestimmten,  wie  Ceyx  und  Armo- 
rum  iadicium,  sind  entsprechend  weniger  kommentiert.  Aufser- 
dem  ist  —  ein  entschiedener  Vorzug  —  jedes  Stück  für  sich  be- 
handelt ,  was  natürlich  Wiederholungen  unvermeidlich  gemacht 
bat;  dafür  treten  aber  dem  Anfänger  fast  nirgends  lästige  Ver- 
weisungen entgegen,  die  ja  erfahrungsgemäfs  nur  selten  beachtet 
werden. 

Auch  das  Verzeichnis  der  Eigennamen  hat  Ref.  einer  ein- 
gehenden Durchsicht  unterzogen  und  kann  sich  fast  durchweg  mit 
dem  Gebotenen  einverstanden  erklären.  Vielleicht  hätten  Artikel 
wie  „Herkules'*  und  „Perseus'*  noch  ausführlicher  behandelt  wer- 
den können,  etwa  unter  Hinzufügung  einer  genealogischen  Tafel, 
wie  sie  H.  mit  Nutzen  mehrfach  gegeben  hat. 

Nach  Vorstehendem  trägt  Ref.  kein  Bedenken,  die  Hardersche 
Auswahl  zur  Einführung  in  den  Gymnasien  aufs  wärmste  zu  em- 
pfehlen. Das  Buch  dürfte  auch,  was  schliefslich  nicht  unerwähnt 
bleiben  mag,  den  weitgehendsten  Anforderungen  der  Schulhygiene 
genügen:  der  Druck  ist  weit  und  übersichtlich,  die  Ausstattung 
sehr  splendide.  Auch  ist  die  Drucklegung  sehr  zuverlässig;  von 
Fehlem  habe  ich  nur  bemerkt:  im  Text  S.  XVI  bei  Nr.  18:  527, 
sUtt  528;  S.  V  steht  VIII  30  statt  VH  30 ;  S.  66,  v.  285  mufs 
ueUu  für  setae  geschrieben  werden,  wie  sonst  überall  zu  fin- 
den ist. 

Berlin.  Max  Koch. 

Friedrich  Holzweifsig,  Griechische  Schalgrammatik  in  kurzer, 
übersichtlicher  Fassaog  auf  Grand  der  Ergeboisse  der  vergleicheoden 
Spraehforschaog  zum  Gebrauch  für  Scholeo.  Leipzig  1893,  B.  G. 
Tenboer.    XVI  o.  240  S.    geb.  2,80  M. 

Auf  vielseitigen  Wunsch  hat  Holzweifsig  seine  1886  bereits 
in  dritter  Auflage  erschienene  griechische  Syntax  jetzt  durch  eine 
nach  denselben  Prinzipien  bearbeitete  Formenlehre  zu  einer 
Grammatik  vervollständigt.  Wir  erwarten  also  eine  Formenlehre, 
die  auf  dem  Grunde  der  Ergebnisse  der  vergleichenden  Sprach- 
forschung steht,  ohne  jedoch  den  Schüler  merken  zu  lassen,  „dafs 
die  leitenden  Gesichtspunkte  erst  von  selten  der  Sprachvergleichung 
ihre  nötige  Kiarlegung  gefunden  haben'%    und    die   „aus  den  er* 

Zritoehr.  t  d.  OjmnunMiwmw.  XLVIll«  6.  21 


322  P*  Holzweifsig,  Griechische  Sduil^raramatik, 

kannten  Grundanschauungen  der  Sprache  heraus  die  einzelnen 
vorliegenden  sprachlichen  Erscheinungen  selbst  linden  lehren 
will'S  da  „die  Aufzählung  aller  Einzelheiten  das  freie  SchafTen  der 
Sprache  ganz  verkennen  läfst  und  nichl  minder  unwissenschaftlich 
als  unpädagogisch  ist'^  In  der  Beschränkung  des  Unterrichts- 
stoffes befindet  sich  H.  in  einem  bewufsten  Gegensatz  zu  Kaegi: 
um  eine  allgemeine  sprachliche  Erscheinung  leichter  zu  erklären 
oder  durch  Zusammenstellung  des  Ähnlichen  Unregelmäfsigkeiten 
verständlicher  zu  machen,  meint  er  Formen,  die  sich  in  dem 
ersten  Schulschriftsteller  finden,  selbst  dann  aufnehmen  zu  müssen, 
wenn  sie  sonst  nicht  gerade  oft  vorkommen.  Doch  läfst  sieb 
behaupten,  dafs  H.  die  seltener  vorkommenden  Unregelmäfsig- 
keiten in  der  Nominal-  und  Verbalflexion  der  attischen  Prosa,  die 
Kaegi  in  der  kurzgefafsten  griechischen  Schulgrammatik  §§  60 
und  112  zum  Nachschlagen  zusammengestellt  hat,  zum  geringsten 
Teile  dem  grofs  gedruckten  Texte  einreiht,  zum  gröüsten  durch 
kleineren  Druck  als  zum  ungehinderten  Fortschreiten  in  der  Lektüre 
nicht  notwendig  bezeichnet,  sehr  -viele  derselben  aber  überhaupt 
nicht  erwähnt. 

Da  die  Syntax  unserer  Grammatik  bereits  im  Jahre  1886 
zum  dritten  Male  aufgelegt,  ja  sogar  ins  Italienische  und  Nieder- 
ländische übersetzt  worden  ist,  so  läfst  sich  mit  Sicherheit  an- 
nehmen, dafs  von  denjenigen  Anstalten,  die  bisher  die  Syntax 
benutzt  haben,  nunmehr  die  Einführung  des  ganzen  Werkes  min- 
destens geplant  werden  wird.  Um  so  mehr  habe  ich  die  Pflicht, 
auch  die  Mängel  der  neuen  Formenlehre  an  das  Licht  zu  ziehen. 
Ich  beginne  mit  den  allgemeinen.  Zunächst  hat  H.  die  Quantität 
der  Vokale,  wo  sie  für  die  Aneignung  der  Formenlehre  von 
Wichtigkeil  ist,  nicht  planmäfsig  angeben  mögen  und  dadurch 
recht  häufig  das  unterstützende  Eingreifen  des  Lehrers  in  An- 
spruch genommen.  Auch  hat  er  die  Bedeutung  den  Vokabeln  oft 
genug  nicht  beigefügt;  die  Entschuldigung,  dafs  in  praxi  die  Be- 
deutung aus  späteren  Abschnitten  schon  bekannt  sei,  wenn  der 
Schüler  den  früheren  Abschnitt,  wo  die  Bedeutung  fehlt,  vor- 
nehme, kann  sicherlich  nicht  für  alle  Fälle  gelten.  Inkonsequenzen 
wie  „die  Enklitika''  und  „das  Enklitikon'*,  fiov,  fiolj  [lij  nov  — 
tlg,  %iy  no%i  —  toVj  ztOj  das  untrennbare  de  harren  ferner  der 
Beseitigung.  Endlich  aber  hat  H.  in  dem  augenfälligen  Streben, 
präzise  Regeln  aufzustellen,  auf  Korrektheit  der  deutschen  Kon- 
struktion wenig  Bedacht  genommen  und  damit  leider  denjenigen 
Waffen  in  die  Hand  gegeben,  die  von  dem  schädlichen  Einflufa 
altsprachlicher  Studien  auf  den  Gebrauch  der  Muttersprache  als 
von  einem  notwendigen  Übel  zu  sprechen  belieben. 

Die  Lautlehre  ist  in  gedrängter  Kürze  gehalten  und  unter* 
drückt  bin  und  wieder  eine  Ausnahme,  die  dann  später  erwähnt 
ist.  Der  Unterschied  der  Proklitika  und  Enklitika  hätte  wohl 
schärfer  ausgedrückt    und    der  Ton  in  ^fjfjbi  am  Anfange,    in  ov 


■  Dgez.  von  P.  WeiTseofeU.  323 

am  Ende  des  Satzes  aus  dem  Wesen  dieser  Tonklassen  abgeleitet 
werde»  können;  damit  würde  aach  ein  Licht  auf  18  fallen,  wo 
ovx  und  ov  dunkel  genug  scheinbare  Ausnahmen  von  dem 
Auslautsgesetze  genannt  werden.  —  In  der  Aufzählung  der  En- 
klitika mnisten  fiovj  f^ol,  (a^,  die  stets  enklitisch  sind,  von  aovj 
coij  ai  und  ov,  ol,  %,  die  es  nur  unter  Umständen  sind,  strenger 
geschieden  und  als  stets  orthotonierte  Nebenformen  der  ersteren 
Pronomina  ifi^ov,  ifkoi,  i^4  angeführt  werden.  72  Bern.  1  handelt 
darüber  klarer,  irrt  aber  insofern,  als  hiernach  die  orthotonierten 
Pronomina  nach  betonten  Präpositionen  gebraucht  werden  sollen, 
nach  denen  gerade,  wie  auch  das  Beispiel  (läXlov  ini  fte  ^  avv 
^0$  lehrt,  Enklisis  statthat.  —  Der  Ausdruck  „Lautstufe''  in  12,  3a 
wäre  zur  Not  verständlich,  wenn  3  a  nicht  blois  die  doppelte  Ein- 
teilung der  Muten,  sondern  auch  das  principium  divisionis  ent- 
hielte; doch  redet  man  deutlicher  als  von  Lautstufen  wohl  von 
Haucbstärken  dieser  Konsonanten.  —  12,  7  wirkt  verwirrend  durch 
den  Stamm  zax,  da.  ja  nach  58,  1  vielmehr  von  einem  Stamme 
roxv  =.  Taxsf  die  Rede  sein  sollte.  —  15  verlangt  die  Deutlich- 
keit yiretf-og  vor  yiyt-og,  —  17  mufste  unter  den  Verände- 
rungen des  j  die  Ersatzdehnung  in  d-äaatAv,  fiei^fav,  XQÜ^ia, 
Ikäilov  mit  demselben  Rechte  erwähnt  werden,  mit  dem  die  in 
naaa,  doviSa  u.  s.  w.  erwähnt  worden  ist.  —  19, 1  ist  jf€»y  ein 
Plosquamperfekt  genannt,  171  ein  Imperfekt. 

Doch  nun  zur  Deklinationslehre.  Hier  fiUt  uns  zunächst 
auf,  dafs  H.  wohl  in  der  zweiten  und  dritten  DekUnation,  aber 
nidht  zugleich  in  der  ersten  geglaubt  hat  vom  Stamme  ausgehen 
zu  sollen.  Wenn  manche  nur  den  einzelnen  Klassen  der  dritten 
Deklination  den  Stamm  vorausschicken,  so  geht  allerdings,  um  mit 
Curtius  zu  reden,  durch  diesen  Mifsbrauch  die  Einsicht  in  die 
Einheit  der  gesamten  Deklination  verloren ;  aber  man  könnte  doch 
for  diese  Inkonsequenz  geltend  machen,  dafs  nach  Streichung  der 
vollends  für  das  heulige  Geschlecht  ganz  überflüssigen  Wort- 
bildungslehre dvQct  und  vofAO  als  Stämme  zu  lehren  kein  drin- 
gender praktischer  Anlafs  vorliege.  Doch  den  Stamm  vo^o  lehren, 
nachdem  man  den  Stamm  &v((a  nicht  zu  lehren  für  gut  befunden 
hat,  das  hei/st  in  der  Inkonsequenz  inkonsequent  sein.  Die  eben- 
&lls  inkonsequente  Bezeichnung  der  Quantität  der  andpites  (hier 
des  a  in  der  letzten  Silbe  und  des  für  die  Betonung  noch  wich- 
tigen doppelzeitigen  Vokales  in  der  vorletzten),  dieser  oben  gerügte 
aUgemeine  Hangel  mufs  sich  bei  der  Einübung  der  ersten  Dekli- 
nation nach  unserer  Grammatik  ganz  besonders  fühlbar  machen. 
Ab  Scbolbuch  genügt  diese  noch  nicht,  weil  der  besonders  Begabte 
bei  gutem  Willen  und  mit  kräftiger  Unterstützung  des  Lehrers 
aUen&Us  die  Paradigmen  verständig  lernen  kann;  sie  sollte  viel- 
mehr so  beschaffen  sein,  dafs  jeder  Schüler  —  naturlich  das 
wissenschaftliche  it^iftop  ax&oq  aQovqtjg  ausgenommen  —  nach 
genügender  Vorbereitung  in  der  Klasse  bei  genügendem  häuslichen 

21* 


324  ^-  Holzweifgig,  Griechische  Schnlgprammatik. 

FleiCse  die  Paradigmen  verständig  lernen  mufs.  Mir  scheint  es 
fast,  als  unterschätze  H«  weit  die  Schwierigkeiten,  die  dem  An- 
fanger äj  äj  17  in  der  ^-Deklination  machen.  Denn  er  behandelt 
unter  la  „SubsL  auf  a,  Gen.  ag'\  unter  Ib  „Subst.  auf  a,  Gen. 
^g^'j  ohne  die  wichtige  Regel  der  Erwähnung  zu  würdigen,  dafs 
a  impurum  stets  kurz,  a  purum  teils  lang,  teils  kurz  sei.  Er 
sagt  ferner:  Diejenigen  Subst.  auf  a,  welche  vor  a  einen  Vokal 
oder  Q  {a  purum)  haben,  behalten  a  auch  im  Gen.  u.  Dat.  Sing. 
Zwar  richtig,  aber  doch  auch  falsch;  denn  atpatqa  vertauscht 
zugleich  ä  mit  ä.  —  In  der  zweiten  Deklination  entbehren  einige 
Regeln  der  Klarheit.  „Die  Komposita  (der  Kontrakta)  haben  den 
Accent  stets  auf  der  vorletzten  Silbe,  z.  B.  nsqinXovg'*'.  Da 
nBqlnXovg  aus  neqinXooq  kontrahiert  ist,  so  enthält  der  Nom. 
Sing.,  den  ja  doch  H.  als  Beispiel  anführen  wird,  nichts,  das 
gegen  8  Bem.  verstiefse;  dais  das  „stets**  gerade  andere  Kasus 
treffen  soll,  mufste  durch  einen  Zusatz  angedeutet  werden  wie 
diesen:  ixBqinXov  u.  s.  w.  gegen  8  Bem.  Die  Aegeln  der  attischen 
IL  Deklination :  „co  nimmt  die  Endungen  soweit  als  möglich  in 
sich  auf**  (ebenso  Kaegi)  und:  „der  Accent  des  Nom.  Sing,  wird 
jetzt  in  allen  Kasus  beibehalten**  sind  auch  nicht  die  glücklichsten. 
Begreift  in  der  letzteren  „jetzt**  den  Gedanken  in  sich:  während 
früher  zwar  vsoi  (Gen.  Sing.),  aber  vs^^  v^V^j  veävj  pamq  ge- 
schrieben wurde,  oder  den  anderen:  während  früher  aus  dem 
Proparoxytonon  des  Nom.  Sing,  in  der  Flexion  unter  Umständen 
ein  Paroxytonon  wurde?  Das  erstere  möchte  ich  nicht  heraus- 
lesen, da  der  Ausdruck  alsdann  doch  gar  zu  dunkel  wäre;  und 
ebenso  wenig  das  zweite,  da  derjenige,  dem  zugemutet  ist  den 
Accent  des  Nom.  Sing.  iXetag  iJiemy  ohne  jede  Erklärung  sich 
anzueignen,  sich  auch  den  Accent  des  Gen.  mechanisch  aneignen 
könnte,  wie  umgekehrt  derjenige,  der  beim  Nom.  Sing,  eine  Er- 
klärung empfangen  hat,  beim  Gen.  einer  neuen  Regel  ganz  ent- 
behren könnte.  Kaegi  drückt  die  zweite  Regel  folgendermafsen 
aus:  „Der  Accent  des  Nom.  Sing,  wird  durch  alle  Kasus  bei- 
behalten, für  die  Betonung  der  Barytona  gilt  w  als  kurz*'.  Das 
ist  klar. 

Unter  den  Kasusendungen  der  HI.  Deklination,  die  unter  den 
Vorbemerkungen  behandelt  werden,  begegnen  uns  »^  at  und  a 
(Acc.  Sing,  der  Mask.  u.  Fem.  und  Nom.  u.  Acc.  Plur.  der  Neutra) 
ohne  Angabe  der  Quantität,  die  anderseits  in  der  Endung  des 
Acc.  Plur.  der  Mask.  u.  Fem.  H.  notwendig  schien.  Neben  ceg 
lesen  wir  als  seltenere  Endung  v^,  die  zur  Erklärung  der  Accusa- 
tive  Ix^vg,  yQavg,  ßovgj  olg  benutzt  wird;  ebenso  bei  Kaegi. 
M.  E.  lehrt  man  damit  von  einer  Thatsache  der  vergleichenden 
Grammatik  gerade  denjenigen  Teil,  der  ohne  die  übrigen  Teile 
als  Ballast  erscheint;  denn  diese  Accusative  eignet  sich  der  Schüler 
auch  ohne  die  Erklärung  mit  ganzer  Sicherheit  an.  Auch  erweckt 
dieser  Teil    die   falsche  Vorstellung,    die  Endung  vg  sei  das  Un- 


tLugez.  von  P.  Weifsenfels.  325 

regdmälaige,  ag  das  RegelmäDsige.  Wer  yg  —  wenn  auch  nicht 
gleich  bei  der  ersten  Einübung  —  als  die  durchgehende  Endung 
der  Äce.  Plur.  aller  Masc.  u.  Fem.  bezeichnet,  in  der  die  dritte 
Deklination  meist  nach  Ausfall  des  v  den  Hilfsvokal  a  setzt,  lehrt 
den  wahren  SachTerhalt  und  hat  den  Vorteil,  späterhin  verdeut- 
lichen zu  können,  warum  auch  bei  Homer  der  Acc.  Plur.  der  A- 
and  Q-Deklination  auf  äg  und  ovgy  nicht  auf  17^  und  evg  endigen 
muis.  —  Ob  wir  nicht  blob  dem  Tertianer  die  attischen  Formen 
noleug^  nijxfüitg,  äatecag,  dem  Sekundaner  die  homerischen 
Formen  noltjog  und  zur  Erklärung  der  Differenz  das  Gesetz  vom 
Umspringen  der  Quantität  schuldig  sind,  sondern  auch  —  etwa 
in  der  letzteren  Klasse  —  von  den  ursprünglichen  Auslauten  der 
Stämme  /  und  /-  sprechen  müssen,  die  sich  bei  ihrem  Schwinden 
eine  Art  Ersatzdehnung  verschaflt  haben,  scheint  mir  doch  sehr 
zweifelhaft;  der  Grund,  der  uns  bestimmen  kann  in  der  Schule 
einen  Stamm  ßatSiXs^j  rQcc^j  ßo^  zu  lehren,  nämlich  die  sicht- 
bare Postexistenz  des  Konsonanten  in  vokalisierter  Gestalt,  liegt 
ja  in  jenen  Fällen  nicht  vor.  Ebenso  steht  es  mit  ^de^,  dem 
älteren  Bestände  von  ^dv.  Übrigens  ist  die  Fassung  der  bezeich- 
neten Regeln  in  46  und  48  derartig,  dafs  ein  Schüler  wohl 
TtoXijogj  ßaffiX^og^  ßaaiX^a  für  attische  Formen  halten  könnte. 
Die  Komparation  ßa&vtcQog,  äX^-d-ia-Tsgog  hat  die  Regel 
veranlafst:  „die  Endungen  -rsgog,  -^atog  treten  an  den  reinen 
Stamm  des  Mask.*^  Dieser  Terminus  entspricht  nicht  der  Behand- 
lung von  ^dvg  in  48,  in  der  wohl  die  Stämme  ^dv  und  ^d«  aus 
arsprflngUchem  ^Sc^  abgeleitet,  aber  nicht  als  reiner  und  unreiner 
Stamm  unterschieden  sind;  auch  nicht  der  von  evysvijg  in  42, 
wo  nur  svytvsg  als  Stamm  aufgeführt  wird.  —  Manche  Erscheinung 
ist  doppelt  behandelt:  nvq  51b  und  52,  aXxog  (Stddtov  51c  und 
52;  die  zusammengesetzten  adi.  barytona  42  Bem.  2  und  59. 
Oberflossig  ist  tö  (pqiaq  und  der  Acc.  Plur.  viiag  (s.  Meisterhans 
Gr.  d.  a.  L  S.  113). 

Die  Konjugationsiehre  hat  H.  in  der  üblichen  Weise  disponiert, 
so  also,  dafs  die  Verba  auf  fi»  das  Mittelglied  zwischen  der  regel- 
mä£sigen  und  der  unregelmäfsigen  Flexion  bilden.  Er  beginnt 
mit  Vorbemerkungen  (82 — 111),  die  der  ganzen  Konjugation 
gelten  sollen.  Unter  dieser  jedenfalls  zutreffenden  Voraussetzung 
m'mmt  sich  freilich  83  „Verbalstamm  und  Präsensstamm''  höchst 
I  sonderbar  aus,  da  hier  der  Verba  auf  /i*»  mit  keiner  Silbe  gedacht 

'  wird.    Aber  auch  sonst  enthält  dieser  Abschnitt  des  Auffallenden 

genug,  so  dafs  es  sich  wohl  verlohnt,  an  dieser  Pforte,  die  in 
das  Gebäude  eines  wichtigen  Teiles  fuhren  soll,  ein  Weilchen 
stehen  zu  bleiben.  „Der  Präsensstamm,  sagt  H.,  ist  vom  Verbal- 
stamm  (dafür  126  Tempusstamm)  sehr  oft  verschieden;  er  ist  oft 
durch  Erweiterung  des  Verbalstammes  gebildet;  nach  seinem  Ver- 
hältnis zu  letzterem  unterscheidet  man  8  Klassen'*.  Da  also  die 
Verschiedenheit  der  beiden  Stämme  sehr  oft  statthat,  der  Präsens- 


326  P*  Holzweifstg,  Griechische  Schalgrammatik, 

stamm  aber  nur  oft  ein  erweiterter  Verbalstamm  ist,  so  ahnt  der 
Leser,   dafs   in   einigen  Fällen    die  Verschiedenheit   der  Stämme 
einen  andern  Grund    oder  andere  Grunde  hat   als   den   oft  vor- 
liegenden.  Welcher  aber  dieser  ist,  bezw.  welche  diese  sind,  sagt 
U.  nicht.    Ich  wurde  vermuten,    dafs  H.   hier  Verba    im  Sinne 
gehabt  bat,  deren  Präsensstamm  im  Gegensatz  zu  der  oft  zu  Tage 
tretenden  Verschiedenheit  durch  Vereinfachung  des  Verbalstammes 
gebildet   ist:    an  tifum,  noUcHj  p,nf&6a)^  vorausgesetzt,  dafs  H. 
mit  Hintner  als  Stämme    dieser  Verba  vififj,  notfi,  fAia&(o  an- 
nimmt, die  nach  dem  Gesetze  vocalis  ante  vocalem  corripitur  den 
Charakter  im  Präsens  veriiörzt  haben;  ferner  an  diejenigen  Verba 
der  £- Klasse,   die  gerade  den  Präsensstamm  nicht  durch  e  ver- 
stärken.  Aber  H.  hat  im  folgenden  die  Genesis  der  Präsensstämme 
Ttfiaj  TtotCj  (iKf^o  nirgends  nach  Hintner  entwickelt,  vielmehr 
umgekehrt  t^/lm;  durch  Verlängerung  aus  T«|i»a  werden  lassen,  und 
in  der  Aufzählung  der  8  Klassen,  die  den  jetzt  behandelten  Para- 
graphen schliefst,  unter  £-Klasse  nur  solche  Verba  erwähnt,  deren 
Präsensstamm  durch  s   erweitert  ist,   und  damit  in  der  skizzen- 
haften KlassiGzierung  gerade  die  —  übrigens  zahlreicheren  —  Verba 
der  f-Klasse  unerwähnt  gelassen,  die  über  die  obigen  Bemerkungen 
Licht  verbreiten  könnten.     Der  ganze  Paragraph   scheint  mir  aus 
anderen  Gründen  recht  überflüssig.     Erstens  ist  der  Unterschied 
„Präsensstamm  —  Verbalstamm"  nicht  das  Allernächste,  das  nach 
der  Aufzählung  der  griechischen  Modi,  Tempora  u.  s.  w.  zu  lehren 
ist.    Zweitens  wird  der  Begriff  „unerweiterte  Klasse"  später  nir- 
gends  durch    Einreihung   bestimmter  Verba   praktisch  verwertet. 
Drittens   kehren  die  meisten  Regeln  später  wieder  und  zwar  ein 
grofser  Teil  derselben  abermals  in  fast  systematischer  Fassung.  — 
Auch   der  Lehre  von  der  Tempusbildung,   die   sich   unmittelbar 
anschliefst,  ist  ein  wenig  vorteilhafter  Platz  angewiesen ;  mindestens 
wird  sich  sagen  lassen,  dals  das  Thema  für  eine  vorläufige  Über- 
sicht zu  eingehend,  für  eine  Rekapitulation,  die  nach  der  Einübung 
der  Konjugation  vorgenommen  werden  könnte,  zu  dürftig  behandelt 
ist.    Denn  zu  einer  vorläufigen  Übersicht  genügte  die  bloJse  Auf- 
zählung   der    verschiedenen    Tempusstämme    ohne    Angabe    der 
Bildungsmittel;    in  einer  Rekapitulation  dagegen   hätte  neben  &s 
auch  ^11  als  Tempuscharakter  des  L  Aor.  Pass.-Stamme8,   neben 
dem  Tempuscharakter  er  noch    die  Dehnung  des  kurzen  Stamm- 
vokales   bei  den  v*  liquidis    als  Bildungsmittel    des  L  Aor.  Akt- 
Stammes  (ganz  abgesehen  von  sxecc,   elna,   ^reyna  —  B&^xa, 
sdwxaj  ^xa)  angeführt  werden  müssen.    Auch    die  Art,   in    der 
hier  der  Reduplikation    gedacht  wird,   ist   mifslich.    Da  nämlich 
aus  der  beigefügten  Definition    hervorgeht,    dafs  H.  unter  diesen 
Begriff   nicht  wie   andere   auch    das   stellvertretende  augmentum 
syllabicum  oder  temporale  zieht,  so  ist  etwa  die  Hälfte  der  Verba 
nicht  bedacht;  ebenso  wenig  später  in  der  ausführlichen  Behand- 
lung der  Tempusslämme  der  v.  pura  non  contracta  116  und  li7a. 


anges.  von  P.  Weifsenfels.  327 

solange  hier  von  dem  Perfektum  die  Rede  ist   Dafs  den  Perfekt- 
sUmm  des  Aktivums  die  Reduplikation  (bezw.  deren  Ersatz)  und 
der  Tempuscharakter,  den  des  Passivums  die  blofse  Reduplikation 
ausmacht,  ist  84  auch  nicht  deutlich  zu  ersehen.     Noch  weniger 
freilich  lehrt  das  116,  wo  es  heifst:  Den  Stamm  des  Perf.  (I  Akt.) 
erhält  man  durch  Reduplikation;   Perf.  I  Akt.  hat  zum  Tempus- 
charakter X.  —  Von  deu  Terminis  H.s  ist  unklar  „Endung*',  der 
fielfach   nehen  dem  stets  klaren  Terminus  „Personalendung*^  ge- 
braucht wird.     Endung  heifst  z.  R.  83,  2  wie  auch  sonst  häufig 
t»  in  naidsvwj  also  ein  verlängerter  Rindevokal;  88  o»  in  na$- 
devot j    Rindevokal    und    Hoduszeichen ;    119  v  in  iTtatdev&fjyj 
Personalendung;    ib.   -d'iiriv   in    naidsv&eirjVj   Tempuscharakter 
mit  Hoduszeichen  und  Personalendung;   139  cra»  in  xof/ktisvaij 
Rindevokal  und  Personalendung.    Man   nehme   dazu   die   Regeln 
122:    „(Die  Verba   auf  dw,  icoj  oca  kontrahieren  a,  e,  o  regel- 
ffiäfsig)  mit  dem  Rindevokale  resp.  den  Endungen**,    ferner  113 
Bern.  1  g:  „Die  2  Sing.  Imp.  (Präs.)  Akt.  (von  naidevu)  entbehrt 
der  Endung  in  Verbindung  mit  158,  3,  2)  d):  „Im  Imper.  Präs.  Akt. 
(von  Ti&iifibt)  hat  die  2.  Sing,  wie  die  Verba  auf  <o  die  Endung  e^ 
welche  mit  dem  Stammvokal  kontrahiert**  —  und  beantworte  die 
Frage:  was  ist  nach  H.  in  der  Konjugation  Endung?  —  Auf  dieAccent- 
r^elo,  die  zum  gröfsten  Teile  später  wiederkehren,  folgen  Regeln 
über  „Augment  und  Reduplikation*'.    Sehen  wir  ab  von  der  ganz 
anzulässigen  Fassung  der  Regel  97:  „Verba,  welche  mit  q  anlauten, 
haben  als  Reduplikation  das  Augment  £**,  ferner  davon,  dafs  100 
si^xa   nicht   auf  den  Stamm  |«  zurückgeführt  ist,    wozu  doch 
Regel  100  selbst  einladen  mufste,  und  sim&a  als  von  einem  mit 
Uquida  anlautenden  Stamme  abgeleitet  auftritt,  so  wird  man  die 
Behandlung  dieses  Kapitels    billigen   müssen.    Der  Ausdruck  Re- 
duplikation  ist  hier  auf  das  beschränkt,   was  er  bedeutet,   und 
nicht  auf  das  stellvertretende  Augment  ausgedehnt.   Leider  aber  ist 
das  späterhin  nicht  festgehalten,  vielmehr  116  und  117  allgemein 
g^agt,   den  Stamm    des  Perf.   erhalte  man  durch  Reduplikation, 
and  von  Stämmen  geredet,  „welche  nur  e  als  Reduplikation  haben'*. 
An  das  Paradigma  natSsvio    schliefst   sich   eine  „Obersicht 
über  die  Endungen  der  ersten  Tempora*',   in  der  die  Endungen, 
glekhgiltig    in  welchem  Sinne  wir  das  Wort  nehmen,  allerdings 
als  die  Hauptsache,  aber  keinesfalls  allein  bebandelt  sind.    „Hat- 
Ssvetg,    sagt  H.  hier,   entstand  aus  naidevsift;    daher  im  Konj. 
Jota  sabso*.'*   Eine  kühne  Folgerung.    ^^llatdsv€$  aus  na$d€V€T& 
(%  im  Auslaut  muTs  wegfallen).**   War  denn  in  der  ursprünglichen 
Form  T  Auslaut?    Der  Bindevokal  e  in  inaidsvas  ist  Obersehen; 
Ton  der  Regel,  dafs  im  Aor.  I  Pass.  die  aktiven  Endungen  ohne 
Bindevokal  an  den  Stamm  treten,  der  Konj.  nicht  ausgenommen. 
Da   endlich  H.  unter  „Aor.  I  Pass.**  von  etwa  eintretenden  Ver- 
änderungen des  Verbalstammes  nicht  geredet  hat,  so  ist  die  Regel 
uoter   „Adjektivum  verbale**,   der  Verbalstamm  habe  bei  diesem 


328  P-  Holzweifsig,  Griechische  Schalgrammatik, 

dieselben  Veränderungen  wie  beim  Aor.  I  Pass.,  in  dem  Zusammen- 
hange ganz  unverständlich.  Die  Regel  gehört  aber  unter  die 
,, Veränderungen  am  Stamme  bei  der  Tempusbildung'',  würde  auch 
besser  durch  ein  „in  der  Regel''  limitiert  (vgl.  navwj  inav&ffv 
und  inavfSd'fiv  —  nccv<STio^\  xatoo,  ixavd'^p  —  xavavo^  und 
xavTog).  —  Das  Kapitel  „Veränderungen  am  Stamme  bei  Bildung 
des  Präs.  und  der  ersten  Tempora"  behandelt  nur  die  Haupt- 
masse der  regelmäfsigen  Verba,  contracta,  muta,  liquida,  zunächst 
mit  Ausschlufs  der  zweiten  Tempora.  Diese  folgen,  ohne  daCs 
jetzt  noch  wie  in  dem  eben  genannten  Abschnitte  die  verschiedenen 
Klassen  der  v.  muta  und  die  liquida  streng  gesondert  würden. 
Nur  die  Behandlung  der  zweiten  Tempora  macht  noch  einige  Be~ 
merkungen  notwendig.  Sie  werden  in  dem  einleitenden  §  146  in 
Obereinstimmung  mit  §  84,  3  als  Tempora  ohne  Tempuscharakter 
definiert.  Wenn  nun  aber  gesagt  wird,  Äor.  II  Pass.  und  Fut.  II 
Pass.  haben  die  Endungen  des  Aor.  I  Pass.  und  Fut.  I  Pass.  ohne 
den  Konsonanten  des  Tempuscharakters  ^,  so  zeigt  sich, 
dafs  zu  völliger  Klarheit  entweder  die  Definition  der  Tempora 
Sekunda  aufgegeben  werden  muTs,  insofern  ja  zwei  derselben 
immerhin  einen  Teil  des  in  den  entsprechenden  ersten  Zeiten 
verwandten  Tempuscharakters  ^  (^£),  nämlich  fj  (c)  haben,  oder 
aber  nicht  &^  Tempuscharakter  des  ersten  Aorists  und  dieser 
selbst  bindevokallos  genannt  werden  müssen,  sondern  nur  ^ 
Tempuscbarakter  und  ^  Bindevokal.  —  Sodann  ist  154,2  nqäMi» 
irrtümlich  unter  den  Verben  aufgeführt,  die  den  Stammvokal,  weil 
sie  ihn  auch  in  andern  Formen  verändern,  im  Perf.  II  ablauten; 
es  gehört  vielmehr  in  dieselbe  Klasse  wie  (pqifSam. 

Das  Kapitel  „Verba  auf  f*»"  ist  nicht  frei  von  lästigen  Wieder- 
holungen; vgl.  156  und  110;  158,  2)  g)  Bem.  2  und  ib.  d)2; 
169  Bem.  3,  171  Bem.  2,  172  Bem.  2,  174  Bem.  und  161,  6b.  Auch 
hier  könnte  über  manche  Einzelheit  mit  noch  gröfserer  Klarheit  ge* 
handelt  sein.  So  wird  der  Aor.  II  Sctuiv  wieder  und  immer  wieder 
bindevokallos  genannt,  während  er  doch  diese  Eigenschaft  in  nicht 
höherem  Grade  hat  als  die  aktiven  Aoristformen  von  %i&tifk&, 
l^fAt,  öidoüfAt,  soweit  diese  ohne  Tempuscharakter  gebildet  sind. 
In  der  Bem.  zu  162:  „Bisweilen  finden  sich  im  Konj.  und  Opt. 
Formen  nach  der  Konjugation  auf  oi,  z.  T.  mit  unregelmäfsigem 
Accent,  z.  B.  tt&^Tat  und  zl^t^tat,  tntaij  ngo^ra^^'  vergifst  H.» 
dals  er  in  den  Paradigmen  rt^äfMx^j  tiZfiatj  didäfAUh,  lavAfxa^, 
S'cifAOHj  äfiaij  däfjka^  (sogar  TtQlwfiatl)  als  Produkte  einer 
Kontraktion  bezeichnet  und  damit  diesen  Konjunktiven  des 
Mediums  wie  ausdrücklich  in  den  Vorbemerkungen  den  Konjunk- 
tiven Ti&äj  didäj  IfTTCo  die  gewöhnlichen  Bindevokale  und 
das  heifst  doch  wohl  die  Konjugation  auf  <a  zuerkannt  hat  — 
Ein  letzter  Irrtum  in  dieser  Beziehung  ist  II.  in  den  Vorbemer* 
kungen  zu  den  Verbis  auf  vv(a&  entschlüpft.  Diese,  lehrt  er, 
„zeigen  nur  im  Präs.  und  Imperf.  die  Eigentümlichkeiten  der  Verba 


aogez.  von  P.  Weifseofels.  329 

auf  fft»;  aber  auch  Konj.  und  Opt.  Präjs.  werden  nach  der  ge- 
wdhniicheo  Konjugation  auf  w  gebildet*'.  Folgen  denn  die  andern 
Veriia  auf  fjn  im  Konj.  Präs.  nicht  ebenfalls  der  Flexion  auf  ci>? 
Haben  sie  nicht  in  diesem  Modus  eine  offene  Form  mit  dem 
Bindevokal  und  zwar  mit  dem  Konjunktivzeichen,  der  Verlänge- 
rung, zur  Voraussetzung?  —  Umgekehrt  soll  H.  nicht  den  sämt- 
lichen von  den  abgekürzten  Perfektstämmen  iara,  TS&ya,  dsdk 
abgeleiteten  Formen  nachsagen,  dafs  sie  des  Bindevokals  entbehren. 
Hier  fallt  auch  die  Abteilung  sfrja-i-fiVj  ted-va-i-f^v  auf,  die 
nicht  in  Einklang  zu  bringen  ist  mit  den  früheren  Bemerkungen, 
dafs  in  natdsv^sifjr  (119)  und  in  tk&eifiVj  Itftaiijv  u.  s.  w. 
(158)  «17  als  Moduszeichen  anzusehen  sei.  —  Das  Verzeichnis  der 
unregelmäfsigen  Verba  ist  für  Schulzwecke  mindestens  ausreichend. 
Zur  Erklärung  der  Tempusstämme  sind  sauber  die  verschiedenen 
Verbalstämme  angegeben;  diese,  Futurum,  Aoristus  und  Perfektum 
stehen  horizontal  nebeneinander,  die  Genera  vertikal  unter  ein- 
ander; eine  letzte  Kolumne  enthält  etwa  noch  notwendige  oder 
doch  wünschenswerte  Angaben  über  die  Modusbildung,  Bemerkens- 
wertes der  Komposita,  Hinweisungen  auf  frühere  Regeln  u.  dgi. 
Unier  ikiywiik  fehlt  der  Stamm  ^iy^  unter  ia&tdo  der  Stamm 
iie  und  die  Bemerkung,  die  zu  nivdd  gesetzt  ist,  dafs  das  Futurum 
ohne  Tempuscharakter  gebildet  ist;  zu  ägjkip^ivvvfjbi  und  xad-svdw 
ein  Hinweis  auf  106,  16,  zu  ^oivvvfjb^  auf  64,  2,  zu  ßovXofiai 
und  fiäiJim  auf  90  Bern.,  zu  alQicn  auf  92,  zu  Xiyco  und  €l(AaQTa& 
auf  100,  zu  ^^Vojua»  auf  183,  9.  Die  Hinweisungen  auf  die 
Angmentlebre  sind  falsch  unter  äXiaxofAai  (92  für  94),  (o^ico 
(92  für  93),  oQaw  (93  für  94),  wohl  weil  die  Augmentlehre  nach- 
träglich  anders  redigiert  worden  ist. 

Die  homerische  Formenlehre  ist,  soweit  dies  anging,  nach 
dem  Muster  der  attischen  disponiert  und  deshalb  für  diejenigen, 
die  sich  die  attische  nach  H.  angeeignet  haben,  ganz  besonders 
übersichtlich.  H.  hat  sich  das  Ziel  ziemlich  hoch  gesteckt:  er  will 
den  Schüler  nicht  wie  mancher  andere  im  Anhange  seiner  Gram- 
matik mit  wenigen,  kaum  noch  zusammenhängenden  Thatsachen 
des  neuen  Dialektes  bekannt  machen,  sondern  eine  ziemlich  ab- 
gerundete systematische  Darstellung  desselben  liefern  und  in  der 
Erklärung  der  Formen  bis  hart  an  die  Grenze  gehen,  an  der  die 
Unsicherheit  der  Forschung  oder  die  Beschränkung  des  Lehrbuches 
auf  die  Zwecke  der  Schule  Halt  gebieten.  So  behandelt  H.  aller- 
dings manche  Fälle,  in  denen  c  oder  j^  oder  c;^  vor  dem  Anlaut 
bezw.  unmittelbar  hinter  diesem  ausgefallen  ist,  wegen  des  laut- 
lichen Ersatzes  und  wegen  der  Nachwirkung,  die  sich  im  Metrum 
ond  im  Falle  der  Augmentation  zeigt;  dagegen  wird  der  Ausfall 
inlautender  Konsonanten  nicht  berührt  und  eine  etwa  darauf 
bembende  Erscheinung  eben  nur  mechanisch  verzeichnet.  Im 
folgenden  Ratschläge  zu  noch  gröfserer  Abrund ung  des  Gebotenen 
zu  geben  mufs  ich  schon  deswegen  unterlassen,  weil  eine  systema- 


330     ^*  Holzweil'sig,  Griech.  Scholgr.,  agz.  v.  P.  Wei  fseofels. 

tische  Behandlung  des  epischen  Dialektes,  zumal  eine  erschöpfende, 
nicht   in  den  Rahmen  des  Unterrichts  passen  soll;    vielmehr  he- 
gnuge  ich  mich  einige  Punkte  aus  H.s  Darstellung  herauszuheben, 
die  mir  aus  irgend  welchem  Grunde  noch  der  Verbesserung^  be- 
dürftig scheinen.    Die  Beispiele  unter  341  c  (Od.  1 16.  17)  beweisen 
nicht,   was   sie   beweisen  sollen,    nämlich  dafs  vor  ehemals  kon- 
sonantisch anlautenden  Wörtern  regelmäfsig  lange  Vokale  in  der 
Thesis  lang  bleiben,  da  ja  in  beiden  Versen  der  lange  Auslaut  in 
der  Arsis  steht.  —  Die  Accentregel  zu  351,  2  ist  zu  weit  gefafst, 
da  sie  nicht  auf  xavvevaaq^  xaicxeiotneg,  xadövcai  u.  s.  w.  An- 
wendung findet.  —  Ebenso  ist  zu  weit  die  Lautregel  unter  I.  De- 
klination:   für  ä  tritt  tj  ein,   die,    Ton    einigen  recht  geläufigen 
Ausnahmen  abgesehen,   von  denen  nur  d'sä  angeführt  ist,   wohl 
für  den  ganzen  Sing,  der  Wörter  mit  ursprünglich  langem  a  gilt, 
aber  nicht  für  den   durch  Ersatzdehnung  lang  gewordenen  Acc. 
Plur.  —   388   unterscheidet  H.  von   der  Optativform  dv^kev  In- 
dikativformen dviisv  und   sdvfAev.     In  Wirklichkeit  kommen   die 
beiden  letzteren  Formen  nicht  vor;  die  erstere  derselben   müfste 
aber  ev.  dvfisv  lauten  wie  jene  Optativform,  da  —  natürlich  von 
idvy  (3.  Plur.)  abgesehen  —  sämtliche   nachweisbare  Indikativ- 
formen   V   haben.  —   393    ist    wegen    aQaQvta   die   Abkürzung 
aQijQoigj  vtttj  o^  unzulässig;  ebenso  die  Zergliederung  der  Form 
idtjdoTai  in  id-^d-o-^ai,  in  der  ja  o  nicht  Bindevokal,  sondern 
Ablaut  des  Stammes  ids  ist.  —  Die  Singularformen  sutav^  ima, 
ovxa  mit  ihrem  kurzen  Vokal  fügen  sich  401  nicht  der  angeführten 
Analogie  von  Satfiv,  —  Über  die  Zergliederung  Tc-vXa-t-tjv  s.  o. 
—  Da  Präsensformen  von  ärci/to  sicher  vorkommen,  sollte  405,  6 
äytoyoy  nicht   als  Plusq.  mit  Übergang  in  die  Analogie  des  Impf, 
erklärt  werden;  dagegen  konnte  ySytovs  {&ZOb.  i2  703)  hier  seine 
Stelle  finden.   —   409  ist  in  den  Iterativformen  ihxdatsxsj  i^vi^- 
(fdansTOj  ovti](Sa(fx€  a  irrtümlich  zum  Stamme  des  Aorists   ge- 
rechnet. —  Dafs  die  Positionskürze  in  der  Mitte  eines  Wortes  (viog 
^-)  339,  die  Kürze  des  » in  den  Komparativen  auf  icav  345,  xoXoq 
und  Toaog  381  nicht  Erwähnung  findet,  ist  wohl  nicht  beabsichtigt. 

Verdruckt  ist  13  daifi6v(fi,  29  Hafen,  157  Vokalstämmen  (für: 
Verbalstämmen),  423  (AHhatsofjbsv.  Endlich  ist  in  die  Klammer 
zu  stxTov  und  iTtini&fiev  404  irrtümlich  auch  ninocfd'S  gezogen. 

Die  günstige  Aufnahme,  die  H.s  griechische  Syntax  gefunden 
hat,  wird  nicht  verfehlen  den  neuen  Teilen  seiner  Grammatik 
Leser  zu  verschaffen,  ja  ihnen  zur  Einführung  zu  verhelfen.  Dringt 
der  Lehrer  auf  nachträgliche  Einzeichnung  der  Quantität,  wo  diese 
für  die  Aneignung  des  Stoffes  wichtig  ist,  so  wird  damit  ein 
wesentlicher  Mangel  der  Formenlehre  ganz  beseitigt  werden ;  auch 
die  sonstigen  Mängel  derselben  scheinen  mir  nicht  derartig  zu 
sein,  dafs  sie  nicht  durch  den  Lehrer  paralysiert  werden  könnten. 

ZüUichau.  P.  Weifsenfeis. 


John  Roch,  Eoglisehe  Lehrbücher,  agz.  von  E.  Goerlich.     331 

t)  Joho  Koch,  Rleioeres  eoglisches  Lesebuch,  oebst  forÜaafeodeD 
Franken,  sachlieheo  nod  sprachlicheo  Annierkoog^eD  uod  eioem  Wörler- 
verzeichnia.  Zweite,  nach  den  neaen  Lehrplänen  bearbeitete  Auflage. 
Mit  Karten  von  Grofsbritannien  und  eineoi  Plan  von  London.  Berlin 
1894,  Emil  Goldschmidt.    U  o.  146  S.    geb.  1,75  M. 

2)  John  Roch,  Die  wichtigsten  syntaktischen  Regeln  der  eng- 
lischen Sprache  nebst  ÜboogsstUcken.  Berlin  1894,  Emil  Gold- 
schmidt   hart.  0,50  M. 

Es  giebt  wohl  kaum  ein  zweites  Unterrichtswerk,  das  auf 
einer  so  breiten  Grundlage  aafgebaut  ist,  wie  das  Fölsing- 
Kochsche.  An  das  Elementarbuch  schlielüsen  sich  zwei  Hittel- 
stnfen:  eine  grofse,  die  ein  englisches  Lesebuch,  eine  kurzge- 
faÜBte  Grammatik  und  ein  Wörterverzeichnis  zum  Lesebuch  um- 
Cafst,  —  und  eine  verkürzte,  die  ihrerseits  in  zwei  Jahreskurse 
zerfällt,  Ton  denen  jeder  ein  besonderes  Lesebuch  und  eine  be- 
sondere Grammatik  in  sich  begreift.  Als  Fortsetzung  der  Mittel- 
stufe ist  dann  die  wissenschaftliche  Grammatik  anzusehen.  Mir 
will  der  Gebrauch  von  drei  bezw.  vier  Grammatiken  im  Laufe 
des  englischen  Unterrichts  sehr  bedenklich  erscheinen.  Der  Schöler 
mafs  eine  Grammatik  haben,  in  der  er  sich  sozusagen  heimisch 
fühlen  lemty  die  ihm  einen  vollständigen  Oberblick  ober  die 
Formenlehre  und  Syntax  der  englischen  Sprache  bietet,  die  einer- 
seits also  den  in  der  Klasse  systematisch  behandelten  LehrstolT 
enthalt,  andererseits  aber  ihm  auch  die  Möglichkeit  gewährt,  sich 
darin  über  Fragen,  die  ihm  bei  der  LektQre  und  bei  Gelegenheit 
der  schriftlichen  Arbeiten  aufstofsen,  selbst  Rats  zu  erholen. 
Wenn  man  im  Elementarbuch  eine  besondere  Grammatik  nicht 
entbehrt,  so  mufs  die  sich  daran  anschliefsende  vollständige 
Grammatik  dem  Schüler  die  Orientierung  dadurch  erleichtern,  dafs 
der  bereits  im  Elementarunterricht  durchgenommene  Lehrstoff  sich 
darin  in  gleicher  Anordnung  findet.  Koch  giebt  nun  aber  aufser 
dem  in  dem  Elementarbuch  enthaltenen  grammatischen  Lernstoff  in 
seiner  verkürzten  Hittelstufe  für  das  zweite  Unterrichtsjahr  als 
grammatisches  Hüifsmittel  „die  wichtigsten  syntaktischen  Regeln  der 
oiglischen  Sprache**  und  für  das  dritte  Jahr  „Schulgrammatik  der 
eogliscben  Sprache** ;  für  die  „vorgeschrittenen  Schüler'*  ist  dann  als 
„Nachschlagebuch**   die  „Wissenschaftliche  Grammatik*'  bestimmt. 

Die  Teilung  desLek  türestoffes  für  das  zweite  und  dritte  Un- 
terrichtsjahr erscheint  mir  berechtigter,  da  ja  auch  an  den  Lehr- 
anstalten, welche  die  Lektüre  ganzer  Werke  vorziehen,  in  dieser 
Zeit  vielfach  gewechselt  wird.  Das  „Kleinere  englische 
Lesebuch**  enthält  die  Lektüre  für  den  zweiten  Jahreskursus 
and  bringt  L  The  Sovereigns  of  England  (S.  1 — 16);  IL  Ä  fieo- 
grapUeal  Outline  of  Great  Brüain  and  Ireland  (S.  17—32),  IIL 
SketeKes  of  Englüh  Life  and  Manners  (S.  33-48),  IV.  Useful 
EnwOedge  (S.  49—60),  V.  Skwt  Tales  (S.  61— 72),  VL  Poems 
(S.  73 — 78),  aufserdem  „Erklärungen  und  Redensarten**.  (S.  79 — 
92)   und    ein  Wörterverzeichnis  (93 — 146).     „Der  Lesestoff  soll. 


332  John  Koch,  Eog^lische  Lehrbücher, 

aufser  der  Übung   im  «prachlichen  Ausdruck,    dem  Schuler  Ge- 
legenheit  geben,    sich   mit    den  wichtigsten  Einrichtungen,   Ge- 
bräuchen und  Anschauungen  der  Engländer  und  den  bedeutend- 
sten Ereignissen  aus  ihrer  Geschichte  bekannt  zu  machen**.    Der 
hier  gebotene  Lesestoff   gefällt    mir    nur  zum  Teil.     Die  Realien 
haben  im  neusprachlichen  Unterricht  gewifs   ihren  grofsen  Wert, 
und   ich    halte  die  Forderung  nach  gröfserer  eingehenderer  Be- 
rücksichtigung  derselben  für  voll  berechtigt;  aber  man  darf  doch 
nicht  so  weit  gehen,  dafs  man  dieselben  geradezu  in  den  Vorder- 
grund stellt  und  es  als  erste  Aufgabe  der  Lektüre  hinstellt,  dem 
Schüler  vor   allem    genaue  und    umfassende  Kenntnisse  der  Ge- 
schichte, Geographie,  der  Sitten  und  Gebräuche  des  betreffenden 
Landes  zu  vermitteln.     Die  Lektüre  hat  doch,    aufser  der  Meh- 
rung der  sprachlichen  Kenntnisse,  vor   allem  eine   erziehliche 
Aufgabe:  Geist  und  Sinn  des  Schülers  anzuregen  und  zu  bilden, 
Begeisterung  für  das  Hohe  und  Edle  zu  wecken.     Diese  Aufgabe 
erfüllt  der  hier  gebotene  Lesestoff  nur  zum  Teil.   Der  kurze  Ab- 
rifs  der  englischen  Geschichte,    mit  dem  das  Lesebuch  beginnt  — 
so    leicht    und    einfach  Sprache  und  Stil  sein   mögen   — ,    wird 
schwerlich  das  Interesse  des  Schülers  erwecken  und  rege  halten; 
eine  solche  allgemeine  Obersicht  über  die  englische  Geschichte  hat 
grofsen  Wert  für  Schüler,    die   bereits    mit   der    englischen  Ge- 
schichte,   oder  wenigstens   mit  einzelnen  Perioden  derselben  be- 
kannt sind.     Aber    auf   den    mit  der  englischen  Geschichte  noch 
nicht  vertrauten  Schüler  wird  die  gewaltige  Fülle  des  hier  auf  16 
Seiten  zusammengedrängten  Stoffes  eher  verwirrend  als  aufklärend 
wirken.     Das  Gleiche  gilt  für  die  geographische  Beschreibung  von 
Grofsbritannien  und  Irland  und  für  die  Skizzen  über  das  Leben 
in  England.    Als  Lesestoff  für    die   statarische  Lektüre   sind  die 
Beschreibungen  von  England  und  Wales,  des  Königreichs  Schott- 
land und  Irland    zu    trocken    und    zu  wenig    unterhaltend«     Und 
glaubt  der  Verf.  wirklich,    dafs    die  Schiiderungen  von    der  brit- 
tischen  Kolonial-  und  Seemacht,    von  London  und    dessen  Nah- 
rungsverhältnissen,   die  Beschreibung    des*  englischen  Hauses  den 
Schüler  anziehen  und  zu  selbständigem  Arbeiten  und  Denken  an- 
regen wird?     Die    englische  Geschichte    und  Jugendlitteratur    ist 
doch  wahrlich  nicht  arm    an   spannenden  und   fesselnden  Erzäh- 
lungen und  historischen  Darstellungen,  die  den  jugendlichen  Geist 
der  Schüler    entflammen  und    begeistern  und    edle  Regungen    in 
ihnen  wecken  können.   Die  aus  solcher  unterhaltender  und  nütz- 
licher Lektüre  gewonnenen  geschichtlichen  und  kulturhistorischen 
Belehrungen  haben  auch  gröfseren  und  dauernderen  Wert  als   die 
in  dem  vorliegenden  Lesebuch  enthaltenen  trockenen  Aufsätze»  die 
zum    Teil    ganz    aufserhalb    der    Interessensphäre    unserer  Ober- 
tertianer   liegen;    das    gilt    besonders    von    den  Statistical  Facts 
(S.  20->22),  den  Mitical  Facts  (S.  22),  von  London  and  üs  Food 
(S.  35 — 38).     Ich  wiederhole  es:   so  wertvoll  und  nützlich  diese 


aogex.  voD  E.  Goerlich.  333 

Belehi'UDgen  für  vorgerücktere  Schüler  sind,  die  bereits  mil  eng- 
lischen Verhältnissen  vertraut  sind,  so  wenig  geeignet  scheinen 
sie  mir  für  Schüler,  die  im  ersten  Jahre  nur  Anekdoten  und  ganz 
kleine  Erzählungen  gelesen  haben.  —  Die  unter  der  Überschrift 
üuftd  Knowledge  gegebenen  Gespräche  über  die  Atmosphäre,  Wol- 
ken, die  Sinne,  über  die  körperliche  Gesundheit  scheinen  mir 
auch  zu  schwer,  um  mit  wirklichem  Nutzen  im  zweiten  Unter- 
richtsjahr zu  Sprechübungen  verwandt  zu  werden.  Ganz  anders 
werden  sich  diese  gestalten,  wenn  sie  sich  an  die  fünf  Erzählungen 
(S.  61 — 72)  anschliefsen.  Das  sind  Stücke,  die  in  dem  Gedanken- 
kreis des  Schülers  liegen  und  so  recht  geeignet  sind,  Geist  und 
Sinn  anzuregen  und  zu  beleben.  Es  ist  zu  bedauern,  dafs  der 
Vert  nicht  solche  Lesestücke  in  gröfserer  Zahl  an  den  Anfang 
seines  Lesebuches  gestellt  hat.  Die  beigefügten  sieben  Gedichte 
sind  sehr  beliebt  und  werden  gern  gelesen  und  gelernt.  —  Das 
Wörterverzeichnis  ist  mit  grofser  Sorgfalt  ausgearbeitet. 

Die  zu  diesem  Lesebuch  gehörende  Grammatik  umfafst  auf 
21  Seiten  die  wichtigsten  syntaktischen  Regeln  der  englischen 
Sprache,  an  die  sich  35  deutsche  Übungsstücke  (S.  22  — 40)  nebst 
einem  deutsch-englischen  Wörterverzeichnis  (S.  41 — 50)  anschliefsen. 
Hinsichtlich  der  Anordnung  der  Regeln  ist  es  auffallend,  dafs  der 
Verfasser  so  wenig  den  Bestimmungen  der  neuen  Lehrpläne  Rech- 
nung trägt.  Diese  setzen  ausdrücklich  als  grammatisches  Pensum 
für  die  Obertertia  die  Syntax  des  Verbs  fest,  namentlich  die  Lehre 
von  den  Hilfsverben,  von  dem  Infinitiv,  Parlicipium,  Gerundium, 
Gebrauch  der  Zeiten,  Konjunktiv.  Dieses  Kochsche  Lehrbuch, 
das,  wie  ausdrücklich  augegeben  wird,  für  das  zweite  Unterrichts- 
jahr bestimmt  ist,  beginnt  merkwürdiger  Weise  aber  mit  dem 
Pensum  der  Untersekunda  und  behandelt  dieses  im  Verhältnis  zu 
dem  der  HIa,  das  auf  4^  Seiten  (allerdings  mit  Hinweis  auf  das 
Elementarbuch)  zusammengedrängt  ist,  ziemlich  ausführlich.  Jedes 
neue  Lehrbuch  mufs  doch  in  erster  Linie  seiner  ganzen  Ein- 
richtung und  Anlage  nach  den  Forderungen  der  neuen  Lehrpläne 
gerecht  werden,  was  in  einem  Lehrbuch,  welches  die  Grammatik 
induktiv  aus  dem  Anschauungsmaterial  eines  Lesebuchs  gewinnen 
lassen  will,  doppelt  notwendig  erscheint.  Die  natürliche  Folge  ist, 
dals  der  Zusammenhang  zwischen  Lesebuch  und  Grammatik  durch- 
turochen  ist,  wenigstens  insofern,  als  die  in  der  Grammatik  beige- 
fügten Belege  dem  Schüler  aus  der  Lektüre  noch  nicht  bekannt  sind. 
Die  Fassung  der  Regeln  ist  knapp,  aber  präzis  und  leicht  verständlich. 
Die  Übungsstücke,  die  sich  stofflich  an  die  Lesestücke  anlehnen, 
sind  mit  grofser  Sorgfalt  und  grofsem  Geschick  ausgearbeitet;  nur 
TermiTst  man  besonders  im  ersten  Teil  die  notwendige  Rücksicht  auf 
das  praktische  Ziel  des  Unterrichts.  An  Lehranstalten,  die  dem  Eng- 
fischen  einen  nicht  so  breiten  Raum  als  die  Realanstaiten  einräumen 
ktiooen,  dürfte  diese  Grammatik  eine  passende  Verwendung  finden. 

Dortmund.  Ewald  Goerlich. 


334     P*  VVessel,  Lehrb.  d.  Geschichte  f.  d.  Prima  höh.  Lehraost., 

P.  Wessel,  Lehrbach  der  Geschichte  für  die  Prima  höherer 
Lehranstalten.  2.  Teil:  Die  Neuzeit  Gotha  1892,  Friedrich 
Andreas  Perthes.     190  and  XXVII  S.     2,40  M. 

Der  erste  im  Jahre  1889  erschienene  Teil  dieses  Lehrbuches 
ist  bereits  in  dieser  Zeitschrift  1890  S.  561  einer  kurzen  Be- 
sprechung unterzogen  worden.  Das  dort  ausgesprochene  Lob 
grundlicher  Ausarbeitung  und  genauer  Darstellung  kann  auch  dem 
vorlegenden  zweiten  Teile  uneingeschränkt  gezollt  werden.  Ja, 
das  Buch  verdient  sogar  eine  eingehendere  Würdigung,  weil  der 
Verf.  in  so  vielfacher  Beziehung  seine  eigenen  Wege  geht  und 
dadurch  seinem  Werke  unter  der  Hochflut  der  zahllos  erscheinen- 
den Lehrbucher  der  Geschichte  ein  originales  Gepräge  und  eigen- 
artige Stellung  gesichert  hat.  Dafs  ein  solches  Buch,  selbst  wenn 
es  das  Ergebnis  langjähriger  Praxis  ist,  nicht  auf  den  ersten  Wurf 
sogleich  frei  von  allen  Mängeln  sein  kann,  liegt  auf  der  Hand, 
thut  auch  dem  Wert  des  Buches  als  solchen  wenig  Eintrag.  Der 
Verf.  hat  diesem  IL  Teile  ein  noch  ausführlicheres  Vorwort  voraus- 
geschickt, als  dem  ersten,  und  wir  werden  nicht  umhin  können, 
die  in  demselben  ausgesprochenen  Grundsätze  zu  prüfen,  wenn 
anders  wir  dem  Buche  wirklich  gerecht  werden  wollen. 

Den  gröfsten  Wert  legt  der  Verf.  darauf,  dafs  „der  Schuler 
eine  Übersicht  des  Ganzen  gewinnen  und  den  Zusammen- 
hang der  einzelnen  Perioden  erfassen  lerne^S  und  er 
glaubt  von  seinem  Buche  sagen  zu  dürfen,  dafs  in  ihm  „der  Stoff 
klarer  geordnet  und  die  innere  Entwicklung  deutlicher  hervor- 
gehoben sei  als  in  den  meisten  andren  Lehrbüchern".  Der  hier 
vorangestellte  Grundsatz  mufs  durchaus  gebilligt  werden  und  ist 
auch  vom  Ref.  in  wiederholten  Besprechungen  eifrig  verfochten 
worden.  Denn  so  lange  die  Geschichte  lediglich  als  Memorierstoff 
behandelt  wird,  kann  sie,  zumal  in  der  obersten  Klasse  einer 
höheren  Lehranstalt,  nicht  das  leisten,  was  sie  soll,  nämlich  er- 
zieherisch nicht  blofs  auf  den  Verstand,  sondern  auch  auf  Herz 
und  Gemüt  einwirken.  Auch  ist  es  dem  Verf.  wohl  gelungen, 
diesen  Grundsatz  durchweg  in  ansprechender  Weise  zur  Durch- 
fuhrung zu  bringen.  Von  ihm  ausgehend  ist  der  Verf.  auch  zu 
einer  anderen  Perioden-Einteilung  gelangt,  die  vom  all- 
gemein historischen  Standpunkte  aus  vielleicht  einigen  Bedenken 
unterliegen  mag,  pädagogisch  betrachtet  aber  zweifellos  hohe  Vor- 
züge bietet.  Ausgehend  von  der  Erwägung,  dafs  am  Ende  des 
Mittelalters^)  „der  herangereifte  germanische  Geist  kraft  der  ihm 


')  Der  Verf.  zieht  die  Zeit  bis  zum  Aagsburger  ReligioDsfrieden  mit 
zar  mittleren  Geschichte  heran,  weil  die  Reformation  in  Deatschland  mit 
znm  Auflösangsprozers  des  weltbeherrscheoden  Papsttums  gehöre  und  daa 
Wesen  der  neueren  Geschichte  auf  dem  selbständigen  Nebeneinanderbesteheji 
der  verschiedenen  Nationen  beruhe,  welches  erst  durch  das  Scheitern  der 
Pläne  Karls  V.  gesichert  sei,  —  eine  Neuerung,  die  schon  in  der  erwähnten 
Besprechung  des  1.  Teiles  beanstandet  ist  und  über  die  wir  hier  deshalb  mit 
dem  Verf.  nicht  rechten  wollen. 


«Dgas.  voD  Ferd.  Ohly.  335 

ionewohnenden  Freiheitsidee  die  universalen  Formen  in  der  Re- 
formation durchbricht",  stellt  er  in  der  ersten  Periode  die  Heraus- 
bildung katholischer  und  protestantischer  Staaten,  in  der  zweiten 
die  Bedeutung  der  protestantischen  preufsischen  Grofsmacht  unter 
den  GroEsstaaten  Europas,  in  der  dritten  die  Entstehung  des 
neuen  Deutschen  Reiches  in  seiner  weltgeschichtlichen  Bedeutung 
dar.  Und  es  ist  wohl  ohne  weiteres  zuzugeben,  dafs,  nachdem 
die  neuen  Lehrpläne  für  die  Geschichte  der  aufserdeutschen  Länder 
ausdrücklich  die  Beschränkung  auf  Ereignisse  von  weltgeschicht- 
licher Bedeutung  fordern  und  dementsprechend  der  Verf.  „das 
Ausland  nur  so  weit  herangezogen  hat,  als  es  zur  allgemeinen 
und  zur  deutschen  Entwicklung  beiträgt**,  gerade  durch  diese 
Anordnung^)  ein  Aufbau  erzielt  wird,  der  auf  breitem  Fundament 
ruhend  und  harmonisch  sich  verjüngend  durch  seine  durchsichtige 
Konstruktion  vorzüglich  geeignet  ist,  dem  Schuler  den  Zusammen- 
hang der  Ursachen  und  Wirkungen  zu  erschliefsen,  „das  Verständ- 
nis für  die  Gegenwart  und  insbesondere  für  die  Stellung  unseres 
Vaterlandes  in  derselben  mehr  als  bisher  vorzubereiten**^).  Dem- 
selben Zweck  aber  dienen  auch  die  Überschriften  der  einzelnen 
Abschnitte,  in  denen  der  Verf.,  ebenso  wie  im  Mittelalter,  dem 
Schüler  „überall  feste  Ziele,  gleichsam  Themata  gegeben,  deren 
Lösung  versucht  wird**.  Gewifs  werden  diese  Überschriften,  zumal 
wenn  ein  tüchtiger  Lehrer  in  seinem  mündlichen  Vortrag  immer 
wieder  auf  sie  als  Themata  hinzuweisen  versteht,  anregend  und 
belebend  wirken,  und  mit  Recht  polemisiert  der  Verf.  gegen  die 
Lehrbücher,  die  mit  Fassungen  wie  „Deutschland  nach  dem 
dreiDBigjährigen  Kriege*^  oder  „Europa  nach  dem  Frieden  zu 
Utrecht**  gar  keinen  Gedanken  enthalten.  Und  mit  den  Über- 
sdlriften  allein  hat  sich  der  Verf.  nicht  begnügt,  sondern  denselben 
jedesmal  einen  orientierenden  Überblick  folgen  lassen.  Diese  Über- 
blicke sind  meist  recht  gut,  stellenweise  aber  doch  im  Ausdruck 
für  den  Scholerstandpunkt  etwas  zu  hoch  gehalten.  Denn  wenn 
z.  B.  S.  34  von  Preufsen  gesagt  wird,  da&  „der  junge  Militärstaat 
sein  Augenmerk  nicht  auf  universale,  sondern  auf  nationale  Entwick- 
lung, nicht  auf  Unterdrückung  der  Individuen,  sondern  auf  Rechts- 
sicherheit und  Gewissensfreiheit  richtete**,  oder  dafs  Ludwig  XIV. 
^infolge  der  Lehre  königlicher  Allgewalt  und  unter  jesuitischem 
EinfluCs  den  fürstlichen  Despotismus  ausbildete,  der  keine  rechtliche 
und  sittliche  Schranke  mehr  kannte**,  so  ist  das  ja  zweifellos 
durchaus  richtig,  ob  es  aber  dem  Schüler,  auch  dem  der  obersten 


^  Die  herkömmliche,  z.  B.  von  Herbst  eingehalteoe  Anordnang,  nach 
««Icker  das  Zeitalter  des  Absolatiimus  als  2.  Periode  der  Neuzeit  gilt,  ver- 
wirft  der  Verf.^  weil  die  inoereo  Staatsformen  ihm  nicht  geeignet  erscheinen, 
der  Bildoog  der  Haaptperioden  zo  Grunde  gelegt  zu  werden,  und  er  weist 
■it  Recht  daraof  hin ,  dafs  eben  im  Zeitalter  des  Absolutismus  auch  die 
parlaneotarisehe  Monarchie  zur  vollen  Ausbildung  gelangt. 

^)   Kaiserliche  Kabinettsordre  vom  13.  Febr.  1890. 


336     ^-  Wessel,  Lehrb.  d.  Geschichte  f.  d.  Prima  höh.  Lehrcnst, 

Klasse,  verständlich  ist  und  der  Verf.  nicht  vielmehr  Gefahr  läuft, 
die  Neigung  zum  politischen  Raisonnement  und  zum  Doktrinarismus 
in  den  Schülern  grofs  zu  ziehen,  ist  eine  andere  Frage.   Oder  er- 
innert es  nicht  vielmehr  an  den  Ton  eines  KoUegienheftes  als  an  den 
eines  Lehrbuches,  wenn  wir  S.  37  lesen,  dafs  „gegen  die  Kasuistik 
der  jesuitischen  Moral  in  der  katholischen  Kirche  ein  ernsterer  Geist 
sich  regte'S  dafs  Joseph  11.  (S.  63)  „den  von  feudalen  und  hierarchi- 
schen Ideen  beherrsch len  Staat  vollständigumzubilden  gesucht'* habe? 
Bezüglich    der  Beschränkung  des  Stoffes    bemerkt  der 
Verf.  im  Vorwort,  dafs  er  die  Kriege,  die  ohne  klaren  Verlauf  und 
grofse  Entscheidungen   sind,    auf  das  geringste  Haus  herabgesetzt 
habe.     Doch  gilt  auch  für  das  vorliegende  Buch  das  im  Vorwort 
zum  I.  Teil  Gesagte,  dafs  vermieden  seien  alle  eingehenden  Schil- 
derungen und  Charakteristiken,  durch  die  der  l^ehrer  dem  Stoffe 
Farbe  und  Leben  gebe,   dafs  das  herausgehoben  sei,  was  für  das 
Verständnis  der  Zukunft   notwendig,   und  möglichst  weggelassen, 
was  für  das  geschichtliche  Verständnis  entbehrlich  ist,   weil  viel 
zu  sehr  die  meisten  Lehrbücher  die  Freude  am  „einzelnen  Leben'* 
hätten.     Der  Beschränkung  der  Kriege  wird  wohl  kaum  ein  ein- 
sichtiger Beurteiler  seine  Billigung  versagen,   dagegen  bat  es  mit 
der  Polemik  gegen  die  Freude  am  einzelnen  Leben  doch  so  seine 
eigene  Bewandtnis.     Auch  wir  wollen  eingehenden  Schilderungen 
und  Charakteristiken  wahrlich   nicht  das  Wort  reden,    aber  von 
den  Einzelheiten    ist  doch   gar  vieles   zu  wichtig,    als  dafs  es  in 
einem  Lehrbuch  für  Prima  hätte  übergangen  werden  dürfen.  Vor 
allem   vermissen    wir   in   dem   Buche   biographische   Notizen 
selbst  der  bedeutendsten  deutschen  Staatsmänner  und  Feldherren. 
Einem  Manne  wie  Bismarck  sind   ganze  11  Zeilen   in  einer  An- 
merkung (!)  gewidmet,  von  einem  Moltke  wird  wirklich  noch  auf 
der  allerletzten  Seite  des  Buches,  wiederum  in  einer  Anmerkung, 
Geburts-  und  Todestag  angegeben!   Von  Scharnhorst,  der  S.  119 
als  Vater  des  Gedankens   der  allgemeinen  Wehrpflicht  gar  nicht 
zur  Geltung  kommt,  erfahren  wir  nichts,  selbst  seine  Verwundung 
und  sein  Tod  finden  nur  in  einer  Anmerkung  Platz,  von  Stein  giebt 
der  Verf.   nur  die  Stammburg  des  Geschlechtes  an,  von  Blücher, 
Gneisenau,    dem    eisernen    York    u.  a.    rein   gar    nichts!     Aber 
auch   sonst   fehlt   manches,    was    dem  Beferenten  unentbehrlich 
dünkt.     Die  Finanznot,   die  doch  den  äufseren  Anlafs  zum  Aus- 
bruch   der   französischen  Bevolution    bildet,    und   die  verfehlten 
Mafsnahmen,  ihr  abzuhelfen,  die  Thätigkeit  Neckers  u.  s.  w.  hätten 
S.  97  wenigstens  in  aller  Kürze  geschildert  werden  müssen,  wenn 
anders    der  Primaner    die    folgende  Entwicklung    verstehen    solL 
S.  104  fragen  wir  vergebens  darnach,  in  welcher  trostlosen  Lage 
die   französische  Armee   in  Italien   bei  der  Übernahme  des  Kom- 
mandos durch  Napoleon^)  sich  befunden  habe.   S.  107  hören  wir 

')    Auch  NapoIeoDs  private  Notlage  vor  der  Übertragung  dieses  Ober- 
befehls fehlt,  wie  überhaupt  Genaueres  über  sein  Leben. 


angez.  vod  Perd.  0hl y.  337 

nichts  Yon  Saworows  meisterhaftem  Ruckzug  und  den  Kämpfen 
JD  der  Schweiz,  deren  Schilderung  doch  erst  verständlich  macht, 
in  welcher  Notlage  Prankreich  damals  war,  wie  das  Wiederein- 
greifen Napoleons  ihm  Luft  macht.  Wie  stimmt  das  alles  zu  dem 
Vorsatz  des  Verf.s,  die  bedeutenderen  Kriege  ausführlich  behandeln 
zu  wollen?  Jena  und  Auerstädt,  die  Niederwerfung  Preufsens  und 
weiterhin  die  Befreiungskriege  sind  allzu  kurz  dargestellt,  woför 
Ref.  hier  nur  die  Erklärung  weifs,  dafs  der  Verf.  geglaubt  hat« 
80  manches  als  bekannt  voraussetzen  zu  dürfen,  ein  Grundsatz, 
der  mehr  als  bedenklich  erscheint,  denn  dadurch  wird  die  Be- 
deutung dieser  Ereignisse  in  den  Augen  der  Schüler  höchstens 
geschmälert^),  und  mit  dem  Zurückgreifen  auf  früher  erworbene 
Kenntnisse  hat  es  erfahrungsmäfsig  immer  einen  Haken.  Warum 
wird  dem  Schüler  der  ruhmvolle  Anteil  der  Preufsen  unter  L'Estocq 
an  der  Schlacht  bei  Eylau,  warum  das  ergreifende  Schicksal  des 
llerzogs  von  Braunschweig  vorenthalten?  Was  aus  Kurhessen  und 
seinem  Herrscher  wird,  mufs  der  Schüler  erst  aus  dem  Folgenden 
erraten,  ebenso  wie  er  die  Bedeutung  der  „neuen  Länderverluste*' 
für  Österreich  1809  unmöglich  würdigen  kann,  wenn  nicht  her- 
vorgehoben wird,  dafs  Napoleon  es  geflissentlich  vom  Meere  ab- 
drängt. Desgleichen  kann  die  Bedeutung  der  schlesischen  Armee, 
als  des  treibenden  Elements  im  Befreiungskriege,  aus  der  vor- 
liegenden Darstellung  unmöglich  erkannt  werden.  In  der  neuesten 
Geschichte  wird  u.  a.  der  Anteil  Mac  Hahons  an  dem  Siege  von 
Magenta  gar  nicht  erwähnt,  während  doch  der  Herzog  von  Magenta 
dem  Schüler  nicht  unbekannt  bleiben  dürfte,  zumal  in  unseren 
Tagen.  Die  Behandlung  der  Luxemburger  Frage  S.  164  ist  zu 
dürftig,  da  nicht  einmal  die  Räumung  der  Stadt  durch  Preufsen 
und  ihre  Aufgabe  als  Bundesfestung  erwähnt  wird,  und  wenn  bei 
dieser  Gelegenheit  richtig  von  dem  Gefühl  der  Schwäche  gesprochen 
wird,  das  Frankreich  hatte,  weil  es  noch  keine  Hinterlader  be- 
sessen habe,  so  ist  es  doch  unumgänglich  notwendig,  weiterhin 
von  der  Einfuhrung  der  Chassepots  und  Mitrailleusen  und  der 
französischen  Armeereorganisation  (1867 — 69)  zu  reden.  Wenn 
ToUends  nach  der  Forderung  der  neuen  Lehrpläne  in  Prima  die 
innereii  Verhältnisse  vor  den  äufseren  in  den  Vordergrund  treten 
sollen:  wie  kann  man  dann  die  Abdankung  Ferdinands  I.  von 
Österreich  S.  153  nur  in  einer  Anmerkung  berühren,  wie  den 
Strafsenkampf  in  Berlin  von  1848  S.  140  gar  nur  in  1^  Zeilen 
abmachen,  und  ohne  die  Flucht  des  Prinzen  Wilhelm  zu  er- 
wähnen! 

Hat  so  der  Verf.  hier  in  der  Beschränkung  des  Guten  ent- 
schieden zu  viel  gethan,  so  hätte  er  dagegen  an  anderen  Stellen 
getrost  noch  mehr  streichen  sollen.    Denn  manches  ist  nicht  nur 

')  Wird  doch  selbst  die  heldenmötige  Verteidigung  Colbergs  darch 
Gaexsenan,  Nettelbeck,  Schiü  in  eine  Anmerkaog  verwieseo.  Vgl.  darüber 
■■fea. 

ZntaektUk  t  d.  GjmnMUlwraen  XLVIII.   6.  22 


338     ^'   Wessel,  Lebrb.  d.  GeschicJite  f.  d.  Prima  höh.  Lehranst., 

entbehrlich,  sondern  sogar  überflüssig.  Die  Nachrichten  über  das 
Leben   Zwingiis,   Calvins,  Loyolas^)   und   zumal    die   eingehende 
Darstellung  ihrer  Lehren    gehören   in  dieser  Ausführlichkeit*)  in 
ein  Lehrbuch   der  Kirchengeschichte.     Und  fast   noch   mehr  gilt 
das  von  den  dogmatischen  Streitigkeiten  im  Protestantismus  S.  21, 
wo   sogar  dem  Cryptocalvinismus   und  dessen  Bekämpfung  durch 
das  strenge  Luthertum  fast  |  Seite  (Text)  gewidmet  wird.    Ist  es 
nötig   S.  9    die  Steuerpläne  Herzog  Albas    so    eingehend    zu  be- 
leuchten, dafs  in  einer  zugefügten  Anmerkung  sogar  der  Prozent- 
satz der  einmaligen  (1  %  aller  Vermögenswerte)  wie  der  dauernden 
(5^  bei  Verkauf  von  Grundeigentum,  10^  bei  Verkauf  jeder  Ware) 
namhaft    gemacht    wird?     Die  fettgedruckte  Jahreszahl  1587  als 
Todesjahr  der  Maria  Stuart  —  sogar  das  Datum  ist  im  Text  an- 
gegeben   —   würde    Ref.    dem    Schüler   unbedenklich   erlassen, 
ebenso  den  Reichstag  der  Schweden  zu  Westeras  1527  (gleichfalls 
fettgedruckt),  desgleichen  die  Stiftung  des  Schwanenordens  unter 
Friedrich  IL  (S.  69).      Auch    die   doch    ohne  Folgen   gebliebene 
Schlacht  bei  Allerheim  (S.  31)  scheint    entbehrlich,    noch    mehr 
aber  Sachen  wie  z.  ß.  die  Stiftung  der  Freimaurerlogen,   denen 
S.  91  ganze  5  Zeilen  Text    mit  Angabe    der  nicht  einmal  einge- 
klammerten Jahreszahl  1717  und  dazu  noch  eine  Anmerkung  ge- 
widmet werden.    Geschichten  wie  das  ärgerniserregende  Verhältnis 
Ludwigs  L  von  Bayern   zu  der  spanischen  Tänzerin  Lola  Montez 
S.  140    möchte   Ref.   schon    aus    pädagogischen  Rücksichten    aus 
einem  Schulbucbe  verbannt  sehen.  Militärische  Kenntnisse  scheint 
der  Verf.  unsei*en  Schulern   sehr  wenig  zuzutrauen.     Hält   er  es 
doch  S.  118  für  nötig,   die  Einteilung  eines  preufsischen  Armee- 
korps aufs  genaueste  darzuthun,  ja  in  einer  Anmerkung  sämtliche 
Chargen  vom  Regiments- Obersten  aufwärts  und  abwärts   mit  An^ 
gäbe  des  von  ihnen  kommandierten  Truppenteils  einzeln  namhaft 
zu  machen.    Über  andere  Beschränkungen,  die  dem  Ref.  dringend 
wünschenswert  erscheinen,  wird  weiter  unten  bei  der  Betrachtung 
von  Wissenschaft    und   Kunst,   Verwaltung   und  wirtschaftlichem 
Leben  zu  handeln  sein. 

Vielfach  aber  ist  die  Beschränkung  in  der  Auswahl  des  Stoffes, 
die  sich  der  Verf.  auferlegt,  eine  nur  scheinbare,  da  eine  Fülle 
von  Notizen  in  geradezu  zahllosen  Anmerkungen  niedergelegt  ist. 
In   welchem  Umfange   dieses  Verlegenheitsmittel   der  Anmerkung 


^)  Merkwiirdijf  wirkt  der  Gegensatz  zwischen  den  zahlreiclien  Mo* 
graphischen  Notizen  bei  dieseo  Männern  und  dem  fast  gänzlichen  Fehlen 
derselben  bei  nosern  grofsen  Staatsmännern  und  Generalen. 

*)  Das  Gleiche  gilt  in  mancher  Beziehung  von  der  „£ntwicklnn{^ 
des  Ultramou  tanismus  im  19.  Jahrhundert'^;  werden  doch  dem  Streit 
mit  dem  Erzbischof  Droste-Vischering  von  Cöln  10  Zeilen  Text  (S.  155)  ge- 
widmet« die  Entwicklang  des  Kultus  des  heiligen  Herzens  Jesu,  das  Dogma 
von  der  unbefleckten  Empfängnis  der  Jungfrau  Maria  (mit  Angabe  der  Jahres* 
zahl!),  die  Encyclica  von  lb64,  ja  selbst  die  ephemere  Berühmtheit  der  MariM 
von  Lourdes  in  den  Kreis  der  Betrachtung  hineingezogen. 


aogez.  voD  Ferd.  Ohly.  339 

hier  angewandt  ist,  wird  ain  klarsten  aus  der  Thatsacbe  erkannt, 
dafs  von  den  190  Textseiten  des  Buches  sage  und  schreibe  15 
ohne  Anmerkungen  geblieben  sind!  Sechs  Anmerkungen,  ja  sieben 
auf  einer  Seite  sind  keine  Seltenheit,  S.  138  finden  wir  sogar 
deren  acht,  pnd  zuweilen  ist,  wie  S.  148,  die  halbe  Seite  mit 
kleingedruckten  Anmerkungen  bedeckt.  So  hat  sich  der  Verf.  mit 
seiner  Beschränkung  des  Stoffes  selbst  hinters  Licht  gefuhrt,  denn 
was  er  aus  dem  Text»  seinen  strengen  Grundsätzen  folgend,  aus- 
geschieden, das  kommt  durch  das  Hinterpförtchen  der  Anmerkungen 
doch  wieder  ins  Büchlein  hinein.  Und  dabei  ergiebt  sich  dann 
Doch  der  grolse  Übelstand,  dafs  so  manche  Notizen  in  den  An- 
merkangen  sich  finden,  denen  zweifelsohne  eine  Stelle  im  Text 
selbst  gebührt,  z.  B.  der  Sieg  bei  Peterwardein  und  die  Eroberung 
Ton  Belgrad  S.  61  (schon  durch  den  Druck  hervorgehoben,  also 
doch  zu  lernen  I),  Derfflinger  und  Frhc.  von  Sparr  als  Schöpfer 
der  brandenburgischen  Reiterei  und  Artillerie  S.  73,  die  Anlegung 
des  Friedrich  -  Wilhelmskanals  ^)  und  die  Regelung  des  Postwesens 
durch  den  Grolsen  Kurfürsten  S.  74,  die  Reform  der  preufsischen 
Infanterie  durch  Leopold  von  Dessau  S.  76,  der  rühmliche  Wider- 
stand der  schlesischen  Festungen,  der  Städte  Graudenz  (Courbiere), 
Danzig  und  Colberg  S.  112,  die  Bildung  von  Freikorps,  besonders 
des  Lützowscben')  S.  119,  der  sonst  gar  nicht  erwähnte  helden- 
mütige Freiheitssänger  Theodor  Körner  und  sein  Heldentod  bei 
Gadebnsch  S.  120.  Wenn  der  Schüler  solche  erhebenden  Züge 
und  Gestalten  in  den  Winkel  gedrängt  sieht,  so  mufs  er  ja  bei- 
nahe irre  werden  an  dem,  was  auf  einer  früheren  Stufe  ihm 
vielleicht  Rühmenswertes  darüber  vorgetragen  ist,  wenn  anders 
es  noch  in  seinem  Gedächtnis  haftet.  Und  wozu  auf  der  Ober- 
stufe auf  dieses  köstliche  Mittel  zur  Erregung  und  Belebung  eines 
wahrhaft  patriotischen  Sinnes  Verzicht  leisten?  Oder  soll  das  ganz 
und  gar  dem  mündlichen  Vortrag  des  Lehrers  überlassen  werden? 
Aber  den  mufs  doch  das  Lehrbuch  sinngemäfs  unterstützen!  An* 
merkungen  werden  dem  Schüler  mit  Recht  meist  als  ein  über- 
flüssiges Beiwerk  erscheinen,  das  dem  Gedächtnis  nicht  eingeprägt 
zu  werden  braucht.  Und  doch  sind  hier  die  Anmerkungen  zu- 
weilen zum  Verständnis  des  Folgenden  unbedingt  notwendig.  Dafs 
der  Schüler  Schweden  und  nachher  auch  Bayern  1813  auf  Seiten 

^)  Aach  die  An]ag^e  des  Planenschen,  Fioow-  und  Bromberger  Kanals 
4areh  Friedr.  d.  Gr.  g^ehSrt  io  den  Text. 

*)  Vielleicht  kat  der  Verf.  diese  ÄDordaung  in  der  Absiebt  getrofTeo, 
eise  richtige  Wertschätzung  der  früher  häafig  weit  Uberschätztea  kriegerischen 
Leiataagen  der  Lötzower  in  den  Augen  der  Schüler  za  gewinnen.  Auch  wir 
sind  weit  entfernt,  denselben  allza  grofse  Wichtigkeit  beiznlegeo;  allein  der 
hcMennlitige  Sinn  and  der  anfopferougsfrendige  Patriotismus  dieser  edelsten 
Jiaglinge  der  deutschen  Nation  ist  an  und  für  sich  schon  rühmenswert  genug 
vad  von  unberechenbarer  Bedeutung  für  die  Weci^ung  patriotischen  Sinnes, 
zumal  im  anfserprenfsischen  Deutschland,  gewesen.  Aufgabe  eines  Schul- 
buches kann  es  deshalb  nimmermehr  sein,  ihre  Leistungen  kritisch  zu 
beleuchten. 

22* 


340     P.  Wessel,  Lehrb.  d.  Geschichte  f.  d.  Prima  höh.  Lehranst., 

der  Verbündeten,  Dänemark  dagegen  auf  Seiten  Napoleons  Gndet, 
kann  er  sich  nur  aus  den  Anmerkungen  S.  120  und  121  erklären. 
Ereignisse  wie  der  Aufstand  in  Braunschweig  und  die  Verjagung 
des  Herzogs  Karl  S.  131,  die  Erhebung  Hannovers  zum  selbstän- 
digen Königreich  und  der  frivole  Verfassungsbruch  Ernst  Augusts 
S.  139,  die  Niederwerfung  des  badischen  Aufstandes  durch  preu- 
fsische  Truppen  unter  dem  Prinzen  Wilhelm  von  Preufsen  S.  141, 
der  Gasteiner  Vertrag  und  sein  Bruch,  dem  S.  160  eine  Anmerkung 
von  8  Zeilen  gewidmet  wird,  ja  selbst  der  Helgoland -Vertrag  v.  J. 
1890  sind  Dinge,  die  entweder  ihrer  Zeit  von  so  hervorragend 
symptomatischer  Bedeutung  waren  oder  in  ihren  Folgen  so  sehr 
in  die  Gegenwart  hineinreichen,  dafs  sie  als  wichtige  Glieder  der 
Entwicklung  der  deutschen  Verhältnisse  in  den  Text,  wenn  auch 
vielleicht  nicht  in  der  Ausführlichkeit  der  Anmerkungen,  einzu- 
reihen sind.  Und  wenn  wir  auch  möglichste  Beschränkung  in  der 
aufserdeutschen  Geschichte  durchaus  biUigen,  so  können  wir  doch 
unsere  Verwunderung  nicht  unterdrucken,  in  der  englischen  Ge- 
schichte ein  solches  Grundgesetz  wie  die  Habeascorpusacte  (S.  48), 
in  der  österreichischen  die  Neuordnung  von  1867  (S.187,  8  Zeilen!), 
in  der  russischen  die  Aufhebung  der  Leibeigenschaft,  die  Ermor- 
dung Alexanders  H.  und  die  Ausbildung  des  Nihilismus  (S.  188 
15  Zeilen)  lediglich  in  Anmerkungen  erwähnt  zu  finden. 

Mit  diesem  Anmerkungsunwesen  hängt  zusammen  eine  auf- 
fallende Ungleich  mäfsigkeit  in  der  Behandlung  ziemlich  gleich- 
wertiger Nachrichten.  S.  2  steht  Zwingiis  Leben  im  Text,  S.  3 
Calvins  Leben  in  der  Anmerkung,  S.  12  die  holländische  Haler- 
schule im  Text,  die  brabantisch-flandrische  (mit  Rubens  und  van 
Dyk!)  in  der  Anmerkung,  S.  35  die  Unterwerfung  von  La  Rochelle, 
der  letzten  Burg  der  Hugenotten,  in  einer  Anmerkung,  S.  37  die 
Aufhebung  und  Zerstörung  der  Abtei  Port-Royal,  des  Mittelpunktes 
des  Jansenismus,  (mit  Angabe  zweier  Jahreszahlen!)  im  Text, 
S.  128  die  Griechenheder  Möllers  und  Lord  Byrons  Gedichte,  seine 
Teilnahme  am  hellenischen  Freiheitskampfe  und  sein  Tod  im  Text, 
Theodor  Körners  Kriegslieder  und  Heldentod,  Röckerts  „Geharnischte 
Sonette^*  in  einer  Anmerkung,  S.  133  die  Abdankung  Ferdinands  1. 
von  Österreich  in  einer  Anmerkung,  die  Karl  Alberts  von  Sardinien 
im  Text.  Eine  ebenso  merkwürdige  Ungleichmäfsigkeit  ist  es, 
wenn  die  verunglückte  mexikanische  Expedition  Napoleons,  bei 
der  ein  kurzer  Hinweis  genügt  hätte,  denselben  Raum  im  Text 
einnimmt,  wie  der  dänische  Krieg  von  1864.  Soll  der  Schüler 
etwa  beiden  Unternehmungen  gleiche  Bedeutung  beimessen? 

Ganz  erheblich  einschränken  würde  Ref.  die  unendlich  zahl- 
reichen geographischen  Notizen,  durch  welche  die  Lage  fast 
jeder,  auch  noch  so  bekannten  Stadt  näher  bestimmt  wird.  Verf. 
mufs  mit  den  geographischen  Kenntnissen  seiner  Primaner  sehr, 
sehr  traurige  Erfahrungen  gemacht  haben,  wie  er  denn  auch  im 
Vorwort    zum   L  Teile   seines  Buches    oiTen    den  Grundsatz    aus- 


angez.  vod  Ferd.  Ohly.  34} 

spricht,  da£s  der  Lehrer  in  der  Prima  in  der  Geographie  nichts 
toraussetzen,  auch  Fluls  und  Gebirge  erst  wieder  anschaulich 
machen  müsse.  Zugegeben,  dafs  es  mit  dem  Wissen  der  Primaner 
auf  diesem  Gebiete,  wie  die  Entlassungsprüfungen  oft  genug  zum 
Entsetzen  aller  Anwesenden  darthun,  übel  genug  bestellt  ist:  der 
hier  eingeschlagene  Weg  ist  aber  wahrlich  nicht  der  richtige,  eine 
gesunde  Besserung  herbeizufuhren,  er  spricht  richtigen  pädagogi- 
schen Grundsätzen  geradezu  Hohn,  stellt  dem  Lehrer  wie  dem 
Schuler  das  denkbar  schlechteste  Zeugnis  aus  und  befördert  in 
unverantwortlicher  Weise  Gedankenlosigkeit  und  Bequemlichkeit. 
Oder  was  sollen  wir  dazu  sagen,  wenn  der  Verf.  es  für  nötig  hält, 
die  Lage  Ton  Genf,  Pamplona,  Nantes,  Spandau  (!),  Mannheim 
(zweimal  S.  39  und  126  in  demselben  Buche!),  Küstrin,  Göltingen, 
ja  selbst  der  Burg  Hohenzollern  noch  genau  zu  bestimmen?  Sollte 
nicht  vielmehr  der  Lehrer  es  für  seine  heilige  Aufgabe  halten, 
einen  faulen  Schuler,  der  solche  Sachen  nicht  einmal  weifs,  mit 
unnachsichtlicher  Strenge  dazu  zu  zwingen,  selbst  sich  zu  infor- 
mieren und  so  die  selbstverschuldeten,  unverantwortlichen  Lücken 
seines  Wissens  sobald  als  möglich  auszufüllen?  Andere  geogra* 
phische  Angaben  des  Buches  muten  uns  mit  Rücksicht  auf  den 
Grundsatz  des  Verfassers,  nichts  als  bekannt  vorauszusetzen,  recht 
merkwürdig  an.  Wenn  z.  B.  Donauwörth  als  am  Einflufs  der 
Wömitz  in  die  Donau  (S.  23),  Rastatt  als  an  der  unteren  Murg 
(S.  41),  Narwa  als  an  der  unteren  Narowa  (S.  57),  Soor  als  süd- 
westlich von  Trautenau  an  der  Aupa  liegend  (S.  83)  bezeichnet 
werden,  so  wird  der  bequeme  Primaner  zweifelsohne  schmerzlich 
ausrufen:  ja,  wo  liegen  denn  Wömitz,  Murg,  Narowa  und  Aupa? 
Er  wird  die  Bestimmungen  geduldig  lernen,  vielleicht  auch  nicht, 
jedenfalls  aber  um  die  Lage  dieser  Flufschen  keine  graue  Haare 
sich  wachsen  lassen.  Ref.  möchte  vielmehr  dem  Verf.  dringend 
raten,  *die  Schüler  mit  aller  Strenge  zur  eifrigen  Benutzung  des 
heoer  ja  fast  überall  eingeführten  historischen  Atlas  anzuhalten 
und  sie  dann  jeden  Ort  von  Bedeutung  selbst  bestimmen  zu  lassen. 
Aas  diesem  Grunde  hält  Ref.  auch  die  dem  Texte  eingefügten 
K arten bild er  für  gänzlich  überflüssig. 

Hit  auDserordentlicher  Gründlichkeit  und  tüchtiger  Sachkennt- 
nis hat  der  Verf.  sich  bemüht,  auch  das  Wichtigste  aus  der  Ge- 
schichte der  Verfassung  und  Verwaltung  der  einzelnen  Staaten 
in  seine  Darstellung  zu  verweben,  und  mit  Recht  rühmt  er  sich, 
zum  ersten  Male  in  einem  Lehrbuch  den  Versuch  gemacht  zu 
haben,  speziell  für  Preufsen  „die  innere  staatliche  Entwicklung 
im  Zusammenhange  darzulegen,  an  dem  preufsischen  Beispiel  die 
allmähliche  Entwicklung  von  dem  Lehnsstaat  zum  modernen  Ein- 
heitsstaat zu  verfolgen".  Die  Darstellung  ist  in  den  meisten 
Partieen  klar  und  gut,  doch  läuft  der  Verf.  stellenweise  auch 
Gefahr,  durch  allzu  liebevolles  Eingehen  auf  Einzelheiten  dem 
Verständnis  des  Schälers  zu  viel  zuzumuten.     So  ist  der  „Grün- 


342     ^*  Wessel,  Lehrb.  d.  Geschichte  f.  d.  Prima  höh.  Lehranst, 

dung  der  prenfsischen  VerwaltUDg*'  durch  Friedrich  Wilhelm  I.  ein 
Abschnitt  von  mehr  als  einer  Seite  gewidmet,  die  Schöpfung  der 
Lokal'  (Steuerrat  und  Landrat),  Provinzial-  (Kriegs-  und  Domänen- 
kammern) und  Zentral -Verwaltung  (General-Direktorium)  wird  ein- 
gehend besprochen,   und  es  ist  dem  Ref.  doch  mehr  als  zweifel- 
haft,  ob  diese  Organisation,    von  welcher  nur  noch  der  Landrat 
in  die  Gegenwart  hineinreicht,  dem  Schuler  wirklich  ein  lebendiger, 
mit  vollem  Verständnis    erfafster  Besitz    wird,    ob   er  mit  diesen 
Einrichtungen,  bezw.  ihren  heutzutage  zum  Teil  in  ganz  anderem 
Sinne   gebrauchten  Benennungen   wirklich    die  richtigen  Begriffe 
verbindet,  oder  ob  sie  nicht  vielmehr  eine  unnötige  Belastung  des 
Gedächtnisses  darstellen.     Denn   ganz    gewifs    gilt  doch  hier  der 
Grundsatz,  dafs  die  Schilderung  vergangener  Verhältnisse  vor  allem 
dazu  dienen  soll,  ein  Verständnis  für  die  in  der  Gegenwart  voll- 
endete Entwicklung   anzubahnen,    und    ob  das  durch  diese  Dar- 
stellung erreicht  wird,  ist  mindestens  fraglich.    Ebensowenig  will 
es  dem  Ref.  einleuchten,   dafs  bei  der  Neuordnung  des  Gerichts- 
wesens   durch  Friedrich  d.  Gr.   dem  Schuler  die  Kompetenz  der 
Untergerichte  (Gerichte  erster  Instanz)  und  staatlichen  Appellations- 
gerichte  (Gerichte    zweiter  Instanz)    zu    wissen    nötig    sei.     Wir 
sollten  zufrieden  sein,  wenn  der  Schüler  Ober  die  heutige  Organi- 
sation des  Gerichtswesens  Aufschlufs  geben  kann,  wozu  der  Verf. 
S.  176    eine   recht   gute  Anleitung   giebt,    wie  denn  überhaupt 
die   Verfassung    und    Verwaltung    des    neuen   Deutschen  Reiches, 
sowie  die  Durchführung  der  Selbstverwaltung  in  Preufsen  S.  176 
bis  183  ausführlich  und    sehr   ansprechend    dargestellt    und  da- 
mit   der    Forderung,    dafs    der   ins    Leben    eintretende    Schüler 
auch    über   diese    bisher   leider   so  sehr  vernachlässigten ,    kaum 
als    Unterrichtszweig    geltenden    und    doch    so    unendlich    wich- 
tigen   Verhältnisse    (Bürger-    und    Gesetzeskunde)  belehrt  werde, 
Genüge    geleistet    ist.      Zu    bedauern    ist    fjreilich    hier,      dafs 
der  Verf.   die   gerade    diesem    Abschnitt   so    besonders    zahlreich 
zugefügten  Anmerkungen    nicht  fast  sämtlich  in  den  Text  aufge- 
nommen hat. 

Auch  die  bedeutenderen  Wandlungen  im  wirtschaftlichen 
Leben  hat  der  Verf.  fast  überall  gebührend  berücksichtigt.  Sämt- 
liche Erfindungen,  die  in  unserem  Jahrhundert  eine  so  unge- 
heure Umwälzung  des  gesamten  gesellschaftlichen  Lebens  und 
einen  bis  dahin  in  der  Geschichte  unerhörten  Aufschwung  in 
Handel  und  Verkehr  hervorgerufen  haben,  sind  knapp  und 
doch  in  durchaus  genügender  Ausführlichkeit  berührt,  von  der 
Wattschen    Dampfmaschine^)    bis   zur  Einführung   der  landwirt- 


')  Wooderbar  ist  es,  dafs  der  Verf.  hier  S.  172  derselben  die  ihr  zo- 
kommende  Stelle  im  Text  gewährt,  wahrend  er  sie  S.  51  bei  der  Eatwicklaog 
Englands  zum  ersten  indastriellen  Staat  Europas,  ebenso  wie  die  so  überaas 
wichtige  Erfindung  des  Maschinenwebstahls,  in  eine  Anmerkiing 
verweist. 


angez.  von  Ferd.  Ohly.  343 

schafllichen  Maschinen  und  der  Entdeckung  des  Rübenzuckers, 
ton  der  Telegraphie  (Gaufs,  Weber,  Morse,  Wbeatstone)  bis  zum 
£disonschen  Phonographen,  dem  Bellschen  Telephon  und  den 
Siemensschen  dynamo- elektrischen  Maschinen.  Und  in  sehr 
glücklicher  Weise  ist  an  diese  Umwälzung  die  Entstehung  der 
sozialen  Frage  angeschlossen,  deren  Auftauchen  aus  den  Ver- 
hältnissen erklärt  und  mit  sicherem  Takt  so  verständig  beleuchtet 
wird,  dafs  dem  Schüler  diese  in  unseren  Tagen  so  unendlich 
wichtige  Frage  kein  Buch  mit  sieben  Siegeln  bleibt.  Einiges,  wie 
z.  B.  das  Proudhonsche  Wort:  la  propri^te  c'est  le  vol,  die  For- 
deniDgen  eines  Louis  Blanc  und  „den  Satz  des  Engländers  Ricardo, 
dafo  der  Preis  der  Arbeitskraft  (der  Lohn)  bestimmt  werde  durch 
die  zur  Erhaltung  des  Arbeiters  nötigen  Lebensmittel'*,  hält  Ref. 
freilich  für  entbehrlich  und  würde  statt  dessen  lieber  in  An- 
knüpfung an  die  Begründung  der  sozialdemokratischen  Partei 
(1863)  durch  Lassalle  und  Karl  Marx  das  Eintreten  sozialdemo- 
kratischer Abgeordneten  in  den  Deutschen  Reichstag  erwähnt 
sehen.  Denn  dann  könnte  der  Verf.  an  seine  durchaus  richtige 
Kritik  der  sozialdemokratischen  Lehren  oder  an  seine  ebenfalls 
gute  Darstellung  der  sozialen  Gesetzgebung  S.  184  den  Vor- 
wurf anknüpfen,  dafs  unsere  sozialdemokratische  Partei,  wenn  es 
sich  um  Heilung  der  thatsächlich  vorhandenen  wirtschaftlichen 
and  gesellschaftlichen  Schäden  von  Reichs  wegen  gehandelt  hat, 
last  noch  stets  ihre  thätige  Mitwirkung  versagt  und  nur  im  Säen 
von  Dnrafriedenheit  und  öder  Negierung  aller  positiven  Besserongs- 
vorschläge  ihre  Aufgabe  gesucht  hat.  —  Im  Zweifel  kann  man 
darüber  sein,  ob  es  sich  empfiehlt,  die  Anschauungen  und  Systeme 
der  neueren  Volkswirtschaftslehre  in  ein  Schulbuch  auf- 
zunehmen. Stellt  man  sich  aber  einmal  auf  den  Standpunkt 
des  Verf.s,  der  dies  für  wünschenswert  hält,  dann  gehören 
AosfobruDgen  z.  B.  über  die  im  Gegensatz  zum  Merkantil- 
sjstem^)  infolge  des  Aufschwungs  von  Handel  und  Gewerbe 
sich  ausbildende,  „durch  Adam  Smith  in  seinem  1776  erschiene- 
nen weltberühmten  Buche  über  die  Ursachen  des  Nationalreich- 
tums  zum  Siege  gebrachte"  neue  Volkswirtschaftslehre  (S.  51, 
11  Zeilen)  und  über  die  durch  Wilhelm  Röscher^)  begründete 
deatsefae  historische  Schule  (S.  148,  12|  Zeilen)  um  so  mehr 
in  den  Text,  nicht  in  eine  Anmerkung,  als  u.  a.  S.  184  im  Text 
darauf  Bezog  genommen,  die  Bekanntschaft  mit  denselben  also 
gefordert  wird. 

Besondere  Beachtung  verdienen  auch  die  vom  Verf.  am  Schlufs 
der  einzelnen  Abschnitte  eingefügten  Auseinandersetzungen  über 
die  Fortschritte  in  Wissenschaft  und  Kunst,  wie  ja  überhaupt 
m  tut  allen  neuerdings  erschienenen  Lehrbüchern  diesem  bisher 


>)   D»B    MerkantlUystem   selbst   und    der  Name  Roschers   finden   sich 
merkwürdiger  Weise  im  Text. 


344     P-  Wessel,  Lehrb.  d.  Geschichte  f.  d.  Prima  höh.   Lehraast., 

SO  stiefmütterlich  behandelten  Zweige  der  Kulturgeschichte  die 
Beachtung  zu  teil  geworden  ist,  die  ihm  gebührt.  Ja,  man  kann 
die  Bemerkung  nicht  unterdrucken,  dafs  die  Beaktion  gegen  diese 
frühere  Vernachlässigung  bei  den  meisten  Verfassern  ein  Obergehen 
ins  andere  Extrem  gezeitigt  hat.  Denn  gesundes  Mafs halten 
ist  hier  mehr  als  irgendwo  geboten  und  zu  betonen,  dafs  es 
unmöglich  Aufgabe  eines  Schulbuches  sein  kann,  gerade  auf 
diesem  Gebiete  etwa  eine  Fülle  von  Namen  und  Cinzelkenntnissen 
zu  bieten.  Ein  Lehrbuch  der  Geschichte  auch  für  die  Prima  soll 
und  darf  nicht  zugleich  eine  Fundgrube  für  alle  möglichen  Daten 
aus  der  Kirchengeschichte,  aus  der  Geschichte  der  Naturwissen- 
schaften, Litteratur,  der  Philosophie,  der  bildenden  Künste  sein 
wollen,  sondern  mufs  sich  vielmehr  auf  kurz  gehaltene  Andeutungen 
beschränken,  die  geeignet  sind,  den  inneren  Zusammenhang  der 
eigentlich  historischen  Ereignisse  mit  dem  Aufschwung  bezw. 
Niedergang  in  Kunst  und  Wissenschaft  den  Schülern  verständlich 
zu  machen,  eben  dadurch  mehr  zu  späterem  Studium  anzuregen, 
als  abgeschlossene  Kenntnisse  und  fertige  Urteile  —  rasch  fertig 
ist  die  Jugend  mit  dem  Wort!  —  zu  vermitteln.  Vor  allem  aber 
müssen  alle  Ausführungen  in  Ausdruck  und  Ton  dem  Fassungs- 
vermögen auch  der  schwächer  begabten  Schüler  angepafst  sein; 
denn  einfach  auswendig  lernen  lassen  sich  doch  solche  Dinge 
nicht,  und  toter  Gedächtnisstoff  würde  eher  verderblich  als  för- 
derlich wirken.  Beide  Gefahren  sind  vom  Verf.  des  vorliegenden 
Buches  nicht  immer  vermieden  ^).  S.  146  z.  B.  sind  dem  Peter 
Cornelius  allein  13  Zeilen  Text  (mit  4  Jahreszahlen)  gewidmet, 
und  doch  giebt  es  selbst  unter  den  Erwachsenen  so  wenige,  die 
die  Gedankentiefe  dieses  unsterblichen  Meisters  voll  zu  würdigen 
wissen.  Was  soll  nun  vollends  der  Schüler  damit  anfangen,  wenn 
er  hört,  dafs  Friedrich  Wilhel^n  IV.  1841  den  Künstler  nach  Berlin 
berufen  habe,  „um  die  in  Form  des  berühmten  Campo  Santo  in 
Pisa  geplante  Friedhofshalle  mit  Gemälden  zu  versehen'^  deren 
„Entwürfe,  gestochen  von  Thäter,  wegen  ihrer  Gedankentiefe  und 
genialen  Formgestaltung  zu  dem  Grofsartigsten  gehören,  was  die 
Kunst  überhaupt  geschaffen  hat''?  Wird  dadurch  etwa  das  eigen- 
tümliche Wesen  der  Kunst  des  Meisters  dem  Schüler  verständlich? 
Ein  Verständnis  könnte  doch  höchstens,  wenn  nicht  erreicht,  so 
doch  angebahnt  werden  durch  eigenes  Beschauen  von  Abbildungen 
der  Entwürfe,  und  welchem  Lehrer  stehen  denn  solche  Hilfsmittel 
beim  Unterricht  zu  Gebote?  Wieviele  Schüler  werden  selbst  dann 
imstande  sein,  den  begleitenden  Erklärungen  eines  auch  kunst- 
sinnigen und  kunstbegeisterten  Lehrers  zu  folgen?  Bef.  hält  eben 
solche  abstrakten  Auseinandersetzungen  in  einem  Schulbuche  für 
verfehlt,    und  es  erscheint  ihm  richtiger,    lieber  unter  Verzicht- 

^)  Ref.  greift  hier  yf'ie  im  folgeodeD  nur  Proben  heraas,  speziell  die 
Periode  der  Romaotik,  wie  sie  der  Verf.  oeoot;  von  den  früheren  und  späteren 
Abschoitteo  gilt  jedoch  im  grofsen  aod  ganzen  dasselbe. 


aagez.  von  Ferd.  Ohly.  345 

JeistuDg  aaf  Vollständigkeit  eines  Abrisses  der  KunstentwickluDg 
Dur  solche  Werke  heranzuziehen,  die  wenigstens  einem  Teil  der 
Schuler  durch  vielfach  verbreitete  Reproduktionen  zugänglich  sind. 
Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  findet  Ref.  die  Erwähnung  Wil- 
helm Kaulbachs,  „der  die  symbolisch  -  historischen  Darstellungen 
für  das  Treppenhaus  des  neuen  Museums  in  Berlin  entwarf',  viel 
*  natürlicher;  denn  dessen  Zerstörung  Jerusalems  ist  vielleicht 
manchem  Primaner  schon  aus  dem  Clternhause  bekannt,  des- 
gleichen die  Schnorrs,  dessen  treffliches  Bibelwerk  mancher  viel- 
leicht gesehen  hat,  vielleicht  auch  die  L.  Richters,  „der  das 
deatsche  Kleinleben  mit  der  Sinnigkeit  des  deutschen  Gemüts 
geschildert  hat'S  Andere  Maler  dagegen,  wie  Overbeck,  „das 
Haupt  der  sog.  Nazarener'S  Veit  (Ausmalung  des  Mainzer  Doms), 
Schadow,  Lessing,  Moritz  von  Schwind  („Wartburgfresken  1852 
und  die  15  Aquarellbilder  über  das  Märchen  von  den  7  Raben  und 
der  getreuen  Schwester  1858*')  u.  a.  gehören  in  ein  Schulbuch 
unter  keinen  Umständen  hinein.  Bei  den  Meistern  der  Plastik 
dieser  Zeit  läfst  man  sich  die  Auswahl  der  Namen  und  Werke 
schon  eher  gefallen,  aber  auch  hier  verleitet  den  Verf.  das  Be- 
streben, durchaus  den  Entwicklungsgang  der  plastischen  Kunst 
aufdecken,  ihren  „strengen  Anschlufs  an  die  Antike,  an  die  Ideale 
im  Griechentum"  erweisen  zu  wollen,  dazu,  bei  einem  Thorwaldsen 
L  B.  den  Fries  des  Alexanderzuges,  „in  dem  der  griechische 
Reliefstil  in  der  vollen  Strenge  wiederauflebte**,  den  Hirtenknaben 
und  Argustöter  zu  erwähnen,  dagegen  den  segnenden  Christus 
nicht,  der  doch  viel  eher  bekannt  sein  dürfte  oder  leicht  bekannt 
ZQ  machen  wäre.  Der  Verf.  scheint  eben  bisweilen  zu  vergessen, 
dais  er  für  Schüler,  nicht  für  Erwachsene  schreibt:  Beschränkung 
und  immer  wieder  Beschränkung^)  ist  gerade  auf  diesem  Gebiete 
die  höchste  Kunst  des  Lehrers.  Und  jenem  selben  Fehler  verfällt 
der  Verf.,  wenn  er  wiederum  „aus  der  historischen  Kunst  die 
historische  Wissenschaft**  ableitet  und  nun  dem  armen  Primaner 
Savigny  als  Begründer  des  historischen  Rechts,  von  Jacob  Grimm 
dessen  deutsche  Grammatik,  deutsche  Rechtsaltertümer,  deutsche 
Mythologie  und  deutsches  VVörterbuch  (alles  mit  Angabe  der  ent- 
sprechenden Jahreszahlen),  die  Namen  eines  Karl  Lachmann, 
Friedr.  Aug.  Wolf  und  August  Böckh  ohne  Gnade  zumutet  Dafs 
Ton  den  Historikern  Niebuhr  und  Ranke  mit  ihren  wichtigsten 
Werken  erwähnt  werden,  ist  gerechtfertigt,  aber  das  genügt  dem 
Eifer  des  Verf.s  noch  lange  nicht,  in  der  Anmerkung  werden 
Khleunigst  noch  alle  namhaften  neueren  Geschichtsschreiber: 
Mommsen,  Curtius,  Duncker,  Giesebrecht,  Nitzsch  (!),  Gregorovius  (!), 
Waitz,  Häusser,  Droysen,  Sybel  und  Treitschke  mit  Angabe  ihrer 


')  lo  den  ADmerkoDgen  werden  überdies  noch  die  Meister  der  oeaesten 
Zeit:  Bleibtrea,  Camphansen,  A.  v.  Werner  —  Drake,  Blaser,  Kifs,  Begas, 
SckilHsg  gewisseDhaft  registriert. 


i 


346     P*  Wessel,  Lehrb.  d.  Gescbicbte  f.  d.  Prima  hob.  Lehraost, 

Werke  aufgeführt.^)  Diese  Proben  mögen  genügen,  um  zu  be- 
weisen, dafs  der  Verf.  binsichtlich  der  Auswahl  des  Darzubietenden 
allzu  sehr  seinem  Streben  nach  Vollständigkeit  die  Zügel'  hat 
schiefsen  lassen.  Aber  auch  der  anderen  nicht  minder  wichtigen 
Forderung,  dafs  gerade  in  hierher  gehörenden  Partieen  der  Ton 
der  Darstellung  der  noch  nicht  gereiften  Fassungskraft  der  Schüler 
Rechnung  tragen  müsse,  ist  er  nicht  immer  gerecht  geworden. 
Man  lese  nur  nach,  was  S.  92  und  93  bei  der  „deutschen  Auf- 
klärung** über  die  Ausbildung  des  Subjektivismus  und  Kosmopoli- 
tismus und  die  Rettung  einer  positiven  sittlichen  Weltanschauung, 
was  S.  95  und  96  bei  der  französischen  Aufkläi*ung  von  der 
deistischen  Weltanschauung  Voltaires  und  dem  Materialismus  der 
Encyklopädisten ')  gesagt  wird,  „nach  dem  Gott  und  die  Unsterb- 
lichkeit der  Seele  geleugnet,  der  beseelte  und  belebte  Stoff,  aus 
Molekülen  (Stolfteilchen,  molecula)  sich  zusammensetzend,  als  der 
alleinige  und  ewige  Urgrund  aufgefafst  wurde  und  infolge  der 
angenommenen  Naturnotwendigkeit  alles  Handelns  die  Willens- 
freiheit und  die  persönliche  Zurechnungsfahigkeit  aufgehoben 
schien**  —  soll  das  verdauliche  Geistesnahrung  für  Schüler  sein? 
Wieviel  Zeit  will  denn  eigentlich  der  Verf.  darauf  verwenden,  so 
schwere  Probleme  seinen  Schülern  klar  und  verständlich  zu 
machen?  Die  durch  „die  Entdeckung  des  Satzes  von  der  Er- 
haltung der  Energie,  den  Helmholtz  1847  wissenschaftlich  aus- 
gestaltete, gewonnene  neue  physikalische  Weltanschauung**  wird 
S.  172  mit  den  Worten  charakterisiert:  „Darnach  erscheinen  alle 
Vorgänge  der  Natur  nur  als  Verwandlungen  einer  Art  von  Energie 
in  eine  andere  Art  von  Energie  und  sämtliche  Energieen  der 
Natur  (Wärme,  Licht,  Schall,  Elektrizität,  chemische  Trennung 
und  mechanische  Arbeit)  nur  als  verschiedene  Erscheinungsformen 
derselben  Wesenheit**.  Ist  das  etwa  leichter  zu  verstehen,  wie 
das  Vorige?  Sollte  das  wirklich  in  ein  Lehrbuch  der  Geschichte 
gehören?    Ich  sage:   Nein. 

Bietet  so  hier  der  Verf.  Anlafs  zu  manchen  Ausstellungen, 
so  läfst  sich  dagegen  Unrichtiges  seinem  Buche  nur  in  sehr  ge- 
ringem  Umfange   nachweisen,    weil    der  Verf.    eben   mit  grofser 


')  Id  «ioer  bier  völlig  unmotivierten  Aomerknni^  HUirt  der  Verf.  daoa 
noch  die  oenesten  Koryphäen  aaf  dem  Gebiete  des  Romans  and  der  Novelle 
auf:  G.  Freytags  „Soll  nod  Haben",  Riehls  kultorgeschichtlicbe  Novelleo 
und  ScheOels  £kkehard,  denen  allen  Ref.  ein  Plätzchen  im  Text  gern  ge- 
gönnt haben  würde.  In  den  litteraturgeschichtlichen  Angaben  befleifsigt  sich 
überhaupt  der  Verf.  im  allgemeinen  einer  anerkennenswerten  Mäfsigmg;  deo 
sozialen  Roman  freilich  z.  B.  der  George  Sand  S.  131,  die  Erwähnung  PetöSs 
und  Palackys,  „des  Verfassers  der  Geschichte  Böhmens"  S.  133  wurden  wir 
ihm  ebenso  gern  erlassen. 

*)  Natürlich  wird  nicht  nur  Diderot,  sondern  auch  Holbach  (Systeme  de 
]a  nature),  de  la  Mettrie  und  Helvetios  erwähnt.  Jean  Jacques  Rousseau, 
dessen  neue  „Heloise"  sogar  schon  S.  92  citiert  war,  wird  hier  noch  einmal 
in  17  Zeilen  Text  behandelt  und  nicht  nur  die  Tendenz  seines  Emile,  son- 
dern auch  die  Grundzüge  seines  contrat  social  (allein  10  Zeilen)  vorgeführt. 


aogez.  voo  Ferd.  Ohiy.  347 

Gründlichkeit  und  Umsicht  gearbeitet  hat.  Wenn  er  freilich  S.  5 
meint:  ,,Unter  jesuitischem  Biiiflufs  ward  nun  die  von  den  grofsen 
Concilien  des  15.  Jahrhunderts  vergebhch  erstrebte  Reform  der 
katholischen  Kirche  an  Haupt  und  Gliedern  thatsächlich  vollzogen'*, 
so  ist  das  in  dieser  Fassung  jedenfalls  unrichtig,  denn  die  so  er- 
reichte Reform  entsprach  doch  wahrlich  nicht  dem  Sinne  der 
damals  so  machtvoll  auftauchenden,  schon  von  dem  schlauen 
Martin  V.  mit  so  grofsem  Geschick  verhinderten  Ansprüche  der 
Concilien!  Bei  der  Charakteristik  von  Wallensteins  Politik  S.  27 
hebt  er  nur  dessen  Bestrebungen  zur  Schaffung  einer  unum- 
sdiränkten  kaiserlichen  Regienmgsgewalt  hervor,  aus  denen  aliein 
sich  doch  die  Erbitterung  der  Reichsfursten  gegen  Wailenslein 
nicht  erklären  läfst.  Auch  auf  die  Pläne  seines  persönlichen 
Ehrgeizes  mufste,  so  schwer  sie  ja  auch  mit  Sicherheit  zu  be- 
stimmen sind,  wenigstens  andeutungsweise  hingewiesen  werden 
nach  dem  Vorgang  von  Ranke  (Geschichte  Wallensteins).  S.  86 
ist  es  unrichtig  zu  sagen,  dafs  Friedrich  der  Grofse  Laudons  Heer 
„in  einem  Kampfe  von  wenigen  Stunden  vollständig  aufgerieben'^ 
habe.  Landen  verliert  zwar,  in  seiner  Absicht  zu  überraschen 
selbst  seinerseits  überfallen,  in  wenigen  Stunden  von  seinen 
38  000  Mann  in  der  That  10  000  M.,  82  Kanonen  und  23  Fahnen, 
tritt  aber  doch  einen  anerkannt  meisterhaften  Rückzug  an.  Das 
dem  Könige  Ludwig  XVL  in  der  Constituante  zugestandene  Veto 
S.  98  war  ein  blofs  suspensives,  der  Gebrauch,  den  der  König 
von  demselben  macht,  insbesondere  sein  fester,  auf  Gewissens- 
bedenken  sich  gründender  Widerstand  gegen  die  die  eidweigernden 
Priester  betreffenden  Dekrete  wird  mit  Unrecht  vom  Verf.  ignoriert. 
Es  erweckt  eine  falsche  Vorstellung,  wenn  S.  102  gesprochen  wird 
von  dem  „offenen  Ton,  den  Leopold  H.  gegen  Friedrich  Wilhelm  H. 
anschlug'*;  denn  Ernst  war  es  dem  verschmitzten  Toskaner,  der 
die  dnrch  das  Ungeschick  Josephs  If.  an  den  Rand  des  Abgrundes 
gebrachte  habsburgische  Monarchie  mit  grofsem  Geschick  aus  dem 
Sumpfe  zog,  mit  dieser  Offenheit  wahrlich  ebenso  wenig,  wie 
später  Napoleon  mit  seinem  Tempire  c*est  la  paix,  das  der  Verf. 
S.  151  merkwürdiger  Weise  auch  als  anfänglich  aufrichtig  gemeint 
darstellt.  In  der  Wertschätzung  der  levee  en  masse  S.  103  folgt 
der  Verf.  noch  der  veralteten,  längst  von  Sybel  (Gesch.  der  Re- 
volutionszeit II  368)  ins  Reich  der  „grofsen  Mythen**  verwiesenen 
Auffassung,  dajjs  vor  den  überlegenen  Massen  der  aufgebotenen 
Hunderttausende  die  Österreicher  und  Preufsen  das  Feld  hätten 
räumen  müssen.  Ebenso  unrichtig  ist  es  S.  110,  dafs  „Zar 
Alexander  I.  aufs  höchste  gegen  Napoleon  aufgeregt  worden  sei** 
nur  durch  die  Ermordung  des  Herzogs  von  Enghien,  wahrend 
doch  mancherlei  andere  Gründe  (Vertreibung  der  Malteser  von 
Malta  u.  a.)  ebenso  sehr  mitwirkten.  Mack  kapitulierte  in  Ulm 
nicht  mit  30  000,  sondern  mit  höchstens  20  000  Mann  (S.  110). 
Die  Rossen    weichen  1812    nicht    „absichtlich**    zurück   (S.  115), 


348     P-  Wessel,    Lehrbach  der  Geschichte,    tigz,  v.  Perd.  Ohly. 

sondern  „der  Not  gehorchend,  nicht  dem  eigenen  Triebe'*.  Und 
wenn  S.  119  der  Verf«  sagt,  „die  That  Yorks  sei  vom  Könige,  der 
sich  in  Potsdam  in  der  Gewalt  der  Franzosen  befand  und  die 
weiteren  Absichten  Rufslands  nicht  kannte,  offen  zunächst  nicht 
gebilligtes  so  ist  das  zum  mindesten  mifsverständlich,  wenn  nicht 
gar  unrichtig;  denn  thatsächiich  hat  der  König  doch  sogar  die 
Absetzung  Yorks  ausgesprochen  und  seinen  Nachfolger  ernannt, 
ja  es  ist  dies  sogar  auch  York  durch  Zeitungsnachrichten  bekannt 
geworden,  wenn  auch  die  offizielle  Mitteilung  aus  bekannten 
Gründen  nicht  an  ihn  gelangte.  Nach  der  Darstellung  des  Buches 
kann  der  Schuler  ?on  den  Seelenkämpfbn,  unter  denen  „der  alte 
Isegrim",  diese  Verkörperung  soldatischen  Pflichtgefühls,  diesen 
schwersten  EntschluDs  seines  Lebens  seinem  militärischen  Gewissen 
abgerungen,  keine  rechte  Vorstellung  gewinnen,  und  das  mufs 
man  doch  von  einem  Primaner  verlangen. 

Zum  Schlufs  noch  einige  Äufserlichkeiten.  Wenn  auch 
im  allgemeinen  die  Ausdrucksweise  durchaus  angemessen  erscheint, 
so  wollen  doch  einige  Wendungen  dem  Ref.  wenig  behagen.  S.  21  ist 
„das  philippistische  Wittenberg''  für  ein  Schulbuch  nicht  gerade 
passend.  S.  92  heifst  es:  „das  kritische  Genie  Lessings  .  .  ver- 
nichtete die  Klassizität  der  französischen  Stöcke"  —  weshalb  nicht 
einfacher  und  leichter  verständlich  ausgedrückt  etwa:  „brach  den 
bis  dahin  allein  mafsgebenden  Einflufs  der  französischen  Stucke"  ? 
Ebenso  gesucht  erscheint  S.  1 47 :  Schinkel  „der  Architekt  (1)  des 
neugeborenen  Hellenentums''  und  S.  149  „der  Ultramontanismus 
warf  der  protestantischen  Kultur  den  Fehdehandschuh  hin".  Wes* 
halb  eine  so  vage  Bestimmung,  wie:  ,,in  der  Neujahrsnacht  1814 
überschritt  die  schlesische  Armee  den  Mittelrhein"  (!)  S.  122, 
während  doch  jeder  Schüler  wissen  sollte,  dafs  die  dankbare  Nach- 
welt dem  nimmer  rastenden  Marschall  Vorwärts  in  unseren  Tagen 
an  der  Übergangsstelle  bei  Caub  ein  Denkmal  gesetzt  hat?  Andere 
Ausdrücke  erwecken  geradezu  gerechte  Bedenken  des  Historikers, 
z.  ß.  S.  97  „die  Bastille,  die  alte  Burgfeste  (!)  des  Königtums"  und 
S.  3:  „da  erschien  wie  eine  Gottesschickung  (!)  Johann  Calvin  zu 
Genf".  Zu  den  Äufserlichkeiten  sei  auch  die  Aussprache  der 
fremdländischen  Eigennamen  gerechnet,  die  überall,  „wo  es  nötig 
schien",  gewissenhaft  in  Klammem  beigefügt  ist,  und  zwar  so,  dafs 
„Ton-  und  Quantitätsbezeichnung  nicht,  wie  dies  jetzt  üblich  gewor- 
den, mit  einander  vermischt,  sondern  nach  alter  Weise  reinlich  von 
einander  geschieden"  sind.  Das  Bestreben  ist  ja  entschieden  an- 
zuerkennen, aber  auch  hier  können  wir  Erläuterungen  wie  Maria 
Stuart  (stju'ört)  S.  10,  Oxenstjerna  (Oxenschärna)  S.  29,  Leszczinski 
(läschtschünski)  S.  43 ,  Benjamin  (bendschämin)  Franklin  S.  52, 
Sobieski  (ßöbjäski)  S.  61  nur  als  ein  Übermafs  empfinden,  andere 
gar,  wie  Suworow  (ßuwöVöf)  S.  103,  Thiers  (tiäV)  S.  129  für  mehr 
als  überflüssig  halten. 

Als  Anhang   sind   dem  Lehrbuche,    wie   aucli    dem  I.  Teile, 


E.  Laogenbeck,  Leitf.  d.  Geographie,  agz.  v.  E.  Oehlmano.     349 

Dicht  nur  „Herrscherlafeln'S  sondern  auch  „Zeittafeln'*  bei- 
gegeben, letztere  in  solcher  Ausführlichkeit,  dafs  sie  24  Seiten 
ziemlich  kleinen  Drucks  umfassen.  Auf  zwei  vollen  Seiten  seines 
Vorworts  sucht  der  Verf.  diese  von  ihm  beliebte  Art  der  aus- 
geführten Zeittafeln,  die  er  „nicht  als  eine  angenehme  Bei- 
gabe, sondern  als  einen  dem  Unterricht  zugehörigen,  organischen 
Bestandteil'*  angesehen  wissen  will,  zu  rechtfertigen.  Er  meint, 
daüs  wie  das  Lehrbuch  den  die  Kräfte  des  Verstandes  und  Ge- 
dächtnisses in  Anspruch  nehmenden  Stoff  für  die  unmittelbare 
Wiederholung  der  nächsten  Stunden  zusammenfasse,  so  am  Schlnfs 
gröJGserer  Abschnitte  und  ganzer  Perioden  ausgeführte  Zeittafeln 
den  Stoff  in  zusammenfassender  Form  wieder  aufnehmen,  dafs 
deshalb  die  Zeittafeln  und  das  Lehrbuch  einander  in  der  Anlage 
entsprechen  mäfsten,  weil  beide  neben  dem  Vortrage  des  Lehrers 
in  gleicher  Weise  unentbehrlich  seien.  Ref.  leugnet  nicht,  dafs 
die  Beweisführung  für  die  Praxis  des  wichtigen  Geschichtsunter- 
richts manche  beherzigenswerte  Winke  bietet,  ja  dafs  sie  sogar 
etwas  Bestechendes  hat,  wenngleich  er  selbst  von  der  Notwendig- 
keit^) derartig  ausgeführter  Zeittafeln  nicht  überzeugt  worden  ist. 
Es  würde  zu  weit  führen,  in  eine  eingehende  Diskussion  über 
diese  Frage  einzutreten:  soviel  ist  gewifs,  dafs  die  Brauchbarkeit 
des  auch  trotz  der  in  dieser  Besprechung  hervorgehobenen  Mängel 
durchaus  tüchtigen  und  beachtenswerten  Buches,  dem  wir  von 
Herzen  die  weiteste  Verbreitung  gönnen,  durch  die  Zeittafeln  eher 
erhöht  als  beeinträchtigt  wird.  Und  so  sei  denn  das  Buch  samt  seiner 
Hangenehmen  Beigabe''  —  denn  einen  höheren  Wert  vermögen  wir 
derselben  nicht  zuzuerkennen  —  der  wohlwollenden  Prüfung  der 
Fachgenossen  bei  der  Einführung  neuer  Lehrbücher  warm  empfohlen. 

Minden  (Westf.).  Ferd.  Ohly. 


B.  Langeobeek,  Leitfaden  der  Geographie  für  höhere  Lehr- 
anstalten im  Aoschlafs  ao  die  preufsiscbea  Uoterrichtspläae  von 
1892  und  noter  ZugroodelegaDg  der  Debesscheo  SchalatlaDten.  J.  Teil : 
Lehrstoff  der  anteren  Klassen.  Leipzig  1893,  W.  fiogelmann. 
Vin  a.  125  S.     1  M. 

Der  Gedanke,  einen  Leitfaden  einem  bestimmten  Atlas  anzu- 
schliefsen,  ist  offenbar  recht  zweckdienlich,  aber  ihn  dahin  aus- 


^)  Ref.  wurde  die  Aufstellung  solcher  Zeittafeln,  zamal  für  besonders 
wichtige  nod  folgenschwere  Abschnitte,  viel  lieber  dem  Schüler  der  Ober- 
klasse  als  häusliche  Aufgabe  zuweisen,  nm  eben  daran  zu  erproben,  wie 
weit  ein  Verständnis  bei  den  einzelnen  erzielt  ist  —  eine  Ansicht,  die  man 
freüieh  bei  der  heutzutage  so  übertriebenen  Oberbürdungsfurcht  kaum  aus- 
•preehea  darf.  Die  Berufung  des  Verf.s  auf  die  neuen  Lehrpläne  scheint  dem 
Ref.  In  dieser  Frage  nicht  besonders  glücklich;  denn  diese  verlangen  doch 
„vergleichende  und  den  Stoff  nach  verschiedenen  Gesichtspunkten 
grvppierende  Zusammenfassung  geschichtlicher  Thatsachen'^ 


350     R*  Laogenbeck,  Leitf.  d.  Geographie,  agz.  v.  £.  Oehlmano. 

zunutzen,  dafs  man,  wo  es  angeht,  den  Atlas  statt  des  Leitfadens 
reden  läfst  und  diesen  im  wesentlichen  auf  dasjenige  beschrankt, 
was  der  Atlas  nicht  bieten  kann,  diesen  Vorteil  hat  der  Verf.  sich 
entgehen  lassen.  Andernfalls  wären  weitläufige  Angaben  über 
KüstengestalLuug,  Ortslagen  und  ähnliches  entbehrlich  gewesen, 
und  der  Text  hätte  —  nicht  zu  seinem  Schaden  —  manche 
Kürzung  erfahren  können.  Der  Inhalt  gliedert  sich  in  drei 
Kurse  für  die  drei  unteren  Klassen,  so  dafs  auch  die  Sexta,  die 
einen  Leitfaden  nicht  benutzen  soll,  ihren  Abschnitt  zugemessen 
bekommt.  Der  für  sie  bestimmte  L  Kursus  kann  nun  zwar  nicht 
liefern,  was  die  Lehrpläne  verlangen,  nämlich  eine  Einfuhrung  in 
die  Erdkunde  und  die  erdkundlichen  Begriffe  an  der  Hand  der 
jeweiligen  engeren  Heimat,  dafür  behandelt  er  einige  „Grundlehren 
der  mathematischen  und  physikahschen  Erdkunde''  und  ergänzt 
diesen  kurzen  Abschnitt  wiederum  zweckdienlich  durch  Bestimmung 
oder  Erklärung  der  geographischen  Begriffe  in  gesperrtem  Drucke 
an  derjenigen  Stelle  des  Textes,  wo  zuerst  die  Rede  auf  sie  kommt. 
Aber  zutreffend  oder  vorteilhaft  gefafst  sind  diese  Begriffsbestim- 
mungen nicht  alle.  25  weitere  Seiten  des  L  Kursus  enthalten  eine 
Übersicht  der  Länderkunde.  Die  Stoffgliederung  der  beiden  anderen 
Kurse  ist  die  der  amtlichen  Lehrpläne. 

Der  sehr  —  nach  der  Meinung  des  Ref.  zu  —  inhaitreiche 
Text  ist  an  geeigneten  Stellen  durch  Schilderungen  erweitert; 
Flüsse  und  Gebirge  sind  getrennt  behandelt,  Zahlen  nur  sparsam 
geliefert.  Das  Ergebnis  verschiedener  Stichproben  berechtigt  zu 
der  Erklärung,  dafs  der  Leitfaden  in  den  Einzelheiten  noch  einer 
sorgsamen  Durchsicht  bedarf.  Man  greife  S.  69  heraus:  Hannover 
besitzt  nicht  mit  Linden,  sondern  ohne  dieses  1 65 00& Einwohner; 
Emden  liegt  nicht  an  der  Emsmündung,  vielmehr  erlischt  der  Name 
Ems  erst  bei  Borkum;  Wilhelmshaven  schreibt  sich  nun  einmal 
nicht  mit  f,  auch  Bremerhaven  nicht  (S.  70);  Stade  liegt  nicht  an 
der  Elbe,  sondern  5  km  davon  entfernt;  es  mufs  nicht  heifsen  „unter 
den  zahlreichen  kleinen  Bergstädten  am  Harz**,  sondern  „unter  den 
sieben  kleinen  Bergstädten  auf  dem  Oberharz**;  Hamburg  hat  mit 
seinen  Vororten  (die,  nebenbei  bemerkt,  1894  mit  der  Stadt  ver- 
einigt worden  sind)  nicht  500  000,  sondern  580  000  Einwohner. 
Überhaupt  ist  das  „Zahlenmaterial  nicht  derart  nach  den  neu- 
esten und  zuverlässigsten  Quellen  bearbeitet**,  wie  das  Vorwort  schätzt. 
So  ist  die  Einwohnerzahl  bei  drei  französischen  Städten  nicht  richtig 
gegeben;  derKilima-Ndscharo  mifst  nicht  5700,  sondern  rund  6000  m, 
der  freilich  recht  oft  verschieden  angesprochene  St.  Eliasberg  nach 
den  neuesten,  zuverlässigen  Berechnungen  5500  m;  Glasgow  hat  nicht 
565  000,  sondern  rund  660  000  Bewohner.  —  Der  Kleine  St.  Bern- 
hard gehört  ganz  gewifs  nicht  zu  „den  beiden  wichtigsten  Pässen^S 
die  über  die  „französischen**  Alpen  fuhren,  und  der  Mont  Cenis  wird 
nicht  „von  einer  Eisenbahn  überschritten**  (S.  117).  Auf  S.  122 
wird    der    für   den    grofsen  Verkehr  seit  langem   bedeutungslose 


r 


Deatsche  Weltkarte,  aogez.  von  A.  RiroJihoff.  351 

„Dordboliändische'S  aber  nicht  der  für  Amsterdams  Handel  allein 
wichtige  «^holländische  Nordsee^Kanal''  aufgeführt. 

Hannover-Linden.  E.  Oehlmann. 


Deotsclie  Weltkarte  zor  Obersicht  der  Meerestiefea  und  Höhen- 
schichten, unterseeischen  Telegraphen-Knbel  und  Überland-Telegrapben, 
sowie  der  Kohlenstationen  ond  Docks.  Herausg^egeben  vom  Reichs- 
Marioe-Amt,  Nautische  Abteilnng.    Berlin  1893,  D.  Reimer.     14  M. 

Diese  Blätter  fugen  sich  zu  einer  stattlichen  Erdkarte  in 
Mercator-Entwurf  von  1,71  m  Breite,  0,90  m  Höhe  zusammen. 
Id  grofser  Genauigkeit  und  geschmackvoll  gewählten  Flächen- 
farbenabstufungen  tritt  in  iichtgelblichen  bis  braunen  Flächen 
die  Landmasse  aufs  klarste  nach  wagerechter  wie  senkrechter 
Gliederung  hervor,  umfangen  vom  Weltmeer,  dessen  Tiefenstufen 
in  Dach  unten  zu  immer  tiefer  werdendem  Blau  angegeben  sind. 
Ein  Vorzug  vor  anderen  Erddarstellungen  gleicher  Entwurfsart 
QDÖ  ähnlichen  Inhalts  besteht  darin,  dafs  durch  Wiederholung  der 
Abbildung  von  Westeuropa  und  Westafrika  noch  einmal  am  öst- 
lichea  Kartenrand  der  ganze  atlantische  Ozean  ohne  die  sonst 
unvermeidliche  Längstrennung  zur  Anschauung  kommt.  Man  hat 
bier  also  Vollbilder  alier  Erdteile  und  alier  drei  Hauptozeane  vor 
sich.  Ausgelassen  ist  unter  den  mit  grün  bezeichneten  Land- 
ilächen  unterseeischer  Höhenlage  nur  diejenige  mit  dem  Assal-See 
im  Westen  des  Tedschurra- Busens,  gerade  die  allertiefste  ( — 174  m) 
nächst  der  Tom  Toten  Meer. 

För  die  jetzt  im  erdkundlichen  Unterricht  höhere  Bedeutung 
gewinnende  Kunde  vom  Weltverkehr  ist  diese  Karte  besonders 
wichtig  wegen  ihrer  Angabe  der  im  Titel  genannten  Telegraphen- 
linien, aufser  denen  auch  noch  die  für  den  grofsen  Verkehr  wich- 
tigsten Eisenbahnen  eingetragen  sich  finden.  Man  vermifst  dabei 
die  Bahnlinie  Skutari-Angora,  die  zwar  vorläufig  als  Sackgasse 
endigt,  aber  demnächst  nach  Kaisari  weitergeführt  wird  und  ge- 
wifs  später  bis  an  den  persischen  Meerbusen  auswächst.  Von 
neuen  Telegraphenkabeln  wären  nachzutragen:  das  von  Lissabon 
nach  den  A9oren  (Sa5  Miguel),  2.  das  von  Sansibar  über  die  huf- 
eisenförmige Untiefe,  auf  der  die  Seychellen  ruhen,  nach  Mauritius 
geführte,  3.  das  von  Queensland  nach  Neukaledonien. 

Halle  a.S.  A.  Kirchhoff. 

C  Rohrbach,  Vierstellige  logarithmisch  -  trigonometrische 
Tafela  für  dea  Gebrauch  der  höheren  Schalen.  Gotha,  E.  F.  Thiene- 
mano.  I  n.  31  S.  gr.  8.  0,60  M. 

Die  Überzeugung,  dafs  bei  den  Schülern  höherer  Lehranstalten 
mehr  als  bisher  der  Ziffernluxus  im  mechanischen  Rechnen  ein- 
geschränkt werden  müsse,  bricht  sich  immer  mehr  Bahn  und  findet 
erneuten  Ausdruck  in  einer  weiteren  Ausgabe  von  vierstelligen 
logarithmiscfa'trigonometrischen  Tafeln. 


L 


352     C.  Rohrbach,  Vierst.  log.-trig.  Tafeln,  agz.  v.  P.  Liodoer. 

Sie  enthält  in  ihrer  ersten  Abteilung  die  Mantissen  der  Briggs- 
sehen  Logarithmen  der  Zahlen  von  1  bis  2010  so  geordnet,  dafs 
die  Tafel  4  Seiten  einnimmt.    Dabei  hat  auf  jeder  Seite  die  End- 
Ziffer  10  eine  Spalte  gefunden,  damit  beim  Interpolieren  ein  Über- 
gang   in    die    nächste  Zeile    unnötig    gemacht    wird.     Die   zweite 
Hauptabteilung    bringt    auf  9  Seiten    die    Logarithmen    der    vier 
goniometrischen  Hauptfunktionen  von  6  zu  6  Minuten   dergestalt, 
dafs  die  dekadische  Einteilung  des  Grades  in  kleinen  Ziffern  vor- 
gedruckt ist.     Neben  diesen  Haupttafein  weist  das  Heftchen  einen 
erfreulichen   Reichtum    von  Beigaben    auf:    Sehnen-  und  Bogen- 
längen, Werte  der  goniometrischen  Funktionen  selbst,   natürliche 
Logarithmen,  Quardratzahlen,  siebenstellige  Logarithmen  der  Zins- 
faktoren und  eine  grofse  Anzahl  physikalischer  und  astronomischer 
Konstanten  sind  die  üblichen  Beigaben;  neben  ihnen  haben  einige 
neue  Platz  gefunden,  wie  Fakultäten,  Potenzen  von  2,  ferner  eine 
den  Schüler  besonders  anmutende  Tafel  örtlicher  Konstanten,  die 
nach  dem  Diktat  des  Lehrers  auszufüllen  ist,  und  eine  graphische 
Darstellung  des  Verlaufs  der  goniometrischen  Funktionen. 

Es  läfst  sich  nicht  verkennen,  dafs  die  äoCsere  Ausstattung 
und  innere  Anordnung  —  für  Logarithmentafeln  grofse  Haupt- 
sachen! —  bei  den  vorliegenden  Tafeln  wohlthuend  klar  sind: 
das  geräumige  Grofsoktav  nimmt  die  wohlgegliederten  Reihen  von 
stattlichen  Zifl'ern  altenglischen  Schnitts  in  50  Zeilen  auf  einer 
Seite  sowohl  bei  der  ersten,  als  auch  bei  der  zweiten  Hauptab- 
teilung mühelos  auf,  das  verwandte  Papier  ist  pergamentartig  und 
der  biegsame  Umschlag  so  dauerhaft,  dafs  er  das  Einbinden  der 
Tafel  unnötig  macht.  Von  Druckfehlern  sind  zu  verbessern  auf 
S.  2:   log  0,1  =  —  1  statt  1,  auf  S.  26  der  Hetiusscbe  Nähe- 

355  113 

rungswert  von  n:   -tö-  statt  ^^^.    Im   übrigen  ist  auf  Korrekt- 

heit  des  Drucks  grofse  Sorgfalt  verwendet. 

Es  steht  zu  hoffen,  dafs  die  kleine  Tafel  viele  Schüler  „vor 
übertriebener  Schärfe  in  den  Zahlenrechnungen  bewahren  hilft, 
die  ja  vorzugsweise  den  Mangel  an  mathematischer  Bildung  er- 
kennen läfst^'. 

Köslin.  P.  Lindner« 


ERSTE  ABTEILUNG. 


ABHANDLUNGEN. 


Zur  neuesten  Methode  des  Unterrichts  im  Französischen. 

Es  ist  in  den  ErläuteruDgen  zu  den  neuen  Lehrplänen  von 
der  obersten  Schulbehörde  ausdrücklich  anerkannt  worden,  dafs 
durch  die  neue  Methode  des  Unterrichts  in  den  modernen 
Sprachen  gegenwartig  beachtenswerte  Erfolge  erzielt  werden,  ja 
es  ist  sogar  zum  Zwecke  der  Beschränkung  der  dem  Französischen 
gewidmeten  Stundenzahl  wie  an  Realgymnasium  und  Realschule 
so  auch  an  unseren  Gymnasien  mit  dieser  Thatsache  gerechnet 
worden.  Und  so  ist  es  schon  dadurch  für  jeden  Lehrer  des 
Französischen  und  Englischen  eine  unabweisbare  Pflicht  geworden, 
sich  diese  neue  Methode  vertraut  zu  machen.  Schwer  genug 
freilich  ist  die  Erfüllung  dieser  Pflicht  für  den  Schulmann,  so 
lange  Dicht  ein  Lehrbuch  vorliegt,  das  als  Träger  eines  einheit- 
lichen, nach  den  mafsgebenden  Grundsätzen  streng  logisch  auf- 
gebauten Systems  angesehen  werden  darf.  Soll  man  also  auch 
Jetzt  noch  annehmen,  daüs  ein  derartiges  Werk  nicht  vorhanden 
ist,  dann  müssen  wir,  die  wir  Aufklärung  suchen,  den  mühsamen 
Weg  betreten,  uns  theoretisch  die  Grundlagen  der  neuen  Lehr- 
weise nach  den  zerstreuten  Äufserungen  ihrer  Vertreter  zu  kon- 
stroieren,  beziehungsweise  die  Lücken  in  dem  entstehenden  Ge- 
biade  nach  bestem  Ermessen  folgerichtig  auszufüllen. 

Unsere  erste  Frage  würde  sich  demnach  auf  das  System 
beziehen,  das  in  der  neuen  Methode  steckt.  Zu  diesem  Zwecke 
müssen  wir  ein  wenig  weiter  ausholen  und  auf  ältere  Methoden 
zurückgehen.  Die  alte,  an  dem  gröfsten  Teil  unserer  Schulen 
big  vor  kurzem  herrschende  Methode  war  die  von  Karl  Ploetz 
in  seinen  Büchern  niedergelegte.  Jedermann  weifs,  wie  sich  da 
der  Unterncht  in  der  Regel  gestaltete.  Dem  Gang  des  Buches 
folgend  nahm  der  Lehrer  erst  irgend  eine  Regel  durch,  dann 
eine  Anzahl  sämtlich  auf  die  betrefl'ende  Regel  zugeschnittener 
französischer  Beispiele;  hierauf  wurden  die  Regeln  und  die  Voka- 
beln für  das  sich  anschliefsende  deutsche  Übungsstück  von  dem 
Schüler   zu  Hause   erlernt   und   dieses,    das  zumeist  aus  Sätzen 

t  d.  QjmMtMwmw.  XLYia.  e.  23 


354     Zar  DeuestCB  Methode  d.  Unterrichts  im  Franzosiseheii, 

bestand,  Ton  denen  jeder  wiederum  die  Anwendung  der  zugehörigen 
Regeln  veranlafste,  sodann  in  der  Klasse  durcbübersetzt  War  die 
erste  Lektion  absolviert,  so  ging  man  zur  zweiten  über  u.  s.  f. 
Nach  einer  gröfseren  Anzahl  von  Lektionen  kam  dann  auch 
gelegentlich  ein  Repetitionsstück  über  den  ganzen  absolvierten 
Abschnitt. 

Da  ist  nun  nacheinander  folgendes,  was  man  allgemein,  auch 
wenn  man  sich  nicht  zu  den  Neuerern  rechnet,  an  dieser  Unter- 
richtsweise  auszusetzen  findet.    Erstlich  wünscht  man,    dafs  das 
Beispiel   der   Regel    vorangehe,    dafs    der   Schuler   zunächst   die 
Spracherscheinung  kennen  lerne,  dafs  er  daraus  selbst  das  Gesetz 
ableite  und  dafs  er  dann  erst  die  ihm  schon  bekannte  und  plau- 
sible Regel   in   fester  Formulierung  vorfinde.    Zweitens  verlangt 
man,  dafs  die  einzelne  Sprach  erschein  ung  stets  im  Zusammenhang 
mit  den  verwandten  Erscheinungen  und  unter  dem  gröfseren  ge- 
meinsamen Gesichtspunkt  eingeordnet  sich  vorfinde,  dafs  sie  schon 
infolge  dessen    eine    gründlichere,    klarere    und    auch   einfachere 
Fassung   zeige,   dafs  sie  dem  Schüler  aus  diesem  doppelten  Ge- 
sichtspunkt  heraus   nun    auch    neben   rein  sprachlicher  Bildung 
logische  Schulung  gewähre.     Drittens  fordert  man,   dafs  die  Bei- 
spiele wie  sprachlich,  so  auch  sachlich  im  Zusammenhang  stehen, 
ja    dafs   sie  womöglich    ein  einheitliches  Ganzes  bilden,    dafs  da- 
durch   das  Interesse  des  Schülers    an   dem  Übungsstoff  vermehrt 
werde   und  dafs  die  Einprägung   des   zugehörigen  Wortschatzes, 
weil  er  eben  einem  zusammenhängenden  Ganzen    angehört,    sich 
leichter  gestalte.     Aus  der  Erkenntnis  der  Mängel  jener  Methode 
und  unmittelbar  durch  Perthes'  Auftreten  auf  lateinischem  Ge- 
biete  veranlafst,    ging    nun    zunächst    eine   ganze   Reihe   neuer 
französischer  Lehrbücher  hervor,     im  Vordergrunde  stehen  unter 
diesen  entweder  ihrem  inneren  Werte  nach  oder  durch  die  Ver- 
breitung, die  sie  gefunden,  Ulbrich,  Plattner  undG.Ploetz- 
Kares.    Betrachten  wir  uns   ein  solches  Buch   näher.    Es  giebt 
als  Husterbilder,   an    denen    die  Regeln    erlernt  werden   sollen, 
gleich    von    vornherein    und    ausschliefslich     zusammenhängende 
französische  Stücke.     Nachdem    diese    dem   Schüler    nach   ihrem 
grammatischen,    wie    nach   ihrem  Wortinhalt   völlig  vertraut  ge- 
worden sind,  geht  man  an  die  Durchnahme  der  Regeln,  die  sich 
mit  den  übrigen  Spracbgesetzen  gesondert   in  einer  systematisch 
gearbeiteten  Grammatik  vorfinden;   zum  Schlufs  werden  die  dem 
betreffenden  französischen  Stücke  angeschlossenen  und  mit  seinem 
grammatischen,    sowie    mit  seinem  lexikalischen  Material   ausge- 
statteten Beispiele,    Übungssätze  und  Übungsstücke  übersetzt   und 
dadurch   einerseits  geprüft,   wie  weit  das  Durchgenommene  auch 
wirklich   aufgenommen    ist,    und    andererseits    das   einmal   Auf- 
genommene   auch   nun    mehr   und   mehr   befestigt   wird.      Das 
Plattnersche  Buch  erhält  dadurch  einen  Vorzug  vor  den  anderen, 
dafs  sich  für  die  oberen  Klassen  eine  Grammatik  anschlielst,   die 


voo  M.  ßanoer.  355 

neben  der  Lückingschen  wobl  das  Gediegenste  ist,   was  wir  in 
dieser  Art   auf   neusprachlichem   Gebiete   besitzen.     Dagegen    ist 
das   sich    anschlieljBende  Übungsbuch    für   die   Oberklassen    ganz 
nach  alter  Methode    gebaut    und    giebt    sowohl   im  firanzösiscben 
wie   im   deutschen  Teil    überwiegend  Sätze  mit  buntestem  Inhalt 
durcheinander  und  nur  durch  das  grammatische  Band  zusammen- 
gehalten.    Das  Ulbrich sehe  Werk  hinwiederum  gewinnt  dadurch 
seinen  besonderen  Wert,   dafs  es  in  dem  Elementarbuch  als  An- 
hang  auch   eine  Reihe  von  Stücken    bietet,    die   ganz  direkt  zu 
Sprechübungen  über  Gegenstände  aus  der  den  Schüler  umgeben- 
den Welt    benutzt  werden   können,    und    dafs    auch  die  übrigen 
firanzöfiischen  Stucke    mehr  in    dem  Gedankenkreise   des  Kindes 
h'egen    nnd    namentlich    durch   die  Einstreuung    einiger  Gedichte 
mehr  Abwechslung  bieten  als  die  Plattnerschen.    Die  deutschen 
Beispiele    aber   sind    nicht   allenthalben  so  geschickt   zusammen- 
gestellt   wie   dort.     Das  G.  Ploetzsche  Buch  endlich  vereinigt  in 
sich  fast  all  das  Gute  aus  den  beiden  vorher  genannten.    Es  bietet 
Gelegenheit  zu  Sprechübungen,  giebt  eine  nach  Form  und  Inhalt 
mannigfaltige  Menge   von    gut   gewählten    französischen   Stücken 
and    ist    auch    in    der    Bildung   von    deutschen   Übungen    recht 
glöcklicfa.     Die  dem  Elementarbuch  angefügte  Grammatik  ist  eben 
sowohl  wie  die  für  die  Oberklassen   bestimmte   recht    brauchbar. 
Das  Beste   aber  an   der  Arbeit  —  und  das  gerade  hebt  sie  über 
das   Plattnersche  Werk    hinaus  —  sind    die  Übungsbücher  für 
die  höheren  Klassen,  die  in  ihrem  französischen  wie  im  deutschen 
Teile   nur  zusammenhängende  Stücke    bieten    und  von  denen  die 
letzteren  zwar  sprachlich  genau  nach  den  ersteren    gebildet  sind, 
aber  jedes  Mal  einen  ganz  neuen  Sachinhalt  bieten.     Ich  möchte 
nameDllieh    diese    deutschen    Übungen    wahre '  Kabinettstückchen 
BeBnen,    zumal  bisher  alle  derartigen  Versuche,   dem  Schuler  in 
den  deutschen  Stücken  die  grammatischen  Regeln  und  den  Wort- 
sdiatz  der  französischen  Stücke  von  neuem  vorzuführen,  jedes  Mal 
den  leidigen  Umstand    mit  sich  brachten,    dafs   auch    der  Inhalt 
derselbe  wurde,  so  dafs  der  Schüler  wieder  und  wieder  denselben 
Gedanken    durchkauen    mufste.     Dafs  nicht  all  und  jedes  in  den 
Übungen    mustergiltig  ist,    wird  man  hier  wie  in  anderen  Lehr- 
höchem  hinnehmen  müssen,  und  es  würde  dieser  Umstand  keinen 
geoögeDden  Grund  bieten,  sich  ablehnend  gegenüber  dem  Ploetz- 
scben  Werke  zu  verhalten;  aber  leider  mag  oberflächliche  Beurteiler 
der  Name  Ploetz  immerhin   schon  davon  zurückschrecken,    das 
Werk  überhaupt  einer  genaueren  Durchsicht  zu  würdigen. 

Wir  kommen  nun  zur  neuen  oder  neuesten  Methode,  zu  der 
die  eben  besprochenen  Erscheinungen  als  Mittelstufe  zwischen 
alt^  und  neuer  Methode  überleiten,  wenngleich  dieselben  grofsen- 
teils  von  den  modernen  Bestrebungen  mitbeeinflufst  sind.  Diese 
neueste  Methode,  die  sogenannte  Reformrichtung  des  neusprach- 
Kdiea  Unterrichts,  lebte  gewifs  schon  hier  und  dort  in  manchen 

23* 


356     Zar  neuesten  Methode  d.  Unterrichts  im  Franzosischen, 

vorwärts  strebenden  Männern  und  fand  wohl  sogar  schon  in  einer 
und  der  anderen  Anstalt  trotz  zu  Grunde  liegender  veralteter  Lehr- 
bucher eine  Stätte,  als  jenes  Manifest  Vietors,  des  jetzigen 
Marburger  Professors  der  englischen  Sprache,  erschien:  Der 
Sprachunterricht  mufs  umkehren  von  Quousque  Tan- 
dem. Bald  auch  traten  als  Kämpen  der  neuen  Richtung  sowohl 
in  dem  Rahmen  der  Schule  als  auch  aufserhalb  derselben  in  Wort 
und  Schrift  Männer  wie  Walter,  Quiehl,  Klinckhardt,  Kuhn, 
Rierbaum,  Dörr,  Schmidt,  Rambeau,  Breymann,  Jesper- 
son,  Paul  Passy,  und  wer  nennt  alle  ihre  Namen,  auf.  Man 
erinnerte  an  die  einschlägige  Abhandlung  des  Grafen  Pfeil:  Wie 
lernt  man  eine  Sprache?,  es  erschien  die  zweifellos  anregendste 
und  gediegenste  pädagogische  Schrift  der  letzten  Jahre,  Mönchs: 
Zur  Förderung  des  französischen  Unterrichts,  es  er- 
schien Klotzsch:  Methode  des  fremdsprachlichen  Unter- 
richts, Ohlert:  Die  fremdsprachliche  Reformbewegung» 
Hornemann:  Zur  Reform  des  neusprachlichen  Unter- 
richts auf  höheren  Lehranstalten,  und  vor  allem  KQhn: 
Zur  Methode  des  französischen  Unterrichts,  mit  der 
schärfsten,  einschneidendsten  gegen  die  bisherige  Unterrichtsweise 
gerichteten  These:  Das  Obersetzen  ist  eine  Kunst,  die  mit  der 
Schule  nichts  zu  thun  hat.  iNach  dieser  Schrift  sind  mit  einem 
Schlage  die  nach  der  hergebrachten  Weise  gearbeiteten  Schul- 
bücher,  auch  die  oben  genauer  beschriebenen,  aus  dem  Schul- 
unterricht verbannt  Soli  man  nach  den  Kuhn  sehen  Grundsätzen 
unterrichten,  so  darf  das  Lehrbuch  keine  deutschen  Obungen 
enthalten,  es  mufs  dem  Lehrer  die  Handhabe  genommen  werden, 
irgendwie  in  die  alte  Methode  zurückzufallen.  Es  würde  somit 
ein  französisches  Buch  etwa  wie  die  lateinischen  Lehrbücher  von 
Perthes  anzulegen  sein.  Aber  Kühn  verlangt,  entsprechend  dem 
modernen  Charakter  des  Französischen,  die  Darbietung  der 
lebendigen  Sprache  und  zwar  in  zusammenhängenden  Stücken. 
Ferner  fordert  er  eine  Verbesserung  der  Aussprache  dadurch, 
dafs  nicht  vom  Buchstaben,  sondern  vom  fremden  Laute  ausge- 
gangen wird.  Endlich  gebietet  er  möglichste  Fernhaltung  aller 
grammatischen  Regeln.  Diesen  seinen  Forderungen  kam  nun 
aufser  einigen  anderen,  unter  denen  wir  Loewe:  Lehrgang 
der  französischen  Sprache  und  Mangold  und  Coste: 
Lehrbuch  der  französischen  Sprache  besonders  erwähnen 
wollen,  auch  Kühn  selbst  mit  seinem  Französischen  Lese- 
buche nach. 

Um  es  gleich  mit  einem  Worte  zu  sagen:  der  Kardinalfehler 
in  der  Anlage  dieser  Bücher  ist  durch  den  auf  die  Spitze  ge- 
triebenen Gegensatz  zu  der  bis  dahin  erschienenen  Schulbücher- 
litteratur  zu  erklären.  Während  jene  dem  Lehrer  vielleicht  allzu 
starre  Fesseln  in  seinem  Unterrichtsgang  anlegten,  lassen  diese 
ihm  zu  grofse  Freiheit.     Sie  tragen  zunächst  keinen  bestimmten 


voD  M.  Banner.  357 

Charakter  an  sich,  es  sei  denn,  dafs  man  denselben  im  möglichsten 
Fernhalten  jeder  näheren  Beziehung  zur  Grammatik  and  insbeson- 
dere, wie  schon  oben  angedeutet,  in  der  Abwesenheit  deutscher 
Obungen  erblickt.  Die  Reform  liegt  so  anscheinend  einzig  und 
allein  in  dem  Gegensatz,  bietet  aber  nichts  Positives.  Das  ganze 
Lehrgebäude  schwebt  gewissermafsen  in  der  Luft.  Hier  und  da 
wirkt  ein  einzelner  mit  Begeisterung,  Geschick  und  Verständnis 
ausgestalteter  Junger  der  neuen  Methode,  auf  dasjenige  fufsend, 
was  ein  solches  Lehrbuch  bringt,  oder  mehr  fast  noch  auf  das, 
was  es  wegläfst,  Bedeutendes.  Doch  eine  solche  auf  Einzelpersonen 
sich  stützende  Methode  hat  für  den  Gesamtorganismus  keinen 
Wert.  Die  Unmöglichkeit  einer  häuslichen  Ein-  und  Nachhilfe, 
selbst  Ton  Seiten  fachmännischer  Lehrkräfte,  die  Schwierigkeit  des 
Eingreifens  neuer  Kollegen  im  Schulunterrichte  und  endlich  die 
Erschwerung  der  Kontrolle  des  Unterrichts  durch  einen  Vor- 
gesetzten sind  Umstände,  die  einer  gröfseren  Verbreitung  der 
Methode  immerdar  hemmend  entgegenstehen  werden.  Die  starke 
persönliche  Propaganda,  die  von  den  begeisterten  Anhängern  für 
die  Reformideen  gemacht  wird,  die  aufserordentliche  Beredsamkeit 
io  den  zahlreich  erschienenen  Schriften  über  dieselbe,  insbesondere 
aber  das  wahrhaft  bestechende  Wirken  Einzelner  im  Unterrichte 
haben  die  Regierung  zu  ihrem  anerkennenden  Urteil  ober  die 
neuen  Bestrebungen  veranlafst.  Sie  wird  sicherlich  auch  den 
Anstofs  zur  Abfassung  neuer  Lehrbücher  geben,  die  den  Forde- 
rungen auch  weiter  abseits  stehender  Schulmänner  Genüge  leisten 
werden.  Hat  doch  Kühn  selbst  sich  schon  veranlafst  gesehen, 
in  seinen  Übungen  zum  französischen  Lesebuche  und  in  seinem 
nachträglich  erschienenen  propädeutischen  Kursus  zu  ebendem- 
selben Bache  eine  Handhabe  für  den  Gang  des  Unterrichts  zu  bieten 
und  —  wenn  auch  freilich  nur  durch  einen  kleinen  Spalt  —  die 
Grammatik  wieder  einzulassen,  die  er  aus  seinem  Lesebuch  ver- 
bannt hatte.  Und  giebt  doch  das  Schmidt- Rofsmannsche 
Buch  der  verpönten  Grammatik  sogar  wieder  soweit  Raum,  dafs 
die  Forderung  zusammenhängenden  Obungsstoffes  darüber  schier 
in  die  Brüche  geht  und  man  stellenweise  geradezu  zu  vergessen 
genötigt  ist,  dafs  das  Französische  neben  dem  mündlichen  Ge- 
dankenaostausch  über  die  plattesten  Dinge  der  Alltäglichkeit  auch 
eine  bochgeistige  schriftliche  Gedankenentwicklung  ermöglicht  und 
zu  allen  Zeiten  der  bildungsbeflissenen  und  begeisterungsfähigen 
Welt  geboten  hat.  Aber  Bilder  machen's  nicht  und  Musiknoten 
auch  nicht;  das  sind  Zuthaten,  die  mit  ernster  Schulung  zunächst 
nichts  zu  Uiun  haben;  für  die  Kinderstube  mag  das  alles  seinen 
Wert  haben,  für  Unterrichtsanstalten,  die  aus  dem  Rahmen  der 
Klippschulen  herausfallen,  an  und  für  sich  gewifs  nicht.  Der  ge- 
schickte Lehrer  kann  vielleicht  damit  etwas  anfangen,  aber  ent- 
behren kann  er  es  auch;  das  ist  nicht  der  wesentliche  Bestand- 
teil eines  Lehrbuches.    Die   unentbehrliche  Grundlage  des  Lehr- 


358     2^'^  neaestea  Methode  d.  (Jaterrichts  im  Fraazoflisehen, 

buches  igt  und  bleibt  eiD  darin  herrschendes  einheitliches  System. 
Das  zu  schaffen,  darüber  mit  aller  Energie  nachzudenken,  in  dieser 
Hinsicht  einen  Schritt  weiter  zu  kommen,  mufs  das  Ziel  aller 
Freunde  der  Reform  sein. 

Man  hat  sich  die  Fragen  vorzulegen:  sollte  sich  nicht  aas 
dem  greifbaren  Gehalt  der  annoch  getrennten  Bestrebungen  Ein- 
zelner ein  einheitliches  System  aufbauen  lassen,  sollten  sich  in 
dasselbe  nicht  gleicher  Weise  neben  den  Vorteilen  der  neuen 
Methode  die  unbestreitbaren  Vorzuge  der  alten  aufnehmen  lassen, 
und  sollte  sich  nicht  ein  Lehrbuch  als  Träger  dieses  Systems 
herstellen  lassen?  Aus  dieser  Überlegung  scheinen  mir  die  fol- 
genden Gesichtspunkte  als  allgemein  annehmbar  hervorzugehen. 
Die  richtige  Aussprache  mufs  das  erste,  die  Sprechgewandtheit 
die  zweite  der  im  Vordergrunde  stehenden  Aufgaben  sein  und 
zwar  darum,  weil  keins  von  beiden,  sobald  es  im  Anfang  ver- 
säumt, sich  später  auch  nur  annähernd  in  gleich  befriedigender 
Weise  erreichen  läfst.  Um  jenem  wie  diesem  Raum  zu  geben, 
mufs  das  Lesen  und  Schreiben  zunächst  zurücktreten  oder  auch 
ganz  wegbleiben  und  der  ausscbliefslich  mundliche  Unterricht 
vorherrschen.  Um  die  Aussprache  in  sicherster  Weise  zu  erlernen, 
mufs  der  Schüler  erst  hören  und  zwar  nur  hören,  aber  nichts 
sehen,  weder  das  historisch  gewordene  thatsächliche,  noch  das 
seiner  Artikulation  entsprechende  phonetische,  noch  sonst  irgend 
ein  anderes  Lautbild;  am  allerwenigsten  aber  soll  er  nacheinander 
verschiedenartige  Lautbilder  für  ein  und  dasselbe  Wort  erblicken, 
wie  das  ja  auch  von  der  Regierung  ausdrücklich  verworfen  ist. 
Er  höre  den  richtig  sprechenden  Lehrer,  das  ist  und  bleibt  die 
Hauptsache.  Dieser  wecke  in  seinen  Schülern  das  Gefühl  für  den 
Wohllaut  und  die  Freude  am  Gelingen  der  Nachahmung;  dieses 
ästhetische  Moment  bildet  den  zuverlässigsten  Verbündeten  des 
Lehrers,  diesen  zu  gewinnen  sei  daher  des  Unterrichtenden 
erstes  und  vornehmstes  Ziel.  Das  Sprechen  aber  —  und  darauf 
ist  der  gröfste  Nachdruck  zu  legen  —  mufs  sich  auf  natürliche 
Weise  aus  dem,  was  rings  um  uns  ist,  was  rings  um  uns  vor- 
geht, ergeben,  mufs  eine  Notwendigkeit  sein  und  nicht  den  Stempel 
des  aus  der  Luft  Gegriffenen,  Willkürlichen  an  sich  tragen.  Das 
Willkürliche  aber  zu  beseitigen  und  die  Sprech  not  wendigkeit  direkt 
aus  dem  Handeln  heraus  zu  schaffen,  das  ist  Sache  des  Lehrers, 
und  das  Buch  mu£9  ihm  dabei  behilflich  sein.  Man  hört  so  oft 
behaupten,  ein  halbes  Jahr  Aufenthalts  im  Ausland  ist  lange  Jahre 
Schulunterrichts  wert;  nun  denn,  jede  Stunde  französischen  An- 
fangsunterrichts sollte  eine  Stunde  Aufenthalts  in  Frankreich  sein, 
aber  eines  Aufenthalts,  der  bis  auf  die  Minute  nach  allen  Seiten 
hin  ausgenutzt  wird.  Wirket  dahin,  so  könnte  man  den  Reformern 
zurufen,  wirket  dahin,  dafs  die  Bezeichnung  „Bonnenunterricht*' 
eurer  Methode  nicht  fürder  ein  beschämender  Vorwurf  sei;  leistet 
das,    was    die   französische  Bonne   dem    einzelnen  Kinde   bietet. 


von  M.  Banner.  359 

einer  ganzen  Kbsse;  schaffet  euch  aus  der  Klasse  gerade  das 
Material  zu  erhöhter  Wirksamkeit;  erbebet  euren  Unterricht  über 
die  mechanische  ThStigkeit  der  Bonne  empor  zu  einer  geist- 
bildenden, zielbewufsten  Kunst,  und  es  wird  auch  der  Gegner 
euren  Bestrebungen  die  Achtung  nicht  versagen  können. 

Die  ersten  Stücke  des  Lehrbuches  nun  müssen  meines  Er- 
achtens  dem  Lehrer  das  Material  zu  einem  Vorgehen  in  der  be- 
zeichneten Art  an  die  Hand  geben,  und  in  dem  Buche  selbst  — 
also  jedem,  der  es  benutzt,  sofort  zugänglich  —  mufs  eine  An- 
leitung für  die  richtige  Benutzung  des  Materials  enthalten  sein. 
Danach  ist  der  ganze  Unterricht  von  vornherein  so  einzurichten, 
dafs  alles  dazu  mitwirken  mu(s,  Situationen  zu  schaffen,  aus 
denen  sich  dann  das  Sprechen  von  selber  ergiebt.  Man  veranlafst 
nicht  die  ganze  Klasse,  im  Chore  ein  *levez-vous'  auszurufen,  auf 
das  sich  niemand  erheben  kann,  noch  einen  einzelnen  Schüler, 
die  Aufforderung  *allez  ä  vos  places*  ergehen  zu  lassen,  wo  nie- 
mand derselben  Folge  leistet.  Einen  allein  mafsgebenden  Weg 
für  das  Torgehen  im  einzelnen  anzuweisen,  wäre  nur  von  Obel. 
Derartige  Unterrichtsstunden  mannigfaltig  gestalten,  so  mannig- 
faltig wie  das  Leben,  darin  liegt  die  Kunst  des  Lehrenden.  Der 
Mittel  sind  viele,  und  eine  ganze  Zahl  finden  wir  in  Walters, 
Kuhns  und  anderer  Anleitungen  für  den  Anfangsunterricht  auf- 
gezeichnet, und  auch  das  methodisch  gearbeitete  Lesebuch  wird 
dieselben  möglichst  zahlreich  bieten;  aber  erschöpfen  wird  sie 
niemand;  kann  doch  sogar  ein  anregend  betriebenes  Eindrillen 
von  Verbalformen  in  ihren  Rahmen  gezogen  werden. 

Eines  der  natürlichsten  Mittel  zum  Schaffen  der  erforder- 
lichen Situationen  wird  immer  in  dem  fortwährenden  Eintreten 
der  Schüler  in  die  Stelle  des  Lehrers  liegen ;  die  Schüler,  die  für 
den  Lehrer  eintreten,  sind  gezwungen,  zu  sprechen,  die  anderen 
verpflichtet,  zu  hören  und  zwar,  wie  im  Leben,  bald  diesen,  bald 
jenen  zu  hören  und  sich  so  an  verschiedene  Organe,  nicht  ein- 
seitig an  dasjenige  des  Lehrers  zu  gewöhnen.  Um  aber  hin- 
wiederum von  dem  lautlich  geschulten  Mitschüler  richtig  verstanden 
zu  werden,  ist  der  die  Funktion  des  Lehrenden  ausübende  Schüler 
ganz  unweigerlich  zur  richtigen  Aussprache  gezwungen,  und  der 
Schaler  wird  auch  hier  eine  noch  schärfere  und  empfindlichere 
Kritik  üben  als  der  Lehrer.  Dafs  diese  ersten  Sprechübungen 
keine  besonderen  lautlichen,  so  wenig  wie  etwa  grammatische 
Schwierigkeiten  bieten  dürfen,  ist  selbstverständlich;  es  wären 
daher  in  dem  durch  das  erste  Stück  gebotenen  Sprachmaterial 
möglichst  nur  die  dem  Deutschen  gewohnteren  Laute  zu  ver- 
wenden. Sind  diese  aber  zur  Genüge  geübt  und  hat  der  Schüler 
den  Sprachstoff  im  grofsen  und  ganzen  inne,  dann  halte  ich 
dafür,  daCs  er  sofort  an  das  Lesen  und  darauf  auch  an  das 
Schreiben  der  Worte  herangeführt  wird.  So  störend  mir  von 
vornherein  ein  Vorführen  des  Wortbildes  vor  der  Einübung  des 


360     2°!*  neaesten  Methode  d.  Unterrichts  im  Französischen, 

Lautes  erscheint,   für  so  f5rderlich  halte  ich  doch  nach  derselben 
die  baldige  Zuführung  des  Bildes,   ja  für  so  notwendig,    dafs  ich 
jede  einzelne  Redensart,    die  man,   wenn  auch  nur  gelegentlich, 
im  Gespräch    mit    der  Klasse    anzuwenden  veranlafst  worden  ist, 
nach  nicht  zu  langem  Zwischenraum  auch  schriftlich  yorzufuhren 
für  unerläfslich  erachte.   Denn  sind  einmal  die  Lautschwierigkeiten 
überwunden,  dann  wird  das  geschriebene  Wort  dem  Schüler  stets 
als  eine  erwünschte  Stütze  zum  leichteren  und  sichreren  Behalten 
des  gesprochenen  Wortes  erscheinen.     Immer  also  wird  zwar  — 
und  darin  stimme  ich  mit  den  Reformern  vollkommen  überein  — 
ein  Anschauungsstück  erst  mündlich  durchgegangen  werden  müssen, 
bevor   man    zum  Lesen  und  Übersetzen  sich  wendet     Ober  den 
Zeitpunkt   des    allerersten  Lesens    aber  gehen   unsere  Ansichten 
auseinander.     Ich  suche  denselben,    wie  schon  gesagt,    gar  nicht 
weit   hinauszuschieben.     Der  Lehrer,    der   vor  Beginn  der  ersten 
Stunde    das   ganze    erste    Übungsstück    nach   seinem    lautlichen, 
lexikalischen  und  grammatischen  Inhalt   für   sich    durchgearbeitet 
hat,  nimmt  mehrere  Stunden  hindurch  den  Stoif  in  der  oben  an- 
gedeuteten Weise   durch.     Nachdem    er  das  Stück   den  Schülern 
zu  eigen    gemacht,   wird    er  an  das  Lesen  desselben    gehen   und 
nach  Erlernung  der  zugehörigen  Vokabeln  in  ihrer  Schreibung  — 
denn   das  Wort    an   sich    haben  die  Schüler  ja  bereits  vorher  in 
sich  aufgenommen  —  wird  er  zu  dem  zweiten  Anschauungsstück 
sich  wenden  können.     Die   meisten  Anschauungsstücke   aber  — 
und    mit  dieser  Ansicht   stelle   ich   mich  wiederum  der  Hehrzahl 
der  Verfasser   neuerer  Lehrbücher    gegenüber  —  sollten    meines 
Erachtens  nicht  eine  lose  Aneinanderreihung  kurzer,  ganz  gleich- 
artig gebildeter  Sätzchen  —  das  nenne  ich  kein  zusammenhängendes 
Stück  — ,   sondern  ein  durch  Konstruktion  und  Stileinheit  wirk- 
lich in  sich  geschlossenes  Gefüge  darbieten,  und  das  um  so  ent- 
schiedener und  planmäfsiger,  je  weiter  sie  sich  vom  Anfang  ent- 
fernen.    Sonst   aber   sei    man    offen    und    stelle   die  Einzelsätze 
auch  wirklich  als  solche  nebeneinander;   gehen    sie   alle    auf  ein 
und    denselben  Gegenstand,    so    liegt  ja   auch   darin   schon   ein 
Einigungspunkt;  und  ich  halte  selbst  Sätze  verschiedenen  Inhalts, 
die   nur   durch    das   grammatische  Moment  verknüpft   sind,    für 
keine  solche  Absurdität,  wie  sie  vielfach  verschrieen  wird,  wofern 
sie  nur  ihrem  Gehalt  nach  der  Bemühung  wert  sind,    zu  der  sie 
Lehrer  und  Schüler  veranlassen.    Ganz  das  Gleiche  aber  verlange 
ich  von  den  Anschauungsstücken.    Man  erwidere  mir  nicht,  da&, 
wenn  wirklich  in  den  gehaltvollen  Einzelsälzen  verschiedenen  In- 
halts das  Neue,  Wechselnde  Anregung  bieten  sollte,  so  doch  weit 
mehr  noch  das  ein  naheliegendes  Interesse  berührende  Anschauungs- 
bild   aus  der  umgebenden  Welt.     Ganz  gewifs  und  unbestreitbar 
wird  das  Kind  mit  reger  Teilnahme   den  in  fremder  Sprache  ge* 
führten  Unterhaltungen    über  die  Gegenstände   der  Klasse,    über 
Vorgänge  in  der  Natur,  über  Thun  und  Treiben  der  Mitmenschen 


von  M.  Banoer.  361 

sich  hiDgebeD.  Sobald  es  aber  den  Stoff  eines  Anscbauungsstuckes 
möndlicb  zu  voller  Genüge  durchgeübt,  so  wird  es  ebenso  gewifs 
nur  mit  grofsem  Unbehagen  an  das  Lesen  der  gleichen  Sätze 
herangehen,  es  sei  denn  dafs  sie  ihm  in  neuer,  anziehender  Form 
geboten  werden.  Es  ist  also  zunächst  die  doppelte  Forderung  an 
eio  Aoschauungsstück  zu  stellen:  es  mufs  dem  Lehrer  das  Material 
zn  der  oben  angedeuteten  Behandlung  im  mündlichen,  von  dem 
Buche  losgelösten  Unterricht  bieten,  und  es  mufs  in  einer  Form 
abgefafst  sein,  die  es  zugleich  auch  zum  Lesestück  geeignet  macht. 
Wie  hierzu  die  Gestaltung  des  einzelnen  Stückes  an  sich  in  Be- 
tracht kommt,  so  nicht  minder  der  Wechsel  in  der  Abfassungsart 
derselben.  Ist  das  erste  Bild  in  Form  einer  Beschreibung  geboten, 
so  das  zweite  vielleicht  als  Erzählung,  das  dritte  in  einem  Dialog, 
das  vierte  in  der  äufseren  Einkleidung  eines  Briefes,  das  fünfte 
mag  sogar  ein  Gedichtchen  sein.  Für  den  darin  verwendeten 
Wortschatz  sollen  gewisse  Schranken  mafsgebend  sein;  insbeson- 
dere wird  man  den  Schüler  kein  französisches  Wort  lernen  lassen, 
dessen  entsprechender  deutscher  Ausdruck  ihm  sonst  völlig  un- 
bekannt zu  bleiben  pflegt;  diese  Bedenken  werden  jedoch  vor- 
nehmlich nur  für  die  Prosa  gelten;  in  der  Poesie  wird  sich  ein 
seltenes  Wort  nicht  immer  vermeiden  lassen,  es  wird  aber  auch 
da  auf  seine  Einprägung  kein  Gewicht  gelegt  werden. 

Über  die  Poesie  nun  gleich  noch  ein  mehrere».  Es  wird  von 
den  Reformern  mit  besonderem  Nachdruck  hervorgehoben,  von 
welchem  Werte  zumal  im  Anfang  das  Lesen,  Deklamieren  und 
Auswendiglernen  von  Gedichten  sei.  Nichts  liegt  mir  ferner, 
als  den  Wert  solcher  Übungen  gerade  für  die  im  Anfang  an  erster 
Stelle  zu  pflegende  Aussprache  zu  unterschätzen.  Nur  möchte  ich 
sie  nicht  ganz  an  den  Anfang  gestellt  wissen;  mir  scheint,  man 
fährt  sonst,  was  man  auf  der  einen  Seite  ausgeschieden,  auf  der 
anderen  Seite  wieder  ein.  Giebt  doch  die  neue  Methode  als 
Prosastücke  Bilder  aus  der  Anschauungswelt  gerade  im  Anfang 
haoptsachlich  auch  darum,  weil  sie  so  am  besten  die  ausschliefs- 
liche  Anwendung  der  fremden  Sprache  ermöglicht.  Wie  ist  es 
Bon  mit  einem  an  den  Anfang  gestellten  Gedichtchen?  Ich  kann 
dasselbe  dem  Schüler,  da  ihm  ein  Wortschatz  noch  nicht  zur 
Terfagung  steht,  doch  nicht  anders  näher  bringen,  als  indem  ich 
ihm  Wort  für  Wort  übersetze.  Sollen  wir  uns  aber  ein  blofses 
onierstandenes  Nachplaudern  oder  sagen  wir  Nachdeklamieren 
genügen  lassen,  dann  haben  wir  mit  einem  Schlage  die  Abrichtung 
statt  des  Unterrichts.  Also  geben  wir  nur  immerhin  zuerst  die 
Frosa;  läfst  sich  dann  bald  ein  kleines  Gedichtchen  anscbliefsen, 
das  wenigstens  schon  teilweise  mit  dem  bereits  aufgenommenen 
Wortschatz  rechnet,  so  wird  das  ganz  gewifs  Lehrer  und  Schüler 
grölsere  Freude  machen.  Allenfalls  dürfte  man  ein  Gedicht  an 
den  Anfang  stellen,  das  einem  dem  Kinde  bereits  bekannten 
detttschen  Gedichte  genau  oder  nahezu  gleicht;   findet  sich  dann 


362     Zor  neuesten  Methode  d.  Unterrichts  im  Frtnzösisehen, 

auch  Doch  eine  bekaDDte  oder  meinetwegen  von  dem  Gesanglehrer 
der  Schule  leicht  einzuübende  Melodie,  so  wäre  damit  auch  der 
weitgehendsten  Forderung  der  Reformer  Genüge  geleistet.  Sonst 
aber  wird  es  angemessen  sein,  auf  mehrere  Prosastücke  ein  oder 
zwei  Gedichtchen  zu  bringen,  durch  die  man  auch  wiederum  für 
den  das  Interesse  immer  neu  auffrischenden  Wechsel  sorgt,  und 
die  um  so  willkommener  sein  werden,  wenn  sie  nach  Gedanken- 
und  Sprachinhait  eine  gewisse  Verwandtschaft  mit  der  voran- 
gegangenen Prosa  zeigen.  Ebenso  wird  man  sich  ganz  gewifs  auch 
nicht  scheuen,  mittendrin  eine  anregende  Anekdote,  ein  Härchen, 
Rätsel,  Sprichwörter  und  wohl  auch  einmal  ein  leichtes  historisches 
Stück  einzustreuen.  Man  wird  die  Anscbauuugsstücke  um  so 
häuGger  und  länger  unterbrechen  dürfen,  als  man  sich  von  dem 
Anfange  entfernt,  weil  sie  dann  ihren  wesentlichsten  Dienst,  die 
natürlichste  Mitteilung  des  Sprachmaterials  abzugeben,  erfüllt 
haben  und  im  übrigen  doch  denjenigen  Inhalt  bieten,  der,  hinter- 
einander genossen,  am  ehesten  ermüdet.  Dafs  dabei  ein  Fort- 
schreiten vom  Leichteren  zum  Schwereren  beobachtet  wird,  dafs 
wie  inhaltlich  so  auch  sprachlich  eine  gewisse  Beziehung  zwischen 
den  Stücken  herrscht,  dafs  die  Vertrautheit  mit  dem  einen  zum 
Verständnis  des  folgenden  mithelfen  soll,  ist  seibstverständticb. 

Allein  wenn  auch  diese  Forderungen  alle  erfüllt  werden,  so 
hätten  wir  immer  erst  ein  methodisches  Lesebuch  vor  uns,  nicht 
aber  ein  Übungsbuch;  dazu  fehlt  ihm  das  grammatische  Moment. 
Ich  weifs,  dafs  viele  bei  dem  Worte  'Grammatik'  sofort  eine 
Gänsehaut  bekommen,  etwa  wie  wenn  man  einen  Paragraphen 
des  Strafgesetzbuches  anführt,  und  es  besteht  in  der  That  zwischen 
Grammatik  und  Gesetzbuch  eine  gewisse  Ähnlichkeit.  Wir  alle 
leben  und  handeln,  üben  unsere  Berufs-  und  bürgerlichen  Pflichten, 
ohne  daran  zu  denken,  dafs  über  die  Ausführung  jedes  Schrittes 
fest  geregelte  Gesetze  wachen.  i\ur  bei  besonderen,  nach  gröfiBe- 
ren  Lebensabschnitten  eintretenden  Anlässen,  nur  wenn  wir  bei 
einem  Konflikt  der  Pflichten  in  Zweifel  geraten,  nur  wenn  wir 
einen  Fehltritt  begangen,  dann  sehen  wir  uns  gezwungen,  un- 
weigerlich unser  Augenmerk  auf  das  Gesetz  zu  richten.  Auch 
fallt  nur  wenigen  Leuten,  gegenüber  der  grofsen  Hasse,  die  Auf- 
gabe zu,  das  Studium  der  Gesetze  als  zu  ihrem  Beruf  gehörig  zu 
betrachten,  an  ihnen  zu  bessern  und  ihre  Beziehung  zum  Leben 
herzustellen.  Ungefähr  so  sollte  es  nach  meinem  Dafürhalten 
mit  der  Grammatik  sein.  Der  Lehrer  ist  sich  in  jedem  Augen- 
blicke der  Sprachgesetze  bewufst,  er  sucht  sie  fortwährend  zu  ver- 
vollkommnen, zugleich  auch  in  möglichst  geschickter  Weise  die  Be- 
ziehung zum  Sprachmaterial  herzustellen.  Die  Masse  der  Schüler 
aber  handelt  zwar  fortwährend  nach  den  Gesetzen  der  Grammatik, 
am  besten  aber  für  gewöhnlich  unbewufst.  Bewufst  wird  sie 
sich  derselben  erst,  wenn  sie  bei  Abschlüssen  gröfserer  Pensa 
den  zurückgelegten  Weg   überblickt,    wenn  sie  in  Zweifel  gerät, 


von  M.  BtnB«r.  363 

weoD  sie  einen  Fehler  begangen  hat.  Jedoch  wohl  ihr,  wenn  sie 
das  Rechte  unbewufst  so  weit  in  sich  aufgenommen  bat,  dafs  sie 
ror  dem  Fehltritt  bewahrt  bleibt;  aber  besser  immerhin,  dafs  sie 
fich  der  Gesetze  bewufst  wird,  als  dafs  sie  unbewufst  in  Fehler 
verßllt;  denn  Unkenntnis  der  Gesetze  schützt  nicht  vor  Strafe. 
Voo  Gegnern  einer  nach  grammatischen  Gesichtspunkten  geordneten 
Sprachbehandlung  wurde  oft  schon  ein  anderer  Vergleich  heran- 
gezogen. Sie  sagen,  ein  Kind,  das  genötigt  sei,  den  ihm  neu 
entgegentretenden  fremden  Sprachstoff  nach  grammatischen  Kate- 
gorieen  gegliedert  aufzunehmen,  sei  wie  ein  Kaufmann,  der  das 
erste  erworbene  Sümmchen  Geld  nach  verschiedenen  Sorten  in 
einen  vielfacherigen  Geldschrank  einordnet.  Ihnen  möchte  ich 
erwidern,  dafs  dieser  Vergleich  für  unsere  Schüler  im  französi- 
schen Anfangsunterricht  nicht  zutrifft,  weil  dieselben  —  um  im 
Bilde  zu  bleiben  —  nicht  leere  Fächer  mit  kargem  Vorrat  füllen, 
sondern  vielmehr  einheimische,  schon  nach  Fächern  geordnete 
Möozsorten  gegen  fremdländische  eintauschen.  Dafs  dieser  Um- 
tausch möglichst  instinktiv  geschieht,  halte  auch  ich  für  vorteil- 
haft, die  Einordnung  aber  für  entbehrlich  anzusehen,  dazu  kann 
ich  mich  nicht  entschliefsen.  Dies  nun  auf  das  Lehrbuch  ange- 
wendet, würde  heifsen:  der  sachliche  Inhalt  ist  überall  das 
Wesentliche  für  die  Wahl  und  Anordnung  des  Stoffes,  der  gram- 
matische Inhalt  ordnet  sich  ihm  unter,  wird  aber  niemals  aufser 
acht  gelassen  und  findet  dafür  seine  übersichtliche  Behandlung, 
weoo  auch  in  möglichster  Kürze,  in  einem  gesonderten  Teil. 

Diese  Aufgabe  gerade,  den  grammatischen  Stoff  in  möglich- 
ster Kürze,  Klarheit  und  Obersichtlichkeit  darzustellen,  möchte 
SQch  heute  noch  zu  den  vornehmsten  gehören,  an  deren  Lösung 
wir  arbeiten  können.  Darüber  nachzusinnen,  wie  weit  sich  der 
grammatische  Lernstoff  verringern  läfst,  über  eine  Darstellungsart 
desselben  nachzudenken,  in  der  er  am  leichtesten  aufgenommen 
werden  kann,  die  Beziehung  klarzulegen,  in  der  er  zum  Lesestoff 
stehen  soll,  den  Anfang  der  grammatischen  Unterweisung,  die 
Reihenfolge,  den  Umfang  derselben  zu  fixieren,  das  alles,  denke 
ich,  sollten  der  Bemühung  werte  Arbeiten  sein.  Dazu  auch  sollte 
uns  unser  Universitätsstudium  ausstatten.  Es  ist  ja  in  der 
wissenschaftlichen  Entwickelung  unseres  Faches  begründet,  dafs 
man  zur  Erklärung  syntaktischer  Eigentümlichkeiten  auf  die 
Formenlehre  zurückgriff,  dafs  man  von  dieser  wiederum  auf  die 
Laute  als  auf  deren  Grundlage  hinwies  und  die  Lautlehre  zu 
einem  breit  ausgesponnenen  Teil  unseres  Studiums  machte,  und 
dais  man  zuletzt  auf  die  Lautphysiologie,  auf  die  Lehre  von  der 
Erzeugung  und  Gestaltung  der  Laute,  kam.  Das  alles  verfehlt 
niemals,  seinen  Einflufs  auch  auf  den  Schulunterricht  geltend  zu 
machen;  aber  die  Gefahr  ist  auch  jedes  Mal  vorhanden,  auf  dem 
betreffenden  Gebiete  zu  weit  zu  gehen.  So  sind  Erscheinungen 
wie  Läckings  Grammatik  auf  dem  Gebiete  der  Syntax  (320  von 


i 


364     Zur  neuesteo  Methode  d.  Ualerrichts  im  Französisehen,'^ 

430  Seiten),  wie  Körtings  Grammatik  auf  dem  Gebiete  der 
Formenlehre  (350  von  450  Seilen)  zu  erklären,  so  weiterhin  die 
ausfuhrliche  Behandlung  der  Lautlehre  in  unseren  Lehrböchern, 
so  schliefslich  die  mehr  und  mehr  in  Aufnahme  kommende  und 
von  dem  Charakter  eines  modernen  französischen  Übungsbuches 
kaum  noch  zu  trennende  Beigabe  phonetisch  transskribierter,  d.  h. 
für  den  Uneingeweihten  in  Hieroglyphen  umgesetzter,  französischer 
Verse  oder  Prosasätze.  Man  wird  auf  den  Universitäten  von  der 
ausgedehnten  Behandlung  dieser  Nebendisciplinen,  wenigstens  auf 
dem  Gebiete  des  Französischen,  wohl  auch  einmal  zurückkommen. 
Durch  Diez^  geniales  Wirken  hatten  wir  Deutsche  einen  aufser- 
ordentlichen  Vorsprung  gewonnen,  und  die  deutschen  Schäler 
dieses  Mannes  stellten  sich  den  in  Frankreich  gerade  so  wie  den 
in  anderen  romanischen  Ländern  geborenen  ebenbürtig  zur  Seite; 
ein  Tobler  wird  auch  von  einem  Gaston  Paris  und  Paul 
Meyer  mit  Nutzen  angehört.  Wird  aber  erst  einmal  in  romani- 
schen Ländern  selbst  eine  gröfsere  Zahl  von  eingeborenen  Schülern 
mit  dem  gleichen  Rüstzeug  ausgestattet  an  die  Wissenschaft  heran- 
treten, so  möchte  es  leicht  geschehen,  dafs  wir  bald  mit  der  bis- 
herigen Art  unseres  Sprachbetriebs  auf  den  Universitäten  ffir 
immer  in  den  Schatten  gestellt  werden.  Die  klassischen  Philo- 
logen haben  da  ein  Gebiet,  auf  dem  sie  allezeit,  gestützt  auf 
deutsche  Gründlichkeit,  mit  den  Söhnen  anderer  Länder  als 
Forscher  in  die  Schranken  werden  treten  können.  Aber  es 
müfste  doch  eigentumlich  zugehen,  wenn  nicht  Franzosen  auf 
französischem  Sprachgebiete,  Spanier  auf  spanischem,  Italiener 
auf  italienischem  das  Beste  leisten  sollten;  könnten  wir  uns  doch 
nicht  leicht  vorstellen,  dafs  ein  Franzose  uns  etwa  auf  deutschem 
Sprachgebiete  tiefere  Kenntnisse  offenbaren  sollte,  als  wir  sie 
haben.  Man  lebt  eben  nur  in  einer  Sprache,  und  gewisse  Seiten 
der  fremden  bleiben  uns  für  ewig  verschlossen.  Wir  werden  mit 
der  Zeit  nur  immer  mehr  erkennen,  dafs  wir  das  romanische 
Sprachgebiet  als  Ganzes  zu  unserem  Studium  erwählen  müssen, 
dafs  uns  das  Gemeinsame  in  Idiomen,  Litteratur  und  Kultur  in 
ihm  würdige  Gegenstände  der  Forschung  bieten  kann.  Für  die 
ältere  Zeit  etwa  als  HilCswissenschaft  der  Geschichte,  für  die  neuere 
als  selbständige  Wissenschaft  auf  dem  Gebiete  der  Kultur  und 
Litteratur  und  für  den  ganzen  Verlauf  der  romanischen  Spracb- 
entwicklung  bis  zurück  auf  das  Lateinische  als  Förderin  ver- 
gleichender Sprachforschung  würde  die  Disciplin  unter  den  anderen 
ebenbürtig  dastehen.  Dann  würden  wir  Neuphilologen  auch  im 
Rahmen  der  Schule  Wertvolleres  leisten,  auf  dem  Gebiete  der 
Schulbuchlitteratur  würde  mehr  innerliche  Vertiefung  an  Stelle 
äufserlicher  Verflachung  treten,  und  wir  würden  damit  auch  in 
den  Augen  der  Vertreter  anderer  philologischer  Fächer  geachteter 
dastehen.  Diese  Achtung  aber,  sie  ist  für  das  Gedeihen  des  Faches 
durchaus  von  nöten.    Wir  können  uns,   wie  schon  eingangs  er- 


voD  M.  Baaoer.  365 

wähnt,  der  Anerkennung  freuen,  die  wir  in  Regierungskreisen 
gefunden  und  die  in  den  Lehrplänen  zum  Ausdruck  kam.  Aber 
daü»  trotz  der  Forderung  der  Menge  nach  Vermehrung  moderner 
Bildung  das  Französische  sogar  noch  eine  Einbufse,  auf  Oberreal- 
schulen und  Realschulen  zumal  eine  recht  bedeutende  Einbufse 
erlitten  hat,  kann  für  uns  nur  beschämend  sein.  Gewifs  ist 
dieselbe  ja  mit  durch  das  Streben  nach  einer  Einschränkung  der 
Schulstunden  überhaupt  bedingt  worden,  aber  der  Mathematik 
beispielsweise  blieb  ihr  Bestand  nahezu,  auf  unseren  Gymnasien 
sogar  völlig  unverkürzt  erhalten,  —  und  die  mathematischen  Kol- 
legen werden  doch  gewifs  nicht  zugeben,  dafs  ihre  Lehrmethode 
sich  nicht  gleichfalls  in  letzter  Zeit  gebessert  hätte  und  dafs  des- 
halb ihr  Fach  eine  Verkürzung  nicht  vertragen  könne. 

Allein  in  der  angedeuteten  Verschiebung  des  Schwerpunkts 
in  unserem  Studium  wurde  nicht  nur  die  dadurch  notwendig 
eintretende  Vertiefung,  sondern  auch  die  daraus  hervorgehende 
gröfsere  Begeisterung  für  das  Fach  der  Schule  zugute  kommen. 
Denn  in  letzter  Linie  ist  es  doch  immer  die  eigene  Begeisterung, 
die  uns  eine  bleibende  Einwirkung  auf  die  Jugend  ermöglicht, 
wenn  auch  für  den  ersten  Anfang  der  Weg,  den  wir  dahin  ein- 
schlagen, nicht  gleicbgiltig  ist  Aber  die  mehrjährige  Beschäftigung 
mit  längst  vergessenen  und  zu  unserer  jetzigen  Litteratur  nicht 
in  geringster  Beziehung  stehenden  Produkten  von  Dichtern  zwölften 
Ranges,  ein  Abzählen  der  Enjambements  oder  Cäsuren  in  einem 
20  000  oder  mehr  Verse  zählenden  mittelalterlichen  Poem,  eine 
Zusammenstellung  der  End-e  aus  einem  alten  Prosafragment  und 
was  dergleichen  Aufgaben  mehr  sind,  kann  doch  wohl  nicht  das 
Interesse  abgeben,  mit  dem  ihre  Jünger  zu  erfüllen  die  erste 
Angabe  der  Universität  ist.  Und  so  ist  es  denn  erklärlich,  dafs 
man  sich  in  der  praktischen  Ausübung  seines  Faches  dann  mit 
so  grofsem  Eifer  auf  Dinge  wirft,  die  zwar  ganz  gewifs  es  wert 
sind,  dafs  man  sich  mit  ihnen  beschäftigt,  aber  sicherlich  nicht, 
dafs  man  sie  derart  auf  die  Spitze  treibt  und  fast  zum  aus- 
schlieblichen  Ziel  des  ganzen  Betriebes  macht.  Bleiben  wir  dabei, 
ein  solches  Gewicht  auf  Äufserlichkeiten  zu  legen,  die  uns  bald 
jedermann  absieht,  kommen  wir  nicht  dahin,  zu  beweisen,  dafs 
die  ganze  Art  des  neusprachlichen  Schulunterrichts  aus  einem 
Studium  resultiert,  das  den  ganzen  Mann  mit  Kopf  und  Herz  so 
auf  der  Universität,  wie  Zeit  seines  Lebens  in  Anspruch  nimmt,  dann 
können  wir  uns  auch  nicht  beklagen,  dafs  gerade  in  unser  Fach 
so  viele  Nichtberufene  mit  bineinsprechen,  dafs  für  die  grofse 
Masse  der  Schulmänner  fachmännisch  vorgebildete  und  nicht  vor- 
gebildete Lehrer  fast  ebenso  identisch  sind  wie  für  die  grofse 
Menge  überhaupt  akademisch  und  seminaristisch  vorgebildete 
Lehrer.  Bieten  wir  nicht  etwas  ersichtlich  Besseres  als  diejenigen, 
die  das  Fach  nicht  studiert  oder  nur  als  Nebenstudium  getrieben 
babeOf  warum  sollen  diese  dann  nicht  zum  Unterricht  zugelassen 


366     ^oi*  Denesteo  Methode  d.  Uiiterrichtfl  im  PranzSsisehea, 

werden?  Versteht  doch  vielleicht  der  und  jener  durch  die  allgemein 
bildenden  Elemente,  die  er  aus  seinem  Spezialfach  mit  fainüber- 
nimmt,  in  dem  Schüler  diejenige  Begeisterung  für  den  Betrieb 
des  Französischen  zu  erwecken,  die  dem  Neuphilologen  selbst  zu 
erzielen  nicht  möglich  ist.  Also  in  Ehren  die  Anregung,  die  wir 
den  Reformern  zu  verdanken  haben,  Achtung  vor  den  Versuchen, 
die  wertvollen  Momente  daraus  in  den  Dienst  der  Schule  zu 
steilen,  Anerkennung  für  die  besseren  Resultate,  die  auf  diesem 
Wege  im  Anfangsunterrichte  erzielt  werden;  aber  vergessen  wir 
nichts  dafs  das  Französische  eine  Litteratursprache  ist,  dafs  wir 
es  vielen  Schülern,  ja  vielleicht  der  grofsen  Mehrzahl,  schuldig  sind, 
sie  mehr  zum  leichten  und  gründlichen  Verstehen  der  in  jener 
Sprache  geschaffenen  Geisteswerke  als  zu  der  Fähigkeit  des  Par- 
lierens  zu  führen.  Das  Erfordernis  dieser  Fähigkeit  tritt  zwingend 
gewifs  nur  an  wenige  heran,  ein  Verständnis  der  französischen 
Litteratur  aber  wird  man  von  jedem  gebildeten  Menschen  ver- 
langen. Sollten  wir  also  eines  nur  auf  Kosten  des  anderen  be- 
treiben dürfen,  dann  wird  wohl  niemand  zweifelhaft  sein,  wofür 
er  stimmen  mufs;  denn  abgesehen  von  der  gebotenen  Rücksicht 
auf  die  Mehrheit,  wird  jede  Schule  ihren  Zöglingen  lieber  den 
rein  geistigen  als  den  mehr  äulserllchen  Gewinn  mit  auf  den 
Lebensweg  geben,  welch  letzterer  noch  dazu  —  wenn  nicht  kräftig 
festgehalten  —  sich  viel  leichter  verliert  als  jener.  Läfst  sich 
aber  dieses  und  jenes  vereinen,  sollten  sogar  die  beiden  Seiten 
zusammengenommen  noch  einander  fördernd  ausgestaltet  werden 
können,  sollte  —  wo  die  alte  Methode  den  Weg  zum  praktischen 
Gebrauch  der  Sprache  verlegt  —  die  neue  nicht  umgekehrt  das 
Gefühl  für  sorgfältig  und  besonnen,  ja  oft  mühsam  eindringendes 
Verständnis  in  den  geistigen  Gehalt  der  Sprache  lahmlegen,  dann, 
ja  dann  greifen  wir  mit  Zuversicht  zu  dieser  neuen  Methode. 

Was  —  frage  ich  mich  nun  —  geht  aus  dieser  Erörterung 
für  die  Gestaltung  des  Übungsbuches  weiter  hervor?  Es  muTs 
neben  dem  Charakter  des  Lehr-  auch  den  des  Lesebuches,  den 
einer  geschickt  angelegten  Chrestomathie  immerhin  wahren;  es 
mufs,  wie  schon  oben  gesagt,  verschiedene  Stilformen,  es  mufs 
litterarisch  Wertvolles,  es  mufs  anziehenden  Lesestoff  bieten. 
Natürlich  wird  sich  dieser  mit  dem  Alter  fortschreitend  auch 
ernster  und  gediegener  gestalten,  er  braucht  deshalb  aber  nicht 
im  Anfang  geradezu  kindisch  zu  sein;  Kindliches  sollen  wir  dem 
neunjährigen  Kinde  bieten,  mit  dem  Kindischen  kehren  wir  auf 
das  Niveau  der  Bonne  zurück.  Wenn  das  Lesebuch  litterarisch 
Wertvolles  enthalten  soll,  so  ist  damit  schon  gesagt,  dafs  es  echt 
französisch,  dafs  es  womöglich  den  besten  französischen  Schrift- 
stellern entnommen,  dafs  es  von  französischem  Kolorit  durch- 
drungen ist.  Damit  aber  ist  wiederum  nicht  gesagt,  dafs  es 
etwa  dem  Gemüt  des  Kindes  nicht  Verwandtes,  dais  es  nicht 
Allgemein-Menschliches,  dais  es  gar  Antinationales  in  die  deutsche 


von  M.  ßanser.  367 

Kindesseele  hineintragen  soll,   ein  Moment,   auf  das  hinzudeuten 
leider  nicht  ganz  überflüssig  ist. 

Mit  deni  nach  und  nach  schwieriger  werdenden  Lesestofl* 
tritt  aber  auch  die  Forderung  grammatischer  Unterweisung  ge- 
bieterischer an  uns  heran;  sie  wird  gewissen  verwickelteren 
Spracberscheinungen  gegenüber  nicht  mehr  blofs  eine  unter- 
stützende, sondern  eine  geradezu  unentbehrliche  Seite  des  Unter- 
richts. Und  da  mufs  ich  denn  sagen:  wenn  man  auch  für  den 
Anfangsunterricht  sich  ganz  auf  den  Boden  der  Reformer  stellen 
mag  und  wie  den  Laut  vor  dem  Laulbild,  so  —  weil  das  allein 
Rationelle  —  die  Obung  in  der  mündlichen  Verwendung  des  ge- 
samten vorliegenden  Wortschatzes  eines  Stückes  jedes  Mal  vor 
dem  Lesen  und  Schreiben  abgethan  wissen  will,  —  für  den  späteren 
Unterricht,  zu  einem  Zeitpunkt,  da  eine  gewisse  Fertigkeit  im 
mündlichen  Gebrauch  der  Sprache  bereits  erworben*  ist,  wird  man 
ohne  Gefahr  auch  einen  anderen  Gang  einschlagen  können.  Der 
Lehrer  wird  das  Lesestück,  mit  dessen  Inhalt  er  sich  vorher  be- 
kannt gemacht  hat,  den  Schülern  frei  vortragen,  diese  werden 
sich  bemühen,  es  mit  dem  ihnen  zu  Gebote  stehenden  Wortschatz 
unter  Einhilfe  des  Lehrers  zu  wiederholen,  und  nach  zwei-, 
höchstens  dreimaliger  Reproduktion  wird  man  an  das  die  muster- 
giltige  Ausdrucksweise  und  damit  immer  noch  den  Reiz  der  Neu- 
heit wahrende  Lesestück  herangehen.  Diese  Lehrweise  bezeichnet 
gegen  die  im  Anfang  vorherrschende  einen  doppelten  Fortschritt. 
Statt  der  kurzen  Antworten ,  die  —  wie  Walter,  Kühn  und 
Plattner  es  vorzeichnen  —  dem  Schüler  durch  die  Fragen  des 
Lehrers  bisher  geradezu  in  den  Mund  gelegt  wurden,  verlangt 
man  von  ihm  einen  längeren,  freien  Vortrag,  —  statt  der  Über- 
setzung eines  leichtgebauten,  nach  allen  Richtungen  hin  durch- 
genommenen Stückes  die  Übertragung  eines  komplizierteren,  nach 
seinem  Wortlaut  ihm  kaum  bekannt  gewordenen  Textes  in  die 
Muttersprache.  So  wird  denn  nun  der  Lehrer  das  vorliegende 
Lesestück  durchgehen,  daraus  die  in  demselben  verarbeitete  Regel 
entwickeln  und  anscbliefsend  Übungen  vornehmen.  Sollte  sich 
nun  auf  dieser  Stufe  nach  Lage  der  Dinge  irgend  jemandem  die 
Ansicht  aufdrängen,  hier  und  da  das  Übersetzen  einschlägiger 
deutscher  Texte  mit  Vorteil  eintreten  lassen  zu  können,  so  sähe 
ich  darin  durchaus  nichts  Verwerfliches.  Nur  das  Einfügen 
deutscher  Übungen  in  das  Buch  selbst  halle  ich  für  bedenklich, 
wefl  es  den  und  jenen  veranlassen  könnte,  darin  statt  eines  ge- 
legentlich zu  benutzenden  Hilfsmittels  die  Aufforderung  zu  regel- 
mäßig vorzunehmenden  Exerzitien  zu  erblicken.  Aufgabe  aber 
wird  es  dann  sein,  die  Grammatik  mehr  und  mehr  zu  vereinfachen 
und  dabei  so  zu  gestalten,  dafs  ihr  logisch  bildender  Wert  klar 
zutage  tritt  Und  wer  sich  an  die  Fassung  der  Regeln  zumal  in 
den  älteren  Auf  lagen  von  Karl  Ploetz' Schulgrammalik  erinnert» 
wer    daraufhin    etwa    Peters'  französische    Schulgrammatik    in 


368     Zar  neaesteo  Methode  d.  Uaterrichts  im  Prtnsösisehen, 

tabellarischer  Darstellung  sich  ansieht,  wo  er  eine  fast  auf  die 
Spitze  getriebene  Übersichtlichkeit  wahrnehmen  wird,  wer  bei 
Lucking,  Klotzsch,  Loewe,  Plattner,  Köhn,  Ploetz- 
Kares  u.  a.  den  Bestrebungen  nach  Erklärung  und  Vereinfachung 
der  Sprachgesetze  seine  Aufmerksamkeit  zuwendet,  der  wird  die 
Möglichkeit  der  Herstellung  einer  den  vollendetsten  altsprachlichen 
Lehrbuchern  völlig  ebenbürtigen  Grammatik  auf  französischem 
Gebiete  nicht  bezweifeln.  Aber  freilich  ist  noch  mancherlei  zu 
thun  übrig:  die  empfindliche  Abhängigkeit  der  Dafs-Sätze  von  dem 
Verbum  des  übergeordneten  Satzes,  die  diesen  Dafs-Sätzen,  den 
sonstigen  Konjunktional-  und  den  Relativsätzen  gemeinsamen 
Gesichtspunkte  für  die  Wahl  des  Modus,  das  mafsgebende  Moment 
für  die  Anwendung  von  avoir  und  ötre  bei  ein-  und  demselben 
und  wiederum  für  den  ausschliefslichen  Gebrauch  von  6tre  bei 
einer  kleinen  Zahl  von  Verben,  die  mancherlei  scheinbaren  Will- 
kürlichkeiten im  Gebrauch  oder  Nichtgebrauch  des  Artikels,  dies 
und  vieles  andere,  namentlich  auch  aus  der  Formenlehre,  wäre 
in  unseren  Lehrbüchern  immer  noch  leichter  und  fafslicher  zu 
geben,  als  bisher  auch  in  den  besten  derselben  geschehen  ist. 
Dann,  freilich  nur  dann  wird  man  den  Schülern  grammatische 
Erörterungen  an  und  für  sich  bildend,  anregend  und  auch  an- 
genehm gestalten.  Wer  dies  leugnet,  der  versteht  es  eben  nicht 
besser;  man  darf  ihm  nicht  grollen;  er  hat  auf  der  Univer- 
sität nicht  die  erforderliche  Vorbildung  genossen,  er  hat  auch 
auf  der  Schule  keinen  anregenden  Unterricht  in  diesem  Gegenstand 
genossen.  Und  wie  man  dem  ehemaligen  Gymnasial-Abiturienten, 
der  über  den  dort  erhaltenen  Bildungsgang  verächtlich  spricht,  auf 
den  Kopf  zusagen  kann,  dafs  er  ein  schlechtes  Gymnasium  be- 
sucht hat,  so  darf  man  demjenigen,  der  von  dem  Bildungswert 
des  Französischen  gering  denkt,  unbedenklich  entgegnen,  dafs  er 
einen  schlechten  französischen  Unterricht  erhalten  hat.  Leider 
aber  ist  dieses  letztere  bei  der  weitaus  gröfseren  Mehrzahl  der 
Fall  gewesen.  Dafs  dem  jedoch  nicht  immer  so  sei,  dafs  es  in 
Zukunft  anders  werde,  das  zu  bewirken,  betrachte  ich  als  unsere 
Lebensaufgabe.  Und  wenn  dabei  auch  nicht  alles  spielend  er- 
reicht wird,  wenn  auch  in  unserem  Gegenstand  ernstere  Anforde- 
rungen an  den  Schüler  herantreten,  wenn  er  auch  hier  veranlafst 
wird,  seine  ganzen  Kräfte  zusammenzufassen,  —  ich  sehe  nicht 
ein,  wie  der  Gegenstand  dadurch  an  Wert  verlieren  sollte.  Man 
behauptet  allgemein,  dafs  der  Unterricht  nach  der  neuen  Methode 
die  Kraft  des  Lehrers  übermäfsig  in  Anspruch  nimmt;  und  es  ist 
nicht  zu  leugnen,  dafs  das  hier  bei  Anwendung  der  dem  Schüler 
neuen  und  gänzlich  ungewohnten  Laute  und  Lautverbindungen 
beständig  notwendige  Artikuliert- Sprechen  auch  eines  starken 
Mannes  Organ  leicht  erschöpfen  kann.  Nun  denn,  so  möge  man 
getrost  auch  hier  die  Schüler  thätig  mitarbeiten  lassen.  Mögen 
sie,  wie  oben  ausgeführt,  zur  Vertretung  des  Lehrers  herangezogen 


von  M.  Banoer*  369 

werden  und  so  neben  dem  Dienst,  den  sie  sich  selbst  damit 
leisten,  der  Allgemeinheil  nützlich  sein,  indem  sie  die  Durch- 
fahrung dieser  trefflichen  Methode  ermöglichen,  ohne  dafs  die 
Kräfte  der  Lehrenden  darüber  m  Grunde  gehen.  Und  in  der 
Thal  haben  noch  alle  diejenigen,  die  mit  dem  Anfangsunterricht 
Dach  der  neuen  Methode  betraut  waren,  behauptet,  im  Schweifse 
ihres  Angesichts  ihre  Lehrstunden  erteilt  zu  haben.  Wenn  denn 
aber  durchaus  geschwitzt  werden  soll,  warum  sollen  da  nicht  die 
Schüler  auch  gelegentlich  einmal  schwitzen?  Denn  ohne  Fleiüs 
kein  Preis  und  ohne  mühsames  Ringen  keine  Freude  an  dem 
Emiogenen. 

Frankfurt  a.  M.  Max  Banner. 


Utoehiift  t  a.  OymaMialwaMn  XLYIIL    6.  24 


I 


ZWEITE  ABTEILUNG. 


LITTERARISCHE  BERICHTE. 


Hirzely  Zeitfragen  aas  dem  Gebiete  des  Württembergische  a 
GymnasialweseDS.  1.  Über  Vorbildaog  und  Prüfung  zum  höheren 
Lehramt.     Tübingen  1893,  Laupp.    46  S.  8.  0,80  M. 

Die  wörttembergischen  Schulverhältnisse,  von  denen  der  Verf. 
spricht  und  an  die  er  die  bessernde  Hand  gelegt  sehen  möchte, 
sind  gemäfs  ihrer  besonderen  historischen  Entwickelung  so  eigen- 
artig, daüs  man  sich  erst  in  sie  hineinfinden  mufs,  wenn  man  die 
Urteile  und  Ratschläge,  die  Hirzel  hier  bietet,  nach  ihrer  wahren 
Bedeutung  verstehen  will.  Und  doch  haben  seine  Ausführungen 
zugleich  ein  allgemeineres  Interesse.  Über  Standesehre  und  so- 
ziale Stellung  der  Lehrer,  über  die  Vorbereitung  zum  Beruf,  Ober 
Fach-  und  Klassensystem,  über  ideale  und  reale  Bildung  und  ihre 
wünschenswerte  Verschmelzung  wird  in  sehr  ansprechender  Weise 
geurteilt.  Wenn  der  Verf.  dabei  ohne  alle  Voreingenommenheit 
und  auf  rein  induktivem  Wege,  wie  er  ausdrücklich  bemerkt,  zu 
dem  Ergebnis  kommt,  dafs  er  die  Annahme  der  preufsischen 
Prüfungsordnung,  wenigstens  in  ihren  Grundzugen,  seinen  Lands- 
leuten empfiehlt,  so  können  wir  im  Norden  damit  ganz  zufrieden 
sein.  Er  erklärt  unter  Hinweis  auf  Lessings  Berufung  auf  Homer, 
das  preufsische  Schulwesen  sei  zwar  kein  Homer,  aber  doch 
wenigstens  bisher  eine  respektable  Erscheinung  im  Ganzen 
des  deutschen  Bildungswesens  gewesen.  Da  wundere  ich  mich 
nur,  dafs  er  diejenige  preufsische  Einrichtung,  die  unstreitig  zu 
den  besten  und  wirksamsten  gehört,  das  Seminarjahr,  ganz  aufser 
acht  läfst  und  sich  mit  jenem  alten  Probejahr  begnügt,  das  in 
PreuDsen  mit  Recht  an  die  zweite  Stelle  gerückt  ist.  Auch  mit 
der  Forderung,  nach  dem  3.  Semester  auf  der  Universität  eine 
Zwischenprüfung  in  Philosophie  und  Pädagogik  vorzunehmen,  kann 
ich  mich  nicht  einverstanden  erklären.  Für  wünschenswert  halte 
ich  eine  solche  Prüfung  auch,  aber  man  verlege  sie  an  das  Ende 
des  5.  Semesters,  wo  die  Studenten  gröfsere  Reife  und  Selb- 
ständigkeit besitzen,  und  lasse  dann  weitere  5  Semester  für  die 
gründliche  Betreibung  der  Spezialfächer  frei,  dann  dürfte  der  Ge- 
winn ein  ungleich  gröfserer  werden. 

Gassel.  Christian  Muff. 


F.Regeoer,  Groodz.  e.allg.  MethodeDlehre,  agz.  v.  Ih  Schiller.  371 

Fr.  Re^eoer,  Grondzäge  einer  allgemeinen  Methodenlehre  des 
Unterrichts.  Gera  1893,  Theod.  Hofmaon.  486  S.  8.  4M,  geb. 
5  M. 

Der  Verf.  hat  an  den  didaktischen  Lehrbüchern,  wie  sie  in 
der  Lehrerwelt  (der  Volksschule)  im  Gebrauch  sind,  dreierlei  aus- 
zusetzen. Sie  bringen  zwar  Definilionen  für  den  Ausdruck  Me- 
thode, unterscheiden  aber  nicht  genügend  die  verschiedenen  Arten 
der  Methoden;  er  unterscheidet  zwischen  Methoden  der  Forschung, 
der  Darstellung  und  des  Unterrichts.  Sodann  werden  seiner  An- 
sicht nach  die  Methoden  ungenügend  und  unrichtig  gekenn- 
zeichnet. Endlich  liegt  diesen  Schriften  nneisL  eine  veraltete  Er- 
kenntnistheorie zu  Grunde. 

Der  Verf.  sucht  nun  seine  Aufgabe  in  der  Weise  zu  lösen, 
dafs  er  die  Ziele  des  Denkens,  Analyse  und  Synthese,  Induktion 
und  Deduktion,  Beweis,  genetische  Methode,  die  Methoden  der 
Elementarmathematik,  die  vergleichende  Methode  der  Geographie, 
die  pragmatische  der  Geschichte  und  die  Metboden  der  Darstel- 
lung erörtert.  Dann  bespricht  er  die  der  Mitteilung  des  Lehr- 
stoiTes  an  die  Schüler:  Lehrfonnen,  Frage,  Erklärung,  die  Me- 
thoden des  Unterrichtsganges  und  die  formalen  Stufen.  Endlich 
werden  Einübung  des  LefarstolTes,  wissenschaftliche  und  elemen- 
tare Methode,  Ziele  des  Unterrichts,  Lehrplan,  sokratische  und 
pestalozzische  Methode,  Katechese,  die  Quellen  des  Beweisens  und 
der  Lehrgeist  dargestellt. 

Das  Buch  ist  sicherlich  nicht  ohne  Verdienst  und  beruht  auf 
ausgebreiteten  Studien;  es  kann  ohne  Zweifel  dazu  beitragen, 
manche  Unklarheiten  auf  dem  Gebiete  der  Methodenlehre  zu  be- 
seitigen. Aber  ich  fürchte,  der  Verf.  schlägt  doch  den  wissen- 
schaftlichen Apparat,  den  er  zusammengestellt  hat,  zu  hoch  an. 
So  ganz  unüberlegt  und  unfruchtbar,  wie  er  sie  darstellt,  waren 
die  mittelalterliche  Logik  und  die  bisherige  Didaktik  nicht,  und 
wenn  wir  heute  mehrfach  auf  erkenntnistheoretischem  Gebiete 
anders  denken,  so  darf  man  doch  nicht  übersehen,  dafs  es  sich 
hier  oft  genug  ebenfalls  um  Theorieen  handelt,  die  keinen  An- 
spruch auf  allgemeine  oder  vollends  ausschliefsliche  absolute  Gil- 
tJgkeit  erheben  können.  Der  tüchtige  Praktiker  wird  wenig  in 
dem  Buche  finden,  was  er  nicht  schon  geübt  hätte,  wenn  er  auch 
die  wissenschaftliche  Genesis  der  Namen  und  Sachen,  die  oft 
etwas  haarspalterisch  verwertet  wird,  nicht  verfolgte  und  vielleicht 
öfter  sogar  nicht  verstand.  Dafs  er  darum  aber  beinahe  500 
Seiten  studieren  soll,  ist  eine  etwas  starke  Zumutung. 

Giefsen.  Herman  Schiller. 


Martia  Luthers  Romfabrt.  Nach  einem  gleichzeitigen  Pilgerbucbe  er- 
l'aotert  von  Adolf  Hausrath.  Berlin  1894,  G.  Grote'sche  Verlags- 
bachbandlaog.     99  S.  kl.  8. 

Lnther    in    Rom!     Was  für  ein    anziehendes   Thema!     Nur 
schade,    dals    so  wenig  davon  bekannt  und  der  Vermutung  Thür 

24» 


L 


372     H*  Kahnis,  Bibelkande  f.  höh.  Schnleo,  aogez.  v.  H.  Kluge« 

und  Thor  geöfTaet  ist.  Da  war  es  ein  guter  Gedanke  von  A.  Haus- 
rath»  dem  Heidelberger  Theologen,  Luthers  Mitteilungen  über  Rom 
mit  einem  der  Pilgerhöcher  zu  vergleichen,  wie  sie  die  Romfahrer 
jener  Zeit  auf  ihren  Gängen  durch  die  heilige  Stadt  zu  begleiten 
pflegten.  Dies  Verfahren  gewährt  allerlei  Auskunft,  ermöglicht  die 
Sichersteliung  bisheriger  Angaben  und  berechtigt  zu  neuen  Mut- 
mafsungen  und  Schlüssen.  Lückenhaft  wird  die  Reisebeschrei- 
bung immer  bleiben;  wie  viel  aber  das  Gemälde  an  Helle  und 
Farbe,  an  Richtigkeit  und  Anschaulichkeit  gewonnen  hat,  ist 
leicht  zu  ersehen,  wenn  man  es  mit  der  Darstellung  vergleicht, 
die  Köstlin  in  seiner  grofsen  Biographie  Luthers  von  jener  Epi- 
sode giebt.  Der  Gewinn  ist  ein  ganz  beträchtlicher.  Das  kommt 
aber  daher,  dafs  die  Untersuchung  mit  grofser  Gründlichkeit  und 
Feinheit  geführt  wird.  Wohl  mufste  der  Phantasie  oder  doch  der 
Kombination  ihr  Recht  gelassen  werden,  da  es  fast  durchweg  galt, 
Lücken  auszufüllen  und  Verbindungen  herzustellen;  aber  überall 
sitzt  die  Besonnenheit  mit  im  Rate  und  der  scharf  prüfende  Ver- 
stand bewahrt  vor  Trugschlüssen  und  Phantastereien.  Dabei  hat 
es  der  Verf.  weislich  verstanden,  die  steife  Gelehrsamkeit  zurück- 
treten zu  lassen.  Man  merkt  auf  Schritt  und  Tritt,  dafs  der 
gelehrte  Mann  überall  Bescheid  weifs  und  aus  dem  Vollen  schöpft, 
und  für  die,  welche  nachprüfen  wollen,  ist  in  den  Anmerkungen 
Gelegenheit  genug  dazu  gegeben ;  aber  das  mühsam  Gefundene  ist 
mit  solchem  Geschick  verarbeitet  und  in  eine  so  gefällige  Form 
gekleidet,  dafs  es,  ganz  abgesehen  von  dem  inneren  Ertrag,  ein 
wahres  Vergnügen  ist,  die  schöne  Abhandlung  zu  lesen. 

Cassel.  Christian  Muff. 


HeiDrich  Kahois,  Bibelknade  für  höhere  Schalen.    Leipzig  1893, 
J.  C.  Hiarichssche  BachhaodlaDg.     VI  n.  90  S.  8.     1,20  M. 

Nach  einem  kurzen  Vorwort  über  den  Zweck  des  Buches  und 
die  bei  seiner  Einrichtung  befolgten  Grundsätze  und  nach  einer 
Übersicht  über  den  Inhalt  folgt  der  erste  Teil:  die  Bibel  als 
Ganzes,  drei  Kapitel  enthallend,  nämlich  1.  Geschichte  der  Bibel, 
2.  Bedeutung  der  Bibel,  3.  Gebrauch  der  Bibel.  Das  erste  Ka- 
pitel giebt  einen  kurzen  Oberblick  über  die  Entslehung  der  Bibel, 
die  wichtigsten  Bibelübersetzungen  und  die  Einteilung  der  Bibel; 
das  zweite  handelt  von  Namen,  Inhalt,  Ursprung  und  Zweck  der 
Bibel  hinsichtlich  ihrer  Bedeutung;  das  dritte  Kapitel  setzt  aus- 
einander, was  unter  Verständnis  der  Bibel  und  unter  dem  Leben 
nach  dem  Worte  Gottes  zu  verstehen  ist. 

Der  zweite  Teil  gliedert  den  Inhalt  des  Alten  Testa- 
mentes nach  einem  Überblick  folgendermafsen :  die  Urzeit,  die 
Zeit  der  Patriarchen,  Mose,  das  Gesetz;  das  gelobte  Land,  das 
Buch  Josua,  das  Buch  der  Richter  und  das  Buch  Ruth,  die  Bü- 
cher Samuel  und  die  der  Könige,  Samuel,  Saul,  David,    Salomo 


W.Wackeroagel, Gesch. d.dtsc]i.Litteratar,  apz.v.£.Fischer.  373 

uDd  die  Teilung  des  Reiches  (Kap.  4  und  5).  Dann  folgen  im 
6.  Kap.  die  poetischen  Bücher,  im  7.  Kap.  die  Propheten,  im 
8.  Kap.  die  übrigen  „Schriften''  und  die  Apokryphen. 

Der  dritte  Teil  behandelt  dann  das  Neue  Testament, 
und  zwar  in  Kap.  9  und  10  die  Evangelien,  indem  zuerst  über 
die  synoptischen  Evangelien  ein  kurzer  Überblick,  dann  von  dem 
Johannisevangelium  eine  genauere  Disposition  gegeben  wird, 
worauf  an  der  Hand  der  synoptischen  Evangelien  die  Lebens-  und 
Leidensgeschichte  Christi  vorgeführt  wird.  Kap.  11  giebt  eine 
Disposition  der  Apostelgeschichte  und  der  Briefe  Pauli,  Kap.  12 
stellt  den  Inhalt  des  Hebräerbriefs,  der  sieben  katholischen  Briefe 
und  der  Oflenbarung  Johannis  dar. 

Die  praktische  Brauchbarkeit  jedes  Schulbuches  erweist  sich 
ja  immer  erst  im  Unterricht,  indessen  scheint  sie  bei  dem  vor- 
liegenden Buche  durch  die  Knappheit  und  Klarheit  des  Gebotenen 
und  die  Übersichtlichkeit  der  Inhaltsangaben  von  vorn  herein 
verbürgt. 

Cöthen.  H.  Kluge. 

Wilhelm  Waekernagel,  Geschichte  der  dentscheo  Litteratur. 
Eio  Handboch.  Zweite  Aaflage,  oea  bearbeitet  nod  zo  £ade  geführt 
voo  Brost  Martin.  Zweiter  Band.  Vierte  (Schlafs-)  Lieferaog. 
Neaozehntes  Jahrhoodert.  Basel  1894,  B.  Schwabe.  XVI  u.  172  S.  8. 
3,20  M. 

Mit  der  Anzeige  der  vorliegenden  Schlufslieferung  soll  zu- 
nächst darauf  hingewiesen  werden,  dafs  das  rühmlich  bekannte, 
gelehrte  und  wirklich  handliche  Werk  von  W.  Wackernagel  in  der 
neuen  Bearbeitung  und  selbständigen  Fortsetzung  von  E.  Martin 
jetzt  seine  erwünschte  Vollendung  erreicht  hat.  Dieses  Handbuch 
bildet  bekanntlich  die  Ergänzung  zu  dem  dreibändigen  Lesebuch 
von  W.  Wackernagel,  auf  dessen  einzelne  Stücke  stets  verwiesen 
wird.  Der  erste  Band  der  neuen  Bearbeitung  erschien  1879,  die 
erste  Lieferung  des  zweiten  Bandes  (16.  Jahrhundert)  1885.  Die 
folgenden  drei  Lieferungen  (17.,  18.,  19.  Jahrhundert)  sind  von 
Martin  ganz  selbständig  gearbeitet,  und  gleich  die  Bearbeitung  des 
17.  Jahrhunderts  ist  von  der  Kritik  als  ein  Werk  von  dauerndem 
Werte  und  als  „ohne  Zweifel  die  beste  übersichtliche  Behandlung 
dieses  Zeitraums,  die  wir  gegenwärtig  besitzen''  bezeichnet  wor- 
den; vgl.  z.  B.  Litt.  Centr.  1890  Sp.  191.  Dasselbe  darf  von  der 
vorletzten  und  von  dieser  letzten  Lieferung  gelten,  die  hier  zu 
besprechen  ist. 

Je  näher  die  Darstellung  der  Gegenwart  rückt,  desto  mehr 
tritt  das  gelehrte  Beiwerk  zurück,  desto  gröfser  ist  aber  auch  die 
Schwierigkeit  und  das  Verdienst  einer  übersichtlichen  Bearbeitung, 
welche  mit  sicherer  wissenschaftlicher  Führung,  wie  sie  aus  um- 
fassendster Kenntnis  und  gründlicher  Methode  erwachst,  ein  ge- 
reiftes Urteil  in  der  Auswahl  derjenigen  Dichter  und  Schriftsteller 


L 


374     W.  Wackeroagel,  Geschichte  d.  deutschen  Litteratar, 

verbindet,  die  ,,iD  ihrer  Zeit  angesehen  waren  und  auch  für  uns 
noch  wichtig  erscheinen  dürfen''  (Vorwort  S.  VII).  Eine  solche 
Leistung  für  das  19.  Jahrhundert  bis  nach  dem  Jahre  1S70  liegt 
hier  vor.  Mit  höchster  wissenschaftlicher  Zuverlässigkeil  aber  ver- 
einigt sie  eine  Klarheit  und  Schönheit  der  Darstellung  und  eine 
Wärme  und  Tiefe  der  Auffassung,  wie  sie  des  grofsen  Gegen- 
standes würdig  ist  und  dem  Sinn  und  Geist  Wackernagels  ent- 
spricht. Alle  diese  Vorzüge  treten  dem  aufmerksamen  Leser 
gerade  in  der  Gedrungenheit  der  Form,  welche  der  Zweck  des 
Werkes  erforderte,  recht  vor  Augen.  Es  ist,  als  habe  dem  Verf. 
bei  solcher  Arbeit,  die  viel  Selbstverleugnung  erfordert,  die  Mahnung 
Pestalozzis  vorgeschwebt:  Wenn  Du  Nächte  durchwachen  müfstest, 
um  mit  zwei  Worten  zu  sagen,  was  andere  mit  zwanzig  erklären, 
so  lafs  Dich  Deine  schlaflosen  Nächte  nicht  dauern. 

Auch  neben  Scherers  Werk  (3.  Aufl.  1885),  das,  anderen 
Zwecken  dienend,  durch  seine  geniale  Leichtigkeit  in  der  Zeich- 
nung, durch  den  grofsen  Wurf  der  flatternden  Falten  und  seine 
breiten  Pinselstriche  bewundernswert  ist,  und  mit  dessen  sach- 
kundiger Hervorhebung  Martin  selbst  seiner  Geschichte  einea 
Abschlufs  giebt,  welcher  der  Pietät  für  seinen  einstigen  Mitarbeiter 
entspricht,  tritt  mit  gutem  Rechte  seine  eigene  anmutig  geschlossene 
Darstellung.  Sie  bewegt  sich  in  trefl'lichen,  meist  kurzen  Sätzen, 
in  lichtvollen  Übergängen,  in  bezeichnenden,  mannigfach  abgetönten 
Ausdrücken  mit  der  gröfsten  Durchsichtigkeit  und  Inhaltsfulle. 

Ja  die  Darstellung  übertri£ft  und  berichtigt  nicht  selten  Scherers 
Schilderung,  die  im  ganzen  umfangreicher  ist;  zum  Beispiel  bei 
n.  von  Kleist,  Fr.  Schlegel,  Schenkendorf  und  Immermann.  Martin 
ist  hier  auch  dadurch  im  Vorteil,  dafs  er  stets,  zwar  mit  den 
knappsten  Angaben,  doch  fein  umrissene  Lebensbilder  giebt, 
die  Persönlichkeit  schärfer  beleuchtet,  während  bei  Scherer 
durch  seine  Hauptgliederung  nach  Gattungen  die  Anschauung  etwas 
beeinträchtigt  wird.  Auch  der  Ausdruck  für  den  Inhalt  der  Werke 
ist  nicht  selten  noch  bezeichnender  als  bei  jenem.  Die  Amazonen- 
königin (bei  Kleist)  „bekämpft,  liebt,  mordet"  Achilles;  die  Rache, 
wie  Kleist  in  der  Hermannsschlacht  sie  wünschte,  ist  „trugvoll 
gegen  die  List,  erbarmungslos  gegen  die  Grausamkeit''  (S.  578, 
579;  vgl.  Scherer  S.  691).  Der  liebevolle  Blick,  den  keine  noch 
so  gerechte  Kritik  verdeckt,  fällt,  wie  auf  Kleist,  dessen  trefl'liches 
Charakterbild  noch  durch  die  Andeutungen  auf  S.  603  und  666 
ergänzt  wird,  so  auch  auf  kürzer  behandelte  Dichter.  Man  lese 
nur  über  Keller,  Arnim,  Novalis,  Fouque,  Chamisso  und  vei*gleiche 
z.  R.  bei  den  beiden  letzteren  Goedekes  herbe  Auffassung  (Elf 
Bücher  deutscher  Dichtung).  Vorzüglich  gerecht  ist  die  schwierige 
Beurteilung  von  Heine  (vgl.  die  Anmerkung  über  die  Loreley 
S.  635,  47  mit  Scherers  abschätziger  Äufserung  S.  662  oder  gar 
mit  der  Darstellung  Heines  bei  H.  Kurz,  Gesch.  d.  Litt.  IH  S.  242); 
auch   die  von  Geibel,    letztere    in  Obereinstimmung  mit  Goedeke 


«Dgez.  voo  E.  Fischer.  375 

ond  in  Widerspruch  mit  dem  bekannten  Urteil  ober  Geibels  (und 
Mörikes)  „Zuckerwasse^'^  Mit  feinster,  gutmütiger  Ironie  lobt  der 
Verf.  Erscheinungen  wie  die  Paalzow,  die  Birch-Pfeiffer,  E.  Heiter, 
Beoedix,  Wuslmaun  (S.  548,  29)  und  auch  den  allbeliebten  Trom* 
peter  von  Säckingen;  mit  starkem  Tadel  trifft  er  etwa  nur  die 
NübJbach.  Überlegene  Unbefangenheit  bezeichnet  seine  Berührung 
der  religiösen  Richtungen  und  der  politischen  (Herwegh,  Freiligrath, 
Freytag).  Goethes  ungünstiges  Urteil  über  Ubland  mildert  er 
durch  die  Motivierung  (S.  611,  21).  Kurz  überall  sieht  der  auf- 
merksame Beobachter  hinter  der  gelassenen  Miene,  die  das  Amt 
des  Geschichtschreibers  erfordert,  den  fein  wechselnden,  heiteren 
und  verständnisvollen  Blick  des  fühlenden  Lesers. 

Auch  in  den  seltenen  Fällen,  wo  der  eine  oder  andere  Freund 
vielleicht  die  Teilnahme  etwas  wärmer  ausgedrückt  wünschen 
möchte,  wie  bei  Storm  oder  A.  von  Droste-Hüishof,  ist  doch  die 
Gerechtigkeit  gewahrt.  Annettes  Geist  liefs  sich  vielleicht  durch 
ihre  eigenen  Worte  an  Katharina  Schücking  bezeichnen  (I  S.  147 
der  Ausgabe  von  Schücking): 
„Sehr  an  Liebe  reich, 

Begeisterung  der  Hauch,  von  dem  ich  lebte,  — 
Mein  Blick  war  klar  und  mein  Erkennen  stark^'. 
AimeCte  in  ihrer  zart  verhüllten  Innerlichkeit  bildet  den  stärksten 
Gegensatz  zu  Heines  dichterischer  Ichheit;  durch  Gestaltungskraft 
und  Phantasie  wird  sie  H..  von  Kleist  ähnlich.  Da£s  ihre  Dar- 
stellung nicht  immer  leicht  verständlich  ist,  ist  gewifs  richtig; 
aber  z.  B.  ihr  Jugendgedicht  „Walther"  zeigt  deutlich,  wie  wenig 
ihr  die  Fähigkeit  leichten  Ausdruckes  fehlte.  Ähnliches  bemerkt 
man  bei  Platens  Jugendgedichten  in  den  einfacheren  Liedformen 
im  Vergleich  mit  seinen  gedankenschweren,  kunstlicheren  Ge- 
dichten. In  Annettes  „Geistlichem  Jahr"  spricht  sich  das  religiöse 
Eigenleben  bis  zum  Zweifeln  tief  aus  und  durchbricht  die  kirch- 
liche Form  überall. 

In  dem  engen  Rahmen  seiner  Darstellung  findet  der  Verf. 
immer  noch  Raum,  einzelne  kleine  Gedichte  hervorzuheben,  so 
bei  Rückert,  Heine,  Uhland,  Mörike,  und  ebenso  kurze  bezeich- 
nende  authentische  Aufserungen,  so  bei  Wackenroder  (S.  562), 
Rückert  (S.  618,  2:  Philologia  est  humanitatis  in  verbo  cognitio), 
Goethe  über  Platen  (S.  623,  3S:  Ihm  fehle  die  Liebe  zu  Leser, 
Mitpoeten  und  zu  sich  selbst).  Eine  Andeutung  über  Gervinus 
bezieht  sich  auf  den  Schlufssatz  von  dessen  Werk,  wo  dieser 
Mysseus'  Worte  Od.  22,  6  auf  den  Wendepunkt,  den  Goethes  Tod 
bezeichnet,  anwendet. 

Statt  der  allgemeinen  Übersichten  über  die  Geschichte  der 
Sprache  und  Verskunst,  die  in  den  früheren  Lieferungen  einen 
besonders  wertvollen  Teil  bildeten,  genügen  hier  (S.  54Sfr.)  kurze 
Andeutungen  und  die  Verweisung  auf  J.  Minor,  Neuhochdeutsche 
Metrik,    Strafisburg  1893;    der  letztere   setzt   seinerseits   (Minor 


L 


376  W.WackernagelyGeflcli.  d.  dtscb.  Litteratur,  a9z.v.fi.Fi8ehflr. 

S.  473)  för  die  frühere  Geschichte  der  Verskunst  das  Handbuch 
von  Wackernagel-Martin  voraus.  Da  S.  549,  31  das  „Messingisch" 
erwähnt  ist  (Grimm  DWB.  führt  auch  nur  das  Citat  aus  Adelung 
an),  so  war  vielleicht  die  engere  Bedeutung  des  Wortes  „Mis- 
singsch*'  hier  oder  in  dem  Abschnitt  über  Reuter  zu  berühren, 
in  welcher  dieser  die  Sprachmengerei  mit  so  schlagender  Wirkung 
namentlich  auf  alle  die  Leser  verwendet,  denen  das  Plattdeutsche 
und  Hochdeutsche  von  Jugend  auf  gleich  geläufig  ist;  sie  bildet 
in  der  That  ja  eins  der  wirksamsten  Ingredienzien  für  die  StolF- 
mischung,  aus  der  Bräsig,  Poll,  KösterSuhr  u.a.  gestaltet  sind. 

Die  Anmerkungen  unter  dem  Text  hat  der  Verf.  natürlicher* 
weise  in  den  letzten  Lieferungen  des  Werkes  mehr  und  mehr 
beschränkt,  daher  dann  der  Flufs  des  Textes  zu  desto  erfreulicherer 
Geltung  kommt.  Doch  zeigen  schon  die  wenigen  Stellen  aus  An- 
merkungen, die  im  Obigen  zufällig  berührt  sind,  wie  reich  der 
Gewinn  auch  aus  ihnen  bei  dem  genaueren  Durchlesen  einzelner 
Teile  ist.  Nur  in  die  ersten  Anmerkungen  des  einleitenden  Para- 
graphen für  dieses  Jahrhundert  hat  der  Verf.  eine  gröfsere,  und 
zwar  eine  neue  und  äufserst  anregende  Sammlung  von  Stellen, 
namentlich  aus  Goethe  und  den  Romantikern,  gesetzt,  welche  den 
Begriff  „Bildung''  sprachgeschichtlich  entwickelt.  Goethe  braucht 
übrigens  das  Wort  öfter  in  dem  weiteren  Sinne,  z.  B.  in  den 
Annalen  1811 :  „Da  sich  indes  meine  Bildung  gesteigert  hatte, 
ward  ich  im  schon  Bekannten  (Spinozas  Ethik)  gar  manches,  das 
sich  neu  und  anders  hervorthat,  auch  ganz  eigen  frisch  auf  mich 
einwirkte,  zu  meiner  Verwunderung  gewahr^';  oder  ebenda  1817: 
„Was  kann  segensreicher  sein,  als  wohlwollende  einstimmende 
Zeitgenossen  zu  sehen,  die  auf  dem  Wege,  sich  und  andere  zu 
bilden,  unaufhaltsam  fortschreiten?''  Die  Bedeutung  dieses  Schlag* 
Wortes  für  den  Geist  unseres  Jahrhunderts  führt  der  Verf.  dann 
in  der  Einleitung  durch,  und  der  Zweck,  eine  klare  und  schnelle 
Übersicht  über  das  Wesentliche  zu  geben,  wird  hierdurch  wie 
durch  die  Anordnung  des  ganzen  Werkes  in  meisterhafter  Weise 
erreicht. 

Schliefslich  einige  Kleinigkeiten.  Fontane  konnte  vielleicht 
erwähnt  werden,  etwa  bei  Alexis,  da  z.  B.  schon  Dahn  genannt 
ist.  Heine  (S.  664)  hat  freilich  Byron  in  seiner  Jugend  bewundert 
und  übersetzt,  aber  später  eifersüchtig  ignoriert.  Der  EinOuf« 
von  Dickens  und  Scott  (S.  686.  670)  ist  gut  hervorgehoben. 
Übrigens  sind  Scott  und  andere  Engländer  schon  vor  der  Zeit, 
wo  Goethe  die  Weltlitteratur  beherrschte,  ihrerseits  von  deutscher 
Dichtung  angeregt.  Scott  übersetzte  in  seiner  Jugend  Lenore,  den 
Wilden  Jäger,  den  Götz;  und  Coleridge,  der  1798  in  Deutschland 
war,  übersetzte  die  Piccolomini  und  Wallensteins  Tod  (nach  einer 
Abschrift,  die  vor  die  endgiltige  Feststellung  der  Handschrift  ßlllt). 

Ausstattung  und  Druck  des  Werkes  sind  sehr  gut.  S.  544 
A.  15  Z.  2  v.  u.  1.  §  179,  8.  27;  S.  687  a.  E.  1.  b  statt  6;  S.  672 


R.  BeehsieiB,  Gedieht«  W.  v.d.  Vogel  weide,  agz.  v.  F.  Kantze.  377 

Z.  2  ▼•  u.  1.  Harryat;  S.  689  war  der  Name  Herman  Grimm  mit 
grofsen  Buchstaben  zu  drucken  und  demgemäfs  in  das  Register 
aufzunehmen. 

Doch  ich  will  nicht  „Fädchen  absuchen'*  oder  gar  anhängen. 
AU^ge  das  ganze  Werk  von  Mariin  und  Wackernagel,  so  wie  es  ist, 
jedem  Studenten  oder  Liebhaber  unserer  Dichtung,  besonders 
jedem  Lehrer  des  Deutschen  an  höheren  Schulen  stets  zur 
Hand  sein. 

Moers.  E.  Fischer. 


Reinhold  Beehtteio,  Aosgewahlte  Gediehte  Walthert  von  der 
Vogel  weide.  Mit  EioleituBf^,  Anmerknogen  and  Wörterbuch.  Zweite 
Aoflege.    Stuttgart,   CotU.     t56  S.  kl.  8,  ,  geb., 1,20  M. 

Wer  sich  je  mit  Walther  beschäfligt,,9.<^jer,gar  dessen  Dich- 
tungen im  Unterrichte  zu  erklären  Gelegenl^fi]^  gehabt  hat,  kennt 
aicberlich  auch  die  geßUige  Auswahl  von,  Bi^|[;hstein ,  die  jetzt  in 
der  zweiten  Auflage  vorliegt.  Und  zwar  isi.  ^  Sammlung  selbst 
uDTerändert  geblieben,  nur  dafs  zu  den  ^\;^b  Walthers  Schule 
stammenden  Gedichten  noch  eine  weitere  Nuq^mer  hinzugetreten 
ist.  Dämlich  das  sieb  an  Walthers  bekanntes;  Vokalspiel,  wenn 
auch  nur  flöchtig  anlehnende,  zuerst  in  der  Sammlung  der  car* 
mina  Bnrana  entdeckte  „Marnarii  —  S.  8  ist  Murners  verdruckt 
für  Harners  —  de  vocalibus'*.  Gewifs  eine  dankenswerte  Zugabe, 
bei  der  man  jedoch  leicht  die  Frage  aufwirft,  ob  nicht  auch  das 
Register  von  Wallhers  eigenen  Dichtungen  um  ein  oder  das  andere 
Stück  zu  vermehren  war.  Mir  wenigstens  hat  in  der  Bechstein- 
schen  Sammlung  immer  ungefähr  ein  halbes  Dutzend  der  Spruche 
gefehlt,  namentlich  das  hübsche  Gleichnis  von  dem  guten  Gärtner: 
sw^  guoler  bände  würzen  sint  u.  s.  w.  und  das  Seitenstuck  zu 
Walthers  berühmter  Elegie,  die  Mahnung  zur  Kreuzfahrt:  Owt  waz 
treu  sich  eilendet  tiuscben  landen,  mögen  nun  die  vier  zusammen- 
stehenden Strophen  ein  Gedicht  ausmachen  oder  nicht.  In  der 
Einleitung  wie  in  den  Anmerkungen  ist  die  neueste  Walther- 
forschuDg  sorgfältig  berücksichtigt  worden,  vor  allem  die  zweite 
Auflage  von  Wilmanns'  Kommentar,  Pauls  Ausgabe  und  Kopp- 
manns  neuerdings  erschienene  Übertragung  von  Walthers  Sprüchen; 
wodurch  zwar  der  ursprüngliche  Text  nicht  durchgreifend  ver- 
ändert, aber  doch  seinem  Umfange  nach  ansehnlich  bereichert 
worden  ist.  So  sind  die  Anmerkungen  geblieben,  was  sie  nach 
der  Angabe  des  Verfassers  sein  sollten:  mehr  ein  Wegweiser  für 
den  Lehrer  als  für  den  Lernenden.  Dieser  wird  sich  in  vielen 
Fällen  in  dem,  was  er  zum  Verständnis  braucht,  auf  das  Wörter- 
buch, oft  auch,  wo  dieses  schweigt,  auf  die  Hilfe  des  Lehrers 
angewiesen  sehen.  Auf  jeden  Fall  wird  mau  die  zweite  Auflage 
der  hübschen  Sammlung  willkommen  heifsen. 

Karlsruhe.  F.  Kuntze. 


378  F-  Fafsbaender,  Kleine  lateio.  Sprachlehre, 

F.  Fafsbaender,  Kleioe  lateioische  Sprachlehre  für  Real^ym- 
oasieo,  Progymnasien,  Realprog^ym oasieo  und  ähnliche 
ADstalten.  Mäoster  i.  W.  1892,  AscheodorCTsche  BachhandlaDg.  Vll  u. 
119  S.     8.     1,50  M. 

Nimmer  erschöpfen  und  leeren  wollte  sich,  wie  es  anfangs 
schien,  die  Flut  der  durch  die  neuen  Lehrpläne  zumal  auf  dem 
Gebiete  des  altsprachlichen  Unterrichts  entfesseilen  Bücherpro- 
duktion. Nach  und  nach  hat  sie  sich  verlaufen,  und  Wertloses 
ist  hinweggeschwemmt  worden,  ehe  noch  seine  Einlagsexistenz 
recht  bemerkt  worden  war.  Um  so  mehr  ist  es  Pflicht,  auf  das 
wirklich  Daseinsberechtigte  hinzuweisen,  damit  nicht,  was  in 
tüchtiger  Arbeit  zu  stände  gebracht  wurde,  in  der  iMasse  des 
Fabrikmäfsigen  begraben  werde. 

Von  diesem  Gesfchtspunkte  aus    mache    ich   gern   auf  Fafs- 
baenders  Büchlein  ä^fmffrksam.   Es  tritt  ohne  die  Prätension  auf, 
etwas  ganz  Besond^l^il^' ^bedeuten  zu  wollen,    und    berührt   doch 
sympathisch  durch'^d?^  praktische  und  in  vielem  selbständige  Art, 
mit  der  der  Verf.  al!i^  steine  Aufgabe  gegangen  ist.   Bei  einsichtiger, 
ausdrücklich     her4\$rgehobener    Berücksichtigung     mafsgebender 
Leistungen    ist    int' 'einzelnen    nicht  weniges    neu  gestaltet,    und 
gleichzeitig  ein  pädagogischer  Blick  gezeigt  worden,  der  anerkannt 
werden  mufs.     Zunächst  in  der  Formenlehre.     Überall   sucht    F. 
den   RegelstofT  (vgl.  z.  B.  die   Geschlechtsregeln)   in    einer   alles 
Entbehrliche  ausscheidenden,  leicht  fafslichen  und  vor  allem  selb- 
ständig gefundenen  Form  zu  geben.    Nur  das  Typische  ist  —  in 
strenger  Befolgung    der  neuen  Lehrpläne  —  herausgehoben    und 
durch  statistische  Verwertung  von  Cäsar,  Nepos  und  Ciceros  Reden 
gewonnen.     Besonders  gefällt  mir,    dafs  die  Paradigmen  der  De-» 
klinationen  und  Konjugationen  möglichst  beschränkt  und,  zumal 
bei    letzteren,    teilweise    nicht   durchgeführt  sind.     Gewifs  dürfte 
auch    dieses  Verfahren    nach   seinem  Teile    dem    wichtigen   Ziele 
dienen,    die  Schüler   vor   mechanischer  Lernarbeit    zu    bewahren 
und    dafür  ihr  eigenes  Denken  von  früh  an    zu  üben.     Dagegen 
halte  ich  es   für  zu  weitgehend,    nach  dem  Beispiele  Scheindlers 
statt  des  Supinums  das  Part.  perf.  pass.  masc.  oder  das  Part.  fut. 
act.  aufzuführen,    aufserdem  den  Infin.  praes.  act.  gar  nicht  als 
Stammform   zu   berücksichtigen.     Wozu  einem  ganz  vereinzelten, 
ich  möchte  sagen   absonderlichen  Vorgang  nacheifern?    Nicht  als 
ob  ich  einem  grundsätzHchen  mumienbildenden  Beharrungszustande 
in   grammatischen  Aufstellungen    das  Wort  reden  wollte!    Durch 
nichts  wohl  ist  mehr  Segen  gestiftet  worden  als  durch  die  manchem 
I^hilologenherzen  abgerungene  Dahingabe  süfser  Gewohnheiten  des 
urväterlichen  Regel-  und  Formelschlendrians.    Man  hüte  sich  aber 
vor  Extremen,    schon    im   Interesse    der  Schüler!    Der  Umstand, 
dafs  die  Supinformen  doch  immer  noch  von  dem  Chor  der  Schul- 
grammatiker festgehalten  werden,  empGehlt  derartige  mikrologische 
Reformen    nicht;   um  so  weniger,   als  es  niemandem  benommen 


angez.  von  R.  Scheok.  379 

Ul,  die  beanstandeten  Formen  als  Perfektpassivgrundformen  im 
Neutrum  gelten  zu  lassen.  Ais  längst  überwundener  Kleinkram 
möfsten  auch  Quantilatsbezeichnungen  wie  cQniunctiö,  absträcta, 
cQnscIscö  über  Bord  geworfen  werden.  Der  für  den  höheren 
Unterricht  eingeschlagene  neue  Kurs  will  von  diesen  Pedanterieen 
und  Unnatörlichkeiten  nichts  mehr  wissen,  und  mit  Recht.  Ist 
der  Verf.  in  solchen  Dingen  zu  weit  gegangen,  so  hätte  er  ander- 
seits für  die  mnemonischen  Interessen  der  Schüler  durch  typo- 
graphische Hilfsmittel  noch  besser  sorgen  können,  als  es  mit  der 
angemessenen,  in  reichlicher  Hervorhebung  wichtiger  Dinge  das 
Mögliche  leistenden  Ausstattung  seines  Buchus  bereits  geschehen 
ist.  Warum  ist  fetter  Druck  z.  B.  nicht  bei  liberi  und  libri  (§  21), 
bei  lapidis,  pulveris,  sanguinis  (§  38),  afui  und  aifui  (§  82),  bei 
den  Formen  von  posse,  ferre  und  velle  verwendet,  und  warum 
entbehren  zahlreiche  Formen  gewisser  unregelmäfsiger  Verba  (risi, 
suasi,  fodi,  clausi,  divisi,  emi,  fietus,  affixus  u.  s.  w.)  entsprechender 
Hervorhebung? 

Im  einzelnen  habe  ich  folgendes  zu  bemerken: 
In  §  2  sind  die  Doppelkonsonanten  unerwähnt  geblieben,  und 
in  $  3  kommt  mir  die  auf  die  Aussprache  des  c  gehende  Regei- 
gebung  etwas  gekünstelt  vor.  —  Die  Deflnition  der  Substantiva 
(§  8)  findet  nicht  meinen  Beifall,  da  der  Gegensatz  zwischen  den 
beiden  Klassen  („Räumliches  oder  Greifbares''  und  „Raumloses 
oder  Eigenschaft'*)  nicht  scharf  genug  herausgearbeitet  ist.  —  Die 
allgemeine  Genusregel  (§9)  ist  nachgerade  zur  crux  grammatico- 
rum  geworden.  Fafsbaender  führt  unter  Nr.  11  die  hergebrachte 
Reimregel  an,  nach  der  „die  Städte  weiblich  sind  benannt'',  un- 
mittelbar darauf  aber  wird  als  Ausnahme  bemerkt,  dafs  „bei  den 
Dicht  auf  -US  endigenden  Namen  von  Städten  und  Ländern  das 
Geschlecht  nach  der  Endung  bestimmt  wird".  Kann  der  Schüler 
solche  Vorschrift  verstehen,  und  welche  Geltung  behält  schliefslich 
die  Hauptregel?  —  Die  in  eine  Anmerkung  ($  12)  verwiesene 
Unterscheidung  zwischen  „Wortstock"  und  „Wortstamm",  die  zum 
Repertoire  einer  zeitgemäfsen  Sprachlehre  gehört,  findet  zu  geringe 
praktische  Verwertung.  Gar  nicht  erfährt  man,  von  welcher  Be- 
deutung die  Erkenntnis  des  Wortstammes  ist.  —  Vermifst  wird 
ein  Wort  über  das  Fehlen  des  Artikels  im  Lateinischen.  —  Von 
deo  unter  §  14,  B  und  §  20  erwähnten  Participien  mufste  aus 
didaktischen  Gründen  wenigstens  eins  nach  Bedeutung  und  Beugung 
voi^efubrt  werden,  und  aus  denselben  Gründen  hätte  es  sich 
empfohlen,  neben  dem  vollständigen  Paradigma  puer  ein  Wort 
mit  ausgestofsenem  h  zu  bringen  —  in  kräftigster  Hervorhebung 
durch  den  Druck! 

Wie  schon  bemerkt,  ist  es  Fafsbaenders  sehr  richtiger  Grund- 
satz^ Lehr-  und  Lernpublikum  mit  dem  ebenso  schwerfälligen  wie 
heilig  gehaltenen  Trofs  paradigmatischer  Selbstverständlichkeiten 
zu  verschonen.  Doch  geht  er  mir,  auch  was  die  dritte  Deklination 


380  P'  FafsbaeDder,  Kleine  lateio.  Sprachlehre, 

anlangt,  etwas  zu  weit.  Mit  den  wenigen  Beispielen  konsonantischer 
Stämme  (dolor,  genus,  acer)  ist  dem  Zwecke  des  Buches  nicht 
gedient.  In  solchem  müssen  Abwandlungen  von  i-Stämmen  (arx, 
hostis,  mare)  als  klare  Typen  für  das  Auge  des  Schülers  Platz 
finden.  Der  Ersatz  durch  die  Deklination  von  acer  ist  nicht  ge- 
nügend. Überdies  fehlt  eine  a  priori  gegebene  Klassifikation  (§  25). 
Die  Sabstantiva  werden,  ohne  nach  ihrem  (konsonantischen)  Cha- 
rakter bestimmt  zu  sein,  abgewandelt,  so  dafs  die  unvermittelt 
folgende  Charakteristik  von  acer  überraschen  mufs.  Gewifs  ist 
ein  Hinweis  auf  die  i- Deklination  wichtig.  Eben  darum  muCste 
aber  auch  ein  umfassenderer  Gebrauch  von  dieser  Bestimmung 
für  die  Gewinnung  eines  mafsgebenden  Prinzips  in  der  Behand- 
lung zusammengehöriger  Besonderheiten  (§  31  H,  §32,  §33)  ge- 
macht werden.  Eine  straffere  Zusammenziehung  sonst  disparat 
erscheinender  Dinge  wäre  der  didaktische  Gewinn  für  die  zweck- 
mäfsige  Darbietung  jener  dem  Schüler  schwierigen  Partie  gewesen. 

—  Dafs  die  Participien  eine  stärkere  Hervorhebung  verdient 
hätten,  war  schon  bemerkt.  Dafür  konnten  entlegene  Vokabeln 
(fustis,  codex)  entbehrt  werden.  —  Die  Hauptregel  des  §  41  findet 
nicht  meinen  Beifall.  Weshalb  wird  ein  Nomen  wie  caput  in  den 
Zusatz  verwiesen,  um  doch  als  besonders  bemerkenswert  gekenn- 
zeichnet zu  werden?  —  §  47  fehlt  die  Form  tribubus,  während 
das  Wort  selbst  unmittelbar  darauf  als  Vokabel  genannt  wird 
(§  48).  —  §  55  durfte  ein  besonderer  Hinweis  auf  den  Grund 
der  umschreibenden  Steigerung  nicht  fehlen.  Aufgefallen  ist  mir  die 
Bildung  magis  praecipuus,  maxime  praecipuus.  Welche  Belege  aus 
Schriftstellern  hat  der  Verf.  für  diese  Zusammenstellung  gefunden? 

—  Wenn  in  §  58  multus,  plus,  plurimus  neben  einander  genannt 
wurden,  so  mufste  ein  Wort  über  die  Natur  der  Form  plus  ge- 
äufsert  werden.  —  Über  die  unbestimmten  Fürwörter 
(§  69,  1 — 4)  habe  ich  mich  bereits  in  der  Anzeige  des  Grosseschen 
Programms  (Januarheft  dieser  Zeitschrift,  1894)  geäufsert;  ich 
wiederhole,  dafs  sie  der  Syntax  zuzuweisen  (z.  B.  quisque  zu 
§  218)  oder  beim  Vorkommen  in  der  Lektüre  zu  besprechen  sind. 
Statt  quisque  hätte  übrigens  quivis  viel  eher  eine  Hervorhebung 
verdient,  denn  dies  darf  der  Schüler  mit  den  geringeren  Skrupeln 
gebrauchen.  —  In  der  Zahlwörter-Tabelle  treten  wichtige  Bil- 
dungen zu  wenig  durch  den  Druck  hervor.  Auf  unus  et  vicesimus 
folgt  gleich  duodetricesimus.  Wie  soll  nun  der  Schüler  „der 
zweiundzwanzigste"  u.  s.  f.  bilden?  Ein  Abdruck  gerade  dieser 
Formen  wäre  dankenswerter  gewesen  als  derjenige  des  dem  Schüler 
nie  begegnenden  bis  millesimus.  Ferner  mufste  so  gut  wie  milia 
auch  mille  selbst  charakterisiert  und  zur  Erläuterung  seines  Ge- 
brauches mit  einem  Beispiel  bedacht  werden  (§  75).  —  §  80  ver- 
misse ich  die  Angabe  des  Teilungsprinzips,  das  für  die  Tempora 
zu  gelten  hat.  —  §  87:  Beim  Infin.  Fut.  Pass.  fehlt  ein  Hinweis 
auf  die  unveränderliche  Form,  und  zu  §  91  hätte  eine  Erklärung 


attget.  von  R.  Sohenk.  3gl 

des  Begriffes  „Semideponens''  (die  Verba  selbst  §  112  und  §  130) 
gebort.  —  Zu  §  100 — 103  bemerke  ich,  dafs  Formen  wie  sona- 
luras  und  secaturus    schon  von  Harre   über  Bord  geworfen  sind. 

—  §  106:  recenseo  und  suscenseo  sind  entbehrlich.  Dasselbe  ist 
zu  sagen  ?on  dissuadeo  (§  108),  luo  (§  116),  contradico  (§  120), 
protego  (ib.).  —  Ich  billige  es  sehr,  dafs  statt  ungewöhnlicher 
Simplicia  Yon  Tornherein  Komposita  gesetzt  sind;  doch  konnten 
uro,  figo,  spargo  u.  ä.  genannt  werden. 

Die  Behandlung  des  syntaktischen  Stoffes  macht  im 
grofsen  und  ganzen  einen  günstigen  Eindruck.  Indessen  bleibt 
manches  anzumerken.  Die  Regel  §  172,  Zus.  2  klingt  mechanisch. 
Der  Schüler  mufs  doch,  was  gerade  für  das  erste  Beispiel  ea  —  quae 
zulriflt,  erfahren,  in  welchem  Falle  (nicht  ob  selten  oder  häutig) 
Pronomina  und  Adjektiva  pluralisch  gebraucht  werden.  —  §  173 
saait  Zusatz  ist  überflüssig.  Sollen  diese  Selbstverständlichkeiten 
uodb  breit  getreten  werden?  —  §  174:  indignor  c  acc.  ist  zu 
verwerfen.  Recht  zweckmässig  wäre  es  gewesen,  wenn  der  Verf. 
nidit  das  im  Zusatz  Vermerkte  als  vereinzelte  Erscheinung  be- 
trachtet, sondern  die  Natur  des  pronominalen  Neutrums  in  ver- 
allgemeinernder Weise,  also  unter  Heranziehung  von  §  180  und 
§  199  behandelt  hätte.  —  §  176:  Die  Bedeutung  von  convenio 
=  ,4ch  treffe  zusammen''  ist  —  schon  mit  Rücksicht  auf  das 
folgende  Beispiel  —  nicht  glücklich  gewählt.  —  §  178  ermangelt 
einer  präzisen  Fassung.  Es  heifst,  dafs  die  betreffenden  unpersön- 
lichen Verben  den  Genetiv  ....  der  Sache  regieren,  und  dabei 
wird  als  erstes  Beispiel  geboten:  Eorum  nos  miseret,  qui  —  non 
reqatmnt  In  demselben  Zusammenhang  wird  von  decet  ge- 
sprochen. Der  Schüler  vermutet  leicht,  dafs  es  gleichfalls  ein 
unpersönliches  Verbum  ist,  wird  aber  durch  das  Beispiel :  Parvum 
parva  decent  irre  geführt.  —  §  180  ist  mir  nicht  verständlich.  — 
In  §  183  befremdet  der  Ausdruck  „Hafs  der  Ausdehnung  in  der 
Zeit**  um  so  mehr,  als  in  §209,  3  keine  Erklärung  dieses  Abla- 
ÜTs  der  Zeit  gegeben  wird.  Überdies  war  von  der  Ausdehnung 
im  Räume  als  der  ursprünglichen  Anschauung  zuerst  zu  sprechen. 

—  Die  Konstruktion  von  invidere  (§  185,  Zus.  2)  konnte  durch 
einfache  Anpassung  an  den  deutschen  Ausdruck  verständlicher  ge- 
macht werden,  und  prospieio  aliquo  =  „schaue  aus  wohin**  bleibt 
am  besten  ganz  weg.  —  Über  die  von  den  Schulgrammatikern 
mit  unglaublicher  Zähigkeit  und  Unkenntnis  festgehaltene  Regel 
▼om  Dat.  poss.  habe  ich  mich  in  meiner  Spezialuntersuchung 
(Progr.  Bergedorf  1892)  mit  hinreichender  Ausführlichkeit  aus- 
gesprochen und  wenigstens  den  Ciceronianischen  Sprachgebrauch 
▼or  allerlei  Zumutungen  bewahrt.  Die  Ergebnisse  jener  Unter- 
SBcbung  haben  bereits  praktische  Verwertung  gefunden.  Hier 
wiD  ich  nur  bemerken,  dafs  die  von  Fafsbaender  gebrachten 
Beispiele  Lacedaemoniis  de  principatu  cum  Atheniensibus  certamen 
fuit   und  Cum   bis  mihi  res  sit   keine  Belege  für   den   echten 


382  P*  Fafsbaeoder,  Rieioe  lateio.  Sprachlehre, 

possessiven  Dativ  sind,    da   dem  esse  nicht  der  BegriflT  der  An- 
eignung zu  Grunde  liegt,  sondern  der  Dativ  von  einem  mit  esse 
zu    einem  Ganzen   verschmolzenen  Gemeinschaftsbegriff   be- 
stimmt wird.  —  Mit  obigem  Hinweis  ist  für  mich  auch  erledigt, 
was  ich   über  §  190  und  dessen  Zusatz  wie  über  §  191,  Zus.  zu 
sagen  habe.    Nur  hinzufugen  will  ich,  dafs  der  Genet.  definitivus 
bätle  erwähnt  werden  müssen,  —  schon  mit  Röcksicht  auf  gewisse 
Genetivverbindungen  der  neueren  Sprachen.  —  §  199   mufs   der 
Ausdruck  „welcher  etwas  daran   gelegen  ist"  geändert  werden. 
—  §  202  ist  die  Vorschrift,  dafs  der'  Abi.  comp,  statt  quam  mit 
dem    Nominativ    oder  Akkusativ    steht,    in    dieser  Allgemeinheit 
nicht   den    sprachlichen  Thatsachen    entsprechend    und    für    den 
Schüler  ungeeignet.  —  Zu  §  203,  Zus.  2   habe  ich  zu  bemerken, 
dafs    die    beiden  Bedeutungen    „nötig  sein'*   und  „bedürfen**    für 
opus  esse  unmöglich  neben  einander  stehen  können;   am  besten 
wird    die    ganze  Fassung    geändert.  —  In  §  207,  Zus.   fehlt    die 
Charakteristik  der  Genetive  tanti,  quanti  u.  s.  w.  —  §  214,  Zus.  3 
mufste  belli  domique  genannt  werden.  —  Was  hat  sich  der  Verf. 
in  §  215,  Zus.  2  (Beispiel:    suus   cuique   erat  locus)  bei  der  Be- 
merkung   gedacht,    dafs    suus    in   der  Bedeutung  „sein    eigener** 
auch  in  Beziehung  auf  ein  Objekt  desselben  Satzes  steht? — Das 
fuhrt  mich  auf  die  syntaktischen  Eigentümlichkeiten  der  Pronomina, 
die   m.  E.    unzweckmäfsig  vor  der  Consecutio  temp.  von   F.  be- 
handelt werden.    Der  Verf.  sieht  sich  genötigt,  schon  beim  Pron. 
reflex.  von    innerlich  abhängigen  Sätzen   zu   sprechen,    die    doch 
nur  in  ihrem  organischen  Zusammenhange    mit   dem    genannten 
Sprachgesetze  nach  ihrem  Wesen  aufgezeigt  und  begriffen  werden 
können.    (Vgl.  §  256.)  —  In  §  219  und  sonst  begegnet  die  her- 
gebrachte Unterscheidung  von  Haupt-  und  Neben tempora.    Es 
ist    höchste    Zeit,    dafs    dieser  grammatische,    im  Schuler   leicht 
falsche  Vorstellungen  erweckende  Zopf  allgemein  beseitigt  werde. 
Zudem  wird    das  Perf.    praes.    nicht    nachdrücklich    genug    als 
Tempus  der  Gegenwart  hervorgehoben.   In  der  Aufzählung  (§  219)^ 
fehlt  es  ganz.  —  §  226  ist  das  Beispiel:  Dum  vitant  stulli  vitia  u.  s.  w. 
als  Beweis   für  die  aufgestellte  Regel,    daf8  dum  im  Lateinischen 
mit  anderen  Zeiten  als  im  Deutschen  verbunden  wird,  unpassend 
gewählt.  —  In  §  227  wird  ohne  Not   die  an  ungeeigneter  Stelle 
(§  215,  8.  0.)  bereits  gewonnene   und   allein  richtige  Bezeichnung 
der  „innerlich  abhängigen  Nebensätze**  aufgegeben.  —  Der  ganze 
§  228    ist   entbehrlich;    sein  Inhalt  ist  der  Besprechung  bei  der 
Lektüre  vorzubehalten.  —  Gar  nicht  verstanden  habe  ich  die  Be- 
hauptung (§230,2),  dafs  der  Conj. fut. in  Folgesätzen,  nament- 
lich bei  quin  stehe.    Die  Verweisung  auf  §  236  ist  mir  ebenso 
unverständlich.  —   Für  den  unabhängigen  Konjunktiv  (§  232  fg.) 
fehlt  eine  judiziöse  Anordnung  der  verschiedenen  Formen.     Erst 
waren    die    in  Betracht  kommenden  Satzgattungen    unter  gleich- 
zeitiger Angabe  der  bei  negativer  Fassung  anzuwendenden  Nega- 


anges.  voo  R.  Schenk.  3g3 

tioDen  zu  bestiminen,  dann  konnten  die  verschiedenen  Nuancie- 
rungen folgen.  —  Dafs  nach  den  unpersönlichen  Verben  des 
Geschehens  mit  adverbialem  Zusätze  quod  mit  dem  Indikativ 
sieht  (S  235,  Zus.  1),  ist  mindestens  ungenau  ausgedruckt.  Was 
für  Adverbia  müssen  es  denn  sein?  —  §  241  ist  änderungs- 
bedürftig, da  die  Regel  zu  äufserlich  gefafst  ist.  —  §  245  (Zus.  2) 
wird  im  Widerspruch  mit  den  Beispielen  und  daher  unverständ- 
lich Ton  Yergleichungss ätzen  gesprochen.  —  §  249  empfehle  ich 
dem  Verf.  zur  Umarbeitung.  —  In  §  253  (Zus.  1)  ist  das  allein- 
stehende ßeatum  esse  ohne  Sinn,  und  in  §  254  fehlt  das 
Wichtigste,  nämlich  die  Charakteristik  der  Dafs-Sätze  nach  ihrem 
Inhalt.  —  §256  wäre  der  Ort  für  die  in  §216  vorweggenommene 
Regel  vom  Pron.  reflex.  gewesen  (s.  o.).  —  In  §  258  (Zus.  1)  ist 
die  Cbersetzung  „ich  gebe  zu,  dafs*'  für  concedo  aliquid  esse  so- 
wohl sprachlich  als  didaktisch  schlecht  gewählt.  Mit  dem  folgenden 
moneo  a.  e.  und  dem  im  5.  Zus.  erscheinenden  nego  aliquid  esse 
ist  es  nicht  anders.  —  Die  in  §  264  Zus.  1  und  2  gebrachten 
Beispiele  sind  aufser  allem  Zusammenhang  und  darum  in  solcher 
Form  pädagogisch  verwerflich.  Ich  habe  über  diesen  Punkt  noch 
des  weiteren  zu  reden. 

Am  meisten  nämlich  dürfte  der  Verf.  an  seinen  Beispielen 
zu  bessern  haben.  Mit  den  in  der  Vorrede  ausgesprochenen 
Grundsätzen  bin  ich  einverstanden.  Es  ist  aber  hauptsächlich  die 
Form,  die  mich  zu  Ausstellungen  veranlafst,  das  Zusammenhang- 
lose, Torsoartige,  wodurch  manches  in  ungünstiger  Weise  auffällt. 
Ich  mache  auf  diesen  Mangel  darum  besonders  aufmerksam,  weil 
er  den  meisten  Schulgrammatiken  anhaftet  und  viel  zu  wenig  ge- 
rügt wird.  Das  erste  Beispiel  in  §  21 7  fängt  mit  Quo  facto, 
eines  in  §  227  mit  Quae  res,  das  zweite  in  §  236  mit  Neque, 
das  in  §  248  Zus.  2  gegebene  mit  Quod  an.  In  §  190  beginnt 
ein  Beleg  mit  Est  autem.  Zahlreich  sind  die  in  dieselbe 
Kategorie  gehörigen  Sätze  mit  unverständlichen  Fürwörtern.  Ich 
schreibe  nur  aus,  was  sich  §  184  findet:  Locutus  est  pro  bis 
Divitiacus,  und  verweise  im  übrigen  auf  die  §§  184,  Zus.  2.  187. 
188.  190.  193,  Zus.  215.  223, 1  (ganz  besonders  anstöfsigl).  228. 
237,  Zus.  5.  241.  242,  a.  258.  Von  den  fragmentarischen  Satz- 
gebilden nenne  ich  aus  §  172,  Zus.  1:  Flumen,  quod  appellatur 
Tamesis,  aus  §  184,  Zus.  1:  Pugnare  pro  patria,  aus  §  241:  Prius- 
quam  incipias  consulto,  aus  §245,  Zus.  2:  alle  drei  Beispiele, 
$  253,  Zus.  1 :  Beatum  esse.  Endlich  erkläre  ich  das  in  §  235, 
Zos.  2  gebrauchte  Beispiel  für  verkehrt  und  rate  dazu,  statt  des 
io  §  246,  3  gewählten  Beleges,  der  die  ausschliefslich  dichterische 
Struktur  von  tentare  bietet,  einen  anderen  mit  besserem  Sprach- 
gebrauch zu  bringen. 

Es  wird  dem  Verf.,  wenn  er  das  Facit  dieser  kritischen 
Durchmusterung  zieht,  klar  sein,  wieviel  seinem  Buche  noch  an 
der  Vollkommenheit   fehlt.    Hierin   soll   kein  Verdammungsurteil 


384     A.  Rieder,  Lit.  RetrovertierübaoipeD,  to;6z.  v.  £.  Krak. 

liegen.  Etwas  schlechthin  Fertiges  ist  bisher  selten  einem  Haupte 
entsprungen,  am  seltensten  dem  eines  Verfassers  ?on  Schulbüchern. 
Es  kommt  allein  darauf  an,  das  positiv  Geleistete  anzuerkennen, 
und  in  dieser  Erwägung  wiederhole  ich,  was  ich  zu  Anfang  ge- 
urteilt habe,  dafs  die  Anlage  der  Pafsbaenderschen  Sprachlehre 
sowie  die  Formulierung  der  Vorschriften  im  einzelnen  aller  Achtung 
wert  ist.  Eben  weil  das  ßuch  von  vornherein  einen  günstigen 
Eindruck  auf  mich  machte,  unterzog  ich  mich  der  Mühe  einer 
möglichst  eingehenden  Untersuchung,  deren  Ergebnisse  ich  hier- 
mit dem  Verfasser  zur  Nachprüfung  und  Benutzung  unterbreite. 

Glückstadt.  Richard  Schenk. 


A.  Rieder,  Vorlagen  zu  lateiolschen  RetroyertierSbangen  far 
I  und  II A.  Köoigsberg  i.  Pr.  1894,  Hartnogsclie  Verlagtboclidraekaroi. 
139  S.  8.  1  M. 

Da  nach  den  neuen  Lehrplänen  die  Erörterung  grammatischer 
Fragen  bei  der  Lektüre  ausgeschlossen,  aber  nur  eine  gram- 
matische Stunde  in  der  Woche  im  lateinischen  Unterricht  für  IIA 
und  I  angesetzt  ist,  so  sind  von  Fachlehrern  verschiedene  Ver- 
suche gemacht  worden,  um  grammatische  Sicherheit,  ohne  welche 
die  von  den  Lehrplänen  gestellte  Aufgabe  schlechterdings  nicht 
erreicht  werden  kann,  bei  den  Schülern  zu  erzielen.  Einen  sol- 
chen glücklichen  Versuch  dieser  Art  hat  Rieder  gemacht,  indem 
er  mit  nur  geringen  Veränderungen  aus  lateinischen  Schriftstellern 
—  Schulschriftstellern  und  Neulateinern  —  sehr  zweckmäfsig  aus- 
gewählte Vorlagen  zum  Retrovertieren,  30  für  I  und  25  für  IIA, 
liefert.  Er  rät^  wöchentlich  von  einer  Lektürestunde  15  bis  20 
Minuten  ein  von  den  Schülern  im  Laufe  der  Woche  zu  Hause 
durchgearbeitetes  Stück  in  der  Schule  übersetzen  zu  lassen;  daCs 
infolge  dessen  das  Schreckgespenst  der  Oberbürdung  wieder  auf- 
tauchen wird,  steht  gewifs  nicht  zu  befürchten. 

Ist  gegen  die  vorsichtig  vorgenommenen  Veränderungen  auch  kein 
Bedenken  zu  erheben,  so  ist  doch  nicht  recht  abzusehen,  weshalb  die 
Stelle  aus  dem  bekannten  Trostschreiben  desServius  Sulpicius  zwei- 
mal (S.  23  u.  69),  und  zwar  verschieden,  ja  beide  Haie  anders,  als 
wir  in  Ciceros  Briefen  lesen,  angeführt  und  nicht  unter  andern  lieber 
üiceant  als  iaeent  gegeben  ist,  wie  ich  auch  S.  49  Z.  5  v.  u.  den 
Konjunktiv  supersit  vorziehen  möchte.  S.  90  und  91  stimmt  die 
Übersetzung  nicht,  indem  dort  „aus  guten  Freunden*',  hier  ea; 
inimicis  geboten  wird.  Da  die  Schüler  gelernt  haben,  die  latei- 
nischen Monatsnamen  als  Adjektiva  zu  behandeln,  so  w*flrde  es 
sich  empfehlen,  S.  73  a  Kalendis  Augusti  zu  verändern;  auch 
spcnte  ohne  Pronomen  (S.  33)  ist  nicht  zu  empfehlen,  ebenso- 
wenig vox  für  „Ausspruch"  statt  illud  (S.  17)  und  hen&nUeUegerei 
S.  25  statt  probe  t.  oder  qui  haud  nesciret,  —  Napoleon  S.  23^  ist 
wohl  sicherer  i^apofeonts  abzubeugen.  Das  Verdienst  Ciceros  bei  der 
Entdeckung  der  keineswegs    überaus   gefährlichen  Catilinarischea 


P.DettweUer,M.TaUiiCtc.Epist.selectae,tgz.  V.H.Schiller.  3S5 

Yerschwörang  ist  wohl  S.  32  zu  sehr  erhoben,  da  der  Zufall  da- 
bei ihm  zu  Hilfe  kam.  S.  35  Z.  5  ▼.  u.  würde  ich  priscae  fidei,  S.  43 
useptum  vorschlagen. 

Als  Anhang  sind  auch  einige  Vorlagen  zu  griechischen  Re- 
trovertierubungen  beigefugt,  da  ohne  Sicherheit  in  der  Gram- 
matik auch  keine  Sicherheit  in  der  griechischen  Lektüre  erreicht 
werden  kann,  der  Lehrer  aber  diese  Sicherheit  in  der  griechischen 
Grammatik  bei  seinen  Schülern  zu  fördern  um  so  mehr  bestrebt 
sein  mufs,  da  das  griechische  Skriptum  in  IIA  und  I  fortge- 
fallen ist. 

Die  wenigen  Druckfehler  verbessert  jeder  Leser  leicht  selbst. 
Die  Benutzung  des  Büchleins  ist  den  Gymnasien  sehr  zu  em- 
pfehlen. 

Insterburg.  E.  Kräh. 

M.  TolHi  Ciceroois  Epistulae  selectae.  Für  den  Schulgebraach  er- 
klärt von  P.  Dettweiler.  Gotha  1894,  Fr.  Andr.  Perthes.  X  u. 
223  S.  8. 

Der  durch  seine  Officien- Ausgabe  ruhmlichst  bekannte  Verf. 
bietet  uns  hier  eine  Ausgabe  der  Briefe,  die  nach  allen  Richtungen 
eigenartig  ist  und  sich  zweifellos  in  der  Schule  rasch  Eingang  ver- 
schaffen wird. 

Ein  Haupt  Vorzug  ist  die  Beschränkung  auf  64  Briefe;  selbst- 
verständlich rechnet  der  Verf.  dabei  nicht  darauf,  dafs  selbst  diese 
in  der  Schule  sämtlich  gelesen  werden  können.  Aber  es  sind 
genug,  um  dem  Lehrer  Freiheit  der  Wahl  und  die  Möglichkeit 
der  Pnvatlektüre  zu  gestatten,  und  ängstliche  Gemüter,  die  in 
einem  Jahre  nicht  dasselbe  zu  lesen  wagen  wie  im  anderen,  fmden 
reichlich  Stoff  für  zwei  Jahre. 

Dabei  wird  man  aber  bei  dieser  Beschränkung  nichts  ver- 
missen, was  für  einen  Unterricht,  der  in  der  Lektüre  eine  Unter- 
stützung der  Geschichte  sucht,  wie  dies  die  neuen  Lehrpläne  for- 
d«^,  und  der  zugleich  nach  Konzentrationsrücksichten  verfährt, 
wie  dies  ebenfalls  in  letzteren  verlangt  wird,  wesentlich  und  für 
die  Jugetidbildung  wertvoll  ist.  Tritt  also  in  erster  Linie  das- 
jenige Briefmaterial  naturgemäfs  in  den  Vordergrund,  das  geeignet 
ist,  die  Entstehung  der  Cäsarischen  Monarchie  und  des  Augustei- 
schen Prinzipats  zu  erklären  und  zu  veranschaulichen,  indem 
diese  beiden  Männer  und  ihre  Gehülfen  dem  Schüler  näher  ge- 
bracht werden,  so  ist  doch  dieser  Gesichtspunkt  durchaus  nicht 
allein  bestimmend  gewesen.  Die  Sammlung  ermöglicht  es  viel- 
mehr, auch  Ciceros  Leben  und  litterarische  Entwickelung  zu  ver- 
femen, das  soziale  und  wirtschaftliche  Treiben  der  Zeit  vorzuführen 
und  ihre  ethischen  Beziehungen  zu  verstehen.  Damit  ist  bei 
gröEster  Beschränkung  eine  Allseitigkeit  der  Ausbeute  ermöglicht, 
die  den  bisherigen  weit  umfangreicheren  Briefsammlungen  regel- 
mäfsig  abging. 

Zeitaohr.  f.  d.  Crmnastalwesen  XTiVUI.    6  25 


386     R-  Zimmermann,  Lat.  Obungsboch,  angez.  von  F.  Thomeo. 

Die  didaktische  Verwertung  des  Materials  ist  im  wesentlichen 
nach  den  Grundsätzen  erfolgt,  die  sich  in  der  Ausgabe  der  Ofß- 
cien  bewährt  haben.  Kurze  prägnante  Übei*schriften  und  konzise 
Angaben  des  Gedankengangs,  endlich  Hervorhebung  der  Haupt- 
gedanken und  Hauptpersonen  durch  den  Druck  führen  den  Schüler 
ausreichend  in  das  Verständnis  ein  und  locken  ihn  zur  selbstän- 
digen Überwindung  der  Schwierigkeiten,  denen  nun  seine  Kräfte 
gewachsen  sind.  Obgleich  der  eigentlich  philologische  Teil  (Text- 
gestaltung u.  s.  w.)  für  eine  Schulausgabe  Nebensache  ist,  so  soll 
doch  nicht  unerwähnt  bleiben,  dafs  auch  derjenige,  der  an  dieses 
Evangelium  glaubt,  seine  Erwartungen  erfüllt  sehen  wird.  Die 
eigentliche  Erklärung  ist  sehr  glücklich,  und  man  sieht  Schritt 
vor  Schritt,  dafs  man  es  hier  mit  Dingen  zu  thun  hat,  die  nicht 
in  der  geläufigen  Art  zustande  gekommen  sind,  bei  der  aus  zwei 
Büchern  ein  drittes  gemacht  wird,  sondern  dafs  in  reicher  Unter- 
richtserfahrung selbständig  gewonnener  und  stets  wieder  an  den 
Ergebnissen  der  Wissenschaft  geprüfter  und  geläuterter  praktisch 
wertvoller  Arbeitsertrag  mitgeteilt  wird. 

Im  Interesse  eines  wirklichen  Sachunterrichtes  ist  deshalb  dem 
Buche  die  weiteste  Verbreitung  zu  wünschen. 

Giefsen.  Herman  Schiller. 


E.  Zimmermann,  Übungsbuch  im  Anschlufs  an  Cicero,  Sallosty 
Li  vi  US  zum  mündlichen  und  schriftlichen  Übersetzen  ans  dem  Deut- 
schen ins  Lateinische,  nach  den  Anforderungen  der  neuen  Lehrpläoe. 
Dritter  Teil.  Übungsstücke  im  Anschlofs  an  das  21.  Buch  des  Livios. 
Berlin  1893,  U.  (lärtners  Verlagsbuchhandlung  (Hermann  Hevfelder). 
74  S.  8.  0,80  M. 

Das   vorliegende  Bändchen    nimmt,    mit  Ausnahme   weniger 
und  kurzer  Partleen,    den  ÜbersetzungsstofT  aus   dem  21.  Buche 
des  Livius.     Was  an  den  beiden  ersten  Teilen  des  Übungsbuches 
mehrfach    bemängelt  und    als  Erschwerung   im  Gebrauche  dieser 
bezeichnet  wurde,  dafs  bereits  die  ersten  Übungsstucke  auf  spä- 
tere Kapitel  der  Pompejana  und  Ciceros  Katilinarien,  wie  Saliusts 
Verschwörung  Katilinas  Bezug  nehmen,  ist  hier  vermiedeir  worden; 
es  gereicht  also  diese  Anordnung  dem  vorliegenden  Bändcheu  zum 
Vorteile.    Auch  darin  ist  ein  Vorzug  zu  erblicken,  dafs  der  Verf. 
es  verstanden  hat,  einige  Gruppen  von  Übungsstöcken  zu  schaffen, 
welche   sich  an  hervorragende  Personen  oder  Ereignisse  aus  des 
Livius  Schrift  anschliefsen ;  eben  hierdurch  wird  der  Zweck,  den 
die  Übungsbucher  verfolgen,  nach  der  Seite  hin  vollständiger  er- 
reicht werden,    dafs  sie  ein  gründliches  Verständnis  des  Schrift- 
stellers herbeifuhren  helfen.   Dafs  dagegen  minder  wichtige  Stellen 
und  solche,  die  sprachlich  besondere  Schwierigkeiten  bieten  oder 
seltener  vorkommende  Wörter  und  Wendungen    enthalten,    kurz 
behandelt  worden  sind,  mufs   ebenfalls  gebilligt  werden.     Anders 
aber  gestaltet  sich  die  Antwort  auf  die  Frage,  ob  bei  dem  reichen 


■ 


W.RiekeD,  filem  entarboch  d.  frz.  Sprache,  agz.  v.  A.Rohr.    3g7 

Slofle,  den  das  21.  Buch  bietet  und  den  der  Verf.  auch  unter 
Variation  oft  desselben  Themas  aufs  geschickteste  umgeformt  hat, 
eine  Benutzung  anderer  Quellen  notwendig  war,  um  in  Übungs- 
Stöcken,  die  vom  ursprunglichen  Schriftstucke  etwas  abseits  liegen, 
historische  und  antiquarische  Verhältnisse  zu  behandeln,  die  vom 
Scbriftsteiler,  sicherlich  nicht  ohne  Grund,  nur  angedeutet  worden 
siod.  Hat  der  Verf.  beabsichtigt,  damit  die  historischen  Kennt- 
oisse der  Schuler  zu  erweitern  und  zu  vertiefen,  so  mufs  anderer- 
seits darauf  hingewiesen  werden,  dafs  der  erste  Zweck  die  Über- 
setzuog  ins  Lateinische  ist;  daför  aber  findet  der  Schüler  in  den 
ober  diesen  Stücken  verzeichneten  Kapiteln  nicht  immer  die  wun- 
sehenswerte  sprachliche  Handhabe. 

Der  deutsche  Ausdruck  ist,  wie  in  den  beiden  früheren 
Heften,  zumeist  gewandt.  Eine  Andeutung  durch  den  Druck,  an 
welchen  Stellen  Periodisierung  zu  erfolgen  hat,  wäre  auch  hier 
dringend  erwünscht.  Indessen,  dies  Heft  weist  in  verschiedenen 
Hiosichten  Vorzöge  gegen  die  früheren  auf  und  darf  deshalb  warm 
empfohlen  werden. 

Stralsund.  F.  Thümen. 


1)  Wilhelm  Rickeo,    Nenes    Elementarbach   der   französischen 
Sprache.     Berlin  1893,  Wilhelm  Gronau.    IV  a.  141  S.  8.     1  M. 

Dem  Eifer  der  Verfechter  der  neuen  Methode  verdanken  wir 
eioe  ganze  Reihe  französischer  Unterrichtswerke,  von  denen  manche 
von  wirklicher  Sachkenntnis  und  unleugbarem  Geschick  zeugen. 
Zu  den  letzteren  gehört  das  Neue  Elementarbuch.  Ein  Umstand 
niiDint  von  vorn  herein  für  dasselbe  ein.  Kaum  war  der  Regen  der 
oeoen  Lehrpläne  gefallen»  da  schössen  fast  über  Nacht  die  Schul- 
bücher zur  vergänglichen  Pilzenherrlichkeit  empor:  der  Verf.  des 
vorliegenden  Werkchens,  der  schon  früher  auf  diesem  Gebiete 
ihllig  gewesen  ist  und  deshalb  ein  umfangreiches  Material  zur 
Rand  haben  mufste,  ist  erst  jetzt  damit  an  die  Öffentlichkeit  ge- 
treten. -Es  giebt  also  doch  noch  immer  pädagogisch  schriftstel- 
lernde  Philologen,  aus  deren  Horaz  die  Stelle  v.  388  lib.  H  Epist.  HI 
nicht  ganz  gestrichen  ist. 

Den  Forderungen  der  induktiven  Methode  gemäfs  bildet  das 
Lesestück  den  Ausgangs-  und  Mittelpunkt  des  Unterrichts.  Da 
kommt  es  in  erster  Linie  darauf  an,  dafs  dem  Schüler  ein  Sprach- 
Stoff  vorliegt,  der  nach  Inhalt  und  Form  ihn  anregend  beschäf- 
tigen und  weiter  fördern  kann.  Nach  Ansicht  des  Ref.  hat  der 
Verf.  diese  Aufgabe  besser  als  sonst  jemand  gelöst.  Gedichte, 
^hlungen,  Gespräche  und  Beschreibungen  folgen  im  anmutigen 
Wechsel  auf  einander,  im  angemessenen  Stufengange  von  dem 
ganz  Leichten  zum  minder  Leichten  fortschreitend  und  so  all- 
Biiblich  zum  Schwierigem  gelangend,  dessen  Beherrschung  schliels- 
lich  den  Gebrauch   eines   besonderen  Lesebuchs  ermöglicht.     So 

25* 


38ä  ^*  Ricken,  ElemeoUrbuch  der  franz.  Sprache, 

ist  vor  allem  bei  der  Auswahl,  Bestallung  oder  Erlinduog  der 
ersten  Sprachstücke  ein  grofses  Gewicht  auf  sprachliche  und  sach- 
liche Einfachheit  gelegt.  Der  Verf.  hat  nie  aus  dem  Auge  ver- 
loren, dafs  (um  an  dieser  Stelle,  wie  unten  mehrmals,  seine  eige- 
nen Worte  anzuführen)  „hier,  wenn  der  Lehrer  vor  Ärger  und 
Verzweiflung  geschützt,  wenn  die  Freudigkeit  des  Lernens,  wenn 
das  natürliche  Interesse  am  Anfangsstudium  an  den  grundlegen- 
den Übungen  sorgfältig  gepflegt  werden  soll,  alle  vermeidbaren 
Schwierigkeiten  aus  dem  Wege  geräumt  werden  müssen;  denn 
auch  dann  bleibt  dem  Schüler  noch  genug  zu  thun,  wofern  man 
sich  nicht  mit  oberflächlichem  Wissen  begnügt,  sondern  strenge, 
feste  Verarbeitung  des  Stofles  nach  den  Gesichtspunkten  der  laut- 
lichen und  buchstäblichen  Gestaltung  des  einzelnen  Wortes,  der 
Verknüpfung  der  Einzelworte  zu  Wortgruppen  und  Sätzen,  der 
inneren  freieren  Verwendung  des  Neuen  im  Sprechen  und  Schrei- 
ben sich  zum  Gesetz  macht''. 

Die  Nummen  1  bis  7  bieten  vornehmlich  den  Stoff  für  die 
praktischen  Übungen  zur  Erwerbung  einer  richtigen  Aussprache. 
„Dafs  deren  Schwierigkeiten  sorgsam  verteilt  sind,  dafs  beispiels- 
weise la  und  Ib  keine  Nasalvokale  enthalten,  dafs  dann  in  2a 
und  2b  ä  und  o  eingeführt  und  tüchtig  geübt  werden,  in  3a  und 
3b  §  und  5  folgen,  mag  auch  noch  der  Beachtung  der  Fachge- 
nossen empfohlen  werden*^  Heifst  das  aber  wirklich  alle  theo- 
retischen Lautgesetze  fernhalten,  wenn  der  Verf.  in  der  Übung  2a,  5 
dem  Quartaner  erzählt:  „Die  Nasalkonsonanten  n  und  m  haben 
den  vorhergehenden  mit  ihnen  in  derselben  Silbe  stehenden 
reinen  Vokallaut  verdorben  (getrübt,  nasal  gemacht)  und  sind 
dann  gestorben.'^?  Die  übrigen  (31)  Nummern  dienen  haupt- 
sächlich dazu,  dafs  das  durch  die  Lehrpläne  bestimmte  Pensum 
in  der  Formenlehre  zur  Anschauung  gebracht  wird.  Grund  zu 
Ausstellungen  dürfte  Nr.  16  geben.    Man  lese: 

Aux  enfants  de  Tecole. 

Enfants  de  Fecole,  Aimez  votre  frere, 

Travaillez  gatment:  Aimez,  servez  Dieu: 

Chaque  instant  s'envole;  Au  ciel,  sur  la  terre, 

Profitez  du  temps.  Vous  serez  heureux. 

Wenn  man  auch  diese  Verse  „mit  dem  nötigen  Interesse  für  die 
Sache  und  mit  einigem  Sinn  für  die  Poesie  der  Kindheit  in  der 
Absicht  durchliest,  ihren  erwärmenden  Einflufs  auf  das  jugend- 
liche Gemüt,  auf  das  kindliche  Denken  und  Empfinden  abzu- 
schätzen*', wird  man  doch  kaum  den  Eindruck  gewinnen,  dafs 
die  plattfüfsige  Moral,  die  aus  ihnen  spricht,  „als  ein  des  poeti- 
schen Reizes  nicht  entbehrendes,  auch  den  Erwachsenen  noch 
anheimelndes  Lebensgemälde  und  als  ein  wirklich  guter  Stoff  für 
den  grundlegenden    französischen  Unterricht  gelten''  kann.     Von 


ao^ez.  voD  A.  Rohr.  389 

deo  beiden  Reimschnitzern  gafment-temps  und  Dieu-heureux  will 
Rer.  schon  gar  nicht  reden. 

Zu  den  einzelnen  Sprachmustern  gehören  Übungen,  die 
jedoch  praktischer  Weise  örtlich  getrennt  sind  und  schon  durch 
den  Druck  anzudeuten  scheinen,  dafs  sie  als  integrierender  Teil 
des  Ganzen  nicht  angesehen  sein  wollen.  Diese  haben  die  Be- 
stimmung, den  jeweiligen  Lernstoff  zum  sichern  Besitz  des  Schü- 
lers zu  machen.  Ref.  furchtet  nur,  dafs  der  Verf.  in  dieser  Be- 
ziehung zuweilen  zu  hohe  Anforderungen  stellt:  eigentlich  sollen 
alle  grammatischen  und  idiomatischen  Wendungen  des  betreffen- 
den Lesestücks,  selbst  wenn  sie  noch  nicht  zur  Lehraufgabe  der 
Klasse  gehören,  mit  den  Schülern  eingeübt  werden.  So  bereits 
in  Nr.  11  der  Gebrauch  der  unselbständigen  Personalpronomina 
und  damit  (in  den  einfachen  Zeiten)  die  Konjugation  der  Reflexiva, 
Ton  Nr.  16  an  der  Gebrauch  der  selbständigen  Pronomina,  ja  bei 
Nr.  20  werden  gleich  die  im  Stück  selbst  gar  nicht  vorkommen- 
den Ordinalia  gelernt.  Doch  da  hat  der  Lehrer  vollständig  freie 
Hand. 

Das  grammatische  Pensum  erledigt  knapp  und  übersicht- 
lich ein  besonderer  Abschnitt.  Von  III B  ab  sind  die  Lehraufgaben 
für  Gymnasien  und  Realgymnasien  nicht  mehr  genau  dieselben; 
daher  ist  das  für  die  letzteren  Anstalten  besonders  Geforderte 
durch  kleineren  Druck  von  dem  gemeinsamen  Pensum  unter- 
schieden. Dem  Verf.  mufs  man  ohne  weiteres  zugestehen,  dafs 
er  hier,  trotz  aller  Kürze,  alles,  was  er  gelernt  wissen  will,  in 
einer  Form  bietet,  die,  obgleich  präzis,  dennoch  für  den  Schüler 
dorchaus  verständlich  bleibt.  Dabei  berührt  es  den  Lehrer  aufs 
angenehmste,  dafs  die  Ergebnisse  der  wissenschaftlichen  Gram- 
matik nicht  so  weiter  ignoriert  sind  wie  in  manchen  ähnlichen 
Schulbüchern,  in  denen  nach  französischem  Muster  die  beiden 
Konditionale  noch  immer  als  ein  besonderer  Modus  gelten,  in 
denen  die  Bildung  des  Futurs  I  und  Konditionalis  I  auf  ganz 
mechanische  Art  behandelt  wird,  ohne  irgend  ein  Eingehen  auf 
deren  eigentliche  Bedeutung,  die  sich  aus  der  Umschreibung  von 
selbst  ergiebt.  Das  alles  und  vieles  andere  findet  sich  hier  nicht 
vor.  So  hat  sich  endlich  in  den  Konjugationsparadigmen  der 
Konjunktiv  von  dem  unleidlichen  que,  mit  dem  er  herkömmlicher- 
mafsen  zusammen  gelernt  wurde,  und  das  deshalb  der  Schüler, 
wie  es  jeder  Lehrer  in  den  mittleren  und  höheren  Klassen  satt- 
sam erfahren  hat,  mit  diesem  Modus  zu  verbinden  pflegte,  befreit 
und  ist  dafür  ein  Konzessivverhältnis  mit  quoique  eingegangen. 
Hingegen  dürfte  einiges  —  wie  bei  den  Übungen  —  zu  früh  ver- 
langt oder  für  die  Klassenstufe  zu  hoch  gegriffen  sein,  manches 
ins  Gymnasium  überhaupt  nicht  hineingehören.  Da  möchte  der 
Verf.  entgegen  den  Lehrplänen  schon  in  IV  die  orthographischen 
Regeln  über  die  Verben  auf  cer  und  ger  durchnehmen,  schon  der 
HIB  die  Kenntnis  des  Unterschiedes  zwischen:    „Elle  s'est  lavee 


390     VV.  Rickeo,  Elementa  rbach  d.  frz.  Sprache,  agz.  v.  A.  Robr. 

sie  hat  sich  gewaschen,  und  eile  s'est  lave  les  mains  sie  hat  sich 
die  Hände  gewaschen''  zumuten.  Und  wie  zufrieden  würde  der 
Professor  sein,  dem  jedes  Mitglied  eines  romanischen  Seminars 
die  nachstehende  Darlegung  geben  könnte:  „Der  Stammesauslaut 
und  die  Form  des  Infinitivs:  Resoudre  ist  entstanden  aus  dem 
lateinischen  resölvSre.  Daraus  entstand  resolvre  und  resolre:  re* 
solre  wurde  resoldre  und  durch  Vokalisierung  des  1  zu  u :  resoudre. 
Aber  nicht  d  ist  Stammesauslaut,  sondern  Iv.  Daher  heifst  der 
Plural  des  Präsens:  nous  resolvons,  vous  resolvez,  ils  resolvent. 
Der  Singular  des  Präsens  mufs,  da  Iv  Stammesauslaut  ist  und  von 
diesen  zwei  Konsonanten  der  letzte  unbedingt  ausgestofsen  wird, 
zunächst  resols,  resols,  resolt  lauten,  woraus  dann  r^sous,  resous, 
resout  entsteht.  Daher:  je  resous,  tu  resous,  il  resout,  nous  re* 
solvons,  vous  resolvez,  ils  r^solvent''.  Auch  dürfte  in  einem  Ele- 
mentarbuch für  Bemerkungen  wie  bei  veux  „x  blofses  Schrift- 
zeichen für  s  (1  von  vouloir  zu  u  aufgelöst)''  oder  bei  Darstellung 
der  Futurbildung  der  Verben  auf  evoir  „Die  Betonungsverschiebung 
und  ihre  Folgen  leicht  zu  veranschaulichen:  debere:  devoir — 
deberabes  (=  debere  habes) :  devras"  selbst  in  Gestalt  von  klein- 
gedruckten Fufsnoten  kein  Platz  sein.  Mit  der  Verdeutschung: 
Vokalstofs  für  Hiatus  scheint  der  Verf.  selber  nicht  recht  zufrieden 
zu  sein,  da  er  bei  Erklärung  der  Form  nous  croyons  lieber  sagt: 
,,y  =  i  ~f-  hiatustilgendem  j-Laut". 

Für  seine  deutschen  Übungsstücke  zum  Übersetzen  ins 
Französische  kann  der  Verf.  nur  auf  Dank  rechnen.  Jeder,  der 
nach  Lektüre  der  französischen  Stücke  und  Durchsicht  des  gram- 
matischen Teils  wie  der  „Übungen  in  unmittelbarem  Ausschlufs 
an  die  französischen  Sprachstoffe"  sie  eingehend  prüft  und  dabei 
entdeckt,  dafs  kein  einziges  derselben  die  Aneignung  eines  neuen 
Wortes  verlangt,  da  sie  nur  den  erworbenen  Sprachschatz  zur 
Verwertung  bringen  sollen,  wird  die  Sorgfalt  anerkennen,  mit  der 
sie  gearbeitet  sind.  Auch  zweifelt  Ref.  ebensowenig  wie  der  Verf., 
„dafs  sie  der  allgemeinen  Bildung  wie  der  Sprachbefestigung  gute 
Dienste  leisten  werden,  sei  es,  dafs  sie  schon  im  ersten  Jahre 
oder  am  Anfange  des  zweiten  bei  der  Wiederholung  des  bis  da- 
hin verarbeiteten  Stoffes,  oder  endlich  erst  im  Anfang  des  dritten 
Jahres  im  Anschlufs  an  eine  dann  vorzunehmende  Wiederholung 
zu  Übersetzungsübungen  verwandt  werden".  Um  die  Verwendung 
dieser  Stücke  möglichst  zu  erleichtern,  ist  trotz  ihres  engen  Zu- 
sammenhanges mit  den  französischen  Sprachmustern  ein  deutsc))ies 
Wörterverzeichnis,  das  sämtliche  in  ihnen  vorkommenden  Vokabeln 
in  alphabetischer  Reihenfolge  enthält,  am  Schlufs  angehängt. 

Notwendiger  als  das  Wörterverzeichnis  sind  die  sogenannten 
Präparationen.  In  diesen  sind  die  Vokabeln  der  französischen 
Musterstücke  enthalten.  Natürlich  giebt  es  für  jedes  eine  beson- 
dere Präparation,  und  in  der  Reihenfolge,  wie  die  Wörter  in  jenem 
vorkommen,  werden  sie  hier  angegeben.   Begreiflicherweise  meint 


W.  Ricken,  Grammatik  d.  frz.  Sprache,  aogez.  v.  A.  Rohr.      391 

aber  der  Verf.  durchaus  nicht,  damit  eine  wirkliche  Vorbereitung 
für  das  Lesestöck  zu  bieten;  vielmehr  soll  dieses  in  der  Klasse, 
sogar,  wenn  möglich,  ohne  Benutzung  des  Buches  in  den  Besitz 
des  Schulers  gebracht  werden:  erst  nach  Bewältigung  des  Stückes 
oder  eines  Teiles  desselben  sei  es  wünschenswert,  dafs  die  darin 
vorgekommenen  Vokabeln  für  sich  zur  Befestigung  aufgegeben 
werden. 

Wenn  nun  Ref.  noch  ein  Gesamlurteil  abgeben  darf,  so  ist 
es  kurz  folgendes.  Trotz  der  im  ganzen  doch  geringfügigen  Aus- 
stellungen, über  die  aufserdem  der  Verf.  und  vielleicht  auch  man- 
cher Leser  anders  denken  mag,  bietet  das  Neue  Elementarbuch 
für  den  Anfangsunterricht  im  Französischen  an  Gymnasien  und 
Realgymnasien  ein  Hilfsmittel,  wie  es  gegenwärtig  nur  ?on  we- 
nigen ähnlichen  Büchern  erreicht,  von  keinem  übertrofTen  wird. 

2)  Wilhelm  Ricken,  Grammatik  der  franzSsischen  Sprache  fiir 
dentoche  Schalen.  Berlin  1S93,  Wilhelm  Gronau.  IV  n.  IIB  S.  8. 
1,20  M. 

Ein  köstlich  Ding  ist  es  doch  um  eine  gute  Schulgrammatik! 
Dafs  eine  solche  auch  für  den  französischen  Unterricht  möglich 
ist,  hat  Knebel  bewiesen.  Leider  ist  sein  Buch  für  Gymnasien 
geschrieben,  denen  für  das  Französische  mindestens  ebenso  viele 
Stunden  wie  für  das  Lateinische  zur  Verfügung  stehen.  Deshalb 
erwartete  Ref.,  dafs  der  Verf.  des  oben  besprochenen  Elementar- 
baches eine  den  wirklichen  Verhältnissen  entsprechende  Gram- 
matik, d.  h.  den  grammatischen  Oberbau  zu  dem  genannten 
Werkchen  liefern  würde.  Diese  Erwartung  hat  sich  nicht  ganz 
als  irrig  herausgestellt. 

Zunächst  ist  die  Anordnung  zu  rühmen.  Wie  die  Lehrpläne 
fordern,  ist  der  Lehrstoff  nach  Redeteilen  gruppiert;  sowohl  in  der 
Formenlehre  wie  in  der  Syntax  ist  es  das  Verbum,  das  an  erster 
Stelle  und  mit  besonderer  Sorgfalt  behandelt  ist,  das  den  Schwer- 
punkt des  Ganzen  bildet.  Natürlich  ist  Verwandtes,  Analoges  auch 
in  zweckmäfsiger  Weise  zusammengebracht. 

Die  Fassung  erbringt  hier  in  noch  höherm  Grade  wie  im 
Elementarbuch  den  Beweis,  dafs  der  Verf.  mit  der  geschichtlichen 
Sprachforschung  vertraut  ist  und  sie  geschickt  dort  heranzu- 
ziehen weifs,  wo  sie  zur  wirklichen  Erleichterung  des  Verständ- 
nisses dienen  kann.  Dabei  ist  in  der  That,  wie  im  Vorwort  be- 
tont wird,  die  Gestaltung  des  Einzelnen  und  jedes  gröfseren  Ganzen 
oft  überraschend  einfach.  Wie  übersichtlich  sind  z.  B.  die  Regeln 
über  die  Pemininbildung  der  Adjektiva  oder  über  den  Gebrauch 
des  Konjunktivs  oder  der  Hilfsverben  avoir  und  etre!  Dafs  trotz 
der  Benutzung  mannigfacher  Hilfsmittel  die  Ausarbeitung  ein 
dorchaus  selbständiges  Gepräge  zeigt,  davon  kann  sich  der  Leser 
fast  auf  jeder  Seite  überzeugen;  dafs  Wesentliches  irgendwo  über- 
gangen sein  dürfte,  wäre  auch  ohne  die  Versicherung  des  Verf.s 
nicht  anzunehmen.   Die  zahlreichen,  teilweise  recht  umfangreichen 


392  ^-  Rickeo,  Grammatik  d.  franz.  Sprache, 

FuüsDoten  sollen  meist  für  die  gelegentliche  Erweiterung  des 
grammatischen  Wissens  bei  Wiederholungen  in  den  obern  Klassen 
sorgen. 

Den  Hauptvorzug  des  Buches  findet  Ref.  in  der  strengen 
Durchführung  des  Prinzips  der  Anschaulichkeit.  , »Insbesondere 
ist  in  der  Syntax  bei  der  Auswahl  der  Musterbeispiele,  aus  wel- 
chen sich  das  nachfolgende  Gesetz  oder  die  Regel  wie  vop  selbst 
ergiebt«  auf  die  unmittelbare  Fafslichkeit  und  Anschaulickeit  der 
in  ihnen  zum  Ausdruck  gebrachten  Gedanken  gebührendes  Ge* 
wicht  gelegt  worden.  Sie  sind  nämlich  zum  weitaus  gröfslen  Teile 
den  wesentlich  im  Anschauungskreise  der  Jugend  sich  bewegen- 
den, jedenfalls  immer  lebensvollen  StoiTen  des  Elementarbuches, 
sowie  der*'  Erzählung:  le  Tour  de  la  France  entnommen.  —  „Die 
übrigen  Beispiele  sind  ebenfalls  mit  Rücksicht  auf  die  auch  durch 
den  grammatischen  Unterricht  zu  erstrebende  Vermehrung  des  im 
täglichen  Verkehr  gebrauchten  Wort-  und  Pbrasenschatzes  aus- 
gewählt worden". 

Insofern  kann  das  Werk  vom  pädagogischen  Standpunkt  aus 
freudig  begrüfst  werden,  auch  wenn  sein  Inhalt  nicht,  wie  das 
Vorwort  zu  verstehen  giebt,  gerade  in  künstlerische  Form  gegossen 
ist.  Doch  findet  sich  Verschiedenes,  das  weniger  empfehlenswert 
erscheint.  Da  steht  z.  B.  „Eine  grofse  Zahl  von  französischen 
Verben  hat  eine  andere  Rektion  als  die  entsprechenden  deutschen 
Verben.  —  Die  Abweichungen  betreffen  sowohl  das  (französische) 
Akkusativobjekt,  wie  die  präpositionalen  Objekte.  Ein  französisches 
Akkusativobjekt  entspricht  also  manchmal  einem  deutschen  präpo- 
sitionalen (besonders  Dativ-)Objekt,  und  ein  französisches  präpo- 
sitionales  Objekt  entspricht  nicht  selten  einem  deutschen  Akku- 
sativobjekt''. Und  nun  folgt  eine  Liste,  die  Verben  wie  suivre, 
survivre,  user  in  demselben  Atemzuge  nennt.  Die  so  wichtige 
Regel  über  den  Gebrauch  des  reinen  Infinitivs  hat  nur  in  einer 
kleingedruckten  Anmerkung  unter  dem  Strich  einen  Unterschlupf 
gefunden;  über  die  Fassung  urteile  der  Leser  selber:  „Den  reinen 
Infinitiv  verlangen  nämlich  (aufser  denjenigen,  welche  auch  im 
Deutschen  den  Infinitiv  ohne  „zu''  verlangen):  'pouvoir,  savoir, 
oser,  und  die  meist  intransitiven  Verben  der  Bewegung  aller,  venir, 
courir,  voler,  envoyer  (und  einige  andere)  nebst  ihren  Koropositis, 
ferner  manche  Verben  des  Denkens  und  Wollens:  croire,  penser, 
juger,  s'imaginer,  se  figurer,  supposer,  compter,  esperer;  —  vouloir, 
desirer,  entendre,  daigner,  preferer,  aimer  mieux,  aimer  autant  — 
sowie  (besonders  in  Relativsätzen)  die  Verben  des  Sagens,  mit 
Ausnahme  derjenigen  des  Benachricbtigens,  Versprechens,  Überzeu- 
gens,  welche  de  verlangen,  und  derjenigen  des  Antwortens,  nach 
denen  que  sieht".  Der  Satz:  Guillaume  P*^  s^est  couronne  em- 
pereur  d'Allemagne"  ist  wohl  einem  Ignoranten  von  Zeitungs- 
schreiber zu  verdanken,  dürfte  daher  nicht  hier  vorkommen.  Als 
Beispiel  eines  aus  dem  Germanischen  ins  Französische  eingedruu- 


U 


«DgcL  voD  A.  R»kr.  393 

geDell  und  deshalb  mit  eiDem  konsooantischen  h  gesprocheDen 
Wortes  ist  le  kdtre  gewählt.  Da  wäre  es  ratsam  gewesen,  statt 
oder  neben  „Bu<^he"  das  eigentliche  —  noch  immer  nicht  aus- 
gestorbene —  Et]fmon  „Heister*'  beizusetzen.  Bei  dem  Kapitel 
über  das  Adjektiv  wird  auch  noch  von  einer  dritten  Steigeruogs- 
form,  dem  Superlativ,  gesprochen.  In  Wirklichkeit  existiert  der- 
selbe gar  nicht;  le  plus  utile,  le  meilleur  sind  Komparative  mit 
dem  bestimmten  Artikel,  infime,  supreme  haben  wie  principal,  le 
dernier  nur  superlativische  Bedeutung,  und  die  Scherzformen  sa- 
vantissime,  doctissime  gehören  der  gelehrten  Sprache  au.  Die 
allgemeine  Geschlechtsregel:  „Weiblich  ist  die  Mehrzahl  der  Wör- 
ter mit  weiblicher  Endung,  die  also  ein  dumpfes  oder  stummes 
e  (es)  am  Schlufs  haben*^  gefallt  sogar  dem  Yerfl  nicht;  denn  er 
fügt  gleich  hinzu:  „Diese  Regel  ist  jedoch  wenig  verläfslich.  Die 
Wörter  auf  e  mit  vorhergehendem  Vokallaut  sind  allerdings  mit 
geringen  Ausnahmen  durchgängig  weiblich.  Auch  kann  man  be- 
haupten, dals  diejenigen  Hauptwörter,  bei  welchen  dem  e  (jetzt 
und  froher)  nur  ein  Konsonant  (der  auch  gedoppelt  sein  darf) 
vorhergeht,  in  den  meisten  Fällen  weiblich  sind;  doch  ist  auch 
hier  schon  das  e  oft  nur  ein  Laut-  oder  Schriftzeichen,  das  den 
Rücksichten  der  Aussprache  vorhergehender  Buchstaben  sein  Da- 
sein verdankt,  und  das  ohne  diese  Rücksichten  nicht  vorhanden 
sein  würde,  so  z.  B.  bei  den  fast  ausschliefsh'ch  männlichen  Wör- 
tern auf  -age  und  ^ge  und  anderen  auf  ge,  bei  ice  und  anderen 
auf  ce.  Gehen  oder  gingen  aber  dem  e  mehrere  Konsonanten 
voran,  so  beruht  dasselbe  noch  weit  häufiger  nicht  auf  einer 
weiblichen  Endung  der  lateinischen  (romanischen)  Grundsprache, 
sondern  auf  dem  Bedürfnis  der  Erleichterung  der  Aussprache  jener 
Konsonantengruppen  (besonders  Verschlufslaut  oder  f  oder  v  mit 
folgendem  1  oder  r  —  solche  Wörter  sind  denn  auch  in  ihrer 
Mehrzahl  männlich)'^ 

Dergleichen  Unebenheiten  beeinträchtigen  den  Wert  des  Buches 
erheblich  nicht,  auch  können  sie  mit  Leichtigkeit  bei  etwaigen  Neu- 
drucken beseitigt  werden;  sehr  bedauerlich  ist  es  aber,  dafs  der 
Verf.  nicht  darüber  ins  Reine  gekommen  ist,  für  wen  er  seine 
Grammatik  hat  schreiben  wollen.  Das  Titelblatt  sagt  einfach  für 
deutsebe  Schulen.  Soll  diese  allgemein  gehaltene  Adresse  im 
Ernst  gemeint  sein?  Es  müfsle  doch  nachgerade  jeder  Beteiligte 
die  Einsicht  gewonnen  haben,  dafs  ein  derartiges  Schulbuch,  das 
den  Anforderungen  des  Gymnasiums  und  der  Realschule,  der 
Töchterschule  und  der  Handelslehranstalt  u.  s.  w.  genügen  will, 
ein  Unding  ist  Selbst  diejenigen  Schulen,  welche  die  Lehrpläne 
im  Auge  haben,  zerfallen,  je  nachdem  sie  Latein  lehren  oder 
nicht,  in  zwei  Gruppen.  Die  erstcren  verlangen  eine  Grammatik, 
deren  Lehrstoff  in  erster  Linie  methodisch  geordnet  ist,  die  all- 
gemeine Begriffsbestimmungen,  soweit  sie  das  Lateinische  vorweg 
genommen  hat,   vermeidet  und,  wo  das  Verständnis  wirklich  er- 


394     VV.  Ricken,  Grammatik  d.  frz.  Sprache,  aogez.  v.  A.  Rohr. 

leichtert  werden  kann,  auch  die  Ergebnisse  der  historischen  Gram» 
matik  heranzieht.     Was  im  Gegensatz  hierzu  sich  für  die  andere 
Kategorie  von  Anstalten  eignet,    dürfte   sich  Ton    selbst  ergeben. 
Gemeinsam  aber  ist  für  beiderlei  Schulbücher  die  Forderung,  dafs 
sie  nur  als  Mittel  zum  Zweck  zu  dienen,  sich  also  auf  das  Regel- 
mäfsige  und  allgemein  Gebräuchliche  zu  beschränken  haben.    Die 
vorliegende  Grammatik    soll    leider   für    mögliclist  viele  Anstalten 
passen.    Wie  schon  oben  angedeutet,  geht  der  Verf.  recht  oft  auf 
das  Lateinische  zurück.   Daneben  trifft  man  Erklärungen  wie  „Die 
transitiven  Verben    können    ein  Akkusativobjekt  zu  sich  nehmen 
und   bilden   ein  persönliches  Passiv.  —  Die  intransitiven  Verben 
können  nur  ein  präpositionales  Objekt  zu    sich  nehmen  und  bil- 
den   kein     persönliches    Passiv'*    oder    „Das    Substantiv    ist    1. 
ein    Gesamtname,    wenn    es    die   Gesamtheit   a)    gleichartiger 
Einzelwesen  (citoyen,  homme,  chien,  auimal,  ville)  —  Gattungs- 
name —   b)  gleichartiger  Stoffe  (fer,  or,  bois)  —  Stoffname  — 
c)  gleichartiger  abstrakter  Begriffe  (foi,  charite,  vertu)  —  Abstrak- 
tum  oder  Gedankending  — ,  2.  ein  Eigenname,  wenn  es  blofs 
ein   Einzelwesen   (Einzelding)   bezeichnen   kann   (Homere,    Cesar, 
Paris,   la  France,    le  Vesuve,  la  Seine)*\     Zuweilen  könnte  man 
annehmen,  der  Verf.  beabsichtige  ein  grammatisches  Nachschlage- 
werk zu  liefern,    so  zahlreich  sind  stellenweise  die  Beispiele,  so 
lang  die  Listen.   Da  sind  zur  Veran schaulich ung  der  Regeln  über 
die  Pluralbildung   der  zusammengesetzten  Wörter   über  30  Sub- 
stantive  angegeben,    oder   die  Verbindung  von  Verben   mit  neu* 
tralen  Akkusativen  von  Adjektiven,  die  deshalb  als  Adverbien  em- 
pfunden werden,   wird   mit  mehr  als  20  Beispielen  belegt     Dafs 
der  Verf.  im  Anschlufs    an   die  Präpositionen  de  und  k   die  ge- 
samte Kasuslehre  auf  4  Seiten  erledigt,  kann  auf  Beifall   rechnen-, 
dafs  er  dagegen  für  die  übrigen  Präpositionen  8  Seiten  verwendet, 
ist  verhällnismäfsig  zu  viel.     Wie  erfreulich  wird  man  es  finden, 
dafs  die  Regel  über  die  Pluralbildung  der  Wörter  auf  al  ohne  die 
obligate  Karnevalsgesellschaft  von  Schakalen,  Pfählen,   Schwielen 
u.  s.  w.  auftritt!     Aber    um    die  Freude    zu   vergällen,    heilst  es 
kurz  vorher:     „Hinter  u    tritt   gern  das  Schriftzeichen  x  statt  s 
ein.     Bei  allen  Substantiven    auf  au  und  eu  (obu)   schreibt    man 
deshalb  x  statt  s:    Poiseau:    les  oiseaux;    le  dieu:    les  dieux;    ie 
voou:  les  voeux.   Ebenso  bei  7  Wörtern  auf  -ou:  le  bijou  (Kleinod), 
le  caillou  (Kiesel),  le  chou  (Kohl),  le  genou  (Knie),  le  hibou  (Eule), 
le  joujou  (Spielzeug),    le   pou  (Laus).     Plural:    bijoux,    cailloux, 
choux,  genoux,  hihoux,  joujoux,    poux*'.     Solche  Ungleichheiten 
könnte  Ref.  noch  mehrere  anführen,  doch  genügen  diese  für  den 
Beweis,  dafs  das  Werkchen  nach  einer  eingehenden  Umarbeitung 
verlangt.     Sollte  der  Verf.  sich   zu  derselben  verstehen,   so  wäre 
vor  allem  zu  wünschen,    dafs  er,    nachdem  er  sein  Ziel  schärfer 
ins  Auge    gefafst,    mit    einer   gröfseren  Oleichmäfsigkeit  verföhre 
und  recht  viel  kürzte  und  striche:  je  dünnleibiger,  desto  schneller 


! 


W.  Ricken,  La  Fraoce,  an^ez.  von  A.  Rohr.      395 

wird  seine  Grammatik  in    die   deutschen  Lateinschulen  Eingang 
fioden. 

3)  Wilhelm  Ricken,    La  France  —  Le  payt  et  son  peuple.  —  Ber- 
lin 1893,  Wilhelm  Gronau.     VI  a.  28]  S.  8.    2,60  M. 

Ein  stattlicher  Band,  ein  gehaltvolles  Buch!  Mit  wachsendem 
Interesse  bat  Ref.  es  gelesen,  und  als  er  damit  zu  Ende  kam, 
koDDte  er  es  nicht  weglegen,  ohne  vielfach  darin  herumzublätiern 
und  an  diesem  and  jenem  sich  noch  einmal  zu  erfreuen.  Da 
haben  wir  eine  Zusammenstellung  von  LesestQcken,  die  nicht  erst 
ans  anderen  in  Deutschland  erschienenen  Lesebüchern  oder  höch- 
stens einigen  franko- belgischen  Fibeln  und  ähnlichen  Werken,  die 
der  Zufall  über  die  Grenze  verschlagen  hat,  entnommen  sind.  Der 
Verf.  hat  offenbar  aus  dem  Vollen  geschöpft,  und  die  Grandsätze, 
Dach  denen  er  gesammelt,  dürften  den  Forderungen  einer  beson* 
oeaen  Pädagogik  wohl  entsprechen. 

Als  Einleitung   dient   eine    Bearbeitung  von  Brunos  Tour 
de  la  France.     Zwei  lothringische  Knaben  durchziehen  auf  der 
Suche  nach  ihrem  Oheim  zu  Fufs,  im  Wagen,  zu  Schiff  und  mit 
der  Eisenbahn    fast  ganz  Frankreich.     In   ihrer  Gesellschaft   ge- 
winnen wir  einen  Einblick  in  die  wunderbare  Mannigfaltigkeit  der 
plastischen  Gestallung  des  Landes  und  dessen  Erzeugnissen,   und 
80  ziemlich    in    das   gesamte  Erwerbs-    und  Verkehrsleben    des 
eigentlichen  Volkes.   Von  den  freundlichen  Ufern  der  Mosel  gehts 
nach  den  rauheren  Juralandschaften  mit  ihrer  Sennwirtschaft  und 
Uhrenfabrikation,    dann,    nach  einem  Blick  auf  dem  Genfer  See 
nod  die  saToyische  Alpenwelt,  einem  Abstecher  ins  Burgundische 
—  gottlob,    es  ist   eben    die  Zeit   der  Weinlese  —  und   in  die 
Aavergne  mit  ihren  seltsamen  Vulkankegeln,  nach  Lyon,  das  dank 
seiner  günstigen  Lage,  dank  dem  Gewerbetleifse  seiner  Bürger  zur 
zweitgröfsten  Stadt   des  Landes   geworden    ist.     Creuzot  und  St. 
Etienne  geben  uns  eine  Vorstellung  von  der  französischen  Stahl- 
und  Eisenindustrie,    während    die  Wanderung  längs   des   Rhone- 
stromes   einen  Einblick    in    die    südeuropäische   Flora    gewährt. 
Welchen  Eindruck  mufs  in  Marseille  das  Leben  und  Treiben  eines 
der  grdfsten  Hafenorte  der  Welt,  dann  der  erste  Anblick  des  tief- 
blauen Hittelmeers  machen!     Die  Seefahrt   nach  Cette  wie  deren 
Fortsetzung  auf  dem  canal  du  Midi  ist  kaum  minder  genufsreich 
and  dabei  wieder  höchst   unterrichtend:    erfahren  wir   doch    das 
Wichtigste  Ton  Nizza,  Korsika,  Toulouse,  den  Pyrenäen.     Endlich 
ist  der  Oheim  in  Bordeaux  gefunden,    und   nun   darf   die  Heim- 
reise angetreten  werden.    Sie  erfolgt  auf  einem  stattlichen  Segel- 
schiffe, das  la  Rochelle,  Nantes,  Brest,  Dieppe  anlaufend,  an  Cher- 
bourg  und  Havre   dicht  vorbeifahrend    uns  somit  mit  den  wich- 
tigsten See-  and  Flufshäfen  Frankreichs  auf  der  ozeanischen  Seite 
bekannt  macht.    Natürlich    beobachten  wir    dabei  die  auffallende 
Erscheinung  der  Ebbe  und  Flut,    machen  auch  die  Seekrankheit 
durch  und  erleben  sogar  einen  Sturm.     In  Dünkirchen  verlassen 


396         W.  Ricken,  La  Fraoce  —  Le  pays  et  son  people, 

wir  das  Schiff,  doch  nur,  um  den  billigen  Wasserweg  weiter  zu 
benutzen  und  auf  einem  der  zahlreichen  Kanäle,  die  Flandern 
nebst  den  angrenzenden  Landschaften  durchziehen  und  mit  dem 
Rhein- Harne- Kanal  in  Verbindung  stehen,  bis  nach  Nancy  zu  ge- 
langen. „Le  departement  du  Nord  vaut  bien  la  peine  que  tu 
I'admires!^'  ruft  der  Oheim  dem  Neffen  zu:  in  der  That  nirgends 
sonst  in  Frankreich  ist  die  Landwirtschaft,  der  Bergbau  und  Ge- 
werbefleifs  augenblicklich  so  hoch  entwickelt  wie  hier.  Im  ange- 
nehmen Gegensatz  zu  Lilie,  das  hauptsächlich  seiner  blühenden 
Textilindustrie  die  gegenwärtige  Bedeutung  zu  verdanken  bat, 
steht  Reims,  dessen  prächtige  Kathedrale  uns  sofort  an  Chlodwig 
und  an  jene  lothringische  Heldenjungfrau  erinnert  Den  letzten 
Teil  der  Reise  legen  wir  mit  der  Bahn  zurück;  in  Baccaret,  dem 
Geburtsstädtchen  unserer  jungen  Freunde,  trennen  wir  uns,  nach- 
dem wir  noch  Zeugen  ihrer  rührenden  Pietät  gegen  Vater  und 
Lehrer  gewesen  sind. 

Absichtlich  hat  Ref.  bei  diesem  Stücke,  das  in  Form  der  Er- 
zählung eine  Beschreibung  Frankreichs  bietet,  etwas  länger  ver- 
weilt. Es  ist  zwar  bereits  der  Versuch  gemacht,  Brunos  Werk 
wenigstens  teilweise  für  die  Schule  zu  verwenden,  im  ganzen  ist 
es  jedoch  in  Deutschland  so  gut  wie  unbekannt.  Dieser  LesestolT 
aber  mufs  den  Tertianer  fesseln,  vorausgesetzt,  dafs  er  eine  Karte 
vor  sich  hat  und  von  einem  Lehrer  geleitet  wird,  den,  falls  er 
nicht  so  intuitiv  begabt  ist  wie  etwa  Schiller  oder  Jean  Paul, 
eigene  Reisen  befähigen,  die  jugendliche  Phantasie  in  die  richtigen 
Bahnen  zu  lenken.  Die  Bearbeitung  ist  recht  geschickt,  sie  liest 
sich  wirklich  wie  ein  Original.  Vielleicht  hätten  einige  geogra- 
phische Namen  wie  Bourg,  la  Ni^vre,  Beziers  oder  diese  und  jene 
Vokabel  wie  megisserie,  bec  de  cane,  ferrure  —  die  nicht  einmal 
der  Primaner  zu  wissen  braucht,  die  man  oft  bei  jahrelangem  Auf- 
enthalt in  Frankreich  nicht  zu  hören  bekommt  —  fehlen  können : 
doch  darüber  will  Ref.  mit  dem  Bearbeiter  nicht  rechten. 

Der  zweite  Teil  des  Buches  enthält  50  Narrations.  Her- 
gebrachtermafsen  sind  es  zunächst  Anekdoten,  dann  kommen  aufser 
einem  Märchen  von  Perrrault  Erzählungen,  Schilderungen  und 
Lebensbeschreibungen.  Ref.  war  aufs  angenehmste  überrascht, 
als  er  neben  Lamenais,  Souvestre,  Victor  Hugo  und  Erckmann- 
Ghatrian  auch  Daudet,  und  zwar  mit  sechs  Kabinettstücken,  ver- 
treten fand.  Inhaltlich  stehen  fast  alle  Nummern  auf  national- 
französischem  Boden. 

Der  dritte  Abschnitt  führt  den  bezeichnenden  Titel:  Histoire. 
In  einer  Reihe  von  (etwa  40)  Bildern,  die  gröfstenteils  Werken 
der  berühmtesten  Geschichtsschreiber  entlehnt  sind,  wird  der  Ver- 
lauf der  französischen  Geschichte  von  Vercingetorix  an  bis  auf  die 
neueste  Zeit  geschildert.  Nach  Gebühr  hat  der  Hsgb.  dabei  solche 
Partieen  oder  Persönlichkeiten,  die  ein  besonderes  Interesse  be- 
anspruchen, wie  Karl  d.  Gr.,  die  Normannen,  Bayard,  Napoleon  I 


abgez.  von  A.  Rohr.  397 

UDd  den  letzten  deuUch^französischen  Krieg  berücksichtigt.  Wenn 
nur  das  kulturhistorische  Moment  mehr  zu  seinem  Recht  käme! 
Störend  machen  sich  Nr.  12,  Les  derniers  Capetiens  directs.  Les 
Premiers  Valois,  Premiere  periode  de  la  guerre  de  Cent  ans; 
Nr.  15,  Deuxieme  partie  de  la  guerre  de  Cent  ans.  Jeanne 
d'Arc  sauve  la  France;  und  Nr.  20,  Les  grands  ecrivains  du  si^cle 
de  Louis  XIV  bemerkbar.  Schon  die  Überschriften  erregen  Be- 
denken, und  beim  Nachlesen  finden  wir  in  der  That,  dafs  es  sum- 
marische Darstellungen  sind,  die  alles  Mögliche  auf  eine  Seite  zu- 
sammendrängen und  höchstens  in  ein  Lernbuch  der  Geschichte 
hineingehören.  Das  Streben  nach  Vollständigkeit  fuhrt  unter  Um- 
ständen zu  weit. 

Einen  besonderen  Glanzpunkt  des  Buches  bildet  der  folgende 
Abschnitt:  Geographie.  Statt  aller  Empfehlung  sei  es  dem  Ref. 
erlaubt,  die  einzelnen  Leseslücke  zu  nennen:  1.  Heureuse  Situation 
de  la  France;  2.  Le  bassin  de  la  Seine;  3.  Bassin  de  la  Loire, 
la  Touraine  et  les  Tourangeaux;  4.  Le  Rhone;  5.  Marseille;  6. 
D'autres  cites  historiques  du  Midi  mediterraneen;  7.  Le  bassin  de 
la  Garonne;  8.  Bordeaux;  9.  La  Charente  et  la  Vendee;  10.  Bassin 
de  la  Saöne;  11.  Agricnlture  de  la  France;  12.  La  France  indu- 
strielle. Mit  Ausnahme  der  letzten  Nummer,  die  H.  Martins  Feder 
entstammt,  sind  sie  sämtlich  —  naturlich  mit  einigen  Körzungen 
und  Veränderungen  —  dem  Meisterwerke  von  Reclus  ent- 
nomnaen. 

Der  poetische  Teil  ist  der  letzte.  Auch  hier  ist  die  Aus- 
wahl eine  sehr  gluckliche:  von  den  (38)  Gedichten  wufste  Ref. 
kein  einziges  zu  nennen,  das  beim  Unterricht  nicht  gut  verwend- 
bar wäre. 

Seiner  ganzen  Anlage  nach  bietet  das  Buch  für  die  Klassen 
in  B  bis  II B  einscbliefslich  reichlichen ,  ja  selbst  für  II A  aus- 
reichenden Lesestoff.  Aber  auch  in  der  Hand  der  Primaner 
möchte  Ref.  es  gern  sehen.  Denn  abgesehen  davon,  dafs  diese 
Schüler  von  Rechtswegen  aach  über  die  Gedichte,  die  sie  in  den 
vorhergehenden  Klassen  gelernt  haben,  sich  ausweisen  muGsten, 
und  deshalb  die  Gedichtsammlung  nicht  weggeben  dörften,  giebt 
es  manche  Lesestöcke,  z.  B.  lilterarhistorischen  Inhalts,  die  mit 
Vorteil  nur  auf  der  oberen  Stufe  gelesen  werden  können. 

Im  ganzen  darf  man  also  wohl  behaupten,  dals  dies  Werk 
ein  ausgezeichnetes  Hölfsmittel  für  den  französischen  Unterricht 
sein  wird.  Der  Grundsatz  der  Herbartianer:  „der  Kinderwelt  vom 
Besten  das  Beste"  ist  in  einer  Weise  befolgt  wie  vielleicht  in 
keinem  anderen  Buche:  aufser  jenen  drei  oben  vermerkten  Num- 
mern des  geschichtlichen  Abschnittes  durften  sich  im  prosaischen 
Teile  ebensowenig  wie  im  poetischen  Löckenbufser  nachweisen 
lassen.  Auch  hat  Ref.  die  Forderung,  dafs  der  Inhalt  der  fran- 
zösischen Scbullektüre  national  sein  mufs,  nirgends  so  streng 
dnrcbgefuhrt  gesehen.     Welch  ein  Vorzug!    Trotz  aller  Mannig- 


398  ^*  Rickrii,  La  France,  au  gez.  von  A.  Rohr. 

falligkeit  ist  das  buDte  Allerlei  vermieden,  und  sogar  der  Schiller 
wird  den  roten  Faden  gewahr. 

Zum  Schlufs  zwei  Wünsche.  Ref.  glaubt,  dafs  Paris  nicht 
genug  hervortritt.  Wenn  in  einem  deutschen  Lesebuche,  das 
ähnliche  Ziele  wie  das  des  Hsgb.s  verfolgte,  unsere  Reichshaupt- 
Stadt  viel  eingehender  behandelt  werden  mufste  als  Hamburg,  so 
erst  recht  die  französische.  Nun  ist  Marseille,  das  bereits  im 
ersten  Abschnitt  eine  hervorragende  Rolle  spielt,  noch  mit  einem 
besonderen  Lesestucke  bedacht,  aber  aufser  einer  flüchtigen  Er- 
wähnung an  vereinzelten  Stellen  wird  Paris  in  einer  einzigen  Num- 
mer (Arrivee  d'un  jeune  homme  k  Paris)  abgethan.  Selbstver- 
ständlich kann  da  nur  ein  Teil  von  Paris  in  Betracht  kommen. 
Von  der  Vendömesäule,  den  grofsen  Gärten,  dem  Invalidendom, 
dem  bois  de  Boulogne  erfahren  wir  nichts;  von  der  reizenden, 
auch  monumental  und  historisch  so  wichtigen  Umgebung  ebenso 
viel.  Da  mufs  der  Hsgb.  für  Abhilfe  sorgen.  Hofl'entlich  wird  er 
dabei  nicht  nach  etwas  veralteten  Beschreibungen  greifen.  Das 
heutige  Paris  kennt  die  Plätze  du  Tröne  und  du  Chäteau  d'Eau, 
die  im  oben  erwähnten  Lesestück  angeführt  sind,  schon  seit 
Jahren  nicht;  dagegen  verdankt  es  der  letzten  Weltausstellung  ein 
neues  Wahrzeichen,  den  Eiffelturm.  Eine  Spazierfahrt  auf  einer 
Hirondelle  nach  St.  Cloud  oder  mindestens  zum  Trocadero  könnte 
der  Hsgb.  uns  auch  gönnen,  und  wenn  es  ein  schöner  Sonntag  ist, 
mit  der  Eisen-  oder  Pferdebahn  einen  Ausflug  nach  Versailles 
veranstalten.  Dafs  Paris  die  gröfste  Stadt  des  Kontinents  ist, 
weifs  zwar  so  ziemlich  jedes  Schulkind,  dafs  es  der  administrative 
und  militärische  Hauptort  Frankreichs  ist,  dürfte  als  selbstver- 
ständlich nicht  betont  werden ;  dafs  es  gegenwärtig  die  gewaltigste 
Lagerfestung  der  Welt  ist,  könnte  allenfalls  auch  unerwähnt  bleiben : 
aber  dafs  es  nicht  nur  der  erste  Industrie-  und  Handelsplatz, 
sondern  auch  Mittelpunkt  aller  wissenschaftlichen  und  künstleri- 
schen Bestrebungen  des  Landes  ist,  dafs  in  keiner  andern  Stadt 
Europas  ein  so  mannigfaches,  reiches  Leben  pulsiert,  in  keiner 
ein  so  grofsartiger  Fremdenverkehr  herrscht,  vielleicht  in  keiner 
der  Kunstler,  der  Gelehrte,  der  Industrielle  und  der  Lebemann 
einen  freieren  und  günstigeren  Boden  findet,  das  müfste  hervor- 
gehoben und  mit  einer  gewissen  Ausführlichkeit  dargestellt  wer- 
den. Bef.  hat  noch  ein  Anliegen.  Es  ist  freilich  deutscher  Lese- 
bücher alter  Brauch,  die  Poesie  nur  anhangsweise  zu  behandeln. 
Diesem  Brauch  ist  Hsgb.  so  treu  geblieben,  dafs  der  dichterische 
Abschnitt  nur  ein  Siebentel  des  ganzen  Buches  einnimmt.  Das 
ist  entschieden  ein  Mifsverhältnis.  So  kommt  Chenier  garnicht, 
Coppee  nur  einmal  vor;  und  Beranger  und  Victor  Hugo  müEsten 
in  einer  Sammlung,  aus  der  unter  Umständen  auch  der  Primaner 
memorieren  soll,  noch  zahlreicher  vertreten  sein.  Es  würde  dem 
Buche  ohne  Zweifel  zur  weiteren  Empfehlung  dienen,  wenn  der 
Hsgb.  es  in  dieser  Beziehung  vervollständigte.     Doch  möchte  Ref. 


J.  Leitritz,  Paris  et  ses  £oviroo$,  aogez.  v.  G.  Huth.     399 

nicht  raten,  das  Werk  damit  umfangreicher  zu  machen;  es  dürfte 
¥o]lauf  genügen,  wenn  einige  Stücke  aus  den  Abschnitten  Narra- 
tions  und  Histoire  gestrichen  würden:  dann  könnten  die  Ergän- 
zangen  in  dem  vom  Ref.  gewünschten  Sinne  vorgenommen  werden. 

4)  Wilhelm  Rickeo,   Le  Tour  de  la  Fraooe   cd  cioq  mois.     Berlin 
1893,  Wilhelm  Grooaa.    II  o.  44  S.  8.     0,5ü  M. 

Ein  Sonderabdruck  des  ersten  Abschnittes  aus  des  Hsgb.s 
Lesebuch:  La  France.  Ref.  hat  diese  Bearbeitung  oben  aufs  ein- 
gehendste besprochen:  hier  kann  er  sich  auf  die  Hitteilung  be- 
schränken, dafs  der  Hsgb.  dem  Büchlein,  um  dessen  Benutzung 
zu  erleichtern,  ein  Wörterverzeichnis  beigefügt  hat,  welches,  nach 
den  angestellten  Stichproben  zu  urteilen,  durchaus  zuverlässig  ist. 

Deutsch-Krone.  A.  Rohr. 


Paris  et  ses  Eoviroos,  heraasge^ebeo  von  Johannes  Leitritz. 
(Praazösische  und  eng^lische  Schalbibliothek  Band  82).  Leipzig  1894, 
Rengersche  Bochhandlang.     174  S.    8.   geb. 

Seitdem  die  gemäfsigte  Reformpartei  für  den  Unterricht  in 
den  neueren  fremden  Sprachen  als  obersten  Grundsatz  aufgestellt 
halte,  dafs  die  Lektüre  den  Mittelpunkt  zu  bilden  habe,  ist  der- 
selben eine  erhöhte  Aufmerksamkeit  geschenkt  worden.  Man  er- 
kannte, dals  mit  der  Lektüre  historischer  und  einiger  poetischer 
Stoffe  nicht  alles  gethan  sei,  und  verlangte  auch  nach  Stoflen, 
die  Land  und  Leute,  Sitten  und  Gewohnheiten  des  fremden  Vol- 
kes behandeln. 

Diese  Forderung,  die  nicht  nur  auf  mehreren  Direktoren- 
konferenzen und  von  Fachmännern,  wie  VVaetzoldt,  Bahlsen  u.  a., 
sondern  auch  durch  die  neuen  Lehrpläne  erhoben  wurde,  erfüllt 
für  das  Französische  in  trefflicher  Weise  das  vorliegende  soeben 
erschienene  Büchlein. 

Im  ersten  Teil  desselben,  Paris  selbst  betreffend,  werden 
nach  drei  einleitenden  Abschnitten  in  je  einem  Kapitel  die  be- 
deutendsten Kirchen,  Museen,  Paläste,  die  Boulevards,  die  Champs 
Elysies,  das  Bois  de  Boulogne,  das  Harsfeld  mit  dem  Eiffelturm, 
die  Friedhöfe  und  Katakomben,  die  Seine  mit  ihren  zahlreichen 
Brücken  (besonders  Pont-Neuf)  geschildert.  Die  nächsten  Kapitel 
zeigen,  was  Paris  für  Wissenschaft  und  Kunst  leistet,  indem  sie 
das  Institut,  die  Sorbonne  mit  den  andern  Fakultäten,  die  Schu- 
len, die  Kunstschätze  in  den  öffentlichen  Sammlungen  und  die 
Theater  behandeln.  In  weiteren  Kapiteln  wird  das  Pariser 
Stralsenleben  einst  und  jetzt  in  seinen  charakteristischen  Typen, 
den  Ausrufern,  den  Antiquaren,  den  Bettlern,  den  Flaneurs  und 
GamiDs  vorgeführt.  Nicht  vergessen  werden  die  bedeutendsten 
Arten  des  Kunstgewerbes,  die  Gobelinweberei,  die  Kunsttischlerei 
und  die  Anfertigung  des  ewig  mit  der  Mode  wechselnden  „article 
de  Paris".     Auch   des  Karnevals,    des  Nalionalfestes   am  14.  Juli 


400     J*  Leitritz,  Paris  et  ses  Bnviroos,  aogez.  v.  G.  Hath. 


ii 


uiul  eines  verregneten  Rennens  mit  dem  „grand  prix  de  Paris 
wird  gedacht.  Den  Gegensatz  zu  diesem  friedlichen,  arbeitsamen 
und  festesfrohen  Paris  bilden  dann  fünf  Kapitel  aus  der  Be- 
lagerung durch  die  Deutschen  und  die  Schreckenszeit  der  Korn- 
roune. 

Ein  zweiter  Teil  schildert  die  Umgegend  von  Paris  mit  ihrem 
Kranz  von  landschaftlich  schönen  und  historisch  bedeutsamen  Or- 
ten: Versailles,  Saint-Cloud,  Saint- Germain,  Nanterre,  Saint-Denis 
und  Vincennes. 

In  mühsamer  Arbeit  hat  Hsgb.  diesen  reichen  Inhalt  aus 
den  besten  modernen  Autoren  —  wir  nennen  nur  die  Akade- 
miker Claretie,  Goppee  und  den  jüngst  verstorbenen  du  Camp, 
ferner  Texier,  Bernadille,  Daudet  und  Zola  —  zusammengesucht 
und  zu  einem  interessanten  Gesamtbild  der  Metropole  vereinigt. 
Die  Mannigfaltigkeit  dieser  Quellen  betrachten  wir  durchaus  nicht 
als  Mangel,  sondern  glauben  im  Gegenteil,  daCs  der  wechselnde 
Stil  der  einzelnen  Stücke  das  Sprachverständnis  der  Schüler  er- 
weitern, die  verschiedenartige  Behandlung  aber  das  Interesse  rege 
halten  werde.  Überall  ist  der  Hsgb.  bestrebt  gewesen,  das  topo- 
graphische Detail,  das  auf  die  Dauer  ermüdend  wirkt,  zu  be- 
schränken und  einen  wirklichen  Einblick  in  das  bunte  Leben  und 
Treiben  der  Weltstadt  thun  zu  lassen.  Der  Ton  echt  französi- 
scher causerie  ist  in  Stücken  wie:  *le  r^veil  de  Paris,  le  Jour  de 
Tan,  le  dimanche  ä  Paris,  le  Grand  Prix  en  1880*  sehr  glücklich 
getroffen.  Einige  chauvinistische  Übertreibungen  und  Unrichtig- 
keiten werden  in  den  Anmerkungen  als  solche  gekennzeichnet  und 
sachlich  richtig  gestellt.  Um  aber  den  Pariser,  wie  er  wirklich 
ist,  zu  charakterisieren,  durften  solche  Stücke  nicht  fehlen,  denn 
in  mafsloser  Vergötterung  von  Paris,  als  „äme,  t^te,  cerveau« 
capitale  du  monde,  centre  de  I'humanit^"  leistet  nicht  nur  Victor 
Hugo  Unglaubliches,  sondern  auch  in  Tageszeitungen  begegnet 
man  ähnlichen  Aussprüchen. 

Die  sachlichen  Anmerkungen  im  Anhange  sind  zahlreich  und 
mit  Fleifs  und  Umsicht  ausgearbeitet;  zu  S.  75  Z.  27  fehlt  der 
Name  des  griechischen  Philosophen,  der  sich  über  die  athenische 
Strafsenjugend  äufsert,  und  zu  S.  88  Z.  32  hätten  die  chaussons 
de  Strasbourg  erklärt  werden  sollen. 

Die  13  in  den  Text  gedruckten  Bilder  und  die  beiden  Karten 
bilden  in  ihrer  Anspruchslosigkeit  eine  angenehme  Beigabe.  W^ün- 
sehenswert  wäre  ein  Bild  des  Versailler  Schlosses,  vielleicht  auch 
des  Pantheons;  fehlen  könnte  dagegen  auf  S.  28  „les  Boulevards*'. 
Der  Druck  ist  sorgfältig,  doch  ist  zu  lesen  im  Vorwort  Z.  4:  „ein*' 
und  S.  152  letzte  Zeile  1599. 

Das  Buch  kann  als  Semesterlektüre  dienen  oder  wie  eine 
Gedichtsammlung  hier  und  da  vorgenommen  werden.  Es  wird  in 
den  Klassen  Unter-Sekunda  bis  Ober- Prima  gewifs  mit  Vergnügen 
und  mit  Nutzen  gelesen  werden. 


O.Jägern.  F.  Moldeohaaer,  Aktenstück«,  tgz.  v.  M.  Hoffmann.  401 

Der  im  Vorwort  yerbeifsene  Band:    „La  France,   Anthologie 
geograpliique''  wird  eine  willkommene  Ergänzung  bilden. 
Stettin.  Georg  Huth. 

1)  0.  Jäger  nnd  F.  Moldenhaaer,  Aaswahl  wichtiger  Akten- 
stncke  zur  Geschichte  des  19.  Jahrbonderts.  Berlio  1893, 
Oswald  Seehageo.     XVI  a.  606  S.  8.  9  M. 

Diese  umfassende  Sammlung  (282  Nummern)  will  zunächst 
den  Lesern  der  Ton  Oskar  Jäger  verfafsten  „Geschichte  der  neue- 
sten Zeit  vom  Wiener  Kongrefs  bis  zur  Gegenwart''  (dritte  Aus- 
gabe in  drei  Bänden,  als  Fortsetzung  von  Schlossers  Weltgeschichte) 
eine  Ergänzung  und  Begründung  der  Geschichtserzählung  bieten. 
Sie  ist  deshalb  mit  einem  Register  versehen,  welches  zu  jedem 
Aktenstück  die  darauf  bezügliche  Stelle  jenes  Werkes  nachweist. 
Sie  kann  aber  auch  für  sich  gebraucht  werden,  da  sie  ein  nach 
der  Zeitfolge  übersichtlich  geordnetes  Material  von  politischen 
Kundgebungen  mannigfacher  Art  darbietet  Den  Anfang  macht 
ein  Auszug  aus  der  spanischen  Cortesverfassung  von  1812,  deren 
Kenntnis  für  die  südeuropäischen  Verfassungskämpfe  wichtig  ist; 
den  Schlufs  bildet  das  deutsch  -  englische  Abkommen  über  Ost- 
afrika und  Helgoland  1890.  Alle  europäischen  Staaten  und  die 
Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika  sind  berücksichtigt,  am 
meisten  natürlich  Deutschland  und  Preufsen.  Die  Aktenstücke 
sind  meist  unverkürzt  wiedergegeben,  alle  in  deutscher  Sprache, 
leider  ohne  Angabe  der  Sammelwerke,  denen  sie  entnommen 
sind;  doch  erscheint  die  Zuverlässigkeit  des  Inhalts  nicht  zweifel- 
haft. Was  die  Auswahl  betrifft,  so  haben  einige  allerdings  ge- 
ringes Interesse ,  z.  B.  die  zwölf  Seiten  füllende  Kriegsverfassung 
des  deutschen  Bundes  von  1821,  die  pragmatische  Sanktion  über 
die  Thronfolge  in  Spanien  1830,  die  Manifeste  beim  österrei- 
chischen Thronwechsel  1848,  das  Beustsche  Bundesreformprojekt 
1861.  Die  meisten  Stücke  aber  geben  willkommene  Belehrung; 
man  findet  z.B.  die  Karlsbader  Beschlüsse  von  1819,  die  deutsche 
Reichsverfassung  von  1849,  die  päpstliche  Encyklika  samt  dem 
SjUabus  von  1864,  zahlreiche  Aktenstücke  für  die  Jahre  1866— 
1871,  den  Berliner  Vertrag  von  1878  u.  s.  w.  Ausgeschlossen 
sind  Parlamentsreden,  bei  denen  allerdings  sparsame  Auswahl 
schwierig  ist;  nur  zwei  englische  Ministerreden  finden  sich 
doch,  aus  den  Jahren  1826  und  1829;  dieseji  gegenübar  wird 
man  Bismarcksche  Reden  vermissen.  Ungern  vermifst  man 
bei  der  preufsischen  Verfassung  vom  5.  Dezember  1848  die 
Angabe  der  später  eingetretenen  Abänderungen.  Statt  der  Ver- 
fassung des  norddeutschen  Bundes  von  1867  roüfste  die  aller- 
dings oft  gleichlautende,  doch  in  wichtigen  Punkten  veränderte 
deutsche  Reichsverfassung  von  1871  mitgeteilt  sein;  erstere  war 
das  vorbereitende  Werk,  dessen  Kern  sich  bewährt  hat,  die  blei- 
bende Bedeutung  aber  gebührt  der  letzteren.    Nicht  hinreichend 

SiltMfar.  £  a.  G7iiiBMialwM«n  XLVUL    0.  26 


402     J-  Lobmeyer,  Wandbilder  f.  d.  Unterr.,  agz.  v.  M.  Hoffniano. 

bedacht  ist  der  innere  Ausbau  des  deutschen  Reiches  nach  1871, 
es  findet  sich  nur  die  kaiserliche  Botschaft  von  1881  über  die 
soziale  Frage.  Am  Schlüsse  sind  ganz  passend  die  beiden  Erlasse 
Kaiser  Friedrichs  III  und  die  ersten  Kundgebungen  Kaiser  Wil- 
helms U  mitgeteilt. 

Jedenfalls  wird  die  dankenswerte  Sammlung  zur  Verbreitung 
grundlicher  Geschichtskenntnis  beitragen.  Im  Unterricht  wird  sie 
sparsam  zu  verwenden  sein,  um  die  Schuler  nicht  mit  Stoff  zu 
überschütten;  doch  werden  reifere  Schüler  sie  mit  Nutzen  nach- 
lesen. 

2)  Julias  Lohmeyer,    Wandbilder   fdr  den  ^esr.hicbtlichen  Uo- 

terricbt  nach  Origioaleo  hervorragender  lebender  Meister.  Dritte 
Serie.  Berlin  1893,  Kb'nigl.  Hof-Kunst- Institut  von  Otto  TroiUsch. 
Imp.-Fol.  12  M. 

Über  die  beiden  ersten  Serien  dieses  interessanten  Werkes 
ist  Bd.  45  S.  628  dieser  Zeitschrift  berichtet.  Die  jetzt  vorlie- 
gende dritte  bringt  vier  Bilder  aus  dem  deutschen  Hittelalter, 
ebenfalls  in  schönem  Farbendruck,  Gröfse  72  :  98  cm.  Auf  Leine- 
wand gezogen,  mit  schwarz  polierten  Querleisten  kosten  diese 
Bilder  16  M.  Jedem  ist  ein  erläuternder  Text  von  Prof.  H.  Knack- 
fufs  beigegeben,  der  zuerst  die  Angaben  der  wichtigsten  Quellen 
mitteilt,  dann  Ober  die  Einzelheiten  des  Bildes  belehrt.  Darge- 
stellt sind  folgende  Ereignisse:  1)  Heinrich  I  geht  über  das  Eis 
der  Havel  zum  Sturm  auf  Brandenburg  928;  2)  Mailänder  Edel- 
leute    bitten  Kaiser  Friedrich  I    um  Schonung   ihrer  Stadt  1162; 

3)  Gefangennahme  Friedrichs  des  Schönen  in  der  Schlacht  bei 
Mühldorf  1322;  4)  Gefangennahme  des  Seeräubers  Klaus  Störte- 
becker  durch  die  Hamburger  Flotte  1402.  Dem  Ref.  liegt  nur 
das  zweite  Bild  vor;  es  empfiehlt  sich  durch  klare  Auffassung  und 
gute  Farbenwirkung.  Vor  dem  thronenden,  streng  blickenden 
Kaiser  knieen  zwei  Vertreter  Mailands  in  schwarzem  Gewände, 
barfufs  und  barhäuptig,  mit  dem  Strick  um  den  Hals  und  daraa 
ein  blofses  Schwert  befestigt,  das  über  den  Rücken  herabhängt. 
Sechs  andere  in  gleicher  Tracht  stehen  mit  Geberden  der  Trauer 
etwas  weiter  zurück.  Zur  linken  Seite  des  Kaisers  steht  in  stol- 
zer Haltung  sein  Kanzler  Rainald  von  Dassel,  zur  rechten  ein 
Bischof,  der  zur  Milde  rät,  hinter  ihm  der  Schwertträger  und  der 
Bannerträger.  Die  Gruppe  ist  umgeben  von  deutschen  Kriegs- 
männern zu  Fufs  und  zu  Pferde,  über  deren  Rüstung  der  er- 
läuternde Text  nähere  Belehrung  giebt.  Den  Hintergrund  bildet 
links  das  deutsche  Zeltlager,  rechts  die  Mauern  der  neuen  Stadt 
Lodi.  Man  vermifst  vielleicht  den  Mailänder  Fahnenwagen  (carro- 
cium),  aber  der  Bericht  des  kaiserlichen  Notars  Burkhard,  den 
die  Erläuterung  mitteilt,  unterscheidet  den  hier  dargestellten 
ersten  Tag  der  Unterwerfung  von  dem  zweiten  und  dritten;  erst 

am  dritten  senkte  sich  der  Mast  des  Fahnenwagens  vor  dem 
Kaiser. 


K.Stutzer,  Geschieht!.  Wiederholaogen,  agz.  v.  II.  Hoffmaoo.  403 

Die  Gegenstände  aller  vier  Bilder  sind  kriegerisch;  für  das 
dritte  möchte  man  wohl  einen  friedlichen  wünschen,  etwa  die 
Verkündigung  der  Goldenen  Bulle  auf  dem  Reichstag  zu  Hetz  1356. 
Aber  jedenfalls  sind  die  Bilder  sehr  geeignet,  mittelalterliches 
Leben  zu  veranschaulichen,  zumal  da  die  Hauptfiguren  in  ange- 
messener Gröfse  hervortreten. 

3)  £.  Stutzer,  Hilfsboeh  für  geschichtliche  Wiederholongeo 
•o  hifliereo  Lehraostalteo,  mit  ZahleokaooD  für  mittlere  Klasseo. 
Zweite,  nenbearbeitete  Anflage.  Berlin  1894,  Weidmaoosche  Buch- 
haodlaog.    92  S.  8.     1,20  M. 

Der  Verf.  hat  im  vorigen  Jahrgang  dieser  Zeitschrift  (Bd.  47 
S.  734  fr.)  den  Unterschied  der  geschichtlichen  Lehraufgaben  für 
die  Hittelstufe  und  für  die  Oberstufe  erörtert  und  dabei  die  An- 
sicht ausgesprochen,  dafs  für  die  Hittelstufe  blofse  Tabellen  nicht 
genügen,  für  die  Oberstufe  aber  das  Lehrbuch  nicht  wiederum 
alles  zu  enthalten  brauche,  was  bereits  auf  der  Hittelstufe  gelernt 
ist,  vielmehr  müsse  es  die  wichtigsten  Ereignisse  als  bekannt  vor- 
aussetzen, um  desto  nachdrücklicher  auf  Zusammenhang  und  Ent- 
Wickelung  hinzuweisen. 

Hier  bietet  er  nun  ein  Hilfsbuch,  das  von  Quarta  an  benutzt 
werden  soll  und  auf  der  Oberstufe  „den  von  Zeit  zu  Zeit  nach 
den  verschiedensten  Gesichtspunkten  anzustellenden  Wiederholun- 
gen'' zu  Grande  gelegt  werden  soll.  Jedenfalls  denkt  er  sich  da- 
neben ein  ausführlicheres  Lehrbuch  für  die  Oberstufe  im  Gebrauch, 
mit  welchem  die  hier  gegebenen  Grundzüge  innerlich  überein- 
stimmen. Das  Pensum  der  Hittelstufe  ist  durch  fetten  Druck 
bezeichnet  und  in  kurze  Sätze  gefafst,  die  sich  leicht  merken 
lassen.  Eine  Schwierigkeit  entsteht  nun  für  den  Quartaner  und 
Tertianer  durch  das,  was  in  kleinerem  Druck  dazwischen  gefügt 
ist ;  doch  ist  manches  davon  der  Art,  dafs  es  im  Unterricht  wohl 
auch  berührt  wird ;  anderes,  zumal  die  Ergebnisse  am  Schlufs  der 
Perioden,  geht  ihn  allerdings  nichts  an,  aber  als  Hinweis  auf 
spätere  Belehrung  mag  es  immerhin  in  seinem  Buche  stehen  und 
ihm,  wenn  er  es  später  auf  der  Oberstufe  zu  Wiederholungen 
gebraucht,  nützlich  sein. 

Zwei  Bedenken  lassen  sich  nicht  unterdrücken.  Bei  wich- 
tigen Ereignissen,  die  auf  der  Hittelstufe  gelernt  werden  sollen, 
Cdüen  öfters  die  Jahreszahlen,  einem  Kanon  zu  Liebe,  der  mit 
Fnrcfat  vor  Überburdung  entworfen  ist.  Aber  das  Lernen  wird 
erschwert,  nicht  erleichtert,  wenn  z.  B.  beim  peloponnesischen 
Krieg  fünf  Ereignisse  nacheinander  nur  mit  der  Gesamtzahl  431 
— 421  gelernt  werden  sollen.  Der  Schüler  lernt  sie  leichter  so: 
431  Die  Peloponnesier  fallen  in  Attika  ein,  429  Perikles  stirbt,  425 
Die  Spartaner  werden  in  Sphakteria  eingeschlossen  und  von  Kleon 
gefangen,  422  Brasidas  siegt  bei  Amphipoiis,  421  Friede  des 
Nikias.  Wobei  zu  bemerken,  dafs  „die  Spartaner'^  ein  falscher 
Aiisdraek  ist.    Bei    der  Reformation  sind   für  die  Hittelstufe  die 

26* 


404         K.  Lohmeyer  oDd  A.  Thomas,  Geschichtsbücher, 

Zahlen  1517,  1521,  1525,  1529,  1530  angegeben,  für  die  Ober- 
stufe ist  1526  hinzugefügt,  aber  zeitlos  stehen  andere  Ereignisse 
dazwischen.  Das  Natürliche  ist  die  Reihe:  1517  die  Thesen, 
1518  Luther  vor  Cajetan,  1519  Disputation  zu  Leipzig,  1520 
Luther  verbrennt  die  Bannbulle,  1521  Luther  auf  dem  Reichstag 
zu  Worms,  1522  Luthers  Rückkehr  nach  Wittenberg,  dann  1525. 
Sollen  nicht  alle  diese  Zahlen  auf  der  Hittelstufe  gelernt  werden, 
so  mögen  sie  doch  in  kleinerem  Druck  dabeistehen.  Das  andere 
Bedenken  bezieht  sich  auf  die  zu  kurze  Behandlung  wichtiger 
Kriege,  welche,  entgegen  der  Absicht  des  Verfassers,  die  noch- 
malige vollständige  Erzählung  derselben  im  Lehrbuch  der  Ober- 
stufe notwendig  machen  würde.  Wir  sind  ganz  damit  einver- 
standen, dafs  die  Kriegsgeschichte  zu  Gunsten  anderer  Dinge 
eingeschränkt  wird,  aber  um  so  mehr  müssen  die  wichtigen  Kriege 
in  Einzelheiten  hervortreten.  Die  Gröfse  des  zweiten  punischen 
Krieges  wird  ganz  besonders  an  den  verschiedenen  Kriegsschau- 
plätzen erkannt;  darauf  ist  hier  nicht  genug  hingewiesen.  Bei 
Cäsars  Thaten  ist  nicht  erwähnt,  dafs  er  den  Bürgerkrieg  mit 
dem  Überschreiten  des  Rubicon  beginnt  und  zuerst  Italien,  dann 
Spanien  unterwirft;  es  heifst  nur:  „Zweiter  Bürgerkrieg.  Cäsar 
besiegt  Pompejus  bei  Pharsalus"  u.  s.  w.  Beim  Jahre  1871  fehlt 
der  Sieg  bei  Le  Mans,  die  Beschiefsung  und  die  Obergabe  von 
Paris;  unrichtig  ist  die  Angabe,  dafs  König  Wilhelm  in  Versailles 
zum  Kaiser  gekrönt  sei. 

Im  ganzen  ist  übersichtliche  Anordnung  anzuerkennen;  das 
Lernen  und  Wiederholen  ist  dadurch  erleichtert,  dafs  alles  im 
Zusammenhange  erscheint.  Zu  vergleichendem  Wiederholen  geben 
die  im  Anhang  zusammengestellten  „leitenden  Gesichtspunkte  für 
gruppierende  Gesamtwiederholungen''  reichlichen  Anlafs,  indem 
sie  auf  die  betreffenden  Seiten  des  Buches  verweisen.  Doch  mufä 
dieses  Gruppieren  im  frischen  Verkehr  des  Unterrichts  geschehen, 
nicht  durch  mühsames  Aufsuchen  und  Nachschlagen  der  Schüler. 
Eine  dankenswerte  Zugabe  ist  die  Zusammenstellung  der  wich- 
tigsten Begebenheiten  für  die  einzelnen  preufsischen  Provinzen. 

4)  K.  Lohmeyer  und  A.  Thomas,    Hilfsbach   für   deo  Unterricht 

in  der  deutschen  Geschichte  bis  zam  Ausgang  des  Mittel- 
alters. Zweite,  nach  den  nenen  Lehrplanen  verbesserte  Auflage, 
von  Em.  Knaake  und  K.  Lohmeyer.  Halle  1894,  Bnchhandlong  des 
Waisenhanses.     II  n.  8S  S.  8.  0,80  M. 

5)  R.  Lohmeyer  und  A.  Thomas,    Hilfsbach   für   den    Unterricht 

in  der  deutschen  and  brandenbarcpiseh  -  preafsische  n 
Geschichte  vom  Ausgang  des  Mittelalters  bis  zar  Jetzt- 
zeit. Zweite,  nach  den  neuen  Lefarpliinen  vermehrte  and  verbes- 
serte Auflage  von  Km.  Knaake  and  K.  Lohmeyer.  Halle  1892,  Bach- 
handlonfp  des  Waisenhanses.    IV  o.  16S  S.  8.  1,60  M. 

Diese  beiden  Hilfsbücher,  die  in  erster  Auflage  1886  er- 
schienen (s.  Bd.  40  S.  684  dieser  Zeitschrift)  empfehlen  sich  für 
den  Gebrauch  in  den  mittleren  Klassen  durch  leichtyerständlicbe, 


•  o^ez.  von  M.  Hoffmaon.  405 

zusammenhängende  und  zugleich  übersichtliche  Darstellung.  Sie 
halten  in  der  Auswahl  des  Stoffes  ein  verständiges  Hafs  inne, 
deuten  die  Ursachen  und  Wirkungen  grofser  Begebenheiten  an, 
gehen  auch  auf  die  inneren  Staatszustände  ein,  besonders  bei  den 
preufsischen  Herrschern  vom  grofsen  Kurfürsten  an.  Bisweilen 
könnte  die  Darstellung  mehr  Wärme  zeigen,  doch  bleibt  es  immer 
hauptsächlich  die  Aufgabe  der  mündlichen  Unterweisung,  die 
Machtgröfse  des  alten  deutschen  Reiches,  die  spätere  Schwäche 
und  dann  die  Wiederaufrichtung  lebendig  zu  schildern.  Bei  den 
geachichtUch  wichtigen  Orten  ist,  meist  in  einer  kurzen  An- 
merkung, eine  nähere  Angabe  der  Lage  hinzugefügt,  um  die 
Schüler  zum  Nachsehen  auf  der  Karte  zu  veranlassen.  Dieses 
geographische  Interesse  würde  noch  mehr  gefördert  werden,  wenn 
auf  die  in  verschiedenen  Jahrhunderten  verschiedenen  Grenzen  des 
deutschen  Reiches  stärker  hingewiesen  wäre.  Beim  Vertrag  zu 
Hersen  870  müfste  gesagt  sein,  daJCs  seitdem  Elsafs,  Lothringen 
und  die  Niederlande  zu  Deutschland  gehörten,  beim  Interregnum 
der  Verlust  von  Burgund  und  Italien  hervorgehoben  sein,  später 
der  Verlust  der  Niederlande  bestimmter  hervortreten.  Eingehen- 
der als  andere  Hilfsbücher  bringen  diese,  da  sie  in  Ostpreufsen 
entstanden  sind,  die  Geschichte  des  Ordensstaates;  das  erste  weist 
allerdings  nur  kurz  darauf  hin,  das  zweite  aber  unterbricht  beim 
Jahre  1648  die  Erzähluug  der  deutschen  Geschichte,  um  die  äl- 
tere Geschichte  Brandenburgs  und  dann  die  Geschichte  des  Ordens- 
staates einzufügen.  Diese  umfafst  Mi  Seiten;  sie  ist  willkommen, 
da  sie  rühmliche  Zeugnisse  deutscher  Tüchtigkeit  vorführt,  doch 
möchte  man  am  Schlufs  auch  eine  Nachricht  darüber  finden,  wie 
in  Livland  die  deutsche  Herrschaft  sich  bis  1561  behauptete  und 
dann  verloren  ging. 

Die  neuere  Zeit  seit  1648  ist  ganz  vom  Standpunkt  des 
preu&ischen  Staates  behandelt;  nicht  die  habsburgischen  Kaiser, 
sondern  der  grofse  Kurfürst  und  seine  Nachfolger  treten  in  den 
Oberscbriften  an  die  Spitze:  gewifs  richtig,  nur  müfsten  dem  sin- 
kenden Reich  zwei  kurze  besondere  Betrachtungen  gewidmet  sein, 
zuerst  etwa  beim  Verlust  Strafsburgs  1681,  dann  bei  den  Wir- 
kungen des  siebenjährigen  Krieges.  An  letzterer  Stelle  wäre  An- 
lafs,  auf  die  Entfaltung  der  deutschen  Litteratur  näher  einzugehen ; 
Leasing,  Goethe  und  Schüler  dürfen  in  dem  für  Untersekunda 
bestimmten  Abschnitt  des  Geschichtsbuches  doch  nicht  fehlen,  zu- 
mal wenn  später  Arndt  und  Schleiermacher,  weil  sie  in  Preufsen 
wirkten,  genannt  sind.  Aber  die  Entwickelung  von  Kunst  und 
Wissenschaft  ist  überhaupt  wenig  berücksichtigt;  nur  auf  die  bil- 
dende Kunst,  insofern  sie  im  19.  Jahrhundert  nationale  Denk- 
mäler schuf,  wird  etwas  näher  eingegangen.  Die  Entwickelung 
von  Gewerbe  und  Verkehr  ist  angemessen  dargestellt,  so  dafs  die 
sozialen  Schäden  und  die  zur  Abhilfe  unternommene  Reichsgesetz- 
gebung  verstanden  werden  können. 


1 


406  M.  Doeberl,  Monnmeota  Germaniae  Selecta, 

Noch  einige  Einzelheiten  sind  zu  erinnern.  Es  ist  zuviel 
behauptet,  wenn  von  dem  1815  geschlossenen  Deutschen  Bunde 
gesagt  wird,  drei  auswärtige  Mächte,  nämlich  England,  Dänemark, 
die  Niederlande,  seien  Bundesmitglieder  geworden;  auch  wurde 
durch  die  diplomatische  Garantie,  welche  acht  europäische  Staaten 
für  die  Bundesakte  übernahmen,  Deutschland  noch  nicht  unter  die 
Vormundschaft  des  Auslandes  gestellt.  Österreich  öbte 
als  Mitglied  des  Bundes  die  Vormundschaft.  Auch  die  Ansicht, 
dafs  Preufsen  damals  „keinen  seinen  Leistungen  entsprechenden 
Lohn*'  erhalten  habe,  geht  zu  weit;  die  Erwerbung  der  Rhein- 
provinz war  viel  wertvoller  als  die  früheren  polnischen  Besitzungen. 
Von  Napoleon  III  heifst  es  S.  127  fälschlich,  er  sei  185t  Konsul 
auf  zehn  Jahre  geworden.  Benedetti  forderte  in  Ems  keine 
„schriftliche"  Versicherung  von  König  V^ilhelm ;  das  that  Gramont 
in  Paris  gegenüber  dem  preufsischen  Gesandten.  Von  König  Lud- 
wig II  von  Bayern  kann  man  nicht  sagen,  dafs  er  „den  Gedanken 
angeregt"  habe,  dafs  König  Wilhelm  die  deutsche  Kaiserwürde 
annahm.  Bei  der  Verfassung  des  deutschen  Reiches  hätten  die 
Staatsverhällnisse,  auf  welche  die  Reichsgesetzgebung  sich  bezieht, 
in  kurzer  Übersicht  angegeben  werden  müssen,  damit  man  er- 
kenne, was  der  Landesgesetzgebung  entzogen  ist.  Beim  sogenannten 
Kulturkampf,  der  übrigens  vorsichtig  behandelt  ist,  war  die  Aus* 
Weisung  des  Jesuitenordens  zu  erwähnen.  Diese  Ausstellungen  in 
einzelnen  Punkten  hindern  nicht,  die  beiden  Bücher  im  ganzen 
als  brauchbar  anzuerkennen. 

Lübeck.  Max  Hoffmann, 


MoDumenta  Germaniae  Selecta  ab  aDDo  768  nsqae  ad  annam  1250. 
Edidit  M.  Doeberl.  Maoeheo  1894,  J.  LiDdaoersche  BacUiandlaoi^. 
5.  Bändchen:  Zeit  Heinrichs  VI,  Philipps  v.  Schwaben,  Ottos  IV  aod 
Friedrichs  IL     160  S.  gr.  8.    3  M. 

Dem  im  45.  Jahrgange  dieser  Zeitschrift  besprochenen  3.  und 
4.  Bändchen  der  Monuments  Germaniae  SeJecta  läfst  nach  vier- 
jähriger Pause  Doeberl  das  5.  folgen,  welches  die  Zeiten  Hein- 
rcihs  VI,  Philipps  von  Schwaben,  Ottos  IV  und  Friedrichs  II  um- 
fafst.  Wie  die  früheren  Bändchen  bietet  auch  das  neueste  eine 
stattliche  Anzahl  hochbedeutender  Urkunden,  die,  begleitet  von 
wertvollen  Anmerkungen,  eine  treffliche  quellenmäfsige  Behand- 
lung der  wichtigsten  Fragen  von  1190  bis  1250  darstellen.  Für 
die  Zeit  Heinrichs  sind  fünf  Urkunden  geboten,  darunter  der  Ver- 
trag mit  König  Richard  von  England  und  das  Testament  des 
Kaisers.  Zur  Geschichte  Philipps  finden  sich  aufser  dem  Vertrage 
mit  König  Philipp  II  August  von  Frankreich  besonders  Urkunden 
über  das  Verhältnis  von  König  und  Kurie:  so  die  Deliberatio 
papae  Innocentii  super  facto  imperii  de  tribus  electis,  welche 
nach  Nitzsch    die  Grundsätze   der    päpstlichen  Politik  mit  merk- 


angez.  von  Th.  Sor^eofrey.  407 

würdiger  Offenheit  aufdeckt,  so  die  energische  Speierer  Protestation 
der  Wähler  Philipps  an  Innocenz  III,  so  die  Philippi  Promissa 
Papae  und  die  promissio  Ottonis.  Den  Schwerpunkt  des  ganzen 
Heftes  bildet  die  Regierung  Friedrichs  II.  In  reicher  Fülle  — 
nicht  weniger  als  13  Hauptnummern  sind  verzeichnet,  die  oft  in 
mehrere  Unterabteilungen  zerfallen  —  werden  hier  die  wichtigsten 
Ereignisse  dieser  grofsen  Zeit  urkundlich  belegt.  Dem  Schreiben 
des  Kanzlers  Konrad  an  König  Philipp  II  August  über  die  Wahl 
Friedrichs  folgen  Konzessionen  des  Kaisers  an  die  Kurie,  darunter 
die  Egerer  Goldbulle  von  1213.  Nachdem  die  sizilische  Frage  in 
drei  Urkunden  erörtert  worden  ist,  folgt  die  confoederatio  cum 
principibus  ecclesiasticis  vom  Jahre  1220  und  die  für  die  Behand- 
lung der  Ketzer  interessante  constitutio  in  ßasilica  beati  Petri 
vom  22.  November  1220.  Ausfuhrlich  wird  sodann  die  Kreuz- 
zugsfrage behandelt,  deren  Vorgeschichte  in  Regesten  vom  2.  März 
1215  an  vorausgeschickt  wird.  Die  hierauf  bezüglichen  sechs  Ur- 
kunden beginnen  mit  dem  Vertrage  von  San  Germano  1225  und 
gehen  bis  zum  September  1230,  der  Zeit,  aus  welcher  ein  Schrei- 
ben Gregors  IX  von  dem  kaiserlichen  Besuche  in  Anagni  berichtet. 
Auf  Urkunden  zur  Frage  des  Landfriedens,  darunter  befindet  sich 
die  so  berühmte  constitutio  pacis  vom  August  1235,  das  Reichs- 
gesetz, welches  ja  die  Grundlage  für  die  Entwickelung  des  Reichs- 
rechts überhaupt  geworden  ist,  folgen  acht  Urkunden  zur  lombar- 
dischen Frage  und  zum  Bruche  zwischen  Friedrich  II  und  Gregor  IX. 
Sie  beginnen  mit  einem  Schreiben  Gregors  (S.  IV  steht  irrtümlich 
Gregor  IV  statt  IX),  bringen  die  verschiedenen  Gravamina,  die 
£xkonimunikationsbuile  vom  22.  März  1239,  das  Rechtfertigungs- 
schreiben Friedrichs  II  vom  20.  April  1239  und  klingen  aus  in 
einem  Schreiben  geistlicher  Reichsfürsten  an  Gregor  vom  April 
desselben  Jahres.  Die  letzten  Urkunden  betreffen  die  Friedens- 
verhandlungen zwischen  Friedrich  und  Innocenz  IV.  Ein  Anhang 
bringt  vier  Urkunden  zur  Ausbildung  der  fürstlichen  Territorialität, 
darunter  das  Privileg  Friedrichs  II  für  den  Patriarchen  ßerthold  von 
Aquileja,  die  ein  charakteristisches  Bild  von  der  in  der  staufischen 
Übergangszeit  sich  entwickelnden  Territorialität  bieten,  drei  zur 
Ausbildung  der  städtischen  Autonomie,  die  Regensburger  Verhältnisse 
zur  Darstellung  bringen,  endlich  den  Schutz-  und  Immunitätsbrief 
Friedrichs  II  für  das  Cisterzienserkloster  Waldsassen  von  1214, 
der  dadurch  charakteristisch  ist,  dafs  er  die  in  den  karolingischen 
und  sächsischen  Immunitätsbriefen  eigentümliche  Formel  enthält, 
welche  den  königlichen  Beamten  das  Betreten  des  immunen  Ge- 
bietes behufs  Ausübung  richterlicher  Handlungen  verbietet. 

Eine  stattliche  Reihe  hochwichtiger  Urkunden  bietet  Doeberl 
auch  in  diesem  Bande.  Mit  derselben  Sorgfalt  wie  die  früheren 
ist  er  gearbeitet,  ja  die  immer  reichlicher  gebotenen  Anmerkungen 
machen  das  Werk  zu  einem  wertvollen  Handbuche.  Der  Schul- 
mann,  der  fern  von  einer  wissenschaftlichen  Bibliothek  zu  lehren 


408  Oeatsche  Landes-  and  ProvinzialgeBchichte, 

berufen  ist,  kann  sich  kaum  eines  lehrreicheren  Hilfsmittels  er- 
freuen als  der  Sammlung  Doeberls.  Hoffentlich  läfst  D.  nicht 
allzu  lange  auf  das  1.  und  2.  Bändchen  warten;  hoffentlich  wer- 
den dort  Anmerkungen  und  Einleitungen  gleich  ausführlich  ge- 
boten. 

Der  Druck  ist  sauber  und  richtig:  S.  23  mufs  es  Arnsberg 
statt  Arnstadt  heifsen. 

Neuhaldensleben.  Th.  Sorgenfrey. 


Deutsche  LaDdes-  uod  Provinzialgeschichte.  Ein  Haodbach  fdr  die 
Heimatkunde  im  Geschichtsnoterricht.  Mit  23  Geschlchtskarten  und 
den  Landeswappen.  Leipzig  1892,  fi.  Voigtländers  Verlag.  VIII  a. 
457  S.  8.    4  M. 

29  selbständige  Einzelschriften  der  deutschen  Landes-  und 
Provinzialgeschichte  von  verschiedenen  Verfassern  liegen,  zu  einem 
Handbuche  vereinigt,  vor.  Die  Leitung  des  ganzen  Unternehmens 
hat  der  Gymnasialdirektor  Schmelzer  in  Hamm  gehabt.  Sie  stellen 
in  ihrer  Gesamtheit  den  ersten  willkommenen  Versuch  einer  voll- 
ständigen Sammlung  deutscher  Sondergeschichten  dar.  Die  Hefte, 
welche  einzeln  nicht  käuflich  sind,  sondern  den  in  Voigtländers 
Verlag  erscheinenden  geschichtlichen  Lehrbüchern  kostenfrei  bei* 
gegeben  werden,  bilden  zusammen  ein  Werk  von  nationaler  Be- 
deutung, das  zugleich  eine  Einsicht  in  den  ganzen  Plan  der 
Anlage  und  eine  vergleichende  Übersicht  Ober  die  einzelnen  Hefte 
ermöglicht,  deren  besondere  Besprechung  nur  andeutungsweise 
hierher  gehört  So  ist  erfreulicherweise  ein  Werk  vollendet, 
welches  geeignet  ist,  durch  Vermittelung  der  Kenntnis  heimischer 
Geschichte  das  Herz  zu  erwärmen  an  Gestalten  und  Thaten  der 
Vorfahren,  die  sich  vollzogen  haben  auf  einem  Grund  und  Boden, 
den  der  Schuler  zum  Teil  aus  eigener  Anschauung  kennt,  und 
den  baulichen  Überresten  vergangener  Zeiten,  welche  noch  in  die 
Gegenwart  hineinragen,  Leben  und  Bedeutung  einzuhauchen.  So 
werden  unsichtbare  Fäden  gesponnen,  welche  den  Pommer,  den 
Sachsen,  den  Schlesier  und  Bayer  an  die  Heimat  fesseln  und  sich 
fühlen  lehren  als  Volksgenossen  grofser  Männer,  als  Mitglieder  eines 
Stammes,  der  in  seiner  besonderen  Weise  mitgerungen  und  mit- 
gearbeitet hat  an  der  Geschichte  des  grofsen  deutschen  Volkes. 
Insofern  bildet  die  Kenntnis  der  Geschichte  der  engern  Heimat 
ein  wertvolles  Gegengewicht  gegen  das  Streben  ins  Weite,  das 
den  Deutschen  nur  zu  leicht  hinauszieht  in  eine  unbekannte 
Ferne.  Gerade  durch  das  liebevolle  Gingehen  auf  die  Landes- 
und Provinzialgeschichte  wird  der  historische  Sinn  überhaupt 
geweckt. 

Die  Gebiete  des  preuTsischen  Staates  nebst  dem  Herzogtum 
Braunschweig  und  den  Fürstentümern  Waldeck  und  Lippe  werden 
in   13  Heften,    das   Königreich  Bayern    in    4,    und    die   übrigen 


aages.  roo  R.  Brendel.  4Qg 

deutsehen  Staaten  zusammen  in  12  behandelt.  Jedes  Heft  hat 
ungefähr  Bogenstarke,  trägt  auf  dem  Titelblatt  das  Landes- 
Wappen  und  ist  mit  einer  oder  mehreren  Geschichtskarten 
auagestattet ,  deren  manche  für  mehrere  Hefte  zugleich  gelten. 
Die  von  B.  Schwarze  mit  Benutzung  von  Spruner  und  Droysen 
sauber  gearbeiteten  Kärtchen  zeigen  uns  das  betreffende  Land  in 
einem  bedeutsamen  Abschnitt  seiner  Geschichte.  Dazu  gehört 
aber  auch  die  Verzeichnung  der  historischen  Ortsnamen,  welche 
im  Text  genannt  werden,  was  z.  B.  nicht  der  Fall  ist  bei  Rain 
am  Lech,  Allersheim  und  Zusmarshausen  auf  der  Karte 
von  «»Bayern  zur  Zeit  des  dreifsigjährigen  Krieges^^  Die  Schüler 
dürfen  solche  Orte  nicht  vergeblich  auf  ihrer  Karte  suchen.  Mainz 
ist  auf  der  Karte  „Rheinpfalz,  Ende  des  17.  Jahrhunderts'^  an  eine 
fälsche  Steile  geraten.  Auf  den  Karten  von  Brandenburg  und 
Pommern  ist  Stargard  irrtümlich  vom  linken  auf  das  rechte  Ihna- 
Cfer  versetzt  worden.  Andere  bildliche  Darstellungen,  die  auch 
mehr  in  eine  Landeskunde  gehören,  sind  grundsätzlich  ausge- 
schlossen. Während  die  Karten  alle  von  einem  Verfasser  her- 
rühren, ist  der  Text  erklärlicherweise  von  verschiedenen  bearbeitet 
worden,  welche  ihn  meist  in  die  Gegenwart  ausmünden,  ihm  aber 
eine  verschiedenartige  Behandlung  haben  zuteil  werden  lassen. 
Dafs  sie  dabei  fast  alle  mit  den  ältesten  Bewohnern  beginnen, 
scheint  natürlich,  und  doch  möchte  Ref.  auf  die  Hefte  *Schleswig- 
Holstein  und  Freie  und  Hansestadt  Hamburg'  empfehlend  hin- 
weisen, welche  in  kurzen,  markigen  Zügen  zuerst  den  Grund  und 
Boden  schildern.  Diese  Charakteristik  des  Landes  liefert  im  Verein 
mit  der  politischen  Geschichtskarte  ein  anschauliches  Bild  des- 
selben. So  haben  die  Schüler  festen  Boden  unter  den  Füfsen, 
auf  dem  sich  dann  die  Landesgeschichte  abspielen  kann.  Zugleich 
wird  dadurch  auf  die  Lebensbedingungen  des  betreffenden  Volks- 
stammes hingewiesen,  und  ein  wichtiger  Fingerzeig  für  die  Rich- 
tung gegeben,  in  welcher  sich  die  Geschichte  entwickelt  Erwähnt 
sei  übrigens,  dab  auch  die  oldenburgische  Geschichte  mit  einer 
kurzen  geographischen  Darstellung  anhebt.  Einen  eigentümlichen 
Eindruck  macht  es,  wenn  in  der  Geschichte  der  Prov.  Posen  unter  der 
Harke:  'Burgundionen  und  Vandalen*  zuerst  die  heutige 
Bevölkerung  besprochen  wird.  Die  Hälfte  der  Landesgeschichten 
zerfällt  in  zwei  Hauptteile,  einen  meist  kurzen  Oberblick  oder 
Abrifs  der  Geschichte  und  einen  längeren  Teil,  in  welchem  unter 
dem  Titel  ^Erzählungen  oder  Bilder'  die  Geschichte  gegeben  wird. 
Der  Geschichtsabriüs  ist  mit  ein  paar  Ausnahmen,  in  welchen  die 
Tabellenform  Verwendung  gefunden  hat,  in  zusammenhängender 
Darstellung  geschrieben.  Nächstdem  liefern  die  meisten  Verfasser 
einen  blofsen  Geschichtsabrifs,  nach  Landschaften  oder  Herrschern 
geordnet;  der  der  Geschichte  des  Königreichs  Sachsen  aber  läfst 
dem  ausführlichen  Oberblick  über  die  Geschichte  eine  „kurze 
Obersicht  der  sächsischen  Geschichte^'  in  tabellarischer  Zusammen- 


410  Deutsche  Landes-  und  Provinzialgeschiclite, 

Stellung  folgen.     Die  Verfasser  der  schleswig-holsteinischen  und 
der   hamburgischen  Gesciiichte    beschränken    sich    blofs    auf  Er- 
zählungen,   die   Landesgeschichte  von  Thüringen    endlich    ist   in 
einer  Form  gearbeitet,  welche  etwa  die  Mitte  hält  zwischen  einer 
Übersicht  und  Erzählungen.    In  fünf  Fällen  ist  für  die  Übersiebt 
der  Kleindruck   gewählt,    und   in   acht  Fällen    der  Landes-  oder 
Provinzialgeschicbte  eine  Zeittafel  beigegeben  worden.  Verschieden- 
artig wie  die  Einteilung  und  Anordnung  des  Stoffes  ist  auch  die 
sonstige  Behandlung  der  Landesgeschichten   ausgefallen,   was   an 
und  för  sich  durchaus  nicht  getadelt  werden  soll.    Es  führen  be- 
kanntlich viele  Wege  nach  Rom.     Reich  und  vielgestaltig  wie  die 
Geschichte  des  deutschen  Volkes  wird  sich  auch  eine  Sammlung 
der  Sondergeschichten  ausnehmen  müssen.    Jeder  Verfasser  wird 
sie    nach    seiner  Art   behandeln.      Und    doch    giebt   es   gewisse 
Grenzen,    deren   Berücksichtigung   bei    aller  Verschiedenheit   im 
einzelnen    dem   Zwecke   des    Unternehmens   nur  f5rderlich   sein 
kann.     Die  Hefte,   für  die  Hand  des  Schülers   bestimmt,   sollen 
doch  der  ersten  Einführung  in  die  Heimatgeschidite  dienen   und 
werden  das  Interesse  dafür  um  so  leichter  hervorrufen,  je  mehr 
der  Stoff  in  kleine  Abschnitte  gegliedert  und  dadurch  übersicht- 
lich gestaltet  ist  wie  in  den  meisten  Einzelgeschichten,   je  mehr 
die  Darstellung  sich  fern  hält  von  einer  Überfülle  von  Zahlen  und 
Namen,  was  z.  B.  nicht  der  Fall  ist  in  der  Geschichte  von  Nassau, 
je  einfacher  und  ungesuchter  die  Sprache,   wie  in  der  Gesciiichte 
des  Grofsherzogtums  Baden,    und  je   lebendiger  und  anregender 
der  Ton  der  Erzählung  ist,  wie  in  den  Geschichten  von  Schwaben 
und   Neuburg,    von  Ober-,    Mittel-   und    Unterfranken.     Über- 
haupt  empfiehlt   es  sich,    mit  den  Erzählungen  zu  beginnen  und 
denselben  den  Abrifs  folgen  zu  lassen,  wie  in  der  badischen  Ge- 
schichte, um  zuerst  das  Interesse  für  eine  Übersicht  zu  erregen. 
Es  ist  ferner  wünschenswert,   dafs  in  dem  Hauptabschnitte  'Er- 
zählungen oder  Bilder'  nicht  blofs   politische  Geschichte  gegeben, 
sondern   zugleich   der  Kulturgeschichte    Rechnung   getragen    und 
grofse   Männer   des  Volksstammes   in   ihrer   Bedeutung   für   die 
engere  Heimat   oder  zugleich   für  das  ganze   deutsche  Vaterland 
gewürdigt  werden,  wie  das  geschehen  ist  in  den  Geschichten  von 
Pommern,  Schleswig- Holstein,  Hamburg,  Schlesien,  Elsafs- Loth- 
ringen, Thüringen,  der  Provinz  Sachsen  und  anderen.     Nur  nn- 
gem  vermifst  man  in  der  Geschichte  von  Ost-  und  Westpreuiaen 
die  Erwähnung  eines  Herder,  der  dafür  wenigstens  in  der  badischen 
und    in    der  thüringischen    Geschichte  vorkommt,    Schenkendorf 
und    Kopernikus ,    vor    allem    aber    einen  Abschnitt    über    die 
patriotische    Erhebung   der  Provinz  Ostpreufsen    im  Jahre  1813, 
wie  überhaupt  die  Fortführung  der  Provinzialgeschicbte  seit  1793. 
Vermifst  werden   ferner  in  der  thüringischen  Geschichte   auDser 
der  Vorgeschichte  das  Wirken  des  Bonifatius   und  die  mit  Sage 
umwobene,  gerade  die  Schüler  lebhaft  interessierende  Geschichte 


aogez.  von  R.  Brendel.*  41[ 

des  sächsischen  Prinzenraubes;  oder  sind  diese  Abschnitte  deshalb 
weggelassen  worden,  weil  die  thüringische  Vorgeschichte  in  der 
säclifiischen  Provinzialgeschichte ,  die  Missionsthäligkeit  des  Boni- 
falios  in  der  hessischen  und  der  sächsische  Prinzenraub  in  der 
Geschichte  des  Königreichs  Sachsen  erzählt  werden?  Dafs  in  der 
mecklenburgischen  Geschichte  der  berühmten  Landsleute  der 
Mecklenburger,  nämlich  eines  Blücher,  Reuter  und  Mollke  auch 
nicht  mit  einem  Worte  Erwähnung  gethan  ist,  wird  gewifs  jeder 
als  einen  IMangel  empfinden.  AufTallend  ist  es,  dafs  die  Barbarossa- 
oder besser  Friedrichssage,  die  so  eng  mit  der  Geschichte  des 
deutschen  Volkes  verwachsen  ist,  in  dem  ganzen  Handbuche 
nii^ends  eine  Stelle  gefunden  hat.  Oberhaupt  verdienen  die 
historischen  Sagen,  die  ein  Licht  werfen  auf  die  Gestaltungskraft 
und  das  Gemutsieben  des  Volkes  und  doch  auch  sonst  in  den 
Geschichtsunterricht  mit  verflochten  werden,  eine  bessere  Beröck- 
sichtigung.  För  die  Geschichte  der  Stadt  Berlin  möchte  sich  Ref. 
den  Vorschlag  der  Zerlegung  in  folgende  Abschnitte  gestatten: 
—  1307  — 1740  — 1861  — jetzt.  In  der  Geschichte  von  Ober- 
bayem,  Niederbayern  und  der  Oberpfalz,  der  einzigen  übrigens, 
deren  Verfasser  sich  nicht  genannt  hat,  ist  es  falsch,  die  fünf 
ersten  Abschnitte  nach  Herrschergeschlechtern  zu  betiteln  und 
dann  durch  die  Überschriften  der  drei  folgenden  den  Schein  zu 
erwecken,  als  hätten  die  Witteisbacher  sehr  bald  wieder  zu 
r^eren  aufgehört.  Mit  mehr  Recht  läfst  sich  die  Überschrift  des 
5.  Abschnittes  'Bayern  unter  den  Witteisbachern'  als  beherrschende 
far  die  folgenden  gebrauchen,  die  etwa  dann  heifsen  könnten: 
A.  Bayern  bis  zur  Reformationszeit;  B.  Bayern  bis  zum  dreifsig- 
jährigen  Kriege  u.  s.  w. 

DaCs  das  Sammelwerk  sich  fast  ganz  frei  von  Druckfehlern 
hält,  deren  nur  zwei  in  der  Geschichte  des  Grofsherzogtums 
Oldenburg  aufgefallen  sind,  ist  erfreulich  und  erklärlich.  Vielleicht 
darf  Ref.  auch  anführen,  was  er  sich  an  sonstigen  Versehen  und 
Irrtömem  im  Vorbeigehen  notiert  hat. 

Ost-  und  Westpreufsen:  steht  Gothen  für  Goten.  Das- 
selbe wiederholt  sich  in  der  Geschichte  von  Oberbayern,  Nieder- 
bayem  und  der  Oberpfalz  S.  1  der  Einzelgeschichte  oder  209  des 
Handbuchs. 

Pommern:  S.  1  oder  33  „Julin  auf  Usedom,  das  Vineta  der 
Sägers  Julin  ist  aber  bekanntlich  dasselbe  wie  Wollin  auf  Wollin, 
nicht  auf  Usedom,  welches  die  Sage  unter  dem  Namen 
Vineta,  entstanden  aus  Jumneta,  Jumne,  auf  die  Insel  Usedom 
versetst  bat.  Stettin  hat  nicht  „mehr  als  200  000  Einwohner*', 
sondern  nach  den  Veröffentlichungen  des  Deutschen  Gesund- 
heitsamtes  vom  Juli  1893  erst  125  000  Einwohner. 

Posen:  Ludwig  XV.  ist  nicht  der  Schwiegervater,  sondern 
der  Scbwiego^ohn  von  Stanislaus  Leszczynski.  August  IH.  von 
Sachsen  ist  nicht  1766,  sondern  1763  gestorben. 


412        SchillmaiiD,'ScIiiiiat]aS;  angez.  vod  A.  Kirchhoff. 

Provinz  Sachsen:  Die  Adjektiya  'Ernestinisch  und  AI- 
bertinisch'  müssen  mit  grofsen  Anfangsbuchstaben  geschrieben 
werden.  Dasselbe  gilt  für  die  Geschichte  des  Königreichs  Sachsen 
und  für  die  Adjektiva  ^RudolGnisch  und  Ludovicisch'  in  der  Ge- 
schichte von  Oberbayern,  Niederbayern  und  der  Oberpfalz. 

Hessen  S.  5  oder  155:  Bonifatius  fand  seinen  Tod  im 
Friesenlande  754,  nicht  755. 

Oberbayern,  Niederbayern  und  Oberpfalz:  Otto  III. 
sank  schon  1002,  nicht  1003  ins  Grab.  „Die  verhängnisvolle 
Feindschaft  zwischen  Ilohenstaufen  und  Weifen''  entstand  bereits 
unter  der  Regierung  Lothars,  seit  Heinrich  der  Stolze,  Herzog 
von  Bayern  (tll39,  nicht  1138),  mit  seinem  Schwiegervater 
Lothar  gegen  das  staufische  BrQderpaar  zu  Felde  zog,  und  wurde 
durch  die  Wahl  des  Hohenstaufen  Konrad  III.  im  Jahre  1138  wohl 
verstärkt,  aber  nicht  hervorgerufen. 

Schwaben  und  Neuburg:  Die  Völkerschlacht  auf  den 
katalaunischen  Feldern  wurde  nicht  452,  sondern  451  geschlagen. 

Ober-,  Mittel-  und  Unterfranken:  Friedrich  von  Hohen- 
staufen wurde  schon  1079,  nicht  1098  Herzog  von  Schwaben.  Die 
bessere  Foi*m  für  „Spruchwort''  ist  „Sprichwort". 

Rheinpfalz:  Die  Truppen  Friedrichs  von  der  Pfalz  wurden 
nicht  „am  5.  Nov.  1620  am  weifsen  Berge  bei  Prag  geschlagen", 
sondern  am  8.  Nov.  Wenn  ferner  S.  15  oder  265  behauptet  wird: 
„1628  Oberpfalz  und  Kurwürde  fällt  an  Bayern",  so  ist  das  blolüs 
richtig  für  die  endgiltige  Vereinigung  der  Oberpfalz  mit  Bayern, 
nicht  für  die  Kurwurde,  welche  bereits  1623  auf  dem  Reichstage 
zu  Regensburg  zugleich  mit  der  Verwaltung  der  Ober-  und  Rhein- 
pfalz dem  Herzog  Maximilian  von  Bayern  übertragen  wurde. 

Mögen  die  deutschen  Landes«  und  Provinzialgeschichten  mit 
der  Kenntnis  heimischer  Sage  und  Geschichte  zugleich  liebe- 
volles Verständnis  deutschen  Wesens,  deutscher  Sitte  und  Art  ver- 
mitteln! 

Stargard  i.  Pomm.  R.  BrendeL 


Kleiner  Historischer  Schnlatlas  in  Karten  nod  Skizsen  aach  d«D 
Angaben  des  Dr.  R.  Schillmann  gezeichnet  von  P.  Schi  lim«  an. 
Berlin  1894,  Nicolaisehe  Verlagsbuchhandlung.     1,60  M. 

Schon  der  Titel  ist  etwas  sonderbar.  Man  fragt  sich:  was 
heilst  da  „Skizzen'*  neben  „Karten'*?  Der  Inhalt  erledigt  die 
Frage  nicht  Es  sind  hier  32  Kärtchen  in  ziemlich  dürftiger 
Ausstattung  vereinigt,  um  als  Erläuterung  zu  dienen  för  die 
„Schule  der  Geschichte'*  (wohl  ein  Leitfaden  des  Dr.  Schillmann?). 
Der  Schuler  soll  hierdurch  bewahrt  bleiben  vor  dem  „Mitschleppen 
von  grofsen  Atlanten'*  in  die  Geschichtsstunde.  Indessen  giebt 
es  jetzt  in  kaum  gröfserem  Format  und  zu  so  wenig  höherem 
Preis  so  viel  zweckdienlichere  geschichtliche  Schulatlanten ,    dafs 


H.  Martns,  Unterricht  i.  d.  Ramnlelire,  an^ez.  v.  W.  Erler.    413 

man  die   Notviendigkeit   des   Scbillmannschen    nicht  einzusehen 
vermag. 

Vor  allem  ist  die  aufserordentliche  Unterstützung  der  Über- 
sichtlichkeit politischer  Karten  durcli  den  Fläcbenfarbendrnck  hier 
(mit  Ausnahme  der  zwei  Kärtchen,  die  Brandenburg-Preufsen  be- 
treflen)  gar  nicht  in  Anwendung  gezogen  worden.  Mehrere  der 
Blätter  sind  hingegen  durch  überstarke  Verwendung  der  ailväte- 
rischen  Raupenmanier  zum  Ausdruck  der  Gebirge  arg  Terhäfsliclit. 
Die  Länderumrisse  sind  mehrfach  bis  zur  Unnatur  plump  verein- 
facht An  Eintragung  von  Orts-  und  Flufsangaben  ist  im  Über- 
mafs  gespart  Auf  der  Karte  von  Alt- Griechenland  vermifst  man 
sogar  den  Strymon,  auf  der  von  Alt-Italien  den  Namen  des 
Trebia.  An  Stichfehlern  wie  Euphrathes  (Karte  1),  Rämses  für 
Ramses  (3),  Numiaia  für  Numidia  (10)  fehlt  es  nicht.  Am  elen- 
desten nimmt  sich  das  Scblufskärtcben  der  deutschen  Schutz- 
gebiete aus  mit  ganz  verzeichneten  Grenzen  Deutsch-Ostafrikas, 
in  welchem  (abseits  der  phantasievollen  Nordgrenze)  ein  Kili- 
mandscbano  aufragt. 

Halle  a.  S.  A.  Kirchhoff. 


N.  Martos,  Leitfaden  für  den  fJnterricht  in  der  Raumlehre. 
Erster  Teil:  Ebene  Figuren.  Zweiter  Teil:  Dreiecksreehnang  und 
Korperlehre.  Bielefeld  ond  Leipzig  1893,  Velbagen  und  Klasing.  96, 
138  S.  Mit  128,  138  eingedruckten  Figuren.  1,20  bezw.  1,80  M, 
geb.  1,50  bezw.  2,10  M. 

Durch  die  neuen  Lehrpläne,  welche  eine  andere  Verteilung 
ond  zugleich  eine  Zusammendrängung  des  Stoffes  nötig  machen, 
bat  sich  der  Verf.  veranlafst  gesehen,  seine  im  Jahre  1891  und 
1892  erschienene  Raumlehre  zu  einem  Leitfaden  zusammenzu- 
ziebeD.  Da  wir  jenes  gröfsere  Werk,  wie  es  der  methodische  und 
wissenschaftliche  Wert  desselben  mit  sich  brachte,  ausführlich  in 
dieser  Zeitschrift  (Bd.  XLVi  S.  194 ff.)  besprochen  haben,  so  wer- 
den wir  ans  hier  kurz  fassen  können.  Der  Leitfaden  giebt  den 
Dötigen  Lehrstoff  genau  in  derselben  .Weise  wie  die  Raumlehre; 
80  kommen  alle  von  uns  an  dieser  gerühmten  Vorzüge  auch  dem 
Leitfaden  zu.  In  dem  ersten  Teile  sind  nur  die  den  ersten  Ab- 
ichnitten  beigefügten  Übungsaufgaben  weggelassen,  in  den  spä- 
teren verkürzt;  sonst  enthält  es  fast  denselben  Stoff;  das  Tan- 
gentenviereck fehlt,  welches  wir  doch  ungern  vermissen;  das 
regelmäfsige  Vieleck  ist  erst  kurz  beim  Kreise  behandelt.  Dagegen 
siod  die  Anleitungen  zu  den  verschiedenen  Methoden  der  Lösung 
TOD  Konstruktionsaufgaben  in  gleicher  Klarheit  und  Ausführlich- 
keit gegeben  und  an  Beispielen  erläutert.  —  Stärker  mufste  die 
Kürzung  in  dem  recht  umfangreichen  zweiten  Teile  werden. 
W^gefaUen  sind  die  sich  mit  der  perspektivischen  Zeichnung  be- 
schäftigenden Abschnitte,  ferner  der  Anhang  über  die  Reihen  für 
Sinus  und  Cosinus.    Mehrere  Sätze  über  die  Ecke,  z.  B.  über  die 


414    H-  Martas,  (Jnterriclit  i.  d.  Raumlelire,  anpez.  v.  W.  Erlei*. 

Polarecke,  über  die  Summe  der  Seiten  und  Winkel  einer  Ecke 
bringt  der  Verf.  erst  bei  der  Kugel,  die  Kongruenzsätze  der  drei- 
seitigen Ecke  sind  ganz  weggeblieben.  Es  ist  dem  Verf.  offenbar 
darum  zu  tbun  gewesen,  möglichst  bald  zur  Berechnung  der 
Körper  zu  kommen,  und  doch  hat  er  es  nicht  über  sich  ge- 
winnen können,  die  so  lehrreichen  und  bildenden  einleitenden 
Abschnitte  der  Stereometrie  in  unzulässiger  Weise  zu  beschränken, 
wodurch  die  Betrachtung  und  Berechnung  der  Körper  den  sonst 
dem  mathematischen  Unterricht  eigenen  Charakter  der  Gründlich- 
keit verlieren  mufs  und  mehr  oder  weniger  handwerksmäfsig  wird. 
Wir  begreifen  den  Verf.  sehr  wohl  und  teilen  seinen  Unwillen 
über  die  durch  den  neuen  Lehrplan  dem  Unterrichte  in  II  ge- 
stellte Aufgabe,  müssen  aber  bemerken,  dafs  der  Leitfaden  sich 
auch  in  anderer  Beziehung  dem  neuen  Lehrplane  nicht  anpafst. 
Er  hat  eben  die  bewährte  alte  Verteilung  und  Anordnung  des 
Stofles  beibehalten.  Die  Trigonometrie,  welche  nach  den  neuen 
Bestimmungen  in  drei  Teile  für  drei  verschiedene  Gymnasial- 
klassen zerrissen  werden  soll,  wird  von  ihm  in  schönem,  wohl- 
geordnetem Zusammenhange  nach  der  früheren  Weise  behandelt. 
Die  Formel  für  Sin  {a-^-ß)  und  ihre  zahlreichen  Folgerungen  (das 
ist  doch  wohl  das  im  Lehrplane  bezeichnete  Additionstheorem), 
welches  erst  in  der  Gymnasialprima  gelehrt  werden  soll,  nachdem 
die  fundamentalen  Dreiecksaufgaben  ohne  dasselbe  gelöst  worden 
sind,  findet  sich  an  seiner  alten  Stelle  bereits  in  §  3.  In  der 
Stereometrie  ist  in  den  nach  der  Angabe  des  Verf.s  für  IIb  be- 
stimmten §  1 — 5  nur  die  Berechnung  der  ebenflächigen  Körper 
enthalten,  während  der  Lehrplan  nach  seinem  Standpunkte  unter 
den  einfachen  Körpern  jedenfalls  auch  die  geraden  krummflächigen 
Körper  und  die  Kugel  verstanden  wissen  will.  Sieht  man  aber 
davon  ab,  so  ist  der  Stoff  noch  immer  sehr  reichhaltig.  Nur  die 
Kugelschicht  fehlt,  wohl  mit  Unrecht  Dagegen  sind  die  Wechsel- 
schnitte  im  Cylinder  und  Kegel  nachgewiesen,  die  ellipüschen 
Schnitte  nebst  der  Gleichung  der  Ellipse  abgeleitet.  Ferner  sind, 
worauf  der  Verf.  mit  Recht  besonderes  Gewicht  legt,  die  Methoden 
zur  Bestimmung  der  Grenzwerte  (Maxima  und  Minima)  angegeben 
und  trefflich  erläutert.  Die  Grundformeln  der  sphärischen  Tri- 
gonometrie sind,  soweit  sie  zur  Lösung  der  Fundamentalaufgaben 
dienen,  abgeleitet.  Von  den  drei  Kegelschnitten  handeln  nur  die 
drei  letzten  Seiten,  auf  denen  drei  grofse,  deutlich  gezeichnete 
Figuren  einen  bedeutenden  Platz  einnehmen. 

Sollen  wir  nun  unser  Urteil  zusammenfassen,  so  verdient  der 
Leitfaden  als  methodische  und  wissenscliaftliche  Arbeit  unbe- 
dingtes Lob  in  gleichem  Mafse  wie  die  Raumlehre  des  Verf.s;  der 
zweite  Teil  schliefst  sich  dagegen  den  Anforderungen  des  neuen 
Lehrplans  nicht  genügend  an,  um  für  den  jetzt  so  schwierigen 
Unterricht  in  IIb  als  Leitfaden  dienen  zu  können.  Wo  aber  die 
Behörde   bewährten  Lehrern  gegenüber   freiere  Hand   läfst   und 


A.  Höfler  und  E.  MaUs,  Natnriehre,  aopez.  v.  R.  Sehiel.     415 

nicht  voll  und  ganz  auf  dem  Schein  des  Lehrplans  besteht,  oder 
wenn  der  letztere,  wie  ja  so  manche  neue  Verfügung  nachträglich 
Biodifiziert  worden    ist,    früher  oder  später  eine  wünschenswerte 
Änderung     erfährt,    dann  wird  der  Leitfaden  gewifs  ein  sicherer 
Fuhrer  für  den  Lehrer  sein,  den  Schülern  den  vollen  Bildungs- 
werl  der  Mathematik  zu  gewähren,    deren  wesentliche  Eigentüm- 
lichkeit es  ist,  dafs  sie  auf  festen,  unerschütterlichen  Grundlagen 
raht  and  als    solche  auch  dem  Schüler  überSill  entgegentritt  und 
ihn  zur  Gründlichkeit  anhält.     Wie    sehr  sie  daneben  im  Leben 
Terwertbar  ist,  das  zeigt  der  Verf.  in  der  reichen  Fülle  schöner, 
auch  in  den  Leitfaden  aufgenommener  praktischer  Aufgaben,   auf 
welche  wir    ausführlich  in  unserer  früheren  Anzeige  hingewiesen 
baben. 

ZuUichau.  W.  Erler. 


A.  Bofler  and  B.  Maiss,  Natarlehre  für  die  aotereo  Klassen  der 
Mittelsehuleo.  Mit  290  Holzschoitteo,  3  farbigen  Figuren,  einer  litho- 
graphierten Sterotafel  und  einem  Aohaoge  von  140  Denkaufgaben. 
Wien  1893,  Gerolds  Sohn.     182  S.  8.  2,60  M. 

Am  24.  Hai  1892  ist  eine  Ministerialverordnung  in  Öster- 
reich erlassen  worden,  nach  welcher  u.  a.  der  Lehrplan  und  die 
Instruktion  für  den  Unterricht  in  der  Physik  am  Untergymnasium 
abgeändert  werden.  Der  physikalische  Lehrstoff  erfahrt  hiernach 
eine  beträchtliche  Einschränkung  gegenüber  dem  Lehrplan  von 
1S84  derart,  dafs  die  Ausscheidung  schwieriger  Partieen  es  er- 
möglichen, den  Unterricht  dem  natürlichen  Entwickelungsgange 
des  Schülers  mehr  anzupassen  und  dadurch  einen  bleibenden 
Erfolg  zu  erzielen.  Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  ist  das  vor- 
liegende Buch  verfafst  und  es  hat  seine  Aufgabe  mit  solchem  Ge- 
schicke gelöst,  dafs  es  durch  Ministerialerlafs  zum  Gebrauche 
an  Hittelschulen  mit  deutscher  Unterrichtssprache  allgemein  zu- 
gelassen ist. 

Eine  eingehendere  Beschäftigung  mit  dem  Buche  wird  das 
Urteil  bestätigen,  dafs  der  Stoff  sorgfältig  durchgearbeitet  und 
pädagogisch  gut  verwertet  ist.  Die  Ent wickeln ng  ist  in  der 
Weise  geführt,  dafs  eine  Reihe  von  Versuchen  teils  genau  be- 
schrieben, teils  angedeutet,  die  Resultate  zur  Aufstellung  der  Ge- 
setze benutzt  und  aus  diesen  die  nächstliegenden  Polgerungen 
gezogen  werden. 

Die  Unterrichtsmittel  sollen  möglichst  einfacher  Art  sein. 
Deshalb  werden  z.  B.  die  Fallgesetze  an  einer  einfachen  Fallrinne 
aus  sorgfältig  geordneten  Versuchen  gewonnen  und  der  freie  Fall 
als  Grenzfall  abstrahiert.  Dafs  diese  Behandlung  des  Gegenstandes 
allgemeine  Anerkennung  finden  wird,  möchte  ich  bezweifeln, 
wiewohl  der  eingeschlagene  Weg  das  historische  Moment  für 
sich  liat 


4t6     A.  Höfler  und  E.  Maiss,  Natnrlehre,  anpez.  v.  R.  Schiel. 

Die  Experimente  sind  alle  mit  den  einfachsten  Mitteln 
ausführbar:  haben  sich  doch  die  Verfasser  besondere  Mühe  ge- 
geben, eine  sehr  grofse  Zahl  von  Versuchen  zusammenzustellen, 
die  der  Schüler  seihst  auszuführen  hat.  Hierdurch  werden  die 
Knaben  zur  Selbstlhätigkeit  angeregt  und  geleitet  und  so  metho- 
disch zu  möglichster  Klarheit  der  Grundbegriffe  geführt.  Ob  eine 
solche  Klarheit  auch  wirklich  erreicht  ist,  wird  unter  anderem 
durch  die  Lösung  der  Denkaufgaben  nachgewiesen  werden,  welche 
dem  Buche  als  Anhang  beigegeben  sind,  und  auf  die  durch  Rand- 
zahlen an  geeigneter  Stelle  hingewiesen  wird.  Wo  Mifsyersländ- 
nisse  entstehen  können  und  erfahrungsmafsig  auch  sich  einstellen, 
wird  durch  zweckmäfsige  Bemerkungen  ihrem  Eintreten  vorge- 
beugt Nehmen  wir  noch  hinzu,  dafs  Anwendungen  der  Gesetze, 
soweit  sie  sich  in  Erfahrungen  des  ISglichen  Lebens  erkennen 
lassen,  in  grofser  Reichhaltigkeit  zusammengetragen  sind  und  zu 
einfachsten  Rechenaufgaben  Anlafs  geben,  so  werden  wir  die 
grofse  Mühe  anerkennen  müssen,  die  die  Verfasser  angewendet 
haben ,  um  dem  Anfangsunterrichte  in  der  Physik  einen  bleiben- 
den Erfolg  zu  sichern.  Entsprechend  dem  jugendlichen  Alter  der 
Schüler,  welche  in  die  Physik  eingeführt  werden  sollen,  und  an 
deren  mathematische  Vorbildung  nur  geringe  Anforderungen  ge- 
stellt werden  können,  ist  eine  mathematische  Begründung  und 
Verknüpfung  der  Gesetze  unterlassen. 

Die  Etymologie  der  vorkommenden  Fremdwörter,  sowie 
auch  historische  Angaben  fehlen  leider  fast  ganz. 

Mit  Ausnahme  der  „astronomischen  Geographie  und  der  Er- 
scheinungen am  gestirnten  Himmel'*  ist  das  vorliegende  Buch 
nach  Umfang  und  Behandlung  des  Stoffes  durchaus  für  den  Un- 
terricht im  vorbereitenden  Kursus  der  Physik  an  unseren  Gym- 
nasien geeignet  und  wird  vielen  Lehrern  ein  willkommenes  Hilts- 
mittel  sein. 

Die  Ausstattung  des  Buches  entspricht  nach  jeder  Richtung 
allen  Anforderungen. 

Berlin.  R.  Schiel. 


ERSTE  ABTEILUNG. 


ABHANDLUNGEN. 


Noch  einmal  der  neue  Lehrplan  für  den  evangelischen 

BeligionBunterricht. 

Während  früher  der  Religionslehrer,  welchem  bei  Aufslellung 
des  Stundenplanes  der  Unterricht  in  dieser  oder  jener  Klasse  zu- 
nächst nur  auf  ein  Jahr  übertragen  wird,  nach  einem  PJane 
unterrichten  mufste,  der  lediglich  für  seine  Schule  von  Theologen 
oder  Nichttheologen  ausgearbeitet,  alljährlich  erheblichen,  von  ihm 
selbst  gebilligten  oder  gemilsbilligten  Abänderungen  ausgesetzt 
war;  während  früher  eine  solche  Mannigfaltigkeit  herrschte,  dafa 
bei  den  die  Anstalt  wechselnden  Schülern  nie  die  Aneignung 
übereinstimmender  Lehraufgaben  vorausgesetzt  werden  konnte,  so 
ist  nun  endlich  durch  einen  verbindlichen  Lehrplan  zu  einer 
allgemeingültigett  Verteilung  des  LehrstolTs  auf  die  einzelnen 
Klassen  der  Grund  gelegt  worden.  £&  ist  zu  bedauern,  dafs  der 
Fortschritt  im  Unterrichtsbetriebe,  der  doch  schon  im  bloisen 
Streben  nach  Obereinstimmung  liegt,  im  allgemeinen  nicht  freu- 
diger begrüfst  worden  ist.  In  den  Zeitschriften,  namentlich  den 
Berichten  über  Versammlungen,  liest  man  meist  nur  wenig  von 
Zustimmung  und  Würdigung,  dagegen  werden  über  die  Halsen  viel 
Ausstellungen  gemacht  und  Abweichungen  vorgeschlagen.  Sehr 
riditig  bemerkt  Windel,  es  scheine  sich  hier  in  der  Aufstellung 
von  Gegenvorschlägen  der  deutsche  Individualismus  etwas  zu  sehr 
geltend  zu  machen^). 

Es  kann  ja  freilich  auch  kein  Werk  gleich  bei  seiner  Schöpfung 
nach  allen  Seiten  hin  vollkommen  sein.  Dafs  unsere  oberste  Be- 
hörde auf  die  Mitwirkung  der  Lebrerwelt  Wert  legt,  hat  schon 
der  Umstand  bewiesen,  dafs  die  neuen  Lehrpläne  den  Lehrkörpern 
mit  der  Bemerkung,  die  zugefertiglen  Lehraufgaben  Rollten  nur 
als  Anhaltpunkte  für  die  Beratung  dienen  und  Abweichungen  im 
einzelnen  seien  somit  nicht  ausgeschlossen,  schon  lange  vor  ihrer 
Veröffentlichung   zugesandt  worden  sind.     Und    dafs   auch   nach 

1)  Lelirpr.  n.  Lehrg.  1893  S.  69. 
ZtkmAx.  t  d.  07nuiMUlww«n.  XLVIIL  7.  8.  27 


418     Noch  einmal  d.  oeae  Lehrpl.  f.  d.  evang.  Religionaaoterr.y 

derselben  im  MiDisterium  eine  Modifikation  in  Bezug  auf  unter- 
geordnete Punkte  noch  vorbehalten  wird,  darauf  durfte  die  in 
jenem  bekannten  Erlasse  ausgesprochene  Weisung  hindeuten, 
Abanderungswünsche  zunächst  bei  dem  betreffenden  Provinzial- 
Schulkolleginra  zur  Sprache  zu  bringen^). 

Weil  ich  demgemäfs  die  Hoffnung  aufrechterhalten  zu  dürfen 
glaube,  dals  AbänderungSYorschläge,  je  ma fsvoller  sie  sind, 
desto  mehr  Aussicht  auf  Genehmigung  haben,  will  ich  versuchen, 
eine  möglichst  allgemeine  Einigung  über  diesen  Gegenstand  anzu- 
bahnen. Ich  stelle  mir  die  Aufgabe,  mit  den  ernsten  Bedenken, 
die  von  der  ganzen  betreffenden  Lehrerwelt  oder  ihrer  Mehrzahl 
geteilt  werden,  beginnend  die  wichtigsten  der  mir  bekannt  ge- 
wordenen Abänderungsvorschlüge  auf  ihre  Notwendigkeit  hin  zu 
prüfen.  Weil  ich  nur  dahin  wirken  will,  dafs  anderen  vor  mir 
laut  gewordenen  Stimmen  Beachtung  geschenkt  oder  versagt 
werde,  so  wolle  mir  der  geneigte  Leser  gestatten,  so  oft  es  an- 
geht, die  Herren,  welche  Abänderungen  wilnschen,  selbst  ihre 
Ansichten  vortragen  zu  lassen. 


Wiewohl  POgner  nicht  sowohl  die  Mängel  und  Vorzöge  der 
neuen  Lehrpläne  erörtern,  als  vielmehr  sich  mit  ihnen  abfinden 
und  in  sie  einleben  will,  kann  er  doch  die  Bemerkung  nicht 
unterdrücken,  die  nach  IV  gelegte  Erlernung  des  4.  und  5.  Uaupt- 
stückes  belaste  die  Klasse  stark.  Jedenfalls  sei  ihre  vorzeitige 
Einprägung  durch  die  Rucksicht  auf  die  Konfirmanden  verlangt*). 

Dagegen  geht  Zange  einen  Schritt  weiter  und  sagt:  ,,Da8  in 
IV  geforderte  einfache  Auswendiglernen  des  4.  und  5.  Hauptstuekes 
scheint  noch  eine  Reminiscenz  aus  jener  Unterrichtsweise  zu  sein, 
nach  der  man  den  Katechismus  für  sich  behandelte,  sich  zunächst 
mit  der  notwendigsten  Worterklärung  begnügte  und  nur  dafür 
sorgte,  dafs  einstweilen  der  Wortlaut  sich  fest  einprägte,  in  der 
Hoffnung,  dafs  das  Verständnis  später  nachkommen  werde.  Diese 
Unterrichtsweise,  deren  Resultat  ist,  dafs  der  GedächtnisstoiT  fest, 
aber  nicht  zugleich  locker  sitzt . . . ,  dafs  er  auswendig,  aber  nicht 
inwendig  gelernt  ist,  und  dafs  die  Jugend  nicht  für  die  Religion 
erwärmt  sondern  stumpf,  gemacht  wird,  darf  heute  als  überwunden 
gelten  und  ist  auch  offenbar  nicht  diejenige,  welche  die 
neuen  Lehrpläne  im  Auge  haben.  Hier  ist  Veratändigung 
notwendig  und  kein  Zögern  am  Platze"*).  —  „Auch  die  Ruck- 
sicht auf  den  Konfirmandenunterricht  nötigt  nicht  zu  solcher  Eile. 
Denn  dafs  ein  Quartaner  schon  konfirmiert  werde,  ist  eine  Aus- 


^)  Vgl.  Rethwisch,  Jahresberichte  über  das  höhere  Schnlwesen  VI  (1891) 
ErgänzDDgsheft  S.  10. 

^)  ZeiUchr.  f.  d.  evaagel.  ReligioDsooterricht  von  Ftath  ood  RSster 
m  S.  216. 

•)  Zeitschr.  fdr  Gymoasialw.  1892  S.  602. 


von  If.  Stier.  4|() 

nähme.  Man  wird  nm  seinetwillen  die  Ausnahme  nicht  zur  Regel 
machen  und  allen  seinen  Kameraden  auflegen,  was  für  ihn  ein 
notwendiges  Übe]  ist"^.  Diese  Worte  sind  mir  so  aus  der  Seele 
gesprochen,  dafs  ich  nichts  hinzuzufügen  habe. 

Zur  Entlastung  der  IV,  auf  deren  Notwendigkeit  scl)on  Decke 
in  Breslau  hingewiesen  hatte'),  will  Schnitze  die  beiden  letzten 
Hauptstücke  nach  Ulli  hinaufgeschoben  sehen  ^).  Diesem  Vor* 
schlage  kann  ich  nicht  zustimmen.  Wie  ich  an  dem  Grundsatze 
festballe,  dafs  aus  der  jetzt  vorliegenden  Fassung  der  Lehrpläne 
nur  solche  Lehraufgaben  gestrichen  werden  können,  welche  ihrem 
Geiste  widersprechen,  so  dürfen  auch  nur  solche  eingeschoben 
werden,  welche  ihrem  Geiste  entsprechen.  Soll  aber  der  Grund- 
satz durchgeführt  werden,  der  bis  dahin  für  den  stufenweise  fort- 
schreitenden Ausbau  der  Katechismuskenntnis  mafsgebend  gewesen 
ist,  so  wird,  wenn  eine  einfache  Worterklärung  des  a|>ostolischen 
Glaubensbekenntnisses  und  des  Vaterunsers  der  Auslegung  und 
Einprägung  des  ganzen  2.  und  3.  Hauptslückes  in  einer  früheren 
Klasse  vorangegangen  ist^),  folgerecht  auch  die  Erlernung  der 
Einsetzungsworte  von  der  Auslegung  und  Einprägung  des  ganzen 
4.  und  5.  Hauptstückes  getrennt  werden  müssen.  Demgemäfs 
sind  mindestens  die  —  übrigens  schon  dem  Quintaner  aus  dem 
Lesebuche  bekannten  —  Einsetzungsworle  beider  Sakramente  in 
IV  eingebend  zu  erläutern  und  zu  einem  sicheren,  durch  Wieder» 
holuog  gefestigten  Besitz  zu  machen^),  ehe  in  Ulli  durch  die  Er- 
klärung und  Einprägung  des  ganzen  4.  und  5.  Hauptstückes  die 
Katechismuskenntnis  zu  einem  Abscblufs  kommt*). 

Ebenso  wie  das  blofse  „Auswendiglernen  des  4.  und  5.  Haupt- 
stückes*' widerspricht  dem  Geiste  der  neuen  Lehrpläne  eine  vor- 
schnelle Einprägung  der  Reihenfolge  der  biblischen  Bücher.  „Nötigen 

1)  S.  608. 

«)  ZeiUchr.  f.  d.  cv.  Rü.  IV  S.  74. 

3)  Zeitschr.  f.  d.  ev.  RU.  IV  S.  ]1. 

*)  Aoch  hillsichtlich  des  1.  Hauptstiickes  kann  wohl  yoraasgesetzt  wer- 
des,  dafs  die  Gebote  schon  io  der  Vorschule  s^lo<*"t  'lo^  oo^  *!><>  >d  VI 
Bor  di«  Brkliraa^  Luthers  htazagefüe^t  wird. 

»)  So  Zaoge  S.  608. 

*)  Da  allerdioj^s  oicht  in  Abrede  gestellt  werden  kann,  dafs  die  Ein- 
setzoB^sworte  in  einem  etwas  andern  Verhältnisse  za  den  beiden  letzten 
Baaptatnekeo  stehen,  als  die  Gebote,  das  Apostolikam  nnd  das  Vaterunser 
zn  den  drei  ersten,  indem  nicht  ebenso  wie  von  den  drei  ersten  ohne  und 
mit  Lothers  Erklärangi  aach  von  den  beiden  letzten  ohne  nnd  mit  Luthers 
Erklirong  geredet  werden  kann,  aufserdem  nahe  Hegt,  die  Erläuterung  der 
Einsetzungsworte  in  IV  gleich  in  den  Text  der  ersten  und  zweiten  Frage 
schliefalieh  zusammenzufassen,  so  ist  zu  erwägen,  ob  nicht  vielleicht  in  IV 
aehou  die  beiden  ersten  Fragen  beider  Hanptstncke  einzuprägen  sind.  Es 
würde  dann  eine  an  die  Worte  Christi  angeschlossene  Belehrung  über  Wesen 
und  Wirkung  der  Sakramente  schon  der  IV  zufallen  und  nur  die  apostolische 
BelFacbtung  über  Kraft  und  Bedeutung  sowie  die  Hinweisung  auf  die  mit  den 
Sakramenten  verbundene  Verpflichtung  durch  Erlernung  der  beiden  letzten 
Prägen  für  Ulli  übrig  bleiben. 

27* 


420     Noch  einmal  d.  oeae  Lehrp).  f.  d.  evaog.  Religionianterr., 

wir  den  kleinen  Quartaner^S  sagt  Zange,  „schon  die  Namen  und 
Reihenfolge  auch  nur  aller  neutestamenüichen  Bücher  auswendig 
zu  lernen,  so  geraten  wir  wieder  in  den  didaktischen  Materialis- 
mus, den  Dörpfeld  so  trefflich  in  seiner  gleichnamigen  Schrift 
gegeifselt  hat,  in  die  Überbördung  mit  totem  Gedachtnisstoff,  gegen 
welchen  die  neuen  Lehrpläne  so  energisch  zu  Felde  ziehen.  Nehmen 
wir  uns  doch  Zeit!'*^) 

Aber  mit  einer  bloCseu  Weiterschiebung  auf  die  nächstfolgende 
Klasse,  wie  sie  der  von  Kamp  entworfene,  in  Leimbachs  Leit- 
faden') abgedruckte  Entwurf  vorschlägt,  dürfen  wir  uns  auch  hier 
nicht  begnügen.  Erst  wenn  die  Schuler  mit  dem  Inhalte  der 
Bücher  und  ihrem  Zusammenhange  bekannt  geworden  sind,  darf 
von  ihnen  verlangt  werden,  dafs  sie  sich  auch  die  Reihenfolge 
ihrer  Oberschriften  merken.  Ganz  vortrefflich  sagt  Zange:  „Wir 
geben  den  Schülern  zunächst  nur  das  N.  T.  mit  Psalmen  in  die 
Hände,  und  lassen  sie  zunächst  in  diesem,  leichter  übersehbaren 
und  notwendigeren  Teile  der  heiligen  Schrift  heimisch  werden.  Und 
auch  dies  kann  nur  allmählich  geschehen,  so,  dafs  die  Kenntnis 
der  Schriften  Schritt  hält  mit  dem  Wachstum  der  geschichtlichen 
Kenntnisse  von  den  Thatsachen,  welche  die  Voraussetzung  der 
Schriften  bilden.  .  .  .  Wir  begnügen  uns  also  grundsätzlich  damit, 
in  IV  die  Schüler  mit  den  Evangelien,  der  Apostelgeschichte  und 
den  Briefen  bezw.  Schriften  der  Urapostel  Petrus  und  Johannes 
sowie  des  Jakobus  und  Judas  bekannt  zu  machen.  Mit  den  Namen 
der  paulinischen  Briefe  plagen  wir  die  Schüler  noch  nicht.  Diese 
prägen  sich  in  111  . .  an  der  Hand  des  Lebens  Pauli  von  selber 
ein.  .  .  Da  ist  auch  der  Platz  für  eine  Einführung  in  die  alttesta- 
mentlichen  Bucher  und  für  die  Einprägung  ihrer  Reihenfolge. 
Denn  nichts  widerspricht  so  sehr  einer  gesunden  Pädagogik  und, 
Gott  sei  Dank,  dem  Geist  unsrer  neuen  preufsischen 
Lehrpläne,  als  die  Kinder  auf  einmal  mit  einer  Menge  Stoff  zu 
überschütten,  der  ihnen  innerlich  fremd  bleibt,  notwendig  fremd 
bleiben  muTs,  wenn  er  auch  noch  aus  blofsen  toten  Namen  be- 
steht'* »). 

Dieses  Verfahren  eines  langsam  fortschreitenden  Ausbaus  ist 
allerdings  mit  dem  Obelstande  verbunden,  dafs  die  Schüler  erst 
spät  Sprüche  in  allen  Teilen  der  Schrift  aufschlagen  lernen  und 
also  die  Sprüche  aus  einem  Hilfsbuche  lernen  müssen.  Dafs  sie 
aber  die  Namen  mit  bestimmten  geschichtlichen  Erinnerungen 
und  sympathetischen  Empfindungen  sich  einprägen  und  liebgewinnen 
—  „ohne  dies  ist's  eine  Klapper,  die  man  schnurren  läfst*'  — ,  ist 
wichtiger  als  alle  Zweckmäfsigkeilsrücksichten.  Wenn  ich  an  die 
Qual  und  Angst  des  sechsjährigen  Knaben    zurückdenke,   der  die 


1)  S.  607. 

•)  S.  VI. 

^)  Leitfaden  für  den  evangeliachen  ReligioBaaaterricbt,  Heft  2  S.  26  f. 


von  M.  Stier.  421 

schweren  Namen  der  Propheten,  Apokryphen,  Episteln  zu  Hause 
seinem  Gedächtnisse  fest  einprägen  mafste,  um  sie  am  folgenden 
Tage  ohne  Anstofs  aufsagen  zu  können,  so  erscheint  es  mir  noch 
beute  als  eine  Gewissenspflicbt,  zu  verhilten,  dafs  durch  ein  ähn- 
liches Verfahren  den  Schülern  von  vornherein  die  heilige  Schrift 
verleidet  wird.  Wie  viel  mag  zu  dem  Widerwillen  vieler  Ge- 
bildeten gegen  die  positive  Religion  die  unleugbare  Thatsache 
beigetragen  haben,  dafs  sie  den  unverstandenen  Katechismus 
auswendig  zu  lernen  durch  Furcht  vor  Strafe  gezwungen  wor- 
den sind? 

Was  nun  die  Verteilung  des  BibellesestolTs  anbetrifft,  so  sind 
alle  zu  meiner  Kenntnis  gekommenen  Gutachten  darüber  einig, 
dafs  Uiob  mehr  nach  II  als  nach  III  und  die  Apostelgeschichte 
mehr  nach  III  als  nach  II  gehöre. 

Gegen  die  Behandlung  des  Buches  Hiob  in  Ulli  hat  schon 
Genest  in  Halle  groCse  Bedenken  geäufsert^).  Auch  die  Breslauer 
Versammlung  fand  dasselbe  für  diese  Klasse  wenig  geeignet').! 
„Das  schwierige  Buch**,  sagt  Fügner,  „pafst  nicht  in  die  U III,  wo 
viel  näher  liegender  und  passenderer  Stoff  zu  bewältigen  ist**'). 
Dazn  kommt  noch,  dafs  es  bei  einer  zusammenhängenden  Dar- 
stellung des  Reiches  Gottes  im  A.  T.,  weil  sich  dasselbe  um  der 
Unaicberheit  seiner  Abfassungszeit  willen  in  das  Ganze  der  Heils- 
geschiebte  ohne  eine  gewisse  Willkür  nicht  einfügen  läfst,  min- 
destens entbehrlich  ist.  So  sehr  ich  aber  auch  einerseits  aus 
diesem  Grunde  Fügner,  WindeP)  und  Leimbach'),  welche  Hiob 
von  UIU  nach  ÜU  verlegen,  beistimme,  so  mufs  doch  ander- 
seits auch  zugegeben  werden,  dafs  eine  Notwendigkeit  nicht  vor- 
liegt, die  Streichung  der  Worte  „Stellen  aus  Hiob**  aus  der  für 
um  vorgeschriebenen  Aufgabe  zu  beantragen.  Denn  wenn  die 
Schüler  zunächst  (in  V  und  IV)  die  Thaten,  und  später  erst  (in 
Olli  die  Bergpredigt  und  die  Gleichnisse,  also)  die  Reden  Jesu 
kennen  lernen,  wenn  wir  sie  zunächst  in  die  Geschichte  der 
Israeliten  und  erst  auf  einer  späteren  Stufe  in  ihre'  Schriften 
einführen,  warum  sollten  wir  da  nicht  in  entsprechender  Weise 
die  Untertertianer  schon  mit  der  Sage  von  Hiob  bekannt  machen, 
um  sie  dann  in  Uli  durch  Lesung  der  schwierigen  Reden  zu 
einer  tieferen  Auffassung  des  Grundgedankens  zu  führen?^) 
Fügner  meint  zwar,  von  Hiob,  der  sonst  wohl  nach  Uli  gehöre, 
hier  viel  zu  lesen,  werde  kaum  angehen^).  Aber  warum  soll 
nicht  das  für  diese  Klasse  angeordnete  „Bibellesen  behufs  Ergän- 


1)  Zeitsclir.  f.  d.  ev.  RU.  ITI  S.  354. 

*)  IV  S.  72. 

*)  m  S.  218. 

*)  S.  79. 

»)  S.  VI. 

•)  Äholieh  Zange,  Leitf.  3.  Heft  S.  26  A.  3. 

*)  Zeitochr.  f.  d.  ev.  RV.  111  S.  221. 


422     Noch  eiomal  d.  neue  Lebrpl.  f.  d.  evaog.  Aeligpioosnoterr., 

zuDg  der  in  Ulli  und  OIH  gelesenen  Abschnitte'*  auch  für  Hieb 
hinreichenden  Raum  gewähren? 

Noch  mehr  als  die  Einfügung  des  Hiob  in  die  Lehraufgabe 
der  um  hat  der  Umstand  befremdet,  dafs  die  in  Olli  übliche 
Erklärung  der  ganzen  Apostelgeschichte  im  neuen  Lehrplane  erst 
in  011  gefunden  wurde. 

Die  vielbesprochene  Schwierigkeit  beruht   auf  einem  Wider- 
streite  Ton  zwei  richtigen  Grundsätzen.     Die  Durchführung   des 
Grundsatzes,  dafs  in  den  mittleren  Klassen  ausgewählte  Abschnitte, 
in  den  oberen  ganze  Bucher  zu  lesen  seien,  forderte  gebieterisch, 
wenn  die  Erklärung  eines  ganzen  Evangeliums  nach  UH  und  die 
ErkMrung  ganzer  Briefe  nach  I  verlegt  wurde,   die  den  Übergang 
vermittelnde  Erklärung   der  ganzen  Apostelgeschichte   der  OII  zu 
überweisen.     Wenn  aber  ein  anderer  noch  wichtigerer  Grundsatz 
verlangt,   dafs    die  Schüler   erst   mit   den  Thaten   und  auf  einer 
späteren  Stufe  mit  den  Reden  Jesu  und  der  Apostel  bekannt  ge- 
macht werden,  so  folgt  daraus,  dafs  die  Thaten  der  Apostel  un- 
verkürzt nach  Olli  in  die  Darstellung  des  Reiches  Gottes  im  N.T. 
gehören    und   nur  ihre  Reden  der  011  vorzubehalten  sind.     Nun 
aber  bilden  die  Thaten  der  Apostel  den  weitaus  gröfsten  Teil  der 
Apostelgeschichte.   Dafs  diese  einfachen  geschichtlichen  Thatsachen, 
besonders    die   ausführlichen  Tagebuchberichte  des  letzten  Teiles 
als  solche  kein  der  011  würdiger  Gegenstand  sind^),  wird  niemand 
in  Abrede   stellen.    Es   ist   also  nicht  viel  dagegen  einzuwenden, 
wenn   Leimbachs  Entwurf   die  Apostelgeschichte  „mit  Auslassung 
schwieriger  Abschnitte,    insbesondere  der  Reden*'  nach  IV,   noch 
besser  Heidrich   die  ganze  Apostelgeschichte   nach  Olli  verlegt*). 
Denn    „was   ist   die  Geschichte  des  Reiches  Gottes  im  N.  T.  viel 
anders,  als  was  die  Apostelgeschichte  überliefert?''^)  —  „Die  Ge- 
schichte Pauli  und  der  Urgemeinde  gehört  auch  dazu.   Also  haben 
die  nicht  recht,   welche  behaupten,    nach  dem  neuen  Lehrplane 
solle  die  Apostelgeschichte  auf  den  unteren  und  mittleren  Stufen 
gar  nicht  behandelt  und  in  Uli  ein  erster  Abschlufs  ohne  sie  er- 
reicht werden"^).  —  Der  OII  sind  vornehmlich  die  schweren  Reden 
vorzubehalten.   „Aber  sonst  ist  die  Apostelgeschichte  zum  erstenmal 
in  Olli  zu  behandeln*").     Ob  der  durch  Hinzufugung  der  Reden 
vervollständigte  Inhalt  derselben  in  OH  durch  nochmaliges  rasches 
Lesen  in  der  Klasse  oder  zu  Hause  oder  nur  nach  einem  Lehrbuche 
zu  wiederholen  ist,  bleibt  weiterer  Erwägung  vorbehalten.    Jeden- 
falls ist  sie  in  der  Weise  als  ein  Ganzes  zu  betrachten,  dafs  Grund- 
gedanke und  Gliederung  aufgesucht  werden.  Aufserdem  dient  sie,  wie 
die   methodischen  Bemerkungen  ausdrücklich  bestimmen,    als  — 
„eine  quellenhafte"  ^)  —  Einleitung  in  die  Geschichte  der  Kirche. 


1)  Zange  S.  610. 
s)  LehrpUn  S.  6. 
»)  Windel  S.  79. 


voo  M.  Stier.  423 

So  wenig  es  hinsichtlich  der  Apostelgeschichte  eines  Antrages 
überhaupt  bedurfte^),  so  dankenswert  ist  die  von  den  sächsischen 
und  rheinischen  Religionslehrern  an  den  Herrn  Minister  gerichtete 
Bitte,  einen  grofsen  Teil  der  Kirchengeschichte  schon  in  011  be- 
handeln zu  dürfen  *).  Da  diese  Eingabe  in  Übereinstimmung  mit 
dem  in  Halle  gefafsten  Beschlüsse  um  eine  Gesamtfrist  in  OH 
und  U I  von  einem  Jahre  för  die  Behandlung  der  Kirchengeschichte 
bat,  so  rooTste  der  Minister  zwar  darauf  hinweisen,  dafs  mit 
Röcksicht  auf  die  sonstigen  Aufgaben  des  Religionsunterrichts  auf 
die  eigentliche  Kirchengeschichte  in  1  ein  volles  Jahr  nicht  ver- 
wandt werden  könne,  hat  aber  gestattet,  bereits  in  011,  soweit 
die  Zeit  reiche,  das  Wichtigste  aus  der  ältesten  Geschichte  der 
christlichen  Kirche  etwa  bis  zu  Gregor  dem  Grofsen  anzuschliefsen. 
Auf  Grund  dieser  VerfQgung  stellt  Witte*)  die  Möglichkeit  fest,  da 
das  apostolische  Zeitalter  mit  den  Paulinen  nicht  mehr  als  ein 
Halbjahr  in  Anspruch  nehmen  werde,  für  die  Kirchengeschichte 
in  OH  nnd  Dl  zusammen  doch  ungefähr  ein  ganzes  Jahr  zu  er- 
übrigen. Ersteres  gebe  ich  gern  zu.  Wenn  aber  nicht  wieder  — 
wovor  die  Verfügung  mit  gutem  Grunde  warnt  —  „durch  die  Be* 
handlong  unfruchtbarer  Gebiete  der  Kirchengeschichte  die  für  die 
wahren  Aufgaben  des  Religionsunterrichts  unentbehrliche  Zeit  und 
Kraft  verkümmert'*^)  werden  soll,  so  empfiehlt  es  sich  nicht,  auf 
die  Kirchengeschichte  bis  600  mehr  als  das  letzte  Vierteljahr  zu 
verwenden.  Wir  werden  also  das  dritte  Vierteljahr  lieber  noch 
zu  einer  eingehenden  Behandlung  der  Briefe  benutzen  und  auf 
die  Kirchengeschichte  im  ganzen  nur  ein  Vierteljahr  in  ÖH  und 
dn  Halbjahr  in  I  verwenden.  Ich  habe  zur  Behandlung  des 
kirchengeschichtlichen  Abschnitts  meines  Lehrbuches  (der  mit 
ganz  geringen  Zusätzen  und  erheblichen  Streichungen  den  Forde- 
rungen des  neuen  Lehrplans  entspricht)  nie  mehr  als  drei  Viertel- 
jahre gebraucht.  Dabei  ist  freilich  vorausgesetzt,  dafs  das  Augs- 
burger Bekenntnis  in  Oj  behandelt  wird.  Dies  fuhrt  uns  auf  die 
nächste  Frage. 

Die  oben  genannte  Eingabe  hatte  um  die  Erlaubnis  gebeten, 
die  Glaubens-  und  Sittenlehre  neben  der  vorgeschriebenen  An- 
knüpfung an  die  Art.  1 — 16.  18.  20  des  Augsburger  Bekenntnisses 
auch  an  andere  Grundlagen,  z.  B.  unmittelbar  ans  N.  T.  anschliefsen 
oder  freier  und  selbständiger  gestalten  zu  dürfen,  und  dabei  auf 
rheinische  Versammlungen  sich  berufen,  wo  die  weit  überwiegen- 
den Mehrheiten  und  auch  die  Vertreter  der  Kirchenbehörde  sich 
gegen  blofse  Anknüpfung  und  für  eine  irgendwie  einheitliche, 
nicht  streng  systematische,  aber  systemartige  Zusammenfassung 
unter  einen  leitenden  Gesichtspunkt,  für  ein  schliefsliches  Heraus- 

1)  Vgl.  ZeiUchr.  f.  d.  ev.  RU.  in  S.  255. 
•)  Vgl.  IV  S.  83. 


^  Rethwiich  VI,  Erganzoogshoft  S.  11. 
*)  t.  «.  0.  8,  9. 


424     Noch  eiomal  d.  neue  Lehrpl.  f.  d.  evaog.  ReligioDfODterr., 

wachsen   aus   dem   gesamten  Unterricht   als  dessen  naturgemäfse 
Krönung  ausgesprochen  hatten^). 

Die  Glaubenslehre  im  Anschlufs  an  das  Augsburger  Bekenntnis 
darzustellen  halt  Jonas  —  wie  er  in  der  Vorrede  zu  seinem  Lehr- 
buch sagt  —  darum  för  empfehlenswert,  weil  dies  Bekenntnis  von 
jeher  das  wichtigste  und  die  eigentliche  staatsrechtliche  Grundlage 
für  das  evangelische  Deutschland  gewesen  sei.  Doch  daraus  folgt 
nur,  dafs  der  Schüler  sie  kennen  mufs,  nicht  aber,  dafs  sie  als 
Leitfaden  für  den  Unterricht  in  der  Glaubens-  und  Sittenlehre  zu 
dienen  geeignet  ist.  Soll  etwa  ein  Primaner  von  der  Richtigkeit 
eines  Glaubenssatzes  fiberzeugt  werden  durch  die  Erwägung,  dals 
streitende  Kirchenparteien  nach  langen  Verhandlungen  über  die 
Annahme  desselben  einig  geworden  sind  und  diese  Lehre  schiiefs- 
lieh  die  staatliche  Genehmigung  ef halten  hat?  Bornemann  sagt  in 
seinem  vortrefflichen  Aufsatz:  „Das  Augsburger  Bekenntnis  ist  be- 
kanntlich nicht,  wie  etwa  die  beiden  Katechismen  Luthers  oder 
der  Heidelberger  Katechismus,  för  den  religiösen  Unterricht  oder 
überhaupt  für  pädagogische  Zwecke  bestimmt  gewesen.  Es  ist 
vielmehr  eine  durch  und  durch  juristisch- politische,  oder,  wenn 
man  will,  eine  diplomatische  Arbeit,  eine  kirchen-  und  staats- 
rechtliche Vorlage  för  den  Kaiser  und  die  Reichsstände,  eine 
Unterlage  für  politische  und  theologische  Diskussionen,  ein  Ent- 
wurf für  ein  staatliches  und  kirchliches  Gesetz*").  —  „Dafs  ein 
Werk,  welches  sich  als  die  Arbeit  vieler  Verhandlungen  und  Ent- 
wicklungen, Männer  und  Kreise,  und  wiederum,  so  zu  sagen,  als 
eine  vermehrte  und  verbesserte  Auflage  mehrerer  anderer  offizieller 
Staatsschriften  —  hier  der  Marburger,  Schwabacher  und  Torgauer 
Artikel  —  darstellt,  eine  lehrhafte,  schulmäfsige  Anordnung  und 
Darstellung  befolgen  sollte,  ist  von  vornherein  nicht  anzunehmen, 
und  um  so  weniger,  als  die  Confessio  Augustana,  soweit  sie  es 
überhaupt  sein  kann,  eine  entgegenkommende  KompromiDsschrift 
ist***).  Sie  dürfte  zu  einer  Grundlage  für  den  Unterricht  in  der 
Glaubenslehre  auch  darum  wenig  geeignet  sein,  weil  „die  einzelneu 
Lehrpunkte  keinesweges  im  Verhältnis  ihrer  Bedeutung  för  die 
christliche  Lehre  im  allgemeinen,  sondern  nach  Mafsgabe  der  zu- 
fälligen damaligen  Verhältnisse  und  Kontroversen  behandelt  sind*'  ^). 
Der  Verfasser  des  unter  Christliebs  Namen  erschienenen  Lehrbuches 
kann  nicht  umhin,  in  der  Einleitung  seiner  im  Anschlufs  an  die 
heilige  Schrift  und  an  die  Confessio  Augustana  gegebenen  Glaubens- 
lehre zu  bekennen:  „Da  die  Confessio  Augustana  das,  was  die 
evangelische  Kirche  mit  der  katholischen  gemeinsam  hat,  weniger 
betont,  so  sind  die  Abschnitte,  welche  von  Gott,  der  Sünde  und 
der  Person  des  Erlösers  handeln,  in  der  Confessio  Augustana  kürzer 

>)  S.  82. 

»)  IV  S.  100. 

•)  IV  S.  106. 

*)  IV  S.  104. 


von  M.  $U«r.  425 

gebfst,  während  die  Lehre  toid  Heibwege  sehr  ausführlich  be- 
handell  ist  Diese  Ungleichheit  mufs  durch  unsere  Erklärung, 
welche  ja  auch  auf  die  biblischen  Schriften  und  ihre  Lehre  Bezug 
Ddimen  mufs,  einigermafsen  ausgeglichen  werden.  Ebenso  sind 
aus  pädagogischen  Gründen  der  größeren  Verständlichkeit  halber 
einige  Artikel  der  Confessio  Augustana  in  eine  andere  Reihenfolge 
zu  bringen''^).  Bornemann  hält  unter  allen  Aufgaben,  welche  der 
neue  Lehrplan  mit  dem  Anschlufs  an  die  bekannten  Artikel  der 
Confessio  Augustana  stellt,  keine  für  schwieriger  als  die,  die  Ge- 
danken und  Ausführungen  der  gegebenen  Artikel  in  die  richtige 
Reihenfolge  zu  bringen.  Die  genaue  Beibehaltung  der  ursprüng- 
lichen Reihenfolge  sei  in  der  Schule  unmöglich,  weil  sie  für  die 
Schüler  willkürlich  und  verwirrend  erscheine').  Auch  Gottschick 
urteilt,  dafs  die  Anlage  des  Augsburger  Bekenntnisses  zu  wenig 
einheitlich  sei,  dafs  der  Schüler,  wenn  die  Behandlung  der 
Glaubenslehre  sich  an  dieselbe  anlehne,  zu  leicht  den  Eindruck 
bekomme,  als  ob  auch  in  der  evangelischen  Kirche  alles  auf  ein 
Lehi^esetz  von  so  und  soviel  neben  einander  stehenden  Artikeln 
ankomme').  Windel  sagte  in  Kosen:  „Die  ganze  Glaubenslehre 
an  die  Lektüre  der  Confessio  Augusfana  anzuschliefsen,  scheint  mir 
nicht  glücklich.  Dies  würde  doch  zu  einer  recht  theologisierenden 
Behandlung  führen''^).  Auch  Zange  befürchtet,  dafs  die  gegen- 
wärtige Fassung  dieser  Lehraufgabe  vielleicht  zu  einer  allzu  theo- 
logischen Behandlung  verführen  könnte'). 

Und  nun  erst  die  Negativen!  Wenn  durch  die  bekannte,  auf 
Grand  der  Allerhöchsten  Weisung  vom  1.  Hai  1889  erlassene 
Hinisterialverfügung  uns  zur  Pflicht  gemacht  wird,  durch  Aus- 
scheidang  des  zur  Aneignung  religiöser  Streitfragen  führenden 
kirchen-  und  dogmengeschiclillichen  Stoffes  den  Unterricht  auf 
die  für  das  kirchlich  -  religiöse  Leben  bleibend  bedeutsamen  Vor- 
gänge zu  beschränken,  so  ist  damit  die  durch  das  immer  wieder- 
kehrende damnant  gestellte  Aufgabe,  bei  der  Aneignung  der  christ- 
lichen Glaubenslehre  wiederholt  auf  die  längst  abgethanen  Ketzereien 
zurückzukommen,  schwer  in  Einklang  zu  bringen.  Ich  habe  bei 
der  Ausarbeitung  meines  Lehrbuches  im  kirchengeschichtlichen 
Teile  gerade  alle  diejenigen  Sekten  besprochen,  die  im  Augsburger 
Bekenntnis  erwähnt  werden.  Als  ich  nun  nach  dem  Erscheinen 
der  neuen  Lehrpläne  meinen  Unterricht  in  der  Kirchengeschichte 
gewissenhaft  auf  die  dort  vorgeschriebenen  Stoffe  beschränkt  hatte, 
kam  ich  schliefslich  bei  der  Erklärung  der  Negativen  des  Augsburger 
Bekenntnisses  in  die  eigentümliche  Lage,  das,  was  ich  beim  Unter- 
richt in  der  Kirchengeschichte  ausgelassen  hatte,  hier  nachholen  zu 

1)  s.  278. 

s)  IV  S.  106. 

s)  Der  «vanfelisehe  Relisloosanterriclit  S.  42. 

*)  IV  S.  279. 

*)  S.  619. 


426     ^och  einmal  d.  neue  Lebrpl.  f.  d.  evan^^.  Religionsanterr., 

müssen.  Wohl  müssen  die  Primaner  vor  Irrlehren  gewarnt  werden, 
aber  nicht  vor  den  Irrlehren,  welche  in  der  alten  Kirche  und  in 
der  Reformationszeit  bekämpft  wurden,  sondern  vor  den  grund- 
stnrzenden  Entstellungen  des  Christentums,  weiche  in  unserer 
Zeit  den  Glauben  unserer  Schuler  bedrohen.  Sehr  richtig  sagt 
Fauth:  „Die  Confessio  Augustana  enthält  weder  den  ganzen  Um- 
rifs  des  urbildlichen  Glaubens  Christi  und  seiner  ewigen  Wahrheit, 
noch  den  der  Gegenwart  mit  ihren  apologetischen  Fragen  und 
entliält  dafür  rein  Zeitliches''^).  Wenn  der  Unterricht  in  der 
Glaubens-  und  Sittenlehre  so  erteilt  werden  soll,  dafs  der  Nach- 
druck auf  die  lebendige  Annahme  und  innerliche  Aneignung  der 
Heilsthatsachen  und  Christenpflichten  gelegt  und  die  apologetische 
und  ethische  Seite  besonders  berücksichtigt  wird,  wo  bietet  sich 
dazu  Gelegenheit,  wenn  er  in  Gestalt  einer  Erklärung  ausgewählter 
Artikel  des  Augsburger  Bekenntnisses  erteilt  wird?  Wo  ist  der  Ort, 
vor  den  Trugbildern  der  Umstürzler  und  der  materialistischen 
Diesseitigkeitslehre  unserer  Zeit  zu  warnen?  „Für  eine  auch  nur 
einigermafsen  vollständige  und  genügende  Darstellung  der  christ- 
lichen Sittenlehre  bietet  der  erste  Teil  der  Confessio  Augustana  keine 
Grundlage"').  Ebenso  urteilt  Zange').  Wenn  Mellin  die  gesamte 
Sittenlehre  aus  dem  nur  wenige  Zeilen  umfassenden  6.  Artikel 
entwickelt^)  und  Windel  dieselbe  „hinler*'  demselben  „eingliedert'*^), 
so  dürfte  selbst  dies  Verfahren  der  Forderung,  die  Sittenlehre  „in 
Gestalt  einer  Erklärung"  des  Augsburger  Bekenntnisses  zu  lehren, 
nicht  vollkommen  gerecht  werden. 

So  kämen  wir  zu  folgendem  Ergebnis.  Der  Gedanke  eines 
Anschlusses  der  Glaubenslehre  an  das  Augshurger  Bekenntnis  ent- 
stand durch  die  Erwägung,  dafs  dasselbe  die  staatsrechtliche  Grund- 
lage für  das  evangelische  Deutschland  gewesen  ist.  Diese  Thatsacbe 
bietet  aber  keinen  genügenden  Grund  zu  einem  solchen  Verfahren, 
weil  der  Glaube  des  Primaners  in  heutiger  Zeit  sicherlich  nicht 
durch  den  Nachweis  einer  Verpflichtung  gegen  den  Staat,  sondern 
nur  durch  Überzeugung  befestigt  werden  kann.  Weil  das  Augs- 
burger  Bekenntnis  nie  (wie  das  älteste  allgemeine  Symbol  und  der 
Katechismus)  zu  Unterrichtszwecken  bestimmt  gewesen,  sondern 
nur  eine  Urkunde  von  kirchen-  und  staatsrechtlicher  Bedeutung 
ist,  so  ist  auch  die  durch  die  damaligen  Streitigkeiten  bedingte 
Auswahl  und  Reihenfolge  der  Glaubensartikel  den  Bedürfnissen 
einer  zusammenhängenden,  wohlgeordneten  Darstellung  der  ganzen 
Glaubenslehre  wenig  entsprechend.  Während  die  Ausscheidung 
des  zu  religiösen  Streitfragen  führenden  kirchen-  und  dogmen- 
historischen Stolfes  ein  hohes  Verdienst  des  Lehrplans  ist,  würde 

1)  ni  s.  109  f. 

*)  Boroemann  IV  S.  34. 
»)  S.  619. 
«)  III  S.  140. 
»)  S.  83. 


voD  M.  Stier.  427 

eine  Erklärung  der  Negativen  uns  nötigen,  in  die  bei  der  Kirchen- 
geschichte mit  gutem  Grunde  übergangenen  Streitfragen,  mit 
welchen  die  alte  Kirche  zu  kämpfen  hatte,  nun  bei  der  Glaubens- 
lehre einzuführen,  aber  keine  Gelegenheit  bieten,  durch  die 
brennenden  Streitfragen  der  Gegenwart  dem  vielleicht  schon  mit 
diesen  bekannt  gewordenen,  suchenden  Jünglinge  den  rechten  Weg 
za  zeigen  und  den  Glauben  gegen  die  von  dorther  drohenden 
greisen  Gefahren  zu  verteidigen«  Da  das  Augsburger  Bekenntnis 
min  auch  für  die  Sittenlehre  keine  ausreichende  Grundlage  bietet, 
wie  soll  es  da  möglich  sein,  bei  der  Glaubens-  und  Sittenlehre 
die  apologetische  und  ethische  Seite  besonders  zu  beröcksichtigen, 
wenn  dieselbe  in  Gestalt  einer  Erklärung  der  meisten  Artikel  des 
ersten  Teiles  des  Augsburger  Bekenntnisses  gelehrt  wird? 

Der  betreffende  Satz  des  Lehrplans  wird  in  den  beigefugten 
methodischen  Bemerkungen  dahin  erläutert,  dafs  die  christliche 
Glaubens-  und  Sittenlehre  nicht  nach  einem  System  oder  Hitfs- 
buch,  sondern  im  Anschlüsse  an  die  evangelischen  und  apostolischen 
Schriften  und  an  die  Confessio  Augustana  gelehrt  werden  solle. 
Die  hier  ausgesprochene  Forderung  eines  Anschlusses  an  die  heilige 
Schrift  hat  lebhaftere  Zustimmung  gefunden  als  die  eines  An- 
•chlosses  an  die  Confessio  Auguslana.  So  sagte  Windel  (in  Kosen), 
da  die  christliche  Glaubens-  und  Sittenlehre  vor  allem  als  ab- 
achliefsendes,  zusammenfassendes  Ergebnis  der  ganzen  Bibellesung 
erscheinen  müsse,  so  sei  der  Anschlufs  an  die  heilige  Schrift  als 
erstes  Erfordernis  dringend  geboten^).  „Die  Hehrzahf  der  sitt- 
lichen Fragen  und  Probleme  wird  also'*,  sagt  Bornemann,  „wozu 
ja  auch  der  neue  I^hrplan  ausdrücklich  Anweisung  giebt,  an  der 
Hand  des  N.  T.  erörtert  werden  müssen  und  damit  thatsächlich 
doch  der  freien  Wahl  des  Lehrers  oder  dem  von  ihm  zur  Vor- 
bereitung benutzten  Hilfsbucli  bezw.  System  überlassen  bleiben'' '). 
Nähere  Anweisung  giebt  Zange:  „Die  Erfahrung  hat  mich  gelehrt,  dafs 
es  gar  keine  bessere  Vorbereitung  auf  den  Überblick  über  die  gesamte 
christliche  Glaubens-  und  Sittenlehre  giebt  als  den  Kömerbrief '^  ^). 
Auch  Leimbacb  schliefst  dieselbe  an  den  Römerbrief  an^).  „Die 
Lektüre  der  heiligen  Schrift,*'  sagt  Heidrich  im  Lehrplan,  „nament- 
lich des  Römerbriefes,  ist  für  den  Unterricht  in  der  Glaubenslehre 
zur  Grundlage  zu  machen"^).  In  seinem  Hilfsbuche  giebt  er  unter 
der  gemeinsamen  Überschrift  „Glaubenslehre"  erstens  als  Einleitung 
zum  Römerbrief  die  Lehren  von  Gott,  vom  Menschen,  von  Christus, 
zweitens  den  Inhalt  des  Römerbriefes,  drittens  (in  einer  an  den 
Katechismus  sich  anschliefsenden  Gruppierung  seiner  Artikel)  zur  Zu- 
sanamenfassung  des  christlichen  Glaubens  das  Augsburger  Bekenntnis, 

1)  in  &  169. 

«)  IV  S.  84. 
9)  S.  619. 

«)  s.  vn. 

»)  S.  12. 


428     Noch  einmal  d.  oene  Lehrp].  f.  d.  evaog.  Relig^ioosonterr., 

Doch  auch  die  im  Texte  des  Lehrplanes  angeordnete  Methode 
hat  ihre  Freunde.  Mellin  läüst  die  hetreflenden  Artikel  lesen, 
einzelne  Sätze  auswendig  lernen,  bezeichnet  dann  die  Lehrpunkte, 
um  die  es  sich  handelt,  leitet  die  betreffende  Lehre  aus  den 
Hauptbeweissteilen  der  heiligen  Schrift  ab,  sagt  das  ganze  Ergebnis 
der  Besprechung  den  Schülern  in  die  Feder  und  giebt  diese 
Niederschrift  zu  gedächtnismäfsiger  Aneignung  für  die  nächste 
Stunde  auf  ^).  Windel  bekennt  jetzt,  dafs  er  anfangs  gegen  den 
Anschlufs  an  das  Augsburger  Bekenntnis  sehr  ernste  Bedenken  ge- 
habt, aber  durch  einen  Versuch  doch  belehrt  worden  sei,  dafs 
derselbe  auch  seine  Vorzuge  habe').  Selbst  Bornemann,  der  mit 
so  schlagenden  Gründen  den  Zwang  abzuwehren  sucht,  hält  den 
neu  eingeschlagenen  Weg  nicht  für  unmöglich  und  aussichtslos, 
und  will  uns  sogar  mit  einem  praktischen  Hilfsmittel  demnächst 
erfreuen').  Fauth  hält  den  Standpunkt  für  veraltet,  läfst  aber 
gern  jedem  seine  Eigentümlichkeit^).  Altmeister  Wiese  hat  bei 
seinem  Unterricht  die  Glaubenslehre  bald  unmittelbar  an  die  heilige 
Schrift,  bald  an  den  Katechismus,  bald  an  das  Augsburger  Bekenntnis 
angeschlossen^).  Soll  in  der  That  der  Unterricht  in  der  Glaubens- 
und Sittenlehre  auf  der  obersten  Stufe  „ein  schliefsliches  Heraus- 
wachsen aus  dem  gesamten  Unterrichte  als  dessen  naturgemäfiser 
Krönung*'  sein,  so  wird  der  Lehrer  jeden  einzelnen  Punkt  aus 
einem  Abschnitte  der  h.  Schrift  oder  Spruche  herzuleiten  oder 
an  eine  Stelle  des  Katechismus  anzuschliefsen  oder  auch  in  einen 
Artikel  des  Augsburger  Bekenntnisses  schlietslich  zusammenzu- 
fassen haben®). 

Wie  für  keinen  Unterrichtszweig  so  sehr  wie  für  den  Re- 
ligionsunterricht, so  gilt  auch  für  keinen  Teil  des  Religionsunter- 


>)  lU  S.  141. 

2)  Lehrpr.  n.  Lehrg.  189S  S.  83. 

•)  IV  S.  107. 

<)  III  S.  110. 

*)  LebeDserinnerougen  ood  AnitserfabraogCD  I  S.  82. 

*)  Die  „Glanbeaslebre"  meines  Lebrbaclies  setzt  voraas,  dafs  die  SchUler 
beim  Unterricht  die  ßibel  vor  sich  haben  und  der  Lehrer  aas  einigen  dorch 
die  h.  Schrift  gegebenen  Grandgedankea  die  Glaubenssätze  in  der  Weise  ab- 
leitet, dafs  die  Richtigkeit  der  Scblorsfolgerong  durch  neue  Bibelsprüche  be* 
wiesen,  oft'  auch  durch  Stellen  des  Ratechismus  oder  des  Augsbarger  Be- 
kenntnisses bestätigt  wird.  Als  biblische  Grundlage  bei  der  Entwickelang  der 
Glaabenssätze  dienen  an  erster  Stelle  die  in  den  früheren  Klassen  geleroteo 
Sprüche.  Anf  das  A.  B.  wird  nicht  selten  verwiesen  fdr  den  Fall,  dafs  eine  ältere 
Generation  der  Klasse  dasselbe  schon  kennt ;  zanäcbst  aber  wird  vorausgesetzt^ 
dafs  als  zusammenfassende  Wiederholung  derjenigen  Punkte  der  Glaabenslehre, 
über  die  in  der  Reformationszeit  gestritten  wurde,  die  Lesang  des  ersten  Teiles 
desselben  dem  Unterricht  in  der  Glaubenslehre  nachfolgt  und  denselben  ab- 
schliefst. Damit  moglicbst  alle  Teile  des  Unterrichts  in  lebendige  Beziehung 
zu  einander  treten,  sind  nicht  nur  vielfach  Liederstrophen  und  kirchen- 
geschichtliche Wiederholungen  eingeflochten,  sondern  auch  einzelne  Stelleo 
aas  Homer,  Sophokles,  Plato,  Thukydides,  Cicero,  Horaz,  Goethe,  Schiller, 
Kant  u.  8.  w.  als  Belege  herangezogen  worden. 


von  If.  Stier.  429 

rkhtes  so  sehr  wie  für  den  abschliefsenden  Unterricht  in  der 
Glaubens-  und  Sittenlehre  „die  Wahrheit,  dafs  die  Grundbedingung 
for  den  Erfolg  in  der  lebendigen  Persönlichkeit  des  Lehrers  und 
dessen  innerer  Erfüllung  mit  dem  Gegenstande  liegt'*.  Wenn  hier 
demselben  durch  eine  vorgeschriebene  Lehrweise,  von  deren  Zweck- 
dienliehkeit  er  sich  nicht  ganz  und  voll  überzeugen  kann,  sein 
ganzes  Herz  auszuschalten  gewehrt  oder  mindestens  erschwert 
wird  —  und  es  wird  ihm  beim  besten  Willen  schwerlich  gelingen, 
dem  feinfühligen  Primaner  zu  verbergen,  was  er  wider  seine 
Überzeugung  thut  ^)  —  wie  grofs  ist  da  die  Gefahr,  dafs  das  Ziel 
dieses  Unterrichtes,  die  Befestigung  im  Glauben  und  Bewahrung 
vor  Abfall,  nicht  erreicht  wird!  Bei  der  endgültigen  Entscheidung 
dieser  brennenden  Frage  durch  die  hohe  Behörde  dürfen  wir 
vielleicfat  auch  bitten,  den  Umstand  geneigtest  mit  in  die  Wagschale 
werfen  zu  wollen,  daCs  wenn  eine  übereinstimmende  Abgrenzung 
der  den  einzelnen  Klassen  zugewiesenen  Lehraufgaben  deshalb 
wünschenswert  ist,  damit  der  Lehrer  jeder  folgenden  Klasse  eine 
sichere  Grundlage  für  weiteren  Ausbau  hat,  diese  Rücksicht  offen- 
bar för  die  oberste  Stufe  wegßllt. 

Da  also  bei  diesem  Unterrichte  vor  allem  andern  einesteils 
Freiheit  zur  wirklichen  Erreichung  des  Lehrziels  unentbehrlich, 
andernteils  Gleichmäfsigkeit  und  Obereinstimmung  entbehrlich  ist, 
so  dürfen  wir  wohl  getrost  und  mit  einiger  Zuversicht  die  Bitte 
wagen,  dafs  dem  Lehrer  volle  Freiheit  gewährt  werde,  ob  er  die 
Glaubens'  und  Sittenlehre  an  die  heilige  Schrift  oder  an  das 
Angsborger  Bekenntnis  anscliliefsen,  also  mehr  an  die  in  den 
methodischen  Bemerkungen  enthaltene  Fassung  als  an  den  Text 
Aes  Lehrplans  sich  hallen  wolle,  oder  umgekehrt.  Der  Herr 
Minister  weist  jene  Bittsteller  an,  derartige  Wünsche  zunächst  bei 
dem  betreffenden  Provinzial-SchulkoUegium  zur  Sprache  zu  bringen. 


So  erfreulich  nun  aber  auch  die  in  gewissen  Punkten  sich 
anbahnende  Obereinstimmung  ist,  um  so  unerfreulicher  ist  es, 
daüs  gerade  unsere  bedeutendsten  Fachmänner,  deren  hervor- 
ragende Leistungen  allgemein  anerkannt  werden,  neuerdings  Lehr- 
pläne veröffentlicht  haben,  deren  Abweichung  von  dem  Normal- 
lehrplane das  Hafs  des  Notwendigen  überschreitet.  Sollten  diese  Ent- 
würfe genehmigt  werden  und  weitere  Verbreitung  an  Stelle  des  vor- 
geschriebenen Lehrplanes  finden,  so  würde  die  durch  das  Erscheinen 
desselben  erweckte  Hoffnung  auf  übereinstimmende  Verteilung  des 
Unterrichtsstoffes  auf  die  einzelnen  Klassen  nicht  erfüllt  werden. 


')  ypDie  Schiller  habeo  ein  merkwürdig  feines  Verständnis  dafür,  ob  der 
Lekrer  nnr  Spraehrohr  ist  oder  ob  das,  was  er  lehrt,  seine  Oberzensnog  ist; 
lieber  ein  etwas  sobjektiv  gefärbter  Uoterricbt  als  ein  kalter,  der  nicht 
Oberzeagnng  wirken  kann,  weil  nicht  das  Herz  und  das  Gemüt  des  Lehrers 
dabei  ist."     (Windel  IV  S.  275.) 


430     Noch  einmal  d.  neue  Lehrpl.  f.  d.  evao^.  ReligioosoDterr., 

Wenn  der  neue  Lehrplan  bestimmt»  in  welchen  Klassen  das 
Alte  und  in  welchen  das  Neue  Testament  gelesen  werden  soll,  so 
mufs  mit  Freuden  begrufst  werden,  dafs   der  bisherigen  Willkür 
durch  eine  endgültige  Entscheidung  ein  Ende  gemacht  wird,  und 
zwar  um  so  mehr,   da   gegen   dieselbe   etwas  Erhebliches   nicht 
geltend  gemacht  werden  kann.    Wenn  an  eine  Wiederholung  der 
biblischen   Geschichten   des  A.  und    N.  T.   in   IV  nun    die  Ge- 
schichte des  Reiches  Gottes,  erst  im  A.  T.  in  Ulli  und  dann  im 
N.  T.  in  Olli  sich  anschliefst,  und  schliefslich  die  so  gewonnene 
Bibelkennlnis  durch  liinzufugung  von  Abschnitten,  welche  Tertianer 
noch   nicht  verstehen    konnten,   einen    zusammenfassenden   vor- 
läuligen  Abschlufs  in  Uli  erhält,    so   ist  das  eine  so  sachgemäjjie 
Stufenfolge,  dafs  es  befremden  mufs,  wenn  das  A.  T.,  welches  in 
um  behandelt  werden  soll,   Zange  (die  Lehraufgaben  der  beiden 
Tertien  umstellend)  der  Olli,  Heidrich  der  IV  zuweist,  beide  aber 
die  Ergänzung   der  in  III  gelesenen  Abschnitte,    welche  zur  Her- 
stellung eines  ersten  Abschlusses  der  Vorbildung,  also  aus  gutem 
Grunde,   in  Uli  stattfinden  soll,    nach  OII  verlegen.     Wenn  ich 
anders  recht  sehe,  so  ist  eine  solche  Abweichung  wohl  hauptsäch- 
lich aus  allzu  strengem  Festhalten  an  langjähriger  Gewohnheit  zu 
erklären.    Es  ist  ja  freilich  für  uns  ältere  Lehrer  (wie  auch  Zange 
zugiebl)  recht  schwer,  uns  von  alten,  liebgewordenen  Ordnungen 
zu  trennen,  zumal  wenn  es  gelungen  ist,  innerhalb  derselben  alle 
Teile    des  Unterrichtes   in    lebendige  Beziehung   zu  einander   zu 
setzen.    Aber  dennoch  wurde  eine  so  weit,    wie   sie    hier  bean- 
sprucht wird,   gehende  Wahlfreiheit  für  einzelne  Anstalten  einem 
Hauptzwecke    der  neuen  Lehrpläne   entgegenwirken.    Mir   ist    in 
den  mathematischen  Stunden  der  III  des  Wittenberger  Gymnasiunss 
nur  Geometrie,    dann   in  den  beiden  Sekunden  der  lateinischen 
Hauptschule   zu   Halle    wieder    nur   Geometrie    geboten    worden, 
Unterricht   in   der  Algebra    aber,    der  dort  in  II  und  hier  in  111 
erteilt   wurde,    habe   ich    weder   dort  noch  hier  genossen.    Die 
Aufsichtsbehörde  ist  doch  wohl  berechtigt,  ähnlichen  Übelständen 
vorzubeugen.     Zange  erkennt  selbst  die  grolsen  Vorteile  an,   die 
bei  dem  häufigen  Wechsel  der  Schulen,   dem  gerade  die  Schüler 
der  höheren  Lehranstalten   in    unserer  bewegten  Zeit   zu   einem 
grofsen    Teile   ausgesetzt   seien,    eine    einheitliche  Ordnung    des 
Lehrplans  für  sämtliche  Schulen  des  Landes  biete ^).    Wenn  aber 
an  einigen  Gymnasien  in  Ulli  gelehrt  wird,  was  an  andern  in  Olli, 
und  umgekehrt,  so  könnte  leicht  der  Fall  eintreten,  dafs  ein  die 
Anstalt  wechselnder  Tertianer  auf  zwei  Gymnasien  (etwa  aufser 
wenigen  Psalmen)  vom  A.  T.  nichts  weiter  als  einige  in  Uli  ge- 
lesene ergänzende  Abschnitte  hat  kennen  lernen.   Hier  mufs  Ver- 
ständigung erzielt  werden,  und  darum  bitte  ich  die  gebotene  Ver- 
teilung des  Bibellesestoifes  mit  Fugner  und  Schnitze')  anzunehmen. 

1)  S.  693. 
«)  IV  S.  14  ff. 


Ton  M.  Stier.  431 

Wenn  die  Bergpredigt  von  Zange  nach  Uli,  von  Heidrich 
nach  um  verlegt  wird,  so  wird  der  Lehrplan  vermutlich  die 
rechte  Mitte  getroflen  haben,  welcher  sie  der  Olli  zuweist. 

Auf  die  von  den  Lehrkörpern  für  die  mittleren  Klassen  zu 
treffende  Auswahl  einzelner  schon  dem  Knaben  verständlicher 
Bibelabschnitte  läfst  der  Lehrplan  in  den  oberen  Klassen  ganze 
Bücher  in  der  Weise  folgen,  dafs  in  der  letzten  von  den  mittleren 
Klassen  zum  erstenmal  ein  ganzes  Buch,  in  der  ersten  von  den 
oberen  Klassen  zum  letztenmal  ausgewählte  Abschnitte  gelesen 
werden.  Von  den  Büchern  sollen  in  II  erst  ein  Evangelium,  dann 
die  Apostelgeschichte,  in  I  das  vierte  Evangelium  und  Briefe  er- 
klärt werden.  Warum  ist  nun  dieser  naturgemäfse,  sich  selbst 
rechtfertigende  Fortschritt  nicht  überall  beibehalten  worden?  Wenn 
den  in  V  und  IV  mit  den  Thaten,  in  Olli  auch  mit  den  Beden 
Jesu  bekannt  gewordenen  Sekundanern  nun  eine  zusammen- 
fassende Übersicht  über  das  ganze  Leben  Jesu  an  der  Hand  eines 
der  drei  leichteren  Evangelien  geboten  werden  soll,  warum  ist  da 
in  Hannover  ein  Plan  gebilligt  worden,  welcher  die  für  Uli  vor- 
geschriebene Erklärung  eines  der  synoptischen  Evangelien  streicht 
und  also  die  Lesung  der  neutestamentlichen  Schriften  in  OH  mit 
der  Erklärung  der  Apostelgeschichte  beginnen  läfst?  Sollte  nicht 
jene  von  der  Behörde  angeordnete  Lehrweise  wenigstens  erst  ver- 
sucht und  erprobt  werden,  ehe  man  dieselbe  umwirft? 

Wenn  Zange  unter  den  Aufgaben  der  drei  obersten  Klassen 
2.  Kor.  4—6.  11.  12.  Eph.  4.  1.  Petr.  2.  Hehr.  10,32  —  13,25 
^Termifsl'^ '),  so  wird  dabei  übersehen,  dafs  ja  für  die  wichtigsten 
Abschnitte  neu  testamentlicher  Briefe  011  reichlichen  Baum 
bietet,  in  I  aber  ganze  Briefe  gelesen  oder  wenigstens  —  denn 
welche  Abschnitte  derselben  eingehend  zu  erklären,  welche  rasch 
zu  lesen  und  welche  etwa  aus  Mangel  an  Zeit  auszulassen  sind, 
kann  erst  längere  Erfahrung  lehren  —  durch  Aufsuchung  der 
Grund-  und  Teilgedanken  als  ein  Ganzes  betrachtet  werden  sollen. 

Aufser  dem  unter  allgemeiner  Zustimmung  der  Ol  zuge- 
wiesenen Bömerbrief  schlägt  uns  der  Lehrplan  noch  fünf  Briefe 
für  I  vor. 

Wenn  selbst  die  japanische  Regierung  eine  eingehende  Be- 
kanntschaft mit  unseren  neutestamentlichen  Schriften  zur  all- 
gemeinen Bildung  rechnet  und  demgemäfs  die  Lesung  derselben 
in  ihren  heidnischen  Schulen  eingeführt  hat'),  so  sollten  wir  uns 
floch  ernstlich  die  Frage  vorlegen:  Was  haben  denn  unsere  Gym- 
nmasten  bei  ihrem  Abgange  vom  N.  T.  wirklich  gelesen?  Handeln 
wir  recht,  wenn  wir  unsere  Primaner  mit  allerlei  Verirrungen, 
▼on  welchen  die  Kirchengeschichte  zu  berichten  hat,    mit  allerlei 

>)  S.  620. 

')  Die  Nachricht,  daPi  auf  Aoordoung  des  ermordeten  Kaltusmiiiisterfl 
Mori  das  N.  T.  io  sämtlichen  (etwa  30  000)  Elementarschalen  Japans  gelesen 
werde,  hat  sich  allerdings  nicht  bestätigt. 


432     Noch  eiomal  d.  neue  Lehrpl.  f.  d.  evaog.  Religioneiinterr., 

Henschenfilndlein  und  Mifsbildungen  der  christlichen  Lehre,  welche 
dieselbe  durch  die  römiscbe  Kirche  und  mannigfache  Sekten  er-* 
fahren  hat,  also  mit  dem  trübe  gewordenen  Strome  kirchlicher 
Entwickelung  so  anhaltend  beschäftigen,  dafs  nicht  die  Hälfte  der 
Religionstunden  übrig  bleibt,  um  sie  unmittelbar  aus  dem  lauteren 
Quell  die  Heilswahrheit  schöpfen  zu  lassen?  Es  ist  das  Verdienst 
Schölers,  darauf  hingewiesen  zu  haben,  dafs  die  Hälfte  der  Re- 
ligionstunden auch  in  der  obersten  Klasse  der  heiligen  Schrift  zu 
widmen  ist.  Wenn  auch  sein  Vorschlag  einer  Verdoppelung  der 
Stundenzahl  im  Obergymnasium  unannehmbar  war,  so  hat  doch 
die  Behörde  eine  gewisse  Berechtigung  jener  Forderung  oiTenbar 
dadurch  anerkannt,  dafs  sie  in  beiden  Primen  neben  Kirchen- 
geschichte, Glaubens-  und  Sittenlehre  noch  eine  umfangreiche 
Erklärung  neutestamentlicher  Schriften  anordnet.  Der  Sinn  dieser 
Weisung  scheint  mir  nicht  genügend  gewürdigt  zu  werden,  wenn 
in  UI  bei  Leimbach  für  die  Briefe,  bei  Heidrich  sogar  überhaupt 
für  Bibellesung  kein  Raum  bleibt.  Soll  etwa  der  Meinung  Vor- 
schub geleistet  werden,  dafs  ein  Leser  des  Plato,  Demoslhenes 
und  Tacitus  die  Lesung  der  heiligen  Schrift  schon  hinter  sich 
habe?  Die  Erklärung  des  Herrn  Ministers,  dafs  mit  Entschieden- 
heit hätte  dem  mehrfach  beobachteten  Mifsbrauche  entgegengetreten 
werden  müssen,  dafs  durch  Behandlung  unfruchtbarer  Gebiete  der 
Kirchengeschichte  die  für  die  wahren  Aufgaben  des  Religions- 
unterrichts unentbehrliche  Zeit  und  Kraft  verkümmert  wurde  oder 
gar  verloren  giug^),  hätte  mehr  beherzigt  werden  müssen. 

So  entschieden  aber  die  Forderung  umfangreichen  Bibellesens 
auch  in  I  aufrechterhalten  werden  mufs,  so  würde  doch  dasselbe 
seinen  Zweck  verfehlen,  wenn  der  Lehrer  durch  den  Wahn,  dafs 
ef  ein  vorgeschriebenes  Mafs  zu  erledigen  verpflichtet  sei,  ein- 
geengt und  zur  Eile  verleitet  würde.  Weil  er  hier  am  meisten 
vor  Überhastung  bewahrt  werden  mufs,  darum  wird  gerade  an 
dieser  Stelle  in  den  methodischen  Bemerkungen  ausdrücklich  er- 
klärt, dafs  dem  Lehrer  bei  der  Wahl  im  einzelnen  freie  Bewegung, 
auch  mit  Rucksicht  auf  die  Leistungsfähigkeit  seiner  Schüler,  zu 
lassen  sei.  Er  soll  nicht  wähnen,  ein  bestimmtes  Mafs  bewältigen 
zu  müssen,  sondern  nur  so  viel  Briefe  lesen,  als  die  ihm  bleibende 
Zeit  und  die  Fassungskraft  seiner  Schüler  gestattet').   Hit  Unrecht 


>)  Vgl.  Reth wisch  a.  a.  0.  S.  9. 

*)  Zaoe;e8  Vorwurf,  dafs  die  UI  „viel  za  sUrk  belaalet'*  sei  (S.  621), 
geht  voo  der  ADoahme  aas,  dafs  alle  bei  ÜI  geaannteD  Briefe  schon  in  dieser 
Klasse  geleseo  werden  solleo.  Die  gleich  darauf  folgeode  BesUmmaDg  aber, 
dafs  nicht  nur  der  KÖmerbrief,  sondern  auch  „andere  Briefe  ans  den  bei 
UI  angegebenen  Kreise"  in  Ol  zu  lesen  seien,  setzt  offenbar  voraus,  dafs 
dieselben  in  UI  noch  nicht  alle  gelesen  worden  sind.  Aus  dieser  Passong 
ergiebt  sich  meines  Erachtens  zunächst  für  jeden  Lehrkörper  die  Pflicht,  bei 
der  Ausarbeitung  des  für  die  Anstalt  geltenden  Lehrplaas  jene  fünf  Briefe 
auf  beide  Primen  zu  verteilen,  sodann  für  den  Lehrer  das  Recht,  aus  den 
durch  Konferenzbeschlufs  jeder  Klasse  zugewiesenen  Briefen  zu  wählen.    Uod 


von  M  Stier.  433 

hat  man  darin  die  Erlaubnis  gefunden,  statt  der  in  der  Vorlage 
genannten  Briefe  auch  andere  nach  Belieben  zu  wählen.  Wenn 
Zange  in  der  seinen  lehrreichen  Aufsatz  abschliefsenden  „Aus- 
fohrung  des  vorgeschriebenen  Lehrplans*'  sämtliche  bei  der  Lehr- 
aofgabe  der  UI  genannten  Briefe  wegläfst  und  anstatt  derselben 
den  ersten  Brief  des  Petrus  und  des  Johannes  empfiehlt,  so  droht 
neue  Zersplitterung.  Wir  sind  der  Behörde  Dank  dafür  schuldig, 
dafe  sie  nicht  nur  endloser  Zersplitterung  durch  die  vorgeschriebene 
Aaswahl  steuert,  sondern  auch  dem  Lehrer  aus  jenen  fünf  Briefen 
ZQ  wählen  ausdrücklich  gestattet,  dafs  sie  ferner  einer  Gefahrdung 
des  Haoptzwecks  durch  das  Verbot  fortlaufender  Zugrundelegung 
des  griechischen  Textes  vorbeugt  und  endlich  für  eine  eingehende 
Kenntnis  der  lutherischen  Bibelübersetzung,  die  bisher  oft  noch 
den  Studenten  und  Kandidaten  der  Gottesgelehrtheit  in  auffallen- 
dem Mafse  abging,  Sorge  trägt  Folgen  wir  daher  vertrauensvoll 
ihren  Weisungen! 

Auch  hinsichtlich  der  Verteilung  des  Kalecbismus  gehen  die 
Ansichten  so  weit  auseinander,  dafs  wir  uns  freuen  müssen,  wenn 
dem  langen  Schwanken  ein  Ende  gemacht  werden  soll. 

Während  Heidrich  nur  darin  vom  Lehrplane  abweicht,  dafs 
er  die  Aufzeigung  der  inneren  Gliederung  nach  Olli  verlegt  und 
in  Uli  den  Katechismusunterricht  streicht,  will  Genest  erst  in 
Uli  eigentliche  Katecbismusstunden^).  Windel  behält  die  Vorlage 
an  verändert  bei:  das  Gedächtnis  sei  (wie  Raumer  sage)  eine 
geistige  Vorratskammer,  in  welcher  wir  Samenkörner  für  die 
Zukunft  aufbewahren  können;  darum  sei  es  wirklich  nicht  zu  viel 
verlangt,  dafs  bis  einschliefslich  IV  der  Wortlaut  der  fünf  Haupt- 
stäcke  mit  der  Erklärung  gelernt  werde.  „Die  am  frühesten  ge- 
wonnenen Eindinicke  hafien  am  längsten,  und  wo  kein  Besitz  ist, 
da  ist  auch  keine  Freude  am  Besitz**'). 

Dagegen  weist  Zange  der  VI  das  1.  Hauptslück  und  den 
1 .  Artikel  mit  Luthers  Erklärung,  der  V  den  2.  Artikel  und  eine 
einfache  Besprechung  des  3.  Haupistückes  ohne  Luthers  Erklärung, 
der  IV  Luthers  Erklärung  zum  2.  Artikel,  den  3.  Artikel  und  das 
3.  Hanptstück  mit  Luthers  Erklärung,  dazu  auch  vom  4.  und 
5.  Hanptstück  die  Einseteungsworte,  derUIH  das  4.  und  der  Olli 
das  5.  Hauptstück  zu.  Mit  dem  3.  Artikel  aber  mufs  nach  seiner 
Ansicht,  weil  er  (mit  Ausnahme  des  letzten  Stückes)  „für  den 
Sextaner  lauter  mehr  oder  weniger  unfafsbare  Dinge''  enthalte, 
derselbe  auf  alle  Fälle  verschont  werden.  Ebenso  müsse  man  mit 
einer  Besprechung  des  Gebetes  des  Herrn,    wenn    auch   nur  des 


meb  vreiB  er  die  selbstgewählte  Anfgabe  nicht  g^anz  zu  Ende  fahrt,  verdient 
er  keinen  Vorwarf.    Er  hat  seine  Schaidigkeit  c^ethan,  wenn  er  ein  richtiges 
VerstäAdBÜ  des  Gelesenen   erzielt  ond  warme  Beseisterung  für  den  Gegen- 
staad  Aervorgerafen  hat,  mag  er  nan  viel  gelesen  haben  oder  wenig. 
1)  Zeitschr.  f.  d.  ev.  RU.  III  S.  354. 
«}  Lebrpr.  a.  Lehrg.  1893  S.  75. 
ZeitMhr.  f.  d.  afmoMUlweseo  XJiVUI.    7.  8.  28 


434     Noch  eioma]  d.  neue  Lehrpl.  f.  d.  evang.  ReligioDsaDterr., 

Wortlautes,  warten  bis  V,  wo  das  Leben  Jesu  den  Schlüssel  dazu 
bietet*  Windeis  Erinnerungen  werden  uns  wenigstens  vor  über* 
triebener  Ängstlichkeit  bewahren.  Wollen  wir  etwa  mit  der  Er- 
lernung des  2.  Artikels  so  lange  warten,  bis  der  Schüler  das 
„empfangen  vom  heiligen  Geiste"  versteht?  In  VI  werden  vor 
den  Uauptfeslen  die  betreffenden  Geschichten  des  N.  T.  besprochen. 
Wenn  hier  die  Weihnachts^  und  Osterbetrachtung  mit  der  Ein- 
prägung  des  2.  Artikels  sdiliefst,  so  kann  auch  an  die  Pfingst- 
geschichte  der  3.  Artikel  angeschlossen  werden.  Derselbe  enthält 
nichts,  was  der  Schüler  nicht  ebenso  gut  versteht,  wie  das  Pßngst- 
wunder.  Und  wenn  anzunehmen  ist,  dafs  er  schon  ein  Vaterunser 
beten  kann,  warum  soll  der  Lehrer  sich  nicht  überzeugen,  dafs 
er  bei  jeder  Bitte  sich  etwas  Richtiges  denkt?  Weshalb  soll  also 
die  für  VI  angeordnete  „einfache  Worterklärung  des  3.  Haupt- 
stückes ohne  Luthers  Auslegung''  erst  an  die  Lehre  Jesu  vom 
Gebet  in  V  angeschlossen  werden  können? 

Dafs  Luthers  Erklärung  des  S.Artikels  in  V  schwierig 
ist,  kann  ich  nicht  in  Abrede  stellen.  Für  noch  schwieriger  halte 
ich  die  Aneignung  des  ganzen  3.  Hauptstückes  in  IV.  Ich  muls 
bekennen,  dafs  ich  trotz  langjähriger  Erfahrung  auf  keinem  Ge- 
biete mit  dem  Erfolge  meines  Unterrichts  so  wenig  zufrieden 
bin.  Es  betrübt  mich  immer  wieder,  dafs  die  Zahl  derjenigen 
Quartaner  nicht  gering  ist,  denen  ein  volles  Verständnis  zu  ver- 
mitteln mir  nicht  gelingen  wiU.  Darum  war  es  mir  tröstlich, 
kürzlich  bei  einem  unserer  bedeutendsten  Religionslebrer  das 
Zugeständnis  zu  lesen:  „Die  Erklärungen  Luthers  zum  Vaterunser 
gehören  zu  dem  Schwierigsten,  was  die  Schüler  zu  lernen 
haben"  ^. 

Indessen  kann  die  Schule  mit  weiterer  Verschiebung  nicht 
selbständig  vorgehen.  Ihr  Zweck  würde  ja  da  doch  nicht  ganz 
erreicht  werden,  wo  die  Gymnasiasten  aufiserhalb  der  Schule  zum 
Auswendiglernen  des  ganzen  Katechismus  veranlafst  werden,  ehe 
wir  sie  mit  demselben  bekannt  zu  machen  für  gut  halten.  Wo 
die  Verhältnisse  so  liegen,  dafs  nicht  nur  in  IV,  sondern  auch  in 
um  nur  wenig  Schüler  eingesegnet  werden,  und  die  Aufsichts- 
behörde gegen  ein  weiteres  Hinaufrücken  nichts  einzuwenden  bat, 
da  würde  ich  am  liebsten  die  von  der  Hannoverschen  Religions- 
lehrerkonferenz gebilligte  Verteilung  befürworten,  welche  der  VI 
das  1.  Hauptstück  und  den  1.,  der  V  den  2.,  der  IV  den  3.  Artikel, 
das  3.  Hauptstück  aber  erst  der  Ulli  und  das  4.  und  5.  der  Olli 


>)  Vgl.  diese  Zeitochrift  ]S92  Heft  10  S.  603. 

*)  Zaoge,  Leitfaden  2.  Heft  S.  48  A.  2.  —  Den  Grnod  dieser  Schwierig- 
keit hat  kürzlich  in  der  Zeitschrift  f.  d.  ev.  Rü.  1894  S.  136  fr.  Perlhea 
beleuchtet.  Seinem  Vorschlag^e  aber,  den  gröfsten  Teil  des  3.  Haoptstlickefl 
aus  dem  Gedächtnisstoff  zu  streichen  und  dementsprechend  auch  die  Forde- 
rung der  Lehrplane  zu  andern  (S.  143),  dürften  schwerwiegende  grnndsätzlich« 
Bedenken  entgegenstehen. 


TOD  M.  Stier.  435 

zuweist^)  —  wenn  eine  solche  Verteilung  nicht  den  in  hohem 
Grade  beifallswerten')  Grundsatz  fallen  iiefse,  die  Schuler,  auch 
ehe  sie  ein  ganzes  Hauptstöck  fassen  können,  schon  vorher  und 
zwar  möglichst  früh  mit  dem  Kerne  desselben  bekannt  zu  machen. 

Die  oben  erwähnte,  von  Witte  und  £vers  ausgearbeitete 
Eingabe  hatte  u.  a.  auch  den  Wunsch  ausgesprochen,  in  den  yor- 
gezeichneten  Rahmen  des  kircheDgeschichtlichen  Unterrichtes 
au&er  den  im  Lehrplane  namentlich  angeführten  Lehrstoffen  noch 
andere  Hauptsachen  einfugen  zu  dürfen.  Darauf  hatte  der  Minister 
erwidert:  „Die  Lehrpläne  bezeichnen  die  Gebiete,  auf  welchen  die 
Schuler  unter  allen  Umständen  unterwiesen  sein  sollen.  Ist 
aufserdem  noch  Zeit  vorhanden,  so  ist  es  —  eine  richtige  Be- 
handlung vorausgesetzt  —  den  Lehrern  unbenommen,  in  der  in 
der  Eingabe  angedeuteten  Weise  auch  über  das  vorgeschriebene 
Mab  hinauszugehen'*^). 

Wir  sind  dem  Herrn  Minister  auch  dafür  zu  Danke  verpflichtet, 
dafe  er  uns  das  Recht  zu  einer  solchen  Unterscheidung  gegeben  hat. 
Wie  unter  den  Lehrgegenständen  die  für  den  Schüler  allgemein 
verbindlichen  von  den  wahlfreien  unterschieden  werden,  so  werden 
wir  wohl  thun,  auch  innerhalb  der  einzelnen  Lehrgegenstände  eine 
scharfe  Grenze  zu  ziehen  zwischen  demjenigen  Lehrstofl*,  der  für 
den  Lehrer  allgemein  verbindlich,  und  solchem,  der  für  ihn  wahl- 
frei ist  Er  mufs  zunächst  wissen,  welche  in  den  früheren  Klassen 
erledigten  Aufgaben  er  voraussetzen  darf  und  welche  Stoffe  er 
unter  allen  Umständen  in  seiner  Klasse  bewältigen  mufs. 

Das  Mafs  desselben  mufs  möglichst  knapp  sein.  Wer  seinen 
LehrstofiT  in  kleine  Einheiten  zerlegt,  Anschlüsse  an  Bekanntes 
*  sucht«  zusammenfaßt,  anwendet,  einübt,  wer  ernstlich  bemüht  ist 
den  Gegenstand  nicht  nur  dem  Verstände  sondern  auch  dem 
Herzen  seiner  Schüler  einzuprägen,  wer  keine  sich  ihm  dar- 
bietende Gelegenheit  vorübergehen  läfst,  ein  ernstes  Wort  zur 
Befestigung  des  Glaubens  oder  zur  Schärfung  der  Gewissen  ein* 
zuflecbten,  der  kann  diese  Aufgabe  nur  unter  merklicher  Ver- 
riogeruog  des  früher  üblichen  Lehrstoffes  erfüllen.  Die  drückende 
Pflicht«  mit  einer  umfangreichen  Aufgabe  rechtzeitig  fertig  zu 
werden,  mufs  ihn  zu  einer  Eile  treiben,  die  ihn  nötigt,  das  Beste, 
was  er  auf  dem  Herzen  hat,  zu  verschweigen.  Auf  keinem  Ge- 
biete des  Unterrichts  aber  würde  eine  Oberhastung  so  schädlich 
wirken,  wie  beim  Religionsunterricht.  Denn  das  allgemeine  Lehr- 
siel, 9,die  Jugend  in  Gottes  Wort  zu  erziehen  und  sie  zu  befähigen, 
dafs  sie  dereinst  durch  Bekenntnis  und  Wandel  und  namentlich 
aacb  durch  lebendige  Beteiligung  am  kirchlichen  Gemeindeleben 
ein  wirksames  Beispiel  gebe^*  %  kann  nicht  erreicht  werden,  wenn 

1)  Leimbach  S.  VI  f. 

^  Wie  ich  oben  S.  419  dar^^ethaD  habe. 

•}  Rethwisch  a.  a.  0.  S.  9. 

«)  Lebrpläne  S.  9. 

28* 


436     Noch  eiomal  d.  neae  Lehrpl.  f.  d.  evaog.  Relijrionsanterr., 

der  Schüler  den  Gegenstand  nur  kennen  lernt,  aber  nicht  lieb- 
gewinnt. Wenn  ich  die  neuerdings  erschienenen,  vielumfassenden 
Entwürfe  mit  dem  vorgeschriebenen  Lebrplane  vergleiche,  so  freue 
ich  mich  von  Herzen,  dafs  nicht  jene  für  mich  mafsgebend  sind, 
sondern  dieser,  und  nähre  die  Hoffnung,  dafs  falls  die  bei  der 
ersten  vertraulichen  Hitteilung  im  Ministerium  noch  vorbehaltene 
Modifikation-  in  Bezug  auf  untergeordnete  Punkte  auch  für  den 
damals  unverändert  veröffentlichten  Religionslehrplan  noch  ein- 
treten sollte,  nichts  hinzugefügt,  sondern  eher  noch  etwas')  ge- 
strichen wird. 

Und  wenn  es  die  Aufgabe  der  einzelnen  Lehrkörper  ist,  die 
Vorlage  zu  einem  nur  für  ihre  Anstalt  gülligen  Unterrichtsplane 
dadurch  umzuarbeiten,  dafs  sie  Lesebuch  und  Lehrbuch  nennen, 
behufs  genauer  Abgrenzung  der  Klassenaufgaben  die  zu  lesenden 
Bibelabschnitte  bezeichnen  und  die  zu  lernenden  Lieder  und 
Sprüche  feststellen,  so  wünschte  ich,  dafs  nichts  weiter  hinzu- 
gesetzt würde,  als  etwa  in  Uli  um  der  abgehenden  Schüler  willen 
eine  Belehrung  über  die  Verfassung  der  Landeskirche,  in  welcher 
auch  sie  ihr  Wahlrecht  einmal  ausüben,  und  über  die  christliche 
Liebestbätigkeit,  an  welcher  sie  sich  beteiligen  sollen. 

Da  es  dem  einzelnen  Lehrer  unbenommen  ist,  je  nach  der 
Leistungsfähigkeit  der  Schüler  und  nach  seiner  Eigenart  auch 
über  das  vorgeschriebene  Mafs  hinauszugehen,  so  bleibt  für  wahl- 
freie Aufgaben  noch  ein  grofses  Gebiet  übrig.  Als  anregende 
Vorschläge  dazu  sind  uns  die  seitdem  erschienenen  Lehrplan- 
entwürfe willkommen.  Heidrich  bemerkt  ausdrücklich,  dafs  sein 
etwas  ausführlicher  Lehrplan  —  der  ja  allerdings  an  bunter, 
Mannigfaltigkeit  alle  andern  übertrifft  —  dem  angehenden  Re- 
ligionslehrer zeigen  soll,  wie  auf  Grund  der  neuen  Bestimmungen 
die  Gliederung  und  Gruppierung  des  Lehrstoffs  sich  gestalten 
kann,  aber  nicht  mufs').  Er  setzt  also  auch  eine  —  nicht  durch 
Konferenzbeschlüsse  aufgehobene  —  gewisse  Wahlfreiheit  voraus. 

Mit  Unrecht  ist  unter  den  kirchengeschichtlichen  Stoffen 
manches  vermifst  worden.  So  werden  Mönchtum,  Kaiser  und 
Papst,  kirchliche  Verfassung,  Jesuitenorden,  Ultramontanismus  bei 
der  „Entwickelung  der  römisch-katholischen  Kirche'S  ebenso  d«r 
Rückschlag  der  Völker  gegen  die  Kurie  in  den  grofsen  Konzilien 
und  den  Vorreformatoren,  die  Schriften  Luthers,  das  Augsburger 
Bekenntnis  und  die  induktiv  daraus  abzuleitenden  und  schliefslich 

zu  ordnenden  Unterscheidungslehren')  bei  der  „Reformation   und 

♦ 

^)  £atbehrlicli  dürften  z.  B.  Mitteilaogeo  über  die  Baptisten  nnd  Ir- 
viogiaoer  seio,  mit  denen  die  Mehrzahl  der  Schüler  doch  wohl  nie  im  Leben 
In  Berührung  kommen  wird. 

>)  Lehrplan  S.  4. 

')  Der  Frage,  ob  das  A.  B.  in  die  Kirchengeschichte  einzugliedern  oder  «ii 
die  Glanbenslehre  anzaschliefsen  sei,  darf  natürlich  erst  dann  nSher  getreten 
werden,  wenn  es  der  hohen  Behörde  gefallen  sollte,  von  der  Verpflichtang 
eines  Anschlusses  der  Glaubeoslehre  an  das  A.  B.  uns  zn  entbinden. 


von  M.  Stier.  437 

ihrer  Vorbereitung'S  endlich  die  Geschichte  des  Kirchenliedes,  Auf- 
klärung, RationaUsmus,  Kant,  Schleiermacher,  Union,  Verfassung 
der  Landeskirche,  Gustav- Adolfsverein  und  Ueidenmission^)  bei 
der  „Fortenl Wickelung  der  evangelischen  Kirche'^  behandelt  werden 
dürfen. 

Dafs  auTserdem,  wenn  auch  nicht  für  die  Scholastik  (die 
übrigens  auch  zur  Entwickelung  der  römisch-katholischen  Kirche 
gerechnet  werden  könnte),  so  doch  wenigstens  für  die  edelste 
Fracht  deutscher  Gemütstiefe,  die  Mystik,  noch  etwas  Zeit  übrig 
bleibt,  ist  gewifs  wünschenswert.  Denn  schwerlich  wird  sie  bei 
der  Geschichte  des  Mittelalters  (nur  die  kirchlichen  Reform- 
bewegungen sollen  in  UI  behandelt  werden)  oder  in  der  deutschen 
Litteraturgeschichte  die  ihr  gebührende  Rerücksichtigung  finden 
können.  Die  Streitigkeiten  über  die  Dreieinigkeit  und  die  Person 
Christi  können  in  einer  wenn  auch  noch  so  kurzen  Einleitung  in 
die  drei  alten  Symbole  nicht  ganz  übergangen  werden.  Aber  das 
Verlangen  nach  eingehender  Behandlung  derselben  darf  nach  „Aus- 
scheidung des  zur  Aneignung  religiöser  Streitfragen  führenden 
kirchen-  und  dogmengeschichtlichen  Stoffes'^  nicht  wieder  laut 
werden.  Wenn  Zange  von  den  Streitigkeiten  über  die  beiden 
Naturen  und  den  doppelten  Willen  in  Christo  nicht  viel  mehr  als 
den  Namen  gegeben  wissen  will,  so  ist  auch  das  schon  zu  viel. 
Die  Gefahr  einer  Verirrung  in  theologische  Erörterungen  erkennt 
er  selbst  an'). 

Der  Kampf  und  Sieg  des  Christentums  im  römischen  Reiche 
ist  kein  der  I  würdiger  Gegenstand  und  darum  mit  gutem  Grunde 
weggelassen  worden.  Wenn  die  Untertertianer  einen  Überblick 
über  die  römische  Kaisergeschichte  erhalten  haben,  dann  wird 
der  geschickte  Religionslehrer  eine  passende  Gelegenheit  suchen, 
diejenigen  Kaiser  zusammenzustellen,  welche  die  Christen  verfolgt 
oder  begünstigt  haben,  und  erbauliche  Erzählungen  von  Blutzeugen 
einfagen.  Sobald  sie  mit  der  deutschen  Geschichte  bis  zum  Aus* 
gange  des  Mittelalters  bekannt  geworden  sind,  dann  wird  er  die 
durch  den  Geschichtsunterricht  schon  erworbenen  Kenntnisse  von 
der  Ausbreitung  des  Christentums  in  Deutschland  zu  sammeln, 
zu  ordnen  und  zu  erweitern  wissen.  Ob  in  Olli  die  Zeit  erlaubt, 
die  Reformationsgeschichte  durch  eine  Übersicht  über  die  Aus- 
breitung des  Christentums  in  Deutschland  einzuleiten,  wie 
Heidrich*)  und  Zange ^)  vorschlagen,  wird  die  Erfahrung  lehren. 
Jedenüails  werden,  nachdem  in  Olli  der  Religionslehrer  die  Re- 
formationsgeschichte   an  den  Geschichtsunterricht   angelehnt   hat. 


')  Zanges  BedookcD,  dafs  mao  dergleichen  nicht  gut  unter  „Richtungen 
tB  der  Fortentwickelang  der  ev.  K.^'  unterbringen  könne  (S.  619),  kann  ich 
flicht  teilen.    Mission  gehört  dazu  so  gut  wie  „Wiehern^'. 

>)  S.  618. 

•)  S.  6. 

*}  S.  618.  626. 


438     Noeh  einmal  d.  aeoeLehrpl.  f.  d.  evang.  Religioasnoterr., 

die  um  der  in  Uli  die  Anstalt  verlassenden  Schuler  willen  un- 
entbehrlichen Belehrungen  über  Union,  Verfassung  der  Landes- 
kirche, Mission  und  Gustav -Adolfs -Verein  nicht  schon  in  Olli, 
wie  Windel  wünscht'),  sondern  erst  in  Uli  im  Anschlüsse  an  die 
Geschichte  der  letzten  beiden  Jahrhunderte  zu  geben  sein. 

Dafs  an  den  verschiedensten  Stellen  im  Religionsunterrichte 
aufs  A.  T.  zurückgegriffen  werden  müsse,  bedurfte  keiner  weiteren 
Hervorhebung  in  den  Lehrplänen.  Indes  liegt  in  der  That,  wie 
jene  Ministerialverfügung  hinzufügt,  bei  dem  in  der  Eingabe  ge- 
wünschten  kurzen  vertiefenden  Abschlufs  der  alttestamenllichen 
Heilsgeschichte,  in  I  die  Gefahr  nahe,  dafs  dabei  für  wirkliches 
Schriftverständnis  und  die  nächstliegenden  Unterrichtszwecke  wenig 
gewonnen  wird.  Jedenfalls  ist  es  eine  bedeutende,  schwerlich 
hinreichend  zu  rechtfertigende  Abweichung  vom  vorgeschriebenen 
Lehrplan,  wenn  Heidrich  für  die  Propheten,  messianischen  Weis- 
sagungen, Psalmen,  Sprüche  und  Hiob  den  ganzen  Sommer  in 
OII  in  Anspruch  nimmt. 

Dafs  der  Gedächtnisstoff  auf  das  Notwendige  beschränkt  and 
in  jeder  folgenden  Klasse  bis  Oll  eine  vollständige  Wiederholung 
verlangt  wird,  halte  ich  mit  Fügner')  für  den  gewichtigsten 
Vorzug  des  neuen  Lehrplans.  Leider  ist  auch  dieser  nicht  überall 
erkannt  worden.  Die  uns  vorliegenden  Entwürfe  wollen  teils  diese 
Wiederholungen  nur  von  Klasse  zu  Klasse  abwechseln  lassen,  teils 
über  das  vorgeschriebene  Mals  hinausgehen. 

Schnitze  sagt:  „Wenn  der  Verteilungsplan  in  jeder  neuen 
Klasse  die  Wiederholung  des  gesamten  firüheren  Memorierstoffs 
scheinbar  verlangt  (bis  II),  ist  doch  in  Wahrheit  eine  von  Klasse 
zu  Klasse  abwechselnde  Wiederholung  des  ganzen  Stoffes  gemeint. 
Es  würde  andernfalls  gerade  das  eintreten,  was  der  Erlafs  ver- 
mieden wissen  will,  eine  Überbürdung  des  Unterrichts  mit  Ge- 
dächtniswerk. Ich  verstehe  daher  die  betreffende  Anordnung  so, 
dafs  durch  planmäfsige  Abwechselung  der  in  Rede  stehenden 
Wiederholungen  eine  gedächtnismäfsige  Beherrschung  des  Ganzen 
als  schliefsliches  Ergebnis  gesichert  werden  soll***).  Dieselbe  Auf- 
fassung finden  wir  bei  Heidrich,  der  in  IV  nur  4  Lieder,  nicht  8, 
in  um  nur  6,  nicht  12,  in  Olli  nur  7,  nicht  16,  in  UH  nur 
die  in  Ulli,  in  OH  nur  die  in  OHI  gelernten  Lieder  und  vom 
Katechismus  in  Ulli  die  beiden  ersten  und  in  OHI  die  drei  letzten 
Hauptstücke  wiederholen  läfst. 

Wir  erlebten  kürzlich,  dafs  ein  Primaner  ein  Gedicht  Ton 
Schiller  ohne  Einhilfe  und  mit  guter  Betonung  bei  einer  Schul- 
feier vortrug,  nach  kurzer  Zeit  aber  von  dem  Wortlaute  nur  noch 
wenig  wufste.  Wie  selten  findet  sich  ein  Erwachsener,  der  den 
Katechismus  noch  ohne  Anstofs  hersagen  kann!  Da  mufs  Wandel 

1)  S.  79. 

>)  Zeitschr.  f.  d.  ev.  R(J.  HI  S.  205. 

•)  IV  S.  15  f. 


von  M.  Stier.  439 

geschaffen  werden!  Ich  halte  also  die  jährlichen  Wiederholungen 
des  gesamten  Gedächtnisstofles  erstlich  nicht  für  überflüssig.  Sie 
sind  aber  auch  lehrreich,  wenn  jedesmal  eine  vertiefte,  dem 
reiferen  Standpunkte  angepafste  Erklärung  dazu  gegeben  oder  die 
Wiederholung  eines  Liedes  an  die  inzwischen  durch  den  Unter- 
richt bekannt  gewordene  biblische  Grundlage  (z.B.  Hiob  t9,  26.  27. 
Psalm  46.  130.  118,  24)  angeknüpft,  also  etwa  auf  der  untersten 
Stufe  eine  Erklärung  des  Wortlautes  mit  den  dazu  nötigen  sprach- 
lichen und  sachlichen  Erläuterungen  nebst  Veranschaulichung 
schwieriger  Stellen  durch  eine  bekannte  biblische  Geschichte  ge- 
geben und  ein  Jahr  später  wiederholt  wird,  worauf  in  der  folgen- 
den Klasse  die  Grund-  und  Teilgedanken  mit  den  Schülern  auf- 
gesucht und  im  nächsten  Jahre  wieder  abgefragt  werden.  Mir  ist 
die  Wiederholung  der  bekannten  Kirchenlieder  der  erbaulichste 
Teil  des  Religionsunterrichts.  Auch  ohne  jede  Besprechung  ist 
das  blofse  Hersagen  nicht  langweilig.  So  gut  wie  wir  auch  nicht 
ein  Jahr  ums  andere,  sondern  jedes  Jahr  von  neuem  die  Fest- 
lieder in  der  Kirche  singen,  so  haben  auch  Lehrer  und  Schüler 
ihre  Freude  daran,  sich  einmal  im  Jahre  zu  überzeugen,  dafs  alle 
gelernten  Lieder  noch  im  Gedächtnis  festsitzen,  andernfalls  durch 
geringe  Hübe  den  Besitz  von  neuem  zu  sichern.  Es  gehört  nur 
wenig  Zeit  dazu,  die  5  Hauptstücke  und  15  Lieder  einmal  im 
Jahre  hersagen  zu  lassen.  Hoffen  wir  nun  endlich  zu  erreichen, 
was  bisher  vergeblich  angestrebt  wurde,  dafs  unsere  Kernlieder 
ein  unverlierbarer  Besitz  fürs  ganze  Leben  werden,  so  dafs  sie 
vielleicht  noch  in  der  Todesstunde  ihre  Wirkung  üben.  — 
Schwierigkeiten  bereiten  nur  die  in  den  mittleren  Klassen  neu 
eintretenden  Schuler,  welche  die  Lieder  der  früheren  Klassen 
noch  nicht  gelernt  haben;  doch  wenn  erst  die  jetzt  angebahnte 
Einigung  über  die  zu  treffende  Auswahl  erzielt  ist  —  vielleicht 
in  der  Weise,  dafs  in  jeder  Klasse  zwei  Lieder  allgemein  verbind- 
lich sind  und  zwei  für  jede  einzelne  Schule  wahlfrei  bleiben  — , 
80  wird  auch  dieser  Übelstand  beseitigt  oder  wenigstens  gemildert 
werden. 

Während  die  Pläne  von  Fügner,  Heidrich  und  Leimbach  bei 
der  vorgeschriebenen  Liederzahl  bleiben,  erklärte  Genest  in  Halle, 
die  Zahl  der  in  VI  bis  IV  zu  lernenden  Lieder  scheine  ihm  zu 
gering^).  Auch  Zange  in  Erfurt  giebt  zu  bedenken,  dafs  im 
Vergleich  zu  der  Zahl  der  Gedichte,  die  im  deutschen  Unterricht 
gelernt  zu  werden  pflegten,  die  14 — 16  Kirchenlieder  recht  be- 
scheiden erschienen').  Am  Joachimsthalschen  Gymnasium  will 
Schnitze  in  Olli  noch  19  Liederstrophen  lernen  lassen'). 

Es  entsteht   hier   die  Frage,  ob   gleichwie   in  der  Kirchen- 


1)  ni  S.  354. 
«)  S.  616f. 
»)  IV  S.19f. 


440     Noch  einmal  d.  neue  Lehrpl.  f.  d.  evang.  Religioosooterr., 

geschichte  dem  Lehrer  unter  gewissen  Voraussetzungen  ober  das 
vorgeschriebene  iMafs  hinauszugehen  unbenommen  ist,  so  auch 
dem  allgemein  verbindlichen  noch  wahlfreier  Gedächtnisstoff  hin- 
zugefugt werden  dörfe.  Da  offenbar  im  Herzen  Deutschlands  mehr 
als  im  Norden  und  Osten  gefordert  werden  kann,  die  geweckten 
Sachsen  und  Thüringer  und  auch  die  meist  begabten  Schuler  des 
Joachimsthalschen  Gymnasiums  mehr  als  die  übrigen  Märker  zu 
leisten  vermögen,  so  dürfte  wohl  die  Aufsichtsbehörde  geneigt 
sein,  auch  hier  eine  gewisse  freie  Bewegung  zuzulassen  mit  Ruck- 
sicht auf  die  Leistungsfähigkeit  der  Sdiüler.  Findet  der  Lehrer 
noch  Zeit,  während  des  Unterrichts  eine  Anzahl  Liederstrophen 
einzuprägen,  so  wird  ihm  das  gewifs  niemand  wehren.  Dafs  aber 
ihre  feste  Einprägung  zur  nächsten  Stunde  aufgegeben  wird,  kann 
nur  gestattet  werden,  wenn  nach  sorgfaltiger  Zusammenstellung 
der  für  alle  Lehrgegenstände  der  Klasse  zu  stellenden  häuslichen 
Aufgaben  sich  ergicbt,  dafs  eine  Überbürdung  nicht  zu  fürchten  ist 

Wenn  aber  Heidrich  die  regelmäTsigen  Wiederholungen  des 
gesamten  Gedächtnisstoffes  bis  auf  die  beiden  Primen  ausdehnt, 
so  beruht  das  doch  wohl  auf  einer  Verkennung  des  Fortschritts, 
den  wir  den  neuen  Lehrplänen  und  Prüfungsordnungen  verdanken. 
Hoffentlich  liegen  die  Zeiten  hinler  uns,  wo  unsere  Primaner  im 
Hinblick  auf  die  herannahende  Reifeprüfung  umfangreichen  Wieder- 
holungen der  Lehraufgaben  der  mittleren  und  unteren  Klassen 
oft  ihre  beste  Zeit  und  Kraft  widmeten.  Dafs  der  neue  Lehrplan 
die  Wiederholungen  mit  OU  abschliefst,  ist  eine  Errungenschaft, 
die  ich  freiwillig  wieder  aufzugeben  mich  nie  entschliefsen  werde. 
Auch  wo  in  der  Religion  geprüft  werden  mufs,  darf  ja  doch  nur 
ermittelt  werden,  ob  der  Reifeprüfung  die  Lehraufgabe  der  Prima 
sich  angeeignet,  nicht  aber,  ob  er  die  der  früheren  Klassen  noch 
fest  im  Gedächtnis  hat.  In  der  Abschlufsprüfung  dürfen  wir  ver- 
langen, dafs  der  gesamte  Gedächtnisstoff  ohne  Anstofs  hergesagt 
werden  kann,  aber  in  der  obersten  Klasse  haben  wir  genug 
zu  thun,  ein  der  fortschreitenden  Bildung  entsprechendes  Ver- 
ständnis zu  erzielen  und  den  vielleicht  schon  wankenden  Glauben 
der  Primaner  zu  befestigen,  damit  verhütet  werde,  dafs  sie  der- 
einst, statt  durch  Bekenntnis  und  Wandel  und  lebendige  Beteiligung 
am  kirchlichen  Gemeindeleben  ein  wirksames  Beispiel  zu  geben, 
vielmehr  in  das  Lager  der  Feinde  des  Christentums  übergehen. 

Unter  allen  Einrichtungen,  welche  wir  den  „Lehrplänen  und 
Lehraufgaben''  von  1892  verdanken,  halte  ich  keine  für  ein  so 
zweckmäfsiges  Förderungsmittel  des  Unterrichts,  wie  die  der 
Ausarbeitungen.  Für  die  meisten  Gegenstände  allgemein  ver- 
bindlich, sollten  sie  im  Religionsunterricht  wenigstens  unter  den 
wahlfreien  Vorschlägen  ihre  Stelle  behaupten.  Nachdem  ich  1867 
im  deutschen  evangelischen  Schulverein  als  Führer  der  6.  Abteilung 
(„Religionsunterricht  in  höheren  Schulen*')  auf  Einführung  schrift- 
licher Arbeiten  bei  diesem  Unterricht    hinzuwirken  mich  bemuht 


von  M.  Stier.  44]^ 

habe')  —  nichl  ganz  ohne  Erfolg'),  wenn  auch  inzwischen  den 
Rheinlanden  die  „Ordnung  der  Entlassungsprufungen  an  den 
höheren  Schalen*'  von  1882  Veranlassung  gegeben  haben  mag, 
den  bis  dahin  ablieben  Religionsaufsatz  fallen  zu  lassen  — ,  kann 
ich  nicht  umhin,  jetzt  die  Anfertigung  von  Ausarbeitungen  im 
Anschlufs  an  Heidrich  aufs  wärmste  zu  empfehlen.  Derselbe  sagt: 
„Oafs  auch  im  Religionsunterricht  bisweilen  in  der  Klasse  eine 
schriftliche  Arbeit  angefertigt  werde,  ist  eine  Forderung  des  Lehr- 
plans, welcher  ich  schon  immer  nachgekommen  bin  —  eine  gute 
Schule  auch  für  den  Lehrer,  der  daraus  gar  mancherlei  lernt,  wie 
er  sowohl  der  Sache,  als  auch  der  Form  in  irgend  einer  Beziehung 
beim  Unterricht  noch  besser  gerecht  werden  könne'"'). 


Wenn  ich  das  Ergebnis  noch  einmal  kurz  zusammenfasse,  so 
werden  wir,  da  ein  Antrag  auf  Verlegung  des  Hieb  von  Ulli  nach 
Uli  und  der  Apostelgeschichte  von  OII  nach  Olli  nicht  erforderlich, 
auf  Verteilung  der  Kirchengeschichte  auf  OII  und  I  aber  bereits 
genehmigt  ist,  nur  noch  darum  zu  bitten  haben,  dafs  erstens  die 
Einprägung  der  beiden  letzten  Hauptstucke  sowie  der  genauen 
Reihenfolge  der  biblischen  Bucher  auf  IV  und  III  verteilt,  in  IV 
aber  ein  vorzeitiges  Auswendiglernen  nicht  mehr  verlangt,  zweitens 
der  Eigenart  des  Lehrers  anheimgestellt  werde,  in  welcher  V^eise 
er  durch  den  Unterricht  in  der  Glaubens-  und  Sittenlehre  seine 
Hauptaufgabe  lösen  zu  können  glaubt,  die  bald  von  der  Anstalt 
scheidenden  Schüler  im  Glauben  zu  befestigen   und  ihr  Gewissen 


>)  V^l.  Monat].  Mitteilangen  ans  dem  denlschen  evang.  Schalverein 
J867  S.  24—27.  1868  S.  118  IT. 

')  Kolbe  sagt:  „Im  Einklänge  hiermit  habe  ich  selbst ....  den  Versoch 
■U  Rztemporalien  gemaeht  ond  kann  nicht  leugnen,  dafs  sich  mir  derselbe 
bereits  an  zwei  Anstalten  in  verschiedenen  Klassen  bewährt  hat,  soferne 
teils  die  Schüler  dadurch  gespornt  wurden,  teils  mein  Urteil  über  ihre  Kennt- 
oisse sich  viel  klarer  und  sicherer  gestaltete*^  (Schmid,  Eocyklopädie  des 
gesamten  Erziehuogs-  nod  Unterrichtswesens  7.  Band  S.  53.  Die  Anmerkong 
ealfailt  ein  Verzeichnis  der  Themata,  die  sich  in  Kolbes  Unterricht  be- 
wSbrt  Jftsben.) 

*)  Lehrplan  S.  3.  Eine  Anzahl  Themata  daza  giebt  Heidrich  ebenda 
S.  14 — 16,  aneh  der  Jahresbericht  des  Nea-Rnppiner  Gymnasiums  von  1S93. 
—  Wie  ans  dem  erst  wahrend  des  Druckes  dieser  Abhandlang  (in  der 
Zeltsehr.  f.  d.  ev.  RU.  1894  S.  222  f.)  veröffentlichten  Berichte  zu  ersehen 
ist,  hat  die  erste  Jahreaversammlnng  evangelischer  Religionslehrer  Ost- 
■reiirseos  am  3.  Oktober  v.  J.  sich  gegen  die  Anfertigung  schriftlicher 
Klssseoarbeiten  in  der  Religion  erklärt,  teils  um  des  damit  verbundenen 
Zeitverlastes  willen,  teils  weil  dieselben  leicht  zn  phrasenhaftem  Nachsprechen 
oder  zur  Heuchelei  verfuhren  könnten.  Die  dort  angenommenen  Satze,  auf 
wdehe  hier  näher  einzogehen  ich  mir  leider  versagen  mnfs,  haben  jedenfalls 
des  Wert,  dsTs  sie  vor  Fehlgriffen  warnen,  die  der  Lehrer  leicht  da  thun 
kjBBO,  wo  die  Ausarbeitungen  angeordnet  sind,  aber  sicherlich  vermeiden 
wird,  wenn  er  aus  eigeoem  Antriebe  durch  eine  schriftliche  ßearbeituDg 
profea  will,  ob  die  Schüler  einen  besprochenen  Gegenstand  richtig  anfgefafst 
haben. 


442  ^^^  deutsches  Lesebuch  in  Prima, 

ZU  schärfen.  Beide  Abänderungsanträge  erscheinen  mir 
nur  deshalb  notwendig,  weil  ich  in  diesen  beiden 
Punkten  die  Forderungen  der  neuen  Lehrpläne  mit 
ihrem  Geiste  nicht  in  Einklang  zu  bringen  vermag. 

Alle  andern  Vorschläge  sind  teils  als  dem  Geiste  derselben 
widersprechend  oder  ihre  einheilliche  Durchfuhrung  störend  zu 
verwerfen,  teils  als  Ergänzungen  und  weitere  Ausfüllungen  des 
uns  vorgelegten  Rahmens  anzusehen,  aus  denen  entweder  der 
einzelne  Lehrkörper  oder  der  einzelne  Lehrer  wählen  kann,  was 
angemessen  und  ausführbar  zu  sein  scheint.  Doch  hüte  man 
sich  durch  Konferenzbeschlösse  den  Lehrer  zu  binden,  ehe  die 
Erfahrung  hinreichend  gelehrt  hat,  ob  auch  bei  vollständiger  Er- 
ledigung der  von  den  Lehrplänen  als  allgemein  verbindlich  be- 
zeichneten Aufgaben  die  für  solche  Ergänzungen  erforderliche  Zeit 
noch  Obrig  bleibt.  Denn  gerade  bei  unserm  Unterricht  bildet, 
wie  bei  keinem  andern  Fache,  das  Lebenselement  die  Freiheit 
zur  Beschränkung  oder  Erweiterung,  Bereicherung  oder  Vertiefung 
je  nach  den  persönlichen  Gemutsbedurfnissen  der  Lernenden  wie 
der  Lehrenden. 

Neu-Ruppin.  M.  Stier. 


Ein  deutsches  Lesebuch  in  Prima. 

Die  Stellung  des  Lesebuches  im  deutschen  Unterricht  der 
obersten  Klasse  ist  vielfach  und  in  recht  verschiedenem  Sinne 
erörtert  worden.  Nicht  nur  darüber  stritt  man,  wie  der  Inhalt 
gewählt  werden  müsse,  sondern  auch,  ob  es  überhaupt  erwünscht 
oder  auch  nur  zulässig  sei,  Primanern  ein  solches  Buch  in  die 
Hand  zu  geben.  Beide  Fragen  hängen  eng  zusammen,  müssen 
aber  doch  für  die  Beurteilung  geschieden  werden.  Denn  wenn 
die  Abneigung  gegen  litterarhistorische  Ghrestomathieen  immer 
mehr  sich  verbreitet  und  die  Ansicht  zur  Herrschaft  kommt,  dals 
solche  Sammlung  von  kleinen  Proben  aus  gröfseren ,  Werken 
leicht  zur  Oberflächlichkeit,  zu  flüchtigem  Herumnaschen  verführe, 
so  ist  damit  doch  noch  nicht  ausgemacht,  ob  es  nicht  ein  Lese- 
buch von  ganz  anderer  Art  geben  könne,  das  nützlich  sei  und 
Billigung  verdiene.  Diese  Frage  hat  vor  einigen  Jahren  Direktor 
Matthias  (Düsseldorf)  in  der  Zeitschr.  f.  d.  Gymnasialw.  (1889  S.  64 1  ff.) 
eingehend  untersucht.  Auch  er  ist  kein  Freund  der  eben  be- 
zeichneten Gattung  von  Büchern,  ohne . übrigens  von  ihrem  Ge- 
brauche eine  besonders  schlimme  Wirkung  zu  befürchten.  Dagegen 
empfiehlt  er  mit  Nachdruck  ein  „rhetorisch-stilistisches"  Le8cj[>üch, 
eine  Vereinigung  von  Aufsätzen,  die  als  Gegenstand  zu  Disponier- 
übungen und  als  Muster  für  die  eigenen  Ausarbeitungen  der 
Schüler  dienen  könnten,  zugleich  aber  durch  ihren  Inhalt  geeignet 
wären   philosophisches  Denken  anzuregen    und  zur  Prüfung  und 


von  P.  Gau  er.  443 

Kllrang  widitiger  allgemeiner  Begriffe  beizutragen.  Matthias  hatte 
kurz  Yorher  in  der  Anzeige  eines  Buches  dieser  Art  („Gymnasium** 
1888  Sp.  159)  als  einen  besonderen  Vorzug  die  Schwierigkeit  der 
darin  enthaltenen  Lesestucke  hervorgehoben*  „Im  deutschen 
Unterrichte",  so  schrieb  er,  „sollen  unsere  Schüler  nicht  leichten 
Kaufes  davon  kommen;  die  Gymnastik  des  Geistes  soll  gerade 
hier  immer  mehr  betont  werden;  dieser  Unterricht  mufs  dem  in 
besonderem  Mafse  geistbildenden  in  den  alten  Sprachen  möglichst 
nahe  gerückt  und  möglichst  ähnlich  gemacht  werden,  damit,  falls 
einmal  die  reale  Richtung  unserer  Zeit  uns  in  den  klassischen 
Fächern  noch  mehr  als  bisher  beschränken  und  verkürzen  sollte, 
der  deutsche  Unterricht  als  ein  würdiger  Erbe  antiker  Zucht  und 
Geistesbildung  eintreten  kann**.  Auch  diesmal  bekannte  sich  der 
Verf.  zu  derselben  Ansicht,  indem  er  die  Anlage  eines  Buches, 
wie  es  ihm  vorschwebe,  schilderte  und  den  wünschenswerten  In- 
halt, zum  Teil  im  Anschlufs  an  vorhandene  Werke  dieser  Art, 
umschrieb.  Dabei  war  sein  Bestreben  vorzugsweise  darauf  ge- 
richtet, dafs  die  Durchnahme  der  Lesestücke  dazu  dienen  sollte 
den  Unterricht  in  der  philosophischen  Propädeutik  zu  ersetzen, 
die  ja  schon  damals  nicht  mehr  zu  den  vorgeschriebenen  Lehr- 
gegenständen gehörte.  Der  Lehrplan  von  1882  hatte  ihre  Zulassung 
von  den  besonderen  Verhältnissen  an  den  einzelnen  Anstalten 
abhängig  gemacht;  und  Matthias  glaubte,  leider  wohl  mit  Recht, 
dafs  diese  nur  in  wenigen  Fällen  der  Sache  günstig  sein  würden. 
Inzwischen  hat  das  Jahr  1892  eine  neue  Verschiebung  ge- 
bracht, eben  nach  der  Seite,  nach  der  sie  erwartet  werden  mufste. 
Das  Studium  der  alten  Sprachen  ist  noch  mehr  eingeschränkt  und 
genötigt  worden  einen  weiteren  Teil  der  allgemein  bildenden 
Aufgaben,  die  es  früher  zu  lösen  hatte,  an  den  deutschen  Unter- 
richt abzugeben,  dessen  centrale  Stellung  nunmehr  durch  amtliche 
Vorschrift  angeordnet  erscheint.  Dabei  ist  die  philosophische  Pro- 
pädeutik jetzt  auch  als  fakultatives  Lehrfach  abgeschafft.  Aller- 
dings haben  sich  sofort  Stimmen  erhoben,  die  fordern,  dafs  sie 
wieder  zugelassen  werde;  so  Geheimrat  Schuppe  (Greifswald)  in 
einem  Aufsatz  der  Zeitschrift  f.  d.  Gymnasialw.,  „Erfolg  und  Mifs- 
erfolg**  (1894  S.  91ff.),  aus  dessen  beherzigenswertem  Inhalt 
wenigstens  der  Gedanke  hoffentlich  wieder  Anerkennung  finden 
wird,  dafs  für  den  Lehrer  des  Deutschen  in  den  oberen  Klassen 
philosophische  Vorbildung  sehr  viel  wichtiger  ist  als  germanistische. 
Direktor  Leuchtenberger  (Posen)  hat  eine  eigene  Broschüre  ver- 
öffentlicht: „Die  philosophische  Propädeutik  auf  den  höheren 
Schulen.  Ein  Wort  zu  ihrer  Wiedereinsetzung  in  ihre  alten 
Rechte**  (Berlin,  1893).  Hier  wird  darüber  Klage  geführt,  dafs  die 
Regierung  in  neuerer  Zeit  nichts  gethan  habe,  um  den  Unterricht 
in  der  philosophischen  Propädeutik  überall  zu  erzwingen,  und  die 
Forderung  angestellt,  dafs  er  von  neuem  mit  einer  Wochenstunde 
zu  einem  allgemein  verbindlichen    gemacht   und  durch  genauere 


444  B^»  deotscliefl  Lesebuch  in  Prima, 

Vorschriften  geregelt  werde.  Das  empGehlt  ein  Mann,  der  seit 
Jahren,  wie  er  berichtet  und  wie  man  nach  seinen  Mitteilungen 
gern  glaubt,  diesen  Unterricht  mit  Eifer  und  Erfolg  gegeben  hat! 
Wo  aus  den  Kreisen  der  Lehrer  selbst  Zumutungen  dieser  Art  an 
die  Unterrichlsverwaltung  gemacht  werden  —  und  das  ist  in 
jüngster  Zeit  mehrfach  geschehen  — ,  da  kann  man  es  ihr  schliefs- 
lieh  kaum  verdenken,  wenn  sie  mehr  und  mehr  dazu  kommt  in 
allen  wichtigen  Fragen  uns  den  Entschlufs  und  die  Verantwortung 
abzunehmen.  Leuchtenberger  erzählt  doch  gerade  (S.  4  IT.;  vgl. 
S.  26)  die  Geschichte  des  propädeutischen  Unterrichtes  in 
Preulsen^);  und  die  lehrt  aufs  unzweideutigste,  dafs  er  von  dem 
Augenblick  an  Kraft  und  inneres  Leben  verlor,  wo  er  (1837)  von 
allen  Schulen  als  etwas  Notwendiges  verlangt  wurde.  Seien  wir 
dankbar,  dafs  die  neueste  Reform  diesen  Fehler  nicht  wiederholt  und 
eine  Erweiterung  des  Gymnasialunterrichtes,  die  nur  durch  frei- 
wUligen  Eifer  und  eigentumliche  Begabung  einzelner  Lehrer  ge- 
deihen kann,  wirklich  einmal  diesen  persönlichen  Mächten  anheim- 
gestellt hat. 

Denn  die  Möglichkeit,  das  wiederzugewinnen  was  die  ele* 
mentare  Behandlung  von  Logik  und  Psychologie  in  Prima  früheren 
Generationen  geleistet  hat,  fehlt  auch  jetzt  keineswegs.  Sie  liegt 
in  der  Richtung,  auf  die  schon  in  den  vorhergehenden  Jahren 
mehrfach,  z.  B.  eben  von  Matthias,  hingewiesen  worden  war;  und 
die  „Lehrpläne**  selber  bezeichnen  die  Stelle,  an  der  sich  eine 
erste  Anleitung  zu  philosophischem  Denken  und  zu  einer  inner- 
lichen Auffassung  der  Fachstudien  in  den  bestehenden  Rahmen 
des  deutschen  Unterrichtes  einfugen  läfst.  Zur  Ergänzung  der 
Prosalektüre  aus  den  klassischen  Schriftstellern  wird  (S.  16)  die 
„Durcharbeitung  schwierigerer  Stücke  eines  Lesebuchs  für  P* 
empfohlen;  und  in  den  „Methodischen  Bemerkungen**  heifst  es 
dazu  (S.  18):  „Die  auf  allen  Stufen  neben  der  Dichtung  zu 
pflegende  Prosalektüre  hat  den  Gedanken-  und  Gesichtskreis  des 
Schülers  zu  erweitern  und  zumal  auf  der  Oberstufe  den  Stoff  für 
Erörterung  wichtiger  allgemeiner  Begriffe  und  Ideen  zu  bieten. 
Zweckmäfsig  geleitet  kann  diese  Lektüre  in  der  Prima  die  oft 
recht  unfruchtbar  betriebene  und  als  besondere  Lehraufgabe  hier 
ausgeschiedene  philosophische  Propädeutik  ersetzen**. 


Ist   somit   dem  Lesebuch   im  deutschen  Unterrichtsplan   der 
obersten  Klasse   ein   fester  Platz   angewiesen,   dessen  Ausfüllung 


0  DeDselbeo  Gegenstand  habe  ich  behandelt  io  der  kleinen  Schrift: 
„Der  Unterricht  in  Prima,  ein  Abschlqjs  und  ein  Anfang'*  (besonderer  Ab- 
druck aas  den  Verhandlungen  der  Görlitzer  Philologen -Versammlang),  Leipzig 
1890.  Es  ist  vielleicht  der  Mähe  wert  beide  Darstellongen  mit  einander  za 
vergleichen,  um  za  sehen,  wie  verschiedene  Folgerungen  aus  denselben  That- 
Sachen  gezogen  werden  können. 


von  P.  Caner.  445 

zwar  nicht  als  unerläfslich  doch  als  wünschenswert  bezeichnet 
wird,  so  möchte  manchem  Fachgenossen  ein  Bericht  über  Er- 
fahrungen willkommen  sein,  die  mit  einem  Versoch  auf  diesem 
Gebiete  seit  einer  Reihe  von  Jahren  gemacht  worden  sind.  Das 
Ton  mir  herausgegebene  „Deutsche  Lesebuch  für  Prima'*  (Berlin 
1887,  Julius  Springer),  dasselbe,  aus  dessen  Besprechung  im  „Gym- 
nasium" oben  ein  paar  Sätze  mitgeteilt  wurden,  entspricht  seinem 
Plane  nach  ziemlich  genau  dem  Programm,  das  Matthias  in  dem 
angeführten  Aufsatz  vom  J.  1889  gezeichnet  hat;  und  auch  im 
einzelnen  deckt  sich  sein  Inhalt  zu  einem  guten  Teile  mit  der 
dort  empfohlenen  Auswahl.  Das  Buch  ist  an  einer  kleinen  Anzahl 
?on  Gymnasien  und  Realanstalten,  teils  aufserhalb  Preufsens  teils 
in  mehreren  Provinzen  unseres  Staates,  eingeführt.  Von  der  Art, 
wie  ich  selbst  es  benutze,  soll  hier  eine  kurze  Schilderung  ge- 
geben werden. 

1.  Unter  den  darin  enthaltenen  Stücken  sind  nicht  allzu 
Tide,  die  von  den  Schülern  ohne  jede  Mitwirkung  des  Lehrers 
bewältigt  werden  können.  Doch  fehlt  es  nicht  an  solchen,  für 
die  diese  Hilfe  erst  nachträglich  einzutreten  braucht,  nachdem  sie 
versucht  haben  auf  eigene  Hand  in  das  Verständnis  einzudringen. 
Unter  den  drei  häuslichen  Arbeiten,  die  ich  jeden  Sommer  aus 
Unter-Prima  erhalte,  besteht  immer  eine,  am  liebsten  die  erste, 
in  der  ausgeführten  Disposition  zu  einem  Aufsatz  des  Lesebuches. 
Etwas  zu  leicht  stellte  sich  diese  Aufgabe  bei  dem  Kapitel  aus 
Roseber:  „Uauptursachen  der  Kolonisation*'  (6),  das  durch 
numerierte  Oberschriften  in  vier  Teile  gegliedert  ist;  und  viel- 
leicht hatte  ich  beim  Druck  des  Buches  nicht  recht  gethan,  um 
der  Raumersparnis  willen  das  ursprünglich  gewählte,  stilistisch 
gerundetere  Stück  „Geistiger  Charakter  des  Koloniallebens*'  zurück- 
zustellen und  durch  das  vorliegende  zu  ersetzen.  Doch  bot  sich 
auch  hier  Gelegenheit,  im  einzelnen  selbständig  zu  gruppieren 
und  aus  der  Fülle  des  vom  Verf.  mitgeteilten  Details  die  leitenden 
Gedanken  herauszufinden,  anstatt  sich,  was  natürlich  auch  von 
manchen  geschah,  durch  Wiedergabe  einiger  Beispiele  damit  abzu- 
finden. Schärferes  Eindringen  verlangte  der  einleitende  Abschnitt 
aus  Neumanns  Physikalischer  Geographie  von  Griechenland:  „Die 
Natur  eines  Landes  als  Faktor  seiner  Kulturentwickelung*'  (4), 
oder  die  Göttinger  Festrede  von  Ernst  Curtius:  „Der  Wettkampf" 
(3).  In  beiden  Fällen  war  das,  was  bei  Rückgabe  der  schriftlichen 
Arbeiten  sachlich  zu  erklären  blieb,  weniger  als  bei  Röscher,  aber 
die  Anlage  der  Abhandlung  mutste  eingehend  besprochen  werden. 
Und  da  stellte  sich  heraus,  dafs  nicht  alle  zwanzig  Primaner  die- 
selben Hauptteile  gefunden  hatten;  ja,  der  Lehrer  selbst  liefs 
zuletzt  für  deren  Ansetzung  mehrere  Möglichkeiten  gelten.  Das- 
selbe geschah  bei  der  Rede  von  Georg  Curtius  „Über  die  Pietät" 
(38),  die  doch  ein  vortrefflich  klares  und  einfaches  Beispiel  einer 
methodisch  fortschreitenden  Begriffsentwickelung  bietet.  Die  jungen 


446  ^1°  deatsches  Lesebach  in  Prima, 

Leute  mufsten  denn  schon  im  kleinen  erfahren,  dafs  es  für  ein 
Kunstwerk  je  nach  der  Art  des  Betrachters  verschiedene  Auf- 
fassungen geben  kann^  die  gleich  berechtigt  nebeneinander  stehen. 
Auch  die  erste  Vorlesung  aus  Wilhelm  Wackernagels  Stilistik:  „Vom 
Stil  im  allgemeinen*'  (22)  habe  ich  in  der  geschilderten  Weise  be- 
handeln lassen.  Immer  ergab  sich,  neben  manchem  anderen,  der 
Gewinn,  dafs  in  einem  scheinbar  glatt  verlaufenden  Gedankengange 
die  Spuren  der  sorgsamen  Vorarbeit  des  Autors  aufgedeckt  und  so 
die  Lernenden  auf  die  Notwendigkeit  hingewiesen  wurden,  bei 
ihren  eigenen  Aufsätzen  ähnlich  zu  verfahren. 

Das  zuletzt  erwähnte  Stuck  gehört  seines  Inhalts  wegen  zu 
denjenigen,  die  ich  kürzer  oder  ausführlicher  mit  jeder  Generation 
von  Schülern  einmal  durchnehme.  Was  im  Grunde  „StiP*  sei^ 
wie  in  ihm  ein  objektives  Element,  das  durch  Gegenstand  und 
Zweck  der  Darstellung  bedingt  wird,  und  ein  subjektives,  in  dem 
die  geistige  Eigenart  des  Schreibenden  hervortritt,  sich  gegenseitig 
durchdringen,  welche  Berechtigung  das  BufTonsche  „Le  style  c'est 
Thomme*'  habe:  das  sind  Fragen,  über  die  ein  Primaner  gründlich 
nachdenken  soll;  und  die  Art,  wie  Wackernagel  dazu  anleitet,  ist 
für  ihn  schon  im  ersten  Semester  verständlich.  Das,  was  er  hier 
über  den  W^ert  einer  individuellen  Schreibart  lernt,  wird  ihm  danu 
entweder  als  Sporn  dienen  müssen  oder  als  Zügel,  am  häufigsten 
wohl  das  letztere.  Denn  eine  etwas  nüchterne  und  selbst  lang- 
weilige Darstellung  kann  man  sich  von  einem  Anfänger  gern  ge- 
fallen lassen,  wenn  für  diesen  Preis  Sachlichkeit  und  Klarheit 
erworben  wird ;  dem  Trachten  nach  Originalität  aber,  das  sich  bei 
unreifen  Geistern  in  der  Regel  grade  in  der  Nachahmung  fremder 
Eigentümlichkeit,  besonders  gern  der  Lessingschen,  äufsert,  mufs 
kräftig  entgegengetreten  werden,  damit  es  nicht  in  Manier  ausarte. 
Zum  Stil  gehört  die  Durchdringung  und  Gruppierung  des  Stoffes, 
eine  Kunst,  die  durch  einen  Abschnitt  aus  Deinhardts  Dis- 
positionslehre, „Von  der  Einteilung  (divisio)  und  von  der  Zerteilung 
(partitio)'S  gefördert  werden  kann.  Auch  diesen  Aufsatz  (21)  be- 
handle ich  irgendwie  jedes  Jahr  in  Unter-Prima.  Er  giebt  leicht 
Gelegenheit,  einige  Grundbegriffe  der  elementaren  Logik:  Genus, 
Species,  Individuum,  damit  zugleich  das  Wesen  der  DeOnition, 
etwas  eingehender  und  doch  ohne  eigentliche  Abschweifung  zu 
erörtern.  Endlich  Justus  Mosers  Brief  an  einen  Freund,  „Wie 
man  zu  einem  guten  Vortrage  seiner  Empfindungen  gelange^'  (20), 
ist  mit  Recht  auch  anderwärts  in  deutschen  Lesebüchern  ein- 
gebürgert. Ganz  mit  der  peinlichen  Sorgfalt,  die  der  Verf.  hier 
beschreibt,  werden  ja  Schüler  bei  ihren  Ausarbeitungen  nichl 
verfahren  können;  und  vor  einem  Gedanken  darin,  dem,  dafs  für 
jedes  Thema  die  beste  Art  der  Darstellung  immer  nur  eine  sei, 
warne  ich  sie  sogar.  Aber  unverloren  bleibt  ihnen  doch  der 
Einblick  in  die  Werkstätte  des  Schriftstellers,  den  Moser  hier  ge- 
währt;   und    die  Erkenntnis,   wie  mühsam  selbst  ein  Meister  des 


'YOD  P.  Cauar.  447 

schlichten  Süles  mit  der  Sprache  riogt,  mag  die  einen  zu  bescheidener 
Selbstkritik  mahnen,  die  andern  nach  eigenen  Mifserfolgen  ermutigen. 
Bisher  haben  wir  an  den  schriftlichen  Arbeiten  der  Schüler 
die  formale  Seite  betrachtet;  auch  für  den  Stoff  erweist  sich  das 
Lesebuch  nutzlich.  ,,Aus  welchen  Ursachen  entwickelte  sich  die 
Weltherrschaft  der  Römer?''  ist  ein  Thema,  das  auch  sonst  wohl 
Primanern  gestellt  wird  und  für  das  sie  aus  Geschichte  und 
lateinischer  Lektüre  mancherlei  Gedanken  mitbringen.  Sehr  will- 
kommen war  doch  die  Bereicherung,  die  ein"  Paragraph  aus  Iherings 
„Geist  des  römischen  Rechts''  bot,  der  „das  Wesen  des  römischen 
Geistes  und  die  Prädestination  desselben  für  die  Kultur  des  Rechts" 
behandelt  (9)  und  durch  ein  bekanntes  Molto  aus  Vergil,  Tu 
regere  imperio  populos  Romane  memento,  gleich  das  Vertrauen 
der  jungen  Leute  gewann.  (Nicht  alle  wufsten  aus  dieser  Quelle 
zn  schöpfen,  manche  versuchten  es  ungeschickt;  wieder  andern 
gelang  es  gut.  Und  nebenbei  ist  dies  doch  auch  etwas,  was  ge- 
lernt werden  soll  und  was  jeder,  der  sich  später  mit  Wissen- 
schaften abgiebt,  gebrauchen  kann,  daüs  man  für  eine  eigene 
Untersuchung  das  Material,  das  fremde  Arbeiten  liefern,  wirksam 
und  doch  nicht  unselbständig  zu  verwerten  verstehe.  Eine  ver- 
wandte Frage,  die  ich  ein  paar  Jahre  später  beantworten  Uefs, 
lautete:  ,4nwiefern  hat  auf  die  Geschichte  der  Griechen  und 
Römer  die  Lage  und  Beschaffenheit  ihrer  Wohnsitze  bestimmend 
eingewirkt?"  Dafür  wurde  der  schon  oben  erwähnte  Aufsatz  von 
Neumann  herangezogen.  Eine  eigentümliche  Auffassung  vom 
Yerstandesleben  vertritt  der  muntere  und  doch  tiefernste  Vortrag 
von  Erdmann  „Über  Dummheit"  (37).  Sie  wird  hier  nur  als 
Beschränktheit  verstanden,  als  Mangel  der  Fähigkeit  die  Dinge  aus 
mehr  als  einem  Gesichtspunkte  zu  betrachten,  als  eine  beinahe 
moralische  Schwäche,  die  denn  aber  auch  durch  festen  Willen 
bekämpft  werden  könne.  Nahm  man  den  Begriff  des  lateinischen 
prudeos  und  das  schöne  Lob  des  Polydamas,  S  yoQ  olog  oqa 
jiQOifam  xal  oniaaa^  hinzu,  so  konnte  der  Plan  entstehen,  als 
Gegenstück  das  Wesen  der  Klugheit  zu  entwickeln.  Dies  natürlich 
erst  in  Ober-Prima;  aber  da  geriet  es  auch  ganz  hübsch,  wie  ich 
noch  jetzt  aus  einigen  Proben  der  besten  und  der  schwächsten 
Bearbeitungen,  die  ich  aufbewahrt  habe,  erkenne.  Viel  bescheidener 
und  wieder  den  Kräften  des  ersten  Jahrganges  entsprechend  war 
die  Forderung,  Jacob  Grimms  Ansichten  über  das  „Wesen  der 
Tierfabel"  (13)  mit  dem  Ertrage  aus  Lessings  Abhandlungen,  die 
in  der  Klasse  gelesen  waren,  zu  vergleichen.  Der  Fehler,  dais 
dem  einen  zu  gunsten  des  andern  unrecht  geschah,  wurde  dabei 
fieifacb  gemacht;  und  so  gab  die  Korrektur  dieses  Aufsatzes  einen 
AniaÜB  zu  zeigen,  dafs  litterarische  Leistungen  nicht  mit  dem  be- 
quemen Malisstabe  von  falsch  und  richtig  gemessen  werden  dürfen, 
vnd  in  den  jungen  Köpfen  eine  Ahnung  davon  zu  wecken,  wie 
ein  wissenschaftliches  Problem  sich  fortentwickelt. 


448  ^^B  dentsches  Lesebach  io  Prima, 

2.  Dieselbe  Beobachtung  konnten  wir  auch  an  andern  Punkten 
machen,  ohne  dafs  es  gerade  immer  eine  eigene  Ausarbeitung 
war,  die  dazu  führte.  Lessings  Laokoon  und  Dramaturgie  fordern 
eine  ergänzende  Betrachtung.  Ein  Mann,  der  die  Macht  des  Vor- 
urteils und  der  Phrase  so  ritterlich  bekämpft  hat  wie  er,  hat 
Anspruch  darauf,  daCs  wir  seine  eigenen  Ansichten  nicht  zum 
Dogma  erheben,  vielmehr  da,  wo  sie  fehlgegangen  sind,  zu  be- 
richtigen suchen.  Und  die  Art,  wie  Jacob  ßernays  den  Schein- 
begriff „tragische  Reiiligung  der  Leidenschaften*',  der  lange  Zeit 
„jedem  Gebildeten  geläufig  und  keinem  Denkenden  deutlich'*  war, 
zerstört  hat,  ist  ganz  im  Geiste  Lessings  und  an  sich  herzerquickend, 
dafs  man  nur  wünschen  kann,  es  möchte  jedem  Schlagwort  ein- 
mal ebenso  ergehen.  Der  Aufsatz  „Aristoteles'  Ansicht  über  die 
Wirkung  der  Tragödie'*  (33)  darf,  wenigstens  seinem  Inhalte  nach, 
keinem  Leser  der  Hamburgischen  Dramaturgie  unbekannt  bleiben. 
Goethes  Bemerkungen  „Ober  Laokoon'*,  die  zu  einem  Teile  seiner 
Werke  gehören,  den  anzuschaffen  man  nicht  jedem  Schüler  zu- 
muten kann,  und  die  deshalb  einen  Platz  im  Lesebuch  (28)  ge- 
funden haben,  knöpfen  nicht  unmittelbar  an  Lessing  an.  Aber 
der  aufmerksame  Leser  merkt  die  Beziehung,  ja  er  erschrickt, 
wenn  er  sich  erinnert,  wie  Lessing  die  Darstellung  des  Transitori- 
sehen  der  bildenden  Kunst  absprach,  und  nun  bei  Goethe  die 
Sätze  liest:  „Äufserst  wichtig  ist  dieses  Kunstwerk  durch  die  Dar- 
stellung des  Moments.  Wenn  ein  Werk  der  bildenden  Kunst  sich 
wirklich  vor  dem  Auge  bewegen  soll,  so  mufs  ein  yoröbergehender 
Moment  gewählt  sein".  Hier  ist  in  der  Tbat  ein  Gegensatz,  den 
es  gilt  in  seinem  Grunde  zu  erfassen  und  mit  der  bewundernden 
Anerkennung  in  Einklang  zu  bringen,  die  Goethe  in  „Wahrheil 
und  Dichtung"  dem  Werke  Lessings  zollt.  Das  ist  eine  nicht 
leichte,  aber  um  so  lohnendere  Aufgabe.  Der  Name  Winckelmanns 
wird  bei  Goethe  und  Lessing  mehr  als  einmal  genannt;  doch  zu 
eingehender  Beschäftigung  mit  ihm  ist  in  der  Schule  kein  Raum. 
Da  mag  seine  „Erinnerung  über  die  Betrachtung  der  Werke  der 
Kunst**  (29),  auch  wo  man  sie  der  Privatlektöre  überlassen  mufs, 
einen  kleinen  Begriff  von  der  Schreibart  des  Mannes  geben  und, 
was  wichtiger  ist,  von  der  neuen  Betrachtungsweise,  die  er  in  das 
Denken  der  Menschheit  eingeführt  hat.  Ähnliches  gilt  von  Herder, 
dessen  historische  Grundanschauung  —  es  macht  sich  nichts,  es 
wird  —  för  mannigfaltige  Zweige  des  geistigen,  wirtschaftlichen, 
politischen  Lebens  fruchtbar  geworden  ist,  übrigens  gerade  jetzt 
wieder  in  Gefahr  ist  verloren  zu  gehen  und  wohl  einer  Erneuerung 
bedarf.  Sein  Aufsatz  über  die  „Ursachen  des  gesunkenen  Ge- 
schmackes bei  den  verschiedenen  Völkern,  da  er  gebluhet'*  (12) 
macht  den  Schülern  diese  Ansicht  auf  einem  Gebiete  deutlich,  das 
ihnen  nahe  liegt,  dem  litterarischen,  und  regt  sie  zugleich  an,  die 
einzelnen  Erscheinungen,  die  sie  kennen  lernen,  in  den  grofsen 
Gang  einer  zusammenhängenden  Entwickelung  einzuordnen.    Ge* 


voQ  P.  Caner.  449 

legentlich  habe  ich  diesen  Aufsatz  so  behandelt,  dafs  in  einem 
der  freien  Vorträge,  die  für  die  oberen  Klassen  vorgeschrieben 
sind,  Yon  einem  Schäler  darüber  berichtet  wurde. 

Wenn    die  yerschiedenen  Teile   des   deutschen   Unterrichtes 
durch  das  Lesebuch  Nahrung  erhalten,  so  gehen  doch  auch  andere 
Fächer  nicht  leer  aus.   Die  schon  erwähnten  Stucke  von  Neumann 
und  Röscher   können   nicht   verstanden  werden,    ohne   dafs    die 
Besprechung    auf  die  geographischen  und  geschichtlichen  Kennt- 
nisse der  Schüler  eingeht.    Und    wenn   hier  und   da   eine   neue 
Thalsache  ihnen  mitgeteilt  oder  erläutert  werden  muTs,    so  wird 
es   sich   doch   in  der  Regel  nicht  hierum  handeln,   sondern  um 
Zusammenfassung   des  Vorhandenen    unter  leitende  Begriffe   und 
allgemeine  Gesichtspunkte.     Das  ist  ja  die  Art,   wie  der  deutsche 
Unterricht   sein  Hittieramt   ausüben   soll,    dafs  er  alles,   was  in 
anderen  Stunden   an  Kenntnissen   erworben  worden  ist,    bei  ge- 
gebenem Anlafs    herausfordert,    das  eine  zu  dem  andern   in  Be- 
ziehung setzt  und  fiberall  das  stoffliche  Interesse,    das  die  Fach- 
studien gepflegt  haben,  zu  ergänzen  bemuht  ist  durch  Aufsuchen 
der  Grundgedanken  und  damit  zugleich  der  eigentlich  geistbilden- 
den Elemente   in   den    einzelnen  Wissenschaften.    Hierbei  ist  es 
kein  Unglück,   wenn  auch   Gebiete   berührt  werden,    auf  denen 
manche  Schüler  dem  Lehrer   an  Wissen   überlegen  sind.    Ihnen 
ist  es  eine  Freude,  etwas  Eigenes  beitragen  zu  können,  und  für 
die  ganze  Klasse  bestärkt  sich  der  Eindruck,  dafs  der  Unterricht 
eine  gemeinsame  Arbeit  ist,   deren  Inhalt  auch  der  Lehrer  nicht 
als  einen  allezeit  fertigen  mitbringt    So   habe  ich  gern,    als  wir 
die  Rektoratsrede  von  Helmholtz  „Ober  das  Verhältnis  der  Natur- 
wissenschaften zur  Gesamtheit  der  Wissenschaft*'  (16)  lasen,  zur 
Erläuterung  von  physikalischen  Einzelheiten,  die  erwähnt  wurden, 
einen  angehenden  Naturforscher  aufgefordert,  oder  wenn  wir  im 
Anschlufs  an  Otto  Gumprechts  Essai  „vom  Wesen  der  Musik"  (25) 
das    Musikalisch -Schöne   mit   dem   Architektonischen    verglichen, 
einem  Primaner,  der  in  unsem  Andachten  die  Orgel  spielte,  das 
Wort  gelassen.    Dafs   überhaupt  auch  die  Künste  in  den  Bereich 
der  Besprechung  gezogen  werden  könnten,  war  bei  der  Zusammen- 
stellung  des  Lesebuches    mein   besonderes  Augenmerk    gewesen. 
In  Ober-Prima  führt  die  Erzählung  von  Goethes  Leben  jedes  Jahr 
auf  den  merkwürdigen  Zug,   wie  er  als  Student  in  Dresden,   wo 
er    sich   bei   einem  Schuster   einquartiert  hat,   beim  Nachhause- 
kommen  aus  der  Galerie  plötzlich  das  Innere  der  Wohnung  als 
ein   Bild  von  Ostade  vor  sich   sieht.    Der  Name  des  Malers  hält 
uns    nicht   auf.    Aber  wie   die  allgemeine  Fähigkeit,   die  Goethe 
hier    erwähnt,    „die   Natur   mit   den   Augen    dieses    oder  jenes 
KöDStlers  zu  sehen'S  innerlich  begründet  sein  könne,  mufs  erklärt 
werden;    und  dazu  leistet  er  selbst  in  einem  der  Fragmente  aus 
Italien:  „Einfache  Nachahmung  der  Natur,  Manier,  Stil*'  (31)  die 
beste  Hilfe.    Das  Wesen  der  künstlerischen  Begabung  wird  dabei 

Zm^ekr,  f.  4.  OymnaiialwMen  XL VIII.   7.  8.  29 


450  Bii>  dentflches  Lesebaeh  in  Prima, 

deutlich  und  der  Begriff  „Stil",  der  schon  im  Torhergehenden 
Jahre  gewonnen  worden  ist,  in  seiner  Auffassung  vertieft.  Er 
läfst  sidi  dann  leicht  auf  das  Gebiet  der  redenden  Kunst,  ja  auf 
das  der  erzählenden  Wissenschaft  übertragen.  Die  Schüler  be- 
greifen, warum  dieselben  Ereignisse  von  verschiedenen  Geschicht- 
schreibern nicht  gleich  dargestellt  werden  können,  weshalb  bio- 
graphische Portraits  sich  ebenso  unterscheiden  müssen  wie  ge- 
malte. So  werden  sie  vor  blindem  Vertrauen  wie  vor  gedanken- 
loser Ablehnung  bewahrt,  wenn  sie  nun  einen  geistreichen  Versuch 
kennen  lernen,  den  Verlauf  der  ganzen  Weltgeschichte  zu  stilisieren, 
wie  das  in  Fichtes  Rede  über  „die  fünf  Hauptepochen  im  Erden- 
leben der  Menschheit"  (1)  unternommen  ist. 

3.  Gerade  dieses  Stück  hat  vielleicht  manchem,  der  das  Buch 
ansah.  Bedenken  erregt,  als  ob  es  über  die  Köpfe  der  Schüler 
hinausgehe.  Ich  habe  es  wiederholt  in  der  obersten  Klasse  ge- 
lesen und  kann  versichern,  dafs  es  ohne  grofse  Mühe  verstanden 
wird,  erheblich  leichter  als  das  unmittelbar  folgende  von  Scheppig: 
„Die  Bewegung  der  Geschichte"  (2).  Beide  beschäftigen  sich  mit 
der  Frage,  ob  die  Welt  besser  oder  schlechter  werde,  und  er- 
gänzen sich  gegenseitig  aufs  beste.  Den  Begriff  der  Spekulation 
kann  man  da,  wo  Schiller  und  Goethe  und  ihr  Gegensatz  behandelt 
werden,  nicht  umgehen;  ihn  zu  definieren  oder  überhaupt  im 
Abstrakten  zu  erläutern  ist  eine  üble  Sache.  Hier  sehen  die 
Schüler  an  einem  klassischen  Beispiel,  wie  „ohne  Rücksicht  auf 
irgend  eine  Erfahrung"  aus  blofsen  Begriffen  eine  Ansicht  von 
den  Dingen  entwickelt  wird,  die  doch  mit  dem  Anspruch  auftritt, 
ein  Bild  der  Wirklichkeit  zu  geben;  und  sie  finden  sich  darin 
zurecht,  weil  der  Stoff,  mit  dem  operiert  wird,  ihnen  vertraut  ist. 
Auf  der  andern  Seite  dann  bei  Scheppig  eine  schöne  Probe  jener 
Betrachtungsweise,  die  nicht  von  den  Prinzipien  ausgeht  sondern 
aus  der  bunten  Fülle  des  Stoffes  die  beherrschenden  Ideen  zu 
erkennen  trachtet,  nicht  vom  Ganzen  ins  Einzelne  hinab  sondern 
aus  dem  Detail  zu  den  allgemeinen  Begriffen  aufwärts  steigt  Es 
ist  das  alte  Doppelwesen  von  Deduktion  und  Induktion,  jede  von 
beiden  hier  nicht  nur  als  eine  Methode  zu  verstehen,  statt  deren 
man  den  Umständen  nach  auch  die  andere  benutzen  könnte, 
sondern  als  Ausdruck  der  Geistesart  eines  ganzen  Hannes.  Und 
eben  dieser  Gegensatz  durchdringt,  von  Piaton  und  Aristoteles  an 
bis  in  die  wissenschaftliche  Polemik  unserer  Tage  herab,  so  sehr 
das  Forschen  und  Denken  der  Menschheit,  dafs  man  wohl  thut 
ihn  jungen  Männern,  die  an  dieser  grofsen  Arbeit  selbständig 
teilzunehmen  sich  rüsten,  im  voraus  klar  zu  machen. 

Ein  zweites  Paar  von  ähnlicher  Bedeutung  bilden  Witz  und 
Scharfsinn,  dem  breiten  und  dem  spitzen  Blick  in  der  Betrachtung 
des  Kunstwerkes  entsprechend.  Jean  Pauls  Vergleich  beider  Fähig- 
keiten (36)  ist  vielleicht  das  Schwerste,  was  mein  Buch  enthält; 
seine  Gedanken  für  Primaner  zu  vollem  Verständnis  zu  bringen 


r 


V  0  n  P.  C  a  a  e  r.  45 1 

nicht  m5glicb.  Aber  auch  das  schadet  einmal  nichts;  mögen  sie 
ffihlen,  dafs  es  im  Himmel  und  auf  Erden  Dinge  giebt,  von  denen 
ihre  Schulweisheit  sich  nichts  träumen  lälst.  Die  Vorrede  zu 
Lessings  Laokoon  verlangt  eine  Erklärung  der  beiden  BegrifTe, 
und  ihr  Grundverhältnis  erkennt  man  bei  Jean  Paul  doch  deutlich 
genug.  An  dem  Namen  „Witz**  nehmen  die  Jungen  zuerst  An- 
stofs;  aber  sie  gewöhnen  sich  bald  daran  und  entschliefsen  sich 
Benjamin  Franklins  Entdeckung  und  den  kühnen  Plan  des  Columbus 
als  Thaten  des  Witzes  zu  begreifen.  An  ein  paar  weiteren  Bei- 
spielen fangen  sie  dann  an  einzusehen,  wie  die  grofsen  Fortschritte 
der  Wissenschaft  immer  durch  ein  Zusammenwirken  der  beiden 
Kräfte  zu  stände  gekommen  sind,  und  dafs  Lessings  geringschätziges 
Urteil  über  die  eine  von  ihnen  doch  keine  absolute  Geltung  be- 
hauptet. —  „Es  bildet  ein  Talent  sich  in  der  Stille,  sich  ein 
Charakter  in  dem  Strom  der  Welt*':  wenige  höhere  Schulen  wird 
es  geben,  an  denen  diese  Verse  nicht  von  Zeit  zu  Zeit  das  Thema 
eines  deutschen  Aufsatzes  abgeben.  Lessings  Dramaturgie  ladet 
dazu  ein,  das  Verhältnis  des  Genies  zur  Regel  zu  untersuchen. 
Manches  Verwandte  liefse  sich  anfuhren.  Und  auch  in  Jahren, 
wo  solche  Aufsätze  gerade  nicht  vorkommen,  wird  man  dafür 
sorgen  wollen,  dafs  Worte  dieser  Art  den  Schölem  nicht  blofse 
Worte  bleiben.  Sie  in  erster  Linie  sind  wohl  auch  gemeint,  wenn 
in  deD  „Lebrplänen''  empfohlen  wird,  durch  „Erörterung  wichtiger 
allgemeiner  Begriffe  und  Ideen"  in  Prima  ein  Stuck  philosophischer 
Propädeutik  zu  bieten.  Nun  mag  es  Lehrer  geben,  die  im  stände 
sind  dergleichen  in  ganz  freier  Entwickelung  lebendig  werden  zu 
lassen;  ich  bekenne,  dafs  mir  das  immer  eher  gelungen  ist,  dafs 
die  eigenen  Gedanken  leichter  und  reichlicher  zuströmten,  wenn 
ich  mich  interpretierend  an  die  Darstellung  eines  gedankenreichen 
Schriftstellers  anschlielsen  konnte.  Das  dritte  „Programm**  aus 
Jeau  Pauls  Ästhetik,  „Über  das  Genie"  (34),  gab  gerade  durch 
seine  Schwierigkeit  willkommene  Stutzen  für  die  gemeinsame 
Überlegung;  und  mit  besonderer  Genugthuung  habe  ich  ein  Stock 
Ton  Herbart,  dessen  Name  heutzutage  so  viel  unnützlich  geführt 
wird,  meinen  Primanern  erklärt,  noch  dazu  aus  der  Pädagogik: 
„Der  sittliche  Charakter'*  (44). 

Bei  einem  Gegenstande  wie  diesem  letzten  wenden  sich  von 
sdbst  die  Gedanken  auf  das  Praktische;  was  Charakter  sei,  kann 
man  mit  Jünglingen,  die  man  zu  erziehen  hat,  nicht  besprechen, 
ohne  dab  in  ihnen  der  Trieb  gestärkt  wird,  einen  eigenen  zu 
erwerben.  Ähnliche  Wirkung  versprechen  zwei  nicht  zu  schwierige 
Stöeke  aus  Kants  Kritik  der  praktischen  Vernunft,  deren  eines 
(43)  um  des  Einflusses  willen  aufgenommen  worden  ist,  den  Kant 
auf  Schillers  ethische  Weltanschauung  gehabt  hat;  als  wir  in 
Unter-Prima  „Das  Ideal  und  das  Leben**  zu  bewältigen  suchten, 
bnd  sich  hier  ein  Teil  der  notwendigen  Voraussetzungen.  Der 
andere,  kürzere  Aufsatz  ist  von  Kant  als  „Beschluß**  seines  Werkes 

29* 


452  Bi°  deatsehes  Lesebaeh  io  Prima, 

gegeben  und  steht  auch  in  meiner  Sammlung  am  Ende  (45). 
Indem  er  das  Bewufstsein  des  moralischen  Gesetzes  in  uns  mit 
dem  Anschauen  des  bestirnten  Himmels  über  uns  vergleicht  und 
aus  beiden  das  Geföhi  des  Zusammenhanges  mit  einer  übersinn- 
lichen Ordnung  der  Dinge  ableitet,  nährt  er  die  Achtung  vor  dem 
Unendlichen,  Unbegreiflichen  und  kann  als  Gegengift  in  einem 
Unterrichte  dienen,  der  sonst  naturgemäfs  gerade  darauf  abzielt, 
den  Verstand  zu  wecken  und  aufzustacheln,  dafs  er  nichts  im 
Dunkeln  lasse.  „Der  Mensch  mufs  bei  dem  Glauben  verharren^ 
dafs  das  Unbegreifliche  begreiflich  sei;  er  würde  sonst  nicht 
forschen**  sagt  Goethe.  Diese  Zuversicht  suchen  wir  auch  dem 
heranwachsenden  Geschlecht  einzupflanzen;  aber  sie  darf  nicht  zu 
der  Einbildung  verleiten,  dafs  das  Unbegreifliche  schon  begriffen 
und  damit  aus  der  Welt  geschafft  sei.  Unsere  Schuler  werden 
angehalten,  sich  bei  dem,  was  sie  lesen  und  hören,  nicht  mit 
halbem  Verständnis  zu  begnügen;  aber  eben  dadurch,  dafs  wir  sie 
nötigen  ihre  Kräfte  bis  aufs  äufserste  anzuspannen,  fähren  wir 
sie  an  die  Grenze,  die  naturgemäfs  dem  Verstehen  gezogen  ist, 
und  lehren  sie  das  Gebiet  anerkennen,  das  jenseits  liegt.  Daran 
wurde  schon  vorher  bei  Jean  Paul  erinnert.  Lazarus*  Vortrag 
über  den  Takt  (39)  giebt  reichlich  Anlafs  von  dem  Teil  der 
Seelenthätigkeit  zu  reden,  der  sich  unbewufst  abspielt,  der  auch 
im  täglichen  Leben  überall  in  schönen  oder  häfslichen  Wirkungen 
hervortritt,  während  er  selbst  sich  unserer  Beobachtung  und  Be- 
rechnung entzieht.  Und  unmittelbar  zwingen  die  Werke  der 
Klassiker  den  Betrachter  zur  Selbstbescheidung.  ,,Iphigenie**  und 
„Tasso**,  „Hamlet**,  Schillers  „Spaziergang**,  sein  Vergleich  von 
Realist  und  Idealist  lassen  sich  nicht  auflösen  wie  eine  mathema- 
tische Aufgabe;  es  bleibt  immer  ein  irrationaler  Rest,  der  nur 
mit  dem  Gefühl  erfafst  werden  kann  und  in  dem  doch  das  eigent- 
lich Entscheidende  enthalten  ist.  Wer  will,  mag  denen  nachgehen, 
die  das  Geheimnis  des  Daseins  mit  einem  wohlgeordneten  System 
von  theologischen  oder  metaphysischen  Begriffen  überbaut  haben; 
wir  halten  es  wieder  mit  Goethe,  wenn  er  bekennt:  „Das  schönste 
Glück  des  denkenden  Menschen  ist,  das  Erforschliche  erforscht  zu 
haben,  und  das  Unerforschliche  ruhig  zu  verehren**. 

4.  Für  die  Jugend  allerdings  ist  noch  die  Menge  des  Erforsch- 
liehen,  das  ihr  bevorsteht,  übergrofs;  und  wir  werden  doch  immer 
am  liebsten  ihre  Blicke  nach  dieser  Seite  lenken  und  jungen 
Männern,  die  wir  nach  wenigen  Monaten  oder  Wochen  zu  den 
Berufstudien  entlassen  wollen,  von  dem  Reiz  und  der  Fülle  der 
Aufgaben  erzählen,  die  von  ihnen  bezwungen  werden  sollen.  Dafs 
die  Grund  Verhältnisse  des  Staatslebens  einmal  im  Zusammenhang 
erörtert  werden,  gehört  zu  den  Pflichten  der  obersten  Klasse  eines 
Gymnasiums;  und  die  Hoffnung,  die  ich  vor  sieben  Jahren  hegte» 
hat  mir  der  Erfolg  bestätigt,  dafs  die  Einleitung  von  Dahlmanns 
Politik,  „Wie  der  Staat  zu  der  Menschheit  stehe**  (7),    einen  be- 


voo  P.  Caaer.  453 

quemen  Anhalt  dafür  bietet.  Dies  Stuck  ist  eines  von  denen,  die 
nicht  wohl  dem  eigenen  Studium  der  Schüler  zugewiesen  werden 
können;  die  taciteische  Gedrungenheit  des  Stiles  verlangt  eine 
sorgGlitige  Ergänzung  zahlreicher  Zwischenglieder  des  Gedankens, 
wie  sie  nur  in  fortlaufender  Erklärung  von  Absatz  zu  Absatz  ge- 
wonnen werden  kann.  Eben  das  Suchen  danach  ist  es  aber,  was 
den  Geist  in  Bewegung  setzt,  im  Lehrer  mitteilsam,  in  dea  Ler- 
nenden empfänglich  macht.  Als  Burger  des  Staates  sollen  alle 
einmal  ihren  Platz  ausfüllen;  in  den  Berufsarten  gehen  sie  bald 
aus  einander,  und  es  ist  nicht  möglich  auf  jede  in  gleicher  Weise 
vorzubereiten.  Doch  etwas  ist  mehr  als  nichts.  Ich  habe  es  mir 
zur  Regel  gemacht,  jährlich  in  den  letzten  Stunden  vor  der  Reife- 
prüfung einen  Zweig  der  Wissenschaft  oder  des  öffentlichen  Lebens 
in  der  Darstellung  eines  Heisters  den  Schülern  nahe  zu  bringen. 
Aach  die,  welche  zu  einer  anderen  Laufbahn  entschlossen  waren 
—  nnd  das  war  gewöhnlich  mehr  als  die  Hälfte  — ,  fanden  dabei 
ihre  Rechnung.  Denn  wenn  die  Stellung  einer  einzelnen  Wissen- 
schaft im  gesamten  Kreise  der  menschlichen  Interessen  bestimmt 
werden  sollte,  so  ergab  sich  von  selbst,  dals  benachbarte  oder 
entgegengesetzte  Geistesrichtungen  mit  betrachtet  und  geprüft 
worden.  Droysens  scharfe  und  geistvolle,  wenn  auch  vielleicht 
nicht  ganz  gerechte  Polemik  gegen  Buckle  („Erhebung  der  Ge- 
schichte zum  Rang  einer  Wissenschaft",  17)  ist  von  einem 
Historiker  für  Historiker  geschrieben ;  aber  sie  behandelt  ausführ- 
lich den  grofsen  Gegensatz  zwischen  exakter  Forschung  und 
Geisteswissenschaft  und  nötigt  den,  der  dem  Autor  folgen  will,  in 
den  innersten  Grund  dieses  Unterschiedes  einzudringen.  Dasselbe! 
leistet  von  der  andern  Seite  her  die  schon  erwähnte  Rede  „Über 
das  Verhältnis  der  Naturwissenschaften  zur  Gesamtheit  der  Wissen- 
schaft'^ (16)  von  Helmholtz,  der  bereitwilliger  als  Droysen  auch 
das  fremde  Gebiet  mit  teilnehmendem  Verständnis  umfafst  und 
vorzugsweise  dazu  helfen  kann,  dafs  durch  klare  doch  friedliche 
Scheidung  der  Prinzipien  die  Jünger  der  einen  Wissenschaft  zur 
Achtung  auch  der  andern  erzogen  werden.  Er  selbst  sprach  mir, 
als  ich  die  Erlaubnis  zum  Abdruck  von  ihm  erbat,  seine  Freude 
aas»  dafs  diese  Gedanken  den  Primanern  nahe  gebracht  werden 
sollten.  Nicht  ganz  so  in  die  Tiefe  steigt  die  Vorlesung  über 
„Philologie  und  Sprachwissenschaft''  (18),  mit  der  einst  Georg 
Curtius  seine  Lehrthätigkeit  in  Leipzig  eröffnete;  aber  auch  hier 
wird  ein  Grenzgebiet  zweier  Wissenschaften  behandelt,  dessen 
Kreuzungsverhältnisse  sich  an  vielen  Stellen  des  menschlichen 
Geisteslebens  wiederholen.  Wer  sie  einmal  deutlich  erkannt  hat, 
wird  nachher  leichter  der  Gefahr  widerstehen,  in  einseitigem  Fach- 
interesse sich  abzuschliefsen.  Denn  diese  Anschauung  möchten 
wir  doch  unsern  Schülern,  im  Gymnasium  wie  auf  der  Universität, 
mitteilen  und  zu  lebendiger  Kraft  in  ihnen  steigern,  an  welcher 
Stelle  immer  sie  später  berufen  werden  der  Gesellschaft  zu  dienen. 


454         ^^^  dentsches  Lesebaeh  in  Prima,  von  P.  Ctner. 

dafs  Wissenschaft  und  Kunst,  Litteratur  und  Geschichte,  Religion 
und  Recht,  jeder  dieser  Kreise  „kein  Dasein  für  sich  hat,   sein 
Wesen  vielmehr  das  Leben  der  Menschen  selbst   ist,   von   einer 
besonderen  Seite  angesehen*\  In  Bezug  auf  das  Recht  lehrt  dies 
Savigny   in   seiner  Schrift  „Vom  Beruf  unserer  Zeit  für  Gesetz* 
gebung  und  Rechtswissenschaft'*  (1814),  deren  grundlegende  Ab- 
schnitte („Entstehung  des  positiven  Rechts.   Gesetze  und  Rechts- 
bücher.   Römisches  Recht/'  8 )  ich  gerade  im  letzten  Winter  mit 
unsern  Abiturienten   durchgearbeitet   habe.    Wenig  modern  sind 
die  Gedanken,   die   hier  vorgetragen  werden;   um  so  mehr  tbut 
eine  Besinnung  auf  sie  not.    Und  vielleicht  mag  in  einem  jungen 
Juristen   die  Art,   wie  er  hier  zuerst  seine  Wissenschaft  kennen 
lernt,    den  Trieb   wecken,    durch  den  er  künftig  selber  sich  ihr 
Wesen   erschliefsen   soll.    Denen   aber,   die   nach   dem   Examen 
andere  Wege   gehen,   ist  es  vollends  kein  Schade,  wenn  sie  von 
ius  legitimum  und  ins  praetorium,  von  actiones  utiles  und  directae 
etwas  gehört  und,  über  dergleichen  Einzelheiten  hinaus,  von  den 
geistigen  und  sittlichen  Grundlagen  einer  Macht,  die  unser  ganzes 
öffentliches  Leben    durchdringt,   eine  Ahnung   bekommen  haben. 
Dasselbe  gilt  vielleicht  in  noch  höherem  Grade  von  dem  köstlichen 
Kapitel  aus  Clausewitz:  „Der  kriegerische  Genius*'  (40),   in  dem 
die  Eigenschaften,    deren  der  Soldat  und  der  Feldherr  bedarf,  in 
schlichtester  Sprache  und  doch  mit  voller  Einsicht  in  ihren  tieferen 
Zusammenhang  dargelegt  werden,  und  von  dem  idi  kühnlich  be* 
haupte,  dafs  seine  Interpretation,  die  freilich  nicht  in  einer  Woche 
abgethan  ist,  einen  propädeutischen  Kursus  der  Psychologie»  wie 
er  in  Prima  gegeben  werden  könnte,  reichlich  ersetzt 


Wes  das  Herz  voll  ist,  des  gehet  der  Mund  über:  das  iäfst 
man  gern  gelten.  Trotzdem  könnte  der  Eifer,  mit  dem  hier 
über  eigene  Versuche  berichtet  worden  ist,  den  störenden  Ein- 
druck machen,  als  solle  das  gleiche  Verfahren  zu  allgemeiner 
Annahme  empfohlen,  gar  Widerstrebenden  aufgedrängt  werden. 
Vielleicht  gelingt  es,  solcher  Auffassung  vorzubeugen.  Vor  drei 
Jahren,  als  man  an  der  Herstellung  der  neuen  Lehrpläne  arbeitete, 
wurde  ich  neben  anderen  vom  Herrn  Kultusminister  zu  einem  Gut- 
achten darüber  aufgefordert,  in  welcher  Weise  zur  Durchführung 
der  in  der  Schulkonferenz  gefafsten  Beschlüsse  „der  Gesamt- 
lehr- bezw.  Gedächtnisstoff  im  deutschen  Unterricht  an  allen  höheren 
Schulen,  den  Lehraufgaben  derselben  entsprechend,  zu  vermindern, 
zu  gruppieren  und  auf  die  einzelnen  Klassenstufen  der  Gymnasien« 
Realgymnasien,  Oberrealschulen  oder  höheren  Bürgerschulen  zu 
verteilen  sei'*.  Den  Inhalt  der  daraufhin  eingereichten  Denkschrift 
zu  veröffentlichen  wäre  kaum  angebracht;  aber  die  Worte,  mit  denen 
sie  schlofs,  setze  ich  unverändert  her,  weil  sie  fast  genau  auch  zu 
dem  passen,  was  ich  hier  ohne  amtliche  Veranlassung  gesagt  habe: 


Der  se^enwart.  Stand  d.  Schulbibelfrage,  v.  A.  Bähnisch.     455 

„Die  bestiminte  und  zuversichtliche  Sprache,  in  der  die  vor- 
stehenden Darlegungen  gehalten  sind,  ist  zum  Teil  eine  Folge  des 
Strebens  nach  Kürze,  in  der  Hauptsache  aber  doch  ein  Ausdruck 
der  lebhaften  Oberzeugung  von  der  Richtigkeit  der  vorgetragenen 
Anschauungen.  Je  entschiedener  ich  mich  zu  diesen  bekenne, 
um  so  mehr  halte  ich  es  für  Pflicht  hinzuzufügen,  dafs  alle  aus 
ihnen  abgeleiteten  positiven  Vorschläge  nur  eine  unter  vielen  ver- 
schiedenen Möglichkeiten  bezeichnen.  Das  Gedeihen  des  deutschen 
Unterrichtes  beruht  noch  mehr  als  das  jedes  anderen  auf  der 
vollen  Lust  und  Frische,  mit  der  der  Lehrer  ihn  erteilt.  Mir 
persönlich  ist  durch  das  Vertrauen  meiner  nächsten  Vorgesetzten 
für  Aea  deutschen  Unterricht  in  Prima,  den  ich  seit  sieben  Jahren 
erteile,  grofse  Freiheit  der  Bewegung  verstattet  worden.  Wenn 
ich  diese  in  meinem  und  im  Sinne  meiner  Schüler  oft  dankbar 
empfunden  habe,  so  darf  ich  zugleich  mit  diesem  Danke  wohl 
der  HoffnuDg  Ausdruck  geben,  dafs  meine  eigenen,  zum  Zweck 
der  Obersichtlichkeit  in  kategorische  Sätze  zusammengefafsten 
Erfahrungen  nicht  dazu  beitragen  mögen,  für  den  Unterricht  im 
Deutschen  eine  bestimmte  Richtschnur  festzustellen,  dafs  vielmehr 
meine  Arbeit  helfen  möchte  dem  Herbartschen  Grundsatz  An- 
erkennung zu  verschaffen:  Ein  gemeinsamer  und  gleicher  Lehr- 
plan für  die  Schulen  eines  ganzen  Staates  ist  nicht  möglich;  der 
Lehrplan  muJb  für  jede  einzelne  Schule  nach  örtlichen  und 
persönlichen  Verhältnissen  besonders  entworfen  werden/* 

Kiel,  Paul  Cauer. 


Der  gegenwärtige  Stand  der  Schulbibelfrage. 
Die  Völkersche,  die  Glarner  und  die  Bremer  Schulbibel. 

Seit  langer  Zeit  ist  die  Frage  nach  der  Notwendigkeit  und 
BeschaflTenheit  einer  Bibel  für  Schulen  von  Lehrern  und  Geist- 
lichen lebhaft  erörtert  worden;  gegenwärtig  ist  die  Angelegenheit 
in  einigen  deutschen  Staaten  zu  einem  gewissen  Abschluls  ge- 
kommen, in  andern  scheint  ein  solcher  bevorzustehen,  da  die 
Kirchen-  und  Schulbehörden,  die  sich  lange  der  Sache  ziemlich 
abgeneigt  zeigten,  mehr  und  mehr  die  Notwendigkeit  einer  Schul- 
bibel anerkannt  haben  ^). 


*)  Aiufiilirlieh  habe  ieh  di«  Sehalbibelfrtge  behandelt  io  der  Sehrifl: 
lit  eioa  Scholbibel  aotwendis  ond  wie  mofs  sie  besehafTen  sein  ?,  in  der  sich 
aaeli  die  ausgedehnte  Litteratnr  über  den  Gegrenstand  ang^eg^eben  findet.  Sie 
enMem  im  Jahreaberieht  des  Königl.  Evangelischen  Gymnasinms  in  Glogaa 
1692,  tfSter  in  erweiterter  Form  in  den  Zeitfragen  des  christlichen  Volks- 
lebens, Heft  126  (Band  17,  Heft  6).  Stuttgart  1892,  Belser.  0,80  M.  --  Vgl. 
feracr  besonders  Dix,  Geschichte  der  Schnibibel  (Gotha  1892.  0,60  M.),  ond 


456  D^f  §egenvftLri\g9  Stand  der  Schalbibelfrage, 

Im  Königreich  Sachsen  erklärte  das  Konsistorium  1867: 
„Wir  sehen  nicht  ein,  wie  bei  der  jetzt  bestehenden  Einrichtung 
der  grofse  Nachteil  und  Seelenschaden  abgewandt  werden  soll, 
der  durch  einzelne  Stellen  der  Schrift  hervorgerufen  werden 
kann'S  und  hier  erschien  1875  die  Schulbibei  von  Hofmann, 
Professor  der  Theologie  in  Leipzig  (Dresden,  Meinhold  und  Söhne. 
Dritte  Auflage  1887).  In  der  Schweiz  wurde  1887  die  (Glarner) 
Familienbibel  herausgegeben, deren  erste  drei  Auflagen  zusammen 
60  000  Exemplare  umfafst  haben  und  die  für  1894  bereits  in 
vierter  Auflage  angekündigt  ist.  In  Württemberg  gab  das 
Ministerium  1876  ein  Verzeichnis  der  in  der  Schule  zu  lesenden 
Stellen  der  Bibel  heraus,  und  diese  wurden  1889  im  amtlichen 
Auftrage  von  Direktor  Press el  zu  einem  Bibelauszuge  vereinigt. 

In  Preufsen  haben  sich  Kirchen-  und  Schulbehörden  lange 
im  wesentlichen  ablehnend  verhalten,  und  nach  dem  Centralblatt 
für  die  Unterrichtsverwaltung  war  eine  Schulbibel,  die  Hofmannscbe, 
1890  nur  an  drei  höhern  Lehranstalten  im  Gebrauch.  In  neuester 
Zeit  hat  jedoch  der  Oberkirchenrat,  dem  der  seit  Jahren  auf 
dem  Gebiet  der  Schulbibel  unermödlich  tbätige  Rektor  Völker  in 
Berlin  seine  verschiedenen  Bucher  zur  Prüfung  vorgelegt  hat,  in 
mehreren  Gutachten  die  Notwendigkeit  und  Nützlichkeit  einer 
Schulbibel  anerkannt.  Über  die  zweite  Auflage  von  Völkers 
Biblischem  Lesebuch  (1893)  urteilt  der  Oberkirchenrat,  „daüs  der 
darin  gebotene  Auszug  besser,  als  es  die  ganze  Bibel  oder  die 
biblische  Geschichte  für  die  Schule  darbieten  kann,  ein  geeignetes 
Hilfsmittel  werden  könne,  die  reifere  Jugend  in  den  Gebrauch 
und  das  Verständnis  der  Heiligen  Schrift  einzuführen^',  und  in 
einem  der  Gutachten  erklärt  der  Verfasser:  „Der  Wert  dieser 
Kürzungen  ist  ein  zweifacher.   Sie  beseitigen  einmal  die  Mög* 


Zange:  Ist  eine  Schalbibel  nötig?  in  der  Kirchlichen  Monatsschrift  von 
Pfeiffer  1890,  Band  9,  Heft  4  nnd  5.  Zu  dem  dort  Mitgeteilten  ist  vor  allem 
nachzatragen,  dafs  sich  inzwischen  die  Religionslehrer-Versammliingea 
von  Posen  1892,  Hessen-Nassao  1893,  der  Rheinproviaz  1893  and 
Schlesien  1894  mit  der  Sache  beschäftigt  haben  (Zeitschrift  far  evaag. 
ReligioDsanterricht  IV  156.  320.  321).  Die  Posener  Versammlung  nahm  nach 
dem  Vorschlage  des  Direktor  Heidrich  den  Satz  an :  „Eine  Schalbibel  ist  für 
die  mittleren  Klassen  der  hohem  Lehranstalten  ein  Bedbrfnis",  in  der  Rhein- 
provinz und,  wie  es  scheint,  auch  in  Hessen-flassaa  wurde  nur  Bericht  über 
die  Sache  erstattet  Auf  der  Versammlung  schlesischer  Religionslehrer  im 
März  1894  in  Breslau  sprach  Herr  Direktor  Weck  über  die  Schul  bibelfrage« 
im  besondern  über  die  Bremer  Schulbibel ;  er  hat  die  Güte  gehabt  mir  seine  Auf- 
zeichnungen zur  Benutzung  zu  überlassen.  Der  auf  streng  positivem  Stand- 
punkt stehende  Berichterstatter  trat  aus  pädagogischen  Gründen  mit  EbI- 
schiedenheit  für  eine  Schulbibel  ein.  Von  seinen  Thesen  kamen  der  vor- 
gerückten Zeit  wegen  nur  zwei  zur  Behandlung,  nämlich:  1.  „In  alleo 
evangelischen  Lehranstalten,  höhern  wie  niedern,  ist  dem  Religionaunterridit 
eine  Schulbibei  zu  Grunde  zu  legen".  6.  „Obwohl  nicht  frei  von  Mängeln, 
entspricht  unter  den  bisherigen  Versuchen  die  Bremer  Schulbibei  den  be- 
rechtigten Anforderungen  am  besten".  Die  Versammlung  nahm  diese  Satze 
einstimmig  an. 


voB  A.  BShnisch.  457 

liehkeity  dab  die  Kinder  in  den  Unterrichtsstunden  beim  Bibellesen 
durch  Überschlagen  von  Versen  und  Abschnitten  auf  das  An- 
stöfsige  aufmerksam  werden,  es  hier  oder  später  heimlich  lesen 
und  als  verbotene  Früchte  suchen  lernen.  Hiermit  ist  die  haupt- 
sächliche Gefahr  des  Gebrauchs  der  ganzen  Bibel  in  ihrem  un- 
verinderten  Wortlaute  erwähnt,  und  ich  bekenne  mich  zur  Partei 
derer,  welche  sie  mit  allen  Mitteln  zu  bekämpfen  suchen.  Mit 
dem  S'erfasser  können  viele  Geistliche  und  Lehrer  zahlreiche  Bei- 
spiele von  unsittlichem  Gebrauche  der  Bibel  anführen,  oft  auch 
nachweisen,  dals  Kinder,  welche  ihm  gefrönt,  früh  in  andere 
sittliche  Gefahren  gekommen  und  in  ihnen  untergegangen  sind. 
Tragt  auch  oft  die  häusliche  Erziehung  die  Hitschuld,  so  mufs 
doch  die  Schule,  welche  aus  ihren  Unterrichtsbüchern  stels  die 
Anstölse  entfernt  hat,  ein  Buch  gern  annehmen,  welches  sie  in 
Stand  setzt,  dies  Bemühen  auf  den  gesamten  Religionsunterricht 
auszudehnen.  Den  andern  Vorzug  der  Arbeit  finde  ich  in  der 
durck  Kürzung  enfstandenen  Übersichtlichkeit.  Es  ist  eine 
Freude  zu  empfinden,  wie  bestimmt  und  klar  die  Hauptsachen 
der  Darstellung  heraustreten,  nachdem  das  die  Hauptgedanken 
und  die  heilsgeschichtlichen  Thatsachen  für  das  Verständnis  der 
Kinder  und  auch  vieler  Laien  Verhüllende  weggefallen  ist.  Hau 
wird  es  unschwer  unternehmen  können  das  Buch  Hiob,  den 
Jesaja  und  andere  gröfsere  Abschnitte  in  vielklassigen  Elementar- 
schulen, Töchterschulen  u.  s.  w.  zu  lesen,  und  man  wird  es  nicht 
als  fruchtlos  zu  bereuen  haben.  Die  Leselust  mufs  erheblich 
wachsen,  wenn  Kinder  und  Laien  von  vornherein  die  Möglichkeit 
sehen  den  Stoff  mühelos  und  seinem  Inhalte  nach  vollständig  zu 
bewältigen.  Ja  ich  stehe  nicht  an  zu  hoffen,  dafs  der  biblische 
Geschichtsunterricht  durch  Gebrauch  dieses  Buches 
auf  eine  höhere  Stufe  gebracht  wird^*^). 

Da  zugleich  im  Februar  1894  eine  neue  Schulbibel,  die  der 
Bremer  Bibelgesellschaft,  erschienen  ist,  so  dürfte  es  an  der  Zeit 
fein  den  gegenwärtigen  Stand  der  ganzen  Angelegen- 
heit einer  Betrachtung  zu  unterziehen.  Im  folgenden 
beabeichtige  ich  die  Schulbibeln  zu  besprechen,  die  nach  meiner 
Meinung  für  die  Einführung  allein  in  Frage  kommen,  nämlich  die 
Bücher  Völkers,  die  Glarner.  und  die  Bremer  Bibel;  um  den  rich- 
tigen Hafsstab  für  die  Beurteilung  zu  gewinnen,  wird  es  nützlich 
sein  vorher  ini  allgemeinen  zu  erörtern,  wie  eine  Bibel  fttr 
Sdiafen  beschaffen  sein  mttsse. 

Der  Hauptgrund  für  die  Notwendigkeit  den  Schülern  statt 
der  VoUbibel  einen  Auszug  in  die  Hand  zu  geben  liegt  nach  dem 


^)  DiB  Vorstehende  fladet  sich  io  einer  Mitteilon;  der  Verlasshaodlong 
■■d  des  Verfassers,  die  zasaDoen  mit  Völkers  Biblischem  Lesebuch  ver- 
schickt  wird. 


458  ^^i*  ge^enwärtic^e  Stand  der  Schalbibelfrage, 

Urteil  des  Oberkirchenrats  in  dem  Umstände,  da&  zahlreiche 
Stellen  der  Heiligen  Schrift,  namentlich  des  Alten 
Testaments,  die  Sittlichkeit  der  Jugend  gefährden, 
indem  sie  geschlechtliche  Dinge  mit  einer  Offenheit  behandeln, 
wie  sie  sonst  im  heutigen  Leben  nicht  üblich  ist.  Diese  Stellen 
sind  von  zweierlei  Art:  sie  handeln  teils  von  wirklich  unsittlichen 
Dingen,  teils  von  natürlichen  Vorgangen  des  geschlechtlichen  Ge- 
biets. Von  der  ersteren  Art  sind  z.  B.  die  Erzählung  von  Lots 
Töchtern  1.  Mose  19,  30—38;  Onan  38,  8.  9;  Juda  und  Thamar 
38, 12 ff.;  Ehebruch  und  Unzucht  3.  Hose  18  und  20, 10 if.  4.  Hose 
25,  8.  5.  Mose  22;  Elis  Söhne  1.  Sam.  2,  22;  Amnon  2.  Sam.  13; 
Absalom  2.  Sam.  16,  21  f.;  die  (bildlich  zu  verstehende)  Bahlerei 
Judas  und  Israels  mit  den  Heiden  Hesek.  16  und  23;  die  Laster 
des  Heidentums  Rom.  1,  26  f. 

Die  Gegner  der  Schulbibel  pflegen  in  Bezug  auf  solche  Stelien 
zusagen,  dafs  in  ihnen  meist  der  VersOndigung  die  Strafe 
folge.  So  seien  sie  im  Gegenteil  geeignet  von  der  Sunde  abzu- 
schrecken, und  die  Schule  müsse  sie  deshalb  gerade  recht  ein- 
dringend behandeln  und  zu  ernster  Warnung  und  Ermahnung 
benützen.  Das  gilt  in  der  That  von  manchen  Stellen,  z.  B.  der 
Geschichte  von  David  und  Bathseba;  von  den  oben  angeführten 
liefsen  sich  etwa  die  Erzählungen  von  Elis  Söhnen  und  die  yon 
Absalom  so  behandeln.  Aber  an  vielen  SteUen  ist  von  Strafe 
keine  Rede,  z.  B.  nicht  bei  der  Geschichte  von  Lots  Töchtern, 
und  die  jüdischen  Anschauungen  stimmen  überhaupt  auch  auf 
diesem  Gebiet  nicht  völlig  mit  den  unsern  überein.  Ferner  aber 
haftet  der  Blick  des  Schülers  viel  zu  sehr  am  Nächsten,  als  dafs 
er  nicht  durch  die  Schilderung  des  Unerlaubten  mehr  angezogen 
als  durch  die  darauf  folgende  Erzählung  der  Strafe  abgeschreckt 
werden  sollte.  Mit  Recht  sagt  Palmer  ^):  „Das  Mittel,  von  deoi 
Laster  durch  Vorhaltung  der  traurigen  Folgen  abzuschrecken,  yer- 
fehlt  seinen  Zweck  leicht  darum  gänzlich,  weil  der  Zögling  bald 
dahinter  kommt,  dafs  jene  Folgen,  namentlich  der  Sünden  gegen 
das  sechste  Gebot,  keineswegs  immer  wirklich  eintreten,  eine 
Wahrnehmung,  auf  die  er  augenblicklich  die  Hoffnung  gründet, 
dafs  gerade  bei  ihm,  wenn  er  es  klug  angreife,  wenn  er  mit 
seinen  Excessen  ein  gewisses  Mafs  einhalte,  jene  Folgen  nicht 
eintreten  werden'*. 

Dann  aber  giebt  es  aufser  den  Stellen,  die  Unsittliches 
enthalten,  eine  grofse  Zahl  anderer,  in  denen  nur  das  Natür- 
liche natürlich  erzählt  wird,  aber  doch  in  einer  Weise,  die 
für  das  Auge  des  Kindes  nicht  bestimmt  und  sehr  geeignet  ist 
die  nachteiligsten  Wirkungen  zu  üben.  Hierher  gehören  von 
Abschnitten,  die  in  der  Schule  behandelt  werden,  zahlreiche  SteUen 


1)  Unter  „Laster"  in  der  Encyklopädie  des  Erzielian^s«  und  Unterrichts- 
Wesens  von  Schmid. 


voo  A.  Bähflisch.  459 

über  Frachibarkeit  und  Unfruchtbarkeit  der  Frauen  z.  B.  die  Er- 
zählung von  Hagar  I.Hose  16.  2 — 4^);  „Sarai  sprach  zu  Abram: 
Siehe,   der  Herr  hat  mich  verschlossen,   dafs  ich  nicht  gebären 
kann.   Gehe  doch  zu  meiner  Magd;  ob  ich  vielleicht  aus  ihr  mich 
aufbauen  möge.  .  • .  Und  er  ging  zu  Hagar,  die  ward  schwanger. 
Als  sie  nun  sah,   dafs  sie  schwanger  war,   achtete  sie  ihre  Frau 
gering  gegen  sich";  die  Ankündigung  der  Geburl  Isaaks  18, 11  f.: 
„Und  sie  waren  beide,  Abraham  und  Sara,   alt  und  wohlbetagt, 
also,  dafs  es  Sara  nicht  mehr  ging  nach  der  Weiber  Weise.   Darum 
lachte  sie  bei  sich  selbst  und  sprach:    Nun  ich  alt  bin,    soll  ich 
noch  Wollust  pflegen,  und  mein  Herr  auch  alt  ist?";  die  Weiber 
and  Kinder  Jakobs  29,31  -30,  23:    30,  1    „Da  Rahel  sah,   dafs 
sie   dem  Jakob   kein  Kind  gebar,   neidete  sie  ihre  Schwester  und 
sprach  zu  Jakob:   Schaffe  mir  Kinder;    wo  nicht,    so  sterbe  ich. 
3.  Sie  sprach  aber:  Siehe,  da  ist  meine  Magd  Bilha;  gehe  zu  ihr, 
da£s  sie  auf  meinen  Schofs  gebäre.  ...  9.  Da  nun  Lea  sah,  dafs 
sie   aufgehört  hatte  zu  gebären,   nahm  sie  ihre  Magd  Silpa  und 
gab  sie  Jakob  zum  Weibe.  . .  .  14 — 16.  Ruhen  ging  aus  zur  Zeit 
der  Weizenernte   und   fand  Dudaim-Beeren   auf   dem  Felde   und 
brachte   sie   heim   seiner  Mutter  Lea.     Da  sprach  Rahel  zu  Lea: 
Gieb  mir  von  den  Dudaim  deines  Sohnes  ein  Teil.    Sie  antwortete: 
Hast  du  nicht  genug,  dafs  du  mir  meinen  Mann  genommen  hast, 
und  willst  auch  die  Dudaim  meines  Sohnes  nehmen?  Rahel  sprach: 
Wohlan,   lafs   ihn   diese  Nacht  bei  dir  schlafen   um  die  Dudaim 
deines  Sohnes.     Da  nun  Jakob  des  Abends  vom  Felde  kam,  ging 
ihm  Lea  liinaus  entgegen  und  sprach:  Zu  mir  sollst  du  kommen, 
denn  ich  habe  dich  erkauft  um  die  Dudaim  meines  Sohnes.    Und 
er    schlief  die  Nacht   bei   ihr";    die  Kinderlosigkeit  von  Samuels 
Matter  1.  Sam.  5,  6;  die  Geburt  Jakobs  und  Esaus  1. Mose  25, 21  ff.: 
„Der  Herr  lieJOs  sich  erbitten,  und  Rebekka  ward  schwanger.   Und 
die  Kinder  stiefsen  sich  mit  einander  in  ihrem  Leibe.    Da  sprach 
sie:  Da  mir's  also  sollte  gehen,  warum  bin  ich  schwanger  worden? 
.  .  •  Da  nun  die  Zeit  kam,  dafs  sie  gebären  sollte,  siebe,  da  waren 
Zwillinge  in  ihrem  Leibe.    Der  erste,  der  herauskam,  war  rötlich, 
ganz  rauh  wie  ein  Fell;  und  sie  nannten  ihn  Esau.  Darnach  kam 
heraus  sein  Bruder,  der  hielt  mit  seiner  Hand  die  Ferse  des  Esau; 
uad    bieben  ihn  Jakob**;  die  Weherautter  2.  Mose  1,15;  Uria  und 
seio    Weib  2.  Sam.  16,  5 ff.  11.  13;  Luc.  1,  41  „als  Elisabeth  den 
Gni£»  Marias  hörte,  hüpfte  das  Kind  in  ihrem  Leibe**. 

Das  Wort  Beschneidung  ist  unentbehrlich  und  auch  unan- 


^)  Ich  führe  eioif^e  Stellen  wörtlich  an,  weil  nnr  so  klar  wird,  welche 
Schwierigkeiten  sie  im  Unterricht  bereiten.  Die  Gegner  der  Schalbibel 
wurden  Dich  meiner  Ansicht  manche  ihrer  Einwendongen  anterlassen,  wenn 
sie,  anstatt  im  allgemeinen  über  die  Frage  zu  sprechen,  den  genauen  Wort- 
laut der  einzelnen  in  Frage  kommenden  Stellen  ins  ,Aage  fassen  wollten. 
Aogaführt  sind  die  Stellen  nach  der  „Durchgesehenen  Aasgabe"  (siehe  onten) 
TOB   1892. 


460  I^^i*  gec^enwärtige  Stand  der  Schulbib«lfrage, 

stöfsig,  da  es  von  vornherein  mit  der  Weibe  der  HeiUgkeit  um- 
geben wird  und  so  oft  vorkommt,  dafs  sich  der  Schüler  daran 
als  an  einen  feststehenden  Ausdruck  gewöhnt  und  nichts  Beson- 
deres mehr  dabei  denkt.  Während  es  aber  sonst  Aufgabe  des 
Unterrichts  ist,  dafs  der  Schüler  eine  möglichst  klare,  deutliche 
Vorstellung  von  jeder  Sache  gewinnt,  ist  das  hier  nicht  wünschens- 
wert, und  deshalb  sind  alle  Ausdrücke  zu  meiden,  die  von  dem 
Vorgang  der  Beschneidung  ein  anschauliches  Bild  erwecken  und 
ihn  in  seinen  Einzelheiten  schildern.  Von  dieser  Art  ist  die 
Stelle,  wo  sie  zuerst  angeordnet  wird,  1.  Mose  16,  9  ff.,  denn  da 
>\ird  auf  kurzem  Raum  fünfmal  (11,  14,  23,  24,  25)  gesagt,  dafs 
die  „Vorhaut*'  beschnitten  werden  solle.  Ebenso  ist  das  Wort  „Vor- 
haut'' bei  Paulus  sehr  häufig,  so  heifst  es  Gal.  2,  7:  „Sie  sahen,  dafs 
mir  vertrauet  war  das  Evangelium  an  die  Vorhaut,  gleichwie 
Petrus  das  Evangelium  an  die  Beschneidung**;  das  schöne  Wort 
von  dem  „Glauben,  der  durch  die  Liebe  thätig  ist",  Gal.  5,  6,  ist 
für  den  Religionsunterricht  unverwendbar  und  wird  thatsäcblich, 
soviel  ich  bemerkt  habe,  in  keinem  Spruchverzeichnis  angeführt, 
denn  es  beginnt  mit  den  Worten:  „In  Christo  gilt  weder  Be- 
schneidung noch  Vorhaut  etwas**.  In  der  Erzählung  von  Sauls 
Feindschaft  gegen  David  ist  bezeichnend  die  Art,  wie  ihn  der 
König  arglistig  durch  die  Hand  der  Feinde  umbringen  lassen  will, 
indem  er  ihn  scheinbar  auszeichnet.  Die  Stelle  lautet  in  der 
Vollbibel  1.  Sam.  18,20—27  (verkürzt):  „Saul  sprach  zu  David: 
Du  sollst  mein  Eidam  werden.  Und  Saul  gebot  seinen  Knechten: 
So  saget  zu  David:  Der  König  begehrt  keine  Morgengabe  ohne 
hundert  Vorhäute  von  den  Philistern.  Da  machte  sich  David  auf 
und  zog  hin  und  schlug  unter  den  Philistern  zweihundert  Mann, 
und  brachte  ihre  Vorhäute  dem  König  in  voller  Zahl,  dafs  er  des 
Königs  Eidam  würde**.  Von  derselben  Art  ist  die  Beschreibung 
der  mit  der  Beschneidung  verbundenen  Schmerzen  I.Mose  34  und 
die  häufige  Bezeichnung  der  Heiden  als  Unbeschnittener  z.  B. 
l.Sam.  17,  26.  31,4.  Das  Verbum  beschneiden  selbst  mu& 
meist  beibehalten  werden;  so  sagt  die  Bremer  Bibel  mit  Recht 
Luc.  2,  21 :  „Als  acht  Tage  um  waren,  daüs  das  Kind  beschnitten 
würde**,  während  es  bei  Hofmann  hiefs:  „dafs  das  Kind  das 
Bundeszeichen  empfinge**,  ein  unzweckmäfsiger  Ausdruck,  iler 
offenbar  nur  die  Neugier  rege  macht.  Auch  die  Stellen  gehören 
hierher,  an  denen  das  Wort  „Hure**  vorkommt,  ohne  dafs  etwas 
Unsittliches  erzählt  wird,  z.  B.  die  Geschichte  von  der  Rahab  Jos. 
2,  1  und  von  Salomos  Urteil  1.  Kön.  3,  16.  (Abschnitte  dieser 
Art,  die  im  Unterricht  nicht  oder  nur  selten  behandelt  werden, 
sind  unter  anderen:  Verunreinigungen  3.  Mose  15,  16—33;  ver- 
botene Heiraten  3.  Mose  18;  Jungfrauschaft  5.  Mose  22,  13 — 30; 
zahlreiche  Stellen  des  Hohen  Liedes;  Ehe  und  Ehelosigkeit  l.Kor. 
7,  2  ff.  z.  B.  2:  „Um  der  Hurerei  willen  habe  ein  jeglicher  sein 
eigen  Weib**.) 


von  A.  Bähnitcli.  461 

Wie  wirkt  nun  ein  solcher  Abschnitt  im  Unter- 
richt? Zunächst  wird  die  Aufmerksamkeit  der  Schuler  von 
dem  Hauptinhalt  der  Stelle  völlig  abgelenkt  und  auf  unlautere 
Nebengedanken  hingewendet.  Hat  der  Lehrer  seine  Klasse  nicht 
ganz  in  Ordnung,  so  äufsert  sich  das  in  Lächeln,  Kichern,  An- 
stofsen  des  Nachbars  oder  Sprechen  mit  ihm  und  Ähnlichem. 
Die  Zucht  der  Klasse  braucht  deshalb  nicht  geradezu  schlecht  zu 
sein;  wenn  der  Lehrer  nur  etwas  zu  nachsichtig  oder  mit  der 
Abteilung  wenig  bekannt  ist,  da  er  vielleicht  nur  den  Religions- 
nnterricht  erteilt,  oder  ein  jüngerer  und  unerfahrnerer  Mann  ist, 
so  wird  man  sofort  das  Gesagte  wahrnehmen.  Versteht  es  der 
Lehrer  die  Klasse  in  der  notwendigen  Ordnung  zu  halten,  so 
pflegt  bei  solchen  Stellen  die  Haltung  der  Schuler  besonders  gut 
zu  sein,  da  keiner  zeigen  will,  dafs  er  an  irgend  etwas  Unge- 
höriges  denkt.  Aber  man  darf  sich  durch  diese  äufsere  Ordnung 
nicht  über  die  wahre  Wirkung  in  den  Herzen  der  Schuler 
tinschen  lassen^).  Sie  ist  nicht  beseitigt,  sondern  durch  die 
Aditung  vor  dem  Lehrer  nur  zurückgedrängt.  Sie  zeigt  sich 
darin,  dafs  die  Augen  des  Schülers  noch  weiter  am  Buche  haften, 
auch  wenn  nicht  mehr  gelesen  wird,  und  tritt  dann  in  der  Pause 
und  nach  dicr  Schule  hervor. 

Halten  wir  uns  an  ein  Beispiel:  Eine  schöne  Erzählung  für 
alle  Stufen  des  Unterrichts  ist  die  von  Salomos  Urteil  im  Streite 
der  beiden  Frauen  um  ihren  Sohn  I.  Kön.  3,  16  ff.  Auf  dem 
Hintergrund  der  einfachen  Zustände  und  in  der  kindlichen  Dar- 
stellung des  Erzählers  tritt  die  schöne  Eigenschaft  der  Mutterliebe 
so  recht  anschaulich  und  eindringlich  dem  Schüler  vor  die  Augen. 
Der  Lehrer  wird  ihn  an  seine  eigene  Mutter  und  deren  nimmer 
aufhörende  Liebe  erinnern,  und  die  Geschichte  gehört  sicherlich 
zu  denen,  die  geeignet  sind  auf  das  Gemüt  des  Schülers  Eindruck 
zu  machen.  Das  ist  aber  nur  der  Fall,  wenn  er  sie  in  einer  Be- 
arbeitung kennen  lernt.  Liest  er  sie  in  der  Vollbibel  und  erfährt 
er  da  gleich  in  der  ersten  Zeile,  dafs  es  sich  um  „zwo  Huren*' 
handelt,  so  wird  seine  Aufmerksamkeit  sofort  auf  das  verbotene 
Gebiet,  das  in  dem  Worte  angedeutet  ist,  abgelenkt.  Mag  er  von 
der  Bedeutung  des  Ausdrucks  viel  oder  wenig  verstehen,  mit  seiner 
Motter  wird  er  die  in  der  Erzählung  vorkommenden  Frauen  nicht 
mehr  vergleichen.  Die  ganze  Wirkung  der  Geschichte  ist  gestört 
und  vielleicht  zerstört  durch  das  eine  Wort,  und  keine  Kunst  des 
Lehrers  ist  imstande  sie  völlig  wiederherzustellen.  Dabei  steht 
diesen  Nachteilen  nicht  der  geringste  Vorteil  gegenüber;  denn  es 
ist  offenbar  unmöglich,  hier  an  das  Wort  Hure  etwa  eine  Warnung 
oder  Ermahnung  anzuknüpfen. 

Aber  leider  ist  die  beschriebene  Wirkung  nicht  die  einzige. 


^)  Palmer:  „Die  aniBere  Zocht  kano  die  s<>bcimen  Gedauken  nicht  uo' 
lo^cb  naehen". 


'^ii 


462  Der  gegenwSrtiffd  Stand  der  S  eholbibelfrage, 

In  dem  Schüler  werden  durch  solche  Stellen  unreine  Gedanken 
erregt,  oder  schon  vorhandenen  söndhaflen  Begierden  neue 
Nahrung  zugeführt.  Nun  läfst  die  Schule  die  schlimmsten  Stellen 
ja  weg,  aber  bei  vielen  Abschnitten  ist  das  unmöglich,  weil  sie 
zu  Erzählungen  gehören,  die  nicht  übergangen  werden  können, 
und  dann  kann  der  Schüler  doch  so  leicht  durch  Weiterlesen 
während  der  Stunde  oder  zufälliges  Aufschlagen  im  Unterricht,  in 
der  Pause  oder  beim  häuslichen  Lernen  auf  die  Stelle  geraten, 
die  der  Lehrer  seinem  Auge  entziehen  will.  Und  in  jeder  Klasse 
giebt  es  einen  oder  ein  paar  verdorbene  Jungen,  die  nach  solchen 
Stellen  suchen  und  andere  darauf  aufmerksam  machen^). 

So  wird  die  Unschuld  des  Schülers  gefährdet,  sein  religiöses 
Bewufstsein  geschädigt  und  die  Achtung  vor  der  Bibel  untergraben. 
Und  doch  ist  Herzensreinheit  der  Jugend  höchster  Schatz,  das 
teuerste  Gut,  das  der  Bewahrung  des  Lehrers  anvertraut  ist. 
Juvenal  sagt:  Haxima  debetur  puero  reverentia,  und  Luther  er- 
klärt: „Die  sündigen  schwer,  die  schandbare  Worte  reden  vor 
jungen  unschuldigen  Knaben  und  Mägdlein.  Solche  Leute  werden 
schuldig  aller  Sünden,  die  da  entspringen  aus  ihren  unbedacht- 
samen Worten.  Schandbare  Worte  beflecken  des  Kindes  Herz 
und  gehen  fast  schwer  wieder  heraus.  Denn  die  Jugend  ist  wie 
ein  Zunder,  der  über  die  Mafsen  leichtlich  fähet,  was  bös  und 
ärgerlich  ist^  Wie  mag  ein  Knabe  oder  Mägdlein  wieder  ausrotten 
ein  schandbares  Wort?  Es  wurzelt  fort  in  des  Kindes  Herz  auch 
wider  seinen  Willen  und  sein  Same  wächst  in  seltsamen,  wunder- 
lichen Gedanken,  die  ein  solcher  Mensch  nicht  beichten  darf  und 
kann  ihrer  doch  nicht  los  werden'^  Dafs  das  Bibellesen  in  dieser 
Hinsicht  eine  schwere  Gefahr  in  sich  birgt,  hat  ja  auch  das 
sächsische  Konsistoriuni  und  der  preufsiscbe  Oberkirchenrat  in 
den  oben  angeführten  Äufserungen  anerkannt. 

Man  wendet  nun  ein,  es  sei  ein  ganz  falscher  Grundsatz 
die  Kinder  und  die  heranwachsende  Jugend  über  die 
Vorgänge  des  Geschlechtslebens  möglichst  lange  im 
Unklaren  zu  halten.  Das  stimme  freilich  mit  der  Gewohnheit 
unserer  Zeit,  die  auf  der  einen  Seite  dieses  ganze  Gebiet  mit 
übertriebener  Ziererei  verhülle,  während  auf  der  andern  Seite  die 
Unzucht  immer  mehr  zunehme.  Weit  richtiger  sei  es,  da  die 
Schüler  mit  diesen  Dingen  doch  bekannt  würden,  sie  in  der 
Schule  unbefangen  zu  besprechen.  Gerade  dadurch,  dafs  man 
dieses  Gebiet  verhülle,  umgebe  man  es  mit  einem  besonderen 
Reize. 

Darin  liegt  manches  Richtige.  Gewifs  mufs  die  Schule  diese 
Dinge  erwähnen  und  besprechen,  sie  darf  die  in  dieser  Hinsicht 
sich  regenden  Gedanken  nicht  unbeachtet  lassen,   sondern    mufs 


>)  Vergl.  den  Brief  einer  Matter  io  der  Zeittehr.  fdr  ev.  Religioos* 
onterricht  II  4,  334. 


von*A.  Ba>DiVc]i.  463 

sie  in  ihre  Zucht  nehmen,  um  den  Charakter  ihrer  Schüler  gegen- 
über  den  hier  drohenden  Gefahren  zu  stärken.  Aber  es  mufs  das 
mit  grofser  Vorsicht  geschehen,  und  gerade  zu  einem  solchen 
Verfahren  sind  viele  Bibelstellen  der  erwähnten  Art  durchaus  un- 
geeignet. Schon  oben  wurde  gezeigt,  wie  leicht  auf  diesem  Gebiet 
selbst  ernste  Warnungen  ohne  Frucht  bleiben,  und  das  eine  mufs 
doch  jedenfalls  vermieden  werden,  dafs  die  Schüler  durch  den 
Unterricht  mit  einer  Sünde  geradezu  bekannt  gemacht  werden; 
denn  mit  Recht  sagt  Rückert:  „Das  Gute  wissen,  weit  ist  noch 
das  Tbun  davon;  Das  Böse  kennen  ist  des  Bösen  Anfang  schon'*. 
Die  Schuler  sind  aber  je  nach  der  Verschiedenheit  des  Alters, 
der  Stände  und  der  Art  ihrer  Erziehung  in  verschiedenem  Grade 
mit  diesen  Dingen  bekannt.  So  ist  es  leicht  möglich,  dafs  War- 
nungen, die  für  den  einen  ganz  nützlich  sind,  bei  dem  andern 
grofsen  Schaden  stiften.  Das  gilt  besonders  von  der  höheren 
Schule,  die  weit  mehr  als  die  Volksschule  Schüler  der  verschieden- 
sten Altersstufen  in  einer  Klasse  vereinigt.  In  derselben  Ober- 
Tertia  giebt  es  gelegentlich  neben  völlig  unschuldigen  Kindern  von 
13  Jahren  18jährige  Schüler,  die  oft  wie  nach  Fleifs  und  Leistungen 
auch  nach  ihrem  Charakter  die  schlechtesten  der  Klasse  sind. 
Nachdrückliche  Vorhaltungen,  die  diesen  gelten  sollen,  gehören 
eben  um  jener  andern  willen  mit  ihren  Einzelheiten  nicht  in  den 
Unterricht,  sondern  sind  unter  vier  Augen  zu  machen.  Ein- 
dringende Mahnungen  sind  freilich  auch  an  die  ganze  Klasse  zu 
richten,  aber  sie  sind  allgemein  zu  halten;  durch  den  Ernst  des 
Tones,  durch  einen  Blick,  der  diesen  oder  jenen  besonders  trifft, 
vermag  es  der  Lehrer  sehr  wohl  so  einzurichten,  dafs  sie  auch 
in  dieser  Form  tiefen  Eindruck  machen.  Nach  seiner  Beschaffen- 
heit wird  jeder  für  sich  daraus  entnehmen,  was  ihm  zukommt, 
nnd  der  nicht  mehr  Unbefangene  wird  Vorwürfe  und  Mahnungen 
beraoshören,  die  der  Unschuldige  nicht  bemerkt.  Wenn  man  so 
oft  hervorhebt,  dafs  die  Erziehung  individuell  verfahren  müsse, 
so  ist  das  hier,  wo  die  Verschiedenheit  der  Zöglinge  so  grofs  ist 
und  es  sich  um  ein  so  gefährliches  Gebiet  handelt,  ganz  besonders 
nötig.  Genau  der  Eigenart  des  Einzelnen  entsprechend  können 
aber  nur  die  Eltern  verfahren,  die  ihren  Sohn  sorgfältig  kennen, 
mit  ihm  allein  zu  thun  haben  und  deren  EinfluTs  in  Bezug  auf 
Erdehnng  und  Charakterbildung  denn  doch  ein  ganz  anderer  ist  als 
selbst  der  des  besten  Lehrers.  Ich  verweise  in  dieser  Hinsicht 
besonders  auf  die  trefflichen  Auseinandersetzungen  Schraders  in 
der  Erziebungs-  und  Unterrichtslehre  bei  Besprechung  des  sechsten 
Gebots.  Er  verwirft  da  jede  „genauere  Bezeichnung  der  einzelnen 
Sünden,  die  dem  Schuldigen  wie  dem  Unschuldigen  gleich  schade; 
wer  sich  schuldig  wisse,  fühle  sich  ohnehin  vollständig  und  im 
Innersten  getroffen.  Die  Schule",  föhrt  er  fort,  „ist  ihren  Schülern 
keine  Belehrung  über  diese  Verhältnisse  schuldig,  sondern  hat  es 
den  Eltern  zu    überlassen,  was  sie  nach  ihren  Grundsätzen  und 


464  D«r  gegenwartige  Stand  der  Schulbibelfrage, 

nach  Lage  der  Umstände  zu  thun  für  gut  befinden.  Inbetreff  der 
noch  arglosen  Schäler  darf  sich  das  Haus  mit  vollem  Fuge  jedes 
Vorgreifen  verbitten"  ^). 

Wir  betreten  mit  einem  solchen  Verfahren  auch 
durchaus  keinen  neuen  Weg.  Schon  bei  den  Juden  war  es 
Gesetz,  dafs  niemand  das  Hohe  Lied  vor  dem  dreifsigsten  Jahre 
lesen  sollte,  und  Luther  pflichtet  dem  bei').  Das  Neue  Testament 
enthält  viel  weniger  anstöDsige  Stellen  als  das  Alte,  und  wo  das 
geschlechtliche  Gebiet  beröhrt  wird,  geschieht  es  im  Gegensatz 
zum  Alten  Testament  mit  grofser  Zartheit.  Man  vergleiche  z.  B. 
die  Geschichte  von  der  Ehebrecherin  Job.  8  mit  4.  Hose  25,  8 
oder  die  Auseinandersetzungen  des  Paulus  über  Ehe  und  Keusch- 
heit 1.  Kor.  7  mit  3.  Mose  18.  20;  4.  Mose  5;  5.  Mose  22.  Das  ist 
kein  Zufall,  sondern  zeigt,  dafs  auf  einer  sehr  frühen,  kindlichen 
Kulturstufe')  dieses  Gebiet  allerdings  mit  grofser  Offenheit  be- 
handelt wird  und  behandelt  werden  darf,  dafs  es  aber  bei  weiter 
fortschreitender  Entwicklung  der  Völker  mehr  verhüllt  wird.  Wie 
zart  ist  ferner  der  Ausdruck  in  Luthers  Erklärung  des  sechsten 
Gebots.  Es  ist  bekanntlich  neben  dem  ersten  das  einzige,  in 
dessen  Erklärung  das  Verbot  fehlt.  Offenbar  unterliefs  es  Luther 
mit  weiser  Absicht  die  Sunden  aufzuzählen,  die  man  meiden 
müsse,  und  hielt  es  für  richtiger  in  keuschen  und  zarten  W^orten 
nur  das  rechte  Verhalten  anzugeben.  Auch  in  seiner  Bibelüber- 
setzung war  er,  wie  ein  Vergleich  der  frühern  mit  den  spätem 
Ausgaben  zeigt,  fortwährend  bestrebt,  den  Ausdruck  immer  wür- 
diger und  züchtiger  zu  gestalten^),  und  die  Revisionskommission *) 
hat  sich  bemüht  ihm  in  dieser  Hinsicht  nachzufolgen,  nur  dafs 
eine  Übersetzung  sich  naturgemäfs  immer  nur  in  engen  Grenzen 
bewegen  kann. 

Von  dem  falschen  Verfahren  die  Schüler  in  der  besten  Ab- 
sicht mit  Sünden  geradezu  bekannt  zu  machen,  möchte  ich  noch 
ein  Beispiel  anführen.  Primaner,  in  deren  Unterricht  ich  Einblick 
erhielt,  waren  mit  dem  ersten  Kapitel  des  Römerbriefs  beschäftigt 


^)  In  derselben  Weise  spricht  sich  aas  Grundier,  Das  sechste  Gebot  im 
KoDflirmandeDuoterricht.   Kircbl.  Monatsschrift  von  PfeilTer  XIII,  1893,  2,  94  IT. 

')  Herder,  Ober  Inhalt,  Art  und  Zweck  des  Hohen  Liedes. 

^)  Nicht  blofs  der  Ansdrock,  auch  Sitte  und  Brauch  darf  auf  dieser  Stafe 
freier  sein,  ohne  dafs  es  doch  möglich  wäre  das  in  einer  spätem,  weniger 
einfachen  Zeit  nachzuahmen.  Caesar  erzählt  Belle  Gall.  6,  21,  5  von  deo 
Germanen:  Intra  annum  vicesimnm  feminae  notitiam  habuisse  in  turpisaimis 
habent  rebus ;  cuius  rei  nulla  est  occoltatio,  quod  et  promiscue  in  Onminibas 
perluuotor  et  pellibos  aut  parvis  renonum  tegimentis  utuntur,  magna  parte 
corporis  nuda.  Und  bei  Homer  wie  im  deutschen  Mittelalter  werden  die 
Jünglinge,  die  als  Gaste  des  Königs  kommen,  von  den  Töchtern  des  Hauses 
gebadet:  Odyssee  3,  464  T6ipQa  dk  TtjU/juixop  XovCiv  »aX^l  IloXvituarfi 
NiaioQos  önXordtrj  ^vydrriQ  NtiXtiiddao.  Vgl.  Bekker,  Homer.  BIStler 
2,  128,  2. 

*)  Hofmann,  Begleitwort  zur  Scholbibel. 

•)  Probebibel  S.  XLVII. 


TOD  A   Bähoisch.  465 

worden,  wo  es  24 — 27  von  den  Heiden  beifst:  „Darum  hat  sie 
Gott  aach  dahingegeben  in  scbändliche  Lüste.  Denn  ibre  Weiber 
haben  yer wandelt  den  natürlichen  Brauch  in  den  unnatürlicheo. 
Desselbigengleichen  auch  die  Männer  haben  verlassen  den  natür- 
lichen Brauch  des  Weibes,  und  sind  an  einander  erhitzet  in  ihren 
Lösten,  und  haben  Mann  mit  Mann  Schande  getrieben*^  Nun 
liegen  die  hier  erwähnten  Laster  selbst  unserer  heutigen  Zeit 
glücklicherweise  fern,  und  die  meisten  Schüler  diese?  Prima,  wenn 
nicht  alle,  gutartige  Knaben  einer  kleinen  Stadt,  hatten  von  dem, 
was  hier  gemeint  ist,  vorher  sicherlich  keine  Ahnung.  Der  Lehrer 
aber  hatte  die  Sache  eingehend  auseinandergesetzt,  ein  Aufsatz 
Ober  Entstehung  und  Entwicklung  des  Heidentums  nach  Paulus 
hatte  sich  daran  angeschlossen,  und  die  Schüler  wufsten  darin 
mit  der  gröfsten  Genauigkeit  von  der  Knabenliebe  und  der 
lesbischen  Liebe  zu  reden.  Der  jetzt  verstorbene  Lehrer  war  ein 
Mann  yon  hohem  religiösen  und  sittlichen  Ernste,  aber  ich  meine 
doch,  daTs  sein  Verfahren  nicht  gebilligt  werden  kann. 

Auf  andern  Unterrichtsgebieten  verfährt  man  in 
Bezng  auf  geschlechtliche  Dinge  auch  längst  mit  grofser  Vor- 
sicht^). Viele  Schriftsteller  des  Altertums,  die  man  früher  be- 
nutzte, z.  B.  Terenz'),  würde  man  heut  aus  diesem  Grunde  nie- 
mals lesen;  Schrader  §  43  und  57  verwirft  auch  Lucian.  Die 
römischen  Elegiker  wurden  auch  vor  1892  gelbst  in  einer  Aus- 
wahl in  manchen  Provinzen  nicht  zugelassen,  und  für  Ovid 
benutzt  man  jetzt  fast  ausschliefslich  gereinigte  Ausgaben  wie 
den  Delectus  Siebelisianus.  In  Büchern,  die  für  Schüler  bestimmt 
sind,  vermeidet  man  bildliche  Darstellungen,  die  nachteilig  wirken 
könnten;  so  enthält  Lübkers  Reallexikon  keine  einzige  ganz  un- 
bekleidete weibliche  Gestalt.  Mingo  und  Ähnliches  ist  aus  der 
lateinischen  Grammatik  entfernt.  Das  Ringen  Günthers  und  Sieg- 
frieds mit  Brunhilde  im  Schlafgemach  wird  trotz  seiner  Wichtig- 
keit für  den  Gang  der  Handlung  in  den  Bearbeitungen  des 
Nibelungenlieds  für  die  Schule  fast  ganz  weggelassen,  und  an  der 
sich  mit  Recht  immer  mehr  verbreitenden  Abneigung ')  gegen  die 
Schullektüre  von  Lessings  Emilia  Galotti  hat  die  Darstellung  der 
Verdorbenheit  des  italienischen  Hofes  sicherlich  besonderen  Anteil. 

Aber,  wendet  man  ein,  was  von  jedem  gewöhnlichen  Unter- 
ricbtsstofT  gelten   mag,    darf  man   nicht  ohne  weiteres  auf  den 


')  S.  oben  die  Aofserang  des  Oberkirchenrats. 

*)  ]■  Lntherf  Tiscbreden,  Voo  Stadien,  Aeclamscbe  Ausgabe  357  f.  wird 
enihlt:  „Cellarins  fragte  Lotber  am  Rat,  es  wäre  ein  Schnluieister  in 
Seblesieo,  der  bStte  sieb  Yorgenommen  eioe  Komödie  im  Terentio  za  spielen ; 
▼iele  irgerten  sieh  daran,  gleicb  als  gebfibrte  einem  Cbristenmenscben  nicht 

solch  Spielwerk   ans   heidnischen  Poeten Da  sprach  Lather:   Gbristen 

soUcB  Komödien  nicht  ganz  nod  gar  Sieben,  darum  dafs  bisweilen  grobe 
Zöletk  nad  Bahlerei  darinnen  seien,  dn  man  doch  um  derselben  willen  auch 
die  Bibel  nicht  dürfte  lesen'^ 

')  Frans  Kern,  Deutsche  Dramen  als  Schullektüre  S.  10  f. 
Settoebr.  t  d.  Q7m]uun«lwMe&  XLYIIL    7.  8.  30 


466  Der'gegenwärtige  Staod  der  Schalbibelfrage, 

Religionsunterricht  und  die  Bibel  übertragen.  Goll  ist  nicht  ein 
Versucher  zum  Bösen,  die  weihevolle  Stimmung  der  Religions- 
stunde mufs  jeden  unreinen  Gedanken  niederhalten,  wir  haben 
kein  Recht  die  Bibel  zu  ändern,  und  der  Protestantismus  ist 
im  besondern  auf  den  Gedanken  gebaut,  dafs  die  Heilige 
Schrift  allen  zugänglich  sei.  Auf  die  meisten  dieser  Ein- 
wände meine  ich  schon  oben  geantwortet  zu  haben.  Was  den 
letzten  anlangt,  so  wollte  Luther  dem  Volke  die  Bibel  zugänglich 
machen,  aber  die  Schuljugend  ist  nicht  das  Volk.  Die  Bibel  ab 
Ganzes  ist  ein  Buch  für  Erwachsene,  kein  Schulbuch,  und  das 
Bibellesen  in  der  heutigen  Ausdehnung  war  zu  Luthers  Zeit 
natürlich  schon  deshalb  unmöglich,  weil  es  an  den  nötigen  Büchern 
fehlte.  Auch  empfiehlt  Luther  selber  eine  Auswahl,  indem  er  in 
dem  Sendschreiben  an  den  christlichen  Adel  sagt:  „Viel  Bücher 
machen  nicht  gelehrt,  viel  Lesen  auch  nicht,  sondern  gut  Ding 
und  oft  lesen,  wie  wenig  sein  ist,  das  macht  gelehrt  in  der  Schrift 
und  fromm  dazu''^).  Er  hebt  eine  Anzahl  Bücher  als  die  „rechten, 
gewissen*S  die  „rechten  und  edelsten  Hauptbücher^*  heraus  und 
sagt:  „Das  sind  die  Bücher,  die  dir  Christum  zeigen  und  alles 
lehren,  was  dir  zu  wissen  gut  und  selig  ist,  ob  du  schon  kein 
ander  Buch  nimmer  sehest  noch  hörest. . . .  Wenn  diese  aus  sind, 
so  soll  man's  wieder  von  vorn  anfangen.  Denn  es  ist  nicht 
fruchtbar,  die  Jugend  mit  hohen  und  schweren  Büchern  zu  be* 
laden"').  Auch  werden  im  Gottesdienst  der  Erwachsenen  die 
meisten  Stellen,  um  die  es  sich  hier  handelt,  nie  berührt,  ge- 
schweige denn  in  ihrem  ganzen  Wortlaut  vorgelesen.  Da  wird  es 
wohl  kein  so  grofses  Unrecht  sein  sie  aus  dem  Unterricht  der 
Jugend  zu  entfernen.  Auf  Luther  darf  man  sich  überhaupt  nicht 
berufen,  wenn  es  sich  um  Festhalten  am  blofsen  Buchstaben  der 
Bibel  ohne  Rücksicht  auf  seinen  Inhalt  handelL  Er  stand  durch- 
aus auf  dem  Standpunkt  des  Wortes  2.  Kor.  3,  6:  Der  Buchstabe 
tötet,  aber  der  Geist  machet  lebendig.  Wie  wegwerfend  urteilte 
er  über  manche  biblische  Bücher,  und  wie  frei  verfuhr  er  mit 
dem  ersten  Hauptstück,  indem  er  das  zweite  Gebot  wegliefsj  die 
Zählung  aller  folgenden  änderte  und  das  zehnte  in  zwei  zerlegte. 
Wie  die  vorhandenen  Schwierigkeiten  zu  heben 
sind,  ist  aus  dem  Vorhergebenden  schon  ersichtlich.  Stellen,  die 
in  der  Schule  wie  im  Gottesdienst  stets  weggelassen  werden  und 
von  denen  man  nicht  wünscht,  dafs  der  Blick  des  Schülers  auf 
sie  falle,  sind  wegzulassen,  Stellen  wie  die  von  der  Geburt  Esaus 
und  Jakobs  oder  Salomos  Urteil  durch  Auslassungen  und  Ände- 
rungen unanstöfsig  zu  gestalten.  Im  übrigen  ist  die  Sünde 
durchaus  mit  dem  rechten  Namen  zu  nennen  und  übertriebene 
Ziererei  zu  meiden.    Stellen,    die   zur  Warnung  vor  den  Sünden 


1)  Äholich  Tisehreden  S.  356  f. 
*)  Unterricht  der  VisiUtoren  1528. 


voD  A.  BahDiseb.  457 

des  sechsten  Gebots  geeignet  sind,  sind  beizubehalten,  aber  es  i$t 
lu  prüfen,  ob  sie  in  ihrem  ursprunglichen  Wortlaut  sich  wirklich 
dazu  eignen,  oder  ob  vielleicht  die  Gefahr  nahe  liegt,  dafs  sie 
mehr  Schaden  als  Nutzen  stiften;  im  letzteren  Falle  sind  auch 
sie  umzugestalten.  So  beifst  es  in  der  Geschichte  von  Joseph  in 
Potipbars  Hause  1.  Hose  39,  7:  „Und  es  begab  sich,  dafs  seines 
Herren  Weib  ihre  Augen  auf  ihn  warf  und  sprach:  Schlafe  bei 
mir!**  Für  den  Unterricht  ist  offenbar  der  Wortlaut  der  Bremer 
Bibel  weit  vorzuziehen  „daCs  seines  Herren  Weib  ihre  Augen  auf 
ihn  warf  und  wollte  ihn  verfl]hren*^  Die  Sonde  ist  genugsam 
angedeutet,  der  Lehrer  kann  die  Stelle  zu  ernster  Mahnung  be- 
nutzen, aber  es  ist  ihr  alles  Verlockende  genommen  durch  Be- 
seitigung des  Ausdrucks,  der  den  Vorgang  des  Ehebruchs  selber 
beschreibt.  Ebenso  steht  es  mit  der  Erzählung  von  Davids  Fall 
2.  Sam.  11,  die  ja  in  jeder  biblischen  Geschichte  steht.  Anstöfsig 
sind  hier  die  Verse  4  und  5:  „Und  David  sandte  Boten  bin  und 
liefs  sie  holen.  Und  da  sie  zu  ihm  hinein  kam,  schlief  er  bei 
ihr.  Sie  aber  reinigle  sich  von  ihrer  Unreinigkeit,  und  kehrte 
wieder  zu  ihrem  Hause.  Und  sie  ward  schwanger  und  sandte 
hin  und  liefs  David  sagen:  Ich  bin  schwanger  worden'*.  Ebenso 
ist  9 — 13  zu  beseitigen,  wo  der  König  einen  Besuch  Urias  bei 
seinem  Weibe  veranlafst,  damit  sein  Unrecht  nicht  an  den  Tag 
komme.  (Genaueres  über  die  Umgestaltung  dieser  Worte  siehe  unten.) 
Die  so  geänderte  Bibel  ist  auf  den  höhern  Lehranstalten 
jedenfalls  bis  zur  Unter-Sekunda  zu  benutzen.  Denn  auf 
den  Stnfen,  auf  denen  vorzugsweise  das  Alte  Testament  im  Zu- 
sammenbange gelesen  wird ,  in  den  Klassen  Quarta  bis  Unter- 
Sekunda,  befinden  sich  die  Schuler  gerade  in  den  in  dieser  Hin- 
sicht besonders  gefährlichen  Jahren  der  Entwicklung.  Weniger 
kommt  darauf  an,  wie  man  sich  bezüglich  der  Ober-Sekunda  und 
Prima  entscheidet.  Die  Schüler  sind  älter,  und  gelesen  wird 
vorzugsweise  das  Neue  Testament.  So  mag  man  entweder  die 
Schalbibel  weiter  allein  benutzen  lassen,  oder  daneben  das  un- 
veränderte Neue  Testament  gebrauchen^). 

Hält  man  aus  den  angegebenen  Gründen  eine  Schul- 
bibel für  notwendig,  so  wird  es  nützlich  sein  diese 
auch  noch  in  andern  Punkten  den  Bedürfnissen  der 
Schale  entsprechend  zu  gestalten.  Doch  ist  in  Bezug  auf 
alles  Folgende  zu  bemerken,  dafs  es  nicht  von  gleicher  Wichtigkeit 
ist  wie  das  Vorhergehende;  man  wird  in  Bezug  darauf  eher  im 
Stande  sein  sich  auch  einer  abweichenden  Anschauung  anzu- 
bequemen. 


^)  Weck,  These  7:  Die  ganze  Bibel  ist  erst  dem  erwschseoen  Ghristeo 
im  die  Hand  zu  geben;  für  die  höbern  Lehranstalten  kann  der  Zeitpunkt  bis 
tum  Binlritt  in  die  Prima  verschoben  werden. 

30* 


468  ^«r  gegenwärtige  Stand  der  Scholbibelfrage, 

In  der  Bibel  werden  noch  andere  unsittliche  Hand- 
lungen erwähnt,  die  mit  dem  sechsten  Gebot  nichts  zu  than 
haben,  so  wenn  Rahel  1.  Mose  31, 19.  34.  35  ihres  Vaters  Götzen 
stiehlt  und  diesen  nachher,  als  er  sie  sucht,  abermals  betrugt;  die 
That  der  Jael  Rieht.  4,  ITfT;  die  Befehle  des  sterbenden  David 
1.  Kön.  2.  Wie  diese  Stellen  zu  behandeln  sind,  wird  davon 
abhängen,  inwieweit  man  glaubt  sie  beim  Unterricht  verwerten 
zu  können.  Der  Lehrer  kann  sie  ja  jederzeit  übergehen;  findet 
sie  der  Schüler  zufällig,  so  können  sie  niemals  denselben  Schaden 
stiften  wie  die  oben  besprochenen. 

Vieles  aber  kann  sicherlich  noch  wegfallen,  was 
niemals  verwendet  wird:  Namenaufzählungen,  die  meisten 
Vorschriften  über  Opfer  und  bürgerliche  Gesetzgebung  im  Alten 
Testament,  ferner  Abschnitte  des  Hiob,  der  Sprüche,  des  Predigers, 
der  Propheten,  der  Offenbarung.  Auch  von  den  Psalmen  wird 
die  Schule  nur  einen  Teil  benutzen  können,  doch  ist  es  bei  dem 
hohen  Werte  gerade  dieses  Abschnitts  der  Bibel  naturlich,  wenn 
die  Freunde  der  Schulbibel  ziemlich  allgemein  der  Meinung  sind, 
dafs  hier  nur  das  wegzulassen  ist,  was  wirklich  im  Unterricht 
nicht  benutzt  werden  kann. 

Durch  solche  Kürzungen  wird  das  Buch  handlicher  und 
dünner,  und  der  Schüler  wird  leichter  darin  heimisch,  ein  Punkte 
dessen  Wichtigkeit  ja  auch  vom  Oberkirchenrat  anerkannt  worden 
ist.  Die  Hauptsachen  treten  infolge  solcher  Auslassungen  klar 
hervor,  während  sie  sonst  oft  in  einer  Menge  unbenutzbarer 
Abschnitte  verborgen  sind.  Um  zu  erkennen,  welche  grofsen 
Vorzüge  eine  solche  Auswahl  vor  der  Vollbibel  hat,  darf  man 
sich  nur  einmal  das  zweite  bis  fünfte  Buch  Hose  in  einer  der 
drei  Schulbibeln  ansehen.  Ich  behaupte,  dafs  die  hier  ge- 
botenen Zusammenstellungen  selbst  für  viele  Lehrer  noch  von 
Wert  sein  werden.  Denn  da  stehen  eine  Menge  wichtiger  Ab- 
schnitte, wie  über  den  Bau  der  Stiftshütte,  über  Priester  und 
Leviten,  Feste  und  Opfer  auf  wenigen  Seiten  übersichtlich  bei 
einander,  die  sich  sonst  in  der  Menge  des  Unwichtigen  vollständig 
verlieren. 

Natürlich  darf  man  in  Bezug  auf  solche  Auslassungen 
nicht  zu  weit  gehen;  auch  der  in  der  Schulbibel  gebotene 
Stoff  mufs  einen  vollen  und  zureichenden  Einblick  in  die  Ge- 
schichte des  Reiches  Gottes  im  Alten  und  Neuen  Testament  er- 
möglichen. Vieles,  was  religiös  nicht  erbaulich  ist,  ist  geschicht- 
lich von  Bedeutung  und  dient  so  entweder  dazu  ein  anschauliches 
Bild  von  Ort  und  Zeit  der  Erzählung  zu  geben  oder  eine  An- 
knüpfung an  das  in  andern  Unterrichtsstunden  Gelernte  zu  er- 
möglichen; manches,  was  im  Alten  Testament  den  Standpunkt 
einer  niedern  Sittlichkeit  verrät,  ist  eben  deshalb  beizubehalten, 
um  den  Fortschritt  vom  Judentum  zum  Christentum  zu  zeigen. 

Manche  Bücher  fallen  so  ^anz  weg;  sie  sind  an  ihrer 


voi  A.  Bahoisch.  469 

Stelle  mit  einer  kurzen  Angabe  des  Inhalts  zu  erwähnen.  Die 
Apokryphen  sind  nicht  ganz  wegzulassen,  sondern  Abschnitte 
aus  Weisheit,  Tobias,  Sirach  und  Makkabäer  1  aufzunehmen. 

Es  entsteht*  ferner  die  Frage,  wie  bei  den  Büchern  zu  ver- 
fahren ist,  deren  Inhalt  sich  mit  dem  anderer  zum  Teil  deckt, 
also  der  Chronik  gegenüber  den  Buchern  Samuelis  und  der 
Könige  und  den  Evangelien.  Die  Evangelien  erzählen  das  Leben 
Jesu,  von  dem  uns  auch  die  kleinsten  Zuge  bedeutungsvoll  sind 
und  dessen  Quellen  wir  den  Schülern  in  möglichster  Reinheit 
vorfuhren  müssen.  Sie  müssen  daher  völlig  getrennt  bleiben, 
und  es  ist  zu  tadeln,  dafs  das  in  der  Glarner  Bibel  nicht 
geschieht.  Einen  viel  unwichtigeren  Gegenstand  behandeln  die 
genannten  Bucher  des  Alten  Testaments  und  die  Chronik  steht 
an  geschichtlichem  Wert  hinter  den  Büchern  Samuelis  und  der 
Könige  weit  zurück.   Deshalb  ist  nur  wenig  von  ihr  beizubehalten. 

Aber  eine  Schulbibel  darf  sich  von  der  Vollbibel  nicht  blofs 
durch  Auslassungen  unterscheiden,  sondern  mufs  als  Schul- 
buch  zugleich  so  eingerichtet  sein,  dafs  sie  die  Aneig- 
nung und  Verarbeitung  des  Inhalts  unterstützt.  Dabei 
ist  j^och  zu  beachten,  dafs  die  Schüler  an  ihr  lernen  sollen 
sich  in  der  Vollbibel  zurecht  zu  finden;  Veränderungen, 
die  das  erschweren,  sind  daher  zu  meiden.  Allerdings  wird  von 
theologischer  Seite  im  Gegensatz  hierzu  oft  geradezu  gewünscht, 
dais  Verschiedenheiten  vorbanden  seien,  damit  das  Buch  nicht  wie 
die  Bibel  aussehe,  da  es  sonst  geeignet  sei  diese  zu  verdrängen. 
Wenn  man  dabei  den  Titel  „Biblisches  Lesebuch"  fordert,  so 
halte  ich  das  für  unwesentlich  und  meine,  man  kann  sich  diesem 
Wunsche  ohne  weiteres  fügen,  wenn  dadurch  die  Sache  gefördert 
wird.  Solchen  Bedenken  zu  Liebe  hat  Völker  in  der  zweiten  Auf- 
lage seines  Lesebuchs  auch  den  gespaltenen  Satz^)  aufgegeben; 
aber  dieser  mufs  mit  Rücksicht  auf  die  Augen  der  Schüler  bei- 
behalten werden').  Die  Bibeln,  auch  die  Schulbibeln,  haben  ein 
gröfseres  Format  als  unsere  meisten  Bücher;  Zeilen,  die  über 
die  ganze  Seite  herüber  laufen,  sind  infolge  dessen  sehr  lang,  und 
das  Lesen  und  Festhallen  der  Zeile  ist  dadurch  sehr  erschwert. 

Die  Anordnung  der  biblischen  Bücher  ist  beizubehalten, 
ebenso  Kapitel-  und  Verszahlen,  da  es  sonst  nicht  möglich 
ist  Sprüche  aufzusuchen.  Durch  deren  Hinzufugung  wird  nun 
allerdings  sofort  ersichtlich,  wo  etwas  ausgelassen  ist,  und  viele 
befurchten,  dafs  das  von  den  Schülern  benutzt  werden  wird,  um 
die  ausgelassenen  Stellen  in  der  Vollbibel  nachzuschlagen.  Deshalb 
läist  Uofmann  alle,  Völker  die  meisten  Verszahlen  weg.   Ich  halte 


>)  S.  IV:  „Als  Lesebach  giebt  sich  das  Werk  zu  erkeoDeo  dorcb  Be- 
seitigiing  des  fröbereD  Spalteodraeks'^  Übriseos  ist  auch  der  Satz  der 
Glaraer  Bibel  nicht  gespalten. 

*)  Das  ist  nach  einer  Mitteilung,  die  die  Probebogen  der  Bremer  Bibel 
begleitete,  die  Ansicht  der  AngenÜrzte. 


470  ^^^  gegenwärtige  Stand  der  Schulbibelfrage, 

diese  Besorgnis  für  überflüssig.  Die  Schüler  sind  es  gewöhnt, 
dafs  manches  für  Schulzwecke  gekürzt  wird.  Kommen  sie  kfinflig 
von  der  biblischen  Geschichte  her,  ohne  wie  jetzt  die  Vollbibel 
kennen  gelernt  zu  haben,  so  werden  sie  es  ganz  natürlich  finden, 
dafs  ihnen  noch  nicht  alles  geboten  wird.  Dann  sollen  ja  aufser 
den  anstöfsigen  Stellen  noch  eine  Menge  grötserer  und  kleinerer 
Abschnitte  fallen,  und  der  Schüler,  der  wirklich  nachspüren  wollte, 
würde  sich  bald  überzeugen,  dafs  seine  Hübe  nur  selten  Erfolg 
hätte.  Notwendig  ist  allerdings,  dafs  auf  der  ganzen  Schule  oder 
doch  bis  zu  einer  bestimmten  Klasse  ausschliefslich  dieselbe  Schul* 
bibel  gebraucht  wird. 

Dagegen  ist  die  erst  nach  Luther  aufgekommene  Gewohnheit 
aufzugeben  bei  jedem  Verse  eine  neue  Zeile  zu  beginnen, 
wodurch  oft  Nichtzusammengehöriges  vereinigt,  öfter  Zusammen- 
gehöriges auseinandergerissen  wird.  Vielmehr  ist  wie  bei  jedem 
andern  Buche  ein  Absatz  im  Druck  nur  da  zu  machen,  wo  ein 
neuer  Abschnitt  beginnt  und  die  Durchgesehene  Ausgabe  weniger 
zweckmäfsig  einen  fetten  Anfangsbuchstaben  verwendet.  Kapitel- 
und  Verszahlen  sind  an  den  Rand  zu  verweisen,  die  Überschriften 
als  etwas  sehr  Wichtiges  in  gröfserem  Druck  zu  geben.  Sie  stehen, 
wo  es  der  Sinn  erfordert,  oft  mehrere  innerhalb  eines  Kapitels» 
oft  eine  mehrere  Kapitel  zusammenfassend.  Zweckmäfsig  ist  es 
gröfsere  Abschnitte  mit  Ilauptüberschriften  zu  versehen.  So  teilt 
Völker  ein:  V.  Das  ungeteilte  Königreich.  1.  Saul.  2.  David. 
3.  Salomo.  VI.  Die  getrennten  Reiche  Israel  und  Juda.  Diese 
Hauplüberschriften  sind  am  Anfang  des  Buchs  zu  einer  Inhalts- 
übersicht zu  vereinigen.  In  den  Psalmen  und  andern  poetischen 
Stücken  ist  der  Parallelismus  dadurch  anzudeuten,  dafs  jedes  Glied 
mit  einem  groDsen  Anfangsbuchstaben  beginnt;  es  geschieht  das 
von  den  erwähnten  Schulbibeln  nur  bei  Völker. 

Kurze  erläuternde  Zusätze  (Seth:  Ersatz)  sind  in  Klam- 
mern oder  in  Anmerkungen  beizufügen;  Wörter,  die  häufig  vor- 
kommen, sind  in  einem  angehängten  Verzeichnis  zu  erklären.  Die 
zahlreichen  Parallelstellen  der  Vollbibel  schlägt  der  Schüler 
nicht  nach;  die  Schulbibel  darf  daher  nur  die  enthalten,  die 
wirklich  für  ihn  in  Betracht  kommen,  so  die  von  der  Durch- 
gesehenen Ausgabe  eingeführten  Abschnittsparallelen,  d.  h.  z.  B. 
bei  den  Evangelien  die  Abschnitte  der  andern,  die  die  gleiche 
Erzählung  enthalten,  ferner  Stellen,  die  der  Lehrer  bei  der  Er- 
klärung heranzieht  und  an  die  der  Schüler  bei  der  häuslichen 
Wiederholung  erinnert  werden  soll,  wie  bei  der  Schöpfungs- 
geschichte Psalm  8,  19,  104,  oder  Sprüche,  deren  Diktieren  auf 
diese  Weise  erspart  wird.  Sie  müssen  unten  an  der  Seite  stehen, 
nicht  wie  bei  der  Vollbibel  zwischen  den  Versen,  wo  sie  oft  sehr 
störend  wirken.  Einleitungen  in  die  biblischen  Bucher  hatte 
das  Buch  von  Hofmann  enthalten.  Das  ist  nicht  zweckmäfsig, 
doch  ist  es  nützlich  kurze  Angaben  über  die  einzelnen  Bücher  in 


von  A.  Bähaisch.  47]^ 

das  erläuternde  Verzeichnis  aufzunehmen,  wie  es  Völker  thut. 
Jahreszahlen  hatte  die  Probebibel  vom  Tode  Jerobeams  ab 
enthalten  (nach  Riehm),  in  der  Durchgesehenen  Ausgabe  sind  sie 
weggelassen  worden.  Eine  Schulbibel  mufs  jedenfalls  welche  ent- 
halten, auch  wenn  sie  einigermafsen  zweifelhaft  sind,  da  sie  das 
Verhältnis  eines  Ereignisses  zu  andern  kurz  und  klar  an- 
geben. Karten  müssen  beigegeben  werden,  und  zwar  lesbare 
and  benutzbare,  nicht  Augenpulver,  wie  die  der  englischen 
Bibeln. 

Aber  nicht  blofs  im  Inhalt,  auch  in  der  Sprache  wird  sich 
eine  Scbulbibel  von  der  Lutherschen  unterscheiden  müssen,  denn 
Luthers  Spradie  ist  auch  älteren  Schülern  oft  unverständlich. 
Man  hätte  nun  erwarten  sollen,  dafs  die  im  Februar  1892  er- 
schienene „Durchgesehene  Ausgabe"  der  Lutherbibel,  von  der  ein 
Probedruck,  die  „Probebibel'*,  1883  herausgegeben  worden  war, 
den  Wünschen  nach  einer  mafsvoUen  Umgestaltung  der  Luther- 
schen Obersetzung  Rechnung  tragen  würde,  um  so  mehr,  als  die 
Cansteinsche  Bibelanstalt,  von  der  das  Revisionswerk  ausging, 
einzelne  abgestorbene  Formen  schon  seit  längerer  Zeit  beseitigt 
hatte.  In  der  That  sind  auch  manche  derartige  Formen  entfernt 
worden,  im  ganzen  aber  ist  man  in  Bezug  auf  die  Sprache  dieses 
Werks»  das  im  übrigen  einen  wichtigen  Fortschritt  bezeichnet 
und,  so  lange  die  Vollbibel  im  Unterricht  gebraucht  wird,  so 
schnell  als  möglich  in  diesen  eingeführt  werden  sollte,  leider 
dordiaus  alterlümelnden  Neigungen  gefolgt,  so  dafs  man  nicht 
nur  viele  unverständliche  Formen  beibehalten,  sondern  solche 
sogar  aus  Luthers  Originalausgaben  da  wieder  neu  eingefügt  hat» 
wo  sie  die  bisherigen  Texte  nicht  mehr  enthielten^).  So  gilt 
auch  von  dieser  Ausgabe,  was  Ludwig  Wiese  von  der  Probebibel 
gesagt  hatte:  „Die  Bibel  mufs  als  Volksbuch,  das  sie  auch  nach 
Luthers  Absicht  vor  allen  Dingen  sein  sollte,  durchweg  ein  ver- 
ständliches Deutsch  reden.  Der  Zumutung,  sich  mit  Selbstver- 
leugnung in  die  alten  Sprachformen  und  Ausdrücke  hineinzulesen, 
können  nur  wenige  nachkommen,  und  die  auf  leichteres  Verständnis 
ausgehenden  Änderungen  brauchen  keineswegs  Luthers  Bibelsprache 
ins  Vulgäre  herabzuziehen.  Die  neue  Revision  hat  den  darnach 
für  die  Gegenwart  erforderlichen  unerläfslichen  sprachlichen  Ände- 
rungen aus  pietätvoller  Schonung  für  das  Überkommene  zu  enge 
Grenzen  gezogen'^  Vl^enn  demgemäfs  eine  Schulbibel  auch  von 
dem  Wortlaut  dieser  Durchgesehenen  Ausgabe  öfter  wird  abweichen 
mössen,  so  ist  doch  andererseits  unzweifelhaft,  dafs  der  Hauch 
der  Altertümlichkeit  überall  da  gewahrt  werden  mub,  wo  das 
Verständnis  dadurch  nicht  beeinträchtigt  wird. 


')  Vgl.  meine  Besprechaog  der  DarchgeseheDen  Ausgabe  io  den  Jahr- 
bidiern  für  Philologie  and  Pädagogik  von  1893,  2.  Abteilang  S.  129— ]  44. 
Ferner  Grenzboten  Band  52,  Heft  6,  S.  277  ff. 


472  D«r  e^egenwärtige  Staid  der  Scholbibelfrage, 

Betrachten  wir  nach  diesen  allgemeinen  Auseinander' 
setzangen   die  ol>en  genannten  Bchuibiiiein    im  einzelnen*     Es 

handelt  sich  um  folgende  Bücher: . 

Karl  Völker,  Rektor  in  Berlin,  Die  Bibel  für  Schule 
und  Haus.  Gera  und  Leipzig  1889.  800  +  375  S.  2,50  H, 
geb.  3  M.  —  Biblisches  Lesebuch  1890,  544  S.  1,25  M, 
geb.  1,60  M.  —  Biblisches  Lesebuch,  zweite  neu  be- 
arbeitete Auflage,  unter  Hitwirkung  von  Hermann 
L.  Strack,  Professor  der  Theologie  in  Berlin.  1893.  623  S. 
1,40  M,  geb.  1,80  M. 

Familienbibel.  Auszug  aus  der  Heiligen  Schrift  für  häus- 
liche Erbauung  und  Jugendunlerricht.  3.  Aufl.  670  S.  Schwanden* 
Glarus  1892.     Geb.  1,75  M. 

Schul bi bei.  Die  Bibel  im  Auszug,  für  die  Jugend  in 
Schule  und  Haus  bearbeitet  im  Auftrage  der  Bremischen  Bil)el- 
gesellschaft.  Bremen  1894.  454  -f  312  S.  Geb.  2  M,  bei 
Entnahme  von  50  Exemplaren  1,80  H. 

Was  die  Bttcher  Vftlicers  anlangt,  so  fibergehe  ich  dessen 
Biblisches  Lesebuch  in  der  ersten  Auflage.  Auch  die 
Schulbibel  können  wir  kurz  besprechen,  da  es  die  Absicht  des 
Verfassers  zu  sein  scheint,  sie  nicht  weiter  zu  führen.  Denn  in 
der  2.  Auflage  des  Biblischen  Lesebuchs  sagt  er  S.  IV,  dafs  nach 
seiner  Meinung  dieses  Lesebuch  „für  alle  Schulen,  von  der  ein- 
fachsten Volksschule  bis  zum  Gymnasium,  ausreiche",  so  daCs  es 
offenbar  bestimmt  ist  an  die  Steile  seiner  beiden  frühern  Bücher 
zu  treten.  Die  Schulbibel  will  nur  die  geradezu  anstöisigen  Stellen 
auslassen,  daher  ihr  grofser  Umfang.  Sie  bietet  unter  anderm 
fast  das  ganze  Hohe  Lied  und  Stücke  aus  sämtlichen  Apokryphen. 
Im  Ausdruck  hat  der  Verfasser  „geglaubt  auf  jede  Veränderung 
des  Wortlauts  der  Lutherschen  Übersetzung  verzichten  zu  müssen^' 
und  deshalb  sogar  die  1883  erschienene  Probebibel  unberück* 
sichtigt  gelassen.  Dasselbe  ist  in  Bezug  auf  die  sachlichen  Er* 
klärungen  des  angehängten  Verzeichnisses  geschehen. 

Der  Verfasser  hat  dann  das  kürzere  Biblische  Lesebuch 
herausgegeben  und,  da  in  Bezug  auf  die  Umgestaltung  seiner  beiden 
Bücher  mancherlei  Wünsche  geäufsert  wurden,  sich  zu  diesem 
Zweck ,  namentlich  auf  die  Anregung  der  preufsischen  Kirchen- 
behörden, mit  dem  Professor  Strack  verbunden.  Die  gemeinsame 
Arbeit  beider  liegt  nun  in  der  zweiten  Auflage  des  Biblischen 
Lesebachs  ^)  vor. 

Diese  bezeichnet  gegenüber  den  beiden  früheren  Büchern 
unzweifelhaft  einen  Fortschritt.  Doch  ist  manches  Anstöfsige 
stehen  geblieben  oder  ungenügend  geändert  worden. 
So  1.  Mose  17,  14  Und  wo  ein  Mannsbild  nicht  beschnitten  wird 


')  Lobend  besprochen  von  Petri  in  der  Zeitschr.  für  ev.  ReligionsiiBter- 
richt  IV  325;  Erwiderung  Volkers  V  2,  161. 


von  A.  Bähoiseh.  473 

u.  8.  w.  Die  Stelle  ist  überflüssig,  nachdem  es  V.  12  geheifsen 
hat:  Ein  jegliches  Knäblein  sollt  ihr  beschneiden. —  1.  M.  25,26: 
Der  andere  hielt  mit  seiner  Uand  die  Ferse  des  Esau  und  sie 
biefsen  ihn  Jakob;  dazu  die  Anmerkung:  „Der  Fersenhaher,  der 
Überlistende'^  Der  denkende  Schüler  mufs  sich  doch  fragen,  wann 
und  bei  welcher  Gelegenheit  Jakob  die  Ferse  des  Esau  gehalten 
habe  (B:  den  andern  hiefsen  sie  Jakob)  ^);  —  1.  H.  26,  7:  Isaak 
giebt  sein  Weib  fClr  seine  Schwester  aus;  2.  H.  1,  15—19  die 
Wehemütter.  Nicht  glücklich  ist  1.  Sam.  18,  20  ff.  die  Änderung, 
daCs  David  dem  Saul  die  zweihundert  erschlagenen  Philister  bringt. 

Was  die  Weglassung  der  für  die  Schule  aus  andern 
Granden  nicht  benutzbaren  Stellen  anlangt,  so  sind  die 
Chronika  mit  Recht  kürzer  behandelt  als  in  der  Schulbibel;  die 
ihnen  entnommenen  Abschnitte  sind  in  die  Bücher  der  Könige 
eingefügt.  Aus  den  Sprüchen,  dem  Prediger,  der  Offenbarung  ist 
sehr  viel  aufgenommen;  falsch  ist  das  Bestreben  von  jedem  Buche 
ein  Stückchen  zu  bieten,  so  Abschnitte  von  sämtlichen  Propheten, 
fast  allen  Apokryphen,  ein  Stück  des  Hohen  Liedes.  Gleichgiltige 
Namen  werden  sehr  oft  beibehalten,  so  I.Mose  22,20:  Milka, 
Dz,  Bus,  Kemuel,  Chesed,  Haso,  Phildas,  Jedtaph.  Vgl.  1,  11,  29. 
21,  20  ff.  26,  34.  29,  24.  29.  c.  36. 

Häufiger  aber  fehlt  Wichtiges  und  darin  sehe  ich  den 
Hauptmangel  des  Buches,  namentlich  Abschnitte,  die  geschichtlich 
von  Bedeutung  sind  und  teils  für  den  Unterricht  Unentbehrliches 
enthalten,  teils  Zeit-  und  Ortsverhältnisse  einer  Erzählung  an- 
schaulich vor  Augen  führen  und  der  Schilderung  Farbe  geben. 
Zar  ersten  Art  gehören  unter  anderm  2.  Mose  23,  4.  5.  34,  33  ff. 
Rieht  2,  11.  13;  Ruth  1,  19—21 :  Und  da  sie  zu  Bethlehem  ein- 
kamen, regte  sich  die  ganze  Stadt  über  ihnen  und  sprach:  Ist 
das  die  Naemi?  Sie  aber  sprach:  Heilst  mich  nicht  Naemi  son- 
dern Mara;  denn  der  Allmächtige  hat  mich  sehr  betrübet.  Voll 
zog  ich  aus,  aber  leer  hat  mich  der  Herr  wieder  heim  gebracht; 
1.  Sam.  26  David  in  der  Wüste  Siph;  2.  Sam.  7,  14—29;  1.  K5n. 
3, 1.  2.  6—9  Salomos  Gebet  teilweise;  5,  22—27  teilweise;  9,  26; 
10,  2;  12,  9.  12—15.  16—18  teilweise;  16,  8—10.  16—18  teil- 
weise; 22,49;  2.  Kön.  15,  20;  16,7—10;  18,8.16.23.34; 
19,  20  ff.;  23,  10 f.;  24, 10.  14.  16;  25,  1.  2  teilweise.  Zu  stark 
gekürzt  ist  unter  anderm:  Rieht.  5  das  Lied  der  Deborah,  das 
nur  fünf  Zeilen  umfafst;  2.  Sam.  1, 19  Davids  Klage  um  Jonathan; 
1.  Kön.  6;  10;  16, 29 ff.;  19, 19ff.  Berufung  Elisas;  2.  Kön.  17,  Iff.; 
17,  24ff.  das  Ende  des  Reiches  Israel,  so  fehlt  die  Erwähnung  der 
dreijährigen  Belagerung  4.  5,  der  Name  Bethel  28.  Aus  Hiob 
fehlen  ganz  oder  fast  ganz  5,  8 ff.;  26,  6 ff.;  28;  36,  5 ff.;  37; 
38,22 — 40;  c.  39—41.     Der  Psalter  ist  stark  gekürzt;  er  um- 


^)  B  bezeicboet  die  Bremer,  6  die  Glaroer,  V  die  VSlkersche  Bibel, 
D  die  Dorchi^eseheae  Aossabe. 


474  ^^^  gegenwärtig^e  Stand  der  Schulbibelfragey 

fafsl  25  Seiten  gegen  60  der  Glaroer,  44  der  Bremer  Bibel.  Bei 
den  Propheten  vermisse  ich  Hesek.  33;  Joel  umfaTst  15  Zeilen, 
auch  Arnos  ist  zu  kurz  abgethan.  Im  Neuen  Testament  fehlen 
z.  B.  1.  Kor.  14,  2. 6—9.  \&'-19.  23.  27.  28;  vieles  aus  l.Thesa.  3; 
Hehr.  10,  31—34. 

Von  Stellen,  die  der  Veranschaulichung  und  Aus- 
malung dienen,  sind  aufser  vielen  in  den  bisher  erwähnten 
Abschnitten  enthaltenen  noch  folgende  zu  erwähnen:  In  der  Sinl- 
flutgeschichte  fehlen  7,  11.  12:  Das  ist  der  Tag,  da  aufbrachen 
alle  Brunnen  der  grofsen  Tiefe,  und  thaten  sich  auf  die  Fenster 
des  Himmels,  und  kam  ein  Begen  auf  Erden  vierzig  Tage  und 
vierzig  Nächte;  7,  21;  8,  2.  3.  8.  9;  9,  15;  1.  Hose  24,  27.  35; 
28, 11. 15  teilweise;  29,  7 — 9;  vieles  in  der  Erzählung  von  Joseph 
c.  37—39;  41,  3.  6:  sieben  dünne  Ähren,  die  waren  vom  Ostwind 
versengt;  Bicht.  4,  3;  6,  5:  Die  Midtaniter  kamen  herauf  mit  ihrem 
Vieh  und  ihren  Hütten  wie  eine  grofse  Menge  Heuschrecken,  dals 
weder  sie  noch  ihre  Kamele  zu  zählen  waren,  und  fielen  ins 
Land,  dafs  sie  es  verderbeten;  1.  Sam.  2,  12 — 17  Bosheit  der 
Söhne  Elis;  13,  19 — 22:  Es  ward  aber  kein  Schmied  im  ganzen 
Lande  Israel  erfunden;  denn  die  Philister  dachten,  die  Ebräer 
möchten  Schwert  und  Spiefs  machen.  Und  mufste  ganz  Israel 
hinabziehen  zu  den  Philistern,  wenn  jemand  hatte  eine  Pflugschar, 
Haue,  Beil  oder  Sense  zu  schärfen;  18,  3.  4;  2.  Tim.  4,  13.  Alle 
vorstehenden  Stellen  sind  in  der  Bremer  Bibel  enthalten,  oder, 
wo  bei  Völker  die  Kürzung  getadelt  wurde,  ausführlicher  behandelt; 
auch  die  Glarner  Bibel  enthält  vieles  von  dem  Erwähnten. 

Endlich  ist  meistens  die  breiter  dahinfliefsende  Dar- 
stellung nach  Art  einer  biblischen  Geschichte  kürzer 
zusammengezogen.  Aber  die  epische  Breite  ist  ein  wesent- 
licher Bestandteil  der  Schönheit  der  alten  Schriften,  und  der 
Schüler  mufs  sie  kennen  lernen.  Beim  Volksschüler  ist  noch 
besonders  zu  bedenken,  dafs  die  Bibel  das  einzige  bedeutende 
Buch  ist,  das  er  beim  Unterricht  in  die  Hände  bekommt.  Zur 
epischen  Darsteilungsweise  gehören  auch  die  Vl^iederholungen, 
meist  mit  unverändertem  Wortlaut;  ich  erinnere  an  den  Traum 
Agamemnons  Ilias  2,  11  ff.  =  28  ff.  und  die  Beschreibung  der 
Dorothea  im  fünften  und  sechsten  Gesänge  des  Goethischen  Ge- 
dichts. Beispiele  von  Verkürzungen  an  Stellen  dieser  Art  bieten 
viele  der  oben  angeführten  Abschnitte;  hier  erwähne  ich  nur  noch 
zwei:  1.  Mose  41  wird  Pharaos  Traum  nochmals  ganz  wiederholt, 
als  der  König  ihn  Joseph  erzählt,  aber  unter  Uinzufügung  einer 
Beihe  von  Zügen,  die  die  Darstellung  lebhaft  und  anschaulich 
machen.  So  setzt  der  König  bei  Erwähnung  der  magern  Kühe 
hinzu:  Ich  habe  in  ganz  Ägyptenland  nicht  so  häfsliche  und  magere 
gesehen.  Und  21 :  Da  sie  die  hineingefressen  hatten,  merkte  man's 
nicht  an  ihnen,  dafs  sie  die  gefressen  hatten,  und  waren  häfslich 
gleichwie  vorhin.    Wenn  1.  Kön.  12,  14  =  11  wiederholt  wird,  so 


von  A.  Bähnisoli.  475 

ist  das  nicht  äberflüssig,  weil  erst  im  Munde  Rehabeams  die  harte 
Antwort,  deren  Schärfe  der  Erzähler  eben  durch  ihre  Wiederholung 
recht  hervorheben  will,  das  Unheil  anrichtet.  Völker  läfst  in 
beiden  Geschichten  die  Wiederholung  weg,  während  die  Bremer 
und  die  Glarner  Bibel  sie  beibehalten. 

Des  bessern  Zusammenhangs  halber  werden  oft  gröfsere 
and  kleinere  Abschnitte  an  eine  andere  Stelle  gesetzt, 
und  nachher  da,  wo  sie  in  der  Reihe  folgen  sollten,  darauf  ver- 
wiesen. Zuweilen  ist  das  zweckmäüBig,  so  an  manchen  Stellen 
der  Bücher  Mose;  oft  erscheint  aber  gerade  in  diesen  Böchern 
die  Umstellung  nutzlos,  indem  aus  den  vielen  Einzelheiten  schliefs* 
lieh  doch  kein  zusammenhängendes  Ganze  wird.  Die  Evangelien 
sind  mit  Recht  völlig  getrennt  geblieben. 

Die  Überschriften  sind  in  den  erzählenden  Büchern  in 
fettem  Druck,  in  den  Lehrbüchern  und  den  prophetischen  Schriften 
weniger  zweckmäßig  in  gesperrtem  Druck  gegeben;  sie  stehen  in 
manchen  Abschnitten  zu  selten.  Bei  den  Psalmen  sollten  sie  eine 
besondere  Zeile  einnehmen.  Hauptüberschriften  fassen  die 
Erzählungen  wieder  zu  gröfsern  Abschnitten  zusammen.  Diese 
Absdinittsüberschriften  sind  S. VII  zu  einer  Inhaltsübersicht 
mit  beigegebenen  Seitenzahlen  vereinigt.  Das  ist  zweckmäfsig, 
denn  eine  solche  Übersicht  giebt  ein  besseres  Bild  von  dem  Inhalt 
der  Bibel  als  die  Aufzählung  der  biblischen  Bücher.  Diese  steht 
&si  S.  590.  Ich  würde  es  für  richtiger  halten,  die  Inhaltsüber- 
sicht und  das  Verzeichnis  der  biblischen  Bücher  in  zwei  Reihen 
nebeneinander  aufzuführen. 

Die  Teile  einer  Erzählung  werden  durch  Gedankenstriche 
angedeutet  Das  ist  nicht  ausreichend;  es  mufs  vielmehr,  da 
Völker  im  übrigen  fortlaufenden  Satz  anwendet,  ein  Absatz  im 
Druck  gemacht  werden.  Längere  Abschnitte  sind  infolge  dessen 
ganz  unübersichtlich,  so  die  Sintflut  1.  Mose  6—8,  Isaaks  Heirat 
€.  24,  die  Gleichnisse  vom  Himmelreich  Matth.  13.  Durch  den 
gesperrten  Druck  des  bezeichnenden  Wortes  (Sämann,  Senfkorn) 
wird  die  Einteilung  nicht  ausreichend  hervorgehoben. 

Bei  den  Psalmen  sind  die  einzelnen  Glieder  des  Verses 
durch  einen  kleinen  Zwischenraum  mit  folgendem  grofsen  Anfangs- 
bacfastaben  getrennt,  eine  für  die  Schule  aufserordentlich  nützliche 
Eiorichtung.  Bei  einzelnen  Liedern,  die  inmitten  prosaischer  Er- 
zählungen stehen,  wie  2.  Hose  15;  5.  Mose  32,  ist  bei  jedem  Gliede 
eiDe  neue  Zeile  begonnen  und  gespaltener  Satz  angewendet.  Da- 
gegen ist  der  Paralleüsmus  bei  vielen  poetischen  Stücken  nicht 
angedeutet,  wo  es  Kautzsch  in  seiner  Obersetzung  thut,  z.  B. 
1.  Mose  4,  24;  27,  27;  2.  Sam.  1,  19ff. 

Von  veralteten  oder  aus  andern  Gründen  zu  ändernden 
Sprachformen  ist  mit  Unrecht  geblieben:  Seinen  Samen  bei 
ihm  selbst  haben  (B:  sich)  1.  Mose  1,  11;  die  Stimme  deines 
Bruders  Bluts  (B:  des  Bluts  deines  Bruders)  4,10;  gerochen 


476  ^®<*  gegenwärtige  Staod  der  Sehalbibelfrage, 

(B:  gerächt)  4,  15;  Hännlein  und  Weibleio,  von  Tieren  ge- 
sagt 7,  9,  was  auch  B  beibehält,  der  Ausdruck  kann  ganz  weg- 
fallen, da  das  Wort  Paar  vorausgeht;  Schnur  (B:  Schwieger- 
tocliter)  11|31;  zween  (B:  zwei)  19,1,  während  zwo  aufgegeben 
ist;  der  Knabe  Elisas  Q3G:  Diener)  2.  Kön.  5, 20  und  an  andern 
Stellen;  die  Seele  nicht  mögen  töten  (BG:  können)  Matth.  10, 28; 
ein  Rohr,  das  der  Wind  hin  und  her  webt  (B:  weht)  11,  7;  die 
Meereswoge,  die  vom  Winde  getrieben  und  gewebt  wird  (B:  hin 
und  her  getrieben)  Jac.  1,  6;  Aufsätze  der  Ältesten  (B:  Über- 
lieferung, G:  Satzungen)  Maltb.  15,2;  meine  Rede  fängt  nicht 
unter  euch  (BG:  findet  keinen  Eingang)  Job.  8, 37;  ich  mufs 
allerdings  das  künftige  Fest  in  Jerusalem  halten,  was  den  Sinn 
des  Lutherschen  allerdinge  gar  nicht  wiedergiebt  (B:  durchaus) 
Apost.  18,  21;  denselben  meinten  sie  Paulus  hätte  ihn  in 
den  Tempel  geführt  (B:  und  meinten)  21,19;  es  umblickte  ihn 
ein  Licht  (BG:  umleuchtete)  22,  6;  ins  Angesicht  streichen 
(BG:  schlagen)  2.  Kor.  11,  20. 

Einige  sprachliche  Änderungen  sind  nicht  glück- 
lich: 1.  Uose  17,  20  in  Bezug  auf  Ismael  habe  ich  dich  auch 
erhört  (B:  Ismael  habe  ich  auch  gesegnet);  46,26  alle  Seelen,  die 
mit  Jakob  nach  Ägypten  kamen,  was  seine  Kinder  und  Kindes- 
kinder waren;  Ruth  2,5  Wes  ist  die  Tochter  (D:  Dirne,  B: 
Wes  ist  die  Jungfrau?).  Ferner  ist  es  Lutherscbe  Wortstellung, 
nach  dem  Subjekt  sogleich  das  Verbum  zu  bringen,  dann  alles 
übrige.  Völker  ändert  das  regelmäfsig.  So  beibt  es:  1.  Hose  21, 16 
ich  kann  des  Knaben  Sterben  nicht  zusehen;  24,  4  sondern 
dafs  du  in  mein  Vaterland  und  zu  meiner  Freundschaft  ziehest 
und  meinem  Sohne  Isaak  ein  Weib  nehmest;  12,5;  13,12; 
18,8.  10.  19;  24,27. 

Erläuterungen,  namentlich  von  Namen,  werden  oft  ge- 
geben; sie  stehen  am  FuTs  der  Seite.  Wenn  c.  17  Abram  und 
Abraham,  Sarai  und  Sara  für  gleichbedeutend  erklärt  werden, 
so  entspricht  das  der  Ansicht  des  Erzählers  doch  offenbar  nicht. 
Auch  wenn  Zoar  übersetzt  wird  Geringheit,  Kleines,  so  ist 
das  an  der  Stelle  weniger  zweckmäfsig  als  die  übliche  Übersetzung 
die  Kleine,  die  B  bietet.  Die  Zahl  der  Parallelstellen  ist 
gering;  sie  stehen  am  Fufse  der  Seite.  • 

Am  Schlüsse  des  Buchs  steht  eine  Synopsis  der 
Leidenszeit  Jesu  und  der  Zeit  seiner  Verherrhchung.  Dann  folgt 
eine  Zeittafel.  In  den  biblischen  Text  sind  die  Zahlen  nicht 
aufgenommen,  was  in  der  Schulbibel  wenigstens  bei  einigen  ge- 
schehen war.  Auch  das  dort  angewendete  Verfahren,  bei  jedem 
Propheten  unter  der  Überschrift  die  Könige  anzugeben,  unter 
denen  er  auftritt,  hätte  beibehalten  werden  sollen.  Das  Wort- 
und  Sachregister  enthält  auch  Angaben  über  die  einzelnen 
biblischen  Bucher,  sowie  geographische  und  geschichtliche  Be- 
lehrungen; ich  hebe  hervor  die  Abschnitte:   J^usalem,  Johannes, 


von  A.  Bähoisch.  477 

Hakkabäer,  Palästina,  Paulus,  Römerherrschaft  iu  Palästina.  Dann 
folgeo  Grundrisse  der  Stiftsbötte  und  des  herodianischen 
Tempeb«  nach  Riehin;  endlich  zwei  Karten,  die  erste  von  Babylon 
bis  Italien  reichend,  so  dafs  das  Einzelne  sehr  klein  dargestellt 
ist,  die  andere  Palästina  zur  Zeit  Christi  darstellend.  Das  ist 
wenig,  die  frühern  Bücher  enthielten  vier  Karten. 

Ein  Verzeichnis  der  zu  behandelnden  Geschichten  und 
der  dazu  gehörigen  Lesestoffe,  Spräche,  Liederverse  und 
Katechismusstellen  (fünfzehn  Seiten)  bietet  dem  Lehrer 
manches  Nützliche;  in  das  Buch  der  Schüler  ist  es  wohl  aufge- 
nommen, um  das  Diktieren  der  Stellen  zu  ersparen.  Die  Lieder- 
ferse sind  mit  Recht  gröfstenteils  aus  bekannten  Liedern  gewählt, 
aus  weniger  bekannten  einige  schöne  und  passende,  so  S.  604 
die  Verse  zum  Vaterunser  und  zur  Geschichte  von  Maria  und 
Martha.  Sprüche  und  Lesestoffe  enthalten  nach  meiner  Ansicht 
oft  recht  unbekannte  und  nicht  immer  passende  Stellen,  so  603 
bei  Petri  Fischzug,  der  Enthauptung  des  Johannes,  dem  kananäischen 
Weibe,  604  der  Heilung  des  Wassersüchtigen.  Sehr  bekannte 
und  wertvolle  Sprüche  und  Liederverse  sollten  öfters  wiederkehren, 
was,  soviel  ich  gesehen  habe,  nicht  der  Fall  ist. 

Die  Vers  zahlen  stehen  am  Rande  und  sind  nur  von  fünf 
zu  fünf  gesetzt,  aufserdem  beim  Anfang  einer  Erzählung  und  bei 
wichtigeren  und  bekannteren  Stellen.  Dadurch  entsteht  eine  un- 
angenehme Unsicherheit,  da  man  nie  weifs,  weiche  man  erwarten 
darf  und  welche  nicht,  und  es  giebt  Fälle  genug,  wo  man  beim 
Nachschlagen  die  Zahl  vermifst 

Der  Druck  läuft  über  die  ganze  Seite  herüber,  er  ist  schwarz 
und  scharf;  wichtige  Sprüche  sind  fett  gedruckt.  Von  gesperrtem 
Druck  wird  ein  zweckmälsiger  Gebrauch  gemacht.  Es  werden 
dadurch  einzelne  Worte  hervorgehoben,  so  ein  für  einzig,  ferner 
Namen  bei  ihrem  ersten  Vorkommen,  z.  B.  die  der  jüdischen 
Könige.  Ferner  werden  dadurch  die  Unterabteilungen  einer  Er- 
zählung angedeutet,  so  sind  gesperrt  gedruckt  die  einzelnen  Plagen 
Ägyptens,  die  verschiedenen  Orte  des  Wüstenzuges. 

Das  Papier  ist  gut,  der  Einband  schön  und  dauerhaft 

Die  Qlamer  Famtlienblbel  wurde  herausgegeben  von  fünf 
Geistlichen  unter  Mitwirkung  einer  sehr  grofsen  Zahl  anderer 
Männer.  Genauere  Auskunft  giebt  das  Begleitwort  von  Heer, 
Zweck  einer  Familienbibel.    Glarus  1887.     1  M. 

Dafs  auch  für  den  Gebrauch  in  der  Familie  ein  Bibelauszug 
wünschenswert  sei  und  dasselbe  Buch  „für  Schule  und 
Haos^'  benutzt  werden  solle,  ist  die  Ansicht  vieler  Freunde  der 
Scbulbibel.  Sicherlich  werden  auch  wirklich  Familien-  und  Schul- 
bibel  viel  Gemeinsames  haben,  aber  in  allen  Stücken  decken  sich 
die  beiden  Begriffe  doch  nicht  In  der  Schule  ist  der  Inhalt  der 
Bibel  in  erster  Linie  Gegenstand  des  Unterrichts,   in  der  Familie 


478  D®^  gegenwärtige  Stand  der  Schulbibelfragei 

soll  er  vor  allem  der  Erbauung  dienen.  In  der  Scbulbibel  werden 
deshalb  die  gescbichtiich  wichtigen  Abschnitte  mehr  berücksichtigt 
werden  müssen,  die  Familienbibel  wird  das  Erbauliche,  Veredelnde, 
Tröstende  bevoraugen^);  von  den  Lehrbüchern  werden  deshalb 
hier  Sprüche,  Prediger,  Sirach  und  Weisheit  mehr  herangezogen 
werden  dürfen,  während  die  Schule  fast  nur  Abschnitte  aas  den 
Psalmen  und  Hiob  lesen  kann.  Schwierigere  Stellen  dürfen  in 
der  Schulbibel  Aufnahme  finden,  wenn  zu  ihrem  Verständnis  nur 
Kenntnisse  notwendig  sind,  die  ja  der  Lehrer  mitzuteilen  vermag; 
bedarf  es  zu  ihrem  Begreifen  gröfserer  Lebenserfahrung,  so 
können  die  Erläuterungen  des  Lehrers  dem  Schüler  nur  wenig 
helfen,  und  solche  Abschnitte  werden  in  der  Familienbibel  vor- 
zugsweise Berücksichtigung  finden  müssen.  Der  Schüler  brauclit 
nur  eine  kleine  Anzahl  Parallelstellen,  die  Familienbibel  mufs  die 
der  Vollbibel  sämtlich  enthalten,  da  sie  hier  die  Hauptquelle  der 
Erläuterung  bilden  müssen;  auch  sonst  sind  Erklärungen  in  aus- 
gedehnterem Mause  notwendig,  da  die  Familie  in  der  Regel  des 
gelehrten  Beraters  entbehrt.  Für  die  Familie  mufs  eine  sprach- 
liche Form  gewählt  werden,  die  vor  allem  gestattet  den  Gedanken 
leicht  und  richtig  aufzufassen,  und  sie  darf  deshalb  von  Luthers 
Ausdruck  stärker  abweichen  und  sich  mehr  der  Sprache  der 
Gegenwart  nähern;  eine  Schulbibel  mufs  sich  eng  an  Luthers 
Sprache  anschliefsen ,  die  das  junge  Geschlecht  genau  kennen 
lernen  mufs,  da  sie  in  Kraft,  Kernigkeit  und  Schönheit  noch 
heule  unübertroffen  ist  und  von  ihr  eine  neue  Entwickelung  der 
deutschen  Sprache  ihren  Ausgang  genommen  hat.  So  decken 
sich  die  beiden  Begriffe  nur  zum  Teil,  und  wenn  zugegeben 
werden  darf,  dafs  die  Glarner  Bibel  eine  gute  Familienbibel  ist, 
so  kann  man  von  vornherein  vermuten,  dafs  sie  für  die  Schule 
weniger  geeignet  sein  wird. 

Anstöfsige  Stellen  sind  geschickt  geändert.  Auch  mit 
der  Auslassung  minder  wertvoller  Abschnitte  kann  man 
sich  oft  einverstanden  erklären. 

Andererseits  sind  aber  viele  gröfsere  und  kleinere 
Stellen  weggelassen,  auf  die  die  Schule  nicht  ver- 
zichten kann,  so  zahhreiche  und  wichtige,  dafs  meiner  Meinung 
nach  schon  aus  diesem  einen  Grunde  das  Buch  für  deutsche 
Schulen  nicht  verwendbar  ist.  So  fehlt  1.  Mose  4,  20—  22  Jabal, 
von  dem  herkommen  sind,  die  in  Hütten  wohneten  und  Vieh 
zogen;  Jubal,  von  dem  herkommen  sind  die  Geiger  und  Pfeifer; 
Thubalkain,  der  Meister  in  allerlei  Erz-  und  Eisenwerk;  10,  8 f. 
Nimrod;  14,  3;  alle  Abschnitte  über  Uagar  und  ismael!  2.  Mose 
4,  1 — 9  Moses  erhält  die  Fähigkeit  seinen  Stab  in  eine  Schlange, 
das  Wasser  des  Nils  in  Blut  zu  verwandeln,  seine  Hand  aussätzig 

^)  Das  Begleitwort  der  Glarner  Bibel  erklart,  dafs  ^jdiejeaigeD  Ab- 
sehoitte  weggelassen  sind,  die  für  ihr  Verstäodois  mehr  historische  Reantnisse 
voraossetxen,  als  gemeialiiD  vorhanden  siad'^ 


von  A.  BMhnisch.  479 

ZU  machen!  17,  8  ff.  der  Kampf  gegen  die  Amalekiter,  bei  dem 
Moses  von  Aaron  und  Hur  gestützt  die  Hände  emporhält!  3,  7 — 11 ; 
3.  Mose  16  das  Versöhn ungsfest;  4.  Mose  6  die  Nasiräer;  16  die 
Rotte  Korah;  17  der  grünende  Stab  Aarons;  20  das  Haderwasser 
und  alle  spätem  Stellen,  die  sich  darauf  beziehen,  z.B.  Aarons 
Tod!  27,  14 ff.  Moses  bittet  Gott,  dem  Volke  einen  andern  Fuhrer 
zu  geben;  32  Verteilung  des  Ostjordaniandes;  5.  Mose  25  Levirats- 
ehe; 34,  1 — 3  zum  Teil;  Richter  13 — 16  Simson!  Ruth  3,  das 
sich  sehr  wohl  unanstöfsig  gestalten  läfst,  wie  die  Bremer  Bibel 
zeigt;  2.  Sam.  8  Davids  Siege  über  die  Nachbarvölker,  die  kurz 
jedenfalls  angegeben  werden  müssen;  zu  sehr  gekürzt  ist  1.  Kön. 
5, 1 — 14  Salomos  Regierung;  c  16  fehlt  die  Erwähnung  Simris 
und  Onnris;  2.  Kön.  4.  6 — ^8  Elisas  Thaten,  von  denen  ein  Teil 
Ueiben  mofs;  11;  12;  daÜB  ein  Teil  der  Könige  wegbleibt,  kann 
im  übrigen  nur  gebilligt  werden;  15.  16  die  Assyrer  gewinnen 
allmählich  in  den  beiden  Reichen  Einflufs;  die  Bücher  der  Chro- 
nika  sind  mit  Recht  sehr  kurz,  Esra  und  Nehemia  mit  Recht 
ausführlich  behandelt  Aus  Hiob  vermisse  ich  26,  6  ff.,  Stellen 
aus  36.  37.  40,  25 ff.  41.  Von  den  Psalmen  fehlen  etwa  20, 
namentlich  Fluch-  und  Rachepsalmen;  deshalb  ist  auch  von  137 
(An  den  Wassern  zu  Babel  safsen  wir)  7 — 9  weggefallen,  mit 
Unrecht.  Die  Juden  waren  ein  südliches,  heifsblütiges,  rache- 
durstiges Volk,  und  der  Schüler  mufs  sie  auch  von  dieser  Seite 
kennen  lernen;  hier  verzeiht  man  aber  den  Wunsch  nach  Rache 
ganz  besonders,  wenn  man  an  das  2.  Kön.  25,  7  Erzählte  zurück- 
denkt. Psalm  117  fehlt,  ebenso  später  Maleachi  4,  5.  6:  Siehe,  ich 
will  euch  senden  den  Propheten  Elias.  Von  den  Apokryphen 
sind  in  richtiger  Auswahl  Abschnitte  aus  Weisheit,  Tobias,  Sirach 
und  1.  Makkabäer  aufgenommen,  doch  fehlt  1.  Makk.  8  das  Bündnis 
mit  den  Römern.  Im  Neuen  Testament  fehlt  Rom.  4  zum 
Teil,  9;  2.  Kor.  14,  7—18,  23—28.  1.  Thess.  2,  1—12.  4,  15  ff., 
Abschnitte  aus  Hebr.  7 — 10. 

Die  breiter  dahinfliefsende  Erzählung  ist  oft,  nament- 
lich im  ersten  Buch  Mose,  mit  Unrecht  kurz  zusammengezogen, 
wie  das  z.  B.  die  Sintflutgeschichte  oder  2.  Kön.  17,  24  ff.  das  Ende 
des  Reiches  Israel  zeigt. 

In  den  Evangelien  werden  übereinstimmende  Erzählungen 
meist  nnr  einmal  abgedruckt  und  darauf  dann  an  den  andern  Stellen 
vorlesen.  Das  ist  bei  Matthäus  an  sieben,  bei  Lucas  an  acht  oft 
sehr  ausgedehnten  Stellen  der  Fall  und  geschieht  selbst  bei  ziemlicher 
Verschiedenheit  der  Abschnitte.  Wichtigere  Stellen  des  weggelassenen 
Abschnitts  werden  dann  in  den  abgedruckten  mit  aufgenommen 
und  das  am  Rande  bemerkt.  So  fehlen  Lucas  20  und  21  Jesu 
Reden  in  Jerusalem  nnd  müssen  teils  bei  Matthäus,  teils  bei 
Marcus  nachgeschlagen  werden.  Dieses  Verfahren  ist  durchaus 
zu  milsbilligen,  denn  in  dem  einzelnen  Evangelium  hört  nun  jeder 
Zusammenhang  auf.    Es  ist  ohnehin  ein  Übelstand,   dafs  wir  so 


480  l)or  gegenwartige  Stand  der  Schalbibelfrage, 

oft  genötigt  sind  bei  der  Beschäftigung  mit  dem  Leben  Jesu  von 
einem  Evangelium  zum  andern  überzugehen,  aber  wir  werden 
doch  solche  Stellen  nicht  noch  mutwilUg  vermehren.  Zuweilen 
fehlen  Erzählungen  in  der  Form,  in  der  sie  Sonntagsevangelium 
sind,  so  Lucas  8,  4 — 18  das  Gleichnis  vom  Sämann. 

Die  Überschriften  sollten  wie  bei  Völker  in  stärkerem 
und  gröfserem  Druck  gehalten  sein;  Abschnittsüberschriften  fehlen. 
Längere  Abschnitte  werden  durch  *  ^  '*'  in  Unterabteilungen  ge- 
teilt; das  Zeichen  ist  nicht  zweckmäfsig  gewählt,  es  macht  den 
Eindruck,  als  ob  ein  Hauptabschnitt  anfinge. 

Bei  den  Psalmen  fehlen  Überschriften  leider  gänzlich.  Bei 
dreizehn  der  bekanntesten  ebenso  wie  bei  einzelnen  in  die  Ge- 
schichtsbücher eingefügten  Liedern  ist  der  Parallelismus  durch 
abgesetzte  Zeilen  angedeutet,  bei  den  übrigen  ist  er  nicht  be- 
zeichnet. 

In  der  Sprache  ist  Veraltetes  beseitigt,  aber  der  Ausdruck 
ist  nun  wieder  zu  modern  geworden  und  entfernt  sich  ohne  Not 
von  dem  Luthers.    In  einem  Aufsatz,   der  vor  einigen  Jahren  in 
einer  Bremer  Zeitung  erschien,  urteilt  Missionsinspektor  Zahn  in 
Bremen  darüber:  „Eine  Übersetzung  mufs  so  richtig  als  möglich 
sein.     Aber  wer  den  alten  Text   lieb    hat,    wem    die  Worte   der 
Lutherbibel  durch  liebe  Erinnerungen,  durch  zahllose  Beziehungen 
von  Kindheit  an  wert  geworden  sind,  dem  wird  es  oft  ein  hartes 
Opfer  sein,  wenn  er  um  der  Richtigkeit  willen  die  alten  Formen 
preisgeben  soll.    Und  mit  Recht  wird  er  fordern,  daJÜB  wenigstens 
nicht  nutzlos,  daüs  nur  mit  schonender  Hand,  nur,  wo  etwas  ge- 
wonnen wird,  der  alte  Text  geändert  werde.     Bei   den  Verbesse- 
rungen der  Familienbibel  ist  nicht  die  Rücksicht  auf  den  Luther- 
text  genommen,    die    man    fordern    mufs'^    Das  Verfahren   der 
Glarner  Bibel  hat  seinen  Grund  darin,  dafs  die  Luthersche  Bibel- 
übersetzung in  der  Schweiz  nicht  die  Geltung  hat  wie  in  Deutsch- 
land.     „Die   Schweiz**,    sagt   Zahn,    „hat    keinen    gemeinsamen 
Bibeltext;    neben    der   Zürcherischen   Übersetzung   hat   sich    die 
Lutherbibel  Eingang  verschafft,   und   auch  neuere  Übersetzungen 
wie  die  von   De  Wette  und  Stier  werden  nach  Belieben  auf  der 
Kanzel  gebraucht*'^).    Von  dem  Verfahren  der  Glarner  Bibel  nar 
einige  Beispiele:  In  der  Weihnachtsgeschichte  Luc.  2,  4  hat  jeder- 
mann von  Kindheit  auf  gelesen  und  gehört:   Da  machte  sich  auf 
Joseph  in  das  jüdische  Land.   Die  Glarner  Bibel  sagt:  in  das  Land 
Juda,  obgleich  sie  Matth.  2,1  dasselbe  ^lovdaia  wiedergiebt  durch: 
Bethlehem   im  jüdischen  Lande,    ebenso  Luc.  23,  5;   Luc  2,  18 
heifst  es  bei  Luther:   Alle,   vor  die  es  kam,  wunderten  sich  der 
Rede,  die  ihnen  die  Hirten  gesagt  hatten,  G:   Alle,  die  es  hör- 
ten, wunderten  sich  über  das,  was  die  Hirten  ihnen  sagten; 

')  Damit  stimmt  tiberein  die  Erklarnng  des  Begleitworts  der  Glarner 
Bibel  S.  4  Aom.  2.  —  Ans  dem  Zabnscbeo  Anfsats  ist  aoch  im  folf^endeii 
manches  entnommen. 


von  A.  BShuisch.  4gl 

I.Mose  3,  16  er  soll  dein  Herr  sein,  G:  er  wird  über  dich 
herrschen;  Luc.  3^  20  legte  Johannes  gefangen,  G:  warf  ins 
Gefängnis.  Die  Taufformel  laulet  Matth.  28, 19:  Gehet  hin  und 
machet  zu  Jüngern  alle  Völker  und  taufet  sie  auf  den 
Namen  u.  s.  w.;  die  Durchgesehene  Ausgabe  und  mit  ihr  die 
Bremer  Bibel  behalten  mit  Recht  die  altehrwürdigen  Worte  Luthers 
im  Text  und  geben  eine  berichtigte  Übersetzung  in  der  Anmerkung. 
Oft  wird  selbst  gegen  den  Urtext  Ton  Luther  abgewichen,  so  Job. 
2,7:  Füllet  die  Krüge  mit  Wasser  (Luther:  Wasserkröge,  tag 
vdQiag),  Gegen  den  Urtext  ist  es  auch,  wenn  die  Weiterführung 
der  Rede  mit  und  meist  beseitigt  ist,  die  zugleich  der  kindlichen 
Ausdracksweise  Entspricht.  So  lautet  I.Mose  12,  8:  Darnach 
brach  er  auf  von  dannen  an  einen  Berg,  der  im  Osten  von 
Betbel  lag;  hier  schlug  er  sein  Zelt  auf,  baute  dem  Herrn 
einen  Altar  und  rief  den  Namen  Jehovahs  an;  D:  der  lag  gegen 
Morgen  der  Stadt  Bethel,  und  richtete  seine  Hütte  auf 
und  haute  daselbst  dem  Herrn  einen  Altar  und  predigte  von 
dem  Namen  des  Herrn.  Durch  das  ganze  Buch  zieht  sich  ferner 
die  bereits  bei  Völker  erwähnte  Veränderung  der  Wortstellung; 
so  heilst  es  auch  hier  1.  Mose  24,  4:  sondern  dafs  du  in  mein 
Vaterland  und  in  meine  Freundschaft  ziehest  und  meinem  Sohne 
Isaak  ein  Weib  nehmest. 

Erläuterungen  werden  oft  beigefugt,  sie  sind  meist  gut, 
knapp  und  inhaltreich.  Parallelstellen  sind  zahlreich  beigefugt. 
Zahlen  beginnen  im  Text  bei  Davids  Regierung;  auch  bei  den 
Propheten  sind  einige  hinzugefügt.  Am  Schlufs  steht  eine  Zeit- 
tafel, die  mit  dem  Auszug  aus  Ägypten  beginnt,  ferner  zwei 
Karten,  die  Länder  ums  östliche  Meer  und  Palästina. 

Der  Drnck  ist  für  ein  Schulbuch  zu  blafs  und  dünn^),  was 
namentlich  bei  Lampenlicht  auffallt.  Die  Zeilen  sind  nicht  ge- 
i:palten.  Gesperrter  Druck  ist  zweckmäfsig  verwendet,  um  den 
Inhalt  der  im  Druck  gemachten  Absätze  zu  bezeichnen. 

Die  Glarner  Bibel  wurde  ziemlich  kurze  Zeit  nach  ihrem  Er- 
scheinen etwa  in  der  Hälfte  der  Bremer  Gemeinden  „auf  die 
Kanzeln  und  in  die  Lehrsäle"  eingeführt  Der  Widerstand  der 
übrigen  Geistlichen  und  Lehrer  gegen  sie,  namentlich  gegen  ihre 
sprachliche  Form'),  war  die  erste  Veranlassung  zur  Herstellung  der 
Bremer  SehnlMbel. 

Die  Bremer  Bibelgesellschaft  beantragte  zunächst  auf  der 
Konferenz  deutscher  Bibelgesellschaften  im  Januar  1890  die  ge- 
meioschaftliche  Herstellung  einer  Schulbibel.  Da  die  Versammlung 
die  Bedeutung  der  Frage  zwar  anerkannte,  den  Antrag  jedoch 
„für  jetzt'*  und  „für  sich*'  ablehnte,  nahm  die  Bremer  Gesellschaft 


1}  Vielleicht  ist  Stereotypendrock  die  Ursache. 
*)  Damalfl  erschien  der  oben  erwähnte  Aofsatz  von  Zaha. 
ScitMhr.  l  a.  OjmnMialwMen  XLVllL    7.  8.  3X 


482  Der  gegeDwartige  Stand  der  Schnlbibelfrage, 

die  Sache  allein  in  Angriff.  Sie  veröffentlichte  die  von  ihr  in 
GemeiDBchaft  mit  einer  Anzahl  von  Schulmännern  und  Geistlichen 
aufgestellten  „Grundsätze  zur  Herstellung  einer  Schulbihel*'  in 
den  namhaften  Kirchen-  und  Schulzeitungen  ^).  Dreiundvierzig 
Männer'),  unter  denen  elf  Geistliche,  die  übrigen  Leiter  und 
Lehrer  höherer  und  niederer  Schulen  waren,  erklärten  sich  zur 
Hilfe  bereit,  und  der  Stoff  wurde  unter  sie  in  der  Weise  verteilt, 
dafs  immer  derselbe  Abschnitt  von  zweien,  von  dem  einen  mit 
Rücksicht  auf  die  höheren  Schulen,  von  dem  andern  mit  Ruck- 
sicht auf  die  Volksschule  bearbeitet  wurde.  Damit  dem  Werke 
die  nötige  innere  Einheitlichkeit  nicht  fehle,  bildete  man  in 
Bremen  eine  Kommission  von  vierzehn  Mitgliedern,  Geistlichen, 
Schulvorstehern  und  Gymnasiallehrern,  die  sich  wiederum  in 
sechs  Unterkommissionen,  vier  für  das  Alte  Testament,  zwei  für 
das  Neue,  teilte.  1891  wurden  die  Mitarbeiter  aufgefordert,  bis 
zum  Juli  anzugeben,  was  für  Streichungen  oder  Änderungen  sie 
in  dem  ihnen  zugewiesenen  Abschnitt  beabsichtigten.  Die  ein- 
gegangenen Vorschläge  wurden  zunächst  von  den  Unterkommissionen 
geprüft;  Ende  Januar  1892  begann  dann  die  Gesamtkommission 
die  Feststellung  des  Textes  zu  beraten.  Im  Februar  1893  wurden 
die  Ergebnisse  dieser  Beratung,  in  die  Druckbogen  der  inzwischen 
erschienenen  Durchgesehenen  Ausgabe  eingetragen,  an  die  Mit- 
arbeiter verschickt  und  diese  zur  Abgabe  ihres  Urteils  aufgefordert. 
Nachdem  ihre  Antworten  eingegangen  waren,  begann  die  zweite 
Lesung.  Die  schliefsliche  einheitliche  Redaktion  und  Drucklegung 
besorgte  eine  kleine  Redaktionskommission,  bestehend  aus  den 
Herren  Schulvorsteher  Habenicht,  Pastor  Mallet  und  Pastor 
Zauleck  in  Bremen');  im  Druck  erschien  die  Schulbibel  im 
Februar  1894. 


')  Sie  sind  auch  abgedruckt  ia  meiner  oben  nogefiihrten  AbhiBdlnng. 
Mitteilungen  über  den  Fortgang  des  Werks  finden  sieh  in  der  Zeitschr.  for 
ev.  Religionsunterricht  I  3,  234.  4,  338.  11  1,  95.  4,  323.  385  and  in  den  Mit- 
teilnngen  fiir  Bibelgesellschaften  1890,  1.  1892,  2,  24.  1894,  3,  48.  4,  157. 

')  Ein  Verzeichnis  enthält  ein  der  Sehvlbibel  beigegebenes  kortes  Be- 
gleitwort. Zu  diesen  Mitarbeitern  habe  auch  ich  gehört;  ich  glaube  trotsdea 
berechtigt  zu  sein  das  Buch  zu  besprechen,  da  jeder  von  uns  unmlttelbarea 
Einflnfs  nnr  auf  den  ihm  zugewiesenen  Abschnitt  hatte  und  auch  da  die 
Rommission  gegenüber  den  gemachten  Vorschlagen  durchaus  nach  ihrem  Gut- 
dünken verfuhr. 

>)  Für  das  neue  Werk  hat  sieh,  wie  ich  oben  erwähnte,  bereits  die 
Versammlung  schlesischer  Religionslehrer  ausgesprochen;  eine  karse  Be- 
sprechung findet  sich  im  schlesischen  Familienboten  1894,  14,  wo  es  unter 
anderm  heifst:  „Die  Bremer  Schul bibel  ist  in  hervorragendem  Mafse  geeignet 
die  Jugend  für  das  ewige  Gotteswort  zu  begeistern*'.  In  der  Zeitschr.  für 
ev.  Religionsunterricht  wird  das  Buch  von  Professor  Witte  in  Schalpforta 
besprochen  werden.  Die  Scholbibel  dient  jetzt  (Mitte  Mai)  bereits  in  zwölf 
Städten  dem  Schulgebrauch  in  Privatscholen.  In  den  ersten  acht  Wochen 
sind  1700  Exemplare  verschickt  worden.  Im  Herbst  wird  sie  voraassichtlich 
in  Bremen  in  alle  Schulen  in  Stadt  und  Land  eingeführt  werden. 


von  k.  BahDiseli.  4g3 

Wenn  bei  einer  Schulbibel  als  die  Hauptsache  der  Inhalt  und 
die  Art,  wie  die  Auswahl  getroffen  ist,  betrachtet  werden 
muby  so  ist  die  Bremer  Bibel  den  beiden  vorher  erwähnten  bei 
weitem  Yorzuziehen. 

Anstöfsige  Stellen  sind  mit  Geschick  geändert.  Man 
vergleiche  t.  B.  1.  Mose  19,  5—8.  39,  7—9.  1.  Sam.  18,  25—22. 
Ohne  jeden  Anstofs  ist  jetzt  der  schöne  Psalm  139  „Herr,  du  er- 
forschest mich  und  kennest  mich'*,  nachdem  weggefallen  sind 
13:  Denn  du  hast  meine  Nieren  bereitet  und  hast  mich  gebildet 
im  Motterleibe;  15:  Es  war  dir  mein  Gebein  nicht  verhohlen,  da 
ich  im  Verborgnen  gemacht  ward;  19—22.  —  Luc.  1,  31  lautet: 
Siehe,  du  wirst  Mutter  werden  und  einen  Sohn  bekommen 
(Luther:  da  wirst  schwanger  werden  im  Leibe  und  einen  Sohn 
gebären).  36.  37:  Und  siehe,  Elisabeth,  deine  Gefreundete,  wird 
auch  einen  Sohn  bekommen  in  ihrem  Alter  (Luther:  Elisa- 
beth ist  auch  schwanger  mit  einem  Sohn  in  ihrem  Alter,  und 
gehet  jetzt  im  sechsten  Mond,  die  im  Geschrei  ist,  dafs  sie  un- 
fruchtbar sei).  Gal.  5,6:  In  Christo  Jesu  gilt  weder  Judentum 
noch  Heidentum  etwas,  sondern  der  Glaube,  der  durch  die  Liebe 
thätig  ist  Dabei  hat  man  sich  von  äbertriebener  Ziererei  durchaus 
ferngehalten. 

An  einigen  Stellen  erscheint  mir  die  Änderung  nicht  zweck- 
mäfsig.  I.Hose  9,  18 if.  lautet  in  der  Bremer  Bibel:  Da  Noah 
des  Weines  trank,  ward  er  trunken  und  lag  in  der  Butte.  Da 
nun  Ham  seinen  Vater  sah,  sagte  er's  seinen  beiden  Brüdern 
draoTsen.  Da  nahm  Sem  und  Japhet  ein  Kleid  und  deckten  ihren 
Vater  zu.  Als  nun  Noah  erwachte  von  seinem  Wein  und  erfuhr, 
was  ihm  sein  jüngster  Sohn  gethan  hatte,  sprach 'er  ....  Die 
Stelle  ist  zunächst  unkkr  geworden.  Soll  der  Sinn  derselbe  sein, 
wie  in  der  Vollbibel:  Er  lag  aufgedeckt?  Das  ist  aber  aus  den 
Worten  nicht  zu  erraten.  Oder  wollen  die  Herausgeber  die  Vor- 
stellung erwecken,  dafs  Ham  sich  über  den  trunken  Daliegenden 
lustig  gemacht  habe?  Aber  einen  Trunkenen  deckt  man  doch 
nicht  zu.  Auch  bei  Völker,  welcher  sagt:  „Er  lag  in  der  Hütte 
unbedeckt**,  bleibt  die  Sache  halb  unklar.  Verständlich  ist  sie 
nur  in  der  Vollbibel  durch  die  Verse  22:  „Da  nun  Ham  sah  seines 
Vaters  Blöfse**  (früher  hiefs  es:  Scham)  ....  23.  „und  deckten 
ihres  Vaters  Blöfse  zu**,  in  denen  eben  der  Anstofs  liegt.  Deshalb 
nraCs  man  meiner  Meinung  nach  die  Stelle  entweder  unverändert 
beibehalten,  oder  völlig  weglassen,  wie  es  die  Glarner  Bibel  thut. 
ich  sehe  nicht  ein,  warum  man  nicht  so  verfahren  soll.  Auf  diese 
Verfluchung  Harns  wird,  soviel  ich  weifs,  in  der  ganzen  Bibel 
Dicht  einmal  Bezug  genommen,  und  Noah  spielt  in  der  Erzählung 
doch  anch  nicht  die  würdigste  Rolle.  —  I.Mose  15,4:  dein  Sohn, 
den  du  bekommen  wirst  (besser  V:  dein  leiblicher  Sohn;  D: 
der  von  deinem  Leibe  kommen  wird).  1.  Sam.  1,6:  ihre  Wider- 
sacherin  betrübte  sie   sehr;   die  Worte  hätten  fallen  sollen. 

31* 


484  Der  geg^enwärtige  Stand  der  Scbulbibelfrage, 

2.  Sam.  11,4  heifst  es  Id  der  Vollbibel  in  der  Erzählung  Ton 
Bathseba  im  Anfang,  nachdem  David  erfahren  hat,  wer  das  Weib 
gewesen  ist,  das  er  gesehen  hat :  4  Er  liefs  sie  holen  und  schlief 
bei  ihr.  Die  Bremer  Bibel  sagt  dafür:  Er  liefs  sie  holen  und 
nahm  sie  zum  Weibe.  Dann  folgt  die  Erzählung,  wie  er  ihren 
Gatten  tötet,  und  darauf  heifst  es  27:  Da  sie  aber  ausgetrauert 
hatte,  sandte  David  bin  und  liefs  sie  in  sein  Haus  holen. 
Weggelassen  sind  die  in  der  Vollbibel  darauf  folgenden  Worte: 
Und  sie  ward  sein  Weib.  Die  angeführten  Stellen  scheinen  mir 
nicht  richtig  gestaltet.  Denn  die  Worte  in  4  „er  nahm  sie  zum 
Weibe*'  bedeuten  für  den  Schüler  doch  vor  allem,  dafs  die  Frau 
fortan  bei  dem  Manne  bleibt,  während  es  von  Bathseba  ja  erst 
später  (27)  erzählt  wird,  David  habe  sie  in  sein  Haus  holen  lassen. 
Und  dafs  der  Schüler  bei  den  Worten  an  das  denken  sollte,  was 
die  Vollbibel  an  der  Stelle  berichtet,  ist  doch  weder  die  Absicht 
der  Verfasser  noch  ist  es  nach  dem  Wortlaut  möglich.  Die  Stelle 
hätte  so  geändert  werden  müssen,  wie  die  biblischen  Geschichten 
und  die  beiden  andern  Schulbibeln  sie  enthalten:  Als  der  König 
das  Weib  sieht,  läfst  er  ihren  Gatten  töten,  und  dann  erst  folgen 
entsprechend  der  Vollbibel  die  Worte  aus  27:  „und  sie  ward  sein 
Weib**.  Dadurch  wird  die  Erzählung  ja  einigermafsen ,  für  die 
Schule  aber  doch  in  nichts  Wesentlichem  geändert. 

Von  Stellen,  die  in  anderer  Hinsicht  Anstofs  geben 
können,  sind  weggelassen  2.  Hose  3,  22  Gott  befiehlt  das  Leihen 
der  Gefäfse  von  den  Ägyptern,  während  12,  35.  36  geblieben  ist; 
Völker  und  die  Glarner  Bibel  lassen  auch  diese  weg.  Bei  allen 
fehlt  2.  Mose  10, 1  „Ich  habe  sein  Herz  verhärtet**  und  11,  10. 

Auch  in  der  Weglassung  des  für  die  Schule  Unwich- 
tigen und  Entbehrlichen  ist  man  sehr  geschickt  verfahren. 
Das  Buch  ist  schlank  und  handlich  und  doch  wird  man  kaum 
etwas  Wichtiges  vermissen ;  alle  die  Abschnitte,  deren  Auslassung 
ich  oben  bei  Völker  und  der  Glarner  Bibel  tadelte,  sind  hier  auf- 
genommen. Einige  Bücher,  die  in  der  Schule  nie  benutzt 
werden,  sind  ganz  weggelassen,  und  ihr  Inhalt  an  der  be- 
treffenden Stelle  kurz  angegeben.  Es  sind  im  Alten  Testament 
Esther,  Hohes  Lied,  Obadja,  Nahum,  Baruch  und  alle  Apokryphen, 
die  auf  die  Bücher  der  Makkabäer  folgen.  Aus  der  Chronik  sind  Ab- 
schnitte aus  I  28.  29.  H  25.  26.  33.  35  aufgenommen;  sie  sind  in 
die  Bücher  der  Könige  nicht  eingefügt.  Von  vielen  Büchern,  wie 
den  Sprüchen,  dem  Prediger,  den  Propheten  ist  sicher 
weit  mehr  vorhanden,  als  die  Schule  in  der  Regel  wird  benutzen 
können;  doch  ist  das  kein  Fehler,  eine  Schulbibel  mufs  sich  be- 
muhen den  verschiedensten  Forderungen  gerecht  zu  werden  und 
mag  deshalb  lieber  etwas  zu  viel  als  zu  wenig  bieten.  Mit  Recht 
sagt  Dix  in  seiner  Geschichte  der  Schulbibel,  es  müsse  keineswegs 
alles  gelesen  werden,  was  ein  solches  Buch  biete,  es  müsse  nur 
alles  gelesen  werden  können.    Von  den  Psalmen  fehlen  34;  die 


voD  A.  ßähoisch.  4g5 

übrigen  bieten  nach  meiner  Ansiebt  für  den  Unterricht  einen 
überreichen  und  nie  zu  erschöpfenden  Stofl';  ich  sagte  bereits, 
dafs  die  Bremer  Bibel  mit  44  Seiten  -Psalmen  etwa  in  der  Mitte 
steht  zwischen  der  Glarner  Bibel  mit  60  und  Völker  mit  25  Seiten. 
Das  Neue  Testament  ist  vollständiger,  als  in  den  beiden  andern 
Büchern  und  fast  unverkürzt.  Weggelassen  ist  der  Brief  Juda, 
verkürzt  der  zweite  des  Petrus;  die  Evangelien  sind  mit  Recht 
völlig  getrennt  geblieben. 

Folgende  Stellen  hätten  meiner  Meinung  nach  auf- 
genommen oder  doch  ausführlicher  wiedergegeben 
werden  sollen:  1.  Mose  12,  Off.  schon  Abraham  sucht  bei 
einer  Teuerung  in  Ägypten  Zuflucht;  15,  8  ff.  Abrahams  nächt- 
liches Opfer,  das  auch  Völker  und  die  Glarner  Bibel  weglassen; 
1.  Mose  36  mufste  Esaus  Wegzug  kurz  erwähnt  werden;  2.  Sam. 
12,  12;  14,  27;  1.  Kön.  5,  1—8.  6, 15—18.  7, 1—14.  9, 10-25. 
10,  27:  Der  König  machte,  dafs  des  Silbers  zu  Jerusalem  so  viel 
war  wie  die  Steine,  und  Cedernholz  so  viel  wie  die  wilden  Feigen- 
bäume in  den  Gründen;  11,  5.  7;  2.  Kön.  14,  4.  15,  20.  24,  11. 
Jes.  19, 19—25.  Jerem.  11,  ISfll  Hes.  24,  1.  2.  33,  21.  Hosea  ist 
in  passender  Weise  gekürzt,  Joel  mit  Recht  fast  ganz  aufgenommen. 
1.  Makkabäer  ist  mit  Recht  ausführlich  mitgeteilt,  von  c.  8  hätte 
noch  mehr  geboten  werden  sollen. 

In  dem  Wortlaut  der  Übersetzung  hat  man  sich  natür- 
lich an  die  Durchgesehene  Ausgabe  angeschlossen,  doch  sind  „eine 
Reihe  kleiner  Berichtigungen  und  Verbesserungen  vorgenommen 
worden,  um  dem  Lehrer  zeitraubende  und  unfruchtbare  Erklärungen 
zu  ersparen*'.  So  lautet  Ps.  19,  5  Ihr  Schall  geht  aus  in  alle 
Lande  (D:  Schnur);  51,  6  auf  dafs  du  recht  behaltest  in  deinen 
Worten  und  rein  bleibest,  wenn  du  richtest  (nach  Deutsch; 
Kautzsch:  rein  dastehest  in  deinem  Urteil);  84,  7  steht  im  Text 
der  Wortlaut  der  Durchgesehenen  Ausgabe:  Und  die  Lehrer  werden 
mit  viel  Segen  geschmückt,  in  der  Anmerkung:  und  ein  Spat- 
regen kleidet  es  mit  Segen  (Kautzsch:  der  Frühregen  bedeckt 
es  mit  Segen);  104,  4  im  Text  die  Übersetzung  der  Durchgesehenen 
Ausgabe,  in  einer  Anmerkung:  Richtiger:  Der  du  Winde  zu 
deinen  Engeln  und  Feuerflammen  zu  deinen  Dienern 
machst  (Kautzsch:  der  Winde  zu  seinen  Boten  macht,  zu  seinen 
Dienern  loderndes  Feuer);  Luc.  1,  1  Sintemal  sich's  viele  unter- 
wunden  haben  zusammenzustellen  (D:  zu  stellen)  die  Rede 
von  den  Geschichten,  die  (D:  so)  unter  uns  ergangen  sind,  wie 
uns  das  überliefert  haben  (D:  gegeben),  die  es  von  Anfang  an 
selbst  gesehen;  Apost.  1,  16  Judas  war  ein  Führer  derer,  die 
Jesum  fingen  (D:  Vorgänger);  Barsabas  mit  dem  Zunamen  Justus 
(D:  Just);  2,  36  dafs  Gott  diesen  Jesum,  den  ihr  gekreuzigt  habt, 
zum  Herrn  und  Christus  gemacht  hat  (D:  zu  einem  Herrn 
nnd  Christ);  4,  9  so  wir  heute  werden  verhört  {cn^ccxQivofibsd'aj 
D:    gerichtet).       Unzweifelhaft    kann    man    den    meisten    dieser 


486  ^^^  gegenwärtige  Staad  der  Schulbibelfrage, 

ÄnderuDgen  nur  zustimmen.  Auch  die  Revisionskommission  wollte 
noch  so  manche  Stelle  ändern,  die  schliefslich  unverändert  ge* 
blieben  ist.  Denn  oft  fand  sich  die  nach  der  Geschäftsordnung 
notwendige  Mehrheit  von  zwei  Dritteln  der  Stimmen  wohl  für  die 
Verwerfung  der  bisherigen  Obersetzung,  man  konnte  sich  jedoch 
über  den  an  die  Stelle  zu  setzenden  Wortlaut  nicht  einigen  und 
mufste  infolge  dessen  die  schon  verworfene  Übersetzung  bei- 
behalten.  Erwägt  man  das,  so  kann  man  dem  Verfahren  der 
Bremer  Bibel  nur  zustimmen.  Die  geänderten  Stellen  sind  ver- 
hältnismäfsig  nicht  zahlreich,  und  bei  allen  „bekannten  Kern-  und 
Memoriersprüchen"  hat  man  auf  jede  Änderung  verzichtet.  So 
stimmen  z.  B.  1.  Mose  49,  10,  Jes.  9,  6  und  53  mit  der  Durch- 
gesehenen Ausgabe  überein.  HErr,  das  Völker  aufgiebt,  die 
Glarner  Bibel  oft  durch  Jehovah  wiedergiebt,  ist  beibehalten  und 
wird  da,  wo  es  zuerst  vorkommt,  1.  Mose  2, 4,  in  einer  Anmerkuag 
und  später  im  Verzeichnis  erklärt. 

Die  Überschriften  sollten  in  fettem  Druck  gehalten  sein, 
wie  bei  Völker;  zusammenfassende  Überschriften  für  Haupt- 
abschnitte sind  nicht  angewendet.  Unterabteilungen  sind  durch 
Absatz  im  Druck  bezeichnet,  da  fortlaufender  Satz  angewendet  ist. 
Auch  sie  erhalten  oft  noch  eine  Art  Überschrift  dadurch,  dafis 
wichtige  Worte  gesperrt  gedruckt  sind.  So  ist  verfahren  in  den 
Büchern  Mose  bei  den  Vorschriften  über  Opfer,  Feste  und  ähn- 
lichem, Matth.  13  bei  den  Gleichnissen  vom  Himmelreich;  bei  den 
Paulinischen  Beisen  sind  die  verschiedenen  Orte  gesperrt  gedruckt 
Auf  diese  Weise  wird  z.  B.  die  zweite  Reise  15,  36 — 18,  22  in 
trefflicher  Weise  fürs  Auge  zusammengefaßt  und  zugleich  aus- 
reichend gegliedert.  Doch  hätte  man  den  gesperrten  Druck  nach 
meiner  Meinung  noch  viel  häufiger  zur  Unterscheidung  der  ein- 
zelnen  Abschnitte  verwenden  sollen,  so  2.  Mose  21,  5.  Mose  19 — 25. 
Auch  die  Namen  der  jüdischen  Könige  hätten  wie  bei  Völker  bei 
ihrer  ersten  Erwähnung  auf  diese  Weise  hervorgehoben  werden 
sollen.  An  andern  Stellen  hätte  man  kürzere  Abschnitte  mit 
häufigeren  Überschriften  machen  sollen.  So  sind  in  der  Über- 
schrift Matth.  13,  53:  „Jesus  in  Nazareth.  Enthauptung  des  Täufers** 
doch  zwei  Dinge  zusammengefafst,  die  miteinander  nichts  zu  tbun 
haben.  Ebenso  Matth.  9.  Die  allzu  langen  Überschriften  der 
Durchgesehenen  Ausgabe  sind  meist  gekürzt  worden,  z.B.  l.Kön. 
21;  zuweilen  sind  sie  jedoch  auch  in  der  Bremer  Bibel  zu  lang, 
so  Matth.  9.  Die  Überschrift  soll  den  Hauptinhalt  eines  Abschnitts 
übersichtlich  und  deshalb  kurz  hervorheben,  nicht  aber  jede 
Einzelheit  berücksichtigen,  und  Stellen  wie  Matth.  9,  37  ff.  oder 
11,  280*.  brauchen  in  der  Überschrift  nicht  besonders  erwähnt  zu 
werden. 

Sehr  merkwürdig  ist  es,  dafs  wie  in  der  Glarner  Bibel  die 
Überschriften  bei  den  Psalmen  gänzlich  fehlen,  und  doch  sind 
sie  hier,  wo  die  Auffassung  des  Inhalts  für  den  Schüler  so  sehr 


von  A.  Bähuisch.  4g7 

schwierig  ist,  von  besonderer  Wichtigkeit.  Wie  trefflich  erleichtern 
die  Oberschriften  der  Durchgesehenen  Ausgabe  das  Verständnis 
und  das  Behalten  des  Inhalts  z.  B.  b.ei  Psalm  t :  Seligkeit  der 
Frommen  Unseligkeit  der  Gottlosen;  23  Der  gute  Hirte;  46  Ein 
feste  Burg  ist  unser  Gott;  51  Bufsgebet  Davids.  Damit  soll  nicht 
gesagt  sein,  dafs  man  den  Wortlaut  der  Durchgesehenen  Ausgabe 
überall  unverändert  hätte  aufnehmen  müssen.  Sicherlich  läfst 
sich  noch  manches  bessern,  namentlich  kürzen.  So  war  die 
frühere  Oberschrift  von  104:  „Lob  Gottes  aus  dem  Buche  der 
Natur'*  meiner  Ansicht  nach  schöner  als  die  jetzige:  „Preis  Gottes 
aus  den  Werken  der  Schöpfung^'. 

Der  Parallelismus  der  Psalmen  und  anderer  poetischer 
Abschnitte  ist  nicht  angedeutet.  Die  epische  Breite  ist  unan- 
getastet geblieben. 

Kapitel-  und  Verszahlen  stehen  am  Rande,  die  letztern 
vollständig  wie  in  der  Glarner  Bibel.  Doppelte  Zählung  ist  da, 
wo  die  Durchgesehene  Ausgabe  sie  noch  hat,  z.  B.  1.  Kön.  5, 
beseitigt  und  nur  die  erste  der  dort  stehenden  Zahlen  beibehalten. 

BezügUch  des  sprachlichen  Ausdrucks  hatten  die 
„Grundsätze''  erklärt:  „Die  Schulbibel  mufs  den  von  den  deutschen 
Landeskirchen  recipierten  oder  jetzt  neu  zu  recipierenden  Text 
beibehalten'*;  im  Verlauf  der  Arbeit  kam  man  jedoch  von  dieser 
Meinung  einigermafsen  ab,  und  so  ist  in  dem  vorliegenden  Buche 
veraltete  Ausdrucksweise  oft  beseitigt.  So  heifst  es  zwei  statt 
zween  und  zwo,  hob,  stand  (D:  hub,  stund),  I.Mose  4,  20  und 
an  allen  ähnlichen  Stellen:  von  dem  sind  hergekommen  (D: 
herkommen);  1,  16  ein  grofses  Licht  (D:  grofs);  26  kriecht 
(DV:  kreucht);  2,  24  darum  wird  ein  Mann  Vater  und  Mutter 
verlassen  (Df  seinen  Vater  und  Mutter);  3,  22  Adam  ist  geworden 
wie  unser  einer  (D:  worden  als);  Apost.  2,  2  ein  Brausen  wie 
eines  gewaltigen  Windes  (D:  als)  u.  5.;  1.  Mose  18,  7  und  an  vielen 
ähnlichen  Stellen:  Knecht  (DV:  Knabe);  28, 13  und  an  ähnlichen 
Stellen:  das  Land,  darauf  du  liegest  (D:  da  du  auf  liegest); 
2.  Kön.  17,  5  „es"  bezogen  auf  Samaria,  ebenso  21,7  „das'' 
bezogen  auf  Jerusalem,  während  12,  18  „sie"  bezogen  auf  Gath 
geblieben  ist.  Matth.  10,  28:  die  die  Seele  nicht  können  töten, 
während  mögen  1.  Mose  13,  6  und  1.  Kön.  8,  27  geblieben  ist; 
Joh.  10,  26:  Ihr  seid  nicht  von  meinen  Schafen,  wie  ich  euch 
gesagt  habe  (D:  meiner  Schafe  als,  V:  meine  Schafe  wie);  andere 
Stellen  wurden  oben  bei  der  Besprechung  von  Völkers  Buch 
angeführt.  Als  nicht  glücklich  bezeichnet  Weck  die  Änderung  an 
Stellen  wie  Psalm  139,  14  Wunderbar  sind  deine  Werke,  und 
das  erkennt  meine  Seele  wohl  (D:  wunderbarlich,  erkennet). 
In  der  That  hat  der  Rhythmus  hier  durch  die  Beseitigung  der 
volleren  Formen  wohl  gelitten. 

Doch  ist  man  in  Bezug  auf  sprachliche  Änderungen 
sehr  vorsichtig  verfahren  und  hat  den  Wortlaut  der  Durch- 


488  ^^^  {gegenwärtige  Stand  der  Schalbibelfrage, 

gesehenen  Ausgabe  überall  da  unangetastet  gelassen,  wo  es  irgend 
möglich  war.  So  wird  das  Bach  auch  bei  denen  Beifall  finden, 
die  der  Ansicht  sind,  dafs  eine  Schulbibel  sich  von  Luthers 
Sprache  nicht  oder  nur  ganz  wenig  entfernen  dürfe.  Ich  hätte 
eine  Änderung  unter  andern  an  folgenden  Stellen  ge- 
wünscht: 1.  Mose  1,  8  der  andre  Tag,  ebenso  17,  21; 
1,  20  Gefieder  fliege  (G:  Vögel,  V:  Gevögel);  7,9  Mann* 
lein  und  Weiblein  von  Tieren;  13,  8  Gebrüder,  es 
niülste  heifsen  Brüder  nach  13,  11.  14,  14.  29,  12;  14,  15  er 
jagte  ihnen  nach  und  teilte  sich  (G:  teilte  seine  Schar);  17,6 
ich  will  von  dir  Völker  machen;  18,3  gehe  nicht  deinem 
Knechte  vorüber  (G:  an);  19,22  da  Lot  in  Zoar  einkam; 
21,  14  er  liefs  Hagar  aus;  24,  61  der  Knecht  nahm  Rebekka 
an;  Jes.  3,  15  da  ihre  Füfse  ins  Wasser  tunkten  (G:  tauchten); 
4.  Hose  14,  45  sie  zerschmissen  sie;  1.  Kön.  16,  15  das  Volk 
lag  vor  Gibbethon  der  Philister;  17,21  Elias  mafs  sich  über 
dem  Kinde;  18,  23  Parren;  25  euer  ist  viel;  19,  21  er  kochte 
das  Fleisch  mit  dem  Holzwerk  an  den  Rindern;  2.  Kön.  4,27 
sie  hielt  Elisa  bei  seinen  Fü&en,  Gehasi  aber  trat  hinzu,  dafs 
er  sie  abstiefse;  18,24  wie  willst  du  denn  bleiben  vor  der 
geringsten  Hauptleute  einem  von  meines  Herrn  Unter- 
thanen;  19,  25  da  lag  es  alles  eitel  tote  Leichname;  l.Chron. 
28,  2  ich  hatte  mich  geschickt  zu  bauen;  Apost.  17,  15  aufs 
schierste;  unverständlich  ist  für  uns  heute  auch  Zukunft  im 
Sinne  der  Wiederkunft  Christi. 

Beibehalten  ist  auch  die  Weglassung  des  zweiten  Sub- 
jekts bei  Subjektswechsel,  wie  1.  Mose  3,  5:  so  werden  eure 
Augen  aufgethan  und  werdet  sein  wie  Gott;  3,7  da  wurden 
ihrer  beider  Augen  aufgethan  und  wurden  gewahr;  6, 6  es  be- 
kümmerte ihn  in  seinem  Herzen  und  sprach;  dagegen  ist,  aller- 
dings nur  durch  einen  Zusatz  in  Klammern,  geändert  1.  Tim.  2, 4 
Gott  will,  dafs  allen  Menschen  geholfen  werde  und  (dafs  sie) 
zur  Erkenntnis  der  Wahrheit  kommen. 

Oft  ist  der  veraltete  Ausdruck  durch  einen  in 
Klammern  beigesetzten  erklärt,  wie  es  scheint  besonders 
häufig  im  Neuen  Testament:  Ruth  2,  1  ein  weidlicher  (wohl- 
habender) Mann;  Matth.  5,  34  dafs  ihr  allerdinge  (über- 
haupt) nicht  schwören  sollt,  während  Apost.  18,  21  es  durch 
durchaus  ersetzt  ist;  10,35  Schnur  (Schwiegertochter), 
während  Ruth  2,  20  Schnur  ohne  Erläuterung  und  I.Mose  11,31 
Schwiegertochter  im  Text  steht:  Apost.  19,  23  diesen  Weg 
(Lehre);  27,  29  harte  Orte  (Klippen);  27,  39  Anfurt 
(Bucht);  2.  Job.  3,  16  es  ist  (giebt)  eine  Sünde  zum  Tode; 
femer  Matth.  7,  28;  13,  54;  8,  14;  1.  Kor.  2,  4;  Eph.  5,  4. 

Erläuterungen  sind  reichlich  beigefügt,  kürzere  in  Klam- 
mern wie  Matth.  21,  9  Hosianna  (o  hilf  doch),  längere  unter 
dem  Text   wie  Matth.  10,  25  zu   Beelzebub.    Der  Name  Jakob 


voo  A.  Bähniflch.  4g9 

wird  I.Mose  27,  36  erklärt:  „er  beifst  wohl  Jakob  (Unter- 
treter),  denn  er  hat  mich  nun  zweimal  untertreten*',  während 
bei  der  Erzählung  von  der  Geburt  mit  Recht  jede  Erläuterung 
fehlt  (s.  oben).  Eine  Erklärung  vermisse  ich  an  folgenden 
Stellen:  1.  Mose  37,  34  müfste  zu  Sack,  das  nur  im  Verzeichnis 
erläutert  ist,  im  Texte  beigefugt  sein  Trauergewand,  wie  bei 
Völker,  wenn  man  es  nicht  lieber  geradezu  dadurch  ersetzen  will; 
1.  Kön.  5,  1  zu  Strom:  Euphrat;  2.  Kön.  18,  4  eine  Erklärung 
zu  Nehustan. 

Parallelstellen  sind  mit  Recht  nur  in  ganz  kleiner  Zahl 
zugefügt  und  zwar  am  Fufs  der  Seite.  Sehr  nützlich  ist  es,  dafs 
die  in  der  Durchgesehenen  Ausgabe  beigefügten  und  so  wichtigen 
Abschnittsparallelen  aufgenommen  sind,  und  zwar,  wie  in  dieser, 
in  den  Text  am  Anfang  des  betreiTenden  Abschnitts.  Völker  hat 
sie  anten  an  der  Seite,  was  nicht  zweckmäfsig  ist,  denn  man 
findet  so  nur  schwer  das  Zugehörige;  aufserdem  giebt  er  nur  die 
Kapitel-,  nicht  die  Verszahlen  an. 

Am  Schlüsse  ist  beigefugt  ein  Verzeichnis  „einzelner 
Sach-  und  Worterklärungen'*,  das  sich  mit  Recht  ziemlich 
genau  an  das  vortreffliche  (von  Riehm  verfafste)  der  Durch- 
gesehenen Ausgabe  anscbliefst.  Dann  folgt  eine  Zeittafel,  wäh- 
rend im  Text  keine  Jahreszahlen  gegeben  werden.  Sie  beginnt 
mit  Abraham;  der  geschichtlichen  Genauigkeit  ist  Rechnung  ge- 
tragen durch  die  Bemerkung,  dafs  die  Zahlen  bis  zum  Jahre  740 
gröfstenteils  auf  Vermutung  beruhen. 

Die  Karten  sind  weit  zahlreicher  als  die  der  beiden  andern 
Böcher  und  sehr  gut.  Sie  umfassen  sechs  Seiten  und  enthalten: 
1.  Vorderasien,  2.  die  Sinaihalbinsel  mit  Kanaan,  3.  Palästina 
zum  Verständnis  des  Alten  Testaments,  4.  Palästina  zur  Zeit 
Christi,  5.  Jerusalem  und  Umgebung,  und  auf  derselben  Seite 
einen  Plan  der  Stadt  zur  Zeit  Jesu,  6.  die  Reisen  des  Paulus. 

Die  vortreffliche  äufsere  Ausstattung,  die  bei  einem 
Schulbuch  so  wichtig  ist,  wird  noch  besonders  dazu  dienen  dem 
Bache  Freunde  zu  erwerben.  Der  Satz  ist  gespalten,  „weil  nach 
dem  Urteil  der  Augenärzte  und  nach  allgemeiner  Erfahrung  der 
Lehrer  die  Kinder  kurze  Zeilen  leichter  festhalten  können''.  Für 
den  Druck  ist  „Korpus-  (Gr.  Garmond-)  Fraktur  guten  und  klaren 
Schnitts'*  verwendet.  Die  Schrift  ist  in  Bezug  auf  Gröfse  und 
Form  von  den  Augenärzten  Professor  Dr.  Cohn  in  Breslau  und 
Dr.  Mecke  in  Bremen  „geprüft  und  gut  befunden"  worden.  Der 
Druck  ist  in  der  That  ausgezeichnet;  er  ist  schwärzer  und  schärfer 
als  der  der  Glarner  Bibel,  gröGser,  weiter  und  von  einfacherer  und 
deshalb  leichter  lesbarer  Gestalt  als  der  Völkers.  Von  Druckfehlern 
habe  ich  nur  bemerkt  nmher  Richter  2, 14;  2.  Sam.  1,  27  fehlt, 
die  Verszahl;  I.Mose  11,  27  ist  Seth,  das  in  den  Probebogen 
stand,  in  der  Bibel  selbst  bereits  berichtigt. 

Der  Einband  ist  schön  und  dauerhaft,  von  schwarzem  Leder- 


490     J^er  gegenwärt.  Staod  d.  Schalbibelfrage,  v.  A.  Bähnisch. 

tuch  mit  Goldtitel  auf  dem  Röcken,  das  Buch  auberdem  Doch 
durch  einen  hübschen,  starken,  dunkelgrauen  Shirtingumschlag 
geschützt,  der  den  Titel  Schulbibel  auf  der  Vorderseite  und  dem 
Rucken  trägt 

Vorschläge  zur  Verbesserung  des  Buchs  sind  der  Bremer 
Bibelgesellschaft  erwünscht;  es  heifst  darüber  am  Schlüsse  des 
Begleitworts:  „Da  wir,  um  stets  einen  klaren,  guten  Druck  zu 
erzielen,  die  Schulbibel  nicht  stereotypieren  lassen,  sind  wir  in 
der  Lage,  so  lange  es  nötig  scheint,  bei  künftigen  Auflagen  Ver- 
besserungen Yorzunehmen,  und  bitten  deshalb  dringend  etwaige 
Vorschläge  und  Wünsche,  die  nicht  den  Charakter  des  ganzen 
Werkes  ändern  würden,  an  den  Schriftführer  unserer  Arbeits- 
kommission, Herrn  Pastor  Zauleck,  gelangen  zu  lassen".  Auch 
ich  habe  geglaubt  dem  trefflichen  Werk,  dessen  zweite  Auflage 
gewifs  nicht  lange  auf  sich  warten  lassen  wird,  dadurch  am 
meisten  zu  nützen,  daTs  ich  ausführlich  hervorhob,  worin  ich  ab- 
weichender Meinung  war. 

Vergleichen  wir  die  drei  Bücher  noch  einmal  kurz,  so 
fehlen  in  der  Glarner  Bibel  unentbehrliche  Abschnitte,  die  Er- 
zählung ist  oft  kurz  zusammengezogen,  und  der  Ausdruck  weicht 
zu  stark  von  dem  uns  Deutschen  lieb  und  vertraut  gewordenen 
Luthers  ab.  Auch  bei  Völker  fehlt  vieles  Wichtige,  und  die 
Erzählung  ist  oft  unnötig  und  unschön  gekürzt  Die  Bremer 
Bibel  ist  nach  Inhalt  und  Form  der  vollständigste  und  geschickteste 
Bibelauszug;  da  sie  auch  sonst  viele  Vorzüge  besitzt,  so  glaube 
ich,  dafs  sie  wohl  geeignet  ist  für  die  Zukunft  weite,  vielleiclit 
allgemeine  Verbreitung  zu  erlangen. 

Glogau.  Alfred  Bähnisch. 


ZWEITE  ABTEILUNG. 


LTTTERAEISCHE  BERICHTE. 


Ernst  Scholz«,  Das  römische  Porom  als  Mittelpaokt  des  öffent- 
lichen Lebeos.  Mit  4  Abbildoogen.  (Gymnasial-Bibliothek  Heft  17.) 
Gütersloh  1893,  Bertelsmann.    72  S.  8.     1,00  M. 

Die  Forderung,  dafs  die  Ergebnisse  der  archäologischen  For- 
schung auch  für  den  Unterricht  mehr  als  früher  verwertet  werden 
sollten,  ist  in  Versammlungen  durch  öflenüiche  Besprechung,  in 
Zeitschriften  und  Abhandlungen  immer  häufiger  betont  worden. 
Gewifb  mit  Recht.  —  Denn  volles  Verständnis  der  Schriftsteller  ist 
nur  demjenigen  möglich,  welchem  auch  die  Bedingungen  des 
Lebens»  unter  denen  jene  standen,  hinlänglich  bekannt  sind;  und 
eines  der  mächtigsten  Antriebe  zur  Liebe  des  Altertums  begiebt 
sich  der  Lehrer,  welcher  die  antike  Kunst  ignoriert. 

Demnach  muTs  der  Unterrichtende  selbst  Kenntnis  und  An- 
schauung der  Antike  besitzen;  ferner  mufs  aber  auch  die  Möglich- 
keit vorhanden  sein,  dafs  eine  Übertragung  dieser  Kenntnis  und 
einer  entsprechenden  Liebe  zur  Antike  auf  die  Jugend  wirklich 
stattfinden  kann.  Diese  Möglichkeit  ist  aber  leider  nicht 
ausreichend  vorhanden. 

Zwar  fehlt  es  nicht  an  Publikationen  und  Anschauungsmitteln 
(von  allzu  hohen  Anforderungen  wollen  wir  absehen),  auch  fehlt 
es  nur  selten  an  Geldmitteln,  um  für  jede  Schule  das  Notwendigste 
anzuschaffen,  aber  es  fehlt  an  dem  noch  notwendigeren  Faktor, 
ohne  welchen  auf  der  Welt  nichts  vollbracht  wird,  an  Zeit  Wer 
mit  gutem  Gewissen  von  sich  behaupten  kann,  daüs  er  im  Unter- 
richte die  erforderliche  Zeit  finde,  seine  auch  in  den  obersten 
Klassen  mit  elementaren  Schwierigl^eiten  ringenden  Schüler  neben- 
bei in  Archäologie  und  Kunst  einzuführen,  ohne  Schädigung  drin- 
genderer Erfordernisse,  der  wäre  allen  Lobes  wert.  Ref.  kommt  nur 
noch  zu  gelegentlichen  Bemerkungen  und  zur  Anregung  privater 
Beschäftigung. 

Unter  diejenigen  Mittel  nun,  welche  hier  helfend  eintreten 
können,  rechnen  wir  die  von  Pohlmey  und  Hoffmann  unter  dem 
Titel  „Gymnasial-Bibliothek''  herausgegebene  Sammlung.  Denn  sie 
soll  den  Schülern  zn  privater  Lektüre  in  die  Hände  gegeben 
werden  und  soll,  was  in  der  Schule  nicht  möglich  ist,  auf  privatem 
Wege  erreichen.    Der  Verfasser  des  vorliegenden  17.  Heftes,  ein 


492     E.  Schalze,  Das  römische  Forum,  agz.  v.  F.  Friedersdorff. 

im  In-  und  Auslande  bewährter  Schulmann,  bekannt  auch  durch 
mehrere  Schriften  archäologischen  Inhalts,  hat  sich  bemüht, 
von  dem  forum  Romanum,  so  wie  es  jetzt  ist  und  ^ie  es  einst 
war,  und  von  dem,  was  es  für  die  Römer  bedeutete,  der  Jugend 
ein  lebendiges  und  klares  Bild  zu  geben.  Er  verschafft  uns  zu- 
nächst (S.  1 — 4)  einen  Überblick  über  die  Lage  des  Platzes,  seine 
allmähliche  Umgestaltung,  durch  Trockenlegung,  Pflasterung,  Tempel- 
bauten; dann  seiner  Veränderung  durch  Verheerungen  und  Einflüsse 
der  Zeit;  von  S.  7 — 12  tritt  darauf  der  Verf.  eine  Wanderung 
durch  die  Ruinen  des  Forums  an  und  sucht  sie  so  zu  ergänzen, 
dafs  wir  uns  das  Forum  zur  Zeit  des  Augustus  vorzustellen  ver- 
mögen. Die  klare  und  leicht  fafsliche  Darstellung  befähigt  auch  den 
Ungeübten,  dieser  Wanderung  zu  folgen,  und  da  es  auch  an  kleinen 
Karten  nicht  fehlt,  ist  zu  hofi'en,  dafs  sich  eine  gute  Grundlage 
für  das  Verständnis  der  weiteren  Ausführungen  bilden  wird. 

Denn  hierauf  beginnt  der  Verf.  das  Forum  als  Mittelpunkt 
des  römischen  Lebens  zu  betrachten  und  zwar  S.  12 — 25  des 
religiösen,  S.  25->58  des  politischen,  S.  58 — 70  des  geschäftlichen 
Lebens.  Diese  Schilderungen  sind  für  Schüler  und  Laien  von 
Interesse  und  Wichtigkeit.  Denn  wir  werden  mitten  hineinversetzt 
in  die  wichtigsten  Vorgänge  des  römischen  Lebens,  wir  sehen  das 
Volk  bei  der  Feier  seiner  Feste,  die  Priester  bei  ihren  Opfern,  die 
Sieger  im  Triumphe,  die  grofsen  Männer  im  Leichenzuge.  Eine 
Fülle  der  bedeutendsten  Erzählungen  aus  der  grofsen  Vergangen- 
heit Rx)ms  dient  als  Beispiel  und  Erläuterung.  Der  Wert  des 
Heftes  liegt  nach  unserer  Meinung  darin,  dafs  es  die  Begeben- 
heilen der  römischen  Geschichte  und  die  Erscheinungen  des 
römischen  Lebens  mit  den  erhaltenen  Denkmälern  selbst  in  Ver- 
bindung setzt,  und  dafs  dies  in  einem  verständlichen  und  lebhaften 
Vortrag  geschieht,  der  auch  der  Hinweisungen  auf  die  Stellen  der 
Klassiker  nicht  entbehrt,  an  denen  genauere  Kunde  zu  suchen 
ist.  So  verbindet  sich  sinnliche  Vorstellung  mit  geistigem  Erfassen 
und  hinterläfst  in  der  Seele  einen  bleibenden  Eindruck. 

Alle  Kollegen,  welche  in  diesen  letzten  Jahren  über  die  rasch 
zunehmende  Unkenntnis  der  Schüler  in  alter  Geschichte  und  in 
allem,  was  sich  auf  das  Altertum  bezieht,  geklagt  haben,  seien 
hingewiesen  auf  die  Mittel,  welche  Hefte  wie  das  vorliegende 
bieten,  um  Kenntnisse  und  Interesse  bei  der  Jugend  zu  verbessern. 

Zum  Schlüsse  sei  nur  bemerkt,  dafs  die  Ausstattung  der 
Karten  doch  eine  bessere  sein  müfste.  Die  Skizze  des  Forums 
ist  so  klein  und  insbesondere  die  beigedruckte  Schrift  ist  so 
winzig,  dafs  sie  als  unleserlich  und  gesundheitschädlich  bezeichnet 
werden  mufs.  Speziell  der  Schüler,  welcher  die  also  bezeichneten 
Monumente  nicht  kennt,  wird  sie  nicht  ßnden,  da  er  die  Schrift  nicht 
lesen  kann.  Auch  die  Abbildung  des  Janusbogens  erscheint  nicht 
glücklich,  wenigstens  ist  von  einem  Bogen  dabei  nichts  zuerkennen. 

Halle  a.  S.  F.  Friedersdorff. 


H.  Ziemer,  Lat.  Sehnlgrammatik,  agz.  v.  M.  Engelhardt.     493 

H.  Ziemer,    LateiDische   Sehnl^rammatik.    2  BSnde.    Berlin    1893, 
R.  Gärtner.     158  n.  238  S.  8.  geh.  3  M. 

Herr  H.  Ziemer,  bekannt  als  gelehrter  Sprachforscher  und 
erfahrener  Schulmann,  der  lange  dafür  gewirkt  hat,  dafs  die 
sicheren  Ergebnisse  der  vergleichenden  Sprachwissenschaft  in  der 
Schule  verwertet  werden  möchten,  ist  jetzt  selbst  daran  gegangen, 
die  Resultate  der  Wissenschaft  nach  den  Erfahrungen  seiner  mehr 
als  zwanzigjährigen  praktischen  Thätigkeit  für  die  Schule  ver- 
wendbar zu  machen  und  gleichzeitig  den  Anforderungen  der 
neuen  Lehrpläne  gerecht  zu  werden. 

Trotz  der  Schwierigkeit  der  Arbeit  konnte  man  Bedeutendes 
erwarten,  und  es  ist  geleistet. 

Man  sehe  sich  nur  in  der  Lautlehre  den  §  6  vom  „Laut- 
wandel*', in  der  Formenlehre  die  Deklination,  in  der  Kasuslehre 
den  Akkusativ,  in  der  Lehre  vom  „Verbum  im  Satze**  den  In- 
finitiv (§  239—252),  unter  den  Partizipialkonstruktionen  den  Ab- 
lativus  absolutus,  in  der  Hoduslehre  die  „Modusausgleichung** 
($  295)  und  das  Kapitel  über  die  Oratio  obliqua  (§  324)  an,  und 
man  wird  eine  Vorstellung  von  der  enormen  Arbeit  bekommen, 
der  sich  der  Verf.  unterzogen  hat 

Die  Erklärung  auf  dem  Titelblatt:  „Elfte,  gänzlich  umgear- 
beitete Auflage  der  Schulgrammatik  von  Prof.  W.  Gillhausen** 
(früher  Moiszisstzig)  ist  völlig  gerechtfertigt,  und  was  Z.  im  Vor- 
wcNTt  daröber  sagt,  wie  er  sich  den  neuen  Lehrplänen  gegenüber- 
gestellt hat,  so  hat  Ref.  (abgesehen  von  Punkt  3,  den  er  nicht 
hat  prfifen  können,)  in  mehrmonatlichem  Studium  alle  dahin- 
gehenden Angaben  bestätigt  gefunden. 

Zwei  Umstände,  durch  die  diese  neue  Schulgrammatik  sich 
über  die  mir  bekannten  bisherigen  vorteilhaft  erhebt,  möchte  ich 
Torweg  kennzeichnen:  1.  „die  Beispiele  gehen  ...  den  Regeln 
voraus,  um  die  induktive  Ableitung  der  Regeln  zu  erläutern**; 
2.  ^eine  der  ersten  und  wichtigsten  Aufgaben  der  Grammatik, 
den  Lernenden  in  die  Gesetzmäfsigkeit  der  Sprache  einzufuhren, 
ihm  eine  Ahnung  davon  zu  vermitteln,  dafs  die  Grammatik  eine 
bewunderungswürdige  Wissenschaft  ist*',  wird  hier  zum  Durch- 
brach gebracht. 

Das  alte  Wort  Friedrich  August  Wolfs:  „Es  ist  eine  lumpigte 
Pädagogik,  die  mit  der  grammatischen  Regel  anfängt'*,  scheint 
noch  immer  nicht  allgemein  bekannt  und  noch  weniger  allgemein 
alB  richtig  anerkannt  zu  sein.  Wer,  was  Wolf  verlangt,  einmal 
eine  kurze  Zeit  mit  Schülern  erprobt  hat,  wird  es  nie  wieder 
anders  machen. 

Wer  es  nicht  selbst  ausprobiert  hat,  glaubt  nicht,  wie  viel 
leichter  die  Schüler  die  Regeln  verstehen  und  behalten,  wenn 
man  die  induktive  Methode  anwendet.  Wie  sehr  das  Voraus- 
setzen der  Reispiele  auch  die  Form  der  Regeln  vereinfacht,  kann 
man    erkennen,    wenn   man   die  Regeln   über   den  Gebrauch  des 


494  H.Ziemer,  Lateioisefae  Sehalf ramnatik, 

Deutschen  „man*'  bei  Gillh.  §  366  mit  Z.  §  160  vergleicht,  eben- 
so in  dem  Abschnitt  über  die  Obereinstimmung  des  Prädikats  bei 
mehreren  Subjektswörtern  (Ziemers  §  164,  eine  knappe  Seite, 
enthält  alles  Wesentliche;  Gillh.  hat  dafür  §  351 — 355  zwei  starke 
Seiten).  Ich  habe  sämtliche  Beispiele  dieser  Paragraphen  aus 
Gillh.  verglichen  und  finde,  dafs  sie  durchweg  unter  die  viel  ein- 
facheren Regeln  Ziemers  passen,  nur  eins  nicht:  naves  et  captivi 
ad  Chium  sunt  capta.  Derartig  vereinzelte  Abweichungen  wird 
indes  der  Lehrer  bei  der  Lektüre  selbst  zu  erklären  befugt  sein. 
Zum  Lernen  für  die  Schiller  ist  das  doch  nicht,  und  darum  sind 
Regeln  darüber  in  den  Schulgrammatiken  nicht  mehr  nötig.  Leider 
sind  die  Beispiele  nicht  überall  vorangesetzt;  so  vermisse  ich  das 
in  der  Kasuslehre  in  den  §§  175,  179,  180,  181,  197;  im  §  194 
würden  die  Beispiele  am  besten  auf  die  Redensarten  (cura  cor- 
poris .  .  amor  det)  folgen,  ähnlich  199,  201 — 204  durchweg.  — 
Vielleicht  entschliefst  sich  Z.,  diese  Neuerung  überall  durchzu- 
führen; er  sagt  im  Vorwort,  er  habe  es  gethan,  „wo  es  irgend 
thunlich  schien*';  ich  wufste  keinen  Grund  anzugeben,  warum  es 
in  den  $§  298—323  nicht  thunlich  sein  sollte.  Gerade  die  Lehre 
vom  Gebrauch  der  Konjunktionen  scheint  mir  besonders  dazu  ge- 
eignet. Ich  habe  in  Ober- Tertia  die  Konjunktionslehre  stets  so  ein- 
geübt, dafs  ich  die  Beispiele  zuerst  lesen  und  die  Schüler  selbst 
durch  Abfragen  die  Regeln  finden  liefs,  und  es  hat  mich  nie  gereut. 

Über  den  zweiten  Punkt,  „den  Lernenden  in  die  Gesetz- 
mäfsigkeit  der  Sprache  einzuführen**,  kann  ich  mich  hier  wegen 
Mangels  an  Raum  nicht  weiter  auslassen. 

Ich  begrüfse  es  mit  wahrer  Freude,  dafs  endlich  durch  die 
lateinische  Schulgrammatik  die  vielgerühmte  Schulung  des  Geistes 
zur  Wirklichkeit  werden  soll.  Das  ist  der  hauptsächlichste  Fort- 
schritt, den  Ziemers  Arbeit  nach  meiner  Ansicht  macht,  und  wer 
die  oben  erwähnten  Abschnitte  daraufhin  mit  prüfendem  Geiste 
durcharbeitet,  der  wird  zu  der  Überzeugung  kommen  müssen, 
dalk  Z.  Recht  hat,  wenn  er  gegen  Ende  des  zweiten  Bandes  S.  210 
seinen  Rückblick  mit  den  Worten  schliefst:  „Kaum  eine  andere 
Sprache  besitzt  so  logische  Schärfe  des  Ausdrucks  und  der  Fügung, 
so  strenge  Folgerichtigkeit  des  Denkens  als  die  lateinische.  Auch 
hier  offenbart  sich  der  klare  und  scharfe  Verstand  des  Römers, 
bei  dem  Verstand  und  Wille  ungleich  stärker  entwickelt  war  als 
Einbildungskraft  und  Gemüt.  Darum  ist  das  Studium  der  latei- 
nischen Sprache  eine  vorzügliche  Schule  der  Logik.  Wer  einen 
klaren  Einblick  in  die  lateinischen  Sprachgesetze  gewonnen,  wird 
zu  jeder  schwierigen  Denkarbeit  fähig  sein**.  Ich  könnte  Z.  fast 
zürnen,  dafs  er  nicht  auch  in  der  Konjugation  einen  stärkeren 
Gebrauch  von  den  Ergebnissen  der  Sprachvergleichung  gemacht 
hat.     Doch  darüber  später! 

a)  Deklination.  Im  §  19  würde  ich  gern  erwähnt  ge- 
funden haben  Formen  wie  sjuosy  equöm^   servös,   serudm.     Nach 


I 


tngez.  voD  M   fiogelhardt  495 

Bersu  haben  die  Römer  niemals  9ervu8,  equus  gesprochen,  sondern 
nur  aervo$^  equo$  oder  ecüs.  In  der  schönen  Übersicht  Ober  die 
Bildung  der  Deklinationen  ($  52  f.)  wird  das  freilich  erwähnt,  aber 
da  die  zweite  Deklination  ausdrücklich  als  o-Deklination  bezeichnet 
wird,  durften  die  ursprünglichen  Formen  auf  -os  und  -om  kaum 
fehlen ,  zumal  sie  häufig  bei  Vergil  Yorkomroen.  Zu  §  29.  Bei 
Gillh.^^  sind  eivis,  an,  mons  noch  zu  den  Konsonantenstämmen 
gerechnet,  bei  Z.  richtig  zur  zweiten  Gruppe.  §  38 f.  Die  Re- 
geln  über  Adjektiva  und  Partizipia  sind  sehr  vereinfacht;  doch 
vermisse  ich  celemm.  §31  ff.  Ober  die  Genusregeln  wage  ich 
kein  Urteil;  was  besser  ist,  mufs  durch  die  Praxis  erprobt 
werden.  Doch  wird  es  Sextanern  trotz  §  6B.5  sehr  schwer  wer- 
den, im  $  33  corpus,  genus,  tinis,  pulvis  mit  der  Regel,  „welche 
im  Nom.  ihren  Kennlaut  behalten*',  in  Einklang  zu  bringen;  nix 
($  32),  hiems  (§  33),  sanguis  (§  36)  scheinen  nicht  recht  in  die 
Regeln  hineinzupassen.  Doch  sind  sie  schwer  unterzubringen ;  am 
ehesten  gehören  sie  in  §  35.  —  Die  griechischen  Lehnwörter  sind 
den  neuen  Lehrplänen  gemäfs  in  $  45 — 47  zusammengefafst.  — 
Im  §  52,  1  dürfte  hinter  mos  hinzuzufügen  sein :  „ausgenommen 
hiems  und  sanguis^^  und  zwei  Zeilen  später  nach  heüum  die  schöne 
Erklärung,  die  Perthes  dafür  giebt,  warum  das  n.  sg.  im  Nom. 
die  Endung  -m  hat.  Sie  erscheint  naturlicher  als  Ziemers  Angabe 
im  §  250.  Auffallend  ist  in  demselben  §  52  ZI.  4  y.  u.  die  Tren- 
nung mag-nSn.  —  §  61 II.  Wo  firmiter,  humaniter,  audacler  Platz 
&nden,  durfte  m.  E.  auch  diffieuUer  nicht  fehlen.  —  §  68.  Die 
determinativa  sind  von  den  demonstrativa  gesondert;  die  deutschen 
Übersetzungen  zu  sui,  at&t,  se  sind  vollständig,  was  man  beim 
Unterricht  oft  vermifst,  ebenso  §  72  bei  is,  ea,  id;  auch  ist  eo, 
ea,  eo  von  ab  eo  etc.  geschieden ;  nach  meinen  Erfahrungen  mufs 
ich  für  q»s0  (§  74)  durchweg  die  deutsche  Übersetzung  wünschen. 
—  Neu  hinzugekommen  sind  die  §§  79 — 81  über  Pronominal- 
adjektiva,  Pronomina  correlativa  und  korrelative  Pronominal- 
adverbia. 

b)  Konjugation.  Wie  der  Verf.  in  der  Syntax  seine  eignen 
Wege  geht,  so  hätten  auch  in  der  Konjugation  die  Z.  wohlbe- 
kannten Errungenschaften  in  etwas  gröfserem  Hafse  verwendet 
werden  können.  Bei  neuen  Auflagen  wird  sich  das  schwer 
machen  lassen.  Gehen  mufs  es  aber  doch;  freilich  sind  ja  für 
den  Lehrer  neue  Auflagen,  die  bedeutende  Änderungen  enthalten, 
sehr  unbequem;  aber  es  kann  doch  nicht  jeder  Fortschritt  auf- 
hören, wozu  wir  auf  den  besten  Weg  zu  geraten  scheinen.  Ich 
vermisse  hauptsächlich  die  Nennung  und  Erläuterung  der  Präsens- 
verslarknngen  im  §86,  zum  wenigsten  im  Hinweise  auf  §95 
[capto)  ^  nebst  den  daraus  entstehenden  Folgerungen  für  §  108, 
10 — 14:  Ziemers  §  108  unterscheidet  sich  von  Gillhausens  §  213  f. 
dadurch,  dafs  edo  und  hgo  in  die  Nähe  von  emo  gerückt  sind* 
Da  doch  schon  die  alphabetische  Ordnung  aufgegeben  ist,  würde 


496  H-  Zienier,  Lateioische  ScholgraniiDatik, 

auch  capto  neben  facio  und  iacio  zu  rücken  sein,  dann  erst  foüo 
und  fugio  folgen  dürfen  und  die  auf  fodio  folgende  Oberschrift 
„mit  Ausstofsung  der  PrSsensverstärkung'*  eine  Seite  früher  hinter 
neglego  und  vor  capto  gesetzt  werden  müssen.  Denn  die  Be- 
merkung §86A.  2,  wo  capto  als  1-Stamm  bezeichnet  wird,  ist 
ein  einfaches  Versehen ,  welches  im  §  95  leider  nicht  aufgeklärt 
wird.  Demnach  wären  im  §  86  A.  2  ZI.  1  die  Worte  „t-Stämme 
(capto)  und''  und  Z.  7  „t  und''  zu  streichen.  £s  giebt  ja  in  der 
dritten  Konjugation  auch  I-Stämme,  z.  ß.  R^-^,  st-ti-o,  wie  Z. 
selbst  §  93,  3  lind  110  angiebt;  aber  diese  sind  in  keiner  Weise 
für  die  Einteilung  mafsgebend.  Wollte  man  die  bezeichneten 
Worte  in  Anm.  2  nicht  streichen,  so  müfsle  das  Richtige,  das 
darin  liegt,  erst  wieder  durch  Beispiele  erläutert  werden,  die  zu- 
nächst auf  den  Schüler  verwirrend  wirken  würden.  Auch  die 
Worte  derselben  Anmerkung  Z.  11  würde  ich  streichen,  da  eine 
genaue  Anlehnung  an  die  Deklinationen,  deren  Z.  nach  dieser 
Teilung  6  aufstellen  müfste,  doch  nicht  stattfindet.  Denn  von 
einer  0-Konjugalion,  die  der  zweiten  Deklination  entspräche,  hat 
die  lateinisclie  Sprache  nur  noch  Reste,  die  in  eine  Schulgram- 
matik nicht  gehören.  Von  der  Präsensverstärkung  n  ist  dann  noch 
einmal  die  Rede  §  109  S.  108  unten  bei  flec-t-o  und  nec-t-o  und 
den  darauf  folgenden  K-Stämmen.  Zur  Erläuterung  wären  hier 
zu  Nr.  1 — 7  (cingo,  ungo)  verwandte  Worte  wie  iugum,  plaga,  nix 
hinzuzufügen  gewesen;  jedoch  wäre  es  noch  besser,  da  bei  dngo 
— ungo  die  Präsensverstärkung  schon  fest  zum  Verbalstamm  ge- 
hört, nur  fingo,  pingo,  stringo  als  durch  n  verstärkt  zu  bezeichnen. 
—  Im  $  85,  dessen  Bezeichnung  übrigens  am  Rande  fehlt,  Anm. 
ist  die  veraltete  Anschauung  über  das  r  des  Passivs,  die  wir  noch 
bei  Gillh.  §  169  finden,  getilgt.  —  Gillhausens  Kap.  47  {esse  nebst 
Komposita)  hat  Z.  in  §  118  unter  die  unregeimäliigen  Verba  ver- 
wiesen. —  §  86—89  sind  neu  dazu  gekommen;  besonders  die 
Ableitungstabellen  im  §  89  werden  vielen  Kollegen  erwünscht  sein. 
Wenn  §  86  Anm.  3  Formen  wie  audiont,  legont  erwähnt  werden, 
so  konnte  auch  angegeben  werden,  dafs  im  klassischen  Latein  ge- 
wisse Formen  niemals  ihr  o  ohne  anderweitige  Änderung  in  ü 
geschwächt  haben,  z.  B.  dülinguontf  exsUnguontur,  seqwmlur 
(Bersu). 

In  den  §§  90 — 92  (Konjugationstabellen)  würde  ich  den 
Raum  nicht  so  sehr  gespart  haben.  Neun-  bis  zehnjährige  Knaben 
sollen  sich  das  für  ihre  ganze  Schulzeit  aneignen ;  bei  den  meisten 
Menschen  schliefst  sich  sicheres  Behalten  an  den  Ortssinn  an, 
und  äufsere  Obersichtlichkeit  wirkt  da  sehr  vorteilhaft.  Das  er- 
leichtert auch  Tertianern  noch  eine  Schwierigkeit,  über  die  manche 
nicht  hinwegkommen.  Warum  könnte  nicht  auf  S.  70 — 71  die 
Überschrift  „I.  Activum"  über  beide  Seiten  verteilt  stehen,  natur- 
lich recht  fett  gedruckt,  darunter  ebenfalls  fett  gedruckt:  „1.  Prä- 
sensstamm",   eine  Zeile    tiefer   die  Worte:   links   „Indicalivas*', 


aogez.  von  M.  Eogclhardt.  497 

rechU  ,,ConiuDCtivus**  in  gleicher  Höhe?  Dann  inufsle  naturlich 
der  ganze  Imperativ  auf  S.  72;  rechts  von  ihm  auf  S.  73  hätte 
ich  die  übrigen  vom  Präsensstamm  abgeleiteten  aktiven  Formen 
gesetzt.  Dann  folgte  eine  Überschrift  über  beide  Seiten,  wieder 
fett  gedruckt:  „2.  Perfektstamm",  ebenfalls  mit  Parallelismus  des 
Indikativ  und  Konjunktiv,  nebst  Infinitiv.  —  Und  für  das  Folgende 
würde  ich  eine  Neuerung  einführen,  nämlich: 

3.  JHIschung  aus  Perfekt-  und  PrAsensstamm. 

Tempajs  hlstoiicam. 

Indicativus.  CoDioDctivas, 

Idgudaoi,    delevi^    legi,    audivi  (cum,  ut)  laudarem^  dehrem,  legerem,  audirem, 
ich  lobte,  zerstörte,  las,  horte. 

Der  Sextaner  mufs  jetzt  schon  übersetzen:  „dt'xi*^  er  sagte, 
ielela  est  wurde  zerstört" ;  „als  er  sagte,  dafs  sie  zerstört  wurde" 
heilst  ihm  von  da  an  stets  cum  dixeritf  ut  deleta  $iL  Das  zieht 
sich  bis  in  die  Ober-Tertia  hinein.  Bei  der  Besprechung  der 
CoDsecutio  temporum  komme  ich  noch  einmal  auf  diesen  Vor- 
schlag zurück. 

Zum  Part.  Futur,  würde  ich  dann  eine  Übersicht  über  die 
Coniugalio  periphrastica  activi  hinzufügen.  In  vielen  Grammatiken 
finden  wir  noch  den  Conj.  Futuri  I  {laudaiurus  sim  etc.),  auch  bei 
Gillh.  S.  65,  der  nur  Verwirrung  anrichtet,  besonders  wenn  es 
nachher  in  der  Lehre  von  der  Conseculio  temporum  wie  bei 
Schultz  heifst:  „Ist  das  Verbum  des  Hauptsatzes  ein  Präsens 
oder  eins  der  beiden  Futura,  so  mufs  das  Verbum  des  abhängigen 
Satzes  im  Präsens,  Perfekt  oder  Futur  (Konjunktiv)  stehen"  und: 
,.llan  gebraucht  nämlich  das  Präs.  oder  Impf.  Konjunkt  anstatt 
des  Futurs",  als  wenn  sequereris  an  Stelle  von  secuturus  sis  treten 
konnte.  —  Ref.  hat  sich  im  Unterricht  damit  zu  helfen  gesucht, 
daüs  er  einen  präsentischen  und  einen  imperfektischen  Konjunktiv 
futuri  behufs  Anwendung  der  Consecutio  temporum  unterschied. 
—  Z.  hat  recht  gethan,  den  Konj.  Fut.  I  einfach  zu  streichen; 
aber  irgendwo  in  der  Formenlehre  mufsten  doch  laudaturus  sim, 
laudaturtts  essem  und  überhaupt  die  Coniugatio  periphrastica  er- 
wähnt werden.  Der  Gebrauch  ist  übrigens  bei  Z.  $  259  und  271 
kurz  und  bändig  erörtert. 

In  §  96^  1  Z.  6  ist  für  „Bindevokal"  zu  setzen  „Themavokal". 
f  96,  9  dürfte  die  Fassung  zu  ändern  sein :  von  je  sechs  Formen 
werden  fünf  als  Ausnahmen  bezeichnet,  während  umgekehrt  e  im 
Fut.  das  Ursprüngliche  ist  und  legam,  capiam  erst  nachträglich 
für  altes  legem,  capiem  eingesetzt  sind.  §  98,  Ib  giebt  eine  ver- 
altete Ansicht  wieder;  peüo  steht  für  peUn-o,  curro  für  curso, 
müto  für  mito.  —  Zu  $  99,  1.  Da  hier  die  §§  102,  105,  106, 
6 — 22  nicht  aufgezählt  worden,  ist  nicht  recht  zu  erkennen,  was 
Vert  unter  „regelmäfsig  bilden"  versteht;  sind  denn  Perfektbil- 
dungen auf  -t<t  oder  -st  unregelmäfsig?  Er  scheint  es  doch  nicht 

SeitMhr.  t  d   OyiDDMialwcMn  XL V 111.  7.  8.  32 


498  ^'  Ziemer,  Lateioische  Schulgrainmatik, 

anzunehmen,  sonst  wurde  er  §  113  IV  4 — 6  (aperio,  salio)  und 
113111  (farcio  .  .  sentio)  nicht  hier  aufgeführt  haben.  Auch  113 
I  und  iL   scheinen  mir  hierher  zu  gehören.  —    In  §  107,  3  war 

percello  {^celd-y  clades)  von  antecello  =  antecel-n-o  zu  trennen. 
—  §  113  dürfte  die  Bemerkung  zu  aperio,  operio  zu  tilgen  sein, 

da  beide  von  ^ar  abgeleitet  und  mit  arma,  artus,  ägagtaxta, 
äqd-qov  zusammengestellt  werden.  Im  §  115,  8  könnte  zu  „mederi, 
ergänzt  durch  sänäre'^  der  Schüler  wegen  hinzuzufügen  sein: 
„doch  ist  sänäre  transitiv*';  ähnlich  §  116,  20  zu  ^yreminiscif  ohne 
Ferf.,  wofür  recordatus  sutn  gesagt  wird'*:  „aber  mit  anderer 
Konstruktion*'.  $121,5  wäre  wohl  hinter  tetuU  hinzuzufügen: 
„(von  tollo  i.  e.  tol-n-o)*';  ebendaselbst  ist  unter  dem  Kompositum 
ojfero  der  fette  Druck  von  obtuli  zu  loben,  denn  die  Schüler  haben 
Neigung,  da  ein  s  einzuschieben,  wie  es  bei  abstuliy  dütuU,  extuli  zu 
geschehen  scheint.  Im  Supinum  oblätum  war  das  nicht  zu  befürchten, 
c)  Zur  Syntax  I  und  II  §  158—237.  Ein  ForUchritt 
gegenüber  Gillh.^°  zeigt  sich  in  der  besseren  Einteilung  der  ein- 
zelnen Kasus.  Z.  untei*scheidet  z.  B.:  1.  Akk.  des  äu&eren  Ob- 
jekts, 2.  Akk.  des  inneren  Objekts,  3.  zwiefachen  Akk.,  wobei  ich 
allerdings  glaube,  dafs  §§  180  f.  besser  zu  Nr.  2  gestellt  wären, 
und  dafs  die  Überschrift  zu  Nr.  3  lauten  müfste:  „Zweiter  Akk. 
als  prädikative  Bestimmung  zum  Objekt'*;  ferner  beim  Genetiv: 
1.  bei  Substantiven,  2.  bei  Adjektiven,  3.  bei  Verben.  Dieselbe 
Einteilung  des  Genetivs  haben  auch  Lattmann-Müller,  Lat.  Gramm. 
Ausgabe  B,  7.  Aufl.  (Göttingen  1892).  Die  Abweichungen  sind 
gering.  Auch  die  Einteilung  des  Ablativs  ist  bei  Z.  dieselbe  wie  bei 
Lattmann,  aber  die  Anordnung  bei  Z.,  die  freilich  schon  Gillh. 
hatte,  ist  den  Ergebnissen,  so  wie  sie  wenigstens  Delbrück,  Grundr. 
d.  vergL  Syntax  (Strafsburg  1893)  darstellt,  entsprechender.  — 
Das  Kapitel  vom  Nominativ  (Gillh.  §362-366)  ist  fortgefallen 
und  die  Kegeln  daraus  in  §  162 f.  in  dem  Abschnitte  von  der 
Übereinstimmung  des  Prädikats  mit  einem  Subjektsworte  unter- 
gebracht. Hier  wird  an  verschiedenen  Stellen  darauf  aufmerksam 
gemacht,  wie  der  Sprachgeisl  das  innerlich  Zusammengehörige 
auch  äufserlich  durch  Ausgleichung  kenntlich  macht,  z.B.  §163,  4 
gern  universa  appellati  sunt;  163, 5  magna  muUüudo  .  .  convenerc^U; 
uterque  eorum  .  .  educutU;  duo  milia  hostivm  capti  mtit.  —  Durch 
die  Unterscheidung  eines  äufsereu  und  eines  inneren  Objekts  hat 
Z.  den  Vorteil,  dafs  er  die  Begeln  vom  doppelten  Akk.,  falls  beide 
Akk.  Objekte  sind,  passender  aneinander  knüpfen  kann;  so  steht 
im  $  178  beispielsweise  zusammen:  mullum  vdleo^  illud  laetor, 
eadem  studeo,  illud  glorior;  hoc  te  admömo,  cetera  tibi  assentiaVy 
Druides  volunt  hoc  persuadere,  so  wie  illud  te  oro.  Daran  würde 
sich  freilich  §  180  (docere,  celare,  flagitare)  nebst  seiner  Ausnahme 
(§  181:  petere,  postulare,  quaerere)  besser  anschliefsen  als  §  179 
{creare,  eligere),  da  §  180  f.  noch  zu  Nr.  2  gehört,  während  §  179 
die  dritte  Abteilung  für  sich  bilden  dürfte« 


flDgez.  voo  M.  Eugelhardt.  499 

Durch  die  ganze  Neu-EiDteiiuDg  sind  die  Regeln  sehr  ver- 
einfacht, was  für  den  Unterricht  in  Quarta  nicht  zu  unterschätzen 
isu  —  Zu  §  186.  Die  alte  unglückliche  Regel,  Gillh.  §  400,  die 
aas  dem  alten  Zumpt  fast  in  alle  Grammatiken  übergegangen  war 
(od,  anie,  con-,  in,  inier  etc.)  und  in  den  Köpfen  der  Jungen 
nach  meiner  Erfahrung  nur  Verwirrung  anrichtete,  hat  Z.  zwar 
auch  angenommen,  aher  doch  wenigstens  besser  iformuliert,  so 
dafs  man  annehmen  kann,  es  komme  ihm  hier  nur  auf  die  An- 
eignung der  dabeistehenden  Redensarten  an;  unter  diesen  steht 
noch,  während  incurrert  als  nicht  hingehörig  fortgelassen  ist,  in- 
cumbert'y  da  wäre  hinzuzufügen,  dafs  der  Dativ  nur  bei  Dichtern 
und  späteren  Prosaikern  gesetzt  wird.  Die  mit  oh  zusammen- 
gesetzten sind  sämtlich  fortgeblieben.  Mit  Recht.  Die  vielen  Aus- 
nahmen, die  GilJh.  $  402  hat,  sind  bei  Z.  besser  in  §  173  vom 
äulseren  Objekt  übergegangen.  Gillh.  §  403  (adtpergo,  inspergo  etc.) 
ist  als  überflüssig  weggelassen;  die  beiden  Konstruktionen  von 
tnierdudere  und  inlerdicere  sind  zum  Abi.  separativus  (§  206)  ge- 
zogen. Solche,  die  Schüler  so  verwirrende  oder  selbstverständliche 
Regeln  fallen  mit  Recht  fort.  —  Der  lokale  Abi.  ist  mit  den  Re- 
geln von  den  Städtenamen,  den  Raum-  und  Zeitbestimmungen 
passend  zu  einem  besonderen  Anhang  zur  Kasuslehre  vereinigt. 
Zu  §  226  könnten  vor  Anm.  1  Adverbia  ubi,  tftt,  hie,  illic  hinzu- 
treten. §  228  ist  das  von  den  Grammatikern  nicht  erklärte  „a 
mt/t6u5  pa$9uufn  sex"  mit  ähnlichen  Redensarten  glücklich  zusammen- 
gestellt. Dagegen  vermisse  ich  §  229  Anm.  2  Ausdrücke  wie 
murum  in  aUütidinem  pedum  sedecim,  die  bei  Cäsar  ziemlich 
bäußg  sind. 

Berücksichtigung  der  neuen  Lehrpläne,  durch  die  die  Lektüre 
in  den  Vordergrund  tritt,  finden  wir  in  der  Wahl  der  Beispiele 
und  in  der  vielfachen  Gestaltung  des  deutschen  Ausdrucks.  Frei- 
lich stehen  wir  hier  für  Quarta  und  Unter -Tertia  einer  zur  Zeit 
noch  nicht  gänzlich  zu  lösenden  Schwierigkeit  gegenüber.  Die 
Beispiele  sind  meist  aus  Nepos  und  Cäsar.  Aber  wie  viel  haben 
die  Quartaner  denn  von  Nepos  gelesen,  wenn  sie  die  erste  Hälfte 
der  Kasusregeln  lernen  müssen,  oder  wie  viel  die  Tertianer  vom 
Cäsar,  wenn  die  schwierigeren  Teile  der  Kasus-  und  die  Anfänge 
der  Moduslehre  mit  ihnen  durchgenommen  werden? 

Hier  ist  freilich  für  die  Herstellung  einer  durchaus  passen- 
den Grammatik  nicht  mehr  zu  machen,  als  Z.  gethan  hat.  Den 
zweiten  Punkt  aber,  die  Mannigfaltigkeit  des  deutschen  Ausdrucks, 
hat  Z.  sehr  ernsjtlich  ins  Auge  gefafst.  Wenn  man  die  Lehre 
von  der  Obereinstimmung  (§  158  - 170)  und  die  Kasuslehre 
durchblättert,  wird  man  überall  sehen,  wie  Z.  bemüht  gewesen 
18t)  gute  deutsche  Ausdrücke  zur  Einübung  zu  geben ;  so  finden  wir 
allein  zu  videri  ($  163)  sieben  Arten  deutscher  Ausdrucksweise  zu- 
sammengestellt. Man  vergleiche  die  §§  168,  169,  175,  191,  194, 
199,  203,  204,  206,  207,  210,  211,  213,  214,  215.    Aber  noch 

32* 


500  R-  i^iemer,  Lateinische  Sehnlgramniatik, 

viel  wichtiger  ist  dies  für  die  Lehre  „Void  Verbum  im  Satze'S 
vor  welche  Überschrift  auf  S.  76  eine  römische  III  zu  setzen  ist. 
Man  vgl.  z.  B.  noch  §§  245,  264,  265,  267,  268,  288,  289.  Und 
damit  kommen  wir  auf  die  Infinitiv-  und  Partizipialkonstruktion, 
auf  die  wir  zum  Schlufs  noch  etwas  genauer  eingehen  müssen. 
Welche  Fülle  von  trefllichen  deutschen  Ausdrücken  ist  hier  dem 
Schüler  geboten!  Freilich  für  die  ganz  Unbegabten  und  für  die, 
welche  zu  Hause  nicht  viel  Gelegenheit  haben,  ein  gutes  Deutsch 
sich  zu  eigen  zu  machen,  ist  das  nichts;  bei  solchen  Schülern 
wird  man  wohl  auf  diese  Mannigfaltigkeit  verzichten  und,  um 
wenigstens  den  Vorteil  des  Lateinlernens,  dafs  die  Denkkraft  ge* 
schärft  wird,  festzuhalten,  im  allgemeinen  bei  der  wörtlichen  Über- 
setzung bleiben  müssen. 

d)  Infinitiv.  Die  Lehre,  die  bisher  in  den  meisten  Schul- 
grammatiken stand,  dafs  der  Inf.  an  sich  oder  der  Acc.  c.  inf.  als 
solcher  Subjekt  oder  Objekt  sei,  ist,  weil  durch  die  Sprachver- 
gleichung als  unhaltbar  erwiesen,  aufgegeben.  Dafür  heifst  es 
§  241 :  „Im  ganzen  Latein  begegnet  der  InGnitiv  lediglich  als 
abhängige  Bestimmung  und  ganz  allgemeine  Ergänzung  von  Verben 
aller  Art  und  vereinzelten  Adjektiven'*.  Das  ist  richtig;  doch  wird 
es  schwer  sein,  den  Kindern  das  beizubringen.  Erleichtert  wird 
die  Schwierigkeit  dadurch,  dafs  Z.  bei  der  Erklärung  des  Acc«  c. 
inf.  (§  245,  2)  von  den  deutschen  Wendungen:  „ich  höre  dich  .. 
singen;  ich  sehe  dich  .  .  eilen**  etc.  ausgeht;  das  ist  freilich  auch 
schon  anderwärts  geschehen,  z.  B.  bei  Lattmann  §  81  und  gewifs 
vielfach  im  Unterrichte;  Ref.  hat  es  schon  vor  37  Jahren  so  ge- 
lernt, wenigstens  an  den  Verben  lassen  und  heifsen.  Doch  hätten, 
meine  ich,  diese  einfachen  deutschen  Wendungen,  und  noch  besser 
Redensarten,  wie  „lafs  mich  gehen**,  „er  hiefs  ihn  kommen**,  an 
der  Spitze  des  §  245  stehen  müssen,  und  nicht  die  Stellen  aus 
der  Genesis  und  aus  Laokoon,  bei  denen  jemand,  der  die  histo- 
rische Grammatik  der  deutschen  Sprache  nicht  mehr  im  Ge- 
dächtnis oder  niemals  von  ihr  etwas  gehört  hat,  wirklich  nicht 
weifs,  ob  das  noch  Deutsch  ist,  oder  ob  nicht  Luther  und  Lessing 
die  fremdsprachlichen  Konstruktionen  einfach  nachgeahmt  haben, 
wie  wir  ja  in  den  ambrosianischen  Hymnen  lateinische  Abi.  abs. 
einfach  durch  den  deutschen  Dativ  wiedergegeben  finden,  während 
die  deutsche  Sprache  den  Genetiv  und  Acc.  absol.  doch  damals 
schon  besafs.  Ich  wurde  demnach  auch  aus  $245,2  die  Worte: 
„Lessing:  er  fühlt  sich.  .  zusein**  streichen.  Heute  spricht  doch 
niemand  so.  —  Ferner:  das  deutsche  „ich  sehe  dich  kommen*^ 
heifst  ja  video  te  venientem.  Oder  ist  die  alte  Regel,  die  sich  aus 
Moiszisstzig  (1867  §  759)  durch  alle  Auflagen  bei  GiUh.  (bis  1889 
$  746)  hindurchzieht,  dafs  das  Partie,  bei  unmittelbarer  Wahr- 
nehmung gesetzt  werde,  und  die  für  das  Griechische  in  viel  wei- 
terer Ausdehnung  gilt,  falsch?  Im  $  263  bei  video  te  legenUm 
erörtert  Z.  diesen  Gebrauch  nicht;  doch  hat  er  offenbar  die  hier 


aagez.  voa  M.  Engelhardt.  501 

sich  ergebende  Schwierigkeit  selbst  gefühlt,  indem  er  beim  Acc. 
c.  inf.  unter  3  setzte:  audio  te  eantare  =  audio  te  cantantem. 
Ganz  dasselbe  ist  das  doch  nicht.  —  Dafs  die  Acc.  c.  inf.,  die 
man  bisher  für  Subjekte  erklärte,  hier  analogisch  an  die  vorigen 
angereiht  sind,  ist  in  der  Ordnung,  und  das  wurde  wohl  auch 
im  §  250  (contentum  esse  suis  rebus)  genügt  haben.  Z.s  Er- 
klärung klingt  ja  sehr  hübsch,  aber  ist  sie  auch  ganz  sicher? 
Perthes'  Darlegung,  warum  der  Nominativ  des  neutr.  wie  der  Akk. 
laute,  kommt  mir  viel  wahrscheinlicher  vor.  Sollte  unzweifelhaft 
der  Akk.  „ursprünglich  das  nomen  ohne  weitere  Bestimmung  oder 
Bezeichnung^*  und  „im  Masc.  und  Pemin.  erst  später  eine  eigene 
Form,  der  Nominativ,  gebildet  worden'*  sein?  Der  ganze  Abschnitt 
vom  Infinitiv  ist  sonst  trefflich  formuliert,  und  es  verdient  diese 
Umarbeitung  alle  Anerkennung.  Doch  würde  ich  dem  Verf.  raten, 
meinen  Vorschlag  wegen  Umstellung  der  Zeilen  S.  83,  12 — 20 
ans  Ende  des  §  245  ernstlich  ins  Auge  zu  fassen.  Auf  einen 
Quintaner  oder  Quartaner  müssen  diese  Beispiele  geradezu  ab- 
schreckend wirken.  Er  wird  mit  Angst  und  Bangen  an  die  Regel 
vom  Acc.  c.  inf.  gehen  und  diesen  Abschnitt  stets  mit  dem  Ge- 
danken in  die  Band  nehmen:  „Das  kann  doch  kein  Mensch  ver- 
stehen**. 

Worauf  Z.  hier  besonders  aufmerksam  macht,  das  Reflexivum 
bei  Luther  Genesis  6,  3,  ist  für  einen  Gelehrten  sehr  interessant; 
es  ist  nur  um  so  auffallender  (und  erscheint  fast  wie  eine  Nach- 
ahmung des  fremdsprachlichen  Textes),  als  Luther  gerade  sonst 
in  sicher  reflexiven  Fallen,  wenigstens  im  Dativ,  t'Am,  ihnen  etc. 
setzt,  z.  B.  in  demselben  Kap.  v.  1 :  Da  sich  die  Menscheti  beginneten 
zu  mehren  und  zeugten  ihnen  Töchter  und  15,  6  und  schlofs  die 
Thür  hinter  ihm  zu  und  so  seine  Zeitgenossen  und  die  Späteren 
bis  ins  17.  Jahrhundert.  —  Aber  auf  die  Knaben  wird  auch 
jenes  Reflexivum  abschreckend  wirken.  —  Man  kommt  mit  dem 
Anfänger,  wenn  man  se,  sibi  erklären  will,  viel  weiter,  wenn  man 
in  der  Lektüre,  z.  B.  in  dem  Satze  Alcibiades,  ubi  se  capitis  dam- 
natum  esse  audimt,  Spartam  demigravit  etwa  folgendermafsen  ab- 
fragt: 1.  Wer  wurde  zum  Tode  verurteilt?  2.  Wer  hörte  das? 
3.  Über  wen  hörte  AIcibiades  das?  Auf  die  Antwort  „über  sich 
selbst*^  folgt  die  Bemerkung:  „Darum  steht  se**.  Dasselbe  ge- 
schehe in  Konjunktiv-Nebensätzen  wie:  AIcibiades  poslulabatj  ut 
de  se  praesente  quaestio  haheretur!  Wenn  das  genug  abgefragt  wird, 
macht  später  die  Einübung  des  Reflexivums  keine  besonderen 
Schwierigkeiten.  Bei  Z.  sind  die  Bemerkungen  über  den  Gebrauch 
des  Reflexivpronomens  (§246,  2;  269)  und  die  Regeln  ($335) 
leicht  verständlich  und  gut. 

e)  Partizipialkonstruktionen.  Die  Regeln  über  den 
Gebrauch  der  Participia  sind  äufserst  gefällig;  vor  allem  unter- 
scheiden sie  sich  dadurch,  dafs  der  Ahl.  abs.  nicht  mehr  als  ver- 
kürzter Satz  aufgefafst  wird.    Noch  Latlmann,  Ausg.  B  92  spricht 


502     H.  Ziemer,  Lat.  Schalgrammalik,  i$z.  v.  U.  Etigelhardt 

im  §  60  von  einem  „SiibjekUablativ"  (Regel  B  u.  Anm.  6),  ebenso 
Gillh.i<^  S  757.  Holzweifslg  hat  zwar  ($  303)  nicht  diesen  Aus- 
druck, doch  ist  der  ganze  Abschnitt  von  dem  Gesichtspunkt  des 
Hinübersetzens  aus  dargestellt,  so  dafs  der  Schüler  stets  denken 
wird,  er  habe  es  mit  einem  abgekürzten  Satze  zu  thun;  ebenso 
bisher  Ferd.  Schultz,  dessen  Neubearbeitung  mir  freilich  noch 
nicht  bekannt  ist.  —  Hier  finden  wir  zum  ersten  Haie  diese  ver- 
kehrte, offenbar  für  die  Anfertigung  der  Exercitia  und  Extempo- 
ralia  erfundene  Darstellung  beseitigt.  Könnte  nicht  mit  der  Zeit 
auch  der  Name  „Abi.  abs.^'  schwinden?  Die  meisten  Konstruk- 
tionen der  Art  sind  gar  nicht  absolut,  sondern  sehr  enge  mit  dem 
Prädikat  verbunden. 

f)  Zur  consecutio  temporum  §2810*.  Die  Fassung  der 
Regeln  ist  klar;  eine  Kleinigkeit  würde  ich  geändert  wünschen. 
§282  heifst  es  am  Schlufs:  „Auf  Inf.,  Partie,  (und  Konj.),  Per- 
fecti  folgt  indes  meistens  ein  Nebentempus'*.  Zu  dem  Konj.  Pt 
sucht  man  in  den  vorhergehenden  lateinischen  Sätzen  vergeblich 
nach  einem  Beispiel.  Wäre  es  nicht  besser  in  dieser  Regel,  die 
beiden  in  Parenthese  stehenden  Worte  („und  Konjunktiv*')  fort- 
zulassen und  dafür  eine  entsprechende  Bemerkung  im  §  281  Anm.  2 
nebst  einem  Beispiel  einzuschalten?  —  Noch  einmal  möchte  ioh 
wegen  dieses  Konj.  Pf.  auf  meinen  bei  der  Besprechung  der  Kon- 
jugation gemachten  Vorschlag  zurückkommen,  in  den  Konjugations- 
tabellen dem  Perf.  historicura  nebst  dem  dazu  gehörigen  Kon- 
junktiv Imperfectiy  etwa  mit  der  gemeinschaftlichen  Überschrift 
„Tempus  bistoricum'*  einen  eigenen  Platz  einzuräumen.  Die 
Praxis  hat  mich  gelehrt,  dafs  die  meisten  Schüler  zwar  sehr  bald 
begreifen,  dals  in  Hauptsätzen  der  Erzählung  an  Stelle  des  deut- 
schen Imperfekts  das  Pf.  bist,  gesetzt  wird,  dafs  aber  gerade  die 
besseren  Schüler  diesen  Gebrauch  immer  wieder  auf  den  Konj. 
übertragen  und  z.  B.  cum  dixerit  statt  cum  diceret  sagen.  Das 
würde  durch  einen  solchen  Einschub  in  die  Konjugationstabellen 
vermieden  werden  können. 

g)  Konjunktiv.  §  295,  4  enthält  eine  vortreffliche  Be- 
merkung über  konjunktivische  Nebensätze;  es  kann  kaum  ein 
besserer  Ausdruck  als  „Modusausgleichung"  für  derartige  Neben- 
sätze gefunden  werden,  in  denen  nach  unserem  Gefühl  der  Indi- 
kativ stehen  müfste.  Auch  die  Beispiele  nebst  der  Erklärung  der 
den  Lateinschüler  in  Relativsätzen  so  sonderbar  anmutenden  Kon- 
junktive diceret^  exütimarenty  crederent,  confidermt  sind  gut  ge- 
wählt. —  Giilh.  §  733  bezeichnete  diese  Konjunktive  noch  als 
„Abirrung  von  dem  gewöhnlichen  Sprachgebrauch**.  Lattmann, 
Ausg.  B  1892  hat  $  143  auch  schon  den  Ausdruck  „Ausgleichung 
des  Modus;  attractio  modi**  und  berührt  das  daselbst  inA.  2. — 
Das  Kapitel  über  die  Fragesätze  ist  im  ganzen  nach  Gillh.  bei- 
behalten; dagegen  sind  die  Regeln  für  die  Oratio  obliqua  sehr 
vereinfacht;  das  konnte  um  so  leichter  geschehen,  als  der  schwie- 


J.  Lattmtniiy  Griecb.  (Ibu  ogsbücher,  agz.  v.  P.  WeiAienfels.     503 

rigste  Teil  derselben  (Gillh.  §  729)  bei  Ziemer  schon  im  §  295 
abgehandelt  ist  und  unter   das  Kapitel  f,Modu8ausgleichung''  fallt. 

Trotz  dieser  kleinen  Ausstellungen  kann  man  dem  Verf.  nur 
danken  für  die  Muhe,  der  er  sich  unierzogen  hat,  und  ihm  wün- 
schen, dafs  sein  Buch  eine  recht  weite  Verbreitung  finde. 

Die  äufsefe  Ausstattung  ist  vorzüglich  und  macht  der  rühm- 
lichst bekannten  Verlagshandlung  alle  Ehre. 

Der  Druck  ist  korrekt;  Fehler  habe  ich  nur  folgende  bemerkt: 
S.  86  ca-i-ebamj  S.  91  Z.  7  v.  u.  mb  statt  rwp,  §  111,  1  p^mi, 
§112,2  hinter  ^.exposco  fordere  dringend'*  ist  Semikolon  zu 
setzen  und  nach  „ohne  Perfekt"  Kolon;  denn  exposco  hat  rglm. 
pf.,  nicht  aber  reposco, 

Bromberg.  Max  Engelhardt. 

1)  J.  LattroaDD,    Ober   den   griechischen    Unterricht   nach   den 

methodischen  Grundsätzen  der  Lehrpläne  von  1892.    Göt- 
tiDgen  1893,  Vaodenhoeck  &  Ruprecht.     27  S.  0,40  M. 

2)  J.  Lattmann    and    H.  D.  Müller,    Grammatisches    Hiilfs-    und 

Übungsbuch    für    den    griechischen  Unterricht   in  Unter- 
sekunda.    Göttingen  1893,  Vandenboeck  &  Ruprecht.     SOS.  1  M. 

In  einem  Schriftchen  über  den  griechischen  Unterricht  sucht 
J.  Lattmann   zu    beweisen,    dafs    sein   griechisches  Lesebuch  für 
lilb    und    seine   im  Verein    mit  H.  D.  Muller    herausgegebenen 
griechischen  Obungsbucher   für   III  b  und  Ula,    obwohl    sämtlich 
vor  den  neuen  Lehrplänen  erschienen,  wenn  auch  nicht  ganz  dem 
Wortlaut,  so  doch  durchaus  dem  Geiste  der  letzteren  entsprechen, 
und    giebt    zugleich    eine   Art  Vorwort    zu    dem    grammatischen 
Hilfs-  und  Übungsbuche,    mit   dem   er  uns   fast  zu  gleicher  Zeit 
beschenkt  hat.     „Formen  und  syntaktische  Regeln   sind  erst  auf 
induktivem  V^ege  aus  dem  Lesebuch  zu  gewinnen  und  dann  fest 
einzuprägen*'.   „Die  Lektüre  wird  sofort  begonnen  und  geht  mög- 
lichst   bald    zu    zusammenhängenden   Lesestucken    über''.     Diese 
Satze  der  neuen  Lehrpläne  will  auch  L.  befolgt   wissen,   jedoch 
mit  einer  gewissen  Einschränkung  des  induktiven  Verfahrens  beim 
Unterricht  in  der  Formenlehre.     Da  der  Tertianer  schon  die  Er- 
lernung  der  Formenlehren   zweier  Fremdsprachen   durchgemacht 
bat,  so  dafs  ihm  Zweck  und  Bedeutung  der  Formenbildung  über- 
liaapl  verständlich  und  die  paradigmatische  Zusammenstellung  der- 
selben geläuGg  geworden  ist,    so   hat  es  nach  ihm  gar  kein  Be- 
denken, wenn  auch  unter  gewissen  Modifikationen  in  herkömm- 
lidier  Weise   die   Paradigmen    der  Reihe   nach    lernen    und    an 
Einzelsätzen  einüben  zu  lassen,    zumal    bei  induktivem  Verfahren 
die  griechische  Formenlehre  wegen  ihres  Reichtums  eine  Zeit  ver- 
langen würde,  wie  sie  nicht  gewährt  werden  kann.     Diesen  Satz 
des   bewährten  Didaktikers  wird  jeder  unterschreiben,   der  in  der 
Praxis    steht.     Wenn    nun    der  Schüler    in  den  Einzelsätzen  zur 
Deklination  einige  Formen  der  Kopula  und  einige  Präsensformen 


504  J-  LattmaDD,  Griechische  (Jbungsbäcber, 

von  Verben  auf  co  aus  dem  ZusammenhaDge  des  Gedankens  auf- 
nimmt und  danach  beim  Obertragen  aus  dem  Deutschen  selbst- 
thätig  Präsensformen  anderer  Verba  auf  oo  bildet,  so  ist  damit 
nach  L.  die  dieser  Stufe  des  Unterrichts  angemessene  Art  der 
Induktion  erschöpft,  eine  Art,  die  nur  zulässig  ist,,  um  Oberhaupt 
zu  einer  Satzbildung  zu  gelangen.  Und  diese  Art  ist,  bei  Lichte 
besehen,  nichts  als  eine  Abart  wahrer  Induktion,  die  Herbart  ge- 
fordert hat  und  zu  der  möglichst  bald  übergegangen  werden  soll. 
Diese  wird  getrieben  nicht  mit  Zugrundelegung  einer  potenzierten 
grammatistischen  Lektüre,  in  der  die  Formen  zu  den  einzelnen 
Paradigmen  der  Reihe  nach  eingeträufelt  werden  und  in  der 
Wort  für  Wort  um  der  Grammatik  willen  zusammengestopft  ist; 
sondern  lediglich  an  zusammenhängenden  Lesestucken  in  natür- 
licher, originaler  Sprache,  aus  denen  die  Spracherscheinungen  zu- 
nächst nur  als  inhärierende  Teile  eines  freien  Gedankenausdruckes 
aufzunehmen  sind,  um  hinterher  wieder  aufgefrischt  zu  werden 
und  die  Abstraktion  eines  sprachlichen  Gesetzes  und  ein  bewufstes 
Wissen  zu  ermöglichen.  Auch  hierin  gebe  ich  L.  vollständig 
Recht.  Um  nun  möglichst  bald  und  mit  Erfolg  die  so  beschaffene 
zusammenhängende  Lektüre  beginnen  und  aus  dieser  die  noch 
nicht  gelernten  Formen  und  Regeln  wirklich  induktiv  ableiten  zu 
können,  teilt  L.  die  ganze  Formenlehre  durch  einen  horizontalen 
Schnitt  und  erweitert  das  Untertertianerpensum  folgendermafsen. 
Er  legt  zu  dem  jetzigen  Pensum  die  Verba  tiS-fj^ij  laifukh,  di- 
ddOfA^j  SslxpvfAi  und  eine  Auswahl  von  50  unregelmäfsigen  Ver- 
ben. Von  dem  so  vermehrten  Lehrstoff  überweist  er  dem  ersten 
Vierteljahr  die  regelmäfsige  Flexion  der  Substantiva  und  der  Ad- 
jektiva  auf  ogj  fi(cc),  ov  und  f^g^  €q\  der  rationellen  Entwicke- 
lung  der  Formenbildung  und  der  Nötigung  zu  geläufigem  Repro- 
duzieren werde  der  Schüler  Interesse  genug  abgewinnen,  um  sich 
mit  Einzelsätzen  zur  Einübung  zu  begnügen  und  nicht  aufserdem 
eines  interessanten  sogenannten  Zusammenhanges  zu  bedürfen. 
Im  zweiten  Vierteljahr  würden  Xvta  und  xvTtxia  zu  üben  sein; 
nachdem  in  den  6  Stunden  der  ersten  Woche  diese  Verba  mit 
den  Rildungsgesetzen  geübt  und  Formen  der  Einzelsätze  dazu 
tleifsig  analysiert  sind,  beginnt  die  Lektüre  eines  einfachen  zu- 
sammenhängenden Originaltextes  und  damit  die  induktive  Ableitung 
weiterer  Formen,  von  denen  noch  in  diesem  Vierteljahr  v.  muta, 
liquida  und  contracta  nebst  dem  augm.  temp.  mit  Besonderheiten 
geübt  werden.  Die  genannten  vier  Verba  auf  fi»  „demonstriert 
und  lehrt''  L.  am  Anfang  des  dritten  Vierteljahres  und  schliefst 
daran,  ohne  sich  mit  Übungen  dazu  aufzuhalten,  die  50  unregeU 
mäfsigen  Verba;  erst  nachdem  so  nur  für  die  Lektüre  damit  be- 
kannt gemacht  worden  ist,  erfolgt  die  festere  Einprägung  durch 
Übungen.  Wenn  so  „die  Unterschicht  der  Formenlehre*'  in  drei 
Vierteljahren  zu  Ende  geführt  worden  ist,  glaubt  L.  etwa  in  der 
ersten  Hälfte    des  vierten  von    der    „Oberschicht'    die  Konirakla 


aogez.  von  P.  Weifseofels.  505 

der  zweiten  Deki.,  die  attische  Deiil. ,  den  Rest  der  dritten  und 
der  Adjeklifa,  Komparation ,  Zahlwörter,  tempora  secunda  leicht 
überwältigen  zu  können,  weil  ja  alle  diese  Pensen  durch  die 
voraufgehende  Lektüre  vorbereitet  seien,  und  die  andere  Hälfte 
des  Vierteljahres  zu  einer  Gesamtwiederholung  übrig  zu  behalten. 
Als  Gegenstand  der  zusammenhängenden  Lektüre  aber  empfiehlt 
L.  nicht  Fabeln,  nicht  Anekdoten,  nicht  bunte  Flicken  aus  allen 
Teilen  der  Geschichte,  sondern  für  das  zweite  und  dritte  Quartal 
einen  einheitlichen  Kreis  griechischer  Sagen,  der  den  Schüler  mit 
den  notwendigen  Vorkenntnissen  für  die  spätere  Dichterlektüre 
ausstattet,  für  das  vierte  die  messenischen  Kriege,  die  eine  pas- 
sende Vorbereitung  auf  die  Anabasis  bilden.  Endlich  sollen  be- 
standige Übungen  im  Analysieren  etymologischer  und  syntaktischer 
Formen  ein  promptes  Erkennen  der  Formen  und  des  syntaktischen 
Sprachgebrauchs  erzeugen,  das  mit  der  schlagfertigen  Sicherheit 
im  selbständigen  Bilden  beim  Übertragen  in  das  Griechische  nicht 
verwechselt  werden  darf  und  für  die  Erreichung  des  allgemeinen 
Lehrzieles  wirksamer  ist  als  die  genannte,  blofs  dem  Gedächtnis 
entspringende  Fertigkeit.  Hiernach  bleiben  für  Hla  aus  der 
Formenlehre  noch  zu  lernen  die  kleinen  Verba  auf  |t»*,  die  Pro- 
nomina, die  Besonderheiten  des  Augments  und  der  Reduplikation, 
die  der  v.  contracta,  Fut.  Attic.  und  der  Rest  der  unregelmäfsigen 
Verba. 

Wie  L.  die  Klasse  aufserdem  in  syntaktischer  Beziehung  be- 
dacht hat,  davon  später.  Fassen  wir  die  Vorschläge  L.s  kurz 
zusammen,  so  erkennen  wir  als  die  wesentlichste  Abweichung 
von  unseren  Lehrplänen  nicht  sowohl  eine  Vermehrung  des 
Untertertianerpensums  als  eine  Verschiebung  der  Pensen,  darin 
bestehend,  dafs  die  Hlb  durch  die  vier  grofsen  Verba  auf  fii  und 
50  unregelmä&ige  Verba  stärker  belastet,  durch  Überweisung  der 
Pronomina  an  Ula  entlastet  wird.  Wie  sollen  wir  uns  nun  zu 
diesen  Vorschlägen  stellen?  Sollen  wir  zunächst  die  Erweiterung 
des  Untertertianerpensums  über  den  lehrplanmäfsigen  Umfang 
hinaus  billigen?  Die  Befürchtung  ist  gerechtfertigt,  dafs  in  den 
Köpfen  der  Schüler  schliefslich  ein  Chaos  von  Formen  sein  wird, 
in  das  vielleicht  niemals  ein  povg  Ordnung  bringen  kann.  Dieses 
Chaos  aber  würde  die  Folge  mehr  qualitativer  als  quantitativer 
Überbördung  sein.  Denn  das  der  Ula  neu  zugewiesene  Pensum, 
die  Pronomina,  erfordert  freilich  zu  gründlicher  Einübung  etwa 
die  gleiche  Zeit  wie  die  vier  Verba  auf  f»i,  ist  aber  dem  übrigen 
Pensum  der  Ulb  adäquater  als  die  letzteren.  Hinsichtlich  der 
Verteilung  der  Pensen  auf  die  Vierteljahre  ist  mir  besonders  auf- 
gebilen,  dafs  dem  ersten  so  wenig,  dem  zweiten  so  viel  zuge- 
mutet wird.  Ich  wenigstens  pflege  in  dem  ersten  Vierteljahr,  das 
ja  durchschnittlich  11  Wochen  währt,  nicht  nur  von  der  Dekli- 
nation der  Substantiva  und  Adjektiva  eher  etwas  mehr,  als  L. 
vorschlägt,    sondern  auch  Xv<a  und  die  Verba  auf  ita,   dwj  6(o 


506  ^'  LültinaDO,  Griechische  Übuogsbiicher, 

excl.  Präsens  und  Imperfektum  zu  absolvieren;  dagegen  fühle  ich 
mich  aufser  Stande,  in  6  Stunden  Xvoa  und  tvTrroa,  wenn  auch 
nur  im  gröbsten,  zu  lehren  und  in  weiteren  6 — 7  Wochen,  ab- 
gesehen von  ausgedehnten  Übersetzungsübungen,  den  Rest  der 
V.  muta,  die  liquida,  augm.  temp.  mit  Besonderheiten  und  v.  con- 
tracta  einzuüben.  Die  doppelte  Behandlung  der  Verba  auf  fA* 
und  der  50  unregelmäfsigen  im  dritten  Vierteljahre,  die  für 
die  Lektüre  .»demonstriert  und  gelerntes  dann  durch  Übungen 
„fester  eingeprägt'*  werden  sollen,  mit  andern  Worten  die  ober- 
flächliche und  die  gründliche,  wird  auch  wenig  Beifall  finden. 
Sodann  möchte  ich  die  schlagfertige  Sicherheit  im  selbständigen 
Bilden  der  Formen  nicht  geradezu  aus  den  Lehnielen  verbannen. 
Wer  sie  als  rein  gedächtnismäfsig  brandmarkt  und  als  den  ein- 
zigen, noch  dazu  schwachen  Erfolg  geifseln  möchte,  dessen  sich 
der  Unbegabtere  rühmen  dürfe,  unterschätzt  m.  E.  ihren  Wert. 
Denn  falsche  Formen  für  nitpavtai,  j^roifjVj  yyciya^  u.  s.  w. 
spricht  und  schreibt  nur  derjenige,  der  die  Bildungsgesetze,  deren 
Kenntnis  ja  auch  L.  für  durchaus  notwendig  erachtet,  nicht  ver- 
standen oder  doch  nicht  an  sich  die  Zucht  geübt  hat,  die  ihn  be- 
fähigt, das  Verstandene  auch  erforderlichen  Falles  anzuwenden. 
Sollen  wir  nun  wirklich  einen  Defekt,  sei  es  einen  intellektuellen  oder 
einen  moralischen,  dadurch  fördern,  dafs  wir  ihm  nicht  zu  Leibe 
gehen?  Die  Abschlufsprüfung  setzt  übrigens  die  Schlagfertigkeit 
voraus.  Wenn  endlich  L.  zusammenhangende  Originallektüre  ver- 
langt, so  ist  das  im  allgemeinen  durchaus  zu  billigen.  Nie  ist  ein 
richtiges  didaktisches  Postulat  banausischer  erfüllt  worden,  als  das 
der  zusammenhängenden  Lektüre  in  grammatistischen  Erzählungen 
ausgeführt  worden  ist,  die  die  von  L.  angegebenen,  von  mir  oben 
mitgeteilten  Eigenschaften  besitzen.  Aber  mufs  es  denn  durchaus 
das  wortgetreue  Original  sein,  an  dem  die  Kraft  der  Induktion 
sich  bewähren  soll?  Liegt  nicht  die  Gefahr  nahe,  dafs  aus  diesem 
allzuviele  neue  Eindrücke  auf  einmal  auf  den  Anfänger  einstürmen, 
so  dafs  er  über  alle  Induktionskünste  kaum  noch  zur  Freude 
über  ein  durch  promptes  Wissen  gewonnenes  Verständnis  kommt? 
Man  lege  als  zusammenhängende  Lektüre  Originale  vor,  aber  man 
trage  kein  Bedenken,  diese  so  weit  zu  vereinfachen,  dafs  dem 
Schüler  fortlaufend  die  Genugthuung  wird,  schon  mit  Hilfe  des 
Gelernten  der  meisten  Schwierigkeiten  Herr  zu  werden ;  man  be- 
denke auch,  dafs  mit  dem  möglichst  baldigen  Übergang  zu 
derartiger  Lektüre  in  den  Lehrplänen  auch  ein  nicht  allzu- 
zeitiger verlangt  wird. 

L.s  Forderungen  für  den  Betrieb  des  syntaktischen  Unter- 
richts laufen  ebenfalls  darauf  hinaus,  für  die  Originallektüre  m5g- 
liehst  schnell  eine  gewisse  Summe  der  allernotwendigsten  Kennt- 
nisse aus  dem  gesamten  Bereiche  der  Syntax  zu  schaffen  und 
dann  in  einem  höheren  Kursus  eingehendere  Regeln  zu  geben. 
Ich  darf  wohl  annehmen,  dafs  diese  Forderungen  für  diesen  Teil 


angei.  von  P.  WeiricofeU.  507 

des  Unterrichts,  den  syntaktischen,  schon  vor  dem  Erscheinen 
der  neuen  Unterrichtsordnung  prinzipiell  befolgt  worden  sind  und 
über  ihre  Berechtigung  kein  Zweifel  besteht.  Dagegen  kann  man 
fragen,  ob  es  im  Sinne  der  neuen  Lehrpläne,  ja  ob  es  überhaupt 
angemessen  ist,  die  syntaktischen  Pensen  in  der  Weise  L.s  auf  die 
einzelnen  Klassen  zu  verteilen.  Nachdem  L.  schon  dem  Lesebuch 
für  Illb  einige  syntaktische  Regeln  angefugt  hat,  will  er  in  lila 
die  Syntax  des  Nomons  (Artikel,  Pronomen,  Kasuslehre)  und  eine 
keineswegs  unbedeutende  Anzahl  von  Regeln  der  übrigen  Syntax 
behandelt  wissen:  der  geistige  Standpunkt  der  Klasse  verlange 
neben  den  Formenübungen  je  eine  oder  einige  der  syntaktischen 
Regeln»  die  er  induktiv  schon  aus  der  Lektüre  der  früheren  Klasse 
in  sich  aufgenommen  habe,  und  diese  Zumutung  sei  um  so  we- 
niger bedenklich,  als  ja  nach  seinen  Absichten  der  Obertertianer 
durch  die  Oberweisung  der  Verba  auf  fk&  und  einer  erklecklichen 
Anzahl  unregelmäfsiger  Verba  an  die  Illb  entlastet  werde.  Doch, 
wie  wir  gesehen  haben,  wird  der  Obertertianer  von  L.  wenig 
entlastet,  hat  vielmehr  eher  mit  dem  Untertertianer  ein  Tausch- 
geschäft gemacht,  bei  dem  sich  schwer  sagen  läfst,  welcher  Teil 
gewonnen  habe.  Am  allerwenigsten  aber  durfte  L.  zugleich  die 
Miene  aufstecken,  als  stände  er  trotz  dieser  Neuerungen  auf  dem 
Boden  der  neuen  llnterrichtsordnung,  indem  er  schreibt:  „Ich 
glaubte  die  in  den  Lehrplänen  für  IIb  genannten  Regeln  zu  den 
für  Illa  bestimmten  ausgewählten  Flauptregeln  der  Syntax  rechnen 
zu  dürfen'^  Denn  er  schliefst  in  III a  die  Syntax  des  Nomons 
geradezu  ab,  was  nach  den  Lehrplänen  in  IIb  erfolgen  soll,  und 
lehrt  aufserdem  noch  in  derselben  Klasse  von  der  Tempus-  und 
Moduslehre  wenigstens  so  viel,  vielleicht  gar  mehr,  als  die  Lehr- 
pläne in  dem  Pensum  der  IIb  unter  den  notwendigsten  Haupt- 
regeln  verstanden  wissen  wollen.  Die  Folge  dieser  Anticipation 
ist,  dals  der  IIb  von  L.  das  lehrplanmäfsige  Pensum  der  IIa  zu- 
gewiesen wird:  die  Genera  des  Verbums,  Eigentümlichkeiten  der 
Tempora  und  Modi  im  Hauptsatze,  Fragesätze,  Aussagesätze, 
Kausal-y  Final-,  finale  Ergänzungs-,  Befürchtungs-,  Konsekutiv-, 
Relativ-,  Temporal-,  Konditionalsätze,  Besonderheiten  des  Infinitivs 
und  des  Partizips. 

Wenn  wir  nun  diese  Änderungen  mifsbilligen,  weil  sie  mit 
den  Lehrplänen  unvereinbar  sind  und  den  Kräften  des  Anfangers 
za  viel  zumuten,  so  müssen  wir  andererseits  anerkennen,  dafs 
L.  seine  syntaktischen  Regeln  durchaus  im  Sinne  der  Unterrichts- 
ordnung einübt.  Das  lehren  die  methodischen  Bemerkungen,  die 
L.  in  seiner  Schrift  über  den  gi*ammatischen  Unterricht  macht; 
das  lehrt  auch  das  Hülfs-  und  Übungsbuch  für  Hb.  Eine  syn- 
taktische Erscheinung,  z.  B.  tag  mit  Part.  Fut.  zum  Ausdrucke 
der  subjektiven  Absicht,  wird  bei  ihrem  ersten  Begegnen  durch 
die  blofse  Obersetzung  erledigt;  das  nächste  Mal  wird  wieder  die 
Übersetzung   gegeben,    aufserdem    aber    das   Tempus   und    der 


508  ^'  LattmaoD,  Griechische  ÜbaogsbUcher, 

eigentliche  Sinn  der  jetzigen  und  der  froheren  Verbindung  klar- 
gestellt, ferner  der  logische  Wert  des  Satzgliedes  mit  dem  Ter- 
minus „Finalsatz"  festgelegt;  das  dritte  Mal  wird  nach  der  Ana- 
logie übersetzt,  auch  wohl  eine  Regel  dazu  im  syntaktischen 
Anhange  gelesen.  So  in  III  b;  in  III  a  folgen  mündliche  und 
schriftliche  Übungen  zu  der  Regel.  Damit  wird  die  Forderung 
der  Lehrpläne  für  III  erfüllt:  im  Anschlüsse  an  das  Gelesene  sind 
einzelne  syntaktische  Regeln  induktiv  abzuleiten.  Hatte  nun  L. 
in  dem  Obungsbuche  für  lila  immerhin  noch  Regeln  den  Bei- 
spielen vorangeschickt,  von  deren  gedächtnismäfsiger  Aneignung  er 
jedoch  im  aligemeinen  absehen  will,  so  glaubt  er  in  dem  Hulfs- 
buche  für  IIb  der  Regeln  völlig  entraten  zu  können  und  liefert 
nur  eine  systematische  Zusammenstellung  von  Beispielen,  die  ohne 
Benutzung  einer  Grammatik  dem  syntaktischen  Unterrichte  zu 
Grunde  gelegt  werden  soll:  die  Termini  technici  der  Gberschriften 
sollen  die  Richtung  angeben,  welche  das  durch  den  lateinischen 
Unterricht  genügend  geschulte  grammatische  Denkvermögen  des 
Schulers  einzuschlagen  hat,  um  aus  den  Beispielen  selbständig  die 
Regel  zu  formulieren.  Während  aber  Meierotto  und  Ruthardl 
diesen  Gedanken  an  Beispielen  durchführten,  die  überall  her,  be- 
sonders aus  dem  reichen  Sentenzenschatz  zusammengelesen  waren, 
glaubt  L.  dem  neuen  Unterricbtsplane  mehr  entsprechend  beson- 
ders die  schon  vom  Schuler  überwundene  Lektüre  ausgenutzt  zu 
haben.  Er  mufs  freilich  selbst  einräumen,  dafs  einzelne  Beispiele 
Stellen  der  Anabasis  entstammen,  die  wohl  überschlagen  sein 
könnten,  oder  der  nahe  bevorstehenden  Lektüre,  ja  den  erst  viel 
später  zu  lesenden  Schriften  des  Plato,  Thukydides,  Demosthenes, 
Isokrates,  wo  nämlich  diese  Schriftsteller  gerade  recht  einfache  und 
schlagende  Beispiele  lieferten;  und  wenn  man  erwägt,  dafs  der 
Obertertianer  doch  höchstens  zwei  Bücher  des  Xenophon  gelesen 
hat,  so  ergiebt  sich  die  Thatsache,  dafs  auch  L.  den  eben  in  die 
Klasse  eingetretenen  Untersekundaner  seine  Regeln  vorwiegend 
aus  inhaltlich  unbekannten  Sätzen  abstrahieren  läfst,  ein  Obelstand, 
der  auch  im  Laufe  des  Schuljahres  nicht  wesentlich  abgeschwächt 
wird.  Wenn  nun  ein  Teil  der  Beispiele  zu  rechtem  Verständnisse 
beim  Übertragen  zugleich  in  den  Zusammenhang  gerückt  wird, 
dem  er  entnommen  ist,  ein  anderer  zur  Auffrischung  der  durch 
den  Geschichtsunterricht  oder  durch  die  griechische  oder  latei- 
nische Lektüre  gewonnenen  Kenntnisse  benutzt  wird,  so  wäre 
nach  L.  auch  in  diesem  grammalischen  Kursus  die  innige  Ver- 
bindung der  einzelnen  Teile  des  Unterrichts  erreicht  und,  ob- 
wohl die  grammatische  Fertigkeit  das  nächste  Ziel  ist,  in  dem 
Schüler  selbst  das  Bewufstsein  erhalten,  dafs  er  Grammatik  nur 
um  der  Lektüre  willen  lerne.  Schriftliche  Übersetzungen  in  das 
Griechische  sollen  neben  der  Lektüre  der  griechischen  Beispiel- 
sammlung vorgenommen  werden,  doch  nur  zur  Einübung  solclier 
Regeln,  die  nicht  häufig  genug  in  dem  Schriftsteller  begegnen,  um 


ADgez.  voD  P.  VV  ei  fiten  fei  8.  509 

ohne  eine  solche  GbuDg  sicher  angeeignet  zu  werden.  Zu  dem 
Zwecke  giebt  L.  deutsche,  noch  mehr  aber  lateinische  Einzelsätze, 
die  den  Schuler  nötigen  sollen,  die  Übereinstimmungen  und  noch 
mehr  die  Verschiedenheiten  der  beiden  Sprachen  in  ihren  syn- 
taktischen Mitteln  sich  klar  zu  machen.  Von  gröfseren  lateinischen 
Zusammenhängen  also  absehend,  deren  Übertragung  eine  mit  den 
Lehrplänen  nicht  vereinbare  stilistische  Fertigkeit  voraussetzen 
würde,  benutzt  er  die  Beispiele  seiner  lateinischen  Grammatik, 
die  VOD  ihm  aus  seinen  Lesebüchern  für  Y  und  IV  und  aus  dem 
bellum  gallicum  gesammelt  sind  und  wenn  schon  zur  Zeil  in  der 
lateinischen  Grammatik,  so  noch  viel  mehr  jetzt  in  dem  griechi- 
schen Obungsbuche  mühelos  von  dem  Schüler  verstanden  werden 
könnten.  Gewifs  eine  empfehlenswerte  Übung,  wenn  es  in  den 
früheren  Klassen  gelungen  ist,  Inhalt  und  Form  der  lateinischen 
Sätze  zu  einem  unverlierbaren  Eigentum  der  Schüler  zu  machen ; 
aodemfalls  ist  die  fremdsprachliche  Vorlage  ein  Hemmnis  mehr 
für  die  Übertragung  in  das  Griechische.  Was  den  Umfang  des 
Gebotenen  anbelangt,  so  hat  L.  aus  den  Worten  der  Unterrichts- 
ordnnng,  Grammatik,  Wortschatz  und  schriftliche  Übungen  seien 
lediglich  nach  dem  Lehrziele  eines  gründlichen  Verständnisses 
der  Schriftsteller  zu  bemessen,  auffallender  Weise  den  Schlufs  ge- 
zogen, die  Grenzen  des  Lehrstoffes  seien  zu  erweiteiii:  während 
sich  früher  der  Grammatiker  damit  begnügen  konnte,  die  Haupt- 
regeln zu  lehren,  auf  die  das  Skriptum  zugeschnitten  werden  sollte, 
und  der  Lehrer  von  diesen  wohl  gar  noch  strich,  was  er  dem 
deutschen  Texte  fern  zu  halten  im  Sinne  hatte,  müfsten  jetzt  auch 
Besonderheilen  etwas  eindringlicher  zur  Beachtung  vorgehalten 
werden,  nicht  damit  sie  der  Schüler  lerne,  wohl  aber  damit  sie 
vorkommenden  Falles  in  der  Erinnerung  auftauchten ;  doch  seien 
die  Besonderheiten  einem  Wiederholungskursus  vorzubehalten,  da- 
mit der  Schüler  mit  der  unerläfslichen  Summe  der  Hauptregeln 
für  die  Lektüre  desto  zeiliger  ausgestattet  sei.  —  Da  L.s 
eigentliches  Thema  sich  nur  bis  Hb  erstreckt,  so  will  ich  hier 
abbrechen  und  seine  Gedanken  über  den  grammatischen  Unter- 
ridil  in  den  höheren  Klassen  nicht  weiter  beleuchten,  zumal 
er  jene'  noch  nicht  abgeschlossen  zu  haben  scheint.  Die  Ab- 
grenzung der  Pensen  in  den  älteren  Übungsbüchern  L.s  ent- 
spricht den  neuen  Lehrplänen  nicht  und  hat  gewichtige  Bedenken 
gegen  sich;  das  neue  Übungsbuch  für  Hb,  das  die  älteren  fort- 
führt, kann  als  ein  solches  für  Ha  in  Betracht  kommen.  Der 
Versuch  aber,  die  induktive  Ableitung  der  Formen  wie  der  syn- 
taktischen Regeln  in  den  Grenzen,  in  denen  sie  überhaupt  em- 
pfefalenswert  ist,  konsequent  durchzuführen,  ist  höchst  beachtens- 
wert, da  er  Winke  genug  auch  für  denjenigen  enthält,  der  die 
Pensen  nach  seiner  Instruktion  abteilt. 

Züilichau.  P.  Weifsenfeis. 


510  XeDophons  Aoabasis,  angez.  von  W.  Gemoll. 

XenophoDS  Anabasis.  Auswahl  für  den  Schal^ebraaeh  beraasf^egebeo 
von  HaDS  Wiodel.  Bielefeld  und  Leipzig  1894,  Velhageo  &  KlasiDg. 
Text  279  S.     Kommeotar  161  S.    8. 

Die  vorliegende  Ausgabe  ist  in  der  Sammlung  lateinischer 
und  griediischer  Schulausgaben  von  H.  J.  Möller  und  0.  Jäger  er- 
schienen und  nach  den  für  diese  Sammlung  mafsgebenden  Grund- 
sätzen ausgearbeitet.    Text  und  Kommentar  sind  getrennt. 

Der  Kommentar  soll  die  Mitte  halten  „zwischen  den  vielfach 
zu  ausfuhrlichen  früheren  Bearbeitungen  mit  ihren  grammatischen 
Anhängen  und  den  Präparationen,  weiche  es  dem  Schuler  zu  leicht 
machen''.  Ref.  erkennt  gern  an,  dafs  dieses  Programm  erfüllt 
ist,  und  wünscht,  dafs  viele  Kommentare  dieser  Sammlung  dein 
Windeischen  gleichen  mögen;  dann  wird  es  vielleicht  gelingen, 
die  Obersetzungen,  dieses  heillose  Gift  für  Kopf  und  Herz  unserer 
Jugend,  überflüssig  zu  machen  und  so  zu  verdrängen. 

Hinsichtlich  der  Textkonstitution  müfste  ich  eigentlich 
alles  Lobes  voll  sein ;  denn  der  Verf.  hat  meine  Beiträge  zur  Kritik 
und  Erklärung  von  ü.  An.  sehr  aufmerksam  studiert  und  viele 
von  meinen  Vorschlägen  in  den  Text  gesetzt.  Ich  bin  aber  mit 
dem  angewandten  Prinzip  nicht  recht  einverstanden.  W.  hat  „im 
Anschlufs  an  C  eine  überall  auf  Gründen  beruhende  Eklektik  ein- 
treten lassen'',  wovon  alle,  die  wie  ich  mit  der  Vulgata  und  ihrem 
Prinzip,  einen  glatten,  leicht  lesbaren  Text  herzustellen,  brechen 
wollen  und  von  treustem  Anschlufs  an  Cpr  das  Heil  in  der  Anabasis- 
kritik erwarten,  wenig  erbaut  sein  werden.  So  wird,  um  einige 
Beispiele  anzuführen,  i  1,  2  drißf^  mit  Bisshop  und  Dindorf  ge- 
strichen, doch  nur,  weil  im  selben  Salz  das  Präsens  avaßaivfh 
vorhergeht;  1  1,  5  mit  Weidner  d^a&elg  änsnifAnexo  geschrieben, 
wohl  weil  das  Part.  aor.  logischer  erschien  neben  dem  Imperf.  als 
das  handschriftliche  Part,  praes.  duxrt&eig]  I  2,  9  die  Köchlysche 
Konjektur  lAlyiag  aufgenommen,  die  trotz  ihrer  Gewaltsamkeit  gar 
nichts  hilft  (s.  mein  Programm  1888  S.  9.  10);  I  2,  13  die  un- 
tadelige Lesart  von  Cpr  ivteS&ev  di  ilavvtt  und  1  3,  1  ifAe&pev  o 
zu  Gunsten  der  Vulgata  verschmäht 

In  der  Behandlung  des  Dialekts  zeigt  sich  dasselbe  Be- 
streben, die  Mitte  zu  halten.  In  meinem  Programm  von  1889 
hatte  ich  als  hier  mafsgebende  Faktoren  bezeichnet  die  Inschriften, 
den  Sprachgebrauch  Xenophons  und  der  zeitgenössischen  Schrift- 
steller und  die  guten  Xenophon-Handschriften.  Einige  von  meinen 
dort  S.  4ir.  gewonnenen  Resultaten  hat  W.  aufgenommen,  wie 
I  2,  9  2vQax6(rtog\  aber  wie  wenig  ich  ihn  überzeugt  habe,  mag 
seine  Behandlung  von  &iXfo  und  i&iXta  zeigen.  S.  17.  18  des 
erwähnten  Programms  habe  ich  über  das  Verhältnis  beider  Verba 
in  den  Xenophon-Handschriften  gehandelt  und  zu  beweisen  ge- 
sucht, dafs  wir  kein  Recht  haben,  die  Formen  von  &iiM  zu 
unterdrücken;  W.  geht  noch  über  Hug  hinaus,  er  beschränkt  sie 
mit  Cobet  auf  die  Formeln  iär  d-eog  O^iXji,  iäv  ^eol  d'4X(ac$Vj 


Schmidt  o.  Wensch,  Elemeotarb.  d  g^r.  Spr.,  agz.  v.  G.  Sachse.  5)  1 

alle  andern  Formen  werden  konsequent  durch  die  entsprechenden 
▼on  i^iX(o  ei*setzt. 

Indessen  trotz  mancher  Ausstellungen  trage  ich  kein  Bedenken, 
die  gewissenhafte  Treue  in  der  Prüfung  und  ein  gewisses  Geschick 
in  der  Auswahl  bei  W.s  Tezteskonstitution  anzuerkennen.  Wie 
wenige  Schulausgaben  vertragen  doch  eine  Prüfung  vom  wissen- 
schaftlichen Standpunkt  aus!    Diese  verträgt  sie. 

Betrachten  wir  nun  W.s  Ausgabe  vom  pädagogischen 
Standpunkt,  wie  sie  vor  allem  betrachtet  sein  will.  Hier  verdient 
sie  hohes  Lob.  Durch  Ausscheidung  aller  Nebenpartieen  ist  eine 
Auswahl  getroffen,  die  den  Zusammenhang  des  Ganzen  schärfer 
hervortreten  läfst,  die  ausgelassenen  Kapitel  bezw.  Paragraphen  sind 
durch  Inhaltsangaben  ersetzt,  auch  jedem  Kapitel  des  aufgenom- 
menen Textes  eine  ausführliche  Inhaltsangabe  vorausgeschickt, 
überdies  die  kleineren  Abschnitte  am  Rand  mit  kurzen  Andeutungen 
des  Inhalts  versehen.  Nur  eins  habe  ich  hier  zu  bemerken:  die 
herkömmliche  Paragrapheneinteilung  hätte  nicht  geändert  werden 
sollen,  wenn  Paragraphen  in  der  Mitte  eines  Kapitels  ausgeschieden 
sind;  aber  in  i  c.  10  sind  die  §§  2.  3  weggelassen  und  §  5 ff.  sind 
mit  3  u.  s.  w.  bezeichnet  worden.  Sonst  darf  W.s  Ausgabe  für 
die  Zwecke  der  Schule  durchaus  geeignet  genannt  werden. 

Eine  andere  Frage  freilich  ist  es,  ob  wir  die  Zwecke  der 
Schule  nicht  mehr  mit  unverkürzten  Ausgaben  erreichen  können. 
Stände  es  so,  so  wären  wir  nach  meiner  Meinung  beim  Anfang 
vom  Ende  für  Latein  und  Griechisch,  weil  die  Trennung  der 
Wissenschaft  und  der  Schule  und  damit  der  Ruin  beider  nicht 
lange  anstehen  würde.  Quis  leget  haec  würde  dann  das  Motto 
for  jede  rein  wissenschaftliche  Arbeit  sein,  und  selbst  eine  Arbeit 
wie  die  Windeis,  welche  auch  der  Wissenschaft  neben  ihrem 
Hauptzweck  Rechnung  trägt,  würde  im  Verlauf  der  Bewegung  bald 
als  überflüssiger  Luxus  erscheinen.  Ref.  wünscht  ihr  dagegen 
langes  Gedeihen,  weil  er  derartige  Ausgaben  nicht  als  Nachzügler 
der  abziehenden,  sondern  als  Vortruppen  der  in  die  Schule  wieder 
einziehenden  Wissenschaft  betrachtet. 

Liegnitz.  W.  Gemoll. 

Hermaoo  Schmidt  aad  Wilhelm  Wensch,  filementarbach  der 
^ricchisclieo  Sprache.  Zehote  Auflage  besorgt  voo  Günther. 
Halle  a.  S.  1893,  Bochhandlaog  des  Waisenhauses.  VI  n.  287  S. 
2M. 

Dieses  Buch,  dessen  Vorwort  im  Juni  1887  geschrieben  ist, 
wird  „von  Friedrich  Franke  ein  treifliches  Buch*'  genannt  (S.  VL) 
Ohne  Zweifel  ist  dieses  Urleil  in  der  Auswahl  des  grammatischen 
f^rn-  und  des  ObersetzungsstoiTes  begründet.  Ich  kenne  die 
früheren  Auflagen  dieses  Buches  nicht.  In  Bezug  auf  die  Aus- 
wahl des  grammatischen  Lernstoffes  aus  der  Formenlehre  teile 
ich    diese  Ansicht  im  grofsen  und  ganzen.     Meine  Ausstellungen 


512  Schmidt  o.  Wensch,  Elementorb.  d.  gr.  Spr.,  agz.  r.  G.  Sachse. 

beziehen  sich  auf  die  Anordnung  des  Stoffes.  Ich  kann  die  Be- 
handlung der  Substantiva  conlracta  der  II.  DekUnation  und  der 
altischen  II.  Deklination  in  engem  Anscblufs  an  die  regelmäfsige 
Dekhnation  nicht  billigen.  Bei  den  Verbis  contractis  hätte  sich  für 
die  ersteren  eine  geeignete  Stelle  gefunden.  Dem  Einwände,  dafs  eine 
spätere  Behandlung  dieser  Abweichungen  in  das  Ermessen  des 
Lehrers  gestellt  ist,  begegne  ich  mit  der  Bemerkung,  dafs  diese  ein- 
zelnen Sätze  dem  im  Griechischen  vorgeschrittenen  Schüler  nach 
der  Lektüre  zusammenhängender  Stöcke  kein  Interesse  abgewinnen. 

Mit  Röcksicht  auf  die  beschränkte  Stundenzahl,  die  jetzt  dem 
Griechischen  auf  den  Gymnasien  zur  Verfögung  steht,  hätte  der 
Lesestoff  weit  mehr  beschränkt  und  die  Vokabeln  zweckmäTsiger 
ausgewählt  werden  mössen«  Besonders  in  den  Stöcken  zur 
in.  Deklination  sind  recht  entlegene  Vokabeln  verwendet  worden. 
Ich  nenne  solche:  Rebhuhn,  Cicade,  Habicht,  Wachtel,  Ameise, 
Kuckuck  (§  4  I.  C),  Wiedehopf  (I,  E),  Rössel,  Nöster,  Wiesel.  (II). 
Die  zusammenhängenden  Stöcke  leiden  auch  unter  dem  Ober- 
flufs  an  Vokabeln;  durch  die  Menge  unbekannter  Wörter  wird  dem 
Schöler  der  Genufs  an  der  Lektöre  verbittert.  Das  Buch  enthält 
m.  E.  för  die  1}  Jahre,  in  denen  es  benutzt  werden  darf,  viel  zu  viel 
Übersetzungsstoff.  Hier  kann  noch  viel  mehr  gestrichen  werden, 
nicht  allein  in  den  zuss^mmenhängenden  Stöcken,  sondern  auch  in 
den  Einzelsätzen.  Man  vermifst  wohl  gern  Sätze  wie  S.  14,  Satz 
22  (lil.  Dekl.)     Tm  Kalaagi  ^v  JtoXefiog  nqoq  %6v  Ilofin^ioy. 

Der  syntaktische  Anhang,  den  der  neue  Bearbeiter  beizugeben 
sich  entschlossen  hat,  ist  für  die  Lehre  von  den  Modi  zu  einer 
Grammatik  angewachsen.  Hier  ist  des  Guten  entschieden  zu  viel 
gethan.  Man  lese  nur  §  19  (Modi  in  unabhängigen  ßegehrungs- 
Sätzen),  §§  33—40  (Modi  in  Konditionalsätzen),  §§  41—45  (Modi 
in  Relativsätzen,  wo  für  die  konditionalen  Relativsätze  der  Realis, 
Eventualis,  Potentialis,  Irrealis  und  Iterativ  unterschieden  werden), 
§  46  (Modi  in  Temporalsätzen,  wo  dieselben  fönf  Fälle  behandelt 
werden)  und  die  Regeln  vom  Infinitiv.  Und  das  alles  ist  in  einem 
Elementarbuch  för  den  Anfänger  bestimmt,  der  „gröfseren 
Gewinn  haben  wird,  wenn  er  genötigt  ist,  die  betreffende  Regel 
wieder  und  wieder  nachzuschlagen  und  den  Inhalt  seinem  Ge- 
dächtnis einzuprägen,  als  wenn  er  die  Konstruktion  nur  immer 
mechanisch  abliest'S  „Auf  die  Paragraphen  des  Anhangs  ist 
namentlich  am  Ende  der  deutschen  Stöcke  hingewiesen.'*  (S.  VI.) 
Und  dieses  Hinweisen  beginnt  schon  im  ersten  deutschen  Stöcke. 

Aus  diesen  Grönden  erscheint  mir  diese  neue  Bearbeitung 
nicht  praktisch. 

Die  Ausstattung  des  Buches  ist,  wie  man  es  bei  der  Ver- 
lagsbuchhandlung gewöhnt  ist,  gut.  Von  Druckfehlern  sind  mir 
aufser  den  vom  Verf.  bemerkten  noch  aufgestoisen  S.  1.  ^aact, 
S.  6.  ai  qqdiat  B&(fodo&. 

Hohenstein  in  Ostpr.  Gotthold  Sachse. 


G.  Weidig,  Grieebisehes  Leseb.  f.  Tertia^  agz.  v.  E.  Bacbof.     513 

G.  Weidig,    Grieebisehes   Lesebuch    für   Tertia.      Dresden    1893^ 
L.  ehlermann.    IV  aod  144  S.     1,50  M,  geb.  1,80  M. 

Um  auf  Grund  der  neuen  Lehrpläne  die  Schüler  für  die 
Lektüre  der  Anabasis  vorzubereiten,  übt  der  Verfasser  das  Pensum 
der  Formenlehre  mit  Ausschlufs  der  sogenannten  unregelmäfsigen 
Verba  in  Verbindung  mit  den  hauptsächlichsten  Regeln  der  Ele- 
mentarsyntax teils  an  Einzeteätzen,  teils  an  zusammenhängenden 
Lesestücken  ein.  Die  letzteren  gewinnen  im  Verlaufe  der  Übungen 
mehr  und  mehr  die  Oberhand,  fehlen  aber  auch  den  ersten 
Kapiteln  nicht. 

Zusammenhängende  Stücke  lassen  sich  nicht  geben,  ohne 
dafs  man  in  der*  Lage  ist,  eine  gröfsere  Menge  von  Yerbalformen 
zu  verwenden,  die  im  allgemeinen  bei  dem  systematischen  Gange 
der  Grammatik  erst  nach  der  Behandlung  der  Nomina  durch- 
genommen zu  werden  pflegen.  Es  ist  aber  für  die  Übersicht 
eines  Satzes  ebenso  hemmend  als  ohne  rechten  Gewinn  für  den 
Schuler,  wenn  man  auch  nur  für  die  Mehrzahl  der  verwendeten 
Verbalformen  die  Übersetzung  in  Fufsnoten  angiebt  oder  in 
Klammern  beifügt.  Weit  praktischer  ist  das  Verfahren,  schon 
bei  der  Deklination  eine  Anzahl  der  wichtigsten  Verbalformen 
vorauszunehmen  und- mit  einzuüben.  Da  nun  im  Anfange  möglichst 
einfache  Satzbildungen  in  Anwendung  kommen  sollen,  so  wird 
man  sich  zunächst  auf  das  Präsens  und  Imperfekt  aller  drei 
Genera  verbi  und  auf  das  Futurum  und  den  Aorist  Activi  und 
Medii  der  Vocalia  und  Huta  mit  Ausschlufs  von  Konjunktiv  und 
Optativ  beschränken  können.  Diesen  Weg  hat  auch  der  Verfasser 
eingeschlagen,  nur  dafs  er  den  Imperativ  bei  den  vorläufig  zu 
übenden  Formen  wegläfst,  dafür  aber  Perfekt  Act.  und  Pass.  und 
Aorist  und  Futurum  Pass.  mit  vorwegnimmt.  Dafs  aber  alle 
diese  Formen  schon  auf  S.  5  —  1 9,  ehe  die  dritte  Deklination  zur 
Hälfte  vollendet  ist,  angewandt  werden,  halte  ich  nicht  für  praktisch. 
Denn  gerade  bei  der  Bildung  der  perfektischen  Formen  und  des 
Passivaoristes  giebt  es  eine  Reihe  von  Schwierigkeiten,  die  er- 
fahrungsmäfsig  für  den  Anfänger  nicht  leicht  zu  überwinden 
sind.  Auch  sind  im  allgemeinen  diese  Tempora  für  die  Erzählung 
noch  am  ehesten  zu  entbehren.  Thatsächlich  habe  ich  auch 
in  den  zusammenhängenden  Stücken  der  Abschnitte  XI — XVI 
(Nr.  30—50)  kaum  mehr  als  je  ein  Dutzend  von  den  Formen 
des  Perfekt-  oder  Passivaorist -Stammes  gefunden,  von  denen 
der  grölste  Teil  sich  unschwer  durch  andere  Formen  hätte  er- 
setzen lassen.  Gegen  die  Voraufnahme  der  Imperfekta  i'(pfi  und 
e^X^yj  des  Futurum  ^§a>^  der  Aoriste  elnov^  sXaßov,  ^l&ovj 
evQOTj  sldovj  iyevöfifjVy  ä^txoiMip  u.  ä.  wird  nichts  einzuwenden 
sein;  eher  wird  die  sehr  frühzeitige  Verwendung  aller  Arten  des 
Aagmentes  Bedenken  hervorrufen  können. 

Den  ersten  Abschnitt  „Accentübungen''  halte  ich  für  über- 
flossig;  meines  Erachtens  werden  die  Accentregeln  am  einfachsten 

SSeitMliriA  L  d.  GymnasUlweMii  XLVIII.  7.  8,  33 


514  G.  Weidig,  Griechiscbes  Lesebuch  für  Tertia, 

und  sichersten  mit  und  an  den  einzelnen  Vokabeln  und  Para- 
digmen eingeübt.  Aufserdero  kann  ohne  Kenntnis  der  ersten 
und  zweiten  Deklination  der  richtige  Accent  für  anovdatoij 
Id&fivaioty  Vi%a$y  %(&  xaXw  Ttagnta,  TO$g  xaXotg  xaqnoigj  tfjg 
fiiicgag  ayoqaq^  ayysXoi  u.  ä.  gar  nicht  vom  Schüler  gefunden 
werden,  selbst  wenn  ihm  die  betonte  Silbe  bekannt  gegeben 
wird.  Auch  dafür,  dafs  es  dem  Tertianer  zu  schwer  werden 
möchte,  das  ganze  Paradigma  für  ein  Wort  der  beiden  ersten 
Deklinationen  auf  einmal  zu  lernen,  und  dafs  deswegen  die  Genetive 
und  Dative  immer  erst  hinter  den  übrigen  Kasus  in  besonderen 
Abschnitten  zur  Einübung  gelangen  müssen,  finde  ich  in  meinen 
Erfahrungen  keine  Bestätigung.  Weit  natürlicher  wäre  es  doch 
gewesen,  im  6.  Stücke  nach  den  Nominativausgängen  (47,  a  purum, 
a  impurum)  zu  scheiden. 

Hinsichtlich  der  verwendeten  Formen  und  Wörter  zeigt  der 
Verfasser  das  Bestreben,  eine  dem  Zwecke  seines  Buches  ent- 
sprechende Auswahl  zu  treffen.  Was  minder  wichtig  war,  des 
Zusammenhanges  wegen  aber  nicht  gut  entbehrt  werden  konnte, 
ist  durch  Fufsnoten  angegeben  und  erläutert  worden.  Hier 
findet  sich  auch  eine  Reihe  geschichtlicher  Bemerkungen,  denen 
wohl  die  Absicht  untergelegt  ist,  der  Konzentration  des  Unter- 
richts zu  dienen.  Manches  konnte  freilich  der  vox  viva  des 
Lehrers  überlassen  bleiben;  so  z.  B.  alles,  was  sich  auf  den 
Zusammenhang  bezieht,  oder  Aufforderungen  wie  „Lerne  ovtogl*^ 
„Lerne  das  Personalpronomen*'  oder  die  Frage:  „Wenn  das  Schiff 
200  Mann  Besatzung  hat,  wieviel  Obolen  bekommt  danach  der 
Einzelne  täglich?" 

Auch  die  Auswahl  der  syntaktischen  Regeln  auf  S.  97 — 102, 
auf  welche  sehr  häufig  im  Texte  verwiesen  wird,  ist  zweckmäfsig 
getroffen.  Vielleicht  hätte  R.  20  (Figura  etymologica),  33, 1  (Imperf. 
de  conatu)  fehlen,  die  Rektion  der  R.  23—26  angegebenen  Verben 
nur  im  Vokabelverzeichnis  sich  finden,  R.  3  (Artikel  bei  Personen- 
namen, vgl.  z.  B.  Anfang  von  18  Jfjfjkocd-iv^g  und  \9l^y^(ftXaog) 
und  8  (attributive  Stellung  des  Genetiv)  etwas  genauer  gefafst 
werden  können. 

Der  Inhalt  der  Einzelsätze  ist  nicht  trivial;  die  zusammen* 
hängenden  Lesestücke,  mit  den  durch  die  Umstände  gebotenen  Um- 
änderungen zumeist  griechischen  Historikern  entlehnt,  schliefsen  sich 
an  hervorragende  Persönlichkeiten  oder  Zeitalter  der  persischen  und 
griechischen  Geschichte  an;   ab   und  zu  sind  Fabeln  eingestreut. 

Im  einzelnen  ist  mir  folgendes  aufgefallen:  1  C  10  mufste 
die  Negation  in  t6  ia^  dixatov  durch  eine  Fufsnote  oder  einen 
Verweis  auf  eine  der  Regel  49  zuzufügende  Bemerkung  erläutert 
werden.  1  D  9  und  zuweilen  im  folgenden  ist  dem  Anfänger  die 
prädikative  Wortstellung  (iXev&iQovg  (fvXdTzovai  tovg  tQonovg) 
nicht  ohne  weiteres  verständlich.  Die  Form  iS'sXw  in  5,  13,  14 
ist  zu  vermeiden,  da  nach  Veitch  s.  v.  Id'iXan  die  augmentierten 


angez.  von  E.  Bachof.  515 

Formen  vom  Praes.  i&iloi),  nichl  von  ^iXia  herzuleiten  sind; 
später  (z.  B.  33,  44)  hat  der  Verf.  auch  das  richtige  ijd'sXop 
dafür  eingesetzt.  Die  Stellung  13  C  1  v^g  Rvnqov  v^tfov  statt 
Kvnqov  r^g  viqüov  ist  nach  Krüger  §  50,  7,  A.  3  als  die  unge- 
wöhnlichere zu  bezeirhnen.  Für  reo  v(fT€Q(a  erst  war  16  nicht 
T«  äXXtp  iviavTw  zu  brauchen.  Msranii»,nsx(x^  17  B  10  kann 
nach  der  Anmerkung  nicht  richtig  übersetzt  werden,  da  es  hier 
ebenso  wie  am  Schlufs  von  19  iq>6vBV(S€}f  kausativ  steht.  20  B  11 
wäre  statt  ^AqrsfXifSia  siiov(f((ag  icfvQarevtfato  das  prädikative 
Adjektiv  ixovaa  als  das  regelrechte  vorzuziehen,  ebenso  24  B  14 
statt  zovg  naXdag  7tigA7t€$  Ttatdev&fjaofAivovg  und  32  tovtov 
insikXps  7taid€V&fi<f6fi€vov  der  Infin.  final,  statt  des  dem  lateinischen 
Gernndivum  entsprechenden  Partie.  Futuri,  34,  8  inl  statt  stxciy 
XaXxii  iy  fft^Xfi,  39  Z.  2  ist  der  Ausdruck  xäxst  undeutlich, 
da  das  voraufgehende  TQ€(f6fi€vog  fA€tä  7toi[x4v(ov  doch  kaum 
als  örtliche  Bestimmung  gelten  kann,  41  Z.  7  xarstxsy  ^HgaxX^g 
zu  schreiben,  s.  Z.  10  und  13.  Im  Anfang  von  43  war  avrox&ova 
allein  als  Apposition  zu  KixQona  nicht  zu  verwenden  (so  wenig 
wie  48,  4  nvO-oava  o(f'tv)  und  zum  Verständnis  der  ganzen  wohl 
aus  ApoUodor  entnommenen  Erzählung  die  Zeile  noifjcrafiSyti 
r^g  xaxaX^rpsoag  Kixqona  fiaQvvQa  vor  itpvtsvtSsv  iXalav  nicht 
geradezu  auszulassen.  Aus  dem  Zusammenhange  gerissen  ist  auch 
der  Satz  68,  4  nicht  recht  verständlich;  entweder  wäre  Kvqof 
rm  vfcoriqm  zu  schreiben  gewesen  oder  l/iqva^^q^ji  tm  ßaüiXst. 
In  74  B  könnte  bei  dem  reflexiven  Pronomen  die  Form  d-sqansvoiiev 
lovg  ^(istiqovg  avxuiV  (piXovg,  d'sqantvets  tovg  vfisriqovg 
avzäv  ffiXovg  ohne  Schaden  fehlen.  92  Z.  5  würde  ich  Bvsqys- 
TilxvXav  dem  svfjqyecfjxvtav  vorziehen,  vgl.  93  Z.  7  svsqysr^tr&ai 
und  Kruger  §  28,  Veilch  s.  v.  FvsqYBxico.  Dafs  in  dem  Ab- 
schnitte XXVIII  „Unregelmäfsige  Verba  pura''  auch  alqian  (115 
(tXoVj  120  dvBtXBv),  fiifiyijaxco  (116  fiSfivijtfOy  117  [AVijtfd'sig) 
und  iid-ico  (120  ansfaaavxo)  mit  verwendet  werden,  konnte  in 
der  Oberschrift  angegeben  werden:  in  der  Regel  begegnen  ja 
diese  Formen  erst  bei  den  Verben  der  letzten  Präsensklassen. 
In  126  ist  Z.  5  aus  Herodot  die  jonische  Form  nvqqriv  statt 
nvqqav  aus  Versehen  mit  herübergenommen  worden. 

Für  die  Lesestücke  1 — 51  ist  ein  besonderes  Vokabular  bei- 
gegeben worden,  die  folgenden  Abschnitte  sind  nach  dem  allge- 
meinen alphabetischen  Wörterverzeichnisse  zu  präparieren.  Doch 
finden  sich  noch  besondere  Verzeichnisse  für  die  Verba  pura, 
mnta,  liquida  und  in  /it». 

Deutsche  Sätze  und  Übungsstücke  fehlen. 

Nach  seiner  ganzen  Einrichtung  ist'  das  Buch  neben  einer  der 
gebräuchlichen  griechischen  Schulgrammatiken  ohne  Schwierigkeit 
za  benutzen ;  am  bequemsten  nach  der  von  Franke-  v.  Bamberg. 

Die  Ausstattung  ist  gut,  der  Druck  ziemlich  fehlerfrei. 

Bremen.  E.  Bachof. 

33* 


516  A.  Kircbhoff,  Erdkoode  für  Schnleo, 

A.  Kirchhoff,  Erdkunde  für  Schulen  nach  den  fär  Preafsen  i^ltigeo 
Lehrzielen.  2  Teile.  Halle  1892.  1893,  Buchhandlang  des  Waisen- 
haaaes.  Erster  Teil:  Unterstufe.  VlI  u.  55  S.  gr,  8.  0,60  M.  Zweiter 
Teil:  Mittel  und  Oberstufe.     VII  u.  283  S.  g^r.  8.  geb.  2,25  M. 

Der  Verf.  bat  seine  bekannte  „Schulgeograpbie''  unter  obigem 
Titel  in  zwei  getrennten  Teilen  herausgegeben«  Der  erste  Teil, 
die  Unterstufe,  enthält  die  Pensen  für  Sexta  und  Quinta.  Der 
Verf.  bemerkt  in  der  Vorrede  selbst,  dafs  es  für  die  Sexta,  deren 
Hauptpensum  die  Ueimatskunde  sei,  ein  gedrucktes  Hölfsbuch, 
das  in  verschiedenen  Gegenden  gebraucht  wurde,  naturgemäfs 
nicht  geben  könne.  Dagegen  meint  er,  würde  es  doch  vielleicht 
„für  den  Zweck  der  Wiederholung  dem  Lehrer  erwünscht  sein, 
die  wichtigsten  Grundbegriife,  zu  welchen  die  heimatskundiiche 
Unterweisung  führen  soll,  im  Leitfaden  festgelegt  und  ähnlicli 
verfahren  zu  sehen  hinsichtlich  der  Globuslehre  und  des  Abrisses 
der  Länderkunde,  die  weiterhin  den  Sextakursus  vollenden'^ 

Die  neuen  Lehrpläne  verbieten  die  Benutzung  eines  Leit- 
fadens in  der  Sexta.  Die  Schulen  werden  deshalb  auch  keinen 
einführen,  und  die  Quintaner,  die  sich  den  Leitfaden  anschaffen, 
müssen  den  Teil  für  Sexta  mitkaufen,  ohne  dafs  sie  Nutzen 
davon  haben.  Der  Verf.  hätte  deshalb  diesen  Teil  besser  unge- 
druckt gelassen,  um  so  mehr,  als  er  doch  in  der  Sexta  schon 
seines  Umfanges  wegen  kaum  zu  benutzen  ist.  Denn  der  Teil 
für  diese  Klasse  ist  mit  geringen  Änderungen  ein  Wiederabdruck 
des  Stoffes,  der  früher  für  Sexta  und  Quinta  bestimmt  war.  Das 
Sextapensum  ist  gegen  früher  schon  um  die  Heimatskunde  ver- 
gröfsert.  Anstatt  nun  aber  die  Obersicht  über  die  Länderkunde 
dem  entsprechend  zu  verkürzen,  hat  K.  sie  um  das  ganze  frühere 
Quintapensum  vergröfsert.  Die  Sexta  müfste  demnach  jetzt  be- 
wältigen die  Heimatskunde,  das  frühere  Sextapensum  und  das 
frühere  Quintapensum.  Das  Sextapensum  umfafst  35  Seiten, 
wozu  die  Heimatskunde  kommt,  das  Quintapensum  20  Seiten. 
Also  mehr  als  doppelt  so  viel  wird  dem  Sextaner  zugemutet  als 
dem  Quintaner.  Der  Einwand,  der  Lehrer  brauche  nicht  alles 
lernen  zu  lassen,  ist  nicht  stichhaltig.  Dafs  das  Buch  nur  den 
notwendigen  Lernstoff  enthält,  während  der  Atlas  mehr  bietet, 
ist  der  Hauptgrund,  der  allenfalls  die  Benutzung  eines  Buches 
neben  dem  Atlas  rechtfertigen  könnte.  Wenn  auch  dieser  Vorzug 
wegfällt,  dann  kann  um  so  mehr  das  ganze  Buch  fortfallen. 

Und  was  soll  der  Sextaner  nicht  alles  lernen  1  Neben  den 
fünf  Erdteilen,  der  alten  und  neuen  Welt,  der  östlichen  und 
westlichen  Halbkugel,  soll  er  sich  auch  noch  die  drei  Erdfesten 
oder  Weltinseln  merken  (14),  Namen,  die  er,  wenn  er  nicht 
gerade  Geographie  studiert,  wahrscheinlich  in  seinem  Leben  nicht 
wieder  hören  wird.  —  Und  was  für  Zahlen  soll  der  Knabe  lernen! 
Er  soll  lernen,  wieviel  Quadratkilometer  die  einzelnen  Erdteile 
messen,  wievielmal  Europa  kleiner  oder  gröfser  ist  als  die  übrigen 


•  ogez.  voo  H.  Hecker.  51^7 

Erdteile,  als  die  Westfeste,  als  die  Ostfeste,  als  die  ganze  Länder- 
masse der  Erde.  Er  soll  wissen  die  Einwohnerzabi  der  Erde  und 
der  einzelnen  Erdteile  und  die  Zahl  der  Bewohner  pro  Quadrat- 
kilometer wieder  für  die  Erde  und  die  einzelnen  Erdteile.  Bei 
Australien  wird  er  mit  dem  Namen  des  höchsten  Berges  und  des  Ge- 
birges verschont;  aber  er  soll  lernen,  dafs  der  Berg  2200  m  hoch  ist. 

Auch  aus  anderen  Granden  eignet  sich  das  Buch  für  die 
Sexta  nichL  Da  soll  der  Sextaner  die  Himmelsgegenden  nach 
dem  Mittagsschatten  bestimmen  lernen.  So  macht  es  der  Ge- 
lehrte, der  genau  den  Nordpunkt  etc.  finden  will.  Darum  kann 
es  sich  aber  bei  dem  Unterrichte  in  der  Sexta  nicht  handeln.  Der 
Knabe  soll  hier  nur  lernen,  wie  er  sich  in  einer  ihm  unbekannten 
Gegend  orientieren  kann.  Zu  dem  Zwecke  hat  aber  wohl  noch 
kein  Mensch  nach  dem  Hittagsschatten  gesehen,  sondern  jedermann 
sieht  nach  der  Sonne.  Die  Heimatskunde  geht  deshalb  davon  aus, 
dafs  die  Gegend,  in  der  mittags  die  Sonne  steht,  Süden  heifst  etc. 
Andererseits  aber  genügt  es  nicht,  dafs  der  Sextaner  sich  blofs 
nach  dem  Mittagsschatten  orientieren  lernt.  Wenn  er  immer  erst 
einen  Mittag  abwarten  soll,  an  dem  die  Sonne  scheint,  dann 
nützen  ihm  seine  Kenntnisse  wenig.  Er  mufs  sich  zu  jeder 
Tageszeit  und  bei  jedem  Wetter  orientieren  können.  Anweisungen 
dafür  yermisse  ich  In  dem  Buche. 

Dem  Standpunkt  der  Klasse  entspricht  es  auch  nicht,  wenn 
der  Verf.  dem  Sextaner  von  den  gewöhnlichsten  Begriflen  eine 
Definition  glebt.  So  erklärt  er  Wald  als  „zusammenhängenden 
Baumwuchs''  (9),  das  Gefälle  eines  Flusses  als  „den  Grad  der 
Neigung  seines  Wasserspiegels'%  die  Strömung  als  „die  Fort- 
bewegung seines  Gewässers",  das  Bett  als  „das  Gehäuse  seines 
Rinnsals''  (8),  Völker  als  „durch  nähere  Verwandtschaft  zusam- 
mengehörige Gruppen  von  Menschen"  (9).  Wald,  Volk,  Flulsbett, 
Strömung,  Gefälle  sind  Vorstellungen,  die  den  Knaben  hinlänglich 
klar  sind  oder  doch  durch  Anschauung  leicht  klar  gemacht  werden 
können.  Mehr  braucht  der  Sextaner  nicht.  Diese  Definitionen 
auswendig  zu  lernen  ist  ebenso  schwer  als  nutzlos  für  ihn. 

Zu  wenig  Rücksicht  auf  das  Bedürfnis  des  Unterrichts  wird 
auch  genommen,  wenn  der  Verf.  glaubt  bei  den  Vorbegriffen  eine 
gewisse  Vollständigkeit  anstreben  zu  müssen,  und  sogar  Anwei- 
sungen für  das  Kartenlesen  in  dem  Leitfaden  giebt  (14).  Danach 
soll  der  Sextaner  aus  dem  Buche  lernen,  dafs  die  Böschungen 
der  Bodenerhebung  durch  Strichelung  (Schraffierung),  die  Ort- 
schaften durch  Punkte  oder  Ringel  bezeichnet  werden  etc.  Aus 
dem  Geographiebuche  soll  er  lernen,  dafs  als  Mafsstab  zur  Ausmessung 
der  Länge  uns  das  Meter  und  das  Kilometer  und  zur  Ausmessung  der 
Flächen  das  Quadratkilometer  dient  (6).  Und  das  soll  er  alles  nach 
der  Ansicht  des  Verf.  in  einer  bestimmten  Fassung  auswendig  lernen 
und  hersagen  können  und  später  repetieren!  Wo  so  unterrichtet 
würde,  da  möchte  allerdings  eine  Überbürdung  entstehen. 


518  A.  Kirchhoff,  Erdkaode  für  Schulen, 

Die  Wissenschaft  kennt  neben  den  astronomisdien  auch 
meteorologische  Jahreszeiten.  Der  meteorologische  Frühling  um- 
fafst  die  Monate  März,  April  und  Mai  etc.  Ich  kann  es  aber 
nicht  billigen,  wenn  das  Lehrbuch  den  Sextaner  diese  Jahreszeiten 
und  nicht  jene  lehren  will  (5).  Die  Schüler  lernen  für  das  Leben. 
Darin  beginnen  wir  aber  den  Frühling  mit  dem  21.  und  nicht 
mit  dem  1.  März.  So  hört  es  der  Knabe  zu  Hause,  so  liest  er  es  in 
jedem  Kalender,  er  lernt,  dafs  davon  Ostern  abhängt  etc.  Warum 
soll  sich  die  Schule  damit  in  Widerspruch  setzen  ?  Der  Knabe  soll 
auch  lernen,  dafs  diese  Einteilung  des  Jahres  abhängt  von  dem 
sclieiubaren  Gange  der  Sonne,  den  genau  zu  beobachten  er  an- 
gehalten werden  soll.  Hier  genügt  es  nicht  mit  dem  Buche  zu 
lehren,  dafs  die  Sonne  am  21.  März  und  am  23.  September  im 
Ostpunkt  auf-  und  im  Westpunkt  untergeht  und  dafs  beides  im 
Sommer  weiter  nördlich  und  im  Winter  weiter  südlich  geschieht  (t). 
Und  ebenso  wenig  genügt  für  die  Erklärung  der  Jahreszeiten  der 
Satz:  „die  Sonnenstrahlen  treffen  die  Oberfläche  unserer  nörd- 
lichen Halbkugel  in  deren  sommerlichem  Halbjahr  steiler  als  im 
winterlichen.  Dadurch  entstehen  die  vier  Jahreszeiten^  (tl). 
Danach  würde  es  ihrer  doch  nur  zwei  geben  können. 

Ungenau  ist  die  Angabe,  dafs  die  Bahnen  der  Planeten  un- 
gefähr kreisförmig  seien  (9).  Das  ist  vieldeutig.  Man  kann  sieb 
einen  solchen  Ausdruck  gefallen  lassen,  wenn  das  Wort  Ellipse 
vermieden  werden  soll«  Da  dieses  aber  doch  unmittelbar  darauf 
vorkommt,  so  sehe  ich  nicht  ein,  weshalb  bei  den  Planeten  nicht 
auch  dieser  bestimmte  Ausdruck  gebraucht  wird. 

Man  vermifst  ferner  in  dem  Buche  das  Fortschreiten  vom 
Näheren  zum  Entfernteren,  was  bei  der  Heimatskunde  unerläfslich 
ist.  Das  war  schon  der  Fall  bei  der  Bestimmung  der  Himmels- 
gegenden. Denn  trotz  der  großen  räumlichen  Entfernung  liegt 
doch  als  Vorstellung  die  Sonne  dem  Knaben  näher  als  der  Schatten 
der  Dinge,  der  erst  durch  die  Sonne  entsteht.  —  „Das  Himmels- 
gewölbe'', heifst  es  ferner  S.  2,  „mit  seinen  Gestirnen  scheint  sich 
in  je  24  Stunden  ....  herumzudrehen.  Auch  die  Sonne  nimmt 
an  dieser  scheinbaren  Bewegung  der  übrigen  Gestirne  teil*'.  Die 
Heimatskunde  verfährt  umgekehrt.  Dafs  die  Sonne  sich  dreht, 
das  weifs  der  Sextaner  schon.  Davon  geht  man  aus.  Dafs  die 
übrigen  Gestirne  es  ebenso  machen,  das  lernt  er  erst.  —  Zum 
Beweise  dafür,  dafs  die  Sonne  morgens,  abends  und  im  Winter 
weniger  warm  scheint,  wird  die  Thatsache  angeführt,  dafs  dann 
die  Strahlen  einen  weiteren  Weg  durch  die  Luft  zu  machen  haben 
uod  einen  Teil  ihrer  Wärme  an  diese  abgeben  (4).  Das  kann 
man  dem  Tertianer  durch  eine  Zeichnung  klar  machen,  wie  es 
das  Buch  thut,  dem  Sextaner  aber  schwerlich.  Und  in  der  Hei- 
matskunde findet  das  keine  Bestätigung,  sondern  eher  Widerspruch. 
Denn  dafs  die  Südseite  eines  Dachest  die  JNordseite  eines  Hohl- 
weges wärmer  sind  und  hier  Schnee  und  Reif  rascher  schmelzen 


«ogCK.  voo  H.  Hecker.  5^g 

als  auf  den  anderen  Seiten,  dafs  auf  einer  gewölbten  Strafse  der 
gefrorene  Boden  auf  der  südlichen  Seite  rascher  auftaut  aJs  auf 
der  nördlichen,  das  hat  jeder  Lehrer  Gelegenheit  den  Schulern  zu 
zeigen,  und  sie  sehen  es  nüt  grofser  Freude.  Und  doch  kann 
hier  von  einem  längeren  Wege  der  Sonnenstrahlen  durch  die  Luft 
nicht  die  Rede  sein.  In  einer  Heimatskunde  sollte  deshalb  die 
Thaisache  angeführt  sein,  die  K.  in  einem  späteren  Kursus  an- 
fuhrt, dafs  bei  senkrechter  Richtung  der  Sonnenstrahlen  der 
gleiche  Raum  eine  gröfsere  Menge  Strahlen  empfängt.  Das  läfst 
sich  auch  durch  eine  einfachere  Zeichnung  klar  machen. 

Selbständige  Berechnungen  sind  für  die  Schüler  [mmer  inter- 
essant. Wenn  aber  der  Sextaner  die  Länge  des  Äquators  be~ 
rechnen  soll  und  das  Buch  ihm  dafür  angiebt,  dafs  die  Länge 
eines  Kreises  mehr  als  dreimal  so  grofs  sei  als  sein  Durch- 
messer (10  A.  2),  so  wird  ihm  das  schwerlich  viel  Freude  machen, 
erstens  weil  er  gar  nicht  weifs,  warum  das  so  ist,  und  zweitens, 
weil  er  mit  dieser  Berechnung  auch  nicht  einmal  ein  annähernd 
richtiges  Resultat  erhält.  Dann  verschone  man  ihn  auch  mit  dem 
RechenexempeL  Oder  wenn  er  denn  einmal  rechnen  soll,  so 
lasse  man  ihn  111  mit  360  multiplizieren.  Dabei  bekommt  er 
ein  annähernd  richtiges  Resultat,  er  geht  von  einfachen  Zahlen 
aas,  die  er  immer  behält,  und  er  kann  deshalb  die  Berechnung 
jeder  Zeit  wiederholen,  wenn  er  die  Länge  des  Äquators  ver- 
gessen hat. 

Die  Längen*  und  Breitengrade  werden  wie  in  vielen  anderen 
Büchern  als  Streifen  der  Erdoberfläche  aufgefafst.  Berlin  liegt 
unter  dem  53®  n.  Br.  soll  heifsen:  Berlin  liegt  in  dem  53.  Streifen 
vom  Äquator  (11).  So  sagt  aber  niemand,  sondern  jedermann  sagt, 
Berlin  liegt  527a°  oder  ungefähr  53®n.  Br.,  und  darunter  ver- 
steht man,  es  liegt  52V2°  oder  ungefähr  53X111  l^m  vom  Äquator 
entfernt  Man  lehre  also  den  Knaben  die  Breitengrade  als  ein 
Längenmafs  aufTassen.  Dafs  sie  nicht  alle  genau  gleich  grofs 
sind,  geht  den  Sextaner  noch  nichts  an.  Man  lehre  Jhn  ferner, 
welche  Bedeutung  die  Breite  für  die  Temperatur  und  die  Länge 
für  die  Tageszeiten  hat  —  Dafs  man  mit  Hülfe  des  Gradnetzes 
die  Orte  auf  der  Erdoberfläche  aufsuchte,  das  ist,  wenige  Aus- 
nahmen abgerechnet,  ebenfalls  eine  alte  Täuschung.  Man  kann 
das  zwar,  aber  man  thut  es  nicht.  Denn  wenn  jemand  nicht 
weiTs,  wo  ein  Ort  liegt,  so  giebt  ihm  doch  niemand  die  Lage  nach 
Länge  and  Breite  an.     Auch  kein  Lehrbuch  thut  das. 

Besser  ist  es  um  das  Quintapensum  bestellt.  Dasselbe  ist 
den  neuen  Lehrplänen  entsprechend  neu  bearbeitet.  Wenigstens 
mit  dem  Umfang  des  Stoffes  kann  man  im  allgemeinen  einver- 
standen sein.  An  einzelnen  Stellen  gehen  jedoch  die  Anforde- 
mngen  zu  weit.  Mit  Zahlen  ist  der  Verf.  sparsam  gewesen.  Die 
Höhe  der  Berge  und  die  Einwohnerzahl  der  Städte  sind  selten 
angegeben.     Das  wird  jeder  billigen.     Auch  die  Angabe,  dafs  der 


520  A.  Kirchhoff,  Erdkunde  far  Schalen, 

Main  sich  in  der  Nähe  des  50.  Parallelkreises  hält  (41).  Wenn 
aber  der  Quintaner  auch  lernen  soll,  da£s  Bingen  beim  8.  Meridian 
(40),  Mannheim  ^2^^  ^^^  Karlsruhe  liegt  (41),  dafs  Erfurt  au  der 
Gera  liegt,  wo  deren  n.  gerichtetes  Thal  beim  51.  Parallelkreis 
getroffen  wird  von  der  Strafse,  welche  .  .  .  (46),  dafs  die  Oder 
jenseit  des  53.  Parallelkreises  eine  Kniebiegung  macht  (49),  dafs 
die  Glbe  jenseit  des  52.  Parallelkreises  n.  und  noch  vor  dem  53. 
Parallelkreis  wieder  nw.  (liefst  (49),  dafs  die  Weser  sich  vor 
dem  53.  Parallelkreis  nw.  wendet  (52),  dafs  die  Inselgruppe 
Spitzbergen  vom  80.  Parallelkreis  durchschnitten  wird  und  dafs 
Franz-Josefs-Land  jenseit  des  80.  Parallelkreises  liegt  (28),  so 
scheint  mir  das  etwas  viel  verlangt  za  sein. 

Auch  bei  den  Flössen  könnte  mehr  Mafs  gehalten  sein.  Die 
Rezat,  die  Pegnitc  die  fränkische  Saale  (41),  die  Innerste,  die 
Schwarza,  die  Hase  (45),  die  Itz,  die  Gera,  die  Helme  (46),  die 
Trave  und  die  Warnow  (51)  könnte  man  einem  Quintaner  noch 
erlassen.  Dagegen  vermisse  ich  die  Katzbach  wegen  ihrer  ge- 
schichtlichen Bedeutung,  und  dafs  Liegnitz  an  der  Katzbach  liegt, 
wurde  ich  lieber  lehren,  als  dafs  es  zvnschen  Oder  und  Bober 
liegt  (50).  Dafs  bei  den  genannten  kleinen  Flflrschen  auch  stets 
die  Himmelsrichtung  angegeben  wird,  nach  der  sie  flieüsen,  bei 
dem  Rhein  aber  solche  Angaben  nur  über  die  Strecke  von  Kon- 
stanz bis  Bingen  gemacht  werden,  ist  inkonsequent 

Ein  alter  Zopf  ist  es,  in  den  Lehrbüchern  über  jedem  Para- 
graphen die  geographische  Lage  einzelner  Punkte  genau  anzugeben. 
Der  Verf.  bemerkt  zwar  selbst  in  der  Vorrede,  dafs  diese  An- 
gaben nicht  dazu  bestimmt  seien  auswendig  gelernt  zu  werden. 
Der  Schuler  soll  sie  vielmehr  beim  Kartenzeichnen  benutzen. 
Aber  warum  soll  er  denn,  wenn  er  die  Lage  eines  Ortes  genau 
wissen  will,  nicht  seinen  Atlas  nehmen  und  sie  daraus  ablesen? 
Wenn  er  dann  zeichnen  soll  und  sich  selbständig  oder  unter  der 
Leitung  des  Lehrers  die  Punkte  aufsuchen  mufs,  von  denen  er 
bei  der  Zeichnung  am  besten  ausgeht,  so  ist  das  eine  recht  nütz- 
liche Übung  für  ihn  und  viel  besser,  als  dafs  er  die  Lage  dieser 
Punkte  gedankenlos  aus  dem  Buche  abliest.  Oberhaupt  sind  alle 
Angaben  eines  Leitfadens  zu  tadeln,  die  den  Schüler  von  der  Be- 
nutzung des  Atlasses  abhalten.  Auch  die  Angaben  über  die 
Richtung  der  Flüsse,  über  die  Lage  der  Städte  und  anderer 
Punkte  zu  einander  gehören  deshalb  nicht  in  das  Lehrbuch. 
Denn  nur  nach  der  Karte  kann  der  Schüler  das  behalten,  aber  nicht 
nach  dem  Buche.  Dafs  er  es  doch  darin  lesen  mufs,  ist  eine 
nutzlose  und  überflüssige  Arbeit. 

Auch  sonst  enthält  das  Buch  so  manches,  das  die  Benutzung 
erschwert.  Da  steht  fast  hinter  jedem  Namen  in  Klammern,  wie 
er  ausgesprochen  wird.  Ich  meine,  der  Verf.  könnte  voraussetzen, 
dafs  jeder  Lehrer  so  viel  Französisch,  Englisch  und  auch  Ita- 
lienisch   und    Spanisch    versteht,    dafs    ihm    die  Aussprache   der 


an  gez.  von  H.  Hecker. 


521 


Namen  bekannt  ist.  Wozu  mufs  denn  da  noch  das  Lehrbach  die 
doch  auch  recht  schlechte  Aussprache  wie  mong  bläng  und  ähn- 
liche angeben?  Solche  Angaben  mögen  gemacht  werden  bei 
Namen,  die  erfahrungsmäfsig  häufig  falsch  ausgesprochen  werden, 
wie  Morawa,  Sofia.  Wozu  aber  atön,  kristiäoia  (31),  madrid  (30), 
trieest  (33)  oder  gar  trt-er  (für  Trier  44),  was  zudem  unrichtig 
ist?  Wozu  mufs  ferner  in  einer  Anmerkung  von  drei  Zeilen  er- 
klärt werden,  was  Konstantinopel  heifst  (30)  ?  Was  sollen  ferner 
in  einem  Schulbuche  Bemerkungen  wie  folgende:  „Hauptstadt 
pflegt  man  diejenige  Stadt  zu  nennen,  welche  der  Sitz  der  Re- 
gierung ist*'  (19,  A.  1);  „Residenz  ist  die  Stadt,  in  welcher  ein 
Forst  residiert,  d.  h.  seinen  Wohnsitz  hat'*  (27,  A.  1);  „die  Summe 
der  Bewohner  eines  Erdraumes  heifst  seine  Volksmenge'*  (15). 
Was  soll  bei  Kriegshafen  die  Bemerkung  „d.  h.  Hafen  für  unsere 
Kriegsflotte"?  Warum  setzt  der  Verf.  zu  Frankfurt  a.  M.  und 
ähnlichen  Namen  Anmerkungen  wie:  „d.  h.  am  Main,  so  zube- 
nannt im  Gegensatz  zu  Frankfurt  a.  0.  d.  h.  an  der  Oder**?  Wozu 
ist  der  Lehrer  in  der  Schule? 

Nicht  billigen  kann  ich  in  dem  Quintapensum  die  Einteilung 
des  Stofles.  Alpen  und  Alpenvorland,  suddeutsches  Mittelgebirgs- 
bnd,  rheinisches  Schiefergebirge  etc.  Bilden  je  einen  Abschnitt, 
und  in  jedem  Abschnitt  schliefst  sich  an  die  Darstellung  der 
Bodenerhebung  diejenige  der  Gewässer  und  der  politischen  Geo- 
graphie an.  Dadurch  werden  Flösse,  Länder  und  Provinzen  in 
höchst  unvorteilhafter  Weise  auseinander  gerissen.  So  erfahren 
wir  vom  Rhein  S.  29,  clafs  er  durch  den  Bodensee  zur  Nordsee 
Oiefst,  dann  S.  32,  dafs  seine  Quellen  in  den  Schweizer  Alpen 
liegen,  S.  35,  dafs  Rotterdam  an  seiner  Hauptmundung  liegt,  S.  36, 
da&  er  in  die  Nordsee  mändet,  S.  40  wird  der  Lauf  von  Kon- 
stanz bis  Bingen  beschrieben,  und  S.  42  wird  gesagt,  dafs  er  von 
Bingen  auf  die  Kölner  Tieflandsbucht  zufliefst.  So  die  ßeschrei- 
bong  des  Rheines.  Die  Provinz  Westfalen  ist  in  drei  Teile  zer- 
rissen, die  an  drei  verschiedenen  Stellen  zur  Darstellung  kommen, 
beim  rheinischen  Schiefergebirge  (46),  beim  Wesergebirge  (46) 
und  beim  westlichen  Tief  lande  (52).  Andere  Punkte  sind  unvoll- 
ständig. Von  Braunschweig  wird  ein  Anteil  am  westlichen  Tief- 
lande genannt  (53)  und  aufserdem  gesagt,  dafs  der  Harz  im 
W.  Braunschweig  sei  (46).  Weshalb  bleibt  es  beim  Wesergebirge 
unerwähnt?  Die  beiden  Reufs,  die  beiden  Lippe  und  Waldeck 
werden  überhaupt  nicht  genannt  Wenn  auch  die  beiden  Schwarz- 
burg ungenannt  blieben,  dann  läge  wenigstens  Konsequenz  darin. 
Oder  was  haben  die  vor  den  anderen  Fürstentumern  voraus?  Ein 
deutscher  Knabe  soll  aber  alle  Staaten  des  deutschen  Reiches 
kennen.  Jedenfalls  ist  es  wichtiger,  dafs  er  die  einzelnen  Staaten 
überhaupt  lernt,  als  dafs  er  sich  bei  anderen  die  Teile  und  Teil- 
chen merkt,  aus  denen  sie  bestehen.  —  Ich  würde  es  deshalb 
für  praktischer  halten,  erst  die  physikalische  Geographie  von  ganz 


522  A.  Kirchhoff,  Brdkande  far  Schuleo, 

Deutschland  oder  Mitteleuropa  durchzuDebmen.  Bei  der  politischen 
Geographie,  die  sich  daran  schlösse,  fände  sich  dann  zugleich 
Gelegenheit,  die  physikalische  zu  repetieren. 

Als  Atlas  empfiehlt  K.  in  der  Vorrede  denjenigen  von  Debes. 
Von  den  oben  genannten  kleinen  Fiiifschen  stehen  aber  die 
Innerste,  die  Schwarza  und  die  Itz  nicht  in  diesem  Atlas.  Sie 
sollten  also  um  so  mehr  im  Buche  fehlen.  In  demselt)en  Atlas 
zeigt  die  physikalische  Karte  von  Europa  sehr  deutlich,  wie  um 
das  Hochgebirge  der  Alpen  drei  andere  Gebirge  gelagert  sind. 
Unser  Leitfaden  aber  nennt  neben  den  Alpen  nur  die  Karpateo 
(28  f.).  Warum  bleiben  das  deutsche  und  das  französische  Mittel- 
gebirge ungenannt?  Sind  die  Karpaten  etwa  wichtiger  für  einen 
deutschen  Knaben,  weil  sie  etwas  höher  sind?  Und  wie  soll  der 
Schüler  die  Karte  verstehen  lernen,  wenn  von  drei  Dingen, 
zwischen  denen  er  im  Atlas  kaum  einen  Unterschied  merkt,  BucJi 
und  Unterricht  ihm  eins  als  wichtig  und  zwei  als  unwichtig  be- 
zeichnen? 

Der  Verf.  ist  zu  der  Umarbeitung  seines  Leitfadens  durch  die 
neuen  preufsischen  Lehrpläne  veranlafst  worden.  Diese  Lehrpläne 
verlangen  aber,  dafs  jede  Unterrichtsstunde  zugleich  eine  deutsche 
Stunde  sei.  Der  Lehrer  soll  sich  bemühen,  stets  ein  richtiges 
und  gutes  Deutsch  zu  sprechen.  Wenn  aber  die  Lehrpläne  diese 
Forderung  schon  an  das  gesprochene  Wort  des  Lehrers  stellen, 
so  ist  klar,  dafs  dieselbe  Forderung  noch  viel  mehr  an  die  Lehr- 
bücher gestellt  werden  mufs.  Denn  die  Worte  des  Lehrers  behält 
der  Schüler  doch  nur  selten  in  der  Form,  in  der  sie  ausgesprochen 
werden,  den  Inhalt  des  Lehrbuches  aber  prägen  sich  viele  in  der 
Form  ein,  in  der  das  Lehrbuch  ihn  giebt  Wenn  die  Verfasser 
von  Überselzungsbüchern  zuweilen  holpriges  Deutsch  schreiben, 
um  die  Übersetzung  zu  erleichtern,  so  tadelt  man  das  jetzt  all- 
gemein. Aber  sie  haben  doch  wenigstens  einen  Grund  dazu  ge- 
habt. Dafs  aber  ein  geographisches  Lehrbuch  in  mangelhaftem 
Deutsdi  geschrieben  ist,  dafür  giebt  es  keinen  Grund  und  keine 
Entschuldigung.  Die  Sprache  in  den  Kirchhoffschen  Lehrbüchern 
ist  auch  früher  schon  getadelt  worden.  Der  Verf.  behauptet  auch 
bei  jeder  neuen  Ausgabe,  dafs  er  bemüht  gewesen  sei,  formell  an 
dem  Buche  zu  bessern.  Aber  viel  ist  dabei  nicht  herausgekommen; 
die  Sprache  giebt  auch  in  dem  neuen  Leitfaden  zu  den  viel- 
fältigsten Ausstellungen  Anlafs. 

„Den  Süden  ist  reich  an  Wald^^  (22)  ist  ein  Druckfehler, 
aber  ein  recht  unangenehmer;  ebenso:  die  Leine,  welche  in  die 
Aller  fliefst,  einem  Nebenflufs  der  Weser  (35).  Unrichtig  aber 
ist:  Europa  hat  in  seiner  Nordhälfte  die  gröfsten  Seeen :  Zwischen 
dem  finnischen  Busen  und  dem  weifsen  Meer  der  Ladogasee  etc* 
(29).  Zu  tadeln  sind  Genetive  wie  des  Atlas  (Einleitung),  des 
Rhein  (32  und  35),  des  Inn  (33),  des  Neckar  (41),  des  heutigen 
Baden  (41)»    des   Islam  (26).     Es    liegt    kein  Grund    vor,    diese 


aogez.  voQ  H.  Becker.  523 

Wörter  wie  PersoDennamen  zu  behandeln.  Solche  Bildungen  ge- 
hören in  das  Kapitel  der  Sprachverwilderung.  Der  Verf.  scheint 
früher  auf  solche  Dinge  kein  Gewicht  gelegt  zu  haben.  Noch  in 
der  letzten  Ausgabe  der  „Schulgeographie*^  steht  auf  ein  und  der- 
selben halben  Seite  zweimal  des  Po  und  zweimal  des  Pos  (Ulf.). 
Jetzt  scheint  er  das  s  überall  abgestofsen  zu  haben.  Unrichtig 
ist  auch :  mit  lang  e  m  straffe  n  Haar  (18).  Latinismen  und 
Gallicismen  sind :  die  Meeresenge  des  Kanals  (28),  der  kleine 
Meerbusen  der  Süder-See  (28).  Nach  deutschem  Sprachgebrauch 
wäre  das  ein  Teil  der  Süder- See,  nicht  diese  selbst.  Latinismen 
sind  auch:  der  Taunus  und  die  ihm  vorliegende  Ebene  (43); 
diesem  Kreis  ist  zug-efügt  Regensburg  (39);  ferner  Genetive 
qualitatis:  ein  Land  uralter  Bildung  (27),  Hochflächen  schiefrigen 
Gesteins  (34),  Kämme  hoher  Kalkfelsen  (38).  Gräcismen  sind: 
der  Aralsee  Turans  (25),  der  Lorenzbusen  des  atlantischen 
Ozeans  (18)  und  die  Südseeinseln  des  grofsen  Ozeans  (16). 
Danach  müCste  es  auch  noch  andere  Südseeinseln  und  noch  einen 
anderen  Lorenzbusen  geben. 

Eine  sehr  unvorteilhafte  Eigentümlichkeit,  der  Sprache  ist  das 
Fehlen  des  Artikels.  Der  Verf.  spricht  von  einem  Sextakursus  in 
Erdkunde  (Einleitung).  Ähnlich  sind:  die  Verbindungsengen  von 
ochotzkischem  und  japanischem  Heer  (25);  die  pyrenäische  Halb- 
insel zwischen  mittelländischem  Meer  und  atlantischem  Ozean; 
zwischen  Ostsee  und  atlantischem  Ozean  (28) ;  Sylt  mit  besuchtem 
Seebad  (52);  zwischen  Bodensee  und  Einmündung  des  Inn  (33); 
das  Fichtelgebirge  ist  ohne  Weinbau  wegen  rauhen  Klimas  (39). 
Fast  durchgängig  fehlt  der  Artikel  wie  im  Französischen  bei  der 
Apposition:  das  sächsische  Bergland,  Absenkung  des  Erzgebirges 
(34);  München,  wichtigste  Bierbraustadt,  besuchteste  Universität 
Süddeutschlands  (40);  Bombay,  gröfster  Ausfuhrhafen  (27);  Barce- 
lona, grofse  Seestadt  (30)  u.s.w. 

Auch  im  Gebrauch  der  Präpositionen  hat  der  Verf.  Eigen- 
tümlichkeiten, die  nicht  nachahmenswert  sind  und  deshalb  Schü- 
lern nicht  vorgelegt  werden  sollten.  Er  spricht  von  einer  Be- 
nutzung des  Atlasses  seitens  der  Schüler  (Einleitung)  statt  durch 
die  Schuler;  er  will  zur  Seite  des  Leitfadens,  statt  neben  d.  L., 
den  Atlas  verwenden  lassen  (Einleitung);  er  sagt:  Schlesien,  das 
Oderland  zur  Seite  der  Sudeten  (50);  zur  Seite  des  König- 
reichs Preufsen  liegen  Oldenburg,  Bremen,  Hamburg  etc.  (38); 
behufs  Anlehnung  (Einleitung)  statt  um  anzulehnen;  die  Rhein- 
provinz ist  zufolge,  statt  infolge,  der  Kohlenschätze  industrie- 
reich (53);  Schlesien,  nächst  der  Rheinprovinz  die  bevölkertste 
durch  Bodenfruchtbarkeit  statt  infolge  (50).  Er  kennt  auch  eine 
Präposition  beiderseits:  beiderseits  der  Oder  (51);  ähnlich  S.  34 
„beiderseits*'  im  Gegensatz  zu:  auf  dem  r.  und  1.  Rheinufer.  Für 
das  ,9gegen''  von  der  Richtung  schreibt  er  stets  das  verkürzte 
„geu'S  für  das  „nach*'  von  der  Reihenfolge    fast   stets  „nächst": 


524  A.  Kirchhoff,  Erdknnde  für  Schulen, 

Hamburg,  die  gröbte  Stadt  nächst  Berlin  (35  vgl.  50),  Schlesien, 
nächst  der  Rheinprovinz  die  bevölkertste  (50).  Er  spricht  von 
QuellflQssen  für  einen  Flufs  (8),  sagt:  die  Niederlande,  unter- 
halb des  Meeresspiegels  (35),  und:  oberhalb  der  Thäler  hört 
allmählich  der  Feldbau  auf  (39). 

In  der  Anwendung  der  Pronomina  finden  sich  nicht  nur  Un- 
beholfenheiten, sondern  auch  geradezu  Fehler.  SoS.15:  sonst  durfte 
Europa  nicht  der  zweite  Erdteil  von  oben,  sondern  e  r,  statt  es, 
mufste  der  zweite  von  unten  sein;  den  Punkt,  welchen  die  Kuppe 
des  Quecksilbers...  erreicht...  nennen  wir  Frostpunkt,  denjenigen, 
welchen  dasselbe,  statt  dieselbe,  erreicht  (5).  Eine  besondere 
Vorliebe  hat  der  Verf.  für  das  Demonstrativum  dessen,  deren.  Er 
schreibt:  die  grofsen  Antillen,  deren  gröfste  Cuba  bildet . .  .  den 
Rest  der  Besitzungen  Spaniens  (19),  wo  man  einen  Relativsatz  zu 
haben  glaubt,  dann  aber  durch  die  Stellung  des  Verbums  gestört 
wird.  Er  schreibt  ferner:  die  Sonnenstrahlen  treffen  die  Erd- 
Oberfläche  unserer  nördlichen  Erdhälfte  in  deren  sommerlicheai 
Halbjahr  (11);  wir  erhalten  die  Wärme  von  der  Sonne  durch 
deren  Strahlen  (4);  auf  einer  Hochebene  der  Anden  unfern  von 
deren  gröfster  Verbreiterung  (20);  in  der  Umgebung  des  Guinea- 
busens (Niederguineaküste  in  dessen  0.,  Oberguineaküste  in 
dessen  N.)  (23);  weil  in  jedem  Kreise  der  Umfang  mehr  als 
dreimal  so  grofs  ist  als  dessen  Durchmesser  (10,  A.  2).  AUe 
diese  Vi^endungen  sind  steif.  Ebenso:  der  Mond  der  Erde  ist 
der  ihr  nächste  Weltkörper  (13).  Unklar  ist:  „Ebenso  er- 
scheint eine  Fensterscheibe,  wenn  wir  quer  durch  sie  hindurch- 
schauen, farblos,  grünlich  dagegen,  wenn  wir  durch  eine  gröfsere 
Masse  derselben  hindurchschauen ,  z.  B.  ein  Bruchstück  derselben 
vom  Rand  aus  betrachten*'  (5,  A.2). 

Ebensowenig  wird  die  Sprache  verschönert  durch  die  Vorliebe 
des  Verf.  für  Substantivierungen  und  Zusammensetzungen.  Statt 
„der  nötige  Stoff'  sagt  er  das  Nötige  an  Stoff,  statt  in  diesem 
Buche  —  im  Vorliegenden  (Einleitung),  statt  das  dargestellte 
Land  —  das  Dargestellte  (14),  statt  die  dichteste  Bevölkerung 
—  der  höchste  Grad  der  Volksdichte  (30).  Teils  unge- 
bräuchlich und  durchweg  unschön  sind  folgende  Ausdrücke:  Unter- 
und  Mittelstufenatlas,  Unterrichtsweisungen  (Einleitung),  Schnee- 
schmelzwasser (7),  sommerliches  und  winterliches  Halbjahr  (11), 
die  Aufsenteile  der  Erde  (13),  Seefahrervölker  (19),  Seehandels- 
stadt (53),  Seeseiten  (28),  Erdhalbkugel  (21,  24),  HerzgesUlt  (21), 
Nierengestait  (22),  Innenwinkel  des  Guineabusens  (23),  Wüsten- 
umgebung (23  Ägypten,  inmitten  der  W.),  Kaiserstaat  (27),  Bier- 
braustadt (40),  Westlauf'  des  Rhein  (40),  Sperrfestung  des 
deutschen  Hoselthals  (42),  Einschlufsgebirge  (42),  Freistadtgebiet 
(43),  Gebirgsfreiheit  (49  von  gebirgsfrei),  Weichsel  Wasserscheide, 
Verkehrsmitte  (50),  Handels-  und  Festungsstadt  (51).  Kein 
Schriftdeutsch  ist  „mitten  inne''  (14). 


a  D gez.  von  H.  Heck  er.  525 

Die  Vermischung  mehrerer  Phrasen,  gegen  die  man  in  den 
deutschen  Aufsätzen  so  viel  zu  kämpfen  hat,  sollte  in  Buchern, 
Tor  allem  in  Schulbuchern  nicht  vorkommen.  K.  schreibt  aber: 
die  Alpen  nähern  sich  immer  dichter  dem  r.  Donau- Ufer  (33). 
Richtig  ist:  sie  nähern  sich  immer  mehr,  und:  sie  treten  immer 
dichter  heran.  Ferner:  erwünscht  für  den  Zweck  der 
Wiederholung  (Einleitung);  richtig:  für  die  Wiederholung,  und: 
zum  Zweck  der  Wiederholung.  Bingen,  am  Eintritt  des  Rhein 
nach  Norddeutschland  (42).  Es  giebt  nur  einen  Eintritt  in 
eine  Sache.  Ähnlich  ist :  w.  vom  £  i  n  tritt  der  Isar  aus  Tirol 
(39).  Unrichtig  ist  auch,  dafs  ein  Meerbusen  geringer  (21) 
oder  schwächer  (16)  in  ein  Land  einschneidet;  un- 
richtig ferner:  wir  messen  die  Wärme  nach  der  Aus- 
dehnung des  Quecksilbers  im  Thermometer  (5).  Richtig 
ist:  Wir  messen  die  W.  mit  dem  Thermometer  und  wir 
bestimmen  die  W.  nach  der  Ausdehnung  etc.  Afrika 
dehnt  sich  fast  gleich  weit  auf  der  nördlichen  wie  auf  der 
südlichen  Halbkugel  aus  (21) ;  richtig :  gleich  weit  auf  der  n. 
und  8.  H.;  und:  ebensoweit  auf  der  n.  wie  auf  der  s.  H. 

Noch  häufiger  sind  unrichtige  Beziehungen  und  die  Ver- 
wechslung verwandter  Ausdrücke.  K.  läfst  die  Schüler  den  Atlas 
verwenden  statt  gebrauchen  oder  benutzen  (Einleitung).  Er 
schreibt  erscheinen  statt  scheinen.  (Das  Weltall  erscheint 
uns  in  24  St.  zu  umkreisen  II),  behindern  statt  hindern  (52), 
erfüllen  statt  füllen  oder  ausfüllen  (die  Sahara  erfüllt  den 
N.  Afrikas  22,  ähnlich  23  und  28),  verstatten  (veraltet)  statt 
gestatten  (8),  Einmündung  statt  Mündung  (53),  herein  statt 
hinein  (45),  befassen  statt  umfassen  (41),  Australien  wird 
bevölkert  statt  bewohnt  (16),  der  Nil  entspinnt  sich  statt 
entsteht  (22),  die  Kanäle  vereinigen  das  Oder-  und  Weser- 
gebiet statt  verbinden  (49),  diesem  Kreis  ist  auch  zugefügt 
Regensburg,  statt:  zu  diesem  Kreise  gehört  (39),  Iran  besteht  aus 
dem  Königreich  Persien  etc.  statt  zerfallt  in  (26),  die  Völker 
Europas  gehören  ihrer  Sprache  nach  zu  drei  Gruppen  statt 
zerfallen  in  (30),  die  Engländer  haben  den  Baumwollenbau  stark 
erweitert  (27),  von  Regensburg  reicht  die  SchifiTfahrt  auf  der 
Donau  bis  ins  schwarze  Meer  (39)  und  wörtlich:  „Landkarten 
stellen  die  Erdoberfläche  oder  Teile  derselben  sinnbildlich 
dar  .  .  .  der  obere  Kartenrand  ist  stets  der  nördliche  des  Karten- 
bildes*'(14).  Ist  eine  Landkarte  ein  Sinnbild?  Und  das  Karten- 
bild soll  das  Land  sein!  Die  Zeichnung  im  Atlas  ist  das  Karten- 
bild,  nicht  aber  ein  Teil  der  Erdoberfläche.  Der  obere  Rand  des 
Kartenbildes  ist  also  der  nördliche  Rand  des  dargestellten  Landes. 
K.  schreibt  ferner  Hauptort  der  Wollweberei  statt  Hauptsitz  (50), 
Haoptnutzen  für  den  Handelsverkehr  statt  für  den  Handel  (17), 
Freistadtgebiet  von  Frankfurt  statt  Gebiet  der  freien 
Stadt  Frankfurt  (43),   das   östliche  Tiefland  Norddeutsch- 


526  A.  Kirclihoff,  Brdkaode  far  Schulen, 

lands  slalt  der  östliche  Teil  des  norddeutschen  Tieflandes  (48), 
der  beinahe  salzigste  aller  Seen (25),  die  beinahe  innerste 
ISische  des  Guineabusens  (22)  statt  beinahe  der  salzigste  etc., 
Posen  nahe  der  Mitte  der  Provinz  (50)  statt  beinahe  in  der  Mitte, 
Washington  nahe  der  Mitte  der  Ostküste  (19),  die  Bevölkernng 
ist  ähnlich  zahlreich  (48),  das  süddeutsche  Mittelgebirgsland 
ist  fast  ohne  Ausnahme,  statt  fast  ganz,  Rheingebiet  (40), 
das  rhein.  Schiefergebirge  gehört  .  . .  fast  allein  zum  Königr. 
Preufsen,  statt  liegt  fast  ganz  im  Königr.  Preufsen  (43),  China, 
die  Gunst  des  Sommermonsuns  bestens  ausnutzend  (27)  statt 
aufs  beste.  Mont  heifst  im  Französischen  Berg,  blanc  veifs 
(29,  ähnlich  19,  20,  21,  22,  25,  27,  28).  Es  heifst  vielmehr  im 
Deutschen  Berg  und  im  Französischen  mont. 

Derselbe  Mangel  an  Genauigkeit  zeigt  sich  in  manchen  Defi- 
nitionen. „Die  Linie  heifist  Gesichtskreis,  weil  sie  diejenige  Kreis- 
fläche umschliefst,  über  welche  hinaus  wir  die  ErdoberiSäche  nicht 
sehen  können**  (1,  A.  1)  erinnert  an  lucus  a  non  lucendo.  Ähn- 
lich ist:  „der  Punkt  des  Thermometers,  welchen  die  Kuppe  des 
Quecksilbers  beim  Schmelzen  des  Eises  erreicht,  nennen  wir 
Frostpunkt*' (7).  Einem  Sextaner  würde  der  Ausdruck  verständ- 
licher sein,  wenn  es  hiefse:  wo  das  Wasser  anfängt  zu  frieren 
oder  etwas  dergl.  „Provinzen  werden  die  Hauptteile  eines  Staates 
genannt,  welche  eigene  Verwaltung  haben**  (32,  A.  3).  Der  Relativ- 
satz trägt  zur  Erklärung  nichts  bei;  denn  Regierungsbezirke, 
Kreise,  Städte  haben  auch  ihre  eigene  Verwaltung.  Und  was  soll 
sich  ein  Knabe  in  diesem  Alter  unter  eigener  Verwaltung  denken? 
Endlich  heifsen  auch  die  Hauptteile  eines  Staates  keineswegs 
immer  so,  sondern  nur  in  Preufsen  und  in  einigen  wenigen 
anderen  Staaten.  Anderswo  heifsen  sie  wieder  anders,  und  bei 
Bayern  sieht  sich  der  Verf.  zu  der  widersinnigen  Bemerkung  ge- 
nötigt: „In  Bayern  heifsen  die  Provinzen  Kreise**  (39,  A.  4). 
„Nationen  nennt  man  die  machtvolleren  Völker,  namentlich  die 
staatlich  mächtigen**  (30,  A.  2).  Danach  müfste  es  auch  eine 
österreichische,  aber  keine  polnische  Nation  geben.  —  „Im  Sommer 
sind  die  Tage  wärmer  als  im  Winter**  (4).  Und  die  Nächte  etwa 
nicht?  Absolute  Höhe  wird  als  Höhe  schlechthin,  relative  Höhe 
als  rückbezügliche  Höhe  erklärt  (6).  Diese  deutschen  Ausdrucke 
sind  dem  Sextaner  ebenso  unklar  wie  die  lateinischen.  I^elaliv 
kann  man  aber  doch  auch  hier  nicht  wie  beim  Pronomen  mit 
rückbezüglich  übersetzen ;  es  heifst  vergleichsweise.  „Durch  nähere 
Verwandtschaft  zusammengehörige  Gruppen  von  Menschen  nennt 
man  Völker**  (9).  Also  ein  Volk  soll  eine  Gruppe  von  Menschen 
sein,  und  nicht  blofs  nahe,  sondern  näher  sollen  sie  alle  verwandt 
sein.  „Ihrer  Verfassung  nach  sind  die  Staaten  entweder  Re- 
publiken (Freistaaten)  oder  Monarchieen  (von  einem  FürsteiT  re- 
giert)'* (9).  Was  soll  sich  denn  der  Sextaner  unter  einem  Frei- 
staat denken?  Und  geniefsen  denn  die  Menschen  in  einer  Republik 


angez.  voo  H.  Hecker.  527 

wirklich  mehr  Freiheit  als  in  einer  Monarchie?  Diese  Auffassung 
war  im  Alterlum  berechtigt,  heute  aber  nicht  mehr,  und  man 
sollte  sie  deshalb  endlich  aus  den  Büchern  weglassen. 

Auch  am  Satzbau  ist  viel  auszusetzen.  Da  erscheint  zunächst 
die  bekannte  unrichtige  Fortsetzung  des  Relativsatzes.  „Der  Rhein 
fliefst  gen  N.  bis  Mainz,  wo  er  sich  w.  wendet  und  Bingen  beim 
8.  Meridian  erreicht^'  (40).  Noch  schlimmer  ist,  dafs  der  Verf. 
überhaupt  keine  Sätze  bildet,  sondern  seine  Sprache  in  Partizipien 
oder  auch  ganz  ohne  Verben  einherschreiten  lälst.  So  heifst  es 
S.  41:  „Grofsherzoglum  Baden,  das  Rheinknie  mit  dem  Schwarz- 
wald befassend,  über  den  untern  Neckar  bis  ans  Mainviereck 
reichend'^  „China,  durch  fleifeige  Bodenbestellung  die  Gunst  des 
Sommermonsuns  bestens  ausnutzend,  daher  .  .  .  das  volkreichste 
I^nd  der  Welt,  uns  Thee  und  Seide  liefernd''  (27).  „Esel  und 
Maultier  als  geschickte  Bergbesteiger  zum  Reiten  und  Lasttragen 
benutzt''  (29).  „Als  unentbehrliches  Lasttier  das  einhöckerige 
Kamel  in  die  Sahara  eingeführt.  Aufserhalb  der  Wüste  der  Löwe, 
der  afrikanische  Elefant,  das  Nashorn,  in  den  Savanen  Giraffen 
und  Antilopen"  (22).  Es  wird  vielfach  geglaubt,  durch  eine  solche 
Schreibart  sollte  Raum  gespart  werden.  Das  geschieht  auch  zu- 
weilen. Aber  dadurch  wird  die  Schreibart,  namentlich  in  einem 
Schulbuche,  nicht  gerechtfertigt.  Oft  aber  sind  die  Participia  auch 
länger  als  die  Verba  finita,  und  die  Hauptsache  bleibt,  dafs  es 
leichter  ist  einen  Haufen  Holz  und  Steine  auf  einander  zu  fahren 
als  ein  Haus  zu  bauen.  Wir  schreiben  so,  wenn  wir  uns  rasch 
Notizen  machen  und  uns  die  Mühe  und  Zeit  nicht  nehmen,  voll- 
ständige Sätze  zu  bilden.  Wo  sich  die  Konstruktionen  leicht  er- 
geben, hat  auch  unser  Leitfaden  regelrechte  Sätze.  Wenigstens 
kann  ich  keinen  anderen  Grund  finden,  weshalb  nach  dem  oben 
angeführten  Satze  über  China  Korea  die  Ehre  hat  in  korrektem 
Deutsch  vorgeführt  zu  werden.  Durchaus  verwerflich  sind  folgende 
Sätze:  „Mit  der  Nordsee  verbunden  um  die  jütische  Halbinsel 
herum  (durch  Skager-Rack  und  Kattegat)  sowie  durch  die  Gruppe 
der  dänischen  Inseln  hindurch  (mittels  der  Meerengen  Sund, 
grofser  und  kleiner  Belt)  die  Ostsee"  (28).  „Neapel,  die  gröfste 
Hafenstadt  Italiens,  mit  noch  massenhafterem  Schiffsverkehr 
Genua  am  nördlichsten  Punkte  der  Westhälfle  des  mitteil.  Meeres" 
(31).  „Sein  Rumpf  bildet  ein  rechtwinkliges  Dreieck  m  i  t  dem 
Seheitel  seines  rechten  Winkels  an  der  Nordküste  des  kaspischen 
Meeres*'  (28).  „In  die  Nordsee  fliefsen  Ems,  Weser  und  Elbe, 
die  ersteren  Deutschland  allein  angehörig,  die  Elbe  aus  Böhmen 
in  unser  Land  übertretend"  (36).  „Es,  sc.  Deutschland,  ist  der 
drittgröfste  Staat  Europas,  nämlich  an  Gröfse  nur  übertroiTen 
von  Österreich-Ungarn  und  Rufsland"  (36).  Hier  wäre  doch  auch 
kürzer:  Gröfser  sind  nur  ö.  und  R.  „Trier,  eine  sehr  alte  Stadt, 
in  welcher  schon  römische  Kaiser  einst  residierten  und  nachmals 
ein  mächtiger  Fürstbischof  seinen  Sitz  hatte"  (44). 


528     A.  Kirchhoff,  Erdkände  foir  Scholeo,  aogez.  von  H.  Heck  er. 

Die  schlesische  Direktorenversammlung  vom  Jahre  1891  hal 
die  These  angenommeD:  „Die  Schule  hat  bei  der  EinföhruDg  von 
Lehr-  und  Hulfsbuchern  .  .  .  solche  Bücher  fernzuhalten,  welche 
sich  dem  Bedürfnis  gröfserer  Sprachreinheit  offenbar  verschliefsen/* 
Die  anderen  Eigenschaften  der  Sprache  verdienen  aber  eine  ebenso 
sorgfaltige  Pflege  wie  die  Reinheit  derselben.  Das  Kirchhoffsche 
Buch  ist  an  vielen  Schulen  eingeführt  und  wird  auch  eingeführt 
bleiben.  Der  Verf.  würde  daher  den  Schulen  einen  grofsen  Dienst 
erweisen,  wenn  er  bei  einer  neuen  Auflage  das  Buch  einer  gründ- 
lichen Überarbeitung  unterzöge. 

Der  zweite  Teil  enthält  die  Mittel-  und  Oberatufe.  Die  Mittel- 
stufe ist  den  neuen  Lehrplänen  entsprechend  gegen  früher  ver- 
mehrt um  einen  Abschnitt  über  die  Schutzgebiete  des  deutschen 
Reiches  und  einen  solchen  über  die  wichtigsten  Verkehrsstrafsen. 
Aufserdem  ist  ein  Abschnitt  über  die  „Territorialentwicklung  des 
Königreichs  Preufsen**  hinzugefügt,  der  im  Geschichtsunterricht 
benutzt  werden  kann.  Die  Oberstufe  ist  durch  einen  Abschnitt 
über  Kartenentwürfe  bereichert.  Dafs  das  Buch  den  Fortschritten 
der  Wissenschaft  entsprechend  verbessert  ist,  wo  das  nötig  war, 
dafür  bürgt  der  Name  des  Verfassers. 

Auch  die  Gruppierung  des  Stoffes  ist  den  neuen  Lehrplänen 
entsprechend  geändert.  Weshalb  aber  vor  dem  U III  -  Pensum 
ebenso  wie  früher  vor  dem  IV -Pensum  ein  Abschnitt  „Vorläufiges 
aus  der  aligemeinen  Erdkunde**  steht,  sehe  ich  nicht  ein.  Die 
Zerlegung  Deutschlands  in  kleine  Abschnitte,  wie  wir  sie  oben 
beim  V  -  Pensum  besprochen  haben,  könnte  man  sich  an  und  für 
sich  auf  dieser  Stufe,  wo  das  Land  nicht  zum  ersten  Mal  durch- 
genommen, sondern  wiederholt  wird,  eher  gefallen  lassen.  Da 
aber  die.  Lehrpläne  die  Repetition  der  politischen  Erdkunde 
Deutschlands  der  Ulli,  diejenige  der  physischen  dagegen  der  Olli 
zuweisen,  eine  vollständige  Trennung  der  beiden  Teile  also  ge- 
boten ist,  so  mufs  die  Benutzung  des  Buches  hier  recht  unbe- 
quem sein. 

In  der  mathematischen  Geographie  will  der  Verf.  dem  Schüler 
erst  die  ganze  Weit  mit  ihren  Millionen  Sternen,  der  Milchstrafse 
und  den  Fixsternlinsen  vorstellen  und  ihn  dann  über  die  Sonne, 
die  Planeten,  den  Mond  zur  Erde  führen.  Das  ist  veraltet  und 
der  umgekehrte  Weg  unstreitig  besser.  Der  Schüler  mufs  zuerst 
die  Erde  und  ihr  Verhältnis  zur  Sonne  und  zum  Monde  klar  auf- 
fassen lernen.  Alles  andere  ist  dagegen  unwichtig,  wird  ihm  aber 
leicht,  wenn  er  jenes  verstanden  hat. 

An  einzelnen  Stellen  ist  der  zweite  Teil  auch  sprachlich  in 
erfreulicher  Weise  verbessert.  Die  Darstellung  Italiens  z.  B.  ist 
gründlich  überarbeitet  und  gut.  Leider  beschränkt  sich  diese 
Besserung  auf  wenige  Abschnitte.  Auch  die  Niederlande  sind  neu 
bearbeitet,  sprachlich  aber  viel  weniger  gut  als  sie  früher  waren. 
Bei  weitem,  das  meiste  ist  geblieben,    bei  Frankreich  z.  B.  ist  so 


H.Sehotteo,  Meth.  d.  plaDimetr.  Uo  terr.,  ngz.  v.  M.Simon.     529 

gut  wie  nichts  geändert  und  bei  den  drei  Städten  Lothringens 
Verdun,  Nancy  und  Toul  sogar  der  Zusatz  gemacht:  „beides 
starke  Festungen^'  (52).  Es  wäre  also  wünschenswert,  dafs  bei 
einer  neuen  Auflage  das  ganze  Buch  eine  Überarbeitung  erführe, 
wie  sie  jetzt  bei  Italien  vorgenommen  worden  ist. 

Karlsruhe.  Hermann  Hecker. 


H.  Schotten,  Inhalt  and  Methode  des  planimetrischen  Unter- 
richts. Eine  vergleichende  Planimetrie.  Leipzig,  B.  G.  Teubner. 
Band  I  (1890)  370  S.  6  M,  Band  II  (1893)  410  S.  8  M. 

Über  den  ersten  Band  hat  Ref.  eingehend  in  der  Deutschen 
Litteraturzeitung  1890  Nr.  49  berichtet.     Verf.  beginnt  mit  einer 
Studie  über  die  Reforrobestrebungen  auf  dem  Gebiete  des  plani- 
metrischen Unterrichts,    aus    weicher    besonders    die    Stelle  S.  4 
über  den  Zusammenhang  des  mathemalischen  und  deutschen  Un- 
terrichts Beachtung  verdient.   Dann  folgt  Kap.  I  Der  Raum.   Verf. 
bemerkt  ausdrücklich,  dafs  nach. seiner  Ansicht  der  Raum  selbst 
im    Unterricht    ohne    Erklärung    bleibt.      Kap.  II  Die  Geometrie. 
Kap.  in  Die  Raumgebilde:  Körper,  Fläche,  Linie,  Punkt.   Kap.  fV 
Die  Ebene.     Kap.  V  Die  Gerade.     Im  zweiten  Band   sind  die  Ci- 
täte,    was   ihre  Brauchbarkeit  wesentlich  erhöht,    nach  der  Zeit- 
folge geordnet.   Bolzano  hat  ausgiebige  Beachtung  gefunden,  doch 
hätte  Verf.  Gelegenheit  nehmen  sollen,  Band  1  zu  ergänzen  und 
Arbeiten  wie  die  des  Herrn  Schur  zu  berücksichtigen,  sowie  vor 
allem  den  Begriff  „Dimension*'  zu  erörtern.   „Von  der  ursprüng- 
lichen Absicht,    im    zweiten  Bande  auch  auf   die   grundlegenden 
metaphysischen  Fragen  einzugehen,  sowie  eine  ausführliche  Dar- 
stellung der  Metageometrie    zu  geben,    hat  Verf.  aus  praktischen 
Gründen  Abstand  genommen*^     Ref.  bedauert  dies  aufserordent- 
lich;  es  giebt  auch  für  den  Schulunterricht  keine  wichtigere  Ent- 
scheidung als  die,  ob  wir  die  Geometrie  noch  mit  Kant  als  reine 
Wissenschaft  a  priori    ansehen    wollen,    oder    ob   wir    mit  allen 
Hochschulmathemalikern  von  Gaufs  bis  Killing  der  Erfahrung  den 
ihr    gebührenden  Anteil    retten  wollen.     Ein  Werk  wie    das    des 
Herrn  Schotten  durfte  an  dieser  Entscheidung  nicht  vorbeigehen. 
Wohl  bat  Verf.  im  Kap.  III  diese  Fragen  gestreift,  weil  er  sie  bei 
der  Parallelentheorie  streifen  mufste,  aber  ihnen  gebührte  eigent- 
lich schon  im  Bd.  1  ausgiebiger  Raum,  sie  haben  ein  brennendes 
Interesse;   auf  der  Versammlung  zu  Halle  1891    galt    ihnen    die 
Hälfte  der  Vorträge  der  Sektion  1,    und  Verf.  konnte   dafür  das 
ganze  Kap.  IV  von  S.  333 — 393  ruhig  fortlassen,  das,  wenn  über- 
haupt,   in  Bd.  3    zur  Methode  gehört.     Ref.  will  hier  gleich  eine 
Bemerkung  machen.   Zwischen  Bd.  1  und  Bd.  2  liegen  drei  Jahre 
Lehrthätigkeit  des  Verf.s;    die  Versuchung   lag  nahe,    mit  seinen 
eigenen  Ansichten  und  seiner  besonderen  Lehrmethode  mehr  her- 
vorzutreten, als  es  der  Plan  einer  vergleichenden  Übersicht 
gestattete,   und  Verf.  ist  ihr  erlegen.     Kap.  I  Richtung  und  Ab* 

2«tiie]ir.  f.  d.  OjmnaaialweMB  ZLTin.    7.    8-  34 


530     H.  Schotten,  Meth.  d  planimetr.  Ünterr.,   agz.  v.  M.  SimoD. 

stand  —  Lage  und  Mafsantersuchungen.  $  1  Richtung,  hier  weifs 
Ref.  sich  in  fast  völliger  Übereinstimmung  mit  dem  Verf.  und 
verweist  auf  die  Festschrift  von  Kummer  1891;  desgl.  für  §2: 
Abstand.  Verf.  weist  auf  einen  Übelstand  der  Felix  Kleinschen 
Deiinition  hin,  den  Study  schon  beseitigt  hat;  §3  Lage  und 
Mafsuntersuchungen;  hier  gilt  das  für  Kap.  IV  Gesagte,  er  gehört 
nicht  hierher,  sondern  eventuell  zur  Methode.  Kap.  il  Der  Winkel. 
Verf.  de6niert  ihn,  wie  schon  früher  in  der'  HoiTmannschen  Zeit- 
schrift Bd.  XX,  als  das  Hafs  der  Drehung.  Dies  ist  zwar  wesent- 
lich besser  als  die  völlig  verfehlte  Deiinition  des  Winkels  als 
Gröfse  der  Drehung  oder  gar  als  Drehung  selber,  aber  Ref.  mufs 
den  Einwand,  welchen  Verf.  (S.  114  und  115  unten)  abdruckt, 
voll  und  ganz  aufrecht  halten.  Der  Winkel,  wie  alle  Grundbe- 
griffe der  Geometrie,  Mechanik  und  InGnitesimalrechnung,  ist  ein 
GrenzbegrifT  in  dem  Sinne,  welchem  Ref.  seit  1883  etwa  immer 
wieder  Ausdruck  gegeben  hat  (man  vgl.  den  Artikel:  „GrenzbegrifT' 
im  Supplementband  der  4.  Auflage  des  Meyerschen  Konversations- 
lexikons), und  zwar  ist  er  Grenze  des  Sektors  bei  über  jedes  Hafs 
wachsendem  Radius.  Diese  Erklärung  hat  auch  den  Vorzug,  den 
Winkel  im  Werden  aus  der  Anschauung  für  die  Anschauung  zu 
erzeugen,  sie  ist  von  der  Bewegung  unabhängig,  wie  sie  mufs, 
denn  der  Raum  ist  unbeweglich.  Kap.  fll  Die  Lehre  vom  Paralle- 
lismus. Verf.  definiert  zwei  Raumgebilde  als  parallel,  wenn  je 
zwei  gegenseitige  Nachbarpunkte  konstanten  Abstand  von  einander 
haben.  Ref.  würde  die  in  der  Fufsnote  gegebene  einfachere  Er- 
klärung von  Magnus  vorziehen.  Was  Verf.  gegen  die  ebenso  be- 
queme als  unklare  Methode,  den  Paralielismus  als  Gleichheit  der 
Richtung  zu  definieren,  sagt,  unterschreibt  Ref.  von  A  bis  Z ;  der 
Verf.  ist  dafür  seitens  eines  Universitätsprofessors  der  „Ignoranz" 
beschuldigt  worden.  Der  betreffende  Herr  hat  ein  Lehrbuch  der 
Elemente  verfafst,  welches  an  einer  einzigen  Anstalt  eingeführt  ist 
und  in  welchem  u.  a.  der  Winkel  als  Gröfse  der  Drehung,  Parallele  als 
Gerade  gleicher  Richtung  definiert  und  damit  das  Parallelenaxiom, 
hundert  Jahre  nach  Gaufs,  bewiesen  wird.  Und  dieser  Herr  wagt 
es,  einem  Manne,  der  wie  Herr  Schotten  unter  schwierigen  Um- 
ständen (vgl.  Note  zu  S.  184)  ein  ungeheueres  Material  mit  be- 
wunderungswürdigem Fleifse  verarbeitet  hat,  um  ein  Werk  zu 
schaffen,  das  der  Lehrerschaft  zu  dauerndem  Nutzen  gereicht, 
einen  solchen  Vorwurf  entgegenzuschleudern !  Das  Material,  wel- 
ches Verf.  für  Kap.  UI  beibringt,  ist  sehr  reich;  ich  möchte  ihn 
auf  den  1.  Jahresbericht  der  Deutschen  Mathematiker- Vereinigung, 
sowie  auf  den  Artikel  Parallelenaxiom  im  erwähnten  Supplement- 
band aufmerksam  mächen.  Verf.  erwähnt  in  zwei  Fufsnoten  die 
Arbeit  von  Lambert  im  Leipziger  Magazin  für  reine  und  ange- 
wandte Mathematik  von  1786.  Danach  ist  das  vom  Verf.  dem 
Ref.  zugeschriebene  Postulat  eines  einzigen  Rechtecks  für  die 
Existenz  unserer  Geometrie   eigentlich  an  Lambert  zu  verweisen, 


r 


R  Koeh,  D.  Entw.  d.  Jujeodsp.  io  Dfutschl,  «(fi.  V.O.  Kohl.     53t 

j.m  auch  die  Priorität  för  den  Zusammenhang  des  Parallelcn- 
:„m.  mit  dem  Satz  Ober  die  Winkelsumme  vom  DreieA  vor 
SeeTdrc  «ndT^batschowsky  gebührt,  ja,  zum  Teil  für  die  Hypo- 
üT««  von  der  Endlichkeit  des  Raumes;  es  ist  auch  fast  gewifs 
i.r!  raiifs  der  «ut  mit  Hindenburg  bekannt  war,  diese  Arbeit 
«kaont  hat.  Wenn .  was  Ref.  noch  nicht  konstatieren  konnte, 
die  Arbeit  Lamberts  mit  der  des  Jesuiten  Saccherius  von  1733 
abereiostimmt,  so  ist  der  Ursprung  der  Nicht  -  Eukhdischen  Geo- 

-J^tl  von  1792  auf   1733    zurückzudatieren.     Den  strikten  Be-  . 
«r^von  der  ünbeweisbarkeit  des  Axiom  11    hat   in   demselben 
sfone?  welchen  Verf.  für  Herrn  Felix  Klein  in  Anspruch  nimmt 
«hon    Johann   Bolyai   in    der  Appendix   gegeben.     Über  Kap.  IV 
hat  Ref.  »ich  schon  ausgesprochen. 

Eine  Bemerkung  in  der  Vorrede  zu  Bd.  2  veranlafst  den  Ref.. 

h     f.inmal    die    Unentbehrlichkeit    des  Werkes    für   die 

D^ki:»thpk  des  Lehrers  und  der  Lehrer  zu  betonen.  Die  Kenntnis 
S*  oSsfcsarbeU  auf  dem  Gebiete  der  Grundbegrille  ist  für  den 
Lehrer  die  wichtigste  von  allen,  wäre  sie  verbreiteter  blieben 
9$  Prozent  aller  „Elemente"  ungedruckt,  und  es  ist  hohe  Zeit, 
die  Prüfungsordnungen  so  umzuformen,  dafs  au  diese  Kenntnis 
wie  Oberhaupt  auf  die  der  historischen  Entwickelung  das  gebüh- 
rende Gewicht  gelegt  wird. 

_^     -.L,,__  Max  Simon. 

Strafsburg. 

«     .^      k     ni«  Rntwick«lao>  de»  Jagendspiele»  in  Deatsebland. 
*•  '*"H.n'.ovir-fü-e.  1893.  mLz  &  L.nje.    SOS.   8.   0.60  M. 

Der  unermüdliche  Braunschweiger  Vorkämpfer  für  Fufs- 
K.n  Kricket  und  Kaiserball,  K.  Koch,  hat  seinen  auf  derNurn- 
bereeV  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Arzte  (Septbr. 
isas^  gehaltenen  Vortrag  inzwischen  auch  im  Druck  erscheinen 
lassen  auf  Veranlassung  des  „Centralausschusses  zur  Förderung 
der  Jugend-  und  Volksspiele  in  Deutechland".   Der  Vortrag  gipfelt 

in  folsenden  Leitsätzen:  

1     Durch  Einrichtung  von  Schulspielen  soll  der  Jugend  An- 
weisung   und  Anregung   zu    kräfüger  Leibesbewegung  im  Freien 

gegeben  ^^^^J^'^^^y    j^r  Jugend  Zeit  und  Möglichkeit   verschafft 
werden,  möglichst  täglich  Spiele  in  freier  Luft  zu  treiben. 

3  Den  Sudtgemeinden  liegt  es  ob,  ausreichende  geeignete 
Plätze'  für  die  Spiele  in  SUnd  zu  setzen  und  zu  unterhalten. 

4  Es  ist  zu  erstreben,  dafs  neben  der  Jugend  auch  die  Er- 
wachsenen ihre  Erholung  wieder  im  Freien  zu  suchen  sich  ge- 
wöhnen.^ diesen  Leitsätzen  hat  ja  der  erste  an  allen  preufsischen 
höhiiren  Lehranstalten  dank  dem  energischen  Eingreifen  des  Kul- 
tasministcriums   seine  Verwirklichung  erfahren,   zum  Teil   aller- 

34* 


•*  t  ■*      •* 


532     R.  Koch,  Die  Eotwickelnog  d.  Jagead spiele«  in  Dentschl,, 

dings  in  bescheidenem  Mafse,  weil  die  in  3.  besprochene  Beschaffung 
von  ausreichenden  geeigneten  Plätzen  nicht  überall  zur  That- 
sache  geworden  ist.  Was  den  2.  Satz  betrifft,  so  wird  man  das 
Turnen  doch  nicht  ganz  hinter  die  Spiele  zurückstellen  wollen, 
wie  Koch  thut,  wohl  aber  das  Turnen  so  bald  als  möglich  aus 
den  Turnhallen  ins  Freie  verlegen,  andererseits  aber  auch  darauf 
dringen,  dafs  schon  in  mittelgrofsen  Städten  mehr  als  eine  Turn- 
halle zur  Verfügung  steht,  damit  nicht  wie  in  Essen  in  einer 
einzigen  Turnhalle  von  morgens  bis  spät  abends  mit  Ausschlufs 
der  Mittagszeit  alle  Stunden  besetzt  sind  und  manche  Klassen 
gezwungen  werden,  sogar  Samstags  auf  ihren  freien  Nachmittag 
zu  verzichten,  um  gegen  Abend  Turnunterricht  zu  erhallen;  so 
stark  benutzte  Turnballen  bieten  für  Lungen  und  Augen  nicht  weniger 
Gefahr,  als  Vorleil  für  die  Muskeln.  Auch  Ballhäuser  könnte  man  sich 
wieder  wünschen,  wie  sie  z.  T.  noch  in  diesem  Jahrhundert  in 
Gebrauch  waren,  oder  wenigstens  als  Mahnung  an  eine  gute  Sitte 
dastanden. 

Von  den  Begründungen  der  Leitsätze,  namentlich  dem  ge- 
sundheitlichen Einflufs  der  frischen  Luft  und  der  Entwickelang 
des  Willens  und  der  Selbstzucht,  ist  vieles  auch  von  anderen 
gesagt,  zuletzt  ausführlich  auf  dem  diesjährigen  ersten  deutschen 
Kongrefs  für  Jugend-  und  Volksspiele  in  Berlin  (3.  und  4.  Febr.) 
durchgesprochen  worden. 

Eine  besondere  Empfehlung  erfährt  der  Fufsbali,  wie  ja 
auch  schon  jetzt  die  illustrierte  Zeitung  für  athletische  Sports 
und  volkslümliche  Jugendspiele  in  Stuttgart  unter  dem  Namen 
„Der  Fufsbali'  erscheint.  Allerdings  stimmen  meine  Erfahrungen 
nicht  zu  denen  Kochs,  dafs  bei  der  englischen  Art  dieses  Spieles 
nicht  leicht  Roheiten,  bezw.  leidenschaftliches  und  rücksichtsloses 
Treten  oder  Stofsen  und  bedenklichere  Verletzungen  (Brüchen. s.w.) 
unterliefen,  und  ich  kann  den  Kollegen  nur  Recht  geben,  welche 
in  der  Zeitschrift  für  Turnen  und  Jugendspiel  das  Greifen  des 
Balles  mit  den  Händen,  während  er  am  Boden  liegt  oder  hinfliegt, 
mifsbilligen ,  wie  es  am  hiesigen  Gymnasium  unsere  TurnspieU 
kommission  schon  im  vorigen  Jahre  beseitigt  hat. 

Besonders  interessant  und  vielen  neu  ist  aber  Kochs  Hin- 
,  weis  darauf,  dafs  der  Fufsbali  wie  auch  andere  Spiele  nicht  erst 
von  den  Engländern  zu  uns,  sondern  früher  von  uns  oder  über- 
haupt vom  Kontinent  aus  nach  England,  vorher  aber  nach  Deutsch- 
land und  Frankreich  von  Italien,  bezw.  dahin  wieder  von  Grie- 
chenland eingeführt  worden  sind.  Nach  Mahaffys  Buch  über  die  alte 
griechische  Erziehung  (London  1881)  und  Scainos  Trattäto  del 
giuco  della  Palla  (Vinegia  1555)  hebt  Koch  die  Ähnlichkeit  unseres 
Fufsballs  mit  dem  'EnlaxvQoq  des  PoUux,  dem  ^A^natstov  und 
dem  von  Galen  gerühmten  Spiel  mit  dem  kleinen  Ball  hervor. 
Die  Stelle  bei  Pollux  IX,  103  lautet:  ^H  di  tijg  dipaiqaq  naid&d 
oyofiaTa    sl%hv   iniaxvqog,    (pa^vivda,    &n6qQaiig,    oiqcnfiun 


aogez.  voD  0.  Kohl.  533 

Kai  1/  fAiy  iniaxvqoq  %a\  itptjßtx^  xal  inixoivoq  inixXfiv 
iX€i'  Ttai^srat  6i  xavd  nX^d-og  diatsxavvwv  Xaoav  nqoq 
l(fovg,  eha  fiifft^y  ygafi/A^v  Xaxvnfi  sXxvadvxdov j  ^v  dxvqov 
xaXov(fiVj  i^'  ^y  xaxa^ivTsg  r^v  atpatqav  sxiqag  dvo  xat- 
onip  yga^fidg  kxaviqaq  %rjq  Tci^ecog  xazayQdipavxsq  vniq  tovg 
hiQovg  ol  nqoavaXoiASVOh  ^intovt^iv ,  olg  eqyov  ^v  ijudga^a- 
(S&ai  %s  T^g  (Sffaiqag  ifsqQ^kivrig  xal  ävttßaXstVj  itag  dv  ol 
h(qo&  Tovg  ktiqovg  inl  Tfjp  xarontv  yqafAfifjv  änfafScoytat, 

Da  hier  aber  gerade  nichts  vom  Treten  des  Balles  gesagt 
wird,  so  Onde  ich  darin  nicht,  wie  Koch,  den  Fufsball,  bezw.  das 
aqnaifrov  (Monatsschr.  f.  Turnw.  1891,  202),  sondern  ein  unserem 
Schien  der  ball  entsprechendes  Spiel,  zumal  im  Gegensatz  zu 
dem  hierbei  gebrauchten  Ball,  jedenfalls  dem  grofsen,  mit  Luft 
aufgetriebenen  FoUis  (A.  Rieh,  111.  Wörterbuch),  Pollux  beim 
nächsten  Spiel  gerade  vom  kleinen  Ball  spricht. 

Was  Pollux  an  zweiter  Stelle  beschreibt,  ist  nach  seiner  eige- 
nen Meinung  das  dqna(Xt6vj  das  Railspiel  mit  dem  kleinen  Ball,  dem 
Galen  sein  Schriftchen  gewidmet  hat.  ^Hds  0aivipda  tXqtjzat  ^  and 
0atviydov  xov  nqcoTtog  svqovxog  ij  and  zov  (pevaxl^eiy j  on 
hiqu)  Tiqoöei^ayTsg  hiqta  ^imovdiVj  i^anaTiovreg  %6v  oto- 
fisyop'  clxd^otto  d*  dv  elvat>  ^tö)  dhd  zov  fiixqov  Cifa^qiov,  o 
ix  Tov  dqnd^sip  wyofjbaatat.  Galens  Schrift  Ilfql  zov  dtd  z^g  afii- 
xqag  (Sq^aiqag  yvfAyaaiov  empfiehlt  dieses  Spiel  wegen  der  leichten 
BeschafTlichkeit  des  Werkzeugs  und  der  leichten  Übung  im  Gegen- 
satz zur  Jagd  besonders,  wegen  der  wechselnden  Inanspruchnahme 
aller  möglichen  Körperteile,  wegen  der  Erheiterung  des  Gemütes, 
wegen  der  Vorbereitung  zu  Gewandtheit  und  Schlauheit  im  Kriegs- 
dienst, wegen  der  Beförderung  einer  mäfsigen  Körperfülle  im  Gegen- 
satze zum  Ringen  einerseits  und  zum  Dauerlauf  andererseits  und 
endlich  wegen  seiner  Gefahrlosigkeit. 

Die  Stelle,  welche  die  dabei  entstehende  Thätigkeit  des  Kör- 
pers, leider  nicht  das  Spiel  selbst  beschreibt,  lautet:  'Oz^  di  xal 
noXvaqxiCzaxoy  zdoy  dXXcoy  yv(Ayaai(ay y  dod*  dv  [laX^aza  f^d- 
&Oig,  fi  axixf)aio  xa&'  ixaazoy  avzfay,  ozy  zs  dvyazai  xal 
oloy  z$  zrjy  <pv(fty  idziy.  evqijoe^g  ydq  ij  atpoöqoy  ^  (jtaXaxoy 
f  td  xcezao  ftdXXoy  ^  zd  dyta  xiyovy  fj  fjiiqog  zk  nqo  zäy 
äXktöy  otoy  6(S(fvy  (Hüfte)  ^  xs(faXfiy  rj  xstqag  ij  S^dqaxa, 
Ttdyza  d^  i^  l(fov  zd  fAiqf^  zov  acifjbazog  xiyovy  xal  övydfjkeyoy 
ini  z€  z6  (f(podq6zazoy  dydyst^&ak  xal  inl  zd  ^aXaxdzazoy 
vifUcd-ai  tiüy  fjbiy  dXXaay  ovöiv,  zovzo  di  fxoyoy  z6  öid  z^g 
Cik&xqäg  Cifaiqag  yv^yd^ioy^  o^vzazoy  iy  p,iq€t  xal  ßqadvzazoy 
ysyofieyoyj  if<podq6zaz6y  zs  xal  nqqozazoy ^  wg  dy  avzog  zs 
ßovXti&^g  xal  z6  cda^ka  q)aiyrjzai  ösofisyoy.  Ovcco  di  xal  zd 
Ikiofi  xkysty  fAiy  icz^y  avzov  ndyd'^  Ofjbov,  sl  zovzo  avfifpiqsiy 
d6g£$svj  szh  ds  nqo  äXXfay  dXXa^  sl  xai  zovzo  nozs  do^stsy. 
'Ozay  fjtiy  ydq  ifvyKJzd[Asyoi>  nqog  dXXijXovg  xal  dnoxoaXvoyzsg 
vfpaqndcai  zoy  fjbsza^v  ötanoyfaa^j   fiiy^azoy  avzo  xal  <ryo- 


534     K.Koch,  Die  £atwickelaof^  d.  Jugeadspieles  iu  Deutschl.i 

dqozaiov  xad'ictazai  noXXotg  ^ih  tQaxfl^KfjJbOtg,  noiXaXg  6^ 
ävt^XriiDstSh  naXaiCT^xatg  äyafAefjuyfiivoVj  wüts  %e(faX^v  fiiv 
xal  avxiva  diaTtoveta&ai  totg  TQaxijXiOfiotg ,  nlevQag  öi 
xal  d-üigaxa  xal  ya^ftiga  %aXg  %6  xäv  äfjbfjkdrwy  nsqi- 
x)-ea€ai  xal  änaüeCt  xal  änoartigi^eat  xal  ratg  äXXa^Q 
naXatanxaXg  Xaßatg.  ^Ev  tovTta  6i  xal  oCffvg  tsivBza^  a<podq&g 
xal  axiXii,  xal  ydg  ovv  xal  edQaiotdxijg  deX  xi^g  ßdasiag  iy 
TCO  xoiovto)  noviA'  %6  öi  xal  nqoßaivs^v  xal  elg  rd  nXdyia 
fieranfidäy  ov  fnxQOv  cxsXäv  yvfkvdaioy,  äXX\  tl  %q^  täXrjd'ig 
eineXy,  fAoyoy  d^xatoxara  xiyovy  ndyx'  avxiay  xd  fAOQia, 

Wie  sich  aus  den  Worten  des  Poilux  ergiebt,  möchte  dieser 
das  (patyivda  und  das  dgnaaxoy  für  ein  und  dasselbe  halten, 
wie  es  auch  Alhenäus  I  14  f.  bestimmt  sagt:  T6  dh  xaXovfieyoy 
did  x^g  dipaigag  dgnatsxoy  (paiylyda  xaXeXxatj  und  anderer- 
seits ist  ein  Spiel  mit  dem  kleinen  Ball,  wie  es  Galen  erwähnt, 
das  dgnadxov.  Aber  die  von  Athenäus  angeführte  Stelle  des 
Komödiendichters  Antiphanes: 

aqtaXgay  Xaßdy 
xtp  fiiy  äiöovg  BxatgCj  xoy  d'  s(p€vy^  dgjMj 
xov  d'  i^ixgov(f€,  xoy  d'  ay^tfxtjasy  ndXiv, 
xXayxxaXai  ipoayaXg  .... 
I^co,  fjbaxgdy,  nag'  avxoy,  vnig  avxoy^  xdxwj 
avoüy  ßgaxeXay,  änodog,  iyxaxddxgBtpB^ 
seine  eigene  Erklärung  ixaXeXxo  de  qiatyiyda  änd  xfjg  ag>4a€tog 
xmy  Cipa^g^^ovxmy  rj  oxt  6  svgsx^g  —  Oatyiaxtog,  sowie  die  Verse 
Martiais  IV  19,  VII  32,  XIV  48: 

Seu  letUum  cerama  teris,  Upidumve  trigona, 
sive  harpasta  manu  pulvertdenta  capis, 
Non  harpasta  vagns  pulverulenta  rapis- 
Haec  rapü  Antaet  velox  in  pulvere  draucus, 
Grandia  qui  vano  coUa  labore  facit. 
und    die   ganze  Ausführung  Galens    erwähnen   nicht  das  StoJben 
mit  dem  Fufse  und  setzen   es  auch   nicht   unbedingt  Toraus,   ja 
die  Erklärung  des  Poilux  zu  (fatyiyöa^  wenn  es  wirklich  dasselbe 
ist,    j,€xig<a  ngodsillayxeg  exigm  ^inxovdyyj  i^anaxäyxsg  xoy 
olofisyoy^^j  sowie  die  von  Dindorf  im  Stephanus  nachgetragenen 
Stellen  Schol.  Plat.,   Paris,    ad  Clem.  AI.,    Phot.,   Eustath.    und 
Orion  Etymol.    widersprechen   dem    geradezu.     Die  Erwähnungen 
bei  Arrian.  Epictet.  II  5  und  Artemid.  I  55  endlich  geben   keinen 
Anhalt.    H.  Marquardts  Annahme,  die  zwei  Spiele  (p,  und  o.  seien 
allmählich  in  eins  geschmolzen,    spricht  auch  gegen  das  Treten. 
(Ausgabe    und    lateinische   Besprechung   der   Schrift   Galens    im 
Güstrower  Programm  1879).    Derselbe  Marquardt  hat  dann  wieder 
in  Eulers  Honatsschr.  f.  d.  Turnw.  1884  über  die  griechischen  Ball- 
spielegehandelt. Streng  scheidet  er  zwischen  Episkyros  und  Phäninda- 
Harpaston.     Seine  Entwickelung  des  Episkyros  steht  meiner  Er-> 
klärung  als  „Schleuderball**  in  nichts  entgegen;  nur  nimmt  er  die 


aogez.  von  O.Kohl.  535 

,^ö(ste  Form  des  kleinen  Balles*'  an,  ich  nach  der  PoUuxstelle 
einfach  den  grofsen.  Im  Phäninda,  findet  er,  kommt  es  auf  das 
Fangen  an ;  es  kann  dies  also  nicht  Fufsball  sein.  Das  Harpaston, 
von  dem  „wir  eigentlich  noch  weniger  wissen"',  identifiziert  er 
mit  dem  Phäninda,  nur  dafs  es  „durch  die  mit  ihm  verbundenen 
Kämpfe  einen  weit  heftigeren  Charakter  trug''. 

So  lohnt  es  sich,  noch  einmal  die  Geschichte  des  FuEsballes  zu 
untersuchen  und  nicht  nur  zum  Besten  des  Fufsballes,  sondern 
zum  Besten  des  fröhlichen  Ballspieles  überhaupt  die  Schrift 
Galens  in  Anlehnung  an  die  sorgfaltigen  Ausgaben  von  G.  Helm- 
reich (Programm,  St.  Anna  in  Augsburg  1878)  und  von  H.  Mar- 
quardt  ^Programm,  Güstrow  1879  und  Teubnerscher  Text  der 
Scripta  minora  I.  1884)  sowie  an  die  deutsche  Übersetzung  von 
Fr.  Cunze  (Honatsschi*.  f.  d.  Turnw.  1890)  jetzt  noch  einmal  für 
sich  mit  guter  deutscher  Übersetzung  und  Heranziehung  der  übrigen 
Nachrichten  über  das  antike  Ballspiel  herauszugeben. 

Kreuznach.  0.  Kohl. 


Nachtrag. 

Zu  meiner  Bemerkung  oben  S.  376  ist  hinzuzufügen,  dafs 
Scotts  Beschäftigung  mit  deutscher  Litteratur  bei  Martin  §  158,  28 
Erwähnung  gefunden  hat. 

Moers.  E.  Fischer. 


l 


DRITTE  ABTEILUNG. 


BERICHTE  ÜBER  VERSAMMLUNGEN,  NEKROLOGE, 

MISCELLEN. 


Beispiele  zur  deutschen  Wortbildungslehre. 

Die  neaea  Lehrplaae  vom  6.  Jan.  1892  fordern  im  DeaUcheo  für  Qotrta: 
„Das  Wichtigste  aas  der  Wortbildan^slehre,  ao  typische  Beispiele  aofe- 
scblossen^^  Es  handelt  sich  om  einen  Nebenzweig  des  dentschen  Unterrichts, 
der  sich  in  dieser  Klasse  in  den  bescheidensten  Grenzen  halten  solL  Rein 
dürres  Schema  wird  aufgestellt,  welches  die  Menge  der  Biidnngselemente 
nebst  der  ganzen  Reihe  möglicher  Permatationen  and  Kombinationen  der 
verschiedenen  Wortarten  vorführt.  Durch  naheliegende  Beispiele  wird  die 
innere  und  'äofsere  Wortbildung  (Ableitung  und  Zusammensetzung)  in  den 
Hauptzügen  klar  gemacht;  dann  fügt  man  noch  eine  oder  zwei  Wortfamilien  von 
besonders  ergiebiger  Wurzel  hinzu:  das  genügt.  Es  bleibt  dem  Lehrer  über- 
lassen, nach  freier  Wahl  das  Richtige  zu  finden;  besondere  Vorschläge  zu 
machen,  erscheint  mir  auch  überflüssig.  —  Mancher  wird  sich  nan  gesagt 
haben:  in  dieser  BeschrÜnknng  hat  eine  Sache  überhaupt  wenig  Wert,  welche 
nirgends  eine  Fortsetzung  findet,  und  jene  Stelle  der  Lehrplane  nimmt  sieh 
aus  wie  ein  lose  am  Ende  des  Gewebes  angehängter  Faden,  der  gar  nicht 
organisch  in  das  Ganze  eingefügt  ist.  Denn  Verwandtes  seheint  erst  in  IIA 
zum  Vorschein  zu  kommen :  „Einzelne  sprachgescbichtliche  Belehrungen  darch 
typische  Beispiele^'.  Indessen  dürfte  das  Befremden  schwinden,  weoo  man 
annimmt,  dafs  hier  in  den  LehrplÜnen  und  Lehraufgaben  mehr  angedeutet 
als  wirklich  ausgesprochen  wird,  was  ja  naturgemäfs  der  Fall  ist  bei  einer 
derartigen  knappen  Beschreibung  eines  lebendigen  Organismus.  Es  ist  offen- 
bar die  Sache  in  IV  nicht  abgeschlossen,  es  wird  nur  der  Anfang  gemacht 

So  eröffnet  sich  ein  weites  Feld  für  gelegentliche  Belehrungen, 
welche  auf  allen  folgenden  Stufen  fortgesetzt  werden.  In  der  Grammatik, 
bei  der  Lektüre,  der  Korrektur  der  Aufsätze  bietet  sich  ungezwungen  Ge- 
legenheit, ist  es  häufig  nicht  zu  umgehen,  Wortbildung,  Etymologie,  sprach- 
geschichtliche Belehrungen  einzuflechten,  so  oft  ein  unbekanntes  Wort,  ein 
fremdartiges  Gebilde  begegnet.  Da  ist  es  wünschenswert,  ein  zu  erläuterndes 
Bildungsgesetz  durch  eine  reiche  Analogie  stützen  zu  können.  Die  Gefahr, 
das  gebotene  Mafs  zu  überschreiten  und  aufdringlich  zu  werden,  wird  man 
leicht  vermeiden,  wenn  man  es  sich  zum  Grundsatz  macht,  in  der  Regel  nur 
das  Sprachgut  zu  berücksichtigen,  das  der  Schüler  bereits  erworben  hat. 
Wir  haben  es  mit  einem  wichtigen  Nebenzweig  des  deutschen  Unterrichtes 


Beispiele  z.  deutscheo  Wortbildaogslebre,  von  Tb.  Busch.     537 

zu  than;  derselbe  wird  aber  nicht  nur  in  den  wenigen  für  das  Deutsche 
aaf  esetzten  Stunden  kultiviert,  sondern  kann  in  der  angedeuteten  Weise  den 
f^esamten  Sprachunterricht  begleiten.  Und  warum  soll  der  Schüler  dabei, 
nicht  mit  Freuden  inne  werden,  dafs  er  in  der  beimischen  Sprache  eigent- 
lich ein  reicher  Mann  ist  gegenüber  seiner  Dürftigkeit  in  der  fremden?  So 
wird  auch  schon  der  Schüler  eine  Ahnung  bekommen  vom  Leben  der  Sprache 
überhaupt,  besonders  aber  soll  ihm  die  starke  Triebkraft  und  das  reich  ent- 
faltete Leben  der  deutschen  Sprache  zum  BewuHitseio  gebracht  werden.  Für 
diese  gelegentliche  Belehrung  ist  im  folgenden  einiger  Stoff  zusammen- 
getragen. Vielleicht  werden  Fachgenossen  mit  mir  die  Ansicht  teilen,  dafs 
durch  ähnliche  Arbeiten  auf  dem  betretenen  Felde  der  noch  etwas  spröde 
Boden  mehr  aufgelockert  und  für  den  Unterricht  fruchtbarer  gemacht  werden 
kann.  Es  sind  dabei  nicht  ängstlich  die  Grenzen  gezogen  worden  für  das, 
was  in  der  Schule  vorkommen  darf. 

I.  Zahlreiche  Zusammensetzungen  sind  aus  syntaktischem  Verbände 
zosammengewachsen :  abhanden^  vor/utnäen,  sufriede/t,  wie  ifino^ioVf  ixnodtav^ 
magnoftre  sind  Beispiele.  Die  häufigsten  und  einfachsten  dieser  Zusammen- 
Schiebungen  sind  ein  Substantiv  mit  dem  unflektierten  Adjektiv.  Es  läfst 
sieh  hier  anknüpfen  an  Bekaontes:  jung  Siegfried,  lieb  Kind,  klein  Roland, 
schön  Suschen,  gut  Ding,  Rotbart  —  grand*  mere,  grand*  messe. 

Machen  wir  einen  Versuch  mit  Adjektiven,  welche  eine  räumliche  Aus- 
dehnung bezeichnen :  grqfs,  klein,  dick,  dünn,  lang,  kurz.  Z.  B. :  Gro/smacht, 
Grofsstadt,  Gro/shandel,  Grofsfeuer,  Grofsfiirst,  Grqfskönig,  Gro/smeister, 
Grqfskneckt,  Gn^fsvater,  Grofsthat,  Grofsmut,  Grofsgrundbesit%er.  — 

Adjektivs  der  Zeit:  alt,  neu,  Jung,  frisch,  früh,  spät.  Z.  B.:  ISeumotid, 
Neujahr,  Neuzeit,  Neuwahl,  Neubau,  Neustadt,  Neuthor,  Neustrafse,  Neu- 
markt.  —  Zur  Abwechselung  sei  das  Substantiv  gegeben:  Scharfsinn,  Stumpf- 
sinn, Blödsinn,  Leichtsinn,  Trübsinn,  Wahnsinn  (vgl.  JFahnwitz  und  das 
mehr  mnndartl.  wahntchaffen  =  verwegen),  Freisinn,  Eigensinn,  Starrsinn, 
Frohsinn  i  die  Adjektiva:  feinsinnig,  tiefsinnig,  hochsinnig,  schwachsinnig 
sind  gebräuchlicher,  als  die  entsprechenden  Substantivs.  Maochmal  liegt 
etwas  Gewaltthätiges,  ein  gewisser  Übermut  in  solchen  Bildungen :  Faulpelz, 
Rauhbein,  Schmalhans,  Grünschnabel,  Dummkopf,  Langohr,  Langfinger, 
SchUntberger. 

In  Zusammensetzungen  wie:  Stillstand,  Schnellfeuer,  Schnellzug,  Schnell- 
Schrift  überwiegt  die  verbale  Natur  des  Grundwortes,  so  dafs  da  wohl  das 
Adverbiun,  nicht  das  Adjektivum  anzunehmen  ist. 

Ableitungen  aus  solchen  syntaktischen  Gefügen,  welche  für  sich  die 
Verschmelzung  zu  einem  Worte  nicht  vollzogen  haben,  sind:  j4ltweiber- 
geschwätz,  Kaltwasserkur,  SUfsrahmbutter;  sehr  häufig  sind  solche  Adjektiv- 
bildungen: neumodisch,  rechtwinklig,  gleichseitig,  grofsartig,  breitspurig, 
gy^lf^^Hf^i  l^>^'dhrig,  rothaarig,  blauäugig,  fremdsprachlieh.  Wenn  man 
neben  fremdsprachlich  sich  auch  Fremdsprachen  gestattet,  so  ist  doch  jeden- 
falls das  Adjektiv  die  frühere  Bildung,  aus  der  das  Substantiv  genommen 
wvrde,  nicht  umgekehrt. 

Sind  nun  diese  Bildungen  nur  formaler  Natur,  oder  wird  auch  die 
Aasdmcksfähigkeit  der  Sprache  damit  vermehrt?  Ohne  Zweifel  das  letzterei 
Es  vollzieht  sich  der  Obergang  von  der  Einzel  Vorstellung  zum  Gattungsbegriff. 
Unhedeaklich  bdhaupte  ich;  „Aachen  ist  eine  grofse  Stadt'*;  dagegen  den  Satz: 


538  Beispiele  zur  deutschen  VVortbildttagslehre, 

yAacfaeo  ist  Grofsstadt**  würde  vielleicht  ein  Berliner  anfechten.    Ein  j^edler 
Mann*'  ist  nicht  »s  „Edelmann*'. 

Hierher  gehören  mehrere,  zum  Teil  gegeow'iriif;  verdunkelte  Zusammen^ 
Setzungen,  welche  iu  diesem  Zusammenhang  leicht  begriffen  werden :  j^rg- 
wohn,  ^rfflüt  („Da  lächelt  der  Konig  mit  arger  List'Oi  Blachfddy  Bö'tewkht^ 
Jungfrau,  Junker,  Meineid  (jetzt  auch  schon:  FaUcheid).  —  Glücklich  ge- 
bildet und  merkwürdig  wegen  seiner  Kürze  ist  der  Fachausdruck  für  Forst- 
leute: Fff^me^er  =  Kubikmeter  fester  Masse  (Gegensatz:  Raummeter).  Zwei 
Eigennamen  mögen  die  Reihe  schliefsen:  Deutschland,  IFeltehland, 

Zusammenschiebongen  von  koordinierten  Adjektiven:  taubstumm, 
sehwar xiumfs.  Dagegen  ist  das  erste  als  Bestimmungswort  anzusehen  in: 
dummdreist,  wildfremd,  feucht  kalt,  blutjung,  blutarm,  blutwenig  {blut  [ndd.] 
=  blofs). 

Nachdem  diese  Art  der  Wortbildung  vorgeführt  ist,  durfte  es  ange- 
bracht sein,  auf  das  Gegenteil  aufmerksam  zu  machen,  welches  dann  eintritt, 
wenn  die  Logik  ein  Kompositum  verlangt,  welches  aber  nicht  gebildet  werden 
kann,  weil  unsere  grammatischen  Kategorieen  nicht  ausreichen.  Die  That- 
sache,  dafs  Logik  und  sprachlicher  Ausdruck  sich  nicht  immer  wie  eine 
algebraische  Formel  decken,  darf  in  der  Schule  nicht  gänzlich  übersehen 
werden.  Die  [reitende  Artillerie]  kaserne,  der  [geräucherte  Fisch]laden  ist 
logisch  richtig,  aber  sprachlich  unmöglich.  „Dennoch  wagen  sich  immer 
wieder  Verbindungen  dieser  Art  hervor*',  weil  sie  eben  logisch  richtig  sind 
und  auch  in  der  Sprache  nicht  gänzlich  abgewiesen  werden  können.  Wust* 
mann,  Sprachdnmmheiten  S.  211,  vertritt  einen  entschieden  zu  engen  Stsnd- 
punkt,  wenn  er  alles  derartige  verpönt.  Den  „wilden  Schweinskopf'*,  das 
„adlige  Fräuleinstift**  würde  ich  in  einer  Schülerarbeit  stehen  lassen.  Aueh 
Kiesel,  Stilistik  S.  45  ist  weniger  ängstlich,  wenn  er  z.  B.  „chirurgiselier 
Instrumentenmacher**  für  vielleicht  entschuldbar  hält  In  München  findet 
alljährlich  am  Frohnleichnamfeste  eine  „geistliche  Herrentafel**  (=  viromm 
clericorum  cena)  bei  Hofe  statt.  Wer  statt  „Bairisch-Bierbrauerei** :  „bairische 
Bierbrauerei**  auf  sein  Haus  schreibt,  macht  sich  keines  groCsen  Verbrechens 
schuldig.  Auch  die  strengsten  Puristen  gestatten:  „deutsche  Sprachlehre*' 
{=  linguae  Germanicae  doctrina). 

II.  Glossierte  Formen  könnte  man  die  folgenden  Wörter  nennen.  Um 
von  einer  fremden  Sprache  auszugehen,  erinnere  ich  an  frz.  atyourdkuij 
welches  denselben  Begriff  doppelt  setzt;  in  autruche  ist  der  erste  Bestandteil 
lat.  avis;  choucroute  vermengt  gar  zwei  Sprachen  zusammen.  So  sind  ent- 
standen: Diebstahl,  Lindwurm  (lintrache:  Nibelnngenl.),  JFindkund^  Salweide^ 
H^aUfahrt,  Tragbahre,  Thatsaehe,  Machwerk,  Erdboden,  Schw^^feife,  Erb^ 
teil,  Bruchteil,  Schalksknecht,  Hansnarr,  Marktflecken,  Heimtücke,  Nutini^swig^^ 
M^sbrauch,  Notdurft,  tFülkür,  Sehnsucht,  Griesgram,  SclUffrohr,  SeheU" 
hengst,  Göckelhakn,  MerknuU,  Niednagd,  Speüshemagel,  Springquell,  Rilckgraty 
Augenblick,  Zeitraum,  Honigseim',  Einöde  ist  durch  Volksetymologie  an  Öde 
angelehnt;  frohlocken,  liebkosen,  buntscheckig,  blitzblank,  windschi^j  schnür^ 
stracks. 

Das  Streben  nach  Deutlichkeit,  teilweise  auch  die  Absicht,  den  Begriff 
zu  verstärken,  haben  zu  diesen  Zusammensetzungen  geführt. 

Mundartliches:  Fatzposse  bei  Vilmar,  Hessisches  Idiotikon:  Fatse  ss 
Grimasse,  Posse.    Koch,  Werdener  Mundart.  Aachen  1879:  §  30,  2:  kul-hk^ 


voD  Tb.  Bosch.  539 

§  39,  2 :  kis-Jat  Sarg  (kis  =  Kiste).  Frommaao,  d.  d.  MaodarteD:  h&^himp 
Hiderlamp;  gatihosn  (gatya  magyar.  =  Uaterhose);  haUgoU^  (sb  halicollar). 
Firmeoich,  GermiiDieos  VölkerstimmeD  II  S.  782:  poi^enferli  ^o^ea  (schlagen) 
-i-  lat.  ferula,  —  1u  der  Westeifel:  bunnekäpf  Fraueobaobe,  aus  frz. 
bonnet  +  käp  (Kappe).  Vgl.  noch  Flitzbogen  ^ei  Weigaad,  Wörterbuch. 
FinBenich,  a.  a.  0.:  Mohtsehekühchen,  —  Sarg,  Mühle,  Maler  siod  an  sich 
verstäodlich.  Aber  Sarg  hat  aach  noch  in  eiozeloeo  Gegeadea  die  Bedeutoog: 
Trog,  die  Mühle  hat  ihre  ursprüogliche  Verweadaag  vervielfältigt,  Maler 
titnliereo  sieh  auch  Anstreicher.  Daher  findet  mao  in  ZeitangsaDBOocea: 
Toieiuarg,  Mahlmähle,  Kunstmaler,  Pflegte  ja  selbst  io  der  Schule  bei 
tenadus  die  im  Lexikon  nötige  Glosse  mitgeschleppt  zu  werden,  obgleich  io 
zusammenhängender  Rede  das  einfache  „Alter**  vollständig  genügt. 

ni.  Doppelgänger  desselben  Wortes  nebst  Stammwörtern  mit  einer 
oder  mehreren  Sprofsformeo :  Mem  Odem,  Ball  Ballen,  Bett  Beet,  Bude 
Baude,  Blick  Blitz,  Bord  Borte,  Born  Brunnen,  Farren  Färse,  Fohlen  Füllen, 
Fug  Fuge,  Grab  Graben  Grube,  Grat  Gräle,  Grütze  Gries,  Gurt  Gürtel, 
Ha/er  Haber,  Hag  Hagen  Hain  Hecke,  Hahn  Huhn  Henne,  Hotz  Hetze,  Herde 
Hirt,  Knabe  Knappe,  Kran  Kranich,  Mond  Monat,  Niete  (Los  ohne  Gewinn) 
nichU  nicht,  Ohr  Öhr  Öse,  Rabe  Rappe,  Rast  Rüste,  Rifs  Ritze,  Rohr  Röhre, 
Sack  Säckel,  Schank  Schenke,  Schrank  Schranke,  Schurz  Schürze,  Spitze  Spi^s, 
Spalt  Spalte,  Spange  neben  mundartl.  spengel,  spennel  (»b  frz.  epingle), 
Sprqfs  Sprosse,  Stapel  Staffel  Stufe  Fnhstapfe,  Stall  Stelle,  Statt  Stätte 
Saat  Staat,  Steg  Steig  Stiege,  Thal  neben  mundartl.  Delle  (z.  B.  in  Grimms 
Märchen),  Thor  Thür,  Thran  Thräne,  Wappen  fFaffe,  fTurz  H^urzd  (vgl. 
Kluge,  Etymol.  Wörterbuch),  Wust  Wüste-,  vor  für.  Jach  jähe,  fahl  falb, 
feit  feist,  sachte  sanft,  fappen  gaffen,  schleifen  schleppett,  kneifen  kneipen, 
drucken  drücken,  roden  SLUsrotten. 

Fremdwörter  wurden  wiederholt,  zu  verschiedenen  Zeiten  und  auf 
verschiedenen  Wegen  eingeführt:  Alarm  Lärm,  Banner  Panier,  Barch  Ferkel, 
Börse  Barsch,  Palast  Pfalz,  Partei  Partie,  Patron  Patrone  (vgl.  Patent),  Pelz 
Felly  Posten  Pfosten,  Ruin  Ruine,  Tiegel  Ziegel,  Triumph  Trumpf,  Trompete 
Drommete  Trommel,  Zither  Guitarre.  Anknüpfungspunkte  z.  B.  im  Frau- 
zösiaclieB:  coutume  costume  aus  consuetudo,  frSle  fragile  srns  fragilis,  compter 
eonter  ans  computare. 

Der  Kürze  wegen  habe  ich  es  unterlassen,  diese  Wörter  nach  Bildungs- 
groppen  zo  ordnen  und  diejenigen  zusammenzustellen,  welche  zugleich  in 
■44.  «od  obd.  Gewände  auftreten. 

Wir  sehen  hier  deutlich,  wie  die  Sprache  mit  ihrem  ursprünglichen 
Erbgut  gewuchert  hat,  indem  sie  haushälterisch  ihre  Begriffe  verdoppelte 
«■d  die  Ausdrucksfahigkeit  steigerte.  Teilweise  ist  eine  Spaltung  der  ur- 
spronglichen  Bedeutung  eingetreten,  teilweise  geben  die  Nebenformen  der 
Rede  eine  besondere  Färbung,  sie  sind  frischer  und  poetischer,  weil  sie 
nicht  80  abgegriffen  erscheinen.  Letzteres  sind  also  stammverwandte 
Synonyma.  —  So  liegt  bei  den  Synonyma  im  allgemeinen  der  Hauptunter- 
schied  oft  nur  darin,  dafs  neben  dem  gewöhnlichen  Worte  seltenere  einher- 
gehen,  und  es  wird  dann  unfruchtbar  sein,  die  Etymologie  zu  Rate  zu 
xieliea,  weoa  der  Gebrauch  sich  von  der  Herkunft  losgelöst  hat  oder  gar  im 
Widerspruch  zu  derselben  steht.  Vgl.  z.  B.  Kluge,  fitym.  Wörterbuch: 
„Adler  M.  aas  mhd.  adler  adel-ar  (auch  adelarn)  M. :  eigtl.  Zusammensetzung 


540     Beispiele  z.  deatscheo  Wortbildani^slehre,  voo  Tb.  Bosch. 

'edler  Aar';  dabei  ist  ioteressaot,  dafs  Aar  im  Nbd.  die  edlere  Bezeichoaog 
ist,  während  Adler  qos  als  Geooswort  gilt,  ohne  dafs  wir  ooch  deo  l)r- 
sprang  aus  Adel  ond  Aar  fdhiteii'^  Eher  wird  mao  in  diesem  Falle  die 
Gelegenheit  benetzen,  zu  zeigen,  wie  alle  Gegenden  Deutschlands  zur  Be- 
reicherung unseres  Wortschatzes  beigesteuert  haben.  Von  mehreren  geo- 
graphisch sich  ergänzenden  Wörtern  drang  eins  allgemein  durch,  die  ent- 
sprechenden Bezeichnungen  anderer  Gegenden  wurden  seltener,  aber  nicht 
immer  vollständig  verdrängt  Vgl.  was  bei  Socin,  Schriftspr.  o.  Dial.  S.  216 
zu  lesen  ist  über  ff^iese,  Matten  Au^  Anger, 

IV.  Stammverwandte  Verba.  Dräng-en,  tränkeriy  äi%en  —  setseUf  Mengen^ 
senken^  blecken,  verschwenden y  rennen^  sprengen^  schwemmen,  schmelzen, 
schrecken,  löschen,  legen,  bewegen  — fallen,  führen,  beiasen,  schleifen,  beugen, 
flöfsen,  ersäufen,  säugen  sind  Paktitiva.  Leicht  wird  der  Schüler  die  ent- 
sprechenden lotransitiva  starker  Flexion  finden  und  dabei  zugleich  mit 
schärferem  Blick  die  Grundbedeutung  der  einzelnen  erkennen,  auch  wenn 
ein  starker  Bedeutungswandel  stattgefunden  hat.  Eine  solche  Zusammen- 
stellung  läfst  sich  verwerten  zu  einem  Überblick  über  den  betrelfeoden  Ab- 
schnitt der  deutschen  Formenlehre,  sie  bietet  auch  Analogieen  für  Erscheinungen 
in  den  fremden  Sprachen. 

Wie  heifsen  die  Stammwörter  zu  folgenden  Dimioutiva :  lächdn,  fächehj 
kränkeln,  stichelnj  bröckeln,  säuseln,  trippeln,  schnitzeln,  kräitbi,  streichelnd 

Lautliche  Abhängigkeit  und  Bedeutungsverhältois  sind  zu  betrachten 
bei:  wachen  wecken,  neigen  nicken,  beugen  bücken,  brechen  brocken,  siechen 
stecken  stocken,  hangen  hängen  henken,  ziehen  zucken  zücken,  prangen  prunken, 
plagen  placken,  schwingen  schwenken, '  winken  wanken,  knicken  knacken  — 
hören  horchen,  scheuen  scheuchen,  schnarren  schnurren  schnarchen  —  knurren 
knarren  —  spritzen  spritfsen  spreizen,  zwingen  zwängen,  prallen  preUen, 
tauschen  täuschen,  stieben  stäuben  stöbern,  haften  heften,  heizen  hUzen, 
ziemen  zähmen,  erblinden  blenden,  rauben  raufen  rupfen,  schnauben  schnaufen 
schnupfen  schnüffeln  schnobern  schnuppem. 

Malmedy.  Theodor  Busch. 


VIERTE  ABTEILUNG. 


EINGESANDTE  BÜCHER. 


1.  R.  Klossmnoo,  Systematisches  VerzeichDis  der  Abbtod- 
loDgeo,  welche  in  dea  SchalscbrifteD  säintiicher  so  dem  Programmtaasche 
teilnehmeBden  Lehraostalteo  erschienea  sind.  Band  II:  1886 — 1890.  Leipzig 
1893,  B.  G.  Teuboer.     VI  u.  285  S.  gr.  8.  5  M. 

2.  PfSrtoer  Stammbach  1543—1893.  Zur  350jährigeD  Stiftuogs- 
feier  der  Kgl.  LandesschuJe  Pforta  heraasgegebeo  von  M.  Hoffmaon.  Berlin 
1893,  Weidmanoscbe  Bnchhandlong.     XVI  u.  561  S.  Lex.  8.  10  M. 

3.  6.  Windhaus,  Geschichte  der  Lateinschale  zu  Friedberg 
in  Hessen.     Priedberg  1893.    IV  a.  197  S. 

4.  M.  Hoffmann,  Zar  Erinnerung  an  Aagast  Böckh.  Progr. 
Labeck  1894.    44  S.  4. 

5.  £.  Kraepelin,  Über  geistige  Arbeit.  Jena  1894,  Gustav 
Fischer.     26  S.  gr.  8.  0,60  M. 

6.  C.  Boettcher,  Die  Ordnung  der  Abschla  fsprüfongen  nach 
dem  sechsten  Jahrgange  der  neanstufigen  hSheren  Schulen  mit  den  ange- 
zogenen Bestimmungen  ans  der  Ordnung  der  Reifeprüfungen  und  den  bis 
Ende  1893  erlassenen  Brläuterangen  und  Ansfuhrungsbestimmungen.  Königs- 
berg i.  Pr.  1894,  Gräfe  &  Uozer.  18  S.  0,50  M. 

7.  A.Herzog,  Der  Anschauungsunterricht  auf  dem  Gym- 
nasium.    Einleitende  Bemerkungen.     Karlsrohe  1893,  J.  Lang.     16  S. 

8.  J.  Buschmann,  Deutsches  Lesebuch  für  die  Oberkiassen 
höherer  Lehranstalten.  Vierte  Auflage.  1.  Abteilung:  Deutsche  Dichtung 
in  Mittelalter.  VII  a.  192  S.  1,20  M;  2.  Abteilnag:  Deutsche  Dichtung  in 
der  Neuzeit  (nebst  einem  Abrifs  der  Poetik).  VlII  u.  424  S.  3  M.  —  Deutsches 
Lesebuch  für  die  unteren  und  mittleren  Klassen  höherer  Lehranstalten.  Zehnte 
Auflage.  1.  Abteilung  (für  die  unteren  Klassen)  XVI  u.  416  S.  2,20  M; 
2.  Abteilung  (für  die  mittleren  Klassen)  XIV  u.  637  S.  3,20  M.  —  Leitfaden 
für  den  Unterricht  in  der  deutschen  Sprachlehre  für  die  unteren  und  mitt- 
leren Klassen  höherer  Lehranstalten.  Zehnte  Auflage.  VI  o.  110  S.  geb. 
1  M.     Trier  1893,  Fr.  Lintz.     Vgl.  diese  Zeitschr.  1886  S.  686. 

9.  O.Lyon,  Abrifs  der  deutschen  Litteraturgesc  hichte. 
Dritte  Auflage.     Leipzig  1893,  B.  G.  Teubner.     VIII  u.  142  S.  geb.  1,60  M. 

10.  0.  Lyon,  Handbuch  der  Deutschen  Sprache  für  höhere 
Schalen.  Mit  Obnngsaufgaben.  Erster  Teil:  Sexta  bis  Tertia.  Vierte,  ver- 
mehrte und  verbesserte  Auflage.  Leipzig  1893,  B.  G.  Teubner.  VIII  u. 
272  S.  geb.  2,80  M. 

11.  O.Lyon,  Kurzgefafste  Deutsche  Stilistik.  Dritte  Auflage. 
Des  zweiten  leils  des  Handbuchs  der  Deutschen  Sprache  von  0.  Lyon  (Sti- 
listik, Poetik  and  Litteraturgeschichte)  erste  Abteilung.  Leipzig  1893,  B.  G. 
Teubner.     VIII  u.  94  S.  geb.  1  M. 

12.  O.Lyon,  Abrifs  der  deutschen  Poetik.    3.  Auflege.    Leipzig 

1893,  B.  G.  Teubner.    80  S.     1  M. 

13.  Walther  von  der  Vogel  weide  und  des  Minnesangs  Frühling. 
Ausgewählt,  übersetzt  und  erläutert  von  K.  Kinzel,  3.  Auflage.   Halle  a.  S. 

1894,  BochhaBdlung  des  Waisenhauses.   VIII  u.  115  S.  —  Vgl.  diese  Zeitschr. 
1891  S.  147. 

14.  Sammlung  Göschen.     R.    Brauns,    Mineralogie.      126  S.    — 


542  BiDipessodtA  BScber. 

M.  Roch,   Geschieht«    der   deotsehea    Litterator.    278  S.  —  E.  Geleieh 
uod  F.  Saater,  Karteokuode,  geschicbllich  dargestellt«     160 S.     Stattgart 

1893,  G.  J.  Göacheosche  Verlagshaodluog, 

15.  M.  Prem,  Goethe.  Mit  vieleo  Abbildnogeo.  Leipzig  1894,  G.  Fock. 
473  S.  8.  5  M. 

16.  Th.  Lohmeyer,  Kleioe  deutsche  Satz-,  Formeo-  nnd 
iQterpuoktioDslehre  nebst  eioem  Anhaoge  aos  der  Poetik  ood  Metrik, 
sowie  einem  aDläfälich  der  „Neaeo  Lehrpläoe*'  hiozogefagten  Nachtrage,  za- 
nächst  für  die  Klassen  Sexta  bis  Tertia  höherer  Lehranstalten.  Dritte  AoP- 
lage.  Hannover  1892,  Helwingsche  VerlagsbnchhandloDg.  XIF  a.  70  S.  geb. 
0,80  M.  —  Vergl.  diese  Zeitscbr.  1888  S.  369.  Schon  in  der  zweiten  Auf- 
lage waren  die  fremden  grammatischen  Konstaosdrficke  überall  wieder  in  den 
Text  eingefügt  und  die  Verdeatschangen  nar  einmal  zar  ErklÜrang  dahinter 
gesetzt  worden. 

17.  Nägele,  Beit'räge  zu  Uhland.  Uhlands  Jogenddiehtiing.  Progr. 
Tübingen  1893.     48  S.  4. 

18.  H.  Kretschmann,  ^Deutsche  Aufsätze  in  (Jater-Secnnda. 
Progr.  Kgl.  Gymn.  Danzig  1894.     25  S.  4. 

19.  H.  Daubenspeck,  Die  Sprache  in  den  gerichtlicheo  En  I- 
Scheidungen.     Berlin  1893,  Franz  Vahlen.    50  S.  1  M. 

20.  A.Führer,  Vorschule  für  den  ersten  Unterricht  inft  La- 
teinischen. II.  Obungsstoff  und  Wörterverzeichnis.  Dritte  Auflage.  Pader- 
born 1894,  F.  Schöningh.    VIII  u.  105  S.  kart.  0,80  M. 

21.  J.  Pavec,  Der  junge  Lateiner.  Lateinische  Grammatik  in 
kurzer  übersichtlicher  Fassung.  Wien  1893,  A.  Pichler's  Witwe  &  Soha. 
IV  u.  130  S.  kl.  8.  —  Das  Büchlein  enthält  mit  Ausscheidung  aller  für  d«a 
Schüler  überflüssigen  Einzelheiten  in  prägnanter  Kürze  sämtliche  Regeia  der 
lateinischen  Sprache. 

22.  C.  Stegmann,  Lateinisohe  Sehulgrammatik.  6.  Auflage. 
Leipzig  1 893,  B.  G.  Teubner.    Xfl  n.  250  S.  geb.  2,40  M. 

23.  L.Jeep,  Zur  Geschichte  der  Lehre  von  den  Redetetlaa 
bei  den  lateinischen  Grammatikern.  Leipzig  1893,  B.  G.  Teubner.  XVIil 
u.  316  S.  8  M. 

24.  Ciceronis  Laelins  de  amicitia.  Für  den  Schulgebrauch  heraus- 
gegeben von  Th.  Schiche.  Zweite,  verbesserte  Auflage.  Leipzig  1894, 
G.  Freyti^.     XX  u.  42  S.  0,40  M,  geb.  0,70  M. 

25.  Bonneils  Lateinische  Übungsstücke,  nenbearbeitet  voa  P. 
Geyer   und  W.   Mewes.    Teil  I:   für  Sexta,    13.  Auflage  von  W.  Mewes. 

1892.  VI  u.  98  S.  geb.  1,40  M.   Teil  11:  für  Quinta,  13.  Auflage  voa  W.  Mewes. 

1894.  II  u.  140  S.     Berlin,  Emil  Goldschmidt 

mm 

26.  H.  Busch,  Lateinisches  Übungsbuch.  Teil  I:  für  Sexta. 
Siebente  Auflage  von  W.  Fries.  IV  u.  110  S.  geb.  1,40  M.  Teil  IH:  für 
Qaarta.    Fünfte  Auflage  von  W.  Fries.   VII  n.  109  S.  geb.  1,40  M.   Berlin 

1893,  Weidmannsche  Buchhandlung. 

27.  W.Fries,  Lateinisches  Übungsbuch  für  Tertia.  Abtei- 
lung 2:  für  Ober-Tertia.  Zweite  Auflage.  Berlin  1893,  Weidmannseke 
Buchhandlung.    IV  n.  110  S.  geb.  1,50  M. 

28.  Claudii  Claudianl  carmina.  Rec.  J.  Koch.  Leipzig  1893, 
B.  G.  Teubner.     LXI  n.  346  S.  3,60  M. 

29.  Phaedri  fabulae  Aes'opiae.  In  nsnm  scholamm  selectas  reeo- 
gnovit  J.  M.  Stowasser.  Prag  1893,  F.  Tempsky.  VIII  a.  57  S.  0,50  M, 
geb.  0,80  M. 

30.  U.  Peper,  Eine  neue  Properzhandschrift  47  S.  (S.-A.  aoa 
dem  Neuen  Lausitzischen  Magazin,  Band  59.) 

31.  Flaminio  Nenzini,  Quaestiones  Terentianae  I  v.  IL  Turia, 
1893,  H.  Loeseher.     10  u.  11  S. 

32.  J.  La  Roche,  Beiträge  zur  grieehischen  Grammatik.  Hef t  L 
Leipzig  1893,  B.  G.  Teubner.     XVII  n.  236  S.  6  M. 

33.  U.  v.  Wilamowitz-Moellendorff,  Aristoteles   und  Athea. 


Einipesandte  Bacher.  543 

2  Bande.    Berlio  1893,  Weidmannsche  Bachbaodlnngr.   VII  a.  3S1  bezw.  428  S. 
fr.  6,  zmamineo  2U  M. 

34.  G.  Kaibel,  Stil  aad  Text  der  nokixila  lA&tjvalfov  des 
Aristoteles.   Berlin  1893,  Weidmannsche  Bnchhaodlong.   V  n.  277  S.  8  M. 

35.  S.Reiter,  Die  drei-  nnd  vierzeitigen  Langen  bei  Enri- 
ptdes.  Wien  1893,  F.  Tempsky.  80  S.  (S.-A.  ans  dem  SB.  der  Ak.  d. 
Wiss.  in  Wien,  Band  129). 

36.  *Itjavvov  lioyvQidSov  dioq^maag  {ig  tu  IdqiüxotiXovg 
noltrixtt.    Teil  1.    Athen  1893.  48  S. 

37.  J.  Lattmann  nnd  H.  D.  Müller,  Griechisches  Obnnfsbnch  für 
Tertia.  Erste  Hälfte:  fnr  Unter- Tertia.  Vierte,  umgearbeitete  AnOage. 
Gottittgen  1894,  Vandenhoeck  a  Ruprecht.    IV  u.  60  S. 

38.  A.  Dieterich,  Nekvia.  Beitrüge  znr  ErklHrnng  der  nenentdeckten 
Petrnsapokalypse.     Leipzig  1893,  B.  G.  Teubner.    VI  n.  238  S.    6  M. 

39.  W.  Robert-Torno w.  De  aptnm  mellisqne  apud  veteres 
significatione  et  symbolica  et  mythologica.  Berlin  1893,  Weid- 
mannsche Bnchhandlnng.     177  S.  4  M. 

40.  fl.  Jurenka,  Znr  Kritik  nnd  Erklärnng  der  sechsten 
olympischen  Ode   des  Pindar.      Wien    1893,   C.  Gerold's  Sohn.     12  S. 

41.  H.  Jorenka,  Novae  lectiones  Pindaricae.  Wien  1893,  C. 
Gerold's  Sohn.     33  S. 

42.  G.  Brünnert,  Sprachgebranch  des  DictTS  Cretensis.  Teil!: 
Syntax.     Progr.  Gymn.  Erfurt  1894.     27  S.  4. 

43.  Scriptores  physiognomoniciGraeci  etLatini.  Rec.R.  Foerster. 
Vol.  I— H.  Leipzig  1893,  B.  G.  Teubner.  GXCIl  u.  431  bezw.  534  S.  8 
bezw.  6  M. 

44.  L.  Freund,  Ans  der  Sprucbweisheit  des  Auslandes.  Parö- 
miologische  Skizzen.   Hannover  1893,  C.  Meyer  (G.  Prior).   44  S.  gr.  8.   1  M. 

45.  G.  Richter,  Grundrifs  der  allgemeinen  Geschichte  für  die 
oberen  Klassen  von  Gymnasien  und  Realgymnasien.  Dritter  Teil.  Neue 
Bearbeitung  des  Grundrisses  von  R.  Dietsch.  Zweite  Ausgabe.  Leipzig  1893, 
B.  G.  Teubner.   X  u.  160  S.  1,20  M.  —  Vgl.  diese  Zeitschr.  1886  S.  138  u.  618. 

46.  R.  Dietsch,  Abril's  der  brandenburgisch-preursischeu 
Geschichte.  Neu  bearbeitet  von  M.  Hoffmann.  Zweite  Ausgabe.  IV 
n.  160  S.  1,60  M.  —  Hierzu  der  Anhang:  G.Richter,  Die  Entwickelong 
des  deutschen  Reiches  und  der  europäischen  Politik  von  1871 — 1888 
in  Überblick.  12  S.  0,20  M.  Leipzig  1893,  B.  G.  Tenbner.  —  Vgl.  diese 
Zeitschr.  1882  S.  768. 

47.  A.  V.  Gutsehmid,  Kleine  Schriften.  Herausgegeben  von  F. 
Rnhl.  Vierter  Band:  Schriften  zur  griechischen  Geschichte  und  Litterator. 
Leipzig  1893,  B.  G.  Teubner.     VIII  u.  632  S.  20  M. 

48.  Fr.  Malchin,  De  auctoribus  qnibusdam,  qai  Posidonii  libros  meteo- 
rologicos  adhibueront.    Diss.  Rostock  1893.     57  S. 

49.  G.Tanera,  Die  Revolutions-  und  Napoleonischen  Kriege. 
2  BSnde.  Mit  vielen  Karten  und  Plänen.  München  1893,  C.  H.  Beck'sche 
Verlagsbuchhandlung.     245  u.  244  S.    8.   geb.  je  2,25  M. 

50.  Verhandlungen  des  5.  allgemeinen  deutschen  Neuphilo- 
logentages  am  6.-9.  Juni  1892  zu  Berlin.  Hannover  1893,  C.  Meyer 
(G.  Prior).    80  S.  ..gr.  8. 

51.  Thiers,  Ägyptische  Expedition  der  Franzosen  1798— 1801. 
Erklart  von  Fr.  Koldewey.  Mit  zwei  Karten  von  H.  Kiepert  Vierte 
Aallage.   Berlin  1892,  Weidmannsche  Buchhandlung.    VIII  u.  204  S.  geb.  2  M. 

52.  Voltaire,  Histoire  de  Charles  XII,  roi  de  Su^de.  Erklärt 
voa  £.  Pfundheller.  Mit  zwei  Karten  von  H.  Kiepert.  Vierte  Auflage. 
Berlin  1893,  Weidmannscbe  Buchhandlung.  .287  S.  geb.  2  M. 

53.  F.  Meffert,  Obnngsbuch  zum  Übersetzen  in  das  Englische 
im  Ansehlufs  an  die  Englische  Grammatik  fdr  die  oberen  Klassen.  3.  Auf- 
lage.    Leipzig  1893,  B.  G.  Teubner.    VI  u.  250  S.  2  M. 

54.  W.  Victor  und   F.  Dörr,   Englisches  Lesebuch,    Unterstufe« 


544  Biagesandte  Böeher. 

3.  Auflage.    Leipzii;  1893 ,  B.  G.  Teabner.    XXIV  n.  298  S.  8.  geb.  2,80  M. 

55.  W.  Vietor  uod  F.  ÜSrr,  Bug^lische  Schnlgrammatik,  I. Laut- 
ood  Wortlehre.  2.  Auflage.  Leipzig  1894,  B.  G.  Teuboer.  IX  a.  76  S.  geb.  1,20  M. 

56.  G.  Wende,  DeutschlaDds  Kolonieeo  in  acht  Bildern.  Für 
Schalen  bearbeitet.  Mit  einer  Karte  von  H.  Reinsdorf.  Hannover  1893, 
C.  Meyer  (G.  Prior).  32  S.  0,25  M.  (Der  Reinertrag  ist  fdr  den  Schlesiachen 
Pestalozzi-Verein  bestimmt.) 

57.  Sonvestre,  Au  coin  du  feo.  I.  Erklärt  von  A.  Gäth.  Dritte 
Auflage  von  G.  Lücking.  Berlin  1893,  Weidmannsche  Bochhandlung.  116  S.  1 M. 

58.  F.  Scheibner  und  G.  Schauerhammer,  Französisches  Lese- 
buch für  die  ersten  Unterrichtsjahre.  Vornehmlich  für  Realschulen  und 
verwandte  Anstalten  herausgegeben.  Leipzig  1894,  B.  G.  Teubner.  VUI 
und  184  S.  geb.  1,80  M. 

59.  David  Müller,  Geschichte  des  deutschen  Volkes.  Fünf- 
zehnte verbesserte  Auflage,  besorgt  von  Fr.  Junge.  Berlin  1894,  Franz 
Vahlen.  XXXVI  u.  512  8.  -^  Vgl.  diese  Zeitschr.  1891  S.  488.  —  Die 
sorgsam  bessernde  und  hie  und  da  erweiternde  Hand  des  Herausgebers  er- 
hält das  geschätzte  Buch  in  seiner  verdienten  Geltung. 

60.  Th.  Schauffler,  Erläuterungen  zum  Quellenbüchleio  zur 
Kulturgeschichte  des  deutschen  Mittelalters.  Leipzig  1894,  B.  G. 
Teubner.   50  S.  0,60  M.  —  Anhang  zu  dem  1892  erschienenen  Quelleobüchlein. 

61.  £.  Knaake  und  K.  Lohmeyer,  Hilfsbuch  für  den  Unterricht 
in  der  deutschen  Geschichte,  2.  Auflage.  Halle  a.  S.  1894,  Buchhand- 
lung  des  Waisenhauses.     IV   u.  88  S.  —  Vgl.  diese  Zeitschr.  1886  S.  684. 

62.  W.  Ihne,  Römische  Geschichte.  Erster  Band:  von  der  Grün- 
dung Roms  bis  zum  ersten  Punischen  Kriege.  Zweite,  amgearbeitete  Auf- 
lage. Leipzig  1893,  W.  Engelmann.  VI  u.  541  S.  5  M.  —  Vgl.  diese  Zeit- 
schrift 1891  S.  233  ff. 

63.  Fr.  Cauer,  Philotas,  Kleitos,  Kallistheoes.  Betträge  zur 
Geschichte  Alexanders  des  Grofsen.  Leipzig  1893,  B.  G.  Teubner.  (S.-A. 
aus  dem  20.  Suppl.-B.  der  Jahrb.  f.  klass.  Phil.)    79  S.  2  M. 

64.  R.  Pöhimaon,  Geschichte  des  antiken  Kommunismus  und 
Sozialismus.  Erster  Band.  München  1893,  K.  H.  Beck'sche  Verlagsbuch- 
handlung (0.  Beck).     XVII  u.  618  S.  gr.  8.  11,50  M,  geb.  13,50  M. 

65.  W.  Kukula,  Lehrbuch  der  Zoologie  für  die  unteren  Klassen 
der  Realschulen  und  Gvmnasien.  Sechste  Auflage.  Wien  1893,  W.  Bran- 
müller.     VII  u.  207  S.  gr.  8.  geb.  2,40  M. 

66.  M.  Zaengerle,  Grundzüge  der  Naturgeschichte  für  den 
Unterricht  an  Mittelschulen.  Dritte  Auflage.  Zoologie.  Mit  zahlreichen 
Abbildungen.  München  1894,  J.  Lindauer'sche  Buchhandlung.  208  S.  gr.  8. 
geb.  2,60  M. 

67.  M.  Zaengerle,  Kurzes  Lehrbuch  der  Mineralogie.  Fünfte 
Auflage.  Mit  zahlreichen  Abbildungen.  München  1894,  J.  Lindaoer'sche 
Buchhandlung.     81  S.  gr.  8.  geb.  1,20  M. 

68.  Deutscher  Liederhort.  Auswahl  der  vorzüglicheren  deutschen 
Volkslieder,  nach  Wort  und  Weise  aus  der  Vorzeit  und  Gegenwart  ge- 
sammelt und  erläutert  von  L.  Erk.  Im  Auftrage  und  mit  Unterstützung  der 
Kgl.  Preufsischen  Regierung  nach  Erks  handschriftlichem  Machlasse  und  auf 
Grund  eigener  Sammlung  neu  bearbeitet  und  fortgesetzt  von  F.  M.  Böhme. 
Halbbaodl.   Leipzig  1894,  Breitkopf  &  Härtel.   LXIV  u.  304  S.  Lex.  8.  12  M. 

69.  Kolleg  besuchen  und  schwänzen.  Bin  Wort  zu  den  Aus- 
lassungen des  derzeitigen  Rektors  der  Berliner  Universität,  Herrn  Geh.-Reg.-R. 
Professor  Weinhold  bei  Gelegenheit  seiner  Antrittsrede  von  Commilito. 
Frankfurt  a.  M.  1894,  Gebr.  Knauer.     16  S.  0,30  M. 

70.  K.  Gehring,  P.  Weiser,  E.  Renck,  Schützet  die  Tiere! 
Mahnworte  an  die  Jugend.  Drei  Preisarbeiten  der  Sektion  für  Tierschutz 
in  Gera.  Mit  26  Abbildungen.  Gera  1894,  Th.  Uoffmann.  48  S.  0,30  M. 
(Partiepreis  geringer.) 


ERSTE  ABTEILUNG. 


ABHANDLUNGEN. 


Die  neuen  Grundsätze  der  lateinischen  Schulgrammatik. 

Nach  den  letzten  Lehrplänen  schien  die  Umgestaltung  der 
hleinischen  Schulgrammatik,  die  man  schon  früher  vielfach  für 
notwendig  gebalten  hatte,  unabweisbar  geboten.  Dem  zufolge  ist 
bei  der  Neubearbeitung  des  Lehrbuchs  für  die  Wahl  und  An- 
ordnung des  Stoffs  eine  Anzahl  neuer  Grundsätze  zur  Anwendung 
gekommen,  die  einschneidend  genug  sind,  um  eine  zusammen- 
hängende Prüfung  ihres  Wertes  zu  rechtfertigen. 

Im  allgemeinen  zielen  die  getroffenen  Änderungen  auf  die 
Vereinfachung  des  bisherigen  grammatischen  Inhalts  hin,  der  nun> 
mehr  in  den  verminderten  Unterrichtsstunden  unmöglich  bewältigt 
werden  kann.  Eine  wesentliche  Kürzung  des  Lehrstoffs  ermög- 
lichte zunächst  der  endgültige  Bruch  mit  dem  Ciceronianismus  in 
seiner  strengsten  Form,  der,  die  Berechtigung  neben  einander 
gehender  Spracherscheinungen  mifsachtend,  jedesmal  den  so- 
genannten klassischen  Ausdruck  fixiert  und  diesen  mit  Regeln 
und  Ausnahmen  zu  schützen  gezwungen  ist.  Trotzdem  haben 
sich  von  diesem  Prinzip  auch  in  den  neuesten  Lehrbüchern  noch 
zahh*eiche  Spuren  erhalten;  einige  dieser  Fälle,  deren  Ausscheidung 
wünschenswert  ist,  mögen  hier  behandelt  werden.  Fast  allgemein 
und  so  auch  bei  Ellendt-Seyffert  (37.  Aufl.)  §  110  aufgenommen 
ist  die  Regel,  dafs  die  Phrase  sentetUiam  alqm  rogare  in  der 
passiven  Konstruktion  auf  das  Partizipium  rogatu»  sich  beschränke. 
Dals  dieser  Verbindung  in  den  mit  esse  zusammengesetzten  Verb- 
formen nichts  im  Wege  steht,  ist  selbstverständlich.  Aber  auch 
Beispiele,  in  denen  senimtiam  zum  einfachen  passiven  Verbuni 
tritt,  si  ipse  A.  Cluentius  smteniiam  de  tudicüs  rogaretur  Cic  p. 
Cluent.  136,  ^t  tUmam  amnes  ante  me  senuntiam  rogarentur  Cic. 
Pbil.  V  5  beweisen,  dafs  jene  Einschränkung,  die  überdies  durch 
Analogie  kaum  zu  schützen  wäre,  durchaus  unstatthaft  ist.  Ebenso 
muTs  die  Bemerkung  gestrichen  werden,  dafs  die  abl.  comparatio- 
nis  exgpectatione ,  opmiane,  gpe  vor  den  Komparativ  zu  stellen 
sind  (E.  S.  §  138).     Vielmehr  ergiebt  die  Mehrzahl  der  Stellen  die 

XMttdmft  t  d.  GjamMiaiwcMii  XLVIU.  8.  35 


546     I)i®  neuen  GrundsStze  der  lateinischen  Sehulgrammatik, 

Yoranstellung   des  Komparativs:    ceUrius   omni  opinione  Caes.  b. 
G.  II  3,  VIII  8,  minora  opmione  b.  c.  II  31,  III  21,  IcUius  opmione 
Gic.  in  CatiL  IV  6.     Auch   die  Trennung  der  Konstruktionen  bei 
nasci  und  onn  ist  nicht  aufrechtzuhalten.    Ellendt-Seyffert  (§  140) 
verlangt   bei  Angabe  der  Ellern  den  Ablativ,  bei  Pronomina  die 
Präposition  ex.     So  lange  aber  nicht  erwiesen  werden  kann,  dafs 
die  Konstruktion  der  Pronomina  überhaupt  von  der  der  Substantiva 
abweiche,  darf  jene  Verbindung  nicht  diesen  Worten  allein  zuge- 
sprochen werden,  sondern  mufs  als  in  der  Natur  der  Verba  be- 
gründet jeder  Art  von  Substantiven  zu  Gute  kommen.     So  finden 
sich   bei  Cicero   unterschiedslos   die  Verbindungen  love  natu»  de 
nat.  deor.  III  54,  a  love  ortus  p.  Plane.  59,  e  Yulcano  naius  de 
nat.  deor.  III  57,  ab  illo  ortus  p.  Hur.  66,  ex  nohis  nati  de  nat. 
deor.  11  62,  quibus  ortus  Phil.  II  118.     Dafs  ferner  die  Verba  der 
sinnlichen  Wahrnehmung  mit  dem  Partizipium  nur  bei  unmittel- 
barer Wahrnehmung  verbunden  werden,   wie  noch  immer  einige 
Lehrbücher  bestimmen,  läfst  sich  weder  aus  dem  Sprachgebrauch, 
noch  durch  irgend  welche  Grunde  aus  der  Bedeutung  des  Parti- 
zipium oder  jener  Verba  entwickeln.     Ist  doch  zweifellos  in  fol- 
gendem Beispiel  die  Wahrnehmung  eine  unmittelbare,  und  trotzdem 
wird  der  Infinitiv  gesetzt:   eum  videni  sedere  ad  latus  praetoris  et 
ad  aurem  .  .  insusurrare  Cic.  in  Verr.  V  107,  während  in  ducem  .  . 
vidtmus  mtestinam  aliquam  cotidie  pemidem  rei  fuhUcae  moUentem 
in   Catil.  I  5    die   rein   sinnliche  Wahrnehmung   ausgeschlossen 
scheint.     Eine    ähnliche  Freiheit   der  Konstruktionen    nach    den 
Verben  volo,  nolo,  malOf  cupio,  die  neben  dem  Infinitiv  bei  gleichem 
Subjekt   auch    den    acc.  c.  inf.   zu   sich   nehmen  dürfen,    ist  bei 
Ellendt-Seyffert  (§  167)   auf  den  Fall  beschränkt,  „wenn  die  Er- 
füllung des  Wunsches  nicht  allein  vom  Subjekte  abhängig  ist,  daher 
besonders  bei  passiver  Form  des  Prädikats*^     Darum  soll  es  stets 
heifsen  volo  hoc  facere,  aber  sapietUem  civem  me  et  esse  et  nume- 
rari  voh.    Allein  liegt  denn  wirklich  die  Erfüllung  des  Wunsches 
beim  aktiven  Infinitiv   mehr  in   der  Hand   des  Subjekts  als  bei 
der   passiven  Verbform?     Sind   nicht  in  volo  hoc  facere   ebenso 
viele  äufsere  Hindernisgründe  denkbar  wie  in  dvem  sapientem  me 
did  volol      In    dem    Sprachgebrauche    findet  diese  gekünstelte 
Erklärung  jedenfalls  keinen  Halt:  sese  volunt  posse  (mma  Cic  p. 
CInent.  152,  se  m  hac  urhe  florere  in  Catil.  H  25,  se  Heradiensem 
esse  p.  Arch.  10,  dommum  se  esse  de  dom.  107,  se  perire  cuperet 
p.  Sulla  32,  nosmet  ^sos  hebescere  et  languere  nolumus  Acad.  prior. 
II  6,  innocentes  eanstimari  vobimus  Verr.  II  28,  conspiä  in  Pis.  60 
esse  ammendati  de  prov.  cons.  38,  amari  et  diligi  Verr.  IV  51. 
Kein  haltbarer  Grund  kann  ferner  die  Regel  stützen,   dafs  nach 
coneedo  und  permitto  nur  dann  der  Infinitiv  folgen  dürfe,  wenn 
diese  Verba  mit  dem  Dativ  eines  persönlichen  Objekts  verbunden 
sind  (Ell.-Seyff.  §  203).     Ebenso   sprechen   die  Steilen  dagegen: 
de  re  publica  nid  per  eondUum  loqui  nan  eoncedäw  Caes.  b.  G 


voB  G.  von  Robiliniki.  547 

VI  20,  st  rtdere  eancesium  9Ü  Cic.  Tusc.  disp.  IV  66,  logui .  ,  et .  . 
numerare  cancedi  nuüo  modo  potest  ib.  V  31.  Schliefslich  soll  noch 
die  Richtigkeit  des  bekannten  Zusatzes  zu  den  Verben  des  Furchtens 
in  Zweifel  gezogen  werden,  nach  denen  ut  nur  dann  gestaltet 
ist,  wenn  diese  Verba  affirmativ  stehen.  Der  Fall,  dafs  überhaupt 
mit  ut  die  Verba  timendi  konstruiert  werden,  ist  so  selten,  dafs 
derselbe  aus  den  gesamten  Reden  Ciceros  nur  mit  acht  Stellen 
belegt  werden  kann.  Darum  dürfen  nur  innere  Gründe  die  Aus- 
schliefsung  des  lU  nach  negativen  Verben  entscheiden,  und  solche 
aufzustellen  ist  unmöglich.  Nun  sollte  die  Freiheit  der  Kon- 
struktion mit  ut  schon  der  Umstand  befürworten,  dafs  ne  non 
nur  bei  Cicero  häufig  ist,  später  aber  sich  nirgends  mehr  findet. 
Aber  auch  aus  Cicero  selbst  kann  der  Beweis  für  den  uneinge- 
schränkten Gebrauch  der  Konjunktion  gebracht  werden.  Denn 
negativen  Sinn  hat  die  Frage:  an  hoc  timeham,  ut  possutn praesens 
sHstinere?  de  dom.  56,  und  in  dem  Satz  quod  et  .  .  Simulant  ss 
thnere^  ne  verendum  quidem  est,  ut  tenere  se  possit,  ut  moderari .  . 
Phil.  V  48  steht  ut  nach  negiertem  vereri. 

In  den  behandelten  Fällen  ist  die  Vereinfachung  des  gram- 
matischen Stoffs  aufser  Frage,  da  eine  Anzahl  von  Jtegeln  oder 
Zusätzen  überflussig  wird.  Den  entgegengesetzten  Erfolg  trotz 
der  Kürzung  des  Inhalts  hat  die  Forderung,  der  in  den  neuen 
Lehrbuchern  vielfach  nachgekommen  ist,  dafs  aus  den  verschiedenen 
Konstruktionen  eines  Ausdrucks  die  häufigste  Verbindung  heraus- 
zuheben und  als  Regel  aufzustellen  sei.  Freilich  wird  die  Regel 
über  die  Ortsbestimmungen  mit  totus  und  loctis  z.  B.  verkürzt, 
wenn  dieselbe  nur  die  Angabe  enthält,  dafs  auf  die  Frage  wo? 
der  blofse  Ablativ  gesetzt  wird.  Dadurch  aber,  dafs  die  häufige 
klassische  Konstruktion  mit  der  Präpositon  in  weggelassen  ist, 
wird  diese  für  den  Schüler  natürlich  verboten.  So  zieht  diese 
Kürzung  einmal  den  Fehler  der  Ungenauigkeit  nach  sich;  dann, 
statt  die  Regel  zu  vereinfachen,  erschwert  sie  dieselbe  vielmehr. 
Denn  gerade  der  Gebrauch  der  Präposition  in  diesem  Falle  ist  der 
naturgeinäfsere  und  dem  Schüler  so  geläufig,  dafs  erst  aus  der  Ver- 
pönung  desselben  für  die  Regel  eine  Schwierigkeit  erwächst.  Wie 
demnach  derartige  Kürzungen  auf  der  einen  Seite  keineswegs  die 
Vereinfachung  der  Regel  bedeuten,  so  drohen  diese  andererseits  der 
Grammatik  den  gleichen  Schaden  zuzufügen,  den  ihr  die  dem  Prinzip 
des  Ciceronianismus  entsprungene  Einschnürung  der  Sprache  ge- 
bracht bat.  Aus  diesem  Grunde  ist  bei  den  Verben  cogere  und  proAt- 
bere  nicht  allein  die  häufigste  Konstruktion  des  Infinitivs  anzugeben, 
sondern  auch  die  berechtigten  Verbindungen  mit  ut  und  ne  oder 
quominus  verlangen  Berücksichtigung,  von  denen  die  erstere  in 
einem  Drittel  der  Stellen,  die  zweite  in  einem  Fünflei  etwa  bei 
Cicero  sich  behauptet.  Auch  der  Gebrauch  des  Frageadverbium 
quij  den  die  Grammatik  auf  die  Verba  fieri  und  posse  beschränkt, 
muis  unterschiedslos  für  alle  Verba  gestattet  werden,   wenn  man 

3ö» 


548     D>®  oeaen  GroadsStze  der  lateinischen  Schulf  rammatik, 

Dicht  den  Fehler  machen  will,  aus  der  Häufigkeit  der  Fragen  qui 
ß?  qui  poteti?  eine  besondere  Zugehörigkeit  des  Adverbium  zu 
diesen  Verben  zu  folgern.    Aus  den  Cicerolexika  wenigstens  lassen 
sich  etwa  30  andere  Zeitwörter  zählen,  die  mit  diesem  Fragewort 
verbunden  sind.     Ähnlich  steht  es  mit  der  Partikel  necne,   die 
man  nur  in  indirekten  Fragen  und  ohne  Yerbum  zuzulassen  pflegt. 
Die  erste  Bestimmung  findet  darin,  dals   die  Partikel  in  Ciceros 
Reden   und    philosophischen  Schriften    nur   dreimal  im  direkten 
Fragesatz  vorkommt,  eine  obschon  schwache  Stötze  —  denn  die 
Unanfechtbarkeit  dieses  Gebrauchs  steht  darum  wohl  aufser  Zweifel; 
dafs  aber  ein  Verbum  zu  neme  treten  darf,  zeigt  die  häufige  Form 
der  disjunktiven  Frage,   die  im   zweiten  Gliede  das  Verbum  des 
ersten   Gliedes  zu  wiederholen  liebt:   sint  illa  necne  snU  Cic.  de 
fin.  IV  29,  possimus  necne  possimus  ib.  69,  doleam  necne  doleam 
Tusc.  disp.  II  29  etc.     Auch  das  Kapitel  vom  Gerundium  verlangt 
verschiedene  Erweiterungen.    Zunächst  ist  die  übliche  Bestimmung, 
dafs  das  Gerundium  eine  bevorstehende  Handlung  bezeichne,  nicht 
umfassend  genug;  die  Nominalform  druckt  ebenso  gut  die  Gleich- 
zeitigkeit aus,   wie  in  mens  discendo  alitur,  equüandi  perüimmm 
erat.     Dann    ist    der  Zwang   zur  Anwendung   des   Gerundivs  im 
Genetiv  erheblich  zu  mildern,  da  wohl  ebenso  häufig  das  Gerundium 
mit  dem  Accusativ  in  diesem  Kasus  bei  den  Klassikern  sich  findet. 
Ferner  berechtigt  nichts  die  Zurücksetzung  der  Präposition  oft,  die 
meist  von    der  Verbindung    mit  dem   Gerundium   ausgeschlossen 
wird.     Bei  Cicero  wird  dieselbe  nicht  selten  so  gebraucht,   z.  B. 
oh  rem  iudicandam,  ob  ius  dicendum,  ob  absolvendum,  ob  decreta 
interponenda,  oh  iudicandum^  decemendum,  imperandum,  condem- 
nandum,  ob  considatum  obtinendum  etc.     Schliefslich  ist  die  An- 
wendung der  Präposition  a  beim  Gerundiv  keineswegs  durch  die 
Zweideutigkeit  aliein  bedingt,   die  der  übliche  Dativ  verursachen 
wurde.     Dies   beweisen   Stellen  wie  st  etiam  monendi  estis  a  me 
Cic.  p.  Font.  42,  a  me  in  dicendo  praetereunda  non  sunt  de  imp. 
Pomp.  34,   eos  .  .  venerandos  a  nohis  et  colendos  putatis  de  leg. 
agr.  II  95,  eum  numquam  a  me  esse  accusandum  putavi  de  har. 
resp.  5  etc.    Keine  Regel  aber  beschränkt  die  Freiheit  der  Sprache 
unberechtigter  als  die  Bestimmung,  die  kaum  in  einer  Grammatik 
fehlt,    dafs    die  pronomina   possessiva   nur   dann    zu    übersetzen 
sind,  wenn  die  Deutlichkeit  es  fordert.    Ein  paar  Beispiele  müssen 
genügen,  um  bei  Verwandtschaftsbezeichnungen,  wo  die  Deutlich- 
keit  es   gar    nicht  erfordert    den  Gebrauch  des  Possessivum  zu 
bezeugen:  invito  despondit  ei  ßiam  suam  Cic.  p.  Ciuent.  179,  fiUum 
suum  . .  foras  ad  propinquum  suum  quendam  mittit  in  Verr.  I  65, 
%Uinam  . .  avum  tuum  meminisses  in  Phil.  I  34,  quid  ego  de  me,  de 
fratre  meo  loquar?  p.  Plane.  20,   commendo  vobis  parvum  meum 
ßium  in  Catil.  IV  23. 

Wenn   die  obigen  Ausführungen  den  Beweis  erbracht  haben, 
dafs    die   Erweiterung    der    Regeln    trotz    gröfserer   räumlicher 


voD  G.  von  RobiliDflki.  549 

Aasdehnang  den  grammatischen  Inhalt  vereinfache,  so  ist  schon 
aus  diesem  Grunde  die  Forderung  berechtigt,  in  diese  Erweiterung 
die  häufigsten  Sprachgesetze  des  silbernen  Latein  zu  ziehen,  soweit 
diese  für  die  Schullektüre  in  Betracht  kommen.  Hierzu  kommt, 
dafs  die  Beschränkung  auf  die  Ciceronianische  Syntax  in  der 
Schulgrammatik,  die  früher  durch  das  Gewicht  Ciceros  im  la- 
teinischen Unterricht  geboten  schien,  durch  das  Vortreten  der 
Historiker  in  der  Lektüre  gänzlich  den  Boden  verloren  hat.  Am 
dringlichsten  aber  spricht  für  die  Berücksichtigung  der  nach- 
ciceronianischen  Sprache  die  Erwägung,  dafs  wegen-  der  Ver- 
minderung der  grammatischen  Unterrichtsstunden  zumal  in  den 
oberen  Klassen  mehr  wie  früher  der  Schüler  aus  der  Lektüre 
Grammatik  lernen  mufs.  Dazu  soll  ihn  sein  Lehrbuch  hinführen, 
während  es  ihm  jetzt. häufig  genug  den  Weg  verschliefst.  Darum 
darf  dem  Schüler  nicht  die  Konstruktion  von  invadere  äliquem 
und  excedere  modum  verboten  werden,  die  ihm  aus  der  Lektüre 
der  Livius  geläufig  wird.  Ebenso  sollte  die  häufige  Verbindung 
der  mit  cum  zusammengesetzten  Komposita  mit  dem  Dativ,  die 
auch  dem  goldenen  Latein  nicht  fremd  ist,  statthaft  sein,  sowie 
der  freiere  Gebrauch  des  gen.  partit.  bei  neutra  von  Adjektiven 
und  Ortsadverbien.  Der  Nominativ  des  Substantivs,  den  Livius 
zu  mihi  in  mentem  venit  setzt,  gilt  als  unklassisch.  Doch  findet 
er  sich  auch  bei  Cicero:  ut  vos  iudicetis  huius  rei  itis  atque  ac- 
tionem  in  mentem  maioribus  nastris  nan  venisse  p.  Caecin.  40,  nisi 
forte  exisiimatis  hanc  tantam  eonluvionem  Uli  tantamque  ei>ersi(mem 
civitatis  in  mentem  subito  in  rostris  cogitanti  venire  potuisw  de  bar. 
resp.  55.  Um  so  mehr  scheint  die  Freilassung  der  persönlichen 
Konstruktion  geboten.  Der  gleiche  Grund  ist  für  opus  est  mafs- 
gebend,  dem  man  neuerdings  die  persönliche  Konstruktion  ab- 
sprechen will  trotz  mihi  frumentum  non  opus  est  Cic.  in  Verr.  III 
196,  bono  patri  familias  colendi,  aedificandi,  ratiocinandi  guidam 
usus  opus  est  de  re.  pub.  V  4.  Diese  Bestimmung  dürfte  aber 
nötiger  sein  als  die  Angabe  des  Abi.  vom  Part.  Perf.  Passiv,  die 
die  Grammatik  beibehält.  Ferner  müssen  die  Schranken  fallen, 
mit  denen  der  Gebrauch  des  dat  gerundii  wegen  der  Abneigung 
Ciceros  vor  dieser  Konstruktion  begrenzt  wird,  wenn  das  Beispiel 
der  Historiker,  die  diesen  Kasus  bevorzugen,  Nachahmung  verdient. 
Auch  in  dem  Abschnitt  über  die  koordinierenden  Konjunktionen 
läfst  sich  eine  Anzahl  von  Bemerkungen  schon  aus  dem  Sprach- 
gebrauch Ciceros  als  zu  eng  gefafst  erweisen,  um  so  nötiger  scheint 
die  Erweiterung,  wenn  die  Historiker  berücksichtigt  werden.  So 
sieht  zur  Verbindung  zweier  Adjektiva  oder  Adverbia  häufig  nee, 
nicht  et  non  allein,  etiam  wird  dem  betonten  Worte  ebenso  gut 
nach  wie  vorgestellt,  et  findet  sich  in  der  Bedeutung  „auch'*  nicht 
ausschliefslich  beim  Pronomen,  und  der  Konjunktion  igitur  darf 
die  erste  Stelle  im  Satze  nicht  verwehrt  werden.  Am  drückendsten 
aber  ist  der  Zwang,  den  die  Grammatik  mit  den  Regeln  über  die 


550     ^^^  nenen  GrondfiMtze  der  lateinisehen  Schalipraminatik, 

Finalsätze  durch  die  Ausschliefsung  des  nachciceronianischen 
Sprachgebrauchs  ausübt.  Dafs  bei  den  Verben  der  Aufforderung 
die  Konstruktion  mit  dem  Infinitiv  gleiche  Berechtigung  habe  wie 
die  Verbindung  mit  dem  Konjunktiv,  zeigen  die  Verba  iuberej 
vetare,  velle,  nolle,  molk,  cupere,  nach  denen  der  acc.  c.  inf.  zur 
Regel  geworden  ist.  Doch  pflegt  von  allen  fibrigen  Zeitwörtern 
dieser  Klasse  nur  noch  imperare  angeführt  zu  werden,  das  neben 
dem  Konjunktiv  den  passiven  Infinitiv  zuläfst.  Wenn  aber  die 
Berechtigung  dieser  Konstruktion  in  der  Natur  der  Nominalform 
und  in  der  Bedeutung,  nicht  in  der  zufälligen  Form  des  regierenden 
Verbum  zu  suchen  ist,  so  liegt  kein  Grund  zur  Beschränkung 
dieser  allerge wohnlichsten  Spracherscheinung  des  silbernen  Lateins 
vor,  besonders  da  ihre  Existenz  auch  in  der  mustergültigen  Periode 
der  Sprache  durch  eine  beträchtliche  Zahl  bisher  zu  wenig  be- 
achteter Beispiele  bewiesen  werden  kann.  Denn  postulare  ist  in 
Ciceros  Reden  und  philosophischen  Schriften  und  bei  Cäsar  acht 
mal  mit  dem  inf.  oder  acc.  c.  inf.  verbunden,  p.  Quinct.  56,  86,  div. 
in  Caec.  34,  in  Verr.  III  138,  139,  de  fin.  III  58,  Tuscul.  IV  76,  b. 
Call.  rV  16,  hartari:  haec  minora  relmq^iere  hortatur  p.  Sest.  7, 
monere:  ut  eum  mae  libidines  flagitmae  facere  monebatU  (Var. 
admonebant)  in  Verr.  III  63,  ratio  ^sa  manet  amicitias  comparare 
de  fin.  I  66,  Philippus  .  .  vitare  monebalur  6e  fato  5,  praedpere: 
itutitia  .  .  praidpü  parcere  .  .  consulere  . .  reddere  .  .  tangere  de  re 
publ.  III  24.  So  dürfte  auch  bei  der  ängstlichsten  Berücksichtigung 
des  klassischen  Sprachgebrauchs  nichts  gegen  die  Verallgemeinerung 
der  Konstruktion  dieser  Verba  auszusetzen  sein,  mit  welcher  einer 
der  störendsten  Gegensätze  zum  silbernen  Latein  beseitigt  wird. 
Die  besprochenen  Mafsnahmen  zielen  nach  der  Vereinfachung 
des  grammatischen  Inhalts,  ohne  an  der  bisherigen  Gestalt  des 
Lehrbuchs  wesentliche  Änderungen  vorzunehmen:  den  vollständigen 
Umbau  der  Syntax  jedoch  macht  die  Forderung  nötig,  als  Grund- 
lage für  die  grammatische  Unterweisung  die  Muttersprache  hin- 
zustellen, so  dafs  die  besondere  Behandlung  der  in  beiden  Sprachen 
übereinstimmenden  Gesetze  in  der  lateinischen  Grammatik  über- 
flüssig wird.  Die  Unhaltbarkeit  dieser  Methode  ist  von  Eichner  in 
dem  Aufsatze:  Zur  Umgestaltung  des  lateinischen  Unterrichts  (Berlin 
1888,  Gärtner)  überzeugend  nachgewiesen  worden.  Wenn  aber 
auch  die  durchgehende  Vermittlung  der  deutschen  Sprache  für 
den  grammatischen  Unterricht  unmöglich  ist,  so  scheint  doch  im 
einzelnen  die  Aufgabe  noch  lohnend  genug,  die  Regeln  durch 
Ausscheidung  gleichartiger  Konstruktionen  zu  entlasten.  Warum 
sollte  man  nicht,  so  liefse  sich  argumentieren,  in  dem  Abschnitt 
über  die  Konzessivsätze  z.  B.  die  Bestimmungen  über  quamquam^ 
etsi,  tametii  fortlassen,  da  der  Schüler  in  der  Anwendung  dieser 
Konjunktionen  nicht  fehlgehen  kann?  Dagegen  muCs  erstens  ein- 
gewendet werden,  dafs  eine  solche  Kürzung  rein  äufserlich  ist 
und    die  Regel    um    nichts  vereinfacht,    da  die  ausgeschiedenen 


TOB  G.  Ton  RobtliBski.  551 

KonjonktioDen  und  ihr  Gebrauch  dem  SchOler  ja  doch  gegenwärtig 
sein  müssen.  Wenn  femer  nur  diejenigen  Konjunktionen  ange- 
führt werden,  deren  Konstruktion  yom  Deutschen  abweicht,  so 
kommen  die  nicht  behandelten  in  dem  grammatischen  Unterricht 
zu  kurz  und  werden,  falls  sie  nicht  die  Lektüre  stützt,  ganz  yer- 
dringt.  Die  Grammatik  aber  darf  sich  mit  der  einfachen  Angabe 
der  Konstruktionen  nicht  begnügen,  sondern  mufs,  wo  es  angeht, 
das  Verständnis  so  weit  zu  vertiefen  suchen,  dafs  der  Zusammen- 
bang und  die  Notwendigkeit  der  Sprachgesetze  vor  allem  beißen 
wird.  Und  wie  sollte  diese  wichtigste  Aufgabe  zu  Iftsen  sdn,  wenn 
die  zufallige  Obereinstimmung  der  Konstruktionen  in  beiden 
Sprachen  diese  der  Behandlung  in  der  lateinischen  Grammatik 
entzieht? 

Andere  mannigfache  Neuerungen,  die  ebenso  die  Form  wie 
den  Inhalt  der  Grammatik  betreffen,  hängen  von  der  veränderten 
Stellung  ab,  die  dem  Lehrbuch  im  grammatischen  Unterricht  zu- 
gewiesen werden  soll.     Bisher  wurde  der  stärkste  Nachdruck  auf 
den  grammatischen  Stoff  gelegt,  die  Form  der  Regel  befriedigte, 
wenn  sie  nur  das  Sprachgesetz  zum  deutlichen  Ausdruck  brachte. 
Neuerdings  aber  ist  bei  dem  allgemeinen  Streben  nach  Verbesse- 
rung der  Methode  der  Fassung  der  Regeln  weit  gröfsere  Auf-* 
merksamkeit  zugewandt  und  hat  bis  zu  der  extremen  Forderung 
geführt,    dafs    die  Schulgrammatik   ein  „Lembnch''   sein  müsse, 
also  nur  den  gedächtnismäfsig  anzueignenden  Stoff  in  einer  zum 
Lernen  fixierten  Form  zu  bringen  habe.    Wenn  in  der  That  für 
den  grammatischen  Unterricht  die  Regeln  genügten,    mit  deren 
Einprigung  derselbe  auf  der  Unter-Secunda  zu  einem  vorläufigen 
Abschlufs  gebracht  werden  soll,  so  wäre  diese  Stoffverminderung 
dankenswert.     Aber   auch  bei  der  äufsersten  Beschränkung  der 
Aufgaben,  die  die  neuen  Lehrpläne  stellen  (S.  24),  der  gelegent- 
lichen   Erweiterung    des    Gelernten,    der    induktiven    Ableitung 
stilistiscber  Eigentümlichkeiten  ist  die  Unterstützung  des  Lehrbuchs 
in    keinem  Falle  zu  entbehren.    Auch  wenn  die  Regel  noch  so 
deutlich  durch  Induktion  gewonnen  wird,  so  kann  man  doch  auf 
ihren  Besitz  nur  rechnen,  falls  sie  durch  mehrfache  Wiederholungen 
befestigt  werden  kann.     So  lange  man  also  das  eingehende  Ver- 
ständnis der  Sprache  bei  der  Lektüre  als  ein  unverrückbares  Ziel 
des  Unterrichts  hinstellt,  so  lange  wird  das  Lehrbuch,  das  nur  den 
elementaren  Lernstoff  bietet,  einen  wichtigen  Teil  seiner  Aufgabe 
nicht  erfüllen.   Was  femer  die  Form  der  Regeln  betrifft,  so  mufs 
die   klare  und  präzise  Fassung  derselben  dem  Unterrichte  erheb- 
lichen Nutzen  bringen,  und  in  dieser  Beziehung  ist  auch  ein  ent- 
schiedener Fortschritt   der  heutigen  Grammatik  zu  verzeichnen. 
Diese  Verbesserung   aber   kann   dem  Unterrichte  nicht  zu  gute 
kommen,  wenn  man  verlangt,  wie  es  vielfach  geschieht,  dafs  in 
der    gegebenen  Fassung  nun  auch  die  Regel  auswendig  gelernt 
wird.     Denn  erstens  ist  bei  einem  Lehrbuch,  ^as  ()ei)  Schüler 


552     Die  neuen  Grundsätze  der  Uteinischen  Schalj^rammatik, 

durch  aUe  Klassen  begleitet,  eine  Bearbeitung  uum6glich,  die  den 
einzelnen  Regeln  einen  der  Stufe  des  Lernenden  entsprechenden 
Ausdruck  zu  geben  vermöchte,  ohne  dafs  die  Form  eine  uner- 
trägliche  Buntscheckigkeit  erhält.  Bei  der  Behandlung  des  abl. 
absol.  z.  B.  kann  die  Grammatik  natürlich  nur  ein  gereifteres  Ver- 
ständnis berücksichtigen,  den  Anfanger  in  diesen  Sprachgebrauch 
einzuführen  und  ihm  die  Erkenntnis  seines  Wesens  zu  ermöglichen, 
das  ist  Sache  des  Lehrers.  £in  richtig  angelegter  grammatischer 
Unterricht  aber  wird  die  gedächtnismäfsige  Einprägung  der  Regel 
nach  ihrem  Wortlaut  überhaupt  verwerfen.  Ist  die  Regel  bis  zu 
ihrem  vollen  Verständnis  durchgearbeitet  worden,  so  llllt  dem 
Lehrbuch  die  Aufgabe  zu,  dem  Schüler  für  die  Wiederholung  die 
nötigen  Haltepunkte  zu  geben.  Man  begiebt  sich  nun  einer  sehr 
wichtigen  Geistesgyoinastik ,  wenn  bei  der  Befestigung  der  Regel 
der  Wortlaut  derselben  von  dem  Schüler  verlangt  wird,  statt  ihn 
durch  ausgiebige  Fragestellung  zum  schnellen  Denken  zu  zwingen 
und  nach  Erschöpfung  der  Einzelheiten  ihn  in  eigener  Arbeit  die 
Form  des  behandelten  Sprachgesetzes  finden  zu  lehren.  Wenn 
man  dann  noch  zugiebt,  dafs  das  Wissen  der  Regel  keineswegs 
von  der  Beherrschung  ihres  Wortlauts  abhängt,  die  Form  vielmehr 
sich  schnell  verflüchtigt,  während  ihr  Inhalt  zurückbleibt,  so  mufs 
das  Auswendiglernen  von  Regeln  als  unnötig  und  darum  als  eine 
Belastung  des  grammatischen  Unterrichts  angesehen  werden.  Ob 
selbst  das  Lernen  der  Lehrbeispiele  den  erwarteten  Nutzen  bringt, 
ist  eine  nicht  unbedingt  zu  bejahende  Frage.  Die  Schwierigkeit  bei 
der  Wahl  treffender  Sätze  ist  keine  geringe:  er  soll  ein  Muster 
besten  Lateins  sein,  ein  möglichst  reicher  Inhalt  wird  von  ihm  ver- 
langt, und  vor  allem  mufs  er  die  Regel  klar  zum  Ausdruck  bringen. 
Diese  Forderungen  schienen  am  besten  den  Klassikern  entnom- 
mene Stellen  zu  erfüllen,  die  für  den  besonderen  Zweck  der 
Regel  zugestutzt  wurden.  Die  vielen  Unzuträglichkeiten,  welche 
solche  Lehrbeispiele  mit  sich  brachten,  haben  einige  Lehrbucher 
zu  beseitigen  versucht,  indem  sie  die  Herkunft  der  Stelle  angeben 
oder,  wo  es  nötig  ist,  den  Zusammenhang  derselben  kurz  erläutern. 
Auch  wurde  der  Vorschlag  gemacht  und  in  einer  Grammatik  be- 
reits befolgt,  bei  der  Wahl  klassischer  Stellen  den  Beispielen  den 
Vorzug  zu  geben,  welche  verschiedene  Konstruktionen  enthielten 
und  daher  mehrere  Regeln  zugleich  illustrieren  könnten.  Immer 
bleibt  aber  der  Obelstand,  dals  das  Lehrbeispiel  zu  umfangreich 
wird,  wenn  es  einen  gewissen  Inhalt  bieten  soll,  und  wird  es  an- 
gemessen gekürzt,  seinen  Inhalt  einbüfst,  wie  der  Satz  zum  acc 
c.  inf.  gerund,  petebant  hg(Ui  a  Caesare,  tU,  si  forte  statuisset 
Aduatncos  esse  conservandos,  ne  se  artnü  deepoUaret  und  das  Bei- 
spiel zu  mppUcare:  Caesari  Cicero  pro  amdmmo  Marceüo  suppU- 
eavit  zeigen  mag.  Nun  ist  das  umfangreiche  Lehrbeispiel  zum 
Gebrauche  wenig  geeignet,  weil  es  den  Einblick  in  die  Konstruktion 
behindert,   die  gedächtnismäfsige  Aneignung  erschwert  und,   wie 


von  G.  von  Robilinski.  553 

die  Praxis  täglich  zeigt,  die  Ruckerinnerung  an  die  Regel  aus 
seinem  Wortlaut  kaum  jemals  erzielen  läfst.  Wenn  man  daher 
die  möglichste  Kurze  des  Lehrbeispiels  für  seine  nötigste  Eigen- 
schaft ansieht,  so  mufs  die  Neuerung,  die  jetzt  in  der  Grammatik 
immer  mehr  Platz  greift,  die  Billigung  för  den  Unterricht  finden» 
dafs  mit  den  einfachsten  Verbiodungen,  wie  perilus  artis,  supplico 
regi^  timeo  ne  vemas,  wm  dubito  quin  venias  etc.  die  Anwendung 
der  Regel  am  besten  verständlich  gemacht  wird.  Unberechtigt 
aber  ist  die  Abneigung  gegen  die  gereimten  Genusregeln,  die  manche 
Lehrbucher  als  alten  Zopf  schon  ausgeschieden  haben.  Dals  dem 
Quintaner  die  Nutzanwendung  der  Reimregeln  schwer  wird  und 
bisweilen  über  sein  Vermögen  geht,  kann  nicht  geleugnet  werden. 
Doch  darum  dürfen  die  Vorteile  einer  sichern  Kenntnis  derselben 
in  der  Folgezeit  nicht  gering  augeschlagen  werden.  Nimmt  ja 
der  Lehrer  wohl  auch  einmal  zu  ihnen  ZuQucht,  um  sich  über 
ein  Genus  zu  Tersichern.  Für  die  Reimregel  ist  als  Ersatz  das  Aus- 
kunftsmittel versucht,  das  Genus  der  in  Betracht  kommenden  Sub- 
stantive durch  zugefügte  Adjektiva  einzuprägen  z.  B.  sol  lueidus,  sal 
Aukus,  orbii  rotundus.  Wie  unzulänglich  diese  Aushülfe  ist,  bedarf 
keines  Beweises.  Was  man  aber  auch  über  den  Wert  dieser  Methode 
urteilen  mag,  jedenfalls  darf  das  Lehrbuch  einen  neuen  Weg  nur 
dann  einschlagen,  wenn  der  frühere  allgemein  verurteilt  ist,  oder 
ist  verpflichtet,  bei  geteilten  Stimmen  die  verschiedenen  Methoden 
zu  berücksichtigen,  wie  dies  bei  den  Genusregeln  einige  Lehr- 
bücher thun.  Überhaupt  verleitet  das  Streben  nach  methodischer 
Vervollkommnung  oft  zu  einer  so  subjektiven  Behandlung  der 
einseinen  Abschnitte,  dafs  die  Grammatik  kaum  von  einem  Lehrer- 
kollegium, geschweige  denn  von  einem  gröfseren  Kreise  von  An- 
stalten mit  Obereinstimmung  der  Fachlehrer  gebraucht  werden 
kann.  So  lange  aber  zum  Glück  für  den  gymnasialen  Unterricht 
ein  einheitlicher  Lehrgang  in  den  einzelnen  Disziplinen  nicht  vor- 
geschrieben ist,  und  im  besonderen  in  der  lateinischen  Grammatik 
die  Mannigfaltigkeit  der  Methoden  gerade  als  ein  Vorzug  ange- 
sehen wird,  so  lange  hat  sich  die  Schulgrammatik  auf  die  objektive 
Darstellung  des  Stoffs  zu  beschränken,  wenn  sie  nicht  diese  Frei- 
heit empBndlich  behindern  veill.  Aus  diesem  Grunde  ist  schon 
die  Stoffverteilung  auf  die  einzelnen  Klassen,  welche  einigen  Lehr- 
bücbem  mitgegeben  ist,  zu  verwerfen.  Überdies  ist  die  einheit- 
liche Regelung  dieser  Frage  ebenso  zwecklos  wie  unmöglich.  In 
vielen  Fällen  kann  die  Zuweisung  der  Regel,  wenn  die  Schwierig- 
keit ihres  Inhalts  entscheiden  soll,  nur  willkürlich  sein:  im  übrigen 
braucht  jede  Anstalt  eine  eigene  Pensen  Verteilung,  die  nach  den 
gegebenen  Verhältnissen,  der  Gröfse  und  Befähigung  der  Klassen, 
dem  Grade  der  Vorbildung,  der  Ausdehnung  des  Schuljahres  ver- 
schieden ausfallen  und  wechseln  mufs.  Auch  eine  neue  Form 
der  Regel,  die  dem  Auffassungsvermögen  des  Schülers  näher  treten 
will,  kann  nicht  gebilligt  werden.     Entweder  wird  der  Lernende 


554     I)i0  neuen  GrandsStze  der  lateiniscben  Sehnlgramnittik, 

ermahnt  z.  B:  ,,Merke  besonders  als  abweichend  vom  Deutschen 
mit  dem  abl.  inslr.  die  Verba  utor  fruor  etc.  Merke  besonders 
rerum  paüri',  aber:  imperio  Graedae  po/tri^',  oder  die  Satzform  wird 
ganz  aufgegeben  wie  in  „mihi  opus  est  libris  (unpers.)«  mihi  (^pus 
sunt  libri  (persönl.)  ich  habe  Bücher  nötig*^  Ob  im  ersten  Fall 
der  Imperativ  mehr  vermag  als  der  Indikativ,  ist  mehr  wie  frag- 
lich, dafs  aber  die  Regel  durch  einen  Satz  ausgedrückt  wird,  ist 
durchaus  zu  verlangen.  Am  seltsamsten  jedoch  müssen  an  den 
Schüler  gerichtete  Anweisungen  folgender  Art  erscheinen:  „Gieb 
die  obigen  Sätze  in  dieser  Form  wieder.  Mache  auch  die  anderen 
Beispiele  abhängig.  Verwandle  folgende  Sätze  in  oratio  recta*' 
u.  8.  w.  Solche  Bemerkungen  haben  in  der  Grammatik  keinen 
Platz;  sie  können  doch  nur  dem  Lehrer  als  Fingerzeige  dienen 
und  sind  dann  in  einer  Anleitung  zum  grammatischen  Unterriebt 
an  rechter  Stelle.  Viel  bedenklicher  noch  als  diese  Übertreibungen, 
mit  denen  das  Streben  nach  Methode  gar  zu  gern  über  das  Ziel 
schiefst,  ist  die  andere  Folge  der  Überschätzung  der  Form,  eine 
gewisse  Gleichgültigkeit  gegen  den  Inhalt,  die  selbst  vor  gramma- 
tischen Ungereimtheiten  nicht  zurückschreckt,  wenn  sie  darin  ein 
Mittel  zum  leichteren  Verständnis  erblickt.  So  ist  in  einer  neueren 
Grammatik  der  Versuch  gemacht,  bei  der  Konjugation  die  zu- 
sammengesetzten Inßnitivformen  durch  Übereinstimmung  mit  dem 
Deutschen  dem  Anfanger  mundgerechter  zu  machen;  in  der  Tabelle 
wird  die  Verbform  also  persönlich  angeführt:  amatus,  a  um  esse, 
amaturuSy  a,  um  esse  u.  s.  w.  Es  liefse  sich  unschwer  beweisen, 
dafs  die  anfangliche  Erleichterung  wett  gemacht  wird  durch  die 
gröfsten  Unzuträglichkeiten,  die  bei  entwickelterem  Verständnis 
die  Einprägung  grammatisch  unmöglicher  Verbindungen  nach  sich 
ziehen  würde.  Aber  auch  ohne  diese  Folge  roufs  ein  Prinzip, 
das  von  einem  Fehler  ausgeht,  an  sich  als  ganz  verkehrt  erscheinen. 
Ebenso  wenig  wird  man  demselben  Verfasser  beistimmen  können, 
wenn  er  in  dem  Streben  nach  Vereinfachung  für  die  Deklination  und 
die  Konjugation  eine  eigene  Lehre  aufstellt,  die  mit  den  Ergeh* 
nissen  der  Wissenschaft  in  schärfstem  Widerspruche  steht.  Beim 
Nomen  sowohl  wie  beim  Verbum  wird  von  dem  Wortstock  aus- 
gegangen, an  den  die  Endungen  ohne  weiteres  treten.  Dement- 
sprechend ist  beim  Verbum  abgeteilt  laud-o,  mon-eo,  otcd-io,  beim 
Imperfektum  gar  werden  die  zusammengehörigen  Bestandteile  mehr- 
fach zerrissen  laud-ah-am,  aud-ieb-am.  Auch  in  der  Deklination 
ist  vom  Stamm  keine  Rede;  die  Endungen  a,  us,  mm,  es  im 
Nominativ  werden  den  Kasusendungen  gleichgesetzt  und  vom 
Substantiv  abgetrennt.  Diese  Anordnung  versagt  bei  der  dritten 
Deklination  gänzlich.  Weil  hier  eine  Unterscheidung  der  Stamme 
notwendig  ist,  so  wird  die  regelrechte  Behandlung  der  konsonan- 
tischen und  vokalischen  Deklination  aufgegeben,  und  eine  Ein- 
teilung nach  Substantiven  und  Adjektiven  ohne  jede  Berechtigung 
^etroffep.     Gegenüber   solcher   Zurücksetzung   der   Wissenschaft 


voD  G.  Ton  Robilinski  555 

mufs  gerade  in  dem  Gebiete  der  Formenlehre  bei  einer  Reihe 
neuerer  Lehrbücher  der  aufserordentliche  Fortschrilt  hervorgehoben 
werden,  der  durch  die  engste  Beziehung  zu  den  Resultaten  der 
grammatischen  Forschung  erreicht  ist.  Dieser  lange  TernachlSssigte 
Teil  der  Grammatik  mit  der  Menge  von  Regeln,  die  unberührt  von 
den  Ergebnissen  der  jungst  erblilhten  Wissenschaft  aus  alter  Zeit 
traditionell  weiter  übernommen  wurden,  hat  durch  die  Bemühungen 
Wageners,  Landgrafs,  Harres  eine  ganz  veränderte  Gestalt  ge- 
wonnen. Die  Vorzöge  der  neuen  Behandlung  mögen  an  der  dritten 
Deklination  gezeigt  werden.  Bisher  wurden  als  Paradigmen  der 
dritten  Deklination  konsonantische  Stämme  gewählt,  die  Deklination 
der  Vokalstämme  fiel  fort,  die  abweichenden  Kasus  fugte  man 
unter  den  Unregelmäfsigkeiten  der  Deklination  zusammen.  Darum 
mufste  der  gen.  plur.  der  parisyllaba  z.  B.  als  Ausnahme  gelernt 
werden,  von  der  wiederum  als  Ausnahme  der  gen.  auf  um  von 
den  Substantiven  cants,  pctfer,  mater  etc.  zu  merken  war.  Es 
bedeutet  also  eine  wesentliche  Vereinfachung,  wenn  auch  die 
Tokalische  Deklination  als  regelmäfsige  behandelt  wird,  zumal  da 
die  Unterscheidung  der  Stämme  als  gleich-  und  ungleichsilbige 
ohnehin  für  die  Genusregeln  nötig  ist.  Vor  allen  Dingen  aber 
hat  diese  Art  der  Behandlung,  die  an  Stelle  der  toten  Regel  die 
Gesetzmäfsigkeit  der  Sprache  betont,  den  grofsen  Vorzug  einer 
weit  intensiveren  Vertiefung  des  grammatischen  Verständnisses  für 
steh  und  gewährt  aufserdem  den  Nutzen  für  die  griechische 
Formenlehre,  die  das  neue  Prinzip  der  lateinischen  Grammatik 
schon  lange  befolgt  bat,  den  Schüler  besser  auszurüsten. 

Es  bleibt  noch  übrig,  von  den  mannigfachen  Vorschlägen  und 
Versuchen  einer  neuen  Anordnung  des  grammatischen  Stoffs  zu 
berichten.  Die  kunstlose  Disposition  der  Syntax,  welcher  die 
grammatischen  Lehrbücher  mit  geringen  Abweichungen  folgen, 
geht  von  dem  Nomen  in  seinen  verschiedenen  Beziehungen  zum 
Satz  aus  und  behandelt  dasselbe  als  Subjekt,  Prädikat,  Attribut 
und  Apposition;  dann  folgt  der  Gebrauch  der  Kasus,  woran  als 
Anhang  die  Orts-,  Raum-  und  Zeitbestimmungen  angefügt  werden. 
Die  Syntax  des  Verbums  umfafst  hierauf  den  gesamten  Rest  der 
Satzlehre.  Sie  beginnt  mit  den  Nominalformen  des  Zeitworts, 
InOnitiv,  acc.  c.  infin.,  participium,  gerundium,  gerundivum,  supinum, 
bringt  die  Lehre  der  Tempora  in  Haupt-  und  Nebensätzen  und 
bebandelt  die  Modi  in  unabhängigen  und  abhängigen  Sätzen.  In 
diesem  Abschnitt  werden  die  Final-,  Konsekutiv-,  Temporal-, 
Kausal-,  Kondizional-,  Konsessiv-,  Komparativ-,  Relativ-  und  Frage- 
sätze aneinandergereiht.  Besondere  Kapitel  sind  nötig  für  die 
oratio  obliqua,  die  beiordnenden  Konjunktionen  und  die  Eigen- 
tümlichkeiten im  Gebrauch  der  Redeteile.  Von  dieser  Einteilung 
urteilt  Eichner  in  seiner  bereits  angeführten  Schrift,  dafs  sie 
unzulänglich  und  nicht  mehr  zeitgemäfs  sei.  Er  verlangt  eine 
wissenschaftliche  Behandlungsweise  (S.  22),    die  in  der  „Wort-' 


556     ^^®  Denen  Grundsätze  der  lateinischen  Sebnlgreromatik, 

Syntax"  nicht  von  dem  regierten  Worte,  wie  es  jetzt  geschieht, 
sondern  von  dem  regierenden  ausgehen  und  das  Satzverhäilnis 
prüfen  müsse,  in  welchem  das  regierte  Wort  zu  diesem  steht 
In  der  Tempus-  und  Moduslehre  (S.  5t)  soll  das  einheitliche  Wesen 
so  bestimmt  und  klar  in  den  Vordergrund  treten,  dafs  daraus 
die  einzelnen  Erscheinungsformen  (z.  B.  im  Hauptsatz  oder  Neben- 
satz, im  Behauptungs-,  Heische-  oder  Fragesatz,  im  Konjunktions- 
satz mit  seinen  Abarten,  im  Relativ-  und  indirekten  Fragesatz) 
sicher  und  leicht  abgeleitet  werden  können.  Von  diesem  Ver- 
fahren, durch  welches  dem  Sprachunterrichte  der  Stempel  einer 
wissenschaftlichen  Behandlungsweise  aufgedrückt  werde,  erhofft 
der  Verfasser  eine  vollständige  Umgestaltung  des  lateinischen  Unter- 
richts. Das  neue  Prinzip  ist  am  konsequentesten  und  mit  dem 
gröfsten  Geschick  in  der  Syntax  von  Schmalz  durchgeführt  worden 
und  soll  deshalb  hier  auf  seinen  praktischen  Wert  geprüft  werden. 
Die  Kasusiehre  ist  folgendermafsen  angeordnet.  Der  erste  Ab- 
schnitt handelt  vom  Subjekt  und  Prädikat;  dann  folgen  als  „Be- 
stimmungen zum  Substantiv"  die  Apposition,  das  adjektivische 
Attribut,  das  attributiv  gebrauchte  Partizip,  der  gen.  definitivus, 
possessivus,  subiectivus  oder  obiectivus,  der  gen.  obi.  noch  Parti- 
zipien und  Adjektiven,  der  gen.  qualitatis,  der  abl.  qualitatis,  der 
gen.  partitivus  und  attributive  präpositionale  Wendungen.  Daran 
werden  gereiht  die  Prädikatsbestimmungen  durch  einen  Objekts- 
kasus (Accus.  Dat.  GeneL)  und  durch  einen  adverbialen  Kasus 
(abl.  sociativus,  instrumenti,  separativus).  Das  nächste  Kapitel 
enthält  eineu  Anhang  über  den  Lokativ  und  die  Orts-  und  Zeit- 
bestimmungen. Den  Schlufs  bilden  die  Prädikatsbestimmungen 
durch  Prädikativa,  die  als  veränderliche  und  unveränderliche  ge- 
schieden werden.  Veränderlich  sind  als  Subjekts-  und  Objekts- 
prädikativa  die  subst.  personalia,  Adjektiva  und  Partizipia,  das 
Subjektsprädikativum  steht  bei  esse,  fieri,  eanstimari,  dici  etc.  und 
beim  abl.  absol.,  das  Objektsprädikativum  bei  videre,  dticere^  putare 
etc.,  als  partic.  praes.  bei  den  Werben  der  Wahrnehmung,  als 
partic.  perf.  pass.  bei  habere,  teuere,  als  Gerundivum  nach  curo, 
do,  trado  etc.,  als  Akkus,  des  Ausrufs  und  bei  uti  und  nosct  im 
Abl.  Das  unveränderliche  Prädikativum  erscheint  als  gen.  bei  esse, 
als  abl.  quäl.,  als  gen.  pretii  und  als  prädikativer  Dativ.  So  sehr 
man  auch  bei  dieser  Einteilung  bewundem  mag,  dafs  die  stete 
Beziehung  des  Wortes  zum  Satz  bis  ins  kleinste  erreicht  ist,  so 
wenig  scheint  doch  dieselbe  geeignet,  der  Schulgrammatik  zu 
Grunde  gelegt  zu  werden.  Beim  Genetiv  also  will  Eichner  die 
verschiedenen  Spezies  des  Kasus  nicht  ganz  unbeachtet  lassen, 
aber  für  später  vorbehalten;  zunächst  soll  die  Regel'  genügen: 
,,Das  substantivische  Attribut  kommt  in  den  Genetiv'^  (S.  23). 
Das  Zusammenwerfen  aber  der  einzelnen  Arten  des  Genetivs  ist 
durchaus  zu  vermeiden,  erstens  weil  die  Abweichungen  in  der 
Konstruktion,   z.  B.  beim    gen.   subiect.  und  obiect.,  die  genaue 


von  G.  von  Robilinski.  557 

UnterscheiduDg  derselben  verlangen;  zweitens  ist  das  doch  nicht 
das  erste  Ziel  des  grammatischen  Unterrichts,  das  Trejffen  der 
Konstruktion    allein   zu   ermöglichen,    sondern   das  geistbildende 
Moment  liegt  gerade  in  der  Unterscheidung  der  Arten,  aus  welcher 
das  Verständnis  des  Ganzen   erwachsen  muls.    Deshalb  ist  auch 
mit  Recht  in  der  Syntax  von  Schmalz  bei  der  neuen  Anordnung 
des   Stoffs   die  Trennung   der  Regeln   beibehalten.     Dann   aber 
bringt  diese  Einteilung,  wenn  anders  dieselbe  dem  Schüler  zum 
Verständnis  gebracht  werden  soll,  dem  grammatischen  Unterricht 
eine   beträchtliche  Belastung.     Denn    zu  dem   bisherigen  unver- 
kürzten  Pensum    kommen    die    mannigfachen    Beziehungen    des 
Worts  zum  Satz  hinzu,  von  denen  viele,  wie  die  angeführte  Zu- 
sammenstellung   zeigt,     weit    über    das    Fassungsvermögen    des 
Lernenden  gehen  dürften.     In  keinem  Falle  wird  der  Quartaner 
im  Stande  sein,   die  verschiedenen  Arten  des  Genetivs  z.  B.  auch 
noch  in  ihrem  Verhältnis   zum  Satze   einzuordnen.     Auf  welcher 
Stufe  aber  soll  denn   diese  Aufgabe  bei   der  knapp  bemessenen 
Zeit    gelöst    werden?     Am    deutlichsten    zeigt    sich   die   Unhalt- 
barkeit    des   Prinzips  aus   der  unvermeidbaren   Konsequenz  des- 
selben,   dafs    zusammengehörige    Spracherscheinuogen ,    die    sich 
gegenseitig  stützen   und  zur  Erläuterung  zusammengefügt  werden 
müssen,  weit  auseinander  gerissen  werden.   So  zerfällt  der  Genetiv 
iu  drei  getrennte  Abschnitte,  von  denen  der  erste  die  gen.  def., 
possess.,  subiect.,   obiect.,  qualit.,  und  partit.  als  Bestimmungen 
zum    Substantiv    umfafst;    der   zweite    enthält   die    Prädikalsbe- 
Stimmungen  durch  den  Objektskasus  bei  den  Verben  des  Erinnerns, 
jnget,  fudet  etc.,  hUerest  und  refert  und  den  verba  iudicialia,  dann 
folgen  als  unveränderliche  Prädikativa  der  gen.  bei  esse  zur  Bezeich- 
nung einer  Eigenschaft,  eines  Eigentümers  etc.,   der  gen.  qualit. 
und  der  gen.  pretii.   Wegen  der  Gleichartigkeit  der  Konstruktion 
jedoch  empfiehlt  es  sich  viel   mehr,  die  Regel  von  den  Verben 
der  Erinnerung  aus  der  Satzbeziehung  heraus  zu  lösen  und  mit 
den  anderen  Arten  des  gen.  obiect.  zu  vereinigen,  weil  diese  ge- 
rade   am    besten    das   Verständnis    seines   Wesens  zu    vermitteln 
vermag :  oblwiscor  mmrias,  Hünriarum,  amans  patriae,  cupidus  gloriae^ 
amar  patriae.     Und  ganz  verwerflich  erscheint  die  Absonderung 
der  unveränderlichen  Prädikativa.   Das  Merkmal  dieser  Genetive  als 
Prädikatsbestimmung  mufs  geradezu  die  Auffassung  der  einzelnen 
Fälle  verwirren.   Denn  in  dem  Satz  liber  est  patris  ist  der  Genetiv 
nicht  lediglich  Bestimmung  zu  est,  sondern  von  dem  bei  est  wirken- 
den Prädikatsnomen  regiert,  daher  liber  est  mens,  und  ebenso  sind  die 
freieren  Konstruktionen  sapientis  e^  und  die  Bestimmungen  des  Worts 
als  gen.  subiectivi  zu  erklären.  In  gleicherweise  haben  Versuche  einer 
Umgestaltung  der  Satzlehre  zu  keinem  befriedigenden  Resultat  ge- 
fuhrt.   Wäre  es  möglich  die  Lehre  von  den  Tempora  und  Modi  im 
Lateinischen  derart  zu  erschöpfen,  dafs  ihre  Eigenart  uns  ganz  klar 
li^t,  so   wäre  dadurch  die  Behandlung  der  meisten  Nebensätze 


558     ^'  noneii  Grondiätze  d.  Itt.  Schalgr.,  von  G.  t.  Kobilinski. 

überflüssig.    Da  aber  ein  solcher  Grad  der  Auffassung  nicht  er- 
reicht werden  kann,  so  sind  Einzelbestimmungen  über  ihren  Ge- 
brauch in   den  verschiedenen  Satzarten  durchaus  geboten.    Der 
Trennung  in  Haupt-  und  Nebensätze,  wie  sie  mehrfach  versucht  ist, 
widerstreben  die  Temporal-,   Kondizional-,  Komparativ-Fragesätze 
und   die   oratio  obiiqua,  wo  die  zusammenhängende  Betrachtung 
der  Satzgefüge  oder  der  unabhängigen  und  regierten  Sätze  unab- 
weisbar erscheint.    Bemerkenswert  ist  noch  eine  neue  Anordnung 
der  deutschen  Infinitiv-  und  „dals^'-Sätze  in  der  Grammatik  von 
Waldeck.    Von  dem  Inhalt  des  abhängigen  Satzes  ausgehend,  stellt 
derselbe  die  Regel  auf,  dafs  der  acc.  c.  inf.  abhängige  Urteile  als 
Gesagtes  und  Empfundenes,  das  finale  ui  das  abhängige  Begehren 
bezeichnet.    In  der  That  ist  es  nölig,  den  Schüler  von  vornherein 
und   nicht   erst   bei  Durchnahme  der  oratio  obliqua,   wie  es  zu 
geschehen   pflegt,  an  die  Prüfung  des  abhängigen  Satzes  zu  ge- 
wöhnen.   Dann  läfst  sich  auch  die  Regel  über  die  Finalsätze  so 
weit  vereinfachen,  dafs  die  übliche  Zusammenstellung  der  Verba, 
nach  denen  tU  zu  setzen  ist,  fortfallen  kann.     Allein  für  den  acc. 
c.  inf.  ist  die  Bestimmung,  dafs  derselbe  abhängige  Urteile  als 
Gesagtes  und  Empfundenes  bezeichne,  nicht  umfassend  genug  und 
wird   seiner  Natur  nicht  gerecht.     Er  darf  nur  in  der  üblichen 
Weise  als  Nominativ  oder  Akkusativ  der  substantivischen  Nominal- 
form  des  Yerbums   erklärt  werden;    und  diese  Nominalform  be- 
zeichnet keineswegs  das  abhängige  Urleil  allein,  sondern  ebenso 
gut   das    abhängige   Begebren.     Denn    die   Bedeutung   derselben 
wird,  wie  bei  jedem  andern  Substantiv,    lediglich  durch  das  re- 
gierende Verbum  bestimmt     Darum  mufs  man  auf  der  substan- 
tivischen Natur  des  Infinitivs  fufsend,  in  dem  Beispiel  video^  dico  etc. 
te  venire  den  Infinitiv  dem  entsprechenden  Substantiv  gleichsetzen 
und  daraus  entwickeln,  dafs  die  Nominalform  ein  Urteil  ausdrucken 
mufs,  während  bei  volo,  iubeo  etc.  te  venire  der  Infinitiv  wegen 
der  Bedeutung   der   regierenden  Verba   einem  Aufforderungssatz 
gleichkommt. 

Wenn  diese  Ausführungen  nicht  fehlgehen,  so  dürfte  der 
Beweis  gebracht  sein,  dafs  die  Versuche  einer  neuen  Anordnung 
des  Lehrstoffs  zu  keinem  Resultate  führen.  Um  so  nachdrück- 
licher mufs  dem  Ziel  dieser  Versuche,  der  Vertiefung  des  gram- 
matischen Unterrichts,  auf  einem  anderen  noch  wenig  betretenen 
Wege  nachgestrebt  werden.  Das  eindringendere  Verständnis  einer 
Spracherscheinung  ist  nicht  aus  der  Beziehung  derselben  zum 
Satz  zu  gewinnen,  sondern  verlangt  die  Entwicklung  der  Regel 
und  ihre  Verknüpfung  mit  verwandten  Ausdrucksformen.  Wie 
sollte  z.  B.  eine  klare  Auffassung  von  der  Konjunktion  pm  bei 
der  üblichen  Zusammenstellung  erreicht  werden,  wo  qum  gleich 
qui  non,  quod  nan,  dann  gleich ,  ut  non  nach  facere  nm  pos$Hm 
und  nach  einzelnen  Ausdrücken  den  deutschen  Infinitiv-  und 
,)dars**-Satz  vertretend  aufgereiht  ist.     Der  Gebrauch  der  Kon- 


Wozn  lehrei  wir  die  neue  Orthographie?,  vob  K.  Daden.     559 

junktion  mufs  aus  ihrer  ursprünglichen  Bedeutung  warum  nicht?, 
die  der  Schüler  beim  Imperativ  kennen  lernt,  entwickelt  werden. 
Aus  derselben  ergiebt  sich  die  Anwendung  von  quin  und  quin 
etiam  in  Hauptsätzen  zur  Hervorhebung  des  Gedankens,  ebenso 
TOD  HÖH  quin  im  Kausalsatze  gleich  tum  quo  nan.  Dann  steht 
das  Frageadverb  im  indirekten  Fragesatze  nach  noti  dubitare,  nikü 
causae  est  und  ähnlichen  Ausdrücken.  In  allen  anderen  Fällen 
ist  quin  gleich  ut  iton,  mit  dem  die  Konjunktion  der  Bedeutung 
nach  verwandt  ist.  Auch  wo  im  Deutschen  mit  dem  Infinitiv  ohne 
Negation  übersetzt  werden  mufs,  ist  der  negative  Sinn  des  Folge- 
satzes leicht  zu  erklären,  wie  in  temperare  nan  paiuit,  quin  .  .  ar^ 
gentum  tractaret  Cic.  in  Verr.  IV  34,  dafs  er  das  Silbergerät  nicht 
anfaXste,  soweit  konnte  er  sich  nicht  beherrschen. 

Verbesserungsfähig  also  ist  die  Schulgrammatik,  und  viele 
Aufgaben  hat  noch  wissenschaftliche  Forschung  und  pädagogische 
Kunst  zu  Uysen,  aber  an  ihren  alten  bewählten  Grundsätzen  darf 
nicht  gerüttelt  werden.  Je  mehr  die  gegenwärtige  Strömung  dahin 
slrebt,  auf  unerprobter  Grundlage  umfassende  Neuerungen  zu 
versuchen,  um  so  nötiger  ist  die  vorsichtige  Prüfung  derselben, 
damit  der  schwer  betroffene  grammatische  Unterricht  nicht  noch 
gröfseren  Schaden  erleide. 

Königsberg  i.  Pr.  G.  von  Kobilinski. 


Wozu  lehren  wir  die  neue  Orthographie? 

Non  scholae,  sed  vitae  discendum!  Das  ist  zweifellos  der 
treibende  Gedanke  bei  allen  auf  die  Verbesserung  des  Schulwesens 
gerichteten  Bestrebungen  unserer  Zeit,  wie  weit  auch  die  An- 
sichten über  das,  was  für  das  Leben  nötig  und  heilsam  ist,  aus- 
einandergeben mögen.  Auch  die  neuen  Lehrpläne  wollen  den 
Forderungen  jenes  Gedankens  gerecht  werden,  indem  sie  viel- 
fach anstatt  eines  toten  Wissens  ein  lebendiges  Können  ver- 
langen. Es  hätte  in  der  Konsequenz  dieses  Gedankens  gelegen, 
wenn  man  die  Einführung  der  neuen  Lehrpläne  benutzt  hätte, 
um  auf  einem  Gebiete  des  Unterrichts  Wandel  zu  schaffen,  wo 
thatsächlich  zur  Zeit  der  entgegengesetzte  Grundsatz  zu  herrschen 
scheint,  so  daüs  man  mit  Seneca  ausrufen  möchte:  Non  vitae, 
sed  scholae  discimus.    Das  ist  das  Gebiet  der  Orthographie. 

Seit  14  Jahren  sind  die  Lehrer  an  sämtlichen  Volks-  und 
höheren  Schulen  verpflichtet,  die  neue  Orthographie  zu  lehren, 
die  ganze  deutsche  Jugend  mufs  sie  lernen.  Wozu?  Damit  sie 
in  der  Schule,  und  nur  in  der  Schule,  angewendet  werde;  so 
scheint  es  wenigstens.   Denn  die  Lehrer  sollen  in  ihrem  amtlichen 


560  Wozu  lehren  wir  die  meue  Ortho|^raphie?, 

Verkehr  mit  derselben  Behörde,  die  ihnen  die  Unterweisung  in 
der  neuen  Orthographie  zur  Pflicht  macht  und  die  bei  der  Ab- 
schlufs-  und  Entlassungsprufung  darauf  zu  achten  hat,  dafs  die 
Schüler  in  der  Orthographie  —  natürlich  in  der  in  der  Schule 
gelehrten  „neuen''  —  sicher  seien,  eben  diese  Orthographie  nicht 
anwenden.  Und  die  Schüler?  Sobald  sie  aus  der  „Schule"  in 
das  „Leben''  treten,  haben  sie  nichts  Eiligeres  zu  thun  als  die 
erlernte  Othographie  wieder  zu  verlernen,  wenn  sie  nicht  von 
ihren  Lehrherren  und  von  ihren  amtlichen  Vorgesetzten  als  junge 
Leute,  die  „nicht  einmal  orthographisch  richtig  schreiben"  können, 
gescholten  werden  wollen. 

Wie  sollte  es  da  nicht  so  scheinen,  als  ob  die  neue  Ortho- 
graphie wirklich  nur  eine  Schul  Orthographie  sein  solle,  gleich- 
sam eine  Blechmarke,  die  innerhalb  der  Schule  vollen  Wert,  aber 
draulsen  im  Leben  keinen  Kurs  habe.  Aber  es  scheint  doch 
nur  so.  Der  gegenwärtig  herrschende  Zustand  ist  so  widersinnig, 
dafs  er  unmöglich  beabsichtigt  sein  kann.  Er  ist  nur  die  Folge 
von  Umständen  und  Einwirkungen,  deren  Beseitigung  nicht  in 
der  Macht  unserer  höchsten  Unterrichtsbehörden  lag.  Es  ist  also 
nicht  ganz  richtig,  wenn  Professor  E.  Schmolling  auf  S.  530 
des  vorigen  Jahrganges  dieser  Zeitschrift  sagt,  die  Behörden  „ver- 
schmähen" die  neue  Schreibung.  Sie  verschmähen  sie  nicht, 
sondern  sie  haben  ihre  Einfuhrung  in  den  amtlichen  Verkehr  und 
damit  in  das  Leben  nicht  durchsetzen  können.  Es  ist  ganz  un- 
denkbar, dafs  die  höchsten  Unterrichtsbehörden  der  verschiedenen 
deutschen  Staaten  die  neue  Orthographie  in  die  Schulen  einge- 
führt haben  sollten  ohne  die  bestimmte  Aussicht,  sie  auch  in 
das  Leben  einführen  zu  können,  oder  gar  mit  der  Absicht,  sie 
vom  Leben  auszuschliefsen.  Daher  erscheint  es  auch  überflussig, 
zur  „Erklärung  ihres  Verhaltens",  d.  h.  ihrer  „Abweisung  der 
neuen  Schreibweise"  neben  dem  „Trägheitsgesetz"  die  Mängel 
der  Schulorthographie  ins  Feld  zu  führen.  Es  ist  vielmehr  von 
der  Annahme  auszugehen,  dafs  die  genannten  Behörden  die  ganz 
bestimmte  Absicht  gehabt  haben,  der  neuen  Orthographie  durcli 
ihre  Einfuhrung  in  die  Schule  den  Weg  in  das  öffentliche  Leben 
zu  bahnen,  und  dafs  sie  ferner  der  Ansicht  gewesen  sind,  die 
von  ihnen  in  die  Schulen  eingeführte  Orthographie  sei  trotz  ihrer 
Mängel  die  beste,  die  zur  Zeit  zu  haben  sei. 

Wer  bisher  die  Ausführung  der  zweifellos  vorhandenen 
Absicht  unserer  Schulleitung  vereitelt  hat,  ist  allgemein  bekannt 
Kein  vernünftiger  Mensch  zweifelte  daran,  dafs  die  zunächst  für 
die  Schulen  amtlich  angeordnete  Schreibweise  über  kurz  oder 
lang  auch  für  den  amtlichen  Verkehr  überhaupt  angeordnet 
werden  und  so  allmählich  auch  in  den  Privatverkehr  Eingang 
finden  würde.  Schon  war  alles  im  besten  Gang.  „Schon  hatten", 
wie  Schmolling  a.  a.  0.  sehr  richtig  sagt,  „einige  Behörden, 
wie  das  Reichsgericht  in  seinen  gedruckten  Entscheidungen,  die 


von  K.  Dadeu.  561 

neue  Rechtschreibung  aDgeDommen,  schon  ersclüeoen  mehrere 
selbst  militärische  Zeitschriften  in  derselben  —  da  macht  ein 
ehedem  übermächtiger  Wille  einen  Strich  durch  das  Ganze'^ 

Leicht  ertrug  man  damals  diese  Äufserung  eines  übermächtigen 
Willens,  dem  man  so  unendlich  viel  verdankte.  Durfte  man  doch 
hoffen,  es  handle  sich  nur  um  eine  kurze  Übergangszeit,  und 
wenn  erst  die  Schülergeneration,  die  eben  damals  in  die  Schule 
eiogetreten  sei,  in  das  Leben  übergehe,  so  werde  sich  von  selbst 
die  Notwendigkeit  ergeben,  das  auf  amtliche  Vorschrift  hin  in 
der  Schule  Gelernte  auch  für  den  amtlichen  Verkehr  vorzu- 
schreiben, oder  wenigstens  zuzulassen.  Gerade  war  die  Frist, 
die  man  etwa  als  Übergangszeit  angenommen  hatte  —  die  für 
den  Besuch  der  Gymnasien  und  der  ihnen  gleichstehenden  höheren 
Lehranstalten  erforderliche  Zeit  von  9  bis  10  Jahren  — ,  abgelaufen, 
als  jene  „übermächtige''  Persönlichkeit  von  der  Stelle  abtrat, 
wo  ihr  Wille  Gesetz  war.  Dafs  nun  zunächst  weder  die  mafs- 
gebenden  Behörden  an  dem  bestehenden  Zustand  etwas  ändern, 
noch  die  Vertreter  der  Schule  auf  die  Unerlräglichkeit  dieses  Zu- 
standes  hinweisen  mochten,  wer  könnte  das  nicht  verstehen  und 
billigen !  Aber  es  kann  doch  nicht  immer  so  bleiben,  wie  es  jetzt 
ist.  Und  je  länger  es  so  bleibt,  um  so  schlimmer  ist  es.  Mit 
vollem  Recht  sagt  Schmoiling  a.  a.  0.,  dafs  unter  dem  gegen- 
wärtigen Zustande  das  Ansehen  der  Schule  stark  erschüttert  werde. 
Der  Ausdruck  ist  sicherlich  nicht  zu  stark.  Mit  jedem  Jahrgang, 
der  die  Schule  verläTst,  mehrt  sich  die  Zahl  derjenigen,  die  in 
nur  zu  deutlichen  Worten  ihrem  Unwillen  darüber  Luft  machen, 
dals  sie  in  der  Schule  mit  lieifsem  Bemühen  etwas  lernen  viüssen, 
was  ihnen  im  Leben  als  grobe  Unwissenheit,  ausgelegt  wird.  Und 
wer  wollte  es  den  Schülern,  ja  wer  wollte  es  den  Lehrern  ver- 
argen, wenn  sie  angesichts  der  Thatsache,  dafs  gegenwärtig  die 
Schulorthographie  nur  in  futuram  oblivionem  gelernt  wird,  diesem 
Gegenstande  wenig  oder  gar  kein  Interesse  entgegenbringen! 

Und  durch  die  Einführung  der  neuen  Lehrpläne  ist  die 
Lage  der  Dinge  noch  schlimmer,  die  Geringschätzung  der  Ortho- 
graphie bei  den  Schülern  noch  gröfser  geworden.  Bei  der  Stellung, 
die  die  Behörden  zur  neuen  Orthographie  einnehmen,  ist  es  nicht 
zu  verwundem,  wenn  selbst  Lehrer,  sofern  sie  nur  keine  deutschen 
Arbeiten  zu  korrigieren  hatten,  keinen  Wert  darauf  legten,  sich 
eine  sichere  Kenntnis  der  neuen  Schreibweise  anzueignen.  Jetzt 
aber  hat  jeder  Lehrer  deutsche  Arbeiten  zu  korrigieren,  seien  es 
Dan  Übersetzungen  aus  einer  fremden  Sprache  in  das  Deutsche, 
oder  kleine  freie  Arbeiten,  wie  sie  in  fast  allen  Fächern  jetzt 
gemacht  werden  sollen.  Da  kann  man  es  denn  erleben,  dafs  all 
der  Wirrwarr,  dem  die  amtlich  festgesetzte  Orthographie  hatte 
ein  finde  machen  sollen,  seine  fröhliche  Auferstehung  feiert,  indem 
der  eine  Lehrer  als  Fehler  anstreicht,  was  der  andere  verlangt 
hat,  und  umgekehrt.     Zu  welchen  Widerwärtigkeiten   das  führt, 

SdtMhr.  f.  d.  Gjauuftialwesea  XL V III.  9.  36 


562  Wozu  lehren  wir  die  oeae  Orthographie?, 

und  wie  es  das  Ansehen  der  Schule  schädigen  mufs,  das  liegt  auf 
der  Hand.  Die  Schüler  sehen,  dafs  ein  Teil  der  Lehrer  selbst 
nicht  kann,  was  sie  lernen  sollen,  und  die  Lehrer  müssen  sich's 
gefallen  lassen,  dafs  der  Direktor  oder  der  Schulrat  sie  darauf 
aufmerksam  macht,  dafs  für  sie  wenigstens  die  Schulorthographie 
mafsgebend  ist.  Alle  aber  fragen  laut  oder  in  Gedanken:  Cui 
bono?  Wozu  sollen  wir  uns  mit  einer  Orthographie  quälen,  die 
aufserhalb  der  Schule  niemand  brauchen  darf? 

Daus  ein  solcher  Zustand  nur  voröbergehend  zu  ertragen,  für 
die  Dauer  aber  unerträglich  ist,  das  bedarf  keines  weiteren  Beweises. 
Im  Interesse  der  Schule  ist  er  sobald  wie  möglich  zu  beseitigen. 

Aber  wie? 

Zunächst  liegen  zwei  Möglichkeiten  vor.  Entweder  ist  das 
Unterrichtsministerium  heute  noch  derselben  Meinung  wie  vor 
14  Jahren,  dafs  die  für  die  Schüler  vorgeschriebene  Orthographie 
die  der  Entwicklung  unserer  Schrift  zur  Zeit  am  meisten  ent- 
sprechende ist,  oder  es  hat  seine  Meinung  inzwischen  geändert. 

Im  ersteren  Falle  ist  der  Bann,  mit  dem  die  neue  Schreib- 
weise durch  das  Verbot  ihrer  Anwendung  im  amtlichen  Verkehr 
belegt  ist,  sobald  wie  möglich  zu  lösen,  und  zwar  am  besten, 
indem  von  einem  bestimmten,  nicht  zu  weit  hinauszurückenden 
Zeitpunkt  an  die  bisherige  Schulorthographie  für  den  gesamten 
amtlichen  Verkehr  als  mafsgebend  bezeichnet  wird.  .  Mindestens 
aber  ist  bis  auf  weiteres,  wie  es  in  Bayern  schon  jetzt  geschieht, 
den  Behörden  freizustellen,  ob  sie  sich  der  amtlichen  Schulortho- 
graphie bedienen  wollen  oder  nicht. 

Im  anderen  Falle  wäre  theoretisch  wiederum  zweierlei  möglicli. 
Entweder  man  hielte*  es  überhaupt  für  verkehrt,  von  Amts  wegen 
in  die  Regelung  der  Orthographie  einzugreifen  —  dann  brauchte 
man  nur  „einen  Strich  durch  das  Ganze  zu  machen'*  und  zu  dem 
Zustand  vor  1880  zurückzukehren  — ,  oder  man  wäre  nur  mit 
der  Art,  wie  im  Jahre  1880  die  Orthographie  geregelt  ist,  nicht 
zufrieden  —  dann  wäre  an  die  Stelle  der  jetzt  für  die  Schule 
geltenden  Orthographie  eine  andere  zu  setzen  und  zugleich  ihre 
Anwendung  im  amtlichen  Verkehr  für  einen  bestimmten  Zeitpunkt 
vorzuschreiben.  Praktisch  erscheint  das  eine,  die  Rückkehr  zum 
früheren  Zustand,  unmöglich.  Denn  es  giebt  eben  keine  allgemein 
anerkannte  „alte'*  Orthographie,  und  zu  dem  früheren  Zustand  zu- 
rückkehren, das  hiefse  aufs  neue  der  Willkür  Thür  und  Thor 
öffnen,  die  man  eben  durch  die  „neue  Schulorthographie*'  hatte 
ausschliefsen  wollen.  Mit  Recht  sagt  A  d  r i  a  n  in  seinem  Schmerzens- 
schrei  über  die  „vergessene  Schulfrage^'  (Gymnasium  X  Sp.  723): 
„Es  ist  immer  noch  leichter»  von  der  alten  zur  neuen  Ortho- 
graphie überzugehen  als  umgekehrt''.  Es  bliebe  also  nur  die  zweite 
Möglichkeit  übrig,  nämlich  eine  bessere  Orthographie  an  die  Stelle 
der  im  Jahre  1880  für  die  Schule  vorgeschriebenen  zu  setzen,  bzw. 
diese  von  den  Mängeln,  die  ihr  vorgeworfen  werden,  zu  befreien. 


von  K.  Duden.  5g3 

Ob  dieser  Weg  prak lisch,  ob  er  das  geeignete  Mittel  wäre,  in 
der  leidigen  Orthographiefrage  endlich  einmal  wenigstens  für  einen 
gröfseren  Zeitraum  zur  Ruhe  zu  kommen,  das  steht  dahin.  Will 
man  ihn  beschreiten,  so  sind  die  Vorschläge  Schmollings  als 
durchaus  in  der  Richtung  liegend,  in  welcher  sich  die  Entwicklung 
unserer  Schrift  bewegt,  aller  Beachtung  wert.  Einstwellen  aber 
glaube  ich,  dafs  es  der  Erreichung  des  vor  allem  im  Auge  zu 
behaltenden  Zieles,  nämlich  eine  für  alle  Deutschen  gültige  Ortho- 
graphie zu  gewinnen,  nicht  förderlich  sein  würde,  wenn  man  die 
jetzt  wenigstens  für  die  Schulen  ganz  Deutschlands  und  der 
Schweiz  gewonnene  Einheit  —  die  Abweichungen  in  den  Schul- 
oithographieen  der  einzelnen  Staaten  sind  ganz  unerheblich  — 
durch  neue  Yerbesserungsvorschläge  wieder  in  Frage  stellen 
wollte^).  Dafs  auch  ich  unsere  Schulorthographie  keineswegs  für 
die  beste  überhaupt  mögliche  und  daher  auch  nicht  als  ein  für 
allemal  endgültig  festgestellt  betrachte,  brauche  ich  kaum  zu  sagen, 
fch  meine  nur,  anordnen  solle  man  jetzt  nichts  Neues.  Eine 
andere  Frage  ist  es,  ob  man  vielleicht  solche  Verbesserungen, 
die  in  der  Fortsetzung  des  eingeschlagenen  Weges  liegen,  für  die 
Zukunft  anbahnen  sollte,  indem  man,  ähnlich  wie  Schmolling 
es  für  ein  beschränktes  Gebiet  vorschlägt,  auch  für  gröfsere  Ge- 
biete, z.  B.  die  Anwendung  von  k  und  z  statt  c,  von  seh  statt 
ch  in  Fremdwörtern,  Doppelschreibungen  zuliefse.  Doch  in  solche 
Einzelfragen  einzugehen  scheint  mir  nicht  an  der  Zeit,  bevor  an 
mafsgebender  Stelle  die  Hauptfrage  entschieden  ist.  Möge  die 
Entscheidung  bald  fallen  und  damit  der  jetzige  auf  die  Dauer 
schier  unerträgliche  und  das  Ansehen  der  Schule  schwer  schädigende 
Znstand  sein  Ende  finden!') 


^)  Einen  tüinlichen  Standpunkt  hat  auch  die  vom  sehweizerischen  Bondes- 
rat  zar  Regelung  der  orthographischen  Frage  einberufene  Konferenz  ein- 
geaommen.  Obwohl  die  Beibehaltung  des  th  im  Anlaut  gewisser  Stammsilben 
ihr  unzweckmäfsig  erschien,  hat  sie  doch  den  Autrag,  dem  Bescbluls  der 
Annahme  der  preufsischen  Orthographie  den  Znsatz  hinzuzufügen  „mit  dem 
Unterschiede  jedoch,  dafs  auch  im  Anlaute  auf  ein  t  nie  ein  li  gesetzt 
wird*^  abgelehnt  und  sich  darauf  beschrankt,  den  Wunsch  auszusprechen, 
„dafs  in  nicht  gar  ferner  Zeit  in  der  preufsischen  Orthographie  die  In- 
konsequenz in  betreff  des  tia  verschwinden  möchte*'. 

^)  Nachtrag.  Das  Vorstehende  war  bereits  gesetzt,  als  mir  die 
Nachricht  zuging,  der  Herr  Minister  habe  auf  eine  an  ihn  gerichtete  Bitte 
des  preufsischen  Volksschullehrervereins  um  einheitliche  Regelung  der 
Rechtschreibung  geantwortet  ,,dafs  die  Herbeiführung  der  Übreinstimmung 
zwischen  der  Orthographie  der  Schule  und  derjenigen  des  amtlichen  Verkehrs 
bereits  Gegenstand  seines  Bemühens  sei,  dafs  diese  Übereinstimmung  aber 
auf  Dobcreehenbare  Zeit  hioansgeschoben  sein  würde,  wenn  er  zugleich  eine 
ÜBgestaltBog  der  Schulorthographie  des  Deutschen  Reiches  nach  den  Ideen 
des  Laadesvereins  preufsischer  Volksschullehrer  herbeiführen  wollte^S  Dieser 
Beseheid  des  Herrn  Ministers  gewährt  die  erfreuliche  Aussicht,  dafs  die  in 
Rede  stehende  Frage  in  nicht  allzu  ferner  Zeit  in  wünschenswerter  Weise 
ihre  Erledigung  finden  werde. 

Hersfeld.  Konrad  Duden. 

36* 


562  Wo7D  lebroD  wir  die  Dean  OrthograpbUT, 

nnd  nie  es  das  Anaeben  der  Schule  schädigen  mufs,  das  liegt 
der  Hand.     Die  Schüler   sehen,    dafs   ein  Teil  der  Lehrer  »< 
nicht  kann,  waa  sie  lerORn  sollen,   und  die  Lehrer  müssen  ' 
gefallen    Jasaen,    dafs    der  Direktor  oder  der  Schulral   sie 
aurmerksam  macht,  dafa  fQr  sie  wenigstens  die  Schulorthc 
mafsgehend   ist.     Alle  aher  fragen  lant   oder  in  Gedankt 
bonoT    Wozu  sollen  wir  uns  mit  einer  Orthographie  qur 
anfserhalb  der  Schule  niemand  hrauchen  darf? 

Daus  ein  solcher  Zustand  nur  vorübergehend  su  eri 
die  Dauer  aber  unerträglich  ist,  das  bedarf  keines  weitere 
Im  Interesse  der  Schule  ist  er  sobald  wie  möglich  zi 

Aber  wie? 

Zunächst  liegen  zwei  Möglichkeiten  vor.     Entv 
Unlerrichtsministerium    heute   noch    derselben  Mei 
14  Jahren,  dafs  die  für  die  Schüler  vorgeschriebe) 
die  der  Entwicklung  unserer  Schrift  zur  Zeit  a 
sprechende  ist,  oder  es  hat  seine  Meinung  inzv 

Im   ersteren  Falle  ist  der  ßann,  mit  dem 
weise  durch  das  Verbot  ihrer  Anwendung  im 
belegt  ist,    sobald  wie  möglich  zu  lösen,    und 
indem   von  einem  bestimmten,    nicht   zu  wei* 
Zeitpunkt  an   die  bisherige  Scbulorthograpbi 
amtlichen  Verkehr  als    mafsgebend  bezeichi 
aber  ist  bis  auf  weiteres,  wie  es  in  Bayern 
den  Behörden  freizustellen,  ob  sie  sich  det 
grapbie  bedienen  wollen  oder  nicht. 


"•l^stnode,  tgz.  V.  0.  Alteobnrg.     555 

*^*^Q,    das  Thema  zu  den 

'*«^8  A  ß  C  zu  ent- 

"•  den  Themen 

"•tzen  zu 


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in 

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t  Augen- 

.imenhang 

lehrhaften 

neit,    welche 

chiednehmens 

ü.     Wenn  nun 

ne  wahre  Fund- 

—  ,   so  empfiehlt  sie 

len  jeder  ostentatio 

ingen  und  Erlebnisse 

lieleuchtung  im  Lichte 

„'ten  Welt-  und  Lebens- 

>'cht  viel  lernen  und  an- 

vohl   wie    die  Eltern   und 

'  u.  a.  nur  aufmerksam  auf 

.iing  und  Barbarei,   F:    Frei- 

J:  vom  Jungbleiben,  letztere 

16  Greisenhaftigkeit  der  Jugend 

•t    gesunder  Anregungen    ist   die 

trafse,   Mittelmäfsigkeit,    auch    die 

)cm  heutigen  Geschlecht  kann  nicht 

('fung  in  die  herrliche  Idee  der  Hin- 

1)  R5m.  12,  1  nahegelegt  werden.   Sehr 

.    Überwindet  die  Welt,   tief  durchdacht 

iterhaus,  Vaterland.     Besonders   originell 

,    wie  zu  X  und    zu  ¥    passende  Themen 

i>  nun   um   so  wertvoller  sind,   als  sie  die 

>unden  unseres  neusten   öffentlichen  Lebens 

.'f  Beschämendes  haben  müssen.    Keine  Wunde 

t^drohlich  und  so  tiefsitzend  sein  als  die  über- 

Macht   der  Phrase,    welcher    der  Verfasser    mit 

irheit  zu  Leibe  rückt.     Grade  als  ich  dieses  Buch 


ZWEITE  ABTEILUNG. 


LITTERARISCHE  BERICHTE. 


K.  L.  Leimbach,  Id  der  Abschiedsstunde.  Hahoworte  an  deutsche 
JÜDglin^e  10  25  EotlassongsredeD  dargeboteo.  Zweite  .vermehrte 
Auflage.     Goslar  1894,  L.  Koch.     Geh.  3  M,   elegaot  gebunden  4  M. 

Der  Herr  Verfasser  bietet  in  dieser  Sammlung  von  Eni- 
lassuDgsreden  eine  überaus  wertvolle  Gabe  dar,  der  ich  in  an- 
betracht  der  schönen  Form,  des  vielfach  sehr  bedeutungsvollen 
Inhaltes  und  der  reichen  pädagogischen  Erfahrung  einen  weiten 
Leserkreis  wünsche,  unter  Schulmännern,  unter  Eitern  und  unter 
allen  denen,  die  sich  des  Zusammenhangs  zwischen  der  erziehlichen 
Arbeit  unserer  höheren  Schulen  und  dem  Streben  nach  der  Er- 
haltung und  Pflege  unserer  höchsten  nationalen  Guter  deutlich 
bewufst  sind.  Diese  Reden  zeugen  davon,  dafs  der  Verfasser 
weit  entfernt  ist  von  jenem  Zerrbild  schulmännischen  Ernstes, 
„der  keinen  Scherz  versteht,  der  die  Milch  gerinnen  macht" 
(S.  82),  aber  sie  zeugen  von  dem  tiefen  Gefühl  der  Verantwort- 
lichkeit des  Schulleiters  für  die  ihm  anvertrauten  Zöglinge,  von 
der  hingebenden,  herzlichen  Fürsorge  auch  für  diejenigen  Schüler, 
welche  seine  Anstalt  nur  kürzere  Zeit  besucht  haben.  Und  je 
mehr  heute  für  unsere  höheren  Schulen  das  Wort  gilt:  nun 
scholae,  sed  vitae  discendum,  und  je  weniger  sich  uns  in  unseren 
vier  Schulwänden  Auge  und  Herz  verengen  darf,  also  dafs  wir 
innerlich  unberührt  blieben  von  allen  den  Lebensfragen,  die 
unsere  Nation  auf  das  tiefste  bewegen,  um  so  mehr  berührt  es 
wohlthuend,  in  jeder  der  Reden  ein  Zeugnis  zu  finden  für  den 
sicheren  Blick,  mit  welchem  die  Schäden  unseres  Volkslebens 
beobachtet  und  aufgedeckt  werden,  und  für  das  warme  Herz, 
mit  welchem  nach  Heilung  von  solchen  Schäden  gefragt  und 
gesucht  wird.  Ich  würde  meinen  in  neuerer  Zeit  des  öfteren  (in 
der  Zeitschrift  für  ev.  Religionsunterricht  und  in  Fries -Meiers 
Lehrproben  und  Lehrgängen)  ausgesprochenen  Anschauungen 
untreu  werden,  wenn  ich  nicht  meiner  besonderen  Freude  über 
die  Festigkeit  und  innere  Gewifsheit  Ausdruck  gäbe,  mit  welcher 
der  Herr  Verfasser  es  immer  wieder  betont,  dafs  den  Schäden 
unserer  Zeit  wirksam  und  erfolgreich  nur  beizukommen  ist  von 
dem  Grunde  aus,  der  gelegt  ist,  von  dem  Grunde  des  christlichen 
Glaubens  und  der  christlichen  Ethik. 


K.  L.  Leimbach,  lo  d.  AbsehiedsatQDde,  ägz,  v,  0.  Alteobarg.     5g5 

Es  ist  ein  durchaus  origineller  Plan,  das  Thema  zu  den 
Abschiedsreden  jedesmal  einem  Buchstaben  des  A  B  C  zu  ent- 
nehmen, ein  Plan,  getragen  von  dem  Wunsche,  „aus  den  Themen 
dieser  Abschiedsreden  ein  goldenes  ABC  zusammensetzen  zu 
dürfen^*.  Der  Verfasser  hat  diesen  Plan  in  achtzehnjähriger 
dienstlicher  Arbeit  an  derselben  Anstalt  zum  glücklichen  Ende 
gebracht,  glücklich,  weil  jeder  Buchstabe  ihm  ungezwungen  und 
im  engsten  Zusammenhange  mit  dem  inneren  Leben  seiner 
Schnle  und  mit  den  bewegenden  Fragen  der  Gegenwart  ein  Thema 
geboten  hat,  glücklich  auch,  weil  Form  und  Inhalt  diesen  Beden 
den  Wert  eines  güldenen  ABC  geben.  Es  giebt  gewifs  nicht 
leicht  einen  Direktor,  der  innerlich  unbewegt  bliebe  gerade  in 
der  festlichen  Weihestunde,  wo  die  Zöglinge  aus  den  Händen 
ihrer  treuen  und  fürsorglichen  Erzieher  ins  ungewisse  Leben 
hinaus  entlassen  werden.  Da  erzeugt  sich  die  Kraft  der  Bede 
aus  dem  bewegten  Herzen,  das  ist  so  ganz  besonders  ein  Augen- 
blick, der  pectus  disertum  facit.  Dieser  tiefe  Zusammenhang 
zwischen  Herz  und  Hund  schützt  vor  der  Gefahr  eines  lehrhaften 
Tons  oder  des  Auskramens  einer  doktrinären  Weisheit,  welche 
gerade  in  dem  freudig  erregten  Augenblicke  des  Abschiednehmens 
kaum  den  Weg  vom  Ohr  ins  Herz  finden  wurde.  Wenn  nun 
die  vorliegende  Sammlung  von  Abschiedsreden  eine  wahre  Fund- 
grube ethischer  und  sozialer  Gesichtspunkte  ist,  so  empfiehlt  sie 
sich  vor  allem  durch  das  unbedingte  Fernbleiben  jeder  ostentatio 
scientiae.  Aber  aus  der  Art,  wie  die  Erfahrungen  und  Erlebnisse 
des  inneren  und  äufseren  Schullebens  ihre  Beleuchtung  im  Lichte 
der  Ethik  und  einer  entschieden  aus^geprägten  Welt-  und  Lebens- 
anscbauung  finden,  können  die  Leser  recht  viel  lernen  und  an- 
geregt werden,  wir  Schulmänner  sowohl  wie  die  Eltern  und 
Angehörigen  der  Zöglinge.  Ich  mache  u.  a.  nur  aufmerksam  auf 
die  Reden  A:  Arbeit,  B:  über  Bildung  und  Barbarei,  F:  Frei- 
heit, G:  Gefahren  der  Gegenwart,  J:  vom  Jungbleiben,  letztere 
ein  kräftiges  Mabnwort  wider  die  Greisenhaftigkeit  der  Jugend 
unserer  Tage;  voll  reicher  und  gesunder  Anregungen  ist  die 
Rede  unter  M:  Mafs,  Mittelstrafse ,  Mittelmäfsigkeit,  auch  die 
unter  0:  vom  Opfer,  denn  dem  heutigen  Geschlecht  kann  nicht 
eindringlich  genug  die  Vertiefung  in  die  herrliche  Idee  der  Hin- 
gabe des  eigenen  Ichs  nach  Böm.  12,  1  nahegelegt  werden.  Sehr 
lehrreich  ist  die  Rede  U:  Überwindet  die  Welt,  tief  durchdacht 
die  unter  V:  Vater,  Vaterhaus,  Vaterland.  Besonders  originell 
erschien  mir  der  Weg,  wie  zu  X  und  zu  Y  passende  Themen 
gefunden  wurden,  die  nun  um  so  wertvoller  sind,  als  sie  die 
Hand  an  gewisse  Wunden  unseres  neusten  öffentlichen  Lebens 
legen,  die  etwas  tief  Beschämendes  haben  müssen.  Keine  Wunde 
aber  dürfte  so  bedrohlich  und  so  tiefsitzend  sein  als  die  über- 
handnehmende Macht  der  Phrase,  welcher  der  Verfasser  mit 
ehrlichster  Wahrheit  zu  Leibe  rückt.     Grade  als  ich  dieses  Buch 


566  K-  Kern,  GruDdrifs  der  Pädagogik, 

durchstudierte,  führte  mich  die  Auslegung  der  Liviuslektüre  in 
Prima  darauf,  die  zersetzende  Wirkung  der  Phrase  in  dem  Gange 
der  griechischen  Geschichte  nachzuweisen.  Auch  die  Schüler 
hatten  ein  Lächeln  für  den  Phrasenhelden  Antiochus,  der  Liv. 
35,  48  maria  terrasque  inani  sonitu  verborum  compievit,  und 
sie  können  es  wohl  verstehen,  wie  nichts  so  sehr  als  die  Macht 
der  Phrase  ohne  That  und  ohne  zielbewufstes  nationales  Em« 
•pfinden  das  griechische  Volk  reif  zur  Unterjochung  gemacht  hat. 
Der  Wunsch  ist  berechtigt,  dafs  unser  Volk  dereinst  vor  gleichem 
Schicksale  bewahrt  bleiben  möge! 

So  empfehle  ich  dieses  treffliche  Buch  einem  recht  weiten 
Leserkreise;  ich  wünschte  recht  vielen  Lesern  Anregung  und 
Anstofs  in  der  Richtung  ethischer  Überzeugungen.  —  Druck  und 
äufsere  Ausstattung  sind  dem  inneren  Werte  des  Buches  ent- 
sprechend. 

Wohlau.  Oskar  Altenburg. 


Hermann  Kern,  Gruadrifs  der  Pädagogik.  5.  Auflage,  herausge- 
geben von  0.  Willmann.  Berlin  1893,  Weidmannsche  Bachhandlnog. 
XII  a.  328  S.     8.    6  M. 

Der  Name  Hermann  Kern  hat  einen  guten  Klang  in  der 
pädagogischen  Welt;  sie  gebraucht  ihn  kurzweg  für  die  Trias 
Herbart-  Ziller-Stoy,  deren  Bedeutung  u.  a.  auf  der  4.  Sächsischen 
Direktorenkonferenz  eigehend  erörtert  ist.  Dort  hat  man  „schon 
mit  Rücksicht  auf  die  Geschichte  der  Pädagogik  und  Didaktik" 
dringend  gewünscht,  dafs  die  Lehrer  an  den  höheren  Schulen 
sich  mehr  als  bisher  mit  den  H.-Z.-Stoyschen  didaktischen  Grund- 
sätzen bekannt  machten,  und  die  übliche  Einstimmigkeit  ward 
erreicht,  obwohl  in  den  Referaten  vielfach  „kühle  Zurückhaltung*' 
oder  auch  „deutliche  Abneigung''  gegen  die  Herbartsche  Schule 
hervorgetreten  war.  Selbst  begeisterte  Anhänger  verwerfen  den 
H.schen  Grundsatz  von  der  Leerheit  des  Seelenwesens  an  allen 
ursprünglichen  Anlagen,  wonach  der  Erzieher  ein  kleiner  Prometheus 
wäre:  „Hier  sitz'  ich,  forme  Menschen  nach  meinem  Bilde", 
gleich  als  ob  er  aus  der  Seele  des  Zöglings  alles  machen  könnte, 
was  er  wollte.  Sie  mifsbitligen  ferner  die  dunkle  und  ge- 
spreizte Terminologie,  sowie  den  einseiligen  Formalismus.  In 
allen  diesen  Punkten  bezeichnet  Kerns  Pädagogik  einen  wesent- 
lichen Portschritt.  Besonders  heilsam  war  es,  dafs  er  die 
Methode  der  berühmten  Formalstufen  —  neuerdings  weifs 
man  nicht  genau,  ob  es  vier  oder  fünf  sind  —  einfach  fallen 
liefs,  welche  kleineren  Geistern  wohl  gar  als  die  Hauptsache  er- 
schienen war. 

Wenn  gleichwohl  Frick  dem  „hochbedeutsamen,  aber  ab- 
strakten Werke  Kerns"  weniger  verdankte  als  der  persönlichen 
Begegnung,    so  kann  man   dem   zustimmen;    denn  in  praxi  war 


aogez.  von  C.  Kruse.  567 

Kern  weit  weniger  abstrakt  als  in  thesi,  und  selbst  den  Formalis- 
mus der  sechs  gleichschwebenden  Interessen  hielt  er  nicht  allzu- 
hoch. Als  auf  der  Rostocker  Philologenversammlung  bei  angeregter 
Unterhaltung  und  goldgetüUten  Römern  ihn  einer  fragte,  ob  hier 
nicht  das  empirische,  das  ästhetische  und  das  soziale  Interesse 
harmonisch  zur  Geltung  gekommen  sei,  antwortete  er  gelassen: 
„Ja,  lieber  Freund,  Sie  verstehen  das  zwar  nicht,  aber  ich  widme 
Ihnen  ein  sympathetisches  Glas'*.  —  Sein  Lieblingsbeispiel  für 
die  Erweckung  aller  sechs  Interessen  war  die  Odyssee,  die  dazu 
als  Pandora  ja  vorzüglich  geeignet  ist;  aber  er  war  weit  entfernt 
davon,  in  jeder  einzelnen  Lektion  alle  sechs  erhaschen  zu  wollen, 
und  er  gehörte  keineswegs  zu  denen,  welche  „mit  dem  Vokabel- 
lemen  ganz  zwanglos  eine  Erregung  verschiedener  Arten  des 
Interesses  verbinden*^  Ganz  zwanglos  ist  es  ja,  wenn  man  sagt 
OS,  pl.  orä,  neutrum,  aber  arä,  ae,  fem. ;  dagegen  orä  {et  labora); 
hinwiederum  os,  pL  osm,  n.,  jedoch  Ossa,  ae,  m.  (s.  Alton),  aber 
ein  solches  Verfahren  wäre  doch  Diszentration.  —  Im  naturkund- 
lichen Unterricht  soll  das  ästhetische  Interesse  „durch  das  An- 
stimmen schöner  Naturlieder"  erregt  werden;  da  würde  ich  be- 
sonders „Wer  hat  dich,  du  schöner  Wald**  empfehlen,  weil 
gleichzeitig  damit  das  religiöse  Interesse  zu  kräftiger  Geltung 
kommt;  auch  läfst  sich  dieses  Verfahren  analog  auf  andere  Fächer 
anwenden,  und  für  den  etwa  mangelhaften  Gesang  könnte 
Deklamation  eintreten:  derlei  Arabesken  des  Unterrichts  mögen 
dem  Geschmack  des  einzelnen  überlassen  bleiben,  aber  die  theo- 
retische Unterweisung,  der  junge  Lehrer  solle  seine  Lektionen 
derart  vorbereiten,  dafs  er  alle  sechs  Interessen  in  Bewegung 
setze,  sehe  ich  als  eine  thörichte  Dressur  an. 

Jede  pädagogische  Doktrin  wird  —  unbeschadet  der  Persön- 
lichkeit des  Lehrers,  auf  der  denn  doch  immer  noch  das  Beste 
beruht,  was  in  der  Schule  geleistet  wird  —  sich  um  so  nützlicher 
erweisen,  je  nähere  Fühlung  sie  mit  der  Praxis  hat.  Und  da 
besteht  denn  kein  Zweifel,  dafs  gerade  Kern  uns  die  wertvollen 
Gedanken  der  Herbartschen  Schule  „bündig  und  verständlich'* 
näher  gebracht  hat  Über  den  Inhalt  und  die  Einrichtung  seines 
Buches  in  5.  Auflage  noch  den  Lesern  dieser  Zeitschrift  Bericht 
zu  erstatten,  wird  nicht  erforderlich  sein;  aber  der  Genugthuung 
ist  Ausdruck  zu  geben,  dafs  nachdem  nun  multis  ille  bonis  fle- 
bilis  occidit,  0.  Will  mann  die  Herausgabe  übernommen  hat, 
„der  bedeutendste  unter  den  jüngeren  Schülern  Herbarts**  und  als 
solcher  von  Kern  selbst  vielfach  anerkannt.  Die  Auffassung  beider 
Männer  steht  sich  sehr  nahe;  um  so  eher  konnte  Willmann  sich 
eines  Eingreifens  in  das  Gefüge  des  Kernschen  Buches  enthalten 
und  sich  darauf  beschränken,  die  Litteraturangaben  zu  ergänzen. 
Auf  die  neue  Organisation  des  höheren  Unterrichts- 
wesens Rücksicht  zu  nehmen,  war  durch  die  Sachlage  ausge- 
schlossen;   aber    in   mehreren    wichtigen    Punkten    steht   Kerns 


568     H.  Kern,  Grundrifs  der  Pädagogik,  angez.  von  C.  Kruse. 

Auflassung  grundsälzlich  fest.  Er  ist  stets  für  „die  höheren 
Bürgerschulen  (die  Realgymnasienys  S.  296,  eingetreten, 
die  er  lateinlos  gestaltet,  S.  301,  und  nicht  für  die  gelehrten 
Stände  bestimmt  wissen  wollte,  S.  297;  die  sog.  Einheits- 
schule verwirft  er;  das  Mafs  der  allgemeinen  Bildung  wird 
ihm  durch  die  Dauer  der  Lehrzeit  bestimmt;  der  Art  nach  steht 
ihm  die  humanistische  am  höchsten.  „Immer  hat  bisher  die 
Vernachlässigung  altklassischer  Studien  den  Verfall  der  Wissen- 
schaften und  damit  einen  Rückgang  der  allgemeinen  Kultur  zur 
Folge  gehabt,  und  umgekehrt  war  das  Wiederaufleben  der  klas- 
sischen Studien  immer  der  Grund  eines  neuen  geistigen  Auf- 
schwungs", S.  277.  Vor  allem  schätzte  er  das  Griechische 
S.  281,  gleich  seinem  Freund  Klix,  der  noch  in  den  letzten  Le- 
benstagen in  das  Album  des  Heinrichsgymnasiums  den  Spruch 
eintrug:  Vos  exemplaria  Graeca  u.  s.  w.  Mit  seinem  Urteil 
über  das  Französische,  S.  283.  284,  steht  er  in  geradem 
Gegensatze  zu  denen,  die  von  der  ,,Sublimierung'*  des  franzö- 
sischen Unterrichts  nebst  phonetischer  Abrichtung  sich  einen 
Gewinn  für  die  Bildung  unserer  Jugend  versprechen.  Dem  Me- 
garenser,  der  sich  in  Athen  zehn  Jahre  lang  der  feinen  atti- 
schen Aussprache  beflissen  hatte,  ward  auf  die  Frage:  „Was 
kosten  die  Fische"  von  dem  Marktweib  geantwortet:  „Drei 
Obolen,  o  Fremdling'*.  —  Und  wenn  ein  solches  Ziel  erreicht 
werden  könnte,  welchen  Reiz  des  Schönen  oder  des  Nützlichen 
hat  es,  dafs  ein  Franzose  uns  sagt,  „Sie  sprechen  ja  beinah  wie 
ein  Eiogeborner"?  Dem  Engländer  kann  man  allenfalls  noch  be- 
greiflich machen,  dafs  er  in  der  Fremde  sich  der  landesüblichen 
Vokalisation  zu  bedienen  und  nicht  beharrlich  „Emmelfei'^  zu 
sagen  hat,  wenn  er  „Amalfi'^  meint;  sobald  man  ihm  aber  zum 
Behuf  der  Erlernung  des  Deutschen  sein  w  und  th  phonetisch 
bearbeiten  und  ein  germanisches  ch  einüben  wollte,  so  würde 
ihm  das  trotz  aller  Methode  als  Thorheit  erscheinen. 

Von  Überbürdung  redet  Kern  nicht,  und  die  Wirksamkeit 
der  neuen  Lehrpläne  hat  er  nicht  mehr  erlebt.  Wir  anderen 
stehen,  denke  ich,  unter  dem  Zeichen,  mit  allem  Ernst  und 
möglichster  Freiheit  zu  versuchen,  was  sich  leisten  läfst.  Einige 
Pessimisten  stimmen  ja  ihren  Unkengesang  an;  dagegen  finden 
andere,  dafs  der  gesamte  Unterrichtsbetrieb  in  der  Schule  etwas 
lebendiger  geworden  sei,  und  als  allgemein  verbreitet  kann 
wohl  die  Erfahrung  gelten,  dafs  auf  Abiturientenkommersen 
das  neue  Lied  gesungen  wird:  „Heil  dem  Manne,  der 
die  Überbürdung  erfunden  hat*^  —  Sollte  vielleicht 
schon  hier  und  da  mehr  Müfsigang  als  ernste  Arbeit  beobachtet 
werden? 

Danzig.  Carl  Kruse. 


Fr.  Zan^e,  Leitf.  f.  d.  ev.  Religionsunt,  agz.  v.  G.  Boescbe.     569 

Friedrich  Zangpe,  Leitfaden  für  den  evangelischen  Religions- 
noterricht.  Beispiel  eines  ausgeführten  organischen  Lehrplans  (in 
freiem  Anschlafs  an  die  neuen  preofsischen  Lehrpläne).  Gütersloh  1893, 
Bertelsmann.    Band  I:    Sexta  bis  Uotersecunda.    Mit  Schnlageode  3,60  M. 

Friedrich  Zange,  Schulagende,  Bibeltexte  und  Liedverse  für  Schul- 
andachten und  Schulfeiern  im  Anschlofs  an  das  kirchliche,  bürgerliche 
und  Naturjahr.     Gütersloh  1893,  Bertelsmann.     0,40  M. 

Das  vorliegende  Werk  ist  die  Fortsetzung  der  in  dieser 
Zeitschrift  XLVII  S.  263  von  dem  verstorbenen  Direktor  Kolbe 
aogezeigten  ersten  Hefte;  der  zweite  Band  steht  noch  aus.  Im 
Gegensatz  zu  den  zahlreichen  Lehrbachern,  welche  nur  den  Stoff 
des  Unterrichts  enthalten,  „um  dem  Lehrer  die  Hände  nicht  zu 
bindeD'S  will  Verfasser  dem  Leser  eine  Ordnung  des  Stoffes 
nach  pädagogischen  Gesichtspunkten  bieten,  eine  Methode,  einen 
Weg,  auf  dem  man  nach  seiner  Erfahrung  die  Schüler  mit  reichem, 
bleibendem  und  praktischem  Gewinn  durch  das  unermefsliche 
Gebiet  christlichen  Lebens,  christlicher  Lehre  und  Erfahrung  fuhrt. 

Allerdings  ist  das  Buch  umfangreicher  als  andere  der  Art. 
Aus  den  Heften,  die  auch  einzeln  käuflich  zu  haben  sind  und  in 
dieser  Vereinzelung  für  Lehrer  und  Schuler  etwas  Praktisches 
haben,  sammelt  sich  hier  schliefslich  ein  Band  von  300  Seiten, 
freilich  aufser  dem  Katechismus  mancherlei  Zusätze  enthaltend 
über  Beichte,  Gottesdienst,  Kirchengebet  u.  s.  w.  Der  Anschlufs  an 
die  Lehrpläne  ist  ein  freier.  In  ihrem  Sinne  und  Geiste  und 
nach  pädagogischen  Gesichtspunkten  allein  wänscht  der  Verfasser 
z.  B.  Beschränkung  des  Stoffes  alttestamentlicfaer  Geschichten  in 
VI,  Beschränkung  des  Katechismusstoffes  in  V  und  IV,  Verzicht 
auf  ein  mechanisches  Einprägen  der  alttestamentlichen  Bucher  in 
iV,  innerhalb  der  JII  im  Interesse  organischen  Fortschrittes 
Vorwegnahme  des  Geschichte  des  Reiches  Gottes  im  Neuen  Testa- 
ment, d.  h.  u.  a.  des  zweiten  Teils  der  Apostelgeschichte,  und 
vermifst  in  den  Lehrplänen  bis  U  II  eine  Darstellung  des  Ur- 
christentums, sowie  der  Haupterscheinungen  aus  der  Geschichte  der 
Kirche  und  aus  dem  kirchlichen  Leben  der  Gegenwart.  Doch  ist  über- 
all die  Möglichkeit  strengeren  Anschlusses  an  die  Lehrpläne  gegeben. 

Die  besondere  Eigenartigkeit  des  Buches  tritt  dem  Leser  ent- 
gegen in  der  Bestimmung  von  Unterrichtszielen  für  die  ein- 
zelnen Abschnitte  des  Schuljahres  und  zwar  in  möglichstem  An- 
schlufs an  das  Kirchenjahr  und  mit  bestimmter  Orientierung  des 
alten  Testaments  nach  seiner  Beziehung  zum  neuen;  —  ferner 
in  der  tabellenartigen  Behandlung  derjenigen  Partieen  in  Geschichte 
und  Lektüre,  welche  besonderer  Auslegung  bedürfen  und  die  Mög- 
lichkeit zu  besonderen  Parallelen  bieten,  doch  umfafst  diese  Dar- 
stellung auf  mehrfach  gespaltener  Seite  von  IV  ab  nur  etwa  ein 
Drittel  des  Ganzen;  —  endlich  in  den  Wiederholungen  und  Über- 
blicken, welche  die  Resultate  des  einzelnen  Abschnittes  zusammen- 
fassen und  dem  Betrachter  den  bedeutsamen  Fortschritt  des 
Gesamtaufbaus  darstellen. 


570     Fl*«  Zange,  Leitfade  d  für  d.   evaog.  Religiongnnterricht, 

Das  Ziel  des  Verfassers  ist,  die  Religion  dem  Schuler  zu 
einem  wichtigen  Centrum  zu  machen,  worauf  er  alles  bezieht,  so 
dafs  ihm  die  heilige  Sache  zu  einem  Sauerteig  des  Lebens  wird. 
Das  kirchliche  Leben  in  seiner  Mannigfaltigkeit  wird  herangezogen, 
gelegentlich  aber  das  Parteiwesen  scharf  gegeifselt.  Der  Sinn 
des  Verfassers  mag  durch  solche  Sätze  bezeichnet  werden  wie 
den,  dafs  Rache  und  Vergeltung  nur  das  Böse  mehren,  dafs  an  erster 
Stelle  Achtung  den  Verächtern  der  Religion  abgezwungen  werden 
müsse.  In  der  Schätzung  des  Markus-Evangeliums,  in  der  Aus- 
scheidung des  Deborah-Liedes  für  OII  (da  nur  religiös  und  sittlich 
klare  Ausfuhrungen  für  den  Tertianer  passen),  in  der  Deutung 
der  Gewissensqual  in  den  Psalmen,  ferner  in  der  Deutung  des 
Glaubens  als  der  persönlichen  Anwendung  der  Glaubenswahrheit 
auf  mich,  den  Glaubenden,  in  den  wiederholten  Ausfuhrungen 
über  die  Kirche  und  die  Gemeinschaft  als  Ziel  des  christlichen 
Gottesdienstes,  in  der  Betonung  des  Berufes  und  der  Bedeutung 
seiner  verschiedenen  Arten  sehen  wir  überall  das  Recht  des  Ver- 
fassers zur  Fuhrerschaft.  In  einem  bisher  nicht  so  vorgekommenen 
Mafse  handhabt  er  ferner  systematisch  die  Mittel  zur  Anregung 
des  Interesses.  Geschichte,  Litteratur,  Zeit-  und  Ortsver- 
hältnisse,  Geographisches,  Natur-  und  Kulturgeschichtliches  zieht 
er  zum  Dienst  heran.  Besonders  spielt  von  V  an  Heimat,  tägliches 
Leben,  Gemeindeleben,  in  den  erwähnten  parallelen  Rubriken  eine 
Rolle.  Die  Benutzung  von  Erfurter  religiösen  Kunstwerken  und 
kirchlichen  Schätzen  und  Erinnerungen  ist  geradezu  ein  Muster, 
durch  das  man  sich  überall  anregen  lassen  sollte:  nicht  blofs  ge- 
legentlich, denn  das  geschieht  ohne  Zweifel  oft,  sondern  in  syste- 
matischer Anordnung.  Ohne  weiteres  allgemeiner  benutzbar  sind 
die  Andeutungen  über  Darstellung  vom  Leiden  und  Sterben  des 
Herrn  in  der  Kunst,  in  bildlichen  und  dichterischen  Darstellungen 
und  Tonwerken.  Den  Unterricht  lebendig  zu  machen,  dient  die 
Vergleichung  plastischer  Scenen :  das  Leben  am  Brunnen,  Austausch 
der  Waffen  unter  Freunden,  die  Erinnerung  an  Denksteine  und 
Denkmäler;  beim  barmherzigen  Samariter  erinnert  der  Verfasser 
an  die  Krankenpflege  in  der  Kirche,  bei  Jairi  Töchterlein  an  die 
Inschriften  auf  Grabsteinen,  bei  der  Aussendung  der  Zwölf  an 
Missions-  und  Rettungshäuser,  bei  der  Gefangenschaft  Petri  an 
die  Hugenotten  und  ihre  Aufnahme,  bei  Philippus  an  die  Ein- 
segnungsformel, bei  Pauli  Missionsreisen  an  Kirchenfeste  und  Ver- 
fassung, bei  Eroberung  des  Ostjordanlandes  und  der  Erwähnung 
des  lüsternen  und  zuchtlosen  Volkes  an  den  französischen  Krieg. 
Er  vergleicht  Richterzeit  und  Freiheitskriege  und  führt  für  die 
Demut  Kaiser  Wilhelms  bezeichnende  Gitate  an,  vergleicht  Niniveh 
und  die  modernen  grofsen  Städte  und  bespricht  bei  den  Propheten 
allgemeine  Kulturfragen.  Nicht  selten  werden  litterarische  Stücke 
herangezogen:  bei  Johannes'  Enthauptung  Alboin  vor  Pavia  und 
Hans  Euler,    bei   Davids  Jugend  der  Monolog  der  Jungfrau   von 


' 


•  Dgez.  von  G.  Boesche.  571 

Orleans,  Goethes  Mailied  und  kleine  Volkslieder.  Das  Weiter- 
sammelo  solcher  Parallelen  erschiene  geradezu  für  den  Religions- 
unterricht von  Wert;  es  sind  doch  nur  Anfange  solcher  Materialien- 
Sammlungen  vorhanden. 

Der  Unterichtsstoff  selbst  wird  grundlich  durchgearbeitet. 
Der  Verfasser  folgt  dem  beherzigenswerten  Grundsatz,  dafs  schon 
früh  die  rechte  Teilung  des  Stoffes,  auch  schon  bei  der  biblischen 
Geschichte,  eintreten  mufs,  um  vor  dem  mechanischen  Lernen 
zu  bewahren,  dafs  ebenso  bei  den  Liedern  der  Gedankengang  zu 
disponieren  ist;  blofse  Namen  sollen  nicht  auswendig  gelernt 
werden,  sondern  nur  mit  geschichtlichen  Erinnerungen  und  sym- 
pathischen Empfindungen  verbunden  eingeprägt  und  so  liebge- 
wonnen werden:  „ohne  dies  ist's  eine  Klapper,  die  man  schnurren 
läfst,  auch  aus  Mutwillen,  Scherz  damit  zu  treiben*'.  Früher  Be- 
sprochenes  wird  an  geeigneter  Stelle  wieder  eingeführt;  z.  B.  wird 
bei  Davids  glücklicher  Jugend  an  die  Schöpfungsgeschichte  er- 
innert: vielleicht  hat  Verfasser  die  schöne  Auslegung  eines  Sonnen- 
aufgangs durch  Herder  dabei  in  Gedanken.  Im  neuen  Testament 
ist  die  Einfügung  von  Briefstellen  in  die  Apostelgeschichte  be- 
merkenswert Induktiv  werden  Katechismus  und  Bergpredigt 
bebandelt,  um  nachher  deduktive  Anwendung  zu  finden. 

Zu  elementarer  Charakterschilderung  erhebt  sich  schon 
der  Sexta-Unterrieht  bei  den  Geschichten  von  Abraham,  Moses, 
Sau],  Salomo.  In  der  Unterscheidung  von  Tugenden  gegen  Gott 
und  gegen  Menschen,  oder  von  Wirken  und  Tugenden,  oder  von 
Bedeutung,  Tugenden  und  Fehlem  zeigt  sich  das  gleiche  Bemühen, 
klare  Gesichtspunkte  zu  schaffen.  Grofser  Wert  wird  auf  die 
religiösen  und  sittlichen  GrundbegriiTe  gelegt;  wird  doch  auch 
mit  ihrer  Hülfe  der  Stoff  durcbgearbeitet,  geklärt,  zur  Verwen- 
dung bereit  gestellt.  Vergleichung  wird  vielfach  empfohlen, 
z.  B.  von  Gerechtigkeit,  Billigkeit,  Liebe ;  ebenso  vielfache  Wieder- 
holung. Bei  den  Überblicken  werden  sie  mitgesammelt:  so 
Toleranz,  Fanatismus,  Indifferentismus,  Kommunismus.  Bei  den 
zusammenfassenden  Wiederholungen  erstaunt  man  schon  in  VI 
über  den  Reichtum,  der  selbst  bei  ganz  langsamem  Vorgehen 
in  methodischer  Ordnung  gewonnen  wird.  Der  Anschlufs  an  Be- 
kanntes bietet  dabei  Mafsstäbe  dts  Urteils,  wenn  z.  B.  Christi 
Wandel  nachträglich  nach  den  zehn  Geboten  betrachtet  wird: 
sind  solche  Mafsstäbe  theologisch  angreifbar,  so  sind  sie  doch 
für  die  Jugend  als  Brücke  kaum  zu  entbehren.  Beim  Abschlufs 
der  III  wird  bereits  etwas  von  dem  allmählichen  Aufstieg  er- 
sichtlich in  der  Ordnung  der  Resultate  nach  den  Gesichtspunkten 
Gottesreich,  Heilsordnung,  gottesdienstliche  Ordnung,  sonstige 
Begriffe. 

Dazu  kommen  dann  praktische  Ratschläge  und  Anregungen. 
Die  Schüler  auch  zu  häuslicher  Lektüre  insbesondere  des  Neuen 
Testaments  zu  bringen,[sie  Berichte  übergelesene,  einfachere  Kapitel, 


572     ^'^'  Zange,   Leitfaden   für  d.    evaog.  ReligioDsaoterricbt, 

namentlich  während  schwierigere  Klassenlekture  wie  die  der  Berg- 
predigt fortschreitet,  sowie  über  Predigten  und  Gesangbuchlieder,  z.B. 
Pfingstlieder,  lierern  zu  lassen,  erscheint  dem  Verfasser  möglich 
und  wertvoll.  Zusammenstellungen  z.  B.  von  Pauli  Leiden  nach 
dem  Grade,  seiner  Gefahren  nach  Orten  und  Personen,  Zusammen- 
stellung der  Gleichnisse  nach  den  Lebensbereichen,  Einordnung 
der  Bergpredigt  unter  die  Gebote,  ja  der  Versuch  einer  Auslegung 
des  Sabbathgebets  nach  der  Art  von  Matth.  V  soll  die  Selbstthätigkeit 
der  Schüler  fordern.  In  den  Stunden  wird  gelegentlich  durch 
Chorlesen,  wie  bei  Psalm  33,  das  fnteresse  gehoben.  Die  An- 
regung des  individuellen  religiösen  Lebens  behält  Verfasser  stets 
im  Auge. 

Gegenüber  all  diesen  Vorzügen  wollen  die  Bedenken  wenig 
sagen.  Sie  beziehen  sich  auf  das  allerdings  seltene  Hervortreten 
des  theologisch-kirchlichen  Standpunktes,  das  Schülern  gegenüber 
weniger  weise  erscheint;  ferner  auf  die  Verschiebung  der  Lehr- 
pläne, namentlich  zwischen  Ober-  und  Untertertia,  die  man  in 
Rucksicht  auf  den  vielfachen  Schälerwechsel  in  gröfseren  Städten 
ablehnen  möchte:  sodann  auf  die  zuweilen  starke  Unterbrechung 
des  sachlichen  Fortschrittes  zu  Gunsten  der  Anknüpfung  an  das 
Kirchenjahr,  auf  die  Art  des  Druckes  in  Spalten,  wie  zum  Teil 
auch  auf  den  Druck  sonst. 

Von  den  vereinzelten  Fällen  einer  Einmischung  theologischer 
Urteile  und  dogmatischer  Begriffe  statt  der  biblischen  möchte 
Referent  nur  den  einen  herausgreifen,  wo  Keims  Behandlung 
des  Lebens  Jesu  als  kurzsichtig  verurteilt  wird;  der  Name  ge- 
hört sicher  nicht  in  ein  Schulbuch,  auch  liegt  hier  wohl  ein 
theologisches  Problem  vor,  das  so  leicht  nicht  zu  lösen  ist.  Hiob 
19,  25 — 27  dürfte  als  Auferstehungsgedanke  des  alten  Testaments 
wohl  nicht  mehr  Verwendung  finden.  In  Bezug  auf  Tanz,  Spiel, 
Wirtshausbesuch  und  Theater  urteilt  Verfasser  individuell  und 
strenge,  dafs  es  in  den  meisten  Fällen,  wegen  der  damit  ver- 
bundenenen  Gefahren,  sichrer  und  geratener  sei,  darauf  zu  ver- 
zichten. Zu  schwer  ist  in  VI  wohl  der  Hinweis  auf  den  Vi^ert 
der  erblichen  Monarchie.  In  III  (S.  45)  erscheint  die  Zahl  der 
Merkpsalmen  zu  grofs.  Bei  der  Wertschätzung  der  Dispositionen 
durch  den  Verfasser  befremdet  es  einigermafsen ,  dafs  dieselben 
doch  vielfach  der  Schärfe  entbehren;  es  sind  oft  nur  Aufzählungen, 
deren  Glieder  besser  von  vorn  herein  als  Teile  eines  organischen 
Ganzen  den  Schülern  dargeboten  oder  wenigstens  zu  solchen  zu- 
sammengefafst  würden,  auch  bei  der  Lektüre  der  bedeutsamsten 
Paulinischen  Briefe,  bei  Pauli  Leben,  bei  den  Christenverfolgungen 
(drei  Gruppen  nach  Uhlhorn!),  sowie  bei  der  Lehre  vom  Reiche 
Gottes  und  bei  der  Darstellung  des  Verhaltens  Jesu  im  Leiden 
wäre  dies  nicht  schwer. 

Der  Druck  in  Spalten  erscheint  doch  nur  da  praktisch,  wo 
kleine  Abschnitte  wie  bei  der  Bergpredigt  unmittelbare  Parallelen 


togrez.  voo  G.  Boesche.  573 

io  anderen  Nachweisungen  finden;  bisweilen  schädigen  sie  sich 
gegenseitig,  zuweilen  wird  das  Zusammengehörige  zerrissen,  in  U  II 
werden  sie  überhaupt  vielfach  gesprengt.  Für  eine  neue  Auflage 
möchte  Referent  anheimgeben,  dafs  Spalte  1  und  2  in  gröfserem 
Drucke  das  Pensum  fortführen  und  dafs  in  kleinerem  Druck  der 
Inhalt  von  Spalte  3  und  4  als  Anmerkung  mit  genauer  Angabe  des 
Bezuges  nachgefügt  wird.  Im  Ausdrucke  würde  dann  auch  zu 
ändern  sein  die  Verbindung  II  B,  S.  35  „wir  verfolgen  deshalb  das 
Evangelium  weiter'*  und  anderswo  der  Ausdruck  „was  wir  Ostern 
feiern'^  Einige  Undeutlichkeiten  des  Druckes  werden  sich  leicht 
beseitigen  lassen:  III  S.  18  die  Nummern  vorn,  S.  22  die  Ziffern 
unten,  S.  31  die  Buchstaben,  IIB,  4  „a  Job.  14^16*'  hebt 
sich  nicht  genug  heraus;  ebenso  S.  6  die  biblischen  Stellen, 
Seite  18  ,Jlufsere  Mission'S     S.  68  F.  1.  3.  „Bei  Lukas*«. 

Zuletzt  sei  es  gestattet,  eine  Anzahl  Wünsche  und  Er- 
gänzungen vorzubringen.  Zu  dem  eisernen  Bestände  gründ- 
licher Kenntnis  möchte  Referent  aufser  Markus-Evangelium  und 
Bergpredigt  auch  die  Gleichnisse  nach  einer  systematischen  Ordnung 
zählen,  welche  ihren  Lehrgehalt  hervortreten  läfst,  wie  sie  z.  B. 
Goebel  in  seinem  Buche  aufstellt:  Gleichnisse  über  die  Geschichte 
des  Goltesreichs,  andrerseits  über  das  Verhalten  der  Reiclisgenossen. 
Auch  erscheint  ihre  besondere  Behandlung  in  den  Morgenandachten 
ratsam.  Ferner  werden  praktischer  Weise  die  Reden  in  der 
Apostelgeschichte  mehr  herausgehoben  (III  10);  sie  geben  Beispiele 
teils  der  apostolischen  Predigt,  teils  enthalten  sie  auch  eine  charak- 
teristische Steigerung.  Hierzu  einzelnes.  III  31  ist  wohl  die 
Erklärung  des  Spruches  Exodus  19  wünschenswert:  „Eigentum 
Gottes,  priesterlich  Königreich,  heiliges  Volk'*:  vgl.  die  Umkehrung 
bei  Petrus.  III  35  ist  als  Parallele  zu  Saul  Friedrichs  des  Grofsen 
Behandlung  des  Pamphletes  zu  merken,  das  er  niedriger  hängen 
liefs.  Betreffs  der  Litteraturstücke  müfste  man  eine  weitere, 
lohnende  Auswahl  finden.  III  56  ist  Luthers  Spott  zu  erwähnen 
über  die  späteren  Vorwürfe,  als  ob  er  die  Sache  der  Bauern  ver- 
lassen habe:  hätte  man  mich  gleich  gehört,  so  wäre  der  Aufruhr 
mit  geringem  Verluste  bewältigt  worden.  III  59  werden  bei  der 
Grundlage  der  Augsburgischen  Konfession  die  Torgauer  Artikel 
übersehen.  Die  erste  Konfutation  zerrifs  der  Kaiser,  die  zweite 
wurde  verlesen,  aber  weder  ausgehändigt  noch  gedruckt.  Seite  60 
bedürfen  die  bedeutsamen  Jahre  1552,  1555,  1648  einer  ge- 
naueren Würdigung  betreffs  ihrer  Bedeutung  für  die  Religions- 
freiheit in  Deutschland  (Credner) ;  im  westfälischen  Frieden  setzte 
der  Grofse  Kurfürst  die  einheitliche  Zusammenfassung  der  Evan- 
geUschen  durch.  —  Bei  der  Bergpredigt  sind  weitere  Beispiele 
für  Wahrheit  und  Treue  Regulus,  Friedrich  von  Österreich.  Bei 
Matth.  VII  6.  12  ist  die  Besprechung  des  Taktes  an  der  Stelle. 
Bei  Matth.  VII  15  wäre  betreffs  der  Propheten  die  „Lehre  der 
zwölf  Apostel*'  zu  erwähnen.   Bei  der  Geschichte  der  Gergesener  ist 


574     P'*'  Zange,  Leitf.  f.  d.  ev.  Religionsnot.,  agz    v.  G.  Boesche. 

wohl  die  Behandlung  des  verachteleu  üesessenen  die  Hauptsache. 
Sachlich  bedeutsam  erscheint  dem  Referenten,  dafs  im  Glaubens- 
bekenntnis überall  scharf  vor  den  übrigen  Bestimmungen  ausge- 
zeichnet werde  „ich  glaube,  dafs  Jesus  Christas  sei  mein  Herr^', 
wie  ja  auch  im  Bekenntnis  selbst  an  die  Bestimmung  unser 
Herr  die  Relativsätze  angehängt  werden.  Die  allgemeinen  Be- 
griffe möchte  er  nicht  mit  A,  sondern  mit  B  in  den  Rubriken 
bezeichnet  sehen,  die  Bezeichnung  A  im  Sexta-Heft  ist  zunächst 
unverständlich.  Endlich  ist  für  die  Zusammenfassung  der  sämt- 
lichen Hefte  in  Buchform  eine  durchgehende  Numerierung  der 
Seiten  unten  zu  fordern. 

Das  Buch  ist  an  erster  Stelle  für  den  Lehrer  bestimmt.  Die 
ungeheure  Arbeit,  die  Lehrweisheit,  die  praktischen  Anregungen, 
welche  sich  hier  darbieten,  empfehlen  es  in  der  That  zu  ganz 
besonderer  Berücksichtigung.  Auch  wo  man  dem  Grundsatze 
huldigt:  wenig  Religionsstofl'  in  scharfem,  sachlichem  Zusammen- 
hang und  Fortschritt,  ohne  Abschweifungen  und  Seitenblicke  zum 
unverlierbaren  Eigentum  zu  machen,  hat  man  doch  Anlafs, 
Kenntnis  zu  nehmen  und  von  Hauptpartieen  zu  lernen. 

Wer  durch  die  Verhältnisse  nicht  zu  so  ängstlicher  Be- 
schränkung genötigt  ist,  dem  mag  es  teils  als  musterhaftes 
Anregungsmittel  dienen,  nun  in  gleicher  Weise  alles  zusam- 
menzufassen, um  den  Lehrgegenstand  der  Jugend  nahe  zu  bringen, 
wie  dies  freilich  bei  jeder  Persönlichkeit  und  an  jedem  Orte  sich 
einigermafsen  verschieden  gestalten  dürfte.  Es  mag  aber  auch 
direkt  im  einzelnen  befolgt  werden:  Raum  för  individuelle  Frei- 
heit bleibt  immer  noch.  Insbesondere  jüngeren  Kollegen  ist  der 
Versuch  dringend  zu  empfehlen,  dafs  sie  sich  zunächst  einmal 
nach  dem  Buche  richten;  in  gleicher  Weise  ist  ein  solcher  Ver- 
such an  den  Anstalten  wünschenswert,  wo,  wie  in  unserm  Osten, 
der  Unterricht  in  viele  Hände  gelegt  ist  und  vielfach  wechselt. 
Der  Lehrer  weifs  dann,  woran  er  anknüpfen  kann,  und  wird 
sicher  sein,  dafs  nichts  Wesentliches  vergessen  wird.  Für  die 
Schüler  andrerseits  ist  bei  dem  Zusammenwachsen  vieler  kleiner 
Notizen  zu  einem  Gesamtbau,  bei  dem  Umfang  des  zu  merkenden 
in  Bezug  auf  Gedankengänge  und  Begriffe  ein  Handbuch  allerdings 
auch  wünschenswert;  ob  ein  blofses  Merkheft  genügt,  wie  es 
Verfasser  H  B,  S.  32  voraussetzt,  mag  dahin  gestellt  bleiben.  Da 
die  Einzelhefte  des  Leitfadens  zugleich  als  Katechismus  und  Spruch- 
buch dienen  können  und,  wie  erwähnt,  schon  die  Verarbeitung  der 
biblischen  Geschichte  wesentlich  erleichtern,  so  mögen  sie  wohl 
auch  schon  neben  einer  biblischen  Geschichte  in  VI  und  V  Ton 
den  Schülern  angeschafft  werden  können.  Von  IV  ab  wird  ohne- 
hin in  vielen  Anstalten  wohl  ein  Hülfsbuch  gefordert  werden. 

Dem  zweiten  Teil  für  die  Oberklassen  müssen  wir  mit  guten 
Erwartungen  entgegensehen. 

Über  die  Beigaben  ist  ebenfalls  Lobendes  zu  sagen.     Die 


Tb.  Birt,  Eine  röm.  Litteraturgesch.,  agz.  v.  0.  Weifseofels.     575 

Schulagende  behandelt  für  die  Morgenandachten  in  der  Advents- 
zeit die  mesfiianischen  Weissagungen,  bis  Ostern  das  Leben  Jesu, 
des  Propheten  und  Hohenpriesters,  bis  Pfingsten  Christus  den 
König,  bis  zum  Ende  des  Kirchenjahres  „Heilige  Geist''  und  „Kirche''. 
Die  Texte  sind  sehr  sorgfältig  gewählt,  nehmen  auch  Rücksicht 
auf  die  Jahreszeiten,  z.  B.  in  der  Lektüre  von  Naturpsalmen  nach 
Trinitatis.  Die  Lieder  wird  man  anderswo,  den  Schulgesang- 
böchern  entsprechend,  zum  Teil  wechseln.  Der  Anhang  bietet 
Beispiele  für  eine  spezifisch  religiös  gehaltene  Weihnachtsfeier, 
eine  Totenfeier  und  eine  Reihe  von  sieben  Gedächtnisfeiern  zu 
Luthers  Geburtstag:  dafs  Schüler  dabei  Abschnitte  seines  Lebens 
zu  erzählen  haben,  erscheint  als  ein  sehr  glücklicher  Gedanke. 

Mit  Texten  und  Liedversen  für  das  Sedanfest  schliefst  die 
Schulagende. 

Eisleben.  G.  Boesche. 

Th.  Birt,  Eioe  römische  Litteraturf^eschichte  gesprochen  in 
fünf  Stunden.  Marburg  i.  Hessen  1894,  N.  G.  Elwert.  klein  8. 
210  S.     2,40  M. 

Vorträge  über  die  römische  Litteratur,  die  der  Verfasser  in 
Frankfurt  a.  M.  und  in  Marburg  vor  einem  gröfseren  l'ublikum 
gehalten  hat,  bieten  sich  hier,  wie  üblich,  nachträglich  in  Buch- 
form dar,  so  jedoch  dafs  der  Charakter  der  gesprochenen  Rede 
gewahrt  wird.  „Es  geschieht'S  hellst  es  in  dem  Vorwort,  ,,in 
der  Hoffnung,  für  den  wichtigen,  aber  in  der  Gegenwart  gern 
geschmähten  Gegenstand  das  Interesse  durch  lebendigere  An- 
schauung zu  erfrischen.  Vielleicht  wird  so  die  Zahl  derer 
gemindert,  die  das  antike  Leben  zwar  nicht  kennen,  aber  mifs- 
billigen".  Für  die  näheren  Fachgenossen  und  Mitforscher,  heifst 
es  dann  weiter,  seien  diese  Blätter  nicht  bestimmt.  Ich  glaube 
indessen,  dafs  man  auch  diesen  das  leicht  einherschreitende 
Büchlein  zur  Erquickung  nach  den  notenreichen  Werken  der 
strengen  Wissenschaft  empfehlen  kann.  Was  sich  hier  bietet, 
ist  weder  dürr  noch  nüchtern.  Alles  schmeckt  nach  der  Quelle. 
Unbekümmert  um  bibliographische  Vollständigkeit  charakterisiert 
der  Verfasser  die  typischen  Schriftsteller  der  Hauplperioden  in 
einer  farbigen  und  lebendigen,  ja  oft  zu  lebendigen  Sprache.  Das 
Buch  ist  allerdings  nicht  von  imponierender  Beleibtheit,  aber 
es  wird  gleich  von  der  ersten  Seite  an  klar,  dafs  es  keinen 
subalternen  Auszugfabrikanten  zum  Verfasser  hat.  Auch  schielt 
es  nicht  mit  ängstlich  unterwürfigen  Blicken  nach  den  gelehrten 
und  umfangreichen  Darstellungen  der  römischen  Litteratur.  Alles 
klingt  vielmehr  wie  die  kecke  Improvisation  eines  Mannes,  welcher 
viel  gelesen,  viel  gedacht  und  die  Sprache  sich  zum  freien  Ge- 
brauche gehorsam  gemacht  hat.  Auch  versteht  er  zu  charakteri- 
sieren und  mit  leichter  Hand  Umhüllungen  zu  entfernen.  Überrascht 
gesteht  man  sich  bald,  dafs  man  es  hier  mit  weil  Ernsterem  und 


576  l'b*  Birt,  Eine  römische  Litteratorgeschichte, 

Gründlicherem  zu  thun  hat,  als  man  nach  der  gewählLen  Form 
erwartet  hatte.  Dazu  kommt,  dafä  der  Verfasser  nicht  litterar- 
historische  Isolierbilder  bietet,  sondern  in  den  Wandlungen  der 
Litteratur  sich  die  Wandlungen  des  Zeitgeistes  spiegeln  läfst.  An 
passenden  Stellen  verbreitert  sich  seine  Darstellung,  und  ohne 
dafs  mit  historischer  Pedanterie  der  Einflufs  der  einzelnen  politischen 
Ereignisse  übertrieben  würde,  vollziehen  sich  doch  vor  dem 
geistigen  Auge  des  Lesers  die  Konsequenzen  aller  wirklich  frucht- 
baren Momente  aus  der  politischen  Geschichte.  Am  Ende  ange- 
langt, staunt  man  über  die  Fülle  des  auf  engem  Räume  Gebotenen 
und  weifs  dem  kundigen  Führer  Dank,  da(s  er  die  Aussichts- 
punkte so  gut  gewählt  hat. 

Das  spezifisch  Römische  in  der  römischen  Litteratur  schlägt 
der  Verfasser  nicht  eben  hoch  an;  die  römische  Litteratur  gilt 
ihm,  wenn  man  vom  Äufserlichen  absieht,  einfach  als  eine  Er- 
scheinungsphase der  griechischen.  War  der  Römer  doch  nur 
Kulturmensch,  sofern  er  griechisch  erzogen  war,  und  von  einer 
Auflehnung  des  römischen  Geistes  gegen  den  griechischen  war 
in  seiner  Litteratur  keine  Rede.  Alle  altitalischen  litterarischen 
Keime  sind  vielmehr  durch  das  hereinflutende  Griechentum  weg- 
geschwemmt worden.  Die  Verherrlicher  originaler  nationaler 
Kulturen  bedauern  das  auf  das  lebhafteste.  Wie  interessant  wäre 
es,  wenn  wir  heute  statt  der  griechischen  Litteratur  in  römischer 
Sprache  eine  selbständige  römische  Litteratur  hätten!  Doch  man 
mäfsige  seinen  Schmerz!  Roms  Schicksal  ist  in  dieser  Hinsicht 
das  Schicksal  so  ziemlich  aller  Kulturvölker  gewesen.  Wo  in 
erreichbarer  Nähe  sich  etwas  zur  Reife  Entwickeltes  zeigt,  wird 
sich  die  Nachahmung  dem  immer  zuwenden.  Es  ist  in  unserer 
Zeit  Mode  geworden,  alles  rein  Nationale  überschwenglich  zu 
verherrlichen.  Besser,  meinen  viele,  eine  ungeschickt  stammelnde, 
aber  selbständige  Litteratur  als  eine  der  kräftigen  und  klar  aus- 
gesprochenen Eigenart  entbehrende.  Wohl  richtig!  Doch  giebt 
es  nicht  blofs  diese  zwei  Möglichkeiten.  Auch  sich  anlehnend, 
von  andern  lernend,  nachahmend  kann  man  dem,  was  das  eigent- 
lich Substanzlelle  der  eigenen  Natur  ausmacht,  treu  bleiben. 
Auch  unsere  klassische  deutsche  Litteratur  neigt  ja  sehr  stark 
nach  Griechenland  hinüber.  Man  würde  aber  offenbar  zu  weit 
gehen,  wenn  man  sie  als  eine  moderne  Erscheinungsphase  der 
griechischen  definieren  wollte.  Noch  eine  andere  Erwägung  ist 
recht  geeignet,  den  Eifer  für  das  ungemischt  Nationale  abzukühlen. 
Die  meisten  Nationalitäten  würden  allein  aus  der  ureigenen  Kraft 
ihrer  Anlage  nichts  als  holzige,  saure,  ungeniefsbare  Litteratur- 
fruchte  hervorgebracht  haben.  Um  solchen  kräftigen  und  gesunden 
Barbarenstämmen  etwas  abzugewinnen,  bedarf  es  eines  edelen 
Pfropfreises.  Ein  solches  ist  das  Griechentum  auch  für  Rom 
geworden.  Soll  aber  etwas  Erfreuliches  dabei  herauskommen,  so 
mufs    zwischen    dem    Stamm    und    dem    Aufgesetzten    doch    ein 


angez.  von  0.  Weifseofels.  577 

Daturliches  Verwandtschaftsverhältnis  bestehen.  Wenn  die  fremde 
Litteratur  dem  sehnenden,  wenn  auch  unklaren  Verlangen  nicht 
lockend  die  Erföliung  zeigt,  bleibt  alles  Nachahmen  ein  eiteles 
Thun.  Wäre  der  Italiker  phantasielos  und  ohne  Erfindungsgabe 
gewesen,  wie  heute  auf  die  Autorität  kecker  und  beständig  über 
das  Ziel  hinausschiefsender  Meister  geglaubt  zu  werden  pflegt  und 
wie  auch  der  Verfasser  dieses  Buches  glaubt,  so  wurden  sie  nicht 
so  gelehrige  Schuler  der  Griechen  geworden  sein,  Tä  o(AOia 
ytyywif»e%a^  %oiq  oftoloig.  Wie  kann  es  denn  dem  Italiker,  im 
Gegensatz  zu  dem  Griechen,  an  jenem  freien  Spieltrieb  gefehlt 
haben,  der  die  Vorbedingung  aller  künstlerischen  und  litterarischen 
Hervorbringungen  ist?  Das  Gesetz  von  der  klimatischen  Gebunden- 
heit der  Volkscharaktere  übt  auch  heute  noch  seine  Wirkung,  ob- 
gleich ihm  die  alle  Schutzdämroe  sprengenden  fremdländischen 
Einflösse  entgegenarbeiten.  Nun  betrachte  man  heutige  Italiker, 
die  alles  der  Natur,  nichts  der  Bildung  verdanken.  Sind  das 
Wesen,  denen  man,  in  scharfem  Gegensatz  zum  Griechen  oder 
gar  zum  Germanen,  die  Phantasie  und  den  freien  Spieltrieb  ab- 
sprechen kann?  Man  mufs  dem  Verfasser  zugeben,  dafs  es  eine 
Verkehrung  des  Naturlichen  ist,  wenn  eine  Litteratur  mit  dem 
Drama  anhebt,  wie  die  römische,  aber  man  soll  daraus  nicht 
schliefsen,  dafs  den  Bömern  jener  schöpferische,  nach  einem 
innern  Gesetze  waltende  Trieb  fehlte,  der  bei  den  Indern,  Griechen 
und  Deutschen  zunächst  Episches  und  Lyrisches  in  Fülle  hervor- 
spriefsen  liefs.  Man  vergesse  doch  nicht,  dafs  jede  natürliche 
Entwicklung  sehr  langsam  ist.  Die  ausschliefsliche  Beschäftigung 
mit  der  politischen  Geschichte  zieht  den  Geist  ins  Enge.  Wenn 
so  ein  Historiker  aus  seiner  andersgearteten  Ferne  während  des 
Verlaufs  einiger  in  den  Augen  der  Natur  lumpigen  Jahrhunderte 
nichts  Sichtbares  mehr  erkennen  kann,  da,  meint  er,  sei  auch 
nichts  gewesen.  Sagen  wir  doch  lieber  so:  ehe  die  Keime  künftiger 
Epen,  die  ohne  Zweifel  auch  in  der  Seele  der  begabten  italischen 
Rasse  schlummerten,  sich  entwickeln  konnten,  ging  ihnen  die 
blendende  Sonne  des  Griechentums  auf.  Es  giebt  ein  Überlegen- 
heit, die  niederschmetternd  ist,  der  gegenüber  auch  der  Stolze 
nicht  an  Widerstand  denkt.  Dieser  Art  war  die  Überlegenheit 
der  zu  einer  reifen  und  vielseitigen  Schönheit  entwickelte  griechi- 
schen Litteratur,  als  sie  in  den  Gesichtskreis  der  Römer  trat. 
Der  Abstand  war  ein  zu  grofser.  Da  blieb  nichts  übrig,  als  sich 
willig  zu  ergeben.  Trug  nicht  überdies  die  griechische  Litteratur  bei 
all  ihrer  Vollendung  einen  jugendlichen  Charakter?  Was  die  Römer 
dort  hörten,  entsprach  dem  Ideal,  welchem  sich  auch  ihr  Denken 
und  Empfinden  entgegensehnte,  während  die  Franzosen  im  Zeit- 
alter Ludwigs  XIV.  und  die  Deutschen  im  vorigen  Jahrhundert,  um 
auf  den  Bahnen  der  Alten  zu  wandeln,  den  Druck  einer  ziemlich 
starken  Gegenströmung  überwinden  mufsten. 

Doch   ich   wende    mich    den  Einzelnen   zu.    In   der  ersten 

Zeiteehr.  f.  d.  QynuiMwlweeen  XliVüI.    9.  37 


578  T^*  Birt,  £ine  rbmische  Litteratargeschichte, 

Vorlesung  wird  die  geniale  Laune  des  Plautus  glöcklich  geschildert. 
„Diese  muntere  Seifensiedernatur  hätte  es  sich  unter  ihren  Mehl- 
säcken nimmer  träumen  lassen,  dafs  wir  2000  Jahre  später  ihn 
feiern  würden  als  eine  Ilauptgröfse  der  Weltlitteratur^*.  Auch 
die  Schilderung  einer  römischen  Theatervorstellung  ist  ebenso 
anschaulich  als  belustigend.  Terenz  aber  wird,  wie  gewöhnlich 
in  den  Darstellungen  der  römischen  Litteratur,  in  einen  zu  scharfen 
Gegensatz  zu  Plautus  gesetzt.  Mag  er  auch  nicht  die  tolle  Aus- 
gelassenheit und  die  Shakespearische  Willkur  des  Plautus  haben, 
so  soll  man  doch  nicht  sagen,  das  Volksthealer  nähere  sich  mit 
ihm  dem  Hoftheater,  der  Sklave  selbst  werde  bei  ihm  zum  feinen 
Mann,  seine  Thais  und  Bacchis  seien  feine  Weltdamen.  Das  läfst 
den  Terenz  in  einem  falschen  Lichte  erscheinen,  zumal  wenn 
man,  wie  der  Verfasser  dieses  Buches,  zu  einem  gröfseren  Publikum 
redet.  Weder  Plautus  ist  rein  volkstumlich,  noch  Terenz  rein 
konventionell.  Wenn  es  auch  richtig  ist,  dafs  Terenz  dem  er- 
leseneren Ton  und  Geschmack  der  Vornehmen  Roms  zu  genügen 
wufste,  so  soll  man  sich  doch  diese  gebildete  Gesellschaft  nicht 
in  dem  Anständigkeitsideal  der  heutigen  guten  Gesellschaft  oder 
der  klassischen  französischen  Hofgesellschaft  befangen  vorstelleo. 
Terenz  ist  ja  doch  ein  naiver  Dichter,  und  naiv  war  auch  jene 
Gesellschaft,  der  er  so  geßel,  wenn  man  auch,  wie  Horaz  in  der 
epist.  ad  Pisones  (270 — 274)  sagt,  in  diesen  Kreisen  der  Meinung 
war,  dafs  es  in  der  litterarischen  Toleranz  ein  wenig  weit  geben 
heifst,  die  Verse  und  Witze  des  Plautus  zu  bewundern. 

Es  folgt  die  zweite,  bis  auf  Augustus  reichende  Periode. 
„Nur  die  Form  bleibt  griechisch",  sagt  der  Verfasser,  „wird  immer 
vollkommener  griechisch,  der  Inhalt  wird  römisch-national**.  Ich 
finde  vielmehr,  dafs  die  Form  bei  aller  Nachahmung  der  Griechen 
zugleich  dem  stärkeren,  majestätischen  Charakter  der  römischen 
Sprache  gemäfs  gestaltet  wurde,  und  was  den  Inhalt  betrifft,  so 
ist  das  Römisch-Nationale  darin  nur  ein  Ingredienz,  die  Substanz 
aber  das,  was  man  griechische  Bildung  und  Humanität  nennt. 
Es  gab  allerdings  eine  römisch-nationale  Gegenströmung.  Ver- 
mochte sie  sich  aber  dem  Griechentum  gegenüber  zu  behaupten? 
Der  Verfasser  behauptet  das  selbst  nicht.  Nach  der  Eroberung 
von  Korinth  strömten  Griechen  in  Massen  nach  Rom.  Überall 
in  Rom  begegnet  man  griechischen  Malern,  Bildhauern,  Philosophen. 
Angesehene  Römer  legen  sich  griechische  Bibliotheken  an  und 
halten  sich  griechische  Hausgelehrte.  Von  Ciceros  Rede  für  den 
Dichter  Archias  sagt  der  Verfasser  selbst,  sie  sei  die  helle,  jauch- 
zende Liebe  zum  Griechentum,  während  gerade  von  dem  spezifisch 
Römischen,  z.  B.  von  der  fabula  togata,  nur  ganz  weniges  und 
nichts  Ganzes  sich  durch  seinen  Wert  zu  behaupten  vermocht 
hat.  Auch  Cato  verdankte,  trotz  seines  ausgesprochenen  Griechen- 
hasses, recht  viel  den  Griechen.  Über  Cicero  sagt  der  Verfasser 
manches  Richtige   und  Anerkennende.     „Auch    an   dem  Mut  ge- 


r 


angez.  voo  0.  Weifsenfels.  579 

brach  es  ihm  nicht,  einmal  auf  gefährlichstem  Posten  zu  stehen; 
die  Gelegenheit  rifs  ihn  zur  gröfsten  Kühnheit  hin.  Aber  es  war 
jener  flackernde  Mut  des  Südländers,  der  niclit  durchhielt''.  Von 
der  Rede  für  den  Sextus  Hoscius  heilst  es,  sie  sei  köstlich  frisch 
und  herzerquickend  zu  lesen,  sie  funkele  und  glitzere  in  allen 
Farben  der  Sprache.  Von  der  Rede  über  das  Imperium  des 
Cd.  Pompeius  sagt  der  Verfasser,  sie  prange  wie  ein  Goidge- 
scbmeide,  sie  sei  das  schönste  Ruhmesdenkmal  des  Pompeius, 
die  beredteste  Lobpreisung,  die  überhaupt  je  einem  Selbstherrscher 
geworden  sein  dürfte.  Dafs  Cicero  aber  nicht  altattischen,  sondern 
hellenistischen  Stilmustern  folge,  möchte  ich  nicht  mit  dem  Ver- 
fasser behaupten.  In  seinen  Reden,  ja;  aber  in  seinen  Briefen, 
wie  in  seinen  rhetorischen  und  philosophischen  Schriften  über- 
wiegt der  attisclie,  wenn  auch  römisch  nuancierte  Stiicharakter. 
Wer  übrigens  hat  je  den  Atticismus  feiner  charakterisiert  als 
Cicero  in  seinem  Orator?  Der  Verfasser  gesteht  im  übrigen,  dafs 
eine  »^einzig  erziehende  Kunstvollendung  in  der  Ciceronischen 
Sprache  sei'S  und  er  erklärt  es  für  gesund,  bisweilen  in  diesen 
Strom  hinabzutauchen.  Auch  solle  man  nicht  vergessen,  wie 
Cicero  auch  durch  den  Inhalt  und  den  geistigen  Ton  seiner 
Schriften  gewirkt  habe.  Lebte  er  doch  ganz  in  den  sittlichen 
hohen  Anschauungen  der  Besten  unter  den  Griechen.  Auch  sei  er 
eines  der  gröfsten  Talente  in  der  Kunst  des  Popularisierens  ge- 
Wesen.  „Die  Humanität,  die  wir  heute  uns  rühmen  vom  Alter- 
tum gelernt  zu  haben,  ist  in  jeder  Zeile  Ciceros  lebendig.  Diese 
Humanität  hat  nirgends  auf  breiterem  Boden  sich  dargestellt  als 
im  Schriftencorpus  Ciceros.  Er  vor  allem  hat  geholfen,  dafs  sie 
so  Gemeingut  wurde«  Die  Kirchenväter  von  Minucius  Felix  bis 
Augttstin  lernten  von  Cicero;  ein  Hieronymus  rühmt  sich  dessen; 
es  lernte  von  ihm  der  Humanismus  der  Renaissance.  Was  aus 
dem  Brunnen  griechischer  Weisheit  und  griechischer  Menschlich- 
keit flob,  sammelte  sich  für  den  Occident  in  Cicero  wie  in  einem 
gewaltigen  Reservoir,  um  daraus  die  Gefilde  der  Zukunft  un- 
merklich und  doch  im  Tiefsten  zu  durchtränken''.  Das  Lob, 
weiches  dem  Lucilius  gespendet  wird,  ist  angemessen  temperiert: 
der  Verfasser  nennt  ihn  einen  übermütigen  Schnellschreiber  ohne 
Schönheitssinn.  Lucrez  hingegen  wird  wohl  nicht  nach  Verdienst 
gewürdigt  Man  mag  seine  Kunst  hart  und  unreif  nennen,  aber 
er  ist  groXs  und  ehrwürdig,  und  ich  behaupte  im  Gegensatz  zum 
Verfasser,  dafs  die  gewaltige  Wirkung  seines  Lehrgedichts  gerade 
auf  Rechnung  des  Persönlichen  und  Römischen  zu  setzen  ist, 
welches  er  in  die  Darstellung  der  Lehre  £pikurs  gebracht  hat  Mit 
aufserordentlicher  Wärme  wird  Catuli  gepriesen,  der  früh  verstorbene. 
„Er  ist  wie  die  einsame  Nachtigall,  die  zu  früh  ins  Land  gekommen; 
die  Gesträuche  sind  noch  nicht  grün,  und  der  Flieder  will  noch 
nicht  aufblühen.  Aber  warte  nur,  balde  spriefst  es  und  blüht  es 
allüberall,  und  wir  werden  einen  Chor  von  Liedern  vernehmen^'. 

37* 


580  'I'h.  Birt,  Eine  römische  Litteratargfeschichte, 

Vortrefnich  wird   die   für  die  Litteratur  so   bedeutungsvolle 
Wandlung   charakterisiert    welche    sich    beim  Ausgange  der  Re- 
publik   mit    dem    Absterben    des    politischen    Interesses    in    der 
ganzen  Denkweise  vollzog.    „So  gewann  der  Römer  Zeit  zur  Ver- 
liefung in   religiöse  Fragen,    so  auch   zur  Kunst.     Da   man  dem 
Staatswohle    nicht  mehr  leben  kann,    lebt  man  sich  selber,    ein 
erzwungener  Egoismus;  man  begann  sein  Seelenleben  zu  vertiefen, 
aber  auch  sonst   sein  Privatleben  auszuzieren  und  inhaltreicb  zu 
machen^'.     Auch    die    sich  daranschliefsende   Charakteristik    der 
Dichter  des  Augusteischen  Zeitalters  bietet  auf  engem  Räume  viel 
Treffendes  und  Selbständiges.     Was  diese  Dichter  borvorgebracht 
haben,    sind    nach    dem  Urteile    des  Verfassers  Sachen,    die   die 
Menschheit  zu  lieben  und  zu  lesen  nicht  aufhören  sollte;  aber  es 
sei  diese  Poesie  schwer.    Sie  zu  lesen  sei  für  uns  heute  weniger 
unterhaltend    als    erziehend.     „Es   ist  wie   bei   einem  Bachscheii 
fugierten  Chorsatz;  erst  wer  es  öfter  gehört,  erst  wer  es  studiert 
hat,  kommt  zum   Genufs;    aber  er  giebt  um  diesen  Genufs  gern 
alle  stark  wasserhaltigen  modernen  Salonstucke  hin^^     Sie  haben 
uns  nur  wenig   hinterlassen,    diese   Augusteischen   Dichter,   aber 
dieses  Wenige  ist  schwer  zu  erschöpfen.     Es   ist  kein  uneinge- 
schränktes Lob,    welches    diesen    Dichtern    hier   gespendet  wird, 
aber  der  Tadel   mischt  sich  in  diskreter  Weise  'bei.     Was    über 
Vergil  gesagt  wird,  ist  einfach  vortrefflich.    Das  berühmte  Schlofs 
in  Versailles,    in   welchem    das    deutsche   Kaisertum    proklamiert 
worden  ist  trägt  die  Inschrift:  A  toutes  les  gloires  de  la  France. 
Der  Aeneide,  meine  ich,  könnte  man  die  Inschrift  geben:  A  toutes 
les  gloires  de  Rome.    Und  doch  lebte  in  diesem  Dichter,  der  der 
Nationaldichter  Roms  wurde,  wie  der  Verfasser  ausführt,  eigentlich 
keine  römische  Seele.    Die  Aeneide  nennt  er  das  Diadem  um  das 
Haupt  des  kaiserlichen  Rom ;  die  Georgika  sind  ihm  „das  Schönste 
und  Wohligste'',  was  man  sich  denken  kann.     Fraglos  seien  hier 
alle  griechischen  Muster  weit  öbertrofTen.     Er  nennt  diese  Verse 
ewig    und    klassisch.     Keinen   Buchstaben  möchten   wir  ändern, 
so  erzgefügl  steht  alles  da.     „Für  den  Römer  ist  fast  jede  Zeile 
des  Vergil  zum  Diktum,  zur  Sentenz  geworden''. 

Was  über  Horaz  gesagt  wird,  finde  ich  nicht  ganz  so  treffend, 
aber  es  ist  immerhin  fein  zu  nennen  im  Vergleich  zu  der  plumpen 
Übertreibung,  mit  welcher  man  heute  von  diesem  Dichter  meist 
wie  von  einem  reden  hört,  der,  ohne  selbsterlebte  Poesie  im 
Herzen,  unter  fortwährender  Plünderung  griechischer  Vorbilder 
immerhin  recht  geschickte  lateinische  Gedichte  zustande  gebracht 
habe.  Im  Gegensatz  dazu  betont  der  Verfasser  die  frische  Selb- 
ständigkeit des  Horaz  und  nennt  ihn  den  stets  Originellen.  „Seine 
Eigenart  bewährt  sich  gleich  darin,  dafs  der  sich  vom  sogenannten 
alexandrinischen  Geiste,  von  Romantik  und  Träumerei  auffallig 
frei  erhielt;  der  Zeitgeist  lief  an  ihm  herunter,  wie  das  Wasser 
an  der  Otter".     „Geistreich    und  interessant    ist  Horaz  in  jeder 


aogez.  von  0.  Weirgeofels.  531 

Zeile.  Er  lächelt  oft,  fast  mit  Selbstironie,  hinter  seinen  erhabenen 
Versen  und  durch  das  Gitter  der  Zeilen  hervor;  und  er  ist  zudem 
voll  der  feinsten  Bezüge  zu  seiner  Gegenwart,  deren  überlegener 
Zuschauer  er  war''.  Aber  der  nach  Vergil  am  meisten  gelesene 
Dichter  Roms  war  doch  Ovid.  Das  dankte  er  seinen  Metamor- 
phosen.    „Dies  war  Roms  Decamerone**. 

Auf  die  erklommene  Höhe  der  Augusteischen  Poesie  folgt 
nun  nicht  ein  jäher  Absturz,  sondern  gleichsam  ein  Hochplateau, 
wie  der  Verfasser  sagt  (von  August us  bis  zu  den  Antoninen). 
Der  kurzen,  aber  anschaulichen  Schilderung  der  Zustände  jener 
Zeit  sind  meist  recht  glückliche  Charakteristiken  der  stimm- 
führenden Schriftsteller  und  der  einzelnen  Kreise  eingefugt.  In 
dem  Bestreben  das  Vergangene  gegenwärtig  zu  machen,  wird 
freilich  bisweilen  zu  weit  gegangen.  So  heifst  es  von  Hartial: 
„Es  war  der  Kladderadatsch,  der  Stettenheim,  der  Wilhelm  Busch 
Roms".  Zu  besonderem  Verdienste  rechne  ich  es  dem  Verfasser 
an,  dafs  er  den  gröfsten  Schriftsteller  dieser  Zeit,  ich  meine 
Seneca,  der  heute  mit  plattem  Tadel  abgefertigt  zu  werden 
pflegt,  nach  Verdienst  gewürdigt  hat.  Er  erklärt,  dafs  die 
religiöse,  mit  stätigen  Todesgedanken  verbundene  Tugendlehre 
in  der  ganzen  Profanlitteratur  nie  so  schön  und  gefühlvoll  vor- 
getragen worden  sei.  Seinem  Urteile  über  Tacitus  aber  kann  ich 
nicht  zustimmen.  Die  ernste  Seele  des  Tacitus,  heifst  es  bei 
ihm,  ruhe  auf  der  nämlichen  erhabenen  WeltaulTassung,  die 
Domitian  verfolgt,  die  Seneca  verewigt  habe.  Nein!  des  Tacitus 
Gedanken  und  Urteile  wurzeln  im  Politischen,  ja  im  politischen 
Parleistandpunkfe;  Seneca  hingegegen  erhebt  sich  hoch  über  das 
Politische,  er  ist  jeder  Zoll  ein  Philosoph. 

Die  fünfte  Vorlesung  behandelt  das  Aufblähen  einer  römischen 
Litteratur  in  den  Provinzen  und  die  Zeit  der  christlichen  Klassi- 
cität.  Diese  von  unten  auf  entstandene  Litteratur  hat  dem 
christlichen  Mittelalter  seinen  wesentlichen  Inhalt  zubereitet.  Rom 
giebt  jetzt  auch  nicht  mehr,  Rom  empfangt.  Die  Vi^ände  sind 
plötzlich  wie  weggeschoben  und  himmelweite  belebte  Fernsicht 
umgiebt  uns.  Welch  neues,  gesteigertes  Leben  in  den  Provinzen! 
„Griechenland,  die  spanische  Halbinsel,  Södfrankreich,  das  Seine- 
gebiet, Tunis  und  Marocco  haben  sich  im  Verlauf  der  ganzen 
Weltgeschichte  bis  heute  kaum  je  ähnlich  geordneter  und  ge- 
segneter Verhältnisse  erfreut,  wie  im  Anfang  des  zweiten  Jahr- 
hunderts''. 

Zum  Schlufs  noch  ein  Wort  über  die  Form,  in  welcher  sich 
das  Buch  darbietet.  Der  Ton  ist  überall  frisch.  Schwerfallig 
gebaute  Sätze  finden  sich  nicht.  Oft  genug  sind  die  Sätze  im 
Gegenteil  zu  modern  kurz  und  verbindungslos.  Der  Verfasser 
wollte  seiner  Rede  offenbar  den  Charakter  des  Improvisierten, 
unter  einem  übermächtigen  Eindrucke  Hervorquellenden  geben. 
Das  hat  seine  Vorteile:  dem  Buche  klebt  nichts  Zopfiges  an,  und 


582  Ed.  Wolff,  Lateioisch«  Lesebücher, 

das  Besprochene  wird  dem  Leser  in  eine  greifbare  Nähe  gerückt. 
Aber  die  Überarbeitung  hätte  doch  manche  saloppe  Konstruktionen 
und  manche  burschikose  Ausdrücke  entfernen  müssen.  Piautus 
wird  ein  kleiner  fideler  Plebejer  genannt,  Cicero  ein  rühriger 
guter  Herr.  Dem  Cicero  wurde  das  Haupt  heruntergeschlagen, 
„sogar  die  Hände  abgeschnitten ;  es  waren  die  Hände,  mit  denen 
er  die  Philippica  geschrieben''.  Cleopatra  wird  als  eine  par- 
furnierte  Frauengestalt  charakterisiert.  Vergil  wird  gar  eine  ehr- 
liche Haut  genannt.  Von  seinem  Jugendfreunde  Gallus  heifst  es, 
er  war  vielleicht  „Compenäler'*  Vergils  in  Cremona.  Dem 
Horaz  wird  eine  ,«feudale''  Offiziersstelle  zu  teil.  Er  wird  neben- 
bei  ein  kleines  Kerlchen  genannt.  Von  Ovid  heifst  es  bald 
darauf,  dafs  er  als  müder,  betagter  Herr  starb.  Daneben  auch 
groteske  Übertreibungen,  die  auf  den  Ungebildeten  wirken,  den 
Gebildeten  beleidigen.  „Rom  der  einzige  Verlagsort  Die  Laden- 
hüter liefs  man  von  dort  ladungsweise  in  die  Provinzialstädte 
abgehen'*.  „Die  Dichtet*  liefen  rudelweise  herum'*  (besser  Horaz: 
Scribimus  indocti  doctique  poemata  passim).  Dergleichen  findet  sich 
in  unmittelbarer  Nähe  nicht  blofs  bezeichnender»  sondern  im  höheren 
Sinne  schöner  Wendungen.  Das  ist  unattisch  und  hätte  von  einem, 
der  durch  die  Form  offenbar  wirken  wollte,  vermieden  werden  sollen. 

Gr.  Lichterfelde  bei  Berlin.  0.  Weitsenf  eis. 


Eduard  Wolff,  Weilers  Lateinisches  Leseboch  aas  Herodot. 
Achtzehnte  umgearbeitete  Auflage.  Frankfurt  a.  Main  1893,  Kessel- 
riDgsche  Hofbnchhandlung.     XU  u.  157  S.     gr.  8.     1,80  M. 

Eduard  Wolff,  Übungsbuch  zum  Obersetzen  aus  dem  Deutschen 
ins  Lateinische  im  Anschlufs  an  Wellers  Lateinisches  Lesebach 
aus  Herodot.  Frankfurt  a.  Main  1894,  Kesselringsche  Hofbnchhandlnng. 
VI  u.  120  S.    gr.  8.     1,20  M. 

Wellers  Lesebuch  aus  Herodot  gehört  zu  den  besten  Schul- 
büchern seiner  Art.  Dies  beweisen  nicht  nur  die  17  Auflagen^ 
die  es  bisher  erlebt  hat,  sondern  dafür  spricht  auch  das  ein- 
stimmige günstige  Urteil  aller  Lehrer,  die  dieses  Buch  beim 
Unterricht  benutzt  haben.  An  einem  dem  jugendlichen  Alter  zu- 
sagenden Stoff  vermögen  selbst  weniger  geübte  Lehrer  bei  Be- 
nutzung dieses  Buches  die  Quintaner  in  einem  Jahre  so  weit  zu 
bringen,  daljs  sie  sich  ohne  Mühe  selbst  in  den  Cornelius  Nepos 
hineinfinden.  Getadelt  wurde  an  dem  Buche  bisher  nur,  daDs  es 
im  Satzbau  und  z.  T.  auch  in  einzelnen  Ausdrücken  den  color 
Latinus  vermissen  lasse.  An  einzelnen  Ausdrücken  ist  in  den 
neueren  Auflagen  manches  verbessert  worden.  Den  Satzbau  zu 
ändern,  schien  weder  dem  verstorbenen  Weller,  noch  dem  späteren 
Bearbeiter  rätlich.  Ganz  mit  Recht ;  denn  ein  klassisches  Latein,  auch 
in  dem  einfachsten  Periodenbau  der  lateinischen  Historiker,  ist  für 
angehende  Quintaner  zu  schwierig.  Daher  sind  es  auch  wohl  in 
der  Regel  nicht  die  Mängel  der  Wellerschen  Latinität  gewesen. 


angez.  von  L.  Spreer.  5g3 

dorcb  die  man  sich  an  einer  Anzahl  von  Schulen  in  der  neueren 
Zeit  enUchlossen  hat,  den  Wellerschen  Herodot  abzuschaffen.  Der 
Grund,  weshalb  man  das  Buch  nicht  weiter  gebraucht,  ist  wohl 
vielmehr  darin  zu  suchen,  dafs  man  nicht  auf  die  Benutzung  eines 
Übungsbuches  verzichten  wollte,  das  sich  Schritt  für  Schritt  dem 
Lehrgang  in  der  Grammatik  anschliefst,  und  dafs  man  neben  der 
Durcharbeitung  dieses  Übungsbuches  jetzt  bei  der  beschränkten 
Stundenzahl  nicht  mehr  Raum  für  die  Weller-Lektüre'  fand.  Man 
kann  auf  diese  jetzt  auch  eher  verzichten,  da  die  neueren  Auf- 
lagen der  üblichen  Übungsbücher  ja  alle  auch  zusammenhängende 
Lesestucke  enthalten.  Um  das  treffliche  Wellersche  Lesebuch  der 
Quinta  zu  erhalten,  wäre  vor  allem  nötig  gewesen,  daüs  ihm  ein 
Übungsbuch  zum  Übersetzen  aus  dem  Deutschen  ins  Lateinische 
an  die  Seite  gesetzt  worden  wäre,  welches  die  Einführung  andrer 
Lehr-  und  Übungsbücher  von  der  Art  des  Ostermannschen  und 
Schönbornschen  überflüssig  machte.  Ein  Versuch  in  dieser  Rich- 
tung ist  durch  die  Succowschen  Übungsstücke  gemacht  worden, 
dieselben  weisen  aber  mehr  auf  das  Bedürfnis  hin,  als  dafs  sie 
dasselbe  wirklich  befriedigen.  In  ibrer  Art  vortrefQich  und  ganz 
dem  Charakter  des  Wellerschen  Buches  entsprechend,  sind  die 
Übungsstücke  von  Bolle;  dieselben  haben  aber  wohl  deshalb  an 
den  Schulen,  welche  Wellers  Herodot  benutzten,  nicht  den  er- 
warteten Eingang  gefunden,  weil  sie  sich  nicht  dem  grammatischen 
Lehrgang  der  Quinta  anschliefsen. 

Um  das  Wellersche  Buch  weiter  konkurrenzfähig  zu  machen, 
hat  die  Verlagsbuchhandlung  zunächst  die  18.  von  Eduard  WoUl 
umgearbeitete  Auflage  des  Lesebuches  erscheinen  lassen.  Durch 
dieselbe  sollen  die  Klagen  über  mangelhafte  Latinität  des  Buches 
beseitigt  werden.  Es  hat  der  Stil  in  der  That  ein  mehr  lateinisches 
Gepräge  bekommen,  die  Erzählung  schreitet  in  einfachen,  aber 
abgerundeten  Perioden  fort,  sodafs  in  dieser  Beziehung  allen  billigen 
Anforderungen  entsprochen  ist.  Allein  es  ist  geschehen,  was  zu 
bdürchten  war.  Das  Buch  ist  für  die  Quinta  unbrauchbar 
geworden,  da  es  nicht  gelingen  will,  die  aus  der  Sexta  kommenden 
Schüler  in  die  Lektüre  desselben  hineinzubringen.  Nach  des  Ver- 
fassers Vorschlag  soll  es  im  zweiten  Halbjahre  der  Quinta  benutzt 
werden.  Aber  zu  einer  Benutzung  von  zwei  Lesebüchern  in  einer 
Klasse  wird  man  schwerlich  Neigung  finden.  Das  Buch  kann 
jetzt  nur  noch  in  der  Quarta  benutzt  werden,  wo  es  neben  dem 
Cornelius  Nepos  und  anderen  neueren  Lesebüchern  schwer  Eingang 
finden  wird.  In  diese  Klasse  gehört  das  Buch  jetzt  auch  durch 
seinen  Inhalt,  da  der  Verfasser  absichtlich  durch  vervollständigende 
Zusätze,  durch  Anführung  von  Eigennamen,  durch  Entwickelung 
der  Motive  der  Handlung»  die  einzelnen  Geschichtchen  mehr  in 
zusammenhängende  Geschichte  verwandelt  hat.  Er  ist  hierin  u.  E. 
stellenweise  sogar  über  das  Mafs  dessen  hinausgegangen,  was  für 
die  Quarta  wünschenswert  erscheint. 


584     ^^'  Wolff;  Lateinische  Lesebücher,  ao^ez.  vod  L.  Spreer. 

In  Bezug  ciuf  die  Latinität  bedOrfeD  einzelne  Steilen  der  Ver- 
besserung, z.  B.  S.  2  Bis  mim  tantae  res  erant,  quantae  necessi- 
tatibus  sufficerent  statt  ut  oder  qnae;  S.  3  frooßimarum  fines 
aggrediens  magnam  praedam  faciehat  statt  aggressus;  S.  5  das 
Wort  dehartari  wird  sonst  wohl  Schülern  nie  begegnen  und  ge* 
hört  daher  nicht  in  dieses  Buch;  S.  7  Etiatn  hoc  Medi  fecerurU  statt 
atque  etiam  hoc  oder  hoc  e/tam;  munus  quodcunque  st.  quodcunque 
voles;  S.  26  senteniiam  tulerant,  ut  mors  obeunda  esset  st.  ut  mortem 
obirent  oder  mortem  obeundam  esse\  S.  30  militiae  vacationem 
remistt  steht  zwar  wörtlich  so  bei  Justinus,  sollte  aber  nicht  in 
ein  Schulbuch  aufgenommen  werden,  da  es  eine  unklare  Aus* 
drucksweise  ist,  in  der  militiam  remistt  und  militiae  vacationem 
dedit  Terschmolzen  sind;  S.  38  und  öfter  tibi  siUnecit  st  subegit 
u.  8.  w.  Solche  Unebenheiten  werden  sich  in  einer  späteren  Auf- 
lage beseitigen  lassen;  zu  bedauern  ist  nur,  dafs  ein  so 
gut  gearbeitetes  Buch  —  wie  oben  schon  angedeutet  wurde  — 
in  dem  stufenweise  fortschreitenden  Lehrgang  unserer  höheren 
Schulen  schwer  eine  geeignete  Stelle  finden  wird. 

Dasselbe  gilt  in  noch  höherem  Grade  von  dem  Wolffschen 
Übungsbuche  zum  Übersetzen  aus  dem  Deutschen  ins  Lateinische. 
Es  wird  in  diesem  Buche  im  wesentlichen  derselbe  Stoff,  den  das 
Lesebuch  bietet,  in  neuer  Form  gegeben.  Der  deutsche  Ausdruck 
ist  so,  dafs  man  die  Erzählungen  mit  Vergnügen  liest,  und  dennoch 
lassen  sich  dieselben  ohne  grofse  Umwandlungen  in  gutes  Latein 
übersetzen.  Gleichwohl  wird  das  Buch  schwerlich  an  preufsischen 
Gymnasien  zur  Einführung  gelangen  können.  Hier  sollen  jetzt 
die  Übersetzungen  nur  noch  den  Zweck  haben,  den  Spracbstoff 
der  Lektüre  einzuüben  und  die  grammatischen  Regeln  dem  Schüler 
zu  sicherem  Verständnis  zu  bringen.  Diesen  Zwecken  dient  das  vor- 
liegende Übungsbuch  aber  nicht;  denn  in  dem  Bestreben,  den 
Schülern  eine  gewisse  Mannigfaltigkeit  des  lateinischen  Ausdruckes 
zu  geben,  hat  Wolff  leider  die  Vokabeln  und  Redensarten  des 
Wellerschen  Lesebuches  zu  wenig  wieder  angewandt  Und  die 
grammatischen  Erscheinungen,  mit  welchen  ein  Quartaner  vertraut 
gemacht  werden  mufs,  finden  sich  ohne  jede  systematische  Ord- 
nung über  das  ganze  Buch  zerstreut.  So  wie  es  jetzt  vorliegt«  würde 
man  das  Buch  kaum  in  den  letzten  Monaten  der  Quarta 
gebrauchen  können,  also  vielleicht  mehrere  Monate,  nachdem  man 
die  lateinischen  Stücke,  auf  welche  sich  die  Übungen  beziehen 
sollen,  mit  den  Schülern  behandelt  hat.  Es  würde  das  Übei^etzen 
aus  dem  Wolfischen  Buche  zu  einer  ganz  selbständigen  Übung 
im  Gebrauche  der  lateinischen  Sprache  werden,  die  gewifs  manchem 
Lehrer  wertvoll  erscheinen  wird,  für  die  in  unserem  jetzigen 
Gymnasium  aber  kein  Raum  mehr  vorhanden  ist. 

Putbus.  L.  Spreer. 


Fr.  Holzweifsiip,  Lat.  ÜboDf^sbach,  ao^ez.  von  0.  Josopeit.     585 

Fr. Holzwei fsig^yObvaf^s buch  für  den  Unterrichtim  Lateinischen. 
Korsos  der  Ober-Tertia,  Haonover  1894,  Norddeotsche  Verlagsan- 
sUlt.    VIII  0.  196  S.    2,20  M. 

Bei  der  Besprechung  des  Kursus  für  Unter-Tertia  desselben 
Werkes  wies  ich  darauf  hin,  dafs  es  doch  seine  Bedenken  habe, 
den  Stoff  für  das  lateinische  Übungsbuch  der  mittleren  und  oberen 
Klassen  ganz  allein  der  Lektüre  derselben  Klasse  zu  entnehmen; 
infolge  der  unablässigen  Wiederholung  —  ich  möchte  fast  sagen 
Wiederkäuung  —  ein  und  desselben  Gegenstandes  stelle  sich  leicht 
Gedankenlosigkeit  und  selbst  Ekel  ein,  und  es  sei  daher  —  we- 
Digstenst  Yon  Ober-Tertia  an  —  besser,  andere  verwandte  Stofle 
der  römischen  oder  griechischen  Geschichte  zu  verarbeiten  oder 
auch  femerliegende  Stoffe  unter  Verwertung  der  durch  die  Lektüre 
gewonnenen  Vokabeln  und  Redewendungen. 

Der  Verf.  ist  aber  auch  in  dem  Kursus  für  Ober-Tertia  bei 
seineoi  bisherigen  Verfahren  geblieben  und  bietet  als  Übersetzungs- 
stücke nur  die  Umarbeitung  der  Klassenlektflre,  der  vier  letzten 
Bücher  aus  Caesar's  bellum  Gallicum.  Eine  Änderung  dieses  Ver- 
fahrens lehnt  er  in  der  Vorrede  ab,  indem  er  sagt,  er  habe 
um  80  weniger  Grund  von  den  in  den  vorhergehenden  Teilen 
beobachteten  Grundsätzen  abzugehn,  als  dieselben  durchaus  den 
Lehrplänen  vom  6.  Januar  1892  entsprächen.  Ist  das  aber  wirklich 
der  Fall?  Doch  nicht  unbedingt.  Diese  Lehrpläne  bestimmen 
zwar  für  Quarta,  Tertia,  Unter-Sekunda  und  Prima  (für  die  Ober- 
Seknnda  fehlt  diese  Bestimmung),  dafs  die  Übersetzungen  ins  La- 
teinische  sich  an  das  Gelesene  (in  Tertia  also  an  Caesar)  an- 
lehnen (oder  an  einer  andern  Stelle  anschliefsen)  sollen. 
Eine  Anlehnung  ist  aber  doch  nicht  allein  in  einer 
Umarbeitung  oder  Variation  desselben  Stoffes  zu 
finden,  sondern  ebenso  gut  auch  in  der  Darbietung  eines  ähn- 
lichen Stoffes  oder  auch  in  der  Bearbeitung  eines  anderweiten 
antiken  Ereignisses,  die  sich  in  der  Phraseologie  an  die 
Lektüre  anlehnt;  ein  Verfahren,  welches  mehrere  andere  her- 
vorragende Übungsbücher  angewandt  haben.  Aber  selbst  wenn 
die  Lehrpläne  —  was  ich  durchaus  bestreiten  mufs  —  geradezu 
eine  Umarbeitung  nur  desselben  Stoffes  vorschreiben  würden,  so 
hat  uns  die  zweijährige  Erfahrung  seit  Inkrafttreten  der  Lehrpläne 
doch  gelehrt,  dafs  bei  dieser  Behandlung  der  lateinische  Unterricht 
zu  sehr  an  Wert  verlieren  würde,  wenn  die  Sekundaner  und 
Primaner  gar  nicht  mehr  imstande  sein  sollten,  einen  Text  ins 
Lateinische  zu  übersetzen,  der  mehr  als  eine  blofse  Umschreibung 
der  Lektüre  des  letzten  Vierteljahrs  wäre.  Ist  es  dem  Verf.  nicht 
bekannt,  dafs  die  Provinzialschulräte  darauf  bestehen,  dafs  für  die 
Reifeprüfung  ein  anderer  Text  vorgelegt  wird  ?  Und  wie  könnten 
die  Abiturienten  einen  solchen  Text  übersetzen,  wenn  sie  nicht 
in  den  obern  Klassen  die  nötige  Übung  erlangt  hätten?  Es  wäre 
sehr  zu  wünschen,   dafs  der  Herr  Minister  eine  klare 


586     V.  Müller,  Lat  Lesebuch  f.  Qoarta,  agz.  v.  H.  Grossmaao. 

und  bestimmte  Deklaration  der  Lehrpläne  in  dieser 
Beziehung  gäbe. 

Nun  meint  der  Verf.  in  der  Vorrede  weiter,  wer  die  Schüler 
an  ein  Übersetzen  ins  Lateinische  ohne  lateinische  Vorlage  ge- 
wöhnen wolle,  werde  unter  geeigneter  Anleitung  in  der  Klasse 
auch  solche  Stücke  übersetzen  lassen,  zu  welchen  der  betreffende 
Cäsarabschnitt  noch  nicht  gelesen  sei.  Das  wäre  allerdings  schon 
eine  kleine  Verbesserung.  Aber  es  bleibt  trotzdem  das  Ge- 
fühl des  Überdrusses,  der  Überladung,  des  Ekels  in 
dem  Gemüte  des  Tertianers,  der  zwei  Jahre  hindurch 
in  wöchentlich  sieben  Stunden  nur  von  Caesar  und 
seinem  Gallischen  Kriege  hört;  es  wäre  wahrhaftig  kaum 
zu  verwundern,  wenn  jenes  für  die  Schullektüre  so  sehr  geeignete 
Werk  den  Schülern  schliefslich  geradezu  yerhafst  würde. 

Sieht  man  von  dieser  Prinzipienfrage  ab,  so  mufs  man  an- 
erkennen, dafs  die  Übungsstücke  sehr  sorgfaltig  und  dem  Klassen- 
standpunkte angemessen  bearbeitet  sind,  ein  recht  lesbares  Deutsch 
enthalten  und  —  obwohl  zum  gröfsten  Teil  im  AnschluTs  an  be- 
sondere Abschnitte  der  Grammatik  bearbeitet  —  sich  von  Häufung 
grammatischer  Schwierigkeiten  und  Seltenheiten  fernhalten. 

Die  gleiche  Anerkennung  verdient  der  zweite  Teil  des  Buches, 
die  Beispielsammlung  zur  Ableitung  grammatischer  Regeln,  deren 
Sätze  fast  ganz  aus  Caesar  und  Nepos  genommen  sind. 

Zu  billigen  ist  auch,  dafs  in  diesem  Kursus  die  grammatischen 
Regeln  nicht  mehr  formuliert  sind,  sondern  dafs  auf  die  Gram- 
matik selbst  verwiesen  wird. 

Rastenburg.  Otto  Josupeit. 

V.  Möller,    Lateinisches    Lese-    and    Übangsbach    für    Quarta. 

Altenbarg  1S93,  H.  A.  Pierer.     VI  u.  136  S.     2,20  M. 
V.Müller,  Alphabetisch  geordaetes  Wörterverzeichnis  za  dem 

Lateinischen  Lese-   und  Obunj^sbache   für  Quarta.     Alten- 

barg  1893,  H.  A.  Pierer.    66  S.     8. 

Das  Buch  enthält  folgende  Abteilungen:  1.  Lateinische  Lese- 
stücke, 2.  deutsche  Übungsstücke  und  3.  Regeln  nebst  Huster- 
beispielen aus  der  Grammatik.  Die  lateinischen  Lesestücke  sind, 
abgesehen  von  einigen  Dialogen  und  Briefen,  durchweg  aus  Livius 
herübergenommen;  sie  sollen,  wie  der  Verf.  sagt,  „die  mit  Recht 
angefochtenen  Lebensbeschreibungen  des  Com.  Nepos*^  ersetzen. 
Um  diesen  Stoff,  über  dessen  Wahl  man  verschiedener  Ansicht 
sein  wird,  den  Schülern  mundgerecht  zu  machen  und  zugleich 
die  Übungsbeispiele  zur  Kasussyntax  hineinzubringen,  sind  man- 
nigfache Änderungen  notwendig  geworden.  Trotzdem  ist  in 
dieser  Beziehung  noch  sehr  viel  zu  thun;  denn  es  ist  eine  Reihe 
von  Wortformen  und  von  Wendungen  stehen  geblieben,  die  ent- 
weder selten  oder  dem  Livius  eigentümlich  sind  und  dem  Quar- 
taner  noch  erspart  bleiben   müssen;   dabin  gehdren  ofroedtend'or 


LaUnaai-Miiller,  Gr.  Gramnatik,  agz.  v.  P.  WeifseDfels.     5g7 

S.  45,  vulgatiar  S.  4,  primores  S.  14,  henef actum  S.  t21,  smecta 
S.  123,  .fenerator  S.  33,  exactar  S.  18,  conviciator  S.  54,  ales 
&  36,  antmantes  S.  1 36,  turmales  S.  44,  moribundus  und  venera- 
ftimius  S.  28  u.  a.  m.  Bedenklich  ist  auch  der  Ausdruck:  montes, 
(«1  usque  ad  extremes  Italiae  ftnes  currunt  S.  16. 

In  dem  Auszuge  aus  der  Syntax  ist  das  Kapitel  von  der 
Kongruenz  am  meisten  besserungsbedurftig.  Hier  kann  S.  114 
der  Satz:  „In  diesem  Falle  steht  das  Subst.  mobile  im  Masc, 
veno  das  Subjekt  ein  Neutrum  ist''  ganz  gestrichen  werden. 
S.  1 15  igt  hinzuzufügen,  dats  bei  mehreren  Subjekten  sich  das 
gemeinsame  Prädikat  auch  auf  das  zunächststehende  Subjekt  be- 
ziehen kann.  Sonst  könnte  die  Zahl  der  Beispiele  in  dem  Aus- 
zuge erheblich  vermindert,  vielleicht  auch  dasselbe  Beispiel  für 
mehrere  Regeln  verwendet  werden. 

Das  lateinisch-deutsche  und  deutsch-lateinische  Wörterver- 
zeichnis ist  ziemlich  ausführlich  gehalten,  wie  das  bei  der  Über- 
füiile  der  dem  Schüler  unbekannten  Wörter  in  den  Liviusslucken 
Dicht  anders  möglich  ist.  Angefugt  ist  noch  eine  kurze  „Zu- 
nrnmenstellung  der  wichtigsten  in  Quarta  vorkommenden  Redens- 
arten". Dagegen  fehlt  es  an  einem  systematisch  angelegten 
Vokabularium  zur  Erweiterung  des  Wortschatzes,  wozu  weder 
das  „Wörterverzeichnis"  noch  die  „Zusammenstellung"  verwendet 
werden  kann. 

Saargemünd.  H.  Grossmann. 

i.  LattmaoD  nnd  H.  D.  Müller,  Griechische  Grammatik  für 
GymDasien.  1.  Teil:  Formenlehre.  Fünfte  verkürzte  Auflage 
besorft  von  Hermann  Lattmann.  Göttingen  1893,  Vandenhoeck  und 
Rnpreeht.    IV  a.  130  S.  1,40  M. 

Nachdem  der  zweite  Teil  der  griechischen  Grammatik  von 
J.  Lattmann  und  IL  D.  Hüller,  die  Syntax  von  H.  D.  Müller,  be- 
reits 1888  in  einer  verkürzten  Auflage  erschienen  ist,  hat  nun- 
mehr H.  Lattmann  auch  den  ersten  Teil ,  die  Formenlehre ,  in 
einer  solchen  herausgegeben,  in  der  der  Umfang  der  vierten  Auf- 
lage von  179  S.  auf  130  S.  zusammengeschrumpft  ist.  Ziehen 
vir  die  ziemlich  eingehende  Wortbildungslehre,  das  Vokabularium 
der  besprochenen  W^örter  und  das  alphabetische  Verzeichnis  der 
behandelten  Verba  ab,  so  entfallen  auf  die  eigentliche  Formenlehre 
jetzt  noch  108  S.,  auf  denen  H.  L.  wie  seine  Vorgänger  aufser 
dem  attischen  Dialekt  besondere  auch  den  homerischen  gelehrt 
hat.  Präzision  und  Korrektheit  des  Ausdruckes  sind  auch  un- 
serer fünften  Auflage  nachzurühmen.  Hier  die  wenigen  Fälle,  in 
denen  in  dieser  Hinsicht  noch  etwas  zu  thun  erübrigt.  Zunächst 
folgende  Konstruktionen:  §10Anm.  1:  Die  Enkliticä  behalten 
ihren  Accent . .  .  b)  bei  den  persönlichen  Prononimen  .  : .  c)  bei 
ku\  §  74.  2  Anm.  1:  Auch  aigia  Aor.  Ind.  ^Qa  wegen  des  Aug- 
ments,  aber  Conj.  a^o»;    $  97:   Aor.  H  Act.  . .  .  (von  ii^fki)  er- 


588     J-  Lattmano  a.  H.  D.  Möller,  Griechische  Grammatik, 

halten  das  Augment  £«;  §  105:  Von  der  schwachen  Stammform 
werden  .  . .  gebildet  .  .  .  ßiJTfjp  und  ßdxniv.  Wie  die  meisten 
dieser  Regein  sind  wegen  allzugrolser  Kürze  anstöfsig  die  Worte 
in  §  89.  4c:  Selten  mit  Bindevokal  a,  und  in  §  106.  1 :  die  kon- 
sonantische Stammform. 

Obwohl  nun  L.  die  vierte  Auflage  körzen  wollte,  so  mochte 
er  doch  den  Schritt  nicht  thun,  den  Kaegi  neuerdings  in  seiner 
kurzgefafsten  Schulgrammatik  gethan  hat,  und  nur  Lernstoff  bieten 
auf  Grund  eines  für  alle  Schulen  verbindlichen  Kanons  von 
Schriftstellern.  Wurden  doch  die  Bildungen  erst  dann  recht  an- 
schaulich, wenn  sie  ohne  Rücksicht  auf  einen  solchen  an  einer 
gröDseren  Zahl  von  Formen  gelehrt  würden.  Auch  lege  solch  ein 
Lernbuch  dem  Lehrer  die  Versuchung  nahe,  den  ganzen  Inhalt 
und  damit  trotz  aller  Einschränkung  des  Stoffes  zu  viel  zu  lehren, 
erreiche  also  leicht  das  Gegenteil  von  dem,  was  sein  Verf.  be- 
zwecke. Denn  das  eigentliche  Lernpensum  sei  noch  viel  geringer, 
als  das  selbst  von  den  kürzest  gefaüsten  Grammatiken  gebotene: 
schon  Besonderheiten  wie  die  Kon  Irak  ta  der  ersten  Deklination, 
die  attische  Deklination,  y^^^ ^  Zsvq,  xvoaPj  ngstfßsvTijg ,  die 
Verba,  die  anlautendes  s  durch  Augment  zu  st  verstärken,  Verba 
mit  syllabischem  und  temporalem  Augment  zugleich  seien  nicht 
in  dem  Sinne  Lemstücke  wie  die  Hauptparadigmen.  Wenn  aber 
der  Lehrer  darauf  angewiesen  sei,  selber  zu  überlegen,  was  na- 
mentlich mit  Bücksicht  auf  den  Fortschritt  der  Klasse  in  der 
Lektüre  von  der  Grammatik  durchzunehmen  sei,  so  könnten  auch 
die  selteneren  Formen  nicht  stören,  die  nur  zur  Veranschaulichung 
eines  Gesetzes  dienten.  Dieser  Standpunkt  hat  seine  Vertreter 
wie  der  Kaegis.  Billig  aber  sind  die  Forderungen,  dafs  Formen, 
die  auf  keiner  Stufe  des  Unterrichts  zum  Lernstoff  gezogen  wer- 
den dürfen,  klein  gedruckt  oder  den  Anmerkungen  zugewiesen, 
und  dafs  solche,  deren  Vorkommen  angezweifelt  wird,  überhaupt 
nicht  in  die  Schulgrammatik  aufgenommen  werden.  Darum  be- 
anstande ich  einerseits  den  Platz  oder  Druck  der  Formen  i<S%ak' 
S'fjVj  ixtdv&^v  (ixTdd-fiv)j  (äydiifjVj  Svpfi  {=dvpa(Sai),  der 
augmentlosen  Formen  l/i£v,  l/u^v,  l^d^^iv,  anderseits  die  Aufnahme 
der  Formen  Sierat,  diad&ai.  Manche  Formen  sind  zur  Durch- 
fuhrung des  Paradigmas  nur  fingiert.  Diese  hat  L.  zuweilen  in 
eine  eckige  Klammer  gesetzt  {iaxixstv)^  häufiger  aber  wie  völlig 
geläufige  angeführt,  und  zwar  nicht  nur  ißXttpdfAtjv,  irQitpdfiiiP, 
tQt(pd'ijao(jkat  (nach  Krüger  allerdings  einmal  bei  Appian),  axlao' 
fiat^  iox^cdiAifv,  sondern  auch  iyqdipd'fiv  und  ine^adfiiiy.  Auch 
das  mifsfallt  mir.  —  Übrigens  sind  die  poetischen  Verba  nicht 
immer  als  solche  genügend  kenntlich  gemacht,  so  §  80.  1  Anm.  1 
äsiddo,  dl(f(f€Oy  dv%i(ü  und  besonders  §  109  ff.  mehrere  unregel- 
mäfsige.  Irrtümlich  ist  §  39  'Aidfjg,  §  89  ttd-ifAsvat  als  home- 
risch angeführt,  sowie  §  87  XeXvto  und  lelvyto,  während  nur 
das  eine  oder  das  andere,  und  zwar  (f  238,  gelesen  werden  kann. 


iDgez.  voo  P.  WeifseDfelfl.  5g9 

Die  Formen  der  Dramatiker  sotyfAey  und  eX^aat  könnten  §  100 
auch  aJs  homerische  aufgefafst  werden.  —  Über  das  MaCs,  in  dem 
die  Ergebnisse  der  Tergleichenden  Sprachforschung  in  die  Schul- 
grammatik aufzunehmen  seien,  gehen  die  Meinungen  mehr  als 
aber  anderes  auseinander,  und  unsere  Lehrpläne  nehmen  zu  der 
Frage  nicht  Stellung.  Ich  will  mit  meiner  Antwort  darauf  hier 
zurückhalten  und  nur  dies  feststellen,  dafs  L.  zu  den  Extremen 
gehört,  die  jene  Ergebnisse  auch  wohl  in  solchen  Fällen  lehren, 
die  för  das  allgemeine  Verständnis  der  Formenlehre,  sei  es  des 
attischen  Schriftstellers,  sei  es  des  Epos,  gleichgiltig  sind:  er  ent- 
wickelt, dafs  idiio  aus  fjöiovaa  geworden  ist,  dafs  nokv  durch 
Synkope  in  nAv  verwandelt,  hierzu  als  einem  schwachen  Stamme 
der  starke  Stamm  nXetf,  nksf  gebildet  und  aus  diesem  durch  das 
Medium  nXffiaav  der  Komparativ  nXsioav  entwickelt  worden  ist. 

Über  die  einleitenden  Paragraphen  und  die  Behandlung  der 
Deklination  will  ich  mich  ganz  kurz  fassen  und  manche  Bedenken 
nicht  wiederholen,  die  ich  vor  kurzem  in  der  Anzeige  der  Gram- 
matik von  Holzweifsig  geäufsert  habe.  Der  Stoff  ist  im  ganzen 
angemessen  vorgetragen,  der  Gesamteindruck  günstig.  Dafs  die 
Regel  über  die  Abteilung  der  Silben  in  der  vierten  Auflage  rich- 
tiger war,  zeigen  die  Beispiele  ai'tfxqoq,  i'X^Qog^  i'(fx^k6g, 
a-a^fAtt.  Eine  Bemerkung  über  den  Accent  der  betonten  langen 
Nom.-,  Acc-  und  Vokativausgänge  glaubt  L.  nicht  nötig  zu  haben, 
und  so  findet  er  denn  auch  an  den  Perispomenen  natg,  näg^ 
cvg  u.  s.  w.  nichts  Auffallendes.  Doch  möchte  ich  glauben,  dafs 
unter  diesen  Umständen  der  Accent  der  Oxytona  ttfiijy  ri/iag, 
^€Ovg,  ßaaiXtvg  vom  Schüler  als  etwas  Zufälliges  empfunden  und 
lange  beim  Übertragen  in  das  Griechische  verfehlt  werden  wird.  Die 
Erklärung  des  Paradigma  ävi^q  übersieht  den  Vok.  avsq  und  die 
frohere  Bemerkung  über  den  Dativausgang  crcx».  In  dem  Aus- 
druck „reiner  Stammes  der  in  der  dritten  Deklination  häufig  be- 
gegnet, scheint  mir  das  Adjektivum  ein  pleonastischer  Zusatz  zu 
sein.  Ungewöhnlich  und  erst  in  der  fünften  Auflage  gebraucht 
ist  hier  dier  Unterscheidung  eines  starken  und  eines  schwachen 
Stammes;  als  stark  bezeichnet  L.  nämlich  die  Stämme  yeyotf^ 
ßflxiovit^  leXvxfor,  xvop,  xaquvtj  nXfß  (nXsv)]  als  schwach 
TiveCy  ßeXrtoy,  XeXvxvr,  xvy,  xa^*«T,  nXv  (noXv). 

Damit  komme  ich  zu  der  Behandlung  der  Verba,  zunächst 
der  Klasse  auf  w.  Wie  4n  der  vierten  Auflage  machen  auch  in 
der  fünften  die  v.  contracta  den  Schlufs;  abgesehen  hiervon  aber 
sind  in  der  Anordnung  und  Behandlung  des  Stofl'es  gar  manche 
Änderungen  vorgenommen.  Auf  wenige  einleitende  Bemerkungen 
ober  die  Zahl  der  griechischen  Numeri,  Tempora  u.  s.  w.  (§  62), 
in  denen  der  Verba  auf  /u»  noch  nicht  Erwähnung  geschieht,  folgt 
(§63)  das  Paradigma  Xva,  in  dem  die  Ausnahmen  von  der  §  S 
gegebenen  Hauptregel  für  die  Betonung  in  der  Konjugation  durch 
ein  Sternchen  gekennzeichnet  und  dem  eine  Erklärung  der  nicht 


590     J*  LattmaDQ  u.  H.  D.  Müller,  Griecliisehe  Grammatik, 

durch  Striche  in  Bindevokal  und  Personenzeichen  zerlegten  Aus- 
gänge beigegeben  ist.  §  64  behandelt  nun  die  Stammformen, 
§65  die  Tempora,  §66  die  Endungen,  $67  den  Ablaut  der 
Tempuszeichen  (Bindevokale),  §  68  die  Moduszeichen,  wobei  von 
den  starken  Tempora  noch  abgesehen  ist.  Stammformen  nennt 
L.  vier:  den  Präsens-,  den  (a.  medialen,  b.  aktivischen*)  Perfekt-, 
den  Aorist-  und  den  Passivstamm,  womit  er  das  Fut.  Akt  zum 
Aoriststamme  zieht  und  —  nicht  gerade  glücklich  —  unter  Ao- 
riststamm den  des  Aor.  Akt.,  unter  Passivstamm  den  des  Aor. 
Pass.  verstanden  wissen  will.  Aus  jedem  dieser  Stamme  läfst  er 
zwei  Tempora  werden,  ein  präsentisches  oder  futurjsches  und  ein 
präteritales.  Weniger  klar  als  diese  Unterscheidungen  sind  die 
Begriffe  Tempuszeichen  und  Bindevokale.  Als  Tempuszeichen  des 
Aoriststammes  führt  nämlich  L.  aa,  ae,  ao  an,  isa  für  den  Aor. 
Akt.  selbst,  as  und  ao  für  das  von  demselben  Stamme  gebildete 
Fut.  Akt ;  als  solches  des  aktivischen  Perfektstammes  xa,  üb  (im 
Plusquampf.  zu  xet  gedehnt),  xo.  In  dem  Wechsel  des  Vokales 
erkennt  er  die  aus  der  Wort-  und  Tempusbildung  bekannte  Ab- 
lautreihe wieder.  Wenn  er  nun  zunächst  lehrt,  in  den  Formen 
des  Präsensstammes  erscheine  zwischen  Stamm  und  Endung  ein 
Bindevokal,  sodann,  die  Tempuszeichen  des  Aorist-  und  Perfekt- 
stammes zeigen  die  Formen  (Sa  ae  co,  xa  xe  xo  mit  Ablaut,  so 
siebt  das  fast  so  aus,  als  spräche  er  den  beiden  zuletzt  genannten 
Tempusstämmen  den  Bindevokal  ab  und  betrachtete  den  nach  x 
und  (X  erscheinenden  Vokal  als  einen  integrierenden  Bestandteil 
ihres  Stammes.  Übrigens  ist  <»  in  der  Indikativform  kim  und 
das  Fehlen  der  Endung  in  dieser  und  anderen  Formen  mit  Still- 
schweigen übergangen  und  der  Ausdruck  Endung  hier  wie  auch 
sonst  in  anderem  Sinne  gebraucht  als  in  der  früheren  Verbindung 
„unzerlegte  Verbalendungen''  und  in  manchen  folgenden  Fällen. 
—  In  den  §$  69  und  70  über  die  Einteilung  der  Stämme  und 
die  Bildung  des  Präsensstammes  springt  nun  der  Unterschied  der 
neuen  Auflage  einerseits  von  der  älteren,  andererseits  von  Curtius 
in  die  Augen.  Die  ältere  Auflage  spricht  von  einem  Präsens- 
und einem  reinen  Stamme  derjenigen  Verba,  die  im  Präsens 
Laut  Verstärkungen  erhalten,  ferner  von  einem  Verbal-  und  einem 
Wurzelstamme  der  Verba  mit  wechselndem  vokalischem  Inlaute. 
Diese  Gegensätze  sind  jetzt  aufgegeben;  dagegen  trennt  jetzt  L. 
vorkommenden  Falls  Präsens-  und  Verbalstamm.  Bei  den  voka- 
lischen Stämmen,  sagt  er,  ist  der  Präsensstamm  dem  Verbal- 
stamme gleich;  ausgenommen  sind  mehrere  unregelmäfsige  Verba 
wie  aqiaxia^  yfjQäaxa,  Damit  werden  unter  sie  gerechnet  (ab- 
gesehen von  den  ursprünglich  mit  a  endigenden  Stämmen)  niim^ 
XiiA  u.  s.  w.,  die  Curtius  in  die  Dehnklasse  zieht.  Auch  bei  den 
konsonantischen  Stämmen,  sagt  L.  weiter,  hat  zuweilen  das  Ver- 
hältnis statt,  z.B.  bei  n^ftmo,  iQißw,  YQ^V^^  ötmxm^  Uy^^ 
ßQi%M^  xpsvdm^  netS-ta^  vifim,  [Aivw^  d^^o».   Durch  diesen  Zusatz 


angez.  vod  P.  Weirsenfels.  591 

werden  Yerba  auf  gleiche  Stufe  gestellt,  die  in  der  vierten  Auf- 
lage unterschieden  worden  sind:  TQiß(ü,  nei&fa,  digw,  die  in  den 
Formen  hqtßfiv,  {in^^Ofkfiv),  iddqiiv  die  vom  Prisensstamme 
verschiedene  Wurzel  verraten,  und  solche,  die  nur  einen  Stamm 
haben.  TQißta  und  nsid'm  gehören  auch  bei  Curtius  einer  an- 
deren (II)  Klasse  an.  Nachdem  so  zwei  Klassen  aufgestellt 
sind,  die  als  Ganze  zwar  den  von  Curtius  entworfenen  beiden 
ersten  Klassen  entsprechen,  jede  aber  wegen  der  verschiedenen 
Merkmale  (bei  Curtius:  Nichtdehnung  —  Dehnung,  bei  L.:  voka- 
lischer —  Jconsonantischer  Stammauslaul)  einen  verschiedenen 
Besitzstand  haben,  werden  die  T-  und  die  Jod-Klasse  ebenso  wie 
bei  Curtius  begrenzt.  —  Dafs  die  Unterscheidung  des  Verbal- 
stammes vom  Wurzelstamm  aufgegeben  ist,  erweist  sich  nun  im 
folgenden  als  der  Grund  einer  gewissen  Verwirrung.  Nachdem 
nämlich  L.  die  v.  muta  und  liquida  excl.  die  starken  Tempora 
§71 — 75  behandelt  hat,  gelangt  er  §  76  zu  diesen,  „die  die  Aus- 
gange ohne  die  Konsonanten  er,  x,  ^  an  den  Verbalstamm  treten 
lassen*'.  Der  starke  Aor.  Akt.  und  Med.,  lehrt  er  an  der  Stelle, 
habe  die  Ausgänge  des  Imperfekts  und  könne  daher  nur  von 
Verben  gebildet  werden,  deren  Verbalstamm  sich  vom 
Präsensstamm  unterscheide,  während  dasselbe  Tempus  des 
Pass.  und  das  starke  Perf.  Akt.  sich  auch  von  Verben  bilden 
lassen,  die  keine  Stammveränderung  zeigen.  Da  nun,  wie  wir 
gesehen  haben,  in  der  neuen  Auflage  nsid-oa  und  ebenso  Xeinw, 
ffv^a  zu  den  konsonantischen  Stämmen  zählen,  deren  Präsens- 
stamm  dem  Verbalstamme  gleich  ist,  so  wären  nach  der 
Regel  des  §  76  diese  Verba  eines  starken  aktiven  oder  medialen 
Aorists  nicht  fähig.  Tadellos  war  dagegen  die  Regel  der  früheren 
AuOage:  die  erwähnten  Aoriste  können  nur  gebildet  werden, 
wenn  mehrere  Formen  des  Stammes  vorhanden  sind,  nämlich 
Präsens-  und  reiner  Stamm  (zvnv,  xvn)^  Verbal-  und  Wurzei- 
stamm  (iU»7r^  ^*^)j  Präsens-,  Verbal-  und  Wurzelstamm 
(srr€fy,  xt$v^  xxav).  —  §  77  bespricht  die  Stammverän- 
derung durch  Ablaut.  Als  Hauptregel  wird  jetzt  vorangestellt: 
wie  im  Deutschen  die  starken  Verba,  so  haben  im  Griechischen 
viele  einsilbigen  Muta-  und  Liquida-Stämme,  die  im  Präsensstamm 
einen  e-Laut  zeigen  (a,  ^,  si  oder  sv)^  einen  regelmäfsigen 
Wechsel  des  Stammvokals,  den  man  Ablaut  nennt.  An  dieser 
Regel  ist  alles  angreifbar.  IdXsiipta — äX^X$fi(iai,  iQsixat—^gixop 
beweisen,  dafs  auch  zweisilbige  Stämme,  x^o) — ix^^V^^  Ttviaa — 
nijvwfia$,  dafs  auch  Stämme  auf  ef,  tqtßw — iTQtßfjy,  nvtyoa — 
inyty^v,  xQä^o) — exqäyov,  dafs  auch  Stämme  mit  »  oder  a  des 
Ablauts  fähig  sind;  von  (palvta^  tqaiyta  und  anderen  Verben  sehe 
ich  ab,  die  L.  selbst  im  weiteren  Verlauf  des  Paragraphen  anföhrt. 
Auch  kann  der  Wechsel  des  Vokals  nur  niit  vielen  Einschrän- 
kungen regelmäfsig  genannt  werden,  der  bei  Übereinstimmung  der 
übrigen    Zeiten    in    x^Kkefifkat,    n4n€fAfka&    nicht    durchgeführt 


592     J-  LattmaoD  n.  H.  D.  Müller,  Griechische  Grammatik, 

ist  wie  in  Th^gaftfiai  j  sifTgafAfiai  ^  zi&qaiiiia^  uod  in  Tijfx««, 
hdxfjv^  Tivfjxa  anders  als  in  (faivo)  (=  (pav-jo)),  itpovr^v^ 
niiffjpa.  Wie  in  der  froheren  Auflage  die  einleitenden  Worte 
„einsilbige  (selten  zweisilbige)  Muta*  Stämme  mit  dem  Inlaut  e  ^ 
€t  €v  haben  im  Wurzelstamme  den  Inlaut  ä  X  Vy  der  im  Aor.  II 
hervortritt;  auch  andere  Tempora  solcher  Verba  verändern  den 
Stamminlaut''  unbedenklich  sind,  so  auch  die  Bemerkung,  die  zu 
6(jTQ0(pa  und  xitqo(pä  (von  %qi(f(ü)  gemacht  wird,  die  mit  %i- 
tQO(fa  (von  tQin(a),  xixXoq^a  und  ninofikipa  zuvor  als  Perf.  I 
angeführt  worden  sind:  iatqoKfa  und  %i%qoq>a  kömien  auch  als 
Perf.  II  betrachtet  werden.  Denn  q>  läfst  sich  hier  zwiefach  er- 
klären: als  Summe  des  Slammauslautes  und  der  Aspiration,  die 
bei  den  v.  mutis  auf  P-Laut  den  Tempuscharakter  vertritt,  und 
als  unveränderter  Stammauslaut.  Jetzt  aber  sind  beide  Texqoffay 
iatqoipay  mintXoifay  ninoiapa  Perf.  II  genannt  worden  mit  der 
Bemerkung:  %i%qo(fa  (von  t^^tto»),  xiitdo<pa  und  Ttinofiipa 
müssen  trotz  der  Aspiration  als  Perf.  II  angesehen  werden  wegen 
des  Ablauts.  Man  mag  ja  über  die  Aspiration  solcher  Perfekta 
wie  Curtius  denken,  sie  habe  nicht  den  W^ert  eines  Tempuscha- 
rakters und  alle  mit  diesem  Mittel  gebildeten  Perfekta  seien 
starke  Tempora.  Jedenfalls  aber  ist  doch  der  Ablaut  nicht 
das  charakteristische  Zeichen  starker  Tempora;  denn  wie  es 
schwache  Tempora  mit  Ablaut  giebt,  so  auch  starke  ohne 
einen  solchen. 

Den  Paradigmen  der  grofsen  Verba  auf  fi^  t^^^/a»,  lat^m 
(inq&dfAfip),  öidtofAt,  deixvvfit  (£(pvp),  IfifJbi  ist  eine  drei  Seiten 
lange  Einleitung  vorausgeschickt,  die  deren  von  der  gewöhnlichen 
Flexion  abweichenden  Bildungsgesetze  erschöpfend  behandelt;  die 
wenigen  Formen,  die  hier  übergangen  sind,  werden  nachher  durch 
den  Druck  hervorgehoben  (etxa,  eho  aor.).  Ich  untersuche  hier 
nicht,  ob  L.  sich  immer  für  die  richtige  Erklärung  entschieden 
hat,  um  so  weniger,  als  diese  in  manchen  Fällen  streitig  ist  und 
bleiben  wird ;  sondern  ob  sich  dieser  Teil  mit  dem  vorhergehen* 
den  zu  einem  einheitlichen  Ganzen  verbindet,  und  ob  L.  die  ein- 
mal gewählte  Erklärung  durch  alle  Paradigmen  durchführt.  Mir 
ist  nun  Folgendes  autgefallen.  Zunächst  lesen  wir  jetzt  von  einem 
reinen  Stamme,  während  wir  früher  aufser  dem  Präsensstamme 
(und  den  Tempusstämmen)  nur  einen  Verbalstamm  kennen  ge- 
lernt haben.  Sodann  redet  L.  hier  von  den  reinen  starken  Stäm- 
men S'i^y  aTtj,  d(o  und  den  reinen  schwachen  Stämmen  ^€,  <sta^ 
do\  von  einer  starken  Stammform  in  tid-fnk^y  dfixpiffit^  ^ct^xa, 
einer  schwachen  in  Tid-eikev^  deixvvfisv,  iatafASP  u.  s.  w.;  ebenso 
heifst  es  später,  ysycig  sei  vom  schwachen  Perfektstamm,  ßät^v 
von  der  schwachen  Stammform  gebildet.  Auf  diese  Weise  wird 
jetzt  zum  charakteristischen  Merkmal  der  starken  und  schwachen 
Stämme  gemacht,  was  vorher  keineswegs  ein  solches  der  starken 
nnd  schwachen  Tempora  gewesen  ist.   Oder  hat  L.  itifAijca  einen 


ERSTE  ABTEILUNG. 


ABHANDHINGEN. 


Der  neue  preufsische  Lehrplan  fdr  Mathematik  im 

Gymnasium. 

Der  Grundgedanke,  denen,  welche  mit  sechsjährigem  Biidungs- 
kursus  ausscheiden,  eine  wenigstens  einigermalsen  abschliefsende 
Bildung  zu  geben,  verdient  volle  Anerkennung;  seltsamer  Weise 
war  diese  Absicht  früher  in  der  Mathematik  in  vollkommenstem 
Mafse  erreicht  und  wird  gerade  durch  den  neuen  Plan  in  hohem 
Hafse  gefährdet.  Früher  war  das  Pensum  in  der  Geometrie  in 
Quarta,  Tertia,  Unter-Sekunda  die  Planimetrie  incl.  der  Kreisbe- 
rechnnng,  gewifs  ein  in  sich  abgeschlossenes  Pensum,  wie  es  im 
Elsafs  noch  heute  gilt;  in  der  Arithmetik  war  es  das  praktische 
Rechnen,  die  vier  Spezies  in  Buchstaben  und  ihre  Zusammen- 
fassung: die  Gleichungen  ersten  Grades  mit  einer  und  mehr  Un- 
bekannten, gewifs  ein  Ganzes;  wozu  noch  die  Potenzen  und  die 
Quadratwurzeln  kamen.  Der  neue  Lehrplan  hat  erstens  die  gröfste 
Schwäche  des  alten  ^  die  Einschränkung  der  Mathematik  auf  drei 
Standen  in  Tertia,  beibehalten  und  zeigt  dann  im  Pensum  der 
Unter-Sekunda  eine  derartig  ungesunde  Erweiterung,  dafs,  wenn 
die  Schülerzahl  nur  einigermafsen  nennenswert,  ein  Lehrerfolg 
einfach  ausgeschlossen  ist.  Selbst  bei  getrennten  Tertien  konnte 
bisher  schon  das  Lehrziel  nur  durch  die  vollste  Beherrschung  des 
Stoffes  seitens  des  Lehrers  erreicht  werden,  der  alles  Unwesent- 
liche ausscheiden  mufste,  wenn  wirklich  das  Wissen  sich  in 
Können  umsetzen  sollte,  eine  Forderung,  in  welcher  die  Päda- 
gogen von  Fach  mit  den  Lehrern  des  Fachs  einig  sind.  Diese 
Erweiterung  verstöfst  völlig  gegen  das  Prinzip  einer  abgeschlossenen 
Bildung,  wenn  wirklich  Bildung  gemeint  ist  und  nicht  blofse  Ab- 
richlung.  Es  kommt  hinzu  für  Geometrie:  Definition  der  tri- 
gonometrischen Funktionen  am  rechtwinkligen  Dreieck,  tri- 
gonometrische Berechnung  rechtwinkliger  und  gleichschenkliger 
Dreiecke ;  die  einfachsten  Körper  nebst  Berechnungen  von  Kanten- 
längen, Oberflächen  und  Inhalten.    Für  Arithmetik:   quadratische 

Zeilwhr.  f.  d,  GjnuiMiAlweieo  XLVII.    10.  38 


594   Der  neue  preofs.  Lehrplan  für  Mathematik  im  Gymnasiam, 

Gleichung  mit  einer  Unbekannnlen,  Begriff  des  Logarithmus, 
Übungen  im  Rechnen  mit  Logarithmen.  Aus  dem  Zusatz  über 
die  Körperberechnung  geht  klar  hervor,  dafs  der  Lehrer  sich  be- 
schränken soll  auf  eine  nackte  Angabe  der  Thatsachen,  d.  h.  also 
auf  den  Standpunkt,  den  der  Sprachunterricht  überwunden,  soll 
die  Mathematik,  zu  deren  wichtigsten  Aufgaben  die  Erziehung  zur 
geistigen  Mündigkeit  gehört,  zurückgeschraubt  werden.  Ist  das 
etwa  ein  Gewinn  an  Bildung,  wenn  der  Schüler  mechanisch  ge- 
lernt hat,  dafs  der  Inhalt  der  Rugel  ^j^r^jt  ist?  Dem  Lehrling, 
der  die  Formeln  im  praktischen  Leben  brauchen  soll,  dem  sagt 
sie  der  Meister,  und  das  genügt  ihm.  Den  paar  Leuten,  welche 
aus  Unter-Sekunda  abgehen  und  im  späteren  Leben  mit  Loga- 
rithmen rechnen  müssen,  werden  die  Handwerksgriffe  in  zwei 
Stunden  beigebracht.  Eine  einigermafsen  abschliefsende  Bildung 
besteht  darin,  dafs  ein  wichtiger  gedankenreicher  Zweig  der  Ha- 
Ihese,  wie  die  Planimetrie  oder  die  vier  Spezies,  insbesondere  der 
Ansatz  der  Gleichungen  ersten  Grades,  wirklich  in  die  Seele  des 
Schülers  eindringt,  von  ihm  psychisch  verarbeitet  und  zu  einem 
Teile  seines  Vorstellungsinhalts  geworden  ist,  aber  nicht  darin, 
dafs  man  ihm  eine  Menge  Einzelheiten  eintrichtert,  die  vielleicht 
dem  einen  oder  dem  andern,  wahrscheinlich  aber  keinem,  ge- 
legentlich von  praktischem  Nutzen  sein  könnten.  Die  preufsische 
Behörde  hat  die  Überlastung  der  Unter-Sekunda  selbst  empfunden, 
das  beweist  der  Zusatz  S.  48,  welcher  es  für  zulässig  erklärt,  ge- 
wisse Abschnitte  aus  der  Lehraufgabe  der  Unter-Sekunda  schon  in 
Ober-Tertia  zu  behandeln  und  jene  Klasse  möglichst  zu  entlasten. 
Dieser  Zusatz  verstöfst  gegen  das  allerwichtigste  Prinzip,  das  den 
Aufbau  des  mathemathischen  Pensums  wie  ein  Leitmotiv  foeherr- 
sehen  mufs:  den  Aufbau  möglichst  langsam  zu  vollziehen  und  die 
Anforderungen  von  Stufe  zu  Stufe  zu  steigern.  Man  kann  das 
Pensum  der  Quarta  und  Tertia  gar  nicht  genug  einschränken, 
wenn  man  nicht  jene  „schwimmende'*  Unsicherheit  in  den  Ele- 
menten erzielen  will,  an  der  später  der  ganze  Lehrerfolg  der 
Prima  scheitert.  Jede  Überschreitung  des  Pensums  sollte  bis  ein- 
schliefslich  Ober-Sekunda  auf  das  strengste  verpönt  sein,  und  hier 
fordert  die  Behörde  selbst  dazu  auf.  Das  Unbegreiflichste  ist  die 
Behandlung  der  Trigonometrie:  in  drei  Jahreskurse  auseinander- 
gerissen, die  Additionstheoreme  am  Ende!  Hier  hat  offenbar  der 
Rat  eines  praktisch  erfahrenen  Schulmanns  gefehlt.  Die  Folge 
des  Auseinanderreifsens  der  Trigonometrie  ist  dann  die  Zerstücke- 
lung der  Stereometrie,  welche  auf  Unter-Sekunda,  Unter-Prima  und 
Ober- Prima  verteilt  ist.  Dabei  zeigen  die  methodischen  Bemerkungen 
wieder  ein  auffälliges  Verkennen  des  Wesens  der  Stereometrie.  Da 
soll  auf  die  Körperberechnungen  der  Nachdruck  gelegt  werden, 
und  die  eigentlich  räumliche  Betrachtung  erst  zum  Schlafs  kommen. 
Die  Körperberecbnungen  sind  nichts  als  ein  Zweig  der  Algebra, 
der  noch  dazu,  da,  wie  durchaus  zu  billigen,  kubische  Gleicbnngen 


von  M.  SiBoh.  595 

ausgeschiossen  sind ,  sehr  eiDgeschrankt  ist,  und  für  dessen  inter- 
essantesten Teil,  die  Haxima  und  Minima,  im  Pensum  kein  Raum 
gelassen  ist.  Dagegen  bieten  die  Elemente  der  eigentlichen  Raum- 
lehre, die  gegenseitigen  Beziehungen  der  Grandgebilde  —  Punkt, 
Gerade,  Ebene  im  Raum  —  eine  grofse  Pölle  von  Material  für  die 
Bereicherung  der  Anschauung  und  für  die  wahrhaft  philosophische 
Dttrcbdringung  der  Grundbegrifle.  Eine  weitere  Verschlechterung 
ist  die  Verweisung  der  Zinseszins-  und  Rentenrechnung  aus  der 
Ober*Sekunda  in  die  Unter-Prima;  man  fragt  sich  verwundert,  woran 
soll  denn  die  Logarithmenrecbnung  eingeübt  werden,  wenn  nicht 
an  Zinseszinsaufgaben,  und  die  geometrische  Reihe,  wenn  nicht 
an  Rentenrechnung.  Der  arithmetische  Unterricht  der  Ober* 
Sekunda  wird  ja  zu  einer  wahren  Hochschule  der  Langeweile  ge- 
macht, wenn  der  Lehrer  sich  auf  das  rein  Formale  beschränken 
roofs«  Gerade  die  genannten  Aufgaben  interessieren  wegen  der 
grofsen  Bedeutung  für  das  praktische  Leben  die  Schuler  in  hohem 
Mafse,  und  sie  begreifen  hieran,  welche  Grofslhat  menschlichen 
Genies  die  Logarithmenrechnung  bildet.  Statt  dessen  hat  der 
Lehrplan  entgegen  dem  Prinzip  der  Vereinfachung  hier  eine  Kom- 
plikation: quadratische  Gleichungen  mit  mehreren  Unbekannten. 
Das  klingt  harmlos,  denn  in  Trigonometrie  und  Stereometrie 
bieten  sich  solche  Systeme  gelegentlich  dar,  aber  das,  was  hier 
gemeint  ist,  ist  das  bekannte  öde  Bruchstück  aus  der  Eliminations- 
theorie, wo  durch  irgend  einen,  dem  Schüler  meist  Unverstand- 
Ikben  Kniff  die  Resultierende  auf  den  zweiten  Grad  erniedrigt 
wird,  wobei  fast  immer  die  singulären  Lösungen  vernachlässigt 
werden.  Ein  Fehler  ist  es  ferner,  dafs  die  Repetition  der  Arith- 
metik in  die  Unter-Prima  gelegt  ist  statt  nach  Ober-Prima,  wohin 
sie  im  Anschlufs  an  das  Abiturientenexamen  gehört.  Der  Binom 
ist  auf  ganze  Potenzen  ausdrücklich  eingeschränkt,  dies  wird  ganz 
besonders  von  der  Kritik  in  der  Hoffmannschen  Zeitschrift  an- 
gegriffen, und  mit  einem  gewissen  Recht;  denn  wie  bereits  Her- 
bart (Päd.  Sehr.  S.  624)  bemerkt,  entfaltet  der  Binom  seine  KraR 
erst  in  der  Erweiterung.  Der  erweiterte  Binom  ist  es,  der  Radi- 
cierung  und  Logarithmisierung  bewältigt,  er  ist  der  Schlufsstein, 
ohne  welchen  das  ganze  Gebäude  der  Elementararithmetik,  das 
einzige  Beispiel  einer  in  sich  abgeschlossenen  Wissenschaft,  wel- 
ches dem  Schüler  zugänglich  ist,  durchaus  Ruine  bleibL  Man 
mufs  aber  zugeben,  dafs  die  preufsiscbe  Behörde  sich  darauf  be- 
rufen konnte,  dafs  ein  zugleich  elementarer  und  strenger  Beweis 
nicht  veröffentlicht  war.  Ich  habe,  um  diese  Lücke  auszufüllen, 
einen  solchen  der  Hoffmannschen  Zeitschrift  zugehen  lassen. 
Völlig  widersprechend  ist  es  dann  aber,  dafs  der  Lehrplan  die 
imaginären  Gröfsen  vorschreibt,  welche  nur  in  Verbindung  mit 
der  zur  Exponentialreihe  erweiterten  Binomialreihe  Sinn  und  Zweck 
haben.  Die  Elemente  der  Kombinatorik  finden  keine  Erwähnung, 
sie  werden  wohl,    thunlichst  eingeschränkt,   als  selbstverständlich 

38» 


596  ^^^  preaTs.  Lehrplan  f.  Mathematik  im  Gymn.,  v.  M.  Simoa. 

in  den  Binom  eingeschlossen  sein,  aber  auch  die  Wahrscheinlich- 
keitsrechnung ist  nirgends  genannt;  bei  der  ungeheueren  Aus- 
dehnung des  Versicherungswesens  und  dem  aufserordentlichen 
Bildungswert  dieses  vielleicht  eigenartigsten  Zweiges  der  Mathe- 
matik ein  schwerer  Hangel.  Dafür  werden  die  Schuler  in  den 
„besonders  wichtigen  Koordinatenbegriff'*  eingeführt,  und  es  sollen 
ihnen  einige  Grundeigenschaften  der  Kegelschnitte  klargemacht 
werden,  aber  ohne  planmäfsigen  Unterricht,  und  zwar  weder  in 
analytischer  noch  in  neuerer  Geometrie.  Im  Gegensatz  zu  andern 
Beurteilern  sehe  ich  in  der  unbestimmten  Fassung  dieses  letzten 
Teils  den  gröfsten  Vorzug  des  Plans.  Hier,  scheint  mir,  soll  dem 
Lehrer  diejenige  Bewegungsfreiheit  gelassen  werden,  welche  kein 
gebildeter  Mensch,  und  am  wenigsten  der  Mathematiker,  entbehren 
kann.  Allerdings  ist  die  Ausdrucksweise  sonderbar,  aber  eine 
andere  Auffassung  des  „nicht  planmäfsigen**  wäre  doch  fast  be- 
leidigende Nach  meiner  Ansicht  übersteigt  „der  Koordinaten- 
begrift^S  will  sagen  die  Grundgedanken  der  analytischen  Geometrie, 
das  Fassungs-  und  Aneignungsvermögen  der  meisten  Schüler, 
während  die  Kegelschnitte  sich  mit  den  Mitteln  des  Tertianers  er- 
schöpfend behandeln  lassen.  Was  die  neuere  Geometrie  betrifft, 
so  beherrscht  sie  bereits,  bewufsl  oder  unbewufst,  die  Lehr- 
methode der  jüngeren  Generation;  auch  ohne  dafs  planmäfsig 
projektivische  Geometrie  gelehrt  wird,  bedient  man  sich  der  Ent- 
wickelung  und  der  Verwandtschaft.  —  Soweit  meine  Beobachtung 
reicht,  überlassen  die  Lehrer  in  Preufsen  den  Plan  seiner  eigenen 
Innern  ündurchführbarkeit,  docli  wäre  es  vielleicht  besser,  wenn 
sie  geschlossen  und  mit  eindringlichen  Vorstellungen  seine  Ab- 
änderung verlangten. 

Strafsburg  i.  E.  Max  Simon. 


ZWEITE  ABTEILUNG. 


LITTERARISCHE  BERICHTE. 


F.  Stoerk,  Der  staatabürgerliclie  Uoterrieht.    Preibor;  o.  Leipzic, 
Mohr,  1893.    S2  S.  8.     1  M. 

Von  unserem  Kaiser  geht  Stoerk  aus,  nicht  sowohl,  weil  es 
der  Geburlstag  des  Kaisers  war,  zu  dessen  Feier  er  die  Rede  in 
der  Aula  der  Universität  Greifswald  hielt,  als  vielmehr  deswegen, 
weil  der  Kaiser  verlangt  hat,  dafs  in  den  preufsischen  Unterrichte- 
anstalten künftighin  die  ersten  wissenschaftlichen  Grundlagen  fQr 
eine  sozialpolitische  Erziehung  der  deutschen  Jugend,  fOr  eine 
staatsbürgerliche  Propädeutik  geschaffen  werden.  Unter  Anführung 
und  ausdrücklicher  Billigung  der  kaiserlichen  Forderungen  fafst 
Stoerk  die  neue  Aufgabe  in  die  Worte  zusammen,  es  müsse  das 
bisher  dunkle  Gefühl  der  staatsbürgerlichen  Interessengemeinschaft 
durch  das  verstandesmäfsige  Begreifen  der  Bedingungen  des  deut- 
schen Staates  und  seiner  Kräfte  ergänzt  werden.  Denn  die  schick- 
salsschweren Kämpfe,  die  uns  und  dem  nachrückenden  Geschlecht 
bevorstünden,  entscheide  dereinst  nicht  die  rohe  Zahl  und  nicht 
die  grausame  Vollendung  der  Zerstörungsmittel,  sondern  der  Geist, 
der  in  den  kämpfenden  Lagern  walte;  daher  gelte  es,  das  heran- 
wachsende Geschlecht  mit  ganzer  Seele  in  den  geistigen  Schatz 
des  deutschen  Rechts  und  deutschen  Staates  zu  vertiefen. 

Nachdem  hierauf  der  Verf.  in  überaus  fesselnder  Weise  ge- 
zeigt hat,  wie  es  gekommen  ist,  dafs  man  bisher,  bis  zum  Er- 
scheinen der  neuen  Lehrpläne,  von  einem  staatsbürgerlichen  Unter- 
richt in  unserem  Vaterlande  nichts  gewufst  hat,  fafst  er  die  Art 
der  Unterweisung  näher  ins  Auge.  Das  Lehrbuch  der  Bürgerkunde 
soll  keine  Stellungnahme  zu  den  obersten  Fragen,  zu  den  Fragen 
nach  Idealstaat,  Wahlsystem,  Schutzzoll,  Freihandel  u.  s.  w.  ver- 
langen; es  soll  auch  nicht  durch  trockene  Daten,  Gesetzespara- 
graphen, Verfassungsartikel  u.  a.  m.  ein  so  nüchtern  subalternes 
Aussehen  bekommen,  als  sollte  die  deutsche  Jugend  fortan  für  die 
untere  Postkarri^re  erzogen  werden,  sondern  es  gilt,  mit  meister- 
hafter Beschränkung  den  Sinn  für  das  Wesentliche  zu  belhätigen 
und  die  Kräfte  des  Gemüts  wie  die  des  Verstandes  in  den  Dienst 
der  neuen  Idee  zu  stellen. 


/ 


598  P.  Stoerk,  Der  staatsbärgerl.  Unterricht,  agz.  v.  Chr.  Hoff. 

Wie  Stoerk  mitteilt,  giebt  es  bereits  solche  mustergOItigen  Dar- 
stellungen in  der  Schweiz.  Schlicht  and  volkstümlich,  in  knapper 
Form  und  in  gewinnender  Wärme  der  Sprache  zeigen  sie  das 
Leben  in  der  Familie  im  höheren  Lichte  des  Rechts-  und 
Pflichtenverbandes.  Ähnlich  mQsse  die  Sache  bei  uns  angegrifien 
werden.  An  religiöse  Vorstellungen  anknüpfend,  müsse  eine  welt- 
liche Pflichtenlehre  zur  Erkenntnis  der  sittlichen  und  ökonomischen 
Arbeit  fähren,  und  zwar,  was  ein  Vorzug  der  deutschen  Dar- 
stellungen sein  werde,  unter  Verwertung  des  monarchischen  Prin- 
zips. Leicht  sei  die  Sache  nicht,  aber  sie  müsse  gethan  werden, 
auf  dafs  ein  rechtes  Monumentum  Germaniae  Paedagogicum  zustande 
komme. 

Auf  Vorschriften  im  einzelnen  lafst  sich  der  Verf.  nicht  ein, 
und  das  ist  gut;  denn  über  die  Wege,  die  eingeschlagen  werden 
sollen,  gehen  die  Ansichten  noch  vielfach  auseinander.  Die  Schrift 
bietet  also  einen  hoben,  reinen  Genufs  und  wird  ohne  Zweifel 
anregend  wirken.  Denn  den  erhabenen  Gedanken,  die  hier  zum 
Ausdruck  kommen,  wird  kein  Einsichtiger  seine  Zustimmung  ver- 
sagen, zumal  sie  mit  ebenso  grofser  Gedankenschärfe  wie  Wärme 
des  Gemüts  und  in  schöner  Sprache  entwickelt  werden. 

Cassel.  Christian  Muff. 


F.  Lionig,  Deutsche  Sprachlehre.  Zu8ainmeoste)hiog  der  wiehtigstea 
Lehrstoffe.  Paderbo»,  F.  SchSningh,  1892.  IV  n.  113  S.  8.  geh. 
1,35  M* 

Der  Abrifs  der  deutschen  Grammatik,  den  F.  Linnig  der 
9.  Auflage  seines  Lesebuches  für  die  unteren  Gymnasialklassen  bei- 
gab (s.  diese  Zeitschrift  1891  S.  302f.),  liegt  in  diesem  Büchlein 
in  erweiterter  Gestalt  vor.  Neu  hinzugefugt  ist  der  erste  Ab« 
schnitt,  eine  Lautlehre,  die  auf  11  Seiten  von  der  Entstehung 
und  Einteilung  der  Laute,  den  wichtigsten  Lautgesetzen  und  den 
Silben  handelt.  Doch  fürchte  ich,  dafs  für  Darlegungen  in  dieser 
Ausführlichkeit  und  mit  solcher  terminologischen  Fülle  unsere 
jetzigen  Lehrpläne  und  Lehraufgaben  nirgends  Raum  gewähren. 
Der  zweite  Abschnitt  (Die  Lehre  von  der  Rechtschreibung, 
S.  12—31)  und  der  dritte  und  vierte  (Wortlehre  und  Wort- 
bildungslehre, S.  32 — 81)  stimmen  fast  völlig  mit  den  ent- 
sprechenden Kapiteln  im  Anhange  des  Lesebuches  überein.  Eine 
Umarbeitung  und  Erweiterung  hat  der  letzte  Teil,  die  Satzlehre 
(S.  82 — 110),  erfahren.  Die  systematisch  geordneten  Beispiele 
bilden  auch  hier  die  Hauptsache,  doch  sind  ihnen  die  Definitionen 
und  Kegeln  in  jedem  Falle  beigegeben.  Die  Behandlungsweise 
greift,  wie  der  Verf.  selbst  im  Vorwort  sagt,  etwas  höher  als  es 
sonst  wohl  üblich  ist,  und  strebt  enge  Fühlung  mit  der  beutigen 
Wissenschaft  von  der  deutschen  Sprache  an.  Dadurch  ist  diese 
Zusammenstellung  der  wichtigsten  Lehrstoffe  gewifs  ein  Hülfsbucb 
geworden,  um  dem  Lehrer  des  Deutschen  die  sachliche  Vorberei- 


P.  Liiolg,  D««tfek6  Sprachlehre,  ai^ez.  von  H.  Wiother.    599 

long  zu  erleichtern.  Um  aber  auch  dem  Schöler  ein  bequemes 
Mittel  zu  seio,  sich  in  zweifelhaften  Fällen  Rats  zu  erholen,  scheint 
sie  mir  überall  zu  sehr  des  erläuternden  Wortes  des  Lehrers  zu 
bedürfen. 

Eberswalde.  H.  Winther. 


Kleine  Bibliothek  zar  deuKseheo  Litteratnrseschichte.  Samm- 
\mg  Göschea.  Staltgart  1893.  6  Bände,  kl.  8.  Jedes  Bäudchen 
ü,80  M. 

Wenn  heute  die  Ansicht  mehr  und  mehr  Anhänger  ge- 
winnt, dafs  der  Unterricht  in  der  deutschen  Litteralurgeschichte 
anstatt  sich  mit  blofsen  Referaten  und  der  Angabe  von  Jahres- 
zahlen und  Namen  zu  begnügen,  so  weit  es  angeht,  auf  die 
Lektüre  der  Dichtungen  selbst  gegründet  sein  soll,  so  ist  es  be- 
greiflich, dafs  sich  auch  die  Zahl  der  Hülfsmittel  zusehends  mehrt, 
die  auf  der  Grundlage  dieser  Anschauung  ruhen.  Ein  umfassen- 
der Versuch,  der  neuen  Methode  entgegenzukommen,  liegt  in  der 
oben  genannten  Sammlung  vor.  Die  sechs  Bändchen  derselben 
fähren  den  Leser  von  den  ältesten  Anfangen  des  deutschen  Schrift- 
tums bis  an  die  Schwelle  der  durch  Klopstock  eingeleiteten  klas- 
sischen Epoche  unserer  Litteratur  und  bieten  in  einer  fortlaufen- 
den Reihe  von  Leseproben  eine  Übersicht  über  die  Entwickelung 
der  deutschen  Sprache  und  Dichtung,  indem  sie  zugleich  durch 
Einleitungen,  Erklärungen  und  Wörterverzeichnisse  dem  Leser  die 
erforderlichen  Stützen  für  das  Verständnis  gewähren. 

Th.  Schauffler  eröffnet  die  Sammlung  mit  einer  Auslese  aus 
den  Denkmälern  der  ältesten  Zeit  und  dringt  über  Notker  hinaus 
bis  zum  Jahre  1070  vor.  Im  zweiten  Bändchen  giebt  Golther 
einen  bereits  in  zweiter  Auflage  erschienenen  Auszug  aus  dem 
Nibelungenliede  und  der  Gudrun.  Das  höfische  Epos  ist  im 
dritten  Bändchen  durch  Hartmanns  „Armen  Heinrich'*  und  durch 
eine  von  K.  Marold  getroffene  Auswahl  aus  dem  Parzival  und 
Tristan  und  Isolt  vertreten,  während  in  Bd.  4  0.  Güntter  Stucke 
aus  den  Minnesängern  und  Spruchdichtern  —  natürlich  mit  be- 
sonderer Berücksichtigung  Walthers  —  zusammengestellt  hat. 
Von  der  Reformationszeit  giebt  Bd.  5  ein  Bild,  in  welchem  von 
L.  Pariser  Proben  aus  Brant,  Hurner,  Hütten,  Luther  und  dessen 
Genossen,  Hans  Sachs  und  den  Fabeldichtern  dieser  Periode  vor- 
geführt werden.  Das  6.  Bändchen  endlich  enthält  eine  von  G. 
Ellinger  veranstaltete  Auslese  aus  den  Lyrikern  des  17.  und  18. 
Jahrhunderts,  wobei  namentlich  das  Kirchenlied  und  das  Volkslied 
berücksichtigt  ist. 

Sammlungen  wie  die  vorliegende  bedingen  naturgemäfs  eine 
oft  recht  empfindliche  Beschränkung  der  Wahl.  Oft  wird  das 
Gute  zurückgewiesen  werden  müssen,  weil  noch  Besseres  da  ist, 
oft  ist   auch    die   Bestimmung    der    Wertunterschiede    oder   die 


600  Rl*  Bibliothek  c. deutsch.  Litterator^eteh.,  a^z.  v. F. Kaatie. 

Sonderung  zwischen  dem  mehr  oder  weniger  Greeigneten  recht 
schwierig.  Somit  ist  es  kein  Wunder,  dafs  solche  Auslesen  selten 
vollständig  befriedigen,  dafs  die  Zustimmung  vielmehr  in  den  meisten 
Fällen  bedingt  auslallt  In  der  vorliegenden  Sammlung  scheint 
mir  der  Auszug  des  Nibelungenliedes  am  meisten  anfechtbar  zu 
sein,  enthält  er  doch  aus  dem  zweiten  Teile  des  Gedichtes  nur 
die  37.  Aventiure,  in  der  Rüdigers  Tod  berichtet  wird.  Der  Verf. 
desselben  wollte,  wie  er  im  Vorwort  angiebt,  die  Siegfriedssage 
möglichst  vollständig  zur  Darstellung  bringen  und  mufste  nun  mit 
Rucksicht  auf  den  knapp  bemessenen  Raum  auf  weitere  Auszüge 
aus  dem  zweiten  Teile  verzichten,  eine  Entschuldigung,  die  den 
Schaden  zwar  erklärt,  aber  ihn  nicht  beseitigt. 

Ähnliche  Fragezeichen  würde  man  auch  an  andern  Stellen 
setzen  können.  Warum  hat  z.  B.  Schauflfler  nicht  eine  Sprach- 
probe aus  dem  Ulßlas,  warum  nicht  den  Leich  von  Christus  und 
der  Samariterin  ausgewählt?  Nötigenfalls  hätten,  wie  mir  scheint, 
eher  der  Auszug  aus  „Himmel  und  Hölle'*  wegfallen  können. 
Mufs  nicht  ferner  die  überaus  schwache  Vertretung  der  Tiersage 
Wunder  nehmen?  Auch  Hans  Sachs  ist  mit  vier  Proben  kaum 
Genüge  geschehen;  ebenso  wird  auch  der  Kenner  und  Liebhaber 
des  Volksliedes  manches  wertvolle  Stück  vermissen.  Ich  für  mein 
Teil  wurde  jedenfalls  den  Meier  Helmbrecht  herbeigezogen,  ja  falls  es 
nötig  gewesen,  diesem  Kleinod  der  mittelalterlichen  Dichtung  dieganze 
höfische  Dichtung  einschliefslich  des  in  seiner  Art  ausgezeichneten, 
aber  wegen  seiner  sublimen  Moral  der  Jugend  ziemlich  fernliegen- 
den Armen  Heinrich  geopfert  haben.  Indessen  das  sind  Dinge, 
über  die  sich  ein  Einverständnis  schwerlidi  erzielen  läfst.  Auf 
alle  Fälle  hat  man  den  Eindruck,  dafs  die  Wahl  der  Texte  wie 
die  Abfassung  der  Erläuterungen  sachkundigen  Händen  anvertraut 
worden  ist.  Das  letztere  gilt  besonders  auch  von  dem  ersten 
Bändchen,  wo  durch  einen  sorgfältig  gearbeiteten  Abrifs  der  alt- 
hochdeutschen Formenlehre,  durch  gründliche  Anmerkungen  oder 
wortgetreue  Übersetzungen  alles,  was  man  wünschen  mag,  für 
das  Verständnis  gethan  ist.  Nur  sollte  man  nicht  Umschriften  von 
Runendenkmälern  ohne  die  Originalzeichen  selbst  anführen,  zumal 
da  jene  trotz  Henning  manchmal  noch  recht  fragwürdig  sind. 

Die  Ausstattung  des  Werkes  ist  vortrefflich.  Druck  und  Papier 
sind  geradezu  tadellos,  und  die  zierlichen  Leinwandbände  ent- 
sprechen dem  Innern.  Der  Preis  des  einzelneu  Bändchens  ist 
gewifs  ein  sehr  mäfsiger,  obwohl  man  sagen  mufs,  dafs  die  An- 
schaffung der  ganzen  sechsbändigen  Sammlung  für  Schüler  immer- 
hin etwas  bedeutet* 

Karlsruhe.  F.  Kuntze. 


0.  Weifefifel»,  Cieero  aU  Scholsohriftst.!  agz.  v.  A.  Goethe.  601 

0.  Weifsenfeis,    Cieero   aU   Sebalfehriftsteller.     Leipzig,   B.  6. 
Teubner,  1892.    XV  u.  319  S.  8.    4  M. 

Teils  um  seine  einleitenden  Bemerkungen  zu  der  in  dem- 
selben Verlage  erschienenen  Auswahl  aus  Ciceros  philosophischen 
Schriften  zu  ergänzen  und  zu  begründen,  teils  um  für  die  Beur- 
teilung Ciceros  als  Schulschriftsteller  einen  festen  Standpunkt  zu 
gewinnen,  hat  der  Verf.  dieses  Buch  veröffentlicht  und  spater 
nochmals  die  Hauptgedanken  desselben  in  dem  im  November-  und 
Dezemberhefte  des  46.  Jahrganges  dieser  Zeitschrift  erschienenen 
Aufsatze,  der  von  dem  neuen  Lehrplane  des  Lateinischen  handelt, 
hervorgehoben.  Denn  da  der  Verf.  in  diesem  Aufsatze  die  von 
den  neuen  Lehrplänen  bezeichneten  Schulschriftsteller  einer  Be- 
urteilung unterzog,  so  war  die  Beziehung  auf  die  genannte  Schrift 
naturgemäfs  gegeben. 

In  dieser  sucht  W.  nachzuweisen,  dafs  Cicero  alle  diejenigen 
Eigenschaften  besitze,  die  ihn  im  hohen  Grade  dazu  befähigten, 
den  llnterrichtszwecken  des  Gymnasiums  zu  dienen,  dafs  aber 
nicht  sowohl  seine  Reden,  die  auch  die  Lehrpläne,  dem  historisch- 
politischen Zuge  der  Zeit  folgend,  bevorzugten,  als  seine  rheto* 
rischen  und  namentlich  seine  philosophischen  Schriften  die  gröfste 
pädagogische  Bedeutung  beanspruchten.  Im  ersten  Kapitel  wird 
die  lateinische  Sprache  und  die  klassische  lateinische  Prosa  in  der 
treffendsten  V\^eise  charakterisiert  und  ihre  Vorzöge  auf  das  hellste 
beleuchtet  Wenn  man  den  Ausführungen  des  Verf.s  über  einen 
Gegenstand,  über  den  schon  so  viel  gesagt  und  geschrieben  ist, 
mit  Interesse  folgt,  so  liegt  das  ebenso  sehr  an  der  gefälligen 
Schönheit  der  sprachlichen  Darstellung,  die  den  Gedanken  in 
plastischer  Weise  zum  Ausdruck  bringt,  als  an  dem  feinen  Gefühl 
des  Verls  für  die  Äufserungen  des  Spracbgeistes,  das  dem  Leser 
immer  wieder  neue  Seiten  der  Betrachtung  erschliefst  Das  zweite 
Kapitel  beschäftigt  sich  mit  dem  Charakter  Ciceros.  Durch  ein 
verständnisvolles  Eingehen  auf  das  Eigenartige  seines  Wesens  wird 
das  ungünstige  Urteil,  das  namentlich  deutsche  Gelehrte  über  ihn 
gefällt  haben,  auf  das  richtige  Mafs  zurückgeführt,  und  darauf  hin- 
gewiesen, dals  trotz  seines  Schwankens  und  Irrens  auf  politischem 
Gebiete  das  Bild  des  grofsen  Patrioten,  des  beredten  Vorkämpfers 
für  Sittlichkeit  und  Recht,  des  geistig  in  so  hohem  Grade  ange- 
regten und  anregenden  Mannes  ein  verehrungswürdiges  bleibe. 

Die  nächsten  Kapitel  handeln  von  den  Schriften  Ciceros,  und 
zwar  das  dritte  zunächst  von  seinen  Reden,  die  der  Verf.  auf  ihren 
bildenden  Gehalt  hin  prüft,  wobei  er  im  Gegensatz  zu  den  neuen 
preufsischen  Lehrplänen  zu  dem  Resultate  kommt,  dafs  diese 
Reden  „zu  wenig  Substantielles  enthalten,  als  dafs  man  sie  un- 
serer Jugend  als  Hauptnahrung  in  den  lateinischen  Stunden  bieten 
dürfte,  und  dafs  sie  Zustände  und  historische  Ereignisse  beleuch- 
ten, welche  auf  eine  eingehendere  Behandlung,  als  der  Geschichts- 
unterricht ihnen  gewähren  kann,  keinerlei  Anspruch  haben'*.  Auch 


602  0»  WeifseofeU,  Ciear*  aU  ScholsehriftaL,  ägn»  t.  A.  Goethe. 

Ref.  ist  der  Ansicht,  dafs  man  sich  vor  einer  Oberschätzung  des 
Inhaltes  dieser  Reden  hüten  mufs.  Es  werden  in  denselben  oft 
starke  rhetorische  Mittel  angewendet,  wodurch  nicht  blofs  die 
Schönheit  der  Sprache  beinträchtigt,  sondern  auch  ein  gewisser 
Gegensatz  zu  einer  objektiven  Geschichtsauffassung  geschaffen  wird. 
Auch  das,  was  die  Lehrpläne  beabsichtigen,  für  bedeutsame  Ab- 
schnitte der  Geschichte  und  hervorragende  Persönlichkeiten  einen 
durch  individuelle  Zage  belebten  Hintergrund  zu  gewinnen,  wird 
sich  in  der  Praxis  durch  die  Lektüre  dieser  Reden  meistenteils 
schwer  erreichen  lassen.  Denn  erstens  fixieren  sie  nicht  immer 
historisch  bedeutsame,  typische  Momente,  und  zweitens  wird  die 
Lektüre  mit  der  Behandlung  der  betreffenden  Abschnitte  in  der 
Geschichtsstunde  zeitlich  selten  zusammenfallen,  wodurch  die  be- 
absichtigte Wirkung  bedeutend  abgeschwächt  wird.  Wenn  W. 
vom  Standpunkt  der  Schule  aus  als  die  lesenswertesten  der 
Ciceronianischen  Reden  die  p.  Archia,  p.  Roscio  Amerino,  in 
Verr.  IV  u.  V,  pro  Marcello,  pro  Ligario  und  einige  Philippiscbe 
Reden  bezeichnet,  so  gestehe  ich,  dafs  auch  ich  diese  bei  der 
Auswahl  der  Schullektüre  bevorzugt  habe. 

Im  vierten  Kapitel  geht  der  Verf.  über  zu  Ciceros  Briefen. 
Er  hält  sie  bei  .aller  Anerkennung  ihrer  Vorlreffiichkeit  aus  zwei 
Gründen  für  die  Schule  nicht  geeignet,  erstens  weil  sie,  „aus 
dem  pädagogischen  Gefühlspunkte*'  betrachtet,  dem  Geiste  eine 
nicht  hinlänglich  würdige  Nahrung  böten,  und  zweitens  weit  die 
Schwierigkeiten,  welche  mit  ihrer  Erklärung  verbunden  seien,  in 
keinem  Verbältnisse  zum  Ertrage  ständen.  Ich  kann  diese  An- 
sicht nicht  teilen.  Ich  habe  eine  ganze  Reihe  von  Jahren  mit 
Primanern  die  Briefe  gelesen  und  gefunden,  dafs  die  Schuler 
wohl  keiner  Schrift  Ciceros  so  lebhaftes  Interesse  entgegengebracht 
haben  als  den  Briefen,  welche,  in  passender  Auswahl  ihnen  ge- 
boten, durch  den  Zauber  frischer  Unmittelbarkeit  ihre  Wirkung 
auf  die  Leser  nie  verfehlten,  denen  hier  die  feingebildete  Persön- 
lichkeit des  Schreibers  mensclilicb  so  nahe  gerückt  ist,  wie  bei 
der  Lektüre  keiner  seiner  anderen  Schriften.  Die  Bewegungen 
einer  politisch  aufgeregten  Zeit  aus  einer  wichtigen  Quellenschrift 
verstehen  zu  lernen,  ist  nicht  unfiruchtbar  und  bedeutungslos,  und 
die  Schwierigkeiten,  die  die  Briefe  sachlich  bieten,  sind  nicht  so 
aufserordentlicbe;  auch  haben  wir  eine  Reihe  guter  kommentierter 
Ausgaben,  so  namentlich  die  von  Mofmann*Andresen-Lehmann, 
die  in  angemessener  Weise  über  diese  Schwierigkeiten  hinweg- 
helfen. 

Das  fünfte  Kapitel  beschäftigt  sich  zunächst  mit  den  rheto- 
rischen Schriften  Ciceros  und  verfolgt  dann  in  einem  weiteren 
Abschnitte  die  Entwickelung  des  Rhetorischen  aus  der  natürlichen 
Tendenz  der  Sprache;  im  sechsten  Kapitel  endlich  werden  seine 
philosophischen  Schriften  auf  das  eingehendste  gewürdigt.  Diese 
beiden  Kapitel  sind  offenbar  die  anziehendsten  des  ganzen  Buches. 


H«llBiitl|ii-^«l^kai'<lf  I'tt«  OboBfibuch,  an^es.  v.  P.  Doetieh.  603 

Der  Verf.  weist  mit  öberzeugenden  Grfinden  nach,  dafs  die  rhe* 
toriechen  Schrifteo  Ciceroe,  in  denen  alle  höheren  Interessen  des 
gebildeten  Altertums  zu  einem  schönen  Gesamtbild  vereinigt  seien, 
und  in  noch  höherem  Mafte  seine  philosophischen  Schriften,  die 
den  Niederschlag  des  gesamten  antiken  WoUens  und  Denkens  ent- 
hielten und  in  denen  harmonisch  das  griechische  und  römische 
Geistesieben  zusammenklänge,  durch  die  Fülle  fruchtbarer  Ger 
danken,  die  in  ihnen  niedergelegt  sind,  Geist  und  Charakter  un- 
serer Jünglinge  zu  bilden  und  zu  veredeln  ganz  besonders  geeignet 
seien.  Wenn  man  liest,  in  welch  geistvoller  Weise  der  Verf.  seine 
Ansicht  begründet,  kann  man  sich  eines  gewissen  Gefühls  der 
Wehmut  nicht  entschlagen  bei  dem  Gedanken,  dafß  er  im  grofsen 
und  ganzen  doch  nur  für  eine  verlorene  P<)sition  kämpft,  da  bei 
dem  jetzigen  Betriebe  des  lateinischen  Unterrichts  die  jüngere 
Generation  nicht  so  vorbereitet  sein  wird,  um  in  der  Prima 
Schriften  wie  den  Orator  und  de  oratore  zu  lesen  und  zu  ver* 
stehen,  und  da  auch  für  die  Behandlung  leichterer  Abschnitte  aus 
den  philosophischen  Schriften  Ciceros  die  Zeit,  wenn  sie  über- 
haupt vorhanden  ist,  so  knapp  bemessen  ist,  dafs  ein  nennens- 
werter  Erfolg  wohl  kaum  erreicht  werden  kann.  So  wird  man 
durch  das  Weifsenfelssche  Buch  nachdrücklich  dai*an  erinnert,  was 
wir  aufgegeben  haben,  während  die  Aussicht  auf  eine  Änderung 
nach  dem  Sinne  des  Verf.s  doch  nur  äufserst  gering  ist. 

Glogau.  A.  Goethe. 

Hellvalh  und  Gebbard,  Lateioiscbes  Obaofsbacb  für  di« 
dritte  Klasse  des  GymDasiums.  2.  Aoftape.  Bamberg  u.  Leipzig, 
Baebaer,  1892.    XI  u.  289  S.  8.  geb.  2,80  M. 

Das  Buch  bildet  den  3.  Teil  von  „Buchners  Sammlung  latei- 
nischer Übungsbüdier*' ,  welche  unter  der  Redaktion  des  König- 
lichen Gymnasiallehrers  Dr.  Landgraf  zu  München  an  Stelle  der 
früheren  Englmannschen  Übungsbücher  herausgegeben  werden  und 
von  denen  bis  jetzt  die  fünf  ersten  Teile  —  1 — 4  bereits  in  zweiter 
Aoflage  —  erschienen  sind,  während  das  Erscheinen  des  6.  und 
7.  Teiles  in  baldige  Aussicht  gestellt  wird.  Zu  Grunde  gelegt  ist 
der  stilistische  Teil  der  im  gleichen  Verlage  erschienenen  Land- 
grafschen  Schulgrammatik,  welche  auch  in  der  2.  Auflage  neben 
der  von  Englmann  citiert  wird. 

Das  vorliegende  Übungsbuch  ist  für  die  dritte  Klasse  des 
Gymnasiums  (Quarta  in  Preulsen)  bestimmt  und  bietet  sowohl  in 
Einzelsätzen  wie  in  zusammenhängenden  Stücken ,  ÜbungsstoiT  zu 
deutsch-lateinischen  und  lateinisch-deutschen  Übertragungen.  Mit 
Rücksicht  auf  einen  fortlaufenden  geschichtlichen  Lesestoff  ist  das 
gesamte  lateinische,  in  zusammenhängenden  Abschnitten  verarbei- 
tete Material  in  Form  eines  Lesebuches  am  Schlüsse  vereinigt. 
Die  zweite  Auflage  hat  infolge  der  für  die  humanistischen  Gym- 
nasien Bayerns  erlassenen  neuen  Schulordnung,  welche  den  latei- 


604  Helloiath  v.  Gebhard,  Lit  Übtiogf  baeh,  angez.  v.  P.  Doetteb. 

nischen  Dnlerricht  dieser  Klasse  auf  8  Stunden  wöchenüich  be- 
schränkt, mehrfache  Änderungen,  KOrzungen  und  Erleicfatemngen 
erfahren,  sodafs  sich  nunmehr  folgende  Anordnung  ergiebt:  die 
ersten  Kapitel  dienen  zur  Wiederholung  und  Vertiefung  des  vor- 
jährigen LehrstofTs  (der  gesamten  Formenlehre),  för  welche  die 
Verfasser  4 — 6  Wochen  angesetzt  wissen  wollen;  es  folgt  die  Ein- 
übung gleichlautender  deutscher  Transitiva  und  lutransitiva,  deren 
wichtigste  in  einem  besonderen  Kanon  alphabetisch  zusammen* 
gestellt  sind,  darauf  die  Hauptregeln  fiber  Satzverbindung,  welche 
als  besondere  „Vorübungen*'  auf  S.  1  —  8  dem  gesamten  Über- 
setzungsstoff vorausgeschickt  und.  Die  folgenden  Kapitel  betreffen 
die  Kongruenz,  Kasuslehre,  die  Präpositionen  und  Ortsbestim- 
mungen, den  Infinitiv,  das  Gerundium,  Gerundivum  und  Supinum. 
Den  Schlufs  bilden  Stoffe  zur  Wiederholung  des  gesamten  Lehr- 
stoffes dieser  Klasse.  Beigegeben  sind  ein  Kanon  der  Synonyma 
und  stilistischen  Regeln,  welchen  die  Anfänge  der  beiden  voraus- 
gehenden Teile  in  kleinerer  Schrift  vorausgestellt  sind,  das  oben 
erwähnte  Verzeichnis  der  wichtigsten  deutschen  Transitiva  und 
lutransitiva,  endlich  ein  als  Vokabular  gedachtes  Wörterver- 
zeichnis. 

Die  Verteilung  des  Lehr-  und  Obungsstoffes  geht  also  inso- 
fern über  das  Pensum  der  Quarta  in  Preufsen  hinaus,  als  dieses 

mit  der  Kasuslehre  abschliefst  und  die  Svntax  des  Verbums  nur 

« 

nach  Bedürfnis  behandelt  (vgl.  Lehrpläne  und  Leliraufgaben  für 
die  höheren  Schulen  vom  6.  Januar  1892  S.  19),  während  die 
Einübung  der  Präpositionen  und  Ortsbestimmungen  der  Kasuslehre 
in  der  Hegel  vorangeht,  bezw.  eingereiht  ist,  Infinitiv,  Gerundium, 
Gerundivum  und  Supinum  aber  der  Tertia  zugewiesen  sind.  Diese 
etwas  abweichende  Verteilung  des  Lehrstoffes  erscheint  mir  aber 
nebensächlich,  wofern  im  übrigen  das  Obungsbuch  sich  als 
brauchbar  erweist.  Und  das  seheint  mir  bei  dem  vorliegenden 
zweifellos. 

Die  Verfasser  haben  sich  bemüht,  mit  besonderer  Sorgfalt  ein 
wirkliches  und  nicht  ein  ad  hoc  präpariertes  Deutsch  als  Übungs- 
Stoff  zu  bieten,  ein  Streben,  das  um  so  mehr  Anerkennung  ver- 
dient, als  der  Erfolg  ihrer  Bemühungen  durchschlagend  beweist, 
dafs  eine  Mifshandlung  unserer  Muttersprache,  wie  man  ihr  leider 
noch  viel  in  den  Übungsbüchern  begegnet,  zum  Zwecke  einer  Er- 
leichterung beim  Hinüberselzen,  durchaus  überOüssig  ist.  Um 
zugleich  mit  der  Einübung  der  lateinischen  Regel  den  deutschen 
Stil  zu  fördern,  ist  sogar  in  den  deutsch-lateinischen  Einzelsätzen 
eine  gewisse  Abwechselung  im  Ausdruck  angestrebt  und,  wie  die 
genaue  Durchsicht  ergiebt,  mit  Erfolg  durchgeführt.  Die  lateinisch- 
deutschen  Einzelsätze  sind  gröfstenteils  den  Klassikern  entnommen, 
beide  Arten  von  Sätzen  zum  mündlichen  Übersetzen  bestimmt. 
Die  zusammenhängenden  deutschen  Übungsstücke,  welche  zwischen 
die  lateinischen  und    deutschen  Einzelsätze  ein^^eslreut  sind,    be- 


A.  Waldeck,  Grieeh.  Schalgrammatik,  agz.  v.  P.  Weifseofels.  g05 

handeln  Stoiie  aus  Sage  und  Geschichte,  sowohl  der  alten  wie  der 
Deuereo  Zeit  (u.  a»  auch  einen  Vergleich  der  Schicksale  Cäsars 
and  Napoleons  I.,  eine  kurze  Darstellung  des  deutsch-französischen 
Krieges  1 870/7 1,  der  Belagerung  Strafsburgs  1870),  einzelne  Briefe 
und  Fabeln.  Die  zusammenhängenden  lateinischen  Stucke,  welche 
voD  dem  übrigen  ObersetzungsstoiT  gesondert  von  S.  157  ab  folgen, 
bringen  Fabeln  und  geschichtliche  Darstellungen,  teilweise  im  An- 
sdilufs  an  Nepos  und  Cäsar. 

Der  synonymische  Kanon,  welcher  den  31,  auf  den  beiden 
rorbergehenden  KUssenstufen  eingeprägten  Synonyma  20  neue 
Unterscheidungen  hinzufügt,  hält  sich  in  angemessener  Beschrän- 
kung. Die  beigegebenen  stilistischen  Bemerkungen  sind  bündig, 
klar,  fafslich  und  in  «kurzen,  treffenden  Beispielen  dargestellt. 
Dasselbe  gilt  auch  von  dem  weiteren  Anhang  über  die  wichtigsten 
gleichlautenden  deutschen  Transitiva  und  Intransitiva.  Auch  das 
Wörterverzeichnis ,  lateinisch  -  deutsch  und  deutsch  -  lateinisch, 
bringt  das  Notwendige  in  zweckmäfsiger  Zusammenstellung. 

Die  Prüfung  des  Übungsbuches  —  um  Mifsverständnisse  zu 
vermeiden,  wäre  es  richtiger  gewesen,  ihm  die  Bezeichnung  „Übungs- 
und Lesebuch''  denn  es  ist  beides  —  führt  mich  zur  unbeschränk- 
ten Anerkennung  und  warmen  Empfehlung.  Wer  in  der  Lage  ist, 
an  so  reichlichem  und  nach  Form  wie  Inhalt  anziehendem  Lese- 
Qod  Übangsstoff  das  grammatische  Pensum  der  Quarta  mit  seinen 
Schulern  einzuüben,  wird  in  dem  Buche  eine  wesentliche  Stütze 
seines  Unterrichts  finden. 

Euskirchen.  P.  Doetsch. 


Asgost  Waldeck,  Griechische  Schnlgrammatik  eotsprechcDd  des 
Verfassers  lateinischer  Schalgpranmatik  und  den  Zielen  der  neuen 
Lehrpläne  für  alle  Klassen  des  Gymnasiums,  flaue  a.  8.,  Verlag  der 
Baehhandlnng  des  Waisenhauses,  1893.     VIII  o.  115  S.    IM. 

Der  lateinischen  Schulgrammatik  A.  Waldecks  ist  schnell  eine 
griechische  desselben  Verfassers  gefolgt  Da  nach  den  neuen 
Lehrplinen  für  den  Schulunterricht  eine  griechische  Grammatik 
gewählt  werden  soll,  die  in  ihrem  ganzen  Aufbau  von  dem  der 
daneben  gebrauchten  lateinischen  nicht  allzu  verschieden  ist,  so 
sichert  die  Identität  des  Verfassers  dem  neuen  Werke  ein  günstiges 
Vorurteil;  denn  sie  erweckt  das  Vertrauen,  dafs  der  Verfasser 
zumal  unter  dem  Drucke  der  neuen  Lehrpläne  über  die  beiden 
Sprachen  gemeinsamen  Gesetze  ganz  anders  nachgedacht  habe 
als  manche  Vorgänger  und  die  Ergebnisse  seiner  Forschung  di- 
daktisch zu  verwerten  sich  bemüht  habe.  Wie  schön,  wird  man 
sagen,  wenn  die  lateinische  Grammatik  sich  zur  Einführung  eignet 
und  die  vermutlich  entsprechend  angelegte  griechische  uns  von 
den  Unannehmlichkeiten  befreit,  die  mit  der  Benutzung  der 
Grammatik  eines  anderen  Verfassers  verbunden  sind.  Doch  soll 
uns  dieses  nicht  abhalten,  die  griechische  Grammatik  unbefangen 


606  A*  Waldeek,  Grieehischa  Schal^ramDittik, 

auf  ihren  Wert  zu  prüfen.  Die  Grundsatze,  von  denen  sich  W. 
hat  leiten  lassen,  ersehen  wir  aus  der  Vorrede  und  noch  deut- 
licher  aus  seiner  Abhandlung  im  31.  Heft  (April  1892)  der  Lehr- 
proben und  Lehrgänge  „Die  griechische  Grammatik  nach  den 
neuen  Lehrplänen'*;  für  die  Benutzung  beim  Unterrichte  wCtrde 
auch  seine  „Praktische  Anleitung  zum  Unterricht  in  der  lateini- 
schen Grammatik"  (Halle  1892)  Fingerzeige  geben 

W.  will  „das  allein  jetzt  noch  bestehende  Ziel,  trotz  der 
▼erminderten  Stundenzahl  die  Grammatik  so  einzuprägen,  dafs  sie 
wirksam  der  Lektüre  dient,  durch  strenges  Festhalten  an  dem 
Grundsatz  erreichen,  dafs  Formen  und  syntaktische  Verbältnisse 
nur  so  gelernt  werden  sollen,  dafs  man  dieselben  beim  Über- 
setzen sofort  erkennt,  nicht  so,  dafs  man  sie  auch  beim  Obertragen 
ins  Griechische  selbst  richtig  und  mit  einiger  Geläufigkeit  an- 
wenden kann'*.  Richtig  ist  allerdings,  dafs  nach  den  Torläo- 
figen  Lehrplänen  „auch  ferner  Verständnis  der  wichtigsten  klas- 
sischen Schriftwerke  das  einzige  Ziel**  des  griechischen  Unterrichts 
ist,  dem  „Grammatik,  Wortschatz  und  elementare  Schreiböbungen 
lediglich  zu  dienen  haben**.  Allein  die  definitiven  Lehrpläne 
schreiben  „mundliche  und  schriftliche  Obersetzungen  ins  Grie- 
chische behufs  Einübung  der  Formenlehre**  in  beiden  Tertien  und 
in  der  Untersekunda  vor;  auch  ist  in  der  Abschlufspröfung  die 
Bekanntschaft  mit  der  Formenlehre  und  den  wesentlichsten  Regein 
der  Syntax  durch  eine  schriftliche  Übertragung  ins  Griechische 
zu  erweisen.  Es  wird  also  thatsächlich  nach  wie  vor  verlangt, 
dafs  der  Schuler  und  zwar  schon  der  Untersekundaner  Formen 
und  syntaktische  Verhältnisse  audi  beim  Obertragen  ins  Griechische 
selbst  richtig  und  mit  einiger  Geläufigkeit  anwenden  kann.  Dieser 
Irrtum  über  die  Ziele  der  Neuorganisation  war  verzeihlich  in 
einem  schon  im  April  1892  veröffentlichten  Aufsatze,  der  im 
ganzen  doch  wohl  schon  vor  dem  Bekanntwerden  der  definitiven 
Lehrpläne  gerade  mit  Würdigung  des  erwähnten  Passus  entworfen 
sein  mag;  er  ist  es  nicht  mehr,  wenn  der  zu  Grunde  liegende 
Gedanke  für  die  Anlage  eines  1893  erschienenen  Lehrbaches  be- 
stimmend geworden  ist. 

Nur  das  Regelmäfsigste  soll  nach  W.  vom  Schdier  gelernt 
und  bis  zu  völliger  Gelätifigkeit  eingeübt  werden;  minder  Regel- 
mäfsiges  oder  gar  Unregelmäfsiges,  meint  er,  werde  derselbe  im 
Zusammenhange  der  Lektüre  teils  ratend,  teils  nach  Anatogie  ab- 
leitend selber  finden  W.  macht  also  an  don  Formen  von 
ßovXofjkai  das  Gesetz  klar,  dafs  manche  Verba  zur  Tempus- 
bildnng  ihren  konsonantisch  auslautenden  Präsensetamm  durch 
Anfügung  dnes  e  erweitero^  übt  es  auch  an  einigen  Bei- 
spielen etwas  ein  ebenso  an  den  Formen  von  rcܫ  4ie  in 
einigen  Zeiten  nach  dem  kurz  bkibenden  Charakter  erfolgte  Ein- 
Schiebung  des  c.  Nun  stöfst  der  Schtiler  im  Xenophon  auf 
^X&icd'fi.    Bekanntlich  wmlen  in  den  ^Lehrprobeu**  nicht  bh»b 


•  D^ez.  von  P.  WeiTsenfels.  607 

die  Fragen  pracis  gestellt;  der  angenommene  Musterschüler,  der 
aaf  das  Ton  Lehrer  gewünschte  Ziel  instinktmifsig  losstürzt,  ant- 
wortet ebenso  präcis;  und  so  ist  in  wenigen  Augenblicken  fest- 
gestellt, die  Form  könne  unmöglich  etwas  anderes  sein  als  Ind. 
Aor.  Ton  ax^ofiM.  Und  diese  Form  wird  nun  nach  W.  im 
Kopfe  des  Schülers  haften,  „weit  durch  die  vorhergehende  eigene 
Geistesarbrit  daran  sein  Interesse  gereizt  ist  und  so  die  Perception 
im  Zostande  geistiger  Spannung  erfolgt".  Wenn  es  doch  so  wäre! 
Allerdings  sprechen  auch  unsere  Lehrpllne  Ton  ,,erst  auf  induk- 
tivem Wege  aus  dem  Lesebuch  zu  gewinnenden  und  dann  fest 
einzuprägenden  Formen*'.  Aber  wenn  wir  dereinst  gefragt  werden 
sollten,  welche  Erfolge  wir  bei  diesem  Verfahren  erreicht  haben, 
so  wurde  die  ehrliche,  gewissenhafte  Antwort  ungefähr  also  lauten 
müssen:  „Trotz  redlichen  Bemühens  hat  sich  aus  der  Induktion 
nichts  ergeben,  das  mit  einigem  Rechte  'Kenntnis  der  Formen- 
Idire*  hätte  genannt  werden  können.  Diese  hat  sich  erst  einge- 
funden, als  wir  die  Formenlehre  selbst  systematisch  betrieben. 
Wir  haben  darauf  das  fruchtlose  anfängliche  Verfahren  um  so 
lebhafter  bedauert,  als  uns  die  Zeit  jetzt  kostbarer  geworden  ist 
als  zuvor'*.  W.s  Schüler  weifs  noch  nicht  die  Tempora  von 
ßevi4^fut$  und  vsJiJm  mit  unbedingter  Sicherheit  und  lernt  auch 
nicht  den  Aorist  von  äx^Ofjux&;  dafs  er  diesen  auch  nur  an- 
nähernd selbständig  von  ax^ofuct  abgeleitet  habe,  glaubt  vielleicht 
sein  Lehrer,  er  selbst  aber  so  wenig,  wie  der  Sklave  des  Menon 
den  geometrischen  Lehrsatz  allein  gefunden  zu  haben  geglaubt 
haben  mag.  Ich  unterschätze  deswegen  den  Wert  der  Induktion 
nicht  Sie  mufls  jedenfalls  angewandt  werden,  wenn  es  gilt,  den 
Schüler  bei  der  Eingewöhnung  in  den  ersten  griechischen  Schrift- 
steU^,  also  nach  Oberwindung  der  für  den  augenblicklichen  Stand 
seines  Wissens  zugeschnittenen  Lektüre,  zu  einem  vernünftigen 
Angreifen  der  noch  unbekannten  Formen  anzuhalten.  Aber  erstens 
raufs  die  Gelegenheit,  diese  zeitraubende  Methode  anzuwenden, 
vorher  nach  Kräften  dadurch  beschnitten  werden,  dafs  ein  mög- 
lichst grofser  Schatz  unverlierbarer  Formen  im  Gedächtnisse  des 
Schülers  niedergelegt  wird.  Zweitens  ist  das  durch  Induktion 
Gewminene,  wenn  es  haften  soll,  noch  nachträglich  und  besonders 
gedäektnismäfsig  einzuprägen.  Letzteres  schreiben  auch  unsei^e 
Lehrpläne  filr  den  lateinischen  wie  für  den  griechischen  Elementar- 
unterricht vor;  W.,  der  in  der  Induktion  aHein  die  Gewähr  für 
ein  sicfaeres  Wissen  sieht,  überschätzt  sie  und  mufs  bei  einem 
wiederkehrenden  ^%9409^  sein  Frage-  und  Antwortspiel  von 
nenein  vomehmen. 

Meine  Bemerkungen  über  die  Unterrichtsmethode  W.s  wären 
überflüssig,  wenn  diese  nicht  die  Gestaltung  seiner  griechischen 
Gninmttik  beeinflufst  hätte.  „Sie  soll  für  den  Sehüler  ein  me- 
thwüsch  angelegtes  Lernbuch  sein,  dem  Lehrer  ein  Wegweiser 
iür  Umfang   und  Gang   seines  Unterrichts,   nicht  zugleioh  t\n 


60g  A.  Waldeck,  Griechische  SehaJgrammatik, 

Hiltsbuch    für    seine   eigenen    wissenschaftlichen    Studien/'     Im 
Prinzip  sind  alle  diejenigen  Formen  und  syntaktischen  Regeln  aus- 
geschlossen,  deren   gedächtnismärsige   Aneignung   dem   Verfasser 
überflössig   scheint,   die   im  Begegnungsfalle  durch  Induktion  zu 
entwickeln  sind.    In  der  Formenlehre,  der  sich  die  eingehendere 
Besprechung  zunächst  zuwendet,  handelt  es  sich  hierbei  nicht  etwa 
um    eine   verhältnismäfsig   beschränkte  Anzahl  von  Formen,  die 
neuere  Gelehrte  trotz  peinlicher  Durchstdberung  der  Schulschrift* 
steiler   in    diesen  nirgends   gefunden  und  darum  aus  der  Gram- 
matik eliminiert  haben:  die  sämtlichen  kontrahierten  Substantiva 
der  ersten  Deklination,    von    der   dritten    ovg,  xbIq,   vd»Q,   der 
Plural    Yon  nvQ,  yopv,  doqv,  xvtav^    nqBaßevvijg,   die  Nomina 
propria  auf  t^g,  evöalfnav^  äfkeiyap,  (Aiiag  sind   nicht  erwähnt; 
öixcuat   mag   durch   ein  Versehen  keine  SteUe  gefunden  haben. 
Wer  also  den  Versuch   machen  wollte,  nach  W.  zu  unterrichten, 
würde  beim  Entwurf  des  Scriptums  für  die  Abschlufspröfung  eine 
erhebliche  Anzahl   der   geläuligsten  Formen   gewissenhaft  meiden 
müssen;  denn  der  Schuler  könnte  den  Mach  weis  fähren,  daCs  sie 
im  günstigsten  Fall  wohl  nebenbei  erwähnt,  sicherlich  aber  nicht 
in  dem  unerläfslichen  Memorierstofl*  behandelt  worden  sind.    „Das 
aus  der  Grammatik  zu  Erlernende  soll  dem  Schüler  nicht  in  rein 
wissenschaftlicher,  sondern  in  didaktischer  Form  und  Gruppierung 
geboten  werden. . .  .  Paradigmen  habe  ich,    obwohl  ich  dieselben 
im  allgemeinen  für  unnütz,   ja   für  schädlich    halte,   nur  deshalb 
hinzugefugt,   weil  ich  weifs,  dafs  noch  viele  Lehrer  dieselben  als 
unentbehrlich    betrachten.     Hoffentlich    macht   keiner   Gebrauch 
davon."     W.  hat  demgemäfs  die  Formenlehre  in  zwei  Abschnillen 
„Unter-Tertia"  und  „Ober-Tertia"   vorgeführt,   die  in    ihrer  Ab- 
grenzung  im   wesentlichen   den   neuen   Lehrplänen   entsprechen. 
Einige  Absclmitte  des  ersten  Teiles  (Neutra  auf  ag,  Eigennamen 
auf  xi^g^  die  Feminina  auf  o»  und  (og^  ßovg,  1%^^^  ^Q^^  und 
äatv)   sollen    dem  späteren  Kursus  vorbehalten  werden.     Da  W. 
noch  1892   der  Ansicht  war,   „dafs  sich  sehr  wohl  in  III  b  auch 
in  sechs  Stunden  annähernd  die  ganze  regelmäCsige  Formenlehre 
bewältigen  und  der  Rest  mit  den  wirklich  notwendigen  Ausnahmen 
in    den    ersten    sechs  Wochen    in  III  a  absolvieren  liefse",  ist  er 
schnell  anderer  Meinung   geworden  oder   hat   nicht  den  Mut  ge- 
habt, den  allerdings  kühnen  Plan  in  seiner  Grammatik  weiter  zu 
verfolgen.     Seine  Abneigung  gegen  Paradigmen  ist  übrigens  nicht 
so  grofs,  als  man  nach  der  angezogenen  Stelle  der  Vorrede  ver- 
muten sollte.    Gewöhnt   die   veränderlichen  Flexionselemente   an 
die  Tafel  zu  schreiben  und  danach  mit  Voransetzung  des  Wort- 
stockes die  Formen  bilden  zu  lassen,  schafl't  er  doch  im  Grunde 
ebenfalls  Paradigmen;  gedruckte  Paradigmen,  die  bei  der  ersten 
Besprechung  in  die  beiden  Teile  aufzulösen  sind,  haben  Jedenfalls 
vor  jenen  vor  den  Augen  des  Schülers  entstehenden  Paradigmen 
den  niciu  zu  unterschätzenden  Vorteil,  dafs  sie  von  jedem  Sdbüler 


ao|(ez.  von  P.  Weifseofels.  609 

von  jedem  Platze   aus   gesehen   und    ohne  Zeitaufwand  vorgelegt 
und  im  Bedurfnisfalle  von  neuem  vorgelegt  werden  können. 

Die  drei  Deklinationen  sind  auf  acht  ziemlich  splendid  ge- 
druckten Seiten  abgemacht.  An  dieser  Kurze  der  Behandlung 
wird  niemand  Anstofs  nehmen,  wenn  VV.  wirklich  nur  Ober- 
flüssiges,  das  allenfalls  den  übergründlichen  Philologen  interessieren 
kann,  gestrichen,  das  Elementare  dagegen,  das  selbst  der  Schüler 
wissen  soll,  in  lehrbarer  Form  gegeben  hätte,  die  nun  einmal  bei 
aller  Präzision  in  den  einzelnen  Regeln  einer  gewissen  Umständ- 
lichkeit in  der  ganzen  Anlage  nicht  entraten  kann.  Wie  es  in 
der  ersten  Beziehung  steht,  ist  oben  bereits  gesagt;  ich  brauche 
also  nur  auf  den  zweiten  Punkt  noch  einzugehen.  Unter  „erste 
Deklination''  lernt  der  Schüler  a  purum  und  a  impurum  flektieren; 
über  die  Quantität  der  beiden  a  erfährt  er  nichts.  Das  hat  fürs 
erste  zur  Folge,  dafs  er  z.  B.  ßaaiXsiaq  unter  allen  Umständen 
nur  von  ßaaileia  oder  nur  von  ßaa^Xsia  wird  ableiten  wollen, 
je  nachdem  er  das  eine  oder  das  andere  zuerst  dem  Gedächtnis 
eingeprägt  hat,  und  dafs  er  den  Accent  von  Movaa  u.  s.  w.  als 
etwas  Zufälliges,  für  jede  Vokabel  besonders  zu  Lernendes  em- 
pfindet; kommt  er  aber  nach  Untersekunda,  so  ist  der  Boden 
nicht  bereitet,  der  xdqti,  zQfjx^^^f  Movaa  aufnehmen  kann.  W.s 
Schüler  wird  nach  $  5.  2  die  Feminina  dixaia,  nolcfAia  betonen, 
denn  er  liest  §  15  dixatog^  ä,  oy^  noXiftiog,  äj  oy;  ob  ßißaioq 
das  Feminimum  ßißaia,  ßeßaiaj  ßeßaJa  oder  ßeßani  bildet, 
mufs  ihm  dunkel  bleiben.  &akdaaijg  zu  betonen  sieht  er  keinen 
zwingenden  Grund;  denn  W.  untersagt  ihm  zvfäT  &dXa(fatjg,  aber 
nicht  ^xxlaaa^g.  Die  Bedeutung,  welche  die  Quantität  der  vor- 
letzten Silbe  für  den  Accent  erhalten  kann,  wird  ihm  auch  nicht 
klar.  Denn  dafs  fAcix^i,  ßi^ßt],  dixfij  die  er  nach  nvXfi  dekli- 
nieren soll,  nach  nvlr)  gehen  müssen,  folgt  doch  aus  der  Quan- 
tität der  vorletzten,  die  —  nicht  angemerkt  ist;  bei  seiner  Un- 
bekanntschaft mit  der  Quantität  des  $  hindert  ihn  später  auch 
nichts  xagdtatj  ytavlat,  tagAlai  zu  bilden.  Dafür  lernt  er  über- 
flüssiger Weise  tlfAij  und  später  oqvl^og.  —  Nicht  besser  ist  es 
mit  der  Behandlung  der  dritten  Deklination  bestellt.  Wir  können 
ja  eingehendere  Regeln  über  das  Verhältnis  des  Nom.  Sing,  zum 
Stamme  und  über  die  Bildung  des  Vok.  Sing,  unseren  Schülern 
erlassen,  obwohl  nach  der  Einübung  der  einzelnen  Paradigmen 
und  der  unregelmäßigen  Substantiva  beides  nicht  im  entferntesten 
zeitraubend  ist;  wir  können  in  der  Ilib  xe^XB^  ßaa^ls,  ßo  als 
Stamm  bezeichnen,  weil  der  Schüler  noch  nicht  durch  oQsaipt 
eines  besseren  belehrt  wird  und  ßaa^lsvat,  ßovai  rein  gedächt- 
nismälsig  hinnehmen  mag.  Dann  aber  seien  wir  konsequent  und 
lehren  nicht  mit  W.,  dafs  der  Nom.  ilnig  heifse,  weil  T-Laute 
vor  tf  ausfallen;  noch  mehr  aber  hüten  wir  uns  vor  so  kühnen 
Schlüssen  wie:  die  Wortstöcke  xoQax-^  Xbov%-  bilden  die  Nomi- 
nativa  xoQa^,  Xitoy,    weil    kein  griechisches  Wort  auf  eine  Mula 

ZeiiMitf.  t  d.  GjmaiiMftlweMn  XLVIL    10.  39 


510  A.  Waldfck,  Griechische  Scholgrammatik, 

endigen  könne.  Und  ob  der  Schuler  die  Kasus  von  fnitfjQ  und 
&vycitfiQ  richtig  accenluieren  wird,  wenn  ihm  als  einzige  Ab- 
weichungen von  dem  Paradigma  natijQ  die  Vokative  d^vyaTsq  und 
YcccsxTiq  bezeichnet  sind?  Die  Quantität  der  ancipites  ist  anch  in 
diesem  Abschnitt  nicht  durchgehends  angegeben,  wo  sie  für  den 
Ton  oder  doch  zu  gründlicherer  Kenntnis  der  Formen  wichtig 
ist;  novQ  und  (als  der  für  vl^og  vorauszusetzende  Nom.)  vlsvq 
mag  verdruckt  sein. 

Ich  will  nicht  mit  derselben  Ausführlichkeit  auf  die  Konju- 
gntionslehre  eingehen,  vielmehr  einige  Einzelheiten  herausgreifen, 
die  einen  Schlufs  auf  die  Verwendbarkeit  des  ganzen  Abschnittes 
gestatten  werden.  Unter  den  Verbis  auf  /u*  wird  noch  am  ein- 
gehendsten tatfifii  behandelt,  das  in  dieser  Grammatik,  die  den 
StoiT  nicht  in  rein  wissenschaftlicher,  sondern  in  didaktischer 
Form  und  Gruppierung  bieten  will,  immer  vor  xid-rnn,  ttjui'  und 
diötöiii  den  Vorrang  hat  trotz  der  besonderen  Schwierigkeiten, 
welche  die  Bedeutung  der  Tempora  bereitet,  trotz  des  wechseln- 
den Anlautes  (*,  i,  6,  J,  e\\  der  nach  gründlicher  Behandlung 
von  tid-fifii.  nur  wenig  Kopfzerbrechen  verursacht.  Nachdem  der 
Indik.  Präs.  und  Impf.  Akt.  eingeführt  ist  mit  der  Bemerkung, 
ItfTccifi  sei  aus  ItSTocatti  geworden,  heifst  es:  danach  konjugiere 
Präsens  und  Imperf.  von  nlfinXfifn^  ni^unQijfjtt  und  das  Präsens 
von  Ti&fj^ii,  Irifii,  didüüiii.  Obwohl  die  Stämme  bekannt  sind, 
mufs  dies  mifslingen,  da  der  Schüler  tid^iccai^  didoats^  zu  kon- 
trahieren verleitet  ist.  Ein  übel  angewandtes  Streben  nach  Kürze 
bestimmt  alsbald  W.  s&tjxa,  sdaxa,  ^xa  als  zweite  Aoriste  aus- 
zugeben. Zu  edlMV  beifst  es:  nach  Verbis  auf  fit;  die  lakonische, 
unbrauchbare  Bemerkung  wird  nur  um  etwas  gebessert  durch  die 
Anführung  der  Formen  ält^  aXoitjv  aXco&t  aXcovat  älovg  ovaa  oV, 
durch  die  der  Schüler  noch  nicht  den  Indik.  und  Imper.  konju- 
gieren lernt.  Ebenso  verfährt  W.  bei  s/vonv;  imdikfiv  söqav 
sßfiv  icp&fiv  iaßfiv  sdvv  scpvv  scheinen  ihm  ohne  jede  Erläuterung 
flektierbar;  zu  ixc^Q''!^  macht  er  den  doppelten  unfruchtbaren 
Zusatz:  nach  Verbis  auf  ju»;  beachte,  dafs  manche  Verba  auf  a 
den  Aorist  nach  Verbis  auf  (ii  bilden.  ^EdvvcOj  ini<ft(i&,  ^nlfftoa 
sind  entweder  zu  selbstverständlich  oder  nur  dem  Philologen  von 
Fach  interessant.  —  Unter  v.  liquida  wird  unter  den  im  Pf.  und 
Plusquampf.  Pass.  notwendigen  Konsonantveränderungen  zwar  der 
Ausstofsung  des  c  zwischen  Konsonanten  in  einer  Regel  gedacht, 
auch  der  Assimilation  des  v  an  [i  in  den  „Beispielen  für  die 
Tempusbildung''  durch  Anführung  von  nsnSQa(i[jbat{'!)  und  ^(fx^P^ 
[jai;  die  im  Vergleich  zur  Assimilation  ungleich  häufigere  Ver- 
wandlung des  V  \n  a  ist  (vielleicht  unabsichtlich)  nicht  erwähnt. 
Unter  den  Aor.  Pass.  lesen  wir  §  65  (wie  §  64  hqi^&fiv  und 
§  86  ixXiff&fiv)  iaxdX&fiv  itrndq&fip  iaifaX&fiv  i^p&dq&'fip; 
§  68  iandqfiv  ifStdXfiv,  Werden  die  richtigen  Formen,  zumal 
die  nicht  erwähnten   ia^dXfiv  itfd'dqfiv,   noch   die  fehlerhaften 


angez.  vod  P.  WeifseBfels.  611 

TerdrSDgen?  Quo  semel  est  imbuta  recens  servabit  odorem  testa 
diu.  Das  a  der  Stämme  äg  und  dl  wird  §  89  a  impurum  ge- 
nannt Die  Formen  sxtaxa,  ixvafiai,  ima^^iv  (vgl  ßißafiat, 
ißa^Vy  li'd'oqa)  nehmen  sich  sonderbar  genug  aus  in  einer 
Grammatik,  die  nicht  Xaßi^  svqSj  inofMctj  nanovi^cd,  xla^fOj 
Hfl  kennt. 

Ein  brauchbarer,   nur  hin  und  wieder  der  Verbesserung  be- 
dürftiger Anhang  Ober  die  Präpositionen  leitet  zur  Syntax  über, 
deren  Regeln,    soweit   die  Sprachen  es  gestatten,    mit  denen  der 
früher    Teröffentlichten ,    aber    später    entstandenen    lateinischen 
Grammatik  übereinstimmen.     Selbstverständlich  ist  dabei  die  la- 
teinische Syntax,  die  ja  in  praxi  früher  gelehrt  wird,  ausführlicher 
als    die   griechische,    in    der  z.  B.  gen.  possessoris,   subject.  und 
object.,  explicativus  mit  je  einer  Zeile  abgemacht  sind.    Das  Prinzip 
ist  untadlig.     Es    mufs   uns  aber  befremden,    dafs   auch  hier  so 
mancherlei  fehlt,  das  wir  gewohnt  sind  als  unerläfslichen  Memo- 
riersloff  zu    betrachten.     So   haben   keine  Stelle  gefunden  unter 
Accusativ  didda%€tv,   iqfAtäv,    {dg)nQdzxBiVj   etg(nQdTTe(rd'at), 
ä§Hf%$wvvai^   ivdvBiv^    ixdvetv,    ätfaiQsta&ai;    die    passivische 
Konstruktion    des    angeführten  xQvnrsty  (vgl.  exercitus  Rhenum 
traiectus  est,  rogatus  sententiam);  die  Konstruktion  iinzqinoiiai 
TAj  disq&aQfjb^og  r^v  dxo^v  u.  s.  w.,  die  auch  nicht  nachgeholt 
ist,    wo    nKrT€vo[Aat,    amatovfjtai    (vgl.  nupta    alicui)    erwähnt 
werden;  so  wird  unter  Dativ  nicht  der  dat.  ethicus  und  relationis 
angeführt,    der   in    sehr   geläufigen  Fällen  ausschliefslich   übliche 
acc.  mensurae  und  der  ebenfalls  durchaus  nicht  selten  bei  einigen 
Verben  des  AiTekles   neben   dem  Dativ  angewandte  Accusativ  der 
Ursache   nicht   nachgeholt.      Die    „Lehre  vom  Satz''  könnte  eher 
den  Anspruch    erheben    noch  das  Notwendigste  in  angemessener 
Form  zu  enthalten;    auch    wird    man    die  begleitenden  Reispiele 
insofern  durchaus  passend  finden  müssen ,    als  sie,    in  der  Form 
knapp  und  inhaltlich  durchsichtig,  die  Aufmerksamkeit  des  Schülers 
auf  die  gerade  behandelte  Regel  konzentrieren.    Doch  leidet  auch 
dieser  Abschnitt  an  gewissen  Unebenheiten,  die  bei  gründlicherer 
Redaktion  wohl  fortgefallen  wären.    Eine  eingehendere  Besprechung 
der  Bedingungssätze,  mit  deren  Behandlung   ich  mich  nicht  ein- 
verstanden erklären  kann,    wird  Gelegenheit  geben  jene  Uneben- 
heiten   noch   anzudeuten    und,    was  ja  für   die  Beurteilung  des 
Werkes  von  Wichtigkeit   ist,   das  Verhältnis   unserer  Grammatik 
zur  lateinischen  näher  zu  beleuchten. 

Da  „das  Wesen  der  realen  Bedingung  zu  verstehen  nicht  nur 
der  weitaus  schwierigste  Teil  der  Bedingungssätze,  sondern  viel- 
leicht das  Schwierigste  ist,  was  dem  Schüler  überhaupt  in  der 
Gramnoatik  zugemutet  wird**  (Prakt  Anleitung  S.  175),  behandelt 
W.  in  der  lateinischen  Syntax  die  reale  Bedingung  erst  nach  der 
irrealen  und  potentialen.  In  einem  Nachtrage  spricht  er  dann 
Ton  der  „reinen  Fallsetzung'S  die  der  Lateiner  als  potentinl,  der 

89* 


()|2  ^*  Waldecky  Griechische  Schulgraui  inati  k, 

DeuUcbe  als  irreal  fasse  (dies  me  deliciat,  si  omnia  enumerare 
velim:  wenn  ich  erzälilea  woUle,  so  würde  mir  u.  s.  w.).  Etwas 
ausführlicher  äufsert  sich  W.  über  letzlere  in  der  ErlSuterungs- 
Schrift  S.  180  dahin,  dafs  solche  Fallsetzuugen,  die  sich  im 
Deutschen  mit  angenommen  dafs  oder  gesetzt  den  Fall  dafs  um- 
schreiben lassen,  eigentlich  in  der  Mitte  zwischen  Irrealis  und 
Poteniialis  stehen,  dafs  der  Deutsche  dieselben  aber  irreal,  der 
Lateiner  potential  auffasse,  während  der  Grieche  eine  besondere 
Form  {sl  cum  opl.  —  opt  mit  äv)  dafür  habe.  Die  Bedenken 
wegeu  der  Schwierigkeit  der  Aneignung  von  Seiten  des  Schülers 
haben  W.  in  der  griechischen  Syntax  schon  nicht  mehr  bestimmen 
können  dem  Healis  die  erste  Stelle  unter  den  hypothetischen 
Fällen  zu  versagen;  vielleicht  ist  ihm  auch  der  Schüler  durch  den 
vorangehenden  lateinischen  Kursus  für  den  griechischen  soweit 
vorgebildet  erschienen,  dafs  er  jenem  die  Stelle  zu  lassen  wagte, 
die  ihm  nicht  blofs  das  Herkommen,  sondern  auch  das  Gefüge 
seiner  Syntax  (vgl.  §  122)  zuwies.  Die  „reine  Falisetzung''  da- 
gegen als  besonderer  hypothetischer  Fall  verwirrt  wie  in  der 
lateinischen  so  auch  in  der  griechischen  Syntax  die  richtigen 
Vorstellungen  über  Bedingungssätze,  die  sich  ohne  ihre  Einführung 
in  die  Grammatik  bilden  können.  Sie  ist  schon  schwer  zu  er- 
fassen, wenn  es  nicht  gelingt  sie  anders  als  mit  W.  als  ein  Mittel- 
ding zwischen  Potentialis  und  Irrealis  zu  definieren;  sie  wird 
noch  unverständlicher,  wenn  man  erwägt,  dafs  der  Deutsche  dem 
angeführten  deutschen  Beispiele  durch  ein  dem  Nachsätze  einge- 
fügtes „v\ohl''  ohne  jede  Änderung  des  Vordersatzes  die  Färbung 
des  Potentialis  geben,  der  Lateiner  umgekehrt  dem  lateinischen 
Beispiele  durch  Einsetzung  des  Nebentempus  in  beiden  Satzteilen 
seinen  Potentialis  in  einen  Irrealis  verwandeln  kann,  und  dafs  es 
eben  nur  auf  die  Auffassung  und  den  Zweck  des  Redenden  an- 
kommt, welche  Form  der  Bedingung  er  wählen  will  (vgl.  Ferd. 
Schultz  lat.  Sprachlehre  §  344  Anm.  1).  Kurz  ich  sehe  nicht  ein, 
warum  in  der  lateinischen  Syntax  die  „reine  Fallselzung**  wie 
etwas  materiell  Verschiedenes  von  dem  Potentialis  abgezweigt  ist, 
mit  dem  sie  formell  übereinstimmt,  und  warum  der  griechischen 
Sprache  ein  besonderer  syntaktischer  Ausdruck  dafür  als  spezi- 
iische  Eigentümlichkeit  vindiziert  wird.  In  der  griechischen  Syntax 
redet  ferner  W.  von  einer  „durch  iav  cum  coni.  ausgedrückten 
Potentialen  Bedingung,  die  den  erwarteten  und  den  wiederholten 
Fall  bezeichnet  (futurisch  und  iterativ)''.  Die  Worte  würden  an 
Klarheit  gewinnen,  wenn  W.  nur  von  einem  wiederholten  Fall 
u.  zw.  der  Gegenwart  und  Zukunft  spräche;  auch  wird  die 
Bezeichnung  der  Bedingung  als  potential  und  ihr  Ausdruck  durch 
idy  cum  coni.  dem  Schüler  als  ein  Widerspruch  erscheinen,  da 
er  bei  „potential''  an  den  Optativ  mit  dV  zu  denken  gewöhnt  ist. 
Da  nun  W.  auch  in  der  lateinischen  Syntax  von  einem  Potentialis 
geredet  hat,   der  ausgedrückt   werde   durch   den  Konjunktiv  der 


«Dgez.  voD  P  WeifsenfeU.  513 

Hauptzeiten,  und  zur  Übersetzung  in  das  Deutsche  dort /dieselben 
Mittel  angewendet  hat  wie  hier  unter  der  potentialen  Bedingung, 
so  liegt  geradezu  die  Nötigung  vor,  beide  Fälle  als  gleich  anzu- 
nehmen, was  aber  offenbar  nicht  angeht.  Denn  iäy  tovxo 
not^tffig^  öi^fiv  diicBkq  bedeutet:  si  hoc  feceris  (fut.  fl),  poenam 
dabis  und  nicht:  si  hoc  feceris  (coni.  perf.),  poenam  des;  iäv  ol 
nolifjk&oi  toy  notafioy  dtaßaiyoac^,  fiaxovfie&a:  si  hostes  fliimen 
transibunt,  pugnabinius,  und  idv  tic  Tovg  yoySag  t^fiq^  sv 
nQoSei:  quisquis  parentes  verebitur,  beatus  erit;  und  umgekehrt 
ist  sein  lateinisches  Beispiel  si  hoc  dicas,  erres  in  das  Griechische 
zu  übertragen:  st  tov%o  eXnoic,  (ftpaXelfjc  av.  Auch  was  von 
dem  Hauptsatze  dieser  ,,potentialen*'  und  der  realen  Bedingung 
gesagt  ist,  er  sei  an  keine  bestimmte  Form  gebunden,  ist  nicht 
in  vollem  Umfange  richtig;  denn  ein  irrealer  Haiiptsalz  ist  un- 
denkbar. —  Es  ist  nicht  meine  Aufgabe,  nunmehr  festzustellen, 
wie  die  Basis  beschaffen  sein  müsse,  welche  dieses  Kapitel  der 
lateinischen  und  der  griechischen  Syntax  zugleich  tragen  könne; 
hier  genügt,  was  ich  geliefert  zu  haben  glaube,  nämlich  der  Be- 
weis, dafs  die  von  W.  konstruierte  Basis  mifsraten  ist.  Doch  ich 
sprach  von  gewissen  Unebenheiten,  von  denen  der  syntaktische 
Teil  durchsetzt  sei.  Also  noch  zwei  Beispiele,  die  sich  in  dem 
gerade  besprochenen  Abschnitt  finden.  Wenn  denn  der  Zusatz 
„reale  und  potentiale  Bedingungen  können  in  den  opt.  obliquus 
übergehen",  an  zwei  Beispielen  klar  gemacht  werden  soll,  so 
empfahl  es  sich  doch,  nicht  zwei  mit  potentialer  Bedingung, 
sondern  je  eins  mit  realer  und  mit  potentialer  Bedingung  zu 
wählen.  Wenn  sodann  st  xai  und  xal  st,  iäv  xai  und  ital 
iay  durch  die  Beispiele  erläutert  werden:  ,,st  xal  (i^  ßovXovta» 
—  xay  (=  xal  iäv)  fAfj  fiovlcayiat  auch  wenn  sie  nicht  wollen; 
st  xal  fi^  ißovXovTO  auch  wenn  sie  nicht  wolUen'S  so  werden 
zwei  hypothetische  Fälle,  die  unterschieden  werden  sollen,  durch 
die  gleiche  Obersetzung  als  völlig  gleichwertig  hingestellt;  so  wird 
auch  di^r  in  logischer  Hinsicht  recht  wesentliche  Unterschied,  den 
die  Stellung  des  xai  bewirkt,  in  demselben  Augenblicke  aufscr 
Acht  gelassen,  in  dem  er  gelehrt  wird. 

Es  ist  überflüssig,  ausführlicher  auf  die  Syntax  einzugehen. 
Das^Urteil,  das  die  Kritik  über  die  lateinische  Grammatik  desselben 
Verfassers  fallen  wird,  könnte,  selbst  wenn  es  günstig  lauten 
sollte,  an  meinem  Urteile  über  die  griechische  nichts  andern: 
diese  ist  meiner  Ansicht  nach  nicht  geeignet,  den  Grund  zu  einer 
Sprachkenntnis  zu  legen,  die  den  Zielen  des  Unterrichts  entspräche. 

Züllichau.  P.  Weifsenfeis. 


614  C.  OstermaDDS  Grieehisehes  Obaogsboch  and  Formeolehre, 

Christiao  Ostermaoofl  Grieehischet  Oboogsbuch  oach  den  nenen 
Lehrplanea  bearbeitet  und  für  die  beiden  Tertien  der  Gymnaaien  er- 
weitert von  A.  Drygas.  Siebente  Auflage.  Frankfurt  a.  M.  u.  Leip- 
zig, Kessel ringsche  Hofbochhandlang  (£.  v.  Mayer),  1898.  215  S.  8. 
geb.  2  M. 

Christian  Ostermanns  Griechische  Formenlehre  neu  bearbeitet 
und  erweitert  von  A.  Drygas.  Siebeote  Auflage.  Ebendaselbst. 
1893.     119  S.    8.    geb.  1,25  M. 

Mit  dem  Inkrafttreten  der  neuen  Lehrpläne  konnte  es  nicht 
ausbleiben,  dafs  die  meisten  Schulbücher  einer  nenen  Durchsicht 
unterzogen  und  umgearbeitet  wurden.  So  geschah  es  auch  mit 
den  Ostermannschen  Übungsbüchern,  von  denen  die  lateinischen 
der  Gymnasialdirektor  Dr.  H.  J.  Müller  neu  herausgegeben  hat, 
während  die  griechischen  in  der  Umarbeitung  des  Oberlehrers  Dr. 
A.  Drygas  uns  hier  vorliegen. 

Was  nun  zunächst  die  Einrichtung  des  griechischen  Übungs- 
buches betrifft,  so  geht  dem  Übungsstoff  ein  grammatikalisch 
geordnetes  und  für  den  Anfangsunterricht  bestimmtes  Vokabularium 
voraus  (S.  3 — 30),  dessen  Vokabeln  mit  grofser  Umsicht  aus 
Xenophons  Anabasis  ausgewählt  und  in  den  Übungsstücken  ver- 
wertet worden  sind.  Den  neuen  Lehrplänen  entsprechend,  wech- 
seln sodann  Einzelsätze  mit  zusammenhängenden  Lese-  und 
Übungsstücken  ab.  Die  Zahl  der  zusammenhängenden  Stücke  ist 
in  der  neuen  Bearbeitung  bedeutend  vermehrt,  andererseits  sind 
sehr  viele  Sätze  gestrichen  oder  sachlich  und  stilistisch  verbessert 
worden.  Der  Hsgb.  hätte  in  dieser  Hinsicht  nur  noch  gründlicher 
verfahren  sollen;  Sätze  z.  B.  wie  S.  117,  6  hätte  niemand  vermifst, 
und  der  Übungsstoff  wäre  noch  immer  reichlich  genug  gewesen. 

Nicht  das  gedankenlose  Übersetzen  vieler  Sätze,  sondern  das 
Rückübersetzen,  Variieren  und  Durcharbeiten  von  wenigen  regt  den 
Schüler  an  und  bildet  seinen  Geist.  —  Die  Einzelsätze,  die  zum 
grofsen  Teil  den  alten  Schriftstellern  entnommen  sind,  folgen  dem 
stufenmäfsigen  Fortschreiten  der  Grammatik;  die  zusammen- 
hängenden Stücke  behandeln  die  griechische  Sage  und  Geschichte. 

Sehr  dankenswert  ist  die  Paraphrase  einzelner  Abschnitte 
aus  den  drei  ersten  Büchern  der  Anabasis.  Bei  den  unregel- 
mäfsigen  Verben  sind  griechische  Stücke  in  Prosa  nicht  mehr 
verwendet,  was  nicht  zu  tadeln  ist,  da  gleichzeitig  die  Anabasis 
gelesen  wird.  Dafür  sind  im  Abschnitt  XX[  einige  Fabeln  des 
Babrios  und  mehrere  Epigramme,  im  Abschnitt  XXll  hundert 
griechische  Sprüchwörter  und  Sentenzen  aufgenommen,  ein  Er- 
satz, der  sicherlich  manchem  Lehrer  willkommen  sein  wird. 

Hier  und  da  sind  Regeln  aus  der  Kasus-  und  Moduslehre 
eingestreut,  deren  Auswahl  und  Anordnung  überall  den  praktischen 
Schulmann  erkennen  lassen,  doch  könnte  die  Fassung  zuweilen 
präziser  sein,  wie  z.  B.  S.  56. 

Mit  Recht  hat  der  Hsgb.  den  Übungsstoff  für  U  HI  und  0  Hl 
in  einem  Bande  zusammengofafst.     Dadurch  wird  das  Buch  ver- 


aogaz.  voD  A.  Sioda.  gl5 

haltoismärsig  billiger,  und  Zeit  und  Raum  werden  bedeutend  er- 
spart. Der  Schüler  gewöhnt  sich  an  das  Buch,  wird  darin  hei- 
misch und  Gndet  sieb  sofort  zurecht;  überdies  wird  dadurch  das 
zweite  Wörterverzeichnis,  in  dem  das  meiste  wiederholt  werden 
möfste,  entbehrlich. 

Bei  einer  neuen  Auflage  wurde  Ref.  raten,  die  zusammen- 
hängenden Stucke  noch  zu  vermehren,  die  gegebenen  Über- 
setzungsbeihülfen  dagegen  ganz  bedeutend  einzuschränken  und  in 
den  griechischen  Sätzen  den  Artikel  vor  Personennamen  in  den 
meisten  Fällen  zu  streichen.  Zum  Schlufs  die  Frage:  Warum  wird 
im  Übungsbuch,  abweichend  von  der  Formenlehre,  UifA^  zu  den 
unregelmäfsigen  Verben  auf  fn  gerechnet? 

Von  demselben  Hsgb.  ist  auch  der  frühere  Abrifs  der  griechi- 
schen Formenlehre  von  Ostermann  umgearbeitet  und  erweitert 
worden.  Dieses  Buch  erscheint  in  einem  ganz  neuen  Gewände. 
Der  Stoff  ist  anders  gruppiert,  die  Paradigmen  in  übersichtliche 
Tabellen  gebracht  Erweitert  ist  die  Formenlehre  durch  die  Auf- 
nahme der  Verba  auf  ju«,  der  unregelmäfsigen  Verba,  einer 
Versregel  über  den  Gebrauch  der  Präpositionen,  sowie  durch  ein 
Verzeichnis  der  wichtigsten  Adverbia.  Im  Anhange  ist  das  Not- 
wendigste aus  der  homerischen  Formenlehre  beigefügt.  Ein  ge- 
nauer Index  zur  atiischen  Formenlehre  erleichtert  das  AufGnden 
eines  jeden  in  dem  Buche  behandelten  Wortes. 

Auch  in  der  Formenlehre  zeigt  uns  der  Hsgb.  dieselbe  me- 
thodische Anordnung  und  treffliche  Ausführung:  überall  merkt 
man,  dafs  die  Bücher  nicht  am  grünen  Tisch  entstanden,  sondern 
aus  der  Schulpraxis  hervorgegangen  sind. 

In  der  Auswahl  der  Wortformen  beschränkt  er  sich  fast 
überall  mit  Recht  auf  das  Regelmäfsige  und  öfter  Wiederkehrende, 
soweit  es  für  die  Schule  notwendig  ist,  dabei  reicht  jedoch  das 
Gebotene  für  das  ganze  Gymnasium  vollständig  aus.  Die  Fassung 
der  Regeln  ist  durchweg  kurz  und  klar,  so  dats  die  bewährte 
Brauchbarkeit  der  Ostermannschen  Schulbücher  durch  diese  Aus- 
gabe erheblich  erhöht  worden  ist.  Nur  würden  wir  raten,  in 
Zukunft  sämtliche  Duaiformen  in  den  Paradigmen  zu  streichen 
und  die  Flexion  dieses  Numerus  in  ein  paar  Anmerkungen  zu  er- 
ledigen. Auch  wäre  zu  wünschen,  dafs  der  Hsgb.  sich  ent- 
scbliefsen  möchte,  recht  bald  einen  kurzen  Abrifs  der  wichtigsten 
Regeln  der  Syntax  erscheinen  zu  lassen. 

Die  Ausstattung  beider  Bücher  ist  vortrefflich,  der  Preis  an- 
gemessen; doch  wünschten  wir  in  dem  sogenannten  Petit -Satz 
deutlichere  Schriftzeichen.  Der  Druck  ist  korrekt;  abgesehen  von 
ganz  vereinzelten  Ungenauigkeiten  in  Bezug  auf  Accent  und  Spi- 
ritus ist  uns  nur  ein  störender  Druckfehler  im  Übungsbuche  auf- 
gefallen, wo  auf  S.  43  evaeßstg  st.  evreßetq  zu  lesen  ist. 

Posen.  A.  Sioda. 


616    G.  WeitzeabSck,  Lehrboch  der  frtozS«i8cheD  Sprache, 

Georg  WeitzeobSck,  Lehrbuch  der  franzSsischea  Sprache. 
I.  Teil.  Prag  o.  Wieo,  F.  Tempsky;  Leipzig,  6.  PreyUg,  1893. 
(Da«  gesondert  heransgegebeoe  Be  gleit  wort)  VI  o.  HOS.  8.  90  kr. 

Ein  Buch,  dessen  Verfasser  sich  überall  als  erfahrener  Lehrer 
und  kundiger  Fachmann  zeigt.  Fast  könnten  die  Lobspröche,  die 
Gutersohn  dereinst  in  den  Süd  westdeutschen  Schulblättern  dem 
Strienschen  Lehrbuche  gespendet  hat,  auch  für  dieses  Werkchen 
gelten.  Denn  wie  jenes  weist  es  eine  glückliche  Verschmelzung 
der  Reformideen  mit  der  alten  Methode  auf;  wie  jenes  weifs  es, 
trotz  der  zusammenhängenden  Lesestücke,  mit  einem  Verhältnis- 
mäfsig  geringen  Wortschatz  auszukommen  und  den  Hauptfehler 
der  meisten  Unterrichtsbücher  der  neuen  Methode,  nämlich  die 
bei  Beginn  höchst  lästige  Häufung  von  Schwierigkeiten,  zu  ver- 
meiden. 

Das  Lehrbuch  zerfällt  in  drei  Abschnitte.  Der  erste  enthält 
die  Sprachstücke,  von  denen  die  sieben  ersten  noch  einmal 
in  Lautschrift  wiedergegeben  werden,  und  denen  allen  sich  recht 
eingehende  Erklärungen  anschliefsen.  Natürlich  ist  ihr  In- 
halt dem  Anschauungskreise  des  Schülers  entnommen.  Jede  der 
(62)  Lektionen  bebandelt  einen  kleinen  Abschnitt  der  Elementar- 
grammatik; der  Verf.  will  eben  die  grammatische  Schulung  nicht 
vernachlässigen.  Stets  beginnt  sie  mit  einem  Lesestück,  das  be- 
sonders im  Anfange  aus  ganz  einfachen,  teilweise  wohl  selbst  ge- 
bildeten, doch  stets  idiomatisch  richtigen  Sätzen  besteht;  diesem 
folgen  A.  die  Questions,  B.  die  Exercices.  Als  Beispiel  und 
zugleich  als  Beweis,  welchen  Fortschritt  in  der  Behandlung  des 
Lesestücks  wir  hier  vor  uns  haben,  mag  die  nachstehende  Lektioa 
dienen: 

Nr.  1  (numero  un). 

La  classe. 

1 .  Geci  est  une  salle.   2.  Nous  sommes  dans  une  salle  d'ecole. 

3.  Je  suis  votre  maltre.     4.  N.,   tu  es  un  ^I^ve.     5.  Les   autres 

sont  tes  camarades.    6.  Vous  ötes  tous  mes  el^ves. 

A.   Questions. 

1.  Demande:  Oü  sommes-nous?  -—  Beponse:  2. 

2.  D.  Dans  quelle  salle  sommes-nous?  —  B.:  2. 

3.  D.     „         „        „     ^tes-vous?  —  B. :  2. 

4.  D.      „        „         „     es- tu?  —  B.:  2. 

5.  D.      „        „        „     suis-je?  —  B.:  Vous  ^les  dans  .... 

6.  D.  Qu'est-ce  que  je  suis?  —  B. :  Vous  6tes  noti*e  maitre. 

7.  D.        „  „     tu  es?  —  B.:  Je  suis  un  el^ve. 

8.  D.        „  „    vous  dtes?  —  B.:  Nous  sommes  des  eleves. 

9.  D.        „  „    les  autres  sont?   —   B.:    Les  autres  sont 
mes  camarades. 


«ogei.  von  A.  Robr.  6|7 

B.  Exercices. 

1.  Exercer  Toreille  des  elives  en  pronon^ant  ä  plusieurs  reprises 
des  combinaisons  de  ces  mots,  p.  e.  notre  seile,  votre  salle, 
votre  ecole,  je  suis  dans  une  salle  etc. 

2.  Combiner  les  substantifs  avec  un,  une,  des. 

3.  s  du  pluriel. 

4.  Faire  apprendre  par  coeur. 

5.  Faire  copier  plusieurs  fois. 

Id  ähnlicher  Weise  geht  es  die  Cibrigen  Nummern  durch. 
Doch  versteht  es  der  Verf.  wohl,  die  Fragen  und  Übungen  der- 
artig zu  variieren,  dafs  das  Gefühl  des  Eintönigen  nicht  aufkommen 
kann:  jeder  Lehrer,  der  den  französischen  Anfangsunterricht  zu 
erteilen  hat,  könnte  hier  von  ihm  lernen. 

Die  Sprachlehre  bildet  den  zweiten  Abschnitt.  Nach  der 
etwas  breit  angelegten  Lautlehre  und  den  Paradigmen  der  regel- 
mäbigen  Konjugation  in  Lautschrift  kommt  so  ziemlich  die  ge- 
samte Formenlehre,  die  wichtigeren  unregelmäfsigen  Verba  mit 
eingeschlossen,  auf  26  Seiten  zur  Darstellung.  Alles  knapp  und 
doch  nicht  rein  schematisch. 

Der  dritte  Abschnitt  enthält  das  Wörterverzeichnis.  Nach 
oberflächlicher  Schätzung  sind  es  1400  Vokabeln,  die  verschiedenen 
grammatischen  Wörter  und  Formen,  wie  vaici^  votU,  t^otr,  vaiyant, 
voyez,  vu,  &os,  votre,  y,  pas^  die  ebenfalls  aufgenommen  sind, 
eingerechnet.  Jeder  Vokabel  ist  die  Aussprache  in  Lautschrift  und 
(in  Zahlen)  die  Textnummern,  in  denen  sie  vorkommt,  ange- 
geben. 

Im  ganzen  wird  man  zugestehen  mQssen,  dafs  der  Verf.  seine 
Aufgabe  glücklich  gelöst  bat.  Denn  nach  ihm  soll  der  Schüler  folgende 
Stufen  der  Aneignung  erreichen:  1.  die  gesprochene  Sprache  ver- 
stehen; 2.  sie  wiedergeben;  3.  sie  als  Antwort  geben;  4.  die 
Wörter  in  ihrer  geläufigen  Schreibung  lesen;  5.  sie  in  dieser  6e- 
slalt  schreiben;  6.  die  Sprachlehre  ableiten.  Dennoch  glaubt  Ref., 
dafs  das  Buch  an  deutschen  Lehranstalten  schwerlich  zur  Ein- 
führung gelangen  wird.  Für  Gymnasien  ist  es  überhaupt  nicht 
bestimmt:  in  der  That  könnte  unsem  Quartanern  und  Unter- 
tertianern, von  anderm  abgesehen,  schon  die  Lektüre  von  Lese- 
Stöcken,  deren  Niveau  sich  nur  wenig  über  dem  des  oben  ange- 
führten erhebt,  auf  die  Dauer  nicht  zugemutet  werden.  Doch  auch 
die  eigentlichen  Realschulen,  für  deren  beide  unteren  Klassen  es 
geschrieben  ist,  werden  es  kaum  einführen.  Die  wenigen  Pro- 
vinzialismen wie:  „Rteitez  le  present  de  (sagt  die  Gegenwart 
herunter  vony*  oder:  „Ne  soufflez  pas!  Sagen  Sie  nicht  ein!*' 
oder  „aväs^-16-l^vr  Schieben  Sie  die  Lippen  vor!"  werden  hier- 
bei keine  Rolle  spielen,  auf  jeden  Fall  eine  geringere  als  der  etwas 
▼erscb wenderische  Gebrauch  der  Lautschrift;  viel  schwerer  fallen 
nach  Ansicht  des  Ref.  zwei  andere  Umstände  ins  Gewicht.  Zu- 
nächst ist   es  der  grundsätzliche  Ausschlufs   yon    deutschen 


61g  H.  Loewe,  English  Grammar  und  Eogland  aod  tha  Eogliih, 

Übersetzungsstücken:  gerade  bei  einem  solchen  Obungsbucbe 
wird  dieser  Mangel  sofort  als  störend  empfunden.  Sodann  mufs 
die  ganze  Anlage,  die  vielleicht  deir  gröfste  Vorzug  des  Werkchens 
ist,  wenn  es  als  Hülfsbuch  für  die  Hand  des  Lehrers  dienen 
soll,  seiner  Verwendung  als  eigentliches  Schulbuch  hinderlich 
sein.  Eben  die  ins  einzelne,  ja  kleinste  gehenden  Fragen,  Übungen 
und  Erklärungen  durften  vielen  Lehrern  das  Buch  verleiden  und 
den  Unterrichtsbetrieb,  trotz  der  ziemlich  hohen  Anforderungen 
an  die  Thätigkeit  des  Lehrers  und  Schülers  in  den  Klassenstunden, 
zu  einem  mechanischen  gestalten.  Somit  kann  dem  Werkeben 
in  seiner  gegenwärtigen  Gestalt  eine  weitere  Verbreitung  kaum 
in  Aussicht  gestellt,  vielleicht  nicht  einmal  gewünscht  werden. 

Der  Druck  wie  die  gesamte  äufsere  Ausstattung  entsprechen 
vollständig  dem  Rufe  der  bewährten  Verlagsfirma;  der  Preis  ist 
durchaus  angemessen. 

Deutsch-Krone.  A.  Rohr. 


H.  Loewe,  Eoglish  Grammar.  EiDführoog  io  die  engliacfae  Sprache  auf 
Grund  seioes  Lesebuches  Ensland  and  tbe  EogUsh.  Dessau  u.  Leipzig, 
Kahles  Verlag,  1893.     111  S.   8.    geb.  1,20  M. 

H.  Loewe,  England  and  the  English.  Neues  englisches  Lesebuch  für 
deutsche  Schulen.  Unterstufe.  Dessau  u.  Leipzig,  Kahles  Verlag,  1893. 
292  S.   8.   geb.  2,80  M. 

Auf  mannigfachem  Wege  kann  der  Schüler  in  eine  fremde 
Sprache  eingeführt  und  zum  Verslehen  und  Gebrauch  derselben 
angeleitet  werden.  Es  fragt  sich  nur,  welcher  Weg  ist  der  be- 
quemste; auf  welchem  Wege  kann  man  am  leichtesten  eine  Klasse 
mittelmäfsig  beanlagter  Schüler  mit  den  Elementen  einer  fremden 
Sprache  vertraut  machen,  und  auf  welchem  Wege  ihr  am 
raschesten  den  nötigen  Wort-  und  Pbrasenschatz  verschaffen,  um 
sie  in  den  Stand  zu  setzen,  die  fremde  Sprache  zu  verstehen  und 
auch  selbst  zu  gebrauchen.  Gerade  in  neuerer  Zeit  sind  nun  eine 
stattliche  Reihe  fremdsprachlicher  Lehrbücher  entstanden,  die,  so 
grofs  auch  die  Übereinstimmung  in  methodischer  Hinsicht  sein 
mag,  doch  im  grofsen  und  ganzen  verschiedene  Wege  zur  Er- 
lernung einer  fremden  Sprache  einschlagen.  Und  wenn  man  nun 
bedenkt,  dafs  jeder  Verfasser  die  von  ihm  in  seinem  Lehrbuch 
eingeschlagene  Methode  für  besonders  geeignet  hält,  so  scheint  es 
doch  vom  pädagogischen  Standpunkt  sehr  bedenklich,  die  Freiheit 
der  Lehrmethode  durch  allzu  genaue  Vorschriften  einzuschränken 
oder  gar  durch  die  Beschränkung  der  Auswahl  der  zu  benutzen- 
den Lehrbücher  hemmen  zu  wollen.  Gewifs  muls  ein  einheit- 
liches Ziel  auf  den  einzelnen  Lehranstalten  erstrebt  und  erreicht 
werden;  aber  man  darf  m.  E.  den  einzelnen  Anstalten  nicht  den 
Weg  vorschreiben,  auf  dem  dieses  Ziel  erreicht  werden  soll. 
Wenn  man  durch  Aufdrängen  einheitlicher,  nach  einer  bestimmten 
Methode    angelegter  Lehrbücher   dio   einzelnen  Lehrer   resp.    die 


I^ez.  voB  B.  Goerlich.  619 

einzelneD  Lebranstallen  sklavisch  zu  einer  gewissen  Unterrichtsart 
zwingt,  so  liegt  die  Gefahr  sehr  nahe,  dafs  der  Unterricht  sich 
schliefslich  ganz  und  gar  schablonenhaft  gestaltet.  Gerade  auf 
dem  Gebiete  der  Spracberlernung  mufs  eine  gewisse  Freiheit  der 
Bewegung  gestattet  werden,  soll  anders  Lehrenden  wie  Lernenden 
die  so  notwendige  Schaflfensfreudigkeit  bewahrt  bleiben. 

Von  den  neueren  Lehrbüchern  verdienen  nach  meiner  An- 
siebt daher  auch  diejenigen  ein  besonderes  Interesse,  die  dem 
Lehrer  die  wohltbätige  Freiheit  in  der  Lehrweise  gestatten.  Das 
thut  nun  in  gewisser  Hinsicht  das  uns  zur  Besprechung  zugesandte 
Unterrichtswerk  von  H.  Loewe,  von  dem  mir  die  beiden  ersten 
Teile;  English  Grammar  1'^  Part,  und  das  Lesebuch:  England  and 
the  English  vorliegen. 

Die  englische  Grammatik  beginnt  mit  einer  Aussprachelehre, 
die  in  drei  Abschnitte  geteilt  ist:    die  Vokale,    die  Konsonanten, 
die  Vokalverbindungen.     Die  in  den  Ausspracheregeln  angeführten 
Wörter    werden    in    den    den    einzelnen    Abschnitten    folgenden 
Übungsstücken   zu   Einzelsätzen   zusammengefugt  und   sollen   so 
zur   Einübung   der   Aussprache   und    ersten    Einfuhrung    in   die 
Sprache  dienen.    Am  Schlufs  dieser  Ausspracheiehre  folgen  Lese- 
äbungen:  erst  Einzelwörter,  dann  einige  zusammenhängende  kurze 
Stücke.   Man  mag  über  diese  Art  Lehr  verfahren,  das  ganz  an  die 
Ploetz-Ahnsche  Methode  erinnert,  verschiedener  Ansicht  sein,  sehr 
zu  bedauern   ist   es   aber,   dafs   dem  Verf.    die   Ergebnisse   der 
neuesten  phonetischen  Forschungen  gänzlich  unbekannt  sind.  Wir 
sehen  bei  ihm  die  althergebrachten  Lautbeschreibungen  und  Deu- 
tungen wieder  auftauchen,  die  wir  jetzt  endlich  beseitigt  glaubten. 
Nach  ihm  hat  a  in  name   den  langen  alphabetischen  Laut  eh,   a 
in  all  den  langen  dumpfen  Laut  des  verschmolzenen  ao;  der  kurze 
e-Laut  findet  sich  in  pen\   i  vor  r  ohne   folgenden  Vokal  klingt 
wie  kurzes  dumpfes  (9f,  r  im  Anlaut  ist  scharf,    im  Inlaut  und 
Auslaut  weich;    geradezu   komisch  ist   die  Beschreibung  des  th- 
Lpautes  u.  s.  w.    Nach  meiner  Ansicht  wird  der  Lehrer,  der  nach 
diesem  Lehrbuch  unterrichtet,   gut  thun,   wenn  er  dem  Rat  des 
Veits  folgt  und  sofort  mit  den  Leseübungen  beginnt;   auf  diese 
Weise  geht  er  der  vollständig  mifslungenen  Aussprachelehre  am 
besten  aus  dem  Wege.   Übrigens  sieht  man  nicht  ein,  warum  der 
Verf.,  der,  wie  ausdrücklich  auf  dem  Titelblatt  vermerkt  ist,  diese 
Einfuhrung   in   die  englische  Sprache  auf  sein  Lesebuch  gründet, 
nicht  einfach  auf  die  zusammenhängenden  Stücke  dieses  Lesebuchs 
hinweist.    Der  Zusammenhang  zwischen  Lesebuch  und  Grammatik 
scheint  in  diesem  Teil  der  Grammatik  ein  sehr  loser  zu  sein.   In 
dem    Wörterverzeichnis    zu    den   Leseübungen   vermisse   ich    die 
Aussprachebezeichnung.     Der  Schüler  bedarf  einer  solchen,  einer- 
seits um  seine  Aussprache  selbst  kontrollieren  zu  können,   dann 
aber   auch    um    ihm   die   Hausarbeit    zu    erleichtern;    man    be- 
denke  doch,  ein   wie  grofser  Zwischenraum  bei  zwei-  und  drei- 


620  H-  Lioewe,  eoglisolie  Lehrbücher,  angcz.  von  E.  Goerlich. 

stuDdigem    wöchentlichem    Unterricht    zwischen    den    einzelnen 
Standen  liegt 

Die  nun  folgende  Wort-  und  Satzlehre,  die  etwa  den  für 
das  Gymnasium  bestimmten  grammatischen  Lehrstoff  umfafst 
zeichnet  sich  durch  Übersichtlichkeit  und  durch  die  klare  und 
bestimmte  Fassung  der  Regeln  aus.  Ich  vermisse  shall  yoH 
havCf  shall  yau  be\  neben  do  not  be  ist  be  not  auch  ganz  ge- 
bräuchlich; ein  Unterschied  zwischen  eack  other  und  one  anolher 
zum  Ausdruck  des  reziproken  Verhältnisses  wird  kaum  noch  ge- 
macht; es  fehlen  die  Doppelformen:  older,  dder;  nearest,  next; 
farther,  further  u.  s.  w;  one  steht  auch  vor  hundred  und  thonsand 
in  Jahreszahlen;  die  Regel  über  den  Dativ  ohne  to  ist  zu  um- 
ständlich; eine  falsche  Auffassung  liegt  in  der  Regel,  dafs  nach 
to  allude,  polite  u.  s.  w.  der  Dativ  steht.  Das  Vokabular  zu  Sprach- 
Übungen  über  Gegenstände  des  täglichen  Lebens  mag  gute  Dienste 
leisten. 

Das  letzte  Kapitel  enthält:  Orthographische  und  grammatische 
Übungen.  Hier  interessieren  besonders  die  Übungen  im  Anschlufs 
an  die  I^ktüre.  Sie  umfassen  16  deutsche  Übungsstücke,  von 
denen  sich  die  drei  ersten  (zum  Teil  Rückübersetzungen)  an  die 
Leseübungen  der  Grammatik,  die  übrigen  an  die  Lesestöcke  des 
Lesebuchs  anschliefsen,  und  vier  Questionnaires. 

Hier  endlich  zeigt  sich  der  Zusammenhang  zwischen  der 
Grammatik  und  dem  Lesebuch  deutlicher.  Wenn  es  auf  der  einen 
Seite  in  gewisser  Hinsicht  zu  bedauern  ist,  dafs  der  Verf.  sich 
nicht  bestimmter  und  klarer  über  die  Verwertung  des  Lesebuchs, 
namentlich  über  das  Verhältnis  der  Grammatik  zum  Lesebuch  aus- 
gesprochen hat,  so  ist  doch  andererseits  auch  wieder  zu  beachten, 
dafs  dieses  Unterrichtswerk  dem  tüchtigen  Lehrer,  der  gern  seine 
eigenen  Wege  wandelt,  keine  Schranken  in  seiner  Unterrichtsweise 
auferlegt.  Soviel  läfst  sich  auch  aus  der  ganzen  Anlage  des 
Werkes  erkennen,  dafs  der  Verf.  die  Lektüre  in  den  Mittelpunkt 
des  Unterrichts  gestellt  wissen  will  und  so  auf  dem  Boden  der 
neuen  Lehrpläne  steht.  Allerdings  wird  es  kaum  möglich  sein, 
die  Grammatik,  wenigstens  die  Formenlehre,  aus  der  Lektüre 
induktiv  zu  erschliefsen ;  dazu  eignen  sich  die  ersten  Lesestucke 
nicht  Das  Buch  würde  daher  nach  meiner  Ansicht  sehr  an 
Brauchbarkeit  gewonnen  haben,  wenn  zu  Anfang  einige  kürzere 
Lesestücke  gegeben  worden  wären.  Man  bedenke  doch,  wie  lang- 
sam der  Unterricht  im  Anfang  vorschreitet,  da  heifst  es,  durch 
anregende  kurze  FiCsestücke  das  Interesse  des  Schülers  wach  halten. 

Was  das  Lesebuch  selbst  anlangt,  so  ist  zunächst  lobend  an- 
zuerkennen, dafs  dasselbe  nur  englische  Stoffe  enthält.  Bei 
der  Auswahl  der  Stücke  erzählenden  Inhalts  (Nr.  1  —  7)  sind  die 
Novellen  Marryats  besonders  bevorzugt,  und  das  mit  Recht;  denn 
jeder,  der  eine  seiner  Novellen  in  der  Klasse  gelesen  hat,  wird 
die  Erfahrung   gemacht   haben,    dafs  die  Schüler   dieser  Lektüre 


Loreoz,  L.V.  Ranke,  GeQeratiooen]ehre,ai(Z.  v.  W.  Bernhard i.  621 

grofses  Interesse  eutgegenbriDgen.  Die  LebensbesdireibuDgen 
(Nr.  8  -  24)  und  die  geschichtlichen  Erzählungen  (INr.  25 — 52)  ent- 
werfen in  Hauptzögen  ein  anschauliches  ßild  von  der  englischen 
Geschichte.  Die  Landes-  und  Völkerkunde  (Nr.  53 — 88)  macht 
den  Schüler  mit  England,  dessen  Sitten  und  Gebräuchen  bekannt. 
Unter  der  Rubrik  „Anschauliches**  (Nr.  89—96)  bringt  der  Verf. 
gewissermafsen  eine  Fortsetzung  des  Vokabulars  seiner  Grammatik; 
es  enthält  Wörter  und  Ausdrücke  über:  the  ünwerze^  the  Surface 
of  the  Barth,  Mammali,  Birds  u.  s.  w.  Mir  will  der  Nutzen  sol- 
cher Vokabulare,  so  trocken  dem  Schuler  gereicht,  nicht  ein- 
leuchten. Es  folgt  eine  recht  brauchbare  Belehrung  über  die  Ein- 
richtung und  Abfassung  englischer  Briefe  mit  einer  Reihe  Huster- 
briefe. Den  Schlufs  des  Buches  bildet  eine  Sammlung  gut 
ausgewählter  Gedichte ;  es  ist  nur  schade,  dafs  das  lyrische  Element 
so  wenig  darin  berücksichtigt  ist. 

Soweit  nach  den  beiden  besprochenen  Teilen  des  Loeweschen 
Unterrichtswerkes  ein  Schlufs  auf  das  ganze  Werk  gestattet  ist, 
scheint  es  mir  ein  auf  gesunder  Grundlage  aufgebautes  Werk  zu 
sein,  bei  dessen  richtiger  Benutzung  sich  der  Unterricht  sowohl 
für  Lehrer  wie  für  Schüler  recht  anregend  gestalten  wird,  und  mit 
dem  sich  auch  ohne  allzu  grofse  Anstrengungen  die  von  den  Lehr- 
plänen geforderten  Ziele  erreichen  lassen. 

Dortmund.  Ewald  Goerlich. 

Ottokar  Loreoz,  Leopold  voo  Raoke,  Die  Geoeratiooealehre 
Bod  der  GeachielitaaDterriclit.  Berlin,  Wilhelm  Hertz  (Besser- 
sehe  BochhaBdluDg),  1891.  XII  o.  416  S.  8.  8  M.  (Die  GeschichU- 
wisseaschaft  in  Haaptricbtongen  und  Aafgabeo.     2.  Teil). 

Im  ersten  Abschnitt  (S.  3 — 140)  entwickelt  der  Verf.  seine 
Ansichten  über  das  Wesen  der  Rankeschen  Geschichtschreibung. 
Obwohl  bisweilen  etwas  panegyrisch,  enthalten  die  grundlichen 
Ausführungen  so  viel  Treffendes  und  Anregendes,  dafs  man  ihnen 
mit  Vergnügen  folgt,  auch  wenn  man  nicht  immer  zustimmen 
kann.  Wichtiger  sind  die  folgenden  Abschnitte  zur  Generationen- 
lehre  (S.  142—276),  zur  For.<chungslehre  und  Unterricht  (S.278 
— 416).  Auf  das  lebhafteste  erklärt  sich  L.  gegen  die  übliche 
Einteilung  der  Geschichte,  welche  ungerechtfertigt  und  unwissen- 
schaftlich sei,  insbesondere  wünscht  er  den  Begriff  des  sogen. 
Hiiielalters  beseitigt.  An  Stelle  von  Perioden,  die  nach  chrono- 
logischen Gesichtspunkten  bestimmt  sind,  verlangt  er  Einteilung 
nach  Generationen.  GroCsen  Wert  legt  er  auf  die  Kenntnis  der 
Genealogie,  ja  er  behauptet  S.  189,  dafs,  wer  den  Gothaischen 
Kalender  nicht  ordentlich  kennt,  von  der  neuesten  Geschichte  auch 
gar  nichts  weifs.  An  einer  Reihe  von  Beispielen  (S.  205 — 255) 
sucht  er  die  Durchführbarkeit  seiner  Generationenlehre  —  je  drei 
Generationen  auf  ein  Jahrhundert  —  nachzuweisen.  Was  die 
Foracbungslehre  anbetrifft,  so  eifert  er  heftig  gegen  die  sog.  kri- 


622  Lorenz,  L.  v.  Ranke,  Generatipnenlehre,  agz.  v.  W. Bernhard i. 

tische  Methode,  welche  meine,  durch  gewisse  Regeln  die  Tbal- 
sachen  ermitteln  zu  können«  um  die  Geschichte  ähnlich  wie  die 
Naturforschung  zu  einer  exakten  Wissenschaft  zu  erheben.  Der 
Verf.  bestreitet  dies,  indem  er  ausfuhrt,  dafs  nicht  die  Thatsachen, 
sondern  nur  die  Überlieferung  von  ihnen  Gegenstand  der  geschicht- 
lichen Forschung  sein  könne.  „Die  exakte  Forschung  und  Me- 
thode, sagt  er  S.  308,  ist  deshalb  exakt,  weil  ich  die  Kohle  in  die 
Hand  nehme  und  durch  ein  gewisses  Verfahren,  das  ich  bei  jeder 
Kohle  beliebig  oft  wiederholen  kann,  Leuchtgas  fabrizieren  werde. 
Mit  Karl  dem  Grofsen  läfst  sich  gar  nichts  versuchen,  ein  zweiter 
kann  auf  keine  Weise  hergestellt  werden.  Er  ist  heute  überhaupt 
nichts  als  das  Produkt  einer  Überlieferung^'.  Als  Beispiel  „eines  regel- 
recht verfahrenden  Historikers  im  Jahre  des  Heils  1888'^  fuhrt  er 
Huifer  an,  der  ein  Buch  über  Bernhard  von  Clairvaux  geschrieben  hat 
und  darin  die  Wunder  des  Heiligen  als  wirklich  geschehen  exakt 
nachweist  (S.  324  fr.).  —  Das  Gebiet  des  Historikers  und  der  Kritik 
fafst  L.  dahin  zusammen,  dafs  nur  die  Erklärung  jener  Handlungen 
verlangt  werden  kann,  die  sich  aus  der  Überlieferung  als  auf  den 
Staat  und  die  Gesellschaft  gerichtet  hervorheben  lassen.  —  Von 
besonderem  Interesse  für  die  Leser  dieser  Zeitschrift  ist  das,  was 
L.  über  den  Geschichtsunterricht  sagt.  Er  teilt  nicht  die  Ansicht, 
dafs  er  auf  den  Gymnasien  zu  verringern  sei.  Als  Ziel  des  Unter- 
richts stellt  er  die  Erweckung  des  historischen  Sinns,  der  histori- 
schen Empfindung  auf.  Nicht  religiöse  oder  moralische  Zwecke  sollen 
durch  ihn  erreicht  werden ,  sondern  der  Zusammenhang  des 
Staatsbewufstseins  mit  der  geschichtlichen  Überlieferung  soll  er- 
kannt werden.  Der  historische  Sinn  läfst  sich  aber  nur  aus 
dem  Bewufstsein  der  Familie  entwickeln.  Eine  verständige  Auf- 
fassung historischer  Dinge  beruht  auf  dem  Zeitbegriff,  geschicht- 
licher Zeitbegriff  ist  aber  nur  genealogisch  zu  gewinnen.  Daher 
mufs  sich  der  Unterricht  möglichst  früh  auf  die  neueste  Geschichte, 
die  der  Väter  und  Grofsväter,  beziehen.  Dies  geschah  schon  längst 
in  England  und  Frankreich,  wo  der  Geschichtsunterricht  politisch 
verwertet  wurde,  während  in  Deutschland  bisher  nur  der  Kosmo- 
politismus gewinnen  konnte.  Gegen  Treitschke,  der  vornehmlich 
die  alte  Geschichte  im  Gymnasialunterricht  behandelt,  die  neuere 
ausgeschlossen  wissen  will,  behauptet  L.,  dafs  durch  die  alte  Ge- 
schichte der  historische  Sinn  schon  wegen  des  Kriticismus  nicht 
geweckt  werden  könne,  auch  sei  die  alte  Geschichte  keineswegs 
etwas  Einfaches  und  weniger  Kompliziertes  als  unsere  neueste 
Staatsgeschichte.  Doch  will  er  den  weltgeschichtlichen  Standpunkt 
durchaus  gewahrt  wissen.  Es  sei  gar  zu  traurig,  die  Unkenntnis 
der  französischen  und  englischen  Geschichte  zu  sehen,  die  schon 
heute  manchmal  bemerkt  werden  könne.  „Man  bilde  sich  nur 
nicht  ein,  sagt  er  S.  396,  dafs  man  von  deutscher  Geschichte  auch 
nur  den  leisesten  Begriff  haben  könne  ohne  Kenntnis  von  Italien, 
Frankreich  und  England  .  . .     Wenn  jemand   deutsche  Gesebichte 


G.BriinDert,  Gescbichtstabellen,  angez.  von  J.  PUthner.    623 

* 

ZU  yerstehen  meint,  ohne  die  deutlichste  Vorstellung  von  allem  zu 
haben,  was  römischer  Staat  hiefs,  so  lebt  er  eben  in  einer  schwe- 
ren Täuschung*'.  Hierbei  mufs  man  freilich  fragen,  wo  soll  die 
Zeit  kerkommen,  Geschichte  so  grundlich  zu  unterrichten,  zumal 
ihr  Stoff  stetig  zunimmt?  —  Die  Bildung  des  historischen  Be- 
wufstseins  liege  heute  fast  ausschliefslich  in  der  Hand  der  Lehrer 
an  den  Mittelschulen.  Um  so  beklagenswerter  sei  es  daher,  dafs 
die  Genealogie  von  ihnen  vernachlässigt  werde,  da  sich  gerade  an 
der  Hand  der  Genealogie  die  Ereignisse  dem  Gedächtnis  der 
Schüler  fast  mühelos  einprägen.  Daran  sei  die  Vorbildung  der 
Lehrer  auf  den  Universitäten  schuld,  und  um  diesem  Mangel  ab- 
zuhelfen, wäre  nach  seiner  Ansicht  in  Bezug  auf  die  Behandlung 
der  Geschichtswissenschaft  eine  Beseitigung  des  vorherrschenden 
Kriticismus  notwendig.  Es  sei  klar,  dafs  die  wichtigste  Aufgabe 
des  Geschichtsstudiums  fflr  jemanden,  der  sich  mit  historischem 
Unterricht  beschäftigen  wolle,  in  der  Aneignung  der  Oberlieferung 
als  solcher  liege,  und  zwar  in  so  umfangreicher  Weise  wie  mög- 
lidi.  Bei  dieser  Ansicht,  fär  welche  der  Verf.  wohl  nur  bei 
äufserst  wenigen  Zustimmung  finden  wird,  ist  es  natürlich,  dafs 
er  mit  der  preufsischen  Prüfungsordnung  durchaus  nicht  einver- 
standen  ist.  Von  den  Anforderungen,  die  an  einen  Kandidaten 
des  Lehramts  in  der  Geschichte  zu  stellen  sind,  gesteht  er  vorerst, 
nachdem  er  sich  etwa  vierzig  Jahre  mit  Geschichte  beschäftigt 
habe,  dafs  er  einer  ernsten  Interpretation  der  betreffenden  Artikel 
mit  seinem  bisher  erlangten  Wissen  nicht  Stand  zu  halten  ver- 
möchte. —  Aus  dem  kurzen  Bericht  ersieht  man,  wie  wichtige 
Fragen  vom  Verf.  behandelt  werden,  und  sicherlich  ist  Kenntnis- 
nahme des  Buches  jedem  Lehrer  der  Geschichte  zu  empfehlen. 
Viel  beherzigenswerte  Gedanken  iiaben  einen  glücklichen  Ausdruck 
gefunden,  aber  die  Abneigung  gegen  die  kritische  Schulung  der 
künftigen  Geschichtslehrer  erscheint  durchaus  ungerechtfertigt. 

Berlin.  Wilhelm  Bernhardi. 


Gustav  Brunn ert,  Geschichtstabellen  fdr  die  mittleren  und  oberen 
Klassen  von  Gymnasien.  Erfort,  Verlag  von  Fr.  Bartholomäus,  1893. 
I  o.  94  S.   8.     Kart.  1  M. 

Diese  Geschichtstabellen  halten,  wie  das  Vorwort  bemerkt,  die 
Mitte  zwischen  Tabelle  und  Leitfaden.  Sie  sollen  die  Hand  bieten 
zur  sicheren  Einprägung  der  wichtigsten  Thatsachen  und  zu  zu- 
sammenfassenden Wiederholungen  des  geschichtlichen  Lernstoffes. 
Wer  aber  erwartet,  dafs  dem  Winke  der  neuen  Lehrpläne,  die  ja 
rergleichende  und  den  Stoff  nach  verschiedenen  Gesichtspunkten 
gruppierende  Wiederholungen  empfehlen,  Folge  gegeben  sei,  sieht 
sich  getäuscht.  Gerade  eine  deraiiige  Aufgabe  aber  scheint  mir 
neu  erscheinenden  Zeittafeln  gestellt  zu  sein.  Bei  den  vorliegen- 
den hat  die  Verquickung  von  Darstellung  und  Tabelle  den  ver- 
hiltnismäfsig  umfangreichen  Inhalt  des  Buches  zur  Folge  gehabt. 


624    G.  Brünnert,  Geschichtstabelleo,  angez.  von  J.  Plathoer. 

bei  dem  es  schwierig  sein  wird,  für  die  jedesmalige  Altenstufe 
den  notwendigen  Lernstoff  auszusondern.  Für  die  mittleren 
Klassen  mui^te  doch  eine  solche  Aussonderung  durch  den  Lehrer 
stattGnden,  durch  den  üruek  ist  sie  nicht  rorgesehen.  Sind  nun 
selbständige  Geschichtstabellen  noch  ein  Bedürfnis?  Sobald  die 
Lehrbücher  ihre  Aufgabe  erfüllen,  wohl  nicht.  Eigene  Tabellen 
neben  den  Hüifsbüchern  verursachen  dem  Lernenden  leicht  eine 
Erschwerung,  während  chronologische  Zusammenstellungen  inner- 
halb des  Lehrbuchs  oder  an  den  Schlufs  angehängt  und  eingehend 
den  Stoff  desselben  verarbeitend  eine  dankenswerte  Erleichterung 
gewähren.  Freilich  verbreitete  Schulbücher,  wie  die  von  Herbst- 
Jäger  oder  Schiller,  vermeiden  vornehm  jeden  Schimmer  einer 
Zeittafel,  daher  bleiben  dann  die  Tabellen,  wo  obige  und  ähnliche 
Hülfsbücher  eingeführt  sind,  immer  noch  unentbehrlich.  Denn 
wahr  ist  und  bleibt  trotz  der  Geringschätzung,  mit  der  manche 
auf  alles  chronologische  Material  hinabsehen^),  das  Wort  Nissens: 
„Die  wichtigste  Aufgabe  . .  .  jeder  historischen  Untersuchung  über- 
haupt ist  die  genaue  Ermittelung  der  Zeitfolge''  (Histor.  Zeitschr. 
Bd.  63  S.  388  Anm.). 

Was  Brünnerts  Geschichtslabellen  anlangt,  so  zeigen  sie  eine 
etwas  reichliche,  aber  geschickte  Auswahl  des  Chronologischen;  zu 
loben  ist,  dafs  nicht  blofs  Zahlen  und  Namen,  sondern  auch  kurze 
Sacherklärungen  gegeben  sind,  obwohl  dadurch,  wie  angedeutet, 
der  Charakter  des  Tabellenartigen  überschritten  ist.  Nach  diesem 
Buche  mufs  die  Repetition  glatt  und  ohne  Zeitverlust  von  statten 
gehen.  Eine  Prüfung  der  chronologischen  Festlegung  führt,  ab- 
gesehen von  wenigen,  gleich  unten  gegebenen  Notizen  zu  gutem 
Resultate.  Auffallen  kann  es,  dafs  man  noch  Zahlenansätze  findet 
für  die  Wanderung  der  Dorier  und  den  Tod  des  Kodrus.  Warum 
läfst  man  nicht  als  einzige  Zahl  der  ältesten  griechischen  Ge- 
schichte das  J.  776  stehen,  um  alle  vorhergehenden  über  Bord  zu 
werfen  ? 

Noch  lasse  ich  folgende  Notizen  folgen:  Tyrtäus  aus  Athen; 
sicher  aus  Athen? 

560  Pisistratus,  Tyrann  von  Athen,  dann  mfifste  es 
heifsen:  „zum  ersten  mal''  oder  die  Zahl  mufs  in  538  geändert 
werden. 

521—485  Darius  I;  steht  das  J.  485  fest?  (vgl.  Busolt, 
Gr.  Gesch.  Q  S.  114).  479  Vierter  Perserkrieg;  der  wievielte 
Krieg  gegen  Frankreich  war  dann  im  J.  1871? 

464 — 456  Dritter  messenischer  Krieg;  die  Zahl  456  ist  un- 
haltbar. 

Beim  Kriegswesen  der  Römer  ist  der  ältere  Scipio  vergessen 
(vgl.    Delbrück   in    der   Hist.  Zeitschr.  Bd.  51).     60  das   erste 

^)  Auf  exakte  Chrooologie  legt  z.  B.  der  Leitfadeo  für  dea  Uaterrieht 
io  der  Geachicfate  des  Altertans  voo  Herman  Schiller  (1891)  selir  wtoi; 
Werl. 


G.  Hertz^erg,  Kurse  Geschiclite,  anges.  von  T.  Becker.     625 

Triumvirat;  es  ist  Iceios.   Karl  lil  sollte  nachgerade  nicht  mehr 
der  «,Dicke''  genannt  werden. 

Die  äuCsere  Anordnung,  so  übersichtlich  sie  im  übrigen  ist, 
scheint  mir  nach  einer  Seite  hin  mifsiich.  Am  besten  erkennt 
man  das  an  einem  Beispiel.     S.  52  steht: 

1552.     Passauer   Vertrag:    Gewährung    freier   Religions- 
Übung  bis  zur  Entscheidung  durch  einen  Reichstag. 
Moritz  siegt  über  Harkgraf  Albrecht  von  Brandenburg- 
Kulmbach   bei  Sievershausen,    wird   aber  tödlich  ver- 
wundet. 

Wird  der  Schüler  da  nicht  verführt,  die  Schlacht  bei  Sievers- 
hausen ins  J.  1552  zu  setzen?  Zu  einer  ähniichen  Augentäuschung 
giebt  die  Anordnung  unendlich  oft  Anlafs.  Geradezu  unrichtig  ist 
die  Angabe  über  die  Hinrichtung  Robespierres  und  das  Ende  der 
Schreckensherrschaft  zum  J.  1793,  weil  sie  nicht  einmal  räumlich 
getrennt  ist. 

Der  Separatfriede  zu  Basel  verdiente  wohl  eine  eigene  Zahl, 
nicht  Einschachtelung  unter  die  Jahre  1793 — 1797.  Die  Inhalts- 
angabe des  Reichsdeputationshauptschlusses  1803  ist  zu  einseitig 
auf  Preufsen  beschränkt.  —  Die  deutsche  Geschichte  ist  bis  zur 
Gegenwart  fortgeführt,  heifst  es  im  Vorwort.  Sind  da  Angaben 
wie  (zum  Tode  Kaiser  Friedrichs  III):  Seine  Gemahlin  Vik- 
toria von  England  (Kaiserin  Friedrich),  oder  (zum  J.  1888) 
Internationale  Arbeiterschutzkonferenz  in  Berlin  in 
einer  Geschieh tstabelie  notwendig? 

Warum  die  brandenburgisch-preufsische  Geschichte 
bis  zu  Friedrich  dem  Grofsen  einen  besonderen  Abschnitt 
am  Schlufs  des  Buches  bildet,  anstatt  an  den  passenden  Stellen 
gruppiert  eingefügt  zu  sein,  ist  nicht  recht  ersichtlich.  Anstatt 
dessen  wäre  eine  fortlaufende  Zeittafel  der  deutschen  Kaiser  resp. 
Könige,  sowie  einzelner  Regentenhäuser,  in  erster  Linie  der  preu- 
Isiscben  Könige,  erwünscht.  Diese  Tafeln  fehlen,  und  sind  doch 
unentbehrlich. 

Die  äufsere  Ausstattung,  Format  und  Druck,  befriedigte 

Dessau.  J.  Plathner. 

1)  G.  Hertzberg^  Korze  Geschichte  der  altgriechischen  Kolo- 
■  isatioD.  Mit  einer  Karte.  Gütersloh,  C.  Bertelsmano,  1892.  (Gym- 
nasiai-Bibliothek,  12.  Heft)    95  S.    8.    1,40  M. 

Der  bekannte  Hallenser  Historiker  hat  zu  der  Gymnasial- 
Bibliothek  eine  kurze,  aber  an  Thatsachen  und  Namen  sehr  reiche 
Geschichte  der  griechischen  Kolonisation  beigesteuert.  Mach 
wenigen  einleitenden  Worten  giebt  er  in  dem  ersten  längeren 
Abflchnitt,  den  er  „allgemeine  Bemerkungen*'  nennt,  S.  1 — 20 
einen  Überblick  über  die  gesamte  kolonisierende  Thätigkeit  der 
Griechen,  durch  die  sie  nach  Ciceros  Ausdruck  „den  Landschaften 
der  Barbaren  gleichsam  einen  hellenischen  Saum  angewebt  haben.** 

ZeiiMhriA  t  d.  QjmiiMUlweMB  XLTU.   10.  40 


62()  6*  Hertzberg,  Korze  Geschichte  d.  altgriech.  K AloDisatioo; 

Wir  erfahren  hier  nicht  nur  Ort  und  Zeit  der  Besiedelung,  son- 
dern das  Verhältnis  der  Koionieen  zum  Mutterlaode  wird  be- 
sprochen, ferner  die  für  die  Verhältnisse  des  Altertums  ungeheure 
Ausdehnung  dieser  Gründungen,  der  Mangel  an  einheitlicher  Lei- 
tung, die  Gefahr  der  Zersplitterung,  die  Einwirkung  der  An- 
siedelung auf  die  Urbewohner  und  umgekehrt  der  eigentfimliche 
Charakter,  den  oft  die  Eingeborenen  der  Stadt  der  Ankömmlinge 
aufgeprägt  haben,  auch  das  spätere  Herabsinken  der  meisten  Koionieen 
von  der  Höhe  ihrer  einstigen  Macht  und  Bedeutung,  u.  a.  mehr. 
Ein  folgender  Abschnitt,  die  Hauptmasse  des  Ganzen,  schildert 
S.  20—84  näher  die  „verschiedenen  landschaftlichen  Gruppen 
griechischer  Koionieen'*  und  geht  dabei  auf  die  einzelnen  Städte, 
ihre  Gründung  und  ihre  Geschichte  näher  ein.  Die  Darstellung 
beginnt  bei  Byzanz  und  den  Ansiedelungen  am  schwarzen  Meer, 
geht  allmählich  nach  Westen  bis  nach  Massilia,  Corsica  und  Sar- 
dinien und  springt  zum  Schlufs  über  nach  dem  Südosten,  nach 
Cypern,  Ägypten,  Cyrene.  Überall  werden  naturlich  die  wichtigsten 
und  gröfsten  Städte  eingehender  behandelt,  aber  auch  bei  vielen 
andern  ist  eine  Fülle  des  Stoffes  handlich  und  bequem  zusammen- 
gestellt. Den  gröfsten  Raum  nehmen  natürlich  die  Ansiedelungen 
der  älteren  Zeit  ein;  es  werden  aber  doch  auch  noch  berührt  die 
attischen  Kleruchien,  die  Gründungen  Alexanders  von  Macedonien 
und  der  Diadochen,  wie  Alexandria  und  Antiochia,  endlich  die 
Koionieen,  welche  durch  Römer  auf  altgriechischem  Boden  an- 
gelegt sind,  wie  Neu-Korinth,  Paträ,  Nikopolis,  im  Jahre  30  n.  Chr. 
Geb.  von  Octavian  in  der  Nähe  von  Actium  zum  Andenken  an 
seinen  Sieg  erbaut,  „die  wichtigste  Griechenstadt  dieser  Gegend 
bis  lange  in  die  byzantinischen  Zeiten  hinein".  Heute  lebt  nur 
noch  ein  geringer  Rest  dieser  einst  blühenden  Ansiedelungen; 
neben  Trapezunt,  Konstantinopel  und  Salonichi  hebt  Hertzberg 
besonders  Smyrna  hervor,  wo  neben  45  000  Türken,  15  000  Juden 
und  6000  Armeniern  volle  75  000  Griechen  wohnen,  „eine  präch- 
tige Nachblüte  des  Hellenismus  in  dem  ältesten  Koloniallande 
dieser  an  Kräften  anscheinend  unerschöpflichen  und  an  zäher 
Lebensdauer  von  wenigen  andern  Völkern  erreichten  Nation'*. 
Eine  Schlufsbemerkung  S.  84 — 87  enthält  anregende  Vergleichungen 
der  antiken  Kolonisation  mit  der  ansiedelnden  Thätigkeit  neuerer 
Zeiten. 

In  einer  Zeit,  wo  auch  Deutschland  sich  an  der  kolonisato- 
rischen Arbeit  zu  beteiligen  wieder  anfängt,  lag  der  Gedanke 
besonders  nahe,  diese  glänzende  Zeit  griechischer  Kraftentwickelung 
zu  behandeln.  In  dem  Unterricht  der  Schule  kann  sie  ja  im 
Zusammenhange  nur  kurz  berührt  werden,  und  nur  gelegentlich 
wird  wohl  ein  typisches  Beispiel  eingehender  betrachtet.  Man 
mufs  aber  auch  anerkennen,  dafs  das  Ganze  in  groCser  Aoaführ- 
lichkeit  wohl  über  den  Interessenkreis  unserer  Schüler  hinausgeht 
Wir    können  auch  in  der  deutschen  Geschichte  nicht  so    viele 


R.  UrbtD,  Gtogr.  ForsehungeD  a.  Märcheo,  agz.  v.  Th.  Becker.  527 

StadtegrönduDgen  auf  dem  alten  slavischen  Boden  des  deutschen 
Ostens  einzeln  behandeln.  Deshalb  kann  ich  auch  das  Bedenken 
nicht  unterdrücken,  ob  nicht  die  meisten  Schüler  durch  die  Über- 
fülle des  gebotenen  Stolfes,  der  Thatsache  auf  Thatsache  häuft, 
zaröckgeschreckt  werden. 

2)  R.  Urbao,  Geographische  Forschangeo  und  Märchen  aus 
fpriechisoher  Zeit.  Gütersloh,  G.  Bertelsmano,  1892.  (GymDasial- 
Bibliothek.    13.  Heft)    40  S.    8.    0,60  M. 

In  einem  sehr  hübsch  geschriebenen  Heftchen  stellt  uns 
Irban  die  allmähliche  Entwickelung  des  geographischen  Wissens 
der  Griechen  vor  Augen;  schade,  dafs  er  sich  so  kurz  fafst,  die 
meisten  anderen  Hefte  der  Gymnasial-Bialiothek  sind  stärker,  und 
auch  hier  liefs  sich  des  Anregenden  noch  manches  hinzusetzen. 
Es  handelt  sich  dabei  doch  nicht  etwa  um  blofse  Anhäufung  von 
allerlei  Wissensstoff.  Urban  stellt  seine  Erzählung  gleich  anfangs 
unter  wichtige  aligemeine  Gesichtspunkte.  Zunächst  den  ge- 
schichtlichen, dafs  wir  hier  den  Standpunkt  der  „thalassischen'^ 
Weltanschauung  haben,  d.  i.  der  Zeit,  wo  für  die  eigentlichen 
Kultur Ydlker  Mittelmeer  und  Welt  im  wesentlichen  zusammenfiel; 
ihr  geht  voraus  die  „potamische''  Weltanschauung,  die  Zeit  der 
babylonischen,  assyrischen,  ägyptischen  Reiche  in  den  grofsen 
Flttlsgebieten;  ihr  folgt  die  „oceanische'',  unsere  Weltanschauung. 
Mit  der  wechselnden  Weltyorstellung  ändern  sich  die  Schwerpunkte 
der  Kultur,  die  Mitlelmeerstädte  treten  zurück,  die  dem  Ocean 
näher  gelegenen  gewinnen  an  Bedeutung.  Dabei  zeigt  sich  freilich, 
dais  jede  solche  Anknüpfung  geschichtlicher  Entwickelung  an 
geographische  Bedingungen  ihren  schwachen  Punkt  bat:  Berlin 
und  Petersburg  werden  zu  der  neuen,  oceanischen  Welt  gezählt, 
liegen  aber  Yom  Ocean  offenbar  ferner,  als  die  an  Bedeutung  ver- 
lierenden Stätten  der  thalassischen  Welt,  Rom  und  Syracus;  zu 
den  geographischen  Bedingungen  treten  eben  überall  die  geschicht- 
lichen Einflüsse  hinzu.  Ein  anderer  allgemeiner  Gesichtspunkt 
ist,  dafs  im  Gegensatz  zu  heute,  wo  die  Entfernungen  auf  der 
Erde  ans  zu  entschwinden  anfangen,  die  Griechen  in  einer  Zeit 
lebten,  wo  dem  geistigen  Auge  die  Welt  sich  immer  weiter  aus- 
dehnte. Gelegentlich,  besonders  S.  16,  warnt  Urban  eindringlich 
vor  Spott  über  die  Unwissenheit  der  Griechen  in  geographischen 
Dingen;  indem  seine  Darstellung  zeigt,  welche  Mühe  es  der 
Menschheit  gemacht  hat,  sich  allmählich  auf  die  jetzt  erreichte 
Stnfe  des  Wissens  zu  erheben,  lehrt  sie  Dankbarkeit  gegen  die 
vergangenen  Geschlechter  der  Menschen  und  Bescheidenheit. 

Auf  Einzelnheiten  einzugehen  ist  nicht  nötig.  Bei  der  Reise 
des  Karthagers  Hanno  in  das  Mündungsgebiet  von  Senegal  und 
Gambia  begegnet  dem  Verfasser  ein  Irrtum  in  der  Deutung  von 
Hannos  Bericht  Er  erklärt  die  Troglodyten  Hannos  für  „Orang- 
Utangs'*.  Der  bekannte  Affe  heifst  aber  zunächst  Orangutan 
(maiayisch  aus  Orang,  Mensch,    und  Hutan,   wild)   ohne  g,    und 

40* 


628  E.  Ziepeler,  Aas  Sicilien, 

aufserdeni  lebt  er  nicht  in  Afrika,  sondern  auf  der  Sundainsel 
Borneo;  Hanno  kann  nur  den  an  der  WestkOste  Afrikas  heimischen 
Gorilla  oder  den  Schimpanse  gemeint  haben.  Wo  die  geographischen 
Phantasieen  Piatos  und  Theopomps  über  ferne  Erdteile,  Atlantis 
und  Meropis  besprochen  werden,  konnte  wohl  zum  Vergleich  aus 
unserm  Jahrhundert  0.  Peschels  verschwundener  Erdteil  Lemuria 
im  indischen  Ocean  herangezogen  werden»  (Neue  Probleme, 
S.  39.  117.) 

Man  kommt,  wenn  man  die  wissenschaftlichen  Bestrebungen 
der  Griechen  überblickt,  auf  den  Gedanken,  ob  sich  nicht  manches 
davon,  gerade  wegen  seiner  unvollkommenen,  elementaren  Natur, 
im  Unterricht  verwerten  läfst,  nicht  nur  so,  dafs  es  an  passender 
Stelle  mitgeteilt  wird,  sondern  auch  so,  dafs  in  der  mathematischen 
Geographie  teilweise  die  genetische  Methode  angewendet  und  dabei 
zugleich  die  SelbstthStigkeit  der  Schüler  angeregt  wird.  Sie  mögen 
einmal  selbst  versuchen  mit  einem  Gnomon  die  Sonnenhöhe  oder 
die  Polhöhe  zu  bestimmen,  oder  mit  dem  Dioptron  zu  arbeiten, 
sie  mögen  auch  die  geistreiche  Berechnung  des  Erdumfanges  aus 
der  Entfernung  von  Rhodus  und  Alexandria  und  der  Höhe  des 
Kanopussternes  über  dem  Horizont  (S.  34)  nachmachen,  es  lassen 
sich  ja  solche  Aufgaben  leicht  bilden. 

Das  griechische  Heer  heilst  doch  richtiger  das  ägäische  statt 
ägeische  (z.  B.  S.  6).  Was  soll  es  heifsen  S.  3  unten:  Weihrauch 
aus  Arabien,  „der  in  die  Handelsplätze  nach  Griechenland  ver- 
frachtet wurde'*?  S.  13  oben  und  S.  27  in  der  Mitte  sind  die 
Sätze  bedenklich  in  Unordnung  geraten. 

3)  fi.  Ziegpeler,  Aus  Sicilien.  Mit  5  Abbildnageo  nod  2  Karten. 
Gütersloh,  C.  Bertelsmaon,  1892.  (Gymnasial- BibliotKek.  14.  Heft.) 
78  S.    8.    1,40  M. 

Der  Verf.  hat  im  Frühling  d.  J.  1891  Sicilien  durchreist  und 
auf  Grund  der  Reisebriefe,  die  er  an  seine  Angehörigen  gerichtet, 
später  die  Insel  für  die  Gymnasial-Bibliothek  geschildert.  Das 
Ganze  hat,  zum  Teil  auch  gerade  durch  das  Hervortreten  des 
Persönlichen,  einen  frischen  lebendigen  Ton;  er  wird  nicht  ver- 
fehlen, dem  Verf.  auch  unter  den  Schulern  freudigen  Beifall  zu 
verschaffen.  Die  Reise  beginnt  in  Messina,  geht  zunächst  nach 
Syracus,  wendet  sich  dann  ins  Innere,  nach  Castrogiovanni,  dem 
alten  Henna,  von  dort  an  die  Südküste  nach  Girgenti  und  endlich 
nach  Palermo,  von  wo  noch  einige  Ausflüge  gemacht  werden,  be- 
sonders nach  dem  Westen,  wobei  Selinunt  und  Segesta  berührt 
werden.  Überall  geht  der  Verf.  vor  allem  den  Erinnerungen  an 
die  alte  Welt  nach,  sucht  die  alten  Trümmerstätten  und  Schlacht- 
felder auf  und  ruft  dabei  durch  kurze  Berichte,  ohne  aufdringlich 
lehrhaft  zu  werden,  dem  Schüler  die  geschichtlichen  Thatsachen 
ins  Gedächtnis.  Die  Charybdis  wird  erklärt  als  leichter  Strudel, 
erzeugt  durch  Strömung  und  Gegenströmung,  eine  Erscheinung, 
die  man  in  jedem  Flusse  den  Schülern  zeigen   kann,   die   Scylla 


ao^az.  von  Th«  Becker.  g29 

ist  eio  von  der  Brandung  umtoster  Fels.  Am  Eryi  erinnern  noch 
jetzt  Taubenschwärme  an  das  alte  Heiligtuni  der  Venus,  das  die 
römische  Sage  mit  dem  Nalionalbelden  Äneas  verknüpfte.  Hit 
besonderer  Liebe  verweilt  Ziegeler  bei  Syrakus.  Zwei  Lichtdrucke 
führen  uns  die  Steinbrüche  vor  Augen,  und  eine  Doppelkarte  zeigt 
das  ganze  Gelände,  so  weit  es  für  die  athenische  Expedition  in 
Betracht  kommt,  mit  den  Stellungen  der  Athener.  Diese  Karten 
sind  allerdings  mehr  für  die  Lektüre  des  Thukydides  wichtig»  als 
für  diesen  Reisebericht,  der  jene  Belagerung  natürlich  nicht  so 
eingehend  behandelt.  Trümmer  der  Stadt  giebt  es  fast  gar  nicht, 
da  das  Gestein  verwittert  ist.  Doch  sind  noch  Geleise,  Wasser- 
leitungen, Gräber,  Theater,  Steinbrüche  zu  sehen,  die  in  den 
lebendigen  Fels  gehauen  waren.  Sehr  hübsch  erzählt  ist  eine 
Fahrt  zum  sumpfigen  Quellgebiet  der  Cyane  mit  seinen  Papyrus- 
stauden. In  Henna  besucht  Ziegeler  eine  Schule,  wo  die  Knaben 
Ovid  lesen,  und  natürlich  den  Pergussee,  an  dessen  Ufern  aber 
Blumen  und  Wälder  verschwunden  sind. 

Neben  dem  Altertum  beachtet  der  Verf.  auch  das  jetzige 
Leben.  Er  schildert  als  Cbarakterpflanzen,  die  im  Altertum  noch 
fehlen,  die  Opuntien,  Citronen  und  Orangen,  führt  uns  in  die  öde 
Gegend  der  Schwefelgewinnung,  zeigt  uns  den  Betrieb  der  Salinen. 
In  den  jetzigen  Sicilianern  findet  er  teils  die  afrikanische,  teils  die 
griechische  Rasse  wieder.  Bei  einer  Fahrt  in  der  dritten  Klasse 
der  Eisenbahn  wird  er  Zeuge  der  leidenschaftlichen  Erregbarkeit 
des  Volkes,  ein  andermal  seiner  republikanischen  Gesinnung.  Die 
Eigentümlichkeit  des  Ackerbaus,  dafs  der  Bauer,  um  sich  vor  der 
Malaria  zu  sichern,  auf  Bergeshöhen  in  Städten  wohnt  und  morgens 
stundenweit  wandern  mufs,  um  zu  seinem  Felde  zu  gelangen,  hat 
sich  aus  dem  Altertum  erhalten,  wenn  auch  die  Beweggründe  im 
Laufe  der  Zeiten  gewechselt  haben.  Vielfach  geht  Ziegeler 
Goethes  Spuren  nach,  so  in  jenem  Garten  von  Palermo,  wo  Goethe 
den  Homer  las  und  den  Plan  zur  Nausikaa  schuf,  so  ferner  zur 
Statue  der  heiligen  Rosalia,  zur  Villa  Pallagonia  mit  ihren  „Spiefs- 
ruten  des  Wahnsinns''.  In  Palermo  bewundert  er  die  nor- 
mannischen Bauten.  Dabei  berührt  es  allerdings  seltsam,  wenn 
er  sich  entschuldigen  zu  müssen  glaubt  wegen  dieser  Bewunderung 
für  die  Erzeugnisse  eines  germanischen  Volkes:  „Fast  treulos 
erschien  es  mir,  angesichts  dieser  normannischen  Basilika  die 
Antike  zu  vergessen''  (S.  57).  Braucht  ein  Deutscher  deshalb 
heute  noch  Gewissensbisse  zu  emptinden? 

Aufser  den  genannten  Bildern  und  Karten  sind  dem  Hefte 
noch  beigegeben  eine  bildliche  Darstellung  von  Palermo  mit  dem 
Monte  Pellegrino  und  eine  treffliche  Karte  von  Sicilien  aus  Stielers 
Handatlas. 

Neustrelitz.  Tb.  Becker. 


630  ^'  Rüthoing,  Landeakonde  de«  Grofsherzogtams  Oldenbarg; 

1)  G.  Rüthoiog,  Laideskaade  dea  GroTaberEogtoDS  Oldcaborg. 
Zunächst  zar  Ergauzaog  der  Schalgeographie  voa  E.  von  Seydlitz. 
Mit  einem  Karten-  and  Bilderanhang.  Breslaa,  Ferdinand  Hirt,  1893. 
39  S.    8.    0,50  M. 

Die  Landeskunde  von  Oldenburg  ist  eins  der  letzten  der  aus 
23  Heften  bestehenden  Sammlung  von  Landeskunden  deutscher 
Staaten  und  Provinzen  und  trägt  in  Stoffwahl,  Gliederung  und 
Behandlungsweise  das  Gepräge  der  Mehrzahl  dieser  von  Angehörigen 
der  betreffenden  Landschaften  verfafsten  Hefte.  Umfang  und  Be- 
völkerungszahl des  Grofsherzogtums  boten  hier  gerade  das  rechte 
Mafs,  um  auf  rund  zwei  Bogen  Text  auch  den  Einzelheiten  der 
heimischen  Landschaft  näher  treten  zu  können.  Das  Buch  läfst 
eine  gewisse  innere  Teilnahme  nicht  vermissen,  ohne  die  eine 
Kunde  der  heimatlichen  Landschaft  ungeniefsbar  sein  wurde,  und 
die  eingehende  Landeskenntnis  des  Yerf.s  drückt  sich  auch  in 
einer  grofsen  Anzahl  von  statistischen  Angaben  aus,  die  offenbar 
nicht  zum  „Lernen''  bestimmt,  aber  in  einer  Kunde  der  eigenen 
Heimat  nicht  entbehrlich  sind.  Denn  nicht  aus  Schilderungen  und 
Urteilen  allein,  sondern  aus  bestimmten  Zahlen  ffir  die  Verhält- 
nisse, die  den  Schuler  umgeben,  kann  dieser  einen  Mafsstab  filr 
fremde  oder  gröfsere  Verhältnisse  gewinnen.  Die  AusfQhrungen 
über  die  einschlägigen  Kapitel  aus  der  allgemeinen  Erdkunde  sind 
mit  anschaulicher  Klarheit  geschrieben,  so  z.  B.  das  „Klima**  (S.  13), 
wo  aber  die  allgemeine  Bemerkung  „die  Stärke  des  Windes  ist  oft 
bedeutend'*  eher  störend  als  belehrend  ist.  Dafs  „das  Moor  eine 
Ablagerung  von  Pflanzenresten**  sein  soll,  „welche  .  .  .  nicht  völlig 
zersetzt,  sondern  mehr  oder  weniger  in  Humus  verwandelt  wer- 
den*', kann  kaum  eine  richtige  Anschauung  von  seinem  Wesen 
bieten-,  auch  wird  seinem  Boden  nicht  durch  das  Brennen  in 
sechs  bis  acht  Jahren  alle  Kraft  entzogen  (S.  36),  sondern  durch 
den  düngerlosen  Anbau  von  Buchweizen.  —  Im  Bilderanhange 
steht  nur  die  „Geestlandschaft'*  nicht  auf  der  Höhe  der  in  dieser 
Sammlung  dargebotenen  Anschauungsmittel 

2)  Friedrich  Ang^nst  Finger^  Anweisung  zum  Unterricht  io  der 
Heimatkunde,  gegeben  an  dem  Beispiele  der  Gegend  von  Weinheim 
an  der  Bergstrafse.  Mit  15  Holzschnitten.  7.  Auflage  herausgegeben 
von  Heinrich  Matzat.  Berlin,  Weidmanasohe  Bnchhaudluiig,  1893. 
Xn  u.  176  S.  8.    3  M. 

Der  Text  dieses  bahnbrechenden  Buches  ist  bis  auf  einige 
Besserungen  in  der  Rechtschreibung  von  dem  Hsgb.  mit  Red^t 
unverändert  gelassen  worden,  nur  hier  und  da  hat  er  seine  ab- 
weichende Ansicht  in  Anmerkungen  kundgegeben,  die  mit  y,A.  d. 
H.'^  gekennzeichnet  sind,  und  in  der  gleichen  Weise  ein  Paar 
zweckdienliche  Ergänzungen  geboten.  Ob  das  Fingersche  Werk 
soviel  benutzt  wird,  wie  es  mufs,  scheint  doch  zweifelhaft,  sonst 
würden  sich  die  Lehrer  nicht  so  oft  zu  der  sorgenden  Frage  ver- 
anlafst  sehen,  wie  sie  den  lehrbuchlosen  Unterricht  in  der  Heimat- 
kunde in  der  Sexta  gestalten  sollen. 


H,  Lanser,  Der  erdkuodl.  Uaterr.,  ags.  von  fi.  Oahlmann.   63t 

3)  B.  Lanaer,  Dia  VarhaodloDgeB  der  Berlioer  Sehaleofiadte- 
KoBBDiission  mit  Röcksicht  auf  den  erdkaodlicheo  Uater- 
rieht  und  ein  Vorschlag  zar  Neo|;e8taItniig  desselhen  ao  unseren 
Gymoasieo  und  Realschnleo.   Wien,  Ed.  Hölzel,  1893.  44  S.  gr.  8.  1  M. 

Der  iweite,  in  kleineren  Lettern  gedruckte  Teil  des  Titels, 
der  die  Neugestaltung  des  erdkundlichen  Unterrichts  an  den 
österreichischen  Mittelschulen  behandelt,  bezeichnet  den  eigent- 
lichen Inhalt  des  Schriftchens.  Scharfe,  aber  ohne  ausreichende 
Beweisfuhriing  hingeworfene  Urteile  über  das  firuher  hochgeschätzte, 
„jetzt  aber  immer  mehr  zerrüttete''  preafsische  Gymnasial wesen, 
zerrüttet,  weil  „infolge  der  stets  zu  Tage  getretenen  sorgfältigen 
Intakthaltung  des  Bestehenden  in  der  Hauptsache  und  nahezu 
gänzlichen  Aufserachtlassong  der  Forderung  der  Zeit  ein  fast 
starres  Stabilitätsprinzip''  (!)  eingetreten  ist  —  scharfe  Worte  über 
die  „manchmal  geradezu  naive  Meinungsäufserung"  der  Berliner 
Kommission  bilden  nur  die  Einleitung  zu  jenem  Hauptteile.  In 
diesem  wird  mit  warmer  Beredsamkeit  unter  Anführung  mannig- 
facher Urteile  von  Gebildeten  überhaupt  und  Fachleuten  im  be- 
sondern  von  diesseits  wie  jenseits  des  Böhmerwaldes  der  bildende 
Wert  der  Erdkunde  und  ein  selbständiger,  auf  die  oberen  Klassen 
auszudehnender  Unterricht  darin  verfochten,  Darlegungen,  die 
durchaus  BilKgung  verdienen.  Im  Grunde  freilich  will  der  Verf. 
viel  mehr,  nämlich  die  Erdkunde  zu  einem  Konzentrations- 
punkte nicht  nur  der  naturwissenschaftlichen  Fächer,  sondern 
auch  noch  anderer,  so  der  Geschichte,  gestalten.  Aber  schliefslich 
gipfeln  doch  seine  Ausführungen  in  jenem  bescheideneren  und 
darum  vielleicht  praktischeren  Ziele.  Leider  sucht  er  sich  den 
Weg  zu  diesem  zu  bahnen  durch  einen  erregten  Feldzug  gegen 
den  Unterricht  in  den  klassischen  Sprachen  und  trägt  so  wieder 
dazu  bei,  den  Anschein  zu  erwecken,  als  ob  ein  Geograph  berufs- 
mäCsig  ein  Feind  jenes  Unterrichts  sein  mfifste. 

Hannover-Linden.  E.  Oehlmann. 


W.  Breslieb  ond  O.  Koepert,  Bilder  aus  dem  Tier-  und  Pflan- 
zen reiche.  Für  Schale  ond  Haas  bearbeitet.  Heft  1.  Säugetiere. 
Alteoborg,  Stephan  Geibel.    III  u.  205  S.  8.    2,60  M. 

Das  ganze  Werk  ist  auf  etwa  40  Bogen  berechnet  und  zerfällt 
in  zwei  Hauplteile  zu  zwei  Heften,  von  denen  das  erste  vorliegt. 
Das  zweite  Heft  wird  Vögel  und  Repräsentanten  der  übrigen 
Wirbeltiere  bringen.  Innerhalb  des  zweiten  Teiles  wird  das  dritte 
Heft  Bilder  aus  der  niederen  Tierwelt  und  das  vierte  Bilder  aus 
der  Pflanzenwelt  mit  ganz  spezieller  Berücksichtigung  der  Kultur- 
gewächse und  ihrer  Feinde,  sowie  der  technischen  Verwendung 
der  Pflanzen  enthalten.  Die  Verfl*.  wollen  nicht  ein  Lehrbuch  der 
Zoologie  und  Botanik  darbieten,  sondern  ein  solches  ergänzen, 
indem  sie  die  Lebenserscheinungen  der  wichtigsten  organischen 
Naturkörper  an  der  Hand  einiger  konkreter  Fälle  schildern.  Das 
Buch  soll    einen    kurzen  Auszug  aus  den  hauptsächlichsten  biolo- 


632  Bi'<*)i<'l>'-Koepert,  Tier- a.  Plaoceoreieb,  a^z.  v.  M.  Pa«pr«r. 

giscben  Werken  bieten  und  dem  Schüler  zum  Nachlesen  dienen, 
dem  Lehrer  aber  zu  raschem  Überbh'ck  verhelfen.    Auf  Beschrei- 
bungen, die  jeder  Leitfaden  bietet,  gehen  die  Verff«  im  allgemeinen 
nicht  ein;   auch  sind  Abbildungen,   wohl  aus  demselben  Grunde, 
nicht   beigegeben.     Die  im  vorliegenden  Hefte  behandelten  Tiere 
sind  zweckmäfsig  ausgewählt;    an  jeder  höheren  Schule  wird  die 
gröfste  Mehrzahl  derselben  durchgenommen  werden.   Wo  etwa  von 
einer  Familie,  wie  von  den  Katzen,  besonders  viele  Vertreter  be- 
sprochen werden,  erscheint  die  Aufnahme  durch  die  Röcksicht  auf 
die  Geographie  gerechtfertigt.   Vielleicht  hätten  einige  andere  Tiere, 
wie  GiraiTe  oder  Faultier,  noch  Platz  finden  können.  In  den  ein- 
zelnen Abschnitten   ist   selbstverständlich   Brehms    Tierleben   oft 
citiert;  daneben  ist  eine  reiche  Zahl  anderer  Werke  benutzt  wor- 
den.    Das    notwendige   Material   ist    meist  vollständig  gesaaimelt. 
Wenige  Ausstellungen  sind  zu  machen.  So  wird  nach  Brehm  be- 
hauptet,   dafs  der  Igel  gegen   den  Bifs  der  Kreuzotter  gefeit  sei. 
Dazu  hätte  wohl  angeführt  werden  müssen,  dafs  nach  den  Beob- 
achtungen anderer  Forscher  der  Igel  stirbt,    sobald  ihm  das  Gift 
der  Kreuzotter  ins  Blut   gelangt.     Vgl.  Lachmann,    die  Reptilien 
und  Amphibien  Deutschlands  in  Wort  und  Bild.    Ferner  erscheint 
die  Charakteristik    des  Wolfes  zu  ungünstig.    Die  Darstellung  ist 
gefallig,  doch  fallen  einige  Härten  des  Ausdrucks  auf,  z.  B.  S.  163: 
„Einzelne  Tiere,  fast  stets  alte  Hirsche,  werden  höchst  selten  an- 
getroffen*'.    Die  Ausstattung  ist  gut     Von  Druckfehlern   ist    mir 
aufgefallen  auf  S.  t9  Vesperugo  noctiluca  für  nodula. 

Das  Buch  wird  auch  an  höheren  Schulen  dem  Lehrer  der 
Naturwissenschaften  nützlich  sein.  Zwar  werden  in  der  Bibliothek 
eine  wenn  auch  ältere  AuQage  von  Brehms  Tierleben  und  Leunis' 
Synopsis  selten  fehlen,  aber  die  anderen  benutzten  Werke  sind 
dem  Lehrer  meist  nicht  zur  Hand,  nur  sehr  gut  dotierte  Biblio- 
theken werden  sie  besitzen.  Noch  mohr  wird  das  Buch  für  Volks- 
schulen, vor  allen  Dingen  kleinerer  Orte,  einem  wirklichen  Be- 
dürfnisse abhelfen  können.  Ganz  besonders  aber  ist  es  für  die 
Hand  der  Schüler  geeignet:  zur  Anschaffung  für  Schülerbiblio- 
theken und  zu  etwaigen  Prämien  ist  es  sehr  zu  empfehlen. 

Seehausen  i.  d.  Altmark.  H.  Paeprer. 


1)  H.  Heilerinano  und  J.  Diekmano,  Gruodlehreo  der  Tri|fODo- 
metrie  uod  Stereometrie.  Tl.  Teil.  Stereometrie  mit  26  Fi- 
poren,  zahlreicheo  Oboo^eo  uod  Anfgpabeo.  Esaeo,  G.  D.  Baedeker, 
1890.    43  S.  8.    0,40  M. 

Das  Heftchen  —  die  Besprechung  des  ersten  Teils  s.  diese 
Zeitschrift  1890  S.  160—162  -  bietet  unseren  höheren  Schulen 
den  eisernen  Bestand  der  stereometrischen  Sätze  und  Grundauf- 
gaben in  pädagogisch  bewährter  Darstellung.  Gegen  die  Anord- 
nung der  Sätze  wäre  ein  Bedenken  geltend  zu  machen.   Der  Satz: 


Lehrb.  d.Trif  oDosetrie  n.Stereometrie,  agz.  v.  A.£iii^ie rieh.  633 

,,Steben  zwei  Ebenen  auf  einer  driUen  senkrecht  ^  so  sieht  auch 
ihre  Schnittlinie  auf  der  dritten  Ebene  senkrecht'*  fehlt  an  seiner 
Stelle;  statt  dessen  finden  sieb  die  den  Beweis  enthaltenden 
Schlüsse  nachher  beim  Beweise  des  Satzes:  „Fällt  man  von  einem 
Punkte  innerhalb  eines  Fiächenwinkels  Lote  auf  die  Schenkel- 
blitter,  so  steht  die  Ebene  dieser  Lote  senkrecht  auf  der  Scheitel- 
kante des  Flächenwinkels**.  Hier  wäre  eine  Vereinfachung  im 
Sinne  der  hergebrachten  Darstellung  wünschenswert. 

Das  Cavalierische  Prinzip  wird  bei  der  Kubatur  des  Prismas 
aufgestellt  und  benutzt ;  bei  der  Kugel  wird  auf  seine  Anwendung 
verzichtet  und  damit  die  natQrliche  Ordnung,  von  der  Oberfläche 
zum  Volumen,  eingehalten.  Als  geeignetes  Übungsmaterial  sind 
die  verschiedenen  Netzkonstruktionen  der  dreiseitigen  Ecke  ein- 
geflochten ;  die  am  Schlüsse  beigefugten  (79)  Berechnungsaufgaben 
tragen  in  der  Mehrzahl  ein  praktisches  Gepräge. 

Das  Buchlein  eignet  sich  m.  E.  trefflich  zu  dem  Zwecke,  für 
den  es  geschrieben  ist,  nämlich  zum  Gebrauche  in  der  1.  Klasse 
der  Realschulen.  Was  hier  auf  36  Seiten  an  systematischer  Stereo- 
metrie geboten  wird,  dürfte  übrigens  auch  für  den  Gymnasial- 
primaner als  ausreichend  befunden  werden.  Das  Heft  sei  daher 
der  Beachtung  aller  Fachgenossen  bestens  empfohlen. 

2)  Carl   Spitx,    Lehrbuch    der  Stereometrie   nebst   eioer  Saimnlang 

von  4)50  ÜboDgsaufgaben  zum  Gebrauehe  ao  höheren  Lehranstalten  and 
beim  MbststadiBm.  Mit  114Fi|^Qren  im  Text.  Sechste,  verbesserte 
nnd  vermehrte  Anfiase.  Leipzig,  C  F.  Winter,  1890.  XII  u.  201  S. 
8.     3  M. 

— ,  Anhang  zu  dem  Lehrbuche  der  Stereometrie  von  Carl  Spitz.  Die 
Resultate  und  Andeutungen  zur  Auflösung  der  in  dem  Lebrbuche  be- 
fiodlicben  Aufgaben  enthaltend.  Sechste,  verbesserte  und  vermehrte 
AuBage.     Mit  15  Figuren  im  Text.     ibid.  1890.     39  S.   8.    0,80  M. 

Die  Spilzschen  Lehrbucher  gehören  zu  den  älteren,  mit 
grofser  Klarheit  und  Ausführlichkeit  geschriebenen  Elementar- 
werken,  die  dem  Autodidakten  auch  noch  heutigen  Tages  in  erster 
Linie  zu  empfehlen  sind.  Unsere  Vorlage  beschränkt  sich  übrigens 
nicht  auf  die  Grundlehren,  sie  behandelt  teils  bei  den  Lehrsätzen, 
teils  in  gesondert  zusammengestellten  Obungen  einige  Eigenschaften 
des  sphärischen  Dreiecks,  das  Taktionsproblem  der  Kugeln,  ferner 
die  Berechnung  der  regulären  Polyeder,  sowie  der  ringförmigen 
Körper,  wobei  die  Guldinsche  Regel  für  einen  besonderen  Fall 
bewiesen  wird.  —  Der  Anhang  giebt  Andeutungen  zu  den  Be- 
weisen der  Obungssätze,  die  Auflösungen  der  Konstruktionsauf- 
gaben und  die  Resultate  der  auf  die  Körperlebre  bezuglichen 
Rechenaufgaben. 

3)  Franz  Lücke,    Leitfaden    der   Stereometrie   für  den  Schulunter- 

richt    Mit  9  lithographierten  Tafeln.     Leipzig,  B.  G.  Teubner,  1890. 
X  u.  204  S.   8.    2,80  M. 

Die  besondere  Eigentümlichkeit  dieses  sorgfältig  bearbeiteten 
Buches   besteht   in    der  ausfuhrlichen  Behandlung    des  „Zentral- 


634  Lehrb.d. Trigoa ometrieo.Stere ome tri e, •;£.▼.  A.BiiBerioh. 

körpers  mit  geraden  Seitenkanten"  und  seiner  Sonderfalle.  Dieter 
von  HeiDze  so  genannte  Zentralkörper  stellt  eine  Verallgemeine- 
rung des  Körperstumpfes  dar,  indem  die  Grundflächen  auch 
krummlinig,  die  Seitenflächen  auch  windschief  (Regelflächen)  sein 
können.  Vermittelst  der  vorausgeschickten  Berechnung  der  ele- 
mentaren Körper  mit  ebenflächigem  oder  abwickelbarem  Mantel 
gelingt  der  Beweis,  dafs  die  Kubatur  des  Zeotralkörpers  nach  der 
Simpsonschen  Regel  erfolgt.  Hierauf  wird  für  eine  überaus  grolse 
Zahl  von  Sonderfällen  der  Mittelschnitt  und  damit  das  Volumen 
bestimmt.  Auf  die  Behandlung  der  Polyeder,  insbesondere  der 
regelmäfsigen,  deren  Volumen,  Oberfläche  und  Flächenwinkel  be- 
rechnet werden,  folgt  dann  als  weiterer  Hauptabschnitt  die  Be- 
rechnung der  Kugel  und  der  „sphärischen  Körper''.  Nachdem 
die  Kubatur  der  ersteren  vermittelst  des  Cavalierischen  Grund- 
satzes geleistet  ist,  wird  gezeigt,  dafs  auch  die  köiperliche  Kogel- 
zone  und  allgemeiner  der  „Zentralkörper  mit  kreisbogenförmigen 
Seitenkanten''  sich  jener  Regel  fügen.  So  eröfl'net  sich  eine  neue 
Quelle  für  zahlreiche  Spezialisierungen. 

Im  Vorhergehenden  ist  betont,  was  unsere  Vorlage  von  an- 
deren für  den  Schulunterricht  bestimmten  Leitfäden  der  Stereo- 
metrie unterscheidet.  Das  Referat  wäre  unvollständig,  wenn  nicht 
gesagt  würde,  dafs  in  den  ersten  Kapiteln  auch  die  Beziehungen 
der  Punkte,  Geraden  und  Ebenen  untersucht,  dafs  nachher  die 
Eigenschaften  der  Körper  in  dem  erforderlichen  Umfange  ent- 
wickelt werden;  dazu  kommt,  dafs  in  einer  angehängten  Samm- 
lung von  243  Aufgaben  für  die  Einübung  der  in  den  verschiedenen 
Kapiteln  entwickelten  Sätze  gesorgt  wird. 

Was  nun  die  Eigenart  des  Buches  anbetriflt,  so  ist  her- 
vorzuheben, dafs  die  Berechnung  des  Zentralkörpers  über  das 
Verständnis  eines  Gymnasialprimaners  nicht  hinausgeht,  und  dafs 
die  zugehörigen  Anwendungen  entschiedenes  Interesse  bieten; 
unter  den  für  eine  methodische  Durcharbeitung  besonders  geeig- 
neten Gruppen  stereometrischer  Aufgaben  nimmt  die  hier  mit 
grolser  Liebe  und  Sorgfalt  behandelte  einen  beachtenswerten 
Platz  ein. 

Mülheim  a.  d.  Ruhr.  A.  Emmerich. 


DRITTE  ABTEILUNG. 


BERICHTE  ÜBER  VERSAMMLUNGEN,  NEKROLOGE, 

MISGELLEN. 


Die  42.  Versammlung  deutscher  Philologen  und  Schulmänner 

in  Wien  vom  24.-27.  Mai  1893. 

AU  die  zo  Pfiug^sten  1891  in  Mäocheo  tagende  41.  Versammloog  deut- 
scher Philologen  nod  SchnlmSnner  Wien  zum  näehsten  Versammlungsorte 
nod  den  Direktor  der  kaiserlichen  Hofbibliothek  in  Wien,  Uoiversitätspro- 
fesnor  Hofrat  Dr.  Wilhelm  von  Hartel  zara  ersten,  den  Direktor  des 
Gyanasiums  der  Theresianischen  Akademie,  Regiernngsrat  Dr.  Alois  Bgger 
von  MSUwald,  zum  zweiten  Präsidenten  gewählt  hatte,  waren  sämtliche 
aa  dem  Gelingen  der  konftigen  Versammlung  beteiligten  Paktoren  darin 
einig,  dafs  der  nach  35  Jahren  wieder  in  der  Hauptstadt  Österreichs  tagende 
Koogrefs  nicht  nur  seine  gewöhnlichen,  durch  altehrwürdige  Tradition  ge- 
regelten Aufgaben  zu  erfüllen  habe,  sondern  aufserdem  die  kulturelle  Mission 
anf  sich  nehmen  müsse,  die  Fortschritte  Österreichs  in  geistiger  Bezif^hnng, 
auf  den  Gebieten  der  Wissenschaft  einerseits,  des  höhereo  Sehulweseos  an 
dererseits,  in  möglichst  vielseitiger  Weise  den  zahlreich  zu  erwartenden 
niehtosterreiehischen  Teilnehmern  vorzuführen  und  ihnen  so  das  Vorurteil 
vom  geistigen  Phäakentam  Österreichs  zu  benehmen,  das  auch  noch  in  der 
jÜBgateo  Zeit  erfahrungsgemäfs  selbst  bei  sonst  billig  denkenden  Männern 
herrschte:  Wien  sollte  sich  als  Phäakenstadt  im  guten  Sinne  des  Wortes 
bewähren,  Österreich  sieh  die  Nachrede,  ein  erster  Rulturstaat  auf  geistigem 
Gebiet  voll  und  ganz  geworden  zu  sein,  erwerben. 

In  nicht  genug  anzuerkennender  Weise  wurde  die  Durchführung  dieser 
leitenden  Gedanken  von  der  obersten  staatliehen  Unterrichtsverwaltnng 
Österreichs  gefördert,  deren  Chef,  Unterrichtsminister  Freiherr  v.  Gau  t seh, 
einerseits  die  erhabene  Person  seines  Monarchen  derart  für  die  idealen  Ziele 
■ad  Bestrebungen  der  Versammlung  zu  interessieren  wufste,  dafs  der  Kaiser 
von  Osterreich  alle  Teilnehmer  zu  einer  Soiree  zu  sich  in  die  Bnrg  seiner 
Ahnen  zu  laden  geruhte,  und  andererseits  im  Einvernehmen  mit  den  Uni- 
versitätshehörden  anordnete,  dafs  die  Enthüllung  eines  Denkmals,  das  der 
dankbare  Staat  den  um  die  Wissenschaft  und  Schule  gleich  verdienten  Be- 
gröadem  der  neuen  österreichischen  Mittelschule,  Thun-Hohenstein,  Exner 
und    Bonitz    setzte,    den    Festlichkeiten    des   Kongresses    eiogefdgt   werde. 


638  D«  42.  Versamml.  deats  eh.  Philologen  n.  Sc  hnlmSoDerioWieo, 

Graz.  Graz  1893  (VerlagsbochhaDdlong  der  „Styria").  217  S.  gr.  8«.  (lo- 
halt:  1.  Zur  neugriechischen  Gramnatik  von  G.  Meyer.  —  2.  Eioe  Aus- 
lese altdeutscher  Segensforraelo  voo  A.  fi.  Schön ba eh.  —  3.  Indogerma- 
nische Gebräuche  beim  Haarsehneiden  von  J.  Kirste.  —  4.  Die  homerisdie 
Palastbeschreibnng  in  Od.  x  126—143  und  ihre  alten  ErklSrer  von  H.  Sehen  kl. 

—  5.  Die  Chronologie  des  Peisistratos  und  seiner  S5hne  von  A.  Bauer. — 
6.  Die  groFse  eherne  Athena  des  Pheidias  von  W.  Gurlitt  —  7.  Zur  fir- 
klärnog  und  Kritik    des    platonischen  Dialoges  Lysis  von  A.  Goldbaeher. 

—  8.  Die  Tyehe  von  Konstantinopel  von  J.  Strzygowski. —  9.  Ober  den 
Bau  der  Hezitativpartieen  der  griechischen  Tragiker  und  den  Prolog  im  sopho- 
kleischen  Aias  von  M.  v.  Karajan.  —  10.  Zur  Geschichte  rnssiseher 
Hochzeitsbräuche  von  G.  Krek.  —  11.  Der  mehrzielige  Frage-  und  Relativ- 
satz von  H.  Schuchardt).  —  XI.  Festgrufs  aus  Innsbruck.  Innsbruck  1893 
(Wagner).  203  S.  (Inhalt:  1.  Über  die  Originalität  der  Naturales  Qnaestiones 
Senecas  voo  J.  Maller.  —  2.  Der  Humanismus  in  Tirol  unter  Erzherzog 
Sigmund  dem  Müozreichen  von  A.  Zingerle.  —  3.  Ober  die  niederrhei- 
nische  Reimchrooik  der  Schlacht  bei  GSllheim  von  J.  Seemüller.  —  4. 
Beiträge  zur  lateinischen  Etymologie  und  Grammatik  voo  Fr.  Stolz.  — 
6.  Römische  Studien  von  R.  v.  Scala.  —  6.  Ein  vermeintliches  Werk  des 
Euphranor  von  E.  Reisch.  —  7.  Ober  die  Trugschlüsse  der  griechischen 
Philosophen  von  C.  Oberhorst).  —  XII.  Analecta  Graeco-Latina.  Philo- 
logis  Vindobooae  congregatis  obtulerunt  collegae  Cracovienses  et  Leopolitani. 
Cracoviae  1893  (apud  bibliopolam  societatis  librariae  Polooicae).  68  S. 
(Inhalt:  1.  St.  Witkowski,  Observationes  metricae  ad  Herodam.  —  2.  B. 
Kruczkiewicz,  Livianura.  —  3.  A.  Miodonski,  Anonymi  de  ortu  et 
obitu  Patrum.    —    4.  C.  Morawski,   Qoaestiooum  Valerianamm  specinen. 

—  5.  L.  Stern  back,  De  Georgio  Pisida  Nonni  sectatore.  —  6.  P.  Bien- 
kowski,  De  perioches  Homericae  exordio  tegulae  inscripto.  —  7.  St.  Paw- 
licki,  De  Thrasyllo  operum  Piatonis  editore).  —  XIII.  Xenia  Austriaca. 
Festschrift  der  österreichischen  Mittelschulen.  2  Bände  (1523  S.  gr.  S^)  in 
8  Abteilungen.  Wien  1893  (Karl  Gerolds  Sohn).  (Abt.  I.  Klassische  Phi- 
lologie und  Archäologie.  332  S.:  1.  Viodobona  von  W.  Knbitschek.  — 
2.  Ein  griechischer  Heiratskontrakt  vom  Jahre  136  n.  Chr.  von  K.  Wessely. 

—  3.  Zur  Geschichte  des  griechischen  Mimus  von  K.  Hauler.  —  4.  Lexi- 
kalisch-Kritisches aus  Porphyrie  von  J.  Stowasse r.  —  5.  Die  Verba  des 
Befehlens  in  den  indogermanischen  Sprachen  von  V.  Hin  tue  r.  —  6.  Zur 
mefarfochen  präfixalen  Zusammensetzung  im  Griechischen  von  P.  Schubert« 

—  7.  Aufgaben  eines  zukünftigen  griechischen  Staatsrechtes  vonV.  Thum- 
ser.  —  8.  Fundkarte  von  Aquileia  von  H.  Majonica.  —  Abt  H.  Deutsche 
Sprache  nnd  Litteratur  99  S.:  1.  Des  hundes  n6t.  Untersucht  und  heraus- 
gegeben von  K.  Reifs en berger.  —  2.  Martinus  Bohemus  von  F.  Spengler. 

—  3*  Grillparzer  unter  Goethes  Binflufs  von  G.  Waniek.  —  Abt.  DI. 
Moderne  Philologie.  222  S.:  1.  Katechismus  der  katholischen  Glaubenslehre 
der  Ilongoten -Sprache,  verfafst  von  Fray  Francisco  de  la  Zarza,  in  Druck 
gelegt  nnd  mit  Äquivalenten  des  Ilongottextes  in  spanischer,  beziehungsweise 
tagalischer  und  maguindanauischer  Sprache  herausgegeben  von  Ferdinand 
Blnmentritt.  —  2.  Die  mährische  Mundart  der  Romsprache  von  R.  von 
Sowa.  —  3.  Englische  Synonyma.  Aus  Nader  und  Wiirzner:  ,,BIeBeiitnr- 
buch    der   englischen  Sprache"    und   „Englisches  Lesebuch"  ffir  den  Sctal- 


von  A.  Engelbrecht.  ^39 

gebnach  zosammeugeiitelU  vod  £.  Nader.  —  4.  SyoUktische  Uoter- 
siehoBgeo  so  der  Sprache  der  mittelefiglUcbeo  Romanze  von  Sir  Pereeval 
of  Galles  von  J.  fillinger.  —  5.  Die  Orthographie  der  beiden  Qaarto- 
Aasgabeo  von  Shakespeares  SommeroachUtraaB  von  A.  WUrzaer.  —  6 
Die  istrianischen  Muodarten  von  A.  Ive.  —  AbC  IV.  Geachichte  und  Kaost- 
geschichte.  225  S.:  1.  Ein  Salzbargiaches  Registerboeh  des  ]4.  Jahrhno- 
derts   von    W.  Hanthaler.   —   2.    Der   Oillier   Erbstreit   voo    A.  Gabo. 

—  3.  Znr  Geschichte  einiger  Reichsstädte  in  den  letzten  Zeiten  des  Reiches 
von  E.  Gaglia.  —  4.  Die  gotische  Kircheabankanst  ia  Khrntbea  von  F. 
Haan.  —  5.  Radolf  II.  als  Därersanmler  von  J.  Neawirth.  —  Abt.  V. 
Mathematik  and  darstellende  Geometrie.  194  S. :  1.  Die]  Sprache  der 
Mathematik  von  E.  Linde othal.  —  2.  Zar  Reform  des  aaalytiseh-geo- 
metriseheo  Unterrichts  in  den  Mittelschaleo  von  H.  Wittek.  —  3.  Zur 
KegeUchoittlehre  von  F.  Halaschka.  —  4.  Ein  Beitrag  zur  Rektifikation 
der  Kurven  voo  A.  Walter.  —  5.  Über  Plankarven  vierter  Ordnung  vom 
Geschlechte  p=s\  und  ihre  typischen  Formen  von  W.  Binder.  —  Abt.  VI. 
Physik  und  Chemie.  179  S.:  1.  Die  Verwendung  der  Oxalsäure  zu  Experi- 
Beaten  and  Reaktioaen  von  J.  Sonntag.  —  2.  Der  Ätherdmck  als  ein- 
heitliche Natarkraft  von  H.  Jaauschke.  —  3.  Die  tägliche  Periode  der 
Geschwindigkeit  und  Richtung  des  Windes  in  Kremsmünster  von  C.  Wagner. 

—  4.  Über  die  Schwere  auf  der  Oberfläche  der  Erde  voo  H.  v.  Höpflingen. 

—  5.  Über  einige  Folgerungen  aus  der  Theorie  der  Elektrizität  von  Max- 
well  von  J.  G.  Wall  entin.  —  6.  Über  die  Beugung  des  Lichts  durch  ein 
ebenes  Doppelgittor  von  K.  Exner.  —  Abt.  VII.  Naturgeschichte.  100  S.: 
1.  Znr  Coochylienfauna  von  China  von  V.  G red  1er.  —  2.  Der  Legföhren- 
wald  von  J.  Gremblich.  —  3.  ,,Der  Stock  im  £isen^<  der  Sudt  Wien 
von  A.  Barger  st  ein.  ^  Abt.  VIII.  Philosophie  und  Pädagogik.  172  S.: 
1.  Die  Gesetze  des  Urteilsverhältaisses  der  Einordnung  (Subalternation)  als 
Geaetze  des  Lebens  —  geselligen  Vereiaens  der  Menschen  —  der  Staatea 
und  Volker  von  S.  Gscbwandner.  —  2.  D.  G.  Morhof  und  sein  Poly- 
histor von  W.  Eymer.  —  3.  Zur  Methodik  des  geographischen  Unter- 
richtes. Der  Umrifs  Asiens  im  Unterricht  der  zweiten  Gymnasialklasse  von 
W.  Schmidt.  —  4.  Über  systeamtische  Behandlung  der  BagrilTslehre  im 
Logikaoterricht  von  G.  Speagler.  —  5.  Hygienische  Fortschritte  der  öster- 
reichischen Mittelschulen  seit  September  1890  von  L.  Burg  er  stein.)  — 
XIV.  Aus  dem  Theresianam.  Festgabe  der  k.  k.  Theresianischen  Akademie 
in  Wien.  Wien  1893  (Selbstverlag).  (Inhalt:  1.  Grundzuge  der  Orgaui- 
satioo  der  k.  k.  Theresia oischen  Akademie.  Mit  einer  einleitenden  geschicht- 
lichen Obersieht  voo  H.  Rak.  61  S.  —  2.  Studien  zu  den  Annalen  des 
Tadtaa.  Von  F.  Zöehbauer.  122  S.  —  3.  Das  Titelwesen  hei  den  spät- 
lateiniaehen  Epistel ographen  von  A.  Engel  brecht.  59  S.).  —  XV.  Die 
Waaderversammlong  deutscher  Philologen  und  Schulmänner  von  Egg  er- 
Moll wald.  Wien  1893  (Holder).  U  S.  —  XVL  Aas  der  Hekale  des 
Kallinachus.  Neue  Bruchstücke  (auf  einer  Holztafel  aus  der  Sammlung  der 
Papyrus  Erzherzog  Rainer)  anläfslieh  der  42.  Versammluag  der  Philologen 
und  Schulmänner  herausgegeben  von  Th.  Gomperz.  Wien  1893.  (Sepa- 
ratahdruck  ans  dem  VL  Baade  der  „Mitteilungea  aus  der  Sammlung  der  Pa- 
pyma  Erzherzog  Rainer''.)  1$  S.  gr.  4^  mit  2  Doppeltafela  (LichtdruAk 
ud  Faatimile).  —   XVIl  Eis  Idyll  ^w  Mazimns  PlaDodes.    FMtgrafs  von 


640  D.  42.  Versamml.  deutsch.  Philologen  u.SchnlmiiooeriDWieo, 

C.  V.  Holzioger.  Wieo  1899  (C.  Gerolds  Soho).  37  S.  —  XVIII.  Eilige 
Bemerkaogen  über  die  Kompositioa  des  sophokleischeo  Philoktet  Be- 
grürsnogssehrift  von  L.  Cwiklioski.     Lemberg  1893  (Selbstverlag).  15  S. 

—  XIX.  Die  Sinnbilder  and  Beiworte  Mirieos  in  der  deutschen  Litterator 
und  lateinischen  ffymneupoesie  des  Mittelalters  mit  Berüeksiehtigvog  der 
patristiscben  Litteratnr.  Eine  litterarhistorische  Stadie  von  A.  Salzer. 
Festgabe  des  Gyanasiums  der  Benediktiner  zu  Seiteostetten  in  Niederöster- 
reich. Linz  1893  (Selbstverlag).  XI  and  617  S.  —  XX.  Schillers  Ahhand- 
lang  über  die  Gesetzgebung  des  Lykurg  der  42.  V.  d.  Pb.  u.  Seh.  als  Probe 
einer  (Ibersetznog  ans  dem  klassischen  Deatscfaen  in  das  klassische  Griechisdi 
vorgelegt  von  K.  Jülg.  Trieot  1893  (Selbstverlag).  31  S.  —  XXL  Tezt- 
und  Dmckprobe  aus  dem  lateinisch -deutschen  Schulwörterbuch  von  J.  M. 
Stow  aaser.  Vorgelegt  d.  42.  V.  d.  Ph.  u.  Seh.  Wien,  Prag,  Leipzig  1893 
(Tempsky-FreyUg).  32  S.  gr.  4°.  —  XXU.  FesUchrift  der  Zeitochrift  fiir 
vergleichende  Litteratorgeschiclite.  57  S.  (Sondern bdrock:  1.  Haroack, 
Raffael  Mengs  Schriften  und  ihr  Einflufs  aofLessiog  und  Goethe.  — 2.  Gol- 
ther,  Die  Edda  in  deutscher  Nachbildung).  —  XXIII.  Relief  des  Lakrateides, 
gefunden  im  Plutoaheiligtom  in  Eieasis.  Zusammengesetzt  von  R.  üeberdey 
und  W.  ReicheL  Zinkdruck.  —  XXIV.  Gedenkblatt,  entworfen  und  ge- 
zeichnet von  A.  Prix,  in  Lichtdruck  hergestellt  von  M.  JaBe. 

Aofser  diesen  Widmungen,  die  in  Auflagen  von  je  50,  100,  200,  300, 
500,  ßOO,  700  und  1000  Exemplaren  den  Teilnehmern  gespendet  wurden, 
gelangten  folgende  Publikationen  zur  allgemeinen  Verteilong:  XXV.  Plan 
der  Stadt  Wien  oebst  Führer  durch  Grofs-Wien.  —  XXVI.  Führer  durch 
Carnuntum  von  Kubitschek  und  Frankfurter.  2.  Aufl.  Wien  1891 
(Lechner).  87  S.  —  XXVII.  Das  Heidenlhor  (bei  Petroneli  -  Carnuntum). 
Sonderabdruck  aus  dem  Ausgrabungsbericht  des  Vereins  „Carnuntum'*  für  das 
Jahr  1891.  Wien  1893.  20  S.  —  XXVIIL  Verzeichnis  der  im  grofscn 
Saale  der  k.  k.  Hofbibliothek  zu  Wien  ausgestellten  Schaustücke.  Wien  1893 
(Verlag  der  k.  k.  Hofbibliothek).    20  S. 

An  Gelegenheitsgedichten  erschienen:  XXIX.  Poetische  Fingblatter. 
Wien  1893  (Holzhausen).  (Inhalt:  1.  Znov^at  [in  der  Form  eines  tragischen 
Chorliedes]  von  A.  Stitz.  —  2.  Lateinischer  Festgrufs  in  drei  alkaeischea 
Strophen  von  G.  Grünes.  —  3.  In  der  Kaiserburg  [Gelegenheitsgedicht  ans 
Anlafs  des  Empfanges  bei  Hofe]  von  Leo  Smolle.  —  4.  B^was  fitxQd), — 
XXX.  Xenien  der  42.  Vers.  d.  Ph.  u.  Seh.  dargebracht  von  J.  Stritar  nad 
F.  Raab.    (Inhalt:   Gedicht  in  lateinischen  Distichen:   Hospitibus'Phaeaces. 

—  Grufsparabase). 

Schliefslich  wurden  der  Versammlung  von  den  Verfassern  oder  Ver- 
legern überreicht:  XXXL  Der  Müller  am  Anio.  Eine  altrömische  Komödie 
von  Fritz  Pichler.  Graz  1893  (Lenschner  und  Lubensky).  80  S.  — 
XXXII.  Die  BibUothek  des  Dichters  Nikolaus  Zrioyi.  Mit  dem  Porträt  des 
Dichters.  Wieo  1893  (Verlag  S.  Kende).  88  S.  —  XXXHI.  ArUrias 
Ortslexikon  der  österreichisch-ungarischen  Monarchie.  79  S.  —  XXXIV.  Die 
Schule  und  der  organische  Bau  der  Volksschule  in  Frankreich  von  0.  Mey. 
Berlin  1893.  —  XXXV.  1.  Jahresbericht  des  wissenchaftlichen  Vereins  Tur 
Volkskunde  und  Linguistik  in  Prag,  mit  einer  Abhandlung  über  Raben  und 
Krähen  im  Altertum.  —  XXXVL  Chronik  des  Wiener  Goethe- Vereins  vom 
23.  Mai  1893  (Festnnmmer).    —    XXXVU.   Österreichisches   LitteraturUatt 


voo  A.  fiagelbrecht.  54t 

der  Leo -GMeli Schaft.  I^r.  10  and  DeaUche  Litteraturzeitaag.  —  XXXVIII. 
JtlirMberiehte  fiir  neaere  deoUclie  Litteratargeschichtc,  herausgegeben  voa 
Elias,  Herrmann,  Szamatolski.  11.  Bd.  1891.  Bogea  I.  —  XXXIX. 
Das  konmerzielle  Bildaogsweaen  Id  Osterreieh-dogaro,  auf  Graadlage  des 
elemeotareo  and  mittleren  Unterrichtes  und  die  kanfmiinniscben  Lehranstaitf  n 
des  dentschea  Reiches  von  F.  Glaser.  Wien  1893  (HSlder).  —  XXXX. 
Ober  ürsproog  nod  Bedeatang  dec  Namens  Germanen  von  Schieren berg 
(Ansschaitt).  —  XXXXI.  Mitteila ngen  der  Gesellschaft  für  deutsche  £r- 
xiehnngS'  and  Schulgeschichte,  herausgegeben  von  Karl  Kehrbach.  Jahrg> 
III.  Heft  1.  ~  XXXXII.  Ein  Find  Syrakusaner  Tetradrachmen  von  V.  v. 
Rena  er.  —  XXXXlil.  Gymnastik  für  die  Jugend  von  Gutsmuths. 
JaMlänmaaosgabe  von  G.  Lukas.  Wien,  Leipzig  1893  (Pichlers  Witwe 
n.  Sohn). 

Am  Schlüsse  dieser  Revue  der  Festschriften  sei  des  „Festblattes  der  42. 
Versammlang  deutscher  Philologen  und  Schulmänner'*  gedacht,  das  in  seiner 
ersten  Mummer  am  Vorabende  des  Beginnes  der  Versammlung  erschien, 
während  der  letzteren  täglich  ausgegeben  wurde  und  dessen  letzte  JNummer 
das  Datum  6.  Juni  d.  J.  trägt.  Die  Titel  Vignette,  die  Eros  als  reifen  Jüug- 
iiag,  mit  mächtigen  Flügelschwingen,  in  kauernder  Haltung  die  Salpinx  blasend 
darstellt,  während  über  ihm  sein  Schwert  hängt,  ist  dem  figuralen  Schmuck  einer 
rotfigurigeu  Lekythos  aus  Gela  —  das  Original  befindet  sich  in  der  Wiener 
archäologischen  Sammlung  der  Universität  und  Ist  noch  nicht  verößeitlicht 
—  naehgezeichnet  und  stimmt  in  ihrer  vornehmen  Einfachheit  mit  der  übrigen 
eleganten  typographischen  Ausstattung  der  Zeitung,  die  88  groise  Quart- 
seiten (zu  zwei  Kolumnen)  umfafst  und  von  Gymo.-Prof.  Ziwsa-Wieo 
trefflieh  redigiert  ist. 

Damit  die  Festschriften,  die  nur  in  beschränkter  Zahl  vorlagen,  in  die 
richtigen  Bände  kämen,  war  die  Einrichtung  getroffen,  dals  ein  eigenes 
Boreau  mit  genauer  Buchführung  für  die  Verteilung  derselben  sorgte,  die 
Wunsche  der  Teilnehmer  betreffs  der  Publikationen  entgegennahm,  im 
übrigen  aber  selbständig  die  Interessen  des  einzelnen  und  der  Gesamtheit 
wahrte. 

Nachdem  die  verschiedensten  Ausschüsse  und  Gomites  die  Vorarbeiten 
erledigt  hatten,  begann  der  Kongrefs  mit  einer  Vorfeier  in  der  Form  einer 
geselligen  Zusammenkunft  im  Kursalon  des  Stadtparkes  am 
Abende  des  Dienstags  (23.  Mai).  Der  grofse  Saal  vermochte  die  Teilnehmer, 
die  Gäste  dei«  Präsidiums  waren  und  an  den  Eingängen  die  gedruckten,  oben 
anter  den  Festschriften  angeführten,  lateinischen  und  deutschen  Festgrülse 
der  Wiener  Gymnasialprofessoren  Stritar  und  Raab  überreicht  erhielten, 
kaum  zn  fassen  und  viele  derselben  machten  es  sich  auf  der  ihm  vorge- 
kauten Terraaae  bequem.  Nachdem  das  vom  Comit^  beigestellte  Büffet  ge- 
wirdigt  war  and  die  Kapelle  Drescher  einige  Nummern  ej^ekutiert  hatte, 
kielt  Präsident  v.  Bartel  eine  launig-herzliche  Begrüfsungsrede,  in  der  er 
tnf  die  grofse  Zahl  der  Teilnehmer  (948  eingeschriebene  stimmberechtigte 
Teilnehmer  der  Versammlung,  184  Ordner  und  Assistenten  der  verschiedenen 
Coait^s  aus  Studenten  kreisen,  also  in  Summa  1132  Teilnehmer)  mit  Stolz 
aad  Bangen  hinwies  und  dieselben  der  herzlichsten  Gastfreundschaft  ver- 
sicherte. Hieranf  deklamierte  der  Altmeister  deutscher  Vortragskunst,  der 
Burgacbauspieler  Jesef  Lewinski,  das  von  A.  Freiherrn  von  Berger  ver- 
ZeitMhr.  f.  d.  GjmnatialwMon  XLVII.    10.  41 


642  ^'  42.Versainin1.  deutsch.  Philologien  n.  Schalmänner  in  Wien, 

«füte  aod  in  Noiumer  1  des  Pestblattes  abgedruckte  Festgedicht,  dessen  In- 
halt and  Vortrag  gleich  aufrichtige  laate  Bewunderung  fand.  Erat  spSt  ging 
die  animierte  VersannDlnng  auseinander. 

I.   Voilversammiang. 

Am  Mittwoch,  den  24.  Mai,  wurde  die  erste  allgemeine  Versammlang 
um  10  Uhr  eröffnet.  Die  herrliche  Aula  der  Universität,  deren  Parterre 
und  Gallerien  dicht  gefüllt  waren,  hatte  prächtigen  Teppichschmock  angelegt 
und  vereinte  eine  dreischichtige  Gesellschaft:  der  akademische  Senat  mit 
dem  Rektor  an  der  Spitze  nebst  Vertrete^n  der  Studentenschaft  gemahnten 
daran,  dafs  auch  eine  akademische  Feier  stattflnde  (Aufstellung  der  Gedenk  - 
tafeln  für  die  Rektoren  der  Wiener  Universität  von  1365—1893),  fast  sämt- 
liche österreichische  Minister,  unter  ihnen  Ministerpräsident  Graf  Ta äffe 
und  Unterrichtsminister  Freiherr  von  Gautsch,  nebst  einer  grofsen  An- 
zahl von  anderen  Staatswnrdeuträgern  wollten  durch  ihr  Erscheinen  nichl 
nur  die  Philologenversammlung  ehren,  sondern  auch  gewissermafsen  aktiv 
die  Patenschaft  bei  der  Eathülluog  des  vom  dankbaren  Staat«  in  den  Ar- 
kaden der  Universität  errichteten  Thnn-Exner-Bonitz-Denkmals  ausüben,  und 
diesen  zwei  Gruppen  gesellte  sich  als  dritte  gröfste  das  Tausend  von  Phi- 
lologen und  Schulmännern  zu. 

Der  erste  Präsident,  Hofrat  v.  Hartel,  begrüfste  die  Versammlung, 
die  Arbeitsgenossen  der  verschiedensten  Länder  und  Sprachen  vereine:  nicht 
nur  aus  dem  deutschen  Reiche,  der  Schweiz  und  den  deutschsprachigen 
Österreichischen  Kronländern,  sondern  auch  aus  Ungarn,  Böhmen,  Galizten, 
Krain,  Italien,  Bulgarien,  Serbien,  Rumänien  sei  man  zu  gemeinsamer  Arbeit 
gekommen.  Er  schlofs  mit  einem  begeistert  aufgenommenen  Hoch  auf  den 
Kaiser. 

Hierauf  sprach  Unterrichtsministor  Freiherr  von  Gautsch.  Aas  einem 
doppelt  feierlichen  Anlafs  begrüfse  er  namens  der  k.  k.  Regierung  die  An- 
wesenden: es  werde  die  Philologenversammlnng  abgehalten  und  gleichzeitig 
mit  der  Eröffnung  dieser  Versammlung  ein  Denkmal  der  Obhut  der  Wiener 
Universität  übergeben,  das  dem  Gedächtnisse  des  Ministers  Grafen  Thun- 
Hohenstein,  des  grofsen  Reorganisators  der  österreichischen  Universitäten, 
Gymnasien  und  Realschulen,  und  jenem  seiner  Berater,  Franz  Exner  and 
Hermann  Bonitz,  gewidmet  sei.  Redner  schätze  sich  glücklich,  den  Gefühlen 
der  Bewunderung  und  Verehrung  für  seinen  grofsen  Amtsvorgänger  gerade 
in  dieser  Versammlung  Ausdruck  leihen  zu  dürfen,  deren  inländische  Teil- 
nehmer ihre  geistige  Ausbildung  und  die  Möglichkeit  gedeihlichen  Wirkens 
den  Einrichtungen  zu  danken  haben,  deren  Ursprung  heate  gefeiert  wird, 
und  deren  ausländische  Mitglieder  der  Entwickelung  des  österreichischen 
höheren  Bildungswesens  lebhafte  Teilnahme  entgegenbringen,  da  die  von 
beiden  verfolgten  Ziele  innerhalb  einer  gemeinsamen  Interessensphäre  liegen: 
Redner  sagte  hierauf  wörtlich:  „Die  Gemeinsamkeit  dieser  Interessen  wurde 
aber  für  uns  erst  durch  die  vom  Grafen  Leo  Thun  unter  den  erhabenen 
Auspicien  Sr.  k.  und  k.  apostolischen  Majestät  durchgeführten  Reformen  des 
höheren  Schulwesens  und  die  von  Thun  der  klassischen  Philologie 
an  unseren  Gymnasien  eingeräumte  Stellung  geschalTen.  Klassische 
Philologen  aber  sind  die  Schöpfer  dieser  allmäblieh  alle  Fächer  der  Mittel* 
fchnle  vertretenden  Wandervenammlung.    Man  mag  mit  Recht  der  Meionig' 


von  A.  Engelbrecht.  643 

seil,  dafs  far  gewisie  Bernfsstande  die  ungeschmälerte  fachliehe  Aasbildung 
HanptMche  und  der  Unterricht  in  den  klassischen  Sprachen  von  keiner  Wich- 
tigkeit sei,  andere  Kreise  der  Gesellschaft  aber  können  auf 
diesen  Unterricht  nicht  verzichten,  nicht  blofs  deshalb,  weil 
dsi  Niveau  der  allgemeinen  Bildung  wesentlich  durch  diesen 
Unterricht  mitbestimmt  wird,  sondern  weil  die  auf  wissen- 
sekaftlicfaer  Arbeit  and  Forschung  bervhende  akademische 
Berafsbildnng  jene  formelle  Schulung,  jene  geistige  Regsam- 
keit und  Gewandtheit,  jenen  reichen  historischen  Gedanken- 
iihalt  braucht,  welche  die  Beschäftigung  mit  den  Klassikern 
im  sichersten  vermittelt 

Der  Wunsch  Goethes:  ,,Moge  das  Stadium  der  grieohisehen  and  latei- 
nischen Litteratur  immerfort  die  Basis  unserer  höheren  Bildung  bleiben '*, 
ist  bis  nun  durch  keine  pädagogische  Neuerung  praktisch  widerlegt.  Indem 
das  menschliche  Denken  sich  äufserlich  durch  die  Sprache  vollzieht,  bietet 
strenge  sprachliche  Zucht  ein  sicheres  Mittel«  zum  Denken  zu  erziehen,  zu- 
mal die  Zueht  in  jenen  Sprachen,  welche  an  Feinheit  und  Reichtum  ihrer 
Dtrstellungsmittel  unübertroffen  dastehen.  Und  weil  der  Mensch  Glied  einer 
Gesellschaft  ist,  welche  erst  durch  eine  lange  komplizierte  Entwickelnng 
zu  demjenigen  geworden  ist,  was  sie  heute  darstellt,  kann  er  die  Gedanken- 
arbeit seiner  Zeit  nur  dann  völlig  verstehen  und  an  ihr  mit  klarer  Erkennt- 
■is  teilnehmen,  wenn  er  mit  den  Anfängen  und  Wurzeln  dieser  alten  Kultur 
wenigstens  einigermafsen  vertraut  ist. 

Die  philologische  Arbeit  fördert  aber  auch  jene  ethischen  Eigenschaften, 
welche  für  das  öffentliche  Wirken  unerläfslich  sind.  Indem  sie  der  Worte 
wahren  Wert  und  richtige  Bedeutung  lehrt,  erzeugt  sie  die  Abneigung  gegen 
die  Phrase  und  leitet  dazu  an,  sich  in  das  Denk-  und  Sinnesweseo  ferner 
Zeiten,  anderer  Menschen  zu  vertiefen,  fremden  Empfindungen  mit  Selbst- 
entaaf;»ening  treu  nachzugehen.  Die  öffentliche  Thätigkeit,  zumal  in  einem 
Staate,  welcher,  aus  mannigfaltigen  Teilen  historisch  erwachsen,  von  ver- 
schiedenen Völkern  bewohnt  ist,  heischt  sie  nicht  eine  fortwährende  Bethä- 
tignng  eben  dieser  Kraft,  wenn  man  der  Vielheit  historischer  Erinnerungen, 
politischer,  sozialer  Meinungen  gerecht  werden,  sie  verstehen  und  achten 
will?  — 

Mag  mehr  oder  weniger  jede  philologische  Beschäftigung  mit  Sprachen, 
diesen  „ersten  Runstschöpfungen  des  menschlichen  Geistes^  solche  Wirkung 
üben;  erfahrnngsgemäis  geht  sie  von  den  antiken  Sprachen  am  vollsten  und  rein- 
sten ana,  indem  diese  uns  zugleich  eine  Litteratur  vermitteln,  welche  den 
edelsten  Inhalt  in  einer  Einfachheit,  Ursprünglichkeit  und  künstleriseheu  Voll- 
endung darbietet  wie  keine  andere. 

Der  Glaube  an  die  Macht  und  den  Wert  der  Antike,  wie  er  aus  der 
üaterrichtsreform  des  Grafen  Thnn  spricht,  hat  auch  bei  uns  eine  Wieder- 
geburt des  wissenschaftlichen  Lebens  herbeigeführt,  und  näher  stehen  von 
da  ab  in  Wissenschaft  und  Unterricht  die  Ziele,  die  wir  zugleich  mit  allen 
ibrigen  Kulturvölkern  verfolgen.  Für  die  Pflege  der  Wissenschaft  mag  dies 
ils  unbestritten  gelten.  Der  Wettbewerb  um  dieses  hohe  Gut  vereinigt  in 
einem  höheren  Streben  die  Geister,  welche  sich  anderwärts  in  hartem 
Kampfe  begegnen.  Die  gelehrten  Wanderversammlungen  aber  haben  sich 
vortrefflich  bewährt,  diesen  friedlichen/  wissenschaftlichen  Gedankenaustausch 

41* 


644  D.  42.  Versifflml.deatseh.  Philologen  o.  SchoImänneriD  Wieo, 

£u  fördern,  fruchtbare  Anregoogeo  zo  geben  und  zu  erhalten,   das  lotereue 
weiterer  Kreise  für  wissensebaft liebe  Bewegongeu  zu  erwecken  aod  zu  erhalten. 

Aber  auch  die  andre  Aufgabe,  die  Ihnen  obliegt,  meine  hochgeehrtes 
Herren,  die  Pflege  des  CJoterrichtes  und  der  Schule,  wird  immer  mehr  {u 
einer  geueiosaraen  Aufgabe  und  zum  Gegenstand  des  Wettstreites  aller 
Staaten,  welche  io  diesem  Zweige  der  Verwaltung  das  wirksamste  Mittel 
erblicken,  die  innere  Kraft  des  Volkes  zu  heben  und  sie  auf  der  Bahn  ge- 
wanden  Fortsehrittes  zu  erhalten.  Kein  Schulwesen  darf  sich  mehr  isolieren, 
wenn  es  nicht  zurückbleiben  will.  Heute  geschieht  da,  morgen  dort  eine 
Portbewegung;  jede  will  gekannt,  erwogen,  keine  übersehen  sein. 

0er  Fortschritt  jedes  Bildungswesens  hängt  aber  in  erster  Linie  vom 
F«>rtschritte  der  Wisseosehafteo  und  von  der  wachsenden  Kunst  ab,  deren 
Ergebnisse  io  brauchbarer  Form  der  Sehole  zuzuführen. 

Ihre  Versammlang,  hochgeehrte  Herren,  welche  Vertreter  der  Wissen- 
schaft und  der  Praxis  vereinigt  und  deren  jeder  in  sich  diese  Vereinigung 
vollzieht,  indem  sie  als  Gelehrte  lehrend  wirken,  läfst  jenes  Koropromits 
zwischen  Wissensebaft  und  Schule  leichter  and  sicherer  erwarten,  dessen  es 
nach  dem  hastigen  Stande  der  Dinge  dringend  bedarf,  nm  berechtigte  Klagen 
gegen  das  moderne  Schulwesen  zu  beseitigen  und  die  Verbindung  zwischen 
Wisseoschsft  und  Schule,  welche  für  unser  gesamtes  höheres  Schulwesen,  fiir 
die  Mittelschulen  wie  für  die  Universitäten,  so  überaus  wertvoll  geworden 
ist,  dauernd  zu  erhalten. 

Diese  Oberzeugung  hat  auch  den  Unterrichtsminister  Grafen  Thun  zur 
Aufnahme  des  Systems  der  Fachlehrer  bestimmt,  indem  er  der  Meinung  war, 
dafs  nur  derjenige  allgemein  bildende  und  erziehliche  filemeote  einer 
Disciplin  im  Unterricht  voll  auszuarbeiten  vermag,  welcher  sieh  mit  den 
Wesen  und  der  Methode  dieser  Disciplin  genau  vertraut  gemacht  hat. 

Was  ist  aber  in  diesem  Meosehenalter  voll  rascher  und  energischer 
Arbeit  aus  den  Disciplinen  geworden,  in  welche  unsere  Lehrer  an  den  Uni- 
versitäten eingeführt  werden  sollen !  Ein  Blick  auf  die  Lektioas Verzeich- 
nisse von  damals  und  jetzt  zeigt  die  Erweiterung  und  Spezialisierung  der 
akademischen  Lehre  und  läfst  der  emsigen  Detailarbeit  gegenüber  die  Sehwie- 
rigkeiten  ermessen,  welche  ein  Kandidat  des  Lehramts  zu  besiegen  hat,  nm 
neben  der  unerlärslichen  Vertiefung  nach  die  notwendige  Herrschaft  über  weit 
ausgedehnte  Wisseosgebiete  zu  gewinnen. 

Wie  hier  einerseits  durch  straffere  Mitteilung  des  reicheren  Stoffes, 
andererseits  durch  passende  Auswahl  und  fortschreitende  Verbesserang  der 
Didaktik  zu  helfen  sei,  das  sind  brennende  Fragen,  welche  mit  dem  Fort- 
schritt unserer  Kenntnisse  in  allen  Disciplinen  jeden  Tag  aufs  neue  gestellt 
werden.  Sie  werden,  hochgeehrte  Herren,  wie  Ihi*  Arbettsprogramm  zeigt, 
auch  darüber  beraten,  Ihre  Einsiebt  und  das  moralische  Gewicht  Ihres  Vo- 
tums wird  Mittel  und  Wege  zeigen,  Bestehendes  zu  erhalten  oder  leitgemiTs 
fortzubilden. 

Was  aber  immer  Gegenstand  Ihrer  Beratungen  sein  mag,  ich  gebe  »ich 
der  freudigen  Erwartung  hin,  dafs  diese  Ihre  heutige  Versammlung  ebenao 
wie  jede  der  früheren  gutes  Saatkorn  in  reicher  Fülle  ausstreuen  werde, 
und  dafs  durch  sie  der  Bau  neu  gefestigt  und  gekräftigt  werden  kann,  wel- 
chen Minister  Graf  Thun  in  unserem  Vaterlande  errichtet  hat  Mit  diese« 
Wunsche  heifse  ich  Sie  herzlich  willkommenes 


Diese  Rede  ait  ihrer  eBtichiedeeeo  BetooDog  der  aobediogteo  Not- 
weidfgiceil,  des  Stadivm  der  Antike  an  den  Gymsasieo  nogeschnälert  tu  er- 
halteo,  machte  anf  die  VersamnlaBir  eioea  tiefen  Eindruck,  deasen  Dolmetsch, 
der  erste  Präsident  Hofrat  v.  Harte],  dem  Redner  für  die  warmen  and 
gefahlvollen  Worte  dankte,  die  die  frendige  Gewifsheit  pfiben,  dafs  die  Ideen, 
an  denen  das  llionsehe  Reformwerk  hervor^eganffen  sei,  anch  von  der  gegen- 
wirtigen  Unterriehtsverwaltang  hochgehalten  werden.  Der  Miniater  habe 
da«  Zostandekommen  der  Versamminng  in  derart  «irksamer  Weise  gefordert, 
data  ihr  glücklicher  Verlauf  gesiehert  sei,  und  es  sei  der  Wunsch  aller, 
Utt  die  Krtragnisse  ihrer  Arbeit  den  Erwsrtungen  Sr.  Bxeellenz  entsprächen. 

Hierauf  begriirste  Vizebörgermetster  Dr.  Grübl  namens  der  SUdt  Wien 
die  Versammlang,  dankte  fiir  die  Wahl  Wiens  zum  Versammlangsort,  das  stets 
Bestrebungen,  die  der  Wissenschaft  and  Schale  za  Gute  kamen,  wärmstens 
zu  wordigen  verstanden  habe,  and  lad  im  Namen  des  eben  in  Erfüllung  einer 
Amtspflicht  fern  von  Wien  weilenden  Bärgermeisters  Prix  die  Versammlung 
zn  einem  Empfange  in  den  Pesträumen  des  Rathauses  für  Samstag  Mit- 
tag! ein. 

Nachdem  der  Voraitzende  für  die  freundlichen  Worte  und  die  Ein- 
ladung gedankt  hatte,  wobei  er  hervorhob,  dafs  Wien  ja  eine  Heimstätte 
aehulfrennd Hoher  Gesinnung  sei  und  auch  für  das  höhere  Schulwesen  durch 
VermebniDg  und  Aasgestaltung  der  Gymnasial-  and  Realschulen  freiwillig 
Grofaes  and  Bleibendes  geleiatet  habe,  ergriff  der  Rektor  der  Wiener  Uni- 
versität, Hofrat  Dr.  Ludwig,  das  Wort,  um  die  Versammlung  namens  des 
akademischen  Senats  zu  begrufsen.  Er  erinnerte  an  die  im  Jahre  ]858  in 
Wien  abgehaltene  Philologen  Versammlung  und  die  grofse  Wandlung,  die  sich 
seit  jener  Zeit  mit  der  Stadt  Wien  und  dem  geiatigen  Österreich  vollzogen 
habr.  Wie  das  Äufaere  der  Stadt  Wien  sich  von  dem  beengenden  Panzer 
der  Mauern  und  Wälle  befreit  habe,  so  aei  auch  das  Unterrichts wesen  durch 
die  Thunschen  Reformen  von  den  Fesseln  befreit  worden,  durch  die  bisher 
Wiaaenschaft  und  Lehre  beengt  waren.  Ein  neuer,  freier  und  befruchtender 
Geiat  aei  in  das  Uoterrichtswesen  gedrangen,  Wiaaenschaft  und  Schale  seien 
eine  innige  Verbindung  eingegangen,  der  das  zu  danken  sei,  was  heute  ge- 
leistet werde. 

Hofrat  V.  Hartel  dankte  in  Beantwortung  dieser  Rede  für  die  Gastlich- 
keit, mit  der  die  Räume  der  Universität  der  Versammlung  zur  Verfügung 
ireatellt  wurden,  aowie  dafür,  data  die  Eroifnung  der  Verhandlungen  auf 
den  Festtag  fallen  konnte,  an  dem  durch  Aufstellung  der  Rektorentafeln  das 
Geburtsjahr  der  alten,  durch  Enthüllung  dea  Thun-Kxner-Bonitz- Denkmals 
das  Wiegenfest  der  neuen  Universität  begangen  werde. '  In  übereinstimmnng 
■it  der  ausgesprochenen  Oberzeugung,  dafa  Universität  und  Miltelscbole  nur 
in  engster,  wechselseitiger  Fühlung  und  Zusammenwirkuog  ihre  hohe  staat- 
liche Aufgabe  erfüllen  kSnneo,  schlofs  er  mit  dem  alten  Segens  wünsche  an 
die  Universität:  Vivat,  floreat,  crescat! 

Hierauf  hielt  der  Uoiversitätsprofessor  Thewrewk  v.  Ponor  aus 
Budapest  eine  lateinische  Ansprache,  in  der  er  sich  als  Abgesandter  des 
Erzherzogs  Josef  von  Öaterreich  vorstellte,  deaaen  Grüfse  an  die  Versamm- 
lang  ala  Ehren-Mitgliedes  der  Budapester  philologischen  Gesellschaft  über- 
■ittelte  und  für  die  Einladung  der  Ungarn  zu  diesem  Kongresse  mit  dem 
Wnnsche  eines  glocklichen  Verlanfefi  desselben  dankte. 


J 


646  D.  42.  Versaninil.  deofscb.  Philologeou.  SchuImiiDoeriiiWieD, 

Auf  die  mit  einem  kräftigen  Eljen  schlierseode  Ansprtelie  erwiderte 
der  Präflideot  v.  Hartel  gleichfalls  in  lateinischer  Sprache,  indem  er  die 
haldvolle  Botseodoog  eines  Vertreters  seitens  des  am  Wisseoscbaffc  ond 
Kunst  so  hoehverdienten  Erzhersogs  Josef  —  er  ist  bekaDntlieh  als  Fach- 
schriftsteller einer  der  ersten  Kenner  der  Zigeunersprachen  und  -Sittea  — 
dankend  hervorhob  and  den  Wansch  aassprach,  dafs  Österreich  mit  Ungarn 
durch  das  Band  der  Gemeinsamkeit  der  wissenschaftlichen  Bestrebungen  immer 
enger  verknüpft  werden  möge.  Die  Versammlung  dankte  dem  hochherzigen 
Prinzen  durch  Absendung  eines  Danktelegramms. 

Nunmehr  folgte  die  eigentliche  Eröffnungsrede  des  Vorsitzenden,  Hof- 
rats V.  Hartel,  deren  Thema  die  Verdienste  der  Dreimänaer  Thun,  Exner 
und  Booitz,  deren  Denkmal  aomittelbar  darauf  enthüllt  werden  sollte,  behan- 
delte. Der  Redner  gab  erst  ein  Bild  der  Zustände  in  Österreich  auf  wissen- 
schaftlichem Gebiete  vor  dem  Jahre  1848.  Das  alte  Gymnasium  gliederte 
sich  in  eine  untere  Abteilung,  die  studia  inferiore  mit  den  drei  dasses 
grammaticae:  Rudiment,  Grammatik,  Syntax,  und  den  beiden  class«s  hnma- 
oitatis:  Poetik  und  Rhetorik,  und  in  eine  obere  Abteilung,  die  studia  supe- 
riora  mit  zwei  oder  drei  philosophischen  Korsen :  Logik,  Physik,  Metaphysik. 
Dasselbe  trieb  viel  Latein,  ohne  aber  durch  zweckmäfsige  unverkürzte  Lek- 
türe in  den  Geist  auch  nur  eines  Autors  oder  einer  Litteraturperiode  ein- 
zuführen. Es  brachte  das  Griechiscbe  kaum  über  die  Elemente  der  Gram- 
matik hinaus  und  benutzte  für  die  Lektäre  accentlose  Chrestomathien.  Es 
wehrte  der  deutschen  Sprache  and  Litteratur  zu  einer  Zeit  den  Eingang,  da 
Deutschland  durch  seine  Litteratur  sich  verjüngte.  Es  behandelte  Geschichte 
und  Geographie  ebenso  oberflichlieh  wie  Naturlehre  und  Teile  der  Mathe- 
matik, ja  Naturwissenschaft  seit  1819  gar  nicht  mehr. 

Die  philosophischen  Kurse  waren  ein  Zwitterdiog  zwischen  Gymnasium 
und  Universität,  sie  konnten  weder  der  verkümmerten  allgemeinen  Bildung 
aufhelfen,  noch  auf  die  Fachstudien  gründlich  vorbereiten.  Da  ein  Lehrer 
alle  Fächer  vertreten  mufste,  konnte  von  einem  wissenschaftlich  und  päda- 
gogisch genügend  gerüsteten  Lehrstand  nicht  die  Rede  sein.  Die  Universität 
war  ein  Aggregat  theologischer,  juridischer  und  medizinischer  Fachschulen. 
Die  philophische  Fakultät  fehlte  gänzlich,  ebenso  Sammlungen,  Institute, 
Seminare. 

Diesen  trostlosen  Zuständen  dauernd  ein  Ende  bereitet  zu  haben,  ist 
das  Verdienst  des  Unterrichtsministers  Thun  (1849)  und  seiner  Räte  Exoer 
und  Booitz.  Allerdings  waren  schon  viel  früher  erleachtete  Männer  er- 
standen, die  bereits  wesentliche  Punkte  der  Thunschen  Organisation  erkannt 
und  gefordert  hatteh.  So  vor  allem  der  Professor  der  Geschichte  an  der 
Universität  Wien,  Ignaz  Mathias  von  Hess,  der  bereits  im  Jahre  1774  unter 
Hinweis  auf  die  Unterrichtsverhältnisse  in  Sachsen,  Brandenburg,  Hannover, 
Württemberg  Lektüre  lateinischer  und  griechischer  Klassiker,  die  deutsche 
und  eine  Landessprache,  Naturgeschichte  and  Mathematik,  ja  selbst  Zeichnen 
nach  einem  wohlerwogenen  Lebrplane  als  Unterrichtsgegenstände  des  Gym- 
nasiums, sowie  Fachlehrer,  durch  Seminare  an  der  philosophischen  Fakultät 
ausgebildet,  empfohlen  hatte.  Im  Jahr  1838  forderte  eine  allerhöchste  Ent- 
schliefsung  die  sämtlichen  Stadienrektorate  und  später  auch  Schalmänner  von 
Ansehen  zu  Vorschlägen  auf.  Bereits  damals  waren,  wie  Bonitz  selbst  später 
anerkannte,  die  eingreifendsten  jener  Reformen,  welche  der  Thunsebe  Orga- 


f9B  A.  Eag^elbf echt.  g4T 

•JMtianseBtwttrf  fdr  die  GymoaeleD  traf,  mit  vSlliger  Klarheit  erkanot  uod 
beaatrag^t  wordeii.  Dafa  jedoch  diese  Gatachteo  nicht  praktisch  verwertet 
wordeo,  hatte  daria  seiaea  Grnad,  dafs  eiae  Reform  der  Gymoasiea  ohne 
gleichxeitige  Reform  der  philosopMschefi  Karse,  d.  i.  der  Uoiversitiit,  ua- 
aasfuhrbar  war.  Erst  im  Jabr  1845  ifing  man  aoch  au  diese  Beratoog  und 
faad  ia  Fraoz  EAoer  dea  geeigneten  Mann,  die  Sache  dem  Gelingen  znza* 
fabree.  Ihn  zeiehaeten  aus  Scharfe  der  Anffassaag,  Sicherheit  des  Urteils, 
Weite  des  Blickes,  eia  ofTeaes  Herz  für  alles  Bdle  uad  Grofse,  eine  seltene 
Kraft  der  Spraebe  and  jene  ans  der  Tiefe  des  Empfindens  fliefseade  abge- 
klärte Homaaität,  welche  er  durch  das  Gymaasium  den  leitenden  Kreisen  der 
GeseUsdiaft  vermitteln  wollte. 

1802  als  Sohn  einer  Wiener  Beamtenfamilie  geboren,  wurde  Exner 
scbon  1831  Professor  der  Philosophie  in  Prag  und  erhielt  sogar  einen  Ruf 
nach  Boan,  dem  er  jedoch  nicht  folgte.  In  Prag  knüpften  sich  auch  die  ersten 
Beziehungen  zwischen  Exner  und  Thua;  am  1.  April  1848  zum  Ministerial- 
rat des  aeaerriehteteB  Miaisterioms  für  Unterricht  ernannt,  übergab  er  am 
18.  Juli  desselben  Jahres  einen  auf  sämtliche  Schulen,  die  Volks-,  Mittel- 
aad  Uoehsehnlen  bezüglichen  „Entwurf  der  Grnndzüge  des  öffentlichen  Unter- 
riehtswaseas  in  Österreich'*  in  100  Paragraphen  der  Öffentlichkeit,  ^ach 
den  Beatiflunungen  dieses  Entwurfs  wurde  das  Gymnasium,  wie  es  noch  jetzt 
besteht,  zu  einer  aehtklassigen,  in  eine  Unter-  und  Oberabteilung  zerfallende 
wirkliche  Mittelschule,  welche  unter  wesentlicher  Benutzung  der  beiden 
klassischen  Sprachen  eine  höhere  Bildung  gewähren  und  so  zur  Universität 
vorbereiten  sollte.  Der  Uaterricht  wurde  in  die  Hand  von  Fachlehrern  ge- 
legt Die  Organisation  der  Universitäten  schlofs  sich  eng  an  jene  Deutsch- 
lands an,  sowohl  },weil  sie  die  bewährtesten  sind,  als  auch  weil  der  künftige 
Wechselverkehr  zwischen  ihnen  und  den  österreichischen  Universitäten  es 
fordert*'.  Als  Aufgabe  der  Universitäten  wurde  bezeichnet  „die  Pflege  der 
allgemeinen  Wissenschafton  um  ihrer  selbst  willen  uod  somit  nach  ihrer 
gaazea  Breite  und  Tiefe".  Die  nächste  Folge  dessen  war  die  Schaffang  der 
philosophiachea  Fakultät. 

Am  22.  August  1849  wurde  Thun  zum  Minister  für  Kultus  und  Unter- 
rieht ernaant  uad  wenige  Monate  früher  war  die  Berufung  von  Hermann 
Bonitz  als  Professor  der  klassischen  Philologie  an  der  Universität  Wien 
erfolgt.  Ab  Bonitz  gewann  die  Unterrichtsverwaltung  den  in  diesem  ent- 
scheidenden SUdiom  einer  durchgreifenden  Umbildung  unentbehrlichen  Ver- 
nittler  mit  der  Lehrerwelt,  sie  gewann  einen  unermüdlichen  Verteidiger 
gegen  Bedenken  und  Angriffe  Wohl-  und  Übelwollender,  wie  sie  die  Neuheit 
der  Einrichtungen  notwendig  hervorrief.  Zu  diesem  Zwecke  wurde  die 
„Zeitschrift  für  die  Österreichischen  Gymnasien"  begründet.  Der  Mann  aber, 
der  den  Ideen  Exners  und  Bonilz'  freie  Bahn  schuf,  war  doch  nur  Thun,  der 
im  Verlaufe  der  Monate  August  bis  Oktober  1849  bewirkte,  dafs  das  pro- 
visorische Gesetz  über  die  Prüfuog  der  Kandidaten  des  Lehramts  und  ins- 
besondere der  „Entwurf  der  Organisation  der  Gymnasien  und  Realschulen  in 
Österreich"  die  allerhöchste  Saaktion  erhielt,  und  jene  Gesetze  schuf,  die 
den  österreichischen  Universitäten  die  Einrichtungen  der  deutschen  gaben. 
Um  diese  drei  hochverdienten  Männer  zu  ehren,  entstand  das  von  Meister 
Kundmaan  eatworfeae  Denkmal,  das  in  dem  herrlichen  Hause  errichtet  wer- 
den konnte,    das  Österreichs    edler  Kaiser   der  Wissenschaft  gebaut  hat  als 


648  D.  42.  Versa» ml.  deutsch.  Philologen  u.  Schul mSooerio  Wien, 

ein  weithin  strahlendes  Abbild  des  Aufschwunges,  den  Wissensehtft  und  Kunst 
unter  seinen  Anspielen  gefeiert  haben. 

Die  Rede,  welche  in  wahrhaft  kiinstleriseher  Weise  allseitig  orien- 
tierende Streiflichter  auf  die  Geschichte  des  höheren  Unterrichts  in  Alt- 
and  Jung-Österreich  zu  werfen  verstand,  wurde  beifälligst  aufgenommen  und 
allgemein  wurde  es  freundlichst  begrüfst,  als  jedem  Anwesenden  beim  Ver- 
lassen des  Saales  ein  Exemplar  der  gedruckten  Rede  überreicht  wurde. 

Der  Einladung  des  Rektors  und  akademischen  Senats  folgend,  begab 
sich  hierauf  die  Versammlung  in  den  Arkadenhof  zur  Enthüllung  des 
Thon-Exner-Bonitz-Denkmals.  Die  EnthüUnngsfeier  wurde  einge- 
leitet durch  einen  von  Dr.  Schaumann  gedichteten,  von  Weinwnrm  in  Musik 
gesetzten  „Festchor'%  der  von  dem  akademischen  Gesangvereine  vorge- 
tragen wurde. 

Als  Hausherr  ergriff  nun  Rektor  magnificus  Hofrat  Ludwig  das  Wort 
und  erklärte  im  Piameo  der  akademischen  Gemeinde,  das  von  Knnstlerhand 
geschaffene  Werk  in  seine  Obhut  nehmen  zu  wollen.  Nachdem  er  allen  den- 
jenigen Mäooern  gedankt  hatte,  die  an  dem  Zustandekommen  des  schönen 
Werkes  besonders  mitgewirkt,  insbesondere  den  Manen  des  verewigten 
Miklosich,  dem  Unterrichtsministerium,  den  Professoren  Kundtmann  und 
Niemann  (von  ersterem  stammt  der  figurale,  von  letzterem  der  ornamentale 
Schmuck  des  Denkmals),  brachte  er  auf  Sc.  Majestät  den  Kaiser,  den  For- 
derer von  Kunst  und  Wissenschaft,  der  auch  die  durch  das  Denkmal  ver- 
ewigten Männer  an  den  Platz  gestellt  habe,  wo  sie  so  erfolgretdi  wirken 
konnten,  ein  dreimaliges  „Hoch"  aus,  das  von  der  Versammlung  begeistert 
erwidert  wurde.  Die  Intonierung  der  Volkshymne  dureh  die  anwesende 
Militärkapelle  bildete  den  SchluTs  der  sinnigen  EolhüUungsfeier,  an  die  sich 
auch  die  Enthüllung  der  drei  Gedächtnistafeln,  auf  denen  die  Namen  aamt- 
licher (783)  Rektoren  der  Wiener  Universität  prangen,  anschlofs.  Sie  ent- 
halten aufser  diesen  auf  der  Stirnfläche  in  wenigen  Worten  die  Haoptatadien 
der  Entwickelnng  der  Universität  von  ihrer  am  12.  März  1365  durch  Herzog 
Rudolf  IV.  erfolgten  Gründung  bis  zum  Jahre  1884,  da  die  Universität  ihr 
jetziges  Heim  bezog. 

Hierauf  kehrte  die  Versammloog  in  den  Festsaal  zurück,  und  nachdem 
die  unterbrochene  Sitzung  wieder  aufgenommen  worden  war,  hielt  der  zweite 
Präsident,  Regierungsrat  von  Egger-Mb'llwald,  den  seit  der  Münehener 
Philologenversammlung  verstorbenen  Teilnehmern  einen  Nachruf.  Er  ge- 
dachte insbesondere  des  am  Vortage  dieser  Feier  verstorbenen  grofseo  üster- 
reichischen  Staatsmannes  Anton  R.  v.  Schmerling,  der  1861  als  Staats- 
minister  der  in  Frankfurt  tagenden  Philologenversammluog  den  Festgrufs  aus 
Österreich  sandte  und  durch  28  Jahre  als  Kurator  der  Theresianischen  Aka- 
demie in  Wien  für  Erziehung  und  Unterricht  segensreich  wirkte,  und  des 
ehemaligen  österreichischen  Unterrichtsministers  Hasner,  des  Schöpfers  des 
Volksschulgesetzes;  weiters  beklagte  er  das  Hinscheiden  folgender  Männer 
der  Wissenschaft  und  Schule:  Heraus,  Zarncke,  Riemann,  Classen,  Naack, 
Westphal,  L.  Schmidt,  Kaspari,  Lexer,  J.  Zingerle,  Maurenbreeber,  Giadely, 
YV^)i!eseler  u.  a. 

^^ei    der    darauf  folgenden  Wahl  der  Schriftführer  wurden   als   solche 
nominiei^^'  Arthur  Sehn  ei  der- Leipzig,  Schwab- München,  Engelbreeht- 


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von  A.  En^elbreeht  649 

Wies  («Is  KrsstomaBo  für  dit$tn  fungierte  Zöehbaoer-  Wien)  aod  Hoppe- 
WioD. 

Professor  Cooze-Berlio  lad  hierauf  za  deo Sitxonipen  der  Delegierten 
znr  Beratoog  ober  die  Verwertanfr  der  Archaolog^ie  im  Gynnasialonterrieht  ein. 

In  die  Kommitsion  cor  BestimmiiDg  des  näebsteo  Vorortes  für  die 
Philolofenversannlonif  worden  gewählt  v.  Christ-Müncheo,  Diels -Berlin, 
Jager -Köln,  Useoer-Bonn. 

Es  folgte  nonmehr  der  Vortrag  des  Geheimrats  (Jsener- Bona:  „Ober 
vergleieheade  Sitten-  und  Reehtsgesehiehte".  Das  klassische 
Altertum  ist  beseUossen  in  zwei  Völkern  von  einer  so  reieheo,  vielseitigen 
and  mastergiltigen  fintwiekeinng,  dafs  die  Wiedereatdeckong  dieser  Knitor 
den  modernen  Völkern  am  Ausgang  des  Mittelalters  eioe  Ernenernng  aller 
K&DSte  und  Wissensehaftea,  ja  der  gesamten  WeUaoscbaoong  bedentet  hat. 
Die  philologische  Wissenschaft  hat  diese  Schätze  gebobe o  and  vermittelt  und 
an  ihr  wnrde  zam  ersten  Mal  der  lubegrilT  der  modernen  Geschichtswissen- 
schaft in  der  ganzen  Aosdehnaag  ihres  Qoerdarchsehnittes  (griechisches  ond 
römisches  AUertom)  aoscbaalich.  Die  tiefere  firgründung  der  Details  fahrt 
Sber  die  Schranken  des  Fachwerkes  hinaus  za  allgemeiaen,  centralen  Auf- 
gaben. Sowie  voo  der  anatomischen  und  physiologischen  Untersochong  des 
Menschens  seitens  der  Medizin  eioe  vollständige  Umgestaltang  der  Zoologie 
und  dadurch  aoch  der  Botanik  ausgegangen  ist,  hat  die  klassische  Philologie 
die  Grammatik,  Metrik,  Litteratur-  uod  Kunstgeschichte  überbaapt  ge- 
schalTen  und  demnach  der  geschichtlichen  Wissenschaft  wesentliche  Dienste 
geleistet 

Redner  sucht  nun  die  Beziehungen  der  klassischen  Philologie  zur  ver- 
gleichenden Silten-  uod  Rechtsgescbichte  darzulhun,  indem  er  die  Bedeutung 
des  Wortschatzes  hervorhebt.  ,,Der  Wortschatz  ist  das  grofse  Buch,  in  dem 
die  ganze  geistige  Geschichte  des  Volkes,  wenn  aooh  nicht  von  den  frühesten, 
doch  von  sehr  frühen,  um  Jahrtausende  über  die  bezeugte  Geschichte  zurück- 
liegenden  Anfängen  an  bis  zur  Vollendung  eingetragen  ist.  Wer  dies  Buch 
za  lesen  verstände,  zu  lesen  als  geschichtliches  Denkmal,  vor  dem  läge  die 
ganze  Entwickeln  og  dea  Volkslebens  von  dem  einfachen  Familien  verband  bis 
zu  den  aosgebildetsten  Formen  staatlicher  Verfassung,  der  Kultur  von  der 
Nomadeostofe,  der  Viehzucht  und  der  Erfindung  des  Feners  bis  zu  der  Höhe 
eines  verfeinerten  Luxus,  des  Geistes  voo  den  ersten  tastenden  Versuchen 
aa  der  Sinnenwelt  bis  zu  dem  höchsten  Flog  nach  dem  Unendlichen ^^ 
Adalbert  Kuhn  und  Jakob  Grimm  haben  ältere  geschichtliche  Zustände  durch 
Wortvergleichong  erschlossen,  und  geschichtliche  Belebung  uod  Verwertung 
des  Wortschatzes  bezweckt  die  Sprachvergleichung.  Was  wir  aber  nicht 
scboo  wissen  und  kennen,  das  können  wir  durch  das  blofse  Wort  nicht 
lernen.  Ohne  eine  Anschauung  des  alten  Brauches  würden  wir  nie  wissen, 
wie  üvrtt&€0^ai  obligare,  contrahere  oder  avytivai  und  cooicere  zu  ihrer 
abgeleiteten  Bedeutung  kommen.  Wir  müssen  also  von  der  Sache,  nicht  vom 
Wort  anagehen  und  die  geschichtlichen  Erscheinungen  um  ihrer  selbst  willen 
verfolgen,  vorab  in  der  vergleichenden  Sitten-  und  Rechtsgeschichte.  Der 
Gegenstand  dieser  Wissenschaft  ist  die  Entstehungsgeschichte  der  sittlichen 
Lebeosordnungen,  der  Institutionen,  durch  welche  das  Leben  des  Einzelnen, 
d^r  Familie,  der  Gemeinde,  des  Stammes  sich  regelt,  und  somit  auch  der 
sittlichen  BegriffSe.     Sitten-  und  Rechtsgeschichte  ist  als  Einheit  zusammen- 


650  D.  42.  Versam ml.  defit 8 eh.  Philologe D  a.  Schal mäoo er  io  Wiea, 

zofassen,   w^il  das  {[ewaohsene  Reeht  der  objektiv  geataltete  Aosflirri   der 
Sitte  ist 

Vergleichende  Wissenschaft  aof  dem  Gebiete  der  Geschichte  Verfolgt 
eio  bestimmtes  Ziel:  «os  Übereinstimmnag  oad  Abweichoag  verwandter 
Völker  ältere,  jenseits  der  bezeogten  Geschichte  liegende  Stufen  herzustellen 
and  das  Werden  fertiger  Erseheina ngen  za  erklären. 

Beispiel:  Zur  Aasstattang  jedes  attischen  Gerichtshofes  gehörte  ein 
kleines  Heiligtum  des  Heros  Lykos,  and  die  Verbindung  dieses  Lykos  mit 
den  Gerichtshöfen  ist  innerhalb  der  attischen  Oberlieferang  ein  ganz  verein- 
zelter Rest  alter  Einrichtnngen  und  Anschauungen.  Usener  weist  nach,  dafo 
darin  die  bei  verschiedenen  Völkern,  sich  findende  Anschauung  zum  Ausdruck 
kommt,  dafs  das  Licht  der  Sonne,  'die  alles  sieht,  alles  weifs  und  alles  zeigt, 
anerläfslich  war  für  die  Auffindung  der  Wahrheit  und  des  Rechts.  Das 
Gericht  war  also  zu  Athen  folgerecht  unter  den  Schutz  des  Lichtgottes,  des 
Lykos,  gestellt 

Man  wufste  in  gleicher  Weise  die  Symbolik  des  altitalischea  Ritus  der 
Stadtaolage  (Ziehen  einer  Furche  mit  dem  Pfluge,  dem  ein  Rinderpanr  vor- 
gespannt  war)  bisher  nicht  zu  deuten.  Usener  deutet  den  italischen  Furchcn- 
zug  dahin,  dafs  er  von  der  künftigen  Stadt  das  Übel,  sei  es  in  Gestalt  von 
Pest  und  Verderben  bringenden  Dämonen,  sei  es  von  menschlichen  Feindeu, 
abhalten  solle.  £r  verweist  aof  einen  Gebrauch  der  Bewohner  des  russi- 
schen Dorfes  Kamenka,  die  zu  Zeiten  einer  Viehseuche  (1S85}  sieben  junj^- 
frauliche  Mädchen  als  Gespann  vor  /einer  Pflugschar,  die  ein  fleckenloser 
Jüogling  za  lenken  hatte,  gehen  und  um  das  Dorf  eine  Furche  ziehen  liefaen, 
welche  nach  ihrem  Glauben  die  Seuche  nicht  zu  überschreiten  vermöge. 

Es  sind  aber  ältere  Zustände  bei  den  Griechen  uod  Römern  viel  weniger 
rein  und  deutlich  zu  erkennen,  als  bei  den  in  die  Geschichte  weit  später  ein- 
getretenen nordeuropäisoheo  Völkern,  den  Germanen,  Lithauern  und  Slnven, 
denn  sie  verharrten  selbst  noch  im  Mittelalter  auf  einer  Kulturstufe,  welche 
von  Griechen  und  Römern  längst  überwunden  war,  wo  ihre  selbstbeiengte 
Geschichte  begann. 

Namentlich  dem  germanischen  Recht  mofs  man  für  die  veiigleichende 
Sitten-  und  Rechtsgeschichte  dieselbe  mafsgebende  Bedeutung  beimesaeb,  wie 
sie  das  Sanskrit  für  die  vergleichende  Sprachforschung  besitzt  Und  hier- 
für reichen  die  Quellen  (Rechtsordnungen,  Weistnmer,  Kapitulariea,  Volks- 
rechte) bis  zum  5.  Jahrhundert  zurück  und  können  ergänzt  werden  durch 
zahlreiche  Züge  hohen  Altertums,  wie  sie  die  Recbtsquellen  der  Skaodianvier, 
Friesen,  Angelsachsen,  Vläminge  bewahren.  Natürlich  müssen  auch  die  an- 
deren Völker  berücksichtigt  werden.  Die  Südslaveo  geben  uns  die  klarste 
Vorstellung  von  der  alten  Hausgemeinschaft  und  der  Blutrache,  die  Russen 
von  der  Landgemeinschaft.  Selbst  bei  Griechen  und  Italikern  tritt  mancher 
Zug  frisch  hervor;  und  das  wichtigste  ist,  dafs  wir  hier,  in  Erinnerung 
einer  Zeit,  wo  der  nationale  heidnische  Glaube  noch  volle  Kraft  besafs,  meist 
in  der  Lage  sind,  den  sakralen  Hintergrund  zu  erkennen,  ohne  den  ursprüng- 
lich keine  Ordnung  des  sittlichen  Lebens  denkbar  war. 

Redner  ging  nunmehr  darauf  über,  durch  Darstellung  einer  besonderen 
Gruppe  von  Erscheinungen  diese  allgemeinen  Erörterungen  klarer  zu  machen. 
Er  wählte  hierzu  die  Institution  der  Genossenschaften  der  noch  unverheira- 
teten jungen  Leute,  Junggesellen  vereine  oder  Burschrnschaften.    Überall  bei 


voo  A.  Eogelbrecht.  65t 

dao  cnropäUchen  Völkern,  vielleicht  mit  Ansothme  der  ^lavischei  Stiimaie, 
begefDet  man  der  ErtcbeinoDg,  dafi  die  heraowaehseade  mänDlieheJugeDd 
iD  fesigeschlosteoeo,  itraff  (gebundenen  Vereinen  steh  selbst  zar  Ordnung  and 
Sittliehkeit  ersog,  besonders  im  deutschen  Land,  wo  sie  sich  bis  auf  unsere 
Tsfe  in  Dorfgemeinden  erhalten  bat.  Die  geschlossenen  Verbände  der  (iftißo^f 
vioi  und  iuvenrs  {avvodoi  i&v  vimv^  collegium  iuveoam)  mit  ihren  zusam* 
meahangslos  überlieferten  geseUschsftlicheo  und  religiösen  Einrichtungen 
worden  beleuchtet  durch  Züge  aus  dem  deutschen  Juoggesellenverbandsleben 
bei  den  Sachsen  Siebenbürgens,  in  der  alten  Grafschaft  des  Hochstifts  Frei- 
sing  (Bobenbrüderschaft  zu  Mittenwald),  bei  den  Franken  und  Thüringern,  in 
Hassen  und  Nassau,  am  Niederrhein,  und  hierbei  ergab  sich  der  glänzende 
Beweis,  wie  fruchtbar  die  vergleichende  Sittengeschichte  für  die  Wissen- 
schaft seL 

Reicher  Beifali  lohnte  die  Ausführungen  des  berühmten  Gelehrten. 
Hierauf  erfolgte  die  Schliefsung  der  Hanptsitzuag  und  die  Konstituierung  der 
einzelnen  Sektionen. 

Um  3  Uhr  nachmittags  desselben  Tages  fand  das  Festmahl  im  Grand 
HÄtcl  statt,  an  dem  fast  300  Mitglieder  teilnahmen.  In  dem  prächtig  deko- 
rierten  Saale  waren  die  Büsten  Ihrer  Majestäten  des  Kaisers  von  Osterreich 
und  des  deutschen  Kaisers  aufgestellt,  die  Tafelmusik  besorgte  eine  Militär- 
kapelle und  für  die  gastronomische  Zufriedenheit  der  Gäste  sorgte  die  re- 
nommierte Hotelküche  aufs  beste.  Als  ein  von  den  meisten  nicht  ungnädig 
aufgenommener  Verstofs  gegen  die  Traditionen  der  Philologentag -^Bankette 
mafa  es  bezeichnet  werden,  daf:!  die  Getränke,  vom  bescheidenen,  aber  so 
schmackhaften  Bier  bis  zum  perlenden  Schaumwein,  den  Teilnehmern  a  dis- 
cretioa  zur  Verfügung  gestellt  wurden. 

Den  ersten  Toast  sprach  Präsident  y.  Hartel.  Gedenkend  der  ersten 
Versammlung  deutscher  Philologen  und  Schulmänner  in  Wien  vor  35  Jahren, 
hob  er  hervor,  wie  beispiellos  sich  seither  das  gesamte  Üoterrichtswesen  in 
Dentschlaud  und  Österreich  entfaltet  habe  trotz  Krtegsnot  und  innerer  Trüb- 
sal. Dafs  Wissenschaft  Macht  sei  und  diese  Macht  durch  die  Schule  frei 
und  fruchtbar  werde  für  die  Wohlfahrt  der  Völker,  sei  der  werkthätige 
Glaube  der  Regierungen  gewesen.  In  diesem  Glauben  seien  für  alle  Richtungen 
des  Wissens  niedere  und  höhere  Schulen  gegründet,  neue  Universitäten  ge- 
tchafTen,  alte  Universitäten  mit  neuen  Lehrmitteln,  Semioarien,  Instituten 
ausgestattet,  Expeditionen  ausgerüstet,  Sammlungen,  Museen,  Bibliotheken 
erbaut,  gefüllt  und  für  dies  alles  öffentliche  Mittel  aufgebracht  worden  wie 
nie  zuvor.  Und  so  sei  ein  grofsartiger  Organismus  des  Bildungswesens 
entstanden,  welcher  in  seinen  vielverzweigten  Formen,  dem  System  der 
Blutgefäfse  vergleichbar,  dem  Staatskörper  frische  Säfte  zuPühre,  ihn  belebe, 
erwärme,  kräftige.  Dafs  man  aber  zahlreiche  Genossen  aus  heteroglotten 
Ländern  der  österreichisch-ungarischen  Monarchie  und  angrenzenden  Staaten 
als  liebwerte  Gäste  jetzt  in  Wien  begrüfseo  könne,  sei  ein  sicheres  An- 
zeichen, dafs  das  Bewufstsein  jener  Idealen  Gemeinsamkeit  höchster  Kultur- 
interessen, die  einst  mit  weitem  staatsmännischen  Ausblick  Graf  Leo  Thun 
in  seiner  berühmten  Tischrede  auf  der  ersten  Philologen verssmmlong  in  Wien 
gefeiert,  weitere  Kreise  ziehe,  gestärkt  und  vertieft  durch  das  Vertrauen, 
dafs  hier  jene  Freiheit  walte,  welche  die  Eigenart  aller  teilnehmenden  Na- 
tionen ehre  und  achte.  —  Für  diesen  glücklichen  Wandel  der  Dinge  drängen 


652  D.  42.  Versa  mm  1.  deots  eh.  Philologen  a.Schalmiiooerio  Wien, 

sich  Worte  der  Dankbarkeit  aof  die  Lippen  ond  man  müsse  das  Auge  za 
jenen  emporheben,  welche  der  Staaten  Geschicke  bestimmen  und  lenken. 
Der  Redner  gedachte  nunmehr  des  Kaisers  Frant  Josef  L  nnd  Kaisers  Wil- 
helms IT.,  deren  Namen  man  zusammen  nennen  dBrfe  als  Hüter  des  Friedens, 
als  Schirmherren  jedweder  edlen  Arbeit  ihrer  VSlker,  und  brachte  auf  die 
beiden  Monarchen  ein  dreimaliges  Hoch  aus. 

Der  Hnldignngstrinksprueh  wurde  mit  st&rmischem  Enthusiasmus  auf- 
genommen, die  Musik  intonierte  das  „Gott  erhalte*'  und  „Heil  Dir  im  Sieger- 
kranz'S  und  die  ganze  Verssmmlung  sang  die  beiden  Hymnen  stehend  mit 

^  Der  nächste  Toast  wurde  von  Direktor  Jager-K5In  auf  den  (Jnter- 
richtsmittister  Freiherrn  von  Gaotsch  gesprochen.  Redner  würdigte  die  still- 
geschäftige, zielbewnfste  Arbeit  der  österreichischen  Unterrichtsverwaltung 
im  allgemeinen  und  ihres  Chefs  im  hesonderen.  Die  schweren  Kämpfe  und 
Gefahren,  die  Österreich  in  diesem  Jahrhundert  zu  bestehen  gehabt,  habe  die 
nnverwästliehe  Kraft  des  Staatswesens  überdauert,  gefSrdert  durch  den  Geist 
wissenschaftlicher  Arbeitskraft,  der  langsam  schaffe,  niemals  ermüde.  „Wir 
alle  opfern  ans  einer  Weiheschale  den  Unsterblichen'^  rief  der  Redner,  nnd 
an  dieser  Gemeinsamkeit  wissenschaftlicher  Arbeit  und  des  Streheas  nach 
Vervollkommnung  des  Schulwesens  möge  man  treu  festhalten,  sowie  an  der 
Oberzeugung,  dafs  nicht  des  Tages  Nutzen,  sondern,  was  unsterblich  ist, 
den  Wert  bestimmt.  Die  Rede  klang  in  ein  Hoch  auf  Preiherro  von 
Gantsch  aus. 

In  Vertretung  des  Hinisters  dankte  dessen  Sektionschef  Rittner  für 
die  anerkennenden  Worte  des  Vorredners  und  die  allgemeine  Zustimmung 
der  Versammlung.  Es  sei  erfreulich,  dafs  auch  so  viele  Angehörige  nieht- 
deutscher  Zunge  an  der  Versammlung  teilnehmen,  was  dafür  zeuge,  dafs  im 
Zeichen  der  Wissenschaft  jede  Schranke  falle.  Redner  trank  auf  das  Wohl 
der  deutschen  Philologen  und  Schulmänner. 

Prof.  Co  uze -Berlin  sprach  von  der  Schönheit  Wiens,  das  einst  im  Panzer- 
gewande  gesteckt  und  sich  allmählich  auch  des  engen  Liniengärtels  entledigt 
habe.  Der  Sinn  jedes  für  Schönheit  Begeisterten  müsse  sich  an  den  herr- 
lichen Bauten  Wiens,  die  an  das  perikleische  Zeitalter  gemahnen,  erheben 
und  erfreuen.    Er  erhob  sein  Glas  auf  das  Wohl  der  Stadt  Wien. 

Vizebürgermeister  Dr.  Grübl  dankte  für  die  der  Stadt  Wien  darge- 
brachte herzliche  Sympathie,  wordigte  die  unerbittliche  Strenge  des  deutschen 
Schulmeisters,  die  das  Menschengeschlecht  sittlich  erziehe,  und  versicherte 
die  liebwerten  Gäste  seitens  der  Wiener  Bevölkerung  der  lebhaftesten  Sym- 
pathieen.    Er  toastierte  auf  das  Wohl  der  Festgäste. 

Prof.  Thewrewk  v.  Po uot" Budapest  liefs  in  lateinischer  Rede  den 
ersten  Präsidenten  Hofrat  v.  Hartel  hochleben  und  Hofrat  Lang- Wien  ge- 
dachte als  einer  der  vier  Kandidaten,  die  nach  den  reorganisierten  Unter- 
richtsplänen im  Jahre  1849  ins  Lehramt  eingeführt  wurden,  des  unvergefs- 
lichen  Bonitz  und  des  ausgezeichneten  Miklosich,  der  beiden  Präsidenten  der 
Philologen  Versammlung  in  Wien  1858,  nnd  trank  auf  die  hochwichtige  ver- 
söhnende Mission  der  Philologie. 

Prof.  Bormann-Wieo  machte  aufmerksam,  dafs  es  gerade  heute  350 
Jahre  seit  der  Gründung  des  berühmten  Gymnasiums  von  Schulpforta  seien, 
der  gefeiertsten  der  drei  von  Moriz  von  Sachsen  gestifteten  Fürstenschnleo. 
Dort  habe,   wie  der  Redner,   so  auch  Bonitz  seine  Knabenjaht*e  zugebracht. 


voo  A.  Eogelbreebl.  653 

t^Dter  aligemeioer  Zuttinmiiog  beantragte  er,  dorthin  ein  Begrüfäuagstelegramm 
abzaseoden. 

Nach  diesen  Reden  war  der  offizielle  Teil  dei  Banketts  vorüber,  was 
nicht  hinderte,  dafs  man  noch  lange  in  fröhlichster  Stimmnng  xosam- 
menbUeb. 

Um  8  Uhr  abends  empfing  in  den  prankvollen,  mit  herrlichen  Tep- 
pichen nnd  Blattpflanzen  dekorierten  Salons  des  Ministerpalais  der  Unter- 
richtsminister Freiherr  von  Gavtsch  die  Mitglieder  des  Kongresses, 
die  fast  vollzShlig  erschienen  waren,  aufserdem  aber  auch  sonstige  illustre 
Giste,  wie  die  obersten  Uofwärden träger  (Obersthofmeister  Prinz  zn  Hohen- 
lohe,  Oberstkümmerer  Graf  Tranttmansdorlf,  Obersthofnarschall  Graf  Szecsen, 
Oberststallmeister  Prinz  Liechtenstein),  die  Minister  (Ministerpräsident  Graf 
Taaffe  mit  den  Kabinetsmitgliedern  Graf  Falkenhayn,  Marquis  Bacqoehem, 
Graf  Schönborn,  von  Zaieski,  Dr.  Steiobach),  Reichsfinanzmioister  v.  Kailay 
and  Graf  Tisza,  Vertreter  des  diplomatischen  Korps,  wie  die  Gesandten 
Graf  Bray  nnd  Simics,  das  Präsidium  des  Herren-  und  Abgeordnetenhauses 
nebst  zaÜreichen  Abgeordneten,  die  Statthalter  Graf  Kielmansegg  and  Graf 
Badeni,  die  Generalität  (Marinekommandant  Admiral  Baron  Sterneck,  die 
Feldmarschall lieotenants  Baron  Handel,  Graf  Grävenitz,  von  Lehne,  Hold) 
D.  V.  a.,  so  dafs  die  Versammlang  eine  geradezu  glänzende  genannt  werden 
mufs.  Hatte  der  Minister  bereits  am  Morgen  dieses  Tages  durch  seine  glän- 
zende Rede  in  der  ersten  Vollversammlung  die  anerkennende  Bewunderung 
nller  als  Chef  der  Unter  richte  Verwaltung  geerntet,  so  gewann  er  Abends  die 
Herzen  aller  als  liebenswürdiger  und  zuvorkommender  Hansherr,  nnd  die 
gastlichen  Hallen  des  Ministeriums  werden  gewils  allen  Teilnehmern  in  an- 
genehmer Erinnerung  bleiben,  zamal  in  ihnen  die  Unterhaltung  dnrch  keinerlei 
Zwang  eingeschränkt  wnr  und  gerade  hier  den  Anwesenden  sich  die  beste 
Gelegenheit  bot,  geselischafilich  einander  näher  zu  treten. 

n.  Vollversammlung. 

Der  zweiten  Vollversammlung  nm  25.  Mai  präsidierte  Regiernogsrat 
Ton  Egger-Möliwald.  In  derselben  wurde  zuerst  das  Telegramm  ver- 
lesen, in  dem  der  Kniser  von  Österreich  für  die  Huldigung  der  Festver- 
sammlung dankte.  Es  hatte  folgenden  bedeutsamen  Inhalt:  „Für  die  mir 
zugesandten  warmen  Worte  herzlichen  Dank  mit  dem  Ausdruck  lebhafter 
Befriedigung,  dafs  Wien  abermals  Zeuge  sein  kann  der  hochwichtigen, 
vielseitigen  Thätigkeit  einer  so  ansehnlichen  Versammlung. 
Seien  Sie  überzeugt,  dafs  Ich  deren  Beratungen  mit  reger  Teilnahme  und 
dem  Wunsche  begleite,  es  möchte  daraus  für  Beruf,  Wissenschaft 
and  gemeinsames  geistiges  Streben  wesentlicher  und  dauern- 
der Gewinn  erwachsen.  Franz  Josef  m.  p.''  Vom  deutschen  Kaiser  langte 
am  folgenden  Tage  folgende  telegraphische  Erwiderung  des  an  ihn  gerich- 
teten Hnldigungstelegramms  ein:  „Seine  Migestät  der  deutsche  Kaiser  lassen 
fdr  den  telegraphischen  Grufs  der  Versammlung  deutscher  Philologen  bestens 
dnnken.  Anf  allerhöchsten  Befehl  v.  Lucanus,  Geheimer  Kabinetsrat".  Es 
warde  ferner  eine  Anzahl  weiterer  Begrufsungstelegramme  verlesen  und  die 
Binladong  des  Direktors  der  k.  k.  Theresianischen  Akademie,  Hofrats  Baron 
Pidoll,  überbracht,  die  Anstalt  zu  besuchen.  Die  dortselbst  geplante  Anf- 
fohrnng  von  Jngendspielen ,  die  einen  Punkt  des  offiziellen  Programms  des 


654  D.42.Ver8«inin].deiit8eb.PhiloIo|^eo  u.  Sehulmiooer  in  Wiei^ 

Kongresses   bilden    sollten ,    murste   ans  Anlafs  des  Ablebens    des  Kurators 
dieser  Anstalt,  R.  v.  Scbmerling,  anterbleiben. 

Hofrat  Scbenkl-Wien  überreicbte  ein  Exemplar  der  ,,Studi  italiani 
di  filologia  classica''  mit  einer  lateiniseben  Widmang  an  die  Versammloog 
und  einem  Bej^Ieitsch reiben  von  Prof.  Vitelli,  einem  der  Urheber  der  Samm- 
lang,  und  würdigte  die  Verdienste  Italiens  um  den  Aufschwang  der  klassi- 
schen Studien. 

Hierauf  legte  Regieroogsrat  v.  Thalloczy  namens  des  Reicfasfinanz- 
mioisters  v.  Kallay,  der  auch  dem  Ministerium  für  die  Angelegenheiten  Bos- 
niens und  der  Herzegowina  vorsteht,  zwei  Publikationen  über  Bosnien  und 
die  Herzegowina  vor,  die  bereits  oben  unter  den  zur  Verteilung  gelangten 
Festschriften  angeführt  worden. 

Die  „Wissenschaftlichen  Mitteilongen  aus  Bosnien  und  der  Herzegowina" 
enthalten  Berichte,  Abbandlungen  nod  Notizen  aus  dem  Gebiete  der  Archäo- 
logie und  Geschichte,  Volkskunde  und  Naturwissenschaft,  wobei  mancberlei 
Bausteine  zu  einer  Geschichte  und  Kulturgeschichte  der  fünf  Perioden  Bos- 
niens (Herrschaft  des  illyrischen  Stammes,  römische  Zeit,  Zeit  der  VSlker- 
wanderung,  Zeitalter  aotochtboner  slavischer  Fürstentümer,  türkische  Ober- 
herrschaft), zu  anthropologischen  und  ethnographischen  Studien  geliefert 
werden.  Die  Gründung  eines  bosniseh  -  herzegowinischen  Landesmuseums 
sollte  der  Wissenscbaft  und  Kunst  gewissermafsen  ein  Heim  bieten,  und  be- 
reits seit  vier  Jahren  besteht  eine  wissenschaftliche  Zeitsehrift,  der  „Glas- 
nik",  der,  viermal  im  Jahre  erscheinend,  die  Wissenschaft  und  Kunst  in 
Bosnien  betreiTende  AbhandJuogen  und  Notizen  bringt.  Um  diese  in  der 
Landessprache  geschriebenen  Aufsätze  dem  grofsen  europÜischen  Publikum 
zngSnglich  zu  maohen,  wurden  die  „Mitteilungen^'  geschaffen,  dessen  erstem 
Bande  noch  in  diesem  Jahre  ein  zweiter  folgen  soll.  Das  zweite  Werk  über 
die  „Römerstrafsen  in  Bosnien  und  der  Herzegowina^'  stellt  ohne  Rücksicht  auf 
Itinerarien  und  Spekulation  der  geschriebenen  Nachrichten  die  thatsäehiiehen 
Sparen  römischer  Strafsen  fest;  der  Verfasser  BalJif  ist  Baorat,  der  mit 
grofsem  Glück  zuerst  in  Westbosoien,  der  Herzegowina  und  an  der  Drina 
die  römischen  Strafsen  und  Wege  auf  Grund  von  positiven  Oberresten  er- 
forscht hat  und  in  Bälde  einen  zweiten  Band  seiner  Forschungen  zu  liefern 
verspricht.  Der  Redner  schliefst  mit  dem  Ausdrucke  der  Befriedigung, 
Publikationen  jenes  Landes  vorgelegt  zu  haben,  welches  im  Altertum  das 
Gebiet  der  tiefsten  Barbarei,  im  Mittelalter  und  in  der  Neuzeit  als  der 
Schauplatz  unglückseligen  Parteizwistes  bekannt  war,  jetzt  aber  auch  auf  dem 
Gebiete  moderner  Wissenschaft,  deren  Basis  doch  die  Antike  ist,  in  die  Reibe 
der  KulturlÜnder  einzutreten  beginnt. 

Präsident  Hofrat  v.  Hartel  dankt  dem  Redner  und  seinem  Auftrag- 
geber, Reichsfinanzminister  von  Kallay,  und  giebt  der  Hoffnung  Ausdrack, 
dafs  die  Versammlung  durch  die  vorausgegangenen  Darlegungen  erkannt  habe, 
dafs  Osterreich  -  Ungarn  die  Kraft  in  sich  habe,  eine  grofse  Knltormission 
mit  Gluck  zu  erfüllen. 

Hierauf  hielt  Universitätsprofessor  Brand l-Strafsburg  einen  Vortrag 
über  „Byron  und  die  Antike *S  Bereits  Goethe  hat  im  zweiten  Teil  des 
Faust  Byron  als  Euphorien  hingestellt,  als  den  Sohn  des  Faust  und  der 
Helena,  d.  h.  der  romantischen  und  der  klassischen  Poesie;  das  von  Goethe 
80  angedeutete  Verhältnis  Byrons  zur  Antike  behandelte  der  Redner,  weil  »an 


von  A.  Engflbrecht.  655 

in  deo  weuii^en  Juhreo    seit    der    selbstäodigeD  Cntfaltuog  der  roiuaoischeo 
nnd  OBdrUsebeD  Philologie  immer  laoter  die  Parlierrähiffkeit  und  LaDdeskunde 
fordere  md  darüber  das  eigrotliche  Ziel  jeder  Philolcfpie,  die  ErklSmogp  nod 
Neabelebang  der  ffrofseo  Schriftsteller,  verg^esse.  Gewira  sei  oio  Shakespeare- 
Gelehrter,  der  ein  trauriges  finglisch  radebreche,  IScherlicb,  uod  der  Dickeos- 
Erklärer,  dem  Loodoo  ferogebliebeo  ist,  aober ufen,  aber  ans  der  Litteratar- 
gesehichte   sei   erst  das  wisseoschaftliche  Studium    der   moderoeo  Sprachen 
hervorgegaogen.  >-  Byroos  erste  poetische  Aoregaogen  waren   romantische: 
seine  Matter  war  eine  Schottin,    vom  zweiten  bis  sehnten  Lebensjahre  war 
er  in  Schottland  aufgewachsen  und   dort   hat  er  die  Volksballaden,   Ossiao, 
Borns  ans  erster  Rand  bekommen  und  sie  auch  begeistert  nachgeahmt    Erst 
als  Byron  als  Gymnasiast  nach  Harrow  kam,  trat  er  in  klassische  Kreise  ein. 
Von  jeher  hat  England  die  Alten,  besonders  die  Lateiner,  nicht  blols  studiert, 
sondern  auch    in  sein  nationales  Leben   zu  verschmelzen  getrachtet.    Sämt- 
liche Litteraturgattungen,  in  denen  die  Engländer  sich  auszeichneten,  lassen 
sich  auf   römische  Quellen  und  Vorbilder  zurückfuhren,   mit   einziger  Aus- 
nahme der  Balladen.     Als    den  Kern   aber  und  die  Hauptgrund] age  des  eng- 
lischen Klassizismus  mufs  man  die  Lehrmethode   ansehen,    nach  der  man  in 
England  in  die  alten  Sprachen  eingeweiht  wurde.    Seit  der  Renaissance  hat 
der   englische  Schulmeister  wenig   auf  Grammatik   gegeben  und   desto  mehr 
auf  die  Lektüre;  „der  gefesselte  Prometheus'*  des  Äschylns  wurde  zu  Harrow 
im  Jahre  dreimal   gelesen],    auf   den    englischen  Universitäten   hat  man  nie 
aufgehört,   klassische  Dramen   zu  spielen.     Byron  las  in  Harrow  fiuripides, 
Anakreon,  Catoll,  Tibuil,  ja  selbst  Eutrop,  Arrian  und  Strabo.    Hier  keimte 
in  ihm  die  Sehnsucht  nach  hellenischer  Schönheit  auf,  die  sich  von  Jahr  zu 
Jahr  am  so  heftiger  geberdete,  je  weniger  England   mit   seinem  nordischen 
Himmel   und    geschäftig   ernsten    Menschenschlag   ihm   dafür  Ersatz   bieten 
konnte.    Endlich  konnte  er  sie  befriedigen:    er  ging  über  Spanien  nach  Al- 
banien,  kam  nach  Aktium,   nach  Delphi  und  Athen,   selbst  nach  Kleinasien 
und  Smyrna.     Die  Bindrücke  dieser  Reise  waren  so  nachhaltig,  dafs  Byron, 
naeh  England  zurückgekehrt,  durch  einige  Jahre  nicht  müde  ward,  Romanzen 
mit  griechischem  Schaoplatz  zu  dichten.     Zu  einer  vollen  Erfassung  antiker 
Poesie  und  Kunst  gelangte  aber  Byron  erst  später  —  durch  Enttäuschungen 
politischer  und  privater  Natur.  Byrons  politisches  Ideal,  Napoleon,  von  dem 
er  wünschte,  dafs  er  wie  Sulla  oder  Diokletian  sein  Land  heroisch  rette  und 
sieh  dann  selbstlos  zurückziehe,  hatte  sich  nicht  nur  besiegen,  sondern  auch 
gefangen    nehmen    lassen,    ohne   nur  verwundet   zu   sein.    In    der  Ode   auf 
Napoleon    Booaparte  vergleicht    er   diesen   mit  Prometheus:    der  habe  auch 
gegen  den  Himmel    sieh  empört,    dann    aber  vor   dem  Blitze  des  Zeus  sich 
nicht  gebeugt,   sondern    stolz   zu   fallen  und  unerschütterlich  zu  leiden  ge- 
wufst.    Die   zweite  Enttäuschung    brachte    ihm  das  Gefühl   bei,   selbst  eine 
Prometheusrolle   zu    spielen.    Nach  einer  Reihe  von  Liaisonen  war  er  end- 
lieb zu  einer  Vermählung  geschritten,    und  gerade  die  Frau,  mit  der  er  es 
so  redlich  gemeint,  wandte  ihm  plötzlich  den  Rücken;  als  er  mit  der  gesell- 
schaftlichen Sitte  Frieden    schlofs,    nahm    die  Gesellschaft  gegen  ihren  bis* 
herigen  Liebling  Partei    und   zwang   ihm    moralisch   zur  Flucht   nach    dem 
Kontinent.    Ans  der  darauf   folgenden  Zeit   stammt  die  Ode  „Prometheus", 
„Manfred",  „Kain'S   Helden  aus  der  „prometheischen  Schule'S    <l«r  typische 
Aasdrock  des  Starms  und  Drangs;   die  Antike  hatte  dem  modernen  Dichter 


656  D*  42.  Vers.  d.  Phil.  o.  Schnlin.  io  Wien,  von  K.  Eogelbrecht. 

für  sein  neuartigstes  Fühlea  and  Wolleo  das  schone  Symbol  geliehen.  Die 
Episode  von  Doo  Juan  and  Haidee  basiert  aaf  der  Episode  von  Odysseos  aod 
Naosiliaa  bei  Homer.  Ao  den  Haaptwendepnnkten  von  Byrons  Empflndeo 
und  Dichten  stehen  grieohische  Meilensteine,  und  wie  der  Schlufsstein  in 
einem  Gewölbe  wirkt  es,  dafs  Byron  für  die  Befreiung  Griecheolands  in  den 
Kampf  zog  und  dabei  auf  hellenischem  Boden  gestorben  ist 

Redner  schlofs:  y,Byion  mag  als  charakteristisches  Beispiel  dafür  die- 
nen, wie  gewaltig  der  antike  Einflufs  bei  unsern  westeuropäischen  Nachbarn 
gewesen  ist,  and  zwar  gewöhnlich  da,  wo  sie  die  schönsten  Leistangeu  her- 
vorgebracht haben.  Diese  Oberseugung  wird  sich  am  so  mehr  ausbreiten, 
je  besser  vorgebildete  Studierende  sich  den  modernen  Sprachen  widmen  und 
je  historischer  die  Methode  ihrer  akademischen  Weiterbildung  ist.  Es  hat 
mich  daher  gewandert,  dafs  der  Herausgeber  der  ^reofsisehen  Jahrbücher*' 
vor  kurzem  eigenhändig  zur  Feder  griff,  um  n  örtlich  den  Satz  anftusteUeo: 
„Wird  erst  ernste  Arbeit  auf  Englisch  und  Französisch  verwandt,  so  sind 
Lateinisch  und  Griechisch  ganz  verloren'^  Wie  ängstlich!  Im  Gegeateil: 
nur  der  oberflächliche,  utilitaristische  Betrieb  der  neueren  Sprachen  trägt 
allen  Fluch  und  Dünkel  des  Halbwissens  an  sich.  Der  wissenschafUiche 
Romanist  und  Anglist  kann  nicht  anders,  als  dem  Altertum  einen  noch 
lebendigeren  Kontakt  mit  der  Gegenwart  vermitteln.  Die  Neuphilologie  ver- 
mag am  besten  darzuthun,  dafs  das  Gebiet  der  klassischen  Philologie,  wenn 
man  sie  als  die  Wissenschaft  vom  antiken  Geist  auffafst,  nicht  blofs  bis 
500  n.  Chr.  reicht,  sondern  ununterbrochen  bis  auf  den  heutigen  Tag'S 

Hierauf  legte  Universitätsprofessor  Gomperz-Wien  seine  Ausgabe 
der  neuentdeckten  Bruchstücke  aus  der  Hekale  des  Kallimachos  vor.  Die 
Fragmente  sind  auf  einer  Holztafel  geschrieben,  die  aas  einem  egypiischen 
Grabe  stammt  und  jetzt  der  Sammlung  der  Papyrus  Erzherzog  Rainer  ein- 
verleibt ist  Durch  diese  Publikation  wird  der  Bestand  des  gefeierten 
Meisterwerks  des  Altertoms  mehr  als  verdoppelt:  während  wir  früher  nur 
zusammenhangslose  Verse,  höchstens  in  Gruppen  von  zwei  und  drei  hatten, 
liegen  jetzt  Reihen  von  10 — 15  Versen  vor.  Der  kurze  b^igegebene  Kom- 
mentar soll  nur  die  fundamentalen  Thataachen  vor  das  Auge  des  Lesers 
stellen,  das  weder  durch  unnötige  Minntien  noch  durch  einen  hypothetischen 
Oberbau  verwirrt  werden  soll. 

Professor  Di  eis -Berlin  beantragte  hierauf  die  Abaendaog  eines  Dank« 
telegramms  an  Erzherzog  Rainer,  nicht  nur  dafür,  dafs  er  diese  Publikation 
ermöglicht  habe,  sondern  für  sein  unermüdliches  Wirken  auf  diesem  Felde, 
was  unter  lebhafter  Zustimmung  zum  Beschlufs  erhoben  wurde. 

(PortoeUnng  folgt) 


DRITTE  ABTEILUNG. 


BERICHTE  ÜBER  VERSAMMLUNGEN,  NEKROLOGE, 

MISCELLEN. 


19.  Hauptversammlung  des  Vereins  von  Lehrern  höherer 
Unterrichtsanstalten  der  Provinz  Hessen -Nassau  und  des 
Fürstentums  Waldeck,   abgehalten   in  Frankfurt   am  Main 

am  2.  Mai  1894. 

Die  Verbaodluopeo  bef^aonea  am  9^8  '^iir  io  der  festlich  geschmückten 
Aalt  des  Raiser-Friedrichs-GymDasivms.  Der  Vorsitzende  des  Ortsaus- 
schosses, Gymnasialdirektor  Prof.  Dr.  Hartwtg-Prankfart  a.  M,,  erölToet 
die  Versammlung,  indem  er  darauf  hinweist,  dafs  jetzt  gerade  zwei  Jahr- 
zehnte vergangen  seien,  seit  der  Verein  von  Lehrern  höherer  Lehranstalten 
in  Frankfurt  seine  Hauptversammlung  abgehalten  habe.  Vieles  sei  inzwischen 
anders  geworden  auf  dem  Gebiete  des  höheren  Schulwesens:  es  hätten  hier 
nicht  nur  die  Organisationsfragen,  sondern  auch  die  Personen  gewechselt. 
Um  so  mehr  freue  es  ihn,  gerade  den  Vorsitzenden  jener  vor  20  Jahren  hier 
abgehaltenen  Versammlung,  Geh.  Regieruogsrat  Dr.  Eiselen,  auch  heute 
wieder  unter  den  Anwesenden  zu  erblicken  und  ebenso  einen  von  den  da- 
maligen Referenten,  Gymnasialdirektor  Dr.  Pähl er- Wiesbaden.  Die  einzige 
völlig  konstante  Gröfse  aber  in  der  Flucht  der  Erscheinungen  sei  Prof. 
Valentin-Frankfurt:  wie  er  damals  als  Festwart  seines  Amtes  gewaltet, 
80  sei  er  auch  heute  wieder  als  solcher  thätig.  Redner  heifst  sodann  alle 
Erschienenen  herzlich  willkommen,  besonders  die  Gäste,  welche  der  Ein- 
ladung des  Vereins  Folge  geleistet  haben:  Geh.  Regierangsrat  Dr.  Lab- 
meyer  als  Vertreter  des  Kgl.  Pro v. -Schul kollegiums,  Stadtrat  Dr.  Grimm 
als  Vertreter  des  Frankfurter  Magistrats,  die  Universitätsprofessoren  Dr. 
Stengel,  Niese,  Freiherr  von  der  Ropp,  Schröder,  Wissowa  und 
Schulze  als  Vertreter  der  Universität  Marburg.  Es  gereiche  ihm  zu 
grofser  Genagthuung,  zu  sehen,  dafs  die  Universität  der  Provinz  durch  das 
Erscheinen  dieser  Herren  ihr  Interesse  an  den  höheren  Schalen  bekunde; 
denn  Universität  und  höhere  Schulen  seien  ja  auf  einander  angewiesen  und 
mafsten  Hand  in  Hand  arbeiten.  Die  höheren  Schulen  besorgten  den  Rohbau 
der  Bildung,  die  Universität  die  feinere  Arbeit;  beide 'seien  gewissermafsen 
fiewohner  desselben  Haus^,  in  welchem  die  Universität  die  Beletage,  die 
höheren  Schalen  «das  Brdgeschofs  innehätten.  Darum  sei  es  angemessen, 
wenn   beide  mit  einander  stets  freundschaftliche  Beziehungen  unterhielten. 

Sodann  gedenkt  der  Vorsitzende  der  im  Laufe  des  letzten  Jahres  ver- 
storbenen Vereinsmitglieder;  die  Versammlung  ehrt  ihr  Andenken  durch  Er- 
heben von  den  Sitzen.  Darauf  erklärt  er,  es  sei  zwar  in  den  Versammlungen 
des  Vereins  üblich,  dafs  der  jedesmalige  Vorsitzende  des  Ortsausschusses 
Ztttoehrift  f.  d.  GjauiMialweten  XUVUL    10.  42 


658     19.  flanptvers.  v.  Lebrero  der  Prov.  Hesseo-Nassan  a.  8.  w., 

eioeo  Überblick  über  die  Gescbichte  der  Aostalt,  io  dereo  Räomen  mao  g^erade 
tage,  gäbe.  Aber  das  Kaiser-Friedricbs-Gymoasiam  za  Frankfart  sei  das  jöagste 
der  Mooarchie:  es  habe  daher  noch  keioe  Gescbichte.  Deshalb  habe  er  sieh  ein 
anderes  Thema  aoserseheo,  die  Geschichte  der  Maturitätspröfnag. 

Die  ReifeprüfoDg  habe  zwar  eia  ziemlich  kurzes  Daseia,  da  sie  erst 
etwas  über  100  Jahre  alt  sei;  aber  doch  habe  sie  bereits  manchen  Häutongs- 
prozefs  durchgemacht.  Ihre  Vorgeschichte  lasse  sich  zurückfuhren  bis  in 
die  Reformationszeit:  bereits  Luther  fordere  1520  in  seiner  Schrift  „An 
den  christlichen  Adel  deutscher  Nation  von  des  christlichen  Standes  Besserung*', 
dals  nur  die  Tüchtigsten  und  am  besten  Vorbereiteten  sich  dem  Stodinal 
der  Theologie  widmen  sollten  ;  aber  der  nächste  Schritt  sei  erst  spät  gethan. 
Arnos  Comenius  habe  die  Forderung  aufgestellt,  dafs  am  Schlüsse  der  klassi- 
schen Schulen  eine  Prüfung  der  Geister  vorgenommen  werde,  um  festau- 
steilen, welche  Zöglinge  sich  mehr  für  einen  praktischen  Beruf,  welche  mehr  Hir 
das  Studium  der  Wissenschaften  eigneten.  Aber  das  seien  vorderhand 
fromme  Wünsche  ohne  praktische  Folgen  gewesen.  Erst  die  Erfahrung,  dafs 
gar  zu  viele  für  das  Studium  völlig  ungeeignete  Elemente  auf  den  Univer- 
sitäten zusammenströmten,  habe  in  Preufsen  die  Verordnung  vom  25.  August 
1708  hervorgerufen,  wonach  jeder,  der  die  Immatrikulation  aaf  einer  prenfsi- 
scben  Universität  nachsuchte,  seine  Befähigung  durch  ein  Zeugnis  der 
Schule,  auf  der  er  seine  Vorbildung  erhalten,  oder  durch  eine  Prüfung  vor 
dem  Dekan  der  Fakultät,  der  er  angehören  wollte,  nachweisen  sollte,  damit 
nicht  so  viele  Söhne  von  Bürgern  und  Bauern  sich  zum  Universitätsatadlnm 
drängten.  In  Nassau -Weilburg  habe  man  1699  von  jedem,  der  zur  Univer- 
sität abgehen  wollte,  eine  Valediktionsrede  verlangt;  eine  laodgiüflich 
hessische  Verfügung  ans  derselben  Zeit  habe  die  Bestimmung  getroffen,  dafs 
die  Söhne  der  „herrschaftlichen  Livreebedienten*',  der  Bürger  und  Bauern, 
nur  mit  Erlaubnis  des  Ministeriums,  die  an  einen  Nachweis  der  Vorbildung 
geknüpft  wurde,  studieren  dürften.  Ein  eigentliches  Examen  sei  in  Preufsen 
erst  durch  das  WöUnersebe  Edikt  1788  festgesetzt  worden.  Aber  anfangs 
seien  die  Bestimmungen  sehr  unklar,  die  Praxis  sehr  ungleich,  die  Willkür 
sehr  grofs  gewesen.  Die  gleichen  ßbelstände  hätten  sich  bei  den  Prüfungen 
auf  der  Universität  vor  den  Dekanen  der  Fakultäten  gezeigt.  Damm  sei 
1812  eine  genauere  Instruktion  für  die  Abhaltung  der  Reifeprüfang  in 
Preufsen  ausgearbeitet  worden.  Aber  selbst  jetzt  habe  man  sogar  die  mit 
dem  Zeugnis  der  Unreife  entlassenen  Schüler  noch  zur  Immatrikulation  zu- 
gelassen. Und  aus  einer  zu  weit  gehenden  Scheu  vor  der  Freiheit  des 
Einzelnen,  seinen  Sohn  der  Universität  zuzuführen,  habe  man  das  Zeagnu 
der  Unreife  selbst  Leuten  erteilt,  die  vom  Griechischen  gar  keine  Ahnung 
gehabt  hätten,  ebensowenig  von  Mathematik  und  Geschichte,  und  vom  Latein 
oft  nicht  mehr  als  die  Buchstaben  gekannt  hätten;  solche  Ignoranten  luitten 
dann  als  akademische  Bürger  paradieren  dürfen.  Noch  weiter  hätten  oft 
die  Dekane  auf  den  Universitäten  die  Milde  getrieben.  Und  der  Zudrang 
zur  Universität  sei  damals  um  so  gröfser  gewesen,  weil  die  Berechtigung 
zum  einjährigen  Militärdienst  an  die  Immatrikulation  geknüpft  gewesen  sei. 
Solche  Zustände  hätten  dringend  der  Abhülfe  bedurft,  welehe  dorch  die 
Reifeprüfnngsordnuog  vom  12.  Juni  1834  getroffen  sei,  worin  die  Prüfung 
auf  alle  GymDasialfarher  ausgedehnt  wurde;  die  mündliche  PrüfoDg  kabe 
•ich  auf  zehn,  für  Philologen  und  Theologen  aof  elf  veraehiedeae  NuBBera 


r 


von  A.  Ltnge.  659 

entreckt.  Damit  sei  der  HShepnikt  der  Anforderaogen  erreicht  wordeo. 
Trotxden  teieo  die  Klagen  über  die  mangelhafte  Vorbildnng  der  Studierenden 
nieht  verstummt.  Alsbald  aber  hätten  aneh  auf  Lorinsers  Anregang  hin 
die  Riagen  über  die  Oberbürdung  begonnen.  Zwar  hütte  das  preofsische 
Ministerivm  dieselben  doreh  firlafs  vom  24.  Oktober  1837  als  unbegründet 
Kuriekgewiesen;  aber  bald  habe  sich  unter  dem  Einflüsse  der  öffentlichen 
Meinung  eine  rüeklMufige  Bewegung  geltend  gemacht,  ja  in  der  Landes- 
Schalkonferenz  von  1849  sei  sogar  die  gSnzliche  Aufhebung  der  mündlichen 
Reifeprüfung  beantragt,  aber  nicht  beschlossen  wordeo.  Bemerkeoswert  sei, 
dafs  Jakob  Grimm. sich  vom  Standpunkte  der  Freiheit  des  Individuums  gegen 
die  Reifeprüfung  ausgesprochen  habe:  denn  man  müsse  jedem,  der  den  Wunsch 
in  sich  trage,  die  Universität  zu  besuchen,  dies  auch  gestatten;  die  Staats- 
prüfungen am  Schlüsse  der  Uuiversitatsstudien  böten  dem  Staate  genügende 
Garautieen  dafür,  dafs  keine  unfähigen  Elemente  in  die  für  Studierte  be- 
stimmten Stellungen  eindrüngen.  Der  nächste  Schritt  auf  dem  Wege  der 
Erleichterung  der  Prüfung  sei  durch  die  Prüfungsordnung  von  1856,  welche 
bis  1882  in  Kraft  geblieben  sei,  gethan  worden:  ans  der  mündlichen  Prüfung 
sei  entfernt  die  Prüfung  in  der  Litteraturgeschichte,  der  philosophischen 
Propädeutik,  im  Französischen,  in  der  Physik  und  Naturkunde;  die  Dispen- 
sation von  der  ganzen  mündlichen  Prüfung  sei  bei  guten  Rlassenleistungen 
und  gutem  Ausfall  der  schriftlichen  Prüfung  gestattet  worden.  Eine  weitere 
eriiebliehe  Erleichterung  habe  die  Prüfungsordnung  vom  27.  Mai  1882  ge- 
braehC,  da  durch  diese  die  grammatische  Prüfung  im  Griechischen  und 
Frnnzüsischen  an  den  Schlufs  der  Obersekunda  verlegt  worden  sei.  Noch 
bedeutend  grüfsere  Brieichteruogen  seien  dnrch  die  neue  Ordnung  der  Reife- 
prüfungen von  1891  festgesetzt  worden,  indem  die  Prüfung  ansschliefslich 
auf  den  ünterrichtsstoif  der  Prima  beschränkt  und  die  weitgehendsten  Dis- 
pensationen von  der  mündlichen  Prüfung  zugelassen  seien.  Jetzt  sei  das 
Minimum  der  Anforderungen  erreicht  Allerdings  seien  blofs  die  Schüler 
erleichtert,  nicht  die  Lehrer;  denn  dafs  man  noch  jetzt,  trotz  der  fast 
l^nzlichen  Beseitigung  des  grammatischen  Unterrichts  im  Lateinischen  von 
Obersekunda  ab,  verlange,  der  Lehrer  solle  seine  Schüler  soweit  bringen,  dafs 
sie  in  der  Reifeprüfung  noch  ein  lateinisches  Extemporale  schreiben  könnten, 
komme  ihm  gerade  so  vor,  als  wenn  man  verlangen  wollte,  dafs  ein  Künstler 
ohne  die  nötige  Zeit  und  ohne  Haodwerkzeng  aus  einem  Stück  Marmor  doch  ein 
Kunstwerk  herstellen  solle.  Die  Entwickeluog  der  Reifeprüfung  zeige  also  eine 
aufnteigende  Linie  bis  1834,  dann  Sinken  von  Stufe  zu  Stafe.  Er  hoffe,  dafs 
das  letzte  Wort  noch  nicht  gesprochen  sei ;  würden  die  Ergebnisse  schlecht,  so 
würde  man  hoffentlieh  noch  eine  recht  ideale  Reifeprüfnngsordnong  bekommen. 
Darauf  erhielt  Sudtrat  Dr.  Grimm -Frankfurt  a.  M.  das  Wort.  Er 
übermittelt  der  Versammlung  den  Dank  der  städtischen  Behörden  für  die 
Einladung  zu  derselben  und  betont,  die  städtischen  Schnlbebörden  Frankfurts 
seien  bestrebt,  für  die  Jugend bildong  möglichst  günstige  Vorbedingungen 
zu  schaifen;  daher  habe  Frankfurt  unter  42  Städten  von  über  50  000  Ein- 
wehnern  die  höchsten  Aofwendnngen  für  die  Schulbildung  und  die  geringste 
Sehülersahl  auf  jeden  Lehrer.  Gerade  das  höhere  Schulwesen  blühe  in 
Frankfurt  ganz  auTserordentlich :  in  den  übrigen  Städten  über  50000  Ein- 
wohner entfielen  auf  je  1000  Schüler  durebsehnittlieh  165  Schüler  höherer 
Sehulen,  in  Frankfurt  290.    Wie   allen  Bestrebungen,   welche   dem  Wohle 

42* 


660     19.  Hanptvers.  v.  Lehrero  der  ProY.  Hesten-Nsksia  a.  i.  w., 

der  höheren  Schulen  dienten,  so  brachten  die  städtischen  Behörden  avch  der 
heutigen  Versammlung  ihre  volle  Sympathie  entgegen. 

Es  folgt  die  Verlesung  der  Präsenzliste,  welche  die  Anwesenheit  von 
240  Teilnehmern  ergiebt,  aber  leider  ungebührlich  viel  Zeit  in  Anspruch  nimmt. 

Dann  erstattet  der  Vorsitzende  des  ständigen  Ausschusses,  Prof.  Dr. 
Weiden  mül  1er -Marburg,  den  Jahresbericht  über  die  Thätigkeit  des  stän- 
digen Ausschusses  im  abgelaufenen  Vereinsjahre  und  zugleich  namens  des 
verhinderten  Kassierers  die  Rechnungsablage:  danach  gehören  dem  Vereine 
53  Austallen  mit  505  Mitgliedern  an.  Auf  Antrag  des  Ausschusses  wird 
beschlossen,  den  Beitrag  für  das  laufende  Jahr  auf  1,50  M  zu  erhöhea 
(bisher  1  M).  Alsdann  wird  ein  Rechnungsrevisor  ernannt  und,  nachdem 
derselbe  die  Kassenrechnuog  richtig  befunden,  dem  Kassierer  Decharge  erteilt. 

in  Anknüpfung  an  den  WeidenmüUerschen  Jahresbericht  legt  Geh.  Re- 
gierungsrat Dr.  Lahmeyer  dar,  in  welcher  Weise  das  Kgl.  Prov.-Schul- 
kollegium  bei  den  in  letzter  Zeit  zur  Entscheidung  gekommenen  Fragen 
stets  für  das  Wohl  der  ihm  unterstellten  Lehrer  Sorge  getragen  habe. 
Wenn  nicht  alle  Wünsche  hätten  erfüllt  werden  können,  so  z.  B.  die  der 
ehemaligen  kurhessischen  Hülfslehrer  und  nassanischen  Kollaboratoren  auf 
Anrechnung  ihrer  Dienstzeit  vor  der  Einverleibung  in  den  preufsischen 
Staat,  so  erkläre  sich  das  durch  die  versagte  Zustimmung  des  Finanz- 
ministeriums. Am  übelsten  seien  die  Lehrer  höherer  Schulen  innerhalb  seines 
Amtsbezirks  bisher  noch  in  Waldeck  gestellt,  da  die  waldeckschen  höheren 
Schulen  zwar  unter  preufsischer  Aufsicht  stünden,  aber  die  Mittel  zur  Unter- 
haltung von  Waldeck  gestellt  würden ;  hoffentlich  erfolge  auch  dort  die  seitens 
des  Kgl.  Prov.-Schulkollegiums  angeregte  Besserstellung  in  absehbarer  Zeit. 

Weiter  erhält  Realgymnasialdirektor  Dr.  Wittich -Gassei  das  Wort 
zur  Begründung  des  Antrages:  „Die  19.  Hauptversammlung  des  Vereins  von 
Lehrern  höherer  (Jnterrichtsanstalten  der  Provinz  Hessen-Nassau  und  des 
Fürstentums  Waldeck  richtet  an  den  Vorort  das  Ersuchen,  bei  dem  Herrn 
Unterrichtsminister  dahin  vorstellig  zu  werden,  dafs  dieser  beim  Herrn 
Kriegsmioister  dahin  wirken  möge,  dafs  für  die  Kandidaten  des  höheren 
Schulamts  dieselbe  Behandlung  bez.  der  Wahlfähigkeit  zum  Reserve-Offizier 
stattfinde,  wie  bei  den  im  Vorbereitungsdienste  befindliehen  Angehörigen 
der  anderen  akademisch  gebildeten  Stände*^  Er  hebt  hervor,  dafs  es  den 
Seminar-  und  Probekandidaten  versagt  werde,  zur  Wahl  zum  Reserve-Offizier 
gestellt  zu  werden,  während  z.  B.  jeder  Referendar  ohne  weiteres  als  wähl- 
bar angesehen  werde.  Darin  liege  eine  durchaus  ungerechtfertigte  Zurück- 
setzung der  im  Vorbereitungsdienst  für  das  höhere  Schulamt  begriffenen 
Kandidaten  gegenüber  den  in  gleicher  Lage  befindlichen  Angehörigen  anderer 
Berufsarten.    Der  Autrag  wird  einstimmig  angenommen. 

Anf  Antrag  des  Vorstandes  beschliefst  die  Versammlung  ferner,  300  M 
als  Beitrag  zur  Thimm-Stiftuog  (zu  Gunsten  der  Hinterbliebenen  des  ver- 
storbenen Prof.  Thimm  in  Tilsit)  anzuweisen. 

Nach  diesen  geschäftlichen  Verhandlungen  findet  um  12  Uhr  eine 
Frühstückspause  statt;  um  1  Uhr  werden  die  Verhandlungen  forl^setzt. 
Gymnasialdirektor  Dr.  Reinhardt- Frankfurt  a.  M.  hält  seinen  angekün- 
digten Vortrag  über  „Die  aus  llias  und  Odyssee  für  die  Schal« 
lekttire  zu  treffende  Auswahl^S  Demselben  liegen  folgende  Thetea 
ztt  Grunde: 


von  A.  Laof^e. 


661 


1.  Die  Lektüre  der  gesamten  Ilias  und  Odfssee  ist  für  die  Schale 
weder  ritlieh  noch  darchfdhrbar. 

2.  Die  Auswahl  ist  so  za  treffen,  dafs  dem  Schüler  die  Haopthandinng 
beider  Gedichte  im  Zosammenhaog  vorgerdhrt  wird. 

3.  Die  episodenhaften  Teile  sind  von  der  Haopthandlnog  anszascheiden 
und  getrennt  vorzunehmen  bezw.  der  Privatlektüre  za  aberweisen. 

4.  Die  poetisch  wertiosen  Teile,  die  den  späteren  Überarbeitero  ange- 
liSren,  sind  von  der  Lektüre  anszoschliefsen. 

5.  Die  neueren  Ergebnisse  der  Homerforschuog  ermöglichen  eine  zweck- 
BÜfsige  Scheidung  zwischen  Haupthandlang  und  Episoden,  und  sie  müssen  zu 
diesem  Zwecke  verwertet  werden. 

6.  Die  dargelegten  Grundsätze  gelten  in  gleicher  Weise  für  die  Lektüre 
des  Originals  in  den  Gymnasien,  wie  für  die  Lektüre  der  Übersetzung  in 
den  Realgymnasien  und  Realschulen. 

7.  Der  beigefügte  für  das  städtische  Gymnasium  in  Frankfurt  a.  M. 
ausgearbeitete  Lektüreplan  kann  als  Anhalt  für  die  Herstellung  solcher  Pläne 
empfohlen  werden. 

Verzeichnis  der  aus  der  Ilias  zu  lesenden  Stellen. 
1.  Zusammenhang  der  Haupthaadlung. 


a)  Für  Unterprima: 

Zahl  d. 
Verse : 

Bach    I  ganz 611 

„      n  V.  1—52;  87—483      .    449 
„   XI  V.  56—574    ....     519 

9,  Xn  ganz 471 

„  XV  V.  592—746  ....     155 

„XVI  (v. 419-697,  Tod  Sar- 
pedons,  können  allen- 
falls ausgelassen  wer- 
den)    ......    866 

„XVII  V.125— 139;426— 458; 

742—761      .    .     .    . 68 

3139 


b)  Für  Oberprima: 

Zahl  d. 
Verse: 

Buch  XVin  gsnz 617 

XIX  V.  1-153;  276-424    302 

XXI  ganz 611 

XXII  ganz 515 

XXIV  ganz 804 

"2845 


» 


»> 


» 


M 


Bach  HI  Einzellied  vom  Zwei- 
kampf des  Paris  und 
des  Menelaos  .  .  . 
IV  V.  1—250:   Pandaros- 

schufs 250 


461 


99 


» 


2.  Episoden. 

Buch  VI  V.   119—236:    Begeg- 
nung des  Glaukos  und 

Diomedes, 118 

V.  236—529 :  Abschied 
Rektors  von  Aodro- 
mache ;  Teil  einer  an- 
deren Ilias,  Situation 
vor  demEntscheidungs- 

kampf 

X  V.  196—579      .     .    . 


)9 


294 
384 


(Dolooeia). 
Anmerkung:  Anfserdem  eventuell  in  Unter-  oder  Oberprima  die  aus  der 
Hauptbandlung  der  Odyssee  ausgeschiedenen  Stücke. 


::! 


662     ^^*  Btnptvers.  v.  Lehrern  derProv.  Hessen-Nassau  u.  s.w., 

Veneiehnis  der  aas  der  Odyssee  %n  lesenden  Stellen. 

1.  Zasammenhang  der  Hanpthandlang. 

a)  Ffir  Untersekonda :  b)  Für  Oberseknnda: 

Zahl  d.  ZaU  d. 

Verse:  Verse: 

Bach    I  V.  1— 79 79        Bneh    X  v.  1— 76;    133—399    343 

„      V  V.  28—493  ....    466  „     XD  v.  144—458    ...    310 

„     VI  ganz 331  „   XIO  v.  1—3 10;  844-410; 

„    VII  V.   1—55;    75—183;  429—438    ....    387 

228—280;  834-347  .     181  „  XIV  v.  1—178;  515—533    189 

„  Vra  V.    1—21;      24—86;  „  XVI  v.  1—29;  146—277; 

532—586      ....    139  452—459;  477—481     174 

„    IX  ganz 566  „  XVII  v.  1—3?;  167— 868; 

1762  411—424;  445—480    282 

„XVIII  V.  1—116  ...  .  116 
„  XXI  V.  1—434  ....  434 
„XXn  V.  1—99;  297—501  304 
„XXIH  V.  1—309  .    .    .    .    309 

2848 
2.  Episoden. 

Buch  n 433  V. 

„    m 497  V.  >  Telemachie. 

„    IV  1—624 624  V.  i 

„    XI  {vixvM)    V.    1—224; 

387—640 478  v. 

2032 

Anmerkang:  Die  Episoden  der  Odyssee  sind  gegebenen  Falls  zar  Privat- 

lektäre  in  Prima  verwendbar. 
Zar  Begründang  dieser  Thesen  fährt  der  Vortragende  Folgendes  aas. 
Heatzatage  erseheint  es  geradezu  als  selbstverständlieh,  dafs  im  Gymnaaiam  die 
Lektäre  Homers  eine  hervorragende  Stellung  einnimmt;  aber  vor  100  Jahren 
noch  galt  Homer  keineswegs  als  obligatoriseher  Gegenstand  der  Sehullekture; 
so  ist  er  z.  B.  im  städtischen  Gymnasium  zu  Frankfurt  a.  M.  früher  nicht 
gelesen  worden.  Ebensowenig  findet  sich  Homer  unter  den  zur  Lektüre  für 
die  Gelehrtenschnlen  bestimmten  Schriftstellern  in  der  vom  Landgraf  Wil- 
helm VI  von  Hessen  aufgestellten  Schulordnung.  Nur  in  Braaasehweig- 
Lüneburg  sowie  in  den  sächsischen  Fiirstenschulen  zu  Grimma,  Meifsen  und 
Schulpforta  wurde  er  schon  damals  gelesen.  Wie  ist  nun  ein  so  vollstän- 
diger Wandel  in  den  Ansichten  über  den  Wert  Homers  als  Schnllektüre  zu 
erklären?  In  erster  Linie  wirkte  darauf  hin  der  mächtige  Aufschwung  der 
deutschen  Litteratur,  die  hohe  Wertschätzung,  welche  die  Homerischen  Epen 
durch  Herder,  Goethe  und  Fr.  Schlegel  erfuhren.  Von  den  Philologen  ist  es 
F.  A.  Wolf,  der  zuerst  die  Homerlektnre  für  die  Schule  gefordert  hat,  wie 
er  auch  der  erste  war,  der  die  „Homerische  Frage"  erörtert  hat.  Diese 
Homerische  Frage  steht  jetzt  im  Mittelpunkte  vieler  wissenschaftlicher  Er- 
örterungen: mit  Wolfs  Proiegomena  zum  Homer  beginnt  eine  neue  Epoche 
der  Wissenschaft;  dieselben  kritischen  Grundsätze  wurden  nachher  von  den 
Germanisten  auf  die  Kritik  des  Nibelungenliedes  und  seiner  Entstehung  über- 


▼OD  A.  Läuft.  663 

tragen.  So  i<t  es  allnHhIich  dabin  f^ekommoD,  dafs  die  Reootois  Homers 
ala  ADforderoD|^  fär  jeden,  der  za  deo  Gebildeteo  getXhit  werden  will,  gilt. 
Freilieh  ist  selbst  jetzt  noeb  die  Homerische  Frage  nieht  endgiltig  gelSst; 
aber  ein  relativer  Abseblofs  ist  erreicht,  besonders  darch  die  Forschungen 
Kirchhoffs  nad  Nieses.'  Weder  die  Verteidiger  der  Theorie  der  Eiozellieder, 
■och  die  Verteidiger  der  Einheit  beider  Epen  sind  darchgedrongen ;  heote 
ist  die  Ansicht  die  am  meisten  verbreitete,  dafs  die  Epen  zwar  nicht  ans 
laater  Einzelliedern  entstanden,  aber  ebensowenig  das  Werk  e  i  n  e  r  Dichter- 
Persönlichkeit  sind,  sondern  dafs  jedes  von  beiden  Epen  aas  einem  Ring 
hervorgegangen  ist,  der  die  ursprüngliche  dichterische  Einheit  enthält,  and 
nm  den  sich  dann  jüngere  Ringe,  wie  beim  Baame,  nach  und  nach  angesetzt 
haben.  Eine  Ur-Ilias  and  eine  Ur^Odyssee  sind  als  Kern  aas  den  Epen 
heransinscbalen.  Dieser  Kern  ist  eine  vollendete  dichterische  Konzeption. 
Die  Ilias  beginnt  mit  dem  Streite  des  Oberk5nigs  mit  seinem  ersten  Vasallen : 
der  Yon  Agamemnon  gekränkte  Achill  zieht  sich  vom  Kampfe  zar&ck,  er 
will  den  Griechen  beweisen,  wie  nötig  sie  ihn  haben.  Der  alte  Dichter 
motiviert  also:  Achill  ist  der  Sohn  der  Mfeerfran  Thetis;  so  steht  er  mit 
denGSttem  in  Beziehang,  and  diese  anterstiitzen  ihn  aaf  Bitten  seiner  Matter 
gegen  Agamemnon.  Nachdem  Zeas  dem  Agamemnon  den  verderblichen  Traam 
icesandt  hat  (2.  Bach),  der  ihn  zum  Kampfe  anspornt,  mafste  sofort  der 
Kampf  folgen,  in  welchem  Agamemnon  sich  aaszeichnet:  diesen  aber  schildert 
erst  das  11.  Bach;  die  im  3. — 10.  Bache  erwähnten  Handlangen  gehören 
sämtlich  nicht  zur  Ur-Hias,  sondern  sind  störender  Weise  in  den  Zosammen- 
hang  der  Haupthandlang  eingeschoben.  Daher  mafs  man  sie  aus  diesem  los- 
lösen, am  die  Haupthandlang  ungestört  sich  abwickela  zu  lassen.  Das 
1].  Bach  enthält  die  Schilderung  der  entscheidenden  Schlacht:  Agamemnon 
selbst  und  einer  nach  dem  andern  von  den  übrigen  Haupthelden  der  Griechen 
werden  verwundet  und  mSssen  vom  Schauplatz  abtreten;  dann  stürmen  die 
Troer  den  weichenden  Griechen  nach,  greifen  die  griechische  Lagermauer 
ao  (12.  Buch)  und  sind  im  Begriffe,  Feoer  an  die  Schiffe  zu  legen  (15.  Buch). 
Jetzt  wird  Achill  für  sein  eigenes  Schiffslager  besorgt  und  entsendet  den 
Patroklos  zur  Unterstützung  der  Griechen,  indem  er  ihm  streng  anbefiehlt, 
sieh  auf  die  Vertreibung  der  Troer  von  den  Schiffen  zu  beschränken.  Pa- 
troklos  aber  überschreitet  die  ihm  gesteckten  Grenzen  und  fällt  von  Hektors 
Hand.  So  bat  der  Zorn  Achills  dazu  geführt,  dafs  er  selbst  durch  den  Tod 
seines  teuersten  Frenndes  gestraft  wird.  Jetzt  flucht  er  seinem  unseligen 
Zorne,  der  dies  Unheil  über  ihn  gebracht  habe.  Das  ist  das  tragische  Moment 
ia  der  Dias.  Die  alte  Tragödie  ist  nur  eine  Wiederholung  dieses  Grund- 
gedankens der  Dias;  aus  ihr  haben  die  Tragiker  die  Tragik  gelernt.  Die 
heilige  Pflicht  der  Blutrache  drängt  jetzt  bei  Achill  den  Zorn  in  den  Hioter- 
gmnd;  er  ruht  nieht  eher,  als  bis  er  durch  Hektors  Tod  die  Seele  des  ge- 
falleaen  Freundes  versöhnt  hat.  Das  ist  die  künstlerische  Einheit  des  Ge- 
dichtes; das  müssen  wir  daher  unseren  Schülern  vorführen;  alles,  was  nicht 
dazu  gehört,  ist  auszuscheiden.  Die  Ausscheidung  der  zu  dieser  Ur-Ilias 
später  hiazugedichteten  Bestandteile  ist  freilich  schwierig:  es  ist  geradezu 
anmSglich,  die  verschiedenen  Schichten  des  Epos  von  einander  zu  trennen, 
Bo  sehr  sind  sie  ineinander  gearbeitet.  Hier  und  da  finden  sich  jedoch  sehr 
deutliche  Merkmale  der  Einrngung  ursprünglich  selbständiger  Gedichte  in 
den  Rahmen    der  Ilias;   so    ist   die  Art,   wie   die  Abschiedsszene   zwischen 


664     19*  Htuptvers.  v.  Lehrern  der  Pro  v.  Hess'eu-Nassaa  n.  s.  w. , 

Hektor  aod  ADdromache  im  6.  Bach  ein^^efiibrt  wird,  zo  charakteristisch: 
mitten  ans  dem  Getümmel  der  Soblacht  mnfs  i^erade  Hektor,  die  Statze  der 
Trojaner,  in  die  Stadt  eileo,  am  seine  Mfotter  Hekabe  zu  veranlassen,  einen 
Bittgangs  der  troischen  Weiber  zar  Pallas  za  veranstalten,  als  ob  diese  Auf- 
forderno^  nicht  ebensogut  ein  Bote  hatte  überbringen  können;  es  dient 
lediglich  als  Vorwand ,  am  die  Begegnung  Hektors  mit  Andromache  sn 
motivieren,  die  arsprUngUcb  in  einem  selbständigen  Gedichte  besungen  war, 
dessen  Handlung  die  Zeit  anmittelbar  vor  dem  Zweikampf  des  Hektor  und 
Achilles  zur  Voraussetzang  hatte;  dies  Gedicht  ist  nun  in  anderen  Zasammen- 
hang  gebracht  und  zwar  nicht  gerade  passend. 

Sodann  giebt  der  Vortragende  eine  Übersicht  über  die  für  Prima  aas- 
gewählten Stellen  der  Ilias  nach  der  in  seinem  Verzeichnis  (s.  S.  661)  fest- 
gestellten Reihenfolge. 

Bei  der  Odyssee,  fährt  er  fort,  ist  die  Einheit  des  ursprünglichen 
Gedichtes  viel  klarer.  Kirchhoff  hat  zuerst  darauf  hingewiesen,  dafs  ein 
gewisser  Kunstgriff  des  Dichters  bei  der  Anordnung  des  Ganzen  vorliege: 
absichtlich  versetzt  uns  der  Dichter  bei  Beginn  der  Odyssee  nicht  an  den 
Anfang  der  ganzen  Handlung,  sondern  bringt  dieselbe  nur  zu  einem  vor- 
läufigen Abscblufs  bei  den  Pbäaken;  dann  erzählt  der  Held  selbst  seine 
früheren  Schicksale;  so  macht  deren  Schilderung  desto  gröfseren  Eindruck, 
da  sie  dem  Helden  selbst  in  den  Mund  gelegt  wird.  Ein  weiterer  Kunstgriff 
ist  der,  dafs  der  Held  bis  zu  diesem  Moment  unerkannt  unter  den  Phäaken 
weilt;  dann  folgt  plötzlich  die  packende  Szene,  wo  er  sich  zu  erkennen 
giebt  und  seine  Irrfahrten  erzählt.  Diese  Aoordnung  mufs  auch  in  der 
Schullektüre  beibehalten  werden.  Die  Telemachie  ist  ganz  gleichgiltig,  sie 
stört  nur  den  Znsammenhang  and  bleibt  deshalb  besser  fort.  Odysseas' 
furchtbare  Rache  an  den  Freiern  hat  etwas  gar  zu  Grausiges;  um  sie  zu 
motivieren,  dient  die  Iros-Episode  im  18.  Buch,  die  den  Helden  auf  der 
tiefsten  Stufe  der  Erniedrigung,  im  Kampf  mit  dem  Bettler  am  das  Recht  zu 
betteln,  zeigt;  daher  der  entsetzliche  Zorn  des  Odysseus  gegen  die  Freier, 
deren  flbermut  ihn  in  diese  unwürdige  Lage  gebracht  hat.  Das  19.  Buch 
dagegen  ist  eine  andere  Version  der  Sage  von  Odysseus'  Heimkehr  und  erst 
später  in  das  Gedicht  eingeschoben,  mit  dessen  übrigen  Ausführungen  es  sich 
nicht  verträgt:  denn  die  Fufswaschung  mufste  unmittelbar  zur  Erkennung 
des  Helden  führen;  dafs  derselbe  noch  weiter  anerkannt  in  seinem  Palaste 
weilt  bis  nach  der  Ermordung  der  Freier,  verträgt  sich  damit  nicht;  so  ist 
klar,  dafs  diese  Fufswaschungsszene  ursprünglich  einer  anderen  Odyssee  an- 
gehört hat  und  erst  spater  in  die  uns  erhaltene  eingefügt  ist. 

Weiter  giebt  der  Vortragende  auch  hier  eine  Übersicht  über  die  aus 
der  Odyssee  in  Sekunda  zu  lesenden  Stellen  an  der  Hand  seines  Verzeich- 
nisses (s.  S.  662). 

Auf  den  Vortrag  des  Direkturs  Dr.  Reinhardt  folgte  unmittelbar  däa 
Korreferat  des  Oberlehrers  Dr.  Lauge-Marburg.  Er  begann  mit  dem  Hin- 
weis darauf,  dafs  sich  wohl  kaum  zwei  Schulmänner  finden  würden,  die  bis 
auf  alle  Einzelheiten  der  Auswahl  aus  Homer  mit  einander  übereinstimmten ; 
so  grofs  sei  die  Verschiedenheit  in  der  Wertschätzung  der  einen  oder  der 
anderen  Partie.  So  wünschenswert  es  auch  an  sich  sein  würde,  die  ganze 
Ilias  und  Odyssee  in  der  Ursprache  lesen  zu  lassen,  müsse  man  notgedrungeo 
doch  bei  der  immer  mehr  gesteigerten  Einschränkung  des  Unterrichts  in  den 


voB  A.  Laoge.  665 

klassiscbeo  Spraehen  «neh  die  Homerlektiire  aof  eiue  Aaswahl  des  Schöosteo 
uod  Besten  aas  beiden  Bpea  beschränken.  Gegen  Reinhardts  Forderung, 
man  solle  die  episodenhaften  Teile  von  der  Haopthandlnng  ansseheiden  and 
getrennt  vornehmen,  sei  geltend  za  machen,  dafs  gerade  die  sogenannten 
Bpisoden  Öfters  die  poetisch  wertvollsten  Stelleo  enthielten,  z.  B.  Rektors 
Abschied  von  Andromache,  Glaukos  and  Diomedes;  so  könne  es  unter  Um- 
standen recht  wohl  vorkommen,  dafs  eine  Episode  wegen  ihrer  hohen 
poetischen  Vorzüge  zor  Lektüre  herangezogen  werde,  während  ein  Teil  der 
Hau pthand lang,  z.  B.  eine  Kampfschilderang,  durch  einfache  lohaltsaogabe 
ersetzt  würde,  weil  er  an  ästhetischem  Werte  gegen  die  Episode  zarnck stände. 
Falls  ihm  z.  B.  die  Wahl  gelassen  würde,  entweder  das  von  Reinhardt 
ansgeschiedene  6.  Buch  der  Ilias  (Glaukos  and  Diomedes,  Rektors  Abschied) 
oder  das  12.  (7Vi>|fo^a;|f/a)  zu  lesen,  so  wurde  er  sich  ohne  weiteres  für 
das  episodenhafte  6.  Bach  seines  weit  höheren  poetischen  Wertes  und  sitt- 
lichen Gehaltes  wegen  entscheiden  and  das  12.  fahren  lassen,  obwohl  es 
zor  Raopthandlang  gehöre.  Zudem  sei  es  ja  gerade  für  den  epischen  Dichter 
charakteristisch,  dafs  er  den  Faden  der  Haapthandlung  nicht  in  ununter- 
brochener Folge  abrolle,  sdndern  hier  und  da  still  stehe  nnd  mit  Behagen 
nnd  besonderer  Vorliebe  Einzelbilder  ausmale,  die  mit  der  Haapthandlung 
zwar  nur  in  losem  Zusammenhange  standen,  aber  oft  gerade  zam  Schönsten 
gehörten,  was  der  menschliche  Geist  je  geschaifen.  Die  Episoden  ausscheiden, 
würde  also  geradezu  bedeuten,  der  epischen  Darstellung  eine  ihrer  charakte- 
ristischen Eigentümlichkeiten  rauben.  Auch  erhielte  ja  eine  jede  dieser 
Episoden  erst  durch  den  Zusammenhang,  in  welchem  das  Epos  sie  böte,  ihre 
rechte  Beleuchtung;  sie  aus  diesem  Znsammenhang  lostrennen,  heifse  also 
oichts  anderes,  als  ihr  das  Licht  nehmen  and  sie  in  den  Schatten  stellen. 
Zudem  wurden  durch  diese  von  Reinhardt  verlangte  Ausscheidung  bezw.  ge- 
trennte Behandlung  der  Episoden  die  Epen  gar  zu  sehr  zerstückelt  werden 
und  der  Eindruck  derselben,  der  darauf  beruhe,  dafs  jedes  als  ein  einheitliches 
Ganzes  zor  Geltung  komme,  in  bedauerlicher  Weise  abgeschwächt  werden. 
Ebenso  bedenklich  erscheine  Reinhardts  weitere  Forderung,  dafs  die  Er- 
gebnisse der  neueren  Romerforschung  zum  Zwecke  der  Scheidung  zwischen 
Hauptbandlung  und  Episoden  verwertet  werden  müfsten.  Ihm  (dem  Korre- 
ferenten) läge  nichts  ferner,  als  etwa  der  Kritik  ihre  hohe  Bedeutung  und 
volle  Berechtigung  bestreiten  zu  wollen;  auch  müsse  sicherlich  der  Lebrer 
mit  den  Resultaten  der  Homerforschung  bekannt  sein.  Aber  das  Gymnasium 
müsse  sich  bewufst  bleiben,  dafs  es  nur  die  Vorstufe  für  die  Universität 
sei,  und  nicht  zu  hoch  hinansstreben ;  bereits  die  Schüler  in  die  Geheimnisse 
der  höheren  Kritik  einweihen  zu  wollen,  heifse  die  Stellung  und  Aufgabe 
der  Schule  vollkommen  verkennen.  Gerade  bei  der  Behandlung  Homers  in 
der  Schule  müsse  man  vorsichtig,  ja  pietätsvoll  zu  Werke  gehen  und  der 
Kritik  nur  insoweit  Einflufs  auf  die  Auswahl  des  Lesestoffes  gestatten,  als 
ihre  Ergebnisse  unangreifbar  und  allgemein  anerkannt  seien.  Reinhardt 
selbst  aber  gestehe  ja  zu,  dafs  die  Homerische  Frage  noch  nicht  endgiltig 
gelöst  sei,  und  ferner,  dafs  die  verschiedenen  Schichten  in  den  Homerischen 
Epen  so  innig  ineinander  verwoben  seien,  dafs  es  unmöglich  sei,  sie  von 
einsnder  za  trennen.  JNimmermehr  könne  es  Sache  der  Schule  sein,  den 
vielfach  verschlungenen  Wegen  der  höheren  Kritik  nachzugehen  und  Hypo- 
thesen zuliebe,  die  zwar  sehr  scharfsinnig  ausgedacht  seien,  aber  über  deren 


666     1^*  Haaptvers.  v.  Lehrern  der  Prov.  Bessen-Nasflan  a.  s.  w.| 

Berechti^op  oder  Niehtberechtii^aDg  im  eioxelneo  selbst  anter  den  GelelirteD 
keine  volle  Obereinstimmang  herrsche,  gerade  die  schönsten  Partieen  des 
Epos  von  der  Lektare  aaszoschliefsen  und  so  notwendigerweise  den  Gesamt- 
eindrack  abzuschwächen.  Man  mnsse  daran  festhalten,  dafs  unsere  Schüler 
die  llias  und  die  Odyssee  als  einheitliche  Kunstwerke  verstehen  und  war- 
digen lernten. 

Was  die  Abgrensung  der  Klassenpeosen  nach  Reinhardts  Vorschlagea 
betreffe,  so  sei  das  für  Untersekunda  zu  grofs,  die  fiir  die  drei  oberstea 
Klassen  zu  klein  bemfssen:  in  Untersekunda  könne  man  bei  hochsteoa 
82  Homerstonden  im  Jahre  nicht  gut  mehr  als  etwa  1500  Verse  lesen,  da 
im  ersten  Halbjahre  die  Vorbereitung  in  der  Klasse  erfolgen  solle ;  in  Ober* 
Sekunda  dagegen  könne  man  100  Stunden  auf  Homer  verwenden  und  pro 
Stunde  40  Verse  »»  4000  Verse  lesen,  für  Unterprima  66  Stunden  mit  ja 
einigen  60  Versen  =s  4200—300,  fiir  Oberprima  60  Stunden  mit  je  einigen 
70  Versen,  also  4400 — 500  Verse,  berechnen. 

Das  Pensum  der  Untersekunda,  wie  es  Reinbardt  vorschlage,  habe 
weder  einen  befriedigenden  Anfang  noch  einen  befriedigenden  Abschlnfs; 
denn  der  Abschnitt  Od.  I  1 — 79  empfehle  sich  für  den  Anfangsunterriclit 
durchaus  nicht,  da  die  vielfachen  Anspielungen  auf  die  später  geschilderten 
Schicksale  des  Odysseus  dem  Anfanger  völlig  unverständlich  seien  und  er 
in  die  einzelnen  Teile  der  Einleitung  keinen  rechten  Znsammenhang  zu 
bringen  vermöge.  Der  Schlufs  des  Pensums,  Ende  des  9.  Buches,  aber  falle 
mitten  in  die  Irrfahrten  des  Odysseus.  Deshalb  hätte  nun  auch  das  Pensum 
der  Obersekunda  keinen  befriedigenden  Anfang,  da  es  in  der  Mitte  der  Irr- 
fahrten begänne.  Bedauert  habe  er  die  gänzliche  Auslassung  der  Nixvui 
(11.  Buch),  ferner  die  starke  Kürzung  der  schönen  Wiedersehens-Szene 
zwischen  Odysseus  und  Telemach  im  16.  Buch  und  die  Streichung  des 
schönen  19.  Buches,  gegen  das  Reinhardt  keinen  stichhaltigen  Grund  ange- 
führt habe.  Dagegen  sei  überflüssig  die  Episode  zwischen  Iros  und  Odysseus 
im  18.  Buch,  die  für  den  Fortgang  der  Handlung  recht  gleichgiltig  sei, 
und  die  für  unser  Gefühl  geradezu  widerwärtige  Ermordung  der  ungetreuen 
Mägde  und  des  Melantheus  am  Schlüsse  des  22.  Buches. 

In  Unterprima  seien  in  die  gähnende  Lücke,  die  nach  Reinhardts  Vor- 
schlage zwischen  dem  2.  und  11.  Buche  der  Dias  klalfe,  die  ausgeschiedenen 
Episoden  einzuschalten:  das  3.  Buch  (Teichoskopie*  Zweikampf  zwischen 
Paris  und  Menelaos),  der  Pandarosschnfs  im  4.  Buch  (1 — 250),  das  6.  Bnch, 
der  Glanzpunkt  des  ersten  Teiles  der  llias  (Glaukos  und  Diomedes,  Rektors 
Abschied);  unbedingt  zu  lesen  sei  auch  der  Zweikampf  zwischen  Rektor  and 
Aias  im  7.  Buch,  ferner  das  9.  Buch,  der  verunglückte  Versuch,  die  ftiivtg 
des  Peliden,  die  doch  im  Mittelpunkte  der  ganzen  Handlung  der  llias  stehe, 
zu  wenden;  es  gehöre  zu  den  integrierenden  Bestandteilen  der  Raupthandlung 
und  zeichne  sich  zudem,  ebenso  wie  die  vorher  genannten  Stacke,  durch 
hohen  poetischen  Wert  aus.  Ganz  überflüssig  dagegen  sei  der  Anfang  des 
12.  Buches,  der  sich  auf  die  erst  nach  Trojas  Zerstörung  bewirkte  Ver- 
nichtung der  griechischen  Lagermauer  durch  Apollo  und  Poseidon  beziehe. 
Vom  17.  Buch  verdiene  mehr  gelesen  zu  werden  als  die  wenigen  von  Rein* 
hardt  ausgewählten  Verse;  im  23.  sei  Patroklos'  Bestattung  lesenswert, 
schon  aus  kulturhistorischem  Interesse  wegen  der  Schilderung  der  Bestattoogs- 
weise  im  heroischen  Zeitalter. 


von  A.  Lange. 


667 


Nach  dieser  Kritik  dar  Vorsehlaife  Reinhardts  le|^  Dr.  Lange  die 
Gmndsitxe,  welche  nach  seiner  (Tbeneognng  für  eine  s weckentsprechende 
Answahl  maTsgebend  sein  müssen,  an  der  Hand  seiner  Thesen  dar,  die 
foigendermafsen  lauten: 

1.  Die  Lektüre  der  gesamten  Ilias  and  Odyssee  in  der  Ursprache  ist 
bei  dem  jetzigen  Lebrplane  der  Gymnasien  nicht  mehr  möglich. 

2.  FSr  die  Answahl  müssen  in  erster  Linie  pädagogische  nnd  ästhetische 
Gesichtspunkte  mafsgebend  sein. 

3.  Als  Hanptgesichtspnnkte  für  die  Answahl  sind  festzuhalten: 

a)  der  poetische  Wert  nnd  sittliche  Gehalt  der  eineinen  Abschnitte ; 

b)  ihre  Pähigkeit,  das  Interesse  und  die  Teilnahme  des  Schalers  za 
erwecken ; 

c)  der  bleibende  kultnrbistorische  Wert  ihres  lohaltes. 

d)  Jeder  auszuwählende  Abschnitt  mnfs  ein  in  sich  abgeschlossenes 
Bild  gewähren. 

e)  Von  besonderer  Wichtigkeit  sind  diejenigen  Abschnitte,  welche 
einen  Durchblick  auf  den  Aufbau  des  ganzen  Epos  ermöglichen, 
also  fdr  den  Entwicklungsgang  der  Handlung  von  wesentlicher 
Bedeutung  sind. 

4.  Die  Auswahl  ist  so  zu  treffen,  dafs 

a)  womäglich  das  Pensum  eines  jeden  Schuljahres  ein  In  sich  abge- 
schlossenes Ganzes  mit  befriedigendem  Anfang  nnd  Schinfs  bilde; 

b)  der  Eindruck  eines  jeden  Epos  als  eines  einheitlichen  Kunst« 
Werkes  möglichst  erhalten  bleibe. 

L  Verzeichnis  der  ans  der  Odyssee  zu  lesenden  Abschnitte. 


a)  Für  Untersekunda: 

Odysseus'  Irrfahrten. 

Zahl  d. 
Verse : 
Baeh  IX,  39—566      ....    528 
„      X,  1—79;       135—495; 

541-550;  561—574  464 
„  XI,  1—50;  90—224  .  .  185 
„  XII,  144—450     .    .    .    .    307 

1484 


b)  For  Oberseknnda: 

Odysseas'HeimkehrondRache 

Zahl  d. 
Verse 

Buch        I,  1  -79 79 

V,  28—117:129-224; 

262—493.     ...  418 

VI   gauz 331 

Vll,  1-55;  75—232     .  213 

Vm,  454— 586.     ...  133 

IX,  1—38 38 

Xm,  1—125  (*/0K); 

187(0  «Tfy^CToH  15; 

429—440.    ...  365 

XIV,  1-190     ....  190 

XVI,  1—280;     299—320  302 

XVII,  1—30;  167-491    .  355 

XIX,  51—59;   103—398; 

467—604  ....  443 

XXI   gaoz 434 

„  XXII,  1—389      ....  389 

„XXIII,  1—240      .     .     .     .  240 

3930 


n 


»I 
» 


668     Vors.  V.  Lehrero  d.  Prov.  Hesseo-Nai saa  o.  s.  w.,  v.  A.  Lange. 

n.  Verzeicbois  der  aas  der  llias  zu  lesendea  Absckoitte. 
a)  Für  Unterprima:  b)  Für  Oberprima: 

Der  Zwist  der  Könige.  Die  Versöhnung  der  Könige. 

Zahl  d.  Zahl  d. 

Verse:  Verae: 

Buch    I    ganz 611         Bach   XVI,  ganz 867 

„     11,  1-483      (20—34  «  „     XVn,  1—236;  426—462; 

56—70) 468  651—761     ...  384 

„    III   ganz 461           „    XVIII   ganz 617 

„    IV,  1—250 250  „      XIX,  1—214;  277— 424  362 

„    VI,  119—529     ....  411            „       XXI   ganz 611 

„  Vn,  1-312 312           „     XXII   ganz 515 

„    IX,  1—523;  600-713    .  601  ,,.  XXIII,  1—261     ....  261 

(122-157  «264-299)                    „    XXIV   ganz 804 

„    XI,  1—520 520  4421 

„  Xn,  35-471 436 

„  XV,  592—746      .     .     .    .  155 

4225 

Zar  Begröndong  seines  Lektürekanons  bemerkt  er,  der  Stoff  der 
Odyssee  gliedere  sich  in  zwei  grofse  lobaltsgrnppen :  1)  die  Telemachie 
(I  88— IV,  XV,  einzelne  Partieen  des  16.  und  17.  Baches),  2)  die  Odyssee. 
Da  die  Handlang  der  Telemachie  eine  durchweg  mit  der  Hanpthandlnng  der 
Odyssee  parallel  laofende  Nebenhandlang  sei,  da  ferner  der  Hauptheld 
Odysseus  in  ihr  völlig  zurücktrete,  so  könne  sie  am  leichtesten  aus  der 
Schullektüre  ausgeschieden  werden;  als  deren  Aufgabe  bleibe  die  Odyssee 
im  engeren  Sinne  übrig;  diese  zerfalle  in  zwei  schon  äafserlich  scharf  ge- 
schiedene Inhaltsgruppen :  1)  die  dem  Helden  selbst  in  den  Mund  gelegte 
Schilderung  der  Irrfahrten  des  Odysseus  von  der  Abfahrt  von  Troja 
an  bis  zur  Ankunft  auf  Ogygia,  der  Insel  der  Kalypso  IX  39— XII;  2)  die 
vom  Dichter  berichtete  Heimkehr  und  Rache  des  Odysseus.  (I  Anfang, 
V— VIII.  IX  1—38.  XIO— XXIII.)  Als  geeignetster  Anfangspunkt  für  die  Homer- 
lektüre in  Untersekunda  ergäbe  sich  IX  39  'TUo'&ev  fiB  <piqiov  avi/not  Ktjto- 
viffct  niXaaaiv,  Hier  würde  der  Anfänger  an  den  Beginn  der  Ereignisse 
in  der  Odyssee  versetzt;  Odysseus  selbst  trete  seine  Irrfahrten  erzahlend 
auf  und  stehe  so  vom  ersten  Verse  des  Pensums  der  Untersekunda  an  im 
Mittelpunkt  der  Lektüre.  Das  Pensum  der  Untersekunda  umfasse  die  ge- 
samten Irrfahrten  des  Odysseus  (s.  oben);  es  bilde  somit  ein  völlig  in  sich 
abgeschlossenes,  einheitliches  Ganzes;  sprachlich  sei  die  ganze  Erzählung 
leicht  und  einfach,  der  lohalt  für  den  Schüler  interessant  im  höchsten  Grade, 
zugleich  kulturhistorisch  bedeutend,  die  Darstellung  poetisch  schön  und 
plastisch  anschaulich;  ihr  Reiz  werde  noch  erhöht  dadurch,  dafs  sie  dem 
Haupthelden  selbst  in  den  Mund  gelegt  sei;  dieser  stehe  durchweg  im 
Vordergrund. 

Die  weitere  Besprechung  der  für  die  folgenden  Klassen  aufgestellten 
Pensen  (s.  oben)  nach  ihren  einzelnen  Bestandteilen  konnte  der  Korreferent 
aus  Rücksicht  auf  die  bereits  zu  weit  vorgeschrittene  Zeit  nicht  mehr  za 
Ende  führen. 

In    der   kurzen    sich   anschliefsenden    Debatte    erklärte  Direktor   Prof. 


Zu  Casars  BelloD  civile,  von  H.  J.  Müller.  669 

Dr.  Fiseher-WietbadeD,  dafs  er  im  wesentlieheo  den  Korrefereoten  bei- 
atiBme»  besonders  darin,  dafs  er  die  sogenannten  Episoden  nicht,  wie  Rein- 
hardt in  These  3  verlange,  ans  dem  Znsammenhange  loslösen  wolle.  Br 
fragt:  was  ist  überhaupt  eine  Episode  im  Epos?  Jedenfalls  etwas  ganz  anderes 
als  im  Drama.  Vieles,  was  Reinhardt  ausscheiden  wolle,  sei  nicht  einmal  im 
letzteren  Sinne  Episode.  Reinhardt  hatte  also  begriffämäfsig  erklaren  müssen, 
was  er  unter  Episode  verstehe.  Das  sei  nicht  geschehen.  Obrigens  spreche  gegen 
die  von  Reinhardt  verlangte  Ansscheidnog  der  Episoden  einmal  der  Um- 
stand, dafs  die  sogenannten  Episoden  der  llias  doch,  genau  betrachtet,  zu 
einem  grossen  Teil  zur  Haopthandlung  gehörten,  sodann  die  Rücksicht  auf 
die  Bedeutung  ihres  Inhaltes  für  die  spätere  Litteratur  und  die  Altertums- 
kunde, auf  das  also,  was  der  Korreferent  „den  bleibenden  kulturhis- 
torischen Werl  ihres  Inhaltes"  genannt  habe.  Daher  müsse  er  sich  auch 
gegen  Reinhardts  These  5  erklären. 

Nach  einigen  Bemerkungen  des  Referenten  Direktor  Dr.  Reinhardt 
and  des  Korreferenten  Dr.  Lange  zur  weiteren  Begründung  ihrer  vorge- 
getragenen  Ansichten  führt  Professor  Valentin-Frankfurt  ans,  dafs  auch 
■ach  seiner  Auffassung  manche  Episode  für  den  Fortgang  des  Ganzen  wichtig 
sei.  Weiter  spricht  er  speziell  von  der  Behsndlung  der  Homerlektüre  im 
Realgymnasium ;  hier  sei  man  auf  sehr  kurze  Zeit  und  auf  das  Lesen  in  der 
Obersetzung  angewiesen.  Für  diese  Lektüre  in  der  Übersetzung  empfehle 
es  sich,  die  Odyssee  in  der  überlieferten  Reihenfolge  zu  lesen,  um  den 
dramatischen  Aufbau  derselben  nicht  zu  beeinträchtigen. 

Darauf  schlofs  der  Vorsitzende  um  3  (Jhr  die  Verhandlungen.  Es  folgte 
das  Pestessen  im  Saale  des  Zoologischen  Gartens,  das  durch  eine  Reihe 
▼on  Trinksprüchen  gewürzt  ward:  Direktor  Dr.  Hartwig- Frankfurt  brachte 
den  Kaisertosst  aus,  Direktor  Dr.  Duden -Hersfeld  toastete  auf  Herrn  Geh. 
Regierungsrat  Dr.  Lahmeyer  als  Vertreter  des  Künigl.  Provinzial-Schul- 
kollegs,  Geh.  Regierungsrat  Dr.  Lahmeyer  auf  den  Verein  von  Lehrern 
höherer  Schulen,  Professor  Valentin  auf  die  anwesenden  Universitäts- 
professoreo,  Professor  Dr.  Stengel-Marburg  auf  die  Probekandidaten.  Nach 
dem  Schlüsse  des  Festessens  besuchte  eine  grofse  Anzahl  von  Versammlungs- 
teilnehmern das  Opernhaus  oder  das  Schauspielhaus,  welche  den  Festgästen 
bedeutend  ermäfsigte  Eintrittspreise  gewährt  hatten.  Am  Abend  folgten 
die  auswärtigen  Gäste  einer  Einladung  des  Frankfurter  Vereins  akademisch 
gebildeter  Lehrer  in  den  Saal  der  „Alemannia",  wo  ein  fröhlicher  Kom- 
■lers  sie  noch  lange  vereinigte. 

Marburg  a.L.  Adolf  Lange. 


Zu  Cäsars  Bellum  civile. 

1,  8,  3  CaB9arem  .  .  .  debere  et  Studium  et  iraeundiatn  rei  puölicae 
dimOtere  würde  ohne  Anstofs  sein,  wenn  nicht  der  Dativ  rei  publicae  da- 
stände. Dieser  aber  scheint  die  La.  renUttere  zu  verlangen;  vgl.  Liv.  9, 
38,12:   tf^  memoriam  simuUaUum  patriae  remitieret'^  30,  5,5:  aUerum  e 


670  Za  Casars  Ballom  ciTÜa, 

duobuM  tribunis  pUbis  suas  immidiüu  remUitiB  rei  pubUeae\  ahnlidi  7,  11,9; 
8,  35,  1;  Tae.  Ano.  1,  lU:  foM  sU  privata  odim  pubUeis  utäüa^ibuM  remitiere. 
Die  beiden  Komposita  siod  io  den  CÜsar-Hss.  öfter  mit  einander  verwechaelt 

1,  9,  b  ad  omnia  se  descendere  paratum  atque  omnia  paH  reipubUme 
causa:  ob  das  jeder  Leser  riehtig  versteht  and  nieht  paratum  als  Adjektiv 
nimmt?  laicht  nur  die  Dentlichkeit ,  sondern  anch  die  stehende  Weise  des 
Schriftstellers  (s.  die  Steilen  im  Lex.)  läfst  es  gerechtfertigt  erteheinen, 
wenn  wir  paratum.  (esse}  sehreiben.  Ebeaso  vermute  ieh  1,  32,  3  iotom 
{e#fe) ;  der  Satz  ist  sonst  gar  zu  schwer  verständlich,  da  jedermaa  eH  za 
ergänzen  geneigt  ist.  Auch  3,  17,  1  muTs  esse  hinzngefBgt  werden:  eatis 
causae  (esse)  putamus;  vgl.  I  19,  1. 

1,  27,  3  vermute  ich  ne  sub  ipsam  profeelionen  müites  {«»>  oppidum 
inrumpereni,  Ist  es  an  sich  recht  wenig  glanblicb,  dals  die  lateiaisehen 
Schriftsteller  mit  sub  in  temporaler  Bedeutung  den  Accusativ  und  Ablativ 
ohne  Unterschied  gebraucht  haben  sollen,  so  mufs  der  Umstand,  dafs  der  Acc. 
fast  stehend  ist  und  sich  nur  solche  Ablative  finden,  die  durch  Hiazvfiigung 
des  m-Striches  in  Aeensative  verwandelt  werden  können,  mifstrauisch  machen. 
In  den  neuen  Li v ins- Ausgaben  begegnet  sub  btee  u.  dergl.  nicht  mehr.  Nach* 
dem  bei  Cäsar  V  13,  3  von  Faernus  sub  brumam  hergestellt  ist,  äeheiat  es 
mir  angezeigt,  auch  an  obiger  Stelle  den  Ablativ  zu  beseitigen.  Man  kann 
sich  wohl  denken,  dafs  vor  mäites  das  £nd-m  verloren  ging  und  profeeti-' 
oite  die  Änderung  ipsa  nach  sich  zog. 

1,  35, 3  ist,  wie  Menge  richtig  gesehen  hat,  senatus  hinzuzufügen. 
Aber  in  dieser  Formel  steht  der  Genetiv  wohl  immer  nach,  also  ete  auetoritate 
{senatus)',  s.  z.  B.  Liv.  4,  49,6;  7,  31,2;  —  3,  3,6;  8,  21,  10.  22,  8. 
29,  6;  26,  2, 1 ;  34,  44,  2 ;  vgl.  3,  63, 11 ;  4,  26,  7.  56, 10;  5,  9,  4.  Umgekehrt 
ist  die  Stellung  ex  seiudus  eonsulto  ebenso  stehend;  aber  3,  107,  2  scheint 
mir  die  Präposition  nicht  fehlen  zu  dürfen:  emn  Ptolemaeo  et  lege  et  (fix) 
senatus  consuHo  societas  erat  facta, 

1,  38,  2  vermute  ich  o/ßeia  (jUa)  inier  se  partiuntur,  trt  .  .  ;  vgl.  S, 
17,  4.  Ähnlich  1,  44,  1  genus  erat  (Jiec)  (oder  <Aoc>  erai)  pugnae  miHtum 
iilorum,  ti#  .  .  ;  s.  1,  79,  1;  2,  18,  6;  vgl.  I  48,  4;  IV  33,  1. 

1 ,  40,  5  ist  die  Erklärung  Gölers,  dafs  maa  unter  diversam  adem  eine 
Aufstellung  mit  zwei  Fronten  zu  erkennen  habe,  durch  nichts  begründet;  hiefse 
es  diversas  legiones,  so  wurde  das  Adjektivnm  nach  1,  58,  4  „an  verschiedenen 
Stellen**  bedeuten.  Aber  die  folgenden  drei  Wörter  können  weder  mit  diversam 
noch  mit  eonstituä  verbunden  werden.  Ich  meine,  es  mufs  divisamque  aeiem 
in  duas  partes  eonstituä  heifsen.  Zur  Wortstellung  vgl.  I  1,  1;  VIT  11,  5; 
1,  35,  3;  3,  101,  1. 

2,  7,  2  ad  extremum  vüae  peticulum  adire  wird  durch  die  andere 
Cäsar-Stelle,  wo  adire  im  übertragenea  Sinne  mit  ad  verbunden  ist,  durd^ 
aus  nicht  geschützt,  ad  ist  zu  streichen;  s.  Ter.  Andr.  677.  821;  Cic.  p. 
SRosc.  110;   de  off.  1,  65;  Liv.  5,  5,  8;  28,  41,  12;  Nep.  Tim.  5,  2. 

2,  10,  3  00  super  iigna  bipedaUa  iniduni.  Das  eo  ist  so  unbeatimmt, 
dafs  der  Leser  nicht  weifs,  ob  er  es  als  in  eos  oder  als  in  ea  oder  als 
m  euM  auffassen  soll;  super  aber  als  Adverb  ist  sehr  auffallend,  da  Cäsar 
sonst  insuper  sagt  und  man  eher  das  Kompositum  superinidunt  erwarten 
sollte.  Meiner  Meinung  mufs  eo  das  vor  super  verloren  gegangene  s  wieder 
erbalten  und  umgestellt  werden:  super  eos  .  .  iniciunt\  s.  2,  10, 6:  sup$r 


VOD  H.  J.  Müller.  671 

laiereg  eoria  inducuntur;  vgl.  2,  9,  2.  Weoo  die  llmstelloof  zu  gewaltMm 
zu  seio  scheint,  kSonte  man  00  super  in  insuper  verwandeln  (ganz  analog 
heifst  es  2,  9,  2:  eentonetque  intuper  imecerunt);  allein  die  ümstellang 
einzelner  Wörter  ist  in  diesen  Casar-Hss.  ein  berechtigtes  Heilnngs verfahren 
So  nSchte  ich  aoch  2,  15,  2  —  mit  leiser  Abweichung  von  Paul  —  cratesque 
bäo  integtmtur  schreiben. 

2,  11,3,  ist  doch  wohl  ex  muro  ac  turri  zu  schreiben,  wie  3,  10,  2: 
ad  koMtium  turrim  murumque;  vgl.  3,  10,  7.  11,  3.  4.  12,  3.  4. 

2,  32,  8  mufs,  glaube  ich,  das  auch  dem  Sinne  nach  aostöfsige  vobis 
gestrichen  werden.  In  der  klassischen  Prosa  ist  elam  durchaus  nur  Adverb 
CGic.  ad  Att  10,  12,  5  ist  der  Wortlaut  der  Stelle  unsicher). 

3,  1,  6  es  ist  doch  wohl  mehr  als  gesucht,  dafs  jemand  undankbar  bei 
Abstattung  des  Dankes  genannt  wird;  was  der  Zusammenhang  fordert, 
wird  durch  ne  aut  parcue  in  rqferenda  graUa  .  .  videretur  ausgedrückt.  Dafs 
Cäsar  parcue  sonst  nicht  gebraucht  hat,  kann  bei  diesem  Worte  wohl  nicht 
als  Beweis  gegen  die  Vermutung  angeführt  werden. 

3,  5,  2  vermute  ich  ommbusque  (üi)  oppidis.  Ebenso  3,  11,  1  (falls 
hier  die  Lei,  oppidis  Vur  copiis  richtig  ist),  (in)  ommbus  oder  omnibus  (fn); 
vgl.  zur  Wortstellung  II  27,  2;  VH  25,  1. 

3,  17,  2  nehme  ich  an  dem  Ausdruck  id  fore  Anstofs  und  vermute: 
iäque  ipsi  <fYa>  fore  reeipereni;  vgl.  I  14,  6;  3,  60,  2. 

3,  24,  2  wird  der  richtige  Wortlaat  folgender  sein:  nostri,  ut  erat 
(Janperatum},  in  portum  refußiebant.  Scharfsinnig  erkannte  Paul,  was  in 
dem  überlieferten  sinnlosen  veterani  steckte.  Die  Vorschlage  von  B.  Rübler 
ond  W.  Nitsche  sind  beide  dem  Ausdruck,  wie  dem  Gedanken  nach  gleich 
gut.  Bei  der  La.  Kühlers,  der  in  portum  in  imperatum  verwandelt  (was 
etwas  weniger  leicht  ist  als  der  Einschub  des  dem  folgenden  so  ähnlich 
klingenden  Wortes),  gehen  die  Wörter  in  portum  verloren,  welche  zwar 
Dicht  unbedingt  notwendig,  aber  nach  dem  vorhergehenden  ad  fauces  portus 
jnrodire  .  .  .  wünschenswert  sind.  Nitsches  Vorschlag  [ut  erant  (iussi^) 
würde,  üofserlich  betrachtet,  ganz  überzeugend  sein,  da  erant  in  uet^erani  deut- 
Heh  erkennbar  zu  seio  scheint;  aber  Cäsar  gebraucht  in  Einfügungen  dieser  Art 
faat  nur  imperare  (s.  II  11,  6;  III  26,  2;  V  7,  9.  47,  3;  1,  37,  3;  3,  93,  3; 
vgl.  das  Lex.  Caes.;  III  6,  1  ist  anders),  und  so  wird  in  dem  t  von  veteram 
Doch  der  Anfang  des  aosgefallenen  imperatum  zu  sehen  sein. 

3,  63,  8  hat  Paol  mit  kühnem  Griff  das  fehlende  Subjekt  hergestellt, 
iadem  er  das  sinnlose  per  mare  in  Pompeiani  verwandelte.  Mir  ist  es  mög- 
lich erschienen,  unter  Zuhülfenahme  der  beiden  vorhergehenden  Buchstaben 
aas  atpermare  zu  machen  adversarii.  Man  könnte  geneigt  sein,  in  dem  Eud- 
boehstaben  von  mare  die  Präposition  zu  erkennen;  aber  bei  folgendem  exposüi 
würde  der  Schriftsteller  wohl  ex,  nicht  e  gewählt  haben,  und  der  blofse 
Ablativ  steht  wenigstens  auch  3,  111,  6. 

3,  68,  3  vermute  ich:  quod  cum  esset  animadversum  eoniunetam  (fiomy 
esse  flttmim\  dies  wird  wenigstens  dem  Vorschlage  von  Davis  {quam  cum  .  .) 
Torznziehen  sein.    (F.  f.) 

Berlin.  H.  J.  Müller. 


VIERTE  ABTEILUNG. 


EINGESANDTE  BÜCHER. 


1.  Tb.  Ziegler,  Notweadigkeit  und  Berecbligaog  des  Real- 
gymnasiums. Vortrag  gehaltea  io  der  Delegierten versammlaog  des  allge- 
meinen deutschen  Schulmännervereins  zu  Berlin.  Stuttgart  1894,  6.  J.  Göschen- 
sche  Verlagshandlnng.     31  S. 

2.  Festschrift  zur  Feier  des  fünfzigjährigen  Bestehens 
des  Kgl.  Realgymuasiams  zu  Erfurt  1894.  —  Enthält  8  wissen- 
schaftliche Arbeiten  von  Mitgliedern  des  Lehrerkollegiums,  denen  eine  Ge- 
schichte der  Schule  (vom  Direktor  F.  Zange)  voraufgeschickt  ist. 

3.  B.  Schulz,  Deutsches  Lesebuch  für  höhere  Lehranstalten. 
Erster  Teil,  erste  Abteilung  (für  die  unteren  Klassen).  Zehnte  Auflage. 
Paderborn  1894,  F.  Schb'ningh.     XII  u.  567  S.     2,Ö0  M. 

4.  Karl  Schmidt,  Lateinische  Schnlgrammatik.  Aehte  um- 
gearbeitete Auflage,  unter  Mitwirkung  von  0.  Gehlen  herausgegeben  von 
V.  Thnmser.     Wien  1894,  A.  Holder.     236  S.     1  fl.,  geb.  1  fl.  20  kr. 

5.  H.  Meurer,  Lateinisches  Lesebuch  mit  Wortschatz.  Teil  I 
(für  Sexia),  8.  Auflage,  IV  u.  88  u.  bO  S.  1,25  M;  Teil  II  (für  Quinta), 
7.  Auflage,  IV  u.  96  u.  96  S.  1,50  M.     Weimar  1894,  H.  Bo'hlau. 

6.  H.  Muxik,  Zwei  Wiener  Handschriften  zu  Ciceros  De 
inventione.  S.-A.  aus  der  Zeitschr.  f.  d.  österr.  Gymo.  1893  und  Progr. 
des  Gymn.  in  Krems  1894.     14  bezw.  7  S. 

7.  V.  Ussani,  In  Pervigiliom  Veneris  coniecturae.  Mutina 
1894.    8S. 

8.  F.  Devantier,  Die  Spuren  des  anlautenden  Digamma  bei 
Hesiod.    Teil  II.     Progr.  Euün  1894.    34  S.    4. 

9.  F.  Blass,  Die  attische  Beredsamkeit.  Dritte  Abteilung,  1.  Ab- 
schnitt.  Zweite  Auflage.    Leipzig  1893,  B.  G.  Teubner.    VIII  o.  644  S.    16  M. 

10.  Euripides,  Iphigenie  auf  Tauris.  Erklärt  von  F.  G.  SchSne 
und  H.  Köchly,  4.  Auflage.  Neue  Bearbeitung  von  E.  Bruhn.  Berlin  1894, 
Weidmannsche  Buchhandlung.  VI  u.  192  S.  2,40  M. 

11.  E.  Bachof,  Griechisches  Elementarbuch  für  Unter-  und 
Ober-Tertia.  Zweite  Auflage.  Gotha  1894,  F.A.Perthes.  VIII  u.  215  S. 
2,40  M.   —  Vgl.  diese  Zeitschr.  1884  S.  117  u.  687. 

12.  R.  Bodewig,  Lahnstein  im  dreifsigjährigen  Kriege. 
Progr.  Oberlahnstein  1894.  51  8. 

13.  Fontane's  Führer  durch  die  Umgegend  von  Berlin,  her- 
ausgegeben vom  Touristen- Club  für  die  Mark  Brandenburg,  Teil  4:  Grane- 
wald.    Berlin  1894,   F.  FonUne  &  Co.    79  S.     0,50  M. 

14.  M.  Cantor,  Vorlesungen  über  Geschichte  der  Mathema- 
tik. Band  HI,  Abt  1.  Mit  45  Figuren  im  Text.  Leipzig  1694.  B.  G. 
Teubner.     251  S.  Lex.  8.  6  M. 

15.  H.  Fenkner,  Arithmetische  Aufgaben,  unter  besonderer  Be- 
rücksichtigung von  Anwendungen  ans  dem  Gebiete  der  Geometrie,  Physik 
und  Chemie.  Pensum  der  Unter-Tertia,  Ober-Tertia  und  Unter-Sekunda. 
Zweite  Auflage.  Braunschweig  1894,  0.  Salle.  VIII  u.  247  S.  2,20  M.  — 
Vgl.  diese  Zeitschr.  1891  S.  172. 

16.  £.  V.  Schenckendorff  und  F.  A.  Schmidt,  Jahrbuch  für 
Jugend-  und  Volksspiele.  Dritter  Jahrgang.  Leipzig  1894,  R.  Voigt- 
länder.   309  S. 

17.  A.  Sickinger,  Wie  sucht  unser  heutiges  Schulturneo 
seinen  erziehlichen  und  gesundheitlichen  Aufgaben  gerecht 
zu  werden?  Vortrag,  gehalten  bei  Gelegenheit  der  6.  oberrheioisehen 
Tarolebrerversammlung   zu  Pforzheim  am  12.  Mai  1894.     Bühl  1894.    23  S. 


ERSTE  ABTEILUNG. 


ABHANDLUNGEN. 


Der  Apostel  Paulus  in  seinem  Gegensatze  zu 
griechischer  Sittlichkeit  und  Weisheit. 

Ein  Beitrag  zur  vergleichenden  Behandlung  des  Altertums  und  des 

Christentums  in  der  Gymnasialprima. 

Wenn  Heiland  in  einer  seiner  Schulreden  das  Christentum 
als  den  Schlüssel  zum  Verständnis  des  Altertums  bezeichnet  hat, 
so  kann  man  mit  demselben  Recht  auch  umgekehrt  behaupten, 
dafs  erst  das  Altertum  uns  das  Verständnis  des  Christentums 
erschliefse.  Dies  gilt  freilich  nicht  in  dem  Sinne,  als  ob  der 
Eingang  in  das  Allerheiligste  desselben  für  einen  jeden  durch  den 
Vorhof  des  Altertums  führen  müfste.  Das  Christentum  will  eine 
Religion  für  alle  sein  ohne  Unterschied  des  Standes,  der  Bildung 
und  der  Nationalität  (Gal.  3,  28)  und  offenbart  seine  tiefsten  Ge- 
heimnisse nicht  sowohl  dem  forschenden  Verstände,  als  dem  ein- 
fältigen Glauben  des  kindlichen  Gemüts.  Aber  in  seiner  geschicht- 
lichen Bedeutung  kann  es  doch  nur  von  demjenigen  in  vollem 
Mafse  gewürdigt  werden,  welcher  seinen  religiös-sittlichen  Gehalt 
an  dem  des  Altertums  zu  messen  in  der  Lage  ist  Hat  nun  das 
Gymnasium  seine  Schüler  einerseits  in  die  Kenntnis  des  Altertums 
einzufuhren,  wie  andererseits  ihnen  eine  tiefere  Einsicht  in  das 
Wesen  des  Christentums  zu  eröffnen,  als  sie  der  elementare 
Religionsunterricht  zu  bieten  vermag,  so  kann  diese  Aufgabe  nur 
bei  einem  Unterrichtsverfahren  gelöst  werden,  welches  beide  Lehr- 
gegenstände auf  das  engste  mit  einander  verknüpft.  Eine  solche 
Verbindung  wird  sich  leicht  herstellen  lassen,  wenn  der  alt- 
klassische Unterricht  das  Innere  des  antiken  Menschen  und  be- 
sonders die  Stellung  des  Altertums  zu  den  letzten  und  wichtigsten 
Fragen  des  Menschenlebens  in  den  Vordergrund  des  Interesses 
stellt.  Die  Alten  haben  sich  der  Lösung  dieser  Fragen  mit  un- 
ermüdlichem Eifer  und  mit  einer  Begeisterung  hingegeben,  die 
unsere  höchste  Bewunderung  erregen  mufs  und  wohl  geeignet 
ist,    das   heutige  Geschlecht  tief  zu  beschämen.     Die  Antworten, 

ZettMbr.  t,  d.  Gjmn«»ialwM«n  XLVm.    11.  43 


674     Piiulus  im  Gej^eosntze  z.  fpriech.  Sittlichkeit  o.  Weisheit, 

weiche  sie  auf  dieselben  gegeben  haben,  sind  so  bedeulsam  und 
charakteristisch,  dafs  sie  der  Unterricht  auf  der  Oberstufe  des 
Gymnasiums^  wenn  er  sich  nicht  blofs  auf  der  Peripherie  des 
antiken  Lebens  bewegen  soll,  den  Schöiern  nicht  vorenthallen 
darf.  Dafs  sich  der  Lehrer  dabei  in  fJöhen  versteigen  kann,  in 
welche  der  Schuler  ihm  nicht  zu  folgen  vermag,  ist  gewifs.  Es 
ist  aber  nicht  zuzugeben,  dafs  dieses  Gebiet  an  sich  über  das 
Fassungsvermögen  der  reiferen  Jugend  hinausgehe.  Wer  das  be- 
haupten wollte,  der  mufste  folgerichtig  auch  die  Ausschiiefsung 
des  christlichen  Religionsunterrichts  aus  den  oberen  Gymnasial- 
klassen fordern,  da  dieser  selbst  dem  erfahrenen  Lehrer  noch 
Schwierigkeiten  genug  bietet.  Wenn  dieses  nun  kein  besonnener 
Pädagoge  verlangen  wird,  dann  darf  jene  verliefende  Behandlung 
des  altklassischen  Unterrichts  um  so  weniger  abgewiesen  werden, 
als  sie  bei  der  Verwandtschaft  der  hier  in  Betracht  kommenden 
Fragen  wohl  geeignet  ist,  auch  über  das  Christentum  ein  helleres 
Licht  zu  verbreiten.  Werden  die  sich  überall  darbietenden  Ver- 
gleiche mit  Sachkenntnis  und  unbefangenem  Urteil  gezogen,  so 
werden  sie  ihre  belebende  und  befruchtende  Wirkung  gewifs  nicht 
verfehlen  und  vor  allem  dazu  beitragen,  der  Bildung  des  Schülers 
jene  historische  Grundlage  zu  geben,  welche  anzustreben  die  eigen- 
tümliche Aufgabe  des  Gymnasiums  ist. 

Dabei  wird  allerdings  zweierlei  zu  beachten  sein:  einerseits 
wird  man  sich  nicht  in  Einzelheiten  verlieren  dürfen,  sondern 
das  Charakteristische  zusammenfassend  hervorheben  müssen,  an- 
dererseits wird  man  sich  im  wesentlichen  an  den  Stoff  zu  halten 
haben,  welchen  die  allklassische  und  die  neutestamentliche  Lektüre 
bietet.  Diese  beiden  Gesichtspunkte  hat  A.  Rieder  in  seinen 
unter  Benutzung  bekannter  Sammlungen')  in  dieser  Zeitschrift 
(Jahrg.  1892  S.  419  ff.  und  Jahrg.  1893  S.  79  ff.)  veröfTentlichten 
„Parallelen  zu  Stellen  der  Ueiligen  Schrift  aus  Werken  griechischer, 
römischer  und  deutscher  Klassiker  u.  s.  w.'^  nicht  gebührend  be- 
rücksichtigt. Jene  Häufung  von  Citaten  mannigfaltigsten  Inhalts 
aus  Schriftstellern,  welche  dem  Schüler  zum  Teil  kaum  dem 
Namen  nach  bekannt  sind,  wird  in  diesem  vielleicht  ein,  unter 
Umständen  nicht  einmal  berechtigtes,  Staunen  über  die  schier 
uferlose  Belesenheit  seines  Lehrers  in  der  antiken  Lilteratur  her- 
vorrufen, ihn  aber  im  übrigen  durch  den  Eindruck  des  Massen- 
haften und  Unorganischen  nur  verwirren.  Es  findet  sich  bei  an- 
gemessenerer Auswahl  der  altklassischen  Lektilre  —  als  eine  solche 
kann  freilich  die  in  den  neuen  preufsischen  Lehrplänen  nament- 
lich für  das  Lateinische  empfohlene  nicht  bezeichnet  werden  — 
so  reicher  Anlafs  zu  vergleichender  Betrachtung,  dafs  nach  fern- 


^)  n.  Schoeideri  Christliche  KläDge  aos  deo  griechischeo  ond  römi- 
schen Klassikero,  Leipzig  1865,  und  E.  Spiefs,  Logos  spermatikos,  LfCip- 
zig  1$71. 


von  P.  Salkowski.  675 

iiegendem  StofT  ein  Bedürfnis  nicht  vorhanden  sein  wird.  Es  ist 
dadurch  naturlich  nicht  ausgeschlossen,  dafs  gelegentlich  einmal 
besonders  inhaltsvolle  und  bezeichnende  Stellen  auch  eines  den 
Schülern  fremden  Autors,  sofern  daraus  für  die  Klassenlektüre  ein 
erheblicher  Gewinn  zu  erwarten  ist,  in  angemessener  Weise  ver*- 
wertet  werden.  Im  allgemeinen  aber  wird  man  sich  hier  gewisse 
Schranken  auferlegen  müssen,  um  nicht  durch  ein  zu  oft  und  zu 
vielerlei  den  Schüler  zu  ermüden.  Von  den  durch  Rieder  zu- 
sammengestellten Parallelen  sind  manche  rein  äufserlicher  Art. 
Da  diese  dem  hier  berührten  Gebiet  fernliegen  und  höchstens  den 
Spezialisten  interessieren,  so  wollen  wir  von  denselben  absehen. 
VVozu  bedarf  es  aber,  so  fragen  wir,  eines  solchen  Aufwandes 
von  Citaten,  um  zu  beweisen,  dafs  auch  den  Alten  das  Sitten- 
gesetz heilig  gewesen  ist,  dafs  auch  ihnen  die  Tugend  Schweifs 
gekostet  hat,  dafs  sie  gleich  uns  den  Widerspruch  zwischen  geistiger 
und  sinnlicher  Natur,  zwischen  Wollen  und  Vollbringen  an  sich 
erfahren  haben,  dafs  die  verderbliche  Macht  des  Goldes  ihnen  nicht 
unbekannt  gewesen  oder  gar  dafs  bei  ihnen  Eltern-  und  Kindes- 
liebe allgemein  verbreitet  gewesen  ist  u.  ä?  Ist  dieses  alles  nicht 
selbstverständlich?  Sind  die  Alten  nicht,  um  ein  W^ort  der  Apostel- 
geschichte zu  variieren,  ofAOiona&stg  iifuv  äy&Qconoi,  und  mufs 
daher  nicht  eine  gewisse  Summe  sittlicher  Vorstellungen,  welche 
uns  heute  geläufig  sind,  auch  ihnen  bereits  bekannt  gewesen 
sein?  „In  keinem  Zeitalter'%  sagt  K.  B.  Hundeshagen  (in  seiner 
Rede:  Über  die  Natur  und  die  geschichtliche  Entwickelung  der 
Humanitätsidee  in  ihrem  Verhältnis  zu  Kirche  und  Staat)  „und 
selbst  nicht  unter  den  rohesten  Völkern  fehlt  es  gänzlich  an 
Äufserungen  jener  Erschlossenheit  des  Individuums  für  seine  Be- 
ziehungen zu  den  Wesen  seiner  Galtung  in  elterlicher,  kindlicher 
und  geschwisterlicher  Liebe,  in  veredelter  Organisation  der  ge- 
schlechtlichen Verhältnisse,  in  hochherziger  Freundschaft,  in  Ge- 
fühlen der  Gerechtigkeit  und  Billigkeit  u.  dgl.  m.  Und  es  ist 
höchst  begreiflich,  dafs  es  daran  nicht  fehlen  kann.  Denn  ist  die 
menschliche  Natur  auf  diese  Beziehungen  angelegt,  so  wäre  es 
undenkbar,  wenn  sie  dieselben  nicht  wenigstens  in  irgend  einem 
Grade  realisieren  sollte.  Welche  Mächte  und  Gewalten  auch  das 
Menschengeschlecht  in  der  Verwirklichung  seines  Wesens  hemmen 
und  aus  seiner  geraden  Richtung  abbeugen  mögen:  immer  bleibt 
die  menschliche  Nalur  sich  selbst  gleich,  und  es  hiefse  die  Identität 
derselben  in  den  verschiedenen  Perioden  ihrer  geschichtlichen 
Entwickelung  leugnen,  die  Kontinuität  der  letzteren  durchbrechen, 
wenn  es  irgend  eine  Macht  gäbe,  durch  welche  die  ursprüngliche 
Anlage  des  Menschen  zur  Humanität  gänzlich  vertilgt,  die  mensch- 
liche Natur  im  eigentlichsten  und  vollsten  Sinne  denaturiert  wäre*^ 
Lohnt  es  unter  solchen  Umständen  Zeit  und  Mühe,  dem  Schüler 
das  Vorhandensein  gewisser,  der  Menschheit,  soweit  sie  sich  aus 
dem  Zustande  der  Barbarei  zu  einiger  Gesittung  emporgearbeitet 

43* 


676     Paolus  im  Gegeosatze  z.  griech.  Sittlichkeit  a.  Weisheit, 

hat,  gemeinsamer  sittlichen  Vorstellungen  auch  bei  den  Allen 
nachzuweisen?  Und  was  wird  bei  einem  solchen  Verfahren  für 
die  Erkenntnis  des  Christentums  gewonnen?  Auf  diesem  Wege 
können  die  Schüler  höchstens  zu  der  verkehrten' Ansicht  gefuhrt 
werden,  dafs  antike  und  christliche  Sittlichkeil  im  wesentlichen 
einander  gleich  seien.  Vielmehr  ist  das  Hauptgewicht  auf  die 
Unterschiede  zu  legen,  denn  nur  so  ist  es  möglich,  zu  einer  wirk- 
lichen Einsicht  in  das  eigentümliche  Wesen  beider  zu  gelangen. 
Übrigens  wird  durch  die  hlofse  Nebeneinanderstellung  ähnlich 
klingender  Ausspruche  aus  den  alten  Klassikern  und  der  Bibel 
für  die  Übereinstimmung  der  beiderseitigen  religiös-sittlichen  An- 
schauungen noch  gar  nichts  bewiesen.  Wenn  z.  B.  die  Griechen 
von  der  dgerij  und  die  Römer  von  der  virtus,  ebenso  wie  wir  von 
der  Tugend,  behaupten,  dafs  sie  ohne  Mühe  nicht  zu  erlangen 
sei,  was  für  einen  Wert  hat  es,  dieses  zu  wissen,  falls  nicht  zu- 
gleich festgestellt  wird,  worin  sich  unser  Tugendbegriff  von  dem 
griechischen  und  römischen  und  diese  wieder  von  einander  unter- 
scheiden? Will  man  sich  bei  solchen  Vergleichen  nicht  blofs  auf 
der  Oberfläche  bewegen,  so  mufs  man  die  einzelnen  Vorstellungen 
durch  ein  tieferes  Eingehen  auf  die  zu  Grunde  liegende  sittliche 
Gesamtanschauung  einer  sorgfältigen  Prüfung  unterziehen,  wobei 
sich  dann  oft  das  Gegenteil  jenes  consensus  ergeben  wird,  den 
Rieder  zu  beweisen  sucht. 

Auf  die  Hervorhebung  der  Unterschiede  des  Christentums 
von  dem  Altertum  führt  uns  auch  die  neutestamentliche  Lektüre: 
der  Dissensus  ist  es,  der  uns  hier  überall  zuerst  in  die  Augen 
springt.  Das  Christentum  erhebt  den  Anspruch,  der  Well  ein 
Neues  zu  bringen.  „Ist  jemand  in  Christo*',  schreibt  Paulus, 
„so  ist  er  eine  neue  Kreatur:  Das  Alte  ist  vergangen,  siehe!  es 
ist  alles  neu  geworden''.  Im  Zusammenhange  mit  der  Verkün- 
digung der  in  Christus  geoffenbarten  Gnade  Gottes  verheilst  es 
der  Menschheit  religiöse  Güter,  die  sie  vorher  nicht  besessen, 
stellt  es  ihr  sittliche  Aufgaben,  die  sie  bis  dahin  nicht  gekannt 
hat,  und  giebt  so  dem  Leben  einie  neue  Grundlage  und  einen 
ganz  anderen  Inhalt  und  Wert.  Schon  das  erste  Wort  Johannes 
des  Täufers:  iiexavostTSj  ^yyixev  yäq  ^  ßacikeia  %^v 
ovQaycüv,  versetzt  uns  in  eine  neue,  von  der  bisherigen 
vollständig  verschiedene  Welt.  Denn  das  Altertum  kennt  weder 
die  liSTOLvota  in  dem  hier  gemeinten  radikalen  Sinne  einer 
Umwandlung  des  ganzen  inneren  Menschen,  noch  auch  die 
ßadtXeia  rdoy  ovqavöov.  In  dem  vollen  Bewulstsein  seines  ab- 
soluten Wertes  tritt  nun  das  Christentum  mit  Entschiedenheit 
dem  entgegen,  was  auf  religiös-sittlichem  Gebiet  bisher  gegolten 
hat,  und  beginnt  den  nach  menschlichem  Ermessen  gänzlich  aus- 
sichtslosen Kampf  gegen  heidnisches  Wesen  mit  der  vollkommenen 
Gewifsheit  des  Sieges.  Ja,  nachdem  derselbe  kaum  begonnen, 
sieht  es  die  Welt  bereits  zu  seinen  Füfsen  liegen:    „Dieses  ist'S 


▼  OD  P.  SalkowskL  677 

schreibt  Johannes   in   seinem    ersten  Briefe,    „der  Sieg,   der  die 
Welt  überwunden  hat,  euer  Glaube". 

In  seiner  ganzen  Schärfe  tritt  uns  dieser  Gegensatz  in  den 
Briefen  des  Apostels  Paulus  entgegen,  der  durch  seine  umfassende 
Missionsthätigkeit  mit  dem  Heidentum  in  unmittelbare  und  an- 
dauernde Berührung  trat  und  so  immer  neuen  Anlafs  fand,  sich 
mit  den  religiösen  und  sittlichen  Zuständen  desselben  eingehend 
zu  beschäftigen.  Und  wie  es  fast  ausnahmslos  Griechen  waren, 
mit  denen  er  es  zu  thun  gehabt  hat,  so  galten  sie  ihm  als  die 
eigentlichen  Vertreter  der  Heidenwelt.  Sie  meint  er  in  erster 
Linie,  wo  er  Yon  den  Heiden  spricht,  und  er  trägt  daher  auch 
kein  Bedenken  die  Begriffe  s&yfi  und  'Ellfjvsg  einfach  mit  einander 
zu  vertauschen.  Wie  urteilt  er  nun  über  die  griechische  Sittlich- 
keit? Bekannt  ist  jenes  düstere  Bild,  welches  er  im  ersten  Kapitel 
des  Römerbriefes  von  dem  sittlichen  Verderben  der  griechischen 
Menschheit  entworfen  hat.  In  langer  Reihe  zählt  er  hier  alle  die 
schandbaren  Sunden  und  Laster  auf,  welche  in  ihr  verbreitet 
sind:  unnatürliche  Wollust,  Ungerechtigkeit,  Habgier,  Neid,  Mord- 
lust u.  s.  w.  Um  seiner  Schilderung  einen  wirkungsvollen  Ab- 
schlufs  zu  geben,  fügt  er  noch  einen  Zug  wahrhaft  dämonischer 
Bosheit  hinzu,  indem  er  nachdrücklich  hervorhebt,  dafs  die  Griechen, 
„trotzdem  sie  den  Rechtsspruch  Gottes  kennen,  dafs  die,  welche 
dergleichen  thun,  des  Todes  würdig  sind,  solches  dennoch  nicht 
nur  thun,  sondern  auch  an  anderen,  die  es  thun,  ihr  Wohlgefallen 
haben'*.  Hat  Paulus  auch  nicht  gemeint,  dafs  ein  jeder  Grieche 
mit  allen  jenen  Sünden  behaftet  gewesen  ist,  so  ist  doch  aus  dem 
ganzen  Zusammenhange  seiner  Beweisführung  und  vor  allem  aus 
dem  Ziel,  zu  welchem  sie  hinstrebt  ersichtlich,  dafs  nach  seiner 
Meinung  keiner  im  wesentlichen  davon  frei  geblieben  ist.  Man 
vergleiche  namentlich  Rom.  3,  9  ff.  INun  ist  es  bekanntlich  aufser- 
ordentlich  schwierig,  auf  Grund  eigener  Beobachtung  oder  fremder 
Zeugnisse  über  die  sittlichen  Zustände  eines  ganzen  Zeitalters  ein 
vollkommen  zutreffendes  Urteil  zu  fällen.  Es  finden  sich  ja  Äufse- 
rungen  bei  den  antiken  Schriftstellern  genug,  aus  denen  man  auf 
einen  Rückgang  der  Sittlichkeit  und  ein  Nachlassen  der  sittlichen 
Energie  in  der  damaligen  Welt  schliefsen  könnte.  Aber  mit 
Sicherheit  zu  erweisen  ist  es  nicht  und  wird  von  Friedländer 
(Sittengeschichte  Roms  Band  III  Abschnitt  5)  sogar  entschieden 
bestritten.  Aber  selbst  wenn  wir  den  schlimmsten  Fall  setzen,  ist 
es  doch  nicht  denkbar,  dafs  die  von  dem  Apostel  namhaft  ge- 
machten Sünden  in  der  von  ihm  behaupteten  Allgemeinheit  damals 
vorhanden  gewesen  sind.  Wäre  aus  der  Menschheit  das  sittliche 
Gefühl  so  vollständig  geschwunden  gewesen,  so  hätten  die  Grund- 
lagen der  Gesellschaft  ins  Wanken  geraten  und  in  einem  Kampfe 
aller  gegen  alle  ein  Chaos  entstehen  müssen.  Es  ist  daher  zuzu- 
geben, dafs  der  Apostel  die  Farben  zu  stark  aufgetragen  hat. 
Dieses    darf   den  Schülern    um    so  weniger  vorenthalten  werden. 


678      Paulas  im  Gegensätze  c.  griech.  Sittlichkeit  a.  Weisheit, 

als  den  Nachdenkenden  unter  ihnen  Zweifel  an  der  Richtigkeit 
der  paulinischen  Sittenschilderung  von  selbst  kommen  werden. 
Jedenfalls  empfiehlt  es  sich  mehr,  diese  der  Wahrheit  gemäfs  zu 
besprechen,  als  ihr,  wie  wohl  in  der  Regel  geschieht,  durch  An- 
führung übereinstimmender  Urteile  antiker  Schriftsteller  eine  schein- 
bare Stütze  zu  geben. 

Wie  ist  nun  der  Apostel  zu  seinem  so  ungünstigen  Urteil 
gekommen?  Hat  er  es  sich  in  seinem  langjährigen  Verkehr  mit 
Griechen  gebildet?  Gewifs  standen  ihm,  als  er  seinen  Brief  an 
die  römische  Gemeinde  schrieb,  die  reichsten  Erfahrungen  in  dieser 
Beziehung  zu  Gebote.  Diese  aber  haben  sein  Urteil  nicht  bestimmt, 
sie  haben  es  höchstens  bestätigt.  Dasselbe  ist  überhaupt 
nicht  Ergebnis  eigener  Beobachtung,  sondern  es  war 
im  Grunde  bereits  fertig  und  abgeschlossen,  bevor  er 
seine  Missionsarbeit  unter  den  Griechen  begann.  Wäre 
er  nicht  von  dem  sittlichen  Verderben  der  griechischen  Menschheit 
von  vornherein  überzeugt  gewesen,  wie  hätte  er  auf  den  Gedanken 
kommen  sollen,  ihr  im  Evangelium  Rettung  und  Erlösung  zu 
bringen?  In  ihm  selbst  also  und  in  den  religiösen  und  sittlichen 
Erfahrungen  seines  eigenen  Lebens  haben  wir  den  Schlüssel  zu 
jenem  Urteil  zu  suchen.  Er  war  aufgewachsen  unter  dem  Einflufs 
des  mosaischen  Gesetzes,  in  dem  Glauben  an  den  heiligen  und 
gerechten  Gott,  und  er  durfte  sich  rühmen  „tadellos  erfunden  zu 
sein  in  der  Gerechtigkeit  des  Gesetzes^'  und  „im  Judentum  viele 
Altersgenossen  in  seinem  Volke  übertroffen  zu  haben",  aber  dieser 
Ruhm  der  äufserlichen  Beobachtung  des  Gesetzes  genügte  ihm 
nicht.  Er  fauste  es  in  seiner  Tiefe  und  rang  mit  der  ganzen  Kraft 
seiner  starken  Seele  nach  dem  Ideal  gesetzlicher  Vollkommenheit, 
aber  er  rang  vergebens.  In  schweren  inneren  Kämpfen,  die  er 
uns  im  siebenten  Kapitel  des  Römerbriefes  so  ergreifend  geschil- 
dert hat,  machte  er  die  Erfahrung  von  der  furchtbaren  Macht  der 
Sünde,  welche  ihn  knechtete,  ihn  unfähig  machte  zu  allem  Guten 
und  so  gegen  sein  besseres  Wissen  und  Wollen  in  Widerspruch 
setzte  mit  Gottes  Gebot  und  der  eigenen  Bestimmung.  Mit  diesem 
Einblick  in  die  Tiefen  seines  eigenen  Wesens  erschlofs  sich  ihm 
das  Verständnis  der  sittlichen  Natur  des  Menschen  überhaupt. 
Vollends  „als  es  Gott  wohlgefieh  seinen  Sohn  in  ihm  zu  offen- 
baren" und  ihm  „die  Klarheit  Gottes  in  dem  Angesicht  Christi" 
erschienen  war,  wie  mufste  ihm  da  einerseits  neben  dieser  Licht- 
gestalt alle  sogenannte  menschliche  Tugend  verblassen,  und  sich 
andererseits  an  dem  Opfertode  dieses  einzig  Reinen  die  Sünde  in 
ihrer  ganzen  Furchtbarkeit  zeigen!  Wenn  die  Menschheit  nur 
durch  dieses  Opfer  des  Gottessohnes  zu  retten  war,  wie  tief  mufste 
ihr  Verderben  sein.  So  wurde  ihm  der  religiös-sittliche  Bankerott 
derselben  die  selbstverständliche  Voraussetzung  des  Evangeliums 
von  der  Erlösung.  Es  lag  ihm  daher  vollständig  fern,  nach 
Tugenden  unter  den  Griechen  überhaupt  zu  suchen.   Vielmehr  er- 


voo  P.  Salkowski.  679 

schien  es  ihm  als  die  erste  Aufgabe  seines  apostolischen  Berufes, 
überall  das  Sunden-  und  Schuldbewufstsein  in  ihnen  zu  wecken, 
ohne  welches  er  für  seine  Predigt  von  der  Gnade  keinen  An- 
knüpfungspunkt finden  konnte.  Und  darauf  hinzuwirken  mufste 
er  sich  um  so  mehr  veranlafst  fühlen,  als  dasselbe  in  der  von 
dem  Christentnm  vorausgesetzten  Tiefe  dem  Altertum  überhaupt 
fremd  war.  Wohl  hatten  auch  dje  Alten  einen  klaren  Bück  für 
die  mancherlei  Fehler  und  Schwächen  der  menschlichen  Natur. 
Dafs  von  sittlichen  Verirrungen  sich  niemand  frei  erhält,  dafs  „wir 
alle  darauf  angelegt  sind,  sowohl  im  Privatleben,  wie  im  öffent- 
lichen Leben  zu  fehlen*'  (Thucyd.  III  45),  ist  eine  dem  ganzen 
Altertum  geläufige  Erfahrung.  Aber  der  Glaube  war  ihm  fremd, 
dafs  alle  unsere  Tugend  vor  Gott  nur  wie  „ein  zerrissen  Gewand'* 
ist  und  daher  ein  jeder,  auch  der  nach  menschlichem  Urteil  Edelste 
und  Beste  ein  armer  Sünder  vor  ihm  und  ohne  seine  Gnade  ewig 
verloren  ist.  Dazu  fehlten  eben  die  religiösen  Voraussetzungen, 
vor  allem  die  Idee  der  göttlichen  Heiligkeit.  Vielmehr  war  die 
Meinung  vorherrschend,  dafs  der  Mensch  bei  redlichem  Streben  im 
Stande  sei,  seine  sittliche  Bestimmung  aus  eigener  Kraft  zu  erfüllen. 
In  nahem  Zusammenhange  damit  steht  die  Bedeutung,  welche  das 
spätere  Altertum  der  Philosophie  als  der  Führerin  zur  sittlichen 
Vollkommenheit  beilegte.  Denn  dem  Wissen  des  Guten  kann  nur 
in  dem  Falle  eine  solche  Wichtigkeit  beigelegt  werden,  wenn  der 
Wille  für  stark  genug  gehalten  wird,  das  als  gut  Erkannte  auch 
wirklich  zu  thun.  Den  entgegengesetzten  Standpunkt  des  Christen- 
tums kenneu  zu  lernen,  dienen  namentlich  die  so  wichtigen  An- 
fangskapitel des  ersten  Briefes  an  die  Korinther.  Der  Apostel  sieht 
das  Heil  nicht  im  Wissen,  sondern  im  Glauben,  nicht  in  der  Philo- 
sophie, sondern  in  der  Religion.  Nach  seiner  Erfahrung  ist  das 
Wissen  allein  so  wenig  im  Stande,  den  Menschen  zu  bessern,  dafs 
es  vielmehr  den  ganzen  Widerspruch,  in  welchem  der  eigene  sitt- 
liche Zustand  zu  dem  Ideal  sittlicher  Vollkommenheit  steht,  erst 
aufdeckt.  Allein  das  Evangelium  von  der  Gnade  Gottes  vermag 
den  Gläubigen  ebenso  von  der  Schuld,  wie  aus  der  Gewalt  des 
Bösen  zu  erlösen  und  seinem  Willen  die  normale  Richtung  zu 
geben,  indem  es  ihm  Trieb  und  Kraft  zum  Guten  mitteilt  und 
die  einstige  Vollendung  im  Jenseits  gewährleistet. 

Dafs  ein  solches  „Evangelium"  die  Griechen  fremdartig  an- 
muten mufste,  ist  natürlich.  Dieser  Eindruck  wurde  durch  be- 
sondere Umstände  noch  verstärkt.  „Wir*  predigen*',  schreibt  Paulus, 
„den  gekreuzigten  Christus,  den  Griechen  eine  Thorheit*'.  Und  in 
der  That,  was  konnte  für  Griechen  Thörichteres  gedacht  werden, 
als  das  Kreuz  Christi,  als  jene  Botschaft,  dafs  in  einem  Juden  und 
gar  in  einem  Juden  niederen  Standes,  der  von  seinen  eigenen 
Volksgenossen  verschmäht  und  dem  schimpflichsten  Tode  preis- 
gegeben war,  Gott  selbst  den  Menschen  erschienen  sei?  Die  Götter- 
söhne,    welche  die  Phantasie  ihrer  Dichter  geschaffen,    deren   er- 


680     Paala»  im  Gegeosatze  z.  griech.  Sittlichkeit  a.  Weisheit, 

habene  Bildwerke  sie  überall  umgaben,  traten  ihnen  in  mensch- 
licher Schönheit  und  Herrlichkeit  entgegen.  Welchen  Anspruch 
konnte  dieser  armselige  Jude,  der  den  Tod  des  Verbrechers  ge- 
storben war,  erheben,  sich  nicht  nur  neben  jene,  sondern  sogar 
über  sie  zu  stellen?  Der  ästhetischen  Anschauungsweise  der 
Griechen,  welcher  der  Einklang  von  Wesen  und  Erscheinung,  von 
Inhalt  und  Form  als  das  höchste  Ideal  galt,  mufste  diese  in  so 
niedriger  Gestalt  sich  darstellende  Verkörperung  des  Göttlichen 
mindestens  als  eine  Paradoxie  erscheinen.  Diesen  Gegensatz,  in 
welchen  sich  das  Christentum  zur  Empfindungs-  und  Denkweise 
der  Griechen  stellte,  mufs  man  sich  vergegenwärtigen,  um  das 
Wunder  zu  begreifen,  dafs  es  dennoch  Gläubige  unter  ihnen  ge- 
funden hat. 

Ebenso  abweisend,  wie  die  Griechen  dem  Kreuze  Christi, 
stand  Paulus  ihrer  Weisheit  gegenüber,  die  er  kein  Bedenken  trägt, 
als  Thorheit  zu  bezeichnen.  Von  jener  echten  Weisheit  freilich, 
welche  in  den  Werken  der  grofsen  griechischen  Dichter  und 
Denker  niedergelegt  war,  hatte  er  schwerlich  auch  nur  eine  ober- 
flächliche Kenntnis.  In  seinen  Briefen  wenigstens  findet  sich  davon 
keine  Spur.  Aber  bei  seinem  langjährigen  ununterbrochenen  Ver- 
kehr mit  Griechen,  der  sich  doch  nicht  blofs  auf  die  Ungebildeten 
unter  ihnen  beschränkt  hat  (I.  Kor.  1,  26),  konnte  ihm  die  Beob- 
achtung nicht  entgehen,  die  schon  der  Skythe  Anacharsis  gemacht 
hatte:  'EXXfjvag  navraq  &(Sx6Xovg  slpai  ig  näaap  ao(f) lay  (Ueroi. 
IV  77).  Trotz  dieses  Weisheitsstrebens  hatten  sie  die  Wahrheit 
doch  nicht  gefunden:  denn  sie  zeigten  nicht  nur  keine  Spur 
wahrer  Gotteserkenntnis,  sondern  sogar  ein  allgemeines  >Yider- 
streben  gegen  das  Evangelium  von  Christus,  „der  uns  zur  Weis- 
heit geworden  ist  von  Gott^'  (I.  Kor.  1,  30).  Damit  hatte  sich  die 
griechische  Weisheit  in  Paulus'  Augen  das  Urteil  gesprochen.  Für 
ihn  war  sie  einfach  abgethan  und  konnte  sie  nur  negativen  W^ert 
haben,  indem  sie  die  Irrwege  bezeichnete,  welche  die  Gott  ent- 
fremdete Menschheil  in  ihrem  Dünkel  gegangen  war.  „Indem  sie 
sich  für  Weise  ausgaben,  sind  sie  zu  Thoren  geworden'*  (Rom. 
1,  22).  Daher  hätte  auch  in  dem  Falle,  dafs  die  von  ihm  be- 
kämpfte sogenannte  Weisheit  der  Korinther  jener  alten  und  echten 
griechischen  Weisheit  verwandt  und  mehr  gewesen  wäre  als  blofse 
Naseweisheit,  sein  Urteil  nicht  anders  gelautet.  Was  hätte  auch 
sein  am  alten  Testamente  genährter,  durch  rabbinische  Gelehrsam- 
keit geschulter,  schliefslich  im  Christentum  zu  voller  Reife  und 
Klarheit  gekommener  Geist  aus  den  philosophischen  Systemen  der 
Griechen  lernen  können?  Was  vermochten  sie  ihm  zu  bieten? 
Die  letzten  Fragen,  an  deren  Lösung  sie  sich  abmühten,  waren 
für  ihn  gelöst;  den  Gott,  den  sie  „tastend  suchten*',  hatte  er  im 
Evangelium  gefunden;  das  sittliche  Ideal,  welches  die  einzelnen 
Schulen  so  verschieden  bestimmten,  war  für  ihn  in  Christus  ver- 
körpert.    Die  ganze  antike  Ethik  wäre  ihm  sogar  dann,  wenn  er 


voD  P.  Salkowski.  6gt 

ibrem  Inhalt  von  seinem  Standpunkt  aus  im  wesentlichen  hätte 
zustimmen  können,  nur  als  eine  verschlechterte  Auflage  des 
mosaischen  Gesetzes  erschienen :  fehlte  jener  doch,  was  dieses  be- 
safs,  das  feste  Fundament  der  göttlichen  Autorität  und  ihren 
Geboten  daher  die  Eigenschaft  unbedingter  Verpflichtung.  Im 
übrigen  verwies  sie  ihn,  wie  das  mosaische  Gesetz,  auf  sein  eigenes 
sittliches  Vermögen.  Wie  wenig  aber  der  Wille  des  „natürlichen'* 
Menschen  im  Stande  ist,  das  Gute  zu  thun,  das  wufste  er  aus 
eigener  Erfahrung.  Dafür  besafs  er  in  seinem  Glauben  einen 
unversiegbaren  Quell  sittlicher  Kraft,  welche  in  um  so  vollerem 
Mafse  in  ihn  einströmte,  je  tiefer  er  seine  eigene  Schwachheit 
fühlte,  „(ch  vermag  alles",  schreibt  er  an  die  Philipper,  „durch 
den,  welcher  mich  stark  macht".  Für  die  Wahrheit  dieses  Wortes 
legt  sein  Leben  beredtestes  Zeugnis  ab.  Von  Stadt  zu  Stadt,  von 
Land  zu  Land  treibt  ihn  seines  Herzens  Drang  ohne  Ruh  und  Rast, 
das  Evangelium  von  der  Liebe  zu  verkündigen,  die  sich  aller  er- 
barmen will,  zu  suchen  und  zu  retten,  was  verloren  ist,  Bürger 
zu  werben  für  ein  Reich,  das  nicht  von  dieser  Welt  ist;  er  achtet 
nicht  „Mühe  und  Arbeit,  nicht  Hunger  und  Durst,  nicht  Frost 
noch  Blöfse",  nicht  die  Flut  von  Hohn  und  Spott,  die  sich  über 
ihn  ergiefst,  nicht  die  Mifshandlungen  und  Verfolgungen,  denen 
er  ausgesetzt  ist,  nicht  die  Gefahren,  die  ihn  tausendfach  um- 
geben: nichts  vermag  die  Kraft  seines  Glaubens  zu  erschüttern, 
die  Glut  seiner  Liebe  zu  dämpfen;  siegesgewifs  und  todesmutig 
fühlt  er  sich  stark  genug  gegen  eine  Welt  von  Feinden  (Rom. 
8,  35  ff.).  Kein  antiker  Philosoph  kann  sich  an  sittlicher  Kraft 
und  Tiefe  mit  diesem  Helden  des  Glaubens  messen.  Man  hat  den 
Stoizismus  mit  dem  Christentum,  Seneca  mit  Paulus  verglichen, 
und  es  ist  nicht  zu  leugnen,  dafs  Berührungspunkte  zwischen 
ihnen  vorbanden  sind.  Aber  wenn  der  Stoizismus  auch  seine 
Anhänger  gegen  die  Widerwärtigkeiten  des  Lebens  vielleicht  zu 
wappnen  vermochte,  so  war  er  trotz  seiner  Forderung  allgemeiner 
Menschenliebe  doch  unfähig  in  ihnen  jene  Begeisterung  zu  er- 
zeugen, welche  allein  das  Wort  in  That,  die  Theorie  in  Leben 
umzusetzen  vermag.  Weil  der  antiken  Philosophie  die  religiösen 
Moti?e  fehlten,  hatte  sie  auch  keine  Kraft,  die  alte  Welt  umzu- 
gestalten: diese  blieb  im  ganzen  wie  sie  war,  der  eine  Paulus 
hob  sie  aus  ihren  Angeln.  Will  man  ihm  auf  dem  Gebiete  des 
Altertums  überhaupt  jemand  an  die  Seite  stellen,  so  könnten  es 
höchstens  jene  grofsen  Römer  sein,  welche  ihrer  Stadt  den  Erd- 
kreis unterworfen  haben.  Auch  er  ist  ein  Welteroberer  wie  sie, 
aber  um  soviel  über  sie  erhaben,  als  die  Liebe  dem  Schwerte, 
der  Glaube  dem  Gesetze  überlegen  ist.  Paulus  ist  ein  Charakter 
von  überwältigender  Gröfse,  für  welchen  die  Schüler  zu  begeistern 
eine  viel  dankbarere  Aufgabe  ist,  als  die  manchmal  etwas  krausen 
Fäden  seiner  Theologie  vor  ihnen  zu  entwirren. 

Was  will  es  dem  gegeoüber  bedeuten,  dafs  er  die  griechische 


682     PaulusimGegeDsatzez.if riech.  Sittlichkeit,  v.P.  SaIkowsi[i. 

Bildung  in  ihrem  Werte  für  die  Entwickelungsgeschiehte  der 
Menschheit  nicht  erkannt  hat?  Dafs  sie  keine  Thorheit  gewesen 
ist  und  dem  Christentum  auch  positiv  vorgearbeitet  hat,  braucht 
heute  niemandem  bewiesen  zu  werden.  Der  Apostel  konnte  das 
nicht  wissen.  Ihm  galt  sie  als  Gegnerin,  der  gegenüber  er  dem 
Christentum  die  Existenzberechtigung  erst  erkämpfen  mufste.  Es 
wird  ihm  sogar  als  ein  Verdienst  anzurechnen  sein,  dafs  er  einer 
Verbindung  derselben  mit  dem  Christentum,  wozu  man  in  der 
korinthischen  Gemeinde  den  Versuch  machte,  auf  das  entschiedenste 
entgegengetreten  ist.  Er  sah  darin  mit  Recht  die  Gefahr  einer 
Verfälschung  des  dem  Evangelium  eigentümlichen  Gehalts  und 
Wesens  (I.  Kor.  1,  17).  Eine  spätere  Zeit  hat  andere  Wege  ein- 
geschlagen  und  sie  nach  der  Lage  der  Verhältnisse  einschlagen 
müssen.  Es  war  eben  unmöglich,  dafs  das  Christentum  von  dem 
Griechentum,  in  dem  es  heimisch  geworden  war,  für  die  Dauer 
unberührt  blieb.  Unter  dem  Einflufs  des  griechischen  Geistes 
haben  die  nächsten  Jahrhunderte  den  christlichen  Glauben  in  be- 
stimmten Dogmen  fixiert  und  den  Grund  zur  Glaubenslehre  gelegt, 
der  man  in  der  Kirche  seitdem  eine  gröfsere  Bedeutung  beizu- 
legen geneigt  war  als  dem  christlichen  Glauben  und  Leben  selbst. 
Doch  dieses  gehört  in  ein  anderes  Kapitel.  Hier  sollte  nur  der 
Versuch  gemacht  werden,  an  einem  Beispiel  nachzuweisen,  wie  in 
dem  Unterricht  der  Gymnasialprima  Altertum  und  Christentum 
mit  einander  in   fruchtbare  Verbindung  gebracht  werden  können. 

Memel.  P.  Salkowski. 


ZWEITE  ABTEILUNG. 


LITTERARISCHE  BERICHTE. 


M.  Evers  und  F.  Fanth,  Hälfsmittel  znm  evaDgelischen  Reli- 
irioDsaDterricht  für  ev.  Relif^iooslebrer  and  Pfarrer,  Studiereode, 
SemioarUten  und  reifere  Schüler  höherer  Lehraostalteo.  I.  Abteilung. 
6.  Stock:  Die  apostolische  Urgemeinde  nach  der  Apostelgeschichte 
and  aoderea  zeitgeschichtlichen  Quellen  von  F.  Hupfeld.  Berlin 
1894,  Verlag  von  Reuther  and  Reichard.     47  S.  8.     0,60  M. 

Dieses  Heft  der  „Hülfsmittel*'  stellt  in  gewissem  Sinne  eine 
Doppelarbeit  dar.  Der  Text  ist  verfafst  von  dem  Oberlehrer  Dr. 
Hupfeld;  in  zahlreichen,  zum  Teil  sehr  eingehend  geschriebenen 
Noten  aber  bringt  der  Hsgb.,  Direktor  Evei*s,  wertvolle  Ergänzungen 
bei,  in  denen  er  entweder  H.s  Erklärungen  mit  neuen  Argumenten 
begründet  oder  eine  abweichende  Meinung  geltend  macht.  Der 
Leser  kommt  zuweilen  in  die  Lage,  zwei  verschiedene  Ansichten 
über  dieselbe  Sache  zu  vernehmen,  und  ist  genötigt,  sich  aus 
ihnen  ein  selbständiges  Urteil  zu  bilden.  Ref.  mufs  gestehen,  dafs 
es  ein  besonderes  Interesse  erweckt,  auf  derselben  Seite  die  Mei- 
nungen zweier  individuell  entwickelter  Bibelforscher  zu  hören, 
welche  übereingekommen  sind,  unter  Wahrung  des  Rechtes  der 
freien  Forschung  gemeinsam  zu  arbeiten.  H.,  der  jüngere,  ist  in 
seinem  Urteil  entschiedener  und  in  seinem  Ausdruck  schärfer  als 
E.;  dieser  hingegen,  auf  eine  längere  Arbeitszeit  zurückblickend 
und  reich  an  Wissen,  zur  Vermittlung  von  Gegensätzen  geneigt 
und  dennoch,  wo  es  sein  mufs,  von  einer  Bestimmtheit  des  Aus- 
druckes, welche  nichts  zu  wünschen  übrig  läfst.  Die  Bemerkung 
H.s,  dafs  es  in  der  apostolischen  Urgemeinde  eine  freiere,  evan- 
gelische und  eine  strengere,  katholische  Richtung  gegeben  habe, 
ergänzt  E.  in  einer  Note  (S.  2)  durch  Hervorhebung  des  Unter- 
schiedes zwischen  dem  Gottesreiche,  welches  Christus  verkündete, 
und  dem  Kirchentume,  welches  nur  Mittel  zum  Zweck  sein  soll, 
aber  sich  nicht  selten,  sei  es  als  römische  Hierarchie,  sei  es  als 
orthodoxistische  Pastorenkirche,  mit  dem  Gottesreiche  identifiziert 
und  dann  ein  „verdammungswürdiges  WiderChristentum''  darstellt. 
Die  gehaltvolle  Note  ersetzt  eine  ganze  Abhandlung. 

Die  Ausführungen  H.s  schliefsen  sich  vorwiegend  an  die 
Apostelgeschichte  an,  aber  nicht  in  der  Form  eines  Kommentars 


684     Evers-Paath,  HSIfsm.  z.  ev.  Relig. -(Jot,  ag^z.  v.  J.  HeidemaDn. 

ZU  dieser  Schrift,  sondern  einer  kritisch-wissenschaftlichen  Erörte- 
rung der  Hauptbegebenheiten  und  der  besonderen  reh'giösen  und 
sozialen  Erscheinungen  in  der  Zeit  der  Apostel,  wie  der  Glossolalie, 
der  Gütergemeinschaft  u.  a.  Die  Apostelgeschichte  behandelt  er 
dabei  als  ein  zuverlässiges  historisches  Werk,  das  aber  nicht  frei 
ist  von  Ungenauigkeiten  im  einzelnen  und  daher  der  Kontrolle 
durch  die  paulinischen  Briefe  bedarf.  Der  Bericht  der  Apostel- 
gesch.  9  und  11,  27 — 30  über  Pauli  Bekehrung,  seinen  Aufent- 
hall in  Damaskus  und  seine  Rückreise  nach  Jerusalem  wird  dem- 
zufolge nach  Galat.  1,  18  u.  fg.  und  2,  1  rektifiziert.  Da  ferner 
Apostelgesch.  Kap.  12  eine  in  das  J.  44  fallende  Reise  des  Paulus 
nach  Jerusalem  erwähnt  wird,  von  welcher  der  Apostel  selbst  nicht 
nur  nichts  meldet,  sondern  welche  sein  eigener  ]3ericht  sogar  aus- 
schliefst, so  ist  H.  geneigt,  die  in  Apostelgesch.  12  gedachte  Reise 
in  das  Jahr  59  zu  setzen.  Allein  die  in  jener  Stelle  erwähnten 
Nebenumslände,  der  Tod  des  älteren  Jakobus  sowie  des  Uerodes 
Agrippa,  gestatten  eine  solche  Annahme  nicht.  Da  Paulus  im  J.  44 
nur  Kollektengelder  von  Anliochia  nach  Jerusalem  überbrachte, 
hier  aber  eine  lehramtliche  Thätigkeit,  so  viel  wir  wissen,  nicht 
ausübte,  so  hat  die  alte  Ansicht  mehr  für  sich,  dafs  er  es  nicht 
für  notwendig  hielt,  dieser  „Geschäftsreise^'  im  Galaterbriefe  zu  ge- 
denken. 

Zur  übersichtlichen  Gruppierung  des  Stoffes  schlägt  H.  die 
Einteilung  in  drei  Perioden  vor:  1.  die  Anfänge  der  Gemeinde 
bis  zum  Tode  des  Stephanus;  2.  die  weitere  Entwickelung  bis  zum 
Aposlelkonvent;  3.  die  letzte  Zeit  bis  zur  Auswanderung  nach 
Pella.  Demgegenüber  verweist  E.  auf  eine  andere  Einteilung, 
welche  sich  auf  die  Worte  Jesu  (Apostelgesch.  1,  8)  gründet:  Ihr 
werdet  meine  Zeugen  sein  zu  Jerusalem,  in  ganz  Judäa  und  Samaria 
und  bis  an  das  Eude  der  Erde.  Hiernach  ergeben  sich  die  drei 
Abschnitte:  Verkündigung  des  Evangeliums  1.  in  Jerusalem, 
2.  innerhalb  der  Grenzen  Palästinas  und  3.  aufserhalb  derselben. 
Diese  von  einem  geographischen  Gesichtspunkte  ausgehende  Ein- 
teilung ist  für  Schüler  ohne  Zweifel  leichter  fafsbar  und  darum 
angemessener.  —  Zu  den  Aufserungen  des  christlichen  Geistes- 
lebens, zu  deren  Verständnis  der  Lehrer  seine  Schüler  nicht  ganz 
leicht  bringt,  gehört  die  Glossolnlie.  Daher  hat  H.  dieselbe  recht 
eingehend  erläutert  und  noch  ausführlicher  E.,  welcher  in  einer 
fast  drei  Seiten  umfassenden  Note  (S.  12 — 14)  alles  zur  Erklärung 
notwendige  Material  beibringt.  Übereinstimmend  gehen  beide  von 
der  einzig  mafsgebenden  Darstellung  der  Erscheinung  in  1.  Korinth. 
Kap.  14  aus,  nicht  von  Apostelgesch.  Kap.  2,  und  sehen  daher  in 
der  Glossolalie  eine  ekstatische  Gebetsrede,  wie  solche  die  Be- 
geisterung der  ersten  Christen  erklärlich  macht,  denen  für  die 
Fülle  neuer  Empfindungen  und  Gedanken  noch  der  bezeichnende 
Begriff  fehlte,  der  €V(fijfiog  loyog,  wie  Paulus  1.  Kor.  14,  9  be- 
merkt.  —   Einen   breiten  Raum  in   dem  Hefte  nehmen  die  Aus- 


F.  Scholtz,  Kleine  lat.  Sprachlehre,  agz.  v.  H.  GrofsBiaDo.      5g5 

fuhrungen  H.s  und  E.s  über  die  besondere  Stellung  der  Apostel 
Petrus,  Jakobus  und  Paulus  zum  Christentum  ein.  Nicht  nur 
was  Juden-  und  Heidenchristen  trennte,  wird  dargelegt,  sondern 
auch  die  Differenz,  welche  zwischen  Jakobus  und  Petrus  bestand, 
insofern  jener  eine  streng  judaistische,  dieser  eine  mildere  Rich- 
tung verfolgte.  Im  allgemeinen  waltet  in  diesen  Ausführungen  die 
Tendenz  vor,  die  in  der  Urgemeinde  einst  lebendigen  religiösen 
Gegensätze  durch  dialektische  Vermittelung  heute  milder  erscheinen 
zu  lassen  als  sie  es  in  der  That  waren.  Man  gewinnt  den  Ein- 
druck, als  ob  Petrus  paulinisch  dachte  und  Paulus  unter  Um- 
ständen sogar  petrinisch  handelte.  Evers  erachtet  es  (S.  45)  für 
möglich,  dafs  Paulus  den  Judaisten  zu  Gefallen  das  Nasiratsgelubde 
auf  sich  genommen  habe,  was  H.  (S.  41)  für  „mindestens  recht 
fraglich''  hält.  Aber  auch  der  Beurteilung  kann  man  nicht  bei- 
stimmen, welche  bei  H.  (S.  40)  das  Verhalten  des  Petrus  in 
Antiochien  erfährt,  wo  der  Apostel  gleich  Paulus  sich  über  die 
jüdischen  Speisegesetze  hinwegsetzte,  aber  nach  dem  Eintreffen 
von  Anhängern  des  Jakobus  wieder  „jüdisch"  lebte.  H.  bemerkt 
dazu:  „Inkonsequent  und  schwankend  müssen  wir  das  Verhalten 
des  Petrus  allerdings  bezeichnen,  aber  nicht  Menschenfurcht  war 
es  —  sondern  ein  wohl  erklärliches  und  wohl  zu  respektierendes 
Gewissenshedenken".  Allein  war  es  nicht  gerade  das  Erscheinen 
der  Jakobisten,  was  sein  Verhaken  bestimmte?  War  es  nicht 
gerade  Menschenfurcht,  wenn  er  (foßovfjbsvog  rovg  ix  r^g  nsqi- 
rofjb^g  wieder  nach  den  jüdischen  Speisegesetzen  lebte?  Hegte  er 
Gewissensbedenken  gegen  die  Nichtbeachtung  jüdischer  Riten, 
warum  lebte  er  denn  früher  mit  Paulus  id-yixcog^  Der  Vorwurf 
der  Heuchelei,  den  Paulus  in  gerechtem  Zorn  gegen  ihn  erhob, 
ist  daher  in  seiner  ganzen  Schärfe  aufrecht  zu  erhalten  und  den 
Schülern  klar  zu  machen,  dafs  auch  unter  Gottes  Heiligen  keiner 
ohne  Tadel  ist. 

Berlin.  J.  Heidemann. 


P.  Schultz,  Kleine  lateinische  Sprachlehre.  22.  den  ueueo  Lehr- 
plänen entsprechend  bearbeitete  Auflage.  Besorgt  von  M.  Wetzel. 
Paderborn  1S93,  F.  Schöuingh.     VIII  u.  272  S.     8.     1,90  M. 

Die  22.  Auflage  der  beliebten  kleinen  Sprachlehre  ist  vom 
lisgb.  einer  gewissenhaften  Durchsicht  und  teilweisen  Umarbeitung 
mit  Rucksicht  auf  die  Anforderungen  der  neuen  Lehrpläne  unter- 
zogen worden.  Dabei  bat  die  Formenlehre  eine  Verkürzung  um 
sechs,  die  Satzlehre  eine  Erweiterung  um  neun  Seiten  erfahren. 
In  der  Formenlehre  ist  Entbehrliches  weggefallen,  anderes  verein- 
facht worden,  doch  sind  einzelne  Stellen,  z.  B.  §  13  (sog.  griechische 
Deklination),  einer  noch  kürzeren  Fassung  fähig.  Auch  tripuSj  das 
§  29  in  der  zum  Auswendiglernen  bestimmten  Geschlechtsregel 
vorkommt,  kann  wegfallen  und  dem  Schüler  zum  Aufschlagen  im 
Lexikon  überlassen  bleiben.   Dagegen  wird  bei  den  unregelmäfsigen 


686     Thukydides,  zam  Scbulgebrauch  hsgb.  von  P.  Möller, 

Verben  als  ergänzendes  Supinum  zu  arguo  accusalum  vermifst 
(S.  90),  ebenso  praestiti  oder  excellens  exstüi  (S.  98)  als  ergänzende 
Perfekta  zu  arUecello,  exceUo,  praecello. 

Die  dankenswerten  Bemerkungen  des  Rezensenten  der  21.  Auf- 
lage in  dieser  Zeitschrift,  P.  Harre,  haben  zum  gröfsten  Teil  Be- 
rücksichtigung gefunden.  Dieselben  haben  z.  B.  zu  einer  Verein- 
fachung der  Regeln  über  die  Kongruenz  (§  177)  gefuhrt.  Mit  der 
Bemerkung  über  die  VVeiterführung  verneinter  Absichtssätze  aufser 
durch  neve  auch  durch  et,  atque,  que,  ant  bat  sich  der  Ilsgb.  noch 
nicht  befreunden  können;  vielleicht  wird  eine  erneute  Nachprüfung 
auch  hier  Wandel  schaffen.  Der  Anhang  über  Prosodie  und  Metrik 
hat  gleichfalls  eine  wünschenswerte  Kürzung  erfahren,  vor  allem 
ist  die  Zahl  der  prosodischen  Ausnahmen  in  §  281  mit  Recht 
vermindert  worden.  Die  Erweiterung  der  Satzlehre  ist  hauptsäch- 
lich der  Stilistik  zu  gute  gekommen.  Das  Buch  hat  dadurch  zu 
seinen  alten  Vorzügen  neue  hinzu  erhalten,  die  seine  Brauchbar- 
keit nur  erhöhen  können;  ob  es  nunmehr  für  die  Bedürfnisse 
aller  Gymnasiafklassen  ausreicht,  wie  der  Hsgb.  hofft,  mufs  die 
Erfahrung  lehren. 

Was  die  äufsere  Ausstattung  anbetrifft,  so  ist  der  Druck 
vielfach  zu  klein  und  entspricht  in  dieser  Beziehung  nicht  den 
heutigen  Anforderungen  der  Schulhygieine. 

Saargemünd.  H.  Grofsmann. 


Lateinische    und    griechische    Schulausgabeo    beraasgegeben    voo 
H.  J.  Müller  und  0.  Jäger. 

Thakydides,  Die  Geschichte  des  Pelopoooesischen  Krieges.  Zorn 
Gebrauch  für  Schüler  heraosgegebeo  voo  Franz  Müller.  Bielefeld  o. 
Leipzig  1894,  Velbagen  &  Kiasiog.  2  Teile  Text.  XVI  u.  232  S.; 
VI  u.  150  S.;  2  Teile  Kommentar.    242  a.  150  S.   8.  geb.  je  1,50  M. 

Nach  Mafsgabe  der  neuen  preufsischen  Lehrpläne  und  ent- 
sprechend dem  Programme  der  Schuiausgabensammlung  von  H.  J. 
Müller  und  Jäger  wird  in  den  zwei  Bändchen  Text  dem  Schüler 
des  Thukydides'  Geschichte  des  Peloponnesischen  Krieges  als  ein 
Ganzes  in  der  Weise  geboten,  dafs  unter  Hinweglassung  minder 
wichtiger  Abschnitte  der  wesentliche  Inhalt  des  Geschichtswerkes 
und  also  auch  der  Lauf  des  Krieges  im  Zusammenhange  gegeben 
wird.  Von  den  ausgelassenen  Teilen  ist  das,  was  zum  Gesamt- 
verständnisse notwendig  ist,  durch  einen  verbindenden  Text  wie- 
dergegeben. £s  kann  freilich  nicht  die  Aufgabe  der  Besprechung 
sein,  bei  jedem  Schriftsteller,  der  in  dieser  Ausgabensammlung 
herausgegeben  wird,  von  neuem  die  grundsätzliche  Frage  zu  er- 
örtern, ob  den  Schülern  der  gesamte  Schriftsteller  in  die  Hand 
gegeben  werden  soll  oder  ein  in  dieser  Weise  zurechtgemachter: 
doch  kann  der  Unterzeichnete  nicht  verhehlen,  dafs  er  bei  der 
Durchsicht  dieser  Ausgabe  den  Eindruck  hatte,  dafs  der  Schüler, 
der  den  ganzen  Thukydides  in  der  Hand  hat,  diesem  unmittelbarer 


angez.  von  H.  Babendey.  6S7 

und  selbständiger  gegenüber  stehe  als  derjenige,  dem  ein,  wenn 
auch  noch  so  sorgsam  gefertigter,  für  ihn  zurechtgeschnittener 
Auszug  in  die  Hand  gegeben  wird. 

Was  nun  die  vorliegende  Ausgabe  anbetrifft,  so  ist  der  Verf. 
derselben  ja  nicht  hier  zum  ersten  Male  dem  Thukydides  nahe 
getreten,  sondern  durch  lange  Bekanntschaft  mit  demselben  ganz 
besonders  zu  einer  solchen  Arbeit  berufen.  In  dieser  Zeitschrift 
(Bd.  XLYIl  S.  766 ff.)  findet  sich  eine  Rezension  mehrerer  Hefte 
der  von  dem  Verf.  bei  F.  Schöningh  in  Paderborn  herausgegebenen 
Ausgabe  für  Schul-  und  Privatgehrauch.  Da  der  Unterzeichnete 
den  von  dem  dortigen  Rezensenten,  I^udwig  Herbst,  vertretenen 
wesentlich  konservativen  Standpunkt,  auf  dem  auch  Franz  Müller 
steht,  teilt,  so  soll  dort  Gesagtes  hier  nicht  wiederholt,  sondern 
nur  die  in  dieser  besonderen  Ausgabe  getroffene  Auswahl  und  die 
Fassung  der  Anmerkungen  vom  didaktischen  Standpunkte  aus  be- 
sprochen werden. 

Offenbar  hat  diese  Auswahl  sich  das  Ziel  gesteckt,  das  Lesen 
des  gesamten  Peloponnesischen  Krieges,  soweit  er  von  Thukydides 
dargestellt  ist,  eventuell  zu  ermöglichen.  Von '  diesem  Standpunkte 
aus  dürfte  manches  zu  beurteilen  sein;  z.  B.  der  Wegfall  einiger 
Reden  wie  der  des  Kleon  und  der  des  Diodotos  im  3.  Buche  über 
das  Schicksal  der  Mytilenäer.  Allerdings  würde  die  Lektüre  dieser 
beiden  Reden  recht  zeitraubend  sein:  inhaltlich  aber  würden  ge- 
rade sie  durch  den  scharfen  Gegensatz  ihrer  politischen  An- 
schauung und  durch  manche  noch  für  die  Gegenwart  fruchtbaren 
Gedanken  dem  Schüler  viele  Anregung  darbieten.  Aus  dem  glei- 
chen Grunde  wird  man  sich  auch  mit  dem  Wegfalle  der  ersten 
19  Kapitel  des  ersten  Buches  einverstanden  erklaren  müssen,  so 
interessant  es  ist,  das  Urteil  des  Thukydides  über  die  früheren 
Perioden  der  hellenischen  Geschichte  zu  hören:  dafs  sie  den  Be- 
ginn der  Thukydideslektüre  nicht  bilden  dürfen,  wird  jeder,  der 
den  Thukydides  mit  Primanern  gelesen  hat,  zugeben;  weit  eher 
könnten  sie  mit  einer  gereiften  Schülergeneration  zum  Abschlüsse 
gelesen  werden.  Von  den  vier  in  Sparta  vor  dem  Kriegsbeschlusse 
der  Lacedämonier  gehaltenen  Reden  ist  nur  die  Rede  des  Ephoren 
Sthenelaidas  gegeben  worden,  die  gewifs  wegen  ihrer  typisch- 
spartanischen Kürze  und  Entschiedenheit  vor  allen  anderen  ge- 
lesen zu  werden  verdient.  Was  die  übrigen  drei  Reden  anbetrifft, 
so  würde  ich  die  Weglassung  der  Rede  des  Atheners,  sowie  der 
des  Archidamos  billigen;  die  Rede  der  Korinthier  dagegen  (I  68 — 71 ) 
mit  ihrer  ganz  eigenartigen,  auf  die  Aufreizung  der  Spartaner  be- 
rechneten, eigentümlich  panegyrischen  Schildei*ung  der  Athener 
aus  Feindesmunde  ist  für  die  Charakteristik  der  letzteren  so  be- 
zeichnend, dafs  ich  die  Rede  ungern  vermisse  und  lieber  dafür 
die  zweite  Rede  der  Korinthier  in  Sparta  (I  120 — 124)  weglassen 
würde.  Nicht  missen  möchte  ich  auch  die  Kapitel  94 — 107  des 
ersten  Buches,   sowie  die  Geschichte  des  Pausanias  und  Themi* 


688     Thukydides,  zum  Schalgebrauch  hsgb.  von  F.  Müller, 

stokles  am  Ende  desselben  Buches:  es  sei  denn,  dafs  sie  deshalb 
weggelassen  sind,  weil  sie  vorher  schon  in  der  Sekunda,  etwa  in 
Jacobs  Attica,  gelesen  sein  können.  Dafs  die  drei  Reden  des 
Perikles  sämtlich  aufgenommen  sind,  ist  sehr  erfreulich;  dem  Hsgb. 
ist  jedenfalls  darin  zuzustimmen,  dafs  diese  in  der  Prima  gelesen 
werden  können.  Von  den  späteren  Vorgängen  sind  mit  Recht 
die  durch  drei  Jahre  sich  hinziehenden  Berichte  über  die  Belage- 
rung von  Platää  mit  Einschlufs  der  zum  Verständnis  der  tragi- 
schen Katastrophe  notwendigen  Reden  der  Piatäer  und  der  The- 
baner  vollständig  aufgenommen ;  ebenso  die  Besetzung  von 
Sphakteria,  die  Thätigkeit  des  Brasidas  in  der  Chaikidike,  die 
Schlacht  bei  Delion,  und  zwar  alles  dies  vollständig,  während  un- 
bedeutendere Unternehmungen  übergangen  sind. 

In  dem  zweiten  Hefte  verteilt  sich  der  ausgewählte  Stoff 
naturgemäfs  auf  die  vier  letzten  Bücher  sehr  ungleich;  während 
vom  fünften  und  achten  Buche  bei  weitem  das  meiste  weggeblieben 
ist,  erscheinen  das  sechste  und  ganz  besonders  das  siebente  Buch 
fast  unverkürzt.  Im  siebenten  Buche  sind  von  86  Kapiteln  nur 
10  weggelassen.  Gewifs  mit  vollem  Rechte,  denn  die  Erzählungen 
des  sechsten  und  siebenten  Buches  werden  neben  dem  zweiten 
und  etwa  dem  Anfange  des  vierten  Buches  immer  die  meiste  An- 
ziehungskraft für  den  Schüler  haben.  Aufgefallen  ist  mir  das 
Fehlen  der  Kapitel  28  und  29  des  sechsten  Buches.  Die  nicht  auf- 
genommene Episode  Vi  54— 59  ist  freilich  für  die  Geschichte  der 
Peisistratiden  von  grofsem  Interesse,  sowie  als  merkwürdiges  Bei- 
spiel dafür,  wie  in  so  kurzer  Zeit  die  historische  Tradition  von 
dem  wahren  Verlaufe  der  Dinge  abweichen  konnte. 

Im  grofsen  und  ganzen  erscheint  also  die  getroffene  Auswahl 
als  durchaus  richtig:  sie  giebt  ein  zusammenhängendes  Bild  des 
Krieges,  hebt  unter  den  Begebenheiten  die  vorzugsweise  fesselnden 
hervor  und  teilt  auch  von  den  Reden  eine  solche  Anzahl  mit,  die 
genügt,  um  diese  für  den  Schriftsteller  charakteristischen  und  für 
die  Lektüre  zwar  schwierigen,  aber  dafür  auch  in  ungewöhnlichem 
Grade  anregenden  litterarischen  Gebilde  würdigen  zu  können. 

In  den  zwei  Bändchen  Kommentar,  die,  dem  Plane  der 
Sammlung  gemäfs,  getrennt  vom  Texte  gegeben  sind,  zeigt  sich 
der  Hsgb.  natürlich,  wie  dies  nach  seinen  anderen  Arbeiten  auf 
diesem  Gebiete  zu  erwarten  war,  als  gediegener  Kenner  des  Thu- 
kydides,  der  nicht  nur  den  Text  des  Geschichtswerkes,  sondern 
auch  die  vorhandenen  Kommentare  und  Erklärungsschriften  genau 
kennt  und  sich  auf  Grund  dieser  Kenntnis  ein  selbständiges  Ur- 
teil gebildet  hat.  Dafs  ein  Thukydides-Erklärer  sich  eine  gröfsere 
Freiheit  der  Erklärung  ausbedingen  müsse,  als  sie  bei  anderen 
Schriftstellern  üblich  sei,  hatte  schon  Classen  in  dem  Vorworte 
zu  seiner  Ausgabe  treffend  hervorgehoben.  Ganz  besonders  wird 
dies  bei  den  Reden  der  Fall  sein;  denn  wenn  Cicero  sagt,  dafs 
es  schwer  sei,  sie  zu  verstehen,  dürfen  wir  es  unsern  Primanern 


an  gez.  von  ff.  Bubende  y.  6S9 

nicht  übel  nehaieo,  wenn  es  ihnen  nichl  leicht  wird.  Wollen  wir 
also  den  Thukydides  nicht  vom  Gymnasium  verbannen  (und  das 
wird  doch  niemand  wünschen,  der  den  ernsten  Betrieb  griechischer 
Studien  auf  dem  Gymnasium  beibehalten  will),  so  wird  eingehende 
Erklärung  notwendig  sein.  Erst  eine  solche  wird  es  dem  Schuler 
erleichtern,  in  manchen  Fällen  überhaupt  erst  möglich  machen, 
den  Schriftsteller  zu  verstehen.  Dafs  zu  diesem  Zwecke  dem 
Schüler  ein  feststehender  Text  in  die  Hand  gegeben  werden 
müsse,  dafs  ihm  Erörterungen  über  Lesarten  möglichst  fern  ge- 
halten werden,  ja  dafs  von  verschiedenen  möglichen  Erklärungen 
in  der  Regel  nur  eine  gegeben  werde,  darüber  werden  alle  über- 
einstimmen. Dem  Lehrer  bleibt  es  ja  trotzdem  überlassen,  ge- 
legentlich einmal  zur  Übung  des  jugendlichen  Scharfsinns  streitige 
Punkte  zu  erörtern.  Dem  entsprechend  ist  in  diesem  Kommen- 
tare die  Angabe  und  Besprechung  verschiedener  Lesarten,  so  weit 
ich  sehe,  vermieden  und  auch  verschiedene  Erklärungen  werden 
nur  selten  einander  gegenüber  gestellt,  wie  z.  B.  VI  14,  1.  Gerade 
an  dieser  Stelle  hätte  vielleicht  die  Darstellung  der  Kontroverse 
eine  etwas  schärfere  Fassung  haben  können.  Denn  in  den  bei- 
den dort  angenommenen  Erklärungen  würde  doch  ahlccv  axeXv 
=  ah$a&^yai  sein,  und  der  Unterschied  bestände  nur  darin,  ob 
wir  dem  sonstigen  thukydideischen  Sprachgebrauche  gemäfs  die 
beschuldigte  Person  oder  diesem  zwar  entgegen,  aber  der  sonst 
üblichen  Ausdrucksweise  entsprechend  die  Sache,  welche  vorge- 
worfen wird,  zum  Subjekte  machen.  Ich  würde  abweichend  von 
Classen,  mit  Stahl  und  Müller  (in  der  Paderborner  Ausgabe)  der 
zweiten  Erklärung  den  Vorzug  geben.  Im  übrigen  wird  natürlich 
jeder,  der  den  Thukydides  liest,  an  einzelnen  Stellen  eine  andere 
Erklärung  als  die  von  dem  Hsgb.  gegebene  für  möglich  halten 
oder  bevorzugen:  an  den  meisten  Stellen  aber  scheint  dem  Unter- 
zeichneten das  Richtige  getroffen  zu  sein.  Dabei  sind  die  ge- 
wählten Erklärungen  in  klarer  und  verständlicher  Weise  zum  Aus- 
drucke gebracht  Auch  ist,  was  mir  von  besonderer  Bedeutung 
scheint,  die  richtige  Mitte  zwischen  dem  Zuviel  und  dem  Zuwenig 
im  allgemeinen  sehr  geschickt  gewahrt.  An  einigen  Stellen  hätte 
vielleicht  etwas  weniger  gegeben  werden  können:  eine  Redensart 
wie  noXcfAoy  ov  nqogjjxovTa  atQea&ai  (VI  9,  1)  oder  die  Über- 
setzung von  TtQOipdasi'  ßgaxelq  xal  EvnqsneX  (VI  8,  4)  sollte 
ein  normaler  Primaner  wohl  mit  einigem  Nachdenken  linden 
können.  Im  ganzen  aber  ersparen  die  Anmerkungen  das  Nach- 
denken nicht,  sondern  regen  dasselbe  fördernd  an:  und  das  ist 
gewifs  das  Richtige.  Entschieden  zu  loben  sind  die  kurzen,  aber 
präzisen  Randnoten,  die  den  bei  der  l^^äparation  auf  dem  wogen- 
den Meere  hin  und  her  geschaukelten  Schüler  die  Fahrt  dadurch 
erleichtern,  dafs  sie  ihm  das  zu  erreichende  Ziel  klar  und  deut- 
lich hinstellen.  Auch  die  Einleitung  bietet,  ohne  sich  viel  auf 
Kontroversen    einzulassen,    das   Wichtigste    aus   dem   Leben  des 

Zeitachr.  t  d.  OyinnMialwuen  XLVIIL    11.  44 


590       K.  Focht,  Griechisches  Obungsbuch  für  (Jotertertia, 

Historikers  uod  die  notwendigen  Mitteilungen  über  sein  Geschichts- 
werk. Bei  der  Bestimmung  der  Daten  des  Lebens  des  Thuky- 
dides  hat  sich  der  Hsgb.  vielfach  den  Ergebnissen  der  Herbstschen 
Untersuchungen  im  49.  Bande  des  Philologus  angeschlossen. 

Fasse  ich  alles  zusammen,  so  kann  ich  nur  sagen,  dafs  dem 
Schüler  in  dieser  Ausgabe  ein  treffliches  Hilfsmittel  geboten  wird, 
das  ihn  befähigt,  die  Schwierigkeiten  in  dem  Ausdrucke,  der  Satz- 
bildung, der  Periodisierung  des  Thukydides  zu  überwinden  und 
an  der  Hand  des  Lehrers  sich  in  das  Verständnis  dieses  von  so 
vielen  geistigen  Autoritäten  aufs  höchste  geschätzten  Schriftstellers 
einzudringen. 

Die  äufsere  Ausstattung  ist  in  der  Farbe  des  Papiers  und 
der  scharfen  und  klaren  Form  der  Typen  eine  ausgezeichnete. 

Hamburg.  Heinrich  Bubendey. 


KuDo  Fecht,  Griechisches  Ubangsboch  für  Untertertia.  Dritte, 
mit  Rücksicht  auf  die  neaen  preufsischen  Lehrpläne  bearbeitete  Auf- 
lage. Freiburg  i.  B.  1893,  Herdersche  Verlagsbuchhandlung.  VIU  u. 
169  S.  8.     1,20  M. 

Auf  die  Bearbeitung  der  dritten  Auflage  des  griechischen 
Übungsbuches  von  Kuno  Fecht  hat  dreierlei  bestimmend  einge- 
wirkt: die  Besprechungen  der  zweiten  Auflage,  die  neuen  preu- 
fsischen  Lehrpläne  und  E.  Kochs  1892  in  den  Neuen  Jahrbüchern 
erschienener  Aufsatz  über  ,,die  Notwendigkeit  einer  System- 
änderung  im  griechischen  Anfangsunterrichte''.  Den  Rezensenten 
der  früheren  Aufgabe  hat  F.  besonders  insofern  Gehör  geschenkt, 
als  er  die  attisch ez weite  Deklination  ausgeschieden  und  einen 
Paragraph  zur  Einübung  der  gebräuchlichsten  Präpositionen  ein- 
gefügt hat.  Andere  Forderungen  derselben  deckten  sich  mit 
solchen  unserer  Lehrpläne.  So  folgt  er  nicht  blofs  dem  Rate 
der  Rezensenten,  sondern  auch  einem  Fingerzeige  unserer  Lehr- 
piäne,  wenn  er  jetzt  von  besonderem  Accentuierübungen  ab- 
sieht und  die  Accentlehre  in  Verbindung  mit  der  Flexions- 
lehre übt  Mit  gewissenhafter  Unterordnung  unter  die  Lehr- 
pläne meidet  F.  ferner  solche  Vokabeln,  die  nicht  in  den 
Schulschriftstellern  vorkommen,  und  unregelmäfsige  Formen  der 
Flexionslehre,  sei  es,  weil  er  sie  überhaupt  nicht  lehren,  sei 
es,  weil  er  sie  der  Obertertia  vorbehalten  will.  Den  Lehrstoff 
bieten  vorwiegend  zusammenhängende  Übungsstücke;  dafs  er  ihn 
nicht  nur,  wie  es  die  Lehrpläne  fordern,  der  griechischen  Sage 
und  Geschichte  entlehnt,  sondern  auch  zahlreiche  Fabeln  auf- 
genommen hat,  glaubt  F.  vor  Schulmännern  verantworten  zu 
können. 

Nun  empflehlt  Koch  in  dem  erwähnten  Aufsatze  für  die  Ein- 
übung des  Verbums  einen  Unterrichtsgang,  bei  dem  nicht  blofs 
der  zweifelhafte  Grad  der  Unregelniäfsigkeit,  sondern  ebenso  sehr 


angez.  voo  P.  Weirseofels.  691 

die  Häufigkeit  des  Vorkommeos  io  der  Lektüre,  speziell  in  den  vier 
ersten  ßöchern  der  Anabasis,  entscheiden  soll.    Freilich  gesteht  er, 
dafs-  wir  natürlich  nicht  alle  Verba  auf  einmal  besprechen  können 
und  selbstverständlich  die  Verba  auf  fii  erst  dann  einüben  dürfen, 
wenn  die  Konjugation  auf  co  festsitze;   dafs  es  auch  empfehlens- 
wert bleibe,    die  v.  liquida   als  eine  besondere  Gruppe  nach  den 
übrigen  Verben  auf  to  zu  behandeln;  die  Häufigkeit  des  Vorkom- 
mens ist  also  auch  ihm  für  eine  ganz  erkleckliche  Zahl  von  Ver- 
ben nicht  Grund  genug,    diese  zum  Gegenstande  einer  zeitigeren 
Obung  zu  machen.    Dagegen  verlangt  er  um  so  bestimmter,  dafs 
nach  dem  Präsens  und  Imperfektum    zunächst    die  Aoriste  geübt 
werden  und  die  zweiten  nicht  später  als  die  ersten,  danach  erst 
das  in  der  Anabasis  so  viel  seltenere    sigmatische  Futurum;    die 
Perfektformen  aber,    die  ihrer  Bildung  nach  besonders  schwierig, 
ihrem  Vorkommen  nach  besonders  selten  seien,  würde  man  nach 
ihm  nicht  bei  jeder  Verbalklasse  besonders,  sondern  erst  nach  Ab- 
solvierung  der  sämtlichen  regelmäfsigen  Verba,    also  nach  den  v. 
liquidis  und  unmittelbar  vor  den  Verben    auf  fn    zu    behandeln 
haben,  und  zwar  würde  man  mit  dem  passiven  Perfekt  beginnen 
müssen,  das  besonders  seltene  aktive  dagegen  nur  bei  Gelegenheiten 
in  der  Lektüre  zu  erklären  nötig  haben.    Durch  diesen  Lehrgang, 
meint  Koch,  werde  der  Anfänger  auch  nicht  zu  der  Meinung  verleitet 
werden,   das  griechische  Perfeklum  entspreche  in  der  Regel  dem 
deutschen.     HoiTentlich    setzt  Koch    nicht  solch  einen  Apparat  in 
Bewegung,    um    einer  Wirkung   des    geläufigen  Unterrichtsganges 
vorzubeugen,  die  auch  durch  andere  Mittel  verhütet  werden  kann. 
Im  übrigen:  begnügen  wir  uns,  wenn  die  Vorkenntnisse  zum  Ver- 
ständnis der  Anabasis  im  Augenblicke  des  Bedarfs  vorhanden  sind, 
und  lassen  wir  über  die  Reihenfolge,   in  der  diese  Vorkenntnisse 
dem  Schuler   eingeprägt  werden    sollen,   rein    praktische  Gründe  . 
entscheiden.   Und  welche  Erwägungen  könnten  uns  da  bestimmen, 
Aoriste  wie  sldov^  sXaßov,  svqov  gleich  in  dem  ersten  Lesestücke 
dem  Anfanger  zuzumuten  und  den  Unterricht,    der,  systematisch 
betrieben,  mühelos  zum  Ziele  fuhrt,  zu  einem  guten  Teile  als  eine 
Quälerei  des  Gedächtnisses    zu  betreiben?     Doch  Koch  behauptet 
auch,  die  Einübung  der  Perfekte  sei  besonders  schwierig,  schwie- 
riger   als    die    der  Aoriste.     Mich    lehrt  die  Praxis  im  Gegenteil, 
dals  die  Perfekte  nach  Flexion,  Betonung  und  Lautveränderungen 
nicht   im  Entferntesten    so    schwer   fallen  wie  die  Aoriste;    und 
wenn  ich  die  Schwierigkeiten  beider  Tempora  nach  Zahl  und  Art 
vergleiche,  so  scheint  mir  das  ganz  natürlich.  —  Man  wird  es  auf 
Grund    solcher  Erwägungen   billigen    müssen,    dafs  F.   nicht   alle 
Forderungen  für  verbindlich  erachtet,  die  Koch  mit  Stentorstimme 
gestellt  hat:    dafs  er  die  zweiten  Aoriste  slaßov,  sldov^   ^l&ov 
zwar  —  wie  viele  vor  Koch  —  in  das  Untertertianerpensum  auf- 
genommen,  aber   nicht  —  wie  Koch  in  seinem  Cbungsbuche  — 
von  der  ersten  Lektion  an  verwendet  hat,    sondern   erst   als  die 

44» 


692     K.  Fecht,  Griech.  Übangsbachf.  um.,  ac^z.  v.  P.  WeifsenfeU. 

V.  muta  den  Anlafs  boten,  die  völlig  verständlichen  zweiten  Tem- 
pora durch  solche  zu  erweitern,  die  wenigstens  bis  auf  ihr  Ver- 
hältnis zum  Präsens  verständlich  sind;  dals  er  Futurum  und 
Aoristus  der  verschiedenen  Klassen  nicht  trennt;  dafs  er  die  Per- 
fekta  des  Aktivums  übt  und  diese  wie  die  des  Passivums,  wenn 
auch  mit  Koch  nach  dem  Futurum  und  Aoristus,  so  doch  gegen 
Koch  wie  die  übrigen  Tempora  in  drei  Abschnitten  unter  den 
einzelnen  Verbalklassen  lehrt,  statt  sie  in  ihrer  Gesamtheit  hinler 
die  V.  liquida  zu  verbannen. 

F.  übt  S.  1 — 24  die  0-  und  A  -  Deklination ,  daneben  die 
Enklisis,  einige  Formen  der  Kopula  und  des  Präs.  Akt  und  Pass.; 
S.24— 62  die  dritte  Deklination,  daneben  das  Imperf.  Akt.  und  Pass., 
das  Part.  Präs.  Akt.  und  einige  Formen  des  Aor.  I  und  Fut.  Akt.; 
S.  62  —  110  die  v.  pura,  muta  und  liquida.  Ein  Anhang  enthält  ein 
Vokabularium  zum  Memorieren,  dessen  Nummern  den  Nummern 
der  Übungsstucke  entsprechen,  und  ein  alphabetisches  griechisch- 
deutsches und  deutsch-griechisches  Wörterverzeichnis.  Zur  wei- 
teren Unterstützung  des  Schülers  dienen  Vokabeln  und  syntak- 
tische Regeln,  die  den  einzelnen  Übungsstücken  vorangestellt  sind. 
Diese  sollen  nicht  memoriert  werden;  der  gröfste  Teil  derselben, 
der  sich  sechsmal  oder  öfter  wiederholt,  wird  aus  der  blofsen 
Übung  im  Übersetzen  in  das  Gedächtnis  übergehen.  Die  Num- 
mern der  0-  und  A-Deklination  gruppieren  den  Stoff  nach  dem 
Accente  des  Nom.  Sing,  und  ermöglichen  daher  eine  Verbindung 
der  Flexions-  und  Accentlehre.  Aber  gar  lange  hält  F.  den 
Schüler  bei  diesen  beiden  Deklinationen  (S.  l — 24)  auf,  vielleicht 
ein  langes  Quartal  hindurch;  und  da  er  daneben  einen  ganz  ge- 
ringen Teil  der  Konjugation  übt,  so  fehlen  ihm  die  unerläfslichen 
Erfordernisse,  durch  den  Inhalt  der  Sätze  auch  nur  einigermafsen 
zu  fesseln.  Weil  nach  den  preufsisclien  Lehrplänen  die  Lektüre 
möglichst  bald  zu  zusammenhängenden  Lesestücken  übergehen  soll, 
so  stellt  auch  der  Badenser  schon  S.  7  eine  Verbindung  der  Einzel- 
sätze durch  di  oder  ydg  her  und  wagt  gar  S.  8  ein  aus  17  Sätzen 
bestehendes  Lesestück  über  Minos  und  Daidalos.  Es  kümmert  ihn 
dabei  nicht,  dafs  von  den  17  Sätzen  die  ersten  8  ungefähr  auf 
alle  Tyrannen  passen,  und  seinerseits  von  dem  Versuche  befrie- 
digt, liefert  er  fortan  vorwiegend  zusammenhängende  Lesestücke. 
Wie  hier  der  Inhalt  der  Form  dienen  mufs,  mögen  zwei  Beispiele 
lehren.  In  einem  Berichte  über  die  Schlacht  bei  Salamis,  der 
die  Flexion  der  Stämme  der  dritten  Deklination  auf  v  einüben 
soll,  heifst  es:  „Mit  Recht  wurde  Miltiades,  der  Anführer  der 
Griechen,  für  einen  wackeren  Hirten  seiner  Soldaten  gehalten. 
0  Miltiades,  Hirt  deines  Heeres,  immerfort  wurdest  du  von  den 
Menschen  wegen  deiner  Tapferkeit  bewundert*'.  Und  noch  S.  72 
erzählt  F.  von  einem  Zuge  der  Perser  gegen  Griechenland  in  so 
nichtssagenden  Wendungen,  dafs  sich  schlechterdings  nicht  be- 
stimmen   läfst,    welchen  Zug  er  eigentlich  im  Sinne  habe.     Von 


0.  Wendt,  Encyklopädie  d.  engl,  Uoterr.,  agz.  v.  E.  Goerlicli.     593 

solcher  Gleicbgiltigkeit  gegen  den  Inhalt  sind  natürlich  stilistische 
Unebenheiten  unzertrennlich;  aber  selbst  Fehler  gegen  unbestrit- 
tene Thatsachen  der  Syntax  sind  dem  Verf.  zuweilen  begegnet 

Züllichau.  P.  WeiTsenfels. 


Otto  Wendt,  Encyklopädie  des  englischeD  Unterrichts.  Metho- 
dik Qod  Hilfsmittel  für  Stndiereode  und  Lehrer  der  englischen  Sprache 
mit  Rücksicht  aof  die  Anforderungen  der  Praxis.  Hannover  1S93, 
Carl  Mever.    VH  a.  260  S.    4  M. 

Seiner  Encyklopädie  des  französischen  Unterrichts  hat  W. 
jetzt  die  des  englischen  Unterrichts  folgen  lassen. 

Das  Buch  will  in  erster  Linie  der  Praxis  dienen;  es  will  dem 
Anfanger  im  Unterricht  die  Wege  zeigen,  die  er  zu  wandeln  hat, 
und  ihn  auf  die  Hindernisse  aufmerksam  machen,  die  er  zu  ver- 
meiden, bezw.  zu  überwinden  hat.  Es  wendet  sich,  wie  mir  scheint, 
zunächst  mehr  an  die  Autodidakten,  an  die  Mittelschullehrer, 
kurzum  an  solche  Lehrer,  die  keine  akademische  Vorbildung  ge- 
nossen haben  und  auch  nicht  die  pädagogische  Vorbildung  unserer 
Kandidaten  des  höheren  Lehramts  erhalten.  Allerdings  will  es, 
nach  der  Angabe  auf  dem  Titelblatt  zu  schliefsen,  auch  den  Stu- 
dierenden ein  pädagogisches  Hilfsmittel  sein;  allein  für  diese 
scheint  mir  das  Buch  weniger  passend.  Denn  einmal  stehen  dem 
Studierenden  der  englischen  Philologie  zur  Orientierung  über  die 
historische  Entwickelung  der  englischen  Sprache  ganz  andere 
Hilfsmittel  zu  Gebote,  und  dann  vermag  ich  auch  nicht  einzu- 
sehen, welchen  Zweck  diese  grofse  Menge  methodischer  Ratschläge 
und  Winke,  die  'zwei  Drittel  des  Buches  füllen,  für  den  Stu- 
denten hat.  Ihn,  der  doch  zunächst  die  wissenschaftliche  Reife 
erreichen  soll,  wird  diese  Fülle  von  an  sich  ja  ganz  trefHichen 
Belehrungen,  die  aber  doch  nur  in  der  Praxis  erprobt  werden 
können,  eher  verwirren  als  aufklären.  Aber  der  sich  auf  seine 
praktische  Lehrthätigkeit  vorbereitende  Kandidat  des  höheren 
Lehramts  wird  in  diesem  Buch  einen  treuen  Ratgeber  finden,  der 
ihn  vor  mancher  Gefahr  warnen  und  über  manche  gefahrliche  Klippe 
hinweghelfen  kann. 

Was  dem  Buch  seinen  Wert  verleiht,  sind  eben  diese  metho- 
dischen Belehrungen  im  dritten  Abschnitt.  In  dem  zweiten  Ab- 
schnitt, welcher  von  der  geschichtlichen  Entwickelung 
der  Methodik  der  englischen  Sprache  handelt,  vermifst  man 
vor  allem  die  nur  durch  gründliches  und  eingehendes  Studium  zu 
erlangende  Kenntnis  der  historischen  Grammatik  und  damit  eine 
richtige  Auffassung  von  der  Entwickelung  der  englischen  Sprache. 
Man  lese,  um  unsere  Ansicht  bestätigt  zu  finden,  nur  das  Kapitel 
über  Bildung  und  Charakter  des  Neuenglischen,  besonders 
S.  13. 

Die  Lektüre  des  Buches  wird  durch  die  zahlreichen  längeren 
und  kürzeren  Citate  aus  einschlägigen  Werken,  zum  Teil  aus  sol- 


594     ^'  Weudl,  fiocyklopädie  d.  engl.  Unten*.,  a{pz.  v.  E.  Goerlich. 

eben  von  wenig  bekannten  Verfassern,  sehr  erschwert.  Denn  die- 
selben sind  in  der  Regel  nur  eine  Wiederholung  dessen,  was  der 
Verf.  vorher  in  anderen  Worten  ausgeführt  hat.  Auch  sieht  man 
den  Zweck  der  Angaben  über  ältere  sprachgeschichtliche  und 
grammatische  Werke  nicht  recht  ein,  Werke,  die  doch  durch  neuere 
längst  überholt  sind  und  nur  noch  historischen  Wert  haben,  also 
keinen  Platz  finden  sollten  in  einem  Buch,  das  doch  in  erster 
Linie  praktischen  Bedürfnissen  genügen  soll.  Wichtige,  besonders 
für  Anfänger  und  zum  Selbststudium  bestimmte  Werke  fehlen  wie: 
Körner,  Einleitung  in  das  Studium  des  Angels.,  neu 
herausgegeben  von  Socin,  ferner  Wülcker,  Alt  engl.  Lesebuch. 
In  den  Litteraturangaben  linden  sich  viele  Ungenauigkeiten;  nament- 
lich sind  die  neuesten  Auflagen  nur  mangelhaft  angegeben. 

Schwer  wird  es  dem  Anfänger  sein,  sich  nach  den  Ausfuh- 
rungen des  Yerf.s  über  den  Wert  und  die  Bedeutung  der  Pho- 
netik im  Unterricht  Klarheit  zu  verschaffen;  scheint  es  doch, 
als  ob  der  Verf.  sich  selbst  darüber  nicht  klar  ist.  Man  lese  nur 
die  Kapitel  über  den  Wert  der  Phonetik  S.  76  und  über  die 
Anwendung  der  Phonetik  im  Unterricht  S.  77  und  ver- 
gleiche  damit  die  widersprechenden  Aufserungen  des  Verf.s  auf 
S.  103  und  110.  Statt  der  vielen  Citate  aus  anderen  Werken, 
die  den  angehenden  Lehrer  nur  verwirren,  hätte  er  an  erster 
Stelle  auf  den  lichtvollen  und  klaren  Aufsatz  Trautmanns  in  der 
Anglia  I  hinweisen  sollen,  der  in  bündiger  Form  die  hauptsäch- 
lichsten Ergebnisse  der  Lautwissenschaft  bringt. 

Eigentümlich  berührt  es,  unsern  allverehrten  Professor  Dr. 
G.  Koerting,  der  noch  in  voller  Rüstigkeit  und  Schaffensfreudig- 
keit in  Kiel  wirkt,  schon  zu  den  Toten  gerechnet  zu  sehen  (S.  82). 
W.  verwechselt  hier  offenbar  G.  Körting,  den  Verfasser  der  ro- 
manischen und  englischen  Encyklopädie  und  anderer  für  Schule 
und  Wissenschaft  gleich  wertvoller  Werke,  mit  seinem  verstorbe- 
nen Bruder  H.  Koerting,  dem  Verf.  der  Geschichte  des  fran- 
zösischen Romans  im  XVII.  Jahrhundert. 

Wie  schon  oben  angegeben,  liegt  der  eigentliche  W^ert  des 
Buches  in  dem  dritten  Abschnitt,  der  von  der  angewandten 
Methodik  handelt.  Hier  findet  der  angehende  Lehrer  eine  Fülle 
sehr  beherzigenswerter  Belehrungen,  eine  Menge  von  der  Praxis 
eingegebener  methodischer  Winke  und  Ratschläge,  die  ihm  in 
seinem  Anfangsunterricht  grofse  Dienste  leisten  werden.  Nach 
einigen  Bemerkungen,  welche  die  allgemeine  pädagogische  Vorbil- 
dung der  Lehrer  betreffen,  bespricht  der  Verf.  den  englischen 
Unterricht,  wie  er  sich  auf  den  einzelnen  Stufen:  Unter-,  Mittel- 
und  Oberstufe,  nach  der  methodischen  Seite  hin  sich  zu  gestalten 
hat,  und  zwar  nach  folgenden  Gesichtspunkten:  A.  Auswahl  und 
Verteibtng  des  Stoffes,  B.  Darbietung  und  Auffassung  des  Unter- 
richtsstoffes, C.  Von  der  Aussprache,  D.  Lektüre,  E.  Gramnuüik^ 
F.  Der  Wortschatz,  G.  Die' Konversation,  H.  Die  schriftlichen  Übungen^ 


K.  Lamprecht,  Deutsche  Geschichte,  aogez.  v.  K.Fischer.     595 

Es  würde  zu  weit  fuhren,  im  Einzelnen  diese  Kapitel  durch- 
zugehen und  zu  besprechen.  Wenn  man  in  vielen  Punkten  auch 
anderer  Meinung  ist  als  der  Verf.,  und  manche  Bemerkungen  zu 
direktem  Widerspruch  herausfordern,  so  kann  man  doch  die  Lek* 
töre  dieses  zwei  Drittel  des  Buches  umfassenden  Teiles  dem  an- 
gehenden Lehrer  dringend  empfehlen.  Hier  steht  der  Verf.  auf 
festem  Boden,  hier  schöpft  er  aus  dem  reichen  Quell  seiner  pä- 
dagogischen Erfahrungen  und  teilt  reichlich  mit  von  dem,  was 
jahrelange,  gewissenhafte  Arbeit  verbunden  mit  strenger  Selbst- 
kritik und  eifriger  Fortbildung  ihn  gelehrt  hat. 

Dortmund.  Ewald  Goerlich. 


Karl  Lamprecht,  Deutsche  Geschichte.  V.  Bd.  1.  Hälfte.    Berlin  1894, 
R.  Gärtners  Verlag,  Herrn.  Heyfelder.     XIII  u.  358  S.     8.     8  M.  geh, 

Dieser  Band  fuhrt  die  Geschichte  vom  Ende  des  15.  Jahr- 
hunderts bis  1534;  der  Stoff  ist  in  zwei  Bücher  —  das  14.  und 
15.  —  verteilt,  von  denen  das  erste  bis  zum  Auftreten  Luthers, 
das  zweite  bis  1534  reicht.  Die  Einleitung  versucht  einen  Über- 
blick über  die  charakteristischen  Entwickelungspunkte  der  neueren 
Geschichte  zu  geben;  das  1.  Kapitel  des  14.  Buchs  giebt  eine 
Übersicht  über  die  äufsere  Geschichte  unter  Maximilian  1,  das 
2.  Kapitel  stellt  „wirtschaftliche  und  soziale  Wandlungen  vom  14. 
zum  16.  Jahrhundert*',  das  3.  Kapitel  „Entwicklung  der  indivi- 
dualistischen Gesellschaft''  dar;  im  4.  Kapitel  folgt  „Erste  Blüte 
individualistischen  Geisteslebens^'.  Das  15.  Buch  stellt  in  zwei 
Kapiteln  den  oben  bezeichneten  Abschnitt  dar. 

Das  Verständnis  und  damit  die  Beurteilung  dieses  Bandes  ist 
wesentlich  dadurch  erschwert,  dafs  der  vorhergehende  Band  noch 
nicht  erschienen,  der  Leser  also  vielfach  auf  Vermutungen  bezw. 
Citate  angewiesen  ist,  die  nicht  vergleichbar  sind.  Jedenfalls  hat 
Ref.  sich  bei  der  Einleitung  und  dem  2.  und  3.  Kapitel  des 
14.  Buchs  recht  erheblicher  Bedenken  nicht  erwehren  können. 

Wenn  Einl.  S.  9  gesagt  wird,  dafs  die  italienische  Renaissance 
auf  einer  „atomisierten"  Gesellschaft  sich  erhoben  habe  u.  s.  w., 
so  kann  dies  nur  als  zu  weit  gehend  bezeichnet  werden,  Italien 
trug  noch  „Fesseln  des  M.A."  genug,  und  wenn  trotzdem  die 
nene  Kultur  dauerte,  so  darf  nicht  vergessen  werden,  dafs  Italien 
doch  das  Mutterland  der  Renaissance  war,  sowie  dafs  deren  fürst- 
liche Mäcene  durch  eifrige  Förderung  der  neuen  Kultur  ihrer 
usurpierten  Gewalt  neue  Stützen  und  ihrer  Person  bzw.  Familie 
dynastischen  Glanz  geben  wollten. 

Wenn  S.  10  vom  „modernen  Subjektivismus"  im  Gegensatz 
zum  Individualismus  gesprochen  wird,  so  ist  dies  nicht  ohne 
weiteres  verständlich,  umso  weniger,  als  wenige  Sätze  weiter  be- 
hauptet wird,  die  ., Kultur  des  Individualismus"  sei  „im  Absterben" 
begriflen;  es  ist  hier  nicht  möglich,  die  Unhaltbarkeit  des  ganzen 


596  ^'  Lamprecht,  Deutsche  Geschichte, 

Absatzes,  so  wie  er  dasteht,  darzulegen;  Dicht  minder  bedenklich 
ist  die  Annahme,  die  S.  11  und  12  zu  Grunde  zu  liegen  scheint, 
als  sei  „volle  Ungebundenheit^'  des  Individuums  überhaupt  erreich- 
bar, denn  dals  selbst  die  äufsersten  Spitzen  des  Individualismus, 
M.  Stirner  und  ^ietzsche,  nicht  ,,ungebunden''  sind,  wolle  man 
bei  ihnen  selbst  nachlesen. 

Schief  ist  auch  der  Vergleich  zwischen  Luthers  und  Kants 
Lehren.  Abgesehen  davon,  dafs  die  Grundlagen  und  Ausgangs- 
punkte beider  Lehren  inkommensurabel  sind,  so  ist  Luthers  „Hin- 
gabe an  die  Gnade  Gottes''  sachlich  nichts  anderes,  als  dafs  durch 
jene  Hingabe  des  Menschen  Wille  in  demselben  Liebesgeleise  fahrt, 
wie  der  Gottes.  Es  ist  auch  nicht  richtig,  dafs  Kant  das  Indi- 
viduum „nur  auf  sich  stellt''  und  jede  Autorität  verwirft;  denn  er 
erkennt  ein  „Sittengesetz"  an. 

Mit  der  Auffassung  und  Darstellung  im  1.  Kapitel  des  14.  Buchs 
ist  Ref.  im  ganzen  einverstanden,  nur  dafs  Maximilian  erst  spät 
begriffen  hat,  wie  der  Verf.  S.  322  ausdrücklich  sagt,  dafs  seil 
ca.  1450  nur  noch  eine  „föderalistische"  Reform  der  Reichs- 
verfassung möglich  gewesen  sei,  widerspricht  doch  der  Thatsache, 
dafs  die  letztere  bereits  durch  die  goldene  Bulle  in  jene  Richtung 
gezwungen  war,  und  dafs  später  die  Reformversuche  der  Stände 
wesentlich  nichts  anderes  wollten,  als  die  Vorherrschaft  der  Kur- 
fürsten durch  die  der  Reichsfursten  ersetzen. 

Schwerwiegende  Bedenken  hat  Ref.  bezüglich  des  2.  und 
3.  Kapitels.  Die  Gestaltung  des  Stoffes  giebt  kein  richtiges  Bild 
von  der  gewaltigen,  sich  stets  steigernden  Wucht  der  thatsäch- 
lichen  Entwickelung,  sie  bietet  nur  Stücke,  allenfalls  einen  Quer- 
schnitt, der  aber  chronologisch  verzogen  ist  und  wichtige  Essenzen 
des  immer  mehr  anschwellenden  Oppositionssturms  unbeachtet  läfst« 
Der  Raum  verbietet  Ref.,  positive  Gegenvorschläge  zu  machen,  er 
mufs  sich  vielmehr  auf  einzelne  Beispiele  beschränken.  Weder  die 
christlich-sozialen  Bewegungen,  noch  die  sozialen  Llnterströmungen, 
oder  die  abergläubischen  Inpendienzien  und  der  materialistische 
Kern  des  Zeitgeistes,  noch  die  volkstümlich-litterarische  Bewegung 
kommen  ausreichend  zur  Geltung;  der  Fortschritt  in  der  Ver- 
schlechterung der  materiellen  Lage  der  Bauern  wie  des  Adels, 
namentlich  auch  das  massenweise  Verschwinden  desselben  in 
ganzen  Landschaften,  kommt  nicht  ausreichend  zur  Anschauung, 
die  Darstellung  ist  auch  hier  z.  T.  durchbrochen  und  zerschnitten; 
von  dem  thatsächlichen  Verlauf,  der  sich  an  die  Aufnahme  des 
Römischen  Rechts  knüpft,  erhält  der  Leser  keine  klare  Vorstellung; 
die  Kriegsverfassung  ist  kaum  berührt;  die  sogenannten  Refor- 
matoren vor  der  Reformation  bleiben  so  gut  wie  unberücksichtigt, 
und  doch  ist  andererseils  Luthers  Lehre  von  der  ihrigen  nicht 
scharf  genug  geschieden  u.  s.  w. 

Es  giebt  doch,  um  noch  einige  Einzelheiten  zu  berühren, 
Anlafs  zu  starkem  Mifsverständnis,  wenn  die  Anfänge  einer  „weit- 


aagez.  von  K.Fischer.  697 

wirtschaftlichen  Bewegung*'  schon  ins  14.  Jahrhundert  verlegt 
werden;  internationalen  Handel  gab  es  damals,  aber  er  war  schon 
über  die  Anfange  hinaus;  von  Welthandel  vor  der  Entdeckung 
der  neuen  Weit  oder  von  Weltwirtschaft  vor  dem  Beginn  der 
Volkswirtschaft  zu  reden,  ist  doch  nicht  am  Platze. 

Wenn  die  Darstellung  der  italienischen  Renaissance  kürzer 
gefafst  wäre,  würde  die  Entwickelung  der  deutschen  Musik,  die 
gar  nicht  erwähnt  ist,  die  ihr  gebührende  W^ürdigung  haben  finden 
können ;  auch  die  Glasmalerei  bleibt  unerwähnt,  die  S.  134  ge- 
äufserte  Ansicht  über  „ein  weitverbreitetes  und  vielfach  enthu- 
siastisch gewandtes  Verständnis  der  nationalen  Einheit''  sowie. die 
„nationalen  Ziele"  der  damaligen  „Geschichtschreibung''  bedürfte 
wesentlicher  Einschränkung  und  Erläuterung;  desgleichen  der  Satz 
S.  143  über  die  Inquisition,  die  „auch  noch  im  15.  Jahrhundert 
in  Deutschland  wohlorganisiert"  gewesen  wäre;  ähnlich  verhält  es 
sich  mit  dem  Vergleich  zwischen  Dante  und  Luther  (S.  151  f.). 
Gerade  in  diesen  sachlich  so  vielfach  anfechtbaren  Kapiteln  läfst 
auch  die  Form  viel  zu  wünschen  übrig,  wovon  hernach. 

Das  15.  Buch  ist  von  all  diesen  Mängeln  durchaus  frei,  abge- 
sehen davon,  dafs  der  Gang  der  Ereignisse,  die  im  2.  Kapitel  zur 
Darstellung  kommen,  mehrmals  durchbrochen  ist,  sowie  abgesehen 
von  manchen  Einzelheiten  —  z.  B.  di&  „aligemeine  Spannung 
zwischen  Fürsten  und  Adel"  (S.  328)  ist  doch  mindestens  ein  Jahr- 
hundert älter  als  1500  —  ist  dieser  Teil  durchaus  erfreulich;  das 
1.  Kapitel  verdient  sogar  in  jeder  Beziehung  ungeteiltes  Lob  und 
warme,  aufrichtige  Anerkennung. 

Wie  bemerkt,  sind  die  sachlichen  und  sprachlichen  Mängel 
meist  vereint,  das  15.  Buch  ist  durchweg  frei  von  ihnen;  die 
sprachliche  Darstellung  des  1.  Kapitels  dieses  Buches  daif  als 
meisterhaft  bezeichnet  werden.  Um  so  mehr  Bedenken  erregen 
nicht  wenige  Stellen  im  14.  Buch,  besonders  im  2.  und  3.  Kapitel. 
Dafs  zwei  Sätze  hintereinander  stehen,  die  beide  kein  Verbum 
haben,  kommt  S.  153,  dafs  ein  Satz  nicht  konstruierbar  ist,  S.  155 
vor.  Auf  früher  berührte  Mängel  wird  nicht  weiter  eingegangen. 
Gar  zu  häufig  wiederholt  sich  die  W^endung:  Es  ist  (war  u.  s.  w.) 
„klar^^;  unerfreulich  sind  in  einem  solchen  Buch  die  abgegriffenen 
modernen  Münzen:  „eigenartig",  „schüeMch",  „im  Ernstfall";  ge- 
wagt sind:  interurban,  Gewährschaft,  tagediebend,.  Wagegefühl  des 
fanatischen  Gönnens  (S.  128);  unterlegenes  Gegenstück;  unrichtig 
sind:  Hindernis  des  Fortschritts,  langwierig  ausschauend;  und 
warum  Ausdrücke  wie:  im  rechten  Bett  erzeugte  Söhne  (S.  22)? 
Und  dann  die  modernen  Fremdwörter:  „konstruiert''  kommt  sehr 
häufig  vor,  auch  organisieren,  disziplinieren,  differenzieren,  sodann 
liest  man:  Evolution  des  kapitalistischen  Individualismus,  individua- 
listische Differenzierung,  systematisch  konstruiertes  Reform programm 
auf  Grund  kommunistisch  -  sozialistischer  Ideen,  kaufmännische 
Prostitution  der  Persönlichkeit  in  Ilumbug  und  Reklame,  Differen- 


698         ^-  ^'  Krüger,  Geschichte  der  Griechen  uod  Römer, 

zierung  der  Personenzellen  des  nationalen  Körpers,  kuitische  Nar- 
kotisierung, demokratische  Illustrationstechnik. 

Ref.  bedauert  aufrichtig,  dafs  er  bei  diesem  Band  solche  Be- 
denken hat  erheben  müssen. 

Wiesbaden.  Karl  Fischer. 


C.  A.  Krüger,  Geschichte  der  Griechen  and  Rümer  mit  Berück- 
sichtigung der  morgenlä'ndischen  Völker.  Nach  den  neuen  preofsischen 
Lehrplänen  bearbeitet.  Mit  50  Abbildungen.  Danzig  1893,  Ernst  Groihn's 
Verlag.     112  S.     8.    0,60  M,  geb.  0,80  M. 

C.  A.  Krüger,  Geschichte  Deatschlands  von  der  älteren  Zeit 
bis  znrGegenwart  Unter  Berücksichtignng  der  wichtigsten  aoTser- 
dentschen  Ereignisse  nach  den  neuen  preufsischen  Lehrplänen  bearbeitet 
Mit  60  Abbildungen.  Danzig  1893,  Ernst  Gruihn's  Verlag.  234  S.  8. 
1,40  M,  geb.  1,80  M. 

Aufser  den  vorstehend  angeführten  Buchern  hat  der  Verf.  in 
gleichem  Verlage  schon  früher  eine  Reihe  anderer  Werke  erscheinen 
lassen,  die  zum  Teil  eine  stattliche  Anzahl  von  Auflagen  in  kurzer 
Zeit  erlebt  haben:  1)  Geschichtsbilder  für  Schulen  (Erzählungen 
aus  dem  Altertum,  der  deutschen  und  brandenburg  -  preufsischen 
Geschichte)  in  drei  verschiedenen  Ausgaben  (für  Schulen  beider 
Konfessionen  18.  Aufl.,  für  evangelische  Schulen  10.  Aufl.,  für 
katholische  Schulen  14.  Aufl.);  2)  Bilder  aus  der  Weltgeschichte 
und  Sage  für  Schulen,  4.  Aufl.;  3)  Die  Weltgeschichte  in  Lebens- 
bildern,  ein  Lehr-  und  Lernbuch  für  Schulen,  4.  Aufl.;  4)  Ge- 
schichte Preufsens  in  Einzelbildern,  unter  Hervorhebung  der 
landesväterlichen  Wohlfahrfsbestrebungen  der  Hohenzollern  nach 
den  neuen  kaiserlichen  und  ministeriellen  Erlassen  bearbeitet.  Ref. 
glaubt  den  Hinweis  auf  diese  Werke  nicht  unterdrücken  zu  sollen, 
weil  auch  den  hier  zur  Besprechung  kommenden  Büchern,  wie 
sich  unten  zeigen  wird,  der  Charakter  des  Bilderhaften  in 
hohem  Mafse  eigen  ist,  weil  sie  ganz  deutlich  sich  als  durch  eine 
Reihe  mehr  oder  weniger  geeigneter  Zuthaten  erweiterte  Ge- 
schichtsbilder dokumentieren.  Der  Verf.  verrät  dies  selbst, 
wenn  er  in  dem  Vorwort  zu  beiden  Büchern  die  gleichlautende 
Bemerkung  bringt,  er  ,,habe  den  persönlichen  Zügen  und 
charakteristischen  Aussprüchen  berühmter  Männer,  sowie 
der  geschichtlichen  Sage  einen  angemessenen  Platz  eingeräumt*. 
Deshalb  hat  er  auch  wohl  weder  beiden  Büchern  die  Bezeichnung 
eines  Leitfadens  oder  Hültsbuches  gegeben,  noch  deutlich  erklärt, 
für  welche  Art  von  Schulen  er  sie  bestimmt  oder  für 
geeignet  hält  Im  Gegenteil  erklärt  er  im  Vorwort  zur  Geschichte 
Deutschlands,  die  Darstellung  sei  „so  gehalten,  dafs  das  Werk  sich 
auch  zur  Einreihung  in  Jugend-,  Volks-  und  Schul- 
bibliotheken eignet*'.  Da  aber  auf  den  Titeln  beider  Bücher 
ausdrücklich  vermerkt  ist,  dafs  sie  „nach  den  neuen  preufsischen 
Lehrplänen  bearbeitet"  seien,  so  mufs  der  Verf.  es  sich  schon 
gefallen  lassen,  wenn  wir  seine  Werke  in  erster  Linie  nicht  nach 


aogez.  voD  F.  Ohly.  699 

dem  angedeuteten  Nebenzweck  beurteilen,  sondern  eben  auf  Grund 
der  Lehrpläne  die  „Geschichte  des  Altertums^^  von  dem  Standpunkt 
eines  Lehrbuches  für  Quarta,  die  „Geschichte  Deutschlands''  von 
dem  eines  Lehrbuches  für  die  Klassen  Untertertia  bis  Untersekunda 
einschliefslich  einer  Prüfung  unterziehen. 

Was  zunächst  die  „Geschichte  der  Griechen  und  Römer'' 
anlangt,  so  wird  in  §  1  eine  kurze  Beschreibung  Griechenlands^) 
vorausgeschickt,  dann  in  §  2  die  Religion  der  alten  Griechen 
dargestellt,  in  ziemlich  dürftiger  Weise.  Denn  aus  den  kurzen 
Notizen  wird  der  kleine  Quartaner  einen  richtigen  Begriff  von  den 
Vorstellungen  der  alten  Griechen,  über  das  Wesen  und  die  Eigen- 
schaften ihrer  Götter  (insbesondere  z.  B.  der  I^allas  Athene  und 
des  Phoebus  Apollo)  schwerlich  bekommen.  Den  griechischen 
Namen  sind  sogleich  in  Klammern  die  bei  den  Römern  üblichen 
Bezeichnungen  beigefügt,  wodurch  der  Verf.  einen  entsprechenden 
Paragraphen  bei  der  römischen  Geschichte  glaubte  ersparen  zu 
können,  —  ein  Verfahren,  das  selbst  für  die  Unterstufe,  zumal  in 
dieser  Allgemeinheit,  durchaus  nicht  zu  billigen  ist.  §  3  handelt 
vom  „Orakel  im  allgemeinen"  und  dem  delphischen  Orakel  im 
besonderen  (fast  2  Seiten),  §  4  von  den  olympischen  Spielen,  denen 
mehr  als  2  volle  Seiten  gewidmet  werden.  Die  Darstellung  ist  so 
ausführlich  und  ins  Einzelne  gehend  —  selbst  die  Geschichte  von 
Diagoras  und  seineu  ruhmgekrönten  Söhnen  fehlt  nicht  — ,  dafs 
man  ganz  erstaunt  ist  sie  in  einem  Lehrbuch  zu  finden,  während 
sie  in  einem  deutschen  Lesebuch  für  diese  Stufe  wohl  am  Platze 
wäre.  Dasselbe  gilt  von  den  Abschnitten  5 — 12  einschl.,  in  denen 
auf  21  Seilen  die  griechischen  Sagen  von  Perseus  (l  S.),  Her- 
cules (5  S.),  Theseus  (2  S.),  „Üdipus  und  die  thebanischen  Kriege" 
(\i  S.),  der  Argonautenzug  (1  S.),  der  trojanische  Krieg  (fast  4  S.), 
Odysseus  (mehr  als  4  S.)'),  Orestes,  Pylades  und  Iphigenia  (mehr 
als  1^  S.)  in  behaglicher  Breite  erzählt  werden.  Ref.  will  damit 
gegen  den  Ton  der  Erzählung  durchaus  keinen  Vorwurf  er- 
beben, denn  dieser  ist  vielmehr  sehr  ansprechend  und  sicher 
geeignet,  in  den  jugendlichen  Herzen  Freude  am  dargebotenen 
Stoff  zu  erwecken.  So  wird  vielfach  mit  Geschick  und  in  offen- 
bar bewufster  Anlehnung  an  die  Darstellung  der  griechischen 
Schriftsteller   selbst    (Homer   u.  a)    zur  Belebung   das  Mittel  von 

^)  Bei  einigen  Namen  der  alten  Geographie  ist  eine  Beirdgung  der 
modernen  angemessen  und  sogar  erwünscht,  wie  z.  B.  Theben  (jetzt  Thiva), 
Corcyra  (Corfn),  fioboea  (Negroponte),  bei  anderen  dagegen,  wie  Messene 
(jetzt  Maoromati),  Mantinea  (jetzt  Palaeopoli)  mindestens  überflüssig.  Von 
den  Inseln  an  der  Küste  Kleinasiens  wird  nor  Lesbos  nod  die  in  der  eigent- 
lichen griechischen  Geschichte  doch  gar  nicht  in  Betracht  kommende  Felsen- 
iosel  Patmos  genannt,  eher  wären  doch  Chios,  Samos',  Rhodos  am 
Platze  gewesen. 

*)  In  4  Zeilen  wird  am  Schlofs  dieses  Abschnitts  Homer  als  angeb- 
licher Verfasser  der  Iliade  und  Odyssee  bezeichnet. 


700         C.  A.  Kriig:er,  Geschichte  der  Griechen  nod  Romer, 

Rede  und  Gegenrede  angewendet,  wie  denn  z.  B.  Rektors  Abschied 
von  Andromache  eine  halbe  Seite  einnimmt,  beim  Kampf  zwischen 
Hektor  und  Achill  weder  des  ersteren  Bitte  um  ehrenvolle  Be- 
handlung noch  des  letzteren  furchtbare  Drohung  fehlen,  Priamus 
den  göttergleichen  Achill  unter  Thränen  um  die  Leiche  des  er- 
schlagenen Sohnes  anfleht  (10  Zeilen),  Odysseus  in  längerer  Rede 
den  Griechen  seinen  listigen  Anschlag  mit  dem  hölzernen  Rosse 
auseinandersetzt  (11  Zeilen!).  Ja,  bei  Odysseus'  Aufenthalt  bei  den 
Phäaken  läfst  sich  der  Verf.  durch  „die  Freude  am  einzelnen 
Leben''  so  weit  verleiten,  dafs  er  nicht  nur  die  Teilnahme  des 
Helden  an  den  Wettkämpfen  der  phäakischen  Jünglinge  erzählt, 
sondern  auch  Alkinous  und  seinen  Sohn  mit  Odysseus  reden  und 
den  Helden  selbst  mit  zürnenden  Worten  den  Hohn  eines  anderen 
Jünglings  zurückweisen  läfst,  der  dann  seinerseits  reumütig  sein 
kränkendes  Wort  unter  Darbietung  eines  schönen  Schwertes  zu- 
rücknimmt und  nun  von  Odysseus  für  sein  „versöhnliches  Gemule*' 
belobt  wird  (S.  26).  Bei  solcher  Ausführlichkeit,  die  trotzdem 
noch  manches  unbedingt  Wissenswerte  dem  Schüler  vorenthält^), 
kann  es  uns  nicht  wundern,  wenn  die  Darstellung  der  Sagen 
—  und  eigentlich  mufs  man  dazu  noch  die  mit  sagenhaften 
Zügen  ausgeschmückte  dorische  Wanderung  (Codrus'  Opfertod),  die 
lykurgische  Gesetzgebung  (Blutsuppe  —  Alkander  —  Ausspräche  von 
Spartanerinnen),  die  messenischen  Kriege  (Aristodemus  opfert  seine 
Tochter  —  die  100  Dreifüfse  —  Aristomenes  —  Ira),  die  Sprüche 
der  sieben  Weisen  Griechenlands  (in  Vofs'  Übersetzung  angeführt) 
rechnen,  womit  weitere  4  Seiten  angefüllt  werden  —  einen 
Umfang  annimmt,  der  zu  dem  der  eigentlichen  griechi- 
schen Geschichte  in  gar  keinem  Verhältnis  steht.  Denn 
so  erhallen  wir  25  Seiten  Sagen  und  sagenhafte  Vorgeschichte 
gegenüber  15  Seiten  eigentlich  griechischer  Geschichte,  von  denen 
noch  mehr  als  2  Seiten  „Griechenlands  Blütezeit  in  Kunst  und 
Litteratur''  behandeln,  und  5  Seiten  macedonisch-griechischer  Ge- 
schichte bis  zu  Alexanders  Tod  und  der  Zeit  der  Diadochen!  Wie 
verträgt  sich  das  nun  mit  der  Forderung  der  neuen  preufsi- 
schen  Lehrpläne,  nach  denen  „Erzählungen  aus  der  sagen- 
haften Vorgeschichte  der  Griechen  und  Römer*'  zwar  dem  Pensum 
der  Quinta,  „die  eigentlichen  Sagen  des  klassischen 
Altertums    aber   der   altsprachlichen  Lektüre  und   dem 


1)  So  wird  z.  B.  in  der  Odipnssafce  weder  daa  Eode  des  Odipna 
erzählt,  noch  ist  von  seinen  Töchtern  Antig^oue  and  Ismene  irgendwie  die 
Rede.  Bei  dem  trojanischen  Kriege  vermifst  man  ungern  die  Gesehichte  vom 
Erisapfel  und  dem  Urteil  des  Paris,  etwas  von  der  Abstammang  und 
Jagend,  den  Waffen  des  Achilles,  and  es  ist  kaum  za  begreifen,  weshalb 
unter  den  griechischen  Helden  weder  Aias  Telamonios,  noch  des  Oileus 
Sohn,  weshalb  bei  der  Sage  vom  hölzernen  Pferd  Laokoons  Name  nicht 
genannt  wird,  obschon  später  unter  den  Kanstwerken  die  Laokoon  -  Gruppe 
aufgezählt  wird. 


angez.  von  P.  Ohly.  701 

deutschen  Unterrichte   zugewiesen*'    sind    und    „die  Be- 
handlung  der   Zeit   vor   Solon    auf   das   knappste  Mafs    zu   be- 
schränken'*  ist?     Es   liegt   auf  der  Hand,  dafs   diese   übel  ange- 
brachte Weitschweifigkeit   die  Behandlung  der  eigentlichen 
griechischen  Geschichte  entgelten  mufs,  und  diese  ist  denn 
aach  in  der  That   dürftig  genug.     Bei  üarius'  Scythenzug,  auf 
den  in  der  persischen  Geschichte  nur  mit  einer  Zeile  hingewiesen 
wird,    ist  von  der  Teilnahme    der  griechischen  Fürsten,    von  der 
Haltung  eines  Histiäus  und  Miltiades    mit  keiner  Silbe    die  Rede, 
und  bei  dem   für  das  Verständnis  der  Perserkriege  so  wichtigen 
ionischen  Aufstande  begnügt  sich  der  Verf.  mit  einer  Andeutung 
von  4  Zeilen!    Man   begreift  gar  nicht,    wie   mit  einem  Male  die 
Griechen   „unter   dem    tapferen  Miltiades"   stehen,   der  bis  dahin 
gar  nicht  hervorgetreten  ist  und  auch  an  dieser  Stelle  nicht  etwa 
als  einer  und  zwar  der  bedeutendste  der  10  Strategen  hervortritt. 
Wenn    im   folgenden    die  Vorgänge   bei    Artemisium    und    die 
Schlacht  bei  Mykaie    unerwähnt    bleiben,   so  ist  das  schon  auf- 
fallend genug,  wenn  wir  aber  von  Cimon  zwar  einige  Anekdotchen, 
sonst  jedoch  nur  hören,  dafs  er  als  „Liebling  des  Volkes  und  der 
Soldaten"   letztere  „von  einem  Siege  zum  andern  führte"  —  ge- 
nannt   wird    keiner    mit    Namen,    weder   die  Doppelschlacht   am 
Eurymedon,  noch  der  Sieg  seiner  Flotte  bei  Salamis — ,  dafs 
er  dennoch  „auf  Anstiften  eines  (!)  mächtigen  Feindes  aus  seiner 
Vaterstadt  verbannt"  wurde  ^),    so  ist  solche  Lückenhaftigkeit,    in 
dieser  Glanzperiode    griechischer  Geschichte    zumal,   durch  nichts 
ZQ  entschuldigen.     Der  Übergang  der  Hegemonie  von  Sparta  auf 
Athen,  die  Gründung  des  attischen  Seebundes,  der  dritte  messenische 
Krieg  werden  gar  nicht  berührt,  ja  sogar  der  peloponnesische 
Krieg    mit    einigen  ganz  allgemeinen  Andeutungen  ohne  Angabe 
irgendwelcher    besonderen   Kriegsereignisse')   —    die    Pest    und 
Perikles'    Tod    werden    freilich    erwähnt    —    derartig    kurz    ab- 
gethan,    dafs    er    nur    als  Hintergrund    zu   dem  Lebensbilde   des 
Alcibiades    erscheint     Ferner  fehlen  gänzlich  der  Rückzug  der 
Zehntausend,    der  Krieg  der  Spartaner  mit  den  Persern  (Agesi- 
laus),    der  korinthische  Krieg  und  der  Friede  des  Antalcidas, 
der   2.    und    3.  heilige  Krieg   und    überhaupt  Genaueres    über 
Philipps  Versuche,    in    die   griechischen  Verhältnisse   sich   einzu- 
mischen*), endlich  aus  der  macedonischen  Zeit  der  Aufstand  und 


^)  CimoDS  Tod  vor  Citiom  fehlt  natürlich  an  eh. 

')  Nicht  INicias,  nicht  Lamachas,  nicht  Kleon,  nicht  Lysander, 
um  von  anderen  zu  schweigen,  werden  erwähnt,  nichts  von  Decelea  oder 
Amphipolis,  and  von  der  sizilischen  Expedition  hören  wir  nur,  dafs 
DQter  Alcibiades,  der  doch  schon  vorher  nach  Argos,  dann  nach  Sparta  ent- 
weicht, „anfänglich  alles  gnt  ging'^,  dafs  aber  dann,  nachdem  man  za  Sparta 
„aof  seinen  Vorschlag  eingegangen  war,  die  Athener  gänzlich  geschlagen 
worden  und  nnr  wenige  ihre  Vaterstadt  wiedersahen'S 

')  Es  heifst  S.  63  einfach:  „Nachdem  Philipp  mit  den  Griechen  (!)  Krieg 
angefangen  hatte,  kam  es  bei  Chaeronea  zur  Schlacht^S 


702         C.  A.  Krüger,  Geschichte  der  Griechen  und  Römer, 

die  Zerstörung  Thebens  (durch  Alexander).     Wenn  nun  trotz 
dieser    Lückenhaftigkeit    die    griechische    Geschichte    noch    soviel 
Raum  einnimmt,  als  ihr  hier  vergönnt  ist,  so  erklärt  sich  das  nur 
daraus,    dafs    der  Verf.    sich   nicht  genug  daran  thun  kann,    den 
kärglichen  StolT  durch  alle  möglichen  beglaubigten  oder  nicht  be- 
glaubigten  Geschichtchen    und   Anekdoten    zu   würzen    und 
schmackhaft  zu  machen.     Ja,   diese  Geschichtchen,  nicht  die  Ge- 
schichte  sind  ihm  geradezu  die  Hauptsache,    Geschichtsbilder 
sind  es,  die  er  bietet,  keine  fortlaufende  Geschichtserzählung!  Dafs 
er,  um  die  Übersichtlichkeit  zu  erhöhen,  wo  es  anging,  die  bio- 
graphische Anordnung  wählte,  ist  ja  für  diese  Stufe  wohl  zu 
billigen,    aber    der  Verf.    hätte    sich    dabei  vielleicht  Stacke  zum 
Muster  nehmen  und  nicht  die  wichtigsten  historischen  Ereignisse 
nur  als  Beiwerk  betrachten  sollen!     Er  wäre  dann  sicherlich  vor 
solchen  Verirrungen  bewahrt  geblieben,    dafs  z.  B.  das  mit  zahl- 
reichen „Charakterzugen"  ausgeschmückte  Lebensbild  des  Sokrates 
(„er    trank  nicht    sogleich,    wenn  er   erhitzt  war"   —    4  Zeilen) 
genau  ebensoviel  Raum    einnimmt,    wie    die  Suprematie  Thebens 
unter  Epaminondas  und  Pelopidas.     Wie  sehr  es   dem  Verf.   um 
solche  Anekdoten    zu   thun    ist,    möge   eine    kurze  Aufzählung 
derselben,     die    auf    Vollständigkeit    keinen     Anspruch     macht, 
beweisen:    die    List    des    PisiBtratus    (7   Zeilen),    der   nicht   die 
Zither     spielende    Themistokles,     Aristides     schreibt    selbst    für 
einen  Burger  seinen  Namen  auf  das  Ostrakon  (5  Zeilen),  Pausanias' 
Ende  (15  Zeilen:  Mitwirkung  der  eigenen  Mutter),  Cimons  Gärten, 
Perikles    läfst   dem  ihn  scheltenden  Borger  nach  Hause  leuchten, 
der  Knabe  AIcibiades   und  der  Fuhrmann  (5  Zeilen!),    Alcibiades' 
Ende  (6  Zeilen),  Pelopidas  und  Epaminondas  „bei  einer  früheren 
Schlacht  im   Peloponnes"    (9  Zeilen),    der  unbestechliche  Epami- 
nondas (12  Zeilen),    endlich  die  zahlreichen  Alexander-Anekdoten 
(Bucephalus  13  Zeilen,  A.  und  Diogenes  i  Seite,  A.  und  sein  Arzt 
16  Zeilen,  A.  und  seine  durstenden  Soldaten,  Darius'  Ende  16  Zeilen, 
Clitus'  Tod  10  Zeilen,    A.   und   die  Könige   in  Indien  —  Namen 
werden  nicht  genannt  —  15  Zeilen!). 

Vermissen  wir  so  hier  bei  dem  Verf.  jedes  Mafshalten,  so 
können  wir  es  in  dem  Abschnitt  über  die  morgen  ländischen 
Völker,  wo  die  Versuchung,  Sagenhaftes  einzuschalten,  noch 
gröfser  ist,  erst  recht  nicht  erwarten.  Dafs  der  Verf.  die  morgen- 
ländischen  Völker  berücksichtigt,  entspricht  ja  durchaus  den  For- 
derungen der  Lehrpläne.  Aber  anstatt  sich  hier  möglichster 
Knappheit  zu  befleifsigen,  verliert  sich  der  Verf.  so  sehr  ins  Weite 
und  Breite,  dafs  dieser  Abschnitt,  ebenso  wie  der  erste  über  die 
griechischen  Sagen,  durchaus  den  Charakter  eines  Lesebuches  an 
sich  trägt.  Zunächst  wimmelt  es  auch  hiervon  Anekdoten.  Die 
Cyrus-Geschichte  wird  mit  alP  ihren  bekannten  Ausschmückungen 
bis  auf  den  „Boten  des  Harpagus''  (Brief  in  einem  zugenähten 
Hasen!)    und    die   „zwei    ungleichen  Tage''  (10  Zeilen!)    berichtet. 


r 


aogez.  voD  F.  Ohly.  703 

oud  nur  beim  Traum  des  Aslyaged  uuü  dem  Ende  des  Cyrus 
(Massagetenkönigin  Tomyris)  findet  sich  der  Hinweis,  dafs  dies  in 
den  Bereich  der  Sage  gehöre,  alles  übrige  ist  also  wohl  als  bare 
Münze  zu  nehmen.  Bei  Kambyses  fehlt  weder  die  Behandlung 
des  unglückHchen  Psammenit  (|  Seite),  noch  der  Zorn  des  von 
Äthiopien  zurückkehrenden  Königs  über  den  Jubel  der  ob  der  Auf- 
findung eines  neuen  Apis  frohlockenden  Ägypter,  noch  endlich  die 
Prexaspes-Anekdote^).  Von  dem  Abschnitt  über  Darius  nehmen 
die  List  seines  Stallmeisters  bei  der  Königswahl  und  die  That  des 
Zopyrus  *^  des  Ganzen  ein.  Bei  den  ägyptischen  Königen  sind 
die  Geschichten  vom  Schatzhaus  des  Rbampsinit,  sowie  von 
Psammetichs  Verbannung  und  Erhebung  zum  Alleinherrscher'), 
bei  den  alten  Phöniziern  die  Erfindung  der  Purpurfarbe  und 
des  Glases,  in  der  assyrisch-babylonischen  Geschichte  endlich  die 
auch  als  solche  bezeichneten  „Sagen''  von  Semiramis  (ihr  Zug 
nach  Indien  und  die  fehlgeschlagene  List  mit  den  mit  Büifelbäuten 
bedeckten  Kamelen,  die  „elefantenartig  aussahen''!)  und  Sarda- 
na pal,  sowie  das  gänzlich  nach  der  biblischen  Tradition  dargestellte 
Ende  Belsazars')  die  Hauptsache.  Aber  mit  diesen  Sagen  und 
Anekdoten  begnügt  sich  der  Verf.  nicht,  sondern  daneben  nehmen 
die  Beschreibungen  einen  ungebührlichen  Raum  ein.  Die 
Geographie  des  alten  Ägyptens,  seine  Erzeugnisse  Papyrus  und 
Byssus,  die  Hieroglyphen  und  die  Geschichte  ihrer  Entzifferung, 
die  Kasten  (sämtliche  7  werden  aufgezählt!),  die  Obelisken,  die 
Pyramiden  (Pyramide  des  Königs  Cheops  bei  Memphis),  die  Denk- 
mäler von  Theben^),  die  Katakomben  und  das  Labyrinth,  die  Be- 
schreibung Babylons  und  Ninives,  des  babylonischen  Turmes,  der 
hängenden  Gärten  umfassen  allein  zusammen  mehr  als  4  volle 
Seiten!  Alles  ist  freilich  mit  grofser  Anschaulichkeit  und  recht 
ansprechend  geschildert,  z.  T.  mit  Einzelheiten*^),  wie  man  sie  kaum 

')  Bei  der  daran  aDgeschlosseoen  Ermorduog  des  Smerdis  fiodcD  wir 
die  Aomerknng,  dafs  „die  Erzahlang  von  Kambyses'  Grausamkeit  sageohaft 
kÜDge«'. 

^)  Merkwürdigerweise  fehlt  Amasis  (und  die  Geschichte  vom  Ring 
des  Polycrates)  gaozlicfa. 

')  Nach  den  neuen  Lehrpläoeo  wäre  gerade  diese  Erzählung,  weil  io 
der  bibllschea  Geschichte  vorkommend,  hier  erst  recht  entbehrlich. 

*)  Verf.  weist  darauf  hin,  dafs  „die  neueren  Reisenden  diese  Bau- 
werke nach  den  Dörfern  nennen,  die  jetzt  dort  liegen",  und  glaubt  seinen 
Lesern  die  Namen  Medinat  Abu  und  Kurnu,  Luzor,  Karnak  und  Med 
Amut  (!)  schuldig  zu  sein. 

^)  Sehr  lehrreich  ist  z.B.  die  Wiedergabe  der  Hieroglyphe  Alexander, 
die  Wiedergabe  der  Inschrift  unter  dem  Bilde  Saoheribs  und  des  Namens 
Nebukadnezar  in  Keilschrift,  desgleichen  die  Notizen  über  die  17  Kolosse 
auf  dem  Felde  zu  Medinat  Abu  („an  einem  hat  der  Zeigefinger  1  Meter  Länge") 
nod  das  über  die  Mumien  iu  den  Katakomben  Gesagte  („viele  Handerte  .  .  . 
bedecken  den  Boden  in  solcher  Menge,  dafs  man  gleichsam  in  ihnen  watet 
und  im  Auftreten  leicht  darch  mehrere  Mumienleiber  hindurchsinkt").  Solche 
Bemerkungen  werden  sich  gewils  dem  Gedächtnis  des  Schülers  leicht  ein- 
prägen, aber  in  ein  Schulbach  gehören  sie  dt^shalb  doch  nicht. 


704         C-  A.  Krüger,  Geschichte  der  Griechen  aod  Römer, 

in   einem   gröfseren  Werke   findet,    aber  solche  behaglich  breiten 
Schilderungen,  die  zum  Teil  auch  ohne  jede  kritische  Sich- 
tung die  Überlieferung  der  Alten  (Herodot  u.  a.)  einfach  wieder- 
geben,   gehen    eben    über   den  Rahmen  eines   für  die  Unterstufe 
bestimmten  Lehrbuchs  der  Geschichte  völlig  hinaus.    Dasselbe  gilt 
von    dem    über  die  Religion    der  morgenländischen  Völker  Ge- 
sagten, das  gewissermafsen  als  dritte  Art  von  Ballast  den  Stoff  in 
einer  Richtung  anschwellen  läfst,   bei  der  vor  allem  Vorsicht  ge- 
boten scheint.    Oder  ist  es  wirklich  nötig,  dafs  die  Knaben  schon 
von    dem    weisen  Zoroaster    und    „dem  heiligen  Buche  Zend- 
Avesta''    hören,    dafs    ihnen    hier  die  Lehre  von  Ahriman   und 
Ormuzd  in  13  Zeilen  auseinandergesetzt  wird?    Pur  die  Religion 
der  Phönizier  und  Babylonier  hätte  sich  der  Verf.  mit  den  in  der 
biblischen  Geschichte    häufiger   vorkommenden  Namen    begnügen, 
andere  dagegen,  wie  Aschera,  Melkarth,  Mylitta,  vermeiden  sollen. 
Besonders  eigentümlich  ist  die  Behandlung  der  Religion  der  alten 
Ägypter.    Verf.  verbreitet  sich  über  die  Verehrung  des  Apis  und 
den  Glauben  der  Fortdauer  nach  dem  Tode,  wobei  kurz  auch  der 
„unterirdische  Totenrichter  Osiris    mit   seinen  42  Beisitzern'^  er- 
wähnt wird.    Von  dem  eigentlichen  Kult  der  Isis  und  des  Osiris, 
des  Horus,    oder  gar  des  Ptah    oder  Ra    findet    sich    kein  Wort, 
dagegen    ein    besonderer  Abschnitt  von  dem  „Ka,    welchen   man 
sich    als  geistiges  Sonderwesen  (!)  und  Schutzgeist  der  Lebenden 
und  Verstorbenen  vorstellte'S    Ref.  mufs  offen  bekennen,  dafs  es 
ihm  unklar  ist,  woher  der  Verf.  die  Kenntnis  von  diesem  wunder- 
baren Schutzgeist,  „der  nach  dem  Tode  vom  Körper  sich  ablöste 
und   als    luftiges  Spiegelbild    des  Lebenden    der  Seele    als  Gefäfs 
diente,  aber  Ähnlichkeit  mit  dem  Entschlafenen  hatte'S  schöpft.  — 
Soviel    leuchtet    ohne     weiteres    ein,     dafs    durch    eine    solche 
Menge    von    Beiwerk    der    eigentliche    historische   Stoff   auf   ein 
Minimum  herabgedrückt  wird,  das  auch  den  mäfsigsten  Ansprüchen 
nicht  genügen   kann.     Der  Verf.   will   offenbar  sein  Büchlein  um 
jeden  Preis  interessant  machen,   und  dies  Bestreben  verleitet  ihn 
denn  auch    in   dem  Abschnitt  über  Griechenlands  Blütezeit 
in  Kunst  und  Litteratur  teils  zu  viel  zu  bieten  und  den  Ton 
der  Darstellung  zu  hoch  zu  halten,  teils  auch  hier  wieder  Anekdoten 
einzuflechten.   W^ird  doch  allein  der  Unterscheidung  von  dorischen, 
ionischen  und  korinthischen  Säulen  ein  Raum  von  18  Zeilen  ge- 
währt und  mit  den  Begriffen  Kanneluren,  Hohlkehlen,  Pfühl,  Wulst, 
Kapital  operiert,  dafs  es  nur  so  eine  Art  hat.    In  der  Bildhauer- 
kunst werden  aufser  Phidias^)  noch  „Polyklet,    der  die  Bildsäule 
der  Hera  in  Argos  schuf,    und   Praxiteles,   der  die  Aphrodite  von 
Cnidus  bildete",  sowie  der  Apoll  von  Belvedere,  die  Laokoon-  und 
Niobe-Gruppe    erwähnt.      Die   Malerei    wird    mit    der   bekannten 


1)    Phidias    uod    seine  Werke    finden  in  dem  Abschnitt  „Pericies''  Be- 
rücksichtigung. 


r 


anpez.  vod  F.  Ohly.  705 

Anekdote  von  Zeuxis  und  Parriiasius  abgefunden  (7j  Zeile),  und 
hei  der  Redekunst  kann  der  Verf.  der  Versuchung  nicht  wider- 
stehen, die  ganze  Jugendgeschichte  des  Demosthenes  (Achselzucken 
—  schwache  Brust  —  Aussprache  des  R)  beizubringen  und  be- 
sonders die  „unüberlrefl liehe*'  Selbstverteidigungsrede  „für  den 
Kranz'*  gegen  Äschines  hervorzuheben.  In  der  Dichtkunst  soll 
der  Quartaner  neben  Homer  und  Pindar  auch  noch  Sappho  und 
Anakreon  (!)  und  von  Äschyius,  Sophokles  und  Euripides  nicht 
nur  die  Namen,  sondern  sogar  „folgende  ernste  Dramen:  Pro- 
metheus, Agamemnon  (von  Äschylus),  Antigone,  Ödipus  (von  So- 
phokles), Medea,  Iphigenia  (von  Euripides)'*  wissen.  Ja  selbst  von 
Aristophanes  soll  er  erfahren,  dafs  dieser  „in  seinem  Stück  ,die 
Wolken'  diejenigen,  welche  den  Volksglauben  untergruben,  lächer- 
lich machte'^  üei  den  Worten :  „Piaton  hat  durch  seine  Schriften 
die  herrlichsten  Lehren  der  Weltweisheit  verbreitet"  wird  sich  der 
jugendliche  Hörer  oder  Leser  schwerlich  viel  denken  können. 

Auch  in  der  Behandlung  der  römischen  Geschichte  ist 
die  Forderung  der  Lehrpläne,  die  Zeit  vor  dem  Auftreten  des 
Pyrrhus  auf  das  knappste  Mafs  zu  beschränken,  nicht  beachtet, 
vielmehr  nimmt  diese  Zeit  1 1  Seiten,  d.  h.  mehr  denn  i  des 
Ganzen  ein.  Die  Sagen  von  Aneas')  und  der  Gründung  Roms 
werden  ganz  im  Stile  der  griechischen  Sagen  behandelt,  die  Königs- 
zeit erscheint  mit  all  ihren  Ausschmückungen  (z.  B.  Raub  der 
Sabinerinnen;  Horatier  und  Curiatier,  Mettius  Fufetius,  sibyllinische 
Bücher,  Lucrelia)  als  beglaubigte  Geschichte,  von  der  sog.  servia- 
nischen  Verfassung  wird  nur  in  zwei  Zeilen^)  gesprochen,  die 
zudem  für  den  Schüler  wenig  besagen,  dagegen  das  Ende  des 
Servius  Tullius  und  die  Grausamkeit  seiner  Tochter  TuUia  aus- 
führlich geschildert.  Bei  dem  Kriege  mit  Porsenna  zeigt  sich  der 
Verf.  wenigstens  mit  den  Ergebnissen  der  Kritik  bekannt,  indem 
er  den  Horatius  (Codes)  und  Mucius  Scaevola  (nicht  aber  die 
Cloelia)  der  Sage  zuweist.  Die  Anordnung  ist  im  folgenden  wieder 
die  biographische,  und  schon  die  Überschriften  zeigen  bisweilen 
an,  daC>  es  dem  Verf.  mehr  um  Lebens-  und  Geschieh ts- Bilder 
als  um  eine  Geschichtsdarstellung  zu  thun  ist.  Der  ganze  §  49 
bandelt  von  Coriolan,  und  nur  in  einer  Anmerkung  finden  wir 
die  INotiz:  „Dafs  Coriolan  die  Völker  gegen  Rom  führt  ^),  ist  eine 
sagenhaAe  Erzählung".  In  §  50  erscheint  neben  den  Gesetzen  der 
12  Tafeln  auch  der  Name  Virginia  schon  in  der  Überschrift,  und 
ihre  Geschichte  wird  eingehend  berichtet,  wenngleich  wiederum 
in  einer  Anmerkung  die  That  ihres  Vaters  als  „von  Mommsen 
angezweifelt"  bezeichnet  ist.   Die  Darstellung  des  Zuges  der  Gallier 


^)    Mit  Reden  des  Anchises,  Äneas,  der  Creosa  ganz   nach  Vergil,  nar 
voo  der  Dido-£pi8ode  wird  Dicbts  erwähnt. 

^)    „Er  teilte  alle  Bürger  Roms  in  fiiof  Klassen,  welche  für  die  Steuern 
(welehe?)  ond  die  Stellung  der  Römer  im  Beere  maisgebend  waren''. 

')  Also  wohl  nur  dieses? 
Zeitschrift  f.  d.  O/mnauAlireMn  XLVIU.  11.  45 


706        C.  A.  Kriig:er,  Geschichte  der  Griechen  and  Römer, 

gegen  Rom  folgt  der  landläufigen  Erzählung,  nur  dafs  merkwürdiger- 
weise der  Name  AUia  verschwiegen  und  am  Schlüsse  doch  darauf 
hingewiesen  wird,  dafs  die  Römer  die  Geschichte  von  dem 
Siege  des  Camiilus  „sich  ausgedacht"  hätten.  Im  folgenden  zeigen 
wieder  die  Überschriften:  „Pyrrhus,  F<ihricius  und  Curius",  „Re- 
gulus.  Erster  punischer  Krieg",  „Hannibal.  Zweiter  puniscber 
Krieg",  worauf  es  dem  Verf.  in  erster  Linie  ankommt,  nämlich 
auf  dem  Unterhaltungsbedurfnis  Rechnung  tragende 
Anekdoten  und  Geschichtchen.  Die  Kampfesweise  mit  den 
Elefanten,  die  Verhandlungen  im  Senate  und  das  Auftreten  „eines 
alten  blinden  Ratsherrn"  —  der  Name  Appius  Claudius  Caecus 
wird  ebenso  wenig  genannt,  wie  der  des  Cineas  — ,  die  Uneigen- 
nutzigkeit,  Unbestechlichkeit  und  Unerschrockenheit  des  Fabricius^V 
Curius  und  das  Rübengericht,  Regulus'  Vaterland^i^liebe  (|  Seite)*), 
der  durch  die  Ochsen  gerettete  Hannibal,  Archimedes  (|  Seite)  — 
alles  das  und  manches  andere  kann  man  gebührend  hier  nach- 
lesen. Dagegen  finden  wir  nichts  über  den  unmittelbaren  Anlafs 
des  tarentinischen  Krieges  (Tarent  wird  nicht  einmal  erwähnt!), 
nicht  C.  Duilius,  nicht,  um  von  anderen  zu  schweigen,  die  See- 
schlachten bei  Eknomos  und  den  Ägatischen  Inseln,  nichts  von 
Hamilkars  Kriegführung  auf  Siciiien.  Im  zweiten  punischen  Kriege 
macht  der  Verf.  Hannibals  Siege  am  Ticinus,  an  der  Trebia,  am 
trasimenischen  See,  ohne  einen  dieser  Namen  zu  nennen,  mit  den 
kurzen  Worten  ab:  „Mit  diesem  Heere  schlug  Hannibal  die  Römer 
dreimal"!  Selbst  über  die  Schlacht  bei  Cannae  finden  wir  nur 
allgemeine  Redensarten,  nicht  die  Namen  der  römischen  Konsuln, 
nicht  die  Verluste  der  Römer,  nichts  von  der  bewunderungswür- 
digen Haltung  des  römischen  Senates,  nichts  von  Hannibal  ad 
portas,  dem  Abfall  und  der  Restrafung  Capuas.  Der  Hölfezug  von 
Hannibals  Bruder,  dessen  Name  wiederum  verschwiegen  ist,  wird 
nur  ganz  kurz  angedeutet,  die  Schlacht  bei  Sena  selbst  und  der 
kühne  Zug  des  Konsuls  Claudius  Nero  fehlen  gänzlich.  Nach 
solchen  Proben^)  aus  dieser  so  überaus  wichtigen  Zeit  können 
wir  uns  nicht  wundern,  wenn  weiterhin  erst  recht  Lücken- 
haftigkeit auf  der  einen,  übel  angebrachte  Weitschweifig- 
keit auf  der  anderen  Seite  die  Signatur  des  Buches  bilden. 
Wird  doch  bei  der  Zerstörung  Karthagos  nicht  einmal  Scipios 
Niime  der  Erwähnung  wert  befunden.  In  dem  Abschnitt  über  „die 
gracchischen  Unruhen"  erscheint  das  Lebensbild  der  Cornelia,  der 


1)  Anmerkang  unter  dem  Text:  ,,Die  Briählung  über  den  Arat  ist 
80geuhaft*^  —  Muls  sie  denn  trotzdem  angenommen  werden? 

')  Anmerknng:  „Nach  Mommsen  ist  die  Sendnog  des  Regulos  nach  Rom 
sehr  schlecht  beglaubigt". 

^)  Von  den  Ereignissen  in  Spanien,  den  macedonischen  Kriegen,  der 
Unterwerfung  von  Oberitalien,  dem  Kriege  mit  Antiochas  von  Syrien  and 
der  Eroberung  Kleioasieos,  dem  nnmantiuischen  Kriege  u.  a.  ist  DatorÜch 
erst  recht  nicht  die  Redel 


aogez.  vodF.  Obly.  707 

MuUer  der  Gracchen^),  dem  Verf.  ebenso  wichtig  wie  die  Unruhen 
selbst,  deren  Bedeutung  auch  trotz  der  9  Zeilen  umfassenden  Rede 
des  Tiberius  nicht  recht  erkenntlich  ist.  Da  der  jugurthinische 
Krieg  gänzlich  mit  Stillschweigen  übergangen,  der  Einfall  der 
Cimbern  und  Teutonen  aber  der  deutschen  Geschichte  zugewiesen 
und  Marius  nicht  einmal  als  ihr  Besieger  genannt  wird,  so  kann 
der  unkundige  Leser  gar  nicht  begreifen,  wodurch  sich  denn 
dieser  Marius  so  ausgezeichnet  haben  soll,  dafs  er  den  Oberbefehl 
gegen  Mithridates  für  sich  beanspruchen  darf.  Des  Mithridates 
Jugend,  Charakter  und  Fähigkeiien  schildert  der  Verf.  zwar,  aber 
über  den  Kämpfen  zwischen  Marius  und  Sulla')  hat  er  dann  die 
Kriege  gegen  Mithridates  Yöllig  vergessen.  Pompeius  kommt  für 
ihn  überhaupt  nicht  in  Betracht,  er  wird  erst  neben  Cäsar  ge- 
nannt, Sklavenkrieg,  Seeräuberkrieg  und  seinen  Siegeszug  durch 
Asien  suchen  wir  vergebens.  Ein  besonderer  Abschnitt  ist  dem 
„inneren  Zustand  Roms''  vorbehalten,  in  dem  mit  grofser  An- 
schaulichkeit von  den  üppigen  Gastmählern  (das  unvorbereitete 
Mahl  bei  Lucullus  für  50  000  Drachmen  —  über  1 1  Zeilen !),  der 
Amterjagd,  den  Tier-  und  Gladiatorenkämpfen,  sowie  den  Er- 
pressungen in  den  Provinzen  gehandelt  wird,  —  sehr  gut  für  ein 
Lesebuch  geeignet!  Bei  Cäsar  wird  auch  erst  wiederum  eine 
volle  Seite  mit  Anekdoten  ausgefüllt,  die  Kriege  in  Gallien  werden 
mit  4  Zeilen  abgemacht,  die  Helvetier  gar  nicht  genannt,  und  von 
sämtlichen  Schiachten  des  Bürgerkrieges  finden  wir  nur  Pharsalus 
und  Zela.  Die  Charakteristik  von  „Cäsars  Herrschaft''  ist  höchst 
mangelhaft  und  giebt  ein  Zerrbild  etwa  im  Sinne  eines  fanatischen 
Republikaners,  ohne  den  yerdiensten  des  grofsen  Staatsmannes 
gerecht  zu  werden.  Die  Verschwörung  und  die  Ermordung  Cäsars 
(eine  ganze  Seite!),  Cäsars  Testament  und  des  Antonius  Auftreten 
(Leichenrede)  werden  dagegen  wieder  mit  allen  Einzelheiten  dar- 
gestellt. Die  Geschichte  von  der  Julia,  die  ihren  Bruder  vor  den 
Schergen  ihres  Sohnes  rettet  (13  Zeilen),  erscheint  sehr  gesucht 
und  überflüssig,  ebenso  wie  weiterhin  der  gleich  lange  Abschnitt 
„Fulvia  und  Octavia".  Erst  hier  ist  merkwürdigerweise  ein  Lebens- 
bild Ciceros  eingeschoben,  das  der  Unterstufe  ganz  angemessen  ist; 
weniger  läfst  sich  das  von  der  Darstellung  der  Ausschweifungen 
des  Antonius  und  des  Auftretens  der  Cleopatra  sagen.  Dem  un- 
heilvollen Einflufs  der  dritten  Gemahlin  des  Augustus  (,,eine  sehr 
böse  Frau,  die  Livia")  wird  ein  ganz  unverhältnismäfsiger  Raum 
(I  Seile)  gegönnt.  Der  Abschnitt  „Roms  goldenes  Zeitalter  in  Kunst 
und   Wissenschaft"    ist    im  Vergleich    zu    dem    gleichartigen    der 


')  Ihre  Söhne  „ihre  Edelsteine  und  Kleinodien";  der  Abschnitt  „Cor- 
nelia wird  geehrt"  omfafst  allein  15  Zeilen. 

')  Auch  diese  sind  sehr  kurz  abgethan,  des  Marius  Abenteuer  (der  er- 
schrockene Sklave)  und  die  Schilderung  der  Greoelscenen  in  Rom  (die  Nieder- 
netzeloog  der  8000  Mariaoer)  sind  die  Hauptsache.  Sulla  „veranstaltete  ia 
der  Stadt  maocberlei  gute  Einriehtuagen"  (I). 

45* 


708      C'  A*  f^rü  ger,  Ge^cbichte  der  Grieeheo  und  RSmer, 

griechischen  Geschichte    kurz    genug,    doch  halten  die  griechisch 
schreibenden  Dionysius  von  Halicarnafs,    Strabo  (!)   und  Josephus 
unerwähnt    bleiben    sollen,     [n    der   römischen   Kaisergeschichle 
zeigt  sich  ein  aufTallendes  Aufserachtlassen    der  äufseren  Verhält- 
nisse,   die    Beziehungen    und   Zusammenstölse   zwischen   Römern 
und  Germanen   werden  gar  nicht  berührt^),    nur  der  Zerstörung 
Jerusalems  wird  ein  besonderer  Abschnitt  gewidmet.    Dafs  nicht 
alle  Kaiser  aufgezählt  werden,    ist  nur  zu  billigen,  indessen  zeigt 
die  Behandlung  doch  merkwürdige  Ungleichheiten,  indem  z.  B.  der 
kurzen  Regierung  des  Titus   über  H  Seilen   eingeräumt,   dagegen 
von  Vespasian    nur   eben    kurz    gesagt    ist,    dafs  er  als  Feldherr 
gegen  die  Juden  zum  Kaiser  ausgerufen  wird,  und  von  Diocletian 
nur  die  Christen  Verfolgung  erwähnt  ist.    Die  Erklärung  hierfür  ist 
nach  dem,  was  wir  bisher  schon  über  den  Charakter  des  Buches 
erfahren  haben,   leicht   genug:    die  „Grausamkeiten"  eines  Nero, 
„Charakterzuge*'  eines  Titus  und  der  „Untergang  von  llerculanuro, 
Pompeji  und  Stabiae')    sind    eben    „interessanter''   und    nicht  so 
„trocken''  wie  die  eigentlich  geschichtlichen  Vorgänge.   Gegen  Ende 
des  Buches  pfuscht  der  Verf.  nun  noch  der  Kirchengeschichte  ins 
Handwerk,    denn    die   2  Seiten    über  Christentum  und  Christen- 
verfolgungen (Ignatius,  Justin,  Polycarp  allein  1  Seite!)  hätten  eher 
in  einer  biblischen  Geschichte  eine  Stelle,  wo  wir  sie  denn  auch 
meist   im  Anhang   finden.     Verf.   hingegen   glaubt    den    Schuleru 
vielmehr    noch    besondere  Abschnitte  über  Helena,   die  Erbauerin 
der    Heiligen  -  Grabeskirche,    über    die    Kirchenversammlung    zu 
Nicäa  (!)  und  das  Mönchswesen  (Antonius  und  Pachomius!)  schul- 
dig zu  sein. 

Soviel  über  das  Stoffliche  des  Buches.  Es  genügt  vollauf,  um 
das  Werk  als  Schulbuch  völlig  ungeeignet  zu  erweisen. 
Allein  der  frische,  lebendige  und  anschauliche,  stellenweise  gelungen- 
naive Ton  der  Darstellung,  den  wir  ja  auch  wiederholt  rühmend 
hervorhoben,  lassen  es  als  „zur  Einreihung  in  Jugend-,  Volks-  und 
Schulbibliotheken  geeignet",  aber  auch  nur  hierfür  geeignet  er- 
scheinen. Einzelne  Mängel  im  Ausdruck  fehlen  ja  freilich 
nicht:.  S.  22  „um  das  Denkmal  des  Patroclus"  (statt  Grabhügel), 
S.  23  „aus  der  Tiefe  ertönte  ein  Widerhall,  wie  in  einer  Keller- 
höhle" (!),  S.  34  „zur  Menschlichkeit  zu  gewöhnen",  S.  5t  „Xerxes 
brachte  .  .  .  1200  Kriegsschiffe  und  3000  Linienschiffe  auf", 
S.  54  „in  diesem  Vertilgungs  kriege  gegen  die  Perser  zeichnete 
sich  Cimon  aus",  S.  75  „die  Herren  vom  Senate",  „die  Murrköpfe 
unter  dem  Volke",  S.  87  „Marius  kränkte  sich  sehr  darüber" 
u.  a.  m.     An  grammatischen  Fehlern   sind   dem  Ref.  aufgefallen: 


^)  Verf.  will  olTeobar  der  deutschen  Geschichte  nicht  vorgreifeo,  «her 
hier  die  wichtigsten  Ereignisse,  selbst  die  Varnsscblacht,  nicht  einmal  an- 
zodeoten,  das  geht  doch  nicht  an,  und  zudem  ist  der  Verf.  ink.0D8eqDent 
genug,  den  MarkomanneolLrieg  unter  Marc  Aurel  ausfahrlich  za  eruihlen. 

*)  Diese  beiden  letzten  Abschnitte  nehmen  P/s  Seiten  ein. 


aogez.  von  P.  Ohly.  709 

&  5  „wen  er  ins  Herz  trifft,  fühlt  dasselbe  von  Liebesgram  ver- 
zehrt'^ und  S.  21  „deines  stammelndes  Kindes'^  Andere  Aus- 
drucke sind  nur  aus  man$;elhaftem  Verständnis  des  Verf.  zu  er- 
klären. Die  Königin  der  Lästrygonen  ist  ihm  „so  grofs  wie  ein 
Berg'*,  während  es  bei  Homer  Od.  X  113  heifst  otffjv  ogsog  xo- 
gi^(pijp\  dafs  Perikles  den  armen  Bürgern  „freien  Zutritt  ins 
Theater  gestattete*'  (S.  55),  ist  in  dieser  Fassung  unrichtig;  dafs 
die  Plebejer,  nachdem  ihnen  das  Tribunat  zugestanden,  „mit 
wehenden  Fahnen'*  in  Rom  einzogen,  wird  selbst  der  Schuler,  der 
Abbildungen  römischer  signa  zu  sehen  bekommt,  sicher  mit  Ver- 
wunderung lesen,  und  vielleicht  wird  es  ihn  nicht  wenig  ergötzen, 
wenn  er  den  Indier-König  ganz  gemütlich  „mit  edlem  Anstände** 
zu  Alexander  sprechen  hört:  „Warum,  o  König,  sollen  wir  ein- 
ander mit  Mordgewehren  versuchen  .  .  .**,  oder  wenn  er  S.  84 
h'est:  (Hasdrubal)  „war  schon  glücklich  über  die  Pyrenäen  und 
Alpen  hinüber,  als  er  erschlagen  wurde**. 

Auch  sachliche  Unrichtigkeiten  bedürfen  der  Absteilung. 
Wenn  der  Verf.  den  Sänger  der  Phäaken  „unter  andern  den  Streit 
des  Odysseus  mit  dem  Helden  Achilles**  (!)  besingen  läfst,  so  ist 
ihm  hier  wohl  eine  Verwechslung  mit  Ajax  untergelaufen,  den  er 
ja  überhaupt  nicht  erwähnt.  Richtig  finden  wir  S.  32:  Artemis 
(Diana),  dagegen  S.  33  und  S.  54  Artemis  (Minerva)!  S.  35  steht 
von  den  Söhnen  des  Pisistratus:  „es  folgte  ihm  zuerst  sein  ältester 
Sohn  Hipparch  ^)  und  nach  diesem  der  jüngere  Hippias**,  während 
doch  vielmehr  Hippias  der  ältere  ist  und  sein  Bruder  nur  neben 
ihm  eine  hervorragende  Stellung  einnimmt. 

Druckfehler  sind  S.  59  Alciblades  und  Kretias,  wohl  auch 
S.  32  „hier  sollten  die  Athener  überfallen  haben'*  (statt:  die 
Hessenier).  In  Bezug  auf  die  Menge  der  Zahlen  hat  sich  der 
Verf.  einer  weisen  Mäfsigung  befleifsigt,  bisweilen  giebt  er  blofse 
Orientierungs-  oder  Gedächtniszahlen,  z.  B.  Cimon  466,  Perikles 
444,  Sokrates  400,  Trajan  100,  Hadrian  130  u.  a.,  die  man  sich 
für  diese  Stufe  zur  Not  gefallen  lassen  mag.  Die  dem  Büchlein 
beigegebenen  Abbildungen,  meist  Wiedergaben  antiker  Statuen 
und  Köpfe,  sind  durchaus  angemessen. 

Nach  einer  so  eingehenden  Besprechung  der  alten  Geschichte 
glaubt  Ref.  in  der  Behandlung  der  freilich  ja  viel  umfangreicheren 
„Geschichte  Deutschlands  von  der  älteren  Zeit  bis  zur 
Gegenwart**  sich  kürzer  fassen  und  zum  Teil  mit  Hinweisen  auf 
Gesagtes  begnügen  zu  können,  um  so  mehr,  weil  Ton  und  Dar- 
stellung auch  dieses  Buches  ganz  dasselbe  Gepräge  tragen.  Hierin 
liegt  schon  ein  Vorwurf.  Denn  gerade  der  Vorzug,  den  wir  der 
alten  Geschichte  des  Verf.  nachrühmten,  die  Frische  und  Naivität 
der  Erzählung,  verwandelt  sich  hier«  wo  der  Stoff  Tertianern,  be- 


^)  Hipparcbs  Ermordnog^  wird  nicht  erwähnt. 


710     CA.  Krüger,  Gesch.  Deutschi.  V.  d.  alte  reo  Zeit  b.  2.  Gegeow., 

ziebuDgsweise  Untersekundanern  dargeboten  werden  soll,  eher  in 
einen  Tadel.  Ja,  der  Verf.  mufste  sogar,  wenn  denn  einmal  das 
Buch  „nach  den  neuen  preufsischen  Lehrplänen  bearbeitet''  sein 
soll,  im  Verlauf  der  Darstellung  einen  Wandel,  eine  Steigerung  zu 
höherer  Auffassung  hervortreten  lassen.  Aber  davon  ist  keine 
Rede,  der  Ton  des  Buches  bleibt  vom  Anfang  bis  zu  Ende  der- 
selbe. Man  vergleiche  nur  I  40^),  wo  von  den  Eigenscliaften 
Ludwig  des  Frommen  die  Rede  ist:  „Er  lachte  niemals  so,  daf^ 
man  es  hätte  hören  können;  selbst  wenn  bei  hohen  Festlichkeiten 
zur  Ergötzuog  des  Volkes  Schauspieler,  Sänger  und  Lustigmaclier 
vor  ihm  auftraten,  lächelte  er  nicht  einmal  soviel,  dafs  man  seine 
Zähne  (sie!)  sehen  konnte'^  —  und  II  122  von  den  Liebesgaben 
im  Kriege  1870:  „Da  gab  es  Kisten  mit  Cigarren,  die  aber  oft 
den  gutmütigsten  Menschen  erzürnen  konnten"  .  .  .  Andere  Bei- 
spiele aufzuzählen  würde  viel  zu  weit  führen.  Ganz  besonders 
charakteristisch  dafür,  wie  wenig  der  Verf.  den  Ton  zumal  der 
Sekunda-Stufe  zu  treffen  weifs,  ist  die  Behandlung  der  französischen 
Revolution,  deren  Darstellung  ja  freilich  gerade  für  die  Schule  die 
gröfsten  Schwierigkeiten  bietet.  Aber  aus  der  hier  gebotenen  kann 
der  Schüler  weder  die  Ursachen,  noch  die  bis  in  die  Gegenwart 
reichenden  Wirkungen  dieses  wichtigsten  Ereignisses  der  neueren 
Geschichte  erkennen.  Ref.  kann  dem  Verf.  auch  in  diesem  Buche 
den  schweren  Vorwurf  nicht  ersparen,  dafs  er  sich  seine  Auf- 
gabe zu  leicht  gemacht  hat,  dafs  es  ihm  mehr  darauf  an- 
kommt, zu  unterhalten  und  durch  alle  möglichen 
Anekdoten,  Aussprüche  und  „Charakterzüge"'  Inter- 
esse zu  erwecken,  als  durch  knappe,  sachgemäfse,  ein- 
fache Darstellung  der  historischen  Ereignisse  zu  be- 
lehren! Eine  blofse  Aufzählung  der  Unmenge  von  Anekdoten, 
die  das  Buch  bietet,  würde  Seiten  fällen.  An  .gewissen  Stellen 
mag  ja  vielleicht  die  eine  oder  andere  Anekdote  geradezu  zur 
Charakteristik  der  betreffenden  Persönlichkeit  mehr  beitragen,  als 
langatmige  Ausführungen  es  vermöchten,  und  von  diesem  Ge- 
sichtspunkte aus  wollen  wir  uns  auch  einige  Anekdoten,  z.  B.  über 
Friedrich  Wilhelm  I.  oder  Friedrich  den  Grolsen,  wenn  sie  auch 
eigentlich  in  ein  Geschichtsbuch,  zumal  für  diese  Stufe»  nicht 
gehören,  gefallen  lassen').  Aber  fA^dsp  ayavl  Denn  wenn  wir 
z.  B.  unter  der  Überschrift  „Torgau'*  die  Geschichte  von  dem 
geflickten  Stiefel  {\  Seile),  unter  der  Überschrift  „das  Lager  von 
Bunzelwitz''  die  Geschichtchen  von  dem  „Liebiingswindspiel  Biche'\ 
von  dem  Grenadier  und  seinen  Mehlklöfsen,  von  dem  erschreckten 
Fandur   („Du,   Du!'')    und    dem  verblüiTlen  Husaren  („Husar,  Du 


^)  Da  das  Bach  eijj^eDtiich  io  zwei  gesooderte  Hefte  zerfallt,  so  bezeichoe 
die  Förnische  Zahl  kurz  das  Heft,  die  arabische  die  Seite. 

^)  Gerade  für  die  Charakterisiernogr  Friedrich  Wilhelms  I.  eigoeo  sie 
sich  besonders  gut  („Guteo  Morgen,  Herr  Thorschreiber"  \\  47;  vgl.  aocb 
Joseph  li.  uud  der  Amtmao d  11  67). 


tD^ez.  von  F.  Ohly.  711 

hast  ja  kein  Pulver  auf  der  Pfanne  !^^)  hören,  wenn  die  Erzählung 
von  dem  gefangenen  schwarzen  Husaren,  die  wir  in  jedem  Lese- 
buche 6nden,  mehr  als  j  Seite  einnimmt,  so  geht  das  doch  über 
den  Spa/s.  Aber  man  hat  bei  dem  ganzen  Buche  von  Anfang 
bis  zu  Ende  unwillkürlich  den  Eindruck,  als  suche  der  Verf. 
geradezu  nach  solchen  Anekdoten,  mit  besonderer  Vorliebe  nach 
weniger  bekannten.  Wo  nur  irgendwie  eine  Gelegenheit  sich 
bietet,  wird  alsbald  so  ein  Histörchen  eingeflochten.  Die  Gewissens- 
bisse Theodorich  des  Grofsen  über  die  Hinrichtung  des  Boethius 
und  Symmachus,  sein  Entsetzen  über  „den  grofsen  Fisch  mit  auf- 
gesperrtem Rachen  auf  seiner  AbendtafeP'  nehmen  mehr  Raum 
ein,  als  die  Schilderung  seiner  Regenlenthätigkeit!  Bei  dem  Unter- 
gang des  Vandalenreiches  wird  natürlich  mit  Behagen  die  Gelimer- 
Gescbichte  („Harfe,  Schwamm,  Brot*')  berichtet  und  an  die  Be- 
siegang  der  Ostgoten  gar  „die  Einführung  des  Seidenbaues  in 
Europa"  ganz  unvermittelt  angeschlossen!  Statt  Narses*  Gestalt 
und  Persönlichkeit  zu  schildern,  berichtet  der  Verf.  lieber  Ton  „dem 
schimpflichen  Brief  und  dem  Spinnrocken'*,  den  Sophia  an  jenen 
schickt.  Bei  Muhammeds  Flucht  wird  die  Sage  von  dem  Spinngewebe 
und  dem  „Taubennest  mit  zwei  Eiern**,  bei  seinem  Ende  die  Geschichte 
von  den  „drei  Dirhems*'  getreulich  registriert.  Die  Anekdote  von 
der  „Kraft  Pipins*'  nimmt  |  Seite  ein,  des  Bonifacius  Härtyrertod 
noch  mehr,  und  der  Verf.  kann  es  sich  nicht  versagen,  auch  noch 
die  Enttäuschung  der  Heiden  beim  Erbrechen  der  Bücherkisten 
zu  schildern  (i  34).  Die  13  Zeilen  über  Karl  des  Grofsen  Schul- 
visitation sind  um  so  überflüssiger,  als  jeder  Schüler  das  den 
Gegenstand  behandelnde  Gedicht  kennt,  meist  sogar  auswendig 
lernt.  Dasselbe  gilt  von  den  Abschnitten  König  Enzios  Gefangen- 
schaft^), „Rudolf  und  der  Priester**  I  68,  die  Martinswand  (über 
I  Seite!)  177.  Derfl'linger  (|  Seite)  H  38,  „der  Müller  in  Sans- 
souci** U  62  u.  a.  Dafs  in  einem  solchen  Buche  die  „Sage**  (!) 
von  dem  Ei  des  Columbus  dem  Schüler  noch  in  10  Zeilen  aus- 
einandergesetzt wird,  sollte  man  auch  nicht  für  möglich  halten. 
Als  wegen  der  Auswahl  des  Dargebotenen  besonders  charakteristisch 
seien  aus  der  grofsen  Fülle  nur  noch  erwähnt:  U  7/8  Lucas 
Cranach  und  Kaiser  Karl  V.  H  Seite),  die  „sonderliche  Geschichte** 
von  dem  Tabak  rauchenden  Mohren  des  grofsen  Kurfürsten  und 
dem  „ehrlichen  Landmann**  („Ne,  gnädiger  Herr  Düwel,  ick  freete 
keen  Füer**).  Je  näher  aber  die  Darstellung  der  neueren  und 
neuesten  Zeit  rückt,  um  so  weniger  wird  man  solches  Beiwerk 
für  diese  Stufe  passend  flnden,  ja  man  kann  geradezu  sagen,  dafs 
all  die  zahlreichen  Anekdoten  und  Charakterzüge,  die  von  den 
Herrschergestalten  der  Hohenzollern  vo.m  grofsen  Kurfürsten  ab 
handeln,    vielmehr    der    Sexta   zuzuweisen    sind,    wo    es 


')  Selbst  sein  niirslangener  Flachtversach  in  einem  WeinftPs,  bei  dem 
„eine  heraashaogeode  blonde  Haarlocke  ihn  verriet'^,  fehlt  nicht. 


712     C.  A.  Kräger,  Gesch.  Deal«  ch  I.V.  d.  älteren  Zeit  b.  E.  Gegen  w., 

nach  den  neuen  Lehrplänen  gilt,  die  Persönlichkeiten  „dem 
Herzen  und  der  Phantasie  des  Knaben  nahe  zu  bringen,  seinen 
Gedankenkreis  damit  zu  füllen  und  den  ersten  konkreten  Grund 
für  eine  geschichtliche  Betrachtung  zu  le^en''.  Aber  die  Lehrpläne 
wollen  gerade  hier  „lebenswarme  Schilderung  der  Torgeföhrten 
Helden  in  freier  Erzähhing  ohne  Anschlufs  an  ein  Buch'' 
und  weisen  eben  für  solche  Zuge  auf  das  deutsche  Lesebuch 
hin,  das  in  engstem  Zusammenhange  mit  den  biographischen  Auf- 
gaben stehen  solle.  Also  aus  seinem  Lesebuch  oder  auch  aus 
dem  Munde  des  Lehrers,  der  gern  so  kleine  Zuge  in  seinen  Vor- 
trag einflechten  mag,  soll  der  Sextaner  solche  Geschichtchen, 
wie  die  folgenden,  vernehmen  ^):  die  Erzählung  des  Kammerdieners 
Heise  von  den  letzten  Stunden  Friedrichs  des  Grofsen,  die  Ge- 
schichtchen aus  Friedrich  Wilhelms  HI.  Jugend  (spielt  Ball  im 
Zimmer  Friedrichs  des  Grofsen  [7  Zeilen]  —  seine  Aufrichtigkeit), 
von  dem  „dankbaren  Gemüt''  und  der  ,, Versöhnlichkeit"  dieses 
Herrschers  II  57  (über  i  Seite),  von  Friedrich  Wilhelms  IV.  Haltung; 
in  der  Schlacht  bei  Grofsgörschen,  seinem  Besuch  in  der  Dorf- 
schule („der  König  gehört  ins  Himmelreich"),  seinem  Verhällni;! 
zu  seinem  Bruder  Wilhelm  (der  Stock  mit  dem  in  Elfenbein  ge- 
schnitzten Kopf  —  „Was  das  für  eine  Freude  ist,  dafs  ich  mich 
so  auf  meinen  Bruder  stützen  kann"),  von  der  Prophezeihung  des 
Schäfers  aus  Schlesien  (II  105),  von  dem  Prinzen  Wilhelm,  der 
bei  Durlach  mit  einem  Soldaten  ein  Stück  trockenes  Brot  teilt 
(11  108),  „der  König  (Wilhelm  1.)  bei  den  Verwundeten"  während 
der  Belagerung  von  Paris  S.  120,  die  Züge  aus  dem  Leben  Kaiser 
Friedrichs  („der  Kronprinz  und  Graf  von  Wimpfen"  S.  1 1 2,  „Feindes- 
liebe des  Kronprinzen",  „der  Kronprinz  und  der  bayrische  Soldat*' 
S.  1 16/7,  „der  Kronprinz  überschaut  am  2.  September  das  Schlacht- 
feld" S.  119)  u.a.  Zumal  aber  in  der  neuesten  Zeit  seit 
1871  sind  die  Lebensbilder,  die  der  Verf.  statt  fortlaufender 
Geschichtsdarstellung  bietet,  in  einem  für  den  Untersekundaner 
bestimmten  Buche  durchaus  ungeeignet,  höchstens  dem 
Lehrer  der  Sexta  als  ünterhaltungsstoff  willkommen: 
§  95  die  Kaiserin  Augusta^),  §  96  Bismarck,  §  97  Moltke,  §  98 
Roon,  §99  Kaiser  Friedrich  HL"),  §  100  Die  Kaiserin  Friedrich, 
§  101  Kaiser  Wilhelm  II.»),  §  102  Wie  Kaiser  Wilhelm  H.  für  die 


^)  Eine  ganze  Reihe  derselbeo  hat  der  bekannte  Pnlaek  in  seinem 
„Da8  erste  Geschichtsbach''  betitelten  und  in  dieser  Zeitschr.  XLVII  S.  170lf. 
vom  Ref.  besprochenen  Werkchen  vortrelfJich  benutzt. 

>)  Wunderbarerweise  hat  der  Verf.  in  diesen  Abschnitt  den  Bericht 
über  das  Lebensende  Kaiser  Wilhelms  I.  eingefügt,  das  nach  dem  Cha- 
rakter des  Baches  doch  wohl  auf  einen  besonderen  Abschnitt  Ansprach  ge- 
habt hätte. 

*)  Die  Überschriften  der  Unterabschnitte  gerade  dieser  beiden  Stücke 
lassen  den  besten  Schlafs  auf  den  Ton  der  Darstellung  zu:  „Jogendzeit.  Ver- 
mählung. Auf  dem  Ruhmeswege.  Friedrichs  Friedensliebe.  Friedrieh  als 
Kioderfreund.  Erntefest,  Weihuachtsfest.   Kronprinz  und  Fähnrich.    Friedrieh 


ang^es.  von  F.  Ohly.  713 

Arbeiter  sorgt  ^),  §  103  Die  Kaiserin  Auguste  Victoria.  Wer  diesen 
Teil  des  Buches  liest,  wird  zweifelsohne  der  Ansicht  zuneigen, 
dafs  die  Darstellung  för  die  Sexta  berechnet  ist.  Er  wird  in 
dieser  Ansicht  bestärkt  werden,  wenn  er  die  zahlreichen  Sagen 
findet,  die  dem  Buche  einverleibt  sind,  von  denen  hier  aufser  den 
schon  gelegentlich  angezogenen  nur  erwähnt  sein  mögen:  Alboin 
lind  Rosamunde  I  26,  der  eiserne  Karl  (über  j  Seite)  I  40,  der 
sterbende  Roland  l  38,  der  Sänger  Blondel  I  56,  Elisabeths  Rosen 
I  58,  der  Sängerkrieg  auf  der  Wartburg  (|  Seite)  I  64.  Natürlich 
ist  auch  der  Heldensage  Aufnahme  verstattet  sie  umfafst  in 
§  17  und  18  (Nibelungenlied  —  Gudrun)  5  Seiten,  die  in  ihrem 
ganzen  Umfange  ebenfalls  dem  deutschen  Lesebuche  zuzuweisen 
sind.  Aber  während  dies  alles,  wie  gesagt,  für  die  Unterstufe 
pafst,  finden  wir  dagegen  so  mancherlei,  das  ein  höheres  Alter 
und  gereiftere  Fassungsgabe  bei  dem  Leser  bezw.  Schuler  voraus- 
setzt. Dahin  gehört  vor  allem  die  ausführliche  Behandlung  der 
germanischen  Mythologie  I  S.  4  —  13.  Wie  hier  der  Verf. 
ins  Einzelne  geht,  zeigt  nicht  nur  der  Bericht  über  die  ältere  und 
jüngere  Edda,  über  die  erste  und  zweite  Schöpfung,  sondern  auch 
Namen  wie  Audhumbia,  Urd,  Werdandi,  Skuld,  Hermut,  Aschanes 
(I  Seite)  u.  a.  Aber  auch  sonst  geht  vieles  über  die  Grenzen  eines 
solchen  Buches  hinaus.  Der  Codex  argenteus  des  Ulfila  mag  er- 
wähnt werden,  doch  sind  13  Zeilen  zu  viel,  und  die  Deutung  der 
„Stelle  im  Jesaias"  auf  die  kriegslustigen  Westgoten  ist  mindestens 
entbehrlich.  Oberflüssig  ist  ferner  die  Nennung  des  Hunnen- 
forsten  Balamir,  die  Erwähnung  des  Sachsen-  und  Schwaben- 
spiegels („der  Edelmann  Repgow'')  in  15  Zeilen,  des  Plavio  Gioja 
als  Erfinders  des  Kompafs  (I  78),  des  Lorenz  Kosta  neben  Guten- 
berg, des  Spaniers  Servetus  (II  6),  des  Schweizers  Le  Fort  als 
I^fhrmeisters  Peter  des  Grofsen  u.a.m.  Kunst  und  Wissen- 
schaft sind  überall  meist  gebührend  berücksichtigt,  aber  bisweilen 
wird  auch  hier  dem  Schüler  eine  Überfälle  von  Namen  aufgebürdet. 
Zumal  §  74,  der  „die  Wohlfahrt  des  Landes  unter  Friedrich  Wil- 
helm IV.^*  behandelt,  leidet  an  diesem  Fehler.  Denn  neben  be- 
kannteren, auch  dem  Schüler  gewifs  nicht  vorzuenthaltenden 
Meistern  und  Werken  finden  wir  hier  z.  B.  „die  Herstellung  der 
Schlofskapelle  durch  Stüler  und  Scbadow",  Cornelius,  Drake, 
Calandrelli  —  Bopp  und  Pott,  als  Begründer  der  vergleichenden 
Sprachforschung,    „den    Physiker    Heimholtz,    den    Erfinder    des 

als  Preuod  der  Wisseoscbaft,  der  Kunst  sowie  der  Schale.  Friedrich  als 
Freood  der  Armeo.  Friedrich  als  Freuud  des  Volkes.  Auf  dem  Thron. 
Friedrichs  £nde'S  —  „Jugendzeit.  Auf  dem  Gymnasium.  Eintritt  ins  Re- 
ßimeot.  Als  Student.  Das  eig^ene  Heim.  Wilhelm  als  Kinderfreund.  Als 
Vorgesetzter.  Thronbesteigung.  EröfiTnung  des  Reichstags.  Reisen.  Ge- 
rechtigkeit". 

')  Dieser  Abschnitt  ist  der  gelungenste  uod  giebt  das  Wichtigste  über 
das  Invaliditäts-  und  Altersversichernogsgesetz  und  das  Ge- 
werbeordnungsgesetz. 


714     C.  A.  Krüger,  Gesch.  Deutsch  I.V.  d.  alte  reo  Zeit  b.z.  Gegen  w., 

Augenspiegels,  den  Augenarzt  Gräfe'*  —  „die  Schule  Thaers"  u.  a. 
Auch  wenn  der  Verf.  dieses  alles  streichen  wollte,  würde  wahrlich 
noch  genug  und  übergenug  des  Guten  übrig  bleiben.  Das  hier 
Gebotene^)  setzt  ein  Mafs  von  Kenntnissen  voraus,  das  wir  nicht 
einmal  von  einem  Primaner,  geschweige  denn  von  einem  Sekun- 
daner erwarten  können. 

Dagegen  fehlt  so  manches,  was  dem  Ref.  in  einem  Lehr- 
buch der  Geschichte  unentbehrlich  dünkt.  So  sind  z.  B.  die  Namen 
der  deutschen  Kaiser  in  der  dem  Buche  angehängten  Zeittafel 
zwar  sämtlich  genannt,  im  Text  aber  fehlen  viele  entweder  völlig 
oder  sind  nur  ganz  nebenher  erwähnt.  Karl  (der  Dicke),  Albrecht  II., 
Friedrich  III.  werden  gar  nicht,  Konrad  I.  wird  nur  als  Heinrichs  I. 
Vorgänger,  Heinrich  V.  nur  bei  Heinrichs  IV.  Ende,  Lothar  der 
Sachse  nur  unter  Konrad  III..  Konrad  IV.  nur  unter  Konradin, 
Adolf  von  Nassau  nur  unter  Albrecht  I.  genannt,  und  von  letz- 
terem wird  eigentlich  auch  nur  seine  Ermordung  erzählt.  Und 
doch  ist  daran  festzuhalten,  dafs  die  Regierungszeiten  der  Kaiser, 
mögen  ihre  Persönlichkeiten  und  Thaten  an  sich  auch  noch  so 
unbedeutend  sein,  doch  dem  Gedächtnis  der  Schüler  einzuprägen 
sind  als  ein  Rahmen,  in  den  alle  Ereignisse  leicht  eingereiht 
werden,  wodurch  dann  der  so  leicht  drohenden  Konfusion  vor- 
gebeugt wird.  Aber  auch  sonst  vermissen  wir  oft  hochbedeut- 
same Ereignisse,  oder  sie  sind  in  ganz  unangemessener  Kürze  be- 
handelt. Die  Schlacht  bei  Legnago  z.  B.  hält  der  Verf.  nicht 
einmal  der  Erwähnung  wert,  während  er  dagegen  die  vorauf- 
gehende, vielfach  bezweifelte  Erzählung  von  Friedrichs  Demütigung 
vor  Heinrich  dem  Löwen  ausfuhrlich  mitteilt.  Die  Schlachten  des 
ersten  und  mehr  noch  die  des  zweiten  schlesischen  Krieges  sind 
mit  auffallender  Kürze  behandelt,  selbst  die  Heldenthaten  der 
Bayreuth-Dragoner  bei  Hohenfriedberg  läfst  sich  der  Verf.  trotz 
seiner  sonstigen  Vorliebe  für  Detailmalerei  entgehen.  Die  Erwer- 
bung von  Cleve,  Mark  und  Ravensberg  wird  II  34  zwar  erwähnt, 
jedoch  nichts  von  dem  Jülich -cleveschen  Erbfolgestreit.  „Der 
Untergang  der  republikanischen  Heere''  1870  in  Frankreich  wird 
II  121  mit  ganzen  7  Zeilen  (nur  Amiens,  Orleans,  Le  Mans,  Bei- 
fort, St.  Quentin  werden  zusammenhangslos  genannt)  abgemacht. 
Die  Attentate  auf  Kaiser  Wilhelm  werden  S.  127  nur  ganz  ober- 
flächlich angedeutet  (kein  Name,  kein  Datum!),  um  die  Entstehung 
der  „Wilhelmsspende''  zu  erklären,  obschon  doch  gerade  diese 
verbrecherischen  Anschläge,  indem  sie  plötzlich  grell  die  sittlichen 
Zustände  eines  Teiles  des  deutschen  Volkes  beleuchteten,  den  Staat 
zwangen,    den  Ursachen   solcher .  sittlichen  Verwilderung   nachzu- 


^)  Auch  sonst  bieteo  die  eiDgefü^eo  Kalturbilder  eine  für  diese  Stufe 
überreiche  Menge  von  Einzelheiten,  z.  B.  11  10:  Adam  Kraft  (7  Stationen), 
Peter  Vischer  (Sebaldns-Grab),  Hans  Holbein  der  Ältere  in  Augsburg  „als 
Maler  (Anbetung  der  Könige),  Holzschneider  (die  4  apokalyptischen  Reiter) 
und  Kupferstecher  (Ritter,  Tod  und  Teufel)'*  u.  a. 


aag;ez.  von  F.  Ohly.  715 

spuren,  und  damit  den  ersten  Anstofs  gaben  zu  dem  Erlafs  der 
Versicherungsgesetze.  Alles  dies  steht  in  einem  merkwürdigen 
Mifsverhältnis  zu  der  Ausführlichkeit,  mit  welcher  der  Verf.  aufser- 
deutsche  Verhältnisse  behandelt,  während  doch  die  neuen 
Lehrpläne  hier  ausdrucklich  die  Direktive  geben,  dafs  sie  nur 
soweit  heranzuziehen  seien,  „als  sie  für  die  deutsche  und  die 
brandenburgisch-preufsische  Geschichte  notwendig  ist''.  Hier  aber 
finden  wir  I  45  z.  B.  unter  der  Überschrift  „Otto  III.'*  die  Herr- 
scherhäuser Frankreichs  mit  sämtlichen  Nebenlinien  unter  Angabe 
der  Jahreszahlen  bis  1848.  Von  der  weiteren  französischen,  von 
der  englischen  und  spanischen  Geschichte  wird  nur  je  ein  Lebens- 
bild König  Heinrichs  IV.,  der  Königin  Elisabeth,  Philipps  H.  ge- 
boten,  abgerissene  Stucke,  die  nicht  einmal  organisch  in  die  Dar- 
stellung eingereiht  sind.  ISalörlich  aber  bieten  auch  sie  wieder 
dem  Verf.  Anlals,  alle  möglichen  Einzelheiten  behaglich  aufzu- 
tischen, z.  B.  von  Heinrich  IV.,  der  seinen  Knaben  auf  seinem 
Rücken  reiten  läfst,  von  Heinrichs  VIII.  sechs  Frauen,  von  Maria 
Stuart  (i  Seite!),  vom  „Blutrat*'  beim  Abfall  der  Niederlande  u.a.m. ' 

Auch  an  sachlichen  Unrichtigkeiten  fehlt  es  nicht. 
Falsch  schreibt  der  Verf.  Höder  (I  9),  Dnepr  (II  28),  Caslau  (II  53), 
llohenfriedeberg  (II  54).  Von  Varus  wird  I  15  gesagt,  dafs  er 
sich  auf  einem  Kriegszuge  befand,  was  doch  mindestens  zu  Mifs- 
Verständnissen  führt,  von  Totila  (127),  dafs  „er,  wie  ein  zweiter 
Leonidas,  mit  allen  seinen  Goten  fiel'',  was  eine  Verwechslung  mit 
König  Teja  ist.  Von  Kaiser  Heinrich  IL  wird  der  alte,  oft  wider- 
legte Irrtum  aufgewärmt,  dafs  er  „sich  ganz  von  seiner  Gemahlin 
Kunigunde  habe  beherrschen  lassen",  Kaiser  Heinrich  IV.  wird  ein- 
fach kurzweg  als  „treulos  und  unedel"  bezeichnet,  Maximilian 
ohne  Einschränkung  „ein  ausgezeichneter  Regent"  genannt.  Verf. 
sollte  sich,  ehe  er  solche  Urteile  vom  Stapel  läfst,  doch  lieber  erst 
etwas  gewissenhafter  vom  Stande  neuerer  Forschung  überzeugen. 
Dafs  in  der  Zeittafel  Friedrich  IV.  (statt  III.)  steht,  ist  wohl  nur 
ein  Druckfehler,  da  doch  Friedrich  der  Schöne  von  Österreich 
gewöhnlich  nicht  gerechnet  und  auch  vom  Verf.  nicht  als  III.  be- 
zeichnet ist. 

Besonderes  Gewicht  hat  der  Verf.  auf  die  Charakteristik  her- 
vorragender deutscher  Frauen  gelegt,  er  sagt  in  seinem  Vorwort: 
„Auch  die  ruhmgekrönten  Frauengestalten,  welche  in  der 
Geschichte  einen  grofsen  Einflufs  ausübten  (sie!)  und  sich  durch 
häusliche  Tugenden,  Opfersinn  und  Werke  der  Samariter  liebe  aus- 
zeichneten, sind  hervorgehoben,  damit  unsere  heranwachsenden 
Töchter  (!)  sich  an  den  Vorbildern  weiblicher  Tugend  emporranken, 
das  männliche  Geschlecht  aber  vor  der  erhabenen  Frauengröfse 
Achtung  und  Ehrerbietung  gewinne".  So  recht  klar  scheint  sich 
der  Verf.  über  diesen  Grundsatz  und  seine  Ausführung  doch  wohl 
nicht  geworden  zu  sein,  denn  „ruhmgekrönle  Frauen"  —  der  Aus- 
druck ist  wenig  glücklich  gewählt  — ,  die  in  der  Geschichte  einen 


716     C-  A.  Kräg^er,  Gesch.  Deutschi.  b.  z.  Gefl^enw.,  agz.  v.  F.Ohly. 

grofsen  Einflufs  ausublen,  sind  in  der  Regel  als  Vorbilder  in  sitl- 
licher  Beziehung  nicht  aufzustellen,  und  sehr  selten  sind  „häus- 
liche Tugenden''  mit  politischem  Einflufs  und  historisch-bedeutender 
l^ersönlichkeit  vereinigt  Offenbar  aber  hat  auch  der  Verf.  nur 
die  echten  Weiblichkeiten  im  Auge,  wie  sie  zum  Gluck  gerade 
unsere  deutsche  Geschichte  in  grofser  Zahl  aufzuweisen  hat,  Weib- 
lichkeiten, die  in  richtiger  Erkenntnis  des  ihnen  zukommenden 
Wirkungskreises  des  Eingreifens  in  den  Gang  der  hohen  Politik 
oder  womöglich  gar  der  Ränke  und  Intriguen  sich  enthalten.  Und 
wer  wollte  verkennen,  daPs  Gestalten  wie  die  der  Kurfurstin  Luise 
Henriette  von  Oranien,  der  unvergefslichen  Königin  Luise  und  der 
Kaiserin  Augusta  auch  in  einem  Lehrbuch  der  Geschichte  eine 
eingehende  Würdigung  verdienen?  Der  Verf.  verflicht  aber  nicht 
etwa  ihre  Charakteristik  in  seine  Darstellung,  sondern  widmet  fast 
sämtlichen  hervorragenden  Frauengestalten  gesonderte  Lebens- 
bilder, und  da  ist  es  denn  kein  Wunder,  wenn  in  Ermangelung 
^wirklichen  historischen  Stoffes  allerhand  Anekdoten  und  Gespräche^) 
herangezogen  werden,  so  z.  B.  bei  Editha,  der  ersten  Gemahlin 
Ottos  I.  (von  dem  verschenkten  Ärmel  —  die  Sage  von  der  Hirsch- 
kuh an  Edithas  Thür),  Gertrud  (Anna),  der  Gemahlin  Rudolfs  von 
Habsburg  (die  Weissagung  der  Klausnerin),  bei  der  Königin  Sophie 
Charlotte  der  Text  zu  der  Leichenpredigt,  den  sie  selbst  er- 
wählt, u.  a.  Manchmal  ist  der  Verf.  offenbar  in  Verlegenheit  ge- 
wesen, was  er  eigentlich  Bemerkenswertes  schreiben  sollte,  denn 
sonst  wurde  er  wohl  schwerlich  „den  Wunsch  der  Königin  Sophie 
Dorothea,  dafs  ihre  Tochter  Wilhelmine  mit  dem  Sohne  ihres 
Bruders,  dem  Herzog  von  Glocester,  und  ihr  Sohn  Friedrich  mit 
der  Prinzessin  A malle  von  England  vermählt  werden  sollte",  gerade 
zur  Charakteristik  ihrer  Persönlichkeit  heranziehen.  In  der  Jugend- 
geschichte Friedrichs  des  Grofsen  mochte  dieses  Vermählungsprojekt 
seine  Stelle  finden,  hier  erscheint  es  um  so  mehr  als  Verlegenheits- 
produkt, als  es  genau  die  Hälfte  des  der  Königin  gewidmeten  Ab- 
schnittes einnimmt.  Ebenso  finden  wir  mit  Erstaunen  einen 
kleinen  Abschnitt  über  Friederike  Luise,  die  zweite  Geftiahlin 
Friedrich  Wilhelms  U.,  die  Mutter  Friedrich  Wilhelms  UL,  und 
müssen  als  bemerkenswert  vernehmen,  dafs  sie  „nach  dem  Tode 
des  Königs  zur  Sommerszeit  in  dem  schönen  Freienwalde  lebte", 
dafs  „es  von  ihren  Enkeln  der  nachmalige  König  Friedrich  Wil- 
helm IV.  war,  der  hier  gern  bei  der  Grofsmutter  weilte".  Bei 
dem  Lebensbilde  der  Königin  Elisabeth  werden  gar  2  ganze  Seiten 
mit  allen  möglichen  Details  und  Anekdoten  angefüllt:  wir  hören 
von  der  famosen  Inschrift,  die  „in  einem  kleinen,  wiesenreichen  Ort" 


^)  Mit  besonderer  Vorliebe  erwähnt  der  Verf.,  wie  bei  den  Hobenzollero- 
fiirsteD  die  Wahlsprüche  und  ihre  letzten  Worte,  so  auch  bei  den  Hohen- 
zollernfraueo  die  Aasspräche  auf  dem  Sterbebette;  so  handelt  z.B.  selbst  bei 
dem  Lebensbild  der  Königin  Luise  die  ganze  zweite  Hälfte  von  Lutseos 
Ende  und  dem  Mausoleum. 


Daniel,  Deatscfal.  u.s.  phys.  a.  polit.  Verhälta.,asz.  y.  OehlmaDO.     717 

(las  Köiiigspaar  mil  der  „eigenartigen  Begrüfsung"'  bewillkummnete: 
„Wie  diese  grüne  Wiese,  so  blüh'  Dein  Glück,  Elise!'',  wie  die 
Königin  ihren  Gemahl  zu  behandeln  weifs  („Nun  mach'  doch, 
Alterchen!*'  —  „Ich  suche  den  König  und  finde  den  Kronprinzen''), 
wie  sie  in  der  Erwerbsschule  die  strickenden,  stopfenden,  Dickenden 
Kinder  ermuntert  und  lobt,  die  Stickereien  der  übrigen  Kinder 
aber  nicht  beachtet  u.  a.  m.  Es  mag  das  alles  ja  ganz  schön  und 
amüsant  zu  lesen  sein,  auch  bildend  und  anregend  wirken,  aber 
in  eine  Geschichtsdarstellung  gehört  das  doch  nimmermehr.  Von 
den  nichtfurstlichen  Frauenges lalten  mögen  ebenso  eine  Eleonore 
Prohaska,  eine  Ferdinande  von  Schmettau  Erwähnung  linden,  doch 
in  dieser  Ausführlichkeit  nur  in  einem  Lese  buche,  —  während 
Johanne  Maria  Fichte  und  Auguste  Klein  doch  sicher  entbehrlich 
sind.  Der  Verf.  beweist  eben  auch  durch  die  Behandlung  dieses 
Stoffes,  dafs  er  die  richtige  Grenze  zwischen  einem  vater- 
ländischen Lesebuch  und  einem  Lehrbuch  der  Ge- 
schichte nicht  zu  ziehen  und  innezuhalten  vermag, 
wie  denn  überhaupt  die  oben  citierte  Stelle  seines  Vorworts  das 
Buchlein  eher  als  Lesebuch  für  die  Oberstufe  einer  Elementar- 
schule —  und  zu  dem  Zweck  ist  es  in  vielen  Partieen  wieder  zu 
hoch  gehalten  —  als  für  eine  höhere  Lehranstalt  geeignet  er- 
scheinen läfst.  Der  Umstand  aber,  daDs  es  aufserdem  noch  für 
„die  heranwachsenden  Töchter'  bestimmt  wird,  dient  nur  noch 
mehr  dazu,  den  einheitlichen  Charakter  als  Lehrbuch  völlig  zu 
verwischen. 

Ref.  kann  deshalb  das  Bedauern  nicht  unterdrücken,  dafs  der 
Verf.  sich  nicht  damit  begnügt  hat,  Lebens-  und  Geschichtsbilder 
zu  schaffen,  zu  deren  Darstellung  eine  naturliche  Anlage  und  ein 
anerkennenswertes  Erzählertalent  ihn  wohl  befähigt  Diese 
„Geschichte  Deutschlands  nach  den  neuen  preufsischen 
Lehrplänen"  kann  in  der  vorliegenden  Gestall  weder  nach  Aus- 
wahl des  Stoffes,  noch  nach  dem  Ton  der  Darstellung  als  brauch- 
bares Lehrbuch  bezeichnet,  kann  deshalb  auch  zur  Einführung 
nicht  empfohlen  werden. 

Hamm  (Westfalen).  F.  Ohly. 


])  H.  A.  Daniel,  Deutschland  nach  seioeo  physischen  und  politischen  Ver- 
hältnissen. 6.,  vielfach  verbesserte  Auflage.  Meu  bearbeitet  von 
B.  Volz.  1.  Band.  Physische  Geographie.  (Alpen,  Dentsches 
Reich,  Deutsch- Österreich.)  Leipzig  1894,  0.  R.  Reisland.  VI  und 
541  S.  8,  6  M. 

Daniels  Buch,  dem  eine  Zielbestimmung  äufserlich  nicht  bei- 
gefügt ist,  denn  es  gehört  zu  den  wenigen,  denen  eine  Vorrede 
fehlt,  will,  seinem  Inhalte  nach  zu  schliefsen,  einem  gebildeten 
Leserkreise  eine  im  höheren  Sinne  gemeinverständliche  Be- 
schreibung Deutschlands  bieten.  Was  hier  unter  dem  Be- 
griffe „Deutschland*'  verstanden  wird,  ist  im  Titel  gesagt.    Es  ist 


7l8     H.  A.  Daoiel,  DeotschUad  d.  s.  phys.  a.  polit  Verhtltnisseo, 

durch  Einbeziehung  der  gesamten  Alpen  mehr,  als  gemeiniglich 
darunter  vereinigt  wird;  die  Titelangabc  für  den  I.  Band  ist  aber 
auch  nicht  ganz  genau,  denn  die  sonst  gewöhnlich  einbezogenen 
Niederlande  und  Dänemark  werden  hier  ebenfalls  durchwandert. 
Das  Werk  wird  denen  gefallen,  denen  die  betr.  Bände  der  Kirch- 
hoflschen  Sammlung  „Unser  Wissen  von  der  Erde"  zu  hohe  An- 
sprüche an  ihre  Kenntnisse  in  den  Lehren  der  physischen  Geo- 
graphie, namentlich  in  der  (icologie  und  Meteorologie  stellen,  oder 
die  sich  mit  der  dort  gewählten,  wenn  auch  wissenschaftlich  ge- 
rechtfertigten Einteilung  des  deutschen  Bodens  und  der  Zusammen- 
fassung der  physischen  mit  einem  Teile  der  politischen  Geogra- 
phie nicht  zu  befreunden  vermögen.  Fn  D/s  Buche  werden  diese 
beiden  Stöcke  streng  gesondert,  denn  der  nächste  Band  soll  die 
politische  Geographie  für  sich  allein  bringen.  Auch  der  Lehrer, 
der  nach  den  neuen  Lehrplänen  Deutschland  viel  eingehender  zu 
behandeln  hat  als  bisher,  wird  keinen  Fehlgriff  thun ,  wenn  er 
sich  hier  über  die  Einzelheiten  der  Bodengestalt  und  der  Gewässer 
Rat  sucht. 

Der  erste,  allgemeine  Teil,  ,,Oberschau  über  Land  und  Leute'', 
umfafst  das  I.  Kapitel  von  93  Seiten,  6  weitere  Kapitel  behandeln 
die  Einzellandschaften,  und  dazu  kommen  27  Seiten  Register. 
Die  Darstellungsweise  ist  durchweg  die  beschreibende,  sie  be- 
handelt die  Entstehung  der  physischen  Erscheinungen  nur  zum 
kleineren  Teile  systematisch,  meist  nur  gelegentlich,  ohne  tiefer 
darauf  einzugehen,  und  hält  sich  namentlich  von  geologischer 
Entwicklung  der  Bodengeslalt  fern.  Dies  ist  begreiflich;  ein 
Mangel  aber  ist  es,  dafs  ein  gemeinverständlich  geschriebener  Ab- 
schnitt über  die  geologische  Geschichte  des  deutschen  Bodens 
fehlt.  Es  steht  zu  furchten,  dafs  ohne  einen  solchen  die  mannig- 
fach durch  den  Text  verstreuten  Bemerkungen  Ober  Gesteins- 
arten manchen  Lesern  unknackbare  Nüsse  bleiben  werden.  In 
die  Geschichte,  die  Siedelungskunde,  die  Sprachenlwicklung  greift 
die  Darstellung  sehr  weit  zurück,  hier  nirgends  mit  dem  Raum 
geizend  und  in  behaglicher  Breite  über  vielerlei  Gesichtspunkte 
sich  ergehend.  Dichterischem  Schwünge  wird  Spielraum  gelassen 
und  durch  häufige  Anführungen  aus  älteren  wie  neueren,  weniger 
aus  neuesten  Schriftstellern,  sodann  durch  Vergleiche  die  Be- 
schreibung belebt.  ,,Der  Miniatursee  hat  in  den  Rehburger  Bergen 
seinen  Monte  ßaldo,  in  dem  auf  künstlicher  Insel  liegenden  Wil- 
helmstein  sein  Peschiera,  in  dem  Meergraben  (mufs  heifsen  Meer- 
beke)  seinen  Mincio'*  (S.  482)  —  das  wird  denen,  die  je  auf  den 
altertümlichen  Kähnen  über  die  stille  Moorflut  des  Steinhuder 
Meeres  gesegelt  sind,  ein  Lächeln  ablocken,  aber  im  ganzen  ist 
doch  die  Schilderung  hübsch  und  belehrend.  Ja,  „Miniaturseeen"! 
Nun,  das  ist  ein  Fremdwort,  das  man  sich  noch  gefallen  lassen 
mag,  aber  warum  hat  nur  der  Herausgeber  so  viele  andere 
störende  nicht  ausgemerzt? 


aogez.  von  £.  Oehlmaon.  719 

Überhaupt  ist  gewifs  „vielfach  verbesseri'S  wie  der  Titel  sagt, 
manchem  Abschnitte  sieht  man  es  auch  an,  dafs  er  in  jüngster 
Zeit  umgearbeitet  ist,  aber  doch  möchte  man  wünschen,  dai's 
noch  öfter  Änderungen  vorgenommen,  namentlich  Veränderungen, 
welche  die  Neuzeit  an  den  vom  Menschen  zu  beeinflussenden 
Seiten  der  Landschaft  gezeitigt  hat,  und  dafs  Ergebnisse  neuer 
Einzelforschungen  mehr  berücksichtigt  wären.  Es  war  ja  wohl 
vom  Herausgeber  nicht  zu  erwarten,  dafs  er  sich  mit  solchen 
Einzelheiten  eines  derart  weiten  Gebietes  auch  nur  aus  ßücheru 
vertraut  machte,  aber  zweckdienlich  wäre  es  doch  wohl  gewesen, 
wenn  die  Einzellandschat'ten  Leuten,  die  mit  den  betr.  Land- 
strichen vertraut  sind,  zur  Durchsicht  auf  die  oben  berührten 
Veränderungen  hin  unterbreitet  worden  wären.  Man  sehe,  um 
etwas  herauszugreifen,  die  Halligen  auf  8.  5  if.  Trotz  Traegers 
durchaus  zuverlässiger  Schrift  über  diese  seltsamen  Eilande  steht 
ihre  Beschreibung  noch  ganz  auf  dem  Boden  Biernatzkys. 
Diesem  schrifistellernden  Pfarrer  ist  ja  die  Schilderung  der  grofsen 
Sturmflut  gewifs  vortrefl'lich  gelungen,  aber  in  seinen  andern 
Mitteilungen  über  die  Inseln  ist  er  mindestens  höchst  ungenau. 
Da  soll  es  auch  nach  Daniel  keinen  Fleck  Gartenland  geben 
für  ein  wenig  Gemüse,  keinen  einzigen  Strauch  mit  einer  er- 
quickenden Beere,  keinen  Baum  zu  einem  Ruheplatze  im  Schatten. 
Ich  habe  aber  dort  mehr  als  einen  Garten  mit  Gemüse  und 
Obststräuchem  durchschritten  und  bm  unter  viele  Bäume  dort 
getreten,  die  Schatten  spenden.  Natürlich  gedeihen  sie  nur 
im  Schutze  der  Gebäude.  Mit  Entrüstung  würde  es  jeder  Hallig- 
bewohner ablehnen,  dafs  er  sein  Trinkwasser  aus  demselben 
gräulichen  Wasserloche  holen  sollte,  das  sein  Vieh  tränkt.  Nun 
gar  der  unverwüstliche  Schiflfer,  der  nachts  bei  Sturm  über  eine 
Hallig  hinwegsegelt ,  und  den  Leuten  dabei  in  die  erleuchteten 
Fenster  guckt!  —  Die  Angaben  über  die  Luftwärme  auf  S.  34  f. 
entsprechen  bei  einigen  Städten  nicht  den  neuesten  Durchschnitts- 
berechnungen der  Wetterwarten.  —  Die  alte  Gliederung  der 
Alpen  in  drei  Hauptteile  von  Westen  nach  Osten  ist  beibehalten, 
obwohl  sie  wenig  brauchbar  und  erdgeschichtiich  wie  dem  Ge- 
birgsgepräge  nach  gegenüber  der  Zweiteilung  nicht  zu  halten  ist, 
welche  die  Scheidelinie  über  den  Pafs  des  Splügen  legt.  Auf  der 
Höhe  dieses  Passes  steht  nebenbei  bemerkt  kein  Hospiz  (S.  154), 
und  über  den  Lukmanier  führt  nicht  ein  Saumpfad,  sondern  eine 
Poststrafse.  —  Die  Maare  der  Eifel  (S.  364)  sind  nicht  infolge 
fies  Zusammenbrechens  unterirdischer  Hohlräume  entstanden, 
sondern  zweifellos  bis  auf  den  Laacher  See  mit  Wasser  gefüllte 
Krater.  —  Auffallen  müssen  die  Angaben  über  die  Erzerzeugung  des 
Oberharzes  auf  S.  414  mit  ,jährlich  etwa  80  000  Mark  Silber 
und  200  000  Zentnern  Eisenerz''.  Statt  der  erstem  Zahl  reicht 
selbst  jetzt  nach  dem  Preisstürze  des  Silbers  auch  die  zehnfache 
Doch  nicht  aus,  denn  der  Oberharz,  im  engsten  Sinne  genommen, 


720  ^'  Scholz,  Lehrbuch  der  Geographie, 

lieferte   aus   eigenen    Gruben  im   Durchschnilte   der   80er  Jahre 
gegen  14  000  kg  Feinsilber  jährlich.    Das  Eisenerz  aber  verdiente 
beim  eigentlichen  Oberharze  überhaupt  nicht  erwähnt  zu  werden, 
denn  es  verschwindet  durchaus  neben  den  ßlei-,  Silber-,  Kupfer- 
enen  und  der  Zinkblende.     Der  ganze  Harz  liefert  jährlich  etwa 
4  Millionen  Zentner  Eisenerz.    Dal's  die  Sachsen  auf  den  Brocken 
gestiegen    sein    sollen,    um  dem  Wotan    zu    opfern   und   Kriegs- 
gefangene zu  schlachten,  ist  nicht  haltbar.    Über  den  Königsberg 
füinen    auf  seinen    Gipfel    nicht    „zum    Pfade    zusammengelegte 
Steine'S  sondern  seit  zwei  Jahren  ein  höchst  bequemer  Weg.  — 
Üafs   der  Salzige  See  im  Mansfeldischen  bis  auf  einen  kleinen 
Rest    verschwunden    ist,    durfte   samt   den    auffallenden   Neben- 
Wirkungen   dieser  Erscheinung   in   einem  Buche  von  1894  nicht 
übergangen   werden.  —    Das  Alle   Land    (S.  486)    liegt    nicht 
zwischen  Schwinge  und  Este,  sondern  reicht  nocii  weit  über  den 
letztern  Flufs   hinaus   bis  nach  Harburg.  —  Die  Zahl   der  Heid- 
schnucken  in  der  Lüneburger  Heide  ist  S.  491    mit  600  000 
erheblich  zu   hoch  gegriffen,   und   der  höchste  Punkt  der  Heide 
mifst   nicht    130,    sondern    171  m.    —    Diese    so    angemerkten 
Stellen  sind,  ja  jede  einzelne  für  sich  genommen,  nicht  von  Be- 
deutung,   aber    immerhin    hätten  sie  berichtigt   werden   können. 
Der  Druck  ist  trefflich,  leider  mit  Ausnahme  der  Anmerkungen, 
deren  zierliches  Nonpareil  dem  Büchermenschen  Halt  gebietet« 

2)  A.  Scholz,  Lehrbuch  der  Geographie  und  Mitteilaogeo  über 
den  Welthandel  für  Handels-  und  Gewerbeschulen.  Fünfte 
umgearbeitete  Auflage.  Wien  und  Leipzig  1894,  W.  Brauiuüller. 
VUl  und  387  S.    8.    5  M. 

Nach  einer  kurzen  „Einleitung**  mit  den  Grundbegriffen  der 
mathematischen  und  der  physischen  Geographie  wendet  sich  das 
Lelirbuch  zu  einer  Übersicht  über  Erdteile,  Meer,  Klima  und 
Menschenwelt.  Es  folgen  261  Seiten  Länderkunde»  64  Seiten 
„Mitteilungen  über  die  wichtigsten  Produkte  und  Verkehrsanstalteu 
des  Welthandels**,  endlich  ein  Register.  Trotz  ihres  bedeutenden 
Umfanges  sind  diese  „Mitteilungen'*  über  die  Erzeugnisse  inhalt- 
lich auf  ein  ziemlich  enges  Gebiet  beschränkt,  so  zwar,  dafs  u.  a. 
Mutzhölzer,  die  mannigfache  Nutzung,  die  aufser  Fleisch  und  Wolle 
aus  dem  Tierreiche  gezogen  wird,  Kupfer,  Blei,  die  Salze,  die  Edel- 
metalle, aufser  Betracht  bleiben.  Mochte  der  Verfasser  für  diese 
Beschränkung  seine  Gründe  haben,  so  ist  es  doch  zu  bedauern, 
dafs  die  sehr  reichlichen  statistischen  Angaben  nicht  mehr  ver- 
arbeitet worden  sind.  Vielmehr  hätten  die  Tabellen,  die  lange 
Zahlenreihen  über  die  Entwicklung  der  Warenerzeugung  und  des 
Verkehrswesens  durch  viele  Jahre  hindurch  enthalten,  erheblich 
an  Nutzen  und  Lehrwert  gewonnen,  wenn  die  Angaben  auf  Durch- 
schnittswerte für  Jahrzehnte  berechnet  wären,  und  so  hätte  Raum 
geschallt  werden  können  für  die  Entwicklung  der  Lehren  aus  den 
nackten  Zahlen  der  Statistik   und  für  ihre  Nutzanwendung.     Die 


Ber.d.Centr.-Komiii.f.LaDdesk.v.Dentschl.,  a^z.v.E.Oehlmaon.   721 

Länderkunde  bietet  eine  grofse  Fülle  von  Belehrung  und  unter- 
scheidet sich,  ihrem  Zweck  entsprechend,  von  anderen  Lehrbüchern 
dadurch,  dafs  sie  überwiegend  auf  Warenerzeugung  und  Verkehrs- 
entwicklung Bedacht  nimmt  und  die  Bodengestalt  nur  nebenbei 
erwähnt.  Doch  warum  ist  der  Verfasser  hier  nur  so  sparsam  mit 
Zahlen  gewesen,  namentlich  mit  den  Einwohnerzahlen  der  Städte? 
In  ein  Lehrbuch  für  Handelsschulen  gehören  sie  doch  zweifellos 
hinein.  Unter  den  14  bei  den  Niederlanden  genannten  Städten 
weisen  nur  3  die  betreffenden  Zahlen  auf.  £s  will  sodann  scheinen, 
als  ob  es  praktischer  wäre,  die  Waren,  die  ein  Land  liefert,  nach 
ErzeugUDgs-,  Veredelungs-,  Fabrikations-  wie  Einfuhr-  und  Aus- 
fuhrort einzuordnen,  anstatt  bei  jedem  und  auch  bei  den  kleineren 
Orten,  die  in  dem  betreffenden  Lande  genannt  werden,  die  Thätig- 
keitszweige  seiner  Bewohner  zu  nennen.  Das  führt,  da  ver- 
gleichende Zahlen  anzugeben  offenbar  der  Raum  selten  gestattet, 
leicht  zu  Mifsgriffen  und  mufs  dazu  fuhren,  weil  dem  Verfasser 
bei  seiner  zumeist  aus  Büchern  gewonneneu  Kenntnis  die  richtige 
Wertschätzung  solcher  Einzelangaben  kaum  möglich  sein  kann. 
Da  prunkt  Emden  (S.  136)  mit  folgenden  Schätzen:  „wichtige 
Seestadt,  viele  Fabriken,  Schiffbau,  Seilerwaren,  Ölmühlen,  Härings- 
fischerei,  lebhafter  Seehandel,  Kabel  mit  England''.  Jeder  Kundige 
wird  zugeben,  dafs  von  alledem  nichts  in  einem  solchen  Buche 
nennenswert  ist  als  der  Häringsfang  und  dais  aufserdem  das 
Kabel  picht  blofs  nach  England,  sondern  auch  selbständig  nach 
Amerika  führt.  Im  ganzen  aber  hat  der  Verfasser  nach  guten 
Quellen  gearbeitet,  nur  nicht  gerade  nach  den  neuesten.  Die 
Entwicklung  der  einschlägigen  Gesichtspunkte  ist  ansprechend 
und  liest  sich  gut  bis  auf  die  Stellen,  wo  die  Fremdwörter  das 
Deutsche  verunstalten.  Z.  B.  S.  19:  „Europa  ist  die  groüse 
Station  für  das  zweite  Stadium  der  Völkerkulturen  ge- 
worden*'; durch  ihre  Anwendung  erhält  die  Sprache  an  mehreren 
anderen  Stellen  eine  schwierige  Wendung,  so  S.  159:  ,Jn  Bezug 
auf  geistige  Anlagen  und  deren  Ausbildung  herrscht  in  dem  dicht- 
bevölkerten Lande  ein  sehr  erfreulicher  Grad".  Die  Württem- 
berger sollen  die  Besitzer  dieses  erfreulichen  Fremdwortes  sein. 
Die  Aussprachebezeichnungen  sind  vielfach  nicht  einwurfsfrei.  Je- 
doch nicht  oft  in  dem  MaXse  befremdend  wie  bei  Washington, 
was  zu  sprechen  sein  soll  wie:  „Uäschingt'n". 

3)  A.  Penck,  Bericht  der  Central-RommissioD  für  wisseo- 
schaftliche  LaodeskoDde  vod  Deutschland  über  die  zwei 
Geschäftsjahre  von  Ostern  1891  bis  Ostern  t893.  Sonderabdrock 
aus  den  Verhandlangen  des  X.  Deutschen  Geographentages.  Berlin 
1893,  Dietrich  Reimer.     21  S.   8. 

Nach  einer  kurzen,  fesselnden  Darlegung  seiner  Auffassung 
TOD  wissenschaftlicher  Landeskunde  teilt  der  Redner  u.  a.  mit,  dafs 
die  1882  von  Prof.  R.  Leb  mann- Munster  angeregte  Bewegung 
für    das  wissenschaftliche    Erforschen   der  Heimat    und    das  Ver- 

Zeitoehr.  f.  d   %mnMiKlweaen.    XLVlll.     11.  4(3 


72l2     Schottesphysik.  Schul  wand  k.  V.  Afrika,  agzv.  A.  Kirchhoff. 

einigen  der  Ergebnisse  zur  verknüpfenden  Darstellung  bereits  bis 
ins  Ausland  hinein  ihre  Kreise  gezogen  hat.  Andere  Staaten,  so 
z.  B.  in  der  Schweiz  der  Eidgenossenschaft  als  solche,  wie  die 
Einzelkantone,  wenden  dieser  Thätigkeit  reiche  Mittel  zu,  während 
sie  im  Deutschen  Reiche  nur  auf  kleine  amtliche  Gaben  und  ver- 
einzelte Spenden  aus  der  Kasse  der  Geographentage  angewiesen  ist. 
Ein  Mäcen  hat  sich  bis  jetzt  auch  noch  nicht  gefunden.  Die 
Veröffentlichungen,  welche  die  Kommission  bisher  gefördert 
hat,  zerfallen  in  drei  Gruppen:  1)  die  „Forschungen  zur 
deutschen  Landes-  und  Volkskunde'',  bis  jetzt  39  bald 
stärkere,  bald  dünnere  Hefte  in  7  Bänden;  2)  die  umfang- 
reicheren „Handbücher  z.  d.  L.  u.  V.'S  bisher  3  Teile  in 
4  Bänden.  Unter  ihnen  verdient  namentlich  die  „Anleitung 
z.  d.  L.  u.  V.''  viel  mehr  Beachtung,  als  ihr  bis  jetzt  zu  teil  ge- 
worden ist.  Es  sind  3)  unter  den  gleichen  Auspicien  erschienen 
zahlreiche  Litteratur-Nachweise  für  landeskundliche  Werke 
von  Einzellandschaften  des  Reiches  und  Österreichs,  eine  unent- 
behrliche Handhabe  jeder  weiteren  Forschung.  Von  diesen  abge- 
sehen, deren  Kosten  von  den  Herausgebern  oder  anderen  Vereinen 
getragen  werden,  liegt  der  Schwerpunkt  dieser  litterarischen  Thätig- 
keil  in  der  ersten  Gruppe.  Ihr  Wesen  ist  bereits  in  dieser  Zeit- 
schrift beim  Referat  über  den  X.  Geographentag  berührt,  und  es 
ist  dort  dargelegt,  dafs  jene  Thätigkeit  ganz  Schiffbruch  zu  leiden 
droht.  Denn  angesichts  des  geringen  Absatzes  steht  die  Kommission 
vor  der  unerfreulichen,  wenn  schon  üblichen  Erscheinung,  dafs 
in  Deutschland  die  Anregung  gegeben  und  anderswo  ihre  Früchte 
gepflückt  werden.  Die  „Forschungen''  können  so  nicht  weiter 
erscheinen,  ein  „Verein  für  deutsche  Landeskunde",  von  dem  Hülfe 
erwartet  wurde,  kommt  auch  nicht  zustande,  denn  das  verehrliche 
Publikum  findet  zur  Zeit  an  andern  Dingen  Geschmack.  Möchten 
die  beweglichen  Worte,  welche  die  Kommission  in  dieser  Sache 
aussendet,  nicht  ohne  Frucht  bleiben!  Das  Kurze  und  das  Lange 
von  der  Sache  ist,  dafs  fleifsiger  auf  die  „Forschungen"  abonniert 
werden  mufs,  wenn  ein  schön  begonnenes  Werk  nicht  scheitern 
soll.  Einladend  ist  es,  dafs  nunmehr  die  5  ersten  Bande  neu 
eintretenden  Abonnenten  von  der  Verlagshandlung  (J.  Engelhorn 
in  Stuttgart)  zum    halben  Ladenpreise   abgegeben  werden   sollen. 

Hannover-Linden.  E.  Oehlmann. 


Schottes   Physikalische   Schulwaodkarte   von  Afrika,   bearbeitet 
voo  Korbgeweit.    Berlio  1894,  Erost  Schotte  &  Comp. 

Im  Mafsstab  von  1  -.6000000  gewährt  diese  neue  Schul- 
wandkarte von  Afrika  eine  gute  Darstellung  der  Naturverhältnisse 
des  Erdteils  in  markigen  Zügen,  daher  mit  vollgenügender  Fern- 
wirkung. Aus  lichtblauer  Meeresfläche  tritt  dem  Beschauer  der 
massive  Aufbau  des  Continents  in  fünf,  durch  deutlich  von  einan- 


6. Bolzmäller^Meth.  Lehrb.d.Elem.>Math.,a^z.v.K.Schwering.  723 

der  sich  abhebende  Färbungen  unterschiedenen  Höhenstufen  ent- 
gegen: in  schraffiertem  Dunkelgrün  die  Lagen  unter  dem  Niveau 
des  Meeresspiegels,  in  Hellgrün  die  Niederung  (bis  zu  200  m),  in 
Lichtgrau  die  Stufe  bis  500  m,  in  Gelbbraun  die  bis  2000  m, 
in  Sepiafarbe  das  darüber  aufragende  höchste  Gebirgsland.  Die 
Flüsse  sind  in  starken  schwarzen  Linien  durchweg  sehr  gut 
erkennbar,  desgleichen  die  kräftig  eingetragenen  Lagenzeichen  für 
die  Städte.  Staatliche  Abgrenzungen  sind  nur  in  zarteren  Strich- 
und  Punktlinien  angedeutet,  so  dafs  sie  ebensowenig  wie  der 
nicht  zu  sehr  belastende  Namenaufdruck  die  natürlichenZüge  des 
Ländergemäldes  behelligen. 

Fügen  wir  hinzu,  dafs  alles  für  den  Schulunterricht  Nötige 
in  korrekter  Weise  aufgenommen  ist,  so  ist  damit  die  volle  Brauch- 
barkeit dieser  Schulwandkarte  anerkannt  Bei  einer  Neuauflage 
sollte  jedoch  dem  Kilima-Ndscharo  nicht  mehr  als  6000  m  Höhe 
zuerteilt  und  die  Malagarassi-Linie  verbessert  werden.  Letztere 
bildet,  wie  wir  allerdings  erst  seit  kurzem  wissen,  nur  einen 
kleinen,  westwärts  offenen  Hufeisenbogen;  Tabora  liegt  gar  nicht 
am  Halagarassi,  sondern  es  verläuft  aus  der  Tabora-Gegend  nur 
zur  Regenzeit  ein  linksseitiges  Nebengewässer,  zuletzt  Gombe 
genannt,  nach  dem  Malagarassi  (oder,  wie  Baumann  wohl  richtiger 
schreibt,  Mlagarassi). 

Halle  a.  S.  A.  Kirchhoff. 

Gustav  Holzmüller,  Methodisches  Lehrbuch  der  Elementar- 
M  athematik.  lo  2  Teilen.  I.  Teil.  212  S.  8.  Mit  142  Fig.  im  Text, 
geb.  2,40  M.     Leipzig  1894,  B.  G.  Teubner. 

Schon  bei  einer  früheren  Gelegenheit  (diese  Zeitschrift 
47.  Jahrg.  S.  721)  war  ich  in  der  Lage,  den  Ansichten  des 
Herrn  G.  Holzmüller  bezüglich  der  neuen  Lebrvorschriften  bei- 
pflichten zu  können.  Nunmehr  liegt  das  in  der  Überschrift  be- 
zeichnete Buch  in  seinem  ersten  Teile  vor;  Herr  Holzmüller  hat 
„der  Theorie  die  Praxis'*  folgen  lassen,  und  somit  konnte  ich 
dem  Wunsche  der  Redaktion,  das  Buch  anzuzeigen,  nur  gern 
entsprechen. 

Holzmüllers  Lehrbuch  der  Elementar-Mathematik  zerfällt  in 
4  Teile  nach  der  Reihenfolge:  Planimetrie,  Arithmetik,  Trigo- 
nometrie, Stereometrie;  und  in  den  einzelnen  Abteilungen  ist  die 
Ordnung  nach  Jahrgängen  auch  äufserlich  durchgeführt. 

Die  Einführung  des  Lernenden  in  die  Geometrie  geschieht 
durch  Vorführung  bestimmter  Körper,  wobei  sofort  der  Begriff 
des  mathematischen  Körpers  als  einer  Idealgestalt  hervortritt; 
hieran  schliefst  sich  die  Betrachtung  der  wichtigsten  geometrischen 
Begriffe  an  Modellen  und  Zeichnungen,  es  ergiebt  sich  der  Begriff 
des  rechten  Winkels,  der  Symmetrie,  des  Parallelismus;  und  so 
kann  zum  Schlufs  nicht  nur  mit  Hülfe  des  Winkelhakens  eine 
Parallele  gezogen,  es  kann  das  Flächennetz  eines  Würfels  gezeichnet 

46* 


724     G.  Holzmüller,  Method.  Lehrb.  d.  Elementar-Mathematik, 

werden,  ja  die  Grundlagen  des  metrischen  MaTses  und  Gewichtes 
können  in  lichtvoller  Weise  dem  Lernenden  die  Zuversicht  geben, 
dafs  seine  neuerlangten  Kenntnisse  zu  den  Dingen  der  Wirklichkeit 
in  mannigfachster  Beziehung  und  im  schönsten  Einklänge  stehen. 
Der  Leser  hat  bemerkt,  dafs  die  herkömmliche  Trennung  der 
Geometrie  in  Stereometrie  und  Planimetrie  an  dieser  Stelle  des 
Buches  noch  nicht  durchgeführt  ist,  obschon  sie  bereits  ein  Dutzend 
Seiten  früher  erwähnt  wird.  Auch  in  der  Überschrift  des  folgen- 
den Abschnittes  findet  sich  neben  Kreis,  Bogen  und  Winkel  noch 
die  Kugel;  aber  von  jetzt  ab  befinden  wir  uns  doch  auf  dem  Ge- 
biete der  Planimetrie.  Der  Begriff  des  Winkels  wird  durch  die 
Betrachtung  kongruenter  Bogen  bezw.  Sektoren  gewonnen.  Dabei 
wird  die  Zahl  n  erwähnt  und  •—  um  es  gleich  gerade  heraus  zu 
sagen  —  das  Scheitern  vielfältiger  Versuche,  die  Schuler  auf 
anderem  Wege  sicher  und  leicht  mit  dem  „Winkel'*  bekannt  zu 
machen,  hat  auch  mich  gezwungen,  denselben  Weg  einzuschlagen 
und  den  Vorwurf  „unwissenschaftlichen''  Vorgreifens  leicht  zu 
nehmen  angesichts  der  grofsen  didaktischen  Vorteile  dieses  Ver- 
fahrens.^) Indem  nun  von  der  Umdrehung  eines  Lineals  Gebrauch 
gemachtwird,  kann  der  Satz  von  der  Winkelsumme  des  Dreiecks 
abgeleitet  und  mit  seiner  Hülfe  die  Parallelentheorie  begründet 
werden.  Es  folgen  die  4  Dreiecksgrundaufgaben  (Kongruenzsätze), 
die  wichtigsten  Grundaufgaben  über  Senkrechte  und  zum  Schlufs 
eine  übersichtliche  Zusammenstellung  der  wichtigsten  Ergebnisse. 
Bei  der  Wichtigkeit  des  Gegenstandes  gestatte  ich  mir,  hier- 
bei noch  folgende  Gesichtspunkte  hervorzuheben.  Wer  es  unter- 
nähme, heutzutage  ein  wissenschaftliches  Lehrbuch  der  Geometrie 
zu  schreiben,  der  könnte  kaum  ein  anderes  Buch  liefern,  als  etwa 
das  bekannte  Buch  von  Frischauf  (Leipzig  1876)  oder  die  neueste 
l*ublikation  meines  Freundes  W.  Killing  Einführung  in  die 
Grundlage  der  Geometrie  (Paderborn  1893).  So  und  nur  so 
ergiebt  sich  ungesucht  eine  Trennung  der  Sätze  nach  drei  Axiomen, 
welche  man  zuläfst;  so  und  nur  so  erscheint  das  Parallelenaxiom 
in  seiner  ganzen  Bedeutung  und  an  naturgemäfser  Stelle.  Und 
doch  wird  niemand  ein  solches  Buch  unreifen  Knaben  in  die  Hand 
geben.  Hiernach  zwingt  der  heutige  Standpunkt  der  Wissenschaft 
mit  unabweisbarer  Notwendigkeit  dazu,  bei  Abfassung  eines  Schul- 
buches zwischen  den  Forderungen  wissenschaftlicher  Strenge  einer- 
seits und  den  Voraussetzungen  eines  gedeihlichen  Jugendunterrichtes 
anderseits  nach  einem  glücklichen  Ausgleiche  zu  suchen.  Dieser 
Ausgleich  ist  aber  nicht  in  einer  bestimmten  Lagerung  und  An- 
ordnung des  Stoffes  gegeben,  sondern  die  Individualität  des  Ver- 
fassers wird  sich  in  mannigfaltiger  Weise  geltend  machen  können. 
So  geht  Herr  Holzmüller  von  der  Betrachtung  körpeHicher  Gebilde 


^)  Vergl.  die  voo  Dr.  Krimphoff  ood   mir  heraas^fegebeoe  Tlaoimetrie. 
Freiborg  i.  B.  1894,  Herder.  \ 


^ 
\ 


aogez.  von  K.  Schweriog.  725 

aus  and  gelangt  erst  am  Schlüsse  des  Quartapensums  zu  den 
einfachsten  Grundaufgaben.  Auch  der  umgekehrte  Weg  ist  gang- 
bar: man  kann  den  Schuler  die  einfachsten  Aufgaben:  Halbierung 
einer  Strecke,  Errichtung  einer  Senkrechten  u.  s.  w.  als  blofse 
Zeichnungsaufgaben  ausfuhren  lassen,  um  so  zu  richtigen 
Vorstellungen  der  ebenen  Gebilde  vorzudringen.  Ich  selbst  habe 
diesen  Weg  wiederholt  auch  bei  schwachen  Jahrgängen  mit  Erfolg 
eingeschlagen  und  gefunden,  dafs  die  später  folgenden  Beweise  von 
den  Schülern  selbst  als  unentbehrlich  empfunden  und  gern  auf- 
gesucht wurden.  Möge  nur,  —  und  dazu  wird  das  HoIzraüUersche 
Buch  hoffentlich  beitragen  —  der  Gedanke  immer  mehr  bei  den 
Schulmännern  Wurzel  fassen,  dafs  es  sich  bei  dem  ersten  Unter- 
richte in  der  Mathematik  nicht  „um  die  Befriedigung  streng 
philosophischer  Anforderungen'*  handeln  kann,  sondern  um  die 
Angabe  einer  „dem  kindlichen  Geiste  angepafsten  Methode*^ 

Die  Lehraufgabe  der  Untertertia  umfafst  auf  23  Seiten  den 
bekannten  Lehrstoff,  wobei  die  Reichhaltigkeit  und  zweckmäfsige 
Ordnung  der  Übungen  warm  anerkannt  sei.  Dafs  ich  die  Vor- 
anstellung des  Pythagoreischen  Lehrsatzes  ebensowenig  wie  die  in 
einer  Fuisnote  gegebene  Begründung  dieses  Verfahrens  anerkenne, 
mag  offen  ausgesprochen  sein. 

[m  folgenden  Lehrgange  verdient  die  Behandlung  der  Ähnlich- 
keitslehre nach  Anordnung  und  Methode  vielfach  den  Vorzug  vor 
herkömmlichen  Darstellungen.  Insbesondere  ist  mit  der  lang- 
atmigen, dem  Durchnittsschüler  so  unverständlichen  Inkommen- 
surabilität  glücklich  aufgeräumt. 

Wie  oben  hervorgehoben  wurde,  mufs  das  Lehrbuch  der 
Schulmathematik  heutzutage  einen  Kompromifs  zwischen  den 
Forderungen  der  strengen  Wissenschaft  und  denjenigen  einer 
vernünftigen  Didaktik  darstellen.  Auch  in  seinem  Lehrvortrage  der 
Arithmetik  ist  Holzmüller  diesem  Grundsatze  gerecht  geworden. 
So  baut  er  die  Lehre  von  den  gebrochenen  und  negativen  Zahlen 
in  einer  solchen  Weise  auf,  dafs  die  Richtigkeit  der  betreffenden 
Gesetze  zunächst  an  positiven  Zahlen  und  an  „aufgehenden''  Divi- 
sionen abgeleitet  werden.  Hiernach  ist  die  bekannte  Zeichenregel 
nicht  eine  aus  Begriffsbestimmungen  abgeleitete  Notwendigkeit, 
sondern  eine  zweckmäfsige  Festsetzung.  In  diesem  Grundgedanken 
sollten  alle  Lehrer  und  Lehrbücher  der  Arithmetik  übereinstimmen ; 
die  Ausgestaltung  desselben  kann  eine  recht  verschiedene  sein.  Ein 
Vergleich  der  HolzmüUerschen  Darstellung  mit  der  von  dem  Unter- 
zeichneten (Herder  1893)  gegebenen,  dürfte  dies  unwiderleglich 
darthun.  Denn  auch  in  der  Arithmetik  kann  genau  wie  in  der 
Geometrie  ein  eigentlicher  propädeutischer  Unterricht  erteilt  und 
damit  Holzmüller  gegenüber  eine  Ausbiegung  zugunsten  des  Jugend- 
unterrichts gemacht  werden.  Und  es  ist  zugunsten  wissenschaft- 
licher Strenge  nicht  minder  möglich,  die  Multiplikationsgesetze  als 
Quelle  aller  algebraischen  Rechnungen  noch  mehr  in  den  Vorder- 


726  G.Holziniiller,Meth.Lehrb.fi.Bleni.-Math.,  ags.v.K.Sehweriiig 

grand  zu  drängen,  als  in  dem  Holzmüllerschen  Buche  geschehen  ist. 
Dabei  hätte  ich  gewünscht,  dafs  besonders  an  einer  Stelle  die 
wissenschaftliche  Unzulänglichkeit  eines  Beweises  ausdrucklich  her- 
vorgehoben wäre.  Es  handelt  sich  um  den  Beweis,  dafs  y?  eine 
Irrationalzahl  ist,  und  leider  ist  die  Gefahr  nicht  ausgeschlossen, 
dafs  auch  andere  als  Schüler  die  gegebene  Beweisführung  für 
streng  halten  könnten.  Bekanntlich  hat  sich  Gaufs  disq.  arithm. 
art.  14  zu  dieser  Sache  nicht  gerade  höflich,  aber  deutlich  geäufsert 
Den  Schlufs  der  Arithmetik  bildet  die  Lehre  von  den  Potenzen, 
Wurzeln  und  Logarithmen.  Der  Verfasser  begnügt  sich  mit  vollem 
Rechte,  die  dekadischen  Logarithmen  einzig  zu  behandeln.  Vor- 
trefflich ist  der  in  einer  Fufsnote  gegebene  Hinweis,  dafs  Loga- 
rithmen negativer  Zahlen  nur  durch  die  imaginären  zugänglich 
sein  können. 

Die  Trigonometrie  enthält  nur  14  Seiten.  Sie  erklärt  die 
Funktionen  am  rechtwinkligen  Dreieck  und  wendet  dieselben  zur 
Berechnung  recktwinkliger  und  gleichschenkliger  Dreiecke  an. 
Die  Funktionen  stumpfer  Winkel  werden  durch  ein  Verfahren 
erklärt,  welches  dem  Koordinatengedanken  entstammt.  Ich  will 
die  Berechtigung  dieser  Methode  durchaus  nicht  anfechten,  ob- 
schon  ich  einer  andern  den  Vorzug  gebe.  Es  folgt  die  Her- 
leitung des  Sinus-  und  Kosinussatzes  und  eine  recht  hübsche 
Sammlung  von  Aufgaben.  Dafs  Herr  HoIzmüUer  nicht  n  und 
auch  nicht  2  R,  sondern  schlecht  und  recht  180  ^  in  die  Formeln 
einführt,  kann  nur  zur  Nachahmung  empfohlen  werden. 

Bezüglich  der  Stereometrie  hat  der  Verfasser  eine  Anleitung 
zum  richtigen  Zeichnen  so  hoch  bewertet,  dafs  sie  ihm  als  der 
„Schlüssel  zu  einem  erfolgreichen  Unterrichte*'  erscheint.  In  den 
Kreisen  der  Fachgenossen  hat  Herr  Holzmüller  mit  diesem  Ge- 
danken vielen  Erfolg  erzielt.  Selbstverständlich  kann  es  ihm  da- 
bei nicht  in  den  Sinn  kommen,  andere  Unterrichtsmittel  wie  die 
Anschauung  körperlicher  Modelle,  die  Zeichnung  in  einer  Ebene 
mit  Zirkel  und  Lineal,  ja  die  Zahlenrechnung  ungebührlich  zurück- 
drängen zu  wollen.  Und  unter  diesem  Vorbehalt  mag  seinem 
Verfahren  zugestimmt  werden.  Eine  geradezu  musterhafte  Dar- 
stellung des  Cavalierischen  Satzes  und  seiner  Anwendungen  bildet 
den  Schlufs. 

Hiermit  nehme  ich  vorläufig  von  dem  vortrefflichen  Buche 
Hoizmüllers  Abschied.  Habe  ich  nach  gutem  Brauch  mit  ab- 
weichenden Überzeugungen  nicht  zurückgehallen,  so  stehe  ich 
nicht  an,  im  übrigen  warm  und  in  den  Grundsätzen  völlig  zuzu- 
stimmen. 

Düren.  K.  Schwering. 


Lieb  er- Kohl  er,  Arithmetische  Aafe^abea,  a^z.  v.  O.Meyer.     727 

H.  Lieber  und  A.  R5hler,  Arithmetisebe  Anf^abeo.     Berlin  1894, 
LeoDhard  Simion.    VI  und  222  S.    8.    2,70  M. 

An  Sammlungen  arithmetischer  Aufgaben  ist,  nachdem  in  den 
letzten  Jahren  mehrere  neue  erschienen  sind,  kein  Hangel.  Die 
Verfasser  haben  sich  zur  Herausgabe  ihrer  Sammlung  entschlossen, 
da  Yon  mehreren  Amtsgenossen,  die  sich  des  Leitfadens  der 
Arithmetik  yon  Lieber  und  v.  Lühmann  bedienen,  der  Wunsch 
ausgesprochen  ist,  eine  diesem  Leitfaden  zu  Grunde  gelegte  Auf- 
gabensammlung zu  benutzen.  Selbstverständlich  ist  bei  der  Zu- 
sammenstellung und  Bearbeitung  der  Aufgaben  den  neuen  Lehr- 
plänen Rechnung  getragen,  z.  B.  sind  die  Gleichungen  ersten  Grades, 
wie  die  Verfasser  in  der  Vorrede  bemerken,  so  ausgewählt  und 
angeordnet,  dafs  an  ihnen  die  vier  Grundrechnungsarten  unmittel- 
bar eingeübt  werden  können,  damit  durch  solche  Verbindung  ver- 
schiedener Gebiete  Zeit  gespart  werde,  weil  durch  die  neuen  Lehr- 
pläne das  Pensum  der  Untertertia  vergröfsert  worden  ist.  Bei 
den  Anwendungen  der  Gleichungen  ersten  Grades  mit  einer  Un- 
bekannten sind  besonders  die  bürgerlichen  Rechnungsarten,  die 
jetzt  in  Untertertia  durchgenommen  werden  sollen,  berücksichtigt. 
Das  für  die  Tertia  bestimmte  Übungsmaterial  ist  sehr  reichhaltig 
und  gestattet  dem  Lehrer,  mehrere  Jahre  hindurch  mit  den  Auf- 
gaben zu  wechseln.  Besonders  zeichnet  sich  die  Sammlung  hier- 
durch vor  anderen  in  den  Abschnitten  über  die  Addition  und 
Subtraktion  von  Buchstabenbrüchen,  die  Zerlegung  algebraischer 
Summen  in  Faktoren  und  das  Heben  der  Buchstabenbräche  vor- 
teilhaft aus.  Die  Auflösungen  werden  in  einem  besonderen  Heft 
(Preis  1,50  M)  gegeben.  Nur  ausnahmsweise  sind  hinter  schwie- 
rigeren Aufgaben,  die  wohl  mehr  für  die  Privatthätigkeit  der 
besseren  Schuler  bestimmt  sind,  die  Resultate  angegeben.  —  Das 
Buch  umfafst  das  Pensum  von  Untertertia  bis  einschliefslich  Ober- 
sekunda, also  auch  noch  die  quadratischen  Gleichungen  mit  meh- 
reren Unbekannten  und  die  einfachen  Reihen.  Eine  Zusammen- 
stellung von  Aufgaben  über  das  Pensum  der  Prima  behalten  sich 
die  Verfasser  vor.  Wir  würden  es  mit  Rücksicht  auf  die  nicht 
unerhebliche  Anzahl  von  Schülern,  die  nach  Absolvierung  der 
Untersekunda  abgehen,  und  auf  die  Nicht voUanstalten,  die  jetzt  die 
Obersekunda  verloren  haben,  für  richtiger  halten,  die  vorliegende 
Sammlung  mit  dem  Pensum  der  Untersekunda  abschliefsen  zu 
lassen.  Vielleicht  entschliefsen  sich  die  Verf.  bei  einer  neuen  Auf- 
lage zu  dieser  Trennung  und  statten  dafür  die  Paragraphen,  die 
die  Anwendungen  enthalten,  etwas  reichhaltiger  aus,  denn  diese 
sind  im  Vergleich  zu  den  rein  mathematischen  zum  Teil  etwas 
dürftig  ausgefallen.  So  ist  in  dem  Paragraphen  von  den  Pro- 
portionen eine  überreichliche  Menge  von  Zahlenbeispielen  gegeben, 
aber  nicht  eine  einzige  Textaufgabe.  Allerdings  finden  sich  später 
solche  unter  den  Anwendungen  der  Gleichungen  ersten  Grades. 
Ebenso  sind    den  arithmetischen  Reihen  aufser  zwei  Bewegungs- 


728     E.Hoppe,  Lehrbuch  der  Physik  für  höhere  LehrsDstalten, 

aufgaben  gar  keine  Anwendungen  beigefügt.  Unter  den  Text- 
gleichungen  sind  verhältnismäfsig  mehr  als  in  anderen  Sammlungeu 
dem  Gebiet  der  Geometrie  entnommen,  doch  könnte  die  Auswahl 
wohl  noch  vielseitiger  sein  (vergl.  Harmuth,  Textgleichungen  geo- 
metrischen Inhalts.  Berlin ,  Springer).  Bei  den  Radizierui^en 
vermisse  ich  einige  Zahlenbeispiele  für  die  vierte-  (auch  achte) 
und  sechste  Wurzel.  —  Noch  einige  Bemerkungen  in  formeller 
Beziehung.  Gramm  ist  stellenweise  gr  statt  g  abgekürzt  und  die 
vorschriftsmäfsige  Schreibweise,  die  Pfennige  von  den  Mark  durch 
ein  Komma  zu  trennen,  nicht  überall  durchgeführt.  „Welcher"' 
als  Relativ  und  „derselbe*'  statt  des  Personal-  oder  Possessivpro- 
nomens sollte  möglichst  vermieden  werden,  fn  den  Aufgaben  4 
und  5  auf  S.  163  mufs  es  statt  „subtrahiert  man  beide  Zahlen" 
heifsen  .«subtrahiert  man  die  letzte  von  der  ersten*'  oder  auch, 
da  bei  beiden  Aufgaben  Minuend  und  Subtrahend  ohne  Änderung 
des  Resultats  vertauscht  werden  können,  „die  eine  von  der  andern**. 
Bei  Aufgabe  18  auf  S.  199  wird  der  Schüler,  falls  er  nicht  auf 
die  Gröfse  der  Zahlen  achtet,  annehmen,  dafs  die  Körper  sich 
wie  in  der  vorhergehenden  Aufgabe  vom  Scheitelpunkt  aus  be- 
wegen; es  sollte  deshalb  die  Frage  besser  lauten  „vor**  statt  „nach 
wie  viel  Minuten**.  Vielleicht  haben  die  Verf.  aber  absichtlich 
diese  Fassung  gewählt,  um  zu  zeigen,  dafs  ein  etwaiger  Mangel 
oder  eine  Ungenauigkeit  bei  der  Abfassung  einer  Textaufgabe 
sofort  durch  das  rein  mathematische  Resultat  berichtigt  wird. 
Nach  meiner  Ansicht  sollten  die  Aufgabensammlungen  überhaupt 
einige  Textaufgaben  enthalten,  deren  Resultat  negativ  ist  und 
dann  der  Aufgabe  entsprechend  zu  deuten  ist.  Die  Textaufgaben 
zweiten  Grades,  die  auf  mehrere  Unbekannte  führen,  könnten 
irgendwie  äufserlich  von  denen  mit  einer  Unbekannten  getrennt 
sein.  —  Druckfehler  habe  ich  trotz  zahlreicher  Stichproben  nur 
folgende  gefunden.  In  Aufgabe  6  auf  S.  198  mufs  es  heifsen 
„dessen  Inhalt  ein  Drittel  so  grofs  ist**  statt  „halb**.  S.  199, 
Aufg.  17  ergiebt  8  Minuten  als  Resultat,  nicht  80.  Auch  in 
Aufg.  18  derselben  Seite  befindet  sich  ein  Druckfehler. 

Schwetz.  0.  Meyer. 

Edmund  Hoppe,  Lehrbuch  der  Physik  für  hShere  Lehrao^talten. 
Mit  einer  Karte  der  Iso^fonen  und  Isokiinen.  Leipzig  1894,  Johann 
Ambrosins  Barth  (Arthur  Meiner).     134  S.  8.    2,20  M. 

Das  vorliegende  Lehrbuch  enthält  leider  kein  Vorwort,  aus 
dem  zu  ersehen  ist,  wie  der  Verf.  das  Buch  im  Unterricht  ver- 
wertet haben  will;  soviel  ist  aber  sofort  ersichtlich,  dafs  es  nur 
für  die  oberen  Klassen  bestimmt  sein  kann.^) 


^)  Nach  einer  Notiz  in  der  Poskescben  Zeitschrift  für  den  physikalischen 
Dod  chemischen  Unterricht  ist  den  Tur  Lehrer  bestimmten  Exemplaren  des 
Hoppeschen  Lehrbuches  eine  „Vorbemerkung^'  beigeheftet.  Mir  hat  eine 
solche  nicht  vorgelegen. 


•  Dgez.  voD  A.  Leiber.  729 

Was  zunächst  seine  Einrichtung  betrifft,  so  ist  die  Reihen- 
folge, in  der  die  einzelnen  Disziplinen  der  Physik  behandelt  werden, 
eine  andere  als  die  sonst  übliche,  indem  die  Wärmelehre  sogleich 
nach  der  Mechanik  besprochen  wird.  Die  grofse  Kürze,  durch 
die  sich  das  Lehrbuch  von  allen  dem  Berichterstatter  bekannten 
für  die  oberen  Klassen  bestimmten  unterscheidet,  wird  dadurch 
erreicht,  dafs  jeder  Paragraph  in  zwei  Teile  zerlegt  ist.  Der 
erstere,  der  Haupttext,  enthält  die  wichtigsten  physikalischen  Ge- 
setze und  Erklärungen  in  möglichst  kurzer  Form  und  eine  recht 
grofse  Zahl  historischer  Bemerkungen,  die  zwar  häufig  nur  durch 
Namen  und  Jahreszahl  angedeutet  sind ;  der  andere  Teil  behandelt 
unter  der  Rubrik  Aufgaben  eine  Reihe  von  Fragen,  die  für  das 
Verständnis  des  Haupttextes  sehr  wichtig  sind,  so  dafs  dieser  Teil 
durchaus  nicht  übergangen  werden  darf.  Die  Aufgaben  behandeln 
teils  Beschreibungen  von  physikalischen  Apparaten,  teils  die  Er- 
klärung der  im  Haupttexte  erwähnten  Thatsachen,  teils  sind  es 
wirkliche  Aufgaben,  teils  leiten  sie  zum  Verständnis  des  folgenden 
Paragraphen  über.  Alle  mit  Ausnahme  der  wirklichen  Aufgaben 
sind  aber  so  beschaffen,  dafs  sie  in  der  Klasse  mit  den  Schülern 
durchgenommen  werden  müssen.  Die  Zahl  der  Figuren  im  Texte 
beträgt  acht;  sie  werden  nur  da  angewendet,  wo  sie  zum  Ver- 
ständnis durchaus  notwendig  sind,  meist  bei  mathematischen  Ent- 
Wickelungen.  Sehr  kurz  ist  die  Metereologie,  kosmische  Physik 
und  die  mathematische  Geographie  behandelt.  Das  Buch  schliefst 
mit  einigen  Tabellen,  die  bei  den  gestellten  Aufgaben  zu  be- 
nutzen sind. 

An  dem  Anfange  der  Paragraphen  vermisst  der  Bericht- 
erstatter eine  durch  den  Druck  ausgezeichnete  kurze  Inhaltsangabe, 
die  das  Nachschlagen  wesentlich  erleichtern  würde.  Die  Gesetze 
sind  meist  nur  angegeben,  ohne  dafs  sie  entwickelt  werden;  in 
einigen  schwierigeren  Fällen  findet  eine  Entwickelung  statt,  z.  B. 
bei  dem  Pendel,  in  sehr  knapper  Form  bei  der  Centralbewegung 
(hier  wird  der  Begriff  der  Winkelgeschwindigkeit  ohne  vorherige 
Erklärung  eingeführt),  bei  der  Reflexion  des  Lichts  an  Hohl- 
spiegeln, bei  der  Brechung  des  Lichts  durch  Linsen  und  noch 
bei  einigen  Gesetzen  aus  dem  Gebiete  der  Elektrizität  und  des 
Magnetismus.  Sowohl  im  eigentlichen  Texte  als  auch  unter  den 
Aufgaben  befinden  sich  mit  einem  Stern  bezeichnete  Stellen;  zu 
dieser  Bezeichnung  fehlt  die  Erklärung.  Soviel  Ref.  hat  ersehen 
können,  sind  dies  Abschnitte,  die  für  die  Realanstalten  bestimmt 
sind,  von  den  gymnasialen  aber  übergangen  werden  können. 

Bei  der  Erklärung  des  Galvanisiius  ist  nur  die  Kontakt- 
theorie, nicht  die  elektrochemische  erwähnt,  die  chemische  Zer- 
setzung in  einem  galvanischen  Element  wird  als  die  Ursache  zur 
Erhaltung  des  Stroms  bezeichnet.  Dafs  bei  der  Besprechung 
der  Telegraphie  das  Morsealphabet  angeführt  wird,  scheint  ein 
Widerspruch  gegen  die  sonst  beobachtete  Kürze  zu  sein.    Bei  den 


730     E.  Hoppe,  L eh rb.  d.  Physik  f. hj)h.  Lehraos  t.,agz.  v.  A.  Leiber. 

magDetischen  Wirkungen  des  galvanischen  Stroms  ist  die  Theorie 
der  magnetischen  Kraftlinien  nicht  berücksichtigt  oder  nur  ge- 
legentlich in  den  Aufgaben  erwähnt.  Ebenso  wäre  in  dem  Haupt- 
texte bei  dem  von  der  Induktion  handelnden  Abschnitte  ein  Hin- 
weis auf  den  Zusammenhang  zwischen  den  Gesetzen  der  Induktion 
und  dem  der  Erhaltung  der  Energie  sehr  erwünscht.  In  den  Auf- 
gaben des  §  131  ist  dai*auf  hingewiesen. 

An  Druckfehlern  ist  dem  Ref.  nur  einer  im  §  107  aufge- 
fallen; daselbst  ist  von  dem  Momente  eines  JMagnetstabs  die  Rede, 
es  heifst:  „2b  ist  nicht  identisch  mit  der  geometrischen  Länge 
des  Stabs,  sondern  etwa  Vs  derselben  (Coulomb)'^ 

Das  Buch  führt  den  Titel:  „Lehrbuch  der  Physik  für  höhere 
Lehranstalten'*;  wie  steht  es  mit  seiner  Brauchbarkeit  für  diese? 
Nach  der  Meinung  des  Berichterstatters  ist  ein  selbständiger  Ge- 
brauch desselben  in  der  Hand  des  Schülers  vollständig  ausge- 
schlossen ;  nur  nachdem  sowohl  der  Haupttext  als  auch  der  gröfste 
Teil  der  Aufgaben  im  Unterrichte  gründlich  durchgenommen  ist, 
kann  das  Buch  den  Schülern  als  Grundlage  zur  Repetition  dienen. 
Aber  auch  dann  werden  wohl  nur  die  beanlagten  davon  Nutzen 
haben,  alle  übrigen  werden,  wenn  auch  nur  wenige  Wochen  seit 
der  Durchnahme  verflossen  sind,  nicht  mehr  imstande  sein,  die 
vielen  an  sie  herantretenden  Fragen  zu  beantworten.  Zum  Beweise 
für  diese  Ansicht  sollen  zwei  Punkte  hervorgehoben  werden. 
1)  Bei  der  Höhenmessung  (§  41)  heifst  es:  „Bezeichnet  d  das 
Verhältnis  des  Barometerstandes  in  der  Höhe  1  m  zu  dem  in 
Om  Höhe,  so  ist  der  Barometerstand  bn  in  der  Höhe  n  Meter 
bn  =  bo .  d^*'',  Dafs  der  Verf.  diese  Formel  ohne  Entwickelang 
auswendig  gelernt  haben  will,  kann  Ref.  nicht  annehmen,  dafs 
aber,  wenn  auch  nur  kurze  Zeit  nach  der  Durchnahme  verstrichen 
ist,  sich  die  Schüler  von  der  Entwickelung  noch  klare  Rechen- 
schaft geben  können,  erscheint  sehr  zweifelhaft.  2)  In  §  98  werden 
die  Influenzmaschinen  kurz  beschrieben,  über  ihre  Wirkungsweise 
wird  nichts  gesagt ;  nur  in  den  Aufgaben  wird  die  Forderung  ge- 
stellt eine  schematische  Zeichnung  der  Wirkungsweise  der  Holtzschen 
und  Töplerschen  Maschine  herzustellen.  Werden  die  Schüler  auch 
später  imstande  sein  sich  aus  diesen  Zeichnungen  zurechtzufinden? 

Zum  Schlufs  fafst  der  Berichterstatter  sein  Urteil  dahin  zu- 
sammen: Für  den  Lehrer  ist  das  Buch  insofern  von  Wert,  als 
es  ihn  kurz  darauf  aufmerksam  macht,  was  im  Unterrichte  durch- 
zunehmen ist;  für  den  Schüler  aber  kann  es  nur  dann  brauch- 
bar werden,  wenn  er  angehalten  wird,  sich  über  das  mit  ihm 
Durchgenommene  schriftliche  Notizen  zu  machen,  die  von  Seiten 
des  Lehrers  sorgfältig  kontrolliert  werden.  Dies  steht  aber  mit 
den  pädagogischen  Grundsätzen  im  Widerspruch,  nach  denen  ein 
Lehrbuch  alles  bieten  mufs,  was  der  Schüler  notwendig  zum  Ver- 
ständnis der  in  ihm  enthaltenen  Sätze  gebraucht. 

Magdeburg.  A.  Leiber. 


DRITTE  ABTEILUNG. 


BERICHTE  ÜBER  VERSAMMLUNGEN,  NEKROLOGE, 

MISCELLEN. 


Zq  Gäsars  Bellnm  civile. 

1,  4,  1  scheiot  mir  B.  Kubler  einen  sehr  beachtenswerten  Vorschlag 
gemacht  zn  haben.  Aber  es  sind  zwei  Konsuln  vorhanden;  darum  glaube  ich, 
dafs  die  Hinzufngung  des  Namens  unerlärslich  ist:  omnibusque  rationibus 
(auetorttas  LeiäuU^  eonwlis  .  .  .  oppomtur. 

1,  5,  4  will  Kindscher  tribunis  plebis  tilgen;  aber  dies  ist  der  signi- 
fikante Begriff,  der  schwerlich  entbehrt  werden  kann.  Der  Anstofs  liegt  nur 
in  der  Stellung  der  Worte;  das  begründende  amplüsimis  viris  hat  wohl  seine 
richtige  Stelle  hinter  tränmis  plebi*, 

1,  8,  3  würde  cum  iUis  nocere  se  (posse^  sparet  mit  dem  deutlich  aus- 
geprägten Sprachgebrauche  Cäsars  übereinstimmen  (s.  die  14  Stellen  im  Lex.). 
Nur  3|  8,  3  weicht  ab  (denn  2,  27,  2  ist  anders),  und  hier  ist  die  Überliefe- 
rang schwankend.  Ich  glaube  mit  Panl,  dafs  der  blofse  Begriff  terrere  nicht 
genügt,  dafs  es  deterrere  heifsen  mufs.  Wird  aber  in  der  einen  Hälfte  der 
Hss.  eine  Lücke  angenommen,  dann  dürfte  es  nicht  zu  kühn  sein,  an  eine 
etwas  gröfsere  Lücke  zu  glauben:  rehquos  (posse  de)terreri  sperans.  Zu 
der  Stellung  von  poste  vgl.  VI  10,  2. 

1,  10,  2  knnn  re  nicht  fehlen;  Gruter  setzte  es  vor  respondent  ein,  es 
konnte  aber  ebenso  gut  vor  deiiberala  übersehen  sein.  Ein  festes  Prinzip 
in  dieser  Wortfolge  befolgt  Cäsar  nicht,  doch  ist,  wie  natürlich,  die  Voran- 
anstellnng  von  re  in  solchen  Abi.  abs.  das  Gewöhnliche.  Demnach  würde 
IV  9,  1  für  (re)  ddiberata  sprechen. 

1,  14,  5.  Wenn  in  Kampanien  mehr  als  ein  römischer  Kolonisteo- 
verein  zu  denken  ist,  mufs  bei  Rubens*  Konjektur  circum  famiUcLs  mit 
eonventuum  Campaniae  fortgefahren  oder  (unter  Streichung  des  überlieferten 
familiäres)  circum  corwentus  Campaniae  zusammengenommen  werden.  Wenn 
es  dagegen  nur  einen  kampanischen  conventus  'gab,  nämlich  den  in  Capna 
(die  Römer  haben  bekanntlich  Capuanus  weder  als  Substantiv,  noch  als  Ad- 
jektiv gebraucht),  so  mufs,  da  an  eine  Verschreibung  von  Capuae  wohl 
■icht  zu  denken  ist,  meines  Erachteos  circum  familias  conventus  Campani 
gelesen  werden. 

1,  15,  7  kann  der  Wortlaut  bei  Paul  und  Kubier  nicht  als  sicher  an- 
erkannt werden ;  denn  es  erscheinen  drei  Ortsangaben  nebeneinander  gestellt 
(Alba,  die  Marser  und  Paligner,  die  angrenzenden  Gegenden),  von  denen  die 
letzte  in  dieser  Form  wohl  nicht  auftreten  darf,  da  die  Marser  und  Paligner 
selbst  ßnitimae  regiones  sind.  Aufserdem  ist  die  Präposition  ab  kaum  statt- 
haft (1,  34,  2  und  3,  103,  1  sind  anders).  Daher  glaube  ich,  dals  zu  lesen 
ist:  Alba  (<efy  ex  Marsis  et  PaeUffnis  finitimisque  regionibus.  Zu  dem  Einschub 
von  et  vgl.  1,  34,  2;  3,  42,  5  (Menge);  q^e  im  Sinne  von  „und  überhaupt*^ 


732  Zn  Cäsars  Bellam  civile, 

1,  17,  3.  Wie  bei  alleo  römischeo  Historikero,  so  begegnet  auch  bei 
Cäsar  oft  eioe  sehr  freie  Wortstellang  (z.  B.  3,  18,  2  obviam).  Aber  die 
Deatlichkeit  pfleget  darnoter  nicbt  zu  leiden,  was  1,  17,  3  bei  cerUuque  cuique 
partes  ad  custodiam  urbis  attribuit  doch  wohl  der  Fall  ist:  „er  teilte  jedem 
eiozelneD  zum  Zweck  der  Bewachnof^  der  Stadt  seine  bestimmte  Rolle  (Auf- 
gabe) za''.  Ich  meine,  es  mafs  partes  urbis  ad  custodiam  attribuit  (gelesen 
werden;  vgl.  lü  1,  6;  3,  40,  1. 

1,  19,  4  sind  die  Erklärnngsversache  des  fuisset  verfehlt,  da  es  direkt 
nicht  fuerü,  sondern  erit  oder  est  heifsen  müfste  (s.  die  Beispiele  im  Lex.). 
Es  ist  also  essd  zo  lesen,  wie  schon  Nitsche  hervorhob.  Ich  möchte  aber 
den  Anfanfi^  des  Wortes  retten  and  si  qua  ei  esset  facultas  schreiben.  Ist 
auch  der  Dativ  bei  diesem  Ausdruck  nicht  gewöhnlich,  so  kann  er  doch  wohl 
stehen,  da  Cäsar  aoch  facuUatem  habere  (nandset)  anwendet. 

1)  48,  4  enthält  der  Relativsatz  quo  .  .  aberant  za  tempus  erat  diffi- 
dUimum  gerade  so  die  Begründang  wie  der  hinter  dvitates  earinanitae  (erant) 
folgende  Satz  die  Begründaog  hierzu.  Man  erwartete  also,  dafs  in  dem 
Relativsatz  die  Verba  im  Konjunktiv  ständen;  und  daher  vermute  ich,  dats 
quo  in  quod  zu  ändern  sei.  Im  Folgenden  ist  die  Begründung  des  exinanäae 
in  zwei  Gliedern  gegeben,  bei  denen  das  Asyndeton  nicht  berechtigt  scheint; 
man  erwartet  convexerat  (flc)  oder  reltqui(que}. 

1,  53,  3.  Wie  es  möglich  ist,  dafs  in  Rom  concursus  ad  j4franiutn  statt- 
finden, während  dieser  sich  in  Spanien  befindet,  bedarf  sehr  der  Aufklärung. 
Ich  halte  es  mit  Paul,  welcher  der  Ansicht  ist,  dafs  in  Rom  nur  nach  der 
dotnus  ^franii  hingelaufen  werden  konnte.  Nach  Mensels  Tab.  con.  ver- 
mutet Paul:  magni  domum  concursus  [ad]  Afranü  magnaeque  gratulaUones 
fiebant,  was  mir  dem  Ausdruck  und  der  Wortstellung  nach  sehr  bedenklich 
erscheint;  denn  domus  heifst  hier  doch  das  „Wohnhaus**,  und  dabei  mufs 
wohl  die  Präposition  stehen  (vgl.  2,  18,  2).  Ich  vermute:  magin  concursus 
ad  domum  Jfranii  .  .  .  Nachdem  die  Worte  verstellt  waren,  lag  hinter  ad 
die  Veränderung  von  j4franii  in  Afranium  nahe. 

1,  58,  6  ist  von  Paul  in  ausgezeichneter  Weise  verbessert  und  er^nzt 
worden.  Da  aber  der  Schriftsteller  in  derselben  Periode  einen  Wechsel  in 
den  Temporibns  meidet,  ist  wohl  auch  die  leichte  Änderung  interitrusd, 
novem  vorzunehmen. 

1,  61,  3.  Wenn  genus  ),Art**  heifst,  so  mufs  ein  Genetiv  dabei  stehen 
oder  sich  ungezwungen  aus  dem  Zusammenhange  erkennen  lassen.  An  dieser 
Stelle  ist  keins  von  beiden  der  Fall;  ja  die  Hss.  bieten  einen  Wortlaut,  der 
seines  Gleichen  sucht.  Man  weifs  nicht,  wozu  dvitates  gehört,  ob  zum 
Relativsatz  oder  zum  Folgenden.  Das  letztere  gäbe  einen  ganz  guten  Aus- 
druck, aber  es  wurde,  wozu  der  Leser  so  wie  so  geneigt  ist,  das  vorher- 
gehende quae  auf  generibus  zu  beziehen  sein  und  der  uneriäfsiiche  Begriff 
dmtates  deutlich  fehlen.  Daher  setzen  die  Herausgeber  hinter  dvitates  ein 
Komma  und  tilgen  die  Interpunktion  hinter  generibus.  Der  so  erzielte  Aus- 
druck ist  höchst  merkwürdig;  aber  wenn  er  auch  denkbar  wäre,  so  mnfste 
nun  vor  den  beiden  Teilen  (vidae  und  quae  .  .  deligebant)  ein  partitiver 
Ausdruck  ergänzt  werden,  was  wohl  ein  zu  weit  gehendes  Verlangen  ist 
Für  mich  giebt  es  keinen  anderen  Ausweg  als  die  Hinzufügung  von  cimtatum 
hinter  generibus:  ex  duobus  generibus  (.dmtatum),  quae  .  .  cum  Sertorio 
stderant,  dvitates  victae .  . . ;   damit  ist  alles  geordnet     Die  in  der  Wieder- 


von  H.  J.  Möller.  733 

holoD^f  des  Wortes  eivüates  liegende  Breite  des  Aasdracks  dient  der  Deutlieh- 
keit  (vgl.  2,  19,  5);  denkbar  wäre  es  freilich  nach,  dsfs  dieser  Bej^riff,  nach- 
dem eiviUäum  aasgefallen  war,  von  unberufener  Hand  hiniugefUgt  wurde. 

1,  74,  2.  Die  zahlreichen  Beispiele  im  Lex.  und  überhaupt  der  lateini- 
sche Sprachgebrauch  machen  es  mir  wahrscheinlich,  dafs  ^uod  tum  ab  infUo 
(jdy  feeerint  zu  schreiben  sei. 

1,  79,  1  wird  der  mindestens  gezwungenen,  nach  meiner  Ansicht  unmög- 
lichen Erklärung  des  plures  vorgebeugt,  wenn  wir  ewiphtresque  .  . 
schreiben. 

2,  5,  5  hat  Paul  auf  die  Unrichtigkeit  des  Wortes  euiusque  hinge- 
wiesen. Sein  Vorschlag  iustae  aetatis  befriedigt  nicht,  weil  der  Ausdruck 
nichtssagend  ist  und  den  erforderlichen  Gegensatz  zu  iuventus  nicht  zum 
Ausdruck  bringt.  Dieser  ist  in  den  beiden  durch  Parallelstellen  belegten, 
aber  änfserlich  sich  nicht  leicht  ergebenden  Ausdrücken  gravioris  aetatu  und 
supenoris  aetatu  enthalten.  Zu  letzterem  wird  man  wohl  am  richtigsten 
greifen,  weil  es  in  derselben  Verbindung  mit  iuventus  schon  §  3  begegnet. 

2,  14,  1  ist  foras  nicht  zu  verwerfen,  also  auch  nicht  gewaltsam  zu 
verändern;  ich  möchte  partU  se  Jorae  proripiunt  lesen,  wie  2, 11,4. 

2,  14, 5   wird   aus    dem   überlieferten    mperioris  temporis   doch   wohl 
leichter  euperiorib.  lemporib,  hergestellt  als  superiore  tempore. 

2,  19,  2  ist  zwar  ad  dient  an  sich  ein  korrekter  Ausdrnck  und  auch 
nach  dem  vorhergehenden  ad  quam  diem  an  sich  ohne  Anstofs;  aber  der 
Parallelismns  der  Glieder  weist  darauf  hin,  dafs  ad  id  temput . .  ad  (eam} 
dirnn  gesagt  war. 

2,  21,4  mufs  cum  vor  üs  naoibus  eingefügt  werden,  ebenso  wie 
ly  31,  3.  36,  1;  2,  24, 1.  Kleine  Lücken  dieser  Art  sind  in  den  Cäsar-Hss, 
ttheraus  zahlreich. 

2,  23,  4  könnte  Cäsar  sehr  wohl  (jDogyiiia)  eius  Juga  gesagt  haben, 
wie  R«  Schneider  vorschlägt,  oder  <vw<i>  eine  fuga,  wie  Paul  will,  was  dem 
Gedanken  nach,  glaube  ich,  noch  etwas  besser  pafst  als  cognita,  Dafs  Cäsar 
in  dem  hier  erforderlichen  Sinne  sonst  andere  Verba  gebraucht  hat  (z.  B. 
Vn  61,4),  ist  von  keiner  Bedeutung;  trotzdem  sei  an  {animadversay  eius 
fuga  erinnert  (vgl.  2,  42,  5).  Sollte  auch  2,  25,  6  das  Verbum  von  den 
Abschreibern  übersehen  sein  (was  ich  glaube,  da  zu  inierim  .  .  .  iubet  der 
temporale  Ablativ  nicht  mehr  zu  passen  scheint),  so  kann  über  die  Wahl 
desselben  kein  Zweifel  sein  (s.  Lex.),  und  bei  (jaognäo^  Curia  ist  die  Ursache 
des  Ausfalles  erkennbar. 

2,  23,  5  vermute  ich :  quas  praesidio  onerarüs  navibus  Curio  em  SieiUa 
duxerat  (oder  adduxerat)'^  für  dieses  Kompositum  spricht  Logik  und  Sprach- 
gebrauch, naues  ex  SieiUa  edueere  scheint  mir  überhaupt  ein  unmöglicher 
Ausdruck.  Zu  praesidio  ducere  vgl.  3,  7,  1  (wo  jedoch  vielleicht  adduxisset 
zu  lesen  ist). 

2,  27,  2  ist  ea  credimus  (Paul)  wahrscheinlich  die  richtige  La.;  da 
man  in  diesem  Falle  aber  auch  vor  retiquos  ein  ea  erwartet,  wenn  auch 
nicht  gerade  vermifst,  so  wird  auch  an  Umstellung  des  überlieferten  et  oder 
besser,  wie  mir  scheint,  an  [eQ  eredimus  gedacht  werden  können. 

2,  28,  1  vermute  ich  Corßnü  (für  das  überlieferte  corßnio);  genauer 
ausgedrückt  müfste  es  ad  Corßnium  heifsen,  eine  Kürze  des  Ausdrucks,  die 
sich  alle  Schriftsteller   gestattet  haben.    Bei  Kr.-Hofm."   werden   wir  aus- 


734  2u  Cästrs  ßellam  civile, 

drficklieh  gewarnt,  den  Abi.  Corfinio  für  eioe  Verschreibang  zu  haltea;  aber 
das  Lejc.  lehrt,  dafs  der  Abi.  bei  recipere  (finibus,  oppido,  portibus,  tseto, 
urbe)  etwas  aoderes  bedeutet,  Kr.-Hofm.  zu  1,  35,  5  heben  dies  selbst  hervor 
und  lesen  8,  103,  3  t^  .  .  Alexandria  reeiperetur  im  Sinne  von  „in  A.  auf- 
nehmen^' (wo  Paul  indes  mit  Recht  den  Acc  hergestellt  zu  haben  seheint). 
Dieselbe  Änderung  (Corfinü  statt  Corfinio)  wird  auch  1,  34,  1  nStig  sein; 
denn  schon  durch  die  Wortstellung  wird  es  klar,  dafs  Corfinü  mit  captum 
zusammengehört,  aueh  verträgt  dimitiere,  wie  das  Lex.  zeigt,  iieine  weitere 
Angabe  neben  sich  als  ab  se  oder  den  Ort,  wo  die  Entlassung  erfolgt. 

2,  31,  4  fassen  Kr.-Hofm.*  amnium  als  objektiven  Genetiv  („Verzweif- 
lung an  allem"),  worin  ihnen,  glaube  ich,  beizustimmen  ist;  aber  dafs  Cäsar 
die  Form  omnium  als  Neutrum  gebraucht  habe,  statt  omnium  (remm},  ist 
sehr  in  Zweifel  zu  ziehen.  Ist  jene  Auffassung  richtig,  so  wird  die  erwähnte 
Ergänzung  kaum  abzuweisen  sein;  vielleicht  ist  aber  auch  (sakUis}  omnium 
oder  omnium  {salutis)  möglich  nach  1,  5,  3.  Noch  auffallender  ist  2,  32, 14 
das  Neutrum  cuius,  weil  Cäsar  diese  Form  ebenso  vermeidet  wie  andere 
Schriftsteller  und  quod  dafür  der  gewöhnliche  Ausdruck  gewesen  wäre.  leh 
vermute  cuius  (jrefy  nach  Lex.  II  151 3  ff. 

2,  32,  2  ist  dwnottts  statt  eommotus  eine  Singularität,  soviel  ich  sehe, 
in  der  gesamten  lateinischen  Litteratur,  die  bei  Cäsar  nicht  vorausgesetzt 
werden  kann,  zumal  das  Kompositum  als  solches  hier  kaum  zu  verstehen  ist. 

2,  32,  5  ist  eiocuUu  statt  locutui  ganz  gegen  Cäsars  Sprachgebrauch. 

2,  40,  4  ist  mit  Kubier  gewifs  timoris  statt  temporit  zu  schreiben ; 
aber  das  überlieferte  praesenHs  durfte  meiner  Ansicht  nach  nicht  angetastet 
werden:  praesentis  timoris  opinio  ist  die  (falsche)  Vorstellung,  dafs  augen- 
blicklich die  Gegner  voller  Furcht  seien;  das  kann  zu  9uperiorem  spem 
ebenso  gut  einen  Gegensatz  bilden,  als  wenn  gesagt  wird,  dafs  Cnrio  augen- 
blicklich diese  Vorstellung  hegte.  So  ist  auch  1,  76,  5  ipem  praoMontit 
dediHonis  dem  Sinne  nach  nicht  verschieden  von  jpem  praesenUm  dedHionis 

3,  20, 1  hat  0.  Seyffert  mit  Recht  die  Hinzufügung  von  se  gefordert. 
Es  konnte  vor  si  leicht  ausfallen;  besser  aber  ist  es  wohl,  se  nicht  so  weit 
von  den  dazu  gehörenden  Worten  zu  trennen,  und  darum  sähe  ich  es,  trotz 
mangelnder  paläographischer  Unterstützung,  lieber  vor  oder  hinter  fore  ein- 
gefügt (Beispiele  im  Lex.). 

3,  24,  3  ist  der  überlieferte  Wortlaut  unhaltbar;  Meuael  will  quadTf- 
remibus  schreiben,  ich  schlage  vor,  ex  hü  zu  streichen. 

3,  28,  2  vermute  ich:  has  scaphis  . .  eompluribus  immissis  (oder  missis\ 
hierbei  ist  suis  ein  müfsiger  ßegriff)  .  .  .;  simul  de  dediUone  earum  agebat 
.  . .  polUcebatur  .  harum  una  \navis]  . . . 

3,  30,  3  ist  der  Plural  nach  ulerque  ebensowenig  haltbar  wie  2,  6,  5 ;  ja 
wegen  des  dabeistehenden  eorum  noch  weniger;  zweifellos  ist  eAiei^  zu  schreiben. 

3,  30,  4.  Da  Cäsar  quia  nicht  angewandt  hat,  empfiehlt  es  sieh  viel- 
leicht, das  Wort  einfach  zu  streichen:  Pompmus  expedito  itinste  —  ßumem 
ei  trenseundum  non  erat  —  magnis  itineribus . .  . 

3,  32, 6  vermutete  Nitsche  veUigal  prae{eepit)  mutuum,  mit  merk- 
würdigem Singular  im  Verbnm;  daher  besser  Kühler:  veeügal  prae^eaptum 
esfy  mutuum.  Beide  aber  haben  übersehen,  dafs  an  der  Stelle,  auf  die  der 
Schriftsteller  verweist,  praecipere  nicht  „auferlegen^*,  sondern  „vorausnehmen" 
bedeutet.    Dies  hat  Nitsche  inzwischen  erkannt  und  sehlägt  nun  vor  (briefl. 


voD  H.  J.  Müller.  735 

Mitteil.):  (a)  publicanis  .  .  .  vecUgal  prae(cipiebanfy  mutuum.    Ganz  richtig; 
nur  mufs  es  wohl  prae((iseperunty  heifseD. 

3,  41,  3  entziehen  sich  die  Worte  qmod  omnem  cotnmeatum  totiusque 
belli  apparatum  eo'contulisset  in  diesem  ZusammeDhanf^e  der  Erkläraodf  (die  land- 
läofige  Interpretation  bezeiehnet  Hofm.*  als  ,^anz  verworren".  Sie  sind  meiner 
Meinung  nach  zu  streichen  als  ein   nach  3,  44,  1  zurechtgemachtes  Glossem. 

3,  42,  2  wird  der  angew6hnliehe  Sprachgebrauch,  dafs  von  imperat  ein 
Acc.  c.  inf.  act.  abhängt,  mit  einer  Nachlässigkeit  des  Schriftstellers  ent- 
schuldigt; es  hätte  auch  auf  VII  60,  3  hingewiesen  werden  kSonen.  Aber 
diese  Stelle  und  andere  (Lex.  11  76)  zeigen,  dafs  Cäsar  es  liebt,  unmittelbar 
hintereinander  lubere  und  imperare  zu  setzen;  daher  könnte  man  meinen, 
es  sei  eonvemre  {lubet}  zu  lesen. 

3,  46,  5  ist  wohl  nur  so  ein  passender  Sinn  zu  erzielen,  wenn  wir 
subito  (in)  eonstipatos  pila  conieeerunt  schreiben;  vgl.  V  35,  4. 

3,  47,  2  ist,  wenn  in  alterum  nicht  eine  schwerere  Korruptel  vorliegt, 
der  Singular  jedenfalls  nicht  statthaft;  man  kann  es  sich  leicht  möglich 
denken,  dafs  aUeras  hinter  quicumque  verändert  wurde,  da  der  Plural  dem 
Schreiber  nicht  oft  begegnet  war. 

3,  72,  2  ist  paueitas  . .  eaiuae  fuü  sehr  seltsam  (hoe  causae  fuU  ist 
doch  etwas  anderes),  auch  das  blofse  causa  kann  doch  kaum  genügen;  ich 
vermute:  e€tusas  (calamüatisy  fuitse  cagitabanL  Das  vorhergehende  abscisum 
in  duas  partes  ist  ebenfalls  etwas  Sioguläres,  das  noch  dazu  gar  nicht  ver- 
standen werden  kann.  Eine  Änderung  liegt  nicht  nahe;  doch  pflegt  das  bei 
in  duas  partes  stehende  Verb  mit  dis-  zusammengesetzt  zu  sein.  Da  hier 
dluisum  nicht  wohl  geht,  kann  vielleicht  an  discisum  (oder  diseissum)  gedacht 
werden,  freilich  ein  Wort,  das  Cäsar  sonst  nicht  gebraucht  hat. 

3,  92,  3  vermute  ich :  missis  teUs,  Dafs  tela  {püa^  tragulam)  miitere 
ein  feststehender  Ausdruck  ist,  kann  man  aus  dem  Lex.  II  624  ersehen.  Die 
Verbindung  iela  immittere  wird  man  sich  V  44,  6  und  VI  8,  6  wegen  des 
dabeistehenden  in  kostes  gefallen  lassen  müssen  (obgleich  ich  nicht  daran 
glaube;  an  der  ersten  Stelle  bietet  ß  mittit;  vgl.  1,45,6);  schwerlich  aber 
2,  9,  3  (wo  auch  die  Hss.  für  das  Simplex  sind),  ebensowenig  3, 19,  6  (Paul) 
und  an  obiger  Stelle. 

3,  94,  6  ego  reliquas  portas  circwneo  et .  .  conßrmo:  „ganz  so  brauchen 
auch  wir  das  Präsens  von  einer  sofort  eintretenden  Handlung  für  das 
Futurum"  (Kr.-Hofm.*).  Ja,  wir  Deutsche  wenden  allerdings  das  Präsens 
so  an,  der  Lateiner  aber  nicht;  ich  vermute:  tuemmi  castra  et  dtfendOe  .  ., 
(/dum}  ego  reliquas  portas  circumeo  .  . . 

3,  106,  4  scheint  mir  in  vor  hoe  getilgt  werden  zu  müssen;  man  pflegt 
es  durch  Hinweis  auf  einen  unerklärlichen,  längst  emendierten  Ausdruck 
(1,  22,4)  zu  schützen.  Wenn  ferner  huius  eine  Verschreibung  von  in  viis 
ist,  dann  wird  es  wahrscheinlich,  dafs  zu  dem  unverständlichen  huius  urbis 
das  Glossem  muUis  partibus  hinzugefügt  wurde. 

3,  110,  1  mufs,  glaube  ich,  wenn  keine  Lücke  angenommen  werden  soll, 
ut  in  que  (d.  i.  quae)  verändert,  §  3  provinciae  in  provinciar.  (d.  i.  provincia- 
rum)  verbessert  und  111,  1  ^m)  domum  eius  irrumpere  eonatus  geschrieben 
werden,  wie  ich  schon  Ws.  f.  klass.  Phil.  1894  Sp.  565  hervorgehoben  habe. 

Berlin  H.  J.  Müller. 


VIERTE  ABTEILUNG. 


EINGESANDTE  BÜCHER. 


1.  D.  de  Loos,  Organisation  de  l'enseipnement  secondaire 
dans  le  royaame  des  Pays-Bas.  Ne  se  troave  pas  en  librairie.  Leen- 
warden  1894.     128  S. 

2.  P.  Knaath,  Von  Goethes  Sprache  und  Stil  im  Alter.  Diss. 
Leipzig  1894  (in  Kommission  bei  G.  Fock).    46  S.    4. 

3.  Ernst  Cnrtins,  Gesammelte  Abhandlungen.  In  zwei  Bänden. 
Band  II,  mit  neun  Tafeln.  Berlin  1894,  W.  Hertz.  XII  u.  562  S.  Lex.  8. 
12   M. 

4.  0.  Richter,  Lateinisches  Lesebuch.  Siebente  Auflage.  TeUI 
(för  Sejcta).  H  u.  116  S.  1  M,  geb.  1,25  M;  Teil  II  (für  Quinta).  YDI  n. 
230  S.  2  M,  geb.  2,25  M.  Berlin  1893.  1894,  NicoUische  Verlagsbuchhand- 
lung (R.  Stricker). 

5.  F.Scbultz,  Aufgabensammlung  zur  Einübung  der  latei- 
nischen Syntax.  Zwölfte  Auflage  von  J.  Weisweiler.  Teil  I.  Pader- 
born 1894,  F.  Schöningh.  IV  u.  200  S.  (Teil  II  ist  im  Sommer  1894  er- 
scbienen).     Beide  Teile  zusammen  geb.  2,50  M. 

6.  Incerti  auctoris  de  ratione  dicendi  ad  C.  Herennium 
libri  IV  (M.  Tullii  Ciceronis  ad  Herennium  libri  IV).  Edidit  Fr.  März. 
Leipzig  1894,  B.  G.  Teubner.    VI  u.  554  S.     14  M- 

7.  E.  Weifsenborn,  Aufgabensammlung  zum  Übersetzen 
ins  Griechische.    Leipzig  1894,  B.  G.  Teubner.    X  u.  234  S.     1,80  M. 

8.  Aristophanes,  Die  Wolken.  Erklärt  von  Th.  Kock,  4.  Auf- 
lage.   Berlin  1894,  Weidmannsche  Buchhandlung.    227  S.    2,40  M. 

9.  GrammaticiGraeci  Band  IV,  Abt.  2,  enthaltend  die  Prolegoueoa 
zum  4.  Bande  und  Choerobosci  scholia  in  canones  verbales  et  Sophronii 
excerpta  ex  Characis  commentario,  recensuit  et  apparatum  criticnm  indices- 
que  adiecit  A.  Hilgard.  Leipzig  1894,  B.  G.  Teubner.  CXXXII  u.  526  S. 
Lex.  8.    22  M. 

10.  Merim^e,  Golomba.  Erklart  von  0.  Schmager,  2.  Auflage. 
Berlin  1894,    Weidmannsche  Buchhandlung.    IV  u.  183  S.     1  M. 

11.  Dahlmann-Waitz,QuellenkundederDeutschenGeschic|hte. 
Quellen  und  Bearbeitungen  systematisch  und  chronologisch  geordnet.  Sechste 
Auflage  von  E.  Steindorff.  Göttingen  1894,  Dieterichscbe  Verlagsbuchhand- 
lung.   IX  u.  730  S.    11  M,  geb.  12  M. 

12.  Karl  Tanera,  Deutschlands  Kriege  von  Fehrbellin  bis 
Königgrätz.  Eine  vaterländische  Bibliothek  für  das  deutsche  Volk  und 
Heer.  Band  8  und  9:  Die  Deutschen  Einigungskriege  (Schleswig-Holstein 
meerumschlungen  und  der  Krieg  von  1866).  München  1894,  L.  H.  Beck*sche 
Verlagsbuchhandlung  (0.  Beck).  VII  u.  270  S.;  IV  u.  249  S.  geb.  je  2,50  M. 
—  In  diesem  Werke,  wie  in  den  sieben  Bänden  „Der  Krieg  von  1870/71i 
dargestellt  von  Mitkämpfern^*,  hat  der  Verfasser  durch  anregende  und  volks- 
tümliche Darstellung  der  kriegerischen  Ereignisse  nicht  nur  die  Kenntnis 
der  deutschen  Kriegsgeschichte  zu  verbreitern,  sondern  auch  die  Liebe  zum 
deutschen  Vaterlande,  zu  Kaiser  und  Reich  zu  kräftigen  und  insbesondere 
allen  Deutschen  klar  vor  Augen  zu  führen  gesucht,  ^ohin  uns  die  frühere 
Uneinigkeit  einerseits,  das  feste  Zusammenhalten  von  1870  anderseits  geführt 
hat.     Die  trefflichen  Bücher  sind  für  Schülerbibliotheken  sehr  zu  empfehlen. 

13.  E.  Bardey,  Zur  Formation  quadratischer  Gleichungen. 
Zweite,  unveränderte  Ausgabe.  Leipzig  1894,  B.  G.  Teubner.  VIII  n.  390  S. 
gr.  8.    3  M. 


ERSTE  ABTEILUNG. 


ABHANDLUNGEN. 


Das  induktive  Verfahren  und  die  Schulgrammatik, 

Die  neuen  Lehrpläne  haben  nicht  nur  durch  die  Beschneidung 
des  grauiinatischen  StoiTes  vielfach  Widerspruch  hervorgerufen, 
sondern  mehr  noch  dadurch,  dafs  sie  auf  allen  Stufen  das  induk* 
tive  Verfahren  wünschen.  Das  ist  wohl  natürlich;  denn  für 
ältere  Lehrer  ist  es  keine  leichte  Aufgabe,  einen  gewohnten  und 
lieb  gewordenen  Weg  plötzlich  zu  verlassen  und  einen  ganz  neuen 
einzuschlagen.  Zum  Teil  allerdings  geben  die  Lehrpläne  selbst 
Anlafs  zu  diesem  Mifsbehagen  durch  eine  gewisse  Oberspannung 
der  Forderung  der  Induktion,  indem  sie  dieselben  auch  für  die 
Erlernung  der  Formen  vorschreiben :  „Erst  dann,  wenn  eine  Reihe 
nach  einem  bestimmten  Gesichtspunkt  ausgewählter  Sätze  einge- 
übt, die  Deklinationsformen  daraus  erklärt  und  vergleichend  zu- 
sammengestellt sind,  schliefst  sich  jedesmal  die  gedächtnismäfsig 
einzuprägende  Regel  an'*  (S.  29).  Soll  der  Sextaner  die  latei- 
nische Deklination  lernen,  so  mufs  er  zuerst  eine  deutliche  Vor- 
stellung von  der  Bedeutung  der  Kasus  in  seiner  Mutter- 
sprache bekommen,  und  zwar  aus  Sätzen,  wie  ich  das  in  meiner 
„Praktischen  Anleitung'*  S.  85  fr.  gezeigt  habe.  Besitzt  er  diese 
aber,  so  genügt  es,  wie  dort  dargethan,  die  lateinischen  Kasus- 
endungen ihm  direkt  darzubieten,  wenigstens  kann  man  ihm 
schon  durch  die  Besprechung  des  einzigen  Sätzchens  Italia  est 
terra  zeigen,  dafs  die  Endung  des  Nom.  a  ist,  so  gut  wie  er  aus 
Scythae  habent  gagitlas  die  Endungen  des  Nom.  und  Acc.  PI.  er- 
kennen kann.  Da  fragt  sich  der  erfahrene  Lehrer  mit  Recht: 
weshalb  denn  zu  dem  Zweck  die  Umständlichkeit,  ihm  jedesmal 
erst  eine  ganze  Reihe  von  Sätzen  mechanisch  vorzuuberselzen? 
Vollends  aber  beim  Beginn  des  Griechischen,  für  das  dasselbe 
Verfahren  verlangt  wird,  hat  doch  der  Tertianer  bereits  so  viel 
sprachliche  Begriffe  und  die  AufTassungskraft  für  fremde  Wörter 
und  Formen  erlangt,  dafs  man  ihm  wohl  nach  den  ersten  Lese- 
übungen direkt  sagen  kann:  die  Endungen  der  ersten  Deklination 
sind   die  und  die,  und  dann  sofort  zur  Einübung  derselben  wie 

Z«ttsoliT.  t  d«  OynmuialwQBvn  ZLVUl.    la.  47 


738      0*s  iodaktive  Verfahreo  und  die  Scho  Igraromatik, 

zur  Erlernung  der  Vokabeln  sciireilen  darf.  Hier  ersclieint  also 
jenes  Verfahren  als  eine  Weitschweifigkeit,  für  die  uns  namentlich 
Jetzt  die  Zeit  zu  kostbar  geworden  ist,  und  ich  stimme  Weifsen- 
fels  vollständig  zu,  wenn  er  in  Bezug  hierauf  in  dieser  Zeilschrirt 
1893  S.  607,  sagt:  „Wenn  wir  dereinst  gefragt  werden  sollten, 
welche  Erfolge  wir  bei  diesem  Verfahren  erreicht  haben,  so  würde 
die  ehrliche,  gewissenhafte  Antwort  etwa  so  lauten  müssen:  trotz 
redlichen  Bemüh  ens  hat  sich  aus  der  Induktion  nichts 
ergeben,  was  mit  einigem  Recht  Kenntnis  der  Formen- 
lehre hätte  genannt  werden  können''. 

Andererseits  aber  ist  jenes  Widersireben  auch  auf  die  viel- 
fach  irrigen  Vorstellungen  zurückzufuhren,  die  noch  über  das 
eigentliche  Wesen  der  didaktischen  Induktion  verbreitet  sind,  wie 
aus  zahlreichen  Urteilen  in  der  Fachpresse  hervorgeht.  Ich  habe 
einmal  an  dem  Beispiel  der  Form  ^d^stTd-fj  gezeigt,  wie  man 
zweckmäfsig  die  Schüler  anleiten  kann,  durch  Loslösen  der  Flexions- 
bestaudteile  und  Herausschälen  des  Stammes,  also  durch  Analy- 
sieren, auch  solche  Formen  zu  bestimmen,  welche  einzelne, 
ihnen  aus  anderen  Verben  bereits  bekannte  Abweichungen  ent- 
halten. Das  hält  Weifsenfels  an  der  angeführten  Stelle  für  indu- 
zieren, glaubt,  der  Schüler  solle  blofs  infolge  dieses  Verfahrens  die 
Form  auch  im  Gedächtnis  behalten,  und  lindet,  dafs  ich  „in  der 
Induktion  allein  die  Gewähr  für  ein  sicheres  Wissen  sähe  und  sie 
überschätze''.  Induzieren  heifst  aber  das  Allgemeine,  den  Begriff 
oder  das  Gesetz,  aus  den  Einzelerscheinungen  ableiten;  man  kann 
also  wohl  ein  Flexionsgesetz  induzieren,  nimmermehr  aber  eine 
einzelne  Form,  die  kann  man  nur  analysieren.  Das  Ergebnis 
dieses  Verfcihrens  soll  auch  nicht  sein,  dafs  der  Schüler  dies^e 
Form  nun  im  Kopf  behält,  sondern  nur  dies,  dafs  er  durch  das- 
selbe Verfahren  diebclbe  oder  ähnlich  gebildete  Formen  bestim- 
men, bezw.  das  im  Lexikon  aufzuschlagende  Präsens  ermitteln 
kann.  Vielfach  habe  ich  betont,  dafs  alle  wichtigen  Formen, 
nicht  blofs  die  regel  mäfsigen,  auswendig  zu  lernen  sind, 
und  zwar  sicherer  als  bisher,  wie  denn  auch  äx^ofiai  sich 
thatsächlich  in  meiner  Grammatik  unter  den  zu  memorierenden 
Formen  findet.  Daneben  aber  bleiben  im  Griechischen  doch  eine 
Menge  von  abweichenden  Formen,  die  der  Schüler  bei  zweck- 
mäfsiger  Anleitung  selbst  herausfinden  kann  und  mufs,  wie  das 
schon  jetzt  in  ausgedehntem  Mafse  bei  Homer,  Herodot  und  den 
Tragikern  geschieht. 

Aber  nicht  blofs  bei  entschiedenen  Anhängern  der  alten  Me- 
thode, sondern  auch  bei  solchen,  die  der  Induktion  an  sich  das 
Wort  reden  und  meine  „Praktische  Anleitung"  zum  Studium  warm 
empfehlen,  findet  man  überraschende  Ansichten  über  dieselbe,  und 
ich  bin  hier  in  der  eigentümlichen  Lage,  mich  zum  Teil  gegen 
meine  Freunde  wenden  zu  müssen.  Während  Schiller  über  das 
genannte  Buch  urteilt:  „Die  Anleitung  zum  Unterricht  baut  diesen 


voD  A.  Waldeck.  739 

durchaus  auf  richtigen  psychologischen  Prinzi|H'en  auf;  der  Wert 
reichlicher  und  zweckmäfsig  geleiteter  Apperzeption  wird  in  trefT- 
liehen  Beispielen  dargethan;  die  Induktion  .  ..  wird  hier  un- 
widerleglich in  ihr  Recht  eingesetzt",  empfehlen  andere 
nur  die  Benutzung  der  „gegebenen  Winke  für  die  Behandlung, 
die  auf  reicher  Erfahrung  und  denkender  Beobachtung  beruhen'', 
oder  „die  Kunstgriffe  eines  alten  Praktikers  sich  zu  Nutze  zu 
machen'*,  oder  sie  sprechen  von  ^^Handgriffen  auch  für  den  älteren 
Praktiker*'.  Ein  Rezensent  warnt  dabei  zugleich  Tor  übertriebenen 
Erwartungen  bezuglich  des  Erfolges,  da  „nicht  jeder  die  glückliche 
Hand  des  Verfassers**  habe.  Wer  in  dem  Verfahren  nicht  eine 
Methode  erkennt,  die  lediglich  auf  der  konsequenten  Durchfüh- 
rung der  auf  Seite  3  zusammengestellten  psychologischen  Grund- 
sätze, namentlich  der  Anschauung,  Apperzeption  und  Induktion 
beruht,  wer  in  den  gegebenen  Beispielen  für  die  Methode  nur 
Hand-  und  Kunstgriffe  sieht,  die  die  Lehrer  sich  aneignen  und 
nachahmen  sollen,  dessen  Lob  mufs  ich  ablehnen.  Ich  habe  S.  4 
ausdrücklich  gesagt:  „Dieselben  sollen  keine  Schablone  zum  mecha- 
nischen Nachmachen  sein,  sondern  eben  nur  Beispiele  von  meiner 
Art  und  Weise;  jeder  Lehrer  soll  dieselben  naturlich  mit  selb- 
ständigem Urteil  nach  seiner  Eigenart  modifizieren  oder  ganz 
umgestalten,  wenn  nur  die  psychologischen  Grundsätze  gewahrt 
werden''.  Jeder  Lehrer  kann  und  soll  sich  die  vermeintliche 
glückliche  Hand  selbst  aneignen,  aber  er  mufs  zu  dem  Zweck 
wirklich  Methode  lernen,  die  psychologischen  Gesetze  durchdringen 
und  selbständig  anwenden,  nicht  glauben,  diese  durch  einzelne 
„Kunstgriffe**  ersetzen  zu  können. 

Die  auffallendsten  Vorstellungen  von  Apperzeption,  Induktion 
u.  s.  w.  zeigen  namentlich  folgende  Sätze  Pügners  in  dieser  Zeit- 
schrift 1893  S.  558ff. :  „Waldeck  verkennt,  steht  zu  befürchten, 
die  passive  Widerstandskraft,  die  in  einem  miltelmäfsigen  Quartaner- 
hirn gegen  Induktion,  Reproduktion  *  und  andere  schöne  Dinge 
vorhanden  ist**.  Apperzeption  und  Reproduktion  sind  bekanntlich 
psychologische  Naturprozesse;  lediglich  durch  sie  wie  durch  die 
vorangehende  Anschauung  lernt  schon  das  kleine  Kind,  auf  ihnen 
wie  auf  der  hinzutretenden  Induktion  beruht  unser  gesamter 
Elementar- Unterricht.  Eine  Methode  also,  die  sich  schon  für  das 
sechsjährige  Bauernkind  als  vortrefflich  erweist,  die  soll  für  unsere 
Quartaner  zu  hoch  sein!  Wie  müssen  alle  diese  „schönen  Dinge** 
betrieben  werden,  wenn  der  Quartaner  denselben  passiven  W^ider- 
stand  entgegensetzen  soll!  Bekanntlich  bilden  dieselben  die  Grund- 
lagen jeder  Pädagogik,  nicht  blofs  der  Herbartschen,  weil  sie  den 
natürlichen  Weg  alles  Lernens  darstellen,  wenn  auch  Fügder 
dieses  „natürlich*'  mit  noch  so  vielen  ironischen  Anführungszeichen 
versieht.  Augenscheinlich  aber  denkt  man  sich  unter  diesen 
„schönen  Dingen**  vielfach  noch  irgend  welche  künstlichen,  einer 
einseitigen  Theorie   entsprungenen  Mittelchen,  denen   gegenüber 

47* 


740      D*s  induktive  Verfahren  and  die  SchnlgramiQatik, 

das  herkömmliche  Verfahren  des  einseitigen  Mitteiiens,  Erklärens 
und  Auswendiglernens  als  der  natürliche  Weg  erscheint.  Das  zeigt 
auch  der  gleich  darauf  folgende  Satz:  „Wieviel  man  dem  induktiven 
Denken  eines  Schülers  zumuten  darf,  ohne  der  Raterei  und  Un- 
sicherheit Vorschuh  zu  leisten,  bleibt  eine  heikle  Sache'*.  Was 
in  aller  Welt  hat  überhaupt  Induktion  mit  Raterei  und  Unsiclier- 
heit  zu  thun?  Dann  müfste  Sokrates,  der  Altmeister  derselben, 
sehr  an  Unsicherheit  gelitten  haben.  Ferner:  „Nein,  es  wird  wohl 
so  bleiben,  dafs  die  Jugend  fester  Formeln  bedarf  und  diese  ihr 
gedruckt  vor  Augen  stehen  müssen'^  Aber  wer  hat  denn  das 
entschiedener  betont  als  ich,  und  zwar  gerade  für  den  Zweck  der 
Induktion?  Meine  Grammatik  enthält  diese  Formeln  in  solcher 
Menge,  daüs  der  Rezensent  selbst  auf  der  folgenden  Seite  meint: 
„In  Wirklichkeit  bietet  nun  W.  gar  nicht  so  wenig  Regeln, 
wie  man  seiner  Theorie  nach  erwarten  sollte*'.  Später  giebt  er 
dann  eine  Probe  von  dem,  was  er  sich  unter  Induktion  denkt. 
Ich  habe  nämlich  die  Regel  über  das  Genus  der  Städtenamen  auf 
US  fortgelassen,  weil  nach  meiner  Ansicht  der  Tertianer,  wenn  er 
erst  ^  KoQiv&og  kennt,  sich  dieselbe  leicht  nebenher  merken 
kann,  weil  er  den  Grund  davon  einsieht.  Wie  entbehrlich  sie  für 
den  Quintaner  ist,  zeigen  am  besten  die  an  den  Haaren  herbei- 
gezogenen verzwickten  Sätze  in  den  Übungsbüchern,  an  denen  sie  ^ 
eingeübt  werden  soll.  Diese  Weglassung  nun  ist  dem  Rezensenten 
als  undenkbar  erschienen,  er  nimmt  deshalb  an,  der  Quintaner 
solle  sich  die  Regel  selbst  aus  §  2  ableiten:  „Feminina  sind 
die  Bezeichnungen  weiblicher  Wesen  und  der  Bäume  (eigentlich 
Baumnymplien)*'  und  apostrophiert  denselben  spottend :  „Wie,  Du 
weifst  nicht,  denkbegabler  Quintaner,  dafs  man  die  Städte  durch 
weibliche  Gestalten  allegorisiert?  Hast  Du  nicht  §  2  gelesen?*' 
u.  s.  w.  Solche  Ungeheuerlichkeiten  segeln  jetzt  unter  der  Flagge 
der  Induktion;  denn  für  einen  blofsen  Scherz  ist  die  Sache  doch 
wohl  zu  ernst. 

Offenbar  liegt  allen  diesen  Urteilen  eine  Verwechslung  mit  der 
blofsen  Analogie  zu  Grunde.  Wenn  dem  Sextaner  gesagt  wird: 
inurbem  heilst  „in  die  StadV*,  aber  in  urbe  „in  der  Stadt**,  und 
man  ihm  darauf  zumuten  wollte,  in  Zukunft  diesen  Unterschied 
selbst  zu  beobachten,  so  wäre  das  allerdings  zuviel  verlangt,  er 
^^ürde  darüber  sehr  lange  im  Dunkeln  tappen.  Freilich  lernt  das 
Kind  seine  Muttersprache  auf  diese  Art,  es  bildet  Formen  und  Sätze 
nach  biofser  Analogie  der  gehörten.  Zu  einem  planmäfsig  induzieren- 
den Unterricht  aber  gehört  mehr:  aus  den  durch  die  Beispiele  gebote- 
nen konkreten  Anschauungen  ist  das  denselben  zu  Grunde  liegende 
sprachliche  Gesetz  wirklich  abzuleiten,  in  eine  ganz 
feste  und  präzise  Form  zu  bringen  und  gedächtnis- 
mäfsig  einzuprägen  und  endlich  —  gerade  wie  beim  deduk- 
tiven Verfahren  —  an  Beispielen  sicher  einzuüben.  Be- 
schränkt sich  aber  das  Verfahren  auf  das  blofse  Anschauen  der 


von  A.  Waldeok.  74X 

Beispiele  und  ist  der  SchQler  mithlD  darauf  angewiesen,  das  Ge- 
setz selbst  zu  ßnden,  ja  dann  kann  er  dasselbe  höchstens  ahnen, 
instinktiv  herausfühlen,  zu  einem  klaren  begrifflichen  Wissen  aber, 
zu  einem  bewufsten  Anwenden  des  Gesetzes  kommt  er  nie;  man 
verurteilt  ihn  zu  Raterei  und  Unsicherheit.  Solche  unbewufste 
Aneignung  mag  genügen  für  Kinder,  die  bei  Bonnen  Französisch 
lernen,  sie  genügt  aber  nicht  für  Schulen,  die  ihre  Schüler  zu 
wissenschaftlicher  Arbeit  befähigen  sollen.  Stellt  man  dagegen 
dem  Sextaner  erst  einige  einfache  Sätzchen  über  m  mit  Abi.  und 
Akk.  zusammen,  erhebt  dann  die  Frage,  wo  steckt  der  Unterschied?, 
macht  ihn  auch  darauf  aufmerksam,  daüTs  es  dasselbe  ist  wie  zwi-i- 
schen  dem  deutschen  „in  die  StadV^  und  „in  der  Stadt",  kommt 
ihm  nötigenfalls  mit  der  weiteren  Frage  zu  Hülfe:  wie  mufs  ich 
gefragt  haben,  wenn  du  antworten  sollst:  ich  wohne  in  der  Stadt? 
und  wie,  wenn  die  Antwort  lauten  soll :  ich  gehe  in  die  Stadt,  — 
so  werden  doch  sicher  die  meisten  den  Unterschied  selbst  heraus- 
finden. Dann  aber  ist  die  Regel:  die  Präposition  in  hat  den 
Akk.  auf  die  Frage  wohin?,  den  Abi.  auf  die  Frage  wo?  so  lange 
zu  wiederholen,  bis  alle  sie  im  Kopf  haben,  und  sofort  an  einer 
Reihe  anderer  Sätzchen  einzuüben.  So  induziert  man  planmäfsig, 
und  kein  Mensch  wird  doch  behaupten,  dafs  das  gerade  für 
schwächere  Schüler  eine  Erschwerung  und  nicht  vielmehr  eine 
erhebliche  Erleichterung  ist. 

Nun  lautet  der  gewöhnliche  Einwand:  Ja,  bei  so  leichten 
Dingen  geht  das  schon,  aber  bei  schwierigeren  mufs  man  doch 
eine  feste  Regel  als  Grundlage  haben,  auf  der  man  fufsen  und  von 
der  man  ausgehen  kann.  Ich  will  also  aus  dem  Pensum  der 
Quinta,  wo  die  Induktion  wichtiger  zu  werden  anfangt,  einen  der 
schwierigsten  Stoffe  herausgreifen,  den  Abi.  absolutus.  Derselbe 
wäre  etwa  so  zu  behandeln.  Vorher  ist  das  Part,  coniunctum 
eingehend  zu  besprechen  und  an  Beispielen  zu  zeigen:  1.  dafs 
dasselbe  ebenso  wenig  wie  ein  Adjektivum  in  der  Luft  schweben 
kann,  sondern  sich  stets  an  ein  anderes  Satzglied,  welches  das 
Subjekt  der  durch  das  Part,  ausgedrückten  Handlung  bildet,  an- 
schliefsen  mufs;  2.  dafs  das  Part,  in  der  Regel  einen  Nebensatz 
vertritt  und  dafs  wir  im  Deutschen  meist  einen  solchen  dafür  ein- 
setzen; dafs  dann  nicht  blofs  das  Verbum  fin.  eintreten,  sondern 
auch  eine  Konjunktion  oder  das  Relativ  hinzugefügt  werden  mufs. 
Die  klare  Einsicht  in  diese  Dinge  ist  die  notwendige  Voraussetzung 
für  das  Verständnis  des  Abi.  abs.;  aber  dieselbe  wird  nicht  durch 
Regeln  gewonnen,  sondern  dadurch,  dafs  man  die  Sache,  die  ja 
im  Deutschen  gerade  so  ist  und  die  die  Schüler  selbst  unbewufst 
im  Deutschen  richtig  machen,  durch  zweckmäfsige  Besprechung  an 
Beispielen  zur  Klarheit  des  Bewufstseins  erhebt.  Dann  erst  ent- 
steht die  Frage:  wie  aber  nun,  wenn  das  Subjekt  des  Partizipial- 
satzes im  regierenden  Satze  gar  nicht  vorkommt,  so  dafs  also  gar 
nichts    da    ist,    woran    sich    das  Part,    anschliefsen  kann?    Man 


742      Das  iodaktive  Verfahreo  und  die  Schulgrammalik, 

schreibe  die  Sätze  an.  die  Tafel:  Troiam  captam  Graeä  deUoerunt 
und  Troiä  captä  Graeci  domum  redierunty  und  konstatiere  bei  dem 
ersten  nach  der  Obersetzung  „nachdem  es  eingenommen  worden 
war'S  dafs  das  Subjekt  im  regierenden  Satze  als  Akk.  vorkommt, 
daher  captam.  Dann  klammere  man  beim  zweiten  das  Troiä  captä 
ein,  lasse  das  übrige  übersetzen  und  frage  nun:  was  wird  Troiä 
captä  heifsen?  Sicherlich  werden  viele  schon  jetzt  das  Richtige  finden. 
So  behandle  man  mehrere  Sätzchen,  auch  solche  mit  Part,  praes. 
und  pronominalem  Subjekt,  indem  man  die  Schüler  anleitet,  die  Art 
der  Übersetzung  selbst  zu  finden,  und  frage  dann:  in  welchem 
Kasus  steht  also  der  Partizipialsatz,  wenn  sein  Subjekt  im  Haupt- 
satz nicht  vorkommt?  Schliefslich  die  Erklärung:  ein  solches 
Part,  heifst  im  Gegensatz  zum  ersteren,  dem  Part,  coniunctum, 
das  absolute,  und  der  Abi.,  in  dem  es  steht,  der  Abi.  abs.  —  Das 
lasse  man  als  Regel  4 — 6 mal  wiederholen  und  beginne  jede  der 
nächsten  Stunden,  die  der  Einübung  gewidmet  sind,  mit  der  Frage: 
welches  Part,  heifst  coniunctum  und  welches  abs.  ?,  und  in  welchem 
Kasus  steht  das  letztere?  Gelegentlich  weise  man  beim  Obersetzen 
darauf  hin,  dafs  jedes  coniunctum  sich  immer  durch  wörtliche 
Obersetzung  wiedergeben  läfst,  wenn  auch  oft  schwerfälliges  Deutsch 
dadurch  entsteht,  das  absolute  dagegen  stets  durch  Konjunktionen 
(später  auch  durch  substantivische  Wendungen)  zu  übersetzen  ist, 
da  wir  ein  solches  Part,  nicht  haben.  Ist  das  verstanden  und  an 
lateinischen  Sätzen  eingeübt,  so  ergiebt  sich  das  Verfahren  für  das 
Hinübersetzen  aus  einigen  Beispielen  leicht. 

Dies  Verfahren  hat  folgende  Vorteile:  1.  entstehen  zuerst  im 
Schüler  durch  die  konkreten  Anschauungen  deutliche  Vorstel- 
lungen von  der  Sache  und  hinterher  erst  konAmt  die  begriff- 
liche Fixierung  derselben  durch  die  Sprache,  und  das  ist  der  natur- 
gemäfse  Weg,  denn  aus  Vorstellungen  entstehen  Begriffe,  nicht 
umgekehrt.  Jetzt  versteht  er,  was  er  seinem  Gedächtnis  ein- 
prägen soll,  und  nimmt  es  leicht  und  sicher  auf,  während  er  die 
vorangenommene  Regel  nur  mechanisch,  ohne  einen  Sinn  damit 
zu  verbinden,  sich  einprägen  kann,  wobei  ihn  höchstens  die  Hoff- 
nung ermutigt,  dafs  er  es  später  verstehen  lernen  wird;  2.  ent- 
wickeln sich  die  Vorstellungen  und  Begriffe  aus  und  im  Anschlüsse 
an  bereits  in  seinem  Wissen  Vorhandenes  —  Apperzeption.  Der 
Gebrauch  des  Part,  coniunctum  ist  ihm  bekannt  und  schon  etwas 
geläufig;  mit  diesem  ist  gemeinsam  a)  die  Verwandlung  des  Verb, 
fin.  in  das  Part.,  b)  das  Wegfallen  der  Konjunktion;  das  Neue 
dagegen  ist,  dafs  bei  der  Unmöglichkeit  des  Anschlusses  an  ein 
Glied  des  regierenden  Satzes  der  Abi.  eintritt,  und  dies  eine  Neue 
wird  durch  den  Gegensatz  zu  dem  Allen,  Bekannten,  leicht  auf- 
genommen und  festgehalten;  3.  beschränkt  sich  dabei  das  ge- 
dächtnismäfsig  Festzuhaltende  auf  ein  Minimum,  das  eben  erwähnte 
Neue,  während  alles  übrige  vom  pari,  coniunctum  her  bekannt 
ist     Es  ist  aber  nicht  blofs  ein  logischer  Fehler,   das,   was  vom 


voo  A.  Waldeck.  743 

ganzen  Genus  gilt,  von  der  Species  auszusagen,  wie  hier  das  Weg- 
fallen der  Konjunktion  und  die  Kongruenz  des  Part,  mit  dem 
Subjekt,  sondern  auch  ein  didaktischer;  man  führt  den  denkenden 
Schüler  dadurch  irre,  der  mufs  sich  verwundert  fragen:  „wozu 
denn  das  lernen,  das  versieht  sich  ja  von  selbst''.  Vor  der  Ent- 
Wickelung  aus  einem  Beispiel  aber  das  Verfahren,  wie  ein  absolutes 
Part,  zu  behandeln  ist,  in  langen  Regeln  auswendig  lernen  zu 
lassen  ist  nichts  anderes,  als  wenn  ein  Schwimmlehrer  seinen 
Zögling,  ehe  er  ihn  ins  Wasser  schickt,  Vorschriften  auswendig 
lernen  lassen  wollte  darüber,  wie  er  den  Körper  halten,  wie  er 
Hände  und  Füfse  benutzen  soll  u.  s.  w.  Diese  Dinge  zeigt  er  ihm 
praktisch,  er  macht  sie  ibm  vor,  läfst  dann  den  Schüler  selbst  die 
einzelnen  Bewegungen  ausführen,  korrigiert,  wo  jener  Fehler 
macht,  und  zeigt  abermals  da,  wo  er  das  Gesagte  nicht  verstan- 
den sieht.  Das  ist  das  Verfahren  bei  allen  Dingen,  die  nicht  auf 
ein  rein  theoretisches  Wissen,  sondern  zugleich  auf  ein  prakti- 
sches Können  hinauslaufen,  und  dazu  gehören  auch  alle  Sprachen, 
die  nicht  blols  rein  wissenschaftlich  studiert,  sondern  zum  Zweck 
des  Hin-  und  Herübersetzens  gelernt  werden. 

Ich  wiederhole  also:  induzieren  heifst  nicht  blofs,  an  Beispielen 
eine  äufsere  Anschauung  von  der  sprachlichen  Erscheinung  geben 
und  es  dann  dem  Schüler  überlassen,  wie  er  sich  in  Zukunft  mit 
derselben  nach  Analogie  dieser  Beispiele  abfinden  will,  sondern  es 
heifst  dieselbe  wirklich  ableiten  und  in  die  feste  Form  einer 
Regel  bringen,  die  dann  hinterher  dem  Gedächtnis  sicher  einzu- 
prägen ist.  Das  habe  ich  an  verschiedenen  Stellen  betont;  vergl. 
Prakt.  Anl.  S.  25. 

Demnach  ist  der  Zweck  der  Regel  nicht  mehr  der,  die  sprach- 
liche Erscheinung  zu  entwickeln  und  zu  erklären,  das  Verständnis 
erst  herbeizuführen,  wie  dies  bei  Zumpt  geschieht  —  und  in 
dieser  Beziehung  ist  Z.  eine  Mustergrammatik  — ;  sie  soll  viel- 
mehr nur  das  induktiv  Gewonnene  in  scharfer,  präziser 
Fassung  gleichsam  in  der  Seele  des  Schülers  zum  Auf- 
bewahren deponieren.  Dort  soll  es  aber  fest  und  dauernd 
verbleiben,  solange  der  Schüler  die  Sprache  treibt,  und  zwar  in 
einer  Form,  die  jeden  Augenblick  eine  leichte  und  rasche  An- 
wendung des  Gelernten  ermöglicht.  Mit  aller  Entschiedenheit 
weise  ich  die  Behauptung  zurück,  dafs  ich  „der  unbewufsten  An- 
eignung und  dem  Sprachgefühl  zu  viel  überliefse'';  das  letztere 
halte  ich  für  eine  sehr  schätzenswerte  Hülfe  bei  der  Erlernung 
vieler  Dinge,  aber  nimmermehr  soll  es  das  klare  begriffliche  Wissen 
ersetzen.  Ich  fordere  im  Gegenteil  in  Bezug  auf  sicheres  Ein- 
prägen der  Regeln  viel  mehr  als  meine  Gegner.  Der  Mohr 
der  Regel  soll  nicht,  wie  Fugner  meint,  gehen,  wenn  er  seine 
Schuldigkeit  gethan  hat,  sondern  er  soll  bleiben  bis  zum  Schlufs; 
denn  so  lange  ist  er  nötig.  Ich  verlange  auch  noch  vom  Primaner, 
dafs  er  mit  klarem  Bewufstsein  des  Grundes,  nicht  blofs  auf  ein 


744      Das  iodnktive  Verfahreo  und  die  Sclmlj^raaimatik. 

uDbestimmtes  Gefühl  hin,  das  Reflexiv  richtig  setzt  und  dafs  er 
mir  diesen  Grund  nötigenfalls  klar  angiebt;  das  kann  er  aber 
nicht,  wenn  er  die  Regel  nicht  mehr  genau  weifs.  S.  21  und  22 
meiner  „Praktischen  Anleitung''  habe  ich  dargelegt,  dafs  die  ratio- 
nelle Induktion  „das  blofse  Gefähl  von  dem  Richtigen  in  ein  klares 
begriffliches  Wissen  verwandeln''  soll.  Gerade  derjenige  verurteilt 
den  Schuler  zu  Raterei  und  Unsicherheit  und  weist  ihn  auf  sein 
Sprachgefühl  an,  der  ihm  „gesprächige  und  ausführliche"  Regeln 
giebt,  die  er  wegen  ihrer  Länge  und  weil  sie  die  verschiedensten 
Dinge  durcheinander  enthalten,  nicht  behalten  kann.  Einen  Mohr, 
der  stets  schlagfertig  seine  Schuldigkeit  thun  soll,  darf  man  nicht 
so  feist  machen  oder  mit  so  vielem  unnutzen  Gepäck  beladen, 
dafs  er  auf  der  Reise  des  Schulkiirsus  nicht  mitkommen  kann, 
oder  dafs  er,  wenn  er  nötig  ist,  erst  mühsam  herbeigeholt  werden 
mufs.  Auch  der  Mathematiker  giebt  in  seinen  Lehrsätzen  nur  den 
Kern  seiner  Behauptung,  keine  Ableitungen,  Erklärungen  oder  An- 
deutungen über  den  Gang  des  Beweises,  ja  er  kleidet  vielfach  seine 
Behauptungen  in  blofse  Formeln.  Was  ist  denn  aber  die  Regel, 
das  sprachliche  Gesetz,  anderes  als  der  mathematische  Lehrsatz? 
Eine  Sammlung  solcher  sprachlichen  Gesetze  nun  ist  die  Schul- 
grammatik. Und  da  sollte  man  doch  denken,  in  je  weniger  und 
je  kürzere  Regeln  es  gelingt  das  für  den  Schüler  nötige  gram- 
matische Wissen  zusammenzustellen,  um  so  mehr  erleichtere  man 
dem  Schüler  seine  Lernarbeit,  um  so  sicherer  müsse  er  das  genau 
Verstandene  behalten.  Und  nun  lese  man  von  einem  Schul- 
manne, der  nicht  etwa  noch  auf  dem  Standpunkte  Zumpts  stehen 
will,  sondern  meine  didaktischen  Grundsätze  überall  billigt,  auch 
an  der  Grammatik  „Kürze,  Knappheit,  Bestimmtheit"  rühmt,  gleich 
auf  der  folgenden  Seite  Urteile  wie  dies:  „Es  sieht  so  human 
und  aufgeklärt  aus,  so  hochmodern,  wenn  man  das  böse  Latein 
mit  einer  spindeldürren  Grammatik  lehren  kann.  Wie  haben  wir's 
doch  so  herrlich  weit  gebracht!  Ja,  es  ist  so  lange  destilliert  und 
extrahiert,  bis  das  bifschen  Geist  aus  den  Grammatiken  fortdestilliert 
ist".  Also  Geist  steckt  nur  in  dickleibigen  Grammatiken,  dadurch, 
dafs  man  demselben  Inhalt  eine  kürzere  und  präzisere  Form  giebt, 
destilliert  man  den  Geist  heraus?  Das  ist  die  Konsequenz  eines 
Standpunktes,  der  zwischen  unvereinbaren  Gegensätzen  vermitteln 
will,  der  Kürze  und  Knappheit  lobt  und  doch  mit  Heynacher  „ge- 
sprächige und  ausführliche"  Regeln  verlangt.  Will  man  die  Vor- 
teile der  Induktion  und  lobt  eine  darauf  beruhende  Methode,  dann 
darf  man  auch  die  notwendige  Konsequenz  nicht  tadeln,  und  das 
sind  Regeln,  die  das  Ergebnis  der  Induktion,  den  wesentlichen 
Kern  des  sprachlichen  Gesetzes,  in  kuzer  und  behaltbarer  Form 
zusammenfassen.  Beides  vereinigen  wollen  heifst  sich  zwischen 
zwei  Stühle  setzen. 

Der  innere  Widerspruch  dieses  Standpunktes  zeigt  sich  aber 
am   schlagendsten   an   der  Kritik,   die  Fügner  an  meinen  Regeln 


voD  A.  Waldeck.  745 

übt  „Instar  aliorum*^  greift  er  die  fiber  das  cum  inversivum 
heraus,  welche  lautet:  y.Cum  invers.  (umkehrendes  cum)  beifst  als 
=  da  mit  einem  Hauptsätze^',  und  da»n  folgt  in  gewöhnlichem 
Druck,  weil  blols  erläuternden  Zusatz  enthaltend:  „Es  kehrt  das 
Verhältnis  von  Haupt-  und  Nebensatz  um''  (§  144,  4).  Zunächst 
nennt  er  diesen  Zusatz  einen  „Sibyllinischen  Spruch'S  der  Unsinn 
enthalte,  weil  „danach  der  Vordersatz  als  Nebensatz  anzusehen 
wäre",  sieht  aber  nicht,  dafs  er  den  Unsinn  erst  selbst  hinein- 
trägt, indem  er  von  Vorder-  und  Nachsatz  spricht,  wo  nur  ein 
Hauptsatz  mit  nachfolgendem  Nebensatz  vorhanden  ist.  Dann 
stellt  er  der  meinigen  die  Harresche  Regel  als  Musler  gegenüber: 
y.cum  inversum  steht  im  Nachsatz  und  hat  den  Ind.  Perf.", 
ohne  zu  bemerken,  dafs  darin  gerade  der  Unsinn  liegt,  den  er 
mir  unterschiebt,  denn  einem  Nachsatze  mufs  notwendig  ein 
Vordersatz  entsprechen,  demnach  mufs  in  tarn  ver  appetehat,  cum 
Hann.  castra  movit  der  erste  Satz  Vordersatz  sein  ^).  Als  eigentliches 
Muster  einer  gesprächigen  Regel  aber  wird  nun  die  bei  Schmalz 
gegenüber  gestellt,  welche  §  302,  c  lautet:  „c)  als  oder  (mit  selb- 
ständigem Satze)  da.  Dies  sogenannte  cum  inversum  wird  mit  dem 
historischen  Perf.  (oder  Präsens)  verbunden  und  dient  dazu,  in 
der  Form  eines  Nebensatzes  den  Hauptgedanken  an  den  gramma- 
tischen Hauptsatz  anzufügen.  Letzterer  steht  im  Imperf.  oder 
Plusq.,  manchmal  näher  bestimmt  durch  vix,  tarn,  ncndum  u.  ä.'* 
Prüfen  wir  also  beide,  namentlich  auf  ihre  Brauchbarkeit  für  das 
induktive  Verfahren.  Die  meinige  soll  so  behandelt  werden:  von 
dem  deutschen  Satze:  „Schon  nahte  der  Frühling  heran,  als  Hann. 
aufbrach'*  ausgehend,  soll  der  Lehrer  zeigen,  dafs  dieser  eigentlich 
soviel  heifst  wie:  als  schon  der  Frühling  herannahte,  da  brach 
Hann.  auf,  dafs  also  der  Hauptgedanke,  auf  dessen  Mitteilung  es 
ankommt  und  der  den  Fortschritt  in  der  Erzählung  enthält,  im 
nachfolgenden  Nebensatze  liegt,  während  der  grammatische  Haupt- 
satz nur  eine  Zeitbestimmung  dazu,  also  einen  Nebengedanken 
enthält,  dafs  also  das  gewöhnliche  Satzverhältnis  umgekehrt  ist. 
Dieses  „als"  ist  leicht  daran  zu  erkennen,  dafs  es  immer  mit  „da" 
mit  einem  Hauptsatze  vertauscht  werden  kann:  da  brach  Hann. 
auf,  so  dafs  also  zwei  koordinierte  Hauptsätze  entstehen.  Dann  ist, 
auf  das  Lateinische  übergehend,  zu  zeigen,  dafs  cum  geradeso  ge- 
braucht wird,  und  dafs  dies  cum  eben  wegen  der  Umkehrung  des 
Satzverhältnisses  das  umkehrende  cum  genannt  wird.  Diesen  ein- 
zigen Kern  der  ganzen  Sache  begreift  und  behält  der  Schüler  mit 
Leichtigkeit,  wenn  er  verstanden  hat,  dafs  dies  cum  gar  nichts 
eigentümlich  Lateinisches  ist,  sondern  genau  dem  deutschen  „als" 
entspricht,  wenn  es  mit  „da"  und  einem  Hauptsatze  vertauscht 
werden  kann.    Alles  andere  ist  nur  selbstverständliche  Konsequenz 


*)  ÄhDÜcfae  Irrtümer  passieren  dem  RezeosenteD  mehrfach,   namentlich 
da,  wo  er  „des  trockenen  Tones  satt"  tu  ironisieren  anräogt. 


746      ^*>  iudaktive  VerfahreD  ood  die  Schalgrammatik, 

hiervon  und   mufs  als  solche  an  den  anderen  Beispielen  nachge- 
wiesen werden. 

Nun  die  Regel  bei  Schmalz,  zunächst  bezöglich  der  Form. 
Um  den  Anfang  derselben  überhaupt  zu  verstehen,  mufs  man  sich 
auf  der  ganzen  vorhergehenden  Seite  zerstreut  folgende  Ergän- 
zungen zusammensuchen:  Cum  steht  ohne  Beziehung  auf  ein  Sub- 
stantiv .  .  •;  2.  übertragen  auf  die  Zeit.  I.  Hier  wird  es  mit  dem 
Indik.  verbunden  und  bedeutet .  .  .  c,  als  oder  da.  Kann  man  sich 
eine  schwerfälligere  Form  einer  Regel  denken?  Rann  ein  Schuler 
die  überhaupt  behalten,  geschweige  sie  sich  leicht  und  rasch  ins 
Gedächtnis  rufen?  Was  enthält  sie  aber  aufser  dem,  was  auch 
die  meinige  enthält?  Erstens,  dafs  dies  cum  den  Indik.  „regiert'S 
Aber  das  ist  selbstverständlich,  wenn  es  den  Hauptgedanken  der 
Erzählung  einleitet.  Dann  Bestimmungen  über  Tempora  und  dafs 
im  Hauptsatze  manchmal  vix  u.  s.  w.  steht.  Auf  der  Stufe  aber, 
wo  die  Regel  behandelt  wird,  in  Hla,  mufs  der  Schüler  vom  Ge- 
brauch der  Tempora  doch  wenigstens  das  wissen,  dafs  das  Perf. 
die  eintretenden  Haupthandlungen  bezeichnet,  das  Imperf. 
dagegen  dauernde  Zustände  beschreibt.  Wenn  ich  ihm  also 
unter  Zuhülfenahme  der  folgenden  Beispiele  zeige,  dafs  in  diesem 
Satzgefüge,  das  seiner  Natur  nach  fast  nur  in  der  Erzählung  vor- 
kommt, der  erste  Satz,  also  der  grammatische  Hauptsatz,  immer 
irgend  welche  Verhältnisse,  eine  Lage,  also  einen  dauernden 
Zustand  beschreibt  —  in  dem  Musterbeispiel  die  Jahreszeit  — , 
während  dessen  die  im  cttm-Satze  enthaltene  Haupthandlung 
eingetreten  ist,  sollte  ein  Schüler  so  beschränkt  sein,  dafs  er 
dann  nicht  auch  die  innere  Notwendigkeit  des  Imp.,  bezw. 
Plusq.  im  ersten,  dagegen  das  Perf.  im  zweiten  begreifen  könnte? 
Gerade  für  die  Tempuslehre  sind  diese  Sätze  sehr  instruktiv  und 
kehren  deshalb  in  meiner  Grammatik  zum  Teil  dort  wieder. 
Nach  dieser  Regel  aber,  in  welcher  die  Bestimmung  über  die 
Tempora  noch  vor  der  Hauptsache  gegeben  wird,  mufs  der  Schüler, 
statt  die  innere  Notwendigkeit  zu  erkennen  und  damit  zugleich 
seine  Begriffe  über  die  Bedeutung  der  Tempora  zu  klären,  zu  der 
falschen  Meinung  kommen,  dafs  es  sich  hier,  vielleicht  ähnlich 
wie  bei  dum  während  oder  postquam,  um  eine  Laune  der  Sprache 
handle,  gerade  bei  diesem  cum,  entgegen  dem  sonstigen  Gebrauch 
der  Tempora,  immer  das  Perf.  zu  setzen.  Was  nun  aber  den 
Zusatz  von  vix  oder  iam  betrifTt,  so  ist  der  doch  ebenso  erklär- 
lich wie  zum  Wesen  der  Sache  nicht  gehörig,  mufs  aber  die 
Schüler,  so  lange  sie  die  Sache  nicht  ganz  klar  verstanden  haben, 
irre  führen,  weil  sie  vorher  das  Wesentliche  vom  Unwesentlichen 
nicht  unterscheiden,  und  welchem  Lehrer,  der  Exercitia  korrigiert, 
wäre  nicht  schon  der  Einwand  begegnet:  ja,  hier  steht  ja  aber 
im  Hauptsatz  kein  vix  oder  iam.  Es  ist  ein  didaktischer  Fehler, 
in  der  Natur  der  Sache  Liegendes  oder  aus  einer  anderen  Regel 
sich    von    selbst  Ergebendes,    wie    hier,    dafs  die  den  Fortschritt 


voo  A.  Waldeck.  747 

der  Erzählung  bildenden  Haupthandlungen  im  Ind.  und  im  Perf. 
stehen,  in  eine  andere  Regel  zu  verflechten,  weil  dadurch  Unklar- 
heit und  Verwirrung  erzeugt  wird.  Dadurch  entstehen  vielfach 
die  sogenannten  ausführlichen  und  gesprächigen  Kegeln,  die  dem 
Lehrer  zwar  das  angenehme  Gefühl  erwecken,  darin  sei  alles  so 
klar  und  vollständig  gesagt,  dafs  eine  planmäfsige  Behandlung  un- 
nötig werde,  dafs  der  Schuler,  weil  alles  in  der  Regel  stehe,  nach 
einigen  erläuternden  Worten  das  wohl  von  selbst  verstehen  müsse 
und  eben  nur  zu  Haus  sich  einzuprägen  brauche;  dieser  aber 
bekommt  daraus  nur  ganz  verworrene  Vorstellungen,  die  unmög- 
lich im  Gedächtnis  haften  können.  Das  sind  eben  solche  mit 
unnützem  Gepäck  überladene  Mohren,  die  von  vorn  herein  ihre 
Schuldigkeit  nicht  thun,  noch  weniger  aber  aushalten  können,  bis 
sie  sie  gethan  haben. 

Und  wie  läfst  sich  nun  eine  solche  Regel  induktiv  behandeln? 
Induzieren  kann  man  doch  immer  nur  einen  einzelnen  Satz, 
eine  Behauptung,  nicht  gleichzeitig  ein  ganzes  Konglomerat  von 
Sätzen  heterogenen  Inhalts.  Dieser  Satz  mufs  von  vorn  herein 
dem  Lehrer  nicht  in  verschwommenen  Umrissen,  sondern  klar 
und  scharf  als  Ziel  vor  der  Seele  stehen,  sonst  geht  die  Induktion 
ins  Blaue  hinein,  wird  ziellos  und  zerfahren.  Dies  kann  er  aber 
unmöglich,  wenn  er  einmal,  wie  die  obige  Regel  bei  Schmalz,  in 
den  Kontext  eines  vielverschlungenen  Satzes  verwoben  und  wenn 
er  selbst  noch  dazu  mit  allerlei  nicht  zur  Sache  gehörigen  oder 
selbstverständlichen  Bestimmungen  beladen  ist.  Also  nur  ein  ein- 
zelner, bestimmter  und  fest  abgegrenzter  Gedanke  kann  das 
Ziel  einer  rationellen  Induktion  sein,  und  nur  ein  solcher  kann 
klar  vom  Schüler  aufgenommen  und  behalten  werden. 

Was  für  einen  Zweck  hat  nun  die  obige  Regel?  Fügner 
meint  selbst:  „Freilich  ist  dieselbe  etwas  lang  und  nicht  zum  Aus- 
wendiglernen''. Aber  was  soll  sie  denn  in  aller  Welt?  Ich  kann 
mir  die  Antwort  schon  denken :  sie  soll  „erklärt''  und  dann  „dem 
Sinne  nach''  gelernt  werden.  Wenn  mir  doch  einmal  jemand 
klar  machen  könnte,  was  man  sich  darunter  zu  denken  hat!  Die 
Erklärung  besteht  doch  darin,  dafs  man  zunächst  durch  Ausschei- 
dung alles  Zufälligen  und  Nebensächlichen  das  Wesen  einer  Sache 
klar  und  scharf  heraushebt,  dann  diesen  verbleibenden  Begriffjs- 
komplex  in  seine  Bestandteile  zerlegt,  zeigt,  wie  ein  Teil  desselben 
mit  bereits  Bekanntem  zusammenfallt  und  dem  nun  das  Neue 
scharf  gegenüberstellt.  Das  ist  im  vorliegenden  Falle  sogar  sehr 
leicht,  wenn  man  an  Beispielen  nachweist,  dafs  die  zeitliche  Be- 
deutung —  grade  wie  bei  dem  deutschen  „als"  —  auch  bei 
diesem  cum  bleibt,  dafs  es  dagegen  nicht,  wie  die  anderen.  Neben- 
umstände, sondern  die  Hauptbandlung  einführt.  Wenn  ich  damit 
also  den  weitaus  gröfsten  Teil  der  Regel  behufs  Erklärung  erst 
beseitigen  mufs,  warum  ist  er  denn  überhaupt  hinzugefügt?  Damit 
erschwert   man    doch    dem  Lehrer  wie   dem   Schüler   die    Sache. 


748      Das  iodoktive  Verfahren  and  die  Schalgrammatik, 

Hinterher  zeige  man,  dafs  in  Konsequenz  der  und  der  Para- 
graphen der  Tempuslehre  in  diesem  Satzgefüge  immer  die  und 
die  Tempora  stehen  müssen,  bringt  man  aber  in  die  Regel  selbst 
hinein,  was  erst  die  gemeinsame  Folge  dieser  und  der  Tempus- 
regeln  ist,  so  trübt  man  erst  die  Sache,  die  man  erklären  will. 
Dann  soll  sie  zu  Haus  „dem  Sinne  nach''  gelernt  werden;  das  heifst 
doch  wohl:  dem  wesentlichen  Inhalt  nach.  Damit  mute  ich 
also  dem  Schüler  zu,  dafs  er  selbst  zu  Haus  das  Wesentliche  vom 
Unwesentliche  scheiden  und  nur  das  erstere  sich  einprägen  soll. 
Aber  warum  erschwert  man  ihm  denn  das  Lernen  dadurch,  dafs 
man  ihm  dies  Wesentliche  in  eine  dicke  Emballage  von  unnötigen 
und  verwirrenden  anderen  Bestimmungen  einhüllt?  Warum  bietet 
ihm  das  die  Grammatik  nicht  rein  und  klar?  In  der  Hauptsache 
läuft  dies  Bedürfnis  nach  ausführlichen  Regeln  darauf  hinaus,  dafs 
man  dem  Schüler  zumutet,  das,  was  die  Schule  eigentlich  leisten 
soll,  nämlich  durch  methodisches  Verfahren  vor  dem  Auswendig- 
lernen ein  volles  klares  Verständnis  herbeizufuhren,  dafs  er  das 
zu  Haus  selbst  besorgen  soll.  Zu  dem  Ende  denkt  man  sich  die 
Grammatik  als  eine  Art  von  gedrucktem  Lichrer,  der  sich  mit  dem 
zu  Haus  arbeitenden  Schüler  in  ein  behagliches  Gespräch  einläfst, 
um  das  nachzuholen,  was  der  wirkliche  Lehrer  nicht  oder  doch  nicht 
genügend  geleistet  hat,  und  von  dieser  Vorstellung  aus  findet  man 
natürlich  jede  Grammatik,  deren  Regeln  nicht  in  behaglicher  Breite 
den  «^gewohnten  Inhalt"  haben,  unbequem  und  unzweckmäfsig. 
Wenn  der  Schüler  wirklich  so  selbständig  damit  arbeiten  könnte, 
dann  hätte  es  der  Lehrer  allerdings  bequem,  er  brauchte  nicht 
viel  Methode,  brauchte  nur  aufzugeben  und  abzuhören.  Dem 
armen  Jungen  aber  wird  bei  solchen  Zumutungen  der  Kopf  heifs 
und  wüst  von  all  dem  Unverstandenen,  das  er  behalten  soll. 

Ich  habe  dieses  Beispiel  vom  cum  invers.  so  ausführlich  be- 
handelt, weil  Fügner  dasselbe  herausgegrifPen  hat,  um  die  Ver- 
kehrtheit meiner  Regeln  zu  zeigen,  dann,  weil  es  in  der  That 
sehr  geeignet  ist,  um  den  Unterschied  zwischen  der  herkömm- 
lichen Auffassung  über  Zweck  und  Beschaffenheit  der  Regeln  und 
derjenigen,  die  bei  dem  induktiven  Verfahren  vorausgesetzt  wird, 
zu  zeigen.  Die  Regel  soll  das  durch  die  Induktion  Ge- 
wonnene in  behaltbarer  Form  begrifflich  festlegen  und 
dem  Gedächtnis  zum  Aufbewahren  übergeben,  nicht  mehr 
dozieren  und  den  Lehrer  ersetzen.  Das  Verständnis  mufs  voraus- 
gehen und  durch  das  Verfahren  selbst  bewirkt  werden,  denn  nur 
klar  Verstandenes  läfst  sich  sicher  behalten;  aber  das,  was  den 
Inhalt  der  Erklärung  ausmacht  und  das  Verständnis  herbeiführt, 
auswendig  lernen  zu  lassen,  wenn  auch  nur  dem  Sinne  nach,  ist 
ein  psychologisches  Unding. 

Eine  rationelle  und  zielbewufste  Induktion  mufs  also  an  eine 
Schulgrammatik  folgende  Anforderungen  stellen: 

1.  Sie  mufs  ein  ausreichendes  und  passendes  Material  von 


voD  A.  Waldeck.  749 

Beispielen  liefern,  teils  zur  Anschauung  und  Induktion,  teils  zur 
ersten  Anwendung  des  Gelernten  durch  die  Schüler.  Die  Lehr- 
pläne schreiben  zwar  vor,  dafs  dieselben  „möglichst  aus  der  Lek- 
türe entnommen  sein  sollen^'.  In  den  Unterklassen,  wo  diese 
noch  für  die  Grammatik  zugeschnitten  ist,  könnten  sie  vielleicht 
ganz  daraus  entnommen  werden;  freilich  mufsten  dann  auch  die 
Uhungsböcher  für  das  induktive  Verfahren  eingerichtet  sein.  Auch 
später  bei  den  Schriftstellern  wird  man,  wenn  kurzlich  passende 
Sätze  dagewesen  sind,  natürlich  am  besten  auf  diese  zurückgreifen. 
Welche  INachteile  aber  damit  verbunden  sind,  wenn  der  Lehrer 
sich  darauf  beschränken  will,  habe  ich  in  der  „Praktischen  An- 
leitung'' S.  28  ff.  dargethan.  Deshalb  sagen  die  Lehrpläne  auch 
nur  „möglichst",  die  Hauptsache  mufs  immer  die  Grammatik  liefern. 
Das  gilt  namentlich  von  den  stehenden  Musterbeispielen. 

2.  Sie  soll  die  Regeln  in  der  vorhin  bezeichneten  festen 
Form  bieten,  in  welcher  sie  für  die  Induktion  geeignet  sind, 
sicher  eingeprägt  und  leicht  reproduziert  werden  können.  Diese 
Form  kann  sein:  a)  eine  bezeichnende  Benennung.  So  gut 
der  Schüler,  wenn  er  die  Sache  einmal  verstanden  hat,  dauernd 
weifs,  was  ein  gleichseitiges  Dreieck  ist,  ohne  eine  Deßnition  wört- 
lich im  Kopf  zu  haben,  ebenso  genügen  ihm  Benennungen  wie 
Coni.  hortativus,  umkehrendes  cum,  erzählendes  Perf.;  nur  spreche 
man  nicht  vom  perf.  historicum,  mit  der  Geschichte  hat  dasselbe 
nichts  zu  thun,  Jede  römische  Waschfrau  hatte  dasselbe  für  ihre 
Erzählungen  gerade  so  nötig  wie  Livius  und  Tacitus.  —  b)  eine 
Formel.  Wenn  der  Tertianer  an  a'-|-2ab-|-b*  sich  nicht 
blofs  die  Art  merkt,  wie  man  ein  Binom  potenziert,  sondern 
auch  das  Verfahren  bei  der  Ausziehung  der  Quadratwurzel,  dann 
kann  er  die  doppelte  Konstruktion  von  oportet  auch  an  dem  Bei- 
spiel behalten :  legem  brevem  esse  oportet  und  lex  brevis  sit  oportet, 
so  gut  wie  die  von  celare  an  telare  aliquem  aliquid  und  de  re, 
Pass.  celor  de]  c)  eine  Regel,  die,  wie  die  Dehiiition,  nur  den 
Kern  der  Sache  enthält.  Fügt  man  einer  dieser  drei  Formen  er- 
läuternde oder  das  Gedächtnis  unterstützende  Zusätze  bei,  wie 
ich  das  beim  umkehrenden  cum  gethan  habe,  so  sind  diese 
nicht  nur  aus  dem  Kontext  der  Regel  streng  auszuscheiden,  son- 
dern auch  durch  anderen  Druck  kenntlich  zu  machen,  damit  der 
Schüler  deutlich  sieht,  was  Regel  ist  und  was  Erläuterung,  und 
genau  weifs,  was  er  sich  einprägen  soll  und  was  nicht. 

3.  Sie  mul's  jeder  Regel  eine  Form  geben,  welche  für  die 
Stufe  pafst,  auf  der  sie  gelernt  werden  soll;  denn  es  ist  klar,  dafs 
man  auf  den  verschiedenen  Stufen  mit  anderer  Fassungskraft  so- 
wie mit  anderen  grammatischen  Vorkenntnissen  zu  rechnen  hat. 
Die  Syntax  gehört  im  systematischen  Betrieb  nach  111,  die  Formen- 
lehre nach  VI  und  V,  und  diesen  Stufen  ist  das  betreffende 
Material  in  der  Form  anzupassen.  Warum  läfst  man  nun  z.  B. 
den  Sextaner  den  Inf.  Perf.  Pass.  in  der  Form  laudatum  am  um 


750      I)*s  induktive  Verfahren  und  die  Schulgraminatik , 

esse  ierneu  slall  hudatus  a  um  esse"!  Die  Bt;deutiing  dieses  Inf. 
darf  man  ihm  doch  nur  an  solchen  Sätzen  klar  machen,  in  wel- 
chen das  Part,  im  Nom.  erscheint,  wie:  der  Schüler  soll  gelobt 
worden  sein,  weil  er  von  dem  Prädikats-Akk.  beim  Inf.  noch  keine 
Ahnung  hat;  ja  nur  solche  Sätze  werden  ihm  thatsächlich  in  den 
ersten  Jahren  in  den  Übungsbüchern  geboten.  Was  soll  er  sich 
nun  unter  laudatum  am  um  esse  denken?  Mufs  ihm  der  Akk. 
nicht  rätselhaft  erscheinen  und  ihn  irre  machen,  wenn  er  aus  den 
Heispielen  sieht,  dafs  das  Part,  überall  sich  dem  Subjekte  anpafst? 
Ganz  anders  liegt  die  Sache  in  Tertia.  Wenn  der  Schüler  erst 
weifs,  warum  es  heifsen  mufs:  suis  rebus  contenhtm  esse,  dann 
mag  man  ihm  auch  sagen,  dafs  aus  demselben  Grunde  bei  allein- 
stehenden Infinitiven  in  der  Regel  locutum  esse  u.  a.  gesagt  wird. 
Aber  warum  schon  dem  Sextaner  das  als  Rätsel  aufbürden? 
Warum  soll  der  nicht  laudatus  a  um  esse  lernen  so  gut  wie  beim 
Part,  laudatus  a  umf  Ich  verstehe  nicht  einmal,  warum  das  eine 
wissenschaftlich  richtiger  sein  soll  als  das  andere;  die  Form  kommt 
in  der  Konjugation  rein  als  solche  vor,  ohne  jeden  Satzzusammen- 
hang, während  ich  mir  unter  laudatum  esse  nur  einen  Subjekts- 
Inf.  denken  kann;  didaktisch  zweckmäfsig  ist  es  jedenfalls  nicht. 
Besonders  auffallend  zeigt  sich  dieser  Fehler,  dafs  die  Form 
der  Regel  nicht  für  die  Stufe  pafst,  in  dem  Abschnitt  über  das 
Partizipium.  Derselbe  enthält  natürlich  Dinge,  die  auf  den  aller- 
verschiedensten  Stufen  gelernt  werden  müssen,  und  doch  sind 
diese  sämtlich  meist  in  den  Kontext  weniger  langer  und  ver- 
wickelter Sätze  verwoben.  Nach  Schmalz  §  202  mufs  schon  der 
Quintaner  lernen:  „Der  sogenannte  Abi.  absol.  ist  ein  mit  einem 
Subjektsprädikativum  versehener  Abi."  —  Kann  der  das  verstehen? 
Und  doch  darf  er  deu  Satz  nicht  auslassen,  denn  der  folgende: 
,,[hm  entsprechen  .  .  .''  weist  darauf  zurück  und  enthält  das  für 
den  Quintaner  absolut  Notwendige.  Aber  auch  andere  Gramma- 
tiken begehen  denselben  Fehler.  Bei  Stegmann  heifst  es  §  192: 
„Das  Part,  steht  seiner  adjektivischen  Natur  gemäfs:  1.  als 
Attribut;  im  Deutschen  stehen  gleichfalls  Part,  oder  Relativsätze; 
b)  prädikativ  in  Vertretung  eines  Konjunktionalsatzes'S  Zwischen 
a  und  b  wird  eine  Bemerkung  über  „sogenannt,  betitelt  u.  s.  w.'' 
eingeschoben.  Diese  Regel  ist  offenbar  für  den  Quintaner;  denn 
den  wesentlichen  Inhalt  mufs  der  kennen.  Wird  er  sie  aber 
verstehen,  zumal  in  dieser  zerrissenen,  erst  durch  einen  selb- 
ständigen Hauptsatz,  dann  durch  eine  ganze  Anmerkung  unter- 
brochenen Form?  Wird  man  dem  nicht  einfacher  an  Beispielen 
zeigen,  dafs  das  im  Deutschen  gerade  so  ist  und  in  der  Natur 
der  Sache  liegt,  nur  dafs  wir  nicht  so  viele  Partizipia  gebrauchen 
und  deshalb  häufig  auflösen  müssen?  Gerade  so  steht  es  mit  dem 
gesamten  Inhalt  des  §  194:  der  Quintaner  versteht  nicht,  was 
kondizionale,  modale,  kausale,  konzessive  Sätze  sind,  und  dem 
Tertianer  ist  ohne  die  Regel  die  Sache  längst  geläufig.    Die  drei 


voo  A.  Waldeck.  751 

Anmerkungen  enllialten  OberlUlssiges  oder  iu  die  Stilislik  (>e- 
hüriges,  so  dafs  also  auf  den  ganzen  drei  Seiten  der  Unterschied 
von  Part,  absol.  und  coniunclum  das  Einzige  ist,  was  der  Quintaner 
als  eigentumlich  lateinisch  zu  lernen  hat;  aber  dies  ist  mit  Dingen 
vermengt,  die  er  nicht  verstehen  kann.  Die  Lehre  vom  Part, 
enthält  Material  für  alle  Stufen  von  VI  bis  II,  und  es  ist  deshalb 
überhaupt  unmöglich,  dieselbe  auf  eine  didaktisch  zweckmäfsige 
Weise  in  einem  besonderen  Abschnitt  zu  vereinigen.  Daher  habe 
ich  das  ganze  Material  verteilt  und  jedes  Einzelne  da  behandelt, 
wohin  es  logisch  gehört:  1.  die  aktive  und  passive  Bedeutung  des 
Part  §  31,  2  unter  den  Nominalformen  (VI);  2.  Abi^eichungen 
davon  §  34,  3  (V) ;  3.  das  Part,  praes.  von  transitiven  Verben 
§  66  zusammen  mit  dem  Adiect.  relat.  (III);  4.  das  Part,  zur  Um- 
schreibung des  Grundes  beim  Abi.  causae  §  84  (III);  5.  die  zeit- 
liche Bedeutung  in  der  Tempuslehre  $  188  (III);  6.  stilistische 
Eigentümlichkeiten  im  adjekliven  Gebrauch  §  213 f.  unter  Adjekliva 
(II);  7.  den  Ausfall  des  Pronomens  beim  Part.  §  218  c  unter  is,  ea,  id 
zusammen  mit  den  übrigen  Fällen,  wo  dies  ausfällt  (II).  Damit 
gebe  ich  also  sachlich  nichts,  was  sich  von  selbst  versteht,  dafür 
aber  mehr  im  Lateinischen  wirklich  Abweichendes,  also  zu  Ler- 
nendes; bezüglich  der  Anordnung  aber  erscheint  jedes  Einzelne 
da,  wohin  es  gehört,  und  es  fliefsen  nicht  Dinge,  die  erst 
der  Tertianer  oder  Sekundaner  lernen  soll,  durchein- 
ander mit  solchen,  die  schon  der  Quintaner  oder  Sex- 
taner wissen  mufs. 

Nun  halten  manche  diesen  besonderen  Abschnitt  für  nötig, 
um  in  II  zusammenfassende  Repetitionen  vornehmen  zu  können. 
Worin  bestehen  aber  solche?  Doch  darin,  dafs  man  den  gesamten 
Stoff  sammelt  und  nach  bestimmten,  wo  möglich  sachlichen  Ge- 
sichtspunkten ordnet  und  gruppiert,  und  das  ist  unter  allen  Um- 
ständen eine  vorzügliche  Übung,  wenn  die  Schüler  das  selbst 
auszuführen  haben.  Bei  einer  zusammenfassenden  Repetition 
über  das  Part,  wäre  also  den  Sekundanern  die  Aufgabe  zustellen: 
Ordnet  alles  darüber  Gelernte  nach  folgenden  Gesichtspunkten: 
1.  Bedeutung,  a)  aktive  und  passive,  b)  temporale;  2.  Ge- 
brauch, a)  zur  Umschreibung  des  Grundes,  b)  adjektivischer; 
3.  stilistische  Eigentümlichkeiten.  Die  Paragraphen,  wo 
sie  das  Einzelne  finden,  könnten  ihnen  angegeben  werden,  oder 
sie  könnten  dieselben  in  dem  Register  in  dem  nachträglich  er- 
schienenen Anhange  nachsehen.  Eine  solche  Behandlung  enthielte 
doch  eine  wirklich  gruppierende  Zusammenfassung,  die  der  Schüler 
mit  eigener  Denkthätigkeit  auszuführen  hat;  die  langen  Abschnitte 
der  Grammatiken  aber  sind  eine  mechanische  Zusammen h auf ung 
ganz  heterogener,  zum  Teil  selbstverständlicher  oder  überflüssiger 
Dinge,  und  das  alles  in  einer  solchen  Breite,  als  ob  es  gälte,  dem 
Schüler  die  erste  Vorstellung  vom  Part,  beizubringen.  Was  hat 
der  Sekundaner    daran    zusammenzufassen?    Er  wird   die  vielen 


752      ^^^  induktive  Verfahren  und  die  Schnlgrammatik, 

Seiten  überlliegen  und,  weil  er  sieht,  dafs  das  fast  lauter  bekannte 
Dinge  sind,  höchstens  darin  herumsuchen,  ob  er  irgendwo  etwas 
Besonderes  findet,  das  er  sich  wieder  merken  mufs.  Kann  eine 
solche  Repetition  einen  anderen  Erfolg  haben  als  eine  ganz 
vorübergehende  Auffrischung  einiger  Einzelheiten?  Und  kann  man 
das  wirklich  eine  gruppierende  Zusammenfassung  nennen? 

Welchen  Zweck  hat  nun  die  Grammatik  in  der  Hand  des 
Schülers  zu  erfüllen?  Der  Zweck  selbständiger  Studien  ist,  wie 
schon  dargethan,  auszuschliefsen ;  dazu  ist  der  Schüler  nicht  be- 
fähigt, er  nimmt  dabei  mehr  falsche  und  konfuse  als  richtige 
Vorstellungen  in  sich  auf.  Auch  die  bisher  üblichen  Repetitionen 
ganzer  Abschnitte  geschehen  so  mechanisch,  dafs  sie  keinen  Er- 
folg haben.  Aber,  meint  man,  er  mufs  doch  beim  Arbeiten  sich 
Rats  erholen  können.  Gewifs,  aber  doch  nur  über  vergessene 
Einzelheiten.  Und  geht  das  nicht  leichter,  wenn  er  die  Regeln 
in  der  von  mir  verlangten  präzisen  Form  findet?  Oder  auch  über 
nicht  Verstandenes?  Wie  kann  er  das,  wenn  es  nicht  einmal 
dem  Lehrer  in  der  Stunde  gelungen  ist,  das  Verständnis  herbei- 
zuführen?. Die  Folgen  dieses  Ratholens  in  den  bisherigen  Gram- 
matiken  sind  Zeitverschwendung  mit  ewigem  Blättern,  statt  selbst 
nachzudenken,  konfuses  Suchen,  oberflächliches  Durchfliegen  der 
Sache,  Mifsverständnisse  und  Fehlgreifen  in  der  Wahl  der  anzu- 
wendenden Regel,  infolge  dessen  Mutlosigkeit  und  Mangel  an 
Selbstvertrauen,  endlich  unverhältnismäfsiger  Zeitaufwand  bei  einer 
Arbeit.  Statt  alles  dessen  soll  der  Schüler  1.  zu  Haus,  soweit 
das  nicht  in  der  Stunde  selbst  geschehen  ist,  die  Musterbeispiele 
sowie    die  Regeln    selbst    sicher    und   wortgetreu   sich  einprägen. 

2.  Er  soll  etwa  Vergessenes  im  Gedächtnis  wieder  auffrischen 
können.  Damit  beides  leicht  und  rasch  geschehen  kann,  soll  jede 
Regel  kurz,  klar  und  für  sich  aliein  verständlich  sein.  Von  dieser 
Art  der  Repetition  mache  ich  in  der  Weise  Gebrauch,  dafs  ich  bei 
Fehlern,  die  augenscheinlich  auf  einem  Vergessen  der  Regel  beruhen, 
den  betreffenden  Paragraph  beim  Exercitium  an  den  Rand  schreibe 
oder  mündlich  angebe,  damit  die  betreffenden  Schüler  in  der 
nächsten  Stunde  sich  damit  melden.  Stellt  sich  dagegen,  namentlich 
wenn  ein  Fehler  von  vielen  zugleich  gemacht  ist,  heraus,  dafs  die 
Sache  noch  nicht  genügend  verstanden  ist,  so  hilft  doch  nichts  als 
eine  abermalige,  wenn  auch  abgekürzte  Behandlung  in  der  Schule. 

3.  Der  Schüler  soll  nach  der  Grammatik  gruppierende,  bei  ge- 
eigneten Partieen  auch  mit  dem  Griechischen  vergleichende  Zu- 
sammenfassungen vornehmen  können,  das  ist  die  wirksamste  Art 
der  Repetition  ganzer  Abschnitte. 

Soll  also  das  induktive  Verfahren  zur  Wahrheit  werden,  s  o  fange 
man  nicht  damitan.  Formen  und  Vokabeln,  d.  h.  konkrete 
Einzeldinge,  die  sich  nur  anschauen  lassen,  induzieren  zu 
wollen.  Ich  finde  es  ganz  begreiflich,  wenn  ein  in  der  Sache  noch 
unbewanderter  Lehrer  sich  wochenlang  in  HI  b  damit  abgequält  hat, 


von  A.  Wtidcck.  753 

den  Schulero,  ohne  üa£s  sie  eine  Vokabel  oder  eine  Form  kennen, 
griechische  Sätzchen  vorzuübersetzen,  dies  mühselige  Verfahren 
aafgebend  zum  alten  zurückkehrt  und  dann  die  Induktion  über- 
haupt als  unbrauchbares  Instrument  verwirft.  So  führt  der  Mifs- 
brauch  der  Sache  zur  Verkennung  ihres  wirklichen  Wertes  und 
ruft  die  vielfach  darüber  verbreiteten  falschen  Vorstellungen  her- 
vor. Dann  aber  sind  als  Grundlage  dabei  auch  für  den  Zweck 
eingerichtete  Grammatiken  nötig.  Gesprächige  Regeln  wie  die 
oben  besprochenen  zu  induzieren,  wird  auch  dem  geübtesten 
Heister  nicht  gelingen,  der  Anfänger  aber  mufs  dabei  in  allerlei 
Verkehrtheiten  verfallen  und  den  Mut  verlieren.  Ein  schwerer, 
von  mangelhafter  Kenntnis  der  Sache  zeugender  Irrtum  ist  es, 
dafs  eine  solche  Grammatik  mit  einem  solchen  Verfahren  „eine 
Erschwerung  des  Unterrichts  und  Vermehrung  der  häuslichen 
Arbeit  für  alle  wenig  begabten  Schüler'*  bedeute.  Für  den  Lehrer 
ist  sie  allerdings  keine  Erleichterung,  der  mufs  sich  vor  jeder 
Stunde,  die  etwas  neues  Grammatisches  bringen  soll,  vorher 
nicht  blofs  die  Sache,  sondern  auch  die  Art  der  Behandlung  im 
Einzelnen  sorgfältig  zurechtlegen.  Für  den  Schüler  aber  liegt  die 
Sache  genau  umgekehrt,  dessen  Lernprozefs  nimmt  dabei  diesen 
Gang:  erst  verstehen^  und  zwar  in  der  Schule,  dann  gedächtnis- 
mälsig  einprägen.  Damit  fällt  der  Schwerpunkt  der  Arbeit  in  die 
Schule  selbst,  und  diese  wird  mehr  zu  einer  Denkarbeit,  und  in 
beidem  liegt,  soweit  ich  dieselben  verstehe,  die  Tendenz  der  Lehr- 
pläne. Und  gerade  für  die  wenig  begabten  Schüler  ist  das  ein 
bedeutender  Vorteil.  Oder  kann  man  sich  vorstellen,  dafs  ein 
solcher,  wenn  er  zu  Haus  allein  über  einer  gesprächigen  Regel 
brütet,  damit  eher  zum  Ziele  kommen  soll,  als  wenn  ihm  der 
Lehrer  mündlich  in  gemeinsamer  Arbeit  die  Sache  an  Beispielen 
entwickelt?  Ich  bin  seit  langen  Jahren  an  dem  Gymnasium  einer 
kleinen  Stadt  tliätig,  das  seine  Schüler  grofsenteils  aus  solchen 
Elementen  rekrutiert,  die  nicht  sehr  begabt  sind,  bin  also  wahr- 
lich nicht  gewöhnt,  nur  mit  auserlesenem  Material  zu  arbeiten. 
Aber  gerade  dieser  Umstand  hat  uns  längst  genötigt,  ein  Verfahren 
aufzusuchen,  das  für  schwache  geeignet  ist,  und  eben  diesem  Be- 
dürfnis sind  meine  Grammatiken  und  meine  Methode  entsprungen. 
Die  Erleichterung  liegt  eben  darin,  dafs  ihm  nur  klar  Verstandenes 
sich  einzuprägen  zugemutet,  und  dies  dann  durch  vielfaches  Hin- 
und  Herübersetzen  zu  seinem  vollen  geistigen  Eigentum  gemacht 
wird.  Dadurch  wird  ohne  Überlastung  des  Gedächtnisses  die  noch 
schwache  Denkkraft  geübt  und  gestärkt,  während  sie  umgekehrt 
erlahmt  und  verkümmert,  wenn  man  den  Schüler  zwingt,  halb 
oder  gar  nicht  verstandene  Dinge  in  weitschweiüger  und  unbehalt- 
barer  Form  sich  mühsam  einzuprägen. 

Corbach.  A.  Waldeck. 


ZeitMhr.  t  d.  OymnMUlweaen  XLVIII.    12.  43 


ZWEITE  ABTEILUNG. 


LITTERARISCHE  BERICHTE. 


Viktor  Heho,  llber  Goethes  Hermaon  nud  Dorothea.  Aus  dessen 
NacbUTs  herausgegeben  von  Albert  Leitzmano  aod  Theodor 
Schieinann.  Stattgart  1893,  Cottasche  Verlagsbuchbandlaog.  146$. 
Text,    18  S.  Aomerkuogen.     3  M. 

Habent  sua  fata  iibelii.  Viktor  Helin  hatte  das  Manuskript 
des  vorliegenden  Buches  vollendet,  als  ihn  im  Jahre  1851  die 
Verbannung  von  Dorpat  nach  Tula  traf.  Seine  Papiere  wurden 
mit  Beschlag  belegt  und  ihm  erst  lange  nach  seiner  Begnadigung 
(1855)  zurückgegeben,  leider  auch  dann  nicht  einmal  vollständig. 
So  fehlten  zu  Hermann  und  Dorothea  eine  Anzahl  Blätter.  Glück- 
licherweise gestatteten  die  zum  Teil  erhaltenen  Konzepte,  die 
Lücken  mit  annähernder  Sicherheit  in  Hehns  Geiste  auszufüllen. 
Wir  sind  den  Herausgebern  dankbar  für  ihre  Bemühungen  und 
hoifen,  dafs  sie  aus  dem  Nachlafs  des  verstorbenen  Autors  noch 
andere  wertvolle  Schriften  ans  Tageslicht  bringen. 

Der  Inhalt  unseres  Buches  ist  folgender: 

Um  dem  Gedicht  seine  Stelle,  gleichsam  seine  substanzielle 
Heimat  anzuweisen,  erörtert  der  Ausleger  Wesen  und  Gesetze  der 
epischen  Dichtungsart.  Dann  kehrt  er  zu  Goethe  zurück  und 
findet,  dafs  er  durch  eine  einzige  Gunst  der  Natur  ganz  zum 
epischen  Dichter  geboren  war,  und  dafs  das  Wesen  seiner  Dichtung 
mit  dem  Wesen  der  epischen  Poesie  auf  das  glücklichste  zusammen- 
fällt. In  einem  zweiten  Abschnitt  spricht  er  über  Zeit  und  Nation 
des  Dichters  sowie  über  sein  Verhältnis  zu  den  politischen  Be- 
gebenheilen und  der  ihn  umgebenden  nationalen  Welt.  Darauf 
folgt  eine  meisterhatte  Analyse  des  Gedichtes  und  eine  ausge- 
zeichnete Charakteristik  der  handelnden  Personen.  Die  Art  der 
Darstellung  und  Behandlung  wird  näher  ins  Auge  gefafst,  dabei 
die  Diktion,  der  sprachliche  Ausdruck  und  Versbau  feinsinnig 
beurteilt.  Die  abschliefsende  Vergleichung  mit  Klopstocks  Messias 
und  Vossens  Luise  dient  dazu,  die  Eigentümlichkeit  und  den  Wert 
dos  Goethischen  Kunstwerks  ins  Licht  zu  setzen. 

Die  Herausgeber  haben  aufser  Litteraturnachweisen  öfter  Hehns 
„Gedanken  über  Goethe*'  citiert.  In  der  That  mufs  man  dieses 
vortreffliche  Buch  zur  Ergänzung  und  zur  Berichtigung  gelegent- 
licher Urteile  heranziehen.  Wo  in  „Hermann  und  Dorothea*'  und 
in  den  ,, Gedanken  über  Goethe''  sich  etwa  Abweichungen  linden, 
z.  B.  in  den  Urteilen  über  Lessing,  über  Börne  und  den  jüdischen 
Einflufs  in  der  Litteratur,  da  halte  ich  die  letzten  Gedanken  Hehns 
für  die  reifsten  und  richtigen. 

Auf  Einzelheiten  einzugehen  verbietet  der  Baum.  Jeder  Lehrer 
aber,  der  Goethes  Hermann  und  Dorothea  zu  erklären  hat,  sollte 
Hehns  Buch  lesen.     Den  Untersekundanern  wird  er  freilich  weder 


Samml.  deutsch.  DichtUD^eo  o.  Prosaw.,  agz.  v.  F.  Kuntze.     755 

mit  dem  Gedichte  noch  mit  dem  Kommentar  sonderlich  nützen. 
Aber  was  wir  sonst  von  einer  Anleitung  verlangen,  dafs  sie  uns 
das  Kunstwerk  nachempfinden  und  roitgeniefsen  lasse,  das  leistet 
diese  in  hervorragendem  Mafse. 

Blankenburg  am  Harz.  H.  F.  Müller. 


Sammlaog  deutscher  Dichtaogeo  aod  Prosawerke,  für  den  Schal- 
gebrauch herausgegeben  von  Augast  BruDu  er.  Bd.I.  Ausgewählte 
Abhandlungen  und  Reden  erklärt  von  Alex.  Baldi.  120  S. 
kl.  8.  —  Bd.  II.  Goethes  Hermann  und  Dorothea  erklärt  von 
Joh.  Bapt.  Krallinger.    lOüS.  kl.  8.    Bamberg  1894,  C.  C. Buchner. 

Goethes  bekanntes  Wort: 

Denn  bei  den  alten  lieben  Toten 
Braucht  man  Erklärung,  will  man  Noten, 
Die  Neuen  glaubt  man  blank  zu  verstehen, 
Doch  ohne  Dolmetsch  wird*s  auch  nicht  gehen, 
bat  sich  in  unseren  Tagen  in  vollem  Mafse  erfüllt.  Denn  seit  die 
Werke  unserer  grofsen  Dichter  zum  eisernen  Bestand  der  Schul- 
lektüre gehören,  mehrt  sich  die  Zahl  der  Klassikerausgaben  in 
einer,  man  möchte  beinahe  sagen,  beklemmenden  Weise.  Auf  die 
Einzelscbriften  von  Düntzer  und  anderen  sind  die  Sammelausgaben 
gefolgt,  welche  Nord  und  Süd  in  ausgiebiger  Weise  versorgen. 
Nun  ist  zu  den  norddeutschen  und  österreichischen  Sammlungen 
noch  eine  neue  hinzugekommen,  die  zunächst  bestimmt  ist,  den 
Bedarf  der  bayerischen  Schulen  zu  decken.  Sie  nimmt  insofern 
eine  gewisse  Sonderstellung  ein,  als  das  erste  der  beiden  bis  jetzt 
erschienenen  Bändchen  eine  Auswahl  von  Reden  und  Prosaaufsätzen 
verschiedener  Zeiten  und  verschiedener  Verfasser  bringt,  während 
die  übrigen  Sammelwerke  gleicher  Tendenz  in  der  Regel  die  Dich- 
tungen entschieden  bevorzugen  und,  wenn  sie  Prosawerke  ent- 
halten, in  der  Auswahl  derselben  die  Grenzen  bedeutend  enger 
ziehen.  Hier  finden  wir  im  ganzen  sechs  Stucke:  1)  Schiller, 
Die  Schaubühne  als  eine  moralische  Anstalt  betrachtet;  2)  Schillers 
akademische  Antrittsrede;  3)  Jacobs'  Rede  über  die  Bildung  der 
Jugend  zur  Humanität;  4)  Die  Festrede  Eduard  von  Schacks  ge- 
halten bei  der  feierlichen  Grundsteinlegung  der  Walhalla;  5)  Döder- 
leins  Festrede  an  Schillers  hundertjährigem  Geburtstage;  6)  Curtius' 
Gedächtnisrede  auf  Kaiser  Wilhelm  I.  Man  wird  zugeben  müssen, 
dafs  die  Auswahl  nicht  ungeschickt  getroffen  ist.  Schillers  Mann- 
heimer Abhandlung  steht  zwar  unter  dem  Einflüsse  einer  jetzt 
gröfstenteils  veralteten  Kunstlehre,  darf  aber  auch  heute  noch  ein 
gröfseres  Interesse  beanspruchen  als  ein  lediglich  historisches; 
und  die  akademische  Antrittsrede  über  die  Bedeutung  und  den 
Zweck  des  Studiums  der  Universalgeschichte  thut  auch  jetzt 
noch  durch  die  scharfe  Gegenübersteilung  der  banausischen  und 
der  philosophischen  Studienweise  wie  durch  die  geistreiche  For- 
mulierung der  dem  Historiker  zufallenden  Aufgaben  entschiedene 

48* 


756       Sammlang  deutscher  Dichtaogen  and  Prosawerke, 

Wirkung.    Jacobs'  schwungvolle  Verherrlichung  hellenischer  Kunst 
und  Geistesbildung«  die  sich  trotzdem  nicht  ins  allgemeine  verlieiif 
sondern  ganz  bestimmte,   fest  umschriebene  Forderungen  an  den 
Betrieb    der    klassischen  Studien    stellt,    i^^t  ein   unvergleichliches 
Denkmal    jener    am   Ausgang    des    verflossenen  Jahrhunderts    ge- 
zeitigten Geisteskultur,  die  unbeirrt  durch  die  Wirren  und  Kämpfe 
der  Gegenwart  in  der  Hini^ebung  an  die  Ideale  der  Schönheit  und 
Sittlichkeit   ihr  volles  Genüge   lindet   und   darum,    abgesehen  von 
ihrer    sachlichen   Bedeutung,    auch    in    kulturhistorischer   Hinsicht 
Beachtung  fordert.    Üöderleins  Schillerrede  fesselt  besonders  durch 
individuelle  Zuge,    wie    sie    dem   Redner    infolge  seiner  Jugend- 
erinnerungen   zu  Gebote   standen;    reicher   noch  an   persönlichen 
Eindrucken  und  anziehendem  Detail  ist  das  Bild,  das  Curtius  vun 
dem  Begründer  des  deutschen  Reiches  entworfen  hat.  Kurzgefafste  An- 
merkungen des  Hsgh.  begleiten  den  Text  und  geben  die  nötigen  Winke 
für  das  Verständnis  der  Aufsätze,  die  ihrer  Beschatfenheit  nach  für 
das  Privatstudium  reiferer  Schüler  bestimmt  ist.    Wenn  das  in  Aus- 
sicht gestellte  zweite  Bändchen  der  Prosaslücke  dem  ersten  gleich- 
kommt, wird  die  Auswahl  ohne  Zweifel  ihren  Zweck  erfüllen  können. 
Die  im  zweiten  Bändchen  der  Sammlung  enthaltene  Ausgabe 
von  Goethes  Hermann  und  Dorothea   scheint  eine  besondere  Be- 
achtung nicht  zu  verdienen.    Die  kurze  Einleitung  enthält  Angaben 
über  den  Eindruck,  den  die  Goethe^che  Dichtung  in  früherer  wie 
in  neuerer  Zeit  gemacht  hat,  eine  knappe,  aber  auch  entbehrliche 
Übersicht   über  Goethes  Leben   bis   zur  Veröffentlichung  des   Ge- 
dichtes, dann  die  bekannte  Auswanderergeschichte  aus  „dem  liebe- 
thätigen  Gera''   und    die  einschlägigen  Stellen  aus  der  „Campagne 
in  Frankreich''  und  der  „Belagerung  von  Mainz".     Es  folgt  dann 
die  Elegie  Hermann  und  Dorothea    und    das  Epos  selbst,    beides 
mit  erklärenden  Fufsnoten,  bei  denen  besonders  deutlich  das  Be- 
streben   hervortritt,    den  Blick    des  Schülers   auf  die  Kunstmittel 
der  poetischen  und  rhetorischen  Darstellung,  die  Tropen  und  Fi- 
guren,   zu    lenken.     Freilich    wird    man  nicht   behaupten  dürfen, 
dafs  dies  immer  mit  besonderem  Glück  geschieht.    Wenn  z.  B.  zu 
den    Worten    Hermanns   (tV  132)    „und    übergebe    den    Kriegern 
diesen  Arm   und   dies  Herz   dem  Vaterlande  zu  dienen"   bemerkt 
wird :  .,Arm  und  Herz  für  „mich"  mit  Leib  und  Seele  (Distribution 
=  Zerlegung   und  Synekdoche  =  Vertauschung  des  Ganzen    mit 
dem  Teile  zugleich)",   so  ist  diese  Erklärung,  abgesehen  von  der 
unglücklichen   Fassung,  sicherlich  nicht  geeignet    das   Gefühl  für 
die  Dignität  dieser  Wendung   zu  schärfen,    da    es   doch  viel    eher 
darauf   ankäme    zu    zeigen,    weshalb    hier   gerade    die  Ausdrucke 
„Arm"  und  „Herz"  gewählt  sind,  und  mindestens  ebenso  befremd- 
lich ist  die  Anmerkung  zu  IV  118,  die  da  lautet:    „im  innersten 
Busen  ist   eine   lateinische  Ausdrucksweise   statt:   im  Innern    des 
Busens.     So    denke    man    auch    im  Grunde  des  Herzens   für  im 
tiefsten  Herzen  S.  122."     Will   der  Hsgb.  etwa  auch  Iphigeniens 


•  D^ez.  von  F.  Kuotze.  757 

Ausspruch:   ,.Ich   habe  Dir  mein  tiefstes  Herz  entdeckt"  mit  der 
nämlicheD,    sinnreichen   Glosse    verseben?     Zu    den  Worten    des 
Richters   ferner  (VI  10):   „Denn  wer  leugnet  es  wohl",  —  „dafs 
hoch  sich  das  Herz  ihm  erhoben,  ihm  die  freiere  Brust  mit  reineren 
Pulsen  geschlagen",  wird  unter  dem  Texte  bemerkt:  ,,freiere  Brust 
geschlagen  für:  die  Brust  hat  treier  geschlagen",  als  ob  nicht  die 
von    Goethe    gewählte  Wendung    anders    gedacht  und  empfunden 
wäre  als  die  Umschreibung  unseres  Interpreten.  Vollends  abstofsend 
aber  wirkt  die  Note  zu  VI  31,  wo  die  „munteren  Bäume  der  Frei- 
heit" als  die  „munter  machenden,  ermunternden"  erklärt  werden, 
wobei  denn  wieder,  da  das  Ding  doch  einen  Namen  haben  mufs, 
der  vielsagende  Ausdruck  Metonymie  als  Vertauschung  von  Ursache 
und  Wirkung  herbeigeholt  wird.    Das  alles  sind  Erbstöcke  aus  der 
schulmäfsigen  Rhetorik  des  Altertums,  die  auch  in  die  Erklärung 
der  alten  Klassiker  übergegangen  sind  und  hier  bis  zu  einem  ge- 
wissen Grade  ihre  Berechtigung  haben  mögen.    Von  der  Erklärung 
der  modernen  Dichter  sollten  sie  möglichst  fern  gehalten  werden. 
Denn   diese  mechanische,   ich   möchte  fast  sagen  kaltsinnige  Be- 
trachtungsweise stumpft  den  Sinn  für  die  Eigenheiten  des  poeti- 
schen Vortrages  weit  eher  ab,  als  dafs  sie  ihn  schärft  und  anregt. 
In   dem   letzterwähnten  Falle  z.  B.    wäre  anstatt  jener  spitzfindig- 
scholastischen Deutung  zu  sagen,  dafs  der  Dichter  die  Gegenstände 
anders  anschaut  als  der  gemeine  Menschenverstand,  dafs  er  auch 
das  Leblose    zu    beseelen    weifs    und  dieser  Auffassung  Ausdruck 
verleiht    durch  das  Wort.      Dafs   dies  denn  doch  die  Hauptsache 
isty   scheint  auch   der  Hsgb.  zu  fühlen,   wenn  er  zu  VI  79:  „Die 
wilde  Begierde  dringt  mit  Gewalt  auf  das  Weib   und   wandelt  die 
Lust  in  Entsetzen"   bemerkt:    „hier  steht  die  Eigenschaft  für  die 
Person  (Metonymie),   man  kann  übrigens  wilde  Begierde  auch  als 
Personifikation  auffassen".     Natürlich  ist  es  Personifikation,   oder 
deutlicher  gesagt:  anstatt  des  abstrakten  Begriffes  schiebt  sich  vor 
die  Seele  des  Dichters  das  Bild  wilder  auf  das  Weib  losstürzender 
Feinde,    während    zugleich    durch  die  Wahl   des  Abstraktums  die 
charakteristische  Eigenschaft  des  wutenden  Haufens  hervorgekehrt 
und   hell  beleuchtet   wird.     So   wird  der  Ausdruck   plastisch  und 
bedeutsam   zugleich.     Er  würde  das   Plastische  einbüfsen,   wenn 
es  etwa  nach  gewöhnlicher  Weise  hiefse:    die  Begierde  treibt  die 
Feinde  an  auf  das  Weib  einzudringen,   und  das  Charakteristisch- 
Bedeutsame    verlieren,    wenn  gesagt  würde:    der  begierige  Haufe 
dringt  auf  das  Weib  ein.    So  etwa,  dünkt  mich,  müfste  man  den 
dichterischen  Ausdruck  erläutern,  wenn  man  wirklich  seiner  eigent- 
lichen Kraft  und  Bedeutung   beikommen  will.     Mit  einem  leeren 
Schematismus   und   einer  starren  Terminologie  ist  nicht  viel  ge- 
wonnen.    Und   so   sollte   man  auch  bei  der  Erklärung  der  Alten 
verfahren.     Was   fruchtet   es  viel,    um   dies  eine  noch  zu  sagen, 
Wendungen  wie  pallida  mors  oder  vitiosa  cura  zu  erklären,  indem 
man   bemerkt,   dafs   der  Tod    bleich  macht,    dafs  die  Sorge  den 


758  ''•  Mensel,  Lexicon  Caesarianum, 

Menschen  entstellt  und  dafs  somit  vom  Dichter  die  von  beiden 
Begriffen  gewirkten  Attribute  auf  die  wirkende  Ursache  übertragen 
werden?  Das  Wesentliche  an  der  Sache  ist  doch  dies,  dafs  bei 
dem  Satze  „pallida  mors  aequo  pulsat  pede  pauperum  tabernas 
regumque  turris^'  anstatt  der  Vorstellung  des  Todes  das  Gespenst 
eines  Toten  sich  einstellt  und  dafs  bei  dem  scandit  aeratas  vitiosa 
navis  cura  das  kummervolle  Antlitz  eines  abgehärmten  Menschen- 
kindes vor  das  geistige  Auge  des  Lesers  tritt. 

Kommen  wir  nach  dieser  Abschweifung  zur  Sache  zurück, 
so  ist  noch  hinzuzufügen,  dafs,  abgesehen  von  den  eben  erhobenen 
Bedenken,  die  erklärenden  Anmerkungen  in  koappster  Weise  das 
zum  Verständnis  der  Dichtung  etwa  Erforderliche  beibringen,  was 
ein  besonderes  Lob  nicht  zu  bedeuten  braucht^  da  nach  den  zahl- 
reichen und  teilweise  gründlichen  Vorarbeiten  der  Erklärer  von 
Goethes  Hermann  und  Dorothea  nicht  erst  lange  zu  suchen,  son- 
dern nur  noch  zu  wählen  hat.  Aber  manchmal  will  es  scheinen, 
dafs  der  Standpunkt,  den  unser  Hsgb.  eingenommen  hat,  ein 
wenig  zu  niedrig  ist,  selbst  wenn  man  sich  als  Publikum  nicht 
nur  Schuler  von  Lateinschulen  denkt.  Ausdrucke  wie  Kattun, 
heischen,  Gemeine,  Knaster,  einen  Korb  bekommen,  müfsten  doch 
wohl  jedem  geläufig  sein,  der  an  die  Lektüre  Goethescher  Dich* 
tungen  auch  nur  zu  denken  wagt.  Andererseits  sollte  das  Beiwort 
„geflügelt''  zu  V  108  nicht  blofs  mit  „rasch''  kurzweg  umschrieben, 
sondern  wirklich  erklärt  und  auf  seinen  Ursprung  zurückgeführt 
werden.  Wenn  ferner  in  der  Note  zu  II  217  „und  Du  immer 
der  unterste  safsesf'  bemerkt  wird:  ,,nach  immer  ist  das  prä- 
dikative als  zu  denken'',  so  dient  das  zu  nichts  anderem,  als  zur 
Verdunkelung  des  Sprachgefühls;  und  die  Anmerkung  zu  II  259: 
„die  Anrede  Er  war  früher  gegenüber  Niedrigerstehenden  allge- 
mein" enthält  eine  ungenaue,  ja  unrichtige  Behauptung,  wie  man, 
wenn  nicht  anders  woher,  beispielsweise  aus  Lessings  Minna  von 
Barnhelm  zur  Genüge  ersehen  kann. 

Karlsruhe.  F.  Kuntze. 


Lexicon  CaesarianaiD.  Coofecifc  H.  Mensel.  Vol.  I.  1887.  VFII  S.  a. 
1544  Sp.;  Vol.  II.  1893.  XI  S.  u.  2430  Sp.;  dazu  S.  t— o.  n.  Tabala 
Cooiecturarom  S.  1 — 94.  45  M.  Als  Sooderabdrock  der  Tabnla  erschieo : 

Coniecturae  Gaesarianae.  Collegit  H.  Mensel.  1893.  XVII  u.  132  S. 
8.     4M 

C.  Julii  Caesaris  Belli  Gallici  libri  Vif.  A.  Hirtii  über  Vm.  Receosnit, 
apparata  critico  iostroxit  Henricos  Mensel.  1894.  XII  n.  26  IS.  8.  4M. 

C.  Jnlii  Caesaris  Belli  Gallici  libri  VII.  A.  Hirtii  über  VIII.  Für 
den  Scholf^ebrauch  heraos^eg^ebeo  von  H.  Mensel.  Mit  einem  Anhang: 
Das  römische  Kriegswesen  zn 'Cäsars  Zeit  von  R.Schneider. 
1894.    XV  u.  238  S.    8.    Geb.  1,25  M. 

Sämtliche  vier  Werke  erschienen  in  Berlin  im  Verlag  von  W.  Weber. 

Meusels  Lexicon  Caesarianum  hat  überall  die  verdiente  Aner- 
kennung gefntiden.     Den  ausgesprochenen  Urteilen  etwas  Vl^esent- 


aogez.  von  W.  Nitsche.  759 

liebes  hiDzuzufugeD  ist  kaum  möglich.  Daher  werde  ich  mich  bei 
der  Besprechung  des  zweiten  Bandes  auf  Einzelheiten  beschränken, 
indem  ich  im  übrigen  auf  R.  Schneiders  Kritiken  in  den  Jahres- 
berichten des  philologischen  Vereins  zu  Berlin  und  auf  meine  An- 
zeigen des  ersten  Bandes  in  dieser  Zeitschrift  verweise. 

Versprochenermafsen  hat  der  Verfasser  seinem  Lexikon  zum 
Beschlufs  eine  Tabula  coniecturarum  auf  93  Seiten  beige- 
geben. Sie  beruht,  wie  das  Lexikon  auf  dem  Studium  von  mehr 
als  3000  Schriften ;  der  Verfasser  hat  zu- seinem  Zweck  die  ganze 
Cäsar- Li tteratur  von  den  ältesten  Ausgaben  an  bis  zum  Ende  des 
Jahres  1891  hin  durchforscht;  einen  grofsen  Teil  dieser  Litteratur 
hat  er  Seite  III — X  der  Vorrede  verzeichnet.  Spärlicher  beim 
gallischen  Krieg,  reichlich  beim  Burgerkrieg  sind  den  Konjekturen 
der  Gelehrten  an  den  betreffenden  Stellen  die  handschriftlichen 
Lesarten  von  Bedeutung  hinzugefugt  worden.  Die  Vergleichung  des 
Codex  Ashburnhamianus  in  Florenz  und  eines  Teiles  des 
ältesten  Laurentianus  (pl.  68,  8)  hat  den  Verfasser  gelehrt,  dafs 
nicht  wenige  Laa.  der  ältesten  Ausgaben,  welche  bis  dahin  nur 
aus  jüngeren  Hss.  bekannt  waren,  dennoch  echt  oder  wenig- 
stens beachtenswert  sind.  Es  ist  eine  Lust,  Cäsarstudien  unter 
Benutzung  dieses  Lexikons,  welches  alle  Stellen  in  extenso  bietet, 
und  dieser  Tabula  anzustellen,  um  so  mehr,  als  die  Korrektheit 
und  Zuverlässigkeit  des  Werkes  die  gleiche  geblieben  ist.  Meusel 
selbst  hat  zum  Schlufs  des  Lexikons  auf  Seite  a — n  und  hinter 
der  Tabula  auf  Seite  94  mit  der  gröfsten  Gewissenhaftigkeit  Corri- 
genda  et  Addenda  hinzugefügt.  In  den  Addenda  sind  insbesonders 
noch  Litteraturangaben  über  sachliche  Gegenstände  gemacht, 
die  in  den  beiden  (Seite  I  der  Vorrede  zum  2.  Band  angeführten) 
ausgezeichneten  bibliographischen  Werken  der  Franzosen  Ruelle 
und  de  Lasteyrie  und  Lef^vre-Pontalis  nicht  enthalten  sind. 
Zu  den  vom  Verfasser  gegebenen  Corrigenda  fand  ich  nur  folgen- 
des wenige  hinzuzusetzen:  Durch  die  Angabe  in  der  Tabula  zu 
b.  Call.  VII  73,  1  „d^mmutü  nostris  (^Hs}  copiis:  INitsche*'  ist  das 
Lex.  II  Sp.  1450  Mitte  gedruckte  „d^^if^^tis  .  .  .  proyred.  del. 
Nitsche**  berichtigt  worden;  desgleichen  wird  durch  die  Angabe 
der  Tabula  zu  b.  civ.  3,  61,  2  „vulgo  (vero^i)  del.  Vielh.;  universi 
del.  .  .  .  Ciacc.*'  die  Mitteilung  Lex.  11  Sp.  2353  Mitte  richtig  ge- 
stellt. —  Lex.  II  Sp.  1613  unter  (quom  ist  zum  Schlufs  die  ent- 
sprechende Endklammer  vergessen.  —  In  der  Tabula  zu  1,  61,  4, 
gegen  Ende  des  §,  ist  das  Zeichen  ^1  ausgefallen  vor  castra  mu- 
ntuntur.  —  Ebendort  zu  3,  72,  1 :  für  diese  1  setze  2. 

Im  Lexikon  hat  Meusel  alles,  was  man  billigerweise  von  dem 
Verfasser  eines  derartigen  Werkes  erwarten  kann,  nach  allen  Seiten 
hin  geleistet,  wie  früher  schon  ausfuhrlich  dargethan  ist.  Ja  er 
hat  mehr  gethau,  indem  er  wiederholt  auf  gewisse  Eigentümlich- 
keiten Cäsars  aufmerksam  macht;  anderes  Derartige  aus  den 
bereiten  Schätzen  selbst  zu  entnehmen  hat  er  dem  Leser  überlassen. 


760  H.Mensel,  Lezieoo  CaesaritDam, 

BesoDders  für  das  Studium  der  Partikeln,  für  das  bisher  noch 
nichts  Ausreichendes  gethan  war,  ist  sein  Werk  von  grofser  Be- 
deutung. Zum  Beleg  für  das  Gesagte  will  ich  der  alphabetischen 
Reihenfolge  der  Artikel  nachgehen  und  auf  Einzelnes  hinweisen. 
Idem  steht  bei  Cäsar  stets  voran,  wie  sich  aus  den  angeführten 
Stellen  ergiebt.  —  Der  IMural  tllt  wird  häufig  für  adversarü,  hostes 
gebraucht;  ferner  wird  das  Pronomen  in  der  or.  obl.  för  tu,  vos, 
vester  der  direkten  Rede  angewandt«  —  Unter  immanis  wird  ange* 
merkt,  dafs,  nach  der  handschriftlichen  Überlieferung  zu  urteilen, 
Cäsar  wahrscheinlich  tnmants,  tnmtYfo,  inmortalis,  mmunü  u.  s.  w. 
geschrieben  habe;  unter  impar  ist  angegeben,  dafs  er  wahrscheinlich 
geschrieben  habe:  imperator,  imperünSy  impius^  improbare,  dagegen 
mpulsu  und  inpune;  sonst  wechseln  inp-  und  imp-.  —  Die  Stellung 
von  in  variiert  bei  der  Verbindung  von  Substantiv  und  AttribaU 
aber  weitaus  überwiegend  wird  in  vorangestelt;  nur  quam  mpartem 
scheint  Cäsar  immer  gesagt  zu  haben,  und  der  Ablativ  des  Relativs 
steht  stets  vor  m.  (Bei  andern  Präpositionen  finden  sich  ent- 
sprechende Bemerkungen.)  —  Intervallum  bezieht  sich  bei  Cäsar 
immer  auf  den  Raum,  nicht  auf  die  Zeit.  —  Er  gebraucht  als  Plural- 
formen ii  und  iis.  Welche  Arbeit  hat  übrigens  dieser  Riesenartikel 
is  erfordert,  der  die  Sp.  240 — 346  umfafst  und  bis  in  das  Kleinste 
scharf  gegliedert  ist!  —  Unter  iuhere  werden  Sp.  383  die  Stellen 
zusammengestellt,  wo  das  Subjekt  beim  Infinitiv  zu  ergänzen  ist. 
—  Jumentum  gebraucht  Cäsar  immer  im  Plural.  —  Er  stellt 
lacus  Lemannus^  wie  flumen  Rhodanus^  mans  Jura;  vgl.  oppidum, 
mare.  —  Sp.  430  werden  die  legati  Cäsars,  des  Pompeius  u.  s.  w. 
aufgezählt;  unter  praefecti  werden  die  verschiedenen  Arten  dieser 
Beamten  gesondert;  Sp.  449  werden  die  Legionen  nach  ihren 
Ziflern  aufgeführt.  —  Cäsar  gebraucht  licuit,  nicht  lieitum  est.  — 
Der  Plural  loci  kommt  nicht  bei  ihm  vor;  auch  der  Plural  loca 
findet  sich  bei  ihm  nicht  im  übertragenen  Gebrauch  (Sp.  493); 
Sp.  479  werden  die  verschiedenen  Verwendungen  des  Ablativs 
vorgeführt,  darunter  der  Ablativus  loci;  in  loco  folgt  Sp.  487;  end- 
lich Sp.  492  werden  die  Adjektive  aufgezählt,  weiche  mit  dem  Wort 
verbunden  werden.  —  Interessant  sind  die  Artikel  hmgus  und  lange, 
welche  Aem  Gebrauch  dieser  Wörter  nach  allen  Verzweigungen  hin 
nachgehen.  Dasselbe  ist  zu  sagen  von  i^istus.  —  Auch  male  giebt 
einen  Beweis  erstaunlicher  Akribie;  den  Beschlufs  bilden  lehrreiche 
Zusammenstellungen:  mtYta  gebraucht  =  int'/ta |K»8tit(iii  oder  Aomt- 
num  oder  sestertium;  sodann  die  Verbindungen  milia  armalorum 
u.  s.  w.,  milia  armala  u.  s.  w.;  darauf  zusammengestellt  duo  miUa 
u.  s.  w.,  singnla  m.  u.  s.  w.  endlich  milia  .  .perterritü  —  Modo  findet 
sich  bei  Cäsar  nicht  selten,  wo  es  Cicero  weglassen  würde  (darunter 
auch  unus  modo,  vgl.  Sp.  2365  und  unus  omnino\  anders  steht  es 
mit  unnm  .  .  tantum  3,  19,  1).  Wie  es  mit  der  Überlieferung  von 
non  modo  (non)  bei  Cäsar  bestellt  ist,  lehrt  ein  Blick.  Quo  modo 
gel)raucht  Cäsar  nicht,  dagegen  quem  admodum.   Zum  Schlufs  merkt 


angez.  von  W.  Nitsebe.  761 

Heusel  an,  dafs  non  tantum  (sed  etiam)  sieb  bei  Cäsar  nicbt  findet. 
Multitudo  erscheint  Sp.  652  einigemal  xavä  avveatv  konstruiert. 
Namque  stebt  wohl  nur  vor  Vokalen. —  Nanciseor  gebraucht  Cäsar, 
abgesehen  von  zwei  Stellen,  immer  nur  im  Participium,  welches 
meistens  in  der  Form  fiactus,  im  b.  civ.  immer,  überliefert  ist.  — 
Interessant  ist  die  Bedeutungsentwicklung  von  nasci  und  nalura\ 
in  vielen  Beziehungen  lehrreich  der  Artikel  navis;  instruktiv  novus 
in  seinen  Verbindungen  und  novitas,  —  Einen  wichtigen  Teil  bilden 
die  Negationen  von  ne  Sp.  717  bis  non  nwiq^am  Sp.  812. 
Sp.  770:  nevt  gebraucht  Cäsar  vor  Vokalen,  n^n  vor  Konsonanten 
(bei  sive  und  seti  Sp.  1896  liegt  die  Sache  nicht  so  einfach).  Ntc 
ist  seltener  als  neque  und  durfte  nach  den  (Sp.  741—745)  ange- 
gebenen Stellen  von  Cäsar  vielleicht  nie  vor  Vokalen  gebraucht 
sein.  Sp.  729  IT.  u.  807  kann  man  das  Verhältnis  der  Häufigkeit 
von  ne  .  .  quidem^  etiam  .  .  non,  quoque  .  .  non  bequem  überschauen. 

—  Sp.  859  fr.  erscheinen  die  verschiedenen  Konstruktionen  von 
nuntiare  gesondert.  —  Obtinere  ist  klar  geschieden  nach  seinen 
Bedeutungen:  possidere,  occupare,  retinere ;  desgleichen  <«nere,  bei 
welchem  Verbum  zum  Schlufs  noch  Verbindungen  mit  den  ver- 
schiedensten Wortklassen  hinzukommen.  —  Die  mannigfaltigen 
Konstruktionen  von  occuliare  sind  übersichtlich  geordnet;  es  wird 
auch  übertragen  gebraucht;  dagegen  nicht  abdere.  —  Cäsar  stellt 
immer  reliqui  omnes.  —  Ora  kommt  bei  ihm  nur  vor  in  der  Ver- 
bindung ora  maritima,  und  zwar  in  dieser  Stellung,  mit  nur  einer 
Ausnahme.  —  Parte,  partibus  mit  Attribut  wird  in  verschiedenen 
Bedeutungen  als  Ablativus  loci  gebraucht:  Sp.  997.  1000.  1003; 
daneben  aber  auch  in:  Sp.  999.  1001. 1004.  Vgl.  regionibm  Sp.  1651. 

—  Priusquam  verbindet  Cäsar  immer  mit  dem  Konjunktiv 
(Sp.  1206).  während  er  prius  .  .  .  quam  (Sp.  1204  in  drei  Beispielen) 
auch  mit  dem  Indikativ  setzt.  —  Prohibere  a  re  =  hindern  nur 
zweimal  (sonst  mit  blofsem  Ablativ);  =  defendere  stets  so  (dreimal). 

—  Die  Präposition  prope  steht  im  Positiv  und  Komparativ  stets 
mit  dem  Akkusativ;  der  Superlativ  kommt  nur  einmal  vor  und 
zwar  mit  dem  Dativ.  Das  Adjektiv  propinquns  steht  mit  dem  Dativ; 
proximtu  gewöhnlich  gleichfalls,  aber  zweimal  mit  dem  Akkusativ. — 
Eine  reichhaltige  Fundgrube  ist  der  gewaltige  Artikel  que  Sp.  1319 
bis  1432.  Zunächst  wird  die  Stellung  der  Partikel  besprochen: 
es  kommt  sowohl  deque  vor  als  de  senatusque  consulto  u.  s.  w. 
Cäsar  hat  auch  nicht  den  Ausgang  commodiareque  vermieden.  Darauf 
beginnt  die  Aufzählung  der  Beispiele  mit  der  Verbindung  einzelner 
Wörter  durch  que  und  steigt  schliefslich  auf  bis  zur  Verbindung 
ganzer  Satzteile  durch  atque — et— que — neque.  —  Bald  kommt 
wieder  ein  ungeheurer  Artikel,  das  Relativ  qui,  quae,  quod.  Nach 
einer  Litteraturangabe  wird  zuerst  wieder  über  die  Stellung  ge- 
handelt; darauf  folgt  von  Sp.  1435  an  die  Gliederung  bis  in  die 
letzte  Einzelheit  hinein.  Für  die  Grammatik  reichhaltig  ist  die 
Vereinigung   der  Stellen  Sp.  1473.    1474.    1531,    an   denen   das 


762  H.Mensel,  Lexitoa  Caesarianum, 

Relativ  auf  vorangegangene  Subslantive  verschiedenen  Geschlechts 
bezogen  wird.  Sp.  1479  und  1534  handeln  von  quod,  welches  sich 
auf  einen  voranstehenden  Satz  bezieht.  Sp.  1481  und  1507  ent- 
halten Beispiele,  in  welchen  das  vorangebende  Substantiv  noch 
einmal  wiederholt  wird.  Sp.  1457  IT.  ist  das  Demonstrativ  zu 
ergänzen.  Sp.  1497  ff.  folgen  die  Relativsätze  mit  dem  Konjunktiv; 
Sp.  1507  ff.  solche  Sätze,  in  denen  das  Relativ  gleichwertig  einem 
Demonstrativum  mit  Konjunktion  ist.  Sp.  1529  und  1541  stehen 
Konstruktionen  xatd  <fvv€(fip.  Sp.  1536  erscheint  quod  si  u.  s.  w.; 
hier  ist  nicht  unterschieden,  ob  quod  für  sich  als  Pronomen  zu 
fassen  oder  mit  der  folgenden  Konjunktion  zusammenzunehmen  ist. 
Den  Beschlufs  bildet  Sp.  1540  qui .  .  et  quem  u.  s.  w.;  qui  tarnen 
u.  s.  w.  Darauf  folgen  Sp.  1541  qua  und  quo  in  ihren  verschiedenen 
Bedeutungen  und  Verbindungen.  —  Nunmehr  kommt  Sp.  1547  ff. 
das  Interrogativ  qui,  quae,  quod  und  Sp.  1569  ff.  quis,  quid^ 
wozu  Sp.  1573  noch  quo  gefugt  wird.  —  Dazwischen  Sp.  1550  ff. 
das  Indefinitum  qui(s),  qua{e),  quöd,  dann  Sp.  1573  ff.  quis, 
quid,  wozu  Sp.  1577  gleichfalls  quo  kommt.  —  Die  Konjutiktion 
^iod  ist  Sp.  1584  ff.  behandelt;  sie  ist  zunächst  =  „dafs'*;  Sp.  1588 
=  „was  das  anbetrifft";  Sp.  1589 — 1612  =  „weil"  {quia  erscheint 
nur  einmal  an  einer  schlecht  überlieferten  Stelle).  —  Was  die 
übrigen  mit  q  beginnenden  Wörter  betrifft,  so  mag  nur  noch  auf 
quisque  Sp.  1578 — 1583  hingewiesen  sein  (unusquisque  erscheint 
nur  einmal:  Sp.  2367).  —  Cäsar  hat  vielleicht  alle  Formen  von 
reperire  mit  pp  geschrieben  und  vielleicht  reverti  durchweg,  auch 
im  Pf.,  als  Deponens  gebraucht.  —  Ein  umfangreicher  Artikel  ist 
wieder  res  Sp.  1701—1725,  wozu  noch  res  publica  Sp.  1732 
bis  1734  kommt.  —  Von  welcher  Wichtigkeit  für  die  Grammatik 
st  Sp.  1847—1864  und  nisi  Sp.  776—778  sind,  bedarf  keiner 
Auseinandersetzung.  —  Über  sui  —  se  handeln  Sp.  1958 — 2001. 
Zuerst  wird  sese  besprochen  Sp.  1958 — 1961;  Cäsar  gebraucht  es 
nur  als  Akkusativ.  Darauf  folgt  se  bezöglich  auf  denselben  Satz, 
dann  (Sp.  1970  ff.)  bezuglich  auf  den  übergeordneten;  sodann  die 
übrigen  Kasus;  endlich  folgt  Sp.  1999  ein  Abschnitt:  pronomen 
pertinet  ad  alium  casum.  —  Suus  nimmt  Sp.  2073 — 2101  ein. 
—  Aus  dem  Artikel  sum  Sp.  2003 — 2046  kann  viel  Material  für 
die  Grammatik  entnommen  werden.  Bis  Sp.  2016  sind  zusammen- 
gestellt fore  und  futurum  (esse)  {ut)\  Sp.  2021  erscheinen  Ver- 
bindungen wie  consuetudo  est  ut,  Sp.  2042  esse  mit  dem  Gen.  und 
Abi.  qualitatis,  Sp.  2043  esse  auxilio  u.  s.  w.  —  Zur  Bedeulungs- 
entwicklung  von  summa  Sp.  2046  vergleiche  man  noch  summa  res 
Sp.  2063.  Superior,  von  der  Zeit  gebraucht,  wird  bei  Cäsar 
immer  vor  das  Substantiv  gestellt.  —  Zum  Schlufs  sei  nur  noch 
hingewiesen  auf  die  Gliederung  der  Bedeutungen  von  terra,  tradere, 
voluntas,  vor  allem  von  til,  und  auf  die  Konstruktionen  dieser 
Partikel  und  des  Verbums  volo. 

Was  Jakob  Grimm  von  seinem  deutschen  Wörterbuch  erhoffte, 


angez.  von  W.  Nitsche.  763 

dafs  die  Leklure  ausgewählter  Artikel  eine  Quelle  des  Genusses 
und  der  Belehrung  für  die  Leser  sein  wurde,  das  dfirfte,  wenn- 
gleich für  ein  weit  kleineres  Publikum,  auch  von  Meusels  Lexikon 
gelten.  Beim  Studium  gewisser  Wörter  tritt  einem  auf  das  leb- 
hafteste Cäsars  Denkweise  entgegen,  die  sich  in  seiner  Sprache 
bald  unwillkürlich,  bald  in  mebr  berechneter  Weise  wiederspiegelt. 
Ich  möchte  nur  auf  weniges  hinweisen.  Das  religiöse  Gebiet  wird 
in  seinen  Schriften  nur  gelegentlich  gestreift;  aber  doch  ist  leicht 
zu  erkennen :  für  seine  Person  spricht  er  fast  nur  von  der  unbe- 
rechenbaren Macht  der  fortuna,  oder  er  hält  mit  dem  Urteil  zurück, 
wie  1  12,  6  sive  casu  sive  consilio  dearum;  in  den  Reden  an  die 
Soldaten  und  an  andere  nennt  er  die  unsterblichen  Götter;  die 
einzelnen  Götter  erwähnt  er,  wenn  es  sich  um  bestimmte  Heilig- 
tumer handelt.  Der  volkstümlichen  Wendung  ]paratos  prope  aequo 
Marie  ad  dimicandum  bedient  er  sich  einmal  VII  19,  3,  wie  auch 
Hirtius  VIII  19,  2  pari  Marie  proelium  xnire  sagt.  Wir  werden  uns 
nicht  zu  sehr  wundern,  wenn  von  auspicia  bei  der  Heeresleitung 
nicht  geredet  wird;  dagegen  wird  der  Hinweis  auf  Wunder  zu 
Ungunsten  seiner  Gegner  nicht  verschmäht.  —  Eine  grösere  Rolle 
spielt  das  Politische  in  seinen  Schriften.  Welche  Gedanken  und 
Vorstellungen  Cäsar  mit  dem  römischen  Staatsganzen  verband  und 
verbunden  wissen  wollte,  lehrt  schon  die  Lektüre  der  Artikel  populm 
Romanm  und  respublica,  um  nur  diese  zu  erwähnen.  Lebhaftes 
Zeugnis  für  das  Gefühl  der  Zusammengehörigkeit  des  herrschenden 
römischen  Volkes  legt  die  Unzahl  Beispiele  des  Ausdrucks  noster, 
nostri  Sp.  814 — 833  ab,  besonders  vom  Heere  angewandt,  und 
zwar  so  vorwiegend,  dafs  dagegen  sogar  der  Ausdruck  Rimanus 
zurücktritt.  —  Den  gröfsten  Raum  nimmt  selbstverständlich  in  den 
beiden  Schriften  Krieg  und  Heerwesen  ein.  In  den  von  ihm  ge- 
wählten Worten  selbst  spricht  sich  aus,  wie  Cäsars  logischer,  scharfer, 
überragender  Verstand  und  sein  energischer  W'ille  durchaus  die 
Richtung  giebt,  wie  die  Untergebenen,  Soldaten  wie  Unterthanen,  sich 
strikt  unterzuordnen  und  ihren  Dienst  genau  zu  thun  haben,  und 
wie  ein  lebhaftes  Ehrgefühl  im  Heere  wach  gehalten  wird.  So 
erscheinen  bemerkenswert  häufig  die  Wörter  necessarius,  -o,  necesse, 
'itas;  ratio]  propomre,  propositum\  ordo\  officium;  prompius,  däigetis, 
-ter,  'tia  und  das  Gegenteil  indiligens;  ferner  insolens,  -ier,  -iia, 
in$oliius\  honos,  dedecus,  ignominia;  locus. 

Durch  Meusels  Lexikon  werden  wir  ferner  in  den  Stand  gesetzt, 
Cäsars  viel  gerühmte  elegantia  undemendatalocutio,  seinen  delectus 
verborum  und  purus  sermo,  den  Schmuck  seiner  Geschichtsschrei- 
bung und  die  Grundlage  seiner  Beredsamkeit  (Cic.  Brut.  §  252 
—262;  Suet.  Cäs.  55;  Quintil.  X  1,  114;  Hirtius  b.  GaU.  VIH 
prooem.)  näher  zu  erkennen.  Da  Cäsars  Ausdruck  durchaus  sach- 
lich ist  und  er  alle  Übertreibung  und  Überschwänglichkeit  wie 
auch  alles  Ungewöhnliche  meidet,  so  finden  sich  ebenso  wenig  ver- 
altete wie   niedere   Ausdrücke  und    selten  Worte  des   hohen  red- 


764  H.  Mensel,  Lexicoo  CaesariaDam, 

nerischen  Stils  bei  ihm.  Scharf  bezeichnende  Ausdrücke  und  die 
genauer  bestimmenden  Komposita  liebt  er  vor  den  allgemeineren, 
vagen  und  vor  den  Simplicia,  da  ihm  bestimmte  Verhältnisse, 
Personen,  Zeiten,  Gegenstände  stets  vorschweben.  Allerdings  von 
vielen  Wörtern  können  wir  nur  den  Tbatbestand  feststellen, 
dafs  sie  Cäsar  nicht  anwendet,  ohne  dafs  wir  zu  den  Gründen  der 
Erscheinung  dringen  können,  zumal  wir  sehen,  wie  er  offenbar 
gewisse  Wörter  vermeidet,  die  er  für  seinen  Gegenstand  sehr  wohl 
hätte  gehrauchen  können.  Er  bedient  sich  nicht  der  starken  Aus- 
drücke flagitium,  probrum  und  der  hiervon  abgeleiteten  Wörter; 
nicht  einmal  perfeäus  als  Adjektiv  wendet  er  an,  und  doch  summns^ 
andererseits  wieder  nicht  supremus.  Nur  einmal  findet  sich  praeclare 
von  ihm  gesagt  bei  Cicero  in  dessen  Brutus.  Wohl  gebraucht  er 
praestare,  aber  nicht  praestans,  praestobilis,  praestanlia.  Er  ver- 
meidet rabies,  -idus,  auch  Ciceros  Liehlingswörter  refrenare  und 
redundare  als  ühermäfsige.  Maesttis  hat  er  nur  einmal;  sonst 
nichts  von  diesem  Stamm.  Vom  veralteten  reri  bat  er  nur  die 
Formel  pro  rata  parte.  Er  sagt  defessus  und  defatigare,  aber  nicht 
fessus  und  fatigare;  monstrare  steht  nur  einmal  in  der  Handschrift- 
klasse /$  V  1,  2,  aber  auch  hier  ist  demonstrare  das  Echte.  Er 
hat  häufig  deststere^  aber  nur  einmal  desinere  und  niemals  sinere 
(nur  in  a  erscheint  es  IV  2,  26,  aber  ß  hat  auch  hier  patiuntur^ 
und  die  Stelle  wird  von  Paul  verdächtigt).  Nur  einmal  gebraucht 
Cäsar  locare,  und  wie  häufig  collocarel  Während  er  die  meisten 
Komposita  von  ruere  anwendet,  hat  er  das  Simplex  nicht.  Merk- 
würdigerweise hat  er  auch  suadere  nicht,  um  so  häufiger  persua- 
dere.  Es  wird  nicht  auffällig  erscheinen,  wenn  proeliari  bei  ihm 
seltener  ist  als  pugnare;  dagegen  aber  doch  wohl,  dafs  er  pugna 
nur  selten  mit  Adjektiven  verbindet  (S.  1292),  während  er  es 
häufig  mit  proelium  thut  (Sp.  1236).  Er  gebraucht  labor,  diffi- 
cuUas,  negotium,  aber  nicht  molestia,  noch  moliri^  einmal  nur  moleste. 
Es  finden  sich  nicht  bei  ihm  atrox,  clades^  strenutis,  hibemacula 
(wenn  man  absieht  von  a  II  35,  3),  vielmehr  immer  hibema\ 
wohl  polb'ceriy  aber  nie  promiUere  in  der  Bedeutung  „versprechen"; 
wohl  interficio,  aber  nicht  interimo,  auch  nicht  trucidare\  wohl 
argumentum,  aber  nicht  arguere  und  dessen  Komposita;  wohl  sanus, 
aber  nicht  insanus,  auch  nicht  sane;  valde  nur  einmal  in  einem 
Briefe  an  Cicero,  validus  gar  nichL  Metus  erscheint  häufig,  aber 
niemals  metuere,  einmal  praemetuens.  Er  gebraucht  wohl  reprehen- 
dere,  aber  nicht  vituperare,  und  wieder  Vitium  ziemlich  häufig. 
Er  verwendet  inquit,  aber  nicht  ait,  auch  nicht  narrare.  In  seinem 
Wortschatz  erscheinen  nicht  quvre,  nequire,  nequitia,  nescire,  nescius; 
nicht  refutare,  reputare,  reparare\  auch  nicht  so  gewöhnliche  Wörter 
wie  apparere,  incohare,  incola,  spernere,  praeditus,  vilis,  vanus,  auch 
nicht  evanescere.  Plus  mit  folgender  Zahl  steht  nur  einmal 
(II  Sp.  662),  sonst  nimmt  er  amplius.  Nur  zweimal  hat  er  quam 
ob  rem,   etwas  häufiger  qua  re,   nicht  selten  cur.     Er  gebraucht 


aogez.  von  W.  Nitscbc.  765 

quivis,  einmal  auch  quantusvis,  aber  nicht  qtiüibet.  Es  findet  sich 
nicht  denuo,  wohl  aber  redintegrare,  rehellionem  facere  u.  a.  Er 
hat  nicht  die  Formeln  haud  scio,  dubito  an  und  üherhaiipt  nur 
einmal  haud  V  54,  5:  haud  scio  mirandumne  sit.  Quondatn  und 
olim  kommen  hei  ihm  nicht  vor,  auch  aliq^iando  nicht  in  der 
Bedeutung  ,. einst*',  sondern  dieses  nur  dreimal  in  der  Bedeutung 
„endlich  einmal'*.  Es  findet  sich  nicht  verum  als  Adverb,  ferner 
nicht  mox.  Nur  einmal  steht  igüur;  wie  häutig  dagegen  üaque 
und  ital  Er  gebraucht  etsi  und  tametsiy  auch  einmal  quamvis,  aber 
nicht  etiamsi,  auch  nicht  quamquam;  tamquam  hat  er  nur  einmal 
(bei  Geliius). 

Vielleicht  ist  dem  einen  oder  andern  Leser  die  Vervollstän- 
digung dieser  Liste  von  Cnsar  selten  oder  gar  nicht  gebrauchter 
Wörter  erwünscht,  und  zwar  solcher,  die  er  seinen  Stoffen  nach 
hätte  anwenden  können;  wenigstens  sind  derartige  Wünsche  wieder- 
holt geäufsert  worden,  die  ja  Meusel  in  seinem  Lexicon  nicht  be- 
friedigen konnte.  Ich  habe  mir  noch  angemerkt:  es  findet  sich 
nicht  abalienare  (wohl  aber  aUen-),  nicht  aberrare,  abhinc,  absolvere, 
acclamare  (auch  nicht  clamare  und  excla-,  wohl  aber  cUtmitare  und 
clamor)j  nicht  acumen  (wohl  aber  acutus^  indes  nur  sinnlich),  nicht 
adfluere,  einmal  adipiscor\  nicht  adminiculum,  adponere,  adsequi 
(aber  wohl  cons-),  nicht  adseverare,  aegrotus,  aegritudo  (wohl  aber 
aeger),  nicht  aemulus,  -ari,  aeneus,  aer,  aerumna,  aevum,  agitare, 
-atio,  alibi,  alicunde,  alligare,  alloqui  (aber  wohl  coli-),  nicht  ambi- 
gere,  ambitio  (einmal  ambüns),  nicht  amovere^  anqw'rere,  antecellere, 
anxius,  arare  u.  s.  w.,  aspartare,  adstritigere,  astutus,  ater,  attentus 
(aber  wohl  int-),  nicht  attrahere,  attrectare,  avellere,  aversari  (aber 
wohl  avertere  und  aversus),  nicht  auferre  (oder  höchstens  einmal), 
nicht  avidus,  avius,  avocare,  avolare,  auscultare,  beatus,  belua,  bestia, 
benignus  (aber  wohl  benevolentia),  nicht  bibere,  blandus  u.  s.  w., 
bracae,  calidus,  Caritas  (aber  wohl  carus),  nicht  celeber  (aber  wohl 
concelebrare),  nicht  celsus,  cena,  cicatriXj  cervix,  eiere  (wohl  aber 
citare  und  das  Adverb  cito),  nicht  coetus,  cohibeo,  comis,  commercium, 
comere,  compensare,  compos,  concupiscere,  concutere,  congregare,  con- 
gruere,  conivere,  considerare,  auch  nicht  contemplari  (aber  einmal 
considerate),  nicht  consociare,  consors,  construere,  conticescere,  con- 
tumax,  conturbare  (auch  nicht  turbare,  wohl  aber  turbate,  turba, 
turbidus,  turbulentissimm,  perturbare),  nicht  das  Adjektiv  conveniens 
(aber  wohl  convenire),  nicht  convivium,  copulare  (einmal  copula), 
nicht  corrigere,  corroborare  (zweimal  robur),  nicht  crimen  (einmal 
discrimen),  nicht  cruentus,  debellare,  debilis,  decere,  decus,  decorus, 
indecorus  (zweimal  dedecus),  nicht  defungor  (einmal  fungi),  nicht 
degere,  degenerare,  delenire,  deliciae,  demoliri,  describere  (einmal 
discr-),  nicht  desipere,  destruere,  detegere,  devius,  devorare,  dilabi^ 
dilacerare,  dilucescit,  dilucide,  diluculum,  dirus,  discordia,  discrepare, 
disertus,  disiungere,  dispertire,  displicere,  dissociare,  distinguere,  do- 
mare,  dormire  (aber  somnus),  nicht  dulcis,  educare,  efferatus,  effluere, 


766  B.  Meusel,  Lexicoo  Caesarianum, 

effrmalm,  effringere,  (aber  ref-),  nicht  elegansj  emendare,  emergere, 
emolumentum,  enervare,  enitere,  enodare,  erudire  (ebensowenig  rudis), 
nicht  esurire  (auch  niciit  sitis  und  sitire),  nicht  evertere,  evidens^ 
exaggerare,  excolere,  excutere,  exhibere,  exilis^  (aber  wohl  extguus)^ 
niclit  exitium  (wohl  aber  exüm\  nicht  exomare,  exorare,  experge- 
facere,  expergisci,  eocpers,  eocpilare,  explanare,  exsanguis,  exsecratus, 
exsolvere,  exmltare,  exsurgere,  exsuscitare,  extenuare,  extoUere, 
extranetis,  extrinsecus,  exturbare,  fabula,  facettis,  facies,  facundus 
(auch  nicht  Cicero),  fastidium,  fecundm  (wohl  aber  ferax,  fertilis, 
fructuosm),  niclit  fenus,  fenum,  ferox,  festinare  (wohl  aber  maturare 
und  properare\  nicht  festus,  -m,  festivus,  findere,  flagrare,  nicht 
das  Adjektiv  foedus,  nicht  fori,  formido^  frenum,  fulcire,  fulgere, 
fundus,  -üus,  generosus^  gestare  (aber  häufig  gerere),  nicht  gliscere, 
gnarus,  gradus,  gramen,  haerere  (einmal  haesüare),  hilaris,  historia, 
i'gnarus,  ignavm,  illuc  (aber  wohl  illo),  nicht  trdHStrare  (aber  wohl 
inlvstris),  nicht  imbuere,  immemor  (aber  memor),  nicht  immensus 
(ß  IV  2,  2  zweifelhaft),  immo,  impertire,  importunus  und  impotens 
(wohl  aber  die  Gegenteile  oportunm  und  potens),  nicht  inconslans, 
inmUiis^  ineuria,  indoles,  ineptus,  infensus,  infidus  (wohl  aber  infi- 
delis  und  perfidia)^  nicht  inßiari,  inflammare,  informare,  ingenium, 
'0SU8,  ingetiuus  (dagegen  Über),  nicht  itüiibere,  inhone9tu$f  inhu- 
mawis,  iniustm,  inops  (aber  wohl  inopia),  nicht  inservire  (wohl 
aber  servire),  nicht  insipere  (auch  nicht  sapiens  u.  s.  w.,  einmal 
sapere),  nicht  iVuti/^are,  integritas  (aber  wohl  integer,  doch  niemals 
in  moralischer  Verwendung);  nicht  m^empesfttms,  intimns  (aber 
interior),  nicht  intolerabüis  (aber  mfol^ranr^r),  incht  mubtis  (aber 
wohl  tmpMite,  -lYas),  nicht  tnundare,  investigare,  invisus  „verhafst'', 
ira  (dafür  iracundia),  nicht  labefactare  (einmal  labefacio,  sinnlich), 
nicht  lascivta,  lucrum,  -ari,  minüari  (einmal  tninari)^  nicht  misereri 
(mehrmals  aber  miserari) ;  vom  Stamm  mitis  nichts  weiter  als  ein- 
mal milissime'y  nicht  oboedire  (aber  diclo  audiens,  obtemperare, 
parere),  nicht  obruere,  obesse  (einmal  prodesse),  nicht  opinari  (nur 
einmal  vermutet  V  44,  11;  häufig  opmio),  nicht  probus  (aber  wohi 
probare,  improbus^  improbare),  nicht  principiutn  (aber  princeps  .  . 
l^nVictparttö;  auch  tmYium),  nicht  pmcus  (aber  pmrtnus);  nur  ein- 
mal das  gewöhnliche  Wort  privare;  nicht  procella  (aber  wohl 
fempe^^as),  nicht  prodigus,  profundus,  proles,  promere  (auch  nicht 
expromere,  aber  das  Adjektiv  promptus\  nicht  pruden«  (einmal  pri«- 
dentia),  nicht  propitius^  prorsus,  prosperus,  punire,  questus,  ^erela 
(aber  querimoma  und  juert);  zwar  gutes  und  quieius,  aber  nicht 
gutescere  und  reqtiies,  aber  wohl  regutescere  (man  sieht,  wie  der 
Zufall  spielt);  nicht  quippe,  rapere  (wohl  aber  rapidus,  -itas^  raptnn, 
raptim),  nicht  refert,  retro,  auch  nicht  rursus  in  der  Bedeutung 
„rückwärts*',  nicht  revereri,  ridere,  rigere,  rite,  scrutari,  securus, 
secus  (aber  setius)  nicht  segregare,  sempitemns  (aber  semper,  aetemus, 
perpetuus),  nicht  «enstm  (aber  wohl  setUire  und  pauta^tm),  nicht 
Simplex;  zwar  stVus  als  Substantiv,  aber  nicht  als  Adjektiv;  nicht 


aogez.  voo  W.  Nitsche.  767 

sobrius  (auch  niclit  ebrius),  subtilü,  superstes,  superstitio^  taedet, 
transfuga,  -ere,  transigere,  umus  (einmal  umidus).  Dicht  unda,  urere, 
Htique,  vibrare,  vigere,  volvere  (aber  wohl  involvere), 

Lm  von  dieser  langwierigen  Aufzählung  auszuruhen  und  zu 
den  übrigen  Werken  Meuseis  öberzulenken,  möchte  ich  auf  ein 
eigentumliches  Zusammentreffen  in  Cäsars  gallischem  und  seinem 
Bürgerkriege  aufmerksam  machen.  Während  er  wiederholt  in  jenem 
Werke  von  den  Erfolgen  berichtet,  die  ihm  seine  von  ihm  einge- 
richtete germanische  Söidnertruppe  verschad't  hat(vgl.Meuseis 
Lex.  unter  Germani),  ist  auffälJigerweise  im  Bürgerkriege  nur  einmal 
1,  83,  5  von  ihr  die  Bede;  dagegen  erwähnt  er  die  Truppe  der 
antesignani^  die  ja  erst  nachher  von  ihm  eingerichtet  sein  mag, 
niemals  im  gall.  Kr.,  aber  wiederholt  im  b.  civ.:  1,  43,  3.  44,  5. 
57,  1,  darauf  3,  75,  5.  84,  3  0'.;  und  zwar  heifst  es  1,  57,  1 
electos  ex  omnibus  legionibus  fortissimosviros,  antesignanoSfCentu- 
riones  (gerade  die  letzten  beiden  Worte  will  Paul  tilgen) ;  und  3,  84, 3: 
superius  .  .  instüutum  .  .  servabat,  ut .  .  adulescentes  atque  expe- 
ditos  ex  antesignanis  electos  mutatis  ad  penucttatem  armis 
inter  equites  proeliari  iuberet,  qui  colidiana  canmetudine  usum 
quoque  eius  generis  proeliorum  perciperent  (ich  vermute  j^erceperant); 
dann  giebt  er  ein  Beispiel  von  ihren  Erfolgen  bei  dieser  gemischten 
Kampfweise:  1000  Beiter  halten  in  einem  Kampfe  vor  der  Ent- 
scheidungsschlacht bei  Pharsalus  dem  Angriff  von  7000  Pompejanern 
stand,  ein  Zahlenverhältnis,  welches  an  das  im  b.  Gall.  IV  12,  1 
erinnert:  800  Beiter  der  Usipeter  und  Tenclerer  werfen  5000  gal- 
lische Beiter,  die  auf  Cäsars  Seite  standen,  in  die  Flucht.  Nun 
ist  jene  Kampfweise,  die  Cäsar  3,  84,  3  erwähnt,  identisch  mit 
der  b.  Gall.  VII  65,  4  von  den  Germanen  geüblen,  die  Cäsar, 
Reiter  und  Fufsvolk,  in  Sold  nahm :  Irans  Rhenum  in  Germaniam 
miltü  .  .  equxUsque  .  .  arcessit  et  levis  armalurae  pedites,  qui  inter 
eos  proeliari  consnerant.  (Diese  Stelle  ist  heranzuziehen  zum  Ver- 
ständnis der  eben  erwähnten  b.  civ.  1,83,5:  Caesar  Germanos 
levis  armaturae  equitumque  partem  flumen  traicit.  Diese  Truppen 
waren  auch  offenbar  b.  Gall.  VIII  3b,  2  mit  verwandt,  da  es  dort 
heifi^t:  equitaium  omnem  Germanosque  pedites,  summae  velocitatis 
homines.  Dieselbe  Kampfweise  hatte  s^chon  Cäsar  unter  den  Leuten 
d^sAriovist  angetroffen  I  48,  4 — 7;  übrigens  hatte  auch  der  Gallier 
Vercingetorix  VII  18,  1  eine  derartige  gallische  Truppe.  Beispiele 
solcher  aus  anderen  Völkern  führt  Jhne  an  in  seiner  römischen 
Geschichte  VII  S.  63  f..  A.  6  nach  Schambach,  Die  Beiterei  bei 
Cäsar,  Progr.  v.  Mühlhausen  i.  Tb.  1881.) 

Nun  erzählt  Florus  IV  2  von  der  Schlacht  bei  Pharsalus: 
Cum  Pompeius  adeo  equitum  copia  abundaret,  ut  facile  circum- 
venturus  sibi  Caesarem  videretur,  drcumventus  ipse  est.  nam  cum 
diu  aequo  Marie  contenderent  iussuque  Pompei  (usus  a  comu  eru- 
pisset  equitatus,  repente  hinc  (von  der  gegenüberstehenden  Seite 
aus)   signo  dato  Germanorum  cohortes  tantum  in  effusos  equites 


768     H.  Meosel,  Rrit.  Ausg.  von  Cäsars  Bellom  Gallicnm, 

fecere  impetum,  vt  Uli  esse  pedites,  hi  venire  in  equis  viderentur. 
hanc  st ra gern  fugientis  eqnitatus  levis  arwatitrae  ruina  eomiUUa 
est.  Danach  mnsiien  germanische  Fufsgänger  hier  gemeint  sein; 
dagegen  nach  Cäsars  b.  civ.  3,  84.  3  könnten  eher  die  Reiter  Ger- 
mauen sein,  und  die  antesignani  müssen  römische  Legionssoldaten 
sein,  wenn  b.  civ.  1,57,  t  richtig  überliefert  ist.  Ihne  sagt  daher 
an  der  erwähnten  Stelle  (nach  Anführung  der  wichtigsten  oben 
von  mir  vorgelegten  Stellen):  „Wahrscheinlich  waren  also  die  so 
durch  leichtes  Fufsvolk  verstärkten  Reiter  bei  Pharsalus  Ger- 
manen, obgleich  Cäsar  es  nicht  erwähnt*'.  Doch  mit  Florus  stimmt 
der  (von  Ihne  übersehene,  aber  von  Dübner  in  seiner  Ausgabe 
von  Cäsars  Bürgerkrieg  S.  405 f.  angeführte)  Scholiast  zu  Lucan 
VII  365,  welcher  über  die  Schlacht  bei  Pharsalus  sich  auf  Julius 
Celsus  als  Gewährsmann  mit  den  Worten  beruft:  sictU  Celsus  dicit, 
Pompeius  cogitavit  intercludere  exercitum  Caesaris  cum  equitatu,  quo 
longe  plus  praevalebat,  sed  Caesar  hoc  praecogitavit  et  evitavü; 
nam  posuit  Germathos,  pedites  magnos  et  velocissimos,  in  medio 
inter  equitatum  suum  et  aciem  militum;  et  hi  fuerunt  causa 
victoriae,  quia  sustinuerunt  viriliter  impetum  equitatus  Amtpei. 
et  illum  in  fugam  posuit ,  unde  nihil  cogitavit  Pompeius,  Diese 
Worte  stammen  nicht  aus  Caes.  b.  c.  3,93,  wie  Weber  in  seiner 
Lucan-Ausgabe  III  S.  544  (vgl.  S.  813  b)  meint.  Denn  Cäsar 
schreibt  im  vollsten  Gegensatz  dazu  den  pharsalischen  Sieg  viel- 
mehr seiner  Einrichtung  einer  4.  acies  zu,  gebildet  durch  Kohorten, 
die  er  den  Legionen  der  3.  acies  entnahm,  also  römischen 
Soldaten:  3,89,3.  93,4—6.  94,3.  4.  Dagegen  läfst  er  seine 
Reiterei  (unter  der  sich  doch  wohl  auch  die  sonst  so  tüchtige 
germanische  befunden  bat)  dem  Angriffe  der  Pompejanischen 
nicht  Stand  halten,  3,  93,  3,  und  der  noch  dicht  vor  der  Ent- 
scheidungsschlacht so  gerühmten  Antesij^nanen  gedenkt  er  gar 
nicht  weiter.  Dies  ist  doch  gewifs  auffällig,  zumal  er  so  nach- 
drücklich den  von  ihm  berechneten,  Ausschlag  gebenden  Erfolg 
jener  4.  acies  an  nicht  weniger  als  drei  Stellen  herausstreicht;  das 
sieht  sehr  wie  Polemik  gegen  nicht  erwähnte  abweichende  Dar- 
stellungen aus.  Der  Verdacht  läfst  sich  kaum  abweisen,  da£s 
Cäsar  den  Anteil  der  Germanen  im  Bürgerkriege  in  seinem  Werke 
möglichst  herabgedrückt  hat,  weil  er  nicht  Mitbürger  durch  Bar- 
baren in  seinem  Dienste  besiegt  erscheinen  lassen  wollte;  dagegen 
hat  er  ihr  kriegerisches  Verdienst  in  seinem  Buche  vom  galli- 
schen Kriege  nicht  geschmälert,  zumal  auch  auf  ihn  als  den  Be- 
gründer dieser  Truppe  das  gebührende  Licht  fiel  (VU  13,  1  labo- 
rantibus  iam  suis  Germanos  equites  circüer  CCCC  submittit,  quos 
ab  initio  secum  habere  instituerat).  Übrigens  dürften  die  Ante- 
signanen  irgend  welche  engere  Verbindung  mit  der  germanischen 
Truppe  gehabt  haben;  aber  Genaueres  wird  sich  wohl  kaum  er- 
mitteln lassen.  — 

Auf  der   gewaltigen  Grundlage    seines  Lexikons   und   seiner 


angez.  voo  W.  Nitsche.  769 

Tabula  coniecturaruni,  ferner  auf  Grund  ausgedehnter  und  sorg- 
fäicigster  Handschriftenvergleichung,  auch  einer  beinahe  vollendeten 
cäsarianiächen  Grammatik  hat  Meusel  zunächt  eine  kritische 
Ausgabe  des  gallischen  Krieges  geliefert,  bestimmt  für  die 
Mitforscher  und  die  Lehrer.  Auch  zum  Bürgerkriege  und  den 
übrigen  unter  Cäsars  Namen  gehenden  Schriften  hat  er  schon  die 
besseren  Manuskripte  verglichen,  und  er  gedenkt  in  einigen  Jahren 
eine  grofse  kritische  Gesamtausgabe  Cäsars  in  aller  Vollständigkeit 
zu  veröffentlichen.  In  dieser  kleineren  Ausgabe  des  b.  Gall.  hat 
er  sich  mit  dem  Notwendigen  begnügt.  Zu  Anfang  der  Vorrede 
giebt  er  eine  Übersicht  über  die  benutzten  Hss.  in  Form  eines 
Stammbaums;  die  angewandten  Zeichen  finden  S.  XI  derselben 
ihre  Erklärung.  Bisher  hatte  man  noch  keine  Ausgabe,  aus  der 
neben  der  Handschriftenklasse  a  die  Überlieferung  in  ß  mit  ge- 
nügender Sicherheit  zu  ersehen  gewesen  wäre;  diesem  Mangel  hat 
Heusei  abgeholfen,  der  mit  R.  Schneider  die  Unentbehrlichkeit 
auch  dieser  Klasse  für  die  Kritik  erkannt  und  nachgewiesen  hat. 
Von  der  Klasse  a  hat  er  den  Ashburnhamianus  verglichen;  den 
Vaticanus  hat  er  nachverglichen.  Wie  knapp  auch  der  unter  dem 
Texte  beigegebene  kritische  Apparat  ist,  er  enthält  alles  für  die 
Textgestaltung  Nötige;  auch  die  nach  Meusels  Urteil  richtigen  oder 
doch  wenigstens  beachtenswerten  Verbesserungsvorschläge  der  Ge- 
lehrten sind,  jene  in  den  Text  gesetzt«  diese  unten  eingefügt.  Was 
nun  das  textkritische  Verfahren  betrifft,  so  suchte  Meusel  zunächst 
bei  Verschiedenheit  der  beiden  Handschriftenklassen  den  Sprachge- 
brauch Cäsars  zu  ermitteln ;  wo  ihm  dies  nicht  gelang,  folgte  er  a  als 
der  treueren  Überlieferung.  Auch  V  48,  5  verdiente  die  Orthographie 
in  a  ammentum  den  Vorzug,  den  ihr  Meusel  im  Lexikon  gegeben 
hatte.  An  vielen  Stellen,  wo  die  handschriftliche  Überlieferung  im 
Stich  liefs,  niufste  zur  Änderung  geschritten  werden ;  aber  dabei  hat 
Meusel  vorsichtige  Zurückhaltung  geübt,  auch  was  eigene  Vorschläge 
betraf,  von  denen  noch  mancher  zu  den  in  der  Tabula  coniectu- 
rarum  veröffentlichten  hinzugekommen  ist;  der  wichtigste  von 
diesen  ist:  „VI  25  — 28  spui'ia  iudicat  Meusel'',  was  richtig  sein 
dürfte.  In  der  Note  übrigens  zu  VH  64,  Zeile  1.2  ist  nicht  ge- 
sagt, wem  die  Konjektur  obsides  .  .  .  omnes"!  angehört.  Vi  7,  6  ist 
conauUo,  eine  Verbesserung  Beckers,  in  den  Text  aufgenommen 
worden;  dieses  Wort  würde  also  noch  zu  dem  in  Meusels  Lexikon 
aufgespeicherten  Sprachschatze  Cäsars  hinzukommen.  Zu  VI  42, 1 
ex  statione  et  praesidto  bemerkt  Meusel:  „eo;  statione  del.  Hell.''; 
es  soll  wohl  heifsen:  slalime  et.  Dem  Prinzip  der  Analogie, 
dem  Cäsar  in  einer  besonderen  Schrift  seine  Huldigung  erwies, 
sind  jetzt  solche  Ungleichheiten,  wie  sie  bis  dahin  in  den  Aus- 
gaben noch  zu  finden  waren,  gefallen:  circiter  meridie,  die  Dative 
alterae  und  toto.  Vielleicht  dürfte  Meusel  in  einer  gewifs  bald 
zu  erwartenden  zweiten  Ausgabe  sich  hier  und  da  in  der  Kritik 
anders  entscheiden;  aber  auf  einzelne  Fragen  der  Art  will  ich  hier 

Z«iUolir.  U  d.  OymoMialwMen  XLVIIL    18.  49 


770     H.Measel,  Schaiausgabe  vod  Cäsars  Bellam  Gallican, 

nicht  eingehen.   Nur  noch  die  Bemerkung,  dafs  die  Interpunktion 
von  dem  Hsgb.  sorgfaltig  nachgeprüft  ist. 

Die  zu  gleicher  Zeit  von  Meusel  veröffentlichte  Schulausgabe 
entbehrt  selbstverständlich  der  kritischen  Noten;  von  kritischen 
Zeichen  finden  sich  keine  aufser  einigen  rechtwinkligen  Klammern. 
Der  Text  ist  derselbe  wie  der  der  kritischen  Au>gabe;  nur  ist 
sie  durch  einige  im  Vorworte  bezeichnete  Änderungen  durchaus 
dem  Schulbedurfnisse  angepafst  worden:  übersetzen  läfst  sich 
alles,  was  sie  bietet.  Für  den  Schulzweck  ist  ferner  zunäclist 
eine  Biographie  Cäsars  von  Meusel  beigegeben;  dieser  Aufsatz  über 
,,Leben  und  Schriften  Cäsars*'  giebt  dem  Schüler  ein  Bild  von  der 
Gröfse  des  Mannes,  indem  in  einfachen  grofsen  Zügen  seine  Tbalen 
vorgeführt  werden.  Aber,  wenn  man  auch  von  seinem  wiederholt 
rücksichtslosen  und  grausamen  Verfahren  gegen  auswärtige  Völker 
absehen  will :  „obwohl  er  .  .  .  niemandem  Unrecht  getban  hatte'* 
(S.  XII  oben)  möchte  ich  doch  nicht  sagen;  lieber  würde  ich  an* 
führen,  dafs  der  Mann,  in  dem  Sulla  mehr  als  einen  Marius  ver- 
mutet hatte,  nachher  im  Gegensatze  zu  Sulla  und  Marius  gegen 
seine  Mitbürger  den  Grundsatz  (Gas.  bei  Cic.  ad  Alt.  IX  7  Gl) 
befolgte:  haec  nova  sit  ratio  viiicendi,  ul  misericardia  et  UberaUt€Ue 
nos  tnuniamm,  und  dafs  er  nach  menschlichem  Ermessen  gerade 
dadurch,  während  jene  beiden  Schreckensmänner  eines  natürlichen 
Todes  starben,  zu  seiner  Ermordung  beitrug.  Die  bekannten  Worte 
übrigens:  veni,  vidi,  vici  hat  Cäsar  nicht  „an  den  Senat  berichtet'% 
s.  Drumann,  Gesch.  R.,  111  S.  557 f.  Den  Beschlufs  der  Einleitung 
bildet  S.  XII — XV  eine  Inhaltsangabe  der  einzelnen  Bücher  des 
b.  Gall.  in  knappem  Umfange.  Beigegeben  ist  beiden  Ausgaben 
eine  die  neueren  Forschungen  sorgfältig  berücksichtigende,  von 
Meusel  neu  entworfene  Karte  Galliens  zur  Zeit  Cäsars,  und  ein 
genauer  Index  nominum,  der  nach  den  verschiedenen  Zwecken 
der  Ausgaben  verschieden  gestaltet  ist.  Nach  der  sonst  üblichen 
Weise  durfte  hier  bei  Marcelius  das  Gentile  Claudius  nicht  fehlen. 
Zum  würdigen  Schlufs  hat  R.  Schneider  einen  bei  alier  Kürze 
trefilichen  und  auf  der  Höhe  der  Forschung  stehenden,  mit  ge- 
eigneten Abbildungen  versehenen  Abrifs  über  das  Kriegswesen  Cäsars 
beigesteuert.  S.  233  würde  für  „Fahnen''  besser  „Feldzeichen''  zu 
sagen  sein;  S.  227 f.  konnte  noch  ein  Wort  über  die  übliche  kurze 
Bezeichnung  der  Dimensionen  von  Wall  und  Graben  hinzugefügt  sein, 
unter  Zugrundelegung  etwa  von  V  42,  1  vallo  pedum  X  et  fo$$a 
pedum  XV,   Die  äufsere  Ausstattung  beider  Ausgaben  ist  sehr  gut. 

Ich  schlief^e  mit  der  Hoffnung,  dafs  bald  in  ebenso  vorzüg- 
lichen Ausgaben  das  b.  civile  folgen  werde.  Für  die  zweite  Aus- 
gabe des  b.  Gallicum  stelle  ich  folgende  Bemerkungen  der  Er- 
wägung Meusels  anheim;  eingereiht  habe  ich,  soweit  sie  einer 
näheren  Begründung  bedürftig  erschienen,  unter  dem  Zeichen  * 
einige  frühere  Vorschläge  von  mir,  die  auf  mundliche  Mitteilung 
hin  Meusel  in  der  Tabula  coniecturarum  veröffentlicht  hat. 


»nf;e%,  von  W.  Nitsche.  771 

I  6,  1  beschreibt  CAsnr  die  beiden  Wege,  welche  sich  den 
Heivetiern  zum  Auswandern  boten,  im  Imperfektum:  Erant  omnino 
Hinera  duo:  unum  .  .  angustum  .  .  .,  mons  autem  dtisstmus  (mpen- 
debat .  .;  aüerum  .  .  expeditius;  daraufgeht  er  in  das  Präsens  über: 
prapterea  quod  \inter  fines  Helveti<yrum  et  Ällohrogum,  qui  nuper 
pacati  erant,  Rhodanns  fluit  isque  non  nulUs  lods  vado  transitur; 
extrenmm  oppid^tm  Allohrogiim  est  proximumqne  Helvetiorum  finibns 
Genava.  Ich  möchte  vermuten,  dafs  Cäsar  hier  wieder  in  das 
Imperfektum  zurucklenkte:  ex  eo  oppido  pons  ad  Helf?etios  perti- 
ne(Jba)t.  Allobrogibns  sese  vel  persuasuros . .  existimabant  vel  u.  s.w., 
wt*nn  ich  seine  sonstige  Erzähl ungs weise  derartiger  topographischer 
Angaben  bei  militärischen  Plänen  und  Operationen  vergleiche: 
1  7,  2  von  derselben  Brücke  pontem,  qui  erat  ad  Genavam,  iubet 
rescindi,  11  5,  5  in  eo  flumine  pons  erat;  ibi  praesidinm  ponit,  35,  3, 
YII  11,  6  et  quod  oppidum  Cenabum  pons  fluminis  Ligeris  coniingebat, 
.  .  iubet.  Überall  hier  hat  Cäsar  dem  Präsens,  das  er  hätte  setzen 
können,  das  Imperfektum  vorgezogen  mit  Rucksicht  auf  die  er- 
zählten Vorgänge  der  Vergangenheit 

I  13,  7  nahm  Hotman  an  ant  vor  memoriam  proderet  Anstofs 
und  vermutete  dafür  ac.  Mir  scheint  atU  memoriam  proderet  die 
erklärende  Handbemerkung  eines  Lesers  zu  sein  zum  vorbeigehen- 
den nomen  caperet,     (Übrigens  folgt  gleich  quod  memoria  teneret.) 

1  16,  5  ist  statt  des  überlieferten  quarum  (nämlich  prindpum 
Haeduorum)  magnam  copiam  zu  setzen  quorum  magnum  numerum. 
Copia  ist  niemals  schlechtweg  =  multitudo,  sondern  stets  eine 
Menge,  Fülle  hilfreicher  Mittel  oder  Personen;  vgl.  Meuseis  Lexikon 
Caes.  I  Sp.  741.  Für  die  schlichte,  scharf  bezeichnende  Ausdrucks- 
weise Cäsars  ist  hier  numerus  das  genau  passende  Wort. 

1  20,  2  scheint  der  Deutlichkeit  halber  erforderlich:  quod,  cum 
ipse  gratia  (^antea^  .  .  posset,  per  se  crevisset. 

I  31,  16  scheint  notwendig:  Caesarem  vel  auctoritate  sua  atqiie 
exerdtus  [vel]  recenti  victoria  vel  nomine  populi  Romani  deterrere 
posse.  So  ist  der  Gedanke  wohlgegliedcrt^).  (Zur  Verteidigung 
der  Überlieferung  wird  man  wohl  nicht  IV  16,  7  ins  Gefecht 
führen,  wo  es  heifst :  wenn  Cäsar  persönlich  verhindert  wäre,  den 
Ubiern  gegen  die  Sueben  zu  Hilfe  zu  kommen,  exercitum  modo 
Rhenum  transportaret:  id  sibi  ad  auxilium  spemque  reliqui  temporis 
stttis  futurum:  [so  möchte  ich  interpungieren]  tantum  esse  nomen 
atque  opinionem  eins  exereitus  Ariovisto  pulso  et  hoc  novissimo 
proelio  facto  etiam  ad  uUimas  Germanorum  nationes.  Interpoliert, 
nicht  von  Cäsar  sind  die  nun  folgenden  Worte:  uti  opinione  et 
amicäia  populi  Romani  tuti  esse  possent:  [die  Verbindung  opinione 
et  amicitia  populi  R.  ist  sehr  auffällig;]  echt  dagegen  ist  wieder: 
navium  magfiam  copiam  ad  transportandum  exercitum  pollice- 
bantur), 

^)  Meafel  mSchte  daoo  auch  ewerdiu»  itreicheo. 

49* 


772     Kritische  Bemerkaogeii  zu  Cisars  Bellam  GalliciiB, 

I  31,  16  dürfte  sich  noch  empfehlen:  Caesarem  .  .  delerrere 
posse  .  .  GalVamque  .  .  [passe]  defendere. 

I  36,  3  ist,  meine  ich,  zu  lesen :  Haeduos  st6t,  quaniam  bdli 
fortunam  temptassent  et  armis  congressi  [ac]  superati  essent,  stipen- 
diarios  esse  factos;  denn  das  Pariicipiiim  congrem  ist  den  folgen* 
den  superati  untergeordnet.  Wie  leicht  sich  zwischen  solche 
Participien  eine  anreihende  Konjunktion  einschob,  zeigt  Vlli  28,  4, 
wo  nur  der  Ashburnhamianus  richtig  hat:  contemptis  pridie  superatis 
hostibus,  während  in  den  übrigen  Hss.  zu  superalis  ein  que  hin- 
zugesetzt ist. 

II  1,  4  ab  non  nnUis  etiam,  quod  in  Gallia  a  potentioribus 
atque  üs,  qui  ad  conducendos  homines  factdtates  habebant,  vulgo 
regna  occupabantur  ist  nur  eine  in  den  Text  geratene  unge- 
schickte Erklärung  der  vorhergehenden  Worte  partim  qui 
mobilitate  et  levitate  animi  novis  imperiis  studebant^  an  welche  sich 
die  späteren  unmittelbar  anschliefsen:  qui  minus  fädle  eam  rem 
imperio  nostro  cotisequi  poterant.  Ähnliche  Erklärungen  anderer 
Stellen  sind  schon  sonst  erkannt  und  ausgemerzt,  z.  B.  V  31,  5 
[omnia  excogitantur  .  .  augeatur]. 

II  3,  5  wird  für  das  überlieferte  deterrere  zu  setzen  sein: 
retin  er e.  Jenes  Wort  ist  so  unpassend,  wie  dieses  passend  bei 
den  innigen  politischen  Beziehungen,  welche  zwischen  den  Remern 
und  Suessionen  obwalteten. 

n  5,  5  möchte  commeatus  .  .  ad  eum  (^sup^portari  von  Cäsar 
geschrieben  gewesen  sein.  Das  Simplex  würde  in  dieser  Rede- 
wendung nur  hier  bei  ihm  stehen;  das  Kompositum  dagegen  steht 
bei  ihm  nach  Ausweis  von  Meusels  Lexikon  siebenmal;  und  speziell 
ad  eum  stipportari  findet  sich  3,  112,  6.  Wie  leicht  sub  ausfiel, 
zeigt  gleich  11  6,  4,  wo  hinter  sibi  die  Handschriftklasse  ß  mittatur 
hat  statt  submittatur. 

II  30,  4  hat  Mensel  den  Text  so  gestaltet:  turrim  in  muro 
sese  (passe  add.  Walther)  canlocare.  Nun  wurden  aber  die  Türme 
nicht  auf  die  feindliche  Mauer  gesetzt;  s.  R.  Schneider  8.235  der 
Schulausgabe.  Ich  möchte  daher  vermuten  turrim  [in]  muro  sese 
passe  adplicare  =  ,. unmittelbar,  dicht  heranbringen  an  die 
äufsere  Mauer'*;  dies  halten  die  Belagerten  nicht  mehr  für  un- 
möglich, sobald  sie  die  alimähliche  Näherung  gewahren:  übt  vero 
maveri  et  adpropinquare  mnris  (=  29,  3  dupHci .  .  mura)  vide- 
runt,  Adplicare  gebraucht  Cäsar,  wenn  auch  nicht  in  dieser,  so 
doch  in  entsprechenden  Wendungen:  3,  101,5  adplicaiis  nosMs 
ad  terram  navibus,  VI  27,  3  ad  eas  {arbores)  se  adplicant.  Scalas  moeni- 
bus  adplicare  sagt  Curtius  4,  2,  9.  (V  43,  6  drückt  sich  Cäsar  so 
aus:  quadam  laca  tnrri  adacta,)  Auch  111 4,  1  kann  die  Überlieferung 
nicht  richtig  sein :  brevi  spatia  interiecto,  vix  ut  üs  rebusy  qua$  con- 
stituissent,  canlocandis atque  administrandis  tempusdaretur.  £s wird 
zu  schreiben  sien:  comparandis  atque  administrandis,  wie  die 
Vergleich ung  von  1,  37,  1  dum  kaec  parat  atque  administrat  lehrt.  . 


voD  W.  Nitscbe.  773 

1133,2  ist  überliefert:  scuiis  viminibus  intextis,  quae  .  . 
peüibus  induxerant.  Intexere  steht  nur  hier  bei  Cäsar.  Es  wird 
zu  ändern  sein:  contextiSf  wie  fol^^ende  Stellen  zeigen:  1,54,2 
rdiquutn  corpus  navium  viminibm  contextum  corüs  integebatur, 
IV  16,  4  simulacra,  quorutn  conteosta  vitninibus  membra,  2,  2,  1 
cmtextae  virninibtis  vineae, 

1116,2  ist  überliefert:  üa  commutata  fortuna  eos,  qui  in 
spem  potiundorum  castrorum  venerant,  utidique  circumventos 
interficiunt.  Zwar  kommt  die  Verbindung  der  Verba  ctrcum- 
venire  und  interficere  bei  Cäsar  häufig  vor  (II  10,  3.  V  37,  2. 
VII  50, 3.  62,  7.  80,  7.  1 ,  55,  3.  2,  34,  3.  35,  2),  aber  hier  scheint 
das  Überlieferte  unhaltbar,  weil  unmittelbar  darauf  gesagt  wird, 
dafs  nicht  alle  getötet  werden,  sondern  nur  ein  Teil:  et.,  plus 
tertiaparte  interfecta,  (An  sich  ist  sachlich  das  eine  wie  das  andere 
höchst  unwahrscheinlich:  die  durchaus  nicht  vollzählige  römische 
Legion  wird  schwerlich  ober  10000,  oder  gar  über  30000  Feinde 
getötet  haben.)  Ich  möchte  vermuten,  dafs  einfach  zu  schreiben 
ist  circumveniunt  und  die  Verderbnis  eben  dadurch  entstanden 
sei,  dafs  dem  Schreiber  jene  geläufige  Wortverbindung  in  die 
Feder  kam.  Man  könnte  auch  denken  an  circumventos  incessunt 
(I  25,  6  wird  ähnlich  gesagt:  nostros  .  .  adgressi  circumvenire  .  . 
coeperunt  und  VIII  12,  2  qui . .  circumventos  aggrederentur);  aber 
incessere  gebraucht  Cäsar  nicht. 

III  9,  6  haben  alle  Hss.  quam  Romanos.  Heusei  klammert 
quam  ein,  der  ed.  1  folgend.  Mir  scheint  das  Ursprüngliche 
contra  Romanos,  und  nach  dem  Ausfall  der  Silbe  ra  vor  Ro  cont 
verwandelt  zu  sein  in  quom,  dieses  in  quam.  Contra  ==  at  ge- 
braucht Cäsar  V  31,  2  und  1,  71,  3.  Als  Ilinüeningsgrund  für 
meine  Konjektur  wird  nicht  angesehen  werden,  dafs  kurz  vorher 
contra  opinionefn  gesagt  ist. 

III  18,8  hatte  ich  vorgeschlagen:  fossas  [Romanorum].  Man 
könnte  zur  Verteidigung  des  verdächtigten  Wortes  VII  78,  4  muni- 
tiones  Romanorum  entgegenhalten,  aber  hier  fehlt  Romanorum  in 
der  Handschriftenklasse  ß\  icii  möchte  vermuten,  dafs  hinter 
muniliones  ausliel:  nras  =  nostras  und  zum  Ersatz  in  a  Roma- 
norum  eingeschoben  wurde. 

IV  1,  1  schlage  ich  vor:  non  longe  a  mari,  qua  (für  quo  a, 
etil  ß)  RhenUrS  influit  =  von  der  Stelle  aus,  wo  =  nicht  weit  vom 
Meere,  von  der  Mundungsstelle  des  Rheins  aus  gerechnet.  Der- 
selbe Ort  wird  IV  4,  2  bezeichnet:  ad  Rhenum  pervenerunt,  quas 
regianes  Menapii  incoUbant,  Für  den  Gebrauch  von  qua  ist  V  46,  3 
zu  vergleichen:  alterum  (nuntium)  ad  .  .  Fabium  .  .  misit,  %U  in 
Atrebatium  fines  legionem  adducat,  qua  (dorthin,  an  die  Stelle,  wo) 
sibi  iter  faciendum  sdebat.  (Umgekehrt  steht  qua  statt  quo  in 
einigen  Uss.  Vll  60,  4;  s.  Meusels  Lexikon  Sp.  1541  unten.) 

IV  12,  6  dürfte  zu  vervollständigen  sein:  cecidisset  .  .  .  (item 
oder  ipsey  interfectus  est. 


774     Kritische  Bemerkungeo  zu  Casars  Bellum  Gallicam, 

Dagegen  ist  IV  14,  2  interpoliert:  omnibu»  rebug  ...  [et 
celeritate  adventus  nostri  et  discesfu  morum],  wie  entsprechende 
Interpolationen,  schon  erkannt,  sich  linden  V  25,  5  ab  omnibus 
[legatis  quaestoribusque]^  ÜI  7,  1  omnibus  de  cauiis  .  .  .  [mperatis 
BelgiSy  exptäsis  Germanis,  victis  in  Alpibus  Sedunis]. 

V  14,  2  mufs,  denke  ich,  von  dauernder  Sitte  es  heifsen: 
vestiuntur.  Die  Hss.  haben  sunt  vestiti;  aber  sunt  fehlt  in  h  1 
nach  Meusels  Lexikon  unt.  vestire. 

Kann  V  49,  2  Gdllum  ab  eodem  Verticone  .  .  repetit  (N;  Aid; 
repperit  die  Hss.)  heifsen:  er  erbittet  sich  wieder  einen  (anderen) 
Gallier  (denn  der  frühere  gallische  Bote  45,  2 — 5  dürfte,  nach 
48,  3 — 7  zu  urteilen,  nicht  in  Ciceros  Lager  zurückgekehrt  sein), 
oder  scheint  es  notwendig  einzuschieben  Gallum  (^aUutnyi 

V  54,  4  möchte  Cäsar  ebenso  praecipuo  semper  ^m)  hanore 
habuit  gesagt  haben,  wie  an  den  beiden  andern  Stellen  1,  77,  2. 
3,  47,  7  magno  in  honore  habere.  Auch  Cicero  scheint  in  dieser 
Wendung  immer  in  zu  gebrauchen.  Noch  ungewöhnlichere  Stellung 
der  Präposition  hat  Cäsar  II  21,  6:  quam  q^äsque  ab  opere  inpartem 
casu  devenit,  wenn  ich  auch  die  malende  Darstellung  hier  nicht 
verkenne. 

In  den  Worten  V  56,  3  Cmgetorigem  .  .  quem  supra  demwi- 
stravimus  Caesaris  secutum  fidem  ab  eo  non  discessisse  (cessisse  ß) 
fafst  Meusel  Lex.  I  Sp.  925  das  letzte  Verbum  =  deserere,  deficere. 
Dies  dürfte  aber,  wie  die  von  ihm  noch  angeführten  Stellen  2,  42,  3. 
3,  60,  3  zeigen,  nur  dann  möglich  sein,  wenn  Cingetorix  nicht  von 
Cäsars  Seite  gewichen,  auch  räumlich  bei  ihm  geblieben  wäre. 
Darauf  führt  aber  nichts  in  der  Erzählung  von  ihm  V  3,  3 — 4,  4; 
vielmehr  dürfte  er  nach  57,  2  vom  Gebiete  der  Treverer  aus 
Cäsar  Nachrichten  gegeben  haben  über  seines  Gegners  Indutio- 
marus'  Umtriebe.  Wie  nun  Cäsar  des  Cingetorix  erstes  Auftreten 
vor  ihm  mit  den  Worten  berichtet  V  3,  3:  se  suosque  amnes  in 
officio  futuros  neque  ab  amicitia  populi  Romani  defecturos^ 
und  VI  8,  9  auf  die  erste  Hälfte  hiervon  zurückweist  in  den  Worten 
Cingetorigi,  quem  ab  initio permansisse  in  officio  demonstrtttnmuSf 
so,  glaube  ich,  hat  er  auch  hier  V  56,  3  sich  des  Wortes  defecisse 
(nicht  discessisse)  bedient. 

V  57,  3  ist  conloquendi  .  .  causa  schwerlich  richtig.  Ich 
vermute  conviciandi  .  .  causa  im  Hinblick  auf  58,  2  contumelia 
verborum.  Wenn  auch  nicht  conviciariy  das  Substantiv  convicium 
wenigstens  kommt  dreimal  bei  Cäsar  vor. 

In  der  Stelle  VI  1 ,  3  magni  interesse  etiam  in  reliquum  tempus 
ad  opinionem  Galliae  existimans  tantas  videri  Italiae  facuUates^  ut, 
si  quid  esset  in  bello  detrimenti  acceptum,  non  modo  id  brevi  tempore 
sarciri,  sed  etiam  maioribus  auger i  copiis  posset  ist  zu  augeri  in 
der  Ausg.  von  Kraner-Dittenberger  die  Anmerkung  gesetzt:  „näm- 
lich das  durch  die  Niederlage  verringerte  Heer,  obgleich  gram  malisch 
detrimentum  das  Subjekt  ist''.    Sollte  nicht  wirklich  hinter  maioribus 


voo  W.  Nitsche.  775 

das  in  den  Schriftzügen  ähnlich  ausgehende  Wort  [exercitus  aus- 
gefallen sein?  Ich  wüfste  keine  derartigen  sprachlichen  Licenzen 
bei  dem  immer  scharf  logisch  sprechenden  Cäsar. 

VI  5,  6  schlage  ich  für  das  schwerlich  richtige  congredi  coge- 
rttur  vor:  congregaretur  y,»\ch  vereinigte,  zusammenscharte'S  Wenn 
das  Wort  auch  bei  Cäsar  sich  nicht  findet,  so  ist  es  doch  sonst 
sehr  häufig.    ' 

Wenn  nach  VI  14,  3  m  disdplina  permanent  ursprunglich 
unmittelbar  der  Inhalt  dieser  Lehre  §  5  ff.  m  primis  .  .  (radunt 
folgte,  so  schlössen  sich  hieran  gut,  dem  Gedanken  und  der  Form 
nach,  die  Worte:  neque  fas  esse  existimant  ea  litteris  mandare, 
während  jetzt  das  Neutrum  ea  nach  dem  Vorangehenden  auf- 
fallig ist.  —  Sollte  öbrigens  nicht  in  §  3  rationihus,  wie  schon 
andere  vorgeschlafen  haben,  zu  streichen  sein  nach  den  Worten 
in  reliqms  fere  rehis  puhlids  privatisque*f  Die  letzteren  wurden 
gesagt  sein  wie  VI  13,  5  fere  de  otnnihus  controversns  puhlids 
prioatisque.  Vielleicht  ist  ratianibtis  als  Randbemerkung  zum  fol- 
genden causis  gesetzt  gewesen. 

VI  16,  1  f.  berichtet  Cäsar:  Einzelne  Gallier  in  bedenk- 
lichen Lebenslagen  provictimis  homines  immolant  . . .  publiceque 
eiusdem  generis  habent  instituta  sacrificia.  Darauf  wird  fortgefahren : 
Alii  mmani  magnitudine  simülacra  habent,  qnanim  .  .  .  exaniman- 
lur  homines^  Hier  werden  nach  der  Erwähnung  der  privaten 
Menschenopfer  und  nach  der  Andeutung  der  öffentlichen  nun 
offenbar  die  öffentlichen  beschrieben:  entweder  ist  also  vor  alii 
ein  anderer  auch  mit  alH  anfangender  Satz  ausgefallen,  der  eine 
andere  Art  Menschenopfer  anderer  gallischer  Staaten  enthielt  und 
in  dem  Erhaltenen  etwa  zu  lesen:  simülacra  (exstructa)  habent 
==  halten  bereit;  oder  habent  ist  mit  der  Handschriftklasse  ß 
zu  tilgen  und  aus  alii  ein  Verbum  zu  machen,  etwa  erigunt  oder 
excitant,  (Diodor  erzählt  dieselbe  Sache  folgendermafsen:  zovg 
xaxovgyovg  xatä  nsvrastfjQlda  (pvld^aprsg  äpaüxolo7ti^ov(ri 
totg  &€Otg  xal  (A€t'  äkltav  noXXäv  änaq^dv  xa&ayi^ovaiy 
nvQocg  nafjbfAeyi-d'Sic  xatadxeva^ovxeg,  XQävxai  di  ytal 
%o%g  alxfAceidOTOig  dg  IsQsio^g  ngog  vag  xcov  d'ewv  Ti[idg, 
7»vjg  6i  av%äv  xal  za  xara  noXsiJkoy  Xijtpd'sma  ^(oa  iieiä 
täv  av&Qoimoif  anoxzeivovciv  Iq  xazaxdovc^v  ij  ziai^v  äXlaig 
zifAfagia^g  äcpayl^ovfft^,  Strabo  IV  4,  5  p.  198  Casaub.  so:  av&gia- 
nov  xaz6(f7t€i(SfjLivok^  nalaavzsg  slg  väzov  ^laxatgcc  ifiavzevoyto 
i»  zov  (S(f>ada(Siiov.  sd-vov  di  ovx  avsv  dgv^öfav.  xal  äXla 
di  av&gtonod'VtSi&v  sidfj  Xeyszat'  xal  yäg  xazszo^svop  ztvag 
xal  dp€<fzavgovy  iv  zoXg  isgotg  xal  xazaöxevdaavztg 
xoXoatsdv  xogzov  xal  '^vXtaVy  ifißaXopzeg  elg  zovxov  ßo(fx^- 
(lata  xal  d-fjgia  navzoXa  xal  ap&gdTtovg,  toXoxavzovv,) 

VI  19,  3  möchte  ich  ergänzen:  de  morte  si  res  in  sus- 
picionem  venit ...  et  si  compertum  (parricidiumy  est\  VI  30,  3 
ut  (^sitay  sunt  fere  domidlia  Gallorum  (vgl.  III  12,  1  erant  eins 


776     Kritische  Bemerkoogen  zu  Casars  Bellom  Gallicam, 

tnodi  fere  Situs  oppidorum);  ¥135,6  übt  pons  erat  (^altery 
f actus  (statt  des  Überlieferten:  erat  perfectus.  Vielhaber  halte 
vermutet:  erat  (^posteriory  factus.  Man  vergleiche  Eberz'  Konjektur 
VH  27,  1  promota  turrt  (^altera),  die  noch  wahrscheinlicher  wird 
bei.  der  Umstellung  promota  (altera^  turn).  Ferner  schlage  ich 
vor:  VI  37,  9  audxerant  (paene}  nMum  esse  intus  praesidium^ 
welche  Worte  zurückverweisen  auf  35,  9  praesidii  tantum  est,  ut  ne 
murtis  quidem  cingi  possit  u.  s.  w. 

Dafs  Cäsar  etiam  nunc  an  folgenden  beiden  von  Meusel  Lex.  I 
Sp.  1142  angeführten  Stellen:  VI  40,  6  nullo  etiam  nunc  usu  rei 
militaris  percepto  neque  . .  .  potuerunt  und  VII  62,  6  incerto  etiam 
nunc  (AQ/9;  nunc  etiam  BiM)  gebraucht  habe,  scheint  mir  unwahr- 
scheinlich. Entweder  dürfte  unter  Vergleichung  der  von  Meusel 
vorher  und  nachher  im  Lexikon  ausgeschriebenen  Stellen,  nunc  in 
tum  zu  ändern  oder  nunc  (=  nc)  zu  tilgen  sein.  Das  letzlere 
Verfahren  möchte  ich  mehr  empfehlen;  auch  spricht  dafür  der 
Wechsel  der  Wortstellung  in  der  Überlieferung  Vil  6,  6,  sowie  die 
Vergleichung  der  Stellen,  in  welchen  das  blofse  etiam  =  „noch*^ 
mit  der  Negation  verbunden  erscheint:  VI  43,  4  nee  plane  etiam 
abisse,  VI  30,  2  ineautum  etiam  atque  imparatum^  Caes.  ap.  Cic.  ad 
Alt.  X  8  B  1  integra  etiam. 

VII  14,  5  möchte  ich  vorziehen  für  a  Boia  zu  schreiben: 
ab  hostibus  mit  Rücksicht  auf  das  folgende  Subjekt  in  videantur, 
Ciacconius  hat  schon  ab  hoste  vorgeschlagen. 

VII  20,  3  können  vor  persuasum  die  Worte  sibi  esse  nicht 
fehlen,  die  leicht  ausfallen  konnten  nach  accessisset. 

VII  33,  1  ist  überliefert:  dintas  quam  ipse  semper  aluisset 
Dieses  Verbum  würde  bei  einem  anderen  Schriftsteller  nicht  unge- 
wöhnlich erscheinen,  bei  Cäsar  hat  es  keine  Parallele.  Ich  ver- 
mute: auxisset,  im  Hinblick  auf  VII  54,  4  quam  in  ampUtudinem 
duansset  und  auf  I  43,  8  populi  Romani  haue  esse  consuetudinem, 
ut  socios  .  .  .  gratia,  dignitate,  honore  auctiores  velit  esse. 

VII  34,  1  ist  devicta  Gallia  auffällig.  Vielleicht  möchte 
jemand  meinen,  dafs  Cäsar  so  nach  Niederwerfung  des  Aufstandes 
bei  der  Abfassung  seiner  Kommentare,  nur  an  das  grofse  römische 
Publikum  denkend,  geschrieben  habe,  während  er  etwa  vorher  zu 
den  Häduern  selbst  devictis  adversariis  gesagt  habe.  Aber  die 
Worte  dürften  doch  wohl  von  fremder  Hand  eingeschoben  sein, 
da  ein  sprachliches  Bedenken  hinzukommt:  der  Ablativus  absolulus 
devicta  Gallia  müfste  bedeuten:  erwarten  für  die  Zeit,  dafs  u.  s.  w. 
Das  blofse  exspectarent  mochte  jenen  erklärenden  Zusatz  hervor- 
treiben; aber  auch  3,  60,  1  wird  ohne  derartige  Zeitbesliromuug 
gesagt:  monuit,  ut  ex  stia  amicitia  omnia  exspectarent  et  ex 
praeteritis  suis  offkiis  [reliqua  speraretU  om.  Ciacc.];  vgl.  auch 
2,  28,  3. 

VII  35,  1  dürfte  auch  wohl  Meusel  selbst  durch  seine  Text- 
gestaltung noch  nicht  völlig  befriedigt  sein.    Ich  wurde  vorziehen« 


r 


voD  W.  Nitsche.  777 

SO  ZU  schreiben  und  zu  interpungieren :  Cum  uterque  utriqut 
(ß  uirimque  a)  esset  (j9=  blieb;  oder  tsset  =  den  Tag  über 
marschiert  war?  aiexisset)  exercttus  in  compectu,  fere  [que]  e 
regione  cast(rarum  Caesd)ris  (H.  J.  Müller)  castra  ponebat  (Paul). 
In  dem  Oberiiererlen  ist  nicht  ausgedruckt,  dafs  Cäsar  und  Vercinge- 
torix  des  Morgens  gleichzeitig  auszogen;  ein  derartiger  Gedanke 
mufs  hineingebracht  werden. 

Vli  41,  1  durfte  zu  schreiben  sein:  castra  ad  Gergotnam  <re)- 
movet;  vg).  wegen  des  Sachverhalts  c.  40  und  den  Rest  von  c.  41 
und  wegen  des  Ausdrucks  das  andere  Kompositum  I  48,  1  castra 
pramomt. 

VII  47,  1  setzt  Meusel  mit  ß  constiterunt  \  ich  möchte,  im  An- 
schlufs  an  a,  constitui[t]  vorschlagen  und  es  noch  von  inssit 
abhängen  lassen. 

VII  47,  3  ist  überliefert  consequi  .  .  prms  sequendi.  Es  ist 
gar  nicht  angegeben«  wem  die  BetrefTenden  folgen.  Ich  möchte 
für  die  letzten  beiden  Worte  setzen:  prius  (^proycedendi,  im 
Hinblick  auf  52,  1 :  ipsi  iudicavissent,  qtw  procedendum. 

VII  49,  3  vermute  ich  cum  kgione  ^X)  progressus  .  .  eventum 
pugnae  exspectahat.  Das  Eingreifen  dieser  Legion  wird  dann  51,  1 
erzählt. 

Mit  VII  63  beginnt  ein  neuer  Abschnitt  der  Erzählung:  „In- 
folge des  Abfalls  der  Häduer  wächst  der  Krieg  an  Ausdehnung'^ 
(co^nt^a  ist  wohl  aus  VII  59,  2  Bellavaei .  .  defectione  Haeduorum 
cognüa  hier  fälschlich  eingeschoben).  „Denn  die  Haeduer  schicken 
nach  allen  Seiten  Gesandtschaften  herum  (circummittunt[ur] :  Weid- 
ner); sie  bieten  allen  Einflufs,  Ansehen  und  Geld  auf,  die  Staaten 
aufzuwiegeln;  im  Besitze  der  bei  ihnen  von  Cäsar  aufbewahrten 
Geiseln,  wenden  sie  Drohungen  an  bei  .den  Unschlüssigen;  schliefs- 
lich  setzen  sie  sich  mit  Vercingetorix  in  Verbindung".  Dieser  Zu- 
sammenhang, meine  ich,  fordert  die  Ausmerzung  von  cognüa. 

In  der  Rede,  welche  Vercingetorix  in  der  allgemeinen  Ver- 
sammlung der  Gallier  zu  Bibracte  VII  63,  5  fr.  hält,  ist  mehreres 
dunkel.  Ich  möchte  nur  bei  den  Worten  64,  3  verweilen :  aequo 
ammo  sua  ipsi  frumenta  corrumpant  aedifictaque  incendant,  qua 
rei  familiaris  iactura  perpetunm  imperium  libertatemque  se 
consequi  videant.  Es  wird  nicht  gesagt,  wem  und  über  wen  Ver- 
cingetorix die  dauernde  Herrschaft  verspricht;  aber  es  wird  wohl 
eine  allgemeine,  eine  Gesamtherrschaft  der  Gallier,  eine  Weltherr- 
schaft derselben  nach  Art  der  römischen  gemeint  sein,  wenn  man 
die  einzig  sich  zur  Erläuterung  bei  Cäsar  bietende  Stelle  VII  29,  6 
vergleicht:  Vercingetorix  verspricht,  unum  consilium  totius  Galliae 
elfecturum,  cuius  consensui  ne  orbis  quidem  terrarum  possit 
obsistere.  Als  Einzelheit  dieses  weitaussehenden  Planes  erfahren 
wir  nur  VII  64,  8,  dafs  er  den  Allobrogern  das  imperium  totius 
provinciae  in  Aussicht  stellt.  —  An  diesem  Offensiv-Gedanken 
darf   nicht    irre    machen,    dafs    sonst   nur  der  Defensive  gedacht 


778     Kritische  Bemerkaogeatzn  Casars  Bellum  Gallienm, 

wird,  wie  VII  14,  5  ff.  salutis  causa  rei  famüiaris  commoda  ita- 
glegenda:  vkos  atque  aedificia  incefidi  aportere  u.  s.  w.;  auch  66,  4, 
da  die  Siege  am  güostigsten  zu  stehen  scheinen  und  man  hofft, 
dafs  sich  die  Römer  in  die  Provinz  zurückziehen  werden,  ist 
nicht  vom  Traume  einer  Weltherrschaft  die  Rede,  sondern  Ver- 
cingetorix  hält  den  versammelten  Reiterobersten  vor,  dafs  jener 
Rückzug  der  Römer  zwar  genüge  ad  praesentem  obtinmdam  liber- 
tcitem^ad  reliqui  temporis  pacem  atqtie  otium  parum  profiä.  Wenn 
auch  VIl  64,  3  die  Worte  perpetuum  mperium  libertatemque  (wohl 
absichtlich)  nicht  näher  ausgeführt  sind,  man  wird  sich  doch  hüten, 
etwa  perpetuam  salutem  libertatemque  dafür  setzen  zu  wollen. 

VII  74,  1  hatte  ich  vorgeschlagen  perrumpi  für  das  überlieferte 
cireumfundi;  besser  aber  durfte  sein:  circumfusa  perrumpi. 

VH  79,  4  wird  ebenso  fossam  cratibus  [integunt]  atque 
aggere  eocplent  zu  schreiben  sein,  wie  es  VH  86,  5  heifst:  aggere 
et  cratibus  fossas  explent. 

VIII  5,  3  mufs  das  Kompositum  stehen:  equites  , .  .  in  omnes 
partes  {di)mittit,  wie  VIII  7,  1.  25,  1.  24,  1  und  überall  an 
zahlreichen  Steilen  bei  Cäsar  (Meusel  Lex.  I  91 5  f.  11  102). 

VIII  11,2  ist  zu  ändern  equites  ....  pabulatoribus  (für 
das  überlieferte  pabulationibu&)  mittit;  vgl.  VIII  10,  3  lil .  .  ,  pdbu- 
latores  circumveniretUur,  17,  2  legianes  plures,  quam  sokbat,  educü 
equitatumque,  quantum  (JNitsche  [s.  VI  43,  4  tarUo  .  .  .  equitatu], 
quem  Kraffert;  überliefert  qua)  consuetudine  („nach  Gewohnheit*') 
pabulatoribus  mütere  praesidio  consuerat,  praemittit\  auch  1,  40,  3 
^uc  cum  .  .  .  egressae  pabulatoribus  praesidio  . .  transissent;  ferner 
VIII  29,  1.  35,  2  und  zahlreiche  Beispiele  aus  Cäsar  in  Meusels 
Lex.  II  Sp.  1176 — 1178,  in  welchen  überall  zu  praesidio  und 
einem  Verbum  der  Dativ  eines  Konkretums,  nicht  eines  Abslrak- 
tums,  einer  Handlung  gesetzt  ist. 

VIII  14,  l  ist  überliefert  dimittuni  e05,  quos  aut  aetate  aut 
viribus  inferiores  aut  inermes  habebant,  unaque  reliqua  impedi- 
menta.  Reliqua  giebt  keinen  Sinn;  Köchly  und  Rüstow  über- 
setzen: den  gesamten  Trofs.  Ist  reliqua  durch  Dittographie  aus 
dem  vorhergehenden  unaque  entstanden  und  zu  tilgen?  oder  ist 
pleraque  dafür  zu  setzen? 

VIII  19,  7  dürfte  zu  ergänzen  sein:  qui  tarnen  (^paene 
omnes)  in  fuga  .  .  .  conficiuntur,  da  20,  2  folgt:  ex  fuga  paucis 
.  .  .  receptis.  Wegen  des  Ausdrucks  vgl.  3,  79,  4  paens  omnibus 
copiis  amissis. 

VIII  26  wird  erzählt,  dafs  der  Legat  Caninius' dem  römer- 
treueu  Häuptlinge  der  Pictones  Uuratius  zu  Hilfe  kommt,  aber  zu 
ausreichender  Hilfe  nicht  stark  genug  ist.  Darauf  möchte  ich 
27,  1  so  lesen :  Eodem  tempore  C.  Fabius  legatus  complures  dmtales 
in  fidem  (^dumy  recipit,  (^quam^  obsidibus  firma(nyt,  lHteris[qtu] 
Caninii  fit  certior^  quae  in  Pictonibus  gerantur.  Jedenfalls  ist  das 
Überlieferte  anstöfsig;  denn  fit  drückt  Momentanes  aus,  welches 


voB  W.  Nitsehe.  779 

eintritt  ionerbaib  der  Dauer  der  vorher  genannten  Handlung 
reäpit;  aufserdem  würde  die  Verbindung  mit  dem  vorhergehenden 
Kapitel  ungeschickt  sein.  (Wegen  des  Ausdrucks  vgl.  noch  VII[ 
48,  8  SB  .  *  ea  facturum  .  .  ohsidibus  datis  firtnat.) 

VIII  47,  2  ist  oiTenbar  zu  schreiben:  [civitasque  Atre- 
batium  in  officio  esset]  ...  farente  Romanis  cimtate.  — 
Darauf  durfte  wegen  des  Sinnes  umzustellen  sein:  [cum  suis 
equitibus]  latrociniis  se  suosque  alebat  infestisque  ilineribus  (cum 
suis  eqviiibus)  commeattis  .  .  .  interctjnebat. 

VIII  48,  3  möchte  ich  hinter  ille  .  .  .  fuga  vehementi  Volusenum 
produxisset  lon^nis,  inimicus  homini  ein  Komma  setzen  und 
zwei  Zeilen  später  wieder  unter  Ergänzung  eines  Wortes  um- 
stellen: conversoque  equo  se  [a  ceteris  incautius]  permittü  in 
praefectum  <a  ceteris  incautius  praevectum  =  „vorangesprengl'*). 

Hieran  schliefse  ich  einige  Vermutungen  zum  bellum  civile: 

^  1,  2,  7  ist  das  überlieferte /acmmm  mderi  sinnwidrig.  Man 
erwartet  facere  visurum.  Will  man  die  Nachlässigkeit  der  Eil- 
fertigkeit Cäsars  und  dem  Mangel  einer  Revision  zuschreiben: 
jedenfalls  mufsten  die  Herausgeber  und  Erklärer  über  die  Stelle  reden. 

1,  7,  4  ist  nach  videatur  das  notwendige  Wort  ^ttira)  aus- 
gefallen und  falschlich  in  den  Hss.  durch  dona  ersetzt  worden. 

Den  Feinden  Cäsars  kam  es  vor  allem  darauf  an,  seine  Wieder- 
wahl zum  Konsul  im  J.  49  und  damit  eine  ununterbrochene  Macht- 
stellung desselben  zu  hindern.  Seinerseits  hatte  Cäsar  nach  dem 
Ausbruche  des  Bürgerkrieges,  wie  Hofmann  zu  1,11,2  richtig 
bemerkt,  bei  seinen  bedeutenden  Konzessionen  das  eine  im  Auge, 
dafs  Fompejus  vor  den  Konsularkomitien  in  seine  Provinz  ginge 
und  die  Konsulwahien  nicht  unter  dem  Druck  der  f^ompejanischen 
Armee  vor  sich  gingen.  Das  beweisen  klar  Cäsars  Vorschläge  9,  5: 
proficiscatur  Pompeius  in  suas  provincias,  ipsi  exerdtus  dimittant; 
discedant  omnes  in  Italia  ab  armis,  meius  e  civitaie  toHatur^  libera 
comitia  atque  omnis  res  publica  senatui  populoque  Romano  per- 
mittatur.  Daher  dürfte  nach  der  Erwiderung  der  Gegner  (10,  3: 
Caesar  in  Galliam  reverteretur  .  .  .  exercilus  dimitteret]  quae  si  fe- 
cisset,  Pompeium  in  Hispanias  iturum)  c.  11,2  zu  schreiben  sein: 
erat  iniqua  condicio  postulare,  ut  Caesar  .  .  .  tn  provinciam  reverte- 
retur, ipsum  et  provincias  et  legiones  absentem  teuere,  exercitum 
Caesaris  veüe  dimitti . .;  polliceri  se  in  provinciam  iturum  tuq^ie^ 
ante  quam  diem  iturus  sit,  definire,  ut,  si  comitiis  Caesaris  con- 
sularibus  (oder  besser  peractis  comitiis  consularibtts)  non 
profectus  esset,  nuUa  tarnen  mendacii  religione  obstrictus  videretur, 
wiewohl  die  Überlieferung  in  den  mafsgebenden  Hss.  an  dieser 
verzweifelten  Stelle  von  diesem  Vorschlage  abliegt;  sie  lautet 
nämlich:  si  peracto  cons.  Caesaris  cons.  (non  add.  Ursinianus) 
praefectus  (.profectus  Dpr)  esset.  Ich  glaube  hiermit  wenigstens 
sachlich  und  sprachlich  Zulässiges  vorgeschlagen  zu  haben.  (Meinen 
früheren  Vorschlag  nehme  ich  hiermit  zurück.) 


780       Kritische  Bemerkun^ea  zu  CSsars  Bellom  civile, 

1,  13,  1  heifst  es:  adventu  Caesaris  cognito  decurionei 
A^txmi  ad  Altium  Varum  .  .  conveniunt;  doceiu  sui  iudicii  rem  non 
esse;  neque  se  neque  reliquos  municipes  patiposse  C.  Caesarem.  . . 
oppido  moenihusqiie  prohiberi;  proinde  habeat  rationem  posteritatis 
et  periculi  sui.  Hier  roufs  für  posteräatis  gesetzt  werden:  ipso- 
rum  voluntatis,  wie  der  Zusammenbang  zeigt  und  zum  Uber- 
fiufs  entsprechende  Beispiele  lehren:  2,  20,  1 — 3  und  im  beson- 
dern 3,  12,  1 — 3:  Caesar  .  .  Apolloniam  proficiscitur;  eins  adventu 
audito  L.  Staberius,  qui  ibi  praeerat,  .  .  arcem  muntre  obsidesque  ab 
Apolloniatibus  exigere  coepit\  tili  vero  daturos  se  negare  neque  portas 
consuli  praeclusuros  neque  sibi  iudicium  sumpturos  contra  atque 
omnis  Italia  .  .  iudicavisset;  quorum  cognita  voluntate  dam  pro- 
fugit  Apollonia  Staberius. 

1,  19,  4  dürfte  notwendig  sein  si  qua  {quae'i  doch  s.  Mensel 
Lex.  II 1550)  esset  (füv  fuisset)  facultas;  1,  30,  1  duumviris (mariti- 
morumy  municipiorum  omnium  imperat,  utnaves  conquirant  u.  s.  w. 

1,  32,  1  beginnt  mit  der  so  häufigen  Formel  His  rebus  con- 
fectis.  Aber  hier  (wenn  man  sie  nicht  etwa  durch  die  Annahme 
erklären  will,  dafs  30,2  Sardiniam  obtinebat  —  31,  in  welchem 
Abschnitt  Cäsar  nicht  auftritt,  erst  nachträglich  eiugefugt  sei) 
wird  man  wohl  His  in  Italicis  (welches  Wort  3,  42,  3  Yon  Cäsar 
gebraucht  wird)  ändern  müssen;  Italicis  konnte  leicht  nach  cogit 
entstellt  werden.  Ähnlich  ist  der  Übergang  VI  16,  1  Germanico 
bello  confecto  .  .  .  Caesar  statuit  sibi  Rhenum  esse  transeundum^ 
und  verwandt  die  Formel  2,  17,  1  cognitis  iis  rebus  quae  sunt  in 
Italia  gestae. 

1,  36,  1  scheint  folgende  Interpunktion  sinngemäfser  als  die 
übliche:  .  .  .  praecifitur.  Summa  .  .  .  permittitur:  eius  .  .  . 

1,41,2  sind  Kasusendungen  zu  ändern:  castrisque  prae- 
sidio  sex  cohortes  relinquit  atque  omnibus  impedmentis  (überliefert 
ist  omnia  impedimenta);  den  Beweis  liefert  der  Gedankenzusammen- 
hang, dazu  die  ParalleLstellen  in  Meusels  Lex.  II  Sp.  59. 

1,  58,  1  mufs  es,  denke  ich,  heifsen:  et  (statt  aut)  pluribus. 

Mensel  Lex.  II  Sp.  45fir.  hat  viele  Beispiele  zusammengestellt, 
in  denen  illi^^adversarii,  hostes  gebraucht  wird.  Diese  Deutung 
ergiebt  sich  aus  dem  Zusammenhang  der  Stellen.  In  keiner  von 
ihnen  dürfte  aber  dem  Leser  zugemutet  werden,  was  1,  59,  2 
notwendig  wird,  dafs  er,  um  Uli  zu  verstehen,  über  das  Zwischen- 
stück c  56 — 58,  welches  von  Massilia  handelt,  hinüber  zum  Ver- 
ständnis von  Uli  auf  das  entfernte  vorhergehende  Kapitel  zurück- 
greifen mufs.  Hier  entsteht  doch  die  Frage  (falls  man  nicht  an- 
nimmt, Cäsar  habe  die  Schrift  vom  Bürgerkriege  nur  schnell  hin- 
geworfen hinterlassen),  ob  nicht  statt  t7/t  zu  setzen  ist  adversarii, 
von  dem  der  Anfang  nach  dem  vorhergehenden  Worte  mutatur  leicht 
entstellt  werden  konnte.  —  Ebendort  §  3  verbessert  Mensel  consti- 
ttierant  in  instituerant;  doch  scheint  nach  den  vorangegangenen  Imper- 
fekten und  postremo  auch  hier  das  Imperfektum  instituebant  rätlicher. 


voo  W.  Nitsche.  781 

1,  75,  2  dürfte  zu  schreiben  sein  quos  siiae  custodiae  causa 
(^circum  se}  habere  tfmeuerat,  wie  2,  40,  1>  vgl.  Heusei  Lex.  I 
Sp.  531.  (Diese  Ergänzung  hat  gröfsere  Wahrscheinlichkeit,  als 
die  von  seciim,  was  an  sich  auch  zulässig  wäre,  s.  Meusel  Lex.  I 
Sp.  766  f.) 

*  Zu  1,  80,  1  bemerkt  Hofmann  richtig:  „Tait  dum  pugnatur 
modo . .  mbsistunt,  eine  allgemeine  Bemerkung,  wie  ut  tum  accidit 
(Bestätigung  derselben  durch  den  vorliegenden  Fall)  zeigt'^  Nun 
folgt  allerdings  sonst  enim  (2,  4,  4.  3,  41,  3  f.  vgl.  3,  68,  If.)  auf 
die  Formel  ut  accidit  oder  'ut  tum  accidit,  oder  auch  nam  (Vl( 
3,  2),  wenn  nämlich  jene  Bestätigung  mit  Einzelheilen  belegt  wird; 
das  ist  jedoch  hier  nicht  der  Fall;  hier  folgte  etwas  durchaus 
anderes,  nämlich  das  schliefsliche  Ergebnis.  Daher  vermute  ich, 
dafs  hinter  accidit  der  neue  Satz  mit  (ita^  begann;  nachdem 
dies  infolge  der  Buchstabeoähnlichkeit  nach  accidit  ausfiel,  wurde 
nnlugischerweise  das  so  häufige  enim  eingeschoben. 

1,  80,  4  scheint  mir  equitesque  revocari  die  unnütze  Er- 
klärung eines  Lesers  zu  subsequi  pabulatores  iubet;  unnütz,  da 
erst  dicht  vorher  §3  gesagt  war  dimissos  equites  pabulandi  causa; 
er  wollte  vermutlich  das  Verständnis  erleichtern,  wie  aus  diesen 
pabulatores  sofort  wieder  die  Reiterei  wird,  die  ihren  täglichen 
Dienst,  die  Verfolgung  der  Feinde,  versieht  (eeleriter  equitatus  ad 
cotidiemum  itineris  officium  revertilur  u.  s.  w.). 

"^Während  des  eben  erwähnten  Rückzuges  der  Feinde  pugnatur 
acriter  ad  novissimum  agmen  1 ,  80,  5 ;  sobald  aber  die  Gegner 
notgedrungen  an  einem  ungünstigen  Orte  ein  Lager  aufschlagen 
castra  ponunt  (81,  1):  (tarn}  isdem  de  causis  Caesar,  quae  supra 
sunt  demonstratae  (72,  1 — 4),  proelio  non  lacessit.  So,  meine  ich, 
hat  Cäsar  geschrieben,  und  die  bessere  Oberlieferung  trägt  noch 
die  Spur  in  dem  blofsen  non  vor  lacessit.  Als  aber  iam  nach 
ponunt  ausfiel,  wurde  das  weniger  passende  sed  für  iam  eingesetzt, 
und  in  den  geringeren  Handschriften  wurde  aus  richtigem  Gefühl 
für  den  mangelnden  Begriff  amplius  vor  non  lacessit  eingesetzt. 
(Weit  vor  non  gesetztes  iam  zeigen,  wenn  auch  in  anderen  Ver- 
bindungen, I  17,  3  si  iam  principatum  Galliae  obtinere  non  possitU 
und  II  25,  1  ut  iam  se  s^istinere  non  posset.)  —  Darauf  wird  nicht 
entbehrt  werden  können:  eo  die  labernacula  statui  (^a  suis} 
passus  non  est,  quo  paratiores  essent  ad  insequendum  omnes. 

1,  82,  3  hat  Paul  mit  Recht  an  der  durchaus  ungewöhnlichen 
Formel  quae  sunt  cognitae  Anstol's  genommen.  Da  sonst  aktivische 
Wendungen  bei  Cäsar  zu  stehen  pQegen,  ist  möglicherweise  ein 
einfaches  quibus  antea  so  umgebildet  worden,  zumal  yor  quominus» 
Wegen  der  Sache  vgl.  81,  2. 

*  1,  83,  3  dürfte  uterque . .  videbatur  .  .  tlle  • .  impediret  in  den 
Plural  umzuwandeln  sein,  entsprechend  dem  folgenden  utrique 
.  .  Uli .  .  (84,  1)  petunt.  —  1,  83,  3  fordert  der  Sinn  ferner:  pro- 
ducitwr  ita  (für  tamen). 


782        Kritische  ßemerkangeo  zo  Cäsars  Bellom  civile, 

1,  S5,  5  neqite  (^veroy  nunc.  —  1,  86,  4  möchte  ich  vor- 
schlagen neu  quis  invüus  sacramento  adigatur  (für  das  überlieferte 
dicere  cogatur),  wie  Vli  67,  1  in  er  steht  iure  iurando  adacti8\  so 
reden  auch  Livius  und  Tacitus. 

2,  5,  5  ist  vielleicht  zu  schreiben  et  honesti  ex  iuventute  et 
gravioris  (für  das  handschriftliche  cnmsque)  aetatis  ampUcissinu, 
wie  es  ill  16,  2  heifst:  omnis  tuventus,  omnes  etiam  gravioris  aetalis 
.  .  .  eo  canvenerant, 

2,  17,  3  scheint  atque  exspectari  nur  erklärender  Zusatz 
von  fremder  Hand  zu  der  bei  Cäsar  ungewöhnlichen  und  auch 
sonst  nicht  gerade  häufigen  Phrase  esse  in  spe  zu  sein. 

%  32,  2  durfte  notwendig  sein  neque  sine  causa  ei  Caesar 
armdssime  de  vobis  et  (victi)  Uli  gravissime  iudicaverunt,  Pom- 
peius  antem  nullo  proelio  pulsus,  vestri  facti praeiudicio  demotns 
Italia  excessit.  Vgl.  §  6  incerta  victoria  Caesarem  secuti  dnudicata 
iam  belli  fortuna  victum  (Paul:  victos)  sequamini .  .  .? 

2,34,4  möchte  hinzuzusetzen  sein:  quod  magnum  (etint) 
habere  usum  .  .  .  sciebat.  Doch  diesen  Gegenstand  zu  erledigen, 
dazu  gehört  eine  umfassende  Untersuchung. 

Da  Varus  sein  Lager  nach  2,  25,  t  zwischen  der  Stadt  Utica 
und  dem  Theater  davor  hatte  (vgl.  35,  4),  so  dürfte  notwendig 
sein  2,  35,  7  zu  ändern:  in  oppidum  tra-  (statt  re')ducit,  auch 
wenn  es  §  6  heifst  in  oppidum  .  .  sese  recipiunt. 

*  2,  41,  8  scheint  [parentes]  als  Erklärung  zu  suos  von  frem- 
der Hand  beigeschrieben  zu  sein  =  Anverwandte,  in  welcher  Be- 
deutung es  nach  Georges  erst  von  Curtius  und  Florus  an  vor- 
kommt. 

3,  1 ,  6  möchte  ich  ingratus  ändern  in  incautus,  weil,  wie 
Hofmann  in  der  Anmerkung  sagt,  eine  Restitution  durch  Volks- 
beschlufs  sicherer  war. 

'^  3,  2,  3  ist  überliefert  galli  tot  bellis,  ohne  Sinn.  Die  Ände- 
rung Gallicis  aus  gMi  ist  unzutreffend;  dann  würde  der  Krieg  in 
Italien  nicht  erwähnt.  Auf  den  richtigen  Weg  führt  Pauls  assi- 
dnitate  belli;  ich  meine,  es  mufs  gravitate  belli  heifsen,  wie 
Cäsar  IV  6,  1  gravius  bellum  gebraucht:  durch  den  schweren  Krieg 
in  Italien,  vor  Massilia  und  in  Spanien  waren  viele  Mannschaften 
dienstunfähig  geworden.  (Dafs  gleich  nachher  gravis  afUumnus 
folgt,  würde  die  Konjektur  nicht  unzulässig  erscheinen  lassen:  ähn- 
liche Wortwiederholungen  hat  Cäsar  nicht  wenige.) 

3,  4,  6  ist  vielleicht  hinter  adiecerat  einzusetzen  equites:  ita 
statt  des  überlieferten  atque.  (Auf  die  Notwendigkeit  von  equües 
wies  mich  Meusel  hin.) 

3,  5,  1  möchte  ich  ergänzen  Cyrenis  reliquisque  (mari^ 
timis)  regionibns.  Maritimis  scheint  nach  dem  Ausfall  falschlich 
nachher  in  §  2  hinter  oppidis  untergebracht  zu  sein.  Dagegen  ist 
wohl  vor  oppidis  ausgefallen:  Epiri. 

3,  6,  2    dürfte   für   aequo  zu  schreiben   sein  laeto  (vgl.  3, 


voD  W.  Nitsche.  783 

91,3).  Aequo  oder,  was  i'aul  vorschlug,  magno  animo  wurde 
passen,  wenn  der  Feldherr  aufforderte,  nicht  die  Soldaten  sich 
erhöten. 

3,  6,  3  sind  die  Worte  saxa  inter  et  alia  loca  peric^dosa  quie- 
tarn  nactns  stationem  hinter  das  letzte  Wort  exposmt  zu  stellen. 

3,8,3  ist  wohl  zu  ändern:  ac  dedecoris  (für  das  band- 
schriftliche ac  doloris)  iracundiam.  Vgl.  IV  25,  5;  auch  den 
Artikel  ignominia  in  Meusels  Lexikon.  3,  21,  4  ignominia  et  dolore 
permotus  entspricht  dem  Ausdrucke  an  unserer  Stelle:  dedecorts 
iracundiam» 

*"  3,  8,  4  ist  tiberliefert  neque  subsidium  exspectans  si  in  Caesaris 
complexum  venire  po$set.  Den  richtigen  Gedanken  hat  Nipperdey 
gefunden,  indem  er  bessert:  ne  quod  aubsidium  exipectanti  Caesari 
in  compectum  venire  posset;  nur  klingt  das  letzte  für  Cäsars 
schlichte  Aus^drucksweise  etwas  zu  spöttisch;  ich  vermute  daher 
für  compleocum  (vor  venire):  commeatusve.  Zu  dieser  Vermutung 
möchte  ich  nur  hinzulügen,  dafs  ich  für  den  Anfang  die  Ände- 
rung von  Davis  jetzt  vorziehe  :*fie  qua  subsidium.  Ich  schlage  also 
vor:  ne  qua  subsidium  exspectanti  Caesari  commeatusve  venire 
posset.  (In  Meusels  Tabula  Coniecturarum  ist  meiner  Konjektur 
durch  ein  Versehen  ein  Punkt  und  discessn  hinzugefügt  worden; 
naturlich  nehme  ich  auch  hier  eine  Lücke  an.)  Zur  Bestätigung 
der  Konjektur  verweise  ich  auf  3,  42,  3  Caesar  .  .  .  de  Italids 
eommeatibus  desperans,  3,  23,  3  sua  classe  auxilia  sese  Caesaris 
prohibiturum  und  auf  3,  tll,  4  eammeatu  anxilHsque  Caesar em 
prohiberent. 

3,  9,  2  wurde  vor  Jurins  Vorschlag  (j^antm)  munitum  gröfsere 
äufsere  Wahrscheinlichkeit  haben  {minusy  munitum. 

3,  9,  6  ist  vermutlich  [nuper  maximi]  verdorben  aus  nuper 
manumissione,  welches,  von  Paul  durch  Konjektur  wiedergewonnen, 
doch  nur  ein  erklärender  Zusatz  zu  liberaverant  sein  dürfte,  das 
nach  der  Erzählung  im  §  3  schon  allein  vollkommen  genügte. 

*3,  tl,  1  vermute  ich  omnibus  (^stationibus  oder  mansio- 
nibus)  mutatis  ad  celeritatem  iumenlis:  Vibullius  wechselte  in 
höchster  Eile  auf  allen  Stationen  der  Egnalischen  Heerstrafse 
(§  2)  die  für  römische  Beamte  bereitstehenden  Pferde.  Dns 
scheint  der  Zusammenhang  der  Erzählung  zu  verlangen.  Nach- 
dem infolge  der  Ähnlichkeit  der  Schriftzüge  das  betreffende  Wort 
ausgefallen  war  und  man  einen  Mangel  verspürte,  wurde  das  un- 
genügende coptYs  dafür  eingeschoben.  Nicht  anders  ist  es  3,  16,4 
geschehen,  wie  man  längst  erkannt  hat:  nachdem  suam  vor  sum- 
mam  geschwunden  war,  wurde  dafür  das  falsche  Pompei  eingesetzt. 

3,  16,  3  ist  die  Nichterwähnung  des  Konsulats  auffällig.  Paul 
schlägt  daher  vor:  etpraetura  (^consulatuque}  eonceptas.  Es  würde 
auch  genügen:  et  praetura  ^tam)  eonceptas. 

3,  19,  3  müfste  nach  klassischem  Sprachgebrauch  mindestens 
debebat   fallen,    indem   ut  de   gefafst  würde  =  „wie  es  natürlich 


784        Kritische  Bemerkongeo  zu  Casars  Bellam  civile, 

war,  da  es  galt''.  Aber  da  ungebührlich  des  Valinius  eignes  Heil 
{de  8ua  .  .  Salute)  hervorgehoben  wird,  so  ist  vielmehr  der  ganze 
Nebensatz  tU  .  .  ,  debebat  zu  streichen;  er  enthält  auch,  nach  dem 
vorher  Gesagten,  nur  Selbstverständliches. 

3,  20,  1  haben  schon  andere  vorgeschlagen,  nach  tempcrihm 
einzuschalten:  Romae;  aber  den  Schriftztlgen  des  vorangegangenen 
Wortes  steht  näher:  m  urbe. 

3,  22,  2  ändert  und  ergänzt  Paul  so :  ea  (nämlich  Cosa  oder, 
wie  Paul  will,  Consentia;  die  Hss.  haben  eo)  cum  a  Q.  Pedio 
praetore  cum  legione  (tegeretury,  lapide  ictus  ex  muro  pehit. 
Aber  iegere  wird  in  dieser  Weise  bei  Cäsar  nicht  von  der  Ver- 
teidigung einer  Stadt  gebraucht.  Man  könnte  an  das  gewöhnliche 
Verbum  defenderetur  denken,  wie  3, 67,  5  irrumpere  und  defendere 
einander  gegenübergestellt  werden.  Aber  es  wird  wohl  hier  mehr 
ausgefallen  sein.  Meusel  Lex.  1  Sp.  298  macht  darauf  aufmerk- 
sam, dafs  Cäsar  auf  einen  Stadtnamen  nicht  einfach  mit  einer 
Form  von  ts  zurückweist,  die  einzige  Ausnahme  ist  3,  41,  3,  wo 
Paul  selbst  oppido  für  eo  einsetzen  will.  Man  wird  also  zunächst 
bei  dem  überlieferten  eo  hier  3,  22,  2  stehen  bleiben  müssen. 

3,  24,  t  ist  ein  Zusatz  notwendig:  in  litore  (^portus}  p/ti- 
rtfrtis  lods,  wie  die  folgende  Erzählung  deutlich  beweist. 

*  In  diesem  eben  genannten  Kapitel  ist  von  einem  gelungenen 
Handstreich  des  Antonius  die  Rede;  seine  Weisungen  werden  ge- 
bührend hervorgehoben:  §  1  iussit,  §  3  signo  dato,  dazwischen  ist 
§  2  veterani  (vor:  th)  zu  ändern  in:  ut  erant  (iussi}.  (An  ut 
erant  hatte  Paul  schon  gedacht.) 

*  3,  25.  2  will  H.  A.  Koch  etus  nach  quatUoque  einfach 
streichen.  Mir  scheint  es  aus  vemi  enstellt  zu  sein,  von  welchem 
Worte  die  ersten  beiden  Buchstaben  nach  den  gleichen  letzten  in 
quantoque  ausgefallen  waren;  was  die  Sache  anbetrifft,  so  war  §  1 
gesagt:  muUi  tarn  menses  erant  et  hie  ms  praecipitaverat. 

3,  27,  2  tempore  commutalo  v\ird  erklärt:  bei  den  veränderten 
Umständen.  Wenn  nur  nicht  darauf  als  Subjekt  tempestas 
folgte!  In  allen  übrigen  von  Meusel  Lex.  II  Sp.  2147f.  ange- 
führten Beispielen  ist  stets  bei  dieser  Bedeutung  von  tempus  eine 
Person  handelndes  Subjekt,  und  zwar  aus  begreiflichem  Grunde. 
Sollte  das  Ursprüngliche  gewesen  sein:  itaque  (^exiguo^  tempore 
commutata  tempestas  et  nostros  texit  et  naves  Rhodias  afflixitp  und 
exiguo  nach  dem  ähnlichen  Ausgange  von  itaque  ausgefallen  und 
dann  die  andere  Veränderung  eingetreten  sein?  Dann  würde 
Cäsar  noch  einmal  sein  aufserordentliches  Glück  stark  hervorge- 
hoben haben,  nachdem  er  es  schon  zweimal  26,  5  und  27»  1  be- 
tont hatte.  Ähnlich  sagt  Cäsar  3,  14,  3  IIa  exiguo  tempore 
magnoque  ca$u  totius  exercitus  salus  constitit. 

*3,  32,6  erklären  die  Ausgaben  promutuum:  „sc.  impera- 
batur*'.  Da  aber  nach  dem  vorangegangenen  imperabantur  noch 
die  zwei  Aktiva  dietitabant  und  feceratU  stehen,  scheint  diese  £r- 


voD  W.  Nitsche.  785 

gänzuDg  unwahrscheinlich;  dazu  kommt,  dafs  Cäsar  sonst  immer, 
im  ganzen  dreimal,  mntutis  gebraucht,  wie  hier  auch  dicht  zuvor; 
auch  Georges  fuhrt  in  seinem  ausfuhrlichen  Handwörterhuch 
unter  pramutuus  nur  unsere  Stelle  an  und  setzt  dann  nur  noch 
hinzu:  „subst  promutuum^  t\  n.,  ein  Darlehn  im  voraus,  der  Vor- 
schufs,  alci  dare,  Scaev.  dig.  40,  7,  40.  §  5*^  Sollte  es  verderbt  sein 
aus  praecipiebant  mutuum^  wie  31,2  gesagt  war  (auf  welche 
Stelle  mit  den  Worten  ut  in  Syrta  fecerant  zurückgewiesen  wird): 
a  publicanis . . .  pecuniam  .  . .  ingequeTUis  anni  mtUuam  praeceperat. 
Dann  müfste  wohl  auch  32, 6  noch  a  vor  publicanis  eingesetzt  werden. 
3,  36,  4  dürften  der  Deutlichkeit  halber  die  Worte  qui  circum 
Thessaliam  esse  consuerat  hinter  eqtiitatiis  regis  Cotyis  zu  stellen  sein. 

*  3,  44,  4  möchte  ich  schreiben :  ut  nostri  perpetuas  munitiones 
ducebant  (statt  videbant)  und  darauf  mit  H.  A.  Koch  die  Worte 
perdnctas  ex  castellis  in  proxima  castella  streichen,  welche  zur 
Erklärung  von  fremder  Hand  aus  3,  43,  2  hinzugesetzt  sind. 
Ciacconius  wollte  nur  videbant  perductas  durch  perducebant  ersetzen; 
aber  dieses  Kompositum  dürfte  wegen  des  vorangebenden  Wortes 
perpetuas  nicht  zuläfsig  sein.  (Auch  3,  99,  3  möchte  videbantur 
zu  ändern  sein,  und  zwar  in:  dicebantur,) 

3,  47.  2  scheint  notwendig:  quicunque  alterum  (exercitumy 
obndere  canati  sunt.  Vgl.  nachher  den  Gegensatz:  at  tum  integras 
.  .  copias  Caesar  .  .  cmtinebat  Nachdem  exercitum  nach  dem  ähn- 
lich ausgehenden  alterum  ausgefallen  war,  scheint  hostes  adorti 
eingesetzt  zu  sein;  oder  vielmehr:  perculsos  atque  infirmos 
hostes  adorti  dürfte  zu  tilgen  sein  als  erklärender  Zusatz  zu 
den  folgenden  Worten  aut  proelio  superatos  .  .  .  continuerunt,  cum 
ipsi  numero  .  .  .  praestarent. 

3,  50,  1  an  einer  verzweifelten  Stelle  haben  die  besseren 
Hss.  adversi  universas  inter  multitudinemt  die  geringeren  aggressi 
universam  in  multitudinem.  Wenn  auch  mit  Sicherheit  hier  kaum 
etwas  ausgemacht  werden  kann,  möchte  ich  doch  folgende  Ver- 
mutung zur  Erwägung  stellen :  aggressi  aversos  in  mtiltitudem. 
„Wenn  Cäsars  Leute,  von  Feuern  beleuchtet,  Wache  hielten, 
schlichen  sich  die  Gegner  von  einer  unbemerkten  Seite  heran  und 
warfen  in  die  friedliche  Menge  hinein  ihre  Geschosse''.  Vgl.  z.  B. 
3,  63,  8  in  aversos  nostros  impetum  fecerunt. 

3,  52,  1  dürfte  ne  ex  proximis  castellis  sticcurri  posset 
nur  erklärender  Zusatz  zu  den  vorhergehenden  Worten  distinendae 
manus  causa  sein. 

3,  60,  1  ist  zu  schreiben:  rem  totam  dissimulavit  (statt 
distuUt),  iUos  secreto  castigavit.  Vgl.  1,  19,  2  res  dmtius  tegi 
dissimularique  non  potuit,  2,  31,  5  quanto  haec  dissimulari  et 
occultari  quam  per  nos  confirmari praestat,  auch  IV  6,  5  quae  cogno- 
verai,  dissimulantia  sibi  existimavit  eorumque  animis  permulsis  u.  s.  w. 

*  3,  64,  3  ist  überliefert  conspicatus  equites  nostros,  Dafs  die 
Erwähnung  von  Reitern  hieher  nicht  gehört,  haben  andere  richtig 
erkannt.    Zu  der  thörichten  Erfindung  dieses  Wortes  hat  vielleicht 

ZoitMhr.  t  d.  GyrnnMiAlwefleii.  XLVIIL    13.  50 


^    I 


786        Kritische  Bemerknogeo  za  Casars  Bellnm  civile, 

ein  sehr  oberflächlicher  Blick  auf  den  folgenden  Satz:  hoc  c<uu 
aquüa  conservattar  den  Anlafä  gegeben,  nachdem  das  richtige  Wort 
bei  conspicatus  ausgefallen  war.  Welches  ist  dies  nun  gewesen? 
Den  Sinn  durfte  Paul  richtig  gelroffen  haben  mit  der  Vermutung 
conspicatus  perterritos  nostros-,  aber  gröfsere  äufsere  Wahrscheinlich- 
keit hat:  con{8ternatos conyspicatus  nostros.  Diesen  starken  Aus- 
druck gebraucht  Cäsar  Vil  30,  4  sie  mni  animo  constemati  hommes, 

*  3,  73,  6  stimme  ich  der  von  Mensel  vorgeschlagenen  Er- 
gänzung zu:  quod  si  esset  factum,  (^futurum}  vt  detrimerUnm  in 
bonum  vetteret,  uti  ad  Gergoviam  accidisset.  Die  nach  diesem 
wirkungsvollem  Schlüsse  aber  folgenden  Worte  atque  ii,  qui  ante 
dimicare  timuissent,  nitro  se  proelio  offerrent  kann  ich 
nur  für  einen  unglücklichen  Zusatz  von  fremder  Hand  halten;  ver- 
anlafst  wurde  er  wohl  durch  den  Hinblick  auf  das  folgende 
Kapitel  74;  vgl.  auch  84,  1. 

*  3,  75,  3  ist  der  Text  so  zu  gestalten:  neque  vero  Pompeius 
cognito  consilio  eins  tnoram  ullam  ad  insequendutn  intulit,  [sed 
eadetn  spectans,]  si  in  üinere  impeditos  perterritos  deprehendere 
posset,  (jsedy  exerdtum  e  castris  eduasit  equitatumque  praemisü  ad 
novissimum  agmen  demorandum.  Nachdem  sed  hinter  posset  aus- 
gefallen war,  sind  die  Worte  sed  eadetn  spectans  eingeschoben 
worden,  die  sich  schon  durch  die  Latinität  als  nachcdsariscb  ver- 
raten. Die  Ronjuktion  si  ist  in  der  von  mir  herausgeschälten 
ursprunglichen  Fassung  so  angewendet,  wie  zahlreiche  Beispiele 
bei  Cäsar  es  zeigen,  die  Meusel  Lex.  H  Sp.  1862  f.  anfuhrL  — 
Unmittelbar  darauf  ist  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  die  weitere 
Erzählung  so  zu  vervollständigen:  neque  (matte)  conseqni  pouät 
„während  des  Vormittags''.  Vgl.  3,  76,  3  meridiaiM  fere  tempore; 
bis  zu  (lieser  Tageszeit  hatte  Cäsar  von  der  4.  Nachtwache  an  einen 
vollen  Tagemarsch  vollendet:  75,  2.  76,  1. 

3,78,2  scheint  mir  timens  (entm)  vor  der  Vermutung 
anderer  timens(^quey  den  Vorzug  zu  verdienen. 

Meusel  giebt  in  seinem  Lexikon  H  Sp.  946  und  2382  höchs 
dankenswerte  Verzeichnisse  der  Städte,  welche  von  Cäsar  als  oppida 
oder  als  urbes  bezeichnet  werden.  In  beiden  Verzeichnissen  er- 
bescheinen Gomphi  und  Iguvium,  nicht  gerade  bedeutende  Orte,  als 
urbs  aber  je  nur  einmal ;  beidemale  wird  diese  Bezeichnung  zu 
tilgen  sein.  3,  c.  80  wird  Gomphi  siebenmal  als  oppidum  be- 
zeichnet; daher  wird  mitten  dazwischen  §  5  zu  schreiben  sein 
zuius  [urbis]  eacemplo.  1,  2,  1  wird  Iguvium  ein  oppidum  genannt, 
und  §  2  bleibt  nur  übrig,  die  überlieferten  Worte  zu  reduzieren 
auf  e[x  urbe  re]ducit.  Edudt  war  hier  übrigens  schon  von  mehreren 
Gelehrten  vermutet  worden.  Kurz  darauf  1,  13,  2  sagt  Cäsar  genau 
so:  ex  oppido  edudt  ac  profugit. 

3,  81,  2  geben  die  Hss.:  gut  magnis  exerdtibus  Sdpioms  tene- 
bantur,  schwerlich  richtig.  Ich  möchte  vermuten,  dafs  die  Stelle 
ursprünglich  lautete:  qui  magnis  manibus  Sdpionis  terrebantur 
(das  leute  Wort  mit  Paul).     Vgl.  V  8,  6  magnae  mmm,  V  29,  1 


von  W.  Witsche.  787 

maiores  manus,  V  39,  i  quam  maximas  manus.  Nachdem  manibm 
hinter  magnü  ausgefallen  war,  wurde  es  ungeschickt  durch  eoBereiti- 
bus  ersetzt.  Scipio  hatte  nicht  einmal  ein  grofses  Heer,  sondern 
nur  zwei  Legionen  nach  3,  4,  3.  Jene  Scfalimmbesserung  lag  schon 
vor,  als  sie  jemand  benutzte  und  3,  82,  2  die  Worte  einschob: 
duobusque  magnis  exercitibus  coniunctis,  die  völlig  unnutz 
sind  nach  der  vorangegangenen  Bemerkung  receplisque  omnibus  in 
UHB  eastra  kgionibns. 

3,  84,  1 — 85,  2  spricht  Cäsar  von  den  Mafsnahmen  auf  bei- 
den feindlichen  Seiten  vor  der  Schlacht  bei  Pharsaius.  Während 
mehrerer  Tage  hatte  Cäsar  sein  wieder  mutiger  gewordenes  Deer 
immer  näher  an  das  des  Pompeius  herangeführt,  um  dieses  zur 
Schlacht  zu  reizen.  Schon  glaubte  er,  dafs  sein  Gegner  sich  auf 
keine  Weise  zur  Schlacht  verstehen  würde,  und  war  entschlossen, 
auf  immer  neuen  Märschen  seinem  Heere  die  nötige  Verpflegung 
zu  verschaffen  und  eine  gunstige  Gelegenheit  zum  Kampfe  abzu- 
warten: da  kam  unerwartet  der  Entscheid ungstag.  Dieser 
Tag  ist  85,  3  nicht  ausdrucklich  markiert  und  nicht  weiter  vom 
Vorhergehenden  abgehoben  als  höchstens  durch  den  Übergang: 
eonstihUis  rebus.  Andrerseits  hat  nachher  paulo  ante  keine  deut- 
liche Beziehung.  Ist  vielleicht  also  paulo  ante  (lucemy  zu  schrei- 
ben ?  Die  Mitte  dieses  ereignisreichen  Tages  wird  95,  5  hervor- 
gehoben: nam  ad  meridiem  res  erat  perducta. 

3,  85,  4  dürfte  nicht  apud  mit  den  besseren  Hss.,  sondern 
mit  den  recc.  [die  Meusel  in  der  Tabula  coniecturarum  zitiert, 
während  Döbner  schweigt]  ad  suos  .  . .  inquit  zu  lesen  sein.  Bei 
dem  überraschenden  Anblick  der  zur  Entscheidungsschlacht  vor- 
gerückten Pompejaner  dürfte  Cäsar  die  hier  angeführten  Worte 
doch  nur  einfach  den  Nächststehenden  zugerufen  haben;  die 
förmliche  Anrede  an  das  ganze  Heer  (cum  militari  more  ad 
pugnam  cohortareiur)  erfolgt  erst  90,  1. 

3,90,2  ist  folgende  Ergänzung  kaum  zu  entbehren:  quae 
per  Vatinium  in  colloquiis,  quae  per  A.  Clodium  cum  Säpione  egisset, 
quibus  (tpse)  modis  ad  Oricum  cumLibone  de  mittendis  legaiis 
contendisset  ,,energisch  verhandelt*'.     Zur  Sache  vgl.  3,  c.  16  f. 

3,  92,  3  möchte  ich  vorschlagen  naturaliter  insita  (statt 
innata);  99,  t  confixo  (statt  coniecto);  102,  8  ad  civitates  {eas^ 
(über  diese  Stellung  des  Pronomens  vgl.  Meusels  Lex.  11  Sp.  251); 
103,  2  i6t  tum  (statt  casu)  rex  erat  Ptolemaeus  (aber  vielleicht  ist 
Meusels  Vorschlag  vorzuziehen:  ibi  casu  erat  rex  Pt.  „befand 
sich  zufällig''). 

3,  106,  4  liest  man  hinter  dem  Satze  Alexandriae  .  .  .  e  nave 
egrediens  clamorem  militum  audit^  qiios  rex  in  appido  praesidü 
causa  reliquerat,  et  concursum  ad  se  fieri  videt,  quod  fasces 
atUeferrentur  einen  erklärenden  unnötigen  Zusatz  von  fremder 
Hand:  in  hoc  omnis  muUitudo  maiestatem  regiam  minui  praedicc^at, 
bei  dessen  Abfassung  das  in  §  5  folgende  multitudinis  EinfluiÜB 
geübt  hat. 

50* 


788  E.  NaumaDD,  Aasgabe  von  Homers  Odyssee, 

*  3,  110,  6  würde  ich  so  inlerpungieren  und  ergänzen:  nwete^ 
raverant  . .  belUs:  Ptolomaeum  .  .  gesserant:  magnum  (^kinc)  .  . 
habebatU, 

3,  112,  3  quaeque  illic  (Paul;  die  Hss.  ubtque)  naves 
.  .  .  diripere  eonsuerunt  ist  ein  den  Zusammenhang  unter- 
brechender Zusatz.  Alles  zum  Verständnisse  INöltge  wird  im 
folgenden  Satz  iis  autem  . .  .  tn  portum  gesagt.  Es  scheint  aber  dies 
einem  Leser  zur  Erklärung  der  dann  kommenden  Worte  Aoc  tum 
verilus  nicht  genügt  zu  haben. 


Die  hier  sich  bietende  Gelegenheit  möchte  ich  benutzen,  um 
zu  meiner  im  Jahresberichte  des  philologischen  Vereins  1893  ver- 
öffentlichten Abhandlung  über  Piatos  Apologie  einige  Berichtigungen 
und  Zusätze  zu  geben.  S.  321,  Z.  13  ?.  o.  lies  22  "^AXXd  Sid  statt 
20  Ulla,  —  S.  322,  Z.  12  v.  u.  setze  hinter  äXfiS-eiav  hinzu: 
und  c.  5  S.  20  d  axovsxs  drj  .  .  näaav  vfitv  r^v  äXijd'Siap  iga' 
iyw  yccQ  .  .  —  S.  324  Mitte  lies:  Zeller,  Philos  d.  Gr.  II  ^  1  (nicht 
11  *  1).  —  Ebendort  in  der  Anm.  Z.  2  lies  d^  (statt  d^iv).  —  In 
der  Mitte  dieser  Anm.  setze  hinter  anoipavdSv  nzi.  hinzu:  und 
S.  22  b  tag  imavd'a  in*  avzoifdiqm  xaTalijyjofjbsvog  ifkatnop 
d[ß,ad'äaT€Qoy  ixeivoDV  ovta.  —  S.  327,  Z.  5  setze  zu  c.  26  S.  36 d 
hinzu:  und  c.  9  z.  E.;  endlich  Z.  6  bessere  21  (statt  26). 

Berlin.  W.  Nitsche. 


Homers  Odyssee.  Zum  Schulgebrauch  bearbeitet  und  erläutert  voo  Ernst 
NaumaoD.  Erster  Teil.  Gesang  I  bis  Gesaog  XIII  184.  Text  und 
Kommentar.  Bielefeld  und  Leipzig  1894,  Verlag  von  Velhagen  d. 
Klasing.     XIII  u.  212  S.,   bzw.  147  S.    8.    geb.  1,50  M,  bzw.  1,20  M. 

Die  genannte  Ausgabe  ist  in  der  Sammlung  lateinischer  und 
griechischer  Schulausgaben  von  H.  .1.  Müller  und  Oskar  Jager  er- 
schienen und  laut  der  für  diese  Sammlung  mafsgebenden  Grund- 
sätze lediglich  nach  Gesichtspunkten  des*  Unterrichts  bearbeitet; 
Text  und  Kommentar  sind  getrennt. 

Der  Text  folgt  im  at^gemeinen  der  Vulgata,  die  der  Hsgb. 
in  der  Ausgabe  von  Ameis-Hentze  verkörpert  sieht;  doch  ist  die 
Vulgata  nach  der  grundlegenden  kritischen  Ausgabe  von  A.  Ludwich 
nachgeprüft  und  an  zahlreichen  Stellen  verändert.  So  lese  ich, 
um  einige  Stellen  herauszugreifen ,  d  389  äq  statt  oq,  d  724 
xsd'VfivXav  statt  t€&vijxvTap,  £  281  otf  ^ivov  statt  ot'  igtrov, 
X  75  iQQ\  insl  dd'avdtOKSvv  statt  sqqSy  inel  dqa  ^sotCiVt 
X  84,  141,  205  xarate&vrjvlfiq  statt  xatatsdv^xviiiq,  X  483 
[AaxaQTSQoq  statt  (juxxdQTCCToq,  Ferner  sind  manche  Einzelheiten, 
wie  die  Schreibung  der  Fragepartikeln  in  der  Doppeifrage,  vom 
Hsgb.  nach  eigenem  Ermessen  mit  Rucksicht  auf  das  Verständnis 
der  Schuler  geordnet.  Derselben  Rucksicht  fügt  sich  auch  die 
Interpunktion,  die  mannigfache  Änderung  erfahren  hat;  endlich 
sind  häufiger  als  in  den  früheren  Ausgaben  Gedankenstriche  an* 
gewandt,    die    nebensächliche   Bemerkungen    einschliefsen.     Vor 


a0gez.  yoo  A.  Schimberg.  7g9 

allem  aber  fällt  eine  vielfache,  glückliche  Neuschaffung  von  Ab- 
sätzen auf;  bald  sind  gegen  frühere  Ausgaben  Abschnitte  zusammen- 
gezogen, bald  sinngemäß  getrennt.  Bei  Anfang  eines  jeden  neuen 
Abschnittes  wie  jeder  direkten  Rede  sind  die  grofsen  Buchstaben 
verwandt.  Hierdurch  gewinnt  das  Druckwerk  ganz  das  vorteilhafte 
Aussehen  eines  modernen  Buches. 

Da  es  heutzutage,  wie  auch  die  neuen  Lehrpläne  vom  6.  Ja- 
nuar 1892  anerkennen,  nicht  mehr  möglich  ist  die  Odyssee  mit 
den  Schülern  im  Urtexte  vollständig  zu  lesen,  ist  der  Text  stellen- 
weise gekürzt,  aber  in  einer  Weise,  die  sich  von  dem  in  den 
Schulausgaben  von  Fr.  Stolz  (t890)  und  A.  Th.  Christ  (1891)  an- 
gewandten Verfahren  vorteilhaft  unterscheidet.  Bei  Stolz  finden 
wir  z.  B.  das  1.  Buch  durch  gelegentliche  Weglassung  von  t  bis 
4  Versen  von  444  Versen  auf  406  gekürzt,  bei  Christ  mit  ent- 
sprechender Ausscheidung  von  1  —  31  Versen  bis  auf  311  Verse. 
Was  in  den  nicht  aufgenommenen  Versen  steht,  erfährt  der  Schüler 
nicht;  er  glaubt  ein  Ganzes,  Ursprüngliches  vor  sich  zu  haben 
und  hat  doch  ein  Zurechtgemachtes  erhalten.  Bei  Naumann  ist 
der  Lesestoff  z.  B.  des  1.  Buches  an  drei  Stellen  gekürzt  (Vers 
206—223,  383—420,  428-444);  aber  der  Inhalt  der  ausge- 
sonderten Stücke  ist  durch  einen  verbindenden  deutschen  Text 
gegeben.  An  Stelle  des  Auszuges  ist  also  eine  solche  Kürzung 
eingetreten,  dafs  die  gleichzeitige  Benutzung  einer  vollständigen 
Ausgabe  der  Odyssee  in  der  Klasse  nicht  ausgeschlossen  ist.  — 
Was  die  Auslassungen  selbst  anbetrifft,  so  sind  zunächst  alle  die- 
jenigen Verse  weggelassen,  die  von  der  Kritik  einstimmig  verworfen 
werden  und  in  den  verbreitetsten  Homerausgaben  eingeklammert 
stehen.  Dazu  kommen  solche  Stellen,  die  als  dichterisch  minder- 
wertig erfahrungsgemäfs  im  Unterricht  gewöhnlich  überschlagen 
werden.  Diese  Stellen  sind  meist  empirisch  gefunden,  doch  läfst 
sich  ihr  Ausscheiden  auch  wissenschaftlich  rechtfertigen;  so  hebt 
sich  das  Wichtige  oft  überraschend  heraus,  z.  B.  der  alte  Nostos. 
Im  einzelnen  hier  Ausstellungen  machen  zu  wollen  wäre  thöricht. 
Jedenfalls,  das  will  ich  dem  Hsgb.  gern  bestätigen,  „enthält  die 
Ausgabe  dasjenige,  was  gelesen  werden  mufs,  und  darüber  hinaus 
alles,  was  irgendwie  in  Betracht  kommen  könnte.  Unentbehrliches 
wird  man  unter  dem  Übergangenen  nicht  nachweisen  können*'. 
Einen  Kanon  für  die  Lektüre  der  Odyssee  herzustellen  lag  nicht 
in  des  Herausgebers  Absicht. 

Der  so  hergestellte  Text  wird  in  äufserst  übersichtlicher 
Weise  dargeboten.  Zuerst  ist  die  alte  willkürliche  Einteilung  in 
24  Bücher  aufgegeben,  dafür  die  Gesamtmasse  des  Gedichtes  durch 
sinngemäfse  Gliederung  in  neue  Teile  zerlegt.  Diese  Hauptteile 
mit  ihren  weiteren  Gliedern  sind  durch  Absätze  und  durch  Ober- 
schriften verschiedenen  Druckes  innerhalb  des  Textes  auch  für 
das  Auge  deutlich  hervorgehoben.  Ferner  durchlaufen  die  ganze 
Ausgabe  Randbemerkungen,  welche  in  knapper  Fassung  sowohl 
den  Inhalt  der  einzelnen  kürzeren  Abschnitte  wie  die  Einreihung 


790  £.  Naomann,  Ausgabe  vod  Homers  Odyssee, 

der  Ereignisse  in  die  einzelnen  Tage  angeben.  Diese  Oberschriften 
und  Randbemerkungen  geben  in  ihrer  gegenseitigen  Ergänzung 
eine  vollständige  Inhaltsfibersicht  und  für  die  Wiederholungen  eine 
zuverlässige  Grundlage.  Daneben  ist  die  Bucheinteilung  (deutsche 
Zahl  und  griechischer  Buchstabe)  wie  die  Yerszählung  am  oberen 
und  inneren  Rande  vermerkt.  —  Diese  sinngemäfse  Neugliederung 
der  Odyssee  gegenüber  der  willkürlichen  alten  Einteilung  billige 
ich  grundsätzlich.  Sie  bezeichnet  einen  erheblichen  Portschritt  in 
der  Darbietung  des  Dichterwerkes.  Deutlich  treten  nunmehr  die 
Haupt-  und  Unterteile  hervor,  und  es  wird  eine  klare  Obersicht 
über  das  Ganze  gewonnen,  selbst  mit  einem  annähernden  Ober- 
blick über  die  ursprünglichen  Teile  der  heutigen  Odyssee.  Nur 
wünschte  ich,  dafs  der  Hsgb.  die  „Übersicht  des  Inhalts'*,  welche 
er  in  der  Einleitung  seiner  Ausgabe  vorausgeschickt  hat»  der 
Gliederung  im  Texte  angepafst  hätte  bis  zur  Anwendung  gleicher 
Zeichen  hier  und  dort  für  die  Haupt-  wie  Unterteile;  ferner  dafs 
er  in  derselben  Einleitung  wenigstens  für  die  Hauptteile  die  Bücher, 
welche  sie  enthalten,  angegeben  hätte.  Diese  allgemeine  Obersicht, 
zum  mindesten  über  die  Hauptteile,  wird  dem  Schüler  vor  Be- 
ginn der  Lektüre  gegeben.  Dann  konnte  der  Hsgb.  unter  rück- 
sichtsvoller Schonung  der  alten  Einteilung  auf  dem  neubetretenen 
Wege  noch  einen  Schritt  weiter  gehen.  Ich  wünschte  nämlich 
drittens  oben  auf  der  Seite  neben  der  Angabe  des  Buches  und 
der  Verse  noch  die  Überschrift  für  den  betreffenden  Unterteil.  So 
tragen  z.  B.  die  beim  Aufschlagen  nebeneinander  liegenden  Seiten 
34  und  35,  die  zufällig  keinerlei  Inhaltsangaben  am  Rande  haben, 
an  ihrer  Stirn  einfach  die  Angaben  S.  34:  3.  Gesang  (y),  Vers 
149 — 176  und  S.  35  dementsprechend;  hier  wünschte  ich  die 
Angaben  erweitert  durch  den  Zusatz:  Telemach  in  Pylos.  Bei 
solcher  durch  die  ganze  Odyssee  hin  durchgeführten  Einrichtung 
würde  man  an  keiner  Stelle  des  Buches  auch  nur  ein  Blatt  um- 
zuwenden brauchen,  um  auf  den  ersten  Bhck  zu  erfahren,  zu 
welchem  Teil  des  Epos  die  Seite  gehört.  Zweifellos  würde  durch 
solchen  kleinen  Zusatz  die  Übersicht  noch  erhöht. 

Der  beigegebene  Kommentar  hat  den  Zweck,  die  Schwierig- 
keiten, welche  sich  dem  präparierenden  Schüler  für  das  Ver- 
ständnis des  Textes  entgegenstellen,  zu  beseitigen.  Diese  Schwierig- 
keiten liegen  bei  Homer  vornehmlich  in  der  Sprache  und  zwar 
einerseits  in  den  Formen  und  Konstruktionen,  andererseits  in  dem 
Wortschatz.  Die  Homerischen  Formen  sind  durch  Vergleichuug 
mit  den  altischen,  nötigenfalls  durch  Zurückgehen  auf  einen 
älteren  Lautbestand  erklärt  und  zwar  unter  Verweisung  auf  die 
nächstvorangehende  ähnliche  Stelle,  so  dafs  die  Wiederholung 
gleicher  Erscheinungen  zwanglos  auf  die  Zusammenfassung  hin- 
führt, die  dem  Schüler  dann  in  seiner  Homerischen  Formenlehre 
als  Regel  entgegentritt.  Nicht  minder  sind  die  Schwierigkeilen  der 
Konstruktion  weggeräumt.  Wenig  dagegen  ist  geschehen,  dem 
Schüler  die  Überwältigung  des  überreichen  Wortschatzes  zu  er- 


«Bgez.  voD  A..  Schimber;.  791 

leichtern,  vielmehr  hat  der  Hsgb.  eine  saubere  Scheidung  zwischen 
Kommentar  und  Lexikon  durchzufuhren  gesucht,  offenbar  in  Nach- 
achtung der  für  diese  Sammlung  aufgestellten  Gesichtspunkte. 
Diese  besagen  §8  ausdrücklich:  „Die  Kommentare  dieser  Samm- 
lung sind  keine  sogenannten  Präparationen.  Es  wird  vielmehr 
bei  allen,  mit  Ausnahme  der  Erläuterungen  zum  Nepos  und  Ovid, 
der  Gebrauch  eines  Lexikons  vorausgesetzt''.  Ich  hätte  dem  ersten 
griechischen  Dichter,  der  den  Schulern  in  die  Hände  gegeben 
wird,  dieselbe  Ausuahmestellung  wie  dem  ersten  lateinischen  ge- 
wünscl)t.  Jedenfalls  föhrt  die  prinzipielle  Ausschliefsung  alles 
Lexikalischen  vielfach  zu  zeitraubender  gleichzeitiger  Benutzung 
von  drei  Büchern  für  ein  einziges  Wort,  des  Dichtertextes,  des 
Kommentars  und  des  I^exikons.  So  ist  z.  B.  zu  I  2  im  Kom- 
mentar bemerkt:  ,,7ildyx^^]  =  inkayx^fi  (nlaCaa).  Das  Aug- 
ment fehlt  meist,  snegaey]  von  niQ^oa\\  Die  Bedeutung  dieser 
beiden  Verba  ist  nicht  angegeben,  und  doch  hätte  der  kleine  Zu- 
satz dem  Schüler  die  Benutzung  eines  Buches  erspart.  Unter 
dem  obersten  Gesichtspunkte  der  Erleichterung  der  häuslichen 
Präparation  wörde  mir  eher  zu  viel  als  zu  wenig  Lexikalisches  im 
Kommentar  zusagen;  entbehrlich  wird  das  Lexikon  ja  ohnehin 
nicht,  nicht  einmal  bei  den  sogenannten  gedruckten  Präparationen. 
—  Die  Eigentümlichkeiten  des  Versbaues  haben  nur  soweit  Berück- 
sichtigung gefunden,  als  ihre  Kenntnis  zum  richtigen  Lesen  des 
Verses  unerläfslich  ist.  Da  der  Kommentar  nirgends  dem  Unter- 
richte vorgreifen  soll,  sind  sachliche  Erläuterungen  überwiegend 
dem  Lehrer  vorbehalten  worden.  Die  Erklärungen  sind  mit  an- 
nähernder Gleichmäfsigkeit  durch  den  ganzen  Kommentar  hin 
wiederholt,  so  dafs  ohne  Schwierigkeit  die  Lektüre  an  den  drei 
beliebten  Stellen  beginnen  kann,  mit  Buch  1,  Buch  5  und  Buch  9. 

Dem  Dichtertexte  ist  angehängt  ein  Verzeichnis  der  Eigen- 
namen, das,  ohne  ein  vollständiger  philologischer  Nachweis 
über  alle  bezüglichen  Stellen  sein  zu  wollen,  nur  diejenigen  ent- 
hält, an  welchen  über  die  Person  oder  Sache  etwas  Thatsächliches 
steht.  Es  dürfte  sich  neben  der  übersichtlichen  Darbietung  des 
Textes  für  Aufsätze  brauchbar  erweisen. 

Endlich  entspricht  die  äufsere  Ausstattung  in  hervor- 
ragendem Mafse  den  Anforderungen,  die  wir  heutzutage  an  ein 
Schulbuch  stellen;  gutes  Papier,  grofse  Buchstaben,  klarer  Druck, 
breiter  Band  u.  s.  w.  zeichnen  diese  Odysseeausgabe,  die,  nebenbei 
gesagt,  nur  gebunden  ausgegeben  wird,  vor  anderen  aus. 

Ich  freue  mich  die  vorliegende  Ausgabe  aufs  wärmste  empfehlen 
zu  können  und  wünsche  ihr  eine  recht  weite  Verbreitung.  Es 
ist  dem  Schüler  die  erste  Hälfte  der  Odyssee  in  einer  Gestalt 
dargeboten,  die  ihm  das  Eindringen  in  den  Zusammenhang  zu 
erleichtern  nnd  mit  Zuhülfenahme  des  Kommentars  die  Lektüre 
zu  einer  angenehmen  Arbeit  zu  machen  wohl  geeignet  ist. 

Berlin.  Adolf  Schimberg. 


DRITTE  ABTEILUNG. 


BERICHTE  ÜBER  VERSAMMLUNGEN,  NEKROLOGE, 

MISCELLEN. 


Klassisches  Latein. 

Obeo  S.  235 ff.  hat  O.Storch  eine  Reibe  von  „LatiDogermaDismeo*' 
zasammeDgestellt,  „vor  deoeo  ein  in  klassischem  Latein  abzafassendes 
Skriptomsich  zu  hüten  hat  nnd  die  einer  durchaus  abweichenden 
Wiedergabe  bedörfen^^  So  .anregend  und  dankenswert  diese  Zusammen- 
stellang  auch  ist,  so  sind  doch  bei  dieser  Gelegenheit  eine  Reihe  von  Wörtern 
nnd  Aasdrücken  auf  den  Index  gekommen,  die  dieses  Schicksal  meiner  An- 
sicht nach  nicht  verdienen.  Der  Grund  davon  scheint  mir  einerseits  darin 
zu  liegen,  dafs  St.  den  Begriff  „klassisches  Latein''  zu  eng  fafst;  anderer- 
seits bat  er  selbst  solche  Wörter  in  den  Bann  gethan,  die  ihr  Bürgerrecht 
in  der  klassischen  Latinität  aus  Cicero  und  Cäsar  beweisen  können. 

1)  Honoru  causa  zu  Gunsten  von  o/'ßcii  causa  ganz  zu  verwerfen, 
scheint  nicbt  begründet.  Abgesehen  von  dem  so  häufig  vorkommenden 
honoris  causa  aliquem  nominare  und  der  Verbindung  von  honoris  causa  mit 
dem  Genetiv  einer  Person  oder  mit  einem  Possessiv  kommt  dieser  Ausdruck 
auch  absolut  vor,  so  Verr.  II  150:  si  honoris  causa  sUüuam  dederunt;  de 
leg.  agr.  II  61:  non  mihi  videniur  honoris  causa  excipere  Cn.-Pompeium;  p. 
Sex.  Roscio  44:  quod  honoris  causa  paier  filio  concessit.  Ich  finde  keinen 
erheblichen  Unterschied  zwischen  der  in  diesen  Sätzen  zu  Tage  tretenden 
Bedeutung  von  honoris  causa  und  der  von  officii  causa  in  dem  Livianischen 
Satze:  triremes  Massüienses  officii  causa  ab  domo  prosecutae  sunt;  die 
Unterscheidung  bei  Krebs-Allgayer,  Antibarbarus  (5.  Aufl.)  s.  v.  honor,  er- 
scheint mir  spitzfindig. 

2)  Für  ex  tempore  (dicere)  wird  als  klassisch  subüo  angegeben.  Dem 
halte  ich  entgegen  de  or.  III 194:  Antipater  iÜe  Sidonius  soläus  est  tfersits 
fundere  ex  tempore;  und  p.  Arch.  18:  quotiens  ego  hunc  vidi,  cum  Utteram 
scripsisset  nuUani,  niagvum  numerum  opttmorutn  versuum  de  eis  ipsis  rebus^ 
quae  tum  agerentur,  dicere  ex  tempore.  So  bezeichnet  denn  auch  Krebs- 
Allgayer  S.  1131  ex  tempore  dicere  ausdrücklich  als  klassisch. 

3)  Statt  composüa  [verba)  soll  es  klassisch  heifsen  coniuncta.  Nun  ist 
ja  freilich  richtig,  dafs  Cicero  (z.  B.  or.  154, 159)  den  Ausdruck  verba  iungere^ 
verba  iuncta  oder  coniuncta  braucht;  aber  wenn  Qnintilian  sehr  häufig  im 
Gegensatz  zu  v.  simplida  von  v.  composäis  spricht,  so  sollten  es,  meine 
ich,  unsere  Primaner  auch  thun  dürfen.  Auch  der  Antibarbarus  billigt 
v.  composita. 

4)  intim  (bei  Personen)  wird  durch  familiaris  wiedergegeben.  Aber 
intimus  ist  doch  auch  gut  lateinisch,  sowohl  substantivisch,  wie  Cic.  Cat  II  5: 
intimus  Catilinae;  Nep.  Dio  I  2:  erat  intimus  üionysio  priori;  Cic.  Att.  IV 
16,  1:    in   intimis  est   meis;    Cic.  fam.  X]II27,  2:   M.  Aemüius  unus  est  ex 


Klassisches  Lateia,  von  A.  Rnppersberg.  793 

meis  ftf^iHarünu  et  intimis;  als  auch  adjektivisch  in  Verbiodoog  mit  amicu* 
oder  famUiaru\  vgl.  Cic.  fam.  III  \^Zi  est  ex  meit  domesticü  atque  intimit 
famiUaribtu^  nod  aa  einer  Stelle  heifst  es  nach  Allgayer  anch:  amieiintimi; 
sehr  häufig  kommt  diese  Verbindong  bei  Tacitas  vor,  dessen  Wortschatz 
doch  anch  nicht  zu  verachten  ist. 

5)  Für  orientalisch  wird  ad  orientem  vergens  angegeben;  das  pafst 
aber  nar  zur  Bezeichnung  einer  Gegend.  Orientaiis  ist  allerdings  nach- 
klassisch und  kommt  erst  bei  Gellins  und  Justin  vor;  indes  diirfte  der  Ge- 
branch dieses  Wortes  z.  B.  hei  mos,  vettü,  bellum  im  Interesse  der  Kurze 
des  Ausdruckes  doch  nicht  zu  verwerfen  sein. 

6)  populär  soll  nur  durch  civilis  übersetzt  werden.  Aber  pepularis 
bedeutet  bei  Cicero  sehr  häufig  nicht  nur  a)  ,,volksfreandltch'^  sondern  auch 
b)  „beim  Volke  beliebt"  und  c)  „volkstümlich,  gemeinverständlich'^  Zo  b)  vgl. 
u.  a.  in  Vat.  39:  praesertün  cum  te  populärem  tfeUs  esse  neque  ulla  re  populo 
gratius  facere  possis;  de  leg.  agr.  1143:  volet  esse  popuUtris;  Phil.  1  37: 
plausus  cum  popularibus  civtbus  tribuerentur.  ad  Att.  VHI  3,  5:  putahü  Jor- 
lasse  in  nolns  tmlandis  habere  aliquid  populäre;  zu  c)  fin.  II  17:  populariier 
oqui  und  V  12:  liber  populariier  scriptus, 

7)  trivialis  für  trivial  möchte  ich  nicht  verwerfen,  da  triviaUs 
scientia  schon  bei  Quintilian  vorkommt  und  der  Gebrauch  dieses  Wortes 
durch  Ciceros  arripere  maledictum  ex  trivio  pro  Mur.  13.  schon  vorbereitet 
erscheint. 

8)  Für  acquiriereo  ist  neben  comparare  oft  auch  acquirere  zu 
brauchen;  vgl.  Cic.  de  01^^11122:  sibi  maUt  quod  ad  usum  vitae  pertineat, 
quam  alteri  acquirere;  Tac.  ann.  XVI  17:  acquirere  pecuniam.  Qnint.  XII 
ly  10:  qUae  iustior  acquirendi  ratio;  Tac.  Germ.  14.  vgl.  Krebs- Allgayer  z.  d.  W. 

9)  Zu  extemporieren  vgl.  das  oben  unter  2)  zu  ex  tempore  Ge- 
sagte. Warum  soll  man  nicht  sagen  können  ex  tempore  verteret  Auch  das 
so  übel  berufene  und  gefdrchtete  Wort  Extemporale  ist  nach  Qointilians 
oratio  extemporalis  nicht  zu  verwerfen. 

10)  Als  Übersetzung  von  florieren  wird  vigere  angegeben;  das  ist 
richtig  bei  sachlichem  Subjekt:  man  sagt  nicht  aries  florent,  sondern  artes 
vigent.  Doch  ist  zu  bemerken,  dafs  bei  persönlichem  Subjekt  florere  richtig 
ist,  z.  B.  Cic.  or.  20:  oratores  floruerunt;  Phil.  IX  4:  famüia  viris  for- 
tissimis  ßoruit. 

11)  inspizieren  wird  durch  speculari,  explorarc  wiedergegeben ;  aber 
besonders  in  dem  ersten  Worte  Hegt  der  Begriff  des  Heimlichen,  Verstohlenen, 
den  wir  mit  dem  Ausdruck  „inspizieren"  in  der  Regel  nicht  verbinden. 
„Das  Heer  inspizieren'^  heifst  (bei  Cicero)  exercitum  lustrare^  auch  recog' 
noscere;  vgl.  Suet.  Aug.  38:  equüum  ütrmas  frequenter  recognovit;  aber  anch 
inspicere  läfst  sich  oft  für  diesen  Ausdruck  anwenden,  vgl.  Liv.  XXI  6,  3: 
legatos  mitti  placuit  in  Hispaniam  ad  res  socicrum  inspiciendas.  Cic.  Caec.  61 : 
arma  militis  inspiciunda;  bei  Plautus  kommt  vor  aedes  inspicere^  beim  Verf. 
des  Bell.  Alex,  classem  inspicere,  bei  Livius  arma,  equos,  vires  inspicere. 
An  allen  diesen  Stellen  steht  inspicere  gleichbedeutend  mit  unserem  in- 
spizieren. 

12)  Für  konspirieren  heifst  es  nach  St.  richtig  coniurare,  doch  vgl. 
Ca  es.  BG.  HI  10:  priusqumn  plures  civitates  conspirassent.  Bei  Soeton  findet 
sich  öfters  contpirare  in  aUquemy  das  anch  der  Antibarbarus  gelten  läfst. 


794  Klassischeft  Lateio, 

13)  kurieren  soll  nar  dareh  tnederi  oder  Monar«  iibersetit  werdan. 
Aber  ist  curare  gaos  zn  verwerfen?  Dieses  Wort  bezeichoet  nicht  nur  die 
Pflei^e  and  die  ärztliche  Behandlang  eines  Kranken,  sondern  noch  die  er* 
folgreiche  Behaodlang  wie  nnser  „karieren''.  Diese  Bedentang  kommt 
schon  bei  Cicero  vor;  vgl.  in  Pisoo.  13:  MeminUHne  . ,  excuMtume  ie  uU 
vaUiudinü^  quod  diceres  vinolentü  te  quilnudam  medicaminibus  soiere  curaril 
Und  Phil.  IX  6  heifst  es  von  dem  kranken  Snlpicins:  miUtü  tili  in  urbibusy 
iter  qua  faeiebat,  reficiendi  se  et  curandi  potestas  fitit  Hier  kann  «e  curare 
nicht  gleichbedentend  mit  te  reßcere  sein,  sondern  mnfs  eine  Steigerang 
enthalten.  Aach  ein  sachliches  Objekt  hat  curare  in  dieser  Bedentang  bei 
sich  in  der  bekannten  Stelle  p.  Sex,  Roscio  128:  qui  cum  eapüi  Sex,  Roscü 
mederi  debeam,  reduviam  eurem,  wo  es  parallel  and  gleichbedentend  mit 
mederi  steht.  Liv.  II  17,  4  heifst  vulnera  curare  dentlich  „Wanden  heilen**, 
ebenso  Cnrt.  V  9,  3:  medici  gramores  morbos  asperis  remediü  euranl.  Bei 
Celsas,  der  Hauptaatorität  auf  diesem  Gebiete,  ist  curare  geradezo  der 
terminns  techoicos  and  wird  daher  auch  von  dem  Antibarbaros  anerkannt. 
Storch  selbst  giebt  weiter  aoten  curatio  fär  „Kar". 

14)  Für  provozieren  ist  provocare  nicht  minder  gut  als  laeessere; 
vgl.  de  imp.  Cn.  Pomp.  14:  Quare  si  propter  socios  nulla  ipsi  uduria 
lacessiti  maiores  nostri  bella  gesserwUf  quanto  vot  studio  coiwenit  iniurüs 
provocatos  sociorum  salutcm  deJendereX  Phil.  II  46:  nisi  maledkUs  me 
provocare  aums  eises.  post  red.  ad  Quir.  21 :  <te  ulciscar  ea  genera  (homimim\ 
quemadmodum  a  quibutqüe  sum  provocatus, 

15)  reformieren  giebt  St  durch  emmdqjre  und  corrigere  wieder, 
doch  erschöpfen  beide  den  Begriff  nicht,  da  in  „reformieren"  doch  auch  ein 
„Umgestalten"  liegt.  Daher  halten  Krebs- Allgay  er  den  Gebrauch  des  bei 
Plinius  d.  J.  vorkommenden  reformare  für  zulässig.  Vgl.  Pan.  53,  1:  cor- 
ruptos  depramlosque  mores  reformet  et  corrigat.  So  kann  auch  nach  Ana- 
logie von  morum  reformatio  Seo.  ep.  58,  26  die  Reformation  mit  sacrorum 
reformatio  und  nach  Plin.  ep.  VIII  12,  1 :  Utterarum  iam  senescentium  reduetor 
ac  rqformator  Luther  als  sacrorum  reformator  unbedenklich  bezeichnet 
werden. 

16)  Bei  repariereo  ist  angegeben  {dadem,  damnum)  sareire',  doch 
„eine  Niederlage,  ein  Unglück  reparieren",  wird  man  kaum  sagen.  „Bin 
Haus,  ein  Schiff  u.  s.  w.  reparieren"  beifst  domum^  navem  reßcere,  renovare^ 
restituere',  doch  ist  reparare  nicht  auszuschliersen,  da  Bell.  Alex.  12  re- 
parare  classem,  Plin.  ep.  X  15  reparare  aedifida  und  Suet.  Dom.  20  reparare 
bibliothecas  incendüs  absumptas  steht. 

17)  Für  restaurieren  ist  instaurare  neben  reficere  angegeben;  doch 
ist  das  erstere  Wort  io  dieser  Bedeutung  schlechter  bezeugt  als  das  bei 
Tacitus  wiederholt  vorkommeode  restaurare  (theatrum,  aedem), 

18)  rezensieren  wird  durch  existimare  de  wiedergegeben;  das  trifft 
den  Begriff  nicht  völlig;  Kr.-Allg.  geben  iudicare,  iudicium  facere  de,  in 
iudicium  vocare.  Ich  würde  unbedenklich  das  bei  Gellius  vorkommende  re- 
censere  anwendeo.  Doch  auch  recognoscere  ist  nach  Plin.  ep.  IV  26,  1  an- 
wendbar. 

19)  studieren  soll  discere  oder  cognoscere  heifsen.  Aber  ist  Utteris^ 
artibus  studere  nicht  gut  lateinisch?  Medicinae  studere  steht  bei  Qaintilian. 
Kr.-Allg.    empfehlen   sogar    den    absoluten  Gebrauch    von  studere  nach  den 


voo  A.  Rnppersberf^.  795 

Sduriflttollarn  der  silberaon  Lalinität   Braacdibar  »ind  «och  m  daroy  operam 
darSf  deditum  eu9  {HiterU)  oder  ineumbßre  (m  UUera»), 

20)  Für  triamphiereo  im  übertrageoeo  Siaoe  wird  aar  exsuHare 
angegeben,  aber  gaudio  triumpho  sagt  Cäsar  bei  Cic.  Att.  IX  16,  2, 
und  ebenso  Cicero  selbst  pro  Clnentio  14:  exsultare  ktctitiay  triumphare 
gaudio  eoepit, 

21)  Dafs  für  usurpieren  »=  „widerrechtlicb  sich  aomafsen",  auch 
usurpare  gebraucht  werden  kann,  beweist  Livius  XXXIII  40,  5:  usurpandae 
aUenat  postessionit  causa.  Ebenso  brauchen  das  Wort  Plinius,  Sueton  u.  a., 
während  Usurpator  allerdings  erst  bei  Ammian  vorkommt. 

22)  , jemanden  eitleren''  heifst  nach  St.  areess&re\  aber  cüare  ist 
gerade  der  offiiielle  Ausdruck  für  das  Vorladen  von  Zeugen  und  anderen 
Peraonen  durch  die  Behörde  oder  deren  Diener,  und  anders  wird  das  deutsche 
„eitleren"  doch  noch  kaum  gebraucht.  Beispiele  finden  sich  io  den  Verrinen 
und  auch  sonst.  Im  übertragenen  Sinne  steht  testsm  ciiare  Cic.  off.  I  75 
und  eüare  allein  de  fin.  II 18:  Graed  qui  hoc  anapaesto  cäantur.  „Einen 
Schriftsteller  eitleren''  kann  nach  Liv.  IV  20,  8  aliquem  audorem  cäare  heifsen. 

23)  Für  Akt  wird  1)  factum,  2)  pars  angegeben.  Dafs  aber  der  Akt 
eines  Schauspiels  actus  heifst,  lehrt  das  Lexikon ;  vgl.  Terent  Hecyra  prol.  31 : 
primo  adu  piaceo\  Hör.  Ars  poet.  189;  so  auch  bei  Cicero  de  senect.  64 
ad  Qniot  fr.  1  1,  46;  Phil.  II  34;    im   übertragenen  Sinne  Verr.  I,  32;  11  18. 

24)  Autorität  (von  Personen)  heifst  aueior  oder  prmceps.  Doch  ist 
dem  Lateinischen  der  Gebranch  des  Abstraktums  auctaritas  in  diesem  Sinne 
gar  nicht  fremd;  vgl.  pro  rege  Deiot.  30:  corruptela  servi  a  tanta  auctorüate 
(i.  e.  a  Caesare)  eomprobata-,  p.  Marcelio  10:  iUa  auetoritas  (i.  e.  Caesar) 
und  vor  allem  de  imp.  Cn.  Pompei  68:  Quodsi  auetorüatibus  hone  causam 
confirmandam  putatis,  est  nobis  auctor  u,  s.  w.  Ähnlich  wird  virtui  gebraacht 
pro  Mil.  107;  und  honesiates  civitatis  steht  p.  Sestio  109.  Dafs  dies  nur 
mit  Vorsicht  nachzuahmen  ist,  gebe  ich  gern  zu.  Vgl.  Nägelsbach,  Sti- 
listik §  14. 

25)  Effekt  wird  durch  vis  wiedergegeben.  Aber  auch  effectus  kann 
stehen;  vgl.  Cic.  Tusc.  II  3:  effectus  eloquentiae  est  audientium  adprohatio\ 
de  div.  1147:  vim  et  effectum  herbarum;  Cort.  VIII  13,22:  huius  consHü 
effectum  morata  tempestas  est. 

26)  Heifsen  die  Elemente  gnt  lateinisch  nur  initia  oder  semiaa^  An 
zahlreichen  Stellen  kommt  dementa  in  der  Bedeutung  a)  Grundstoffe,  und 
b)  Anfangsgründe  vor;  vgl.  zu  a)  Acad.  I  26,  zu  b)  de  orat.  II  45. 

27)  Exemplar  eines  Schriftstellers  heifst  Uber;  danach  müfste  man 
annehmen,  dafs  exemplar  in  dieser  Bedeutung  nicht  klassisch  ist;  doch  steht 
Cic.  Att.  IV  5,  1:  non  lutbebam  exemplar.  Plin.  ep.  IV  7,  2:  eundem  Ubrum 
in  exemplaria  mille  transscriptiim  per  tolam  Italiam  provindasque  dimisä. 
Cie.  fam.  X  31,6:  tibi  earum  {läterarum)  exemplar  misi.  Gellins  VII  20: 
libri  de  corruptis  exemplaribus  facti.  In  allen  diesen  Stellen  heifst  exemplar 
zunächst  „Abschrift**,  aber  durch  Abschreiben  allein  wurden  ja  im  Altertum 
neue  „Exemplare"  angefertigt.  Daher  kann  man  natürlich  nicht  sagen: 
exemplar  Caesaris  tibi  misi,  wohl  aber  exemplar  commentariorum.  de  beUo 
Gallico.  Auch  in  der  Bedeutung  „Musterbild"  kommt  neben  exempbtm  auch 
exemplar  vor.  exemplar  sibi  proponere  aliquid  ist  gnt  ciceronisch;  vgl.  u.  a. 
p.  Caecina  28:  exemplar  antiquae  relig'ionis. 


796  Klassisches  Latein^ 

28)  Expedition  soll  klassisch  coeptumf  ineeptum^  eanatus  oder  tfar 
heifsea.  Doch  for  dea  klassischen  Gebrauch  von  eaopediiio  mSgeo  sprechen: 
Ca  es.  BG.  V  10, 1:  müäes  equäetque  in  expeditionem  mint.  VI11  34:  expedU 
Uonibus  noetumU.  Cic.  de  div.  I  72:  ti^  f'n  eaepMtionem  exercäum  edueereL 
Aafserdeni  ist  bellum,  exeursio,  ineursio  anweodhar. 

29)  Unter  Familie  wird  richtig  bemerkt,  dafs  „er  kam  mit  Familie*' 
venu  cum  suü  heifst;  aufserdem  steht  aber  nur  noch  getu  angegeben.  Doch 
familia  heifst  nicht  nnr  die  Dienerschaft  und  die  Hansgenosseoschaft  über- 
haapt,  sondern  anch  die  Geschlechtsgenossenschaft,  und  deckt  sich  so  viel- 
fach mit  dem  deotschen  Lehnwort.  Vgl.  Phil.  IX  2:  (ktatnus  primus  in 
suam  famüiam  atiulä  consulatum;  p.  Mnr.  15:  honestae  familiae  plebeiae; 
17:  0d?  famiUa  vetere  et  inkistrij  p.  Deiot.  30:  vestram  famiUam  abiectam  ef 
obseuram  e  tenebris  in  lucem  evoeavit  and  non  uni  propinquo,  omnibut  famüiis 
ftefarium  bellum  indicere.  Caes.  BG.  VII  32,  4:  onUquiMsima  familia  nalum\ 
37,  1:  amplissima  familia  nati  adulescentes ;  Bell.  Afr.  57:  homp  familia, - 
diffnUate  honoribusque  praestans.  Liv.  II  48,  8  spricht  der  Vertreter  der 
gens  Fabia  pro  gente  von  einem  famiUare  bellum',  and  das  Volk  rühmt 
49,  1 :  famiUam  unam  subisse  civitatis  onus. 

30)  Von  den  für  Hospiz,  Hospital  gegebenen  Aasdrücken  ist  für 
das  zweite  Wort  nur  valetudinarium  branchbar,  welches  freilich  nach-, 
klassisch  ist.  reeeptacuhtm  ist  mehr  ein  Zufluchtsort,  Schlupfwinkel  für 
Flüchtige,  anch  Bahesitz,  ond  würde  z.  B.  für  das  Gotthardhospiz  anwendbar 
sein;  doch  liefse  sich  dies  auch  mit  hotpitium  publicum  (manachorum)  oder 
deversoriiim  bezeichnen.  Sanatorium  finde  ich  weder  bei  Force llini  noch  bei 
Georges;  es  ist  also  wohl  Vulgärlatein. 

31)  Für  Klasse  wird  ordo  and  genus  angegeben.  Aber  ich  möchte 
dassis  doch  nicht  ansschliefsen.  Freilich  wenn  Cicero  Acad.  II  73  von 
phihsopM  quintae  dassis  spricht,  so  ist  das  nur  eine  Anspielung  auf  die 
Servianische  Heeres  Verfassung;  aber  wir  sehen  doch  daraus,  das  man  das 
Wort  anch  von  anderen  Einteilungen  zu  brauchen  anfing.  So  teilte  Tiberius 
nach  Sueton  46  seine  comites  peregrinationum  expeditionumque  in  drei  classes 
ein;  nach  Quintil.  I  2,  23  wurde  die  pueri  in  classes  abgeteilt,  und  dueere 
dassem  d.  h.  primus  sein  galt  damals  schon  als  hohe  Ehre.  „Das  ist^,  sagt 
Krebs-Allgayer  mit  Recht,  „eine  hinreichende  Autorität  für  dassis".  Frei- 
lich heifst  Menschenklasse  gentu  hominum  und  die  Klasse  der  Bitter  ordo 
equester;  daher  auch  unsere  sozialen  Klassen  (Stände)  als  ordines  zu  be- 
zeichnen sind. 

32)  Konstitution  =  Staatsverfassung  übersetzt  Storch  durch  rei- 
publicae  conformatio,  doch  sehe  ich  nicht,  dafs  diese  Verbindung  bei  latei- 
nischen Schriftstellern  vorkommt.  Die  triumviri  reipüblieae  eonstituendae 
berechtigen  zu  der  Bildung  des  Ausdrucks  constäutio  reipüblieae,  der  bei 
Cicero  de  rep.  II  37  sich  wirklich  findet,  hier  allerdings  zunächst  die 
Handlung  des  Einrichtens  bezeichnet.  Auch  steht,  wie  Kr.-Allg.  bemerken, 
rep.  1  69  und  II  53  constüutio  {RomuU)  deutlich  in  dem  Sinn  von  Verfassung. 
Dann  findet  sich  bei  Apulejns  constituo  civitatum  und  bei  Plinius  der  Plural 
constäutiones  pubticae  im  Sinne  von  Gesetze,  Verfassungsurkunde.  Aufser- 
dem steht  nach  Caes.  BG.  I  1,  2  instituta  ac  leges  zu  Gebote,  ein  Ausdruck, 
der  jedenfalls  besser  ist  als  conformatio  reipüblieae. 

33)  Krone   wird   mit   Kr.-Allg.  nach  Cicero  pro  Sest  58  mit  insigne 


voD  A.  Ruppersber^.  797 

regivm  übersetzt,  docb  kano  dies  aoch  jedes  andere  kSoi^licbe  Abzeicheo, 
wie  Scepter  o.  s.  w.  sein.  Will  mao  also  uieht  diaäema  setzea,  so  bleibt 
noch  Corona  aurea  oder  (oach  Verg.  Aeo.  VIII  505:  regnieonma)  corona  regia 
als  eio  got  lateioiseher  aod  deotlicber  Aasdrack. 

34)  Lax  US  (treibeo)  soll  darch  luxuria  wiedergegeben  werden.  Nacb 
Sehultz*  Synonymik  heifst  luxus  die  Üppigkeit  ood  Verschwendung  selbst, 
während  luxuria  die  Freude  daran  und  die  Neigung  zu  derselben  ist  Abo- 
lieh  sagt  der  Antibarbarus,  luxuria  bedeute  den  Hang  zur  Schwelgerei, 
luxus  aber  Schwelgerei,  insofern  sie  in  Handlungen  sichtbar  hervortritt. 
Damit  stimmen  die  Erklärungeu  von  firnesti  und  DSderlein  •  ziemlich  äberein. 
Das  Wort  luxus  kommt  freilich  bei  Cicero  nur  an  einer  nicht  sicheren  Stelle 
vor,  nämlich  Verr.  III  62:  in  vino  aique  tuxu,  wo  andere  luMtris  lesen.  In 
den  von  Merguet  angeführten  Stellen  aas  den  Reden  bedeutet  aber  luxuria 
überall  den  Hang  zur  Schwelgerei,  also  nicht  gerade  das,  was  wir  mit  Luxus 
bezeichnen.  Dem  entspricht  besser  das  lateinische  luxus  =  schwelgerisches 
Leben.  Vgl.  Sali.  Cat.  13,  2:  omnia  luxu  antecapere;  lug.  2,  4;  dedät 
corporis  gaudiis  per  luxum  et  ignaviam  aetatem  agunt,  und  6,  1:  non  se 
htxu  neque  inertiae  corrumpendum  dedit  Bei  Curt.  III  11,  23:  tahemaculum 
omni  luxu  et  opulentia  instructum  heifst  es  „schwelgerische  Einrichtung'*. 

35)  Dafs  unser  Wort  Matrone  nicht  nur  durch  anus^  sondern  oft 
auch  durch  matrona  gegeben  werden  kann,  möchte  ich  doch  behaupten. 
Denn  matrona  ist  die  verheiratete  anständige  Frau  im  Gegensatz  einerseits 
zur  virgOt  andererseits  zur  meretrix,  während  onus  nur  auf  das  Alter  und 
die  durch  dasselbe  herbeigeführten  Charaktereigenschaften  pafst.  Mit 
„Matrone**  bezeichnen  wir  eine  ältere  Dame,  wo  dann  lat.  matrona  ein- 
treten kano,  aufser  wenn  die  Betreffende  ein  Fräulein  ist  Beide  Wörter 
verbunden  finden  sich  bei  Sueton  Nero  11:  onus  matronae. 

36)  Für  Medizin  (konkret)  giebt  St.  nur  remedium  an.  Warum  nicht 
auch  medioamen  und  medicamentum,  die  in  eigentlicher  Bedeutung  sogar 
gebräuchlicher  sind?  Obrigens  wird  tLQch  medicina  häufig  konkret  gebraucht, 
besonders  im  übertragenen  Sinne,  wie  Cic.  p.  Sext.  43:  inter/ectus  esset  is 
qui  hac  una  medicina  sola  potuit  a  reipublieae  peste  depelli;  vgl.  aufserdem 
die  bei  Forcellini  und  Mergnet  angerührten  Stellen ;  besonders  Tusc.  111  35 
und  54,  fam.  IV  7,  1.  Bei  Cnrtius  kommt  das  Wort  schon  in  rein  techni- 
schem Sinne  vor:  medicinam  dare, 

37)  Für  Moment  mächte  ich  neben  punctum  temporis  tiuch  momentum 
temporu,  wie  Liv.  XXI  33,  10,  XXV  14,  10  und  XXXV  11,  13  steht,  nicht 
verwerfen.  Hat  doch  Livius  vielfach  momento  allein,  wie  III  63,  1;  70,  13; 
XXI  14,  3;  XXIV  22,  9;  XXVIII  6,  4.  Dafür  braucht  Cäsar  BG.  H  26,  2 
aueh  vesUgio  temporis, 

38)  Für  Nation  nur  gens,  nicht  auch  naüo  gelten  zu  Isssen,  wie  St. 
thut,  ist  kaum  haltbar;  kommt  doch  natümes  oft  genug  mit  und  ohne  gentes 
ohne  wesentlicbeo  Unterschied  bei  Cicero  vor.  Natio  bezeichnet  ja  aller- 
dings, im  Gegensatz  zu  gens,  den  einzelnen  Stamm,  gens  dagegen  die 
grofsere  Gemeinschaft,  so  Tac.  Germ.  2:  nationis  nomen,  non  gentis 
evaluisse  paulatim  und  38:  Sueborum  non  una  gens;  proprüs  adhue  natio- 
nibus  nominilmsque  discreti-j  vgl.  Vell.  11  98:  omnibus  eius  gentis  naUonibus. 
Aber  die  Gemeinsamkeit  der  Abstammung  wird  durch  natio  nicht  minder  als 
durch  gens  bezeichnet,   so   dafs   man   „die  deutsche  Nation"  sehr  wohl  mit 


798  Klassisches  Lateio, 

natio  Germanorum  bezeiehDeo  ksDo.  Dafor  seheiot  mir  beweiskräftiif  de 
prov.  coos.  33:  cum  acerrimis  natianibus  et  nuunmis  Germanorum  et  Hebm^ 
tiürum  dßcertavü^  i.  e.  cum  natione  Germanorum  et  cum  naUone  Hehetiorum, 
da  letztere  eio  geschlossenes  Volk  siod. 

39)  Occidens  und  oriens  für  „Abeod-  und  Morgeoland*'  zu  perhorrea- 
ciereo  und  durch  regio  ad  ocddentem  {orientem)  vergene  zo  obersetzeo,  be- 
zeichnen Rrebs-Allg.  mit  Recht  als  pedantisch.  Cicero  braoeht  allerdiofs 
ad  fam.  XÜ  5,  S  und  Mur.  89  orientii  partes  Tdr  unser  „Orientes  aber  p. 
Deiot.  11  sagt  er:  Tatibus  nuntüs  et  rumorihus  patMfot  ad  orientem  vi«, 
und  hier  bedeutet  oriene  offenbar  das  Morgenland.  Auch  Livins  sprieht 
XXVI  37,  5  von  dem  imperkim  orientis.  So  sind  deno  diese  Ausdrücke  bei 
Tacitus,  Plinius,  Sneton,  Seneca  u.  a.  in  dieser  Bedeutung  ganz  gewöhnlich. 

40)  Person  wird  gewifs  in  den  meisten  Fällen,  wie  St.  angiebt, 
richtig  durch  AomOy  z.  B.  homo  prwatue  eine  Privatperson,  wiedergegeben. 
Doch  darf  nicht  verschwiegen  werden,  dafs  au  eh  pm^ona  am  Platze  ist, 
wenn  die  Bedeutung,  die  Persönlichkeit  bezeichnet  werden  soll;  vgl.  de  orat. 
III  53:  personarum  dignäates.  So  würden  die  Worte  des  Rudenz  im  Teil: 
„Welche  Person  ist's,  Oheim,  die  ihr  selbst  hier  spielt ?<<  zu  übersetzen 
sein:  Quam  personam,  avunctdej  agi$  oder  mduUtit 

41)  Pflanze  übersetzt  St.  quod  gignUur  ex  terra^  da  planta  klassisch 
nur  „der  Setzling,  das  Pfropfreis"  bedeutet.  Ich  möchte  auf  den  sehr  passen- 
den Ausdruck  etirpes  et  herhae  aufmerksam  machen,  der  de  nat.  deor.  II  161 
steht.    Auch  herha  allein  wird  vielfach  ausreichen. 

42)  Für  Pirat  giebt  Storch  praedo  {maräimus)  an.  Aber  Cicero 
braoeht  pirata  und  praedo  ohne  Unterschied  neben  einander,  so  Verr.  IV  21, 

V  100,  p.  Sex.  Rose.  146,  p.  Flacc.  31.  Pirata  steht  aufserdem  u.  a.  Verr. 
I  90,  V  75  (hier  auch  archipiiraiä),  76,  90,  96,  97,  98,  100;  nur  praedo  wird 
gebraucht  p.  Sex.  Roseio  31—35  (elfmal  hintereinander);  praedo  mit  dem 
Zusatz   maräimus   dagegen    kommt    bei   Cicero    nur   einmal,   nämlieh  Verr. 

V  70  neben  pirata  und  archtpirata  vor.  Also  haben  wir  keinen  Grund,  das 
Wort  pirata  zu  meiden. 

43)  Privileg  übersetzt  St.  mit  Kr.-Allg.  durch  henefidum  oder  tue 
praecipuumj  geht  aber  weiter  als  die  Herausgeber  des  Antibarbams,  die 
Privilegium  nicht  nur  als  „Ausnahmegesetz*',  sondern  auch  als  „Vorrecht*' 
gelten  lassen  wollen. 

44)  Provinz  (ohne  Genetiv  des  Besitzers)  soll  durch  regio  wieder- 
gegeben werden  und  „Provinzialen'*  durch  socU.  Danach  könnte  man  also 
nicht  sagen  Alsia  provineia,  provincia  Narboneniis.  Wenngleich  unsere  heutigen 
Provinzen  etwas  anderes  sind  als  die  der  alten  Römer,  würde  ich  es  doch 
vorziehen,  die  Bewohner  einer  Provinz  mit  provineiaiei,  einem  gut  latei- 
nischen Wort,  statt  mit  dem  hier  widersinnigen  eoeH  zu  bezeichnen.  Ich 
würde  mich  auch  nicht  scheuen,  von  einer  provincia  Rhenana  oder  ad  Rhe- 
mtm  Sita  zo  sprechen;  ängstliche  Gemüter  können  ja  pra^eetura  brauchen, 
und  den  Satz:  „Preufsen  zerfällt  in  12  Provinzen**  mag  man  übersetzen: 
Borussia  in  XII  partes  dividUur, 

45)  Ruin  wird  durch  interitus,  labes,  also  nicht  durch  ruinae  übersetzt. 
Und  doch  läfst  sich  dieses  Wort  in  der  gewünschten  Bedeutung  durch  zahl- 
reiche Stellen  belegen,  von  denen  die  bekannteste  Cie.  Cat.  114  ist:  Ftae^ 
termOto  ruinös  fortunarum   tuarum,  quas  onans  impendere  tibi  proseimis