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THE LIBRARY OF THE
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NORTH CAROLINA
ENDOWED BY THE
DIALECTIC AND PHILANTHROPIC
SOCIETIES
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QUO HkRRASSOWITZ
BUCHHANDLUNG
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UNIVERSITY OF NC. AT CHAPEL HILL
00016937950
This book is due at the LOUIS R. WILSON LIBRARY on the
last date stamped under "Date Due." If not on hold it may be
renewed by bringing it to the library.
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may be • kept ou^ TWO
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dfty-iridicated below:
SPRACHLICHER KOMMENTAR
ZUR
VULGÄRLATEINISCHEN
APPENDIX PROBI
VON
W. A. BAEHRENS
HALLE (SAALE)
VERLAG VON MAX NIEMEYER
1922
SPRACHLICHER KOMMENTAR
ZUR
VULGÄRLATEINISCHEN
APPENDIX PROBI
VON
W. A. BAEHRENS
HALLE (SAALE)
VERLAG VON MAX NIEMEYER
1922
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University of North Carolina at Chapel Hill
http://www.archive.org/details/sprachlicherkommOObaeh
GEORG VVISSOWA
gewidmet
I
Vorwort.
Als Vorlesungen über das Vulgärlatein mich veranlafsten , die
Appendix Probi eingehend zu erörtern, ergab sich bald die Not-
wendigkeit einer neuen Ausgabe, welche die einzelnen Erscheinungen
in ihrer Entstehung und Entwicklung erklärte. Angesichts der
traurigen Zeitverhältnisse rnufste der Kommentar in einer möglichst
gedrängten Form zusaraniengetafst werden ; dafs die plastische Dar-
stellung darunter gelitten hat, bedauere ich selbst am meisten. Aber
auch in dieser Gestalt konnte das Buch nur durch das aufopfernde
Entgegenkommen des Herausgebers, der die gan/en Druckkosten
übernahm, erscheinen. Die Abhandlung versucht ihrerseits dazu
beizutragen, die zwischen klassischer Philologie und Sprachwissen-
schaft (Romanischer Philologie) noch immer klaft'ende Lücke zu
überbrücken. Leider sind einige Druckfehler stehen geblieben, die
unter 'Corrigenda' aufgezählt werden.
Zu besonderem Dank bin ich meinem lieben Kollegen Dr. Muler tt
in Halle a. S. verpflichtet, mit dem ich die ganze Arbeit, im be-
sonderen die romanisch orientierten Teile, durchsprechen konnte.
Auch hat er die Mühe nicht gescheut, die Korrekturbogen 3 — 8
mitzulesen.
Göttingen, im Oktober 1922.
Der Verfasser.
Inhalt
Seite
I. Einleitung i
II. Text 5
III. Kommentar 9
A. Vulgärlateinische Betonung 9
B. Vokalismus 12
C. Halbvokale 65
D. Konsonantismus 67
E. Formenlehre 102
F. Suffixe 117
G. Wortbildungslehre 123
H. Syntaktisches 124
I. Vermischtes 125
Indices , , 128
I. Einleitung.
In dem Palimpsest Cod. Vindobon. 17 aus Bobbio sind ff. 49 r
bis 52 r über eine lateinische Übersetzung der Bücher der Könige
in Unzialen des 6. (?) Jahrhunderts sowohl die Instituta Artium [Probi]
wie die sogenannte Appendix Probi in vorkarolingischer Cursive des
7. (8.) Jahrhunderts geschrieben. Dafs der sprachgeschichtlich weit
wichtigste Teil der Appendix: porphireticiim marvior non piirpureticum
marinur usw. IV, 197, 19 — 199, 17K., welcher allein uns beschäftigen
kann und kurz App. (Probi) genannt wird, in seiner ursprünglichen
Gestalt den nämlichen Verfasser gehabt habe wie die übrigen eben-
falls nur in Bruchstücken erhaltenen Werke der App. und derselbe
Grammatiker auch die Instituta geschrieben habe, kann ich Barwick
Herm. 54 (191g), 409 nicht zugeben. Während unser Grammatiker
nur hochlateinische Formen anerkennt, dagegen vulgäre Bildungen
rügt und mit dieser Methode im Gegensatz zu einer etwa seit dem
I. Jhdt. n. Chr. aufkommenden Sitte steht, nach welcher neu ent-
standene Vulgärformen in törichter Weise von den hochlaleinischen
der Bedeutung nach differenziert wurden — vgl. das § 5b über
vinea vinia, balletis baltetim usw. Gesagte — , ist dagegen in den
gleichfolgenden Differentiae IV, 199, 17 — 203, 34 K. z. B. auch
zwischen nohilem [generosuvi) und novilem {jiotuni omnibus) (S. 202, 19)
unterschieden worden, welches Beispiel mit vinea 'Weingarten',
vinia 'Schirmlaube der Soldaten' (von Cornutus GL VII, 150, 20 K.
verworfen) auf einer Stufe steht und durch das regelmässige Auf-
treten in verwandten Sammlungen (Mace, de emendando differ.
libro Paris 1900, Indices) als echt erwiesen wird; — in unserem
Traktat wäre aber novilem als vulgäre Form ohne weiteres getadelt
worden, vgl. n. 198: lolerabilis non tokravilis. Auch hätte unser
Anonymus zwischen ebritcs und ebriosus nicht einen Unterschied in
in der Bedeutung festgestellt — so in den Differentiae p. 199, 24 K.
und anderen Sammlungen — , sondern entsprechend n. 211: rabidiis
non rabiosus, mit etwas übertriebenem Scheu vor dem besonders
auch vulgären Suffix -osiis (§ 27), ebriosus zurückgewiesen. Während
die Differentiae mit ihrer Unterscheidung zwischen paene und piue,
laeimn und letiim zu der beschränkten, alltägUchen grammatischen
Schablone gehören, zeigt die eigentliche App. Probi mit ihrer Ver-
werfung vulgärer Bildungen, welche sie wenigstens z, T. aus der
sprudelnden Quelle der lebendigen Sprache schöpft, ein wirkliclies
Verständnis für sprachliche Beobachtungen und eben aus diesem
Baehrens, Sprachl. Kommentar zur Vulgärlat, Appendix Probi. i
Grunde beansprucht sie auch heutzutage unser Interesse. Derselbe
Abstand trennt aber App. auch von den Instituta, deren Verfasser
in seinen trockenen Aufzählungen jeden Sinn für lebendige Sprache
vermissen läfst. Auch handelte er in seiner Orthographia, zu der
App. mindestens in engster Beziehung stehen müfste, wenn ihr
Verfasser die Instituta und Orthographia geschrieben hätte, wie
sich aus S. 119, i — 16K. ergibt, über nomina, quae an ... in 0
convertant , ut puia cauda et coda . . ., i ... in e '. . . vialivohis et
vialevolus, . . . quae in litter a plus scrihantur . . . equs et eqmis . . .
hoc in 07'thographia tractare dehevms. Equs und equus wurden an-
scheinend trotz 126, 29 ifoqus) beide anerkannt, während App.
n. 37: equs non ecus schreibt. Wichtiger ist, dafs App. unter richtiger
Trennung hochlateinischer und vulgärer Formen malivolus und
malevolus anerkannt, dagegen coda verworfen hätte, vgl. n. 83: auris
non oricla. Auch stellte sich der Verfasser der Orthographia trotz
des verwandten Themas ein ganz anderes Ziel als App., so dafs
die beiden Schriften unmöglich einem Autor gehören können.
Andererseits sind Übereinstimmungen voihanden, welche auch an-
gesichts der gemeinsamen Überlieferung nicht zufällige sein können,
vgl. Steup de Probis gramra. i7ofF. : App. 29 avtis non az/j = Inst.
107, 19: qua de catisa . . . non hie aus dicatur; App. 30= 126,36:
milex; 31 = 126, 23: soher\'^ ^2 = 130, 11: ßgel; 33 = 102, 13:
?>iascel; 36 = 102,8: harhar; 38 = 126, 29: coqus anerkannt; 138
= 59,38: tetrus; 181 = 126, i: pkps; 205 = 126,6: lapsus; 213
= 121,29: Adon. Adon wird trotz der seltenen Verwendung von
beiden anerkannt (§ 27), lapsus ausnahmsweise zugunsten von lahsus
von beiden verworfen (§ 17b); harhar bezeugen aufser einigen
Glossen nur beide Grammatiker. Auch ist es kein Zufall, dafs
gerade die aufeinanderfolgenden nn. 29, 30, 31, 32, 33, 36 u. 38
auch in den Instituta vorkommen. Da die Instituta sonst nur mit
Schulbeispielen operieren, dagegen App. interessante und seltene
Vulgärformen zu bieten pflegt, können nur die Instituta aus App.
entliehen haben, nicht umgekehrt. Da die Worte Inst. 119,25:
sunt nomina quae rem proprie co?nmufiiterve significant, proprie . . .
Roma Tiheris Diocletianae . . . communiter . . . i(rhs flumen thermae,
auf welche Barwick 422 aufmerksam macht, sicherlich geschrieben
wurden, als die zwischen i. Mai 305 und 24. Juli 306 dedizierten
Thermen durch ihre Neuheit noch besondere Aufmerksamkeit auf
sich zogen, etwa vor 320 n. Chr., ist damit auch für App. der
termijius ante quem gegeben.
Einen anderen Terminus ergab auch die Analyse der App.,
welche abgesehen von einigen Doubletten in ihrer ursprünglichen
Form auf uns gekommen ist und derer einzelne Beispiele von
vornherein nicht systematisch geordnet waren. Baculus wird von
App. (n. 9) anerkannt, ist aber nicht zufällig — anstatt haculum —
erst im 3. Jhdt. belegt (§ 2b). Für die 'Weintraube' entlehnten
^ Aus suher der App. machten die Instit. sober.
die Römer zuerst ein ^ßoTfJvajv, dafs bei Martial 1 1, 27, 4 auftritt;
die seltsame Form hotrtius begegnet bei Cyprian und wird kaum
viel früher entstanden sein ; erst Hieronymus verwendet regelmäfsig
botnis = ßuTQvg und findet durch seine Autorität sofort allgemeine
Nachahmung: kaum hätte App. noch bo/nms (n. 127) nach 400 n.Chr.
gebilligt, s. § 3g. Ohne Zweifel haben wir unsere Schrift etwa
zwischen 200 — 320 n.Chr. anzusetzen. Auch allgemeine Erwägungen
führen zu der Annahme, dafs App. auf dem langen Weg der vulgär-
lateinischen Entwickelung etwa in der Mitte steht. Einerseits können
viele gerügten Formen kaum vor 200 oder 300 n. Chr. entstanden
sein, ohne dafs sich bestimmteres sagen liefse — vgl. das im
Kommentar z. B. über Herculens (§ 19 a), viuseum 'Mosaik' (§ 10 b),
hrabiwn (§ lob), osteum (§ 5 b) u.a. Ausgeführte — ; andererseits
tadelt App. zwar vulgäre Bildungen, aber oft nicht diejenigen, welche
zu der jüngsten Schicht gehören und dem Romanischen unmittelbar
zugrunde liegen; so verwirft sie n. 129, 164 ansar, nicht aiica,
s. §3b; 29 aus, nicht *aviohis; 37 ecus, im Rom. durch caballus
ersetzt; 61 osteum, nicht ustium (§ 5 b); 144 demidius, nicht das frz.
demi, prov. demiei zugrunde liegende dtm^dius, das inschriftlich in
der Tat bezeugt ist (§ 6 b); 157 Hntium, nicht das von den meisten
rom. Sprachen vorausgesetzte lentiiun (§ 5 b); 30 milex, nicht sol(i)~
datus (§ i8a); 169 7iura, nicht *ndra (§ 23) u. a.
Zur Zeit als das sogen, afrikanische Latein in Blüte stand, hat
man auch App. in Afrika entstehen lassen. Aufser Sittl (ALL VI, 557)
ist besonders Gaston Paris Mel. Renier 1887, 303 und Mel. Boissier
''903» 5 wegen der erwähnten afrikanischen Namen für die Herkunft
aus dieser Provinz eingetreten und auch Barwick a. a. O. teilt diese
Ansicht. Aber die falsche Aussprache von Capsensis (n. 49) kann
auch in Rom bei der Lektüre des Schulschriftstellers Sallust gerügt
worden sein, vgl. lug. 89, 6; 92, 3. 4. Und Byzacenus (48) kann in
der geographischen Stunde zur Sprache gekommen sein; auch auf
stadtrömischen Inschriften, z.B. CI VI, 1690, it()i: praeses provhiciae
Byzacenae kommt die Amtsbezeichnung früherer Statthalter jener
Provinz vor. Vielmehr als die vico tabuli proconsolis (135) für Afrika,
zeugt die vico capitis Africae (134) für Rom, denn ohne Zweifel
ist der vicus der zweiten Regio gemeint. Da dort eine Schule war
— CIL VI, 8983, 8984 u. § 18 b — , so kann sehr wohl ein Lehrer
jener Unterrichtsanstalt App. verfafst haben. Das in n. 12 erwähnte
Heiligtum calcostegis non calcosteis — über das Septizonium s. § 1 5 b —
war ein bekannter Tempel in Rom, wie sich aus Servius ad Aen. I,
448: quidam '■irahes aeneas'' putant ipsmn templum chalcosteiim ergibt;
nach seiner Angabe glaubten spätere Vergilinterpreten, welche auch
sonst in Vergils Gedichte alles mögliche hineindeuteten, dafs der
Dichter bei der Beschreibung der Gründung Carthagos auf das
bekannte {ipsum) Heiligtum chalcosteum in Rom anspielte, keineswegs
in Carthago, von welcher Stadt .sich jene Erklärer keine Vorstellung
machen konnten. Auch sonst wird von den allegorischen Interpreten
2. B. Aeneas als der römische flamen (Dialis), Dido als die römische
ßaminica betrachtet. — Die in n. ig gerügte Form Herculens ist
wahrscheinlich in den westlichen Provinzen entstanden (s. § 19 a)
und erst durch das Militär nach dem Weltzentrum Rom gekommen;
ob auch nach dem entfernten Afrika, ist mindestens zweifelhaft.
Im übrigen ist die vulgärlateinische Sprache der ersten Jahrhunderte,
wie sie aus den Inschriften uns entgegentritt, in sämtUchen Provinzen
und in Italien fast immer die gleiche. Nur sehen gelingt es durch
Angaben von Grammatikern wie Consentius oder durch inschrift-
liche Zeugnisse — z. B. für den besonders in Rom häufigen neuen
Gen. Sing. Fem. auf -aes, vgl. zuletzt Pieske, de tit. Afric. qu. morph.
Diss. Breslau 19 13, 11 — Differenzen festzustellen, welche in Wirk-
lichkeit durch Rückschlüsse aus dem Romanischen, aber meistens
erst für die spätere Zeit, erschlossen werden können. Für Afrika
fehlt diese Möglichkeit und weitere sprachliche Indizien gegen die
Herkunft der App. aus dieser Provinz lassen sich nicht anführen.
Immerhin sei darauf hingewiesen, dafs der besonders in Rom und
in gewissen Teilen Italiens häufige Übergang des an), v zw b dafür
spricht, dafs baplo {<Cvapulo) , s. n. 215, in Rom gerügt wurde,
nicht in Afrika, wo dieser Lautwechsel weniger häufig ist, s. § 14.
— Aber schon die angeführten Belege genügen, um die Entstehung
von App. in der Reichshauptstadt zwischen den Jahren 200 und
320 sicherzustellen. Dort benutzte sie der Verfasser der Instituta,
mit welcher Schrift App. und einige anderen kleinen Traktate im
cod, Vindob. 17 erhalten sind. Ob diese Vereinigung schon im
vierten Jahrhundert in Rom stattfand und die Vorlage des Vindo-
bonensis von dort nach Bobbio kam, bleibt unsicher.
Herausgegeben wurde App. zum ersten Male von Endlicher und
Eichenfeld, Anal. Gramm. 1837, 443, deren Text in den Gramm.
Lat. von H. Keil IV, 197, 19 wieder abgedruckt wurde. Da« durch
Feuchtigkeit die Nummern 42, 43, 44, 51, 93 — 119, 147 — 176,
{219 — 227), ferner auch 29, 86 — 90, 196, 197 schwer zu lesen
sind, war es eine dankbare Aufgabe für W. Foerster in den Wien.
Stud. 14, 1892, 278 ff., den Text möglichst genau herauszugeben
und auf einer Lichtdrucktafel die Nummern 30 — 227 allgemein zu-
gänglich zu machen. Kurz vorher hatte sein Schüler, K. Ullmann
in den Rom. Forsch. VII, 145 — 226 App. durch Anführung lateinischer
Parallelstellen und der romanischen Fortsetzungen eingehend er-
läutert; lokalisieren möchte er App. in Süditalien. Durch den
gewaltigen Aufschwung der lateinischen Lautlehre und der roma-
nischen Philologie ist seitdem die damals verdienstvolle Arbeit völlig
überholt. Schliefslich stellte sich W. Heraeus in seiner Ausgabe
ALL XI 189g, 301 ff. nur das Ziel, das lateinische Material möglichst
vollständig anzuführen, ohne auf eine sprachliche Erklärung der
neuentstandenen Vulgärformen einzugehen. Dieser Aufgabe habe
ich mich unter dankbarer Benutzung der von meinen Vorgängern
geleisteten Arbeit ^ unterzogen.
' Vgl. noch Heraeus ALL XI, 64 und die palaeograph. Nachträge Gunder-
manns, Z. f. frz. Spr. und Litt. XV, 184 ff.
Was den Text selbst anbetrifft, sei, abgesehen von den im
Apparat erwähnten Verbesserungen, welche in der Hs. entweder
die erste Hand oder ein Korrektor angebracht hat, auf die ver-
schiedenen Zeichen aufmerksam gemacht, welche nicht ohne weiteres
verständlich sind. Durch •'. (■.•) soll zu n. Q vaclus (stait baclus), zu
n. i8 beide Formen, zu 28 die Wiederholung von gyrus, zu 44
br avium, zu 52 dolens, zu 118 wohl die Verwerfung von exlraneiis,
zu 212 die Anerkennung von thühiaculum (oder das einfache ti in
beiden Formen) getadelt werden; zu 146 verlangt der Unbekannte
mit Unrecht «0« ptisinnus, zu 65 vielleicht bractea (-ta) als gerügte
Form (s. Foerster 284); zu 74 scheint er auf die Verbesserung von
orbs aus z'urbs hinzuweisen, s. auch n. 71 und 137 und den
Apparatus; zu 77: 71011 frag ellum •'. merkwürdigerweise non/age/Zum',
zu 78: 'l-' calatus non galatus •!•• jedenfalls calathus zu fordern.
Aprus (139) und stropa (192) versah er wohl mit dem ••* Zeichen,
weil die Formen auch für ihn unbelegt waren. — Mit •:• scheint
er das ihm unbekannte pancarpus non parcarpus (45) gänzlich zu
verdammen, ebenfalls plasia non blasta (188). Weshalb auch zu
calceus non calcius (81) und 74, s. oben, das Zeichen steht, bleibt
unsicher; in n. 180 deutet es die Umstellung der beiden Formen
an. — Durch telebra :n: (125) und menetris ./ (147) zeigt an-
scheinend der Korrektor, dafs ihm auch tenebra und tneletris als
Vulgärformen geläufig sind, s. § 12. — Über einige Stenographica
s. den Apparatus zu 189 und Foerster S. 285.
II. Text.
(Eingeklammerte Buchslaben bind unleserlich; kurbiv gedruckte fehlen in der Hs.)
porphireticum marnior non pur- septizonium non septidonium
pureticum marmur vacua non vaqua
tolonium non toloneum 15 vacui non vaqui
speculum non speclum cultellum non cuntellum
masculus non masclus Marsias non Marsuas
5 vetulus non veclus f cannelam non canianus
vitulus non viclus Hercules non Herculens
vernaculus non vernaclus 20 columna non colomna
articulus non articlus pecten non pectinis
baculus non vaclus aquaeductus non aquiductus
10 angulus non anglus cithara non citera
iugulus non iuglus crista non crysta
calcostegis non calcosteis 25 formica non furmica
I porphyreticum .'' i* marm'r V 2^ fortasse telonium scrib., sed v.
§ 3a 9 vaclus •'. V 12^ an chalcostegis? 13 serpizonium non serpi-^
donium V, altera r oblitterata 18 •'. cannelam V, ?'. § 30
musivum non mus(e)um
exeqiizae non execiae
gyius non girus
ävus non aus
30 miles non milex
sobrius non suber
figulus uon figel
masculus non mascel
lanius non lanco
35 iuvencus non iuvenclus
barbarus non batbar
equs non ecus
coqus uon cocus
coquens non cocens
40 coqui non coci
acre non acrum
pauper mulier nou paupera muli(er)
carcer non car(car)
bravium non brabium
45 pancarpus non parcarpus
Theophilus non Izophilus
monofagia uon monol'agium
Byzacenus non Bizacinus
Capse«sis non Capsessis
50 catulus non catellus
[catulus non ca(te)llus]
dolens non dolium
calida non calda
frigida non Frieda
55 vinea non vinia
tristis non tristus
tersus non tertus
umbilicus non imbilicus
turma non torma
60 caelebs non celeps
ostium non osteum
Flavus non Flaus
cavea non cavia
seuatus non sinalus
65 brattea non bratlia
Cochlea non coclia
coc/ileare non cociiarium
palearium non paliarium
primipilaris non primipilarius
70 alveus non albeus
glomus non glovus
lancea non lancia
lavilla non failla
orbis non orbs
75 formosus non toimunsus
ausa non asa
flagellum non fragellum
calatus non galalus
digitus non dicitus
80 solea non solia
calceus non calcius
iecur non iocur
auris non oricla
Camera non cammara
85 pegma non peuma
cloaca non cluaca
festuca non fis(tuca)
ales non (alis)
facies nou fa(ces) «
90 cautes non c(autis)
plebes non plevis
vates non vatis
tabes non tavis
suppellex non superlex
95 apes non apis
26^ littera e evanuit secundum Foersterum, v. n. 204 27' exequae V
28 '. • non gyrus ;• V, corr. Endlicher, non goerus Haupt opp. III, 534
ßS'* iuaenclus V 42 sqq. inter cancellos posita in V discerni non possunt
44 *.• bravium V; brabium, ut videtur, V 45 •!• pancarpus V 45^ altera
r distingui non potest, fuitne n? 47 monofagia Baehrens, homfagium V,
omofagium Brandis de aspir. lat. p. 6 A. I, Heraeus omphacium Endlicher,
V. § 30 49I capsesis V 52* doleum in dolens correctum videtur v, § 5^'
praecedit ;• 53 utrumque dicitur V in marg, 55^ v\nea V 60^ celebs V
61^ osieum exhibere "videtur V 65 brallia •'. V 67 cocleare V, quod si
retines (Vel. Long. VII, 69, 13 -Ä".) 66 coclea scribendum est 71 glovus
(in globus corr, m. I [?]) non glomus •'. V, transposui ego, cf. § 19*^
74 •!• orbis non orbs •; V orbs e vurbs corr. V 77 •". flagellum non fra-
gellum • ; V 78 •]•; calatus non galatus •!•; V, calathus? 81 •'.• calceus V
86^ de o littera nihil certi constat 89 v. § 24«? 90 non cla (P) V
91* pleves V 94 uUumque (?) dicilur in marg. V
Hubes non nubs
suboles non subolis
vulpes non vulpis
palumbes non palumbus
100 lues non Ulis
dcses non desis
reses non resis
vepres non vepris
fames neu famis
105 clades non cladis
Syrtes non Syrtis
aedes non aedis
scdes non s:dis
proles non prolis
HO draco non dracco
oculus non oclus
aqua non acqua
alium non uleum
lilium non lileum
1 15 glis non (gl)iris
delirus non delerus
tinea non ti(nia)
exter non exttaneus
clamis nou cl^mus
120 vir non vyr
virgo non vyrgo
virga uon vyrga
occasio non occansio
caligo non calligo
125 tercbra non telebra
effemiuatus non imlimenatus
botruus non butro
grus non gruis
anser non ansar
130 tabula non tabla
puella non poella
balteus non b:dtius
tax non facla
vico capitis Africae non vico
Caput Africae
13s '^i^^o tabuli procoiisolis neu vico
tabulu proconsulis
vico castrorum non vico caslrae
vico strobili uon vico Irobili
teter non tetrus
aper non aprus
14a amycdala non amiddula
faseolus nou fassiolus
stabulum non stablum
triclinium non triclinu
dimidius non demidius
145 turma non torma
pusillus non pisinnus
meretrix non menetris
aries non ariex
pe(rsica) non pessica
150 dyh(entericus non disinte)ricus
opobalsamum nun ababalsamum
mensa non mesa
rauciis non ra[u]cus
auctor non autor
155 auctoritas non autoritas
ip(se) non ip(sus)
linteum non lintium
a( ) non ( )a
terraemotus non teiiiraotium
160 noxius non noxeus
coruscus non scoriscus
tonitru nou tonotru
passer non passar
anser non ansar
i6^ hirundo non herundo
106' S*^fis V, fuitne (sertis =) sirtis corr, in syrtis? 115 gliris, «0«
liris, le£'t videtur in V I18 ;• exler non extraneus ;• V II9' vix
chlamys legendum, minime clamis, i. e. chlamis, legitur in V 125 telebra
:n : V 131^ poUa V 134 Atricae f {in fine lineae) non V 135I tabulp
in tabuli corr. V, super i add. e. m. 2 l37non vico btrobili •*• V, z'. § 186
139 aprus •; V \\o f or fasse -dola, non -dula legitur in V; priore loco
.p.
fortasse amygdala scribendum 141 fas'olus non fassiolus V, estne non
passiolus legejidump, i». § 56 146 pusinüus non pisinnus • '. V 147 menetris
.\ V 151 opobalsaium uon ababalsamum V 152 sie legitur, ni fallor,
in V 153 racus Niedermajtn Mus. Rhen. 60 (1905), 458, raucus V, certe
minime draucus legendum 158 de coniecturis parum probabilibus v. Foerster
Stud. Vindob. 14, 306 , Heraeiis ALL XI, 334, § 30. 165 herundo, non
harundo legi videtur in V, sane ita resiituendum, v. § 6c
obstetrix non opF(etris)
capitulum non capiclum
noverca non novarca
nurus non nura
170 socrus non socra
ncptis non nepticla
anus non anutla
tondeo non dctundo
rivus non rius
175 imago non ( )
pavor non paor
coluber non colober
adipes non alipes
sibilus non sifilus
180 frustum non frustrum
plebs non pieps
garrulus non garulus
parentalia non parantalia
cöelebs non celcps
185 poples non poplex
locuples non locuplex
robigo non rubigo
plasia non blasta
bipennis non biplnnis
190 Äermeneumata non erminouiata
tymum non tiimum
strofa non stropa
bitumen non butumen
niergus non mevgulus
195 myrta non murta
zizipu(s) non zizup(u)s
iunipirns non {iu)niperus
tolerabilis non toleravilis
basilica non bassilica
200 Uibula non tribla
viridis non virdis
constabilitus non coustab[i]litus
Sirena non Serena
musiumvel niusivum nun museum
205 labsus non lapsus
orilegium non orologiuin
hostiae non osliae
Fcbiuarius non Febrarius
clalri non cracli
210 allec non allcx
rabidus non rabiosus
tintinaculum non tintinabulum
Adon non Adoniiis
giundio non grunnio
215 vapulo non baplo
necne non necnec
passim non passi
numquil non nimquit
numquam non numqua
220 nobiscum non noscum
vobiscum non voscum
ncscioubi non ncsciocube
pridem non pride
olim non oli
225 adiiuc non aduc *
idem non ide
anfora non ampora
166 obstetrix non certo legitur in V 171 nepticla V 173* tuudeo V
175 ^' § S^ 180 ••• frustrum non frustum V \%\ celebs non celips V,
an celips? sed cf. n. 60 188 •:• plasia V 189, (204,) 2t I, 214 post bipinnis
cett. legitur utrumque dicitur (?) m V 190 ermeneumata V 192^ stropa
.a. •:• V 197' iunjepirus V 197'^ num non ieniperus? 198 toleravilis
non tolerabilis V 200^ tripla in tribla corr. V 202''' non constabilitus V^
z». § 26 204 vel e non correxisse videttir V 206 v. § 28 207 osliae
I :,!
non hostiae V 209^ gfatu (a) V; glalri rccogiiovit Leo, quod vix approbavit
App. 212 tintinabulum ;• V 218^ mimquit V corr. Heracus ALL XI, b^^
220 uoviscum V 225 adhuc ex adhus corr. V
III. Kommentar.
A. Die vulgärlateinische Betonung (§ i).
Während die lateinische Tonstelle im allgemeinen auch in
den romanischen Sprachen festgehalten wird, gibt es zwei Wort-
klassen, welche im Vulgärlatein und im Romanischen eine Veränderung
der Tonlage aufweisen. Erstens (i) ist vor Mula + ^> obwohl die
Silbengrenze vor die Muta fällt, die Pänultima auch dann betont,
wenn sie offen, d. h. urspr. kurz ist: int§'-grum, vgl. it. intiero, frz.
entter, span. entero. — Sodann liegt (2) in der Verbindung -ig- und
z. T. auch in -i^- mit folgender Schlufssilbe der Akzent nicht auf
dem ersten, sondern auf dem zweiten Vokal: filiölum, midierem.
Dagegen zeigt paretevi (vgl. CIL VI, 3714: pareks, it. parde,
frz. paroi usw.) u. a., dafs unter gewissen Umständen -i^- zu -/-
wurde; beide Erscheinungen, viuli§rem und paretem, sind scharf zu
trennen, vgl. Meyer-Lübke Einf. 3 (1920), 136 flf. — Da diese Ver-
änderungen der Tonlage keine befriedigende Erklärung fanden,
mufs eine kurze Erörterung folgen.
I. Die erste Veränderung ist nach F. Neumann Z. f. rom. Ph.
XX, 5 ig ff. und Meyer-Lübke Einf. 3, 142 so vor sich gegangen, dafs
das r silbisch wurde und einen Vokal entwickelte: integrum >
integ^rum. Auch de Groot, Die Anaptyxe im Lateinischen 192 1, 41,
schliefst sich dieser Ansicht an; nur habe nach ihm vielmehr die
energisch gesprochene Muta den Vokal hervorgerufen. Diese Er-
klärung trägt aber dem erhaltenen Material zu wenig Rechnung
(vgl. [Berl.] Phil. Woch. 1922, 179): wohl finden wir Anaptyxe
zwischen Muta und Liquida gelegentlich im Anlaut — vgl. z. B.
Terebonios CIL I (2, 1)2, t^^-, Cerescenti lll, 4908 a — , dagegen im
Inlaut nur in einem sicheren Beispiel, CIL VI, 10554: 7tutirices =
nutrices mit kleinem i zwischen t und r {inagisteratus u. a. scheidet
aus, weil Einfiufs von magisier vorliegen kann). Da mehrere
sichere Belege für den Svarabhaktivokal zwischen Muta und r im
Inlaut fehlen und nicht zufällig fehlen, ist die Erklärung tenehrae >
tene¥rae abzuweisen. Während nämlich zwischen anderen Kon-
sonanten im Inlaut die Anaptyxe weniger selten ist — vgl. z. B.
Ocetavi CIL VIII, 6239; Sepehnyiiemis XIII, 7109 — , konnte sich
zwischen Muta und r in der Wortmitte ein Vokal deshalb kaum
entwickeln, weil zu derselben Zeit vielmehr die der Anaptyxe ent-
gegengesetzte Erscheinung der Synkope zwischen Muta und Liquida
im Inlaut häufig war, wofür es genügt auf das über das ganze
Gebiet verbreitete vetranus (z. B. CIL VI, 2579, 3450a, XII, 173Q),
auf socruni, socro (VIII, 14683, 21320, vgl. span. jw^^rc», nprov.
sogre [-0) und Pieske a. a. O. 23 3, auch § 23) hinzuweisen. Die
Verbindung Muta -|- r begünstigt Synkope des zwischenstehenden
Vokals, lehnt dagegen Anaptyxe im Grofsen und Ganzen ab.
Eine anders Erklärung hat Ed. Hermann KZ 48 (19 18), 102
versucht. Da nach Ausweis des e im vorhistorischen Latein einmal
10
die Silbentrennung cönsec-ro, impel-ro, integ-rum vorhanden gewesen
sein mufs (vgl. rcfel-lo; consa-cro wäre zu consi-cro geworden), glaubt
Hermann, dafs der auf der damals geschlossenen Pänultima ruhende
Nebenton: int^g-riwi, pelkceb-rae sich auch nach der Silbenöffnung,
welche in vorliterarische Zeit zurückgeht, erhalten habe: bUe-grurn,
pellece-hrae; als dann später die alte Betonung dem Dreisilbengesetz;
Platz machte, sei im Hochlatein die drittletzte Silbe betont worden
[pellece-brae, inie-gruvi), während in dem damaligen Vulgärlatein der
Nebenton zum Hauptton wurde: inie-gium, pHlece-hrae ^ inU-griivi,
pellece-brae. Es springt in die Augen, dafs der jedenfalls schwache
Nebenton in integ-rum nach der Silbenöffnung noch weniger stark
war und wohl inte-grlnn akzentuiert wurde. Aber auch wenn die
Pänultima in mte-grum einen schwachen Nebenton von integ-rum
bekam, war dieser sicherlich nicht im Stande, die altererbte Be-
tonung der ersten Silbe: integrum zu beseitigen. Deshalb kann
auch pellece-brae nicht aus einem pellece-brae entstanden sein.
Dennoch trägt Hermanns Versuch den Keim der richtigen
Erklärung in sich. Wir müssen nur annehmen, dafs die Öifnung
der Pänultima nicht vor, sondern erst nach dem Eintreten des
Dreisilbengesetzes vor sich gegangen ist, als dieses aus integ-rum,
pelleceb-rae schon ein integ-rum, pelkceb-rae gemacht hatte. Als
dann nach Öffnung der vorletzten Silbe intig-rum zu inte-grum
wurde, hat das Hochlatein dem Dreisilbengesetze entsprechend
inte-grum, pellec'e-brae betont, dagegen die damalige Volkssprache
an dem alten Akzent: inte-grum, pellece-brae festgehalten, obwohl
er jetzt gegen die Regel verstiefs. Da die älteste Dichtung durch-
aus inte-grum, niemals integrum zeigt, mufs die Silbenöffnung und
die Veränderung der Tonlage im Hochlatein zwischen dem Drei-
silbengesetz und der frühesten römischen Literatur liegen. Pläutus
hat niemals die vulgäre Betonung inte-grum angewandt, wie er z. B.
auch den zu seiner Zeit in Rom volkstümlichen, nicht nur
dialektischen Nom. Plur. auf -as (vgl. K. Meister IE 26, 82) von
seinen Komödien ferne gehalten hat, Sommer Erläut. 101. — Als
seit Ennius die Dichter nach griechischer Technik die Positionslänge
vor Muta und Liquida gelegentlich gelten liefsen (vgl. z. B. L. Müller,
de re metr. 383), fanden sie für die Betonung der Pänultima z.T.
eine gewisse Stütze in der Umgangsprache; man vgl. z. B. Furius
Bibaculus frg. 5 Fr. PL 318 Baehr.): . . . Cumana meretrix mit dem
volkstümlichen mere-trix. Für unsere Zwecke genügt es, festzu-
stellen, dafs n. 147 menetris und 166 opsetris betont wurde,
vgl. § 12.
2. Der erwähnte Gegensatz zwischen are'tem, paretem, abe'tem und
muli§'rem, filipluin verbietet mit A. Horning Z. f. r. Ph. VII, 572 und
F. Neumann XIV, 547 beide Erscheinungen in derselben Weise zu
erklären, dafs nl. von den beiden zusammenstofsenden Vokalen,
welche diphthongisch wurden, der schallkräftigere den Ton bekam.
Auch wäre die Annahme sehr bedenklich, dafs betontes / seinen
Akzent an den unbetonten Vokal abgegeben hätte, vgl. Cohn, die
1 1
Suffixwandlungen im Vulgärlat. 1891, 243; ^Sxi.hien'y' hiin (Voretzsch
Einf. '^ 1918, 61) sagt für vulgäiiat. inuli^rem <C midierem nichts aus.
— Vielleicht durch ähnliche Gründe veranlafst, will Hermann auch
diese Tonveränderungen ins vorhistorische Latein zurückvcrlegen,
dafs nl. aus dem hypothetischen Nebenton va pärietem beim Eintreten
des Dreisilbengesetzes ein volkstümliches /ßr/<//^?« wurde; eine Wider-
legung dürfte nach dem oben Gesagten überflüssig sein. Vielmehr
spricht die Ratio dafür, dafs der Hauptstofs zu der neuen Betonung
von dem sämtlichen Formen gemeinsamen Hiatus / ausgegangen
ist und die verschiedene Entwickelung in aretem und muli§'rem
durch die umgebenden Laute bedingt war. Da aber das betonte
/ der Casus obliqui keineswegs seinen Akzent zu Gunsten des
folgenden Vokals verlieren konnte, mufs der Wandel im Nominativ
vor sich gegangen sein und mit Recht hat schon Thurneysen
KZ 30 (iSgo), 502 für den Typus aretem vermutet, dafs zuerst
äries zu arls"^ und a?-ietibus zu aretibus wurde und das e auf ana-
logischem Wege sich in den übrigen Casus: ar'etis usw. durchgesetzt
hat; vgl. auch Varro 1. 1. V 98: aries -j- gui eam (qnidam?) dicebant
ares und § 256. Bestätigt wird diese Ansicht einigermafsen auch
durch die Dichtersprache, welche wohl in Anlehnung an die Um-
gangssprache, aber mit irrationeller Beibehaltung des i eine dem
vulgären Lautwandel -' /? >• ' e analoge Entwickelung —/? > —ie
zeigt: auch hier treten zuerst nur Nominative auf, vgl. aries (vor
der Caesur bei Lucil 460 M., Vergil Ecl. 3, 95 usw.), abies Vergil
Ecl. 7, 66 usw. mit einem e, das nicht lautgesetzlich sein kann, vgl.
equcs <i equets — unsicheres mills nur Plaut. Mil. 528 — und
K.Meister Lat. - Gr. Eigennamen 19 16, 24. Erst Statius hat sich
neben ariltibus (Theb. 2, 492) auch ein et ärjete sonor 0 (10, 527)
erlaubt. 2 Wohl schon zur Zeit des Lucilius wurde unbetontes ie
vor ausl. s in der Volkssprache gelegentlich zu e. Wann die neuen
Formen sich, zuerst im Nom. Sing. (Abi. Plur.), durchsetzten, läfst
sich mit unsern Mitteln nicht entscheiden. Die Instituta IV, Sg, loK.:
quaeritur a. Plinio . . . paries . . . qua de causa non ... ad e pro-
dudiim pertinere prommtietur beweisen keineswegs, dafs zur Zeit des
Plinius nicht paretem gesprochen wurde; denn in der Sprache
der Grammatiker bedeutet non prominfiatur soviel wie non licet
pronuntiare.
2 b. Auch die Entwickelung von mulier mufs vom Nom. Sing,
(u. Abi. 'Plur.) ausgegangen sein. Die verschiedene Behandlung
des ie in mulif'rern und paretem (nach pares, pares) ist nur durch die
Wirkung der umgebenden Konsonanten, welche verschieden sind,
zu erklären. Meyer-Lübke Einf. 3 erblickt den Grund für das
Unterbleiben der Kontraktion ie y^ e in mulierem in dem Einfluls
des r; ohne Zweifel mit Recht, aber nicht das inlaut. r der Casus
1 Aus hochlat. aries entwickelte sich später wieder vulg. ariex, s. § i8a.
^ Ein hiemem fehlt dementsprechend in der Dichtersprache, weil hiems
auch im Nomin. betontes J hatte.
12
obliqui, sondern nur das ausl. r des Nom. mulier stand der (Kon-
traktion und) Dehnung ie >■ l im Wege, da -ir, nicht auch -er-,
im Lateinischen fehlt. Aufserdein ist aber zu beachten, dafs das
/ ein / vorhergeht, das für die MouilHerung am meisten empfänglich
war, vgl. z. B. das aus aPejimn << alienu?}i^ entstandene span. ajeno,
pg. alheo gegenüber quietus > quetus (CIL VI, 371 1 = 31 1009
aus der 2. Hälfte des 2. Jhdts.). Die verschiedene Entwickelung
von midier und abies usw. erklärt sich also durch die -ie- umgeben-
den Konsonanten. Aber nur im Nom. Sing, konnte unbetontes i
das / mouillieren und zugleich das ausl. r der Verbindung von ie
>> e entgegentreten. Wie ares, arietis zu ar'es, aretis wurde, so
übernahmen auch die Casus obliqui von vmVer das mouillierte /.
Nach diesem neuen mouillierten /' war für das betonte / von mtdieris
usw. selbstverständlich kein Platz mehr. Der Ton hätte nun
eigentlich auf die erste Silbe verlegt werden müssen: mül'eris usw.;
da aber seit ältester Zeit im Gegensatz zu dem Nominativ die
Casus obliqui den Akzent immer auf der Silbe nach dem / trugen,
so wurde der dem Ohr gewohnte Rythmus auch jetzt in der
Vulgärsprache beibehalten und nach midier (müVer), midieris stets
rnnVer, mtdieris, mit dem Ton nach dem /, akzentuiert. Auch das
wohl zugleich mit müVer entstandene muPirihus mag seinen Einflufs
geübt haben. 2
Die Entwickelung von filiolus > filiölus verlief in paralleler
Weise, nur das hier auch im Nom. Sing, das i betont war und
sämtliche Casus ihr mouilliertes /' vom Stammwort _^7'?/j übernahmen,
dessen unbetontes i sich in allen Formen mit dem / eng verband.
Aus den erwähnten rythmischen Gründen wurde nicht fiPolus,
sondern fil'öltis betont, das sich hinsichtlich des Ak/.entes zu fiVus
verhält, wie filiolus zu filius. Dieselbe Erklärung trifft zu für araneölus
und verwandte Wörter, in. denen Hiatus -e (> i) oder -/ den
vorhergehenden Konsonanten früher oder später mouillierte. In
Vokabeln wie capreölus wird Analogie im Spiele sein. Da die Be-
tonung -ölus allgemein wurde, trug wohl auch das § 5 b behandelte
Lehnwort fassiölus (n. 141) den Akzent schon auf der Pänultima.
B. Vokalismus.
§ 2. Synkope.
Trotz der lebhaften Erörterungen der letzten Dezennien sind
die Hauptprobleme der lat. Synkope noch keineswegs gelöst.
Osthoflfs Prinzip der Allegro- und Lentoformen (ALL IV, 464)
erklärt wohl das Nebeneinanderstehen von calidus und caldusy nicht
1 In ahalenare CIL VI, 14930 usw. kann / nur eine unvollkommene
Schreibung des mouillierten l sein, wie in ßlus ^filius (Pirson, la bngue des
Inscr. de la Gaule 1901, 58).
2 mulierem des Dracontius schliefst sich, wie arils usw., nur z. T. an
die Volkssprache an.
»3
aber das Eintreten der Synkope in olfacio, das Unterbleiben in
patefacio. — Die bes. von Vendryes ^ vertretene Hypothese (de
rintensite initiale Paris IQ02, 185), nach Melcher Vokalschwund
nur stattfand, wenn das folgende Wortende mehr als eine Mora
betrug, zwingt zu der Annahme, dafs die häutigeren Nom. und
Akkus, (colidus, caliduni), calidä(m) sich nach den selteneren Casus
obliqui caldl usw. und dem selteneren Comparativ (Superlativ)
richteten, sodafs schliefslich caldus (-vi), calda (-m) sich durchsetzten.
Und C. Juret, Dominance et r^sistance (1913), 143 ff-, der glaubt,
dafs nur nach langem Vokal der folgende kurze Vokal durch eine
Sonans (r, /, m, n) synkopiert wurde, mufs caldus, soldus < cälidus,
sülidus als Analogiebildungen nach ardus usw. betrachten. Richtig,
nur in ihrer starren Konsequenz übertrieben ist die übrigens schon
oft gemachte Beobachtung, dafs besonders häufig eine vokalhaltige
Sonans {in, n, r, /, auch /, ii) die Vokalabsorption [pcraäio < pe)--
quatio) und die eigentliche Synkope (caldus) begünstigte, vgl. auch
olfacio {calfacio) neben patefacio. Es darf aber niemals von Gesetzen,
sondern nur von gewissen Tendenzen geredet werden.
Bei der Frage nach dem Eintreten oder Ausbleiben der Synkope
müssen m. E. folgende Momente berücksichtigt worden: i. der zu
synkopierende Vokal; dieser ist, [abgesehen von Synkope in der
Kompositionsfuge {corono — la^ corolla)'\ fast immer e i ü, während
nur bei sogen. Vokalabsorption [percuiio << perquatid) a häufig schwand. 2
— 2. die umgebenden Konsonanten: aufser r, /, m, n, i, u
konnten bes. zwei gleiche Laute die Synkope begünstigen, vgl,
reddo <i redido (anders Thurneysen KZ 44 [ig 11], 113), reiiuli <,
retetuli usw.; auch zwischen freien Verschlufslauten gleicher Artiku-
lationsstelle ist Synkope nicht selten, vgl. cedate > cedite >> celte;
madiitis "^ mattus; ebenfalls zwischen j und /, vgl. postus <^ posihis.
Im Vulgärlatein tritt auch zwischen gutturalen und dentalen Ver-
schlufslauten gleicher Stimmtonverhältnisse [frigdus) und in den Ver-
bindungen avi, avu -\- Kons, {auca ■< avica, taula <C taviila <C tabula')
Synkope ein, vgl. Schwan -Behrens, Gramm, des Altfrz. n § 19. —
3. der Akzent: des öfteren unterbleibt die Synkope (z.T.) bei
vorhergehendem Akzent, während dasselbe Wort bei nachfolgender
Betonung synkopiert wird; man vergleiche dext(e)ra neben dextrorsum,
cal(i)dus neben caldariwn, posteri neben postridie, discipidus neben
disciplina. Da die Aussprache eines Wortes nach der betonten Silbe
hindrängt, konnte der unmittelbar vor dem Ton stehende Vokal
am ehesten ausgestofsen werden; auch ist vortonige Synkope nur
in vier- oder mehrsilbigen Vokabeln möglich, in denen die Dauer
der völlig unbetonten Silben noch geringer ist als in kürzeren
Wörtern. Was im Lateinischen Tendenz ist, wird im Altfrz, Gesetz
(lex Darmesteteriana), nach dem jeder vortonige Vokal aufser a
1 So schon V.Planta, Gramm, der Osk.-Umbr. Dial. 1,214; Barbelenet,
Bull. Soc. Ling. 38, 89.
^ Unsicher sind die Beispiele Sommers, Hb.* 134, für Synkope des a.
14
vor leichter Konsonanz schwindet. — 4. die Beziehung zum
folgenden Worte: bildet ein Adverb oder eine Präposition mit
dem folgenden Wort ein Ganzes, so kann mit uneigenllicher Synkope
der unbetonte Vokal auch dann ausfallen, wenn die Tonsilbe rächt
unmittelbar folgt, man vgl. valde mdgiiu/n, siipra mensain, infra ihrain
neben validus, super i, inferi\ diese Formen führen noch Stolz Lat.
Gr.'' 170 und Niedermann Mist. Lautl.2 (iqii), 25 zugunsten des
von Planta und Vendryes aufgestellten Gesetzes an.
Nach diesen einleitenden Bemerkungen gehen wir zu den
Beispielen der App. über:
a) 53 calida noii calda
54 frigida non fricda
201 viridis non virdis
CalJjis und 7Hrdis sind allgemein romanisch, frigdus lebt z. T.
in Romania fort, vgl. Meyer-Lübke Wb. 1506, 9368 a, 3512 u. unten.
— Die synkopierten Bildungen von calidus und frigidus führt App.
in der weiblichen, nicht in der männlichen Form an und es drängt
sich die Frage auf, ob gerade calda und frigda (sc. aqua) in der
Umgangssprache der Bäder liebenden Römer häufig waren und
App. zur Anwendung des Femininum veranlafsten. In der Tat
finden wir trotz des Zeugnisses Quintilians (i, 6, 19), dafs Augustus
jedenfalls in der gebildeten Umgangssprache caldus angewandt sehen
möchte — vgl. auch Norden zu Verg. Aen. VI2, 195 — für caldus
nur wenige Beispiele in den Hss., wie Thes. L. L. s. v. ausdrücklich
bemerkt, und zwar bei Cato, Varro, Vitruv, Plin. major, Petron,
Seneca jun., Columella, Scribonius Largus, also hauptsächlich bei
Fachschriftstellern und in mehr vulgär gefärbten Schriften, während
von den bedeutenden Dichtern bezeichnenderweise nur die Satiriker
Lucilius {268, 291 M.), Horaz (Bat. i, 3. 53) und Martial caldus an-
gewandt haben. Dagegen gibt es für das zuerst bei Cato de agr.
6, I u. 75 und Varro RR I, 13 auftretende calda so zahlreiche Belege
seit Seneca filius, dafs die auf Grund von App. vermutete Vorliebe
der Volkssprache für calda, sc. aqua, in der häufigen Anwendung
derselben Form in der Schriftsprache eine Bestätigung findet. Zu
demselben Ergebnis führt auch das für App. so wichtige Glossen-
material, vgl. auch J. Gerhards, Beitr. zur Kenntnis der prähist.
Franz. Synkope usw. = Beih. z. Z. f. Rom. Phil. 55 [19 13], 63. Dort
finden wir nl. gegenüber neun Belegen für calidus — V, 13, 3 =
51, 17 (?) mit Substantiv verbunden — und elf für calidum (11,96, ig;
327,60; III, 145,51; 255,48 usw. — 11,321, 59; 327,59; 111,7.43;
145,50 usw.; Goetz Thes. Gloss. em. s. v.) nur einmal calduvi und
niemals caldus, man vergl. 111,522,38: termon caldum {calidum a).
Dagegen ist umgekehrt siebenmal calda belegt und zwar des öfteren
in denselben Texten, welche auch calidus bieten (11,96, 26; 327,59;
496,38; 545,13; 111,338,50 usw.) und nur zweimal nicht syn-
kopiertes calida (111,75,45; 184,30); in charakteristischer Weise
Stehen 11,327,59: ß-sQf/ov heccalda, calidum beide Formen neben-
15
einander, — Die besondere Beliebtheit von calda dürfte damit
gesichert sein. Etwas weiter führen andere Glossen, in denen calda
mit aqua verbunden ist. Geht aqua(e) vorher, so steht fast immer
calida(e) — vgl. 111,184, 33; 3o6, 20; 522, 26; IV, 29, 20; 429,38 — ,
während nur 111,315,35 aqua calda belegt ist; steht dagegen aqua
an zweiter Stelle, so begegnet nur calda (II, 440, i8; 496, 43; 522, 2;
111,87,66; 440,61; 476,55; 467,53). Besonders wichtig sind
11,440, 18: haeccaldaqua und 11,496,43: in calidaZaqna konnte sehr
leicht durch vortonige Synkope der kurze 2- Vokal schwinden und
auch mit dem häufigen calda aqua der Glossen wird für die Aus-
sprache calda^aqua gemeint sein, wie mit der inschriftlichen Formel
cura agente = curam agenie — z. B. CIL VI, 8826 [102 n. Chr.],
Diehl de -m finali epigr. 1899, 208 — wohl curagente, das seltener
belegt ist. Calda aqua und dann auch calda waren also sehr beliebt
in der Umgangssprache. Wenn Scribonius Largus am Ende des
ersten Jhdts. blofs einmal calda aqua und siebenmal aqua calda ge-
braucht, so zeigt die häufige Anwendung der sekundären Form nur,
dafs das primäre calda" aqua viel älter sein mufs. Bei Vitruv 5, 10, i
(anders Varro I. 1. 5, 25) steht aquae caldae in enger Verbindung
mit caldariwn.
An der Vitruvstelle steht neben caldaritim öfters nicht synkopiertes
frigidarium', und Vario 1. 1. 5, 25: aquae frlgidae et caldae und Petron
c. 67 : caldum ineiere et frigidum polare (in einem vulgären Gespräch)
zeigen ganz klar, dafs Synkope des Adjektivums frigidus nicht
allgemein üblich war. Dementsprechend weisen die Glossen zwar
z. B. frigdärium (V, 619, 35) neben frigidarium (-0) mit nachtoniger
Synkope auf, nie dagegen {frigdus oder) frigda, während calda
öfters belegt ist. Die Erklärung für diesen Unterschied geben vor
allem die Konsonanten g und d, zwischen denen Synkope erst
später eintrat. Da nicht synkopiertes frigidus lange weiter lebte,
werden wir das kurze /, das bekanntlich frz. froid, it. freddo voraus-
setzen, in der Weise zu erklären haben, dafs schon frigidus unter
Einflufs von rigidus zu frigidus, nicht erst frigdus durch rigdus zu
frigdus wurde. Mit der dauerhaften Existenz von nicht synkopiertem
frigidus stünde das schon vor 79 n. Chr. bezeugte frulus — CIL
IV, 1291: da fridam pusillam — , dessen weite Verbreitung aspan.
frido erweist, in Widerspruch, wenn es mit der üblichen Etymologie
fr'idus <ifriddus <C frigdus seine Richtigkeit hätte; weil, wie gesagt,
die Natur der umgebenden Konsonanten die Synkope nicht be-
günstigte, ist f'ldus anders zu erklären und mit v. Ettmayer Arch
f. d. Stad. d. neuer. Spr. und Lit. 128 NF 28 (1912), 37 anzunehmen,
dafs (aspan. frido und) vulgärlat. friduvi auf ein frigidum zurück-
gehen, dessen g zwischen den fast gleichen (f, z) oder völlig gleichen
Vokalen [frigidus nach rigidus) schon früh zu j wurde und vor
79 n. Chr. schwand; frljidus {frijidus) wurde zu fr'idus. Nur auf
diesem Wege läfst sich die verschiedene Entwickelung von digitus
im Romanischen erklären, s. § 16 g. — Frigdus bürgerte sich später
ein als caldus; vielleicht wurde zuerst das in App. angeführte fricda,
i6
sc. aqua (über das c s. § 4) gebräuchlich, möglicherweise im An-
schlufs an calda. Jedenfalls beweist auch fricda die ziemlich späte
Abfassungszeit der App.
Für viridis waren durch das r die Sj'nkopebedingungen günstig.
Dementsprechend findet sich nicht nur virdidriwn häufig — vgl.
für virdesco CGI. IV, 597, 8 — , sondern kommt auch vtrdis selbst
mit vortoniger Synkope schon einmal bei Cato de agr. 145, 3:
virdem oleum vor.
b) I. 3 spectdutn 7ion specliiin 3. 4 tnasciilus non maslus
IG angulus non anglus 7 vernacidus nonvernachis
1 1 iiigulus non iuglus S articidus non articlus
III oculus non oclus 35 iicvenciis non iiivenclus
9 bacidus non vaclus 1 7 1 neptis non nepticla
5 vetulus non veclus 172 anus fi07i anucla
6 vitulus non vicliis 4. 32 ß^ulus nun ßgel
167 capitiduni non capiclum 33 tnasctdus non mascel
2. 142 stdbiduin non stahltim 133 fax non facla
130 tabula non tahla 202 constabiUtus non consta-
200 tribula 710 n ti'fbla b[i]litns
215 vapido 7ion baplo
Mit Hilfe von Gradenwitz's Laterculi (1904) läfst sich leicht
feststellen, dafs die wenigen lateinischen Vokabeln auf -dum, -blu?n,
-cla,'^ -hla, clus — über Plautin. perichan s. unten — spätere Lehn-
wörter sind, wie arab. dabla, hebr.-gr. siclus, oder erst nachträglich
in der Umgangssprache aus den volleren Formen -culum, -buliim
usw. neugebildet sind, z. B. laterclus, fibla usw. Im ältesten Latein
gab es nur einige Vokabeln auf -phim, entweder mit urspr. p wie
in templmn (vgl. tempus) oder mit einem zur Erleichterung der Aus-
sprache eingeschobenen / wie in a7n-p-la und exem-p-lum {exivid).'^
Dementsprechend wurde in den alten Suffixen -dhlom > -blom und
-tlom >> -dorn, welche den Ort, wo etwas geschieht, und das Werk-
zeug bezeichnen, ein anaptyxisches ti eingeschoben 3 und wir dürfen
nicht mit Vendryes 266 und de Groot 60 unter Ablehnung vor-
historischer Anaptyxe in dem u von -buhivi und -adnm blofs
analogischen Einflufs von anderen Vokabeln auf -idus [culus] er-
blicken. Da aber Plautus altes -clus, -da, -dum benutzt und -culus
(-«, -twi) bekanntlich fast nur am Ende des (Halb-) Verses zuläfst —
Jacobssohn Quaest. Plautin. Diss. Göttingen 1904, lof. — so könnte
man meinen, dafs zu seiner Zeit cubidum in der Volkssprache
lebendig war und die gleiche Form des späteren Vulgärlateins die
direkte Fortsetzung sei. Aber Plautus kann archaisieren und an-
gesichts der starken Tendenz der späteren Umgangssprache in
' adsecula ist seit Cicero bis Hieronymus regelmäfsig ; nur Nepos Altic.
6, 4 hat einmal assecla.
2 7mdtiplus, duplus usw. kommen niclit in Betracht.
'^ Lehrreich ist slabiilufn, piacidu/n neben umVjr. staflarem, pdiadu.
17
ähnlichen Endungen zu synkopieren sind die vielen jüngeren Formen
wie cuhiclum usw. ohne Zweifel Neubildungen. — Wäre -hluvi {-bla)
zur Zeit des Plautus noch gesprochen worden oder ihm als alte
Form bekannt, so hätte er sie, wie -dum in cuhiclum, sicherlich
neben -bulum [-a) angewandt. Wir dürfen also das schon für
III V. Chr. bezeugte tableis CIL 12,585,46 nicht auf gleiche Stufe
mit umbr. lafle stellen, sondern das aus tabla (<< -dhlci) entstandene
tabula wurde schon früh wieder synkopiert; hat doch schon Lucrez,
wie wir sehen werden, ein singlariter aus der Volkssprache auf-
genommen. Die von App. gerügten Bildungen stablum, tabla, trihla
sind also etwa seit dem Ende des 2. Jhdts. v. Chr. neu entstanden.
Seit der Zeit sind auch die übrigen verworfenen Formen aufgekornmen,
welche alle ein ursprüngliches u zeigen; masctdus und die unter 3.
aufgezählten Vokabeln zeigen das Deminutivsuffix -culus [-Ins in
iuve7iclus); iugulus vergleiche man mit ai. iugalam (und lugtim)', angulus
(zu ancus) mit unguhis (F'estus 375 M. : Oscorum lingua anulus und
Ernout Elem. dial. du vocab. lat. 1909, 243), das zu tincus gehört,
und ai. arigülih 'Finger', anguliyam 'Ring'; hier zeigt sich die
Synkope im umbr. anglome am ehesten. — Vetulus gehört zu vetus 1,
vitu-lus 'Jährling' zu einem gr. ftrog entsprechendem Substantiv; im
Umbrischen ist vitluf bezeugt. Auch in ocuhis vom Stamme *oqli
(djr-) ist 11 vor dem Suffix -los ursprünglich. Mit speculiwi vgl. aufser
iaculum besonders decipulum mit urspr. u im Gegensatz zu templum.
— Baculum ist nicht mit Walde^ aus hac-tlom entstanden zu denken
(zu subst. bac- wäre das Suffix unpassend), sondern in bac-u-lufti zu
zerlegen mit einem wohl uralten u. Unklar bleibt vapulo; über
facula s. unten.
Dafs diese im ältesten Latein verworfene Synkope etwa seit
dem Ende des 2. Jhdts. üblich wurde, beweist auch Lucrez, der
VI, 1088: inter se quaedam possint coplata teneri und 1067: quae
viemorare queam inter se singlariter apta schreibt, beide Male mit
vortoniger Synkope im fünftem Fufse, und zwar im letzten Teile
des 6. Buches, der auch sonst merkwürdige metrische Freiheiten
bietet — über aqua oder aqua s. § 13 — und dessen späte Ab-
fassung auch Müssehl, de Lucr. libr. I condicione, Diss. Greifswald
igi2, 121 und H. Diels Berl. Sitz.-Ber. 191 8, 916 nicht für alle
Teile in Abrede stellen. Zwar ist singlariter nur im Cod. Flor. 35,31
überliefert (die Haupthss. haben singulariter), aber Lachmanns
Vermutung inter singillariter apta ist auch metrisch unrichtig, da
nach Mirgel, de Synal. et caes. in vers. hexam. Latin, Diss. Göttingen
19 10, 35 Lucrez die Caesur xara rbv xq'lxov tqox- oder die
sogen. Hephthemimeris anwendet, wenn die dritte Arsis durch die
Stammsilbe eines nicht einsilbigen Wortes ausgefüllt wird: das
1 vettis kaum mit Skutsch ALL XV, 35 als adjektiviertes Substantiv =
FsxOQ zu betrachten; da vetus wohl von Anfang an zu den verschiedensten
Substantiva hinzugefügt wurde, kann es nicht zuerst in vetus vünim (ein Jahr
alt>alt[!]) seine Bedeutung geändert haben (Persson, Glotta 6, 89).
Baehrens, Spi-achl Kommentar zur Vulgärlat. Appendix Probi. 2
i8
metrische Gesetz verlangt shighriter. — Auch lesen wir schon in
den lex Ursonian. CIL II, 5439, II, 2, 24: figUnas teglarias und in
den viel Volkstümliches bietenden libri rer. rust. Varros (I, 40, 4)
surchs.
Gehen wir zu den einzelnen Beispielen über. Die ziemlich
frühe Existenz von oclus beweist ocliferms (Sen. iun.) und vor allem
das viel besprochene oclopeta Petron. c. 35 — einige Literatur bei
Schopf, die konson. Fernwirkungen usw. 19 IQ, 124. Da Trimalrhio
ein Repositorium mit den zwölf Bildern des Tierkreises auftragen
läfst und auf jedes Zeichen ein entsprechendes Gericht gelegt
wird, so kann in dem Abschnitt super sagiltariutn oclopetam mit oclo-
nur das Auge gemeint sein und hat Vendryes MSL 13 (1905/6),
231 mit Unrecht oclope{c)tam nicht nur mit dem Pferdenamen
Oclopecta (auf Fiuchtäfelchen), sondern auch mit dem CGI. II, 206, 2;
III, 308, 55, 56 zur Erklärung von armilusor angeführten büilonaiy.rric,
identifiziert. Aufserdem ist die Dissimilation von p-p > c-p sonst
nicht sicher belegt (§ 1 2), sodafs bjtXojcaixTrjq fern zu halten ist.
Wohl aber ist oclopeta, das sich durch den Kompositionsvokal 0
als hybride Form verrät (Bücheier Rh. Mus. 58 [1903], 624), mit
dem hybriden Pferdenamen Oclopecta zu verbinden, ohne dafs sich
bestimmen liefse, welchem Tiere der Name {pclo'. jtijxTrjg) zuerst
zukam. Bücheier vergleicht den Fischnamen ocliftiga u. a. Ich
nehme aber an, dafs das hybride oclopecta sich bei Petron in der
sekundären volksetymologischen Form oclopeta zeigt — oclo petit
sagittaj-tus — , sodafs wir weder mit Bücheier oclope[c)ta schreiben
noch mit E. Thomas Stud. z. lat. und griech. Sprachgesch. 19 12, 50
die Form als Beleg für den Übergang von -et- zu -//- anführen
dürfen, vgl. auch § 16. — Oclaia steht CIL VI, 75 als Beiname
der Bona Dea, vgl. VI, 68: oh luminilms restitutis; oclus steht
z.B. CIL X, 7756 und auf dem berühmten Verfluchungstäfelchen
aus Nomentum 8751 Dess. ; für it. occhio usw. s. Groeber ALL
IV, 422.
haculus non baclus (9) ist wegen des anerkannten Maskulinums
für die Zeit der App. von Wichtigkeit. Das durch ßdxTQor, ba-
cillum und Paul. Fest. p. 29 M: haculum pastorale usw. als Neutrum
gesicherte Wort ist erst etwa seit dem 3. Jh. (Hermes Past., Vulg.
usw.) als Masculinum belegt, da auch bei Ovid die Überlieferung
der Metamorphosen Tixxi b acutum hinweist, vgl. jetzt Magnus zu 2, 681,
789; 6, 27. In der Vulgärsprache kann durch den allmählichen
Untergang des Neutrums baculus ziemlich früh entstanden sein ;
aber in der Literatursprache ist baculus fast völlig auf griechische
Übersetzungen oder griechisch beeinflufste Texte beschränkt; den
Einflufs der Endung des allerdings femininen gäßöog zeigt die
Vulgata, welche niemals baculum und elf Belege für baculus als
Übersetzung von QaßSog bietet, während nur Herrn, mand. ii, 16
und Auson. 53, i als ältere Belege in Betracht kommen. App.
hätte nun aber das Masculinum nicht gebilligt zur Zeit, als die
neue Form in der Literatur noch nicht üblich war; wir dürfen
19
Sit: also nicht vor der Übersetzlmg'speriode des ausgdienden zweiten
oder des angehenden dritten Jahrhunderts ansetzen. Auch bacillus
ist nach Thes. L. L. nicht vor Hieronymus belegt. Inschriftlich
sticht baclns X, 1598. Nur im Ital. sind bacchio und baculo (<
hachim und haaduni) erhalten, während an der Peripherie des roma-
nischen Gebietes ein anderer Stamm sich durchsetzte — frz. bälm,
span. baston — , der in Italien das Erbwort nur z. T. verdrängte,
Meyer-Lübke, Wb. Nr. 874.
Vortonige Synkope in speciihim ist — abgesehen von speclaton
Cir, VI, 8583 — sehr häufig in speclarius oder speclarian'us VI, 5:202,
9899, 9900 u. ö. 'Spiegelscheibenfabrikant', vgl. aibiclarius g2gq,
9300, feg/arius 7615. SpecluDi selbst ist allgemein romanisch, it.
specchio, span. espejo usw.
iiiglus ist unbelegt und im rum.iunghiu (Rom. Forsch. VII, 198)
kann die Synkope aufs neue eingetreten sein. Heraeus, ALL XI, 304
vergleicht CGI. 111,443,30: coniicglae C,8VXTr/Q£q; II, 94,5: iungla
7]r'iaL ^svxTixai. — Unbelegt ist auch anglus, vgl. rum. unghiu,
prov. angle(s), frz. angle, Ullmann 198; anders M.-Lübke, Wb. 465.
Vitidus zeigt vortonige Synkope in viclina CGI. III, 398, 7
(364,5: vitlina), während das Cognomen Vitlus häufig ist (CIL
V, 2448, 2460 usw.). Im Sinne von 'Seekalb' ist es überUefert
X, 1589 und CGI. II, 30, i: biclus (fc6x7/; auch im Romanischen
hat das Wort sich nur in dieser Bedeutung erhalten, vgl. it. vecchio,
sardin. (logud.) biju. Für 'Kalb' ist dort an Stelle von viiulus das
Deminutivum vitellus getreten, M.-Lübke, Wb. 9387. — Unbelegt
ist veclus, das im rum. vechiu, it. vecchio, sp. viejo weiterlebt, Meyer-
Lübke 9291. — Mit capiclum vgl. CGI. V, 495, 6: capiclarius und
it. capecchio ; über den Lautwandel ,-//- > -cl- s. § 7 e.
2. Die auf -abulum [-a) ausgehenden Vokabeln konnten eine
doppelte Entwicklung durchmachen: entweder wurde ti synkopiert
wie in tabla oder intervokal, b wurde zu v, und -avuhijn entwickelte
sich, ebenfalls durch Synkope, zu -auluvi. Dementsprechend setzt
das Romanische neben tabla (frz. table, sp. tabla) auch ein taula
voraus, vgl. it. tola 'Schachbrett', frz. tole, M.-Lübke, Wb. 8514 und
E. Gierach, Beih. z. Z. f. rom. Ph. 24, ig 10, 31. Ob auch vereinzeltes
rum. staul, staur direkte Fortsetzung eines vulgärlat. staidum ist, bleibt
etwas unsicher, weil sonst in it. Stabbio, frz. etable usw. stablum
weiterlebt. Andererseits zeigt spätgr. (jzavXog neben OrdßXog (Im-
misch de gloss. Hesych. ital. 372), dafs statdum wirklich einst im
Vulgärlatein vorhanden war. — Während tableis schon für 1 1 1 v. Chr.
belegt ist, scheint intervokalisches b erst im ersten nachchristlichen
Jahrhundert zu 7' geworden zu sein. Wenn trotzdem tabula nicht
nur zu tabla, sondern auch zu tavtda > tatda geworden ist, so mufs
entweder neben häufigerem tabla auch tahda sich im Vulgärlatein
lange gehalten haben, oder hochlat. tahda ist später noch einmal
^ neben tabla — in die Umgangssprache eingetreten und zu
tavida > taula geworden. Jedenfalls dürfte die Feststellung für das
Verständnis des Vulgärlateins von Bedeutung sein. Auch hier ist
20
vortonige Synkope häufig, vgl. lahlinum (sehr oft) und für stahlarius
Rönsch, It. u. Vulg. 167, Heraeus 320, 321.
Tribula 7ion trihla. Die von Cato de agr. 135, i: Suessae et in
Lucanis plostra, treblae albae erwähnte frebla ist mit lat. tribuliim
'Dreschmaschine' identisch, weil neben tribuluvi (sp. trillo usw.) auch
trehla im it. trebbia 'Dreschmaschine' sich erhalten hat. Dafs die
trebla der Suessani und Lucani auch formell ein dialektisches Wort
ist, zeigt schon der Vokal e neben lat. i (Stamm trei, vgl. trivi)
und die Endung -hla, welche lateinisch zu -btila geworden wäre,
s. oben. Wir müssen also fem. dial. trebla vom neutr. lat. tribuhwi
aufs schärfste trennen, Ernout 239. Wenn nun seit Coluraella ver-
einzelt auch im Lateinischen tribula (f.) auftritt, so haben wir es
m. E. mit einer Mischform zu tun ; bei der Bevorzugung süditalie-
nischer Dreschmaschinen übernahmen die Römer z. T. auch die
Form und pfropften dem lateinischen Wort gelegentlich die fremde
Endung auf. In der Umgangssprache entstand die Form wohl
lange vor Columella. In interessanter Weise billigt App. als Be-
zeichnung eines ländlichen Instruments die vulgäre Kreuzform tri-
bula, wie sie im Munde des Landmanns üblich war. Das verworfene
iribla — triblaeque liest Nonius 228 anstatt tribulaque bei Verg.
Georg. I, 164 — ist wohl synkopiertes tribula; es kann aber auch,
mit tribula auf einer Stufe stehend, eine Mischung aus tribuluvi
und trebla darstellen.
3. Mehrere Vokabeln auf -eins, -0, -um werden nicht nur
wegen der Synkope, sondern auch wegen der Deminutivendung
getadelt, obwohl diese für nepticula und anicula (seit Terenz) als
Hypokoristikon und für iuvenclus zur Bezeichnung des jungen Tieres
recht verständlich ist. Es ist von Wichtigkeit, dafs nach dern Zeugnis
der App. besonders auch Angehörige der jüngsten und ältesten
Generation durch die Deminutivendung in der Volkssprache be-
zeichnet wurden. Ähnliches finden wir auch in anderen Sprachen,
vgl. Schwab. Ähnle, österr. Ähnel für 'Grofsvater' und frz. petit-fils
'Enkel' (Schoof, Z. f. hochd. Mundarten I, 1900, 221). In anicula
und nepticula hat die Endung sowohl ihre ursprüngliche Kraft, weil
auch der physiologische Schrumpfungsprozefs die Anwendung von
anicula begünstigte, wie auch hypokoristische Bedeutung, vgl. noch
anicilla (Varro, L. L. 9, 74) mit der speziell hypokoristischen Endung
-illa [-ella, Musterbeispiel Plaut. Asin. 667). Anucla — über das u
s- § 3g — steht z. B. CGI. 11, 534, 11. Nepticla ist unbelegt, «<?/-
ticiila z. B. Gl VI, 28562 u. ö. ; im Romanischen leben nepta und
7ieptia weiter. Daneben gab es manche anderen Formen auf -a'.
7iepota, nepotia, nepticilla, s. Niedermann, Contr. a la crit. et ä Texplic. .
des glosses Lat. 1905, 36.
^Juvenclus ist nicht belegt, iuvenculus , das nicht fortlebt, (wohl
iiivencus : it. giovenco), erst im Spätlatein, wohl zuerst bei Kirchen-
vätern zur Bezeichnung junger Frauen (Tertull. adv. Jud. 9; de
monog. 3), während es als 'junger Stier' anscheinend nicht vor der
Vulgata (Jerem. 31, 18) begegnet. Ob iuvenculus in diesem Sinne,
21
den auch App. dem Wort ohne Z\v(;ifel beilegt — bei TertuU. de
monog. 3 ist es Deminutivum von iuvcncus 'jung' — , schon früher
im Volksmund gebräuchlich war, läfst sich nicht feststellen. Jeden-
falls zeugt wohl auch die Erwähnung dieses Wortes für die späte
Abfassung der App.
Die angeführten Deminutiva verwirft App. deshalb mit über-
triebener Strenge, weil die Deminulivsuffixe in der Volkssprache
immer mehr um sich griffen und wirklich vulgäre Bildungen ins
Leben riefen, s. § 27. Aus derselben Erwägung heraus tadelt App.
auch in facla nicht nur die Synkope, sondern auch die — nicht
deminutive — Endung und fordert fax, obwohl facula in der
Hochsprache gang und gäbe war. — Da fax und facula voll-
kommen synonym sind, müssen m. E. besondere Gründe dazu ge-
führt haben, neben dem Stammwort das überflüssige facula zu
bilden. Fax fällt nun aber nur durch seine einsilbige Form auf,
so dafs facula vvohl der bekannten Abneigung der (Volks)sprache
gegen Monosyllaba seine Entstehung verdankt. Eine Bestätigung
geben die mit Deminutivendung gebildeten Vokabeln masculus und
clancu/utn, i welche ebenfalls völlig synonym sind mit den einsilbigen
Stammwörtern nias und dam, ohne dafs das Suffix, wie sonst, eine
deminutive oder hypokoristische (verächtliche) Bedeutung hätte.
Auch hier sollten Monosyllaba gemieden werden, und mit Unrecht
hat einst Osthoff für masculus eine Grundform *mascus (Samuelsson,
Glotta 6, 228) angesetzt. Verständnis für diese Erscheinung zeigt
schon Gellius, N. A. 12, 13,7: */«', 'm', 'uls' . . . particidae quoniam
parvo . . . sonitu obscurius promebantur, addita est tribus omnibus eadem
syllaba, d. h. zuerst wohl nur dort, wo cts und uls nicht proklitisch
standen. Schon im vorhistorischen Latein läfst sich also die Ab-
kehr gegen Monosyllaba feststellen, und mit Recht hat Wackernagel,
Wortumfang und Wortform, Nachr. Gott. Ges. d. Wiss. 1906, 147
den alten Ersatz von sei durch scito ähnlich erklärt, 2 vgl. auch
Meillet, MSL 13,3*59; Z. f. armen. Phil. 2,21: "les mots autonomies
de la phrase tendent dans presque toutes les langues ä n'etre pas
monosyllabiques". Im Anschlufs an Wackernagel, der auch auf
das Schwinden von Ire zugunsten von vadere und ambulare im Ro-
manischen aufmerksam macht, hat auch Loefstedt, Komm, zur Pere-
grin. 191 1, 148 z.B. spätlat. /(7«/z = /0/, quanti =^ gtiol in diesen
Zusammenhang eingereiht. Und mit Recht verwirft Sjögren, Eranos
16, 19 16, 41 auch bei Cicero ad Att. III, 14,2: in Epirum non veni
die zweite Überlieferung non ii, weil Cicero das kurze Perfekt auch
sonst häufig gemieden hat. — Eine umfassende Monographie wäre
eine dankenswerte Aufgabe, welche auch die Chronologie zu be-
^ Höchstens in clanculum könnte man das Deminutivum nachempfinden.
2 Dagegen ist es unnötig; mit Persson, Glotta 6, 94, der auch auf die
Gelliusstelle u. a. hinweist, das Ausbleiben der Synkope m feros, rätis, cutis
ebenfalls durch Scheu vor Monosyllaba zu erklären ; wurde doch auch mortis
zu mors. Vielmehr konnte eine lange Pänultima {natura oder positione) am
ehesten die schwache Endsilbe absorbieren, vgl. ß^/v?.? ]>• f/^f^r u. Sommer ^ 152.
rücksichtigen hätte. Nur wenige Beispiele kann ich hier anführen:
Schon in den Brieffragmenten des Augiistus, über dessen Vulgarismen
man Sueton. 87 vergleiche, stehen c. 76, 2 die beiden Vtirben,
welche das kurze edere im Romanischen ersetzen, nebeneinander,
comcdere (sp. ptg. comer) und manducare (frz, manger). Die Vorliebe
für das kräftigere portare gegenüber fers, fert usw. zeigt schon das
Bell. African. 21, 2: in plosiris deporiare (sc. saucios iussit Lahienus),
welche Stelle Woelfflin, Phil. 35, 151 und Koehler, Act. Semin. Er-
lang. 1,400 mit Caesar, B. G. i, 54, 3: naves carris iunciis devehit
zusammengestellt haben. ^ — Besonders oft sind kurze Zeitbestim-
mungen durch längere ersetzt worden, so ver teils durch primuin
kmpiis (frz, printemps), teils durch prima aetas (CGI. IV, 459,25:
pritnetas ver), das wieder mit ver gekreuzt zu prima ver(a) wurde,
CGI. III, 426, 7; etwas anders Niedermann, N. Jahrb. 15, 1912, 335.
Auch diese Tendenz zeigt sich schon sehr früh, wenn anstatt diti
bereits seit Claud. Quadrig. frg. 81 u. a. !o)igo, magno tempore auf-
tritt, vgl. Woelfflin, Lat. Komparation 67, ALL XV, 12. — Manche
kurzen Formen haben sich nur in den Teilen der Romania er-
halten, welche auch sonst Altertümliches aufweisen. So hat z. B.
das erwähnte ferre nur im Altcampadinischen Spuren hinterlassen,
avem lebt nur im logudor. ae und span. ptg. ave weiter, während es
im übrigen Gebiete durch aucelliis [avicellus) ersetzt wurde. Nur im
Engad., Aptg. und Aspan. hat sich mus gerettet, wofür sonst überall
sorex (soriciiis) 'Spitzmaus', das seine Bedeutung erweiterte, ein-
getreten ist. — Scheu vor Monosyllaba verführte vielleicht Fredegar
in seiner Chronik huius für fast alle einsilbigen Kasus zu verwenden,
vgl. 11, 116, 2: ex huius (= his) unus, I, 123, 18: huitis (= hoc)
/empöre usw., und Haag, RForsch. X, 884, der die Erscheinung nicht
erklärt. Eine Vorstufe bildet in Rufins Übersetzungen der Origenes-
homilien zum Alten Testamente der auffallend häufige Gen. Compar.
horum anstatt his ohne folgendes Substantiv, vgl. den Sprachindex
in meiner Ausgabe II, 616. Wir bekommen alhnählich einen Ein-
blick in den Existenzkampf des einsilbigen hie, das als Pronomen
in den romanischen Sprachen abgestorben ist. Über die Neigung
kurze Nominative nach den längeren Casus obliqui auszugleichen
s. % 22. — Auch das Monosyllabon fax ging verloren und nur
facula (daneben flaciila) hat sich erhalten, vgl. span. hacha, ptg.
facha usw., M.-Lübke, Wb. 3137.
Während App. die behandelten Deminutiva mit übertriebener
Sorgfalt verwirft, werden ariicuJus, vernaciilus und capitulum anerkannt.
Die Anerkennung von articulus war notwendig, weil artus selbst
mit verschwindenden Ausnahmen späterer Zeit Plurale tantum ist
und als solches anerkannt wurde, vgl. bes. Instituta IV, 29, 21K:
artus mejnhra numero se7nper plurali declinantiir. Dagegen wollte
^ Auch die Synonymik ist zu berücksichtigen-, da aufscr flere auch
lacritnare verloren ging, hatte plorare von Haus, aus eine kräftigere Bedeutung,
s. Seneca ep. 63, I : lacrimandum est, non p orandum.
23
App. capitulum als capilithim colmmiariim oder in der Bedeutung
'Buchkapitel' von capiit unterscheiden, während in vtinaculus, dem
völligen Synonym von venia, die vulgär empfundene Endung sehr
gut für die Bezeichnung eines jungen Sklaven pafsle. — Veniadus
steht z.B. CI VllI, 9375, als Cognomen X, 7176 u. ö. (Ullmann 198),
im Romanischen ist es nicht erhalten. Articlus ist unbelegt, lebt
aber im frz. arteil, it. artiglio, sp. artejo weiter.
4. Die Form mascliis (4), welche als Cognomen häufig ist (vgl.
die Indices zu CIL III, V, VII, XII, Ullmann 198) und im Roma-
nischen weiterlebt, ist deshalb wertvoll, weil nur sie die richtige
Erklärung für {t^t^ masauus non viascel — vgl. auch Instituta
IV, 102, 13K, CGI. V, 221, 22 — und (32) figulus non figel —
vgl. Instit. IV, 130, II — abgeben kann. In mascel und figel
möchte Ehrlich, Zur Indogerm. Sprachgesch., Progr. Königsberg 19 10,
70 uralte Reste erblicken, indem er auch osk./amel für eine ur-
sprüngliche Bildung hält, aus der erst, n^ich. fa?nulare, ein \-3X. fmnulus
(seit Plautus bezeugt) geworden sei. Aber der zweite im Oskischen
belegte Nominativ auf -/, aedil, mufs notwendigerweise aus aedilis
{-Is, -l[l]) synkopiert worden sein, da der Zusammenhang mit aedes
'Tempel-herr' jetzt feststeht — Rosenberg, Staat der alten Italiker
1913, 8 — und von aedes nur aedilis nicht aedil die direkte Ab-
leitung sein kann. Osk. fainel entsprechend wurde aus ital. catelos
umbr. kalel, während im Lateinischen e vor dunklem / zu u wurde
{caiulus), aber in catelo-los > caiellus vor // erhalten blieb. Da
ital. -elos sich im Osk. -Umbr. zu -el, im Lat. zu -ulus entwickelte,
hat sich der Süditaliener Ennius mit seinem merkwürdigen /a?nul
(Ann. 313, danach Lucrez III, 1035) die Anwendung der oskischen
Synkope {famel) auf lat. fa^nuliis erlaubt. Wiederholt hat sich dieser
Vorgang auch spontan in der Volkssprache, in den meist über-
sehenen Formen Mascul (Cognomen CIL IV, 1870 a) und figiil
(IV, 3134), welche nicht zufällig nur im oskischen Gebiete ans
Tageslicht getreten sind. — So dürfen wir nach dem Gesagten in
maseel und figel nicht uralte Reste erkennen; auch kann es sich
nicht um Oskizismen handeln — so auch Solmsen, lA 29, 30 — ,
da Mascel als Cognomen im CIL III, V, VII, XII, also im ganzen
Gebiete, nicht selten ist und neben figel in Volcei, CIL X, 423
gerade im oskischen Gebiete, wie wir sahen, figiil und Mascul auf-
treten. — Die geographische Verbreitung mufs auch davon zurück-
halten, für figel und mascel afrikanische Herkunft anzunehmen, wie
es einst Kubier, ALL VII, 594 tat zu einer Zeit, als die Jagd nach
Afrikanismen in Blüte stand. Nichts beweisen gegenüber der gleich-
mäfsigen Verteilung von Mascel über das ganze Gebiet das in Afrika
bezeugte Vernacel [YIU, loSgi) und die afrikanischen Namen Nuvel,
Mascal, Maccal usw., Pieske, a.a.O. 17. — Mascel xxnd figel sind
echt lateinische Vulgärforraen, welche W. Schulze, KZ 2)C>^ ^3^
richtig aus figlus und masclus (App. n. 4) mit erneuter Synkope
entstanden sein läfst : viasclas '^ mascl(7/)s "^ mascell y> jfiascel. Die
Chronologie bleibt unsicher, tiolz Sommer'' 167, der glaubt, dafs
24
die Formen erst entstanden sind, als ausl. -/ seine verdumpfende
Wirkung auf den vorhergehenden Vokal verlöten hatte. Aber wie
im Inlaut i^pello : pepuli) vor //, blieb auch im Auslaut von mascel
vor einem aus // (>> Is) entstandenen / das e erhalten. Auch sejnel
wird aus semeil «< semeis herzuleiten sein und Ehrlichs Erklärung
(a. a. O. 70): semel < semeis <[ seml(i)s <C sem lls — vgl. got. sim-le —
mit analogischem s nach bis und tris bekommt für den ersten Teil
durch die parallele Entwicklung von masclus > mascel eine Be-
stätigung. Dagegen würde in simul — mit / nach simüis — , das
aus seml <C seml(l) entstand wie facul aus facli, ntr. zu faclis (>
facilis, Leumann, Lat. Adjektiva auf -lis 19 17, 42), vor einfachem
ausl. -/ das e in der Tat verdunkelt.
5. In 202: constabilitus non coiistabiliius hat die irrtümlich
wiederholte Schulform zu mehreren Konjekturen Anlafs gegeben.
Haupt, Opusc. II, 323 und Ullmann 209 lesen (con)slabilüus non
insiabilitus mit prosthet. / (> in vor s) oder intensivem in des
Verbums instabilio. Dann wäre aber gar nicht abzusehen, weshalb
der Grammatiker gerade das Perfektum und nicht das normale
Präsens geschrieben hätte, während ihn doch ganz bestimmte Gründe
veranlafsten nicht caldus, sondern calda als gebräuchliche Vulgärform
hinzustellen. Lesen wir dagegen c. tion constab[i]litus, so erklärt
sich die Anwendung des Perfekts ohne weiteres, weil nur das un-
betonte i von constabilitus , nicht das betonte von constabilio syn-
kopiert werden konnte. Heraeus 329 vermutet constabilitus non
constabilis, aber App. tadelt eher die langen Endungen, s. § 27.
Das / konnte um so eher synkopiert werden, weil in der betonten
Silbe derselbe Vokal folgte.
Vapulo lebt nicht weiter; vaplo steht Instituta IV, 156, 37 K
im Bob., Heraeus 330, über das b von baplo s. § 14. — Orbs und
niibs werden § 2 2 c behandelt.
§ 3. Vokalassimilation; Vokalumlaut und Verwandtes.
a) 2 toloniutn non toloneuni 146 pusillus non pisinnus
20 colutnna non colomna d) 151 opobalsamutn non ababalsa-
177 coluber non colober mum
Hb delirus non delerus e) 196 zi»ipu(s) non zizup{u)s
b) 183 parentalia non parantalia 197 iunipirus non (iu)niperus
43 carcer non car(car) 193 bitumen non butumen
129, 164 anser non ansar 203 sirena non sjrena
163 passer non passar 1) 131 puella non poella
168 noverca non novarca g) 127 botruus non butro
c) 58 umbilicus non imbilicus h) 162 tonitru non tonotru.
218 numquit non nimquit
Die Vokalassimilation tritt im vorhistorischen Latein nicht in
denselben Formen auf wie in der späteren Umgangssprache. Dort
wurde vor allem betontes e assimiliert und zwar an das folgende i,
wenn zwischen beiden Vokalen ein stimmhafter Konsonant stand
25
— cinis <C cenis : xÖTlQ', similis : semel, nihil << nehil — , an das
folgende o besonders vor m, das die Lippeniunduiig des nach-
stehenden 0 ganz annahna, vomo <C vemo : faiiico, Jespersen, Phon.
2, i6, 130 und Sommer ■■' ii3f- Beeinflufste in dem letzteren Fall
blofs der Mittelkonsonant den Vokalwandel — so Sommer — oder
auch der dem e vorangehende Laut, wie E. Hermann, GGN 19 19,
235 glaubt, indem er vomo dem nicht veränderten emo gegenüber-
stellt und homo aus he77io zu der Zeit entstanden sein läfsl, als das
h noch der Hinterzungenlaut ;f war? Aber die älteste lat. Form,
hemo in ne-(he)mo, mit der he?none>n bei Paul. Fest. p. 100 M über-
einstimmt, zeigt e, so dafs der Lautwandel e y> 0 sicher nicht ur-
italisch war. Entweder hat sich in osk.-umbr. huviuns, ho?no}ius die
Assimilation selbständig vollzogen — Solmsen lA 19, 30 — oder
beide Stämme ghevi- und ghom-, zu denen sowohl got. guma
'Mensch' wie auch )[afial, lat. humiis und lit. zeme 'Erde' gehören,
haben im Urital. nebeneinander gestanden. Da das älteste Latein
nur hemo zeigt, scheint innerhalb des Lateins e vor m + 0 zu 0
geworden zu sein, was nur möglich war, weil auch in den Casus
obliqui {hemoneiii) die o-Deklination noch häufig auftrat; hemonan
war also nicht kunstliches Gebilde. Da zur Zeit, als <? zu 0 wurde,
das h längst reiner Hauchlaut war, hat nur das vi die Assimilation
begünstigt. Dafs auch in glomus < glemos die Konsonanten gl
keinen Einflufs auf die Umlautung ausübten, zeigt das im Roma-
nischen erhaltene gleinus (nordital. giemo), das ein ursprüngliches
Paradigma glomos, glemeris voraussetzt, dessen neues 0 wohl nur
durch folgendes /;/ -\- 0 bedingt war. — In emo unterblieb der Über-
gang von (? zu ö, weil nur in dem isolierten emo (emont) ein 0 in
erster Silbe sich hätte entwickeln können. Wenn trotz gleichen
Voraussetzungen wohl vemo zu vomo wurde, so müssen in der Tat
beide Labialen zusammen, nicht das vi allein, das <f zu 0 um-
gewandelt haben, das ebenfalls mit Lippenrundung gesprochen
wurde. Die Hermannsche Vermutung triflft also nur für vomo zu.
a) Wichtiger für den Zusammenhang mit dem Vulgärlatein
ist der vorhistorische Lautwandel von betontem e zvl 0 vor dunklem,
velarem /, vgl. clor : tlcögiog (Wasservogel), dlaiva (> o/eiva > oliva)
'. eXai(f)a. Schon hier zeigt sich velares / besonders dem 0 ho-
morgan : noch deutlicher wird dieser Charakter des dunklen / in
den vulgärlat. Formen columna > colovina und dolälra > doUbra,
in denen sogar betontes 11 und a nach velarem / an vorhergehendes
0 angeglichen wurde; bezeichnenderweise fehlen Beispiele für As-
similation eines betonten 0 nach / an vorhergehendes a oder u.
Zuerst sei das allerdings beschränkte Material vorgelegt:
I. colustra 'lac novum' ist die alte bei Plaut. Poen. 367, 390
und Lucil. 311M bezeugte Form; erst seit Plinius, N.H.9,1 23,
Colura. 7,3, 13 u.a. tritt daneben colosira auf. Mit Suffixwandel
erscheint dann seit Martial 13, 38, 2 auch Colostrum, während das
alte rnlustra seine Endung zäher behält und erst seit Caper, GL
2.6
VII, lOg. 3^. u.a. ein colustrum belegt ist. Das Romanische kennt
nur colgstrum, vgl. ]\Ieyei-Lübke, Wb. 205S.
2. cohibcr und colubra; für vulgäres colober, colobra vgl. CGI.
IV, 50Ü, 26 ; Not. Tir. 1 13, 27 ; Thes. L. L. s. v. ; Scluichardt, Vokal.
II, 149. Das Romanische setzt bekanntlich nur colgbra (c7/.lobra wohl
unnötig M.-Lübke, Wb. 2060) voraus, vgl. span. culebra, prov. colobra,
afrz. culuevre.
3. Neben colaphus •< x6)M(fjOi^ und colaphizo tritt colophus
Quint. 6, 3,83; CGI. III, 352,23 und co/ophilzaveruni Ital. Malth.
2ö, 67, colopidiari Ps.-Soranus epit. 6g. Über percolopare vgl.
Heraeus, Die Sprache Petrons u. die Glossen, Progr. Oflenbach
1899, 44 f.
4. Coiumna hat schon in voraugusteischer Zeit colomna neben
sich, CIL 12, 1834, vgl. noch IX, 4875 u. ö., Schuchardt II, 172
und it. colonna.
5. Neben Coltimba tritt Colomba, vgl. Carnoy, Le latin d'Espagne
1906, 57-
6. Dolabra wird zu dolobra, vgl. CGI. III, 204,31; dolobra,
dolobrum II, 231,43, Heraeus, a.a.O. 45.
Wie wenig Verständnis diesen Formen entgegengebracht wird,
zeigen die Bemerkungen über colostra, in dem Sommer 2 67 zögernd
eine bäuerische Assimilation erblickt, während Thcs. L. L. s. v. ent-
sprechend seiner Bemerkung: plerique bonae aetalis audorcs '■colostra'
habere vidcniiir, colostra als die gehobene Form betrachtet. Und
Ernout 142 hält colostra mit 0 statt ic für dialektisch, ohne zu be-
denken, dafs colostra eine erst innerhalb des Vulgärlateins durch
Vokalassimilation entstandene jüngere Bildung ist.
Durch obige Bemerkungen haben colomna und colober der App.
ihre Erklärung gefunden, und wir brauchen für das g <C li von
colober keineswegs den dissimilatorischen Einflufs des folgenden
labialen Konsonanten in Anspruch zu nehmen. Auch ngptiac <C,
nuptiae — it. nozze, frz. noces, M.-Lübke, Wb. 5999 — wird sein q
entweder nocteni oder ngvius verdanken, nicht dem labialen/. Ich
glaube also mit Meyer-Lübke, Einf.'' 151, im Gegensatz zu anderen
Romanisten, dafs nicht jeder Labial vorhergehendes i{. zu g dis-
similieren konnte. Erkennen wir andererseits die dissimilatorische
Kraft nur für vokal, u an {sgum ■< suiim, Pirson, a. a. O. 1 6, Grund-
lage für afrz. suon , suen) — so Meyer-Lübke — , so fehlt für den
Übergang von iuvenis > igvenis, den it. giovine und afrz. juefne
voraussetzen, jtde Erklärung (Meyer-Lübke, Einf.3 182) und müssen
wir annehmen, dafs nicht das 0 von övuin zu q wurde — g ver-
langen it. novo, afrz. uef, span. huevo usw. — , sondern aus einem
hypothetischen '^öitm — vgl. rivtan ^ rium, it. rio, § 14 — ein guvi
wurde, das dann nach dem häufigen Plural ova sein v noch einmal
auf analogischem Wege zurückgewann, M.-Lübke, Einf.^ 166. Das
^ konnte also vor ^ und v zu q dissimiliert werden.
n
Tolonium non iolonaiin'^ (2). Zur Zfit als f^r. eL bereits als i
gesprochen wurde, entwickelte sich in neuen I>chnwörtern -tlov zu
-tum. Da diese Endung den Römern nicht geläufig war, wurde
aus archiiim ein archivum, aus musnnn 'Mosaik' inuseum oder
musivum, aus hrahnim ein hravium. Da auch App. hrabuitn ver-
wirft, kann sie nur telonnim, nicht teloniuvi <C tüxoVcLot gebilligt
haben ; auch im Neuen Testament und inschriftlich — Dittenberger,
Inscr. Orient. 525 — ist nlcävun' nicht selten, Dafs ferner Ido-
iicKtn, nicht etwa teloneinn mit vulgärem -mm statt -mm (§ 5 b), zu-
rückgewiesen werden soll, ergibt sich aus den vielen Belegen für
tcloneum bei chiistlichen, an griechische Vorbilder (das Neue Testa-
ment) sich anlehnenden Schriftstellern — Rönsch, It. und Vulg.
346 — , welche zeigen, dafs TtXcortlor (zwecks Meidung der En-
dung -hwt) den älteren Lehnwörtern entsprechend durch teloncum
wiedergegciben wurde ; lelonetwi hat keine Spuren hinterlassen. App,
bevorzugt telonmm <C relcoviOT wohl deshalb, weil -oniuni, nicht
-oncum, eine geläufige Endung im Lateinischen war. Das durch
Assimilation entstandene 0 der ersten Silbe, das weite Verbreitung
fand — vgl. frz. tonheu und ahd. Zol (Ullmann 195) — ist merk-
würdigerweise auch von App. als richtig anerkannt worden;- wahr-
scheinlich gab es damals in der Nähe Roms allgemein lolonia, -nea
genannte Zollhäuser, so dafs der Umgangssprache diese Konzession
gemacht wurde. Auch ohne folgendes 0 wurde unbetontes gr. 6
vor velarem / gelegentlich zu 0, vgl. schon CIL P, 1604: Menolavi
und Saalfeld, Lautges. der griech. Lehnw. 1884, 75.
Hier mufs auch delirus non delertis (116) behandelt werden,
obwohl nur bedingte Assimilation in Betracht kommt. In der Ver-
werfung von deknis stimmt App. mit dem bei Velius Longus VII, 73, 2 K.
erhaltenen Urteil Varros überein : sie etiam delirus placet Varrom, non
delenis; tion entm, nt quidam existimant, a graeco iracia vox est, jtC'.QCt
xb h]Qüv , sed a lira, id est suko, Charis. I, 76, 19 K. Überliefert
ist delenis häufig in Glossen, II, 41,49; 491, 15; III, '^c^^,, "^i',
394,20; 395,2g; deleritds bei dem vulgär gefärbten Mimendichter
Laberius frg. 139 R"*, dagegen ist deleramentum frg. 134/6 nur
Konjektur. Auch moderne Gelehrte, wie Heraeus3i8, haben ge-
glaubt, dafs das zweite e in delertis im Anschlufs an hiQtlV ent-
standen sei. Aber auch abgesehen davon, dafs der BegriiT delerus
'wahnsinnig' viel mehr umfafst als der des gr. ^jjQelr 'schwätzen',
ist eine Beeinflussung des \'olkstüralichen deUrus durch ein sonst
im Lateinischen nie auftretendes Fremdwort recht unwahrscheinlich,
wie Ernout 151 mit Recht hervorhebt. Er selbst hält delenis (seit
Varro) für ein dialektisches Wort, das urital. ei als e (lat. i) erhalten
habe, und vergleicht wmhr. dislezalinsi/st, 3. Pers. Fut. II eines Stammes
*leizali, der im got. laists 'Spur', ahd. (wagan)leisa wiederkehrt;
' Eine Unterscheidung zwischen TsXwveloi' 'Zollhaus' und re/.ojvior'
'Zoll' gab es nicht trotz CGI. II, 45, 3, 12: rs?.ioviO%' vectis^-aliwn.
^ Wenn m':\\\. telonium zu lesen ist.
28
Bücheier, Umbr. 46 übersetzt: 'irritum fecerit'. Diese Auffassung
Ernouts, welche auch Walde"' s.v. teilt, wird aber glatt widerlegt
durch die Tatsache, dafs wohl das — abgesehen von etymologischen
Erklärungen — blols in übertragener Bedeutung 'amens', 'demens'
auftretende delerus, nie dagegen die Grandwörter Itra {seit Colu-
mella belegt) und lirare (seit Varro, r. r. I, 29, 2) die <?-Form
zeigen;! CGI. III, 334,32: delerus quasi a lern aberrai dient lera
nur etymologischen Zwecken. Wäre aber das e dialektisch, so
würde man gelegentliches e vor allem in lira [lirare) erwarten, das
in scharfem Gegensatz zu delirus, -erus seine ländliche Bedeutung
beibehielt. Aber auch das delirus, -erus am nächsten stehende
delirare zeigt bei Plautus u. a. stets / und erst Caper VII, 109, 6K.
und die Glossen weisen ein delerare auf, das nicht alt zu sein
braucht, sondern sekundär nach delerus entstanden sein kann. Nun
ist aber delirus, das allein auch altes e {-erus zuerst bei Varro)
zeigt, entweder eine Rückbildung aus dem älteren delirare oder
eine Hypostase aus de lira — Brender, Die rückläufige Ableitung
im Latein., Diss. Basel 1920, 44 — und dementsprechend nicht
vor Varro belegt. Da nun, wie gesagt, lira und das alte delirare,
von denen delirus erst abgeleitet ist, nur i zeigen, kann in delerus
das e nur sekundär sein und nicht mit diskzalinsusi in Zusammen-
hang stehen. — Das e von delerus ist erst auf lateinischem Boden
entstanden; Vokalassimilation, welche der vokalhaltige Konsonant
/ — vgl. Rousselot, Principes de phon. exper. 11(1901), 418 — be-
sonders begünstigte, kann deshalb den Vokalwandel nicht allein
verursacht haben, weil in delirare das i sich (fast immer) gehalten
hat. Wir werden also einen Hauptgrund für den Lautwandel auch
in dem speziellen Suffix von delirus zu erblicken haben, das durch
das vorhergehende e begünstigt leicht mit der Endung -erus ver-
tauscht werden konnte. Auch ist zu beachten, dafs die mehrsilbigen
Adjektiva auf -erus : sincerus, ausierus, severus den inneren Menschen
charakterisieren, während von den ^4djektiven auf -irus nur delirus
sich auf den Menschen bezieht, so dafs auch von diesem Gesichts-
punkt betrachtet delirus leicht zu delerus werden konnte. Wie so
oft haben mehrere Faktoren zusammengewirkt, die neue Form zu
erzeugen.
b) Wie das / kann auch das vokalhaltige intervok. r die Assi-
milation der umgebenden Vokale begünstigen; vgl. Rousselot a. a. O.:
„les consonnes l ei r ont . . . des traces, qui ressemblent beaucoup
ä ceux de voyelles, qui leurs sont contigues . . .''. Häufig finden
wir diese Assimilation bei der Übernahme griechischer Vokabeln,
vgl. horoma = oQafia in Glossen und in der Passio S. Perpetuae
74, 22, dazu Salonius, Finsk. Vetensk.-Soc. Förhandl. LXIII (1920/1),
Nr. 2, 15; paramboli = jiaQif/ßoXai z. B. CGI. III, 208, 63 mit Assi-
milation in betonter Silbe ; parapsis = jiaQO^ng (häufig in Glossen,
' Irrtümlicherweise jJibL Georges, Lex. L. Woilf, s. v. ein (/i'rii und) lerare
für Pomponius 157 R.' an, vgl. Nonius p. 17,32 Lindsay.
29
Goetz, Thes. Gloss. ernend. II, 47, Heraeus, Sprache Petrons 48)
entspricht wohl schon gr. Ttagatpig, s. CGI. III, 271,5. — Für echt
lateinische Wörter vergleiche man das neben aeramen im Romani-
schen vertretene aramen mit Assimilation des unbetonten Anlautes:
afrz. arain, rum. aramä usw., M.-Lübke, Wb. 242. Interessant ist
auch die wenig beachtete Assimilation ybr^j y^ faras, welche schon
in Porapei CIL IV, 4278: fures faras, frugi iniro und auch CIL
VI, 13070: aria faras cinia vorkommt. Die auch wieder im rum.
fara neuauftretende Form entstand möglicherweise zuerst in pro-
kiitischer Stellung, so dafs unbetontes 0 an folgendes a assimiliert
wurde; auch im Romanischen spielt bei der Entwicklung von foris,
foras die Proklisis eine Rolle; s. Brall, \d.i. foris, foras im Gallo-
roman., Diss. Berlin ig 18, ig. — Leicht verständlich ist nach dem
Gesagten die Assimilation in dem von App. angeführten parantalia
(185), zumal noch ein a folgt.
Enger gehören aiisar und passar zusammen. Nehmen wir das
seit Augustus bei Macrob. Sat. 2,4, 12 und bei Plin. n. h. 5,33
bezeugte lasar = laser (wohl erst aus las(s)erpicium verselbständigt)
und den z. B. in Glossen bezeugten Plural assares (von asser) hin-
zu, so zeigt sich, dafs besonders zwischen s und (ausl.) r die Assi-
milation in unbetonter Silbe sich vollzog. Begünstigt wurde die
Angleichung dadurch, dafs das e in allen Kasus vorhanden war
und sich in sämtlichen Formen zu a entwickeln konnte, während
z. B, Cancer auch deshalb nicht zu cancar wurde, weil die neuen
Formen isoliert dagestanden hätten, ohne Analogien in den Casus
obliqui. — In diesen Vokabeln rief die Assimilation neue Genetive
mit a in offener Silbe ins Leben : passaris usw. ; andererseits ist in
den wenigen Worten wie Caesaris, deren a nicht im vorhist. Latein
zu e umgewandelt wurde, das a nachträglich gelegentlich zu e
geworden, vgl. für Caeseris CIL VI, 5822, g4g2, 27772; IV, 2308:
so durchkreuzten sich die verschiedenen Tendenzen der Aus-
gleichung und Vokalassimilation. Die Beliebtheit der -ß;--Formen
zeigen die romanischen Entsprechungen des z. B. CI VI, 26g8
(Passar) belegten passar,^ vgl. sp. pajaro, ptg. passaro, M.-Lübke,
Wb. 6268. Auch atisar war, wie CIL V, 7go6 ansare, CGI. III, 17, 36;
8g, 55; Lex. Sal. 7, 4: ansare(m) zeigen, häufig, aber im Romani-
schen hat sich nur auca < avica erhalten und es ist interessant zu
beachten, wie App. hier und sonst wohl eine vulgäre Form bietet,
aber doch nicht diejenige, welche dem Romanischen unmittelbar
zugrunde liegt.
Auch das durch Konjektur hergestellte carcar war weit ver-
breitet, vgl. got. karkara, ait. carcar gegenüber it. carcere. Aber
hier liegen die Dinge doch wesentlich anders, weil das weit älteste
Zeugnis des 5. Jhdts. v. Chr., gr. xdQxaQor, ein a zeigt. Da
xüQxaQOV nur bei dem Westdorier Sophron aus Syrakus belegt ist
1 Dagegen ist bei Apul. metam. p. 188, 15; 192, 18; 254, i H. mit Helm
die (?-Form herzustellen.
30
(frg. i47Kaib) und carcer etymologisch dunkel ist, haben wir es
wohl, wie bei allhim (s. § 5 b), mit einem süditalienischen Lehnwort
carcar zu tun. Das in der Paenultima von carcaris [-ri usw.) laut-
gesetzlich entstandene e wurde auf den Nom. Sing, übertragen.
Daneben erscheint carcares zuerst in den Act. fr. Arv. des J. 87 n.
Chr. — vgl. noch CIL IX, 16 17 (etwa aus dem J. 134 n. Chr.) und
Thes. L. L. s. V. — ; entweder hat sich in der Volkssprache das
alte a immer gehalten oder durch erneute Assimilation, welche bei
der fast völligen Gleichheit beider Silben leicht eintreten konnte,
entstand noch einmal carcar.
noverca non 7iovarca (168). Novarca, das nirgends belegt ist,
verdankt seine Entstehung keineswegs der von Paul. Fest. 174 M
gegebenen Etymologie: quam quis liheris suhlatis 110 v am uxortm
ducil arcendae familiae gratia. Am ehesten möchte ich 7iovarca
als Kreuzung von noverca und nova auffassen; als 'die neue' be-
trachteten die Kinder und die Dienerschaft die neu ins Haus
tretende Stiefmutter. Zu Klarheit gelangen wir hier nicht.
c) umbilicus non imbilicns (58). Sehr leicht konnte das im
absoluten Anlaut stehende 11 sich an die beiden folgenden i an-
gleichen und imbilicns entstehen. Nachdem die neue Form ge-
legentlich aufgetreten war, hat sie, wie die wertvollen Glossen lehren,
auch, eine interessante spezielle Verwertung gefunden. Da nämlich
umbilicus nicht nur den Nabel, sondern (als Neutrum) mit dem Zu-
satz Veneris auch die griech. >cotvh]doh' — eigentlich 'Pfanne des
Hüftbeckens' — genannte Pflanze bezeichnet, 1 wurde zwecks Diffe-
renzierung die neue Form imbilicns [-um) besonders für den mehr
vulgären Pflanznamen verwendet. Das zeigen der lateinische Dio-
scorides und die Glossen III, 537, 59 : coginidon (so) id est imbillicinn
(so) Veneris und III, 565,6g: invilicum ventris (so); dagegen ist im
Sinne von oiig)a?Mg stets die Form mit u, nie imbilicns überliefert,
so dafs nicht zufällig nur imbilicum Veneris bezeugt ist. Dafs da-
neben auch imbilicns o^i^palöc. sich in der Vulgärsprache hielt,
zeigt App.; weniger beweisend sind logud. imbiligo, ptg. embigo
und prov. embelic, da sich der anlautende Vokal selbständig um-
gewandelt haben kann, wie M.-Lübke, Wb. s. v. mit Recht bemerkt.
Ein analoger Fall liegt m. E. auch in numquit non nimquit
(218) vor. Dafs überliefertes riumquit non nimquit rächt va\iYoe.x?,\.QX
in numquid non numquit zu ändern ist, sondern in numquit non nim-
quit, hat mit Hinweis auf CGI. V, 313,48 ussv. : nimquid ?wn aliquid
und 375,3 usw.: nimquis non aliquis (Schuchardt II, 206) Heraeus,
ALL XI, 65 mit Recht hervorgehoben. Hinzuzufügen ist, dafs das
neue nimquid (-j) eine doppelte Bedeutung zeigt. Erstens ist es
in App. seiner 'Entstehung gemäfs — u assimilierte sich an folgendes
i — synonym mit numquid (-j); dann aber ist es auch gleich-
1 Auch acetabulum kunn sowohl die Hüftpfanne (Petion. 56 u. ö.) wie
jene Pflanze bezeichnen.
3«
bedeutend mit nihil (Hemo), wie die Glossen zeigen, i Da beide
Bedeutungen verwandt sind, ist die letztere aus der ersteren ab-
geleitet ; keineswegs ist nimqnis = nemo etwa aus einem nem(o)quis
entstanden. — Auf eine Frage wurde häufig, wenn man sie be-
jahte, durch Wiederholung des ersten Wortes geantwortet: _/w//«?
hie in horto? Fuit. Da nun in niimqtiis der Begriff 7iemo schon
in nuce vorhanden war, konnte der Angeredete, durch die zahl-
reichen Analogien verführt, auch eine Frage: ntirnquis hanc picturam
viirntus est? sehr leicht in der Umoangssprache mit einem numquis
im Sinne von nemo beantworten, ohne jemals mifsverstanden zu
werden. Auf diesem Wege denke ich mir numquis = nemo ent-
standen. Wenn es die Glossen nur in der Form nimquis geben,
so dürfen wir annehmen, dafs das zunächst durch Assimilation aus
numquis 'wohl jemand' entstandene 7iimquis später zwecks Differen-
zierung besonders für das neu aufgekommene numquis = nemo
gebraucht wurde.
pusillus non pisinnus (146). Zur Beurteilung dieser Formen ist
es vor allem wichtig festzustellen, dafs nicht nur Pusinmis (-na) als
Eigenname belegt ist — CIL XII, 4422; III, 4957; Solmsen IF 31
(1912/3), 475 — , sondern auch pusinmis als Appellativum häufig
war, vgl. aufser dem von Ulimann igo, 2 angeführten pusinna auch
CIL III, 12711: innocentissimo pusijino Ienua(r)io filio und VI, 11 145:
hie sita est pusinniea. Wir dürfen also nicht mit Walde 2 s. v.
pisinnus als selbständige Bildung, als ein Kinderwort, das qt). pipinna,
pipilare erinnere, betrachten, sondern müssen annehmen, dafs aus
dem Allgemeinwort für 'klein', pusillus, ein hypokoristisches /?/jwm«J
gebildet wurde, das durch Vokalangleichung zu pisinnus wurde.
Die Richtigkeit dieser Auffassung (der Assimilation) zeigt auch
vereinzeltes pisil(l)ia (CGI. IV, 144, i; 554,9; V, 510,34), das zu
pusillus gehört, vgl. auch sard. piseddu {= pisillu7n) und L. Wagner,
N. Archiv NF 35 (1916), iio. Auch pitinnus steht neben putillus,
ohne dafs die Zwischenform putinnus belegt ist. Wie pusinnus ge-
legentlich zu pusinus wurde, so avich pisinnus zu pisinus , vgl. CIL
VI, 2662 : filios duos geminos pisinus mit dem auch sonst neu auf-
tretenden Suffix -i7ius, z. B. VIII, 12794: miserina. In der Literatur
kam pisinnus zuerst bei dem mit Recht von Persius verspotteten
Dichter Attius Labeo vor, der in seiner Übersetzung von zi 35 :
crudum vianduees Priamum Priamique pisinnos mit dem Kosewort
pisinnos weniger passend die erwachsenen Kinder des Priamos be-
zeichnete. Erst nach Jahrhunderten taucht pisinnus wieder bei
Marcellus Empiricus, Isidor u. a. auf, Geyer, ALL VIII, 480 ; in der
Peregr. Aether. c. 9, 2 (Loefstedt 197) in der Verbindung a pisinno,
dem ein a pilulo bei Anton. Plac. It. 34 entspricht. Pitinnus ist auf
Sardinien häufig und auch sonst in Italien (mail. pitin 'ein wenig'
usw.). Obwohl die Hs. pusinnus bietet, scheint App. nur pusillus,
* Wäre mit 7ion aliquis numquis gemeint, so hätten die Glossf n , wie
sonst, nimquis {-d): numquid aliquis [-d) geschrieben.
32
das allgemeine Wort für 'klein', nicht pusmnus als Kosewort ge-
billigt zu haben.
d) opohakamum non ahabalsamum (151). Da schon balsamum
an sich nicht nur die Staude, sondern auch den aus ihr hervor-
quillenden Saft bezeichnete, kam dem ersten Teil des Lehnwortes
kaum Bedeutung zu und konnte opo- leicht an das Hauptwort
assimiliert oder verstümmelt werden; so entstanden apobalsajmim
Schol. luv. 14, 26g, opabaisamiim CGI. V, 316, 36 {obovalsaniu?n
IV, 133, 22 cod. c), obbalsa?mnn, obahamum Not. Tir. 98, 83, Heraeus,
ALL XI, 62. In dem von App. verworfenen ababalsamum sind so-
zusagen die Abweichungen kombiniert aufgetreten. — Die Assimi-
lation der Vokale wurde auch durch die enge Verwandtschaft der
zugehörigen Konsonanten [p-b >• b-b) begünstigt. Es liegt ia der
Natur der Sache, hat aber noch wenig Beachtung gefunden, dafs
besonders bei Gleichheit der silbenanlautenden Konsonanten die
folgenden Vokale aneinander angeglichen wurden. So erklärt sich
m. E. der Übergang von gigantem zu gagantem im Vulgärlatein,
vgl. afrz. jaiant, aprov. jayan usw., M.-Lübke, Einf.3 158; ebenso
die Umlautung von vervadiim 'Brachfeld' zu varvactum (M.-Lübke
a. a. O.) und das Auftreten von cucuta neben cicuta 'Schierling' im
rumän. cucutä und in verwandten Formen. Dementsprechend finden
wir tutulus und titilns nicht selten, vgl. CIL VI, 29945: tutulo,
III, 6137: titilo.
e) Nur in diesem Zusammenhang erklärt sich zizipu[s) 1 non
zizupiii)s (196) 'Brustbeerbaum', das wie ziziphum 'Brustbeerfrucht'
auf gr. ^i^vrpov zurückgeht. Gr. v wurde in ältester Zeit besonders
durch u (c.u7nba, Burrhus), später im Hochlatein durch y (Pyrrhus)
und nur in der Volkssprache durch u oder i wiedergegeben, vgl.
n. 28 : gyrus non girus. Wenn trotzdem App. als korrekte Form
zizip(h)us verlangt und auch bei Plinius u. a. das i regelmäfsig aul-
tritt — auch in Glossen nur i, vgl. Thes. Gl. Em. II, 433 — -, so
hat sicher die Tendenz, die fast identischen Silben zi-zy auszu-
gleichen, ein Wort mitgesprochen. Dagegen knüpft die verworfene
Form — vgl. auch Ed. Dioclet. 6, 56: zizu/orum — direkt an
C,iC,v(f)OV mit v an. Das Romanische setzt neben ziziphum {-a) —
vgl. it. zizzifa, [giuggiola, zizzola] mit neuem Suffix -h — wohl
auch eine vulgäre Form mit doppeltem u voraus, vgl. frz. jujube,
sp. ptg. jujüba. Die Ausgleichung der beiden ersten Silben scheint
also auf zwei Wegen sich vollzogen zu haben, indem im Hoch-
latein ein ziziphum {-us) hochkam, in der Volkssprache aufser
zizuphum {-us) auch *jujuba mit neuem -ß- Suffix wie im Italienischen,
vgl. Claussen, RF 15 (1904), 863.
Eine alte, ebenfalls im Hochlatein akzeptierte Vokalangleichung
liegt vor in iunipirus non {iti)nipertis. Etymologisieren können wir
> Dafs der Baum gemeint ist, ergibt sich wnlil aus n. 197 und aus non
8tziJ>{u)s; es i<;t also zizipu{s) zu schreiben.
33
das Wort zwar niclit; denn Vaniceks von Walde 2 gebilligtes Etymon
*mvem'-paros, was nur 'junge ansetzend' bedeuten könnte, wäre
keineswegs als spezielle Bezeichnung des Wachholders geeignet. '
Aber obgleich die ältesten Belegstellen iunipirus bieten, ist doch
wohl das echt lateinische Suffix -perus [-pera, vgl. pario) die ur-
sprüngliche Endung, während -pirus als Suffix fehlt. Da bereits
für Cato, agr. 122 und Varro r. r. 1,8,4 iunipirus bezeugt ist, ist
schon früh durch Assimilation, aber auch durch Anlehnung an
pirus die neue Form entstanden. Schon Verrius Flaccus — bei
Serv. Dan. ad Buc. 7,53 — gibt die törichte Etymologie: iuvenem
pirum. In der Volkssprache hat sich -perus erhalten; andererseits
ist durch Assimilation an das j (und vor «) das u der ersten Silbe
zu e geworden, vgl. afrz. genoivre, prov. genebre, sp. enebro,
M.-Lübke, Einf.3 158. Für a finden wir eine ähnliche Angleichung
in iaiunus (Plaut. Cas. 129,803) > ieiumis, in ianuarius > ieyiuarius
(CIL VI, 1708, 311/ 14 n. Chr., vgl. it. gennaio, sp. enero) und ianua
> ienua (Stangl, [Berl.] Phil. Woch. 33, 19 13, 370, in betonter Silbe!),
die für « auch in *iunicea >> *ienicea 'junges Rind' (frz. genisse) zutage
tritt. Möglicherweise hat App. iunipirtis non {ie)nipe7-us geschrieben,
sie pflegt aber meistens nur einen Fehler zu rügen und bietet auch
sonst des öfteren nicht die unmittelbare romanische Form.
hitumeu no7i butumen (193). Nur letumen (CGI. III, 631,30, vgl.
frz. beton?) ist belegt, nicht dagegen hulumen. Assimilation des
vortonigen Vokals an u der Tonsilbe ist auch sonst nicht selten,
vgl. z. B. Cutullus = Catullus CI VIII, 1 1 573, lucusta = locusia (CGI.
III, 44, 15; 97, 6), lugurrio = ligurrio ALL XI, 130 und vor allem
tugurium <i tegurium, Sommer 2 112. Während aber in diesen
Fällen die Assimilation an u auch durch den Guttural begünstigt
wurde, welcher dem u homorgan ist, förderte in hitumen das anl. b
die Angleichung, welches wie u mit Lippenrundung gesprochen
wurde.
Dagegen haben wir es in sirena non serena (203) weniger mit
einer durch r begünstigten Assimilation als mit Volksetymologie
zu tun; mit Recht hat Heraeus, ALL XI, 64 auf CGI. IV, 160, 53:
serene vestiae la{e)tissime in mari aufmerksam gemacht, wo das erste
e durch die Buchstabenfolge — das Wort steht zwischen servitium
und seclusa — gesichert wird; die 'Heiteren', mit 'heiterer Stimme
[seretia vox) Singenden' waren die Sirenen für die allgemeine Volks-
vorstellung, vgl. noch Not. Bern. 57, 100; Reich. Gloss. bei Foerster,
Afrz. Übungsb. 91. Merkwürdigerweise finden wir CGI. V, 513, 45 :
Serenes monstra maritima usw. wohl das durch lateinische Volks-
etymologie entstandene e, aber die griechische Endung; zu be-
achten ist, dafs gr. et vor Konsonanten gelegentlich auch zu e
wurde (vgl. Saalfeld 62), vor r z. B. in cheragra neben cheiragra,
chiragra.
* Verfehlt Charpentier Giotta 9 (1918), 57.
Baehrens, Spraclil. Kommentar zur Vulgärlat. Appendix Probi.
f) piiella non poella (131). Von den bisherigen Beispielen unter-
scheidet sich poella dadurch, dafs von zwei sich unmittelbar folgenden
Vokalen sich der unbetonte dem betonten annähert. Vergegen-
wärtigen wir uns die bekannte Vokalskala
so erkennen wir leicht, dafs in bezug auf den Abstand der Zunge
vom Gaumen und auf die Öffnung des Mundes e und 0 gegenüber
i, u und a als mittlere Vokale zusammengehören. Wir haben es
mit einer bedingten Assimilation zu tun, wie sie z. B. auch im
vorhist. coiraverunt >» coeraverunt zutage tritt, während deuco >• douco
und aides > aedes anders zu erklären sind. Für ahd. leuht(a) >
leoht usw. s. Baeseke, Einf. in das Althochdeutsche 17, 41. — Da
sich der Lautwandel in unbetonter Silbe vollzog, dürfen wir die
Form nicht mit Solmsen, IF 31, 477 anführen, um das CIL III, 962, 2
== CE 34 Buch, überlieferte: bene debet esse povero qui discet beiie
zu diskreditieren. Sogar ein vorhistorisches *pover, das bis dahin
allgemein angenommen wurde, indem man mit Skutsch, [Berl.]
Phil. Woch. 1895, 1334 puer zuerst in der unbetonten Silbe des
häufigen Vokativs 1 — Jieüs puere, til puere usw. — , das später auch
Nominativ wurde, entstehen liefs, lehnt Solmsen a. a. O. ab. Aber
Marcipor kann nicht aus Marcipuer oder Marcipuver entstanden
sein, da das e nur zwischen v und r, nicht zwischen u und r hätte
schwinden können und aus -puyr (<; -puver) niemals -por entstanden
wäre. Wir müssen unentwegt an altem *poveros festhalten, das sich
orthotoniert wohl direkt bis in die spätere Umgangssprache gerettet
hat, wie plovebat bei Petron 44 (Sommer 2 104). — Mit dem alten
-ov- in povero hat aber das junge poella schon deshalb nichts zu
tun, weil puella selbst erst später zu puer und puellus gebildet wurde,
vgl. CI XIV, 2862 : Fortuna lovis puer primigenia und W. Schulze,
Gesch. Lat. Eigenn. 137. Als das Femininum aufkam, war pover
jedenfalls im Hochlatein zu puer geworden; dafs sich nach dem
sporadisch in der Umgangssprache erhaltenen pover nun auch ein
*povella gebildet hätte, zu dem poella gehöre, ist völlig ausgeschlossen.
Im Romanischen lebt das Wort nicht fort (afrz. polle < pulld). Über
laneo und herme7ieo?nata s. § 25 und 5 c.
g) In botruus non buiro (127) ist die verworfene Form über-
haupt nicht mehr durch eigentliche Assimilation entstanden, sondern
durch Umlautung, indem das y, u von botryo {-uo), als es konso-
nantisch wurde und ausfiel, dem vorhergehenden Vokal seine Kiang-
^ Erst Teienz Ad. 940 Icennt den Volcativ puer.
35
färbe gab und o zu u amwandelt<i. Die Römer entlehnten nämlich
zur Bezeichnung der 'Weintraube' zuerst nicht das gewöhnliche
ßoTQvg, sondern nicht sicher belegtes *ßoTQVOJV, das bei Martial
11, 27,4 auftritt, während Ijo/rys selbst vor Hieronymus und der
Vulgata nur, im Anschlufs an Dioscorides, für das kerba anihrosiae
Verwendung fand. Dieses hotmo [-nevi) verlor in der Vulgärsprache
das konsonantisch werdende u in derselben Weise, wie Fehruai-his
> Fehrarius, Grandgent Vulgär Latin § 226. — Butro ist auch
Ital. Gen. 40, 1 1 belegt, verwandt ist hutrio Greg. v. Tours Stell. 28.
— Die Vokalumlautung wie sie in hiitro zutage tritt, steht nicht
vereinzelt da. So setzen it. pidocchio, afrz. peou usw. ein peduclus
(so schon Petron. 57) voraus; ebenso it. ranocchio, frz. grenouille
ein ranucliis; it. ginocchio, afrz. genouil ein genudwn, stets mit un-
ursprünglichen u in der Pänultima; vgl. auch panucla in einem
vulgären Zauberspruch bei Marc. Empir. S. 113, 32, Nied. und
Liechtenhan, Sprachl. Bern, zu Marc. Erap., Diss, Basel 191 7, 42.
Gewifs finden wir auch Formen in den Glossen, welche in Anschlufs
an das Hauptwort [cojmculus CGI. V, 494, 68) oder durch Assimilation
[fronduciäa V, 634, 47) ein ii statt i erhielten. Aber diese Beispiele
— weiteres bei Heraeus die Sprache Petrons 45 — sind vereinzelt
und ephemer; allgemein war die Umlautung nur, wenn, wie in
ranuclus usw., der umlautende Vokal zugleich durch Synkope weg-
fiel: mit ranuclus < raniculus steht butro < botruo auf einer Stufe.
— Auch die anerkannte Form botrutis ist wichtig; sie wird kaum
aus ßözQvog entstanden sein (Schru:hardt II, 140), da in den
sonstigen Fällen, in denen wenigstens formell der griechische
Genetivus zum Nominativ wurde (vgl. ahacus : äßag-xoc, Claussen,
Rom. Forsch. 15 [1904] 800), ein neuer Nominativ auf -us ge-
schaffen wurde ; dafür genügte auch botrus <C ßoTQvg schon. Auch
Guerickes Ansicht, de ling. vulg. rel. apud Petron, Diss. Königsberg
1875, 41, dafs vulgäres -0 durch -us ersetzt wurde, trifft kaum das
richtige, da nur bei Personenbezeichnungen, kaum bei anderen
Substantiven die Endung -0 als vulgär empfunden wurde, s. § 25
über /a7ieo. Wahrscheinlich war botruus Kreuzform von botruo und
botrus. Erst Hieronymus hat in seinen Übersetzungen botrus <
ßöxQvg in die Literatursprache eingeführt, das nun durch seine
Autorität üblich wurde, während botruus seitdem selten ist. Vor
Hieronymus begegnet botruus nur bei Cyprian, ep. 37, 2; 63,7;
69, 2 und es ist nicht wahrscheinlich, dafs botruus vor Ende des
2. Jhdts. oder nach Ende des vierten von einem Grammatiker als
Normalform hingestellt werden konnte; App. wurde also im 3. oder
4. Jhrh. verfafst.
h) tonitru non tonotru. Mit Unrecht sehen Sommer 2 112 u.a.
in tonotru eine Assimilation, welche mit oppodum = oppidum CIL
12, 585, 81 (iii V. Chr.) zu vergleichen wäre; denn in Wahrheit liegt
eine onomapoetische Bildung vor, in der das doppelte 0 das dunkle
Rollen des Donners wiedergeben soll. Zur Wiederholung der Lautung
geben Schalleindrücke Anlafs, welche sich dem Wesen nach zu
36
wiederholen pllegen, vgl. Brugmann, K. vergl. Gramm, d. Indog.
Spr. 286, der auf ululare, dXoXv^tir, murmurare und Verwandtes
hinweist. Dafs die lateinische Volkssprache in der Tat ein schall-
nachahmendes Element in dieses Wort hineintrug, beweisen auch
aital. tronare, prov. cat. sp. apg. tronar, welche ein vulgärlat. tronare
voraussetzen, mit einem r, das nicht nur auf assimilatorischer Zu-
fügung beruht, so Schopf, a. a, O. [s. § 12] 170, richtig Meyer-
Lübke, Wb, 8778. Tronitru ireviescunt ist im cod. Romanus zu
Vergil, Aen. V, 694 überliefert. Vergil schrieb selbstverständlich
tonitru, aber vielleicht gab es im Volkslatein ein schallnachahmendes
tronitru (wonach erst /rö;wr^ gebildet wurde?). Über j(ror/jf//i- s. § 8.
§ 4. Der Vokal a.
140 amycdala non amidduld
84 Camera non cammara
23 cithara non citera
Das ^l des volkstümlichen omiddida < dfivyöd?.)] (vielleicht ist
amiddola zu lesen, s. den Apparatus u. unten) ist deshalb kaum in
Anlehnung an die vielen Substantive auf -ula gebildet, weil -dula
selten ist. Vielmehr ist es zu beachten, dafs die Römer sowohl
dfivyödXrj 'Mandelkern', wie df/.vy(^aXij 'Mandelbaum' und dfivy-
dalov 'Mandelkern' entlehnten, dafs aber nur dfivyÖdX?] im
lateinischen Nebenformen mit einem 0 oder u zeigt, das vor / aus
a entstanden ist; amygdola ist bei Columella 12, 59, 3 über-
liefert; aviigdola z. B. CGI. III, 586, 24 (vgl. noch Thes., L. L. s. v.
p. 2029, 40. 42); amandola CGI. III, 586, 24; 607, 16; 616, 24;
aviandula Plin. Valerian. 5, 30; CGI. III, 578, 2. Von den drei
Lehnwörtern erfährt also nur dasjenige einen Lautwandel in der
Pänultima, dessen griechisches Vorbild, d/^vyödX?], den Akzent auf
jener Pänultima hatte. Sehen wir uns nun die anderen griechischen
Lehnwörter an, deren Pänultima a ebenfalls vor velarem / (Labial)
zu 0 und ti wurde (Saalfeld 79): crapula < xgaLJtdXj], scutula <
OxvTdX7j, spatula << GjiaxdXi]., Hecuha (älter Hecoha) <C '^Exdßr/,
pessulus < jidööaXog, strangulo < ötQayyaXöco, so haben die vier
ersten ebenfalls (aus 0 entstandenes) u an Stelle eines a, das
im Griechischen den Akzent trug, während strangulo wohl nach
iugülo gebildet wurde und pessulus auch in der ersten Silbe einen
abweichenden Vokalismus zeigt. — Dagegen haben die griechischen
Proparoxytona wie xv^ißaXov , OxdvdaXov , XQoraXov u. a. be-
zeichnenderweise auch im Lateinischen ihr a alle behalten. Von
den Paroxytona entspricht nur gjidXj] ein phiala mit 0; aber es
gab wohl auch phiola im Vulgärlatein, vgl. prov. fiola, frz. fiole,
M.-Lübke, Wb. 6466. Die Vulgärform amigdola {-dula), welche den
griechischen Akzentverhältnissen ihren Ursprung verdankt, mufs
unbedingt zur Zeit der Entlehnung entstanden sein und dem-
entsprechend bietet schon Colunella, bei dem das Wort zuerst be-
gegnet, amygdola. Sie konnte aber deshalb nicht, wie crapula usw.
37
zur Alleinherrschaft gelangen, weil amygdala <C d/ivy6aXr/ und
amygdalum < dfj.ry^aXov auch auf die Form des dritten Wortes
ihren Einflufs geltend machten. — Die verschiedenen Formen auf
-da/a, -dalu7n schützen sich gegenseitig auch gegen sonstige Ver-
änderungen i; höchstens wurde das unbeliebte -gd- zu -nd- um-
gewandelt, vgl. Not. Tir. 105,27: amyndaJa und die romanischen
Vertreter (s. u.). Dagegen war isoliertes amygdola, -dula eher Ver-
änderungen ausgesetzt und es wurde nicht nur -gd- zu -nd-^ -dd-,
— vgl. die Form der App. — , sondern auch das unlateinische y
assimilierte sich in betonter Silbe so konsequent an vorhergehendes
a, dafs amandola sich auch im Romanischen durchsetzte. Auf
amygdala geht prov. amella usw., auf amyiidala span. almendra, pg.
amendoa, auf amandola, it. mandola, mandorla, frz. amande zurück,
M.-Lübke, Wb. 436. — Amiddtda mit -dd- ist sonst nicht belegt;
vergleichen läfst sich frig(i)diini > friddo. Das ungewöhnliche -gd-
scheint App. auch in der korrekten Form zu meiden, indem sie
mit der Schreibung c der Umgangssprache eine kleine Konzession
macht, vgl. n. 54: fricda und § 2 a. Man kann auch a?nygdala non
amiddola bessern.
Camara wurde, da auch die Fremdwörter dem Gesetz der
Schwächung unterlagen, zu camer a. Das getadelte cammara —
über das doppelte »^ s. § 13 — hat entweder, durch die assimi-
latorische Wirkung der umgebenden Vokale begünstigt, immer neben
Camera gestanden oder ist innerhalb des Lateins durch sekundäre
Angleichung aufs neue aufgekommen. Camara ist nach Thes. L. L.
bes. in Glossen und Inschriften und bei den mehr vulgär gefärbten
Schriftstellern Varro r. r., Vitruv, Columella, Flin. maior (Sen. ep. 86)
überliefert, und Paul. Fest. p. 43 anerkennt die Form besonders, um
die griechische Herkunft klar zu machen, vgl. auch Charis. I, 58, 23 K.:
camara . . ., ut Verrius Flaccus adfir?nat, non camera . . . sed Lucretius
' camer aeque caminis . . .' dicendo etiam cavieram dici posse ostendit;
Non. p. 30, 7. Camera war die Form der gehobenen Sprache und
wird von App. gefordert, während sie cammara des Volkslateins
ablehnt. Im Romanischen ist sowohl camera (it. camera) wie camara
(sp. ptg. camara) und cammara (siz. neap. cammara) belegt.
Cithara mit a in der Pänultima ist auch deshalb wohl späteres
Lehnwort, weil es erst seit Varro, dem Rhetor ad Herenn. und
Lucrez belegt ist und Plautus trotz mancher Veranlassung das Wort
niemals angewandt hat. In der Volkssprache wurde a nachträglich
geschwächt, wofür rum. und ital. cetera, prov. cidra zeugen, während
weitere vulgärlateinische Zeugnisse fehlen. Aber Parallelen bieten
Hilera CIL II, 3684, Carnoy, a.a.O. 17, Caeseris (§ 3b), incompera-
bilis, seperare (Grandgent § 231) und Tartera, das von Consentius
V, 392, 17K. verurteilt wird und trotz der umgebenden a auch im
1 Nur amegdalits = amygdalus steht Arnob. 5, 7; ainecdalus Grom,
Jat. p. 352, 2 Lachm., in amygdulus verbessert.
38
mail, tartera (neben -ara), frz. tarte (-tte) sich durchgesetzt zu haben
scheint, vgl. H. Kohlstedt, Das Romanische in den Artes des Con-
sentius, Diss. Erlangen 19 17, 56.
§ 5. Der Vokal e.
a) 82 iecur non iocur.
In dem Kapitel über Vokalassimilation schreibt Sommer 2, 114:
'vor zwischenstehender Tennis erscheint ö-Umlaut in iocur ^ seit
augusteischer Zeit Nebenform von iccur . . . wohl rustik . . . Das
0 von socors . . . kann bei unbetonter Silbe in secördis, secördia
entstanden sein {secordes stulti CGI. IV, 169, 10).' — Iocur tritt
nur gelegentlich seit Livius auf; an den beiden gesicherten
Stellen 25, 16, 2 und 41, 15, i. 2 folgt ein iocinore (-/); vgl.
noch Plin. n. h. 28, 96, loi, 104 u. ö.; 32, 76. 81 u. ö., Apicius,
CI X, 8249. Wäre iocur durch eine gewisse assimilierende Um-
lautung entstanden, so würden auch Belege für iocoris, iocori nicht
fehlen. In Wahrheit finden wir das sekundäre 0 (vgl. gr. >jjta(})
nur in den Formen iocineris, iocineri, iocinere häufig, welche älteres
iecineris usw. zurückdrängten (vgl. Paul. Fest. p. 245 ; Liv. 8, g, i ;
Neue-Wagener 1^,837 f.), d. h. in unbetonter Silbe. Der Laut-
wandel <f >■ ö konnte zuerst nur in unbetonter Silbe vor sich gehen
und wurde nur durch das folgende gutturale c veranlafst, hatte da-
gegen mit Assimilation nichts zu tun. Dieser Einflufs des c macht
sich auch in dem Übergang von vactvus zu vocivus geltend. Mit
Recht hält Sommer'^ iio angesichts Plautinischem vocivus (Gas.
29, 596) und ?M\zX.vocäiio GIL T^, 583,77 [123 v. Ghr.]; 593, 93, 103
[45 v. Ghr.] gegenüber altem vdcuae GIL I2, 585,28 den ö-Yoka-
lismus für ursprünglich, vgl. auch umbr. vasetom = vitiatum. Aber
im Gegensatz zu Sommer glaube ich, dafs auch hier vor gutturalem c
unbetontes vä- zu vö- wurde, wie umgekehrt vor dentalem r, s, t
betontes vo- zu ve- sich wandelte, vgl. vosier ^ vester, vorsus >■ versus,
Sommer 2, 67. Nur in socördia trat Assimilation ein; sie wurde aber
ebenfalls durch das c begünstigt. — Aus dem Gesagten ergibt sich,
dafs ioctir mit 0 in betonter Silbe eine analogische Neubildung nach
iocineris usw. ist; das bei Gharis. 1,48,20 (I, 546, 8) K. bezeugte
iocinus war grammatisches Postulat, das keine Verwendung fand;
Prise. lU, 238, 16 K.: in usu non est.
b) 55 vinea non vinia 117 tinea non ti{nici)
63 cavea non cavia 132 balteus non baltius
65 brattea non brattia 141 faseolus non fassiolus
66 Cochlea non coclia 157 linteum non Untium
67 cochleare non cocliarium 52 dolens non dolium
68 -palearium non paliariiim 61 ostium non osteum
72 lancea non lancia 160 noxius non noxeus
80 solea non solia 113 alium non aleum
81 calceus no?i calcius 114 lilium non lileum
39
Das schwach gesprochene e vor Vokal wurde schon früh zu i
geschwächt; bereits Pompeianische Inschriften CIL IV, 1173: valiat,
IV, 528: (h)abial = habeai zeigen / und angesichts vinias, vinieis
CIL I^ 1853 (Amiternum) sind jene Formen keine Oskismen ;
Wick, Fonetica delle iscriz. pariet. pompeiane 1905. Umgekehrt
finden wir besonders auch in rustiken Vokabeln der Landbevölke-
rung e statt unbetontes / vor Vokal, vgl. z. B. den Bauernkalender
CIL VI, 2305, 2306: vicea, dolea', XI, 3950 macerea, talea 'Setzreis',
Ernout 235 ; das e entstand vielleicht am ehesten vor a, so dafs
auch eine bedingte Assimilation in Betracht käme. Jedenfalls
wurde durch die schwache Aussprache des Hiatusvokals der Unter-
schied zwischen / und e leicht verwischt. Über die Aussprache
des Hiatus-? s. §1. — Die schwache Aussprache zweier Schlufs-
vokale eines Wortes, welche kein Konsonant trennt, läfst sich auch
auf anderem Wege zeigen, der zugleich dolens non doliuni erklären
kann. Es ist eine wenig beachtete Tatsache, dafs, abgesehen von
Lehnwörtern, die meisten Vokabeln auf -eus früher oder später eine
sekundäre Form auf -euni neben sich haben. Caseiis und caseum
sind zwar beide bei Plautus, halteum und cuUeum neben halteus
(Liv. Andronicus) und culleus (bei Plautus nur in Casus obliqui)
schon bei Accius und Cato belegt, aber die Formen auf -ewn
lassen sich schon durch ihre Seltenheit als die wahrscheinlich
jüngeren erkennen. Neben altem pntcus gibt es erst seit Varro
ein putenm — über die wohl etruskische Herkunft Sigwart Glotta
Vni, 13g — , neben pluteus (bei Plautus) nicht vor Vitruv ein plu-
teum. Und wenn neben alveus auch ein alveitm bei Festus (Verrius
Flaccus) und in der Itala vorkommt und schon bei Cato neben
modius ein medium, so werden durch alviis und modus alveum und
modium ohne weiteres als sekundär erwiesen. Für das spätere
Vulgärlatein kommen besonders laqueum (Ital. Osea 5, i, gr. jrayig)
neben laqueus, cuneum (CGI. II, 354, 20; 500, 5) neben cuneus,
malleum (GL VII, 100,12; CGI. II, 504,27; III, 23,21) neben
malleus, orcium (CGI. II, 347,60; III, 289, 11 ortiu7ii) und urceum
(GL IV, 211, 15) neben urceus in Betracht; vgl. noch gladium
Quint. I, 5, 16 und radm?n GL VII, 102, i. Ursprüngliche latei-
nische Vokabeln auf -eum gab es nach Gradenwitz' Laterculi nur
sehr wenige, wie horreum, hordeum. ' Die Ausdehnung der Endung in
der späteren Umgangssprache steht in Widerspruch mit dem allmäh-
lichen Untergang des Neutrums im Vulgärlatein, dementsprechend
auch horreus CI II, 3222; hordeus Oribas. 2, 7 ; balmeus Petron. 41
belegt sind. Diese neuen Bildungen müssen also einem besonderen
Umstand ihre Entstehung verdanken, und da es wohl ein alveum
und modium neben alveus und modius, nicht aber alvum, moduvi
neben alvus, modus gab, so liegt die Erklärung nahe, dafs durch
die flüchtige Aussprache der durch keinen Konsonanten getrennten
Vokale der Schlufssilben das an sich schwache auslautende -s oft
fast vöHig schwand und leicht durch kaum gehörtes auslautendes -m
cJes neutralen Nominativs ersetzt wurde. Deshalb tritt wohl -inm
40
an die Stelle von -ins, nicht dagegen -ius mit etwas kräftigerem i'
an die Stelle von häufigem -tum. — Durch diese Erklärung i findet
m. E. auch ein anderes Problem seine Erledigung, das C. Proskauer,
Das ausl. -s auf den lat. Inschr., Strafsburg igio, loff. behandelt
hat. Auf den Denkmälern von Beginn der historischen Zeit (350)
bis 200 ist — im Gegensatz zu den ältesten Inschriften, welche
festes -s zeigen — in der Nominativendung -los nur selten das
ausl. -s geschrieben worden, in etwa 13 von 147 Beispielen (63
aus Praeneste). Dagegen fehlt in der Endung -os mit vorher-
gehendem Konsonanten, welche neben vielen Eigennamen auf -ios
viel seltener belegt ist (13 mal), nur dreimal das s. Bezeichnend
für den Gegensatz sind Gl XIV, 2577, 2578: Fourio . . . trihiinos\
IX, 4204: Q. Lainio . . . praiftctos . . .pro trebibos, den Proskauer 31
dadurch erklärt, dafs nach Vokal das q offener sei als nach einem
Konsonanten und durch dieses sehr offene g auch das ausl. -s re-
duziert wäre. Nach dem Gesagten dürfte auch im alten Latein
das j in FouHo(s) nach zwei flüchtig gesprochenen Vokalen kaum
gehört sein. Als in der überwiegenden Mehrzahl der Substantiva
mit konsonantisch anlautender Schlufssilbe, deren s etwas fester
war, das 0 zu u wurde, übertrug sich die neue Endung -us in der
Schreibung auch auf die übrigen und auf die im Verhältnis zu den
anderen Substantiva wenig zahlreichen Eigennamen auf -io. Schon
in den ältesten Beispielen auf -iu(s), welche Proskauer vor 200 an-
setzt, sind unter 47 Belegen davon 27 aus Praeneste, nur noch
vier oder fünf mit -iu ohne ausl. -s. Aber auch jetzt war das -s
in -eus {-ius) mehr orthographisch als phonetisch vorhanden, wie
es nicht nur Inschriften wie VI, 6571: Staliliu Garns, 34627: Aureliu
Gaius, sondern vor allem die behandelten Neben forrmen puteum,
malleuvi usw. zeigen. — Vielleicht erkennen wir jetzt auch, weshalb
App. dolens billigt und nicht das übliche dolmm. Neben dolium,
das sich romanisch erhalten hat (Groeber, ALL II, 103), tritt z. B.
im Bauernkalender CIL VI, 2305, 2306 rustikes dolea (Plur.) auf,
vgl, noch Varro, r. r. i, 13,6; 3, 15,2 usw. Daneben begegnet
dolens — Grom. Lat. p. 296, 9, 14, 18 L. und CGI. III, 357, 58 — ,
das wegen des e sicherlich vulgär ist, mag es im übrigen als volks-
tümliches viasctilimim pro nerUro oder im Anschlufs an urceus : urceuvi
entstanden sein. Wie kam nun App. dazu, diese Form anzuer-
kennen? Doliuni scheint sie mit übertriebener Vorsicht deshalb
nicht anerkannt zu haben, weil es in der Umgangssprache schon
ein romanisch nicht erhaltenes dolium 'Schmerz' gab, vgl. CIL
V, 1729 und das bereits Plautinische cordolium. Von den erübri-
genden Formen betrachtete sie gegenüber dem verbreiteten rustiken
doleum das seltenere dolens als richtig, weil auch malleus, laqueus
usw. hochlateinische Bildungen waren, dagegen malleum, laqueum
1 Es könnte auch das Empfinden, dafs die Vokabeln auf -eus, •ius Ad-
jekliva seien, die Umwandlung begünstigt haben; dann aber blieben die echt-
lateinischen Eigeuiiameu Fourio, Lainio usw, unerklärt.
41
die vulgären. — Dokus ist in der Hs. erst Korrektur aus doleum ;
betrachten wir dies als richtig, so mufs jedenfalls rsj dolium non do-
leum (so Charis. I, 70, 27 K.) gebessert werden. Aber wie wäre ein
später Schreiber darauf verfallen doleus zu korrigieren, das tatsächhch
lateinisch belegt ist, ihm aber nicht richtiger als doleum sein
konnte? Denkbar wäre dolium non doleus oder doleus non doleian:
A. Probi kann dolium kaum direkt verworfen, wohl in der Weise
nicht anerkannt haben, dafs sie es nicht erwähnte.
Ein rustikes e liegt wohl auch in aleum und lileum vor. Griech.
dXXäg < dXXdsig 'Wurst mit Knoblauch' wurde ohne Zweifel
einem südital. Dialekte entliehen — älhiv Xd^aror ^haXoi Hesych
— und da lat. // vor Vokal im Oskischen // entspricht (vgl. bantin.
allo = alia), ist aliiim die ursprüngliche lateinische Bildung und
aleum die dialektische Form aus der Umgebung Roms, vgl. zu
dXXäc Kretschmer, Glotta I, 324. Aleum wird auch sonst von den
Grammatikern verworfen, so dafs App. auch hier aus grammatischer
Tradition schöpft; vgl. Porphyr zu Horaz Epod. 3,3: 'aliu?n^ di-
cendum . . . non ut vulgo 'aleum'; Charis. I, 70, 27 K. ; Beda VII, 263, 2 1
K. ; Albinus VII, 295, 19 K. Bezeugt ist aleum im Ed. Diocl. 6,23
und in späteren Texten, vgl. z.B. Niedermann, Marc. Empir. Ind. 321.
Schon bei Plautus, Most. 47 ist aleato [cibus alio conditus) überliefert
mit e vor a (s. p. 39). Im Romanischen hat sich wohl blofs alium
erhalten, ebenfalls nur dolium und lilitim, nicht die rustike Form;
für alium vgl. it. aglio, frz. ail, span. ajo usw.
Lilium ist aus Xtigiov entliehen (Saalfeld, Tens. ital.-graec. 629)
mit Assimilation des r ; im span. ptg. lirio wurde lilium wieder dis-
similiert, Schopf, a.a.O. 136. Lileum steht Not. Tir. 105, 7 iE., viel-
leicht ist auch CGI. V, 218, 8: lilia non lilea zu schreiben. — Gerade
in »doleum, aleum, lileum tritt das Bestreben zutage, das mit / zu
moulliertera i eng verbundene i wieder vokalisch zu gestalten und
es umgekehrt offener zu sprechen, vgl. auch das über osteum
Gesagte.
Ganz anders ist wieder noxius non noxeus (160) zu beurteilen,
und es liegt nicht, wie man wohl meistens annimmt, nur um-
gekehrte Schreibung vor. Noxius ist dem Sinne und dem Emp-
finden nach Adjektiv zu noxa, während sonst zu Substantiven auf
-a die Adjektivbildung stets auf -eus endet, vgl. palma, palmeus —
flamma, flammeus — gevnjia, gemvuus — pluma, plumeus — spuma,
spumeus — canna, canneus — siuppa, stuppeus — cera, cereus —
terra, terreus — vipera, vipereus — rosa, roseus — purpura, purpureus —
concha, concheus — virga, virgeus — spica, spiceus — squama, squa-
mcus — herha, herheus — myrrha, myrrheus — charta, charteus
u. a. Sehr leicht konnte daher auch noxius, das trotz des aus
ihm substantivierten noxia für das Empfinden der Volkssprache zu
noxa gehörte, zu noxeus werden, das CI IX, 3437 (Schuchardt
11, 141) belegt ist. Noxsea = noxia (f.) bei Hübner, Inscr. christ.
12, 2 (Ende 6. Jhdt.) dürfen wir also nicht ganz auf eine Stufe
mit noxeus stellen ; es scheint, dafs erst noxeus auch ein noxea
42
nach sich zog, dessen e durch das folgende a begünstigt wurde,
s. oben. — Noxeus war nach dem Gesagten mehr verbreitet, und
es ist wohl kein Zufall, dafs App. noxeus, nicht noxea als vulgäre
Form anführt.
Mit Recht hebt Ullmann 189 hervor, dafs osteum seit dem
2 Jahrh. — CIL VIII, 1309. 1310 (aus den JJ. 166/9); zweimal
auch in den Act. fr. A.rv. aus dem J. 218 n.Chr.; Rönsch, It. u.
Vulg. 463; Marc. Empir. 22-I., 5N. — so gut belegt ist, dafs man
darin mehr als einfache umgekehrte Schreibung zu sehen hat; aber
archaisch ist die Form sicherlich nicht. Beachten wir, dafs auch
hestia sehr häufig die Nebenform hestea zeigt — Cypr. Demetr. g
usw. ; Ital. ap. 6, 8 usw. ; Thes. L. L. s. v. — und das nur im
späteren Latein belegte bestens nach Thes. L. L. bei Commodian
und in den Acta Petri fünfmal in dieser Form und nur zweimal
als besliiis belegt ist, so liegt es auf der Hand zu vermuten, dafs
auch in osteum die dem Vokal vorangehende Konsonantengruppe
-st- den gelegentlichen Lautwandel beeinflufst hat. Vergleichen
wir nun die Worte des Grammatikers Pompeius (5. Jahrh.) V, 286, 7
K. : iotacismi sunt, qtii fiwit per i litter am, si quis ita dicat, Titius
pro eo quod est Titius (d. h. Titsius), Aventius pro . . . Aventius (d. h.
Aventsius), Amantiiis pro . . . Amantius (d. h. -tsius) . . . quotiens-
cumque enim post ti vel di syllabam sequi tur vocalis, illud ti vel di in
sibilum vertetidum est ... castius ... ecce media syllaba et nihilo-
rainus in sibilum non vertit . . . ubi s litter a est, ibi 7ion possu-
mus sibilum iii ipsa i littera facere, so ergibt sich, dafs zur
Zeit der Assibilation in der Umgangssprache wohl Titsjus und
Aventsjus, aber wegen des vorangehenden s castius nicht caslsjus
gesprochen wurde. Diese Assibilation begann im 2. Jahrh., wie sich
aus Vincentzus auf einem Fluchtäfelchen Carthagos (Audollent ^37)
und anderen Beispielen ergibt. Aber in ostium und bestia konnte
sie nach vorhergehendem s nicht eintreten und zur Unterscheidung
von Titius, repositio usw., welche nicht immer Titsius, rcpositsio ge-
schrieben wurden, deutete die Orthographie seit dem 2. Jahrh. mit
osteum an, dafs // nicht tsj gesprochen wurde, wobei die Möglich-
keit bestehen bleibt, dafs sich die Aussprache des / in ostium in
eine Vificenizus (-ts/us) entgegengesetzte Richtung bewegte und ge-
legentlich auch osteum mit e gehört wurde. App. kann auch osteum
kaum vor dem Ende des 2. Jahrhs. verworfen haben. — Auch
hierin stimmt ostium mit bestia überein, dafs das / der nichtassibi-
lierten Verbindung -sti- den vorhergehenden Vokal umlauten konnte ;
aus ostium wurde üstium (Geyer, ALL VIII, 480; Pirson, a.a.O. 42),
das allgemein romanisch ist, und bistia ist nicht nur bei Gregor
von Tours, sondern auch im Romanischen bezeugt, Rohlfs, Z. f. Rom.
Phil. 41, 1921, 354. Somit erledigt sich die Vermutung von Meyer-
Lübke, Z. f. Rom. Phil. 22, 355, Einf.3 180, dafs aus vorhist. de
austio — inschriftlich ist austium = ostiufn belegt — ein de' ustio
geworden sei (inclaudo >» includo) und dieses ustium (selbständig)
nach vielen Jahrhunderten wieder aufgetreten sei,
43
Wenden wir uns jetzt zu den Formen, in denen umgekehrt
das i, nicht das e abgelehnt wird. In coc(h\/eare tion coclearium —
s. auch den Apparatus r. St. — wird auch die Endung -arium
zurückgewiesen. In seiner tüchtigen Dissertation 'Die rückläufige
Ableitung im Lateinischen', Diss. Basel 1920 (74), hat Brender
wohl mit Unrecht cochlear(e) 'Löffel' als Rückbildung aus coclearia,
Plural von coclearium, hingestellt. Neben coclear 'Löffel', das bei
Celsus, Plinius, Coluniella vorhanden ist, ist zwar auch coclearium
z. B. für Scribonius Largus, c. 16 (-orum) in derselben Bedeutung
gesichert, aber an den ältesten Stellen, Varro r. r. 3, 12, 2; 3, 14, i
ist coclearium so viel wie Uicdificitcm rusticum cochleis servandis factum^ \
dafs diese Bedeutung die ursprüngliche ist, zeigen ähnliche Bil-
dungen wie carnarium, sanctuarium, tabularium usw., s. W. IMeyer,
Die Schicksale des lat. Neutrums im Roman., Diss. Zürich 1883,
102. Ohne Zweifel standen zuerst coclear und coclearium in ihren
verschiedenen Bedeutungen nebeneinander und wurde aus dem zu
coclear gehörigen Plural cocharia ein neuer Nominativ coclearium
gebildet. 1 Dieser Sachverhalt wird bestätigt durch App., die
coclearium als Neubildung — und wegen des langen Suffixes (§ 27)
— verwirft; dementsprechend weisen gerade die mehr vulgär ge-
färbten späteren Schriftsteller wie Pelagonius, Marcellus Empiricus
u. a. coclearium auf; auch in den Glossen ist es häufig, vgl. Goetz,
Thes. Gloss. em. I, 226. Schliefslich wurde in gleicher Weise aus
conclavia, Plur. von couclave (seit Plautus), ein zuerst beim vulgär-
gefärbten Vitruv 6, 3, 8 (Gen. Plur.) belegtes conclavium gebildet ;
nach exemplaria, Plur. von exemplar (Cicero), ein bei den Juristen
auftauchendes exemplarium. Umgekehrt tritt neben nubilarium
'gegen Regen schützende Feldscheune' nubilare CIL VI, 2204. Im
Romanischen lebt coclearium, die neue Vulgärform, weiter, vgl. it.
cucchiaio, frz. cuiller, sp. cuchära, M.-Lübke, Wb. 2012, anders
Groeber, ALL I, 54Q. Die Formen mit / in coclea <C xo'/^Äiac belegt
Schuchardt, Vok. 1,433, HI; I45 ^"s Inschriften; vgl. auch CGI.
11,354,36, 563,33; III. i4>6o; 87,49; 184,8. Angesichts usäum
ist auch cuchliae (mit nicht ganz mouilliertem / nach c(h)), Ed. DiocI.
6, 46 von Interesse.
Nach dem Gesagten ist zu dem von Columella i, 6, 9 an-
geführten palearia 'Spreuboden' der Singular ohne 2,^€\i&\ palearium.
Daneben wurde in späterer Zeit zu palear 'herabhängende Haut
am Halse des Stieres', das meist im Plural vorkommt — der
Singular ist Sen. Phaedr. 53 überliefert — , ein in den Glossen
öfters auftretendes /(2/frtr««>« gebildet, vgl. z.B. II, 268,26: ötQiia
t6 vjtoxdrco zcov TQcr/jj^.cor rcöv ßocöv und Goetz, Thes. Gl. II, 40.
— Da App. auch cochlear und cochlearium scharf trennt, so kann
mit der anerkannten Schulform palearium nur der Spreuboden
gemeint sein. Über das Romanische s. M.-Lübke, Wb. 6163.
» Nicht aus dem echtgriech. 'ao'/XiÜqiov (vgl. xö'^Xoq, ico'/}.[aq\ Pollux,
Onom. 6, 87} entliehen.
44
In der verschiedenen Beurteilung des Verhältnisses von vinea
zu vinia treten mit voller Deutlichkeit die beiden verschiedenen
Methoden der Grammatiker zutage, welche entweder die vulgären
Nebenformen als solche richtig erkannten und verwarfen oder in
wenig erfreulicher Weise einen semantologischen Unterschied
zwischen den klassischen und den volkstümlichen Bildungen zu
konstruieren versuchten. Nach der Auffassung der letzteren bedeutet
vinea 'Weingarten', vinia 'Schirmlaube der Soldaten', und schon
Annaeus Cornutus verwirft in den GL VII, 147 (150,20) erhaltenen
Auszug Cassiodors diesen Unterschied: qiiod discrimen stultissimum
est, vgl. noch Charis. I, 95, 8 K. Die von Marius Victor. VI, 8, 3
angeführten Grammatiker treiben es noch toller, wenn sie unter
Vernachlässigung der lebendigen Sprachformen für vinea 'Schirm-
laube' zwecks Differenzierung die Schreibung veinea verlangen. Wie
sie zu dieser merkwürdigen Auffassung kamen, zeigt das zweite
Beispiel, pilum militare sei mit ei, pilum pinsitoritm mit i zu schreiben,
zu welcher Annahme eine verkehrte Benutzung von Lucilius 359 M.
verführte: {^pHum^) quo piso tenues. si plura haec feceris pila |, quae
iacimus, addes e ^peila'' iit plenius fiat: nur im Plural soll die gröfsere
Masse auch äufserHch durch ei, nicht i gekennzeichnet werden
(Vel. Long. VII, 56, 4K. und Sommer, Hermes 44, 1909, 75, dessen
Ansichten etwas zu modifizieren sind) ; besonders in der Bedeutung
'Speer' stand pilum häufig im Plural. — In Wahrheit ist vinia die
vulgäre Form, welche seit CI VI, 933 aus dem J. 75 n. Chr. ge-
legentlich belegt ist. — Auch in der Beurteilung von balteum, einer
vulgären Form von haltetis — laltius {132) mufs nach Albinus
VII, 298, 20 K.: halleum, cingulum, per e scrihatiir (Heraeus 320)
nicht selten gewesen sein — sehen wir die Meinungen derjenigen,
welche balteum richtig als volkstümlich erkannten, und anderer,
welche anders urteilten, auseinandergehen, vgl. Charis. I, 77, 5 K.:
halteus masculifio genere semper dicitur . . . Plinius tarnen vult mascu-
lino genere vinculum significare , neutro auiem loca ad Uganda apta,
sed Varro in Scauro haltea dixit et tusciim vocahulum aii esse. Es
wäre eine nützliche Aufgabe, die Zeugnisse für die seit dem ersten
Jahrhundert aufkommenden Versuche zu sammeln, sekundäre Formen
der Umgangssprache der Bedeutung nach von den normalen
Bildungen zu differenzieren. Man vergleiche z. B. Velius Longus
VII, 74, 16K. : voluerünt . . . gra?/i??iatici, ut coortes sint villarum,
Wide homines cooriantur pariter . . . at cohortes rnilitum a viutua cohor-
tatione; in Wahrheit ist coors eine volkstümliche Bildung, welche
sich weiter zu cors und curs entwickelte, s. Thes. L. L. s. v. Auf
weitere Ausführungen (s. auch die Einleitung) mufs ich hier ver-
zichten.
Nachdem das Hiatus-^ zu i und / geworden war, konnte aus
verschiedenen Gründen der neue Laut auch den vorhergehenden
Konsonanten irgendwie beeinflussen. So wurde vor dem neuen i
das schwache v gelegentlich zu i und trat neben cavia (63), das
in Hss, öfters belegt jst (auch Bullet. Napol. 1859, 182), ein cabia,
^5
s. CGI. III, 360, 35: gabia yaXtdyQW, 397, 52: cakeagra (so) gabia;
in, 404,6: cabia galeagra und Tab. devot. 252, 12 Audoll.: xdßia',
vgl. auch it. gabbia. Interessant ist, dafs anscheinend die neue
Form cabia (gabia) häufig die mehr spezielle Bedeutung 'Wiesel-
falle' bekommt, vgl. das § 3c über nimquis und imbilicum Gesagte.
Auch aina 'Grofsmutter' begegnet auf Inschriften (CI X, 3646 und
2 119?) in der Form abia.
Neben brattea ist auch bractea belegt, aber erst seit Apuleius,
so dafs die Form innerhalb der lateinischen Sprache sekundär ent-
standen ist. Mit Unrecht meint also Ernout 235, dafs brattea ■<
bractea aus irgend einem Dialekt stamme, in dem -et- schon früh
-//- geworden sei, — so z. B. in Praeneste und Umbrien. Da -ct-
im Vulgärlatein z. T. zu -//- wurde (§ 16 a), kam auch die umgekehrte
Aussprache (-et- zu -//-) gelegentlich vor. Ein so entstandenes
bractea konnte sich vielleicht deshalb durchsetzen, weil vor konso-
nantisch gewordenem Vokal sich die Silbengrenze verschob (s. über
accia = acia usw. § 13), indem auch die vorangehende Silbe durch
einen Konsonanten geschlossen wurde, und auch bractea dieser
Bedingung besser entsprach als brattea = bratia. Das / von brattia
findet sich besonders oft auch in brattiarius CIL VI, 95, 9210, 9211
u. ö. {brattearius CGI. II, 406, 28). Dasselbe gilt auch für lanciarius,
das neben lancia — z. B. CGI. II, 121,3; 362, 2}^ — häufig belegt
ist in Inschriften und Hss., auch CGI. II, 362, 24, Schuchardt I, 437;
Heraeus 312. Auch lintiarius ist neben lintium (CIL V, 1041 Lintia,
CGI. II, 361, 25 usw.) nicht selten vertreten, vgl. z. B. CIL V, 5932,
VI, 9670 [lentiaritis mit e wie sonst) usw. Wie die Synkope be-
sonders in vortoniger Silbe beliebt war, weil die Aussprache nach
der betonten Silbe hindrängte, so konnte sich aus ähnlichen Gründen
dort am leichtesten das e zu i verflüchtigen. Für linteum begünstigte
noch ein spezieller Faktor den Übergang zu lintium. Neben linteum
gab es aufser den sekundär entstandenen pluteum, puteu?n, balteum,
osteum (s. o.) keine auf -teiim endenden Vokabeln, während dagegen
die Endung -tium häufig war. Sehr leicht konnte daher das in
der Aussprache nach lintium hinneigende Wort sich immer mehr
der grofsen Wortgruppe auf -tium anschliefsen. Es wird schon
früh ein lintium gegeben haben, als das / noch vokalisch war.
Später kam daneben lentiiim auf, CIL XIV, 328, das den meisten
romanischen Sprachen — vgl. ait. lenza, sp. lienzo, M.-Lübke, Wb.
5072, 2 — zugrunde liegt; aber auch in diesem Falle gehört die
von App. verworfene Form der älteren Schicht der lateinischen
Vulgärsprache an.
Das häufige Vorkommen von lancia wird auch durch lanciola
(Apul. met. 8, 27) wahrscheinlich gemacht. Denn der Wandel e >-
i (/) setzt die Betonung lanciola und dementsprechend lancia (§ 2)
für die Umgangssprache voraus, wenn nicht nach filiölus, -la und
anderen Vokabeln, in denen die Mouillierung zuerst eintrat, lance(i)6la
usw, auf analogischem Wege gebildet wurden. Jedenfalls fand
-iolus in der Umgangssprache immer mehr Verbreitung ; für capriolus
46>
vgl. Thes. L. L. s.v. und it. capriolo ; neben urceolus {prceolus) tritt
ein ur dolus {pi dolus), vgl. Thes. Gloss. em. II, 384; neben calceolus
ein calciolus, GL Suppl, 187, gK. und unten. So erklärt sich auch
die merkwürdige Tatsache, dafs App. 141: faseolus non fassiolus,
wenn der Überlieferung zu trauen ist — s. den Apparatus — ,
nicht das übliche phasiolus [fasiolus) = (fCiöloXo^, das z. B. bei
Plinius n. h. 12,26; 18,58.158; Ed. Diocl i, 21 ; 6,33.39 (gr.
jiaöioXoi) ; CGI. II, 70, 41 ; III, 16, 20; 88, 44 überliefert ist, sondern
faseolus als richtig anerkennt, das nur vielleicht bei Columella
11,2.72 und einmal bei Plinius 27,94, bezeichnenderweise in
einer Erklärung des Pflanzennamen phaselion {isopyron quidam vocant,
quoniam folium . . . in passeoli pampinos torquetur) vorkommt. * Auch
im Griechischen ^ab es anscheinend neben gewöhnlichem (pdörßoc
und neben (paoiolo^ gelegentlich rpaoZ/oXo^; aber \3.t. /aseolus,
das ebenfalls selten ist, wird sekundär neben fasiolus unter Einflufs
von faselus 'Bohne' neu entstanden sein. Faseolus wurde trotzdem
von App. anerkannt, weil die Endung -iolus in der Vulgärsprache
immer mehr Verbreitung fand, wie die angeführten Beispiele zeigen,
und daher der Schlufs -eolus als der gewähltere galt. Daneben tritt
nun auch eine Form mit -ss- auf, passiolus oder fassiolus ; passiolus
wird jetzt allgemein bei Plinius 18, 125. 198.202.314; 24,65 an-
erkannt, während /aj-j/o/K.? CGI. III, 3 15, 8 ; 563,1 belegt ist. Das
häufige -SS- wäre kaum so früh fest geworden, wenn es erst in
fasiolus vor unbetontem Hiatus-/ (s. § 13) sich aus einfachem -s-
entwickelt hätte. Wahrscheinlich hat sich der unlateinische Wort-
anfang pasi- an dem häufigen Anlaut passi- in der Umgangssprache
ausgeglichen, der pasiolus wegen seines p sicherlich angehört. Dem-
entsprechend tritt das -ss- zuerst nur in der Form passiolus auf
und erst später durch Kreuzung auch in fasiolus. Ob auch in
App. : non fassiolus vielleicht passiolus und nicht fassiolus verworfen
wird? Jedenfalls ist die Variante mehr als eine späte Interpolation."^
Wie auch schon Meister im Thes. L. L. hervorhebt, ist im Verbum
caldare und in calciamenlum (vgl. lex met. Vipasc. = CIL II, 5181,32.
35-36), caldalor (VI, 3939 a) usw. das i ziemlich häufig, während
in den Inschriften nur calceus mit e vorkommt. Calcio wird auch
von den Grammatikern als richtig anerkannt, Prise. 11, 476, iiK. :
calceo, -eas, quod alii caldo, -las. Der Unterschied erklärt sich wohl
so, dafs, als seit Cato neben calceus auch calciamentum trat, calceus,
wie ein Blick in den Thes. L. L. lehrt, sich mehr auf die Hoch-
sprache beschränkte, während calceamentum , das längere Wort, be-
sonders im Volksmund üblich wurde. So finden wir in Bibelüber-
setzungen stets calciamentum und bezeichnenderweise gebraucht es
Cicero nur in der Übersetzung des fünften Anacharsisbriefes (Tusc.
V, 90), wo auch licet venias = licet te venire zu lesen ist. Dera-
1 Unsicher ist die Lesart Apicius 8, 359.
'■* Ob aspan.yizj-fo/o genügt, mit Körting und Meyer-Lübke für die ganze
Romania phaseolus anzusetzen, ist mir zweifelhaft.
47
entsprechend ist cakeus im Romanischen ganz verloren gegangen
— über it. calzo M.-Lübke, Wb. 1497 — und hat sich neben
calcianmihim (it. calciamento, at'rz, chaucement usw.) nur calcea durch-
gesetzt, das nach dem Gesagten kaum mit M.-Lübke als Ntr. Plur.
zu cakeus aufzufassen ist, sondern vielmehr aus cakeamentum durch
Kürzung neugebildet wurde, wie relina aus retinaculum, und meistens
'Strumpf bedeutet, sp. calza, ptg. calca usw. — Wo cakeus in der
Umgangssprache gelegentlich auftauchte, wurde es cakius gesprocher\,
wie App. zeigt; auch hier gehört die verworfene Form nicht der
unteren Schicht der Volkssprache an. Belegt ist cakius CGI. II, 466, i ;
498, 8; Not. Tir. 99, 34; vgl. auch Eutych. GL V, 463, 19 K.: cakio,
-las a cakius derivatum. — Cakius zeigt, dafs mit dem vorher-
gehenden solia (140) ebenfalls das Schuhzeug, nicht der Zungen-
fisch gemeint ist. In den Glossen begegnet solia sowohl in der
Bedeutung 6(xr6cilia (III, 326. 60) wie im Sinne von ßorykcoOöov
o ix^vg (11,259,6; 497,69; 523,40); zu jö/w 'Sandale' vgl. noch
soliarius CIL VI, 9404 und soliaius in den Act. fr. Arval. seit dem
J. 105 n. Chr., Henzen comni. 37. Das Romanische setzt neben
soka (> sollet) auch ein sola voraus, vgl. it. suola, afrz. suele, sp.
suela usw. — M.-Lübke glaubt, dafs zuerst im Plural aus soleae ein
solae entstand und dann auch der Singular sola. Aber weshalb
wären dann nicht auch ein tinae (< tineae) und tina, ein vinae
(«< vineae) und vina aufgekommen? Aufserdem zeigt das belegte
soliae (CGI. III, 326, 60), dafs auch im Nom. Plur., wie sonst,
Hiatus-^ zu i wurde, und aus soliae konnte niemals solae werden;
solae ist dementsprechend niemals belegl. Auch kommt sola wohl
in der Bedeutung 'Sohle' (und im Afrz. als 'Balken' s. u.), nie aber
als 'Zungenfisch' vor, was darauf hinweist, dafs vielmehr sola 'San-
dale' als Kreuzform aus solia (< soka) und solujii 'Schuhsohle' zu
betrachten ist, d. h. soPa durch solum beeinflufst, das mouillierte /
aufgab. Afrz. suele 'Balken' und it. sogha 'Schwelle' zeigen eine
Bedeutung, welche bereits bei Verr. Flaccus (Fest. 301, 3 M.): soka
vel viakria rohuslea, super quam paries craticius exstruitur vorhanden
ist, s. Heraeus 313.
Tinia ist CGI. II, 260,37; III, 569,9 belegt; fürs Romanische
s. M.-Lübke, Wb. 8746.
c) 46 Theophilus no?t Izofilus
190 ermeneumata non erminomata
Seelraann, Ausspr. des Lat. 318, Foerster und Gundermann
halten an der Überlieferung fest; die beiden ersten Gelehrten halten
das i für prosthetisch, aber sicher mit Unrecht, da dieses i seit
dem 2. Jhdt. n. Chr. (Literatur bei L. Sommer, de prosthesi et
aphaeresi, Diss. Jena 1900) fast ausschliefslich vor s mit folgendem
Konsonanten, sc-, sp-, st- begegnet; vor z, wenn es vor stimmhaftem
Konsonanten (Nasalis) aus s entstand, CIL VI, 6792 : Izmurna,
26010a: Izmyrna; vor z ohne Konsonanten ist prosthet. ?' auch in
griechischen Lehnwörtern m. W. nicht belegt. — In richtiger Er-
48
kenntnis dieser Tatsache haben Endlicher, Haupt, opusc. III, 566,
Schuch., Vok. I, 153, 157 und Ullmann 188, 218: non ziofilus ge-
schrieben. Aber auch diese Änderung ist überflüssig, wenn wir
das verwandte Schicksal eines anderen griechischen Lehnwortes im
Lateinischen beachten, nl. rtocpvTog- Nicht nur wurde in beiden
Vokabeln e vor betontem 0 zu z geschwächt — vgl. CIL VI, 27359:
Thiophilae, 25696: Niophitus, sondern auch i'toffvxoq, zeigt eine
izofihis vollkommen parallele Vulgärform, nl. in(n)ofitus, vgl. CIL
XII, 5403: inofiius und Marucchi, epigr. Christian. (Mailand 19 10),
n. 35 : innofito. In beiden Formen izofilus und in(n)ofitus trat eine
Metathesis ein, weil das Hiatus-/ nach anlautenden Konsonanten
ungewöhnlich war. Einen anderen Weg der Entwicklung zeigt
nöfäus — CIL V, 6180, 6224; XI, 4075 — , das sich mit Clöpatra
< Cleopatra VI, 21548 und compairöta XI, 3541 vergleichen läfst.
In diesen Zusammenhang pafst nun auch er?nmömafa, das aus
ermineomata zusammengezogen wurde, wie CGI. III, 398, i : hermineo-
viata, p. 579 : hermeneoma zeigt. Der Übergang -eii- zu -eo- mit
bedingter Assimilation der Zungenhöhe kann sich sehr wohl auf
italischem Boden vollzogen haben (vgl. auch poella -< puella § 3 f.).
Die angeführten Beispiele zeigen, dafs nur im betonten 0 das vor-
hergehende e aufgehen konnte, dagegen in hei-merüoma das e bleiben
mufste. App. hat also absichtlich den Plural ermhiöinata, nicht den
Singular eryninoma (unbelegt), welcher erst sekundär nach der Mehr-
zahl entstehen konnte, zurückgewiesen ; vgl. das oben § 2 a und b
über calda und constabilHus Gesagte.
d) 64 senatus non sinatus 126 effeminatiis non imfimenatus
150 dysenterictis non disintericus 189 bipennis non hipinnis
Während im vorhistorischen Latein vor vi -\- h und vor 2?
(gutturalem Nasal) + Konson. e stets zu i wurde — vgl. quinque
f^ jikVTS, Sommer 2 57 — , ist im späteren Vulgärlatein vor jedem
n -\- Konsonant e gelegentlich zu i geworden und, wie in dem
behandelten ermino?nata, gleichfalls vor freiem «. Schon frühere
Gelehrte haben diesen häufigen Lautwechsel im Vulgärlatein richtig
beobachtet, z. B. M.-Lübke, Rom. Gr. I, 103. sinatus mit / -< «? in
unbetonter Silbe steht schon CIL I2, 593, 135 in der lex {iabulae
Heracleensis) lulia mtinicipalis des J. 45; gewifs hat Lommatzsch
angesichts häufigen senatus in derselben Inschrift mit Recht in senatu
hergestellt; dafs aber andererseits in sinatum nicht blofser Schreib-
fehler ist, sondern der vulgären Aussprache des Steinmetzes ent-
sprach, zeigt die lex. Colon. Genet. luliae Urson. des J. 44, CIL P, 594,
welche ebenfalls IV, 3, 4 sinator bietet, vgl, CGI. IV. 572, 41: sina-
toria. Sinatu ist noch CI VIII, 10525 bezeugt. Da die z-Form
sowohl in Spanien wie in Süd-Italien früh belegt ist, war sinatus
keineswegs ursprünglich eine Spracheigentümlichkeit von Heraklea,
wie noch Ulimann 185 mit Corssen II, 2580". annahm, indem er
auch in dem von App. gerügten sinatus einen Beweis für die süd-
italienische Herkunit dieser Schrift erblicken möchte: heutzutage
49
wissen wir, wie wenige Eigentümlichkeiten des Vulgärlateins in
älterer Zeit auf ein enges Gebiet beschränkt gewesen sind. Von
Bedeutung dürfte die Konsequenz sein, mit der das in stnaius {-tor)
selten auftretende i in einem der oftmals vulgären Charakter
tragenden Pfianzennamen sich zeigt, nl. in senecio = gerontea 'Kreuz-
wurz'; im CGI. III (545, 40 usw.) ist nur an einer sicheren Stelle
seyiitio, dagegen zwanzigmal sinicio bezeugt. Da das bei Afranius
und in den Glossen überlieferte senecio = senex mit seiner -ö-Endung
(s. § 25) sicher volkstümlich gewesen ist, bekam das lautlich völlig
übereinstimmende senecio 'Kreuzwurz' zwecks Differenzierung die
Form sinicio [-tio) ', derer Entstehung durch das Hinneigen des
ersten e (vor n) zu i und durch das sonstige Fehlen der Endung
-ecio begünstigt wurde; auch iniernecio bekommt die Nebenform
iniernicio {-tio).
Dafs das erwähnte sinatum der lex lulia municip. in seinem
Vokalismus der Aussprache des Steinmetzen wirklich entsprach,
zeigt auch das in derselben Inschrift Z. 144, 151 überlieferte «'«j«?;?
= cetisum, womit VI, 9592: initisis, VI, 10902, XIV, 2710: minsibus,
auch VI, 27774 u. 28448: hene merinli, 11645 vi[e]rin[i]ibus und
X, 7776: kalindas (von Sommer 2 58 für einen Schreibfehler ge-
halten) direkt zu vergleichen sind. Auch in n. 150 dysintericus finden
wir Übergang von e zu i vor -nt- ; aber in diesem Falle hat ohne
Zweifel auch das mehr der Umgangssprache angehörende Wort für
Eingeweide: ititeranea, das bei Columella, Plinius, Solinus und CIL
VI, 1770 belegt ist, die Entstehung des / begünstigt. Auch konnte
nach dem Präfix dys-, das noch als solches empfunden wurde, der
nicht lateinische Anlaut euter(icns) leicht in ittter(icus) verwandelt
werden; CGI. V, 337 steht desinteria, 11,576,45: delictio desintiria
distillatio'. erst in diesen Formen hat sich die in dysintericus an-
gefangene Latinisierung vollzogen (vgl. exintero bei Petron. 4g).
Für handschriftliches dysintericus und disintericus vgl. Schuchardt
I, 354, Rose, Ind. zu Anthimus 51 (ALL XI, 322). — Nach dem
Ausgeführten werden wir Niedermann, Essais d'etymol. 19 18, 97
nur beipflichten können, wenn er in dem CGI. III, 602, i über-
überlieferten interocile ernia nicht gr. vÖQOXijktj 'Wasserhodenbruch',
sondern ivT£Q0X7]hj 'Darmbruch' erblickt, und auch ernia ist hier
diese Bedeutung beizulegen.
Da anl. e selten zu / wurde, dagegen oft anl. / zu ^ — vgl.
CIL XII, 2701: ennocens;'^ XII, 482: (/i)enetmte; XII, II 09: JIeiara =
Hilara — , aufserdem niemals im Anlaut if- steht, kann efferninatus
nicht über i/feminatus zu imfimendtiis geworden sein ; vielmehr ist
Präfixvertauschung eingetreten, wie Heraeus 319 bemerkt. Es ist
aber nicht infrenatiis zu vergleichen, das mit negativem in- an die
^ Vgl. das oben über ifnbüicum Veneris Gesagte.
* Vielleicht ist auch in n. 175 imago 7ton l^mago) zu lesen, vgl. CIL
VIII, 9291: emag. (inifer)[?], ÜUmann 185; aber 2,yxtis. ymago kommt in Be-
tracht (CGI. V, 288, 53), auch imma^o (CGI. V, iio, 39 u. ö.), Heraeus ALL
XI, 63.
Baehrens, Sprachl. Kommentar zur Vulgärlat. Appendix Probi. a
so
Stelle von cffrenalus 'ungezügelt' getreten ist — vgl. exa)umis : in-
atiimis — , sondern eine wirkliche Parallele bieten nur die vielen
Verba inchoativa, welche ohne Unterschied der Bedeutung sowohl
mit ex- wie mit ///- zusammengestellt sind ; man vergleiche ex-
albesco inalbesco, excandcsco incandesco, expallesco impallesco, exputesco
(nur Plautus) i?nputresco, exsorJesco insordesco, exlahesco intabesco, ex-
acesco inacesco, extwnesco inttimesco, exhorresco inhorresco. Je nach-
dem das Heraustreten aus dem alten (das sich Entfalten in dem
neuen) oder das Eingehen in den neuen Zustand bezeichnet werden
sollte, wurde das Inkohativum mit ex- oder in- zusammengesetzt,
ohne dafs ein Unterschied in der Bedeutung wirklich empfunden
wurde. Auch der effeminatus ist in den Zustand der Verweich-
lichung eingetreten, und leicht konnte das Präfix ex- in der Um-
gangssprache durch in- ersetzt werden. Anstatt femina finden wir
dann und \v2irm fe7)ieiia — CIL V, 367, 1663; XII, 2422; Xm, 5657,
IChr. Hisp. 84 ; — dagegen ist fimena (lecc. fimmena) erst in frän-
kischen Diplomen des 7. Jahrhs. belegt (Schuchardt II, 23), so dafs
das i in imfimenatus nicht durch ein fimena beeinflufst wurde. Da
nicht infem-, sondern nur hifim- lateinischer Wortanfang ist {inßnus),
konnte leicht mit Vokalumstellung infimenatus entstehen ; auch folgten
sich beide i jetzt unmittelbar. Das n wurde auch sonst vor dem
Labiodental gelegentlich zu m, CIL VIII, 334g: imfanti; CGI.
^y 35O) 54- 55- imßda; II, 77,36: inifamia usw., ALL XI, 319.
Die orthographische Unsicherheit in penna i^pet-stid) pinna
'Flügel' zeigt sich auch in bipennis. Bipennis {dijtreQog) ist ur-
sprünglich Adjektiv, das sowohl den Vogel (Varro, Men. 272) wie
das Beil (Varro, Men. 38g, Verg., Aen. 11, 135) bezeichnen konnte.
Da aber sämtliche Vögel zweiflügelig sind, dagegen nur bestimmte
Beile zweischneidig, ist es psychologisch recht verständlich, dafs
bipennis nur als Bezeichnung dieses Instrumentes sich durchsetzte.
Aufserdem trat schon bald insofern eine wichtige Neuerung ein,
dafs bipennis (sc. securis) nicht mehr als Adjektiv, sondern nur noch
als Substantiv angewandt wurde. Seit Vergil finden wir bipennis
nur bei Plin., n. h. 1 1, g6 und in Glossen (V, 638, 46 usw.), welche
hier wohl nicht aus der Umgangssprache schöpfen, als Adjektiv,
und Serv. ad Aen. 11,135 mufs den adjektivischen Gebrauch an
dieser Vergil stelle als abweichend hervorheben. Wie seit Vergil
bipennis fast ausschliefslich Substantiv ist, so ist auch dieser Dichter
mit TibuU (i, 6, 41) der erste, bei dem sich der neue Gebrauch
belegen läfst und zwar an mehreren Stellen, Georg. IV, 331; Aen.
II, 47g, 627; V, 307; XI, 651; bei Varro, Men, 441 beruht bipinnis
auf Konjektur, s. Lindsay in seiner Noniusausgabe p. 99 M. Da
das Wort aufserdem hauptsächlich der Dichtersprache angehört,
hat wohl vor allem die Autorität Vergils das Substantiv bipennis in
die Literatur eingeführt, wie auch cautes = cotes (§ 24). Der Ein-
flufs Vergils zeigt sich auch in der Stellung von bipennis: abgesehen
von Aen. II, 627 steht es bei Vergil nur am Ende des Hexameters,
und für sämtliche späteren Daktyliker trifft dasselbe zu; bezeich-
51
iienderweise steht es bei Tibull (einmal) im ersten und zweiten
Fufs: ipsa bipenne usw. Allerdings ist es angesichts Tibull i, 6,
41 (29 V. Chr.?) nicht wahrscheinlich, dafs Vergil selbst hipennis zum
Substantiv geprägt hat. Interessanterweise ist bei Horaz gegenüber
nicht seltenem securis in den älteren Oden nur einmal in einem
sehr späten Gedicht (IV, 4, 57) aus dem Jahre 15 V. Chr. bipennis
belegt. Die hauptsächliche Beschränkung auf die Dichtersprache
zeigt Petron, der nur zweimal in Versen bipennis ^ sonst securis ge-
braucht hat. — Bipifinis steht häufig in den Glossen, ist aber
schwerlich jemals volkstümliches Synonym von securis gewesen.
Auch für Varro (Nonius 79) ist bipinnis mit i bezeugt; im all-
gemeinen läfst sich die Gültigkeit der handschriftlichen Zeugnisse
schwer bestimmen. Lautliche Entwicklung liegt angesichts des
älteren Nebeneinanderstehens von perma und pinna in bipinnis nicht
vor. Die Frage, ob penna und pinna zwei verschiedene Vokabeln
sind — so Walde 2 s. v. — oder pinna aus penna entstanden ist —
so Sommer, Erläut. 15 — geht uns nicht an. Dafs sich pinna
'Mauerzinne' jemals aus der Bedeutung 'Helnibusch', 'Helmspitze'
hätte entwickeln können, wie Varro, LL V, 142 und Sommer glauben,
kann ich mir nicht recht vorstellen. Da auch die Form für 'Mauer-
zinne' stets pinna ist, halte ich vorläufig mit Walde an der ur-
sprünglichen Trennung beider Vokabeln fest.
e) 87 fesiuca non fistuca. Es gab im Lateinischen zwei Vo-
kabeln fesluca: 'Grashalm', 'Stab' und 'Ramme'. Man hat für
letztere auf Grund handschriftlicher Varianten fistuca als ursprüng-
liche Form angenommen und sie von figo abgeleitet (Walde '-^ s.v.).
Aber auch dieses fesiuca ist stets mit e überliefert, da auch bei
Caesar, Bell. gall. 4, 17,4 nur fcsiiculisque adegerat (so /9), nicht
fistucisque (so a) richtig sein kann, s. Meusel in seiner Ausgabe
1913, I, 445. Dasselbe gilt auch im festucare; nvx festucatio zeigt
bei Vitruv 7, 1,1; 10,2,3 in den Haupthss. (GH) ein i, aber
3, 4, I das richtige e. — hyxckv fesiuca 'Halm' hat regelmäfsig ^;i
öfters findet sich die -/-Form in Bibelhss., auch in der Reg. Bened.
c. 2, s. Linderbauer, Corament. (1921), 170. J)d^ festuca 'Ramme'
in der Kaiserzeit seltener ist (nur bei Plinius belegt) — rum. fistaü
'Hammer' ist vielleicht die Fortsetzung — , hat A. Probi wohl das
häufigere fesiuca 'Halm' gemeint; vgl. noch Albinus VII, 302, loK.:
festucam non fistucam dicilo. Das vulgäre fistuca (CGI. III, 407, 16)
— vgl. z.B. CIL VI, 10096: infisiae — hat sich im Romanischen
nicht durchgesetzt, vgl. it. festuca, prov. festuga. Wohl aber hat
sich eine andere (differenzierende?) Form für festuca 'Halm' ge-
bildet, nX.festucum, vgl. Itala Lucas 6,42 (zweimal); Juvenc. 1,659;
Lex. Sal. 46 {fistucuin)\ CGI. III, 428,41. Diese Form scheint weit
verbreitet gewesen zu sein, da sie im alomb. festugo, prov. festuc,
frz. fetu fortlebt, was unsere neueren romanischen etymologischen
1 Gesichert durch Paul. Fest. 86,4, der es, wie zögernd Thurneysen,
Th. L. L., vü\i fenum zusammenbringt.
5?
Lexica in unberechtigter Weise verdunkelt haben. Auch hier gibt
App. nicht die meist abweichende vulgäre Bildung, welche z. T.
romanisch ist, obwohl sie zu ihrer Zeit, wie die Itala zeigt, schon
vorhanden war.
§ 6. Der Vokal i.
a) 120 vir non vyr I22 virga non vyrga
121 virgo non vyrgo 24 crista non crysta
Die sowohl von den Grammatikern — Prise. Inst, II, 7, 17 K.:
i . . , post u consonantem . . . sequente d vel vi vel r vel t vel x so-
num y graecae videtur habere, ul ^video\ 'vim\ ^virtus\ ^vilium\ 'vt'x',
III, 465, 14 K., Mar. Victor. VI, ig, 22 K., der auch viyseram anführt
— wie inschriftlich bezeugten Formen vyr, vyrgo finden leicht ihre
Erklärung in der Tatsache, dafs das neue y (ü) einerseits die
Zungenstellung des i, das es ersetzen soll, beibehält, andererseits
die Lippenrundung des vorangehenden v annimmt. Daher finden
wir das y auch nach Labialen wie m und nach f häufig, vgl. CIL
III, 13979; VI, II 624; IX, 3488: myseri; X, 2496,7: myserae;
VIII, 9513: myseros', VIII, 7759, 17: my[s]ero; mit Unrecht nimmt
E. Hoffmann, Diss. Breslau 1907, 64 Einflufs von gr. ftvöagog an;
mylieres XII, 4524; häufig ist Mythras. — /ydes z. B. CI VIII, 7156
= CE 512,4; fydelis VIII, 15724. 10970; vgl. noch III, 2515
Fyrmia, 4816 Fylostratus. — Da die Alten den phonetischen Vor-
gängen verständnislos gegenüberstanden, beobachteten sie die Er-
scheinung eigentlich nur nach v, eigentümlicherweise haben aufser
Priscian (und Mar. Victor.) die Grammatiker nur vir und virtus an-
geführt, vgl. Donat. IV, 367, 14 K. (Serv. in Donat. IV, 421,31;
Serg. 476, 2K.) und vor allem Velius Longus VII, 54, 13; 75, 15 K.
Es ist also wohl kein Zufall, dafs auch App. nur Belege von ?'>/
nach V vor folgendem r gibt, und sie steht hier, wie sonst, im
Verdacht, die Quelle der lebendigen Sprache durch grammatische
Tradition getrübt zu haben. — Man könnte zwar geneigt sein das
älteste Zeugnis des Velius Longus, der nach einigen Gelehrten
nicht intakt erhalten ist, deshalb zu verdächtigen, weil er p. 75, 17
im Anschlufs an die Aussprache des i in vir auf die Neuerung
des Claudius zu sprechen kommt und fälschlich behauptet, dafs
dieser einen neuen Buchstaben für den Laut eingeführt habe, der
wie in vir und virtus zwischen i und u die Mitte hält; denn in
Wahrheit ist CIL VI, 921 aus den JJ. 50 — 53 «älR geschrieben,
nicht VtR (Bücheier, De Ti. Claud. Caes. gramm.. Kl. Sehr. I, 28)
und überhaupt steht das P nur in griechischen Wörter anstatt y,
z. B. CIL VI, 918: AECPPTI. Es ist aber sehr zu beachten, dafs
das System des Claudius, das seine Regierung nicht überlebte, auch
schon von Quintil. Inst. orat. i, 7, 26 (Gell. N. A. XIV, 5, 2) nicht
mehr richtig verstanden wurde. Quintilian und mit ihm Bücheier
S. 4 glauben, dafs Claudius das Digammazeichen ä erfand, um die
Schreibung des doppelten VV, z. B. in AVVS zu vermeiden. Aber
53
auf Inschriften Claudianischer Zeit ist d häufig vor e und /, seltener
vor a und o, nie dagegen vor u belegt, und Zufall ist angesichts
der 2i'^ Beispiele ausgeschlossen. Das d steht sowohl in aljiei,
derna, dir, wie in octadiai, pridatis, so dafs sich (s. § 14) überhaupt
keine Regeln aufstellen lassen. Da schon Quintilian in die Irre
ging, dürfen wir nicht wegen eines Irrtums über die ephemere
Orthographie des Claudius die Stellen, welche die Aussprache des
/ in vir und virtus behandeln, dem Velius Longus absprechen.
App. hatte also in ihrer Beschränkung auf Beispiele für y vor
folgendem r sicher einen Vorgänger. — Crysta ist unbelegt und
entstand trotz des Bedeutungsunterschiedes vielleicht im Anschlufs
an crysiallujn.
b) 144 diniidius non demidius. Die im Vulgärlatein häufige
Verwechslung von di- (dis-) und de konnte z. B. durch analogischen
Einflufs begünstigt werden, so in demico = dimico (Thes. L. L. s. v.)
nach decerncre (ferro), decertare (Serv. Dan. ad Aen. 12, 695). In
demidius, das CIL V, 4489 im Testamentum Ursae belegt ist —
vgl. auch CGI. 11,42,37: demiciilus — , hat besonders der partitive
Begriff, der demidius als der Hälfte des Ganzen (aus der Mitte)
innewohnt, und der immer mehr durch de wiedergegeben wurde —
zuletzt Salonius, Vitae Patrum 1920, 8g — die Verbreitung von de-
gefördert. Diese Entwicklung tritt besonders klar in der Form de-
mediiis CIL VII, 140; X, 3428 zutage, derer völliges Übergehen im
Thes. L. L. desto mehr zu bedauern ist, weil auf sie, nicht auf de-
midium, wie z. B. Heraeus 2)22 irrtümlich glaubt, frz. demi und prov.
demiei — nur in Gallien ist das Wort erhalten — zurückgehen,
dem^dium > demie[d]i (nach M.-Lübke, Wb. 2644 auf dimedium, das
Not. Tir. 56, 27 steht). Demedium (und ditnediimi) konnte(n) des-
halb leicht aufkommen, weil die Bedeutungen von dimidius und
rnedius sich aufs engste berühren und schon bei Varro, r. r. 3, 7,9;
Colum. 11,2,39 medius =^ dimidius steht; für das Spätlatein siehe
Rönsch, It. und Vulg. Z'^'^', Bonnet, Le Lat, de Greg, de T. 275 und
Löfstedt, Peregr. Aeth. 253, Im Mittelalter wurde umgekehrt auch
dimidius für medius verwendet, vgl. Geyer, Erl. 44.
c) 165 hirundo non herundo. Der Übergang von anl. i- vor r
zu e ist nicht selten, z. B. CGI. IV, 65,22: erofiiam; V, 300,4:
hersuium — auch die vorhistorische Form lautet so, vgl. horreo', —
vergleichen läfst sich vielleicht der Wandel von ü vor r zu ü in
ürina und Urtica, den das Romanische voraussetzt, Groeber, ALL
VI, 148. Die Verbreitung von herundo, welche auch Agroecius
VII, 122, 18K. : ariindo canna . . . herundo avis bezeugt, erklärt sich
vielleicht auch aus dem Bestreben, das Wort von hirudo 'Blutegel'
zu differenzieren, weil auch vor Dentalen (vor s s. § 19 a) das n
nicht deutlich gehört würde, z. B. CI XIII, 2646: monimetu, Pirson,
a. a. O. 94, vgl. vor allem CGI. III, 599, 43 : medicamentum ex hi?-u(n)di-
nibus factum. Dieselbe Tendenz kann auch die Nebenform: (k)erugo
(nach sanguisuga}) CGI. IV, 86, 10; V, 628, 40 haben entstehen
lassen. — ^ Gröfseres Interesse dürfte die Tatsache beanspruchen,
54
dafs das früher an dieser Stelle gelesene harundo weder im Vulgär-
latein belegt ist — Schuchardts (I, 218) handschriftliche Variante
bei Priscian II, 79, 20; 123, 7 beruht auf einem Versehen — noch
vom Romanischen aus als vulgärlateinisch erwiesen wird, wie Groeber,
ALL I, 243 glaubte. Gegenüber it. rondine, log. randine (prov.
ironda) usw. setzen nur afrz. aronde, alondre (prov. arondcta) ein a
voraus, welche auf Gallien beschränkt sein wird, da dort vortoniges
e vor r nicht selten zu a sich entwickelte; mit dem sekundären
alondre ist das in den späten Miscell. Tironiana (ALL X, 266) be-
legte haruiidro direkt zu vergleichen; die Form ist vielleicht in
Gallien entstanden, anders Moore, ALL X, 272. Harundo gab es
nicht im Vulgärlatein, und wäre weder lautlich noch sonst ver-
ständlich, weil schon (h)arundo 'Rohr' vorhanden war, das zwar im
Romanischen durch canna verdrängt wurde, aber zur Zeit der App.
und später noch Verwendung fand.
§ 7. Der Vokal o.
a) I porphircticum tnarmor non purpureticum marmur
Da die auf -or endenden Vokabeln fast immer mascuhna, die
auf -ur meistens neutra sind, lagen günstige Bedingungen für den
Übergang des neutralen mannor zu marmiir vor, welche nicht, wie
in aeqiior und cor., durch andre Faktoren wieder aufgehoben wurden.
Aufserdem kann das sinnverwandte ehur Einflufs ausgeübt haben,
so dafs wieder zwei Ursachen zusammengewirkt hätten, vgl. die
schon von Ciceros Lehrer Antonius Gnipho vertretene Ansicht
(Quintil. 1,6,23): qiä robur quidem ei ebur atque eiiam marmur
fatetur esse, verum fieri vult ex hjs robura, ebura marinura.^ Nach
ebur eboris entstand ein marmur itiarmoris, daneben auch eburis und
marmuris (CIL V, 7647) nach dem Nominativ. Schliefslich trat auch
im Adjektivum marmureus (VIII, 4836) das u auf Aber siz. mar-
mura, \val. marmur^ (Schuchardt II, 138) können angesichts it. niar-
more, rura. marmorä, sp. marmol, ptg. marmore Neubildungen sein.
Über porphireticum s. § 27.
b) 25 formica nön fiirmica 173 tondeo non detundo
75 formosus non formunsus 59 turma non iornta.
Nicht nur vor Nasal + Kons. (§ 5d), sondern auch vor r -\-
Kons. wird e gelegentlich zu /; vgl. schon CIL 12,401: Siircus
(aus Luceria), 1^553.564 (Praeneste): Mirqurios, Mircurios und
nach Velius Longus VII, 77, 12 gab es früh ein commircium. Für
Belege späterer Zeit s. z. B. Carnoy igo6, 35. Diesen beiden Er-
scheinungen entspricht der Übergang von 0 zu u vor n oder r -j-
Kons., den für funtes und frundes (Ennius, Ann. 261 V.) Charis.
I, 130, 29 K. und Velius Longus VII, 49, 16 belegen. Ob ait. monte,
ponte, fönte, fronte — Wiese, Altital. Elementarbuch 23 — prov.
pon, fon usw. — Schulz-Gora, Altprov. Elem. 22 — , rum. munte,
frunte usw. einzelsprachliche Entwicklungen darstellen oder, wie
55
Groeber, ALL II, 426 will, montem usw. schon vulgärlateinisch sind,
bleibt angesichts sp. puente • <C pönlem unsicher (fuente zeigt auch
unregelraäfsiges / statt h). Vielleicht ist es kein Zufall, dafs nur
montem auch im Spanischen (monte) ein 0 zeigt gegenüber dem
urspr. 0 des alten Lateins {eminens) ; denn gerade Muntana CIL
III, 2624; Muntaniis XIV, 3649, 18; VIII, 2272 usw.; Munlane
V, 3808 sind häußge Formen; in mons konnte das an sich vor
ns {ni) nach g hinneigende 0 unter Einflufs des sinn-, aber wohl
nicht etymologisch verwandten promunturmm (Walde '^ s. v.) zu o {i()
werden. Im übrigen finden wir o^' u vor n, r -\- Kons, nur spär-
lich belegt, wg\. frunie CIL VI, 28440, X, 4936; /rufe ==■ frofilem
X, 8249; pimtifex III, 6898; cuntra V, 1732; prunta XII, 5352;
exurcisia V, 5428; Mavurte dreimal bei Pirson 14 usw. Auch
furtuna steht z. B. VI, 18536 {Furtunato), wo eine gewisse Vokal-
assimilation im Spiele sein kann, welche für furynica ausgeschlossen
ist. Bei der geringen Anzahl der Parallelen ist wohl durch einen
besonderen Grund das u in furmica entstanden und weiter ver-
breitet, und es ist zu beachten, dafs nach Serv. (Dan.) ad Aen.
IV, 402 : formica . . . ab eo qiiod ore niicas ferl die Ameise zu volks-
etymologischen Spielereien Anlafs gab. Von den römischen Dichtern
wird zwar das emsige Hamstern der Ameise verherrlicht — Horaz,
Sat. I, 1,33; Vergil, Aen. 4, 402 — , aber dem Landmann war
sie lästig, und schon Cato, Agr. 91,129 gab Vorschriften gegen
von den formicae her drohenden Schaden. Da der Vergleich
mit Dieben nahe lag — Plaut., Trin. 410 — , vermute ich,
dafs durch für beeinflufst furmica als halber Scherzname in die
Bauernsprache Eingang fand. Vergleichen läfst sich furo 'Frettchen',
der das Wild aus seinem Lager holt und daher einen von für ab-
geleiteten Namen trägt. Ob im sie. neap. furmicula, lecc. furmica
(UUmann 192) furmica, das lateinisch sonst nicht belegt ist, direkt
weiter lebt, bleibt zweifelhaft.
Merkwürdigerweise zeigt torma (59), das Schuchardt II, 176
aus cod. Pal. Verg. Aen. XI, 503 (i Hand) belegt, den umgekehrten
Wandel « >■ 0 vor r -{■ m. Da sonst Parallelen fehlen und Analogie
nach einem sinnverwandten Wort nicht vorliegt, ist torina wohl
nach den beiden anderen Wörtern dieses Typus, nach norvia und
forma, entstanden. Blofse umgekehrte Aussprache dürfen wir um
so weniger annehmen, weil auch die Beispiele für den Lautwandel
£» > « vor r + Konsonant selten sind.
Dafs auch in formunsus der Übergang von 0 zu « durch
11 + Konsonant begünstigt wurde,' zeigt schon das Fehlen von
formusus, w'i^x&ad, formuiisus auch CGI. IV, 347, 45, Not. Tir. 67, 37
cod. Cass. belegt ist, foi-munsitas expos. mundi 40, p. 115, 12 Riese.
Wichtiger ist die Frage, wie das seit Terenz, Eun. 730 belegte, von
App. anscheinend nicht anerkannte formonsus entstand, das jenem
formunsus zugrunde liegt; auch inschriftlich steht es oft, z. B. CI
* ?i^. fronda mufs nach Meyer-Lübke, Wb, s, v. aufser Betracht bleiben,
56
IV, 6885. Das trotz Stolz* 53, 4 aus formosus neugebildete /ör-
monsus erklärt Skutsch, Glotta II, 246 durch Anlehnung an sponsus,
sponsa,^ hat aber dabei übersehen, dah /ormonsus sicher viermal
bei Lucilius (173, 476, 1026, 1226M.) und wohl auch bei Terenz
(s. o.) vorkommt, dagegen sponsus deshalb nicht zufällig erst bei
Cicero belegt ist, weil ursprünglich nur die Braut versprochen wurde
und sponsus erst eine Analogiebildung nach sponsa ist, wie um-
gekehrt Piarita nach maritus 'der mit einer Braut versehene',
Lommel, Stud. über indog. Femininbild., Diss. Göttingen 19 12, 21;
E. Herrmann, GGN 19 18, 209. Die Hypothese von Skutsch liefse
sich also nur in der Form aufrecht halten, dafs nach sponsa ein
formonsa gebildet wurde, womit z. B. der Bräutigam seine Braut
anredete, dann auch analogisch formonsus entstand und, da in
unserer Überlieferung formonsus niemals von Verlobten steht, beide
ihre Gebrauchssphäre stark ausdehnten. Da n vor s schwach war
{cos = consul) und laut it. sposa, frz. epoux fast sposa {-us) gehört
wurde, kam später, wie sonst neben -ns-, auch neben formonsus
eine -jj-Form auf, z. B. CK 1040, 3. Im Romanischen hat sich das
n nicht erhalten, vgl. it. formoso usw. — Wenn der Einflufs von
sponsa wirklich einst vorhanden war, so müssen wir immer noch
mit einem negativen Faktor rechnen, welcher das Aufgeben von
•osus begünstigte: trotz mancher lobenden Adjektiven auf -osus
{ingeniosus) haben die meisten tadelnde Bedeutung, vgl. vinosus,
muUerosus, verrucosus und besonders Gell. N. A. 4, 9, 2 : Nigidius :
hoc . . . inclina7nentum ... ut 'vinosus\ ^ mulier ostis' . . . significat
copiam quandam immodicam rei . . . religiosus . . . qui nimia . . .
religione sese alligaverat usw. Leicht wurde in -osus der Begriff
des zu Vielen empfunden. Im Gegensatz zu speciosus [spcciosius
quam veriics) hatte formosus nur günstige Bedeutung, so dafs leicht
nach sponsa unter Meidung des Suffixes -osus ein formonsa gebildet
werden konnte.
Auch in tondeo neigte vor -nd- das 0 nach u hin und schon
im alten Bauernkalender CIL VI, 2305, 2306 aus der Mitte des
I. Jhdt. n. Chr. lesen wir oves iundunt mit Übergang in die dritte
Deklination zu einer Zeit, als Verwechselung der Konjugationen
durch das Zusammenfallen von -es, -et und -is, -it noch nicht ein-
getreten war; tundeo wurde tundo formell angeglichen. Auch im
Romanischen lebt tgndere (s. u.) = tundere weiter, rum. tunde, ait.
tondere, log. tundere, frz. prov. tondre, sp. tundir, Groeber, ALL
VI, 135. Da zu detondeo häufiger die geschorene Person oder der
geschorene Gegenstand als die abgeschnittenen Haare (Bart usw.)
als Objekt steht — Thes. L. L. s. v. — , war es meistenteils völlig
synonym mit tondeo. Auch detondeo wurde zu dettmdo, wofür es
aufser App. keinen sicheren Beleg gibt, da Lucilius ^y 8 M.: proras
despoliate et detundite guberna das korrupte detundile vielleicht in
detondete zu ändern ist. Da detundo 'abstofsen' selten ist — aufser
* Anlehn mg an intonsus {Apollo) bleibt aufser Betracht.
57
Apul. met. 2, ^2 nur als Interpretamentum an zwei Stellen des
Festus p. 73: deludes esse detunsos, deminu/os, p. 74; überhaupt nur
im Part. Pass. — und auch CGI. IV, 503, 8, ¥,285,17, 627,66
delunsi deminuti aus Verrius stammt, schliefslich detudes (Jacobsohn,
Charites 191 1, 442,2) sich nur hielt, weil auch detunsiis nicht sehr
gebräuchlich war, fand das Verbum in der Umgangssprache wenig
Verwendung, so dafs detundo = detondeo seine Form wohl von
tundo = tondeo bekam. Weil tundo 'Rasieren' mit ttindo 'Stofsen'
verwechselt werden konnte, lag es nahe, in der Umgangssprache
detundo an seine Stelle treten zu lassen, weil wegen der Seltenheit
von delundo 'abstofsen' Vertauschung kaum möglich war. Ein solches
detundo bezeugt in der Tat App., indem sie es verwirft und tondeo,
nicht tundeo, wie fälschhch überliefert ist, verlangt. Das Kompositum
wird wohl nur aus übertriebener Angst vor Verba composita zurück-
gewiesen, welche in der Volkssprache immer mehr überhand nahmen;
so steht z. B. demorari als Intransitivum nur bei Plautus, dem vulgär
gefärbten Vitruv und seit Fronto, Gellius, Apuleius u. a. ; denego als
Synonym von nego (nicht im Sinne von recuso) nur bei Plautus,
Tacitus und den Späteren ; manche Klassiker — s. Thes. L. L. s. v.
— meiden das Verbum ganz. Viele Komposita mit de stehen nur
bei späteren Schriftstellern. Neben tondeo und tundo entstand tondo
z. B. CGI. II, 580, 34, 595, 32, das auch in Komposita wie detondo
(CGI. II, 237, 30; 47, 4) und attondo — Vulg. Ez. 44, 20: attondent,
Nah. I, 12: aitondentur ; das Fut, -ebo {-abo) schwindet — vorkommt,
Rönsch a. a. O. 284.
c) 31 sohrius non suber. Nach dem oben % }ig Ausgeführten
schwand in sohrium nach br konsonantisch werdendes i — soweit
nicht der vokalische Laut, sogar nach der ^-Richtung hin, wieder
hergestellt wurde, s. Caper VII, 103, iiK. : sobrius per i non per e
scribetidum — , vgl. auch it. ebbro (ALL II, 276) neben sobrio. Zu
sohrum wurde, da Adjektiva auf -brus fehlten, nach aegrum . . .
aeger usw. ein Nominativ sober gebildet; verworfen wird es von
[Probus] instit. IV, 126, 23 K., de nom. exe. IV, 213, 8, eber ebenda
und von Charis. I, 83, 16K. — Das u hat sich vor Labial und
wohl besonders in subrum, -brius vor einem durch r gestützten
b entwickelt ; denn während suber sonst nicht belegt ist, findet sich
subrius CI XII, 1553, Not. Tir. 81, 53 und der Gentilname Subrius
CIL V, 7917 (W. Schulze, Gesch. Lat. Eigenn. 237), vgl. auch
Schuchardt II, 1 13, 201 ; subrinus = sobriniis steht CGI. V, 246, 20;
consubrinus CIL III, 193 1, V, 7366, s. Thes. L. L. s.v. Während nur
ein sicheres Beispiel aus dem 9. Jhdt. Octuber bietet, steht elfmal
(Schuchardt II, iii), auch in dem weit ältesten Beleg CIL II, 2959
(119 n.Chr.) das u in Octubris^ das vielleicht auch Reg. Bened.
48, 6 herzustellen ist, s. Linderbauer ■i^}^2. Aber auch vor einfachem
b neigte 0 zu m und unsere obige Ansicht (§ 3 a) wird bestätigt,
dafs das ti von cohiber nicht dissimilatorisch durch das folgende b,
sondern vielmehr durch das vorangehende ö + / zu ö ge-
worden ist.
58
d) 187 robigo non ruhigo. Paul, Fest. 264 M.: rohum rubro colore
(Juvenal 8, 155), auch robeus, robius bei Varro, r. r. 2, 5, 8 ; CIL
VI, 826, 21 (vi'/ulo); Gell. N. A. IV, 6, 2 zeigen, dafs robigo die alte
Form ist und erst nach ruber zu riibigo wurde. Rebus und robigo
sind in ihrem Konsonantismus [b) echt römisch, dagegen im
Vokalismus dialektisch; da das ou von *roudh-os nicht nur im
Umbrischen, sondern z. B. auch in Praeneste zu 0 wurde (vgl. CIL
P, 549: lostia = luria < loucsna), ist der Geburtsort sicher Latium
gewesen. Auch Plaut., Stich. 230: robiginosus zeigt altes 0, gleich-
falls die Hss. von Vergil, Horaz und Juvenal. Und durch Ovid,
Fast. IV, 907 erfahren wir von der Göttin Robigo, die dem männ-
lichen Robigus Varro, L. L. 6, 16 zur Seite steht; ihm gilt das Fest
der Robigalia, Pfister, RE s. v. Wohl auf Grund des feststehenden
0 in jenen Götter- und Festnamen hat App. dort, wo der Sprach-
gebrauch zwischen 0 und u schwankte, die richtige Wahl getroffen.
Robigo blieb auch in der Volkssprache erhalten, wie afrz. roil, roille,
prov. rovilh, sp. robin zeigt, vgl. M.-Lübke, Wb. 7348. Dieselbe
Empfehlung von robigo CGI. V, 144, 32 : robigo non rubigo (vgl.
V, 39, 20 [Placidus] : robigo a rodendo dicilw). — Über robigo s.
auch Ernout 221; aber für öpilio <C ov(ijpilio, das neben üpilio seit
Plautus belegt ist, dürfen wir deshalb nicht ohne weiteres dialektische
Herkunft annehmen, weil neben upilio 'Schäfer' sehr leicht, durch
dvis beeinfiufst, in Rom selbst (oder in der Nachbarschaft) ein
opilio aufkommen konnte,
e) 86 cloaca non cluaca. Das alte z. B. bei Varro, Men. 290
u. a. erhaltene clovaca hätte zu clavdca werden müssen, da nach
dem von Thurneysen, KZ 28, 159, Solmsen und Kretschmer, KZ
37,4, 274 ff. behandelten Lautgesetz vortoniges 0 vor -' in a um-
gewandelt wurde, \g\. favilla <:ifovilla, lavare <i lovare: Xoftco,
cavare <C covare, danach cavus, aber sp. cueva. Solmsens Annahme,
das ou ■= indog. oii zu au, dagegen 011 = indog. eu zu n, 0 ge-
worden sei, scheitert an der Tatsache, dafs zur Zeit der späteren
Akzentverhältnisse, durch welche ov-- zu av' wurde, beide ö//-Laute
längst zusammengefallen waren, Sommer 2, 1 10. Vielmehr hielt sich
Novemhres — Noembres, Nuevibres in CIL VI — durch novem]
schwerer zu deuten ist doväca, das bei Plautus belegt und wohl
älter als das junge Lautgesetz ist. Da nach Plin. bei Prise.
II, 29, 8 K. das / in ßavus clarus einen sonum plenum hat (wohl
velares /, vgl. -tlom > -dorn und 2 b), dagegen in ledutn (und über-
haupt im Silbenanlaut, auch vor a, 0)1 einen so^iwn medium, so hat
vielleicht das stark volare d in clovaca, im Gegensatz zu lavare,
cavare, das 0 erhalten; aber auch diese Erklärung wird kaum
genügen. 2 Erst viel später trat durch Vokalassimilation gelegentlich
daväca auf, CGI. IV, 434, 26; 595,8. — Cloaca entstand durch
Übergang von unbetontem ov zu 0, Solmsen, Stud. z, Lat. Laut-
1 Das ergibt sich aus dem Zusammenhang.
2 Eiu clovere, nach dem clovaca erhahen wäre (Sommer a. a, O.), bat es
;aie gegeben, nur cluere (Plin. n. h. 15, 119): gr. xlxiCfiiv,
59
gesch. 141; da dieser Laut die Mitte hielt zwischen 0 und u
{Noembres neben Nuembres), ist auch duaca, aber nur selten, belegt:
trotz der bei Verrius Flaccus, Paul. Fest. 38 M. erhaltenen Etymo-
logie: cloacae a coUucndo dictae (s. Mar. Victor. VI, 25, gK.: «0« est
cloaca, ut pulalt's, scd cluaca quasi conliiaca) und trotz der empfun-
denen Verwandtschaft mit duerc {Plin. n. h. 15,119) findet sich
cluaca nur CIL V, 8146, X, 4752 und seit Sallust, frg. 4, 16 M. und
Varro, L. L. 5, 157 höchstens sechsmal in der Literatur. Auch App.
entscheidet sich für die übliche Form.
§ 8. Der Vokal u,
161 coruscus non scoriscns
Um das / zu verstehen, müssen wir zunächst das anl. s er-
klären. Usener, Rh. Mus. 49, 463 u. a. erblicken in scoriscns eine
uralte Bildung, in der das zum Stamm gehörige s sich mit öxcuqoj
vergleichen liefse. Da aber in coruscus das alte u der Pänultima
unerklärt bliebe, betrachtet es Walde ^ s. v. mit Thurneysen, GGA
1907, 806 zögernd als Lehnwort aus xoqv.^tco, xvqioöco 'mit den
Hörnern slofsen', wogegen sich lautliche und semasiologische Be-
denken erheben ; dagegen wäre Urverwandtschaft mit '/coqvxtco
sehr wohl möglich. — Die Beziehungen zu OxaiQC} werden auch
dadurch widerlegt, dafs das doppelte sc in scorusco, scoruscatio und
scoruscus nur dann bezeugt ist, wenn diese Vokabeln fulguro und
fulgor bedeuten, vgl. CGI. III, 347, 16 usw.; Ital. Luc. 9, 29; 17, 24;
24,4 {cod. d), Act. Petr. 21. Das s war also nicht uralt, sondern
erst sekundär; wie in xccqxcJqco 'Wimmeln', ai. rö-rucäna 'leuch-
tend' — Brugmann, K. Vergl. Gr. 286, 48iflf. — die sich wieder-
holenden Reflexe durch die Reduplikation bezeichnet werden, so
vielleicht in scoruscus, scoruscatio, scoruscus durch das neue, doppelte
sc- mit scharfem s. Der Vergleich mit unserem 'flitzen', 'blitzen'
zeigt, dafs auch das i in scoriscns verwandten Eindrücken seine
Entstehung verdankte und nicht zufällig zusammen mit doppeltem
sc- in derselben Form bezeugt ist, vgl. auch scoriscatio Ital. Matth.
24,27 cod. d; es gibt daneben Formen mit i und anl. c, corisco
CGI. V, 171, 21 und coriscae IV, 37, 31 und dazu ptg. corisco. —
Es hat nach dem Gesagten App. wohl das Substantiv, nicht das
Adjektiv coruscus gemeint, wie auch die folgende n. 162: ionitru
non tonotru nahelegt; in tonotru malte das doppelte 0 das dunkle
Rollen des Donners, § 3 h.
§ 9. Das y.
17 marsias non marsuas 191 tymum non tumuni
28 gyrus non girus 195 myrta non murta
119 clamis non clamus
Das gr. r, das besonders im Jonisch -Attischen früh zu ü
wurde, haben die Römer zuerst durch ti — gubernare, purpura —
oder durch / icaliptra) wiedergegeben und als solches gesprochen,
6o
da das ü die Lippenrundung des u, die Zungenstellung des i hatte.
Später wurde das y eingeführt, das der Tendenz, den griechischen
Laut, obwohl den Römern fremd, genau zu sprechen, in der Schrift
entgegen kam; daneben blieb aber auch das der lateinischen
Zunge geläufigere u und i in der Umgangssprache erhalten. —
Die Überlieferung in 28 : gynts non gyrus ist deshalb nicht mit
Haupt, op. III, 534 in . . . 7wn goeriis, das in Hss. (Non. p. 20, 26;
18g, 2)2) belegt und mit Mysia > Moesia zu vergleichen ist, sondern
in . . . non girus zu ändern, weil gerade diese Form volkstümlich
gewesen ist und ihre Bedeutungssphäre beträchtlich erweitert hat;
vgl. Peregr. Aeth. 2, 5: mons per giro 'ringsum' und besonders 3, 8:
in giro parietes ccdesiae, 14,2: in giro collicido isto, wo in giro im
Sinne von circuin bald wie dieses den Akkusativ regiert, bald den
Ablativ als Apposition zu sich nimmt. Loefstedt, Peregr. Aeth. 67
weist darauf hin, dafs Hez. 16, 57 im cod. Weingart, und 40, 16
im cod. Wirceburg. gr. ■kvxXco durch in gyro (mitj') übersetzt wurde,
aber der stilisierende Hieronymus in circuitu schreibt. Auch das
Romanische zeigt ;', it. sp. ptg. giro, prov. gir.
In Marsias non Marsuas ist wichtiger als die getadelte Form
— z. B. CIL II, 558, Mart. II, 64, 8 {-sua) — das gebilligte Marsias
(wenn es nicht in Marsyas zu ändern ist). Es ist nämlich zu
beachten, dafs eine bekannte Statue des JNIarsyas auf dem römischen
Forum stand — Horaz, Sat. 1,6, 120; Porphyr, z. St.; Jordan, Marsyas
auf dem Forum in Rom — und App. z. B. auch die volkstümliche
Form (h)oriIegium vielleicht deshalb anerkannte, weil die öffentlichen
Uhren in Rom allgemein so benannt wurden. Dann könnte trotz der
Bemerkung des Serv. (Dan.) zu Aen. IV, 58, dafs Statuen des Marsyas
auch in anderen Städten aufgestellt zu werden pflegten (Eckhel,
Doctr. numm. 4, 493 ff.), auch das anerkannte Marsias für Rom als
Heimat der App. sprechen. Sicheres ist nicht zu ermitteln.
Ullmann 174, 220 wollte clamys non clamus lesen, aber die
Hss. der verschiedensten Schriftsteller haben fast regelmäfsig ent-
weder clamis oder chlamys, so dafs App. nur die rein griechische
oder die echt lateinische Form gebilligt haben kann. Während
Leo für Plautus und Ihm für Sueton (Praef. p. LI) das überlieferte
clamidem {-de, -dis) nicht für ihren Auktor in Anspruch nehmen,
haben Marx, Lucil. 321 und Goetz-Schoell, Varro L. L. 5, 133 da-
mides gedruckt. Jedenfalls wurde die völlige Latinisierung des
Wortes, das erst seit Einführung der chlamys in Rom unter Sulla
volkstümlich werden konnte, dadurch gefördert, dafs seit Plautus
der Akkus, chlajnydem {clamidem) oft, niemals dagegen chlamyda
gebraucht wurde; auch chlamydas ist trotz der denkbaren Inter-
punktion : cuho in Sardianis tapetihus ; damidas et purpurea amicula
für Varro Men. 212 (der Schlufs des Satzes fehlt) nicht gesichert
und steht im 'Cato de lib. educ' p. 542 Non.: damidas encomho-
viata ac parnaddas quam togas in der Mitte von Graeca, so dafs
an der noch übrig bleibenden Stelle, Pers. 6,46, eher damides
{chlamydes) mit QL, Priscian (11,333,6; 350, 23 K.) als chlamydas
6i
{ctamidas P.) ' mit Leo zu lesen ist. Die Latinisierung der Endung
begünstigte die Verbreitung von clamis, das nach der konsequenten
Schreibung clamidevi in sehr alten Hss. sicherlich von den späteren
Grammatikern und auch von App. anerkannt wurde, so dafs wir
nicht chlamys ändern dürfen. In den Glossen steht neben nicht
seltenem chlamys III, t^z^, 21 chlamis, V, 564, 47 clamis. — Dagegen
blieb in chelys, Akk. chelyn mit griechischer Endung das y erhalten;
das späte hotrus bekam stets u, weil vorher schon hotruus gebildet
war, \ 2,g. — clamus, das App. rügt, ist nirgends bezeugt.
Da bei Aussprache des vi die Lippenstellung mehr der des
u als des i entspricht, konnten sich murta 'Myrthenbeere' und
tumum in der Volkssprache allgemein durchsetzen, Murta war
sicher nicht weniger volkstümlich als viiirtatuvi 'mit Myrthenbeeren
gewürzte Wurst'. Die Namen der Würste tragen auch sonst vul-
gären Charakter ; vgl. das aus apexabo > apexavo (anders K. Meister,
Lat.-Gr. Eigenn. 52) entstandene apexao(nes) bei Arnob. 7, 24, das
sein V durch dissimilatorische Wirkung des / verlor — s. über
paor § 14, longavo (Varro, Arnob. 7, 24) wird nicht zu longao — ;
ferner das nur bei ps.-Acro zu Horaz, Sat. 2, 4, 60 überlieferte
faria salsicia, it. salsiccio, Leumann, Glotta 9, 156; auch sangtinculus
bei Petron 66 und dazu Heraeus, Rh. Mus. 72, 41. Murta 'Myrthen-
beere' steht schon bei Cato, agr. 125 und Varro, L. L. 5, 1 1 1 u. a.;
vgl. noch CGI. II, 131, 47 : 77iurta hvqo'lvi]', 111,584,34.43. Trotz
des folgenden zizipus und iuniperus (196, 197) hat App. mit myrta
wohl nicht den Myrthenbaum, sondern dessen Beere gemeint;
denn erst seit dem 3. Jhdt. kommt dieses myrta = 7/iyrtus z. B. in
dem auf Apicius' Namen erhaltenen Kochbuch {inirtd) und anderen
vulgären Texten vor; gebilligt hätte App. diesen Neologismus
schwerlich, auch wenn er zu seiner Zeit vorkam. Auch das Roma-
nische zeigt u, sp. ptg. murta, afrz. murte, aprov. murta usw.
Tu?7ium steht z. B. CGI. III, 611,32 und ist erhalten im lecc.
tumu, logud. tumbu und sp. tom-illo, während auf dem übrigen
Gebiete nur serpullum 'Quendel' fortlebt, prov. serpol, it. serpoUo,
ALL VI, 135. Aber App. zeigt, dafs noch im 3. Jhdt. tumum
lebendig war und erst später in der Übergangssprache schwand:
auch andere nur in Spanien und Sardinien (Italien) erhaltenen
Vokabeln brauchen nicht schon in sehr früher Zeit abgestorben zu
sein. Ob angesichts CIL VIII, 7854: thymum auch für App. diese
Form als die gebiUigte anzusetzen ist?
§ 10. Die Diphthonge.
a) Der Diphthong au.
83 auris non oricla
Zu aurls gehört seit ältester Zeit das Deminutivum auricula,
das zuerst hypokoristische Bedeutung hatte — Plaut. As. 668,
• Der neue Nomin. chlamyda kommt — anders Thes. L. L. s. v. — be-
zeichnenderweise zuerst bei Apuleius vor.
62*
Poen. 375 — , dann aber bald als völliges Synonym von auris in
die Umgangssprache Eingang fand, wie bes. die interessante Stelle
des Rhet. ad Herenn, IV, lo, 14 zeigt, wo oricida (mit 0) in einem
Beispiel erscheint, quod ad mfirmim et cotidiatmm scnnonem demissum
est, s. auch Wölfflin, Phil. 34, 154; Loefstedt, Peregr. Aeth. 31 1.
Oricla steht als Cognomen CIL XII, 5686, 652 ; sonst noch CGI.
III, 615, 18; oricula CGI. II, 139,48 u, ö. (Heraeus, Sprache Petrons 7,
Thes. L. L. s. v.) und schon Verr. Flaccus, Fest. Paul. 182, 183 M.
führte zur Erklärung von oraia 'Goldforelle' aufser oruvi = aurum
auch oriculae an. Es ist nun sehr wichtig, dafs die im früheren
Vulgärlatein häufige Monophthongisierung des ««, wofür die Ge-
schichte des Clodius das einleuchtendste Beispiel abgibt, sich im
Romanischen nur in wenigen Vokabeln, in cgda, glla, fax und
plostrum S durchgesetzt hat, während in den übrigen Wörtern das
alte au zugrunde liegt, vgl. rura. coadä, it. coda; aprov. coza, frz.
queue (< coda) gegenüber rura. aur, it. ^ro, aprov. aur, frz. or
(< atmitn). Auch rum. ureche, it. orecchio, prov. aurelha. sp. oreja
sind auf auricula zurückzuführen, wie die den alten Diphthong er-
haltende provenzalische Form zeigt; dafs in den übrigen Sprachen
nachträgliche Einzelentwicklung von au zu 0 stattgefunden hat, weist
M.-Lübke, Einf.3, 121 nach; so kann frz. chose nur aus causa
entstanden sein, da im Afrz. nur vor a das c zu ch wurde. —
Man hat nun aber des öfteren mit Thurneysen, KZ 28, 156 olla,
fox, coda und plostrum für die ursprünglichen Formen, dagegen die
mit au (cauda usw.) für Hyperurbanismen gehalten und auch Walde
hält für die zwei letzten Vokabeln daran fest; dann hätte das
Romanische nicht eine einzige vulgäre Bildung mit 0 «< au über-
nommen. Ist diese Ansicht richtig? Aula ergibt sich durch das
Deminutivum auxilla als das primäre, faux durch offucare, Paul.
Fest. 192 M.; ^l^. fauces formell isoliert war und als solches empfunden
wurde — Prise. II, 323, 21 K.: in -aux umim femininum : haec
faux — , konnte das einmal in der Umgangssprache vorhandene
foces sich leicht {voces, veloces usw.) auch später erhalten. Cauda
ist etymologisch unklar; die vulgäre Bedeutung kann die Entstehung
und Erhaltung des 0 im Romanischen begünstigt haben. Plaustruvi
wird für hyperurban gehalten wegen der bekannten Geschichte
Vespasians (Suet. 22), der den consularis Mestrius Florus spottend
i%«n« nannte, als dieser ihn gemahnt hatte plaustru7?i, nicht
plostrum zu sagen. Aber plaustrum kann sehr wohl das ursprüng-
liche sein und sekundäres plostrum auch in der besseren Umgangs-
sprache als Bezeichnung des alltäglichen Frachtwagens sich durch-
gesetzt haben, so dafs plaustruvi schliefslich fast aufser Kurs kam;
wahrscheinlich gemacht wird diese Ansicht durch häufiges clostrum
neben ursprünglichem claustrum [clatcdo). Dafs claustrum 'Kloster*,
nicht clostrum (ALL I, 547) romanisch ist, liegt an der Bedeutung
des Wortes, während olla, coda, plostrum einer tieferen Schicht der
1 Über cotes s. § 25.
63
Volkssprache angehören. Bei/ox, foces spielten, wie gesagt, formelle
Gründe mit. Von Hyperurbanismus kann für keine einzige Form
die Rede sein.
b) Da raucus non ra[ujcus (153) — draiicus Usener, Bücheier —
nur auf einer Konjektur Niedermanns beruht, kann es nur nebenbei
behandelt werden. Wie raiicus zu draucus 'xarajivycov' hätte
werden können, ist unverständlich; ein d ist in der Hs. nicht zu
erkennen und eine umgekehrte Verschreibung {raucus st. draucus)
in Martialhss. beweist natürlich nicht, dafs draucus non raucus zu
schreiben ist: ein ähnlicher Euphemismus liefse jede Ratio ver-
missen. — Während vortoniges au bekanntlich im Romanischen vor
folgendem betonten 7i zu a wird ^ — auscuUo > ascu/to (Thes. L. L.),
afrz. ascouter, asp. ascuchar usw. — , ist dagegen in betonter Silbe
nur selten durch Dissimilation und Dehnung des ersten Komponenten
des Diphthonges a statt ati eingetreten, wenn ein u in folgender
Silbe stand (anders Sommer'-^, 80), vgl. CIL VI, 667: Cladius,
II, 6257, 77 : Fasli nach Fastus (unbelegt) = Faustus, anculus =
aunculus VI, 19004 u. ö. und unten § 14. Das Bardische ist mit
X-xiVi = la(ii)rus, \2X\ = caulis , pahdivu = pa(u)perum einen Schritt
weitergegangen, s. M, L. Wagner, Arch.f. St. d. n.Spr. NF. 35, ig 16, 108.
Die Seltenheit der Belege begünstigen Niedermanns Konjektur:
raucus fion racus nicht sehr. — In unbetonter Silbe ist au vereinzelt
auch ohne folgendes u zu a geworden, vgl. z. B. Larentinus [Fasiina)
bei Pirson 26; papertad C\l^ VI, 25741 (vgl. sard. päbaru) und (vor/)
häufiges nafragium in später Zeit, Schuchardt II, 306 f.; Form.
Andecau. 15, 15.
b) Der Diphthong ei.
i) 26 musivum non tnus{e)um
204 musium vel musivum ?ion museum
44 bravtum non brabium
Das gr. ßgaßsiov findet sich, abgesehen von den Glossen, nur
zweimal bei nicht christlichen Schriftstellern — Script, bist. Aug.
Capit. Verus 6, 5; Schol. ad Horat. Ars 417 — , so dafs erst durch
die Bibelübersetzungen — Ital. I. Kor. 9,24, Phil. 3, 14 — das
Wort in die römische Literatur und Sprache kam. Auch deshalb
kann App. kaum vor dem Ende des zweiten Jahrhunderts verfafst
worden sein. Belegt sind bravium und brabtuvi — das 1 in bravlum
ist gesichert durch Hymn. Ambros. II, 72, 25; Ps. Prosp. carm. de
provid. 663; unrichtig Thes. L. L. Sp. 2153, 29 — , während ver-
einzeltes brabeum bei Piudent. peristeph. 5, 538 : solus brabei duplicis
nnr (künstliche) Anlehnung an ßQaßstov ist. Mit Unrecht haben
deshalb Foerster, Uilmann 184 und Heraeus non brc(beu?/ij ge-
schrieben. Wie schon oben § 3 a erwähnt wurde, sind t£).covhüv,
aQXsTov und ßgaßsiov erst zu einer Zeit übernommen worden,
als gr. ei wie t gesprochen wurde. Da aber in den demgemäfs
^ Vgl. Macenas = Maecenas CIL VI, 4610.
64
entstandenen Formen [ielonium), arcJün?n (Fronlo p. i6, i6N. usw.)
und brabium -tum ungeläufige Endung war, wurde zu (ielomum),
archlvum und bravium umgebildet. Bravium und brahiiwi waren
wohl beide in der Umgangssprache gebräuchlich ; vgl. Schol. Horaz,
ars 417* solet dicere is qui bravium tenet : qiii prio?- vetierit, bravio
donabitur, andererseits brabium in Glossen 1, auch in den Formen
brabrium (IV, 487, 35) und brabirium (IV, 25, 7). Viel häufiger ist
aber bravium und dementsprechend billigt es App. Über brabnim
[bravium) als circensisches Wort s. Pollack RE s. v.
Da auch ijiuseum, musiiim und musiimvi 'Mosaik' erst seit dem
2. Jhdt. — zuerst (intiseuvi) CIL VIII, 993 in einem für die diva
Plotina errichteten Tempel — belegt sind, stammen sie ebenfalls
aus dem Griechischen, obwohl novOiXov 'Mosaik' erst spät bei
Schriftstellern vorkommt, welche es aus dem Lateinischen über-
nommen haben (Blümner Technologie III, 327), sodafs gr. ^«ovöfror
vielleicht zuerst lokal beschränkt gewesen ist. Auf Afrika könnte
das dort nicht seltene museum führen, s. aufser CIL VIII, 993 auch
13232 und 2657 [vitisaeo). Deshalb aber auf afrikanische Herkunft
der App. zu schliefsen wäre verfehlt, da sie gerade inuseiim ver-
urteilt und musium (s. aber unten, belegt Script. Hist. Aug. Spart.
Pesc. Nig. 6,8) oder musivtim (Orelli-Henzen 3323: opere mmivo;
Augustin. cd. 16,8) billigt. Museum wird wegen des schon vor-
handenen museum 'Musensitz' mit Recht verurteilt. MovOelor wurde
zuerst zu musium, dann zu musivum (vgl. archivum), das kaum zuerst
Adjektiv {inusivum opus) war, und zu museum. Dafs nicht zufällig
ältere Beispiele für das Wort fehlen, zeigten indirekt Stat. Silv. i,
5, 42 — 43, Plin. n. h. 36, 189; Sen. ep. 8ö, 6, welche die Sache
berühren, aber das Wort nicht gebrauchen. Ob in n. 204- die
Worte musmm vel App. gehören, ist nach der Ablehnung von
brab'ium sehr zweifelhaft; auch verstofsen sie gegen die Sitte nur
eine Form als die anerkannte zu erwähnen; andererseits mufs der
Zusatz alt sein angesichts des seltenen musium, auf das ein viel
späterer Fälscher nie verfallen wäre.
2, 222 nescioubi iion nesciocube. Nach Sommer 2 149 erfolgte
die Kürzung des ausl. -ei in ubei usw. zur Zeit, als es zu -e ge-
worden war; das Resultat sei ein bald -e bald -i geschriebener
Mittellaut gewesen, vgl. neben sibi, quasi, ubi, heri: sibe, quase, übe,
here (schon Plaut. Mil. 59) usw. — Da Plautus im An(In)laut noch
ei und i unterscheidet (Truc. 262), andererseits schon häufig ubl,
mihi, sibi mifst, so mufs man jedenfalls annehmen, dafs im Auslaut
dieser oft pro(en-)clitisch sich anlehnenden Vokabeln früher als
sonst (im In- und Anlaut) das ei gekürzt wurde. 3 Dann brauchen
wir aber nicht bei dem Wandel «" > ? > f stehen zu bleiben,
1 Auch bradium ist bezeugt.
2 Und IX, 6281, Treb. Poll. trig. tyr. 15, 4.
' Bestätigt wird diese Annahme durch frühes Diove, Honore = Diovi,
Honori (CIL P, 607, 20. 31 [217 v. Chr.]), wo das e << ei ebenfalls im Auslaut
steht, ore = ori Properz 4, 8, 10 lälst sich nicht beseitigen.
sondern dürfen glauben, dafs schon zur Zeit des Plautus im Aus-
laut der genannten Wörtchen der Lautwandel: (?/ ]> ^ >■ Z > 7
sich vollzogen hatte. Das ausl. / wurde dann in derselben Weise
zu e, wie in dem ebenfalls sich anlehnenden inagis > magi (Leo
Plaut. Forsch. 2 294) > mage. Tibe steht schon CIL 12, 10 in dem
dritten Scipionengedichte, tibe bei Willmanns 1619 (65 n. Chr.),
CIL VI, 9659, IX, 3895. Für die Kaiserzeit vgl. Quintil. i, 4, 8;
7, 24: ^ sihe^ et 'quase' , . . Livium ita his usum ex Pediano comperi,
qui et ipse eiiin sequebatur (aber bei Asconius niemals überliefert,
Stangl, Cic. Oral. Schol. p. 19,9). — Das c ist nach sicubi, necubi usw.
irrtümlicherweise in der Volkssprache eingeschoben. Ed. Hermann
GGN 1918, 134 f. glaubt, dafs aus fälschlich getrenntem sic-ubi,
nec-iibi, alic-ubi erst sekundär tibi (statt ciibi <C qifubi) entstanden
sei. Aber das römische Sprachgefühl konnte nur in ali-cubi (vgl.
aliquis, aJiter, Sommer Erläut. 69) zerlegen und empfand in sicubi
und necubi der Bedeutung entsprechend sicher die Kraft von
si und 7ie.
C. Halbvokale.
§11.
14
vaciia non vaqiia
40
coqui non coci
'5
vacui ?ton vaqiii
27
exequiae non execiae
38
coqus non cocus
37
eqiis non ecus
39
coquens non cocens
208
februarins non febrarius
In der Endung -uus ist nacl: Konsonant das unbetonte Hiatus-«
schon früh in der Umgangssprache zu 11 geworden und dann ver-
flüchtigt. Das alte aedilumus — \g\. finitimus, maritimus — ist erst
seit Livius in der Form aediluus wirklich bezeugt und, wie Varro
(Gell. N. A. 12, 10, 4) sah, volksetymologisch (aedem tueri) umgebildet
worden;! aber schon CIL X, 6638c, 28 (44 n. Chr.) ist aeditus belegt.
Morlus steht schon CIL IV, 3129: cadaver mortus = c. viortuum',
sogar der Dichter Germanicus erlavrbt sich v. 317 zweisilbiges ardmun;
i\xx pe?petus, innocus s. Corssen II, 7 12. So wurde in der Umgangs-
sprache auch vacus gesprochen, das M.-Lübke Wb. 91 15 für
marchisanisches vago zugrunde legt wie voc(u)us für italische
Dialekte und sp. hueco, pg. oco mit fehlendem v vor 0. Erst ana-
logisch konnte bei Adjektiva auch in Femininum das u schwinden,
und es ist interessant zu beachten, wie App. zeigt, dafs zu ihrer
Zeit sich diese analogischen Bildungen noch nicht durchgesetzt
hatten, sondern noch vaqtia, vaqiä gesprochen wurde; andererseits
war wohl schon vacus in der Umgangssprache üblich, weil sonst
App. die Normalform, das Mascul. Sing, vaquus, nicht allein das
Femin. Sing, und Mask. Flur., als Beispiele für cic- > qu- angeführt
hätte (vor Schwund des ii sollte nicht hier, sondern erst später
gewarnt werden). Dieselbe Warnung steht auch bei Albinus
GL VII, 296, 7K.: vacuus per c non per q scribendum est, nur dafs
' Umgekehrt, aber kaum richtig Aistermann, de M. Val. Probo 1910,110,
Baehrens, Sprachl. Kommentar zur Vulgärlat. Appendix Probi. c
66
hier ohne Berücksichtigung der lebendigen Sprache das Maskulinum
angeführt wird.
So entstand auch früh relicus (CIL VIII, 2728, 9 um 148 n. Chr.)
und danach analogisch reliciae VI, 4999. Execiae kann sehr wohl
reliciae nachgebildet worden sein — beide neue Formen setzen
den gutturalen /(.'-Laut voraus — , und wir brauchen nicht mit
M.-Lübke, Groeb. Grundr.2 475 anzunehmen, dafs extqiae {execiae)
aus exequiae'^ sich entwickelte: '^ülaciare und *laceus <C illaqueare
und laqueus können durch das sinnverwandte illicio, das durch
Rekomposition zu *illaciv wurde, beeinflufst worden sein und sich
schliefslich durchgesetzt haben. — vgl. noch Papirian bei Cassiod.
VII, 158, 15 K.: reliciae et relicui per c scribehaiitur ... ut relicuus
, . . at nunc reliqtciae et exequiae per q scribuniur', Albinus VII, 300, 26.
In equs non ecus beansprucht auch die gebilligte Form Interesse;
wichtig ist Serv. Dan. ad Georg. I, 12: antiquissimi lihri '■aquam^
plerique hahuerunt . . . sed melius 'equuvi^ ... in Com. ^equvi\ in
aulhentico 'aquam\ ipsius manu 'equm\ Ribbeck Proleg. 442. Den
Grund für diese orthographische Schreibung geben Ter. Scaurus
VII, 12, 1 1 K. und Velius Longus VII, 58, 11; 59, 4K. aus Hadri-
anischer Zeit, z. T. implicite, an: da nach vielen Grammatikern
7iu immer zweisilbig zu sprechen sei, ohne dafs sie sich die konso-
nantische Kraft des ersten u in uulgus, equus , seruus (= servus)
überlegten, hätten sie die Schreibungen volgus, equos, servos (und
equs) eingeführt. Diese Ansicht, welche Scaurus und Longus be-
kämpfen, vertritt nun aber Cornutus bei Cassioder VII, 150, 5 K.:
alia sunt quae per duo u scribuntur, quibus numerus quoque syllaharum
crescit. similis enim vocalis vocali adiuncta non solum non
cohaeret, sed etiam syllabam äuget, ut vacuus . . . eade)n divisio
vocalium in verbis . . . acuunt, dessen Standpunkt der Cornutus auch
sonst benutzende Papirianus (Cassiod. 161, 4 K.) ebenfalls erhalten
hat: vulgus, vultum . . . sunt qui putant per duo u scribi no7i debere,
quod similis vocalis vocali adiuncta non solum non cohaereai, sed
etiam syllabain augeat usw. Cornutus schrieb nur vacuus, acuujit, aber
nicht uulgus, uultum und ebensowenig wie App. equus, sondern equos
oder equs, weil jedes geschriebenes 2iu zweisilbig sei! Es ist also
sehr wohl möglich, dafs bei Serv. Dan. ad G. I, 12 Cotn."^ nicht in
Corneliani (vgl. Schol. Bern, zu Georg. IV, 87, 120, 175), sondern in
Cornuti aufzulösen ist. Equs steht z.B. CGI. IV, 336, 36; ecus in
Versen z. B. CIL VIII, 16566, 8; XIV, 391 1, 6. Auch hier gibt App.
eine Vulgärform, aber nicht diejenige, welche dem Romanischen zu-
grunde liegt; dort blieb nur equa erhalten, während eqmis durch
caballus ersetzt wurde.
Aus den Worten des Velius Longus VII, 79,7: cocum no7inulli
in utraque sylldba per '17' scribunt, 7i07inulli et inserta («). in ,verbo
etiam 'quoquere^ per 'quo\ Nisus censet ubique V ... ponendam tarn
1 torcere <^ torqiiere (ALL 6, 127) bleibt aufser Betracht.
2 Nichts darüber bei Reppe, de L. Annaeo Cornuto, Diss. Leipzig 1906.
:67
in nomine quam in verbo, quod mihi nimium videiur exile. nam sicut
non est prima syllaba oneranda, sie sequens videiur explenda, der nach
den Schlufsworten coquus zu bevorzugen scheint, ergibt sich das Be-
streben die beiden silbeanlautenden Konsonanten auszugleichen.
Wahrend quoquus, quoquere in Hss. bezeugt sind (vgl. Quint. 6, 3, 47),
sind cocus und cocere häufiger; nachdem coquu's zu cocus geworden
war, hat sich, durch die erwähnte Tendenz der Ausgleichung
im Silbenanlaut begünstigt, analogisch auch cocere und, wie App.
zeigt, auch cocens, coci durchgesetzt, vgl. it. cuocere, frz. ciiire usw.,
M.-Lübke Wb. 2212. Lehrreich für den assimilierenden Einflufs
des ersten c ist der Gegensatz zwischen H'acus, vaqua, vaqui —
s. oben — und cocus, cocens, coci. Cocens ist CGI. III, 140, 68 f!. be-
zeugt. App. billigt auch hier aus grammatischer Erwägung (tiu sei
immer zweisilbig) coqus, nicht coquus.
Über febricarius und den Schwund des it nach -br- vor betonter
Silbe wurde § 3 g, 7 c gesprochen. Februarius ist z. B. CIL, III, 8690,
VIII, 23061 u. ö. bezeugt. Für die Datierung ist wichtig CI
IV, 4983: XV K febrares, aus der Zeit vor 79 n.Chr. Interessant
ist febroarius Xu, 936, 3509; Inscr. Dittenb. Syll. 315, das sich wohl
mit dem § 7 c angeführten sobreus (vgl. auch osteum § 5 b) direkt
vergleichen läfst, in dem Schwund des i — ^sobrtim wird durch
sober {suber) vorausgesetzt — durch erneute Vokalisierung nach
der Richtung des e hin vorgebeugt wurde; in ähnlicher Weise
entstand febroarius.
D. Konsonantismus.
§ 12. Ferndissimilation, Fernassimilation und Verwandtes.
16 cultellum non cuntellurn 45 pancarpus non parcarpus
77 flagellum non frag ellwri 180 frustum non frustrum
125 terehra non teleira 209 clatri non cracli
147 meretrix non menetris 216 necne non necnec
166 obstetrix non opsietris)
Einige Literatur sei schon hier angegeben: Grammont, la
dissim. conson, dans les lang, ind.-europ. 1895. — Hoffmann-Krayer,
Ferndissim. von r und / im Deutschen = Festschr. z. 49 Philo-
logenvers. Basel 1907, 141. — R. Meringer und K. Meyer, Ver-
sprechen und Verlesen 1895; R. Meringer, Aus dem Leben der
Sprache 1908. — Brugmann, Das Wesen der lautl. Dissimil. =
Abh. Sachs. Ges. d. Wiss. 1909, 139. — Nachmanson, Beitr. z. Kenntn.
der altgr. Sprache, Uppsala 19 10. — Hauptarbeit: E. Schopf, Die
konson. Fernwirkungen usw. = Forsch, z. gr. und lat. Gramm. 5, 19 19
mit Literaturangaben.
Im Gegensatz zu der häufigen Assimilation und Dissimilation
unmittelbar nebeneinander stehender Konsonanten, bei der nur
lautphysiologische Vorgänge sich abspielen, kommen bei der sogen.
Fernassimilation und -dissimilation auch psychologische Faktoren
in Betracht. Ohne weiteres verständlich sind die progressive
5*
6B
Fernassimilation und -dissimilation — letztere ist ziemlich selten ^,
welche den folgenden Konsonanten an einen verwandten, schon
gesprochenen assimiliert {Mcne/avos > Memelavos CIL XI, 6700, 158 b)
oder durch einen gleichen vorhergehenden Laut dissimihert: prora
^ proda (s. u.). Etwas schwerer zu verstehen sind dieselben Er-
scheinungen regressiver Art. Da die Artikulationsmasse sich
simultan an denjenigen, der sie sprechen soll, herandrängt, ohne
dafs die einzelnen Laute schon klar geordnet sind, so kann ein
später folgender Konsonant — eventuell an einer entsprechenden
Stelle der vorhergehenden Silbe — antizipiert werden um einen
lautphysiologischen verwandten Konsonanten, der vorhergeht, zu
ersetzen. Meistens tritt dann durch Metathesis der vertriebene
Konsonant an die Stelle des anderen — po.ludem > padulem,
Schopf 183 — , während nur in Sprech- oder Schreibfehlern wie
pululenta <[ punilenta Pelagon. § 209, Atenororus = Aihenodoriis
Eph. Ep. Vin, p. 102, n. 385 (ad CIL X), 6 usw. eine wirkhche
Assimilation eintritt. Aber der Redende, im Begriff einen Konsonanten
auszusprechen, kann auch schon durch das halb unbewufste Emp-
finden geleitet werden, dafs er denselben Laut an einer späteren
Stelle innerhalb dieses Wortes verwenden mufs, und ihn deshalb
an der ersten Stelle in einen lautphysiologisch verwandten umwandeln.
Diese Erscheinung der regressiven Dissimilation, welche im Vulgär-
latein häufig war, konnte am ehesten dann eintreten, wenn der
spätere Konsonant, welcher vom Redenden vorempfunden wurde,
in der betonten Silbe stand; ist es doch die akzentuierte Silbe,
nach welcher die Aussprache eines Wortes hindrängt (s. § 2 a) und
welche der Sprechende antizipiert. Diese allgemeine Erwägung
wird durch das beschränkte Material in der Tat bestätigt und
verdient auch deshalb eingehender Betrachtung, weil der Einflufs
der Betonung trotz der Hinweise Grammonts und Hoffmann-Krayers
von Schopf, dessen Verdienste ich nicht zu schmälern beabsichtige,
nicht berücksichtigt wurde. Der vielgeschmähte Satz Grammonts
(186): Ma dissimilation c'est la loi du plus fort' hat auch für das
Latein eine gewisse Berechtigung, wenn wir nicht von einem Gesetz,
sondern von einer gewissen Tendenz reden. Niedermann, Mel. de
Saussure igo8, 66 erklärt die doppelte Dissimilation von meretrix
^ meletrix, menetrix und terehra ]> telehra, tenehra so, dafs in be-
tonter Silbe meretrix zu menetrix wurde, in unbetonter dagegen
meretricis zu meletricis, wie peregrinus zu pelegrimis; wir werden zu
einer anderen Auffassung gelangen. — Wie schon aus einer
Musterung des gesicherten Materials bei Schopf sich ergibt, werden
— abgesehen von dem absoluten Anlaut (s. u.) — nur ;- und /
durch regressive Dissimilation getroffen. Das Material für / — />
r, n — / und r — r > / — r umfafst:
a) fragellmn << flagelbcm, s. u. conucella <C. colucella, danach
I curtellus <C cultillus conuc(u)la
\cuntillum(s) <Ccultellum(s)'&.w. naviUiim <, labelhwi (nur in
scarpHhim < scalpellum ■ Mittellatein)
69
b) palafredus <C para/redus *lelebrdre -< lerehrdre
pelegrinus <i peregriniis hilrica <C riihrica
*mektrms <^ mereticis i
Aufser diesen beiden Gruppen kommen nur noch in Betracht ^ :
plurigo, plurire <C prurigo, prurire, lordndrum << rordtidrum, albcrga
<^ ahd. heriberga, Zwischenform '* arber ga. — Aufserdem nur das
gall. Lehnwort vcltragus ■< verlragus, dlbor <C drhor (Glegörius <<
Gregor ins Schopf 82) und grändula <[ gldndula.
Da sämtliche dissimilierten Formen der Gruppe a, mit Aus-
nahme von navellum, allgemein -romanisch sind — s. Groeber, ALL
I, 551, M.-Lübke, Wb. 3347, 2381, 7642, 2061 — und im Vulgär-
latein festen Boden gewannen, so konnte dort das / der unbetonten
Silbe in jeder Stellung zu r, n dissimiliert werden 3 durch das
lange (doppelte) / des betonten festen Suffixes -ellus {-ni, -d), welches
sich als der das ganze Wort charakterisierende Teil den Redenden
beim Aussprechen der ersten Silbe schon aufdrängte. — Auch in
der Gruppe b sind die Dissimilationen allgemein -romanisch ge-
worden, M.-Lübke, Wb. 6231, 6406, 5523 — mit Ausnahme der
zwei letzten. Das anl. r einer unbetonten Silbe konnte also durch
das /' der folgenden, betonten Silbe zu / dissimiliert werden, wenn
dieses r durch einen vorhergehenden Konsonanten derselben Silbe
gestützt wurde und so besonders hervorgehoben dem Sprechenden
schon vorschwebte. Die Dissimilation zu / tritt nur zwischen gleichen
Vokalen auf: wie das vokalhaltige / die umgebenden Vokale
assimilieren konnte (§ 3 a), so ist anscheinend am ehesten zwischen
gleichen Vokalen r zu / geworden.
In plurigo, lordndrum, alberga hat ebenfalls ein Konsonant der
betonten Silbe denselben Laut der unbetonten dissimiliert. Dagegen
ist nur in drei Vokabeln, von denen vellragus^ als Fremdwort
weniger in Betracht kommt, das r der betonten Silbe umgewandelt
worden. Aber wir dürfen für albor <C arbor (CGI. III, 559, 43 ;
M.-Lübke, Wb. 606) nicht mit Grammont 22 und Schopf 83, 3
Einflufs von albus annehmen, auch nicht grändula < glandula 'ge-
schwollene Druse' mit volksetymologischer Anlehnung an vulgäres
grandis erklären. Denn in arbor wird das betonte r, das übrigens
am Ende der Silbe weniger kräftig war (Kretschmer, Glotta I, 48),
durch das r des festen Suffixes -or dissimiliert, das sich an den
Redenden sofort herandrängte und auch die betonte Silbe affizierte.^
Dieselbe dissimilierende Kraft übte auch das / des festen Suffixes
-ula in glandula', grändula ist übrigens nur in Hss, des Pelagonius
überliefert.
1 Mit * wird angedeutet, dafs die Dissimilation vielleicht in diesen
Formen zuerst auftrat.
"^ flagrare -^fragrare und fraglare <ifragrare (Schopf 8 1) lasse ich
bei Seite.
^ conucella und conuc(u)la können durch conus beeinflufst sein.
* Vgl. aus dem vorhist. Latein culter <^cert -ros, Skutsch B. B. 22,126.
^ Vgl. Glegörius <C. Gre^örius und vorhist. cärmen <C canmen usw,
70
Eine Hauptrolle spielt nach dem Gesagten der Akzent; fast
nur ein Konsonant der betonten Silbe dissimiliert und auch dieser
meistens nur unter sehr günstigen Bedingungen, nämlich wenn er
durch einen anderen Konsonant gestützt wird oder in dem festen
Suffix -ellus steht. Die Wirkung einer festen Endung zeigt sich
auch darin, dafs anscheinend nur sie eine betonte Silbe ausnahms-
weise beeinflussen konnte.
Ein ganz anderes Bild zeigen die bisher übergangenen Formen
nespula <^ viespula, ndffa <| *ndppa <] mäppa, nilhiis <I milvus, welche
vulgärlateinisch und allgemein-romanisch sind (M.-Lübke, Wb. 5540,
5342, 5904);. hinzuzufügen \\ü.re masiiircmn -< nastürciiun, Solmsen,
Rh. Mus. 56, 499.- Im Gegensatz zu den behandelten Fällen sind
der dissimilierende und dissimilierte Konsonant nicht gleich, sondern
der kräftigere und durch vorhergehenden Konsonant gestützte Labial
(/), V) affiziert den schwächeren (;;/), welcher aufserdera im absoluten
Anlaut steht; leicht konnte unter diesen Umständen ein Konsonant
der unbetonten Silbe die betonte beeinflussen. Auch im Vulgärlat.
cinqice << quinque konnte eine Erleichterung der beiden Doppel-
konsonanten nur im absoluten Anlaut vor sich gehen, da die Endung
-que unantastbar war. Auch schwindet nur ein u.
Die progressive Dissimilation ist seltener. Beachtenswert ist
die Tatsache, dafs nur konsonantisch gestütztes r zu / wird —
crihlum, crihlo'^, fraglo — , während freies r zu d dissimiliert wird,
vgl. proda «< prora (ALL IV, 449), prüdere ■< prurire (IV, 450),
radum << rarum, porfiduiii <C porfirum (Grammont 66). — Für die
Labiale kommen nur pdlfehra •< palpchra — so ist ausnahmsweise
zu betonen, M.-Lübke, Wb. 6176 - — und bläsiejiia, äre < bldsphe?na,
-dre in Betracht; d. h. von drei Labialen wurde der mittler^ durch
den ersten (und nebenbei durch den dritten) dissimiliert. Eine
andere Umwandlung zeigt palpeira, das Charis. I, 105, 14 K. schon
für Varro belegt und auch sonst vorkommt, s. Schopf 120, M.-Lübke,
Wb. 6176, 2. Dagegen verdankt molii(i)meniinn ■< vionit(i)mentum
CIL VIII, 2269, 11480 b sein / vielmehr volksetymologischer An-
lehnung an violes; entstand doch auch das verbreitete muniinetiium
durch Einwirkung von mimiis und maesoleum (CIL VI, 2120), misoleiwi
(XIII, 2/[g^) = mausoletim durch Einflufs von maestus und miser,
da eine karische Form MatöOcoXXoQ neben MavOGcolAoa — vgl.
Aüßgasröog neben ÄaßQavvöoq — , von der wir nichts wissen,
sich kaum ins Lateinische hätte retten können (so Kretschmer,
Gesch. gr. Spr. 327) und aufserdem 7?usoleum unerklärt bliebe.
Gehen wir jetzt zu den Beispielen der App. über, so fügen
sich diese leicht in die Gruppen a und b ein. Das verworfene
amtellum, das nur noch in ital. Dialekten (M.-Lübke, Wb. 2381)
^ Auch im Span, niembro usw. ist das erste m nicht durch das zweite /«,
sondern durch das b dissimiliert worden, anders Bruch, Arch. f. d. St. d, n.
Spr. NF. 33, 191S, 36.
* Oder zuerst in cribräre mit dreifachem r}
71
fortlebt und das durch Dioskorides, Rom. Forsch. X, 413,8 wie im
Romanischen erhaltene curtellus (vulg.-ital. cortello, M.-Lübke, 2381)
konnten auch deshalb leicht entstehen, weil silbenausl. / vor Kon-
sonanten häufig zu u wurde und, wenn ein u vorherging, kaum
gesprochen wurde. Neben ducissim und sepuchru, CIL VI, 13170,
1734g finden wir auch cuier ■= culier und cutellum belegt, CGI.
III, 530, 42. 43. Die Dissimilation in cuniellum, welche durch fra-
gellum und conucella usw. als solche erwiesen wird, wurde nur sehr
erleichtert durch die schwache Aussprache des /, und wir können
nicht mit Ernout 147 die Dissimilation leugnen und nur phonetisch
leichten Übergang von -//- zu -;;/- annehmen. App. billigt neutr.
cultellum (z.B. auch Not. Tir. 99, 12 und in Glossen), während Serv.
ad Aen. 6, 248 culiellus nach culier verlangt.
Für die weite Verbreitung von fragellum, das z. B. CGI.
I^ 547> Zö iii cod. N. von erster Hand geschrieben und gebessert
wurde, zeugen sowohl spätgr. (pQa'/tXÄLOv — W. Schulze, KZ ;^t,
(1895), 376; Immisch, De gloss. ital. Hes. 373 — , wie air. srogell,
akymr. ff'rewyll (Vendryes, De hibern. vocab. Paris 1902, 180), so-
dafs die Form, obwohl nur im Italienischen erhalten (Ullmann 205),
im Vulgärlatein nicht selten war.
Terebra und meretrix sind deshalb besonders wichtig, weil nur
sie eine doppelte Dissimilation zeigen: telehra, teiielra und meletrix,
menetrix. Telehra findet sich in Hss. (Bücheier, Fleck. Jahrb. 105, 1 1 2),
tenehra aufserdem CGI. III, 79,49 u. ö. ; menetrix bezeugen Nonius
p. 423, ilM. : menetrices a manendo diciae sunt und Luxorius, PLM
IV, 528 B. iiiwietris) , die Ausdehnung von meletrix zeigt das Ro-
manische, afrz. meautris, prov. meltritz usw. Da die Dissimilation
r — r > n — r nur in diesen beiden Vokabeln auftritt, welche auch
den gewöhnlichen Wandel r — r >■ / — ;- aufweisen, wie er in pele-
grinus erscheint, so neigt man leicht dazu, tenehra und menetrix
als Formen zu betrachten, welche einem besonderen Grund wie
volksetymologischer Anlehnung ihre Entstehung verdanken. In der
Tat läge für tejtehra 'Bohrer' eine Beeinflussung durch teuere nahe,
vgl. auch sp. tenedor 'Gabel'; wenn aber Heraeus 322 u. a. zur
Erklärung von menetrix eine Umgestaltung nach manere annehmen,
das auch 'übernachten' — W. Schulze, Graeca-Latina 22, Loefstedt,
Peregr. Aeth. 76 — und gelegentlich concumbere bedeute (Thielmann,
ALL III, 539), so ist demgegenüber scharf hervorzuheben, dafs
manere, das mit meretrix lautlich nichts zu tun hat, dieses Wort
unmöglich hinsichtlich eines Konsonanten hätte beeinflussen können :
höchstens wäre ein '^'manetrix das Resultat gewesen. Vielmehr wurde
menetrix erst ex eventu von Grammatikern wie Nonius mit manere in
Zusammenhang gebracht, als die Form längst entstanden war. Viel-
leicht wurde bei Eintreten der Dissimilation meretrix durch eine
Annäherung an das anl. m auch zu menetrix. Wahrscheinlich ent-
standen beide Dissimilationen zuerst in den unbetonten Silben von
meretricis usw. und terebrdre; möglich wäre auch ihre Entstehung
j» d^n betonten Silben von meretrix und terebra, da die gestützten
72^
Konsonanten der festen Suffixe -trix und -hra auch die betonten
Silben affizieren konnten, s. o.
Regressive Assimilation ist nur selten. Am leichtesten konnte
sie in dem von App. verworfenen parcarpus << pancarpus vor sich
gehen, wo die psychologisch recht verständliche Neigung zutage
tritt, zwei Silben eines Wortes mit demselben (Vokal und) Kon-
sonant schliefsen zu lassen. Ähnliches wird, da es in der Psyche
der Sprechenden leicht vorbereitet wird, immer wieder begegnen.
Es wäre also müfsig, alle Beispiele zusammenzusuchen, zumal es
ephemerische Erscheinungen sind, welche selten oder nie allgemeine
Aufnahme fanden. Vergleichen lassen sich: pal/iier = pakr CIL
VI, 25707, während in pa(s)ier noster (Meringer, Verspr. und Verl.
38) die Assimilation von noster ausgegangen ist; ma{f)ter VI, 26817 ;
gr. JSa{Q)TOQV&i?.oj IG IX, II, 1163,2, Nachmanson 37; ^/»/(C'r
TOvfQYpjöav IG II, 172 (Staatsdekret aus den Jahren 340 — 332).
Sehr nahe steht Carpurm'us CIL VI, 14 153, W. Schulze, KZ 33, 228 ;
auch im Griechischen findet sich KiiqjiovqviOu, im Spätgriechischen
wandelte sich allerdings silbenausl. / leicht in o ura, vgl. dö&ocpöc
u. K. Dieterich, Unters, zur griech, Spr. 107. — In derselben Weise
entstanden durch progressive Assimilation Arie{r)iuisius CIL VI, 11915,
Perpe{r)iua XIII, 672g, perpe[7-)tuorum VIII, i'j^i']. Das sozusagen
symmetrisch entstandene doppelte r im Silbenauslaut ist desto be-
merkenswerter, weil anderseits die Wiederholung der litlera canina
im starken Silbenanlaut gemieden wurde, vgl. die lange erhaltenen
Genetivi liberum, inferiim (CIL I'^, 1596) = liherorum, mferorum,
Wölfflin, ALL IV, i ; Sommer^ 349. Auch bei anderen Buchstaben
zeigt sich die Silbenassonanz, vgl. VIII, 9377,9: Delma{l)tarum;
XI, 2893: Äle{n)xandra\ VI, 32345, 3: se(in)ptemvir', hloCses se{//i)p/e!n
ist vielleicht nicht belegt, weil es in der Vulgärsprache zu sepie
wurde (Ihm, ALL VII, 67).
Von den angeführten Beispielen iand nur gerade parcarpus
weitere Verbreitung, weil es ein nicht leicht verständliches Fremd-
wort war, dessen gelegentlich korrupte Gestalt von anderen über-
nommen werden konnte, denen die richtige Form und ihre Be-
deutung weniger geläufig waren. Überliefert ist die Form bei
Nonius p. 264, 28 = Varro, Men. 567 im Lugd. prior: parcarpineo
(Heraeus, ALL XI, 64) und Osbern. Panormia p. 48 r : partarpia (so)
Corona ex diver sis florihus parata, vgl. Fest. p. 220, 20 M. [paficarpiae).
Die wohlfeile Etymologie setzt partarpia voraus, das aber nur aus
parcarpia verschlechtert ist.
Auch assimilatorischer Lautzuwachs ist äufserst selten und
ephemer; er tritt ebenfalls meistens in sozusagen symmetrischer
Form auf, vgl. Oci{r)obres {-ris) CIL X, 4531, XI, 2872; sl{r)uprari
(Schopf 171); c[f)edrae Petron 38 und progressiv in prist{r)is =
prisiis 'Walfisch' (Ritschi, Opusc. 11, 460 f.) ; crGcod{i')illus (Thes. L. L.
s.v.); strat{r)a CGI. III, 370,47; prop{r)iTis CIL 11,5439 (44 v.Chr.).
Auch dr)etariae iabernae (Caper, GL VII, 108, 13K.) ist zu ver-
gleichen. Den vorgeführten Neubildungen entsprechend tritt auch
7?>
in dem von App. verworfenen frust{f)um das eingeschobene r dem
Schriftbild nach symmetrisch auf, vgl. gr. y^Q^ifiT^Q)!], Nachmanson 39
(für den symmetrischen Lautzuwachs im Griechischen vgl. auch
{)^VQO'/c{?.)iyx?.ic KZ 33, 9 u. ö.). Die Verbreitung von frust{r)um
wurde auch durch die Entstehung des beliebten Suffixes -trum be-
günstigt, vgl. I. O. 483 : (pQedT{Q)cov. Auch ohne vorhergehendes r
entwickelte sich die Endung -/{r)a in haUist{t')a, gemsi{r)a (Nieder-
mann, Glotta 1,262, aber auch Herbig I. F. 37 [1916/17], 172)
und culcitra = ciilcita — sp. colcedra, it. coltrice — , das schon
bei Petron 38 in einem Gespräch vorkommt. Vielleicht ist bei ihm
(c. 66) auch friistnivi richtig in H überliefert. Später finden wir
der Bedeutung entsprechend häufig den Plural frustra = frusta
(Ribbeck, Prol. Verg. 443, Geyer, ALL VIII, 480), ohne dafs nach
dem Gesagten Einflufs des Adverbs stark gewirkt zu haben
braucht.
Nur die umgekehrte Erscheinung, der Ausfall des zweiten r,
hat auch im Romanischen Spuren hinterlassen, vgl. ait. rum. frate
(Schopf 150); it. prop(r)io, sp. propio, propiedäd; sp. cribar, criba-
dor usw. Auch die (regressive) Dissimilation fanden wir dem-
entsprechend häufig im Romanischen.
Die Vorliebe für -trum, -tra tritt auch in dem durch Meta-
thesis aus cnist(ii}lum 'Backwerk' entstandenen clustrnm zutage,
das zwar nur CIL IX, 4597, 4970, 4976 belegt ist, aber durch
xXovöTQOjrZaxovg bei Athen. 14, p. 647 c, d (Lindsay, Lat. Ling. 97,
Schopf 179) als allgemein gesprochene Form erwiesen wird. Die
Rolle des beliebteren Suffixes bei Metathesis zeigen auch coacia <C
cloaca (Consentius, GL V, 392, 23 K.) und der Pflanzenname por-
cacla <C pordaca <:^ portidaca, Schopf 202 ; denn durch die vulgäre
Synkope in den Endungen -culus, -cula, -culum — oben § 2b —
wurden die Suffixe -clus, -da, -dum besonders häufig. — Dieselbe
Tendenz erklärt wohl auch das gerügte cradi <C clatri 'Gitterwerk',
aus dor. x2f~ö^(>« entlehnt; durch die Metathesis — das neue -///
wurde sofort zu -di, s. § 7 e — entstand wieder das beliebte Suffix
-di. Für Metathesis zweier durch Konsonanten derselben Silben
gestützten Laute sind nur dusirum und cradi belegt, und in beiden
Fällen scheint Vorliebe für ein geläufigeres Suffix die Umstellung
gefördert zu haben. Wenn schliefslich Niedermann, Glotta I, 261
das CGI, III, 597,2: riigilus iiiier culem et ipido überlieferte ipido
mit Recht durch hji'ixloov 'schürzenförmig über die Gedärme ge-
lagerte Faltung des Bauchfells' gedeutet haben sollte, so hat nicht
Dissimilation von p — p >■ / — c, welche sonst nicht vorkommt,
sondern nur die Vorliebe für das Suffix -dum die Änderung ver-
ursacht (so auch Schopf 126, i).
Für den dissimilatorischen Lautschwund wurde schon auf die
auch romanischen Formen frat[r]em^ prop[r]ius, crib[r]are hin-
gewiesen, in denen beide r konsonantisch gestützt wurden. In
crihare und exprohare •< exprohrare hat auch das ;- der Endung
den Schwund raitbewirkt, vgl, auch ?m7iist[r]orutn CIL X, 825, 5
74
und casf[r]orum VI, 22^; VIII, 451 1; von einem regressiven Laut-
schwund kann hier kaum die Rede sein. In dem von Pompeius,
GL V, 283, 13 getadelten manior = marmor hat das r der festen
Endung das silbenausl. r der fast gleichen vorangehenden Silbe
zerstört, für gr. (laiiaQLiHp s. Nachmanson 4. — Aufser dem ver-
breiteten dissimilatorischen Schwund von r begegnet dieselbe Er-
scheinung im Vulgärlatein nur noch bei / und zwar abgesehen von
vereinzeltem S[f]atil(t)tis Q) CIL XV, 299; VIII, 8414, Res[t]uhis {-a)
VIII, II 586, 17553 (?) eigentlich nur in dem häu^gen obsetrix, das
auch App. verwirft. Diese wohl zuerst von Loewe, Prodrom. Corp.
Gl. 423 behandelte Form findet sich oft in späten Texten, in
Glossen (z. B. V, 470, 52 : obstetrix quae corriipte obsetrix) und In-
schriften: III, 8820 (mit/), X, 1933; XIII, 3706 — / nach s von
Steinmetzen nachgetragen — ; VI. 9720, 9722, 9724, 9725 (mit/),
daneben auch die hochlat. Form 4458, 6325, 6647, 6832 usw.
Das älteste Beispiel ist bei Plautus, Mil. glor. 697 in A (opsetrix)
überliefert, während P ein verdorbenes obstrex bietet, so dafs viel-
leicht obsetrix zu schreiben ist und auch diese Form die Kontinuität
des Vulgärlateins bezeugen kann, s. Reiter, [Berl.] Phil. Woch. 39
(1919), 642. Sicher stand die Form in der vorhieronymischen
Bibelübersetzung, wie sie im cod. Lugdun. (s. VI) zu Exodus i, 15
— 19 überliefert ist; von dort kam sie z. B. in die von Rufin ver-
fafste Übersetzung der Exodushomilien des Origenes (hom. 2,
S. 154, löfif. B.). Im Romanischen findet man überall die Formen
mit /, vgl. frz. obstetrique, it. ostetrice; in Wahrheit sind es aber
nur gelehrte Buchwörter, während die Umgangssprache Vokabeln
wie it. levatrice, frz. sage-femme usw. anwendet. Über ohsetricialis
und obsetricare vgl. noch Ihlberg, Abh. Sachs. Ges. d. W. phil-hist.
Kl. 28 (1910), 89; J. Medert, Quaest. crit. et gramm. ad Gynaecia
Mustionis pertin., Diss. Giefsen ig 11, 19. — Besser als slitis <C silitis
und sructor < stritdor (Stolz * 152) liefse sich gr. no2.vx[T]tJTOv
GDI 3593 vergleichen, W. Schulze, GGA 1895, 550; 1896, 24
(der CIA 11,4272: X£LQi6[r]QdTy u.a. anführt): vor silbenanl. /
konnte in einem Konsonantenkomplex der vorangehenden Silbe
der gleiche Konsonant gelegentlich ausfallen, wenn dieser nicht im
Silbenanlaut stand und beide / nur durch einen Vokal getrennt
wurden. Der Akzent spielt hier keine Rolle, und sehr wohl kann
die betonte Silbe des Nom. Sing., obsetrix, zuerst das / verloren
haben.
Dieser Gruppe habe ich das nicht belegte, aber nach App.
verbreitete necnec = iieciie hinzugefügt. Die sich sehr ähnlichen
Silben konnten leicht vollkommen ausgegUchen werden, vgl. auch
Perpcriua = Perpetua usw. (s. o,). Völlig gleiche Parallelen gibt es
m. W. nicht.
75
§ 13. Konsonantengemination und Verwandtes.
84 camer a non catnmara 124 caligo non calligo
110 draco non dracco 182 garruliis non ^arulus
199 basilica non bassüica 214 griindio non grunnio
112 aqua non acqua
Die Ursachen der Konsonantenverdoppelung im Vulgärlatein
sind verschiedener Art.
In vielen Sprachen tritt bei Kurz- und Kosenamen eine
Verdoppelung des letzten Stammkonsonanten ein (Sommer 2 202),
für welche die Artikulation beim Rufen die phonetische Grundlage
bietet, vgl. gr. ^xQdrxLq. zu ^t^xItiji.'joq und lat. luppiter (urspr.
Vokativ), dessen p sich in der Anrufeform verdoppelte. Nur so
erklären sich m. E. einige Geminationen des Vulgärlateins. Wichtiger
als das doppelte / in dem Ausruf valle = vale CIL IV, 5386 ist
die Gemination in citto CIL VIII, 11 594 ^= CE 1328 B.: non digne,
Felix, citto vitam caruisti, miselle. Sondern wir citto aus, so ent-
steht ein metrisch [caruisti) ziemlich reiner Hexameter. Da citto
kaum Zusatz des INIeifslers ist, wurde in einen festen Grabschrit'ten-
typus, wie so oft — Beispiele in Engströms Carm. Lat. Epigr. i g 1 2 — ,
ein neues Wort vulgärer Form eingeschoben. Ohne Zweifel ent-
stand das doppelte / zuerst in dem Ausruf citto 'schnell!', während
der Gebrauch in unserer Inschrift schon ein sekundärer ist. Vgl.
auch it. citto. — Hierher gehört m. E. auch das vielumstrittene tottus
=; totus (Consentius, GL V, 391, 34 K.), das im it. tutto, logud. tottu,
frz. tout weiterlebt, M.-Lübke, Wb. 8815. Groeber, ALL VI, 129
nimmt als Grundform von tottus ein *t6ttdtus an, eine Doppelsetzung
von totus, wie sie it. tututto zeigt, vgl. Plautin. tota tota occidi. Aber
eine solche Doppelung wäre wohl tottotus betont gewesen und nie-
mals hätte sich daraus ein tottus entwickeln können. Es ist nun
aber zu beachten, dafs totus, besonders der Plural toti = onmes (z. B.
schon Manilius IV, 233, 738; Wageningen z. St.), in einem Satz wie:
quot adfnerunt? toti adfuerunt, stark betont war: sehr leicht konnte
die akzentuierte Silbe von toti gedehnt werden, indem das / der
zweiten Silbe schon zur ersten hinübergezogen wurde, 1
Bei der Übernahme griechischer Lehnwörter trat häufig eine
Konsonantenverdoppelung ein. Fälle wie strnppus, stroppus <C
öTQOtpoQ [supparum < (i[(jV.QO~ [oijraQOg]), führt Th. Claussen,
RF 15 (1904), 847 und Neue Jahrb. 1905, 411 an; er glaubt aber,
dafs schon im Vulgärgriechischen diese Formen mit Doppelkonso-
nanten bestanden. Dagegen spricht nicht nur die nicht sehr häufige
Gemination auf Inschriften usw. (Mayser, Gramm, d. Griech. Papyri
211; Solmsen, Unters, z. gr. Lautl. 165), sondern auch die über-
sehene Tatsache, dafs die Verdoppelung besonders dann eintrat,
wenn im Gegensatz zum griechischen Akzent in der lateinischen
1 Ähnlich, wie ich nachträglich sehe, auch H. Kohlstedt, das Romanische
in den Artes des Cousentius, Diss. Erlangen 1917, 76.
76
Entlehnung eine andere Silbe betont wurde, vgl. auch gr. :ixT(0'^6a >
it. pitocco, ßQOxh > it- brocca, yQccfpior > neap. läffie, fiz. greffe u. a.
So entstand wohl auch cdmmara aus zciftaQü, das nicht belegt ist,
aber vielleicht im siz. neap. camraara direkt weiterlebt. Es gab
nicht schon im Vulgärgriechischen ein *xaiin<iQa, sondern erst im
Lateinischen wurde der Auslaut der neu betonten Silbe verstärkt.
Auch in dracco < ögcixcor hat sich das doppelte cc wohl im
Lateinischen neu entwickelt. Dracco und draccaena sind CIL
III, 8238 erhalten, dracco lebt im ahd. traccho fort, vgl. Kluge,
Pauls Grdr, V-, 338 ; W. Schulze, Gesch. Lat. Eigenn. 447. Weshalb
gerade in diesem Fremdworte ohne Akzentwechsel Verdoppelung
eintrat, entzieht sich unserer Beurteilung.
In dem dritten angeführten Lehnwort hassilica — vgl. bassis
z. B. CIL X, 5388 — konnte die Geminatio leicht eintreten, weil
in echt lateinischen Vokabeln nur selten einfaches intervokalisches
-s- (oft -SS-) nach kurzem Vokal sich findet ohne zu r umgewandelt
zu sein. Deshalb ist auch z. B. possuit = posuit (CIL V, 5623,
VII, 47 usw.) öfters bezeugt; Sommer 2 204. Bassilica ist in Pompei
belegt CIL IV, 1779, Heraeus 328.
Zur Erklärung von acqiia ein kurzes Wort über die lateinische
Silbentrennung. Durch inschriftliche Syllabisierung wie durch ety-
mologische Tatsachen steht es fest, dafs trotz abweichenden An-
sichten der alten Grammatiker die Silbengrenze stets zwischen die
Konsonanten (bei mehr als zwei vor den letzten) fällt, mit Aus-
nahme von Muta c. Liquida, welche der folgenden Silbe angehören
(v. Helle, Glotta XI, 29, vor allem Dennison, Class. Phil I, 47ff.).
Da aber Muta c. Liquida die einzige Ausnahme bilden, konnte
auch hier die Silbengrenze gelegentlich in die Muta hineinverlegt
werden. So entstanden dem phonetischen Tatbestand entsprechende
Formen 1 wie CIL VIII, 696: siipprema(o) — Hoffmann, de tit.
Afric, Diss. Breslau 1907, 51 — , XII, 1939, XIV, 1821; süppremos
XIII, 2314; — fräitre VIII, 11 1: pattri III, 10327; Mättrona
VIII, 7251; Pettronius VIII, 7826; — äggro III, 2448; pereggre
XII, 86, Äggrippina VIII, 3757; — dbblata XIII, 1183; äccleta =
athlefa CGI. IV, 5, 42 (über tl 'p- cl s. § 7e); für dupphim z. B. in
den Formulae Andecav. s. Slyper, de Form. Andec. Latinit. disput.,
Diss. Amsterdam 1906, 82. Aber es bleibt bei verschwindenden
Ausnahmen, welche die Hauptregel über Muta c. Liquida (§ i)
nicht berühren. — Eine leichte Verschiebung der Silbengrenze
deutet auch das doppelte .r in ;«fl^m/f/- 2 CIL X, 607 i an; während
aber die geminierte Muta eine Verschiebung nach der vorher-
gehenden Silbe hin zeigt, kommt in -sst- zum Ausdruck, dafs
wegen der engen Zusammengehörigkeit der beiden intervokalischen
Konsonanten -st- das j zur folgenden Silbe hinübergezogen und
* Diese genauen Schreibuugeu kamen wohl zuerst in Inschriften auf,
welche die einzelnen Silben trennten.
^ Vgl. Sgiaoiog usw. auf griech, Inschriften und Papyri, Mayser a, a. 0. 217,
77
die Silbengrenze in das i* verlegt wurde. CIL VI, 11920: Antisstia\
III, 14,6581 (a. 199): Antesstms; V, 6127: iussii; VIU, 9999:
[IJussti, X, 607 I : magissler und einige Eigennamen zeigen doppeltes
j- in betonter Silbe; vgl. noch VI, 746 (aus dem J. 183): asstanle,
III, II 189: maiesstati', III, 10429 (a. 210), VIII, 5034: Faus\sti7ius,
^I) 3732 Fausstines. — Nur selten steht ss in der Verbindung -ssc,
IV, 1278: disscente, vor 79 n. Chr.
Während im vorhistorischen Latein / vor Vokal zu i wurde
— mediiis : madhyas, f/tGOog — , ist umgekehrt im Vulgärlatein
postkonsonantisches /, u vor Vokal konsonantisch geworden. Auch
hier trat eine leichte Verschiebung der Silbengrenze ein, weil in
dem neuen me7uo-rmm (< mevioriani) das r zur vorhergehenden
Silbe hinübergezogen wurde, was durch Schreibungen wie inemdrriam
(CIL VI, 10718) zum Ausdruck kommt. Die Geminatio in socdorum
i^> 5659 [?], V, 4410, VI, 6874 tritt wohl nicht zufällig nur im Gen.
Plural auf, da am ehesten vortoniges i konsonantisch wurde, anders
W. Schulze, Gesch. Lat. Eigenn. 447. — Wichtig sind auch
Schreibungen wie CGI. III, 270, 16: äccia und 325, 39: acciarium
angesichts it. accia, aital. acciaio, Auch die Mouillierung in ßlius
kommt CIL VI, 13484: fillionim, VIII, 15813: fillta, XII, 2246:
fillio (VI, 13484: fillis) zum Ausdruck; fis = film (E. Hofl:"mann,
a. a. O. 8) zeigt Assimilation von H > n, vgl. alban. fian 'Täufling'
aus "^'filianus (zitiert bei M.-Lübke, Einf.3 173), frz. fille.
Die angeführten Beispiele erklären nun auch die Geminatio
in acqua, dessen u allerdings schon immer konsonantisch gewesen
war, vgl. got. aha; auch hier lag in der Umgangssprache die
Silbengrenze weder genau vor noch ganz hinter dem q, so dafs die
Verlegung in diesen Konsonanten selbst durch die Geminatio zutage
tritt. Dafs es in der Umgangssprache ein aqua gegeben hätte und
durch erneute Konsonantierung des u die Verschiebung der Silben-
grenze desto leichter ein acqua hervorbringen konnte, läfst sich
auch dann nicht beweisen, wenn, wie ich glaube, bei Lucrez
VI, 552, 868, 1072 mit Lachmann zu VI, 552 und Maurenbrecher,
Parerga zur lat. Sprachgesch. 1916, 245 aqua und nicht mit Havet,
Rev. d. Phil. XX, 77 und Ahlberg, de proceleusm., Diss. Lund
1900, 76 aqua zu messen ist {liquida erlaubt sich Lucrez VI, 1259
auch wegen des rhythmischen Wechsels: Uquidis et liquida). Denn
aqua kann sehr wohl hyperarchaische Nachbildung des ebenfalls
lucretianischen silüa sein und es steht nur in der zweiten Hälfte
des 6. Buches, welche auch andere metrische und sprachHche Frei-
heiten aufweist, s. § 2 b. Auch die schlechte Inschrift CE 930, 2 :
tu vendes acuam et bibes ipse merum erweist nicht ein aqua der
Volkssprache.! — acqua ist erhalten im ital. acqua und prov. aigwa,
trotz C. Hürlimann, 'Entw. des lat. aqua in den rom. Spr.', Diss.
Zürich 1903, 4, die glaubt, dafs (wie in vielen germanischen
^ aqua in den akzentuierenden Klauseln des Ammianus Marcellinus ist
künstliche Messung; vgl. atqüe u. a. ebenda.
7«
Vokabeln) auch das w in aiwa < aqua auf provenzalischem Boden
sich zu gw entwickeln konnte, i
Wie schon Ahlberg, de accentu Latino IQ05, 52 vermutet hat,
wurde die Geminatio in calligo durch andere Vokabeln auf -igo
mit vorhergehendem 1P~ wie pulltgo, molligo, melligo und durch
lol(l)igo 'Tintenfisch' begünstigt. Deshalb ist das // nur für das
Substantiv calligo in Hss. belegt, nicht für das Verbum oder eine
Ableitung wie caliginosus. — Ganz evident ist die Umbildung des
isolierten tidigo 'ager humidissimus' (von udus) nach den vielen
Substantiva auf -ligo zu uligo (Grammont 128), ohne dafs sich das
d lautphysiologisch in / umwandelte (Ernout 243).
Wie gr. jQvt,(}) zeigt, ist grundio mit invehiertem 71 die ursprüng-
liche, grunnio die sekundäre Bildung. Da im osk.-umbr. -tid- zu
-?m- wurde (osk. üpsannam = oJ>erandam) und von den inschriftlichen
Belegen mehrere süditalienisch sind — Agenna Inscr. Regn. Neap.
2736 neben Agenda 5638; Yerecunmis CIL IV, 1768, mnnlgen (so)
X, 12 II (Atella) ; aufserdem lulia Oriunna VI, 20589, Secunnus
Mommsen, Inscr. Helv. 234 — , so hat man sowohl für grunnio wie
für Plaut, dispenno im Mil. 1407: dispennite hominem divorsum et
distendite (so Nonius und z. B. Leo, dispendite A und B, distendiie CD)
dialektische Herkunft angenommen, Ernout 83, 154, 176, UUmann 211.
Aber ein Verbum dispendo, 'Kova^os. \ on pando, \s,i überhaupt nicht über-
liefert, nur das Partizip dispessus, bei Plaut. Mil. 360 : dispessis manibus
(Gell. NA 15, 15,4, dispensis A, dispersis P) und Lucrez 2, 1126;
3, 988 : dispessis memh-is, das sich zu passis [passis inanihus) verhält
wie coniectis zu iactis und direkt als Kompositum zu dem Simplex
gebildet wurde, ohne dafs die übrigen Formen eines Verbums
dispendo jemals aufkamen; dementsprechend erklärt Nonius: dis-
pennere est expandere tracttim a pennis nicht etwa durch dispendere.
Aufserdem zeigen die belegten Komposita von pando alle den
jüngeren Typus expando, nicht den älteren expendo. — Auch grminio
ist nicht dialektisch, da es die onomapoetische Umgestaltung von
grundio ist, welche wegen vieler ähnlichen römischen Bildungen
in Rom entstanden sein kann; zu vergleichen sind: gannio , klaffen',
Jiinnio , timiio, tetrinnio 'Schnattern der Gänse'; — susurrio, harrio
'Brüllen der Elephanten', hirrio, cucurrio 'kollern', minurrio 'zwit-
schern'; — gliccio (Naturlaut kleiner Hunde), friguttio , zwitschern'
und muttio. — Man braucht nur grunnittcs neben grunditus aus-
zusprechen um sich zu überzeugen, dafs sich dieser onomapoetische
Übergang überall spontan entwickeln konnte. Kein Wunder, dafs
grunnio auch in die Hochsprache eindrang, vgl. z. B. luv. Sat. 15, 22
{grmtnisse)', häufig belegt ist es in den Glossen (II, 36, 2, III, 258, 63
usw.) neben grundio 11,36,21; V, 459, 14; und in dem sogen.
testamentum Porcelli trägt der Testator den bezeichnenden Namen
1 Anders, aber nicht richtig, Tuttle, Arch. f. d. St. d. n. Spr. NF. 33,
1915, 170.
^ Einfaches l in remeligo, fidis^o und 3 Vokabeln auf -iligo.
7g
M. Griinnius Corocotta. Im Romanischen hat sich grundire im
prov. afrz. grondir erhalten, grunnire im sp. grunir, pg. grunhir,
it. grugnire, prov. gronhir, afrz. grognir, soweit keine Neubildungen
bei diesem onomapoetischen Verbum vorliegen. Ob it. grugnare,
mazed. grunare (frz. gronder) ein nicht belegtes vulgärlat. *grunjare
voraussetzen, ist mir unsicher; Groeber ALL II, 441, VI, 391,
M.-Lübke. Wb. 3893.
Aus onomapoetischen Gründen konnte vielleicht auch garrulus
zu garulus werden (vgl. auch graculus 'Dohle'), das Heraeus 327
aus Hss. nachweist, s. auch Ullmann 205.
§ 14. Das V und h.
215 vapulo non baplo 62 Flavus non Plans
198 tolerabilis non toleravilis 174 rivus non rius
9 hacuhis non vaclus 73 favilla non failla
70 alveus non albeus 176 pavor non paar
29 avus non aus
In seiner Abhandlung über h und v im Vulgärlatein (Rom. 27
[1898], 177; unvollendet) hat Parodi unter Trennung des An- und
Inlautes, von intervokalischem und postkonsonantischem v (b) mit
Recht auf die häufige Umwandlung von v '^ h, die seltene von
Z» > 7' im Anlaut hingewiesen, welche nur in vene = be'ne (oft im
CIL VI, elfmal in CIL X, elfmal in CIL XIV) sich öfters zeigt. —
Es ist wohl auch kein Zufall, dafs in Pompei, vor 79 n. Chr., wohl
V y- b, nicht aber b y- v vco. Anlaut belegt ist; vgl. CIL IV, 5125
Phoebe beni {== veni, religionsgeschichtliche Parallelen bei Weinreich,
de dis ignotis 19 14, 39, wodurch sich Engströms Bemerkung zu
CEL 132: ' sed potest etiavi fuisse benigne'' erledigt); IV, 4380:
(blofses) Bertis', 4186: Sittia boco te', 4874: Vit. Vitalio baleat. Schon
diese ältesten Beispiele widerlegen nun aber Parodis Ansicht (S. 194),
dafs zuerst nach konsonantischem Auslaut des vorangehenden Wortes
V zu b wurde, obwohl diese Meinung in dem Übergang von v zu
b nach / und r im Inlaut — serbus (s. u.) — und im Spanischen eine
gewisse Stütze hätte. Parodi und M.-Lübke, Einf.3 166 (nach ihm
wurde auch anl. b nach Vokal zu v) glauben, dafs fast ausschliefs-
lich Satzsanddhi, die Form des vorangehenden Wortes, den Laut-
wandel z» > 3 (und b '^ v\ im Anlaut bestimmte. Widerlegt wird
diese Meinung — abgesehen von dem schon angeführten Einwand
— auch durch andere Erwägungen, welche darauf schliefsen lassen,
dafs öfters ein folgender Laut desselben Wortes den Anlaut be-
einfiufste. — i. Die häufige Verwechselung von b und v veranlafste
im 6. Jhdt. Martyrius die Lehren seines Vaters Adamantius de b
viuta et V vocali niederzuschreiben, vgl. GL VII, 165K. Da der
Verfasser im allgemeinen der klassischen Orthographie folgt, sind
die wenigen Abweichungen: balbae 173,5 {=■ valvae), berna 175,8
(= verna), larba 186, 9 (= larvd) und verbex 193, 2 (= vervex)
nicht ohne Interesse. Die Anlehnung an die gesprochene Sprache
8a
zeigt der Übergang von v tm h nach / und r im Inlaut [larha,
verhex), welcher die alte Entwickelung von solüo zu solvo fortsetzt
und im Romanischen reichliche Spuren hinterlassen hat, vgl. frz.
corbeau << corvellus, it. serbare usw. Auch berna ist inschriftlich
häufig, CIL VIII, 10475, 22; X, 3354; XIV, 2426. Auch balbae
= vulvae war also im Volksmund üblich; aufserdem zeigt es die-
selbe Entwicklung wie herbex ■< vervex, das schon bei Petron 57
steht (skeptisch Heraeus, die Sprache Petrons 48) und im frz. brtbis
usw. weiterlebt. Da verhex häufig ist (CIL VIII, 8246 u. ö.) und
im Romanischen anl. h <i v sich nur fortgesetzt hat, wenn ein h
nach Konsonant im Inlaut folgte, so ist ohne Zweifel in balbae und
herbex das anl. b durch Assimilation an das zweite, ebenfalls sekun-
däre, aber ältere h fest geworden. Bestätigt wird diese Auffassung
(vgl. auch CIL X, 476, 478: herba = verbd) durch eine Angabe des
Consentius GL V, 392, 14K.: ut st quis dicat bobis pro vobis; auch
bobis entstand durch Assimilation des anl. v an das folgende /',
vgl. CI XIV, 3323 (a bobis) und H. Kohlstedt a. a. O. 59.
2. In einer anderen Gruppe hat der gleichfolgende Vokal den
Lautwandel v ~;;> b veranlafst. Als in Vokabeln wie vir und virgo
sich das i dem v genähert hatte und zu y geworden war (s. § 6 a),
war die Existenz des schwachen anl. v gewissermafsen gefährdet
und es wurde durch das kräftigere h ersetzt, vgl. CIL VI, 2723,
28062: hurgo 2499: byrginio\ XIV, 1064: Byrginius, III, 9567:
hir[g]iniam, V, 1796: hirginio — VI, 3722^, 31038: hyyris = viris,
XIV, 21 18: unibyria, VI, 500, 6 (a. 377): duodecimhyr, VIII, 207g:
hiri, X (4539), 7756: bir. Besonders itnibyria zeigt, dafs nicht der
vorhergehende Konsonant, sondern das zu y gewordene i den
Lautwandel v '^ b verursachte. Auch vor verwandtem 0 — Bei-
spiele für anl. vu- sind selten — finden wir häufig das v in b um-
gewandelt, für botum = Votum vgl. CIL VI, 303, 280g; X, 3042, 4183,
V, 6232. Die Erklärung gibt III, 12602: ex oto = ex voto; dem-
entsprechend ist gr. / zuerst vor 0, co geschwunden, vgl. Brause
Lautl. der Kret. Dial. 1909, 44. Auch im Altitalienischen wurde
V vor 0 des öfteren zu b, vgl. boce, boto und L. Wiese, altital.
Elementarbuch 1904, 95. — 3. Etwa die Hälfte sämtlicher Beispiele
für anl. v y^ b bilden die inschriftlich häufigen Formen bivus = vivus
und bixit == vixit\ vor allem findet sich nun aber bivus in der
festen Formel se bivo und se hivxis (Konietzny ALL XV, 323 u. a.)
und bixit steht nicht selten in der Verbindung: qui bixit amios . . .
Auch diese Tatsache zeugt gegen Parodis Theorie.
Von Wichtigkeit ist die Feststellung, dafs der Lautwandel v '^ b
im Anlaut sehr häufig in Rom, ziemlich oft auch in Latium (Süd-
ilalien) und auf griechischem Gebiete, sehr selten dagegen in
Norditalien, Spanien und Gallien bezeugt ist. Gegenüber zahlreichen
Beispielen im CIL VI, XIV, X, III (XI) finden wir in Gallien Cisal-
pina (CIL V) blofs 1 1 Belege (6 für bixit usw.). In Spanien sind
die einzigen sicheren Formen CIL II, 5725: Bocontius und 5015
: bixit, Carnoy 131; auch für Gallien kann Pirson 62 nur 2 Eigen-
iiamen und 5 Belege lür bixil anführen. ' In x^hika sind die
Beispiele etwas häufiger; die zwei ersten Bände enthalten nach
den Indices 17 Belege für hixit und 6 andere Formen, darunter
zweimal herhex. Obwohl keine Sicherheit erreicht werden kann, ist
das von App. getadelte haplo eher in Rom als in Afrika üblich
gewesen. Bapido steht in Bibelhss., s. Rönsch It. u. Vulg. 456.
Übergang von h zu v ist, wie gesagt, im Anlaut äufserst selten.
In dem allein häufigen vent^nerenti (s. o.) kann in der Tat Satz-
sanddhi das 7' erzeugt haben, da meistens ein auf Vokal endender
Dativ vorhergeht und b zwischen Vokalen seit dem i. Jhdt. n, Chr.
zu V wurde. Aber Parallelen zu vaclus (g), das auch selbst nicht
belegt ist, sind sehr sporadisch, so dafs Ullraann 172, 202 vielleicht
mit Recht haculus non bachis schreibt, — Ein Beispiel für interv.
b ^ V ixQ. Inlaut ist tokravilis (198), womit z.B. CI XIV, 64: in-
deprehensivilis , XIV, loio, 1767, VI, 2496: incoviparavilis, VI, 2557:
incoviparavili u. a. zu vergleichen sind. Dafs in zahllosen Fällen
wie renohahit = renovavit XIV, 2080 nur umgekehrte Schreibungen
vorliegen, zeigen fabilla XI, 3862, NoheinbriYsX., 4038, während man
failla (s. u.) und Noember {Nueinher-, Sommer 2, log) sprach.
Über den Lautwechsel v ^ h nach /, wie ihn alheus (70) zeigt,
wurde schon gesprochen; für albetis vgl. noch rum. albie 'Trog'
und M.-Lübke Wb. 392.
Für den Schwund des v vor dem homorganen Vokal u in der
Schlufssilbe -znis führt Solmsen Stud. z. lat. Lautgesch. (1894), 44fif.
viele Beispiele an, welche sich vermehren lassen. Zu den Formen
der App. sei folgendes bemerkt. Da das Adjektivum flavus besonders
in der Dichtersprache näufig war — 'vox poetis praecipue usitata'
Thes. L. L. s. v. — und im Romanischen nicht erhalten ist, werden
wir Flaviis non Flaus zu schreiben haben, zumal das Cognomen in
der Form Flaus oft belegt ist, so schon CIL I, 277 aus dem 2. Jhdt.
v. Chr.; vgl. noch VI, 3311; 11,950, 2847, 4332 usw. — Die
Häufigkeit von aus = avus zeigen die Inschriften, welche aufser
aus (VIII, 1977, 8637, 1307 1, E. Hoffmann a.a.O. 34, IX, 748,
XIII, 1924) auch das erst analogisch gebildete ai (VIII, 1977) und ao
(Vni, 18308, X, 7648 usw.) belegen. Auch auncuhis = avunculus war
so verbreitet (11,713, 827 usw., III, go8 usw.), dafs aus aunculus nach
einer § loa besprochenen Erscheinung anculus wurde, CI VIII, 3936,
IX, 998, VI, 19004. — Eine zweite Vulgärform avius — CIL
III, 14544 usw. — hat sich an avia angelehnt. Das Romanische
setzt neben ganz vereinzeltem avus in italienischen Dialekten eigent-
lich nur das Deminutivum *aviölus fort, vgl. frz. a'ieul, prov. aviol,
aujol, sp. abuelo, M.-Lübke Wb. 930. Diese Form ist nicht belegt
und App. gibt wieder eine vulgäre Bildung der älteren Schicht,
1 Neu entwickelt hat sich der Lautwandel im 10. Jhdt. in Südfrankreich,
Bourcier, Elim. de lingu. Romane 1910, 328. Auch altrum. batrin = veter anus
(H. Tiktin, Rum. Elementarb. 1905, 55) ist sicher nicht direkte Fortsetzung von
]&t.betranus, das z. B. CI V, 1796 steht; vgl. heteranus X, 719 (und häufiges
vetranus).
Baehrens, Sprachl, Kommeatar 2ur Vulgärlat. Appendix Probi. 6
B2
welche den romanischen Sprachen nicht zu gründe Hegt, vgl. z. B.
das § 3 b über ansar, auca Gesagte. — rius, das in Hss. häufig ist
(Schuchardt 11,478), ist allgemein romanisch, vgl. ait. sp. pg. rw,
log. prov. riu, afrz. ri, rif, M.-Lübke Wb. 7341. Es ist sehr
zu beachten, das App. für -vus > -us solche Beispiele anführt,
welche entweder ausschliefslich (F/avus) oder überwiegend [avus,
rivus, trotz Verg. Buc. 3, iii) im Singular gebraucht werden. Avi,
avos fanden weniger Verwendung und da im Sing, der Nom. und
Akkus, die üblichen Casus der Umgangssprache sind, konnten at4s
und aum leicht zur Herrschaft kommen und ein ai, ao schaffen.
Dagegen haben in Vokabeln, welche mehr im Plural stehen. Formen
wie ova auch im Nom. und Akkus. Sing, das v entweder von vorn-
herein erhalten oder baldigst wieder eingeführt, und dementsprechend
zeigen sämtliche romanische Sprachen in den Fortsetzungen von
Ovum das v, frz. oeuf, it. uovo usw. (anders M.-Lübke Einf. 3, 166).
Die von App. verworfene Formen failla und paor sind deshalb
von aufserordentlicher Wichtigkeit, weil sie die von Thurneysen
lA g, 36 und Solmsen IF 31,470 geäufserte, aber nicht aligemein
angenommene (dagegen Schopf a. a. O. 164) Vermutung bestätigen,
dafs der Schwund des labialen v zwischen a und folgendem (be-
tontem) 0, i (e) besonders durch den dissimilatorischen Einflufs
eines vorhergehenden Labialen begünstigt wurde. Failla, das nicht
belegt ist, aber im %\z.faidda, ntz.-^. faelle wohl direkt weiterlebt,
und paor — auch im afrz. prov. paor fehlt das v — stehen auf
einer Stufe mit dem häufigen Faor (CIL III, 1634,6; 6008, 20 usw.),
Faorabil(is) (XIV, 2408, II, 12), Faorianus (XV, 214, 215 usw.),
Faonius (VI, 2893 u. ö.), Flaonius (IX, lOio) usw. Für den Schwund
des V in paviinentum vgl. vor allem CIL VI, 17987: fecet de sud
pementti. Aber Bataorum (VIII, 2 i 668) kann direkt nach dem häufig
belegten Bataus (VI, 3220, 3223) gebildet worden sein. Da
intervok. v den Konsonanten nicht gleichsteht, wurde der dissi-
milatorische Schwund nicht schon in § 12 behandelt.
Die Verschlufslaute.
§ 15. Die Dentale.
a) 178 adipes non alipes
Lat. adeps 'Fett' wird von namhaften Gelehrten als griechisches
Lehnwort {äXsLg)a) betrachtet — so Thurneysen, Thes. L. L., Walde 2,
Stolz* 96 — , während Sommer^ 168 kurz bemerkt: 'unklar adeps, falls
wirklich aus aXsL(f)a entlehnt'. Aber ein Übergang von /zu ^ ist in
der lateinischen Lautlehre, einschliefslich den Lehnwörtern, nirgends
nachzuweisen und die Ansicht Pascals (Riv. di Fil. 24, 290), dafs
die Römer aus dem arepes der Umbrer, welche sowohl d wie /
vor eji [famerias =fa?)iilias), also auch das 1 von äXsiCfCc durch
r wiedergaben, ein adeps gemacht hätten, trägt der gesprochenen
Sprache, welche beide Laute dennoch unterschied, viel zu wenig
Rechnung. Auch wer das erst in späten Glossen überlieferte akps'^
für die alte Form hält, kommt um die Schwierigkeit, den Laut-
wandel in a/eps >- adeps zu deuten, nicht herum. Läfst sich da-
gegen der Übergang von d zu i vor e, i als vulgärlateinisch erweisen,
so ist adeps, adipes die ursprüngliche Form, welche mit clXsifpa nur
der Bedeutung nach zusammengehört. Dieser Beweis läfst sich
erbringen. Für das vorhistorische Latein zeigt oko- neben odor
(öyco), so/mm < sodiwn {sed-ere) und wohl auch soko < siiedheo (vgl.
suesco, td-Oi; )'id-oc) neben sodales, das freilich sein d vor / behalten
haben könnte, dafs dentales d wohl vor unbetontem e, i durch das
nah verwandte praepalatale / ersetzt wurde, nicht aber vor unbetontem
0, u durch das vor diesen Vokalen erscheinende velare /. Dafs
wir es nicht mit einem sabinischen Lautwandel zu tun haben
(Ernout q8, Walde passim), zeigt auser der Bedeutung von oleo,
soleo (Sommer Erläut. 376, Schrynen KZ 46 [19 14], 376) auch das
ältere Vulgärlatein, in dem sich derselbe Übergang von d '^ / vor
2 (nicht vor e) zeigt. Neben impedivienta bezeugt Paul. Fest. 108 M.
ein impelimenta — vg\. peres = pedes bei Consentius V, 392, 15 K.
und xxrsxhr.peri — ; neben praesidium bezeugt Marios Victor. VI, 9, 18 K.
praesüium das wohl nicht allein durch Suffixwechsel nach aiixilium
entstanden ist und vielleicht in consilüan << considmm (Plant. Cas. 966)
einen Vorgänger hat. — Melicae bei Paul. Fest. 124M. ist eine
Bezeichnung für gallae medicae, welche sicher nicht durch Kreuzung
mit {gallinae) Deliacae (Niedermann lA 18, 81) entstanden ist. Die
wenigen Beispiele zeigen, dafs vereinzelt auch im Vulgärlatein vor
i das d durch lautlich verwandtes praepalatales / verdrängt wurde.
App. hat wohl keineswegs zufällig nicht aleps, sondern alipes (mit i)
getadelt und es wäre denkbar, dafs zunächst nur alipes und erst
später zu adipes: alipes, adeps auch ein aleps entstand. Aber auch
die ältesten Formen adeps und adipes sind echt lateinische Vokabeln.
b) 13 septizonixivi non septidoniuvi. Ein Gebäude des Namens
Septizo7iium gab es in Rom sicher zur Zeit Suetons, der Tit. c. i
angibt, dafs dieser Fürst paene Septizonium geboren wurde, vgl.
Amm. Marc. XV, 7, 3. Berühmter war das von Septimius Severus
am Palatin angelegte Seplizonitnn, über das Spart. Sept. Sev. 19, 5,
24, 3 und Hieron. Chron. a. 200 (S. 212 Helm) berichten. Auch
z. B. in Lambaesis gab es ein Septizonium, das nach CIL VIII, 2657
in den JJ. 209 — 211 neu aufgebaut wurde und nach Willmanns
etwa aus der Zeit Hadrians stammt; ebenfalls nach Afrika gehört
das VIII, 14372 erwähnte Septizodium unbestimmter Zeit. Dafs das
SepHzojiium , über dessen Zwecke noch keine Klarheit herrscht,
nach den sieben horizontalen Str-eifen (Unterbau, erstes Säulen-
1 adeps und adipes sind beide weit verbreitet (Prise. II, 321, 29 K.); adips
(nach den Casus obliqui) gibt es seit Plinius; aleps CGI. II, 407, 57 usw.;
alipes in App.
"^ Unsicheres Material bei Petr. BB 25, 132; vereinzeltes olor ist Analogie
nach oleo.
6*
H
Stockwerk, Gesims und Stylobat des Zweiten usw.) des drefstöckigen
Baues benannt sein sollte — dagegen Hülsen, das Septizon. des
Sept. Sev. 35, dafür Petersen, Rom. Mitt. igio, 56 — , ist schon vom
architektonischen Standpunkt aus betrachtet, unwahrscheinlich und
wird auch durch die Nebenform seplizodium widerlegt, welche
E. Maass, Tagesgötter 1902, 106 (nach Schuchardt III, 73) wieder
zu Ehren gebracht hat. In der Freude über seine Entdeckung hat
Maas die Bedeutung der zweiten Form etwas überschätzt. Alte
Zeugen, wie Sueton, CI VIII, 2657, App. bieten Seplizoniinn und
bei Hieronymus hat wohl nur eine Hs. (B) Septizoditim (Septizonium F)
und schreibt auch Helm Septizonium, Septizoditim steht bei Amm.
Marc, CIL VIII, 14372 und Ps.-Dositheus CGI. III, 58: septe zodi
dies : saturni solis lune usw.; das Schwanken der Überlieferung in
der Vit. Sept. Sev. c. 19, 5: Septizonium, 24, 3: Septizodium (Vit.
Get. 7) läfst uns im Unsicheren, bis diese Vita gründlich analysiert
sein wird, zuletzt v. Domaszewski, Heidelb. S.-Ber. 19 16, 7, 15 u.
19 18, 13, 48 u. Hasenbroek, Unters, z. Gesch. d. Kais. Sept. Sev.
192 1, 147. Die Überheferung entscheidet also keineswegs für
Septizodium. Gewifs ist zuzugeben, dafs in der Umgangssprache
auch der Gebildeten eher Septizodium nachträglich zu Septizonium
werden konnte als umgekehrt. Dennoch halte ich mit Schürer,
Z. f. neutest. Wiss. 6, 1905, 29 an Septizonium als ursprünglicher
Benennung fest, weil ^cöiöia feststehender Terminus für die zwölf
Bilder des Tierkreises war, ^cövcu dagegen für die Zonen der
sieben Planeten; C,c6l6lov bedeutet später zwar gelegentlich 'Stern'
(Maass 122 fF.), aber nie 'Planet' und dementsprechend ist niemals
ein ijtva^coiSiov belegt, das ein Widerspruch in sich wäre. Wir
dürfen also nicht Septizodium < *ijtTa^oSi6lov als ursprürigliche
Bildung auffassen, sondern nur Septizonium, das gr. gjrrfc^cöi'og
entspricht. Wie nachträglich Septizodium entstanden sein kann,
zeigt Censorin. de die nat. 8, 4: circulus sigyiifer . . . zodiacon, in
quo sol et luna ceteraeque stellae vagae feruntur: die Stellung, welche
die sieben Planeten zu den zwölf Bildern der Tierkreises einnehmen,
konnte, da zodium und zodiacuvi auch den Römern geläufige Wörter
waren, die Mifsbildung Septizodium in der Sprache der weniger
Gebildeten ins Leben rufen. Während in der hochlateinischen
Orthographie seit Sulla gr. c^ erhalten blieb, finden wir im Vulgär-
latein diese Buchstaben häufig durch s — vgl. so7ia (Plautus),
saplutus Petron. 37; im Inlaut -jj-: massa — , oder durch <// wieder-
gegeben, vgl. haptidiare < ßajTZL^siv (Thes. L. L. s. v.). Angesichts
CGI. IV, S37, 32; 549, II usw.: paradionium wird auch Septizonium
etwa wie Septidionium gesprocheri und das i vor folgenden betontem
0 in derselben Weise absorbiert worden sein wie in dem oben
§50 behandelten Formen Clöpatra, nöfita, erminömata. Da -doniuni
keine lateinische Endung ist und z häufig erhalten blieb, kann
Septizoniu7n mit z kaum zu Septidonium geworden sein. — Über-
liefert ist Septidonium aufser in der angeführten Hieronymushs. in
den Schol. Bern, zu Lucan VII, 425.
85
Über izofiltis (46) wurde schon §50 gehandelt ; hinzuzufügen
ist, dafs das >9- zwar meistens als t erscheint, aber gelegentlich auch,
dem späteren Charakter dieses Lautes entsprechend, als der stimm-
lose Spirant z, vgl. besonders &-Eiog ■> zio neben sp. tio, Claussen,
RF 15, 1804, 833.
§ 16. Die Gutturale.
a) 154 auctor non autor
155 auctoritas non autoritär
Zu den Lauterscheinungen, welche in verwandten Formen im
Umbrischen (und Oskischen) früher auftreten — vgl. umbr. curnase
= cornice u. a. — gehört auch die Entwicklung von et; lat. sä(n)ctus
entspricht osk. saahtum, umbr. sahta, sahatam', im Umbrischen hat
das h geringe Intensität. Alt ist der Wandel auch im Lateinischen,
vgl. CIL P, 550: Vitoria, Sommer 2 240. Vor allem scheint sich
im Bauernlatein der Übergang von -et- zu -(t)t- schon früh voll-
zogen zu haben. Während Plaut. As. 666, Capt. 1003 und Lucrez
IV, 641 noch das alte cocturnLx (Caper VII, 108, 17K.) anwenden,
finden wir seit Ovid nur noch cotiirnix — Diels, Berl. S.-Ber.
1922, 52 — , das natürlich nicht nach dem weit abliegenden
coi(h)unms umgebildet wurde. Blatta für blaeta 'Wanze' (lit. blakts)
gehört ebenfalls dem Bauerlatein; schon bei dem Komiker Laberius
frg. 94 ist es bezeugt. In diesem Zusammenhang findet das viel
besprochene delitus ebenfalls seine Erklärung. Das bei Varro,
r. r. II, 4, 16: eii7n porci depichi sunt a mamma, a quibusdam deliti
appellantur neque iam laetantes dicuntur und durch CGI. II, 42, 9:
delitum djcoyaXaxTiößtr gestützte delitus darf auch deshalb nicht
in ^delicus geändert werden, weil deliculus bei Cato, agr. 2,7: oves
delieulas 'krank' oder 'mangelhaft' bedeutet, vgl. Ehrlich, Zur Indo-
germ. Sprachgesch. 1910, 651". Ebensowenig ist deliti -^i delicti <:^
delacti gerechtfertigt (so Thomas, Stud. z. lat. u.griech. Sprachgesch. 45,
der Grattius v. 303 falsch interpretiert), da delecti hätte entstehen
müssen. Auch Goetzs Erklärung (IF 31, 299), deliti bedeute 'aus der
Liste gestrichene' trägt der eng verwandten Form delicti\.€\x\& Rechnung.
Neben delitus ist nl. auch delictus bezeugt, vgl. CGI. IV, 329, 27 :
depulsus delictus und 328,52: delictus depulsus vel berruclatu quod
dicitur, das aufser dem depulsus [a ynamvid) auch den berruclatu =
verruclaius bezeichnet, ein Tier, das mit dem depulsus keineswegs,
wie Ehrlich und Thomas glauben, identisch ist. Denn nach Colum.
VII, 6, 2 ist der verruclatus ein caper cui binae verruculae (,Wärzchen')
dependent, der aufserdem besonders zeugungsfähig sei, was keines-
wegs für jeden porcus a manwia depulsus zutrifft. Dennoch tragen
beide Tiere den Namen delictus, demgegenüber delitus für den
depulsus nur als sekundär zu betrachten ist, wenn sich für delictus
eine für beide zutreffende Bedeutung feststellen läfst. Da der (noch
junge) depulsus (a mamma) zur Zeit, wo die anderen jungen Tiere
die Muttermilch trinken, zurückgelassen wird und n^ch Columella
86
der besonders früh reife vernulaius schon mit 6 Jahren, also früher
als die anderen Böcke, zeugungsunfähig und deshalb, weil gerade
er nur solchen Zwecken diente, vernachlässigt wird, so kann sehr
wohl die scherzhafte Bezeichnung delictus 'der Zurückgelassene'
beiden Tiernamen zugrunde liegen. Ddiclus hat sich dann im
Sinne von porcus depiihus auch zu delitiis weiter entwickelt. Aller-
dings hätte sich die ursprüngliche Bedeutung von deUciiis [delinqud)
nur in diesen alten Namen erhalten. — Im übrigen Italien und in
Rom sind die Beispiele für -et- >> -//- verhältnismäfsig selten. So
lesen wir CI IV, 275 (56 n. Chr., Hey ALL XV, 275) faia (=1 facta),
otogentos, autione', für invitus = invidiis s. CIL XÜ, 5561 ; und autor
steht CIL VIII, 1423, XII, 2058 (a. 491), auf einer Münze bei
Cohen VHP, p, 284,78; auctoritas CIL VI, 31553; Inscr. Hisp.
ehr. 108 s. VI/ VII; antio VI, 9035 a; lattuca < lactuca im INIaximal-
tarif Diokletians CIL, III, p. 828, it. latluga. — Im Romanischen
hat sich ein ähnlicher Lautwandel von -et- zu -//- bekanntlich nur
im Italienischen durchgesetzt, vgl. it. fatto gegenüber frz. fait, rum.
fapt, prov. fac, sp. hecho ; — frz. auteur usw. ist gelehrte Entlehnung.
— Eine scheinbare Ausnahme bilden frz. jeter, roter und flotter;
da für rucius bei Oribasius auch eine Form ruptus überliefert ist,
und -pt- überall, auch in Frankreich, zu -//- wurde, möchte Nieder-
mann, Neue Jahrb. 191 2, 337 für die drei Verben *j'eptare, *ruptare
und *fliipiare zugrunde legen, welche Formen entstanden, als
Menschen, welche das aus -et- entstandene -//- richtig sprechen
wollten, dieses -//- unrichtig in -pt-, das ebenfalls zu -//- geworden
war, umwandelten. Aber die Vorbedingung, der Wandel von -et
zu -//, ging in Frankreich nicht in Erfüllung, ^ und doch hätten
die Bildungen dort aufkommen müssen, da z. B. span. echar, pg.
geitar 2o\i iectare zurückgehen, vgl. Bruch, Arch. f. d. Stud. d. n. Spr. 133
NF. 33 (19 15), 354 ff. Aufserdem ist das Beispiel, das Niedermann,
Rh. Mus. 60, 460 aufser ruptiis für Vertauschung von -et- und -pt-
anführt, nl. laptuea neben laetuea (und lattuca, s. o.), nicht ganz
stichhaltig, weil in den Glossen lapttica im Gegensatz zu lacttica
d-QiSas 'Salat' nur zweimal — V, 385,36; 321,12 — als Inter-
pretamentum von picrida verwandt worden ist, das laut Plin. n. h.
19, 126 die schlechteste Sorte lactuca bezeichnet; laciuea selbst
wird selten als picrida in den Glossen erklärt. Laptuea hat nur
ungünstige Bedeutung (nach lappa ? ?) und ist also auch semasio-
logisch von lactuca z. T. verschieden. Bruchs Annahme, dafs
"^iettare, ^^'ruttare, *fluttdre schon etwa um 100 n. Chr. aus Italien
nach Gallien kamen, ist wegen der seltenen Belege für den Laut-
wandel -et- > -//- in nicht ländlichen Vokabeln älterer Zeit recht
unwahrscheinlich. In Wahrheit wird ruclare durch voll^setymologische
Anlehnung an rumpere häufig zu ruptare geworden sein, wie auch
Oribazius zeigt, und kann frz. roter auf diese Form zurückgehen;
' Abgesehen von ephemeren Beispielen bei Pjrsougi; Bonnet 188 A. I, 267;
Haag RF. X, 861, A. i.
87
dagegen müssen jeter und flotter innerhalb des französischen erklärt
werden, jeter vielleicht durch Dissimilation (Herzog Z. R. Ph. 23, 361),
während in flotter wohl germanischer Einflufs anzunehmen ist,
Körting Wb. s. v.
b) 79 digüus non dicitus
85 fegma non peuma
12 calcostegis non calcosteis
Da digiius trotz der unerklärten Endung zu dem Stamm deü-
gehört, ist es wohl verständHch, dafs man öfters — anscheinend
auch Walde 2 s. v. — das von App. gerügte dicitus als einen alten
Rest betrachtet hat. Aber schon in § 2 a bemerkten wir, dafs
it. dito mit i nur aus d'/fuvi entstanden sein kann, das sich aus
dij'itum < digitum entwickelte, während die anderen romanischen
Formen auf digitum zurückgehen. Auch ist Pompeianisches fridara
und asp a n. yrJ(/ö zxxi fnjidus {frljidus) zurückzuführen, s. § 2 a.
Schlielslich zeigt auch viiiti < viginti'^ der romanischen Sprachen
(vgl. CIL VIII, 8573), dafs besonders zwischen zwei i das palatale
g zu / und iji zu i wird; schon im ersten Jahrhundert gab
es ein frldam. — Neben dem aus digitus entstandenen häufigen
dijitus kann nun aber kaum altererbtes dicitus in der Volkssprache vor-
handen gewesen sein. Vielmehr haben wir das c in dicitus, das
auf einem Fluchtäfelchen CIL X, 8249 und bei Dessau 8751 (Blei-
tafel aus Nomentum) erhalten ist, als einen Versuch aufzufassen
das zu j sich umwandelnde g durch eine Aussprache nach c hin
zu retten. Diese Annahme begünstigt das CIL VIII, 8642 und
X, 5939 überUeferte quadracinta, während das den romanischen
Formen entsprechende quarranta bei Le Blant Nouv. Rec. 66
(Pirson 97) auf die Aussprache quadrä(j)inta hinweist, vgl. auch
trienta CIL XII, 5399. Auch citiquacinta [qtmiquacinta] ist III, 2234,
V, 6 191 belegt; aber im Volksmund war cinquä(j)inta üblich.
Ebenfalls vor folgendem i wurde intervokalisches g zu j in
calcosteis, das Heraeus ALL XI, 65 durch Serv. ad Aen. I, 448:
quidavi Hrahes aeneas^ putant ipsum templum chalcosteum mit Recht
gegen Änderungen geschützt hat. Chalcostegis ist ohne Zweifel
Übersetzung eines ^yaXxoöTsyic — so Bücheier bei Förster 318 — ,
nicht eines ■/ciÄy.oOTEy/'/c oder *ya?.xoOTtyoc. In diesem Tempel
waren die Dachbalken mit Kupfer beschlagen, wie im Chalcioecon
(Liv. 35, 36, 9) die Wände mit ehernen Platten, Paus. 3, 17, 3.
Aus Servius Worten {ipsum) dürfen wir schliefsen, dafs es in Rom
einen bekannten Tempel gab, der im Volksmund chalcosteis (-cum)
hiefs. Leute, die in Vergils Worte alles hineindeuteten, glaubten,
dafs in der Beschreibung der Gründung Carthagos auf den römischen
Tempel Bezug genommen wurde. Wenn auch App. den Tempel
ohne Veranlassung erwähnt, so ist sie sicher in Rom verfafst worden,
s. Einleitung.
^ Wahrscheiulich war auch hier das dem g vorangehende i betont, vgl,
trienta CIL XII, 5399 und Consentius V, 392, 4K.
SB
In peuma 'Gefüge' ist an Stelle des g der homorgane Vokal
u getreten, der zugleich hinsichtlich der Lippenstellung dem folgen-
den w verwandt ist; so konnte leicht pegma zu peuma werden, das
Schuchardt 11, 499 aus Ed. Luitpr. 125,18 belegt. Knch. fraiptieiila
■=■ fragmenta ist öfters bezeugt, vgl. auch carauma = '/jtQayiua
CGI V, 349, 44. Besonders interessant ist Heiigmatictis bei Marc.
Emp. p. 160, 18 N., das durch eine Art Kontamination der phone-
tischen (für fleiima s. Schuchardt II, 499) und der historischen
Orthographie entstand, Lichtenhan a. a. O. 43. — Auch an dieser
Stelle gibt App. nicht diejenige Vulgärform, welche sich im Roma-
nischen durchgesetzt hat und erst später entstand, n\. pelma, vgl.
lomb. obw. pelma 'Honigwabe', sp. pehnazo 'Klumpen', M.-Lübke
Einf. 3, 170. Dieselbe Entwicklung zeigt z. B. sagma > sauma >
salma — Isid. Orig. 20, 16, 5: sagma, qiiae corrupte . . . salma dicitur,
vgl. it. salma, asp. jalma usw. Das / konnte im Silbenauslaut wegen
seines dort stark velareh Charakters (Sommer 2, 166) sehr leicht
durch u ersetzt werden, wie xavxovÄaTfo des Ed. Diocl., cauculus
It. Thren. 3, 16 und andere Beispiele zeigen, vgl. noch Skutsch
Glotta I, 159 und oben § 12. Bei der grofsen Verwandtschaft von
u und silbeausl. / konnte auch für sauma und peuma leicht salvia
und pelma eintreten. Dafs in der Volkssprache das / gerade an
Stelle eines u trat, dem in der Hochsprache ein "■ entsprach, erklärt
sich vielleicht durch das Bestreben das ic wie im Hochlalein wieder
konsonantisch zu sprechen; es kam dabei anstatt des ursprünglichen
g der dem u ebenfalls verwandte /-Laut heraus.
c) calaius non galatus. Die allgemeine Angabe Grandgents
Introd. to Vulgär Lat. 138, dafs in griechischen Lehnwörtern k des
öfteren als g erscheint, läfst sich wohl dahin einschränken, dafs
nur vor a, 0, u und Liquiden der griechische stimmlose Guttural
stimmhaft wird. Für das alte Latein sei hingewiesen auf xvßtQj'ür
gubernare, XQaßßarog grabahis 'Ruhebett' (Lucilius), yaXßdr?/
galbanum, xcoßiöa gohius 'Gründling' (Lucilius); für das spätere
Vulgärlatein vgl. -/.agvo^pviD^ov caryophyllum, daneben garyophyllum
in Hss. und it. garofano, frz. girofle, Thes. L. L. s. v.; xcif/fJCtQOQ
cammarus, cambams, gammarus und it. ga?nbero, sp. gambaro; xoXjtog
colpus, it. golfo (> fr. golfe), frz. goufre; xQVJtrij crypta, it. grotta,
afrz. groute, M.-Lübke Wb. 2349. — Vor r und / wurde auch in
echtlateinischen Vokabeln c stimmhaft, vgl. crates >> grates, graiicula
Thes. L. L. s. v. und rum. gratie 'Hürde', it. grata 'Gitter', M.-Lübke
2304. Sehr leicht konnte also durch grossus beeinflufst — M.-Lübke
Einf. 3, 181 — crassus zu grassus werden, CGI. II, 35, 36, rum. gras,
it. grasso usw. Vor / ist c > ^ z. B. belegt in glangu . . . glangor
CGI. 11, 101,39 f.; glebum (== clwum, clevmn Oribasius) ascensum
CGI. V, 424, 3 u. a. — Nach dem Gesagten ist galatus < calatus:
xdXad-OQ — die Frage, ob calathus mit h zu schreiben ist, ist ebenso
müfsig wie für calcosiegis — , das sich vielleicht in venez. calto er-
hallen hat, ohne weiteres verständlich; natürlich ist Einflufs von
Galatus 'Galater' (!) ausgeschlossen (Keller Volksetymologie 93). —
89
Aber die von App. in 20g anerkannte Form lautete sicher clatri
(§ 12), nicht glaJri; auch in den italienischen Dialekten, welche
das Wort bewahrt haben, ist nur c erhalten, vgl. südital. kyatru
und M.-Lübkc 1966. — Dagegen fehlen Beispiele für diesen
Lautwandel vor e und /, obwohl es an Lehnwörtern der Gestalt
{cerasus, cercsus u. a.) nicht fehlt.
§ 17. Die Labiale (s. § 14).
a) 179 sibilits iion sifdus.
Da indog. -dh- im osk.-umbr. Inlaut als /, dagegen im Latein
als b, d erscheint, so nimmt man für lateinische Vokabeln mit / < dh
im allgemeinen dialektische Herkunft an. Wir dürfen dieses an
sich richtige Prinzip nicht übertreiben und zu den mehreren Bei-
spielen, für welche Ernout 75 mit Unrecht dialektischen Ursp.iung
als sicher betrachtet, gehört auch sißlus. Denn gerade in diesem
Wort haben seiner Bedeutung entsprechend onomapoetische Momente
mitgespielt: wird doch der Sinn von sifilus 'Zischen' lautlich viel
besser durch die beiden Spiranten s — -f als durch s — b wieder-
gegeben. So konnte sifilus ohne weiteres in der römischen Um-
gangssprache aufkommen, vgl. Nonius 531 M: sifilare qiiod nos vili-
tatetn verbi evitantes sibilare dicimus . . . sifilationibus quis exploditur,
zumal auch die Bedeutung keineswegs dialektische Entlehnung
vermuten läfst. Die Annahme onomapoetischen Einflusses wird be-
stätigt durch CGI. IV, 395, 3 : suifium \ stfilum, wo Groeber, ALL
V, 468 das Lemma mit Unrecht durch suffium ersetzen wollte;
anch Span, chifla, frz. chiffler neben siffler, it. zufolare zuflfolare,
prov. chufla chifla, afrz. schufie zeigen im Anlaut eine Variation,
welche ebenfalls auf schallnialende Tendenzen zurückzuführen ist.
Nur Verkennung dieser Tatsachen konnte Groeber a. a. O. und
Heraeus 326 verleiten, Einflufs von sufflare anzunehmen.
b) 60 caelebs non celeps
181 plehs non pieps
205 labsus non lapsus
Die von App. verworfenen Formen cekps und pieps sind
phonetisch genaue orthographische Schreibungen, deren Existenz-
berechtigung von den Grammatikern heifs umstritten war, Brambach,
Neugest. der lat. Orthogr. 242 ff. App. steht auf dem Standpunkt
Varros, der nach Terent. Scaur. VII, 27, 1 1 K. solche Vokabeln mit
b schrieb, welche auch in Genetiv h zeigten, wie plebs, urbs, aber
Pelops sein j!i liefs. Dagegen wendet sich Scaurus: sed nobis iitrumquc
per ps videtur esse scribendum, quoniam ex his tf) liüera co7islef, quam
genetivo diximus auf in bis {(pÄsßöc) auf in pis [IHXojioq) exire.
Derselben griechisch orientierten Auffassung entsprechend weist er
p. 14, 3 ff. auf die enge Verwandtschaft zwischen b und/» hin, welche
in princeps et caeleps, principis et caelihis und auch in carpo et scribo,
90
carpsi el scripsi zutage trete. ' Ein neues Argument fügten andere
hinzu, vgl. Mar. Victor. VI, 21, 7 K.: wie zu coniugis und legis der
Nom. coniunx und lex (g) laute, so zu plehis und caelihis pieps und
caeleps (xp). Diesen Argumenten tritt wieder Priscian entgegen
II, ^^, 10, 43, 7K. : necesse est loco ip graecae hs vel ps scrihere pro
ratione genetivi, ut ... '■caelebs caelihis', '■princeps principis'' . . . '■nuho
niipsV , '■scriho^ ^scripsi' faciunt, quamvis an alogia per b cogit scrihere,
sed euphonia superat, quae etiam ^nuptani' . . . compellii per p non per
h dicere et scrihere, vgl. GL II, 507, 15. Priscian schreibt also urhs
urbis, aber nuho mipsi nuptuvi. Er anerkennt, dafs die Analogie
zu nubsi nuhtum führen müfste, aber wirklich billigen tun diese
Formen m. W. nur App. und [Probi] Institut. Art. IV, 126, 6 K.:
(um lapsus a lahor venire int eile galiir, et ideo per b, non per p litter am
scribi proniintiatur, was für den Zusammenhang beider Schriften
wichtig ist; wahrscheinlich erklärt der Verfasser der Instituta die
Form der App., von der er abhängig ist, s. Einleitung. App.
schöpft auch hier aus Grammatikertradition, führt aber nicht mit
Varro urps, sondern nur die beiden Vokabeln auf -ebs an, für
welche man vielleicht auch wegen der vielen auf -(c)eps endenden
Wörter die Endung -eps befürwortete. Pieps ist häufig, CIL II, 34, 53,
1348) 335^; XI, 3260; für celeps vgl. Thes. L. L. s. v. Da die
Grammatiker nach griechischem Muster {/jid-EOL : y D-soi, Reitzenstein,
M. Ter. Varro und Joh. Mauropus 35) caelebs mit caeles^ erklärten,
ist als anerkannte Form caeleps, nicht das überlieferte celeps zu be-
trachten. — Auch conlabsus ist bezeugt, CIL IX, 2447, 5980,
X, 5349, 6891 u. ö., sodafs der extreme Standpunkt der App. auch
praktische Verwertung fand. — Die Zusammenstellung von bs und
ps mit j/; ist alt, da bekanntlich schon Claudius für bs und ps das
Antisigma einführte, das dem x (und z) entsprechen sollte, Büc'heler,
Kl. Sehr. I, 9.
c) 227 amfora non a7npora
192 strofa non stropa
Das gr. f/i, das zur Zeit der ältesten Entlehnung in Griechischen
noch aspirierte Tenuis war, gaben die Römer, denen dieser Laut
fehlte, mit einfachem / wieder. Erst seit der INIitte des 2. Jhdts.
v. Chr. entsprachen ff ^ y/. ph th ch, welche auch in einheimischen
Vokabeln wie pulcher eingeführt wurden (anders W. Schulze, KZ
oö^ 386). In der Volkssprache blieb es bei /, /, c, vgl. oben
calatus, tymum, welche Formen vielleicht sogar App. billigte, und
z. B. xöXag)OQ, it. colpo, prov. afrz. colp, sp. golpe usw., percolopare.
So blieb auch avipora, dessen Verbreitung das Deminutivum ampulla
bezeugt; das p erhielt sich wohl deshalb so sehr lange, weil vor
dem labiodentalen f nicht m, sondern n zu stehen pflegt, so dafs
mf eine zuerst ungewöhnliche Verbindung war und auch amfractus,
1 Vgl. noch Curt. Valerian. und Papirian. bei Cassiod. VII, 156, 2; 159, 22,
* Paul. Fest. p. 44 M; Gavius Bassus bei Quintil. l, 6, 36.
91
dessen m jedenfalls feststeht, zu anfraclus wurde; erst in der
Kaiserzeit wurde gelegentlich m vor /" gesprochen, vgl. §5d i^im-
fimenalus), ein vereinzeltes im fronte CIL I'^^, 1420 (Sommer 2 192)
sagt für die republikanische Zeit nichts aus. — Diese Auffassung
bestätigt das in Glossen häufige anfora mit n (III, 496, 21, III, 24, 6 ;
620, 51; IV, 558,58; V, 340, 55), welche Bildung vielleicht schon
in der älteren Umgangssprache aufkam, als -mf- noch gar nicht
geläufig war, und auch fortlebte, als später der Volksmund dem
-mf- etwas weniger abgeneigt war. — Das gr. (f, wurde, zum Spirans
geworden, gelegentlich auch als f geschrieben, so steht z. B. Dafnc,
Fyllis auf Pompeianischen Graffiti, Häufiger wird / erst seit
Septimius Severus, regelmäfsig seit der zweiten Hälfte des vierten
Jahrhunderts (Mommsen, Ges. Sehr. VII, 792 ff.). Daraus Schlüsse
auf das Alter der App. zu ziehen wäre müfsig, da amphora und
strophd leicht einzusetzen sind und App. als Gegensatz zu p ab-
sichtlich das (seltenere) /' verwendet haben kann.
Sirdpa <C oTQOfprj , das selbst unbelegt, aber mit siropoia in-
poslura CGI. IV, 176, 11 zu vergleichen ist, hat sich wohl gehalten,
weil es sonst überhaupt keine griechischen Lehnwörter oder ur-
römischen Vokabeln auf -ofa — auf -öfa nur scrofa — gab. Da-
gegen waren mehrere griechische Entlehnungen auf -dpa <C -orrfj
(-0.T//) vorhanden, syncöpa, apocopa, vieidpa, eciropa, scöpa «< öxojt)'/
(spät belegt), iröpa, während nur das unklare pöpa 'Opferdiener'
als lateinisches Wort in Betracht käme; für -öpa s. scöpa 'Besen',
cöpa. Angesichts dieser Tatsachen ist die Erhaltung von ströpa in
der Umgangssprache völlig verständlich.
188 plasia non hlasta wird durch das oben § i6c Gesagte er-
klärt. Das ausl. a in plasia «< jrldor/ic 'Bildhauer' wie in poeia.
Blasta ist unbelegt.
§ 18. Das s.
a) 30 miles non milex 185 poples non foplex
148 aries non ariex 186 locuples non locuplex
Da ausl. .v, wohl zuerst vor anl. Konsonanten, in der Um-
gangssprache zu s wurde — für den Anlaut vgl. das Wortspiel bei
Petron. c. 56 'serisapia . . .' xerophagi, für den Auslaut summum ins,
suvimum crux^.l) — z. B. m felairis CIL IV, 1388, 2292 (s. § 12
vunetris, op {seiris)), so hat man in juiiex usw. das x durch um-
gekehrte Aussprache erklärt (vgl. xancto CIL X, 1541 für den An-
laut), s. Sommer2 248. Diese Auffassung mag für vereinzelte Fälle
zutreffen (z. B. Claninx CIL XIII, 2477, 2), aber für die weitere
Verbreitung dieser Formen, wie sie App. voraussetzt, haben meistens
andere Faktoren mitgewirkt. So dürfte ariex, der sich zum vervex
verhält wie etwa der equus zum caniherius , eben nach vervex sein
ziemlich festes x bekommen haben, 1 nicht nach iudex (Vendryes
1 So auch Mohl, Etud. sur le lex. du lat. vulg. 1900, n. 9, wie ich uach-
träglich sehe; anders Niedermann, ZRPh. 26, 357 (kaum richtig).
92
bei Niedermann, Contrib. ä la crit. des glos. Lat. 1905, 4g). Ferner
ist für locuples und poples zu beachten, dafs es die einzigen auf
-ples endenden Vokabeln sind, so dafs das übliche -plex auch in
dem Substantivum poples die ungewöhnliche Endung leicht ersetzen
konnte. Zu vergleichen wäre die Umwandlung des aus praegna(fi)s
mit ungewohnter Adjektivendung entstandenen pracgnas einerseits
zu praegnax (Fulgent. myth. p. 38, 21H.), andererseits zu *praegnis
(afrz. preinz, aprov. prenhs, M.-Lübke, Einf.-^ 170, 18g). Die Ab-
neigung gegen locuples zeigt auch vereinzeltes loctiplens , CGI.
IV, 110, 27: locuplcns multa loca possidens, wo freilich die Etymo-
logie der Alten — Paul. Fest. p. 119 M.; Quint. 5, 10, 55 —
durchschimmert. — An'ex, das aus hochlat. aries sich neu entwickelte,
nachdem schon im älteren Vulgärlatein aries zu arls geworden war
(§1), und poplex sind nicht belegt; lociiplex steht CGI. V, 528, i ;
Not. Tir. 41, 22 (cod. Vat.); Fulgentius p. 142, ig Helm (Heraeus 327);
locuplebs CGI. V, 533, 13. — Schliefslich ist es nicht ganz ohne Be-
deutung, dafs nach Ausweis der App. besonders in solchen Formen
das .r sich v/eiter verbreitete, welche, wie die ursprünglichen Vokabeln
auf -ex, -ix, in den Casus obliqui um eine Silbe verlängert wurden
(vgl. noch z. B. satellex CGI. II, 280, 21 ; fomix = fomis [-<?j]
V, 629, 3), während Fälle wie vulpex CGI. II, 5g7, 43 äufserst selten
und ephemer sind. Während in Parisyllaba das neue .v sich nicht
durchsetzte, weil ausl. .v für die Imparisyllaba charakteristisch war,
fiel dieses Hindernis für die Imparasyllaba auf -es weg und konnte
-es in der Umgangssprache zu -ex werden, wenn die sonstigen Be-
dingungen günstig waren. Auch milex {-ix) findet sich — [be-
einfiufst durch dux}'^'] — häufig in Inschriften, vgl. CIL VI, 37,
2457, 254g, 2625, 2723, 2737, 3637 u. ö. in allen Ländern. Auch
hier gibt App. eine Vulgärform der älteren Schicht, welche im Ro-
manischen nicht weiterlebt. Miles hat sich nur als altes Lehnwort
im ahd. milizza, cymr. milvvr (Petersen, Vergl. Gr. 210) erhalten,
während es aus sachlichen Gründen im Romanischen durch .sol(i)-
datus 'Söldner' ersetzt wurde. ÄhnUche Gründe liefsen auch andere
Verba mihtaria absterben, z. B. wurde das nur noch im Sp. Ptg.
vorhandene lorica {lorigd) in den übrigen romanischen Sprachen
durch *coriacea 'Lederpanzer' — vgl. it. corazza > frz. cuirasse
usw., M.-Lübke s. v. — verdrängt, s. Jud, Z. f. rom. Phil. 38
(i9i4)> 35-
In diesem Zusammenhang ein kurzes Wort über Aiax Aiacis,
das nach Schwerings hübscher Vermutung IF 30(1912), 220 durch
oskische Vermittlung zu den Römern kam, weil dort — aber viel-
leicht noch nicht zur Zeit dieser alten Wanderung des Aiasnamens
— ausl. .r ziemlich früh zu s wurde : meddiss medikeis. Die Ein-
wände Zimmermanns IF 32, 203 sind nicht stichhaltig, da spätes
sona(n)s > sotiax (Apuleius) und praegna(7i)s >■ praegnax (s. o.) usw.
für einen ähnlichen Übergang im ältesten Latein nichts beweisen.
Wohl aber hat Schwering die Form zu sehr isoliert und nicht be-
achtet, dafs die den Römern ungeläufige Deklination -ac, -aVToq
95
auch sonst, wenn auch in anderer Weise, umgewandelt wurde;
zwar meistens durch eine leichte Einschlebung eines n vor dem s
im Nominativ — admna(n)s, Athama(n)s, Atla(n)s — , aber dann
und wann auch in anderer Weise, vgl. DMpac, iXirpavro^ > e/e-
phantus, -ti und die Städtenamen 'AxQdyai; > Agrigentuin und
Tcigac > Tarentuvi. Sehr wohl konnten also die Römer selbst
Äiaq, ÄiavxOQ zu Aias, Aiacis umändern.
b) 134 vico capitis Africae non vico caput Africae
135 "vico tabitli proconsolis non vico tahiilu proconsulis
136 vico castrorum non vico castrae
137 vico strobili non vico trobili
Überraschen mufs zunächst das sogar anerkannte vico = vicus,
obgleich sowohl nach Aussage der romanischen Sprachen — nur
im Italienischen und Rumänischen ist ausl. -s sekundär geschwunden
— und des Germanischen — vgl. got. asilus <C asintis neben wein
(*wino) ■< vintim, F. Kluge, Z. f. rom. Phil. 17, 559; Bruch, ebenda
41, 192 1, 429 — wie auch des Vulgärlateins selbst, wo Formen
wie filio = filius, vor folgendem s X, 1367, äufserst selten sind
(Proskauer, Das ausl. -s auf lat. Inschr. 19 10, i6g, die allerdings
in der Ableugnung des Schwundes zu weit geht), ausl. -s nur
ausnahmsweise völlig schwand und ausl. u zu 0 wurde. Wir müssen
aber bedenken, dafs vico in der festen Verbindung mit dem näher
bestimmenden Genetivus fast einem proklitischen Worte gleichkommt
und der -j-Schwund nicht anders zu beurteilen ist als das häufige
CO = cum (Präpos.) — Diehl, De -7« final, epigr. 266 — und der
Abfall des ausl. -s auch vor Vokal in der volkstümlichen Verbin-
dung amicusjimico bei Plautus usw., s. Leo, Plaut. Forsch. 2 259.
— Auch hier wurde wie bei horilegium u. a. von App. der Volks-
sprache eine Konzession gemacht, vveil vico als topographische Be-
zeichnung im Munde auch der Gebildeten üblich war. — Nicht
anerkannt wird dagegen die Apposition: vico caput Africae vom
Typus 'rue Richelieu', sondern nur der Typus 'rue de Richelieu'.
Es ist sehr zu beachten, dafs App. für diese Erscheinung solche
Beispiele anführt, in denen auch der Name selbst noch einen
Genetivus enthält [Africae, proconsulis), so dafs die vulgäre Sprache
hier auch die Anhäufung zweier Genetivi gemieden zu haben scheint
(daneben auch vico porta Naevia auf der capitolinischen Basis). Es
ist deshalb höchst unwahrscheinlich, dafs wir in n. 137 non vico
strohilu mit Foerster lesen dürfen, ganz abgesehen von dem seltenen
Schwund des ausl. -s im Hauptwort (s. o.). Wir haben also wirklich
vico strobili non vico [sjtrobili zu lesen und • : als Tilgungszeichen
zu betrachten: in der engen Verbindung vicostrohili wurde das s
zunächst zu vico- gezogen und dann in der Umgangssprache unter
Einflufs von vicocastrae usw., in dem die beiden Glieder noch richtig
als solche empfunden wurden, wieder ausgestofsen, wie schon
Gaston Paris, Mel. Renier 303 richtig vermutet hat. Ob die Gasse
nach einem Menschen benannt worden ist, der Strobilus hiefs (so
94
Bücheier bei Förster 310), oder vieiraehr nach der Zirbelnufs, läfst
sich nicht entscheiden.
Dieselbe Erklärung trifft nun aber auch für vico labuli {-/u)
proconsidis zu, mit dem Unterschied, dafs auch App. selbst das
wohl aus vico siahuli entstandene vico tabuli (ohne s) anerkennt,
weil auch iabulurn, wie Heraeus ALL XI, 66 aus CGI. III, 264, 72:
ixQifvJov tahulum (11, 331, 58) nachwies, im Sinne von 'warme
Wand in der vinea'' vorkam. Dafs der Eigenname labulinn pro-
consolis keinen Sinn gibt, darum kümmerte sich App. wohl weniger,
weil bei den steten Umbauungen die ursprüngliche Bezeichnung
nicht mehr herausgeklügelt werden konnte. Für uns ist vicosiahili
proconsulis in derselben Weise zu vicoiahidi proconsulis geworden,
wie vicostrohili zu vicotrohili, denn nur 'der Stall des Proconsuls'
ist für eine Gasse eine passende Bezeichnung. Bücheier glaubt,
dafs in tabuli^ das e der zweiten Hand das richtige bietet und
die Strafse nach einem dort von einem Prokonsul angeschlagenen
Brett benannt wurde; aber tahuleproconsuhs wäre nicht leicht zu
dem ebenfalls lateinisch richtigen, aber ungebräuchlichen tahulii-
proconstilis verschlechtert worden. Zangemeister bei Förster 31g
vermutet vico(ca)tahoHproco7istdis mit Haplologie, aber das catahultwi,
die grofse Zentralstelle des ciirsus publicus in Rom, wo die aus
dem Osten kommenden Waren abgeladen wurden (Hülsen RE s. v.),
bedürfte nicht des sinnlosen Zusatzes proconsulis. — Merkwürdig
ist das Unterbleiben der Synkope in tahila. Das 0 in proconsolis
zeigt die archaisierdende Tendenz der App. bei der Bezeichnung
dieses Würdenträgers; auch in der Columna Rostrata CIL P, 25,6
ist consol hergestellt worden ; auf grammatische Tradition weist
Velius Longus VII, 4g, 15 K. hin: consol scribehatur per o,'cum
legeretur per u constil. Die Bezeichnung proconsulis führt natürlich
nicht in die Provinz, denn auch ein nach Rom zurückgekehrter
proconsul konnte später dort so genannt werden. Dagegen ist mit
vico capitis A/ricae sicher der bekannte römische vicns der zweiten
regio gemeint, vgl. Jordan, Topogr. v. Rom II, 587 ff. Da dort eine
Schule war — CIL VI, 8g83, 8g84: paedagogus {puerorum) a caput
A/ricae (auch hier nicht flektiertes caput A/ricae) — , so ist es sehr
wohl möglich, dafs App. von einem Lehrer der dortigen Unterrichts-
anstalt verfafst worden ist. Auch befanden sich in Rom mehrere
castra und die vielleicht von Septimius Severus errichtete castra
peregrina (Richter, Topogr. 2 337) lagen in der nächsten Nähe des
vicus capitis A/ricae, so dafs auch an der Lokalisierung der vicocastrae
in Rom kaum gezweifelt werden kann. — Castra konnte, da es nur
der Form nach Plural ist, am ehesten zu einem Femin. Sing, werden
und ist als solches vielleicht schon bei Accius (Nonius 200) belegt:
castra haec vestra est, wenn sich haec nicht auf ein vorhergehendes
Fem. Sing, bezieht; sicher in der Ital. (Lugdun. Wirceb.) exod. 32, ig
usw.; CIL VIII, g725 usw., s. Thes. L. L. s. v. Das frz. joie, it. gioja
hat seine Vorstufe im kollektiven gaiidia, das schon bei den
klassischen Dichtern zusammen mit ähnlichen Formen auffällig oft
95
im Plural steht, wofür es nicht ausreicht, nur auf die metrischen
Bequemlichkeitsrücksichten hinzuweisen, vgl. Löfstedt, Peregr. Aeth.
135 und Wackernagel, Vorles. über Syntax 98.
§ 19. Die Nasale.
a) 152 mensa non mesa 19 Hercules non Hercitlens
76 ansa non asa 123 occasio non occansio
49 Capse(n)sis non Capsessis
Die schwache Aussprache des n vor s wird für das älteste
Latein durch cos = cdsul erwiesen, vgl. noch cesor CIL 1,2, 8 und
Quintil. I, 7, 29; Cic. Orat. 159. Unter den vielen vereinzelten
Belegen dürften z. B. folgende besonderes Interesse beanspruchen.
Negolians = negotiator konnte deshalb leicht in der vulgären Form
negotias erscheinen (CIL VI, 9663, X, 3947), weil es seiner ursprüng-
lich etwas verächtlichen Bedeutung entsprechend — Cic. ad Attic.
V, 21, 10: praefecturam petivit; negavi me cuidavi negotianti dare —
nur bei wenigen, z. T. etwas vulgär gefärbten Schriftstellern vor-
kommt, bei Vitruv Petron (43, 6 homo n. in einem lässigen Gespräch),
Seneca (ep. 94, 14), Sueton, und nach Ausweis der Inschriften
XI, 1620 : negotianti 7)iateriario , X, 3947 : negotias calcariarius,
VI, 9676 in den Kreisen des kleinen Mittelstandes üblich war und
besonders dort n kaum gehört wurde. — CIL XIV, 487 steht pures
= parens = pater in einer sonst tadellosen Inschrift; parens im
Singular war, abgesehen von der Dichtersprache, wohl mehr im
Volksmund häufig, so dafs die dort übliche ;z-lose Form leichter
auch in der Schrift zum Ausdruck kommen konnte. Es wäre eine
lohnende Aufgabe, von diesem Gesichtspunkt aus die vulgären
Formen der einzelnen Wörter zu betrachten.
Was die von App. getadelten Formen mesa und asa anbetrifft,
wird es wohl kein Zufall sein, dafs gerade sie in der Tradition der
Grammatiker seit Varro eine Rolle spielen ; ohne Zweifel verbindet
App. auch hier aus der lebendigen Sprache geschöpfte Beobachtungen
mit grammatischer Überlieferung. Nach Macrob. Sat. 'i^, 2,Z: Varro
divinarum qtiinto dicit ^aras' primiim 'asas' dictas, quod esset necessariiim
a sacrificatitibus eas teneri, ansis autem teuer i soler e vasa qiiis dubitet?
brachte Varro das alte, aus der Zeit vor dem Rhotazismus über-
kommene sakrale Wort asa mit ansa in Verbindung; obwohl der
antiken Wissenschaft schon eine gewisse Ähnlichkeit der Formen
genügte ihr etymologisches Spiel zu treiben, wurde Varro wohl
auch durch die unwesentliche Aussprache des n in ansa zu der
Zusammenstellung mit asa verführt; die weite Verbreitung von asa
■= ansa zeigen CGI. II, 23, 57: asa . . . corior Xaß?j, sp. asa, pg. aza,
— Auch L. L. V, 1 1 8 : quod a nohis media et a Graecis mesa, mensa
dict potest; nisi etiam quod ponebaiit pleraque in cibo mensa stützt Varro
seine Etymologie mensa : mesa nicht ausdrücklich auf dem schwachen
Klang des n; aber die späteren Grammatiker waren anscheinend
der Ansicht, dafs Varro auch ?nesa billigte, vgl. Charis. I, 58, 17K.
96
Auch App. wird durch Varros Autorität oder durch Schultraditiofl
veranlafst worden sein, gegen mesa einzuschreiten, dessen weite
Verbreitung im Vulgärlatein das Romanische bezeugt, vgl. afrz. moise,
pro V. sp. mesa, M.-Lübke Wb. 5497; inschriftlich steht mesa z.B.
VIII, 8767 a, V, 1685 u. ö., s. auch CGI. II, 563, 21.
Sehr häufig schwindet das n in nienses mtnsibus, wie die In-
schriften zeigen. Daneben treten nun auch neue Formen mit
doppeltem ss auf, vgl. für messes, messibus z. B. CIL VIII, 18302,
21 145, IX, 4028. So kam neben Capsensis auch Capsessis des
öfteren vor. Die von App. gebilligte Form war sicher Capse(n)sis,
da. dies die sonst allgemein überlieferte Lesart ist,' vgl. Sallust Bell,
lug. 89,6 {Capsenses Subst.); 92, 3, 4 und CIL VIII, in; daneben
ist nur Gapsitanus bezeugt. Die Erwähnung des Stadtnamens beweist
aber keineswegs, wie G. Paris u. a. glaubten, die afrikanische Herkunft
der App.; sie kann sehr wohl durch die Sallustlektüre in der Schule
des römischen viais caput Africae (§ i8b) veranlafst worden sein,
derer Jünger beim Lautlesen fälschlich Capsessis sprachen, vgl. noch
Decatressiu7n CIL X, 1696.
Es konnte nun durch die sogen, umgekehrte Aussprache auch ns
anstatt s eintreten. Aber auch in diesem Falle haben solche Formen
meistens nur weitere Verbreitung gefunden, wenn andere lautliche
oder begriffliche Faktoren mitwirkten. Super slens CIL III, 410, das
XII, 5827 sogar in der Form super stenli belegt ist, wurde begrifflich
als Partizip empfunden und so konnte die durch umgekehrte Aus-
sprache gelegentlich aufgetauchte Form häufiger werden; vielleicht
spielte auch bei herens = heres, z. B. III, 673, 5839 u. ö., ein ähn-
licher Faktor mit. — Was das gerügte occansio anbetrifft, ist besonders
zu beachten, dafs das neue -ns- vor / steht. Die Verschiebung
der Silbengrenze, welche nach dem Konsonantischwerden des i in
den vorhergehenden Konsonanten hineinverlegt wurde (§ 13), zeigt
sich auch in occassio = occasio, das in Hss. häufig begegnet, vgl.
Koch Rh. Mus. 16, 160; Wünsch, sethian. Verfluchungstafeln p. 7, 13.
Weil es nun neben mensibus ein jnesibus und messibus gab (s. o.),
so konnte neben occasio und occassio auch das durch umgekehrte
Aussprache schon vereinzelt entstandene occansio weitere Verbreitung
finden. Aufserdem entsprach auch occa^-sio, wie occassio, der Tendenz
die dem neuen i vorangehende Silbe konsonantisch schliefsen zu
lassen. Belegt ist occansio z. B. CIL VI, 33899, vgl. noch Rönsch
It. und Vulg. 459.
Herculens — vgl. CIL VII, 1032 Herculenti, VI, 31158, XIII,
7693 (Brohl, Bonn) Herclenii, 8188 (Köln) Herclinti — kann schon
deshalb nicht, wie Schuchardt III, 132 und Heraeus 305 glauben,
mit Clem€(n)s Clenientis : Khjf^fjQ KhjfisvTog verglichen werden, weil
hier der Gen. auf -eniis schon bestand, der für Hercules erst zu
schaffen war, und blofs der Nomin. an die Casus obliqui angeglichen
' Gelegentliches -esis (Corssen I, 253) für Städteaamen kommt nicht in
Betracht.
^7
wurde , wie in dt n § 1 8 a behandelten Atla{n)s. Auch mit Neniens
= Nemes CIL VI, 31 171, Seuthens VI, 31 147, Asprenans VI, 1370
— Zangeraeister N. Heidelb. Jahrb. 3, 3 i'; W. Schulze Lat. Eigen-
namen 44 3, 483-*, KZ 46 (1914), 191 — hat Heradens nur das
gelegentlich invehierte n im Nora. Sing, gemeinsam; die verbreitete
Deklination Herculens, Heradentis ist damit nicht erklärt. Die Form
gehörte wohl den mehr niedrigen Kreisen an, wie z. B. XIII, 7693
sich auf den Hercules Saxaftvs bezieht. Wichtiger ist folgendes.
Drei der vier angeführten Inschriften stammen aus Germanien
(Niederrhein) und Brittannien. Und CIL VI, 31 158 erfüllt ein
Votum an den Soldatengott Herades (und JuppHer Juno) campesiris
(Ihm RE 3, 1444), welcher nach Gallien und Germanien hinweist,
da vor allem die keltisch-germanischen eqidtes s'mgulares den Campes-
tribus weihen. Aufserdem wurde die Inschrift geweiht vom ex
decurione der legio prima Minervia, welche seit 83 n. Chr. bei Bonn
stand. Es sieht also danach aus, dafs Herctdens ursprünglich auf
das nordwestliche Gebiet beschränkt gewesen ist. Erst später kam
die Form nach dem Weltzentrum Rom; wie CIL VI, 31158 zeigt,
durch das westliche Militär; ob sie auch bis nach Carthago durch-
drang, ist mindestens zweifelhaft, sodafs auch Herculens der App.
für die römische Herkunft dieser Schrift zu zeugen scheint. —
Die Formen Heradens, Herc(u)lenlis können vielleicht mit der ab-
weichenden Deklination Hermes, Hermeds CIL VI, 7235, 14053,
Nicias, Nkiaiis VI, 15 160, Demostheneni VI, 25356 usw. verglichen
werden. Diese eigentümliche Ausdehnung griechischer Endungen
auf griechische Eigennamen, denen sie nicht zukommen — vgl.
Bindel, de decl. lat. tit. qu. sei. Diss. Jena 19 12, 46 fF.; Hehl, die
Formen der lat. ersten Deklin. in den Inschr. Diss. Tübingen 191 2,
49 ff., Pieske a. a. O. 31 ff. — , welche besonders in Rom für Frauen-
namen (auch lateinische) bezeugt ist, hatte wohl hypokoristische
Zwecke, vgl. Chloenis VI, 4300 mit tatani, mamani (X, 2965) usw.
Vielleicht ist Heradens -lentis ein ähnlich zu erklärender Name, mit
dem Soldaten und Arbeiter des Westens den ihnen vertrauten Gott
bezeichneten.
b) 217 passim non passi 224 olim non oli
219 7iumquam non numqi(a 226 idem non ide
223 pridem non pride 143 trtclinitim non triclinu
Das in n. 226 gerügte ide ist deshalb von einiger Wichtigkeit,
weil unter den vielen Beispielen für das fehlende ausl. -m auf
lateinischen Inschriften — Diehl, de m finali epigraphica = Jahrb.
kl. Phil. S.-B. 25, 1899 — ide, isde usw. anscheinend nur in Italien
belegt sind, vgl. CIL VI, 18470, 6: patr(ono) isde co?i(iugi), 14592,
23408, 3, 9590. Dafs isde hier für isdevi steht, beweist auch
VI, 9719: amico 7neo isdem coniugt eitts, 11368, 11840, 12930,
10522: lib)ertae suae is{dem uxori) X'iS'w.; und VI, 18212, 4: Poihine
palr(ono) idem coniug(i) usw. (s. Konjet zny ALL XV, 306 f.) zeigt,
dafs das vielleicht nicht altertümliche, sondern nach is neu ent-
Baehrens, Sprach!. Kommentar zur Vulgarlat. Appendix Probi. n
98
standene isdem isde nicht anders als qui et in einer Verbindung
wie Januario qui et Derisori (VI, 17540, Löfstedt Peregr. Aeth. 228)
als Indeclinabile zwischen zwei Dativen stehen kann. Während
aber dort, wie VI, 15 159: Ti. Claudio Niceroti qui et Asiaticus (sc.
dicitur) zeigt, eine Attraktion des Nominativ Dcrisor an den ersten
Dativ stattfindet, waren idem und auch isdem von sich aus allmählich
zum Indeklinabile geworden, vgl. VI, 8861 : sepulchrinji isdem Agathopi,
auch Friese, De praep. et pron. in tit. Afr. lat. , Diss. Bresslau
1913, 54. — Für ide = idem vgl. VI, 2334, 5; 1 1 034, 8 (8 v. Chr.,
Nom. Plur.); für eide IX, 1927, XIV, 345, für eode VI, 26901; für
eiusde V, 4489, zweimal in einer allerdings auch sonst Abkürzungen
aufweisenden Inschrift. ^ Das Fehlen aufserhalb Italiens wird auf
Zufall beruheji; aber sicher mit Unrecht hat Diehl 261 auch
III, 3173, 5 u. *6379 eitis de, eiiinde als eiusdem, eundem erklären
wollen, wie schon die erste Inschrift zeigt: D M Antoniae Falernae
. . . et filio eins de an. VIII . . . et Octavio Papiriano nepoti de -an-
VII usw.: de vor an. VIII mufs wie de vor an. VII eine Abkürzung
von decedere sein. — Angesichts der angeführten Tatsachen kann
ide sicher in Rom gerügt worden sein.
Auch nunqiia ist in Rom öfters belegt, vgl. VI, 3616, 1740S,
26708; sonst aufser CGI. IV, 297, 37 noch CIL III, 5295, 1170g
(in Dalmatien) und nuqtia CIL XIII, 71 19; nusqua XII, 5687,4
(Froehner Philo). S.-B. V, 25). In dem Strafsburgereid steht nun-
quam; wenn sp. pg. nunca (mit u) direkt auf nunquam zurückgeht
(anders M.-Lübke, Wb. 5995), so kann vulgärlat. numqua zugrunde
liegen. In der Endung -am fehlt das m häufig in Verbalformen;
anführen möchte ich nur CIL XV, 7173, 7183, 7193, 7197: tene
me ne fugia, eine Formel, welche in mehreren Variationen auf dem
Halsband von servi und canes fugitivi unter Erwähnung des domitms
zu Rom etwa in der Zeit von Constantin bis Honorius angebracht
wurde und der vulgären Anwendung entsprechend oft fugia ohne
m aufweist. Diese Inschriften sind lokal beschränkt wie z. B. das
vielbesprochene sub ascia dedicare auf Gallien, Thes. L. L. s. v.
pride = pridetn ist noch CGI. II, 292,23 belegt. Es ist zu
beachten, dafs pridem und pridie sowohl formell wie einigermafsen
auch der Bedeutung nach sich berühren und demzufolge in der
späteren Literatur pridie an die Stelle von pridem getreten ist, vgl.
Paneg. Lat. IV (X), 30, 2: perstringi haec satis est, quod etiam pridie
[pridem Acidalus) prolixius mihi dicta su7it, wo pridie sich kaum auf
den vorhergehenden Tag bezieht; XII, 8, i: sed e^iim aerumnosa illa
etiam pridie [pridie H, pridie A, pridem die interpolierte X-Klasse)
media aetate nostra civili sanguine maculata Verona — und die dazu
von mir Paneg. Latin, nov. ed. Praef. maior, Diss. Groningen 19 10,
74 aus Sulpicius Severus angeführten Stellen, auch .CGI. II, 390, i:
* CIL IX, 1927, 5: eideqiie probavit, aber vor que fehlt z. B. auch s oft
in posterique = posterisque, so dafs auch VlII, 703 iteque kein sicheres Bei-
spiel für ite = item ist.
99
OV jraXal, non pridk. Wir dürfen aber die sprachliche Eif^en-
tümlichkeit nicht für speziell gallisch halten, i weil die Vorbedingungen
sie überall entstehen lassen konnten. Da pridevt fast wie pride
gesprochen wurde, konnte es vom lautlichen Gesichtspunkt noch
eher durch pridü ersetzt werden.
Passi ist unbelegt. Verwandte Formen sind ebenfalls selten,
vgl. CIL IV, 3340 lab. VI pag. 3 (54 n.Chr.): minutati und XIII,
II 88: staii solbieres. — Auch oli scheint nicht belegt zu sein; denn
CGI. IV, 418, I : oli lunc ist oUi zu schreiben; da olU als Adverb neben
häufigem Uli =■ illic niemals vorkommt und nur durch schlechte
Interpretation von Verg. Aen. I, 254: olli subridens in die Gramma-
tikertradition eingeschlichen ist — vgl. Serv. z. St. '<?///' modo 'lunc^
propter sequentia (nl. wegen v. 256: oscula libavit natae, weil noch
ein Dativ folgt!) — , so ist die Glosse aus einem Vergilkommentar
abgeschrieben w^orden. — In der Umgangssprache begegnet olwi
oliorum bei Petron 43 : jioveram hominan olini oHortim . et adhuc
salax erat, wo adhuc zeigt, dafs oUin oliorum 'vor langen Zeiten'
bedeutet und nicht Apposition zu hominem sein soll, s. Friedländer
z. St.
Da tqi'aIivov im Griechischen häufig ist — s. Herwerden,
lex. gr. suppl. s. v. — , so ist tricliim nur einer der zahllosen Belege
für den Abfall des ausl. -;;/. Bezeugt ist tridinum Ephem. Epigr.
IV, 737 (Heraeus ALL XI, 66, Ullmann 201): aedic(tdam) levis et
item lo(vis) Dolch(eni) triclinu(m), wo es soviel wie cenaculum be-
deutet; gleichfalls CGI. 11,459,14: TQi7C?uvog'^ Iriclinuvi cenatio;
5 95, 50: tridinum dovius in tribus parlibus ledos habens. Da die
Endung -iittwi oft einen Raum bezeichnet (tonstrinum, tablinurn,
latrinum usw.), scheint tridinum zwecks Differenzierung zur Be-
zeichnung des Speisezimmers, nicht des Speisesofas verwandt worden
zu sein, z. T. im Gegensatz zum Griechischen, vgl. aber auch Anecd.
Graec. I, 1 14, n Bekker tqixXlvov ovx Ijil tcöv xhvojv (paö\
öslv tdoösiv, (xX?J. 6Jtl Tov oixov {rQLxXlvLOV schon beim Komiker
Theopomp) nach Vorschriften der Attizisten. Auch App. hat wohl
tridimi 'Speisezimmer' verurteilt und verlangt auch dafür tridinium.
c) 7 I glomus non glovus. Abgesehen von der beiden Vokabeln
in älterer Zeit gemeinsamen Bedeutung 'Klofs' (s. u.) heifst globus
'Kugel', 'kugelförmige Masse', glomus dagegen 'Knäuel'. Durch
die formelle und begriffliche ■' Verwandtschaft beider Vokabeln
konnte leicht das eine Wort in die Gebrauchssphäre des anderen
eintreten, und so bekommt globus auch die Bedeutung 'Knäuel',
1 Auch Amm. Marcell. XXI, 2, 4: a quo iam pridie occulte desdverat
(pridem auch Clark) hat anscheinend pridie im Sinne von pridem gebraucht;
man vergleiche iain pridie mit iam fridie des Sulp.Sev.Dial.il (III) 11,4
und mit etiam pridie der Panegyrici.
ä Das Maskul. rügt Anecd. Graec. a. a. O,; vgl. CGI. II, 302, 37
triclimis,
^ Vgl. i. B. §-lobus ignis (Seneca) mit parvos ignis glomeratus /« orbes
(Manilius).
föö
wie sich aus Hieronym. ep. 130, 15 (III, 195, 24 H.): ncta in glohiitn
collige, aus zahlreichen Glossen — II, 215, 26 = dyaü-cg ('Knäuel')
g/obus, g/omus; 27: dyaSidiov globulus; 34,21: xhoO^m globus
usw. — und aus den romanischen Sprachen ergibt, in denen neben
glonius (und uraltem gltmus, § 3 a), *glom7ilus, ^gloitiellus und *glo-
miscellum auch '^globula (s. die Glossen), '^glohellus, ''^ globtisceUum
(afrz. gluiscel usw.) für 'Knäuel' vorkommen. Es ist nun aber sehr
zu beachten, dafs nicht umgekehrt auch glomtis für globus eintritt;
denn Priscian II, 170, 2 K.: ^hic' et 'hoc guttur' ... 'globus' quod
etiam 'hoc glonius' dicHur kommt es nur auf das doppelte Geschlecht
desselben Substantivs an, und er kümmert sich nicht darum, dafs
es eigentlich 'hoc glonius'' quod etiam 'hie globus' dicitur heifsen
sollte; das Maskulinum läfst er vorangehen. Da App. nicht gegen
glomus vorgehen kann, das nach wie vor nur 'Knäuel' bedeutete,
wohl aber gegen globus, das anfing auch als Synonym von glomus
aufzutreten, so ist das überlieferte glovus non glomus nicht mit Förster
und Heraeus 311 in globus (so schon die bessernde i.[?] Hand)
no7i glomus zu ändern, sondern glomus non glovus umzustellen. —
Schon in ältester Zeit wurden einige Klöfse nach ihrer Form globus
oder glomus genannt, Varro, L. L. V, 107 ; Paul. Fest. 98 M., so dafs
die beiden Vokabeln sich schon damals eng berührten. — CGI.
V, 24, 3 (Placidus) : globus . . . Imiaris . . . globuf/i autem et glombum
et glojuera . . . petisa ^nulierum [et glombum fehlt V, 72,5) kann
glombtun Mischform aus globum und glomus sein. Ähnliches findet
man auch sonst in Glossen: prociter (V, 475, 59; 511,6) velocikr
ist vielleicht durch Kreuzung von propere und (vel)ociter entstanden ;
robus 'lignorum strues-ardens' IV, 164,34; 563, 14 aus rogus und
robur (kaum archaisches robus) ; vgl. noch altlat. proimdgare aus
provulgare und promere Q), s. Walde ■^. — Das v in glovus entstand
nach den in § 14 behandelten lautlichen Vorgängen.
§ 20. Das h.
207 hostiae non ostiae
225 adhuc non aduc
Das h, über dessen Schicksale noch immer Seelmann, Ausspr.
262 K zu vergleichen ist, hatte im vorhistorischen Bauernlatein schon
früh seine Kraft eingebüfst in anser {g^'- yji'^)> ^^'^ Quintil. 1,5,19
führt für den geringen Hauch des /i gerade aedos ircosque an. Auch
Velius Longus VII, 69, 4 K. mufs für haedi eine Lanze brechen :
nonnulli harenam . . . aliis sine adspiratione videtur enuntiandam . . . nos
harenam dicimus . . . siquidem, ut testis est Varro, a Sabinis fasena
dicitur et . . . f in vicinam adspirationem mutatur ; similiter ei haedos
dicimus cum adspiratione, quoniam faedi dicebantur apud a?itiqtios. Die
Grammatiker hielten also besonders dann an der Aspiration fest,
wenn an der Stelle des h ursprünglich ein f gestanden hatte.
Daher ist es von Wichtigkeit, dafs nach Paul. Fest. 84 M. die antiqui
nicht nur faedus für haedus, sondern auch fosiia für hostia ge-
lOI
sprochen hätten. Erst jetzt erkennen wir den Hintergrund der
grammatischen Tradition, wenn App. als Beispiel für anl. h gerade
hostiae anführt, das aus fostlac entstanden sein soll. — Gerade
hostia konnte ohne Aspiration leicht mit ostia verwechstelt werden,
so dafs eine Warnung der App. sehr am Platze war. Auch diesmal
ist die auffällige Verwendung des Plurals beabsichtigt (über calda
s. § 2 a, vgl. auch 2 b, 5 c); denn da hostium = ostium häufig war
(Loefstedt, a. a. O. 94), hätte ein Leser hostia non ostia so verstehen
können, als ob der Plural von ostium gemeint wäre. — Belegt ist
ostiam CIL P, 1013.
Da im Inlaut h selten ist, ist auch in Komposita das h ge-
legentlich geschwunden. Mit aduc sind z. B. exibui CIL XI, 312,
VIII, 7156, 14783, 16417 (a. 188), 21655, exauriant VIII, 1763g
(Hoflfmann, a.a.O. 37) zu vergleichen.! Aduc, das CIL V, 6244,
VI, 10493; CGI. IV, 126,37 ^J^d Anecd. Helv. p. CXXXX: adhuc
cum h scrihendian (Heraeus 331) bezeugt ist, konnte auch deshalb
leicht entstehen, weil hie, das das körperlose is häufig verdrängte
(s. auch § 2 b), bis es selbst selten wurde und sich mit anderen
Pronomina wie ipse verband (Stangl, Ps.-Asconiana 1909, 10), auch
sonst oft die ,^-lose Form zeigt. 2 Besonders charakteristisch dürften
sein CIL VIII, 9200: fecit Donatus filius uins und X, 2184 (Puteoli) :
D M M. Caecilio Primioni et Aiutrici coniugi uiiis (III, 14242; V, 1741),
weil uitis an der Stelle von eius steht und zugleich dessen Ä-lose
Form zeigt. Unc steht z. B. V, 1642; IX, 2880; anc VIII, 152;
ic IV, 132; öf (Akkus.) V, 4488 ; VIII, 9192. Auch tritt umgekehrt
his = is in Erscheinung, vgl, XIV, 497 : his a quo = is a quo, da
auch hie a quo im Spätlatein gebräuchlich war, und vor allem heius
= eius, das mit uius =^ huius zu vergleichen ist, z.B. 111,3917,
VIII, 142S1, 3520: eres heiu = heres eius, das nicht durch (graphische)
Umspringung des h zu erklären ist, da eres = her es auch sonst
nicht selten ist (Diehl zu Vulgärlat. Inschr. n. 340) und vielleicht
durch ertis beinflufst wurde, vgl. Paul. Fest. 99 M. : heres apud antiquos
pro domino ponebatur. Vgl. noch heorum ^=^ eorum CIL VI, 15 860.
Wie sehr die Pronomina im Vulgärlatein aufeinander einwirkten,
zeigt auch VIII, 21 541: /// tumulo = huic tumulo mit tii nach cui,
vgl. für den wichtigen Dativ illui Grandgent § 390. Das Adverb hie
wurde in interessanter Weise ohne Aspiration gesprochen, wenn
es enklitisch stand, vgl. VIII, 21428: icceqquet, 21476: iccisqnet ^^^
hie quieseit, Pieske 63. — Auf das sonstige Fehlen des h kann ich
hier nicht eingehen. Bemerkenswert ist das häufige Fehlen in
orius ^= hortus (z.B. 111,4185) angesichts Varros Lehre S. 212, 9 G.
— Seh. : ortus sine adspiratione dici dehere Varro ait , quod in eo
omnia oriantur.
' Umgekehrt adherat = aderat z. B. in der Form. Andecav. 13, 29 u. a.,
vgl. Slyper, de form. Andecav. Latin, disput., Diss. Amsterdam 1906, 80.
^ Vgl. Zieg'l, de is et hie pronom. quatenus confusa sunt Diss. Marburg
1S97, 19.
I02
§21.
149 pel^rsicd) non pessica
Mit persica wird bei Plinius u. a. immer der Pfirsichbaum ge-
meint, während die Frucht persicum heifst. Dasselbe gilt für die
Glossen, und App. kann nur den Baum, nicht die Fruclit gemeint
haben. Erst sehr spät Icam ein ^persica 'Pfirsich' auf, das rum.
pierseca, prov. persega, presega 'Pfirsich' zugrunde hegt (im span.
prisco, pg. pecego scheint altes persicum weiterzuleben) ; ital. pesca,
frz. peche brauchen nicht aus pess(i)ca entstanden zu sein, sondern
können auch auf pers(i)ca > pe(s)sca zurückgehen. Ob aber CGI.
III, 626,58: iiifAtaq id est persecas vel pescas ('Pfirsichbaum') ein
vulgärlat. pesca bezeugt, ist unsicher, da die Form vielleicht zu den
nach dem romanischen Tatbestand zurechtgemachten gehört, vor
denen Goetz, RE VII, 1466 warnt. — Pessica 'Pfirsich' ist im
Bardischen belegt, vgl. logud. pessi/e, Wagner a. a. O. (§ 3 c), womit
malum pessicum CGI. III, 358, 74 direkt zu vergleichen ist. Zur Er-
klärung dieser Formen und von pessica der App. beaclite man den
Übergang von intervokalischem -rs-, oft aus -rss- entstanden, zu
-SS- (oder -s-) im Romanischen, vgl. dorsum > dosswn, rum. dos,
it. dosso, frz. dos; — sursu/u '^ susum, frz. sus, sp. suso, M.-Lübke,
Einf.3 168. Pessica konnte wohl nicht allgemein übhch werden,
weil die persische Herkunft auch später in der Erinnerung haftete.
E. Zur Formenlehre.
§ 22. Über Casusausgleichung und Verwandtes. ,
^) 1^5 ^^"' "^*^ {g^)ifis 138 teter non teirui
128 grus non gruis 36 barbarus non barbar
21 pecten non pectinis c) 96 niibes tton nubs
b) 139 aper non apriis 74 orbis non orbs
Über 11, 31 s. § /C.
a) Die Neigung innerhalb der Paradigmata der Deklinationen
die einzelnen Fonnen auszugleichen — schon carnis =i= caro bei
Liv. Andron. frg. 3g, Bahr. — äufsert siclr oft in der Weise, dafs
der Nom. Sing, die Silbenzahl der übrigen Casus bekommt. Sehen
wir uns aber die wiederholt angeführten Beispiele genauer an —
bovis = bos bei Varro, Petron (c. 62 in vulgärer Erzählung); suis =
sus Varro, L. L, 10, 7; Prudent. c. Symm. 2, 813; kniis = lens
Priscian. II, 341, 22 K. ; urhis == iirbs Fredegar, Chron. I, 54, 14 usw.;
Haag, R. F. X, 879 ; antestites = anfistes Thes. L. L. s. v. und Bonnet,
Le Lat. de Greg. 344; calcis = calx [Probus] Cath. IV, 20, 19K. ;
faucis = faiix CGI. 11,470,16 — , so springt es in die Augen,
dafs es sich hauptsächhch um Monosyllaba handelt und die oben
§ 2 b besprochene Abneigung gegen einsilbige Vokabeln die Tendenz
des Silbenausgleichs innerhalb des Paradigmas mindestens sehr
I03
unterstützte (so schon Virg. gramni.. p. 38, 6 Huemer). Daher führt
auch App. zwei Formen, glin's und grtiis, an, welche in der Volks-
sprache Monosyllaba ersetzten. Beide Nominativi sind auch sonst
belegt, glin's CGI. III, 18,58; 189,44; 431,48; Not. Tir. 109,7
und INIarc. Emp. p. 12g, 25 N. ?nus gliris (kaum Genetivus), Charis.
I, 42, 3 K., der go, 3 auch glir bezeugt. Gruis steht schon bei Phaedrus
I, 8, 7; vgl. Not. Tir, 179; CGI. II, 36, 15; III, 437, 37 (318, 69 und
sonst grties); Serv. ad Aen. XI, 580 gibt gruis sogar Existenzberech-
tigung neben gnis, vgl, CGI, IV, 523,9: grus (:) gruis. Schliefslich
ist noch grugis Not. Tir. 179; CGI. IV, 599, ig bezeugt, angesichts
Formen wie calcosleis = -gis (12) u. a. vielleicht durch die Tendenz
entstanden, dem vulgären Schwund des intervok, g entgegenzutreten,
welche auch an falscher Stelle ein g aufkommen liefs (auch die
erste Silbe lautet mit g an), vgl. lomb. grüga.
Auch in peclinis wurde der Silbenausgleich durch einen speziellen
Umstand begünstigt. Mit wenigen Ausnahmen sind nl. alle auf
-en endenden Vokabeln neutrius generis und auch die neuen Nomi-
nativi iurhen und termen, welche sich nach dem Schema crimen
criminis an Stelle des ursprünglichen turho {-inis), termo (-inis)
sekundär entwickelten (K. Meister, Lat.-Gr. Eigenn. 6), bekamen
neutrales Geschlecht, vgl. noch anguen (ntr.) statt angiiis bei Jul.
Va!. I, 2g. Pecten nahm also als Maskulinum eine Sonderstellung
ein und leicht konnte die Volkssprache durch die speziell maskuline
Endung -nis die Ausnahme beseitigen und pectinis schaffen, das
zugleich der Tendenz des Silbenausgleiches entsprach. Die Richtig-
keit dieser Auffassung beweisen die Nebenformen der wenigen
übrigen Maskulina auf -en\ neben osceji (ra.) ' Weissagevogel ' ge-
brauchte schon Cicero ein oscinis als Nominativ, vgl. Plin. maior
bei Charisius I, 105, 4; 13g, 11 K. und auch lieii (m.) und spien (m.)
— renes steht nur im Plural — haben lienis (Celsus) und splenis
(seit Lactanz, Brandt, ALL VIII, 130, Heraeus XI, 62) mit kurzem t
(Bechtel, GGA i8gg, 185; Jachmann, Stud. Prosod. ig 12, ig) neben
sich. Von den vielen Neutra zeigt dagegen nur inguen eine ver-
wandte Form, CGI. V, 77, 22. Auch zwei andere Nominative: peciis
und pectina sind CGI. II, 355, 62 überliefert, denen pollis und pollina
II, 265, 4g f. zur Seite zu stellen sind. Zur Erläuterung von pk/is
sei auf die Ausdehnung der Flexion -is -inis im Vulgärlatein hin-
gewiesen, vgl. § 24 c; pectina wird vielleicht dM?, pectinare neu ent-
standen sein, wie pugna aus piignare, dem Infinitiv zu pugnus, und
^retifia, der romanische Ersatz von habena, das mit avena verwechselt
wurde (J. Jud, Z. R. Ph. 38 [1914], 33), aus retinaculuju; jedenfalls
begünstigte pectinare das Entstehen der neuen Form.
b) Da sehr viele Substantiva und Adjektiva auf -iis enden,
nur wenige dagegen auf -er, konnte leicht zu aprum ein neuer
Nomin. aprics gebildet werden. Bei Adjektiven kam das Empfinden
dazu, dafs dem Femininum auf -a ein Maskulinum auf -us entspreche;
so entstand heben glaber ein glabrus (Herm, Fast. 3, 9, i), neben
aeger ein aegrus CGI. IV^ 474, 26, neben miser ein miserus CII^
I04
IV, 2250, neben ruber ein rulj^us (Solinus 40, 2^ usw.) und auch
neben taeter ein taetrus, das aufser App. CGI. II, 195,47 belegt. —
Zur richtigen Beurteilung von aprus ist von Wichtigkeit Priscian
II. 2Tf2„ I2K.: 'aper apri\ cuius femininum veleres proiuleriint ^ apra\
Gab es in der Vulgärsprache auch ein apra, was immerhin möglich
ist, so entstand aprus auch unter Einflufs dieser Form, weil zur
Bezeichung der Tiergattung neben einem Femininum auf -a durch-
gehend ein Maskulinum auf -z/j steht: agnus agna, cervus cerva, eqmis
eqiia, weiteres bei Neue-Wagener P, 915. — Während die Ent-
stehung neuer Nominativi auf -rus an der Stelle von -er recht
verständlich ist, sind Neubildungen auf -er angesichts der geringeren
Häufigkeit dieser Endung weniger leicht zu erklären. Es ist also
an sich wahrscheinlich, dafs nur unter sehr günstigen Bedingungen
solche Neubildungen sich durchsetzen konnten. In der Tat dürften
die ältesten Beispiele, welche noch der früheren Kaiserzeit an-
gehören, auf analogischem Wege entstanden sein: arater in der
lex August, bei Hygin, limit. 112, 24 Lachm. unter Einflufs von
vomer 'Pflugschar'; scalper 'Schnitzmesser' (Celsus 8,3,4) nach
culler, vgl. scalpelliis (Geis. 2, 10. 15. 16 usw.) neben culklhisA Und
von den erst spät auftauchenden Formen: candelaher (Arnob. 1,59),
planster (GGl. II, 589, 56), cereher (Caper VII, 103, 6K., CGI. II, lOO, 5)
zeigen die erste und letzte auch die -tis Endung, vgl. candelabrus
Petron 75 und cerehrus Oribas. syn. 4, lO u. 12, welche dem all-
mählichen Untergang des Neutrums ihre Entstehung verdankt. Weil
aber die Endung -brus fast fehlte, wurde sie trotz rubrus usw. (s. o.)
durch üblicheres -ber ersetzt. Eine Sonderstellung nimmt amphiihealer
CIL VI, 31 893 f., Petron c. 45 (? überliefert -tur) als Lehnwort ein.
Dagegen zeigen die aus dem Griechischen entlehnten Vol^abeln
barbarus und hilarus eine Kurzform auf -ar. Das von App. und
[Prob.] Inst. IV, 102, 8 zurückgewiesene barbar steht CGI. IV, 327, 25;
43i>36; 590» 28; V, 543, 14; hilar lehnt [Prob.] Cath. IV, 15. 8K.
ab. Hilar kann sehr wohl aus hiläris, der später häufigen Neben-
form von hilarus (§ 2^), gekürzt worden sein. Denn echt lateinische
Vokabeln gab es nur auf -äris, keine dagegen auf -äris; und von
den wenigen Fremdwörtern auf -am wie baccärts 'Art Pflanze', cidäris
'Turban', cantharis, capparis 'Kaper' zeigen die zwei ersten ebenfalls
Kurzformen auf -ar: baccar war stets mit baccaris gleichberechtigt,
cidar steht beim Auct. it. Alex. M. 26 (64) und Venant. Fortun. 2, 9, 33.
— Es war also in der Umgangssprache in der Tat die Neigung
vorhanden -aris der Fremdwörter durch -ar zu ersetzen, das in
den Casus obliqui von impar imparis, calcar calcaris usw. kurzes a
zeigt. — Dagegen ist die Entstehung von barbar vielleicht dadurch
begünstigt worden, dafs die einfache Wiederholung der gleichen
Silbe bar- einen ungünstigen Eindruck auslöste, welcher der Be-
deutung von barbarus entsprach, vgl. bardus 'dumm' < ßgaörq
{ßaQÖVTSQog, ßagÖLOroc), bargus 'sine ingenio' (Goetz, Thes. Gl.
^ iincer =^ sincerus CGI. II, 334, 43 nach integer F
I05
em. s. V.), hargin(n)a und haro. — Auch der wegen der vielen r
von harharoriim häufige Gen. Plur. barbaruni kann die Entstehung
von barhar mit begünstigt haben,
c) In der Endung -is zweisilbiger Substantiva scheint nach natura
oder pontione langen Silben Synkope regelmäfsig eingetreten zu sein,
dagegen nicht nach kurzen Silben, vgl. Sommer^ 152. Auch orbis
hätte eigentlich zu orbs werden müssen; da aber vor r -{■ Konson.
das 0 fast einem u gleichkam (§ 7 a), hätte leicht Verwechslung
mit urbs eintreten können und unterbheb die S3'nkope wie in r'etis
und vitis, deren synkopierte Formen mit res und vis zusammen-
gefallen wären (Ahlberg, De accentu Latino 1905, 57). In späterer
Zeit wurde dennoch orbs (nach urbsl) vom Volke gelegentlich ge-
sprochen, vgl. CGI. V, 322, 13; Ven. Fortun. g, 3, 14.; vit. S. Mart.
4, 583 ; verworfen wird es im Fragm. Bobb. GL V, 561, 36 K., bezeugt
durch Martyrius bei Cassiodor VII, 189, 13 K. An der ersteren
Stelle wird auch corbs als vulgäre Form von corbis zurückgewiesen,
das sein i in ältester Zeit vielleicht durch Einflufs des lautlich allein
nahestehenden orbi's behielt. Bei der Entstehung von orbs, corbs
wirkte die Analogiebildung nach den vielen Imparasyllaba auf -ps
•pis stärker als das Streben nach Gleichheit der Silbenzahl in sämt-
lichen Casus.
Obwohl das von App. gerügte nubs nach Serv. ad Aen. X, 636
schon für Livius Andronicus bezeugt ist, glaube ich nicht, dafs
nubs neben nubes eine selbständige Bildung ist und entweder als
konsonantischer Stamm (Stolz * 171, Jacobssohn Z. vgl. Spr. 46
[19 14], 64) oder als /-Stamm (< juibis, Plaut. Merc. 879 \jiubts'\ ist
nur in den Palatini überliefert) oder schliefslich mit Sommer 2 372
nubes als ursprünglicher Plural aufzufassen ist. Denn von den
parallelen Doppelbildungen sind die Formen auf -bes {-pes) die
älteren, die auf -bs {-ps) die iüngeren, vgl. Varro, L, L. VII, 2)o'-
Ennius: '. . . trabes\ cuius verbi singularis casus recius correptus ac
facta trabs (Sat. Men. 391). Mit Unrecht gehen die Lexica von
dem seltenen Nomin. trabs aus — meistens steht das Wort im
Plural oder in einem Casus obliquus — ; auch der abweichende
Stammvokal (vgl. osk. triibum 'domum', umbr. ircbeit, Stamm treb-)
konnte sich am ehesten in trabts entwickeln. — Saeps steht in den
vulgär gefärbten libri r. r. Varros (i, 14,2) und bei Cicero nach
Auson. grammatomastix II, p. 168,5p., saepes ergibt sich durch
Plautus bei [Probus] Cath. IV, 8, 4K.: praesaepes als die ältere Form;
saepes gehört zu saepio wie violes zu molior. Ich halte also auch
nubs, das z. B. noch CGI. II, 508, 12, III, 169, i überliefert ist, für
sekundär: die Nominativendung -es war für die erst viel später im
Vulgärlatein schwindende fünfte Deklination charakterisch und es
wurden zu den Genetiven nubis, irabis, saepis nach Analogie der
vielen Substantiva auf -s, -is neue Nominative auf -s gebildet. Im
späteren Vulgärlatein hat man sich auch eines anderen Mittels
bedient, indem Nominative auf -is geschaffen wurden: saepis steht
Ital. Gen, 38, 29; trabis bei Julius Obsequens u. a.
io6
§ 23. Die Ausdehnung der -uSf -et, -tun Formen.
c) 169 iturus iwn nura 1)) 99 palumbes 7ion palumbus
170 socrus non socra 56 tristis non tristus
43 pauper mulier noti patipera 156 ip(se) non ip{sus)(r)
inulier c) 41 acre non acrum
Über n. i/i u. 172 s. obeu § 2b.
Der allmähliche Untergang der schwächeren vierten Deklination
in der Umgangssprache — schon früh ist das maskul. senaiiis in
die zweite Deklination übergeführt worden — konnte leicht die
neuen Formen socra (socera CIL III, 3895 u. ö.) und nura entstehen
lassen, deren -a überdies deutlicher als -us das weibliche Wesen
bezeichnete. Das Aufkommen von socro (z. B. II, 530, IX, 563)
wurde aufserdem dadurch begünstigt, dafs diese Form besser als
socrus als Femininum zu socer pafste. Angleichung innerhalb der
einzelnen Verwandtschaftspaare, welche im Indogermanischen noch
verschiedene Wurzeln zeigen (ai. sunus-duhitä, gr, vl6c-d-vyäxr]Q\
ai. bhrätä-svasä, \2X. f rater -soror; Delbrück, Ber. Sachs. Ges. 11,5),
findet in den Einzelsprachen öfters so statt, dafs von einem ganz
neuen Stamm sowohl das Maskulinum wie das Femininum gebildet
werden, vgl. \s.t filius filia, gr. ddeMpog ddÜAf/j (Kretschmer Glotta
II, 201), span. hermano, hermana [f rater bekam rehgiöse Bedeutung)
und Osthoff, Vom Suppletivwesen in den indog. Spr. 1900, 15.
Demgegenüber ist die Anlehnung von socrus ]> socra an socer eine
sehr leichte; ihrerseits löste sie auch eine Annäherung von socer
an socra aus, indem mit Synkope zwischen Muta c. Liquida soceriim
zu socrum wurde (§ 1). Dagegen wurde der Suffixwandel in, nura
keineswegs durch ein stammverwandtes Wort beeinflufst und die
sekundäre Entstehung der Form nach socra ist auch deshalb nicht
ausgeschlossen, weil das im Romanischen fortlebende *ndra — vgl.
afrz. nuere, it. nuora, sp. nuera, pg. nora, rum. norä — einen ab-
weichenden Stammvokal zeigt, den es nicht von *novia 'Braut'
(Tappolet, die roman. Verwandtschaftsnamen Diss. Zürich 1895,
127), sondern von socra bekommen hat; auch im vorhist. Latein
hatte sich schon die Endung von nurus nach socrus gerichtet, vgl.
gr. rroc (ig. *snusos, Pedersen BB. 19, 293). Belegt ist nura z. B.
CIL VIII, 4293; 9065, 15. Auch diesmal bietet App. noch
nicht diejenige vulgäre Form, welche den romanischen
Sprachen direkt zugrunde liegt.
Die Tendenz isolierte Verwandtschaftsnamen aufzugeben tritt auch
in dem allmählichen Untergang von kvir und glos zutage, 1 welche
etwa seit dem 4. Jahrb. und auch im Romanischen durch das neue
Paar cognatus cognata ersetzt werden. Wohl zur Zeit als cognatus
sich noch nicht durchgesetzt hatte, wurde ein interessanter Versuch
^ jiepos, das auch Neffe bedeutet, wird in Mailand CIL V, 5902 durch
aviaticus ersetzt, das rätoromanisch ist.
I07
gemacht die Bezeichnung des Schwagers den übrigen Benennungen
der angeheirateten Verwandschaft anzugleichen und dafür suecerio
zu verwenden, das in der Form socerio^ im Sinne von socer schon
gelegentlich benutzt worden war. In einer Inschrift aus Straubing
CIL III, II 977 = Diehl Vulgärlat. Inschrift. 258 = Vollmer Inscr.
Bavaria.e /^26) = 3f. Aur. A7nando com (iculario) ...et Val. Gemellinae
socr. eins ... et Cl. 2Iacrino socro eins ei Val. Valeriano suecerioni
Val. Macrinilla u[x]or et Amandinus et [Am]andina fili et heredes
t[x iis] n. Uli mil. parentihus fac. c. s. v. kann suecerio nach Jacobs-
sohn KZ 44 (19 11), II sowohl den levir wie den Bruder oder
Vater der socrus bezeichnen. Bedenken wir aber, dafs Val. Macri-
nilla das Gentilicium ihrer Mutter Val. Gemellina und nur — in
anderer Form — das Cognomen des Cl. Macrinus trägt, aufserdem
Cl. Macrinus erst an zweiter Stelle genannt ist, so mufs dieser der
Stiefvater der Val. Macrinilla gewesen sein. Da ferner, wie sonst,
die Frau nicht das Gentilicium ihres Mannes {Aur. Amandas) führt
und ihre Mutter weder das Gentilicium ihres zweiten Gatten trägt,
noch das ihres ersten, das sie nach der zweiten Eheschliefsung
sicher abgelegt hätte, sondern ihren Mädchennamen, so läfst sich die
Gleichheit des Gentiliciums der Mutter und der Tochter nur so
erklären, dafs letztere das uneheliche Kind ihrer Mutter ist. Da
ist es nun äufserst wahrscheinlich, dafs auch Val. Valerianus als
unehelicher Sohn das erst aus dem Gentilicium der Mutter abgeleitete
Cognomen bekam und der Bruder (Halbbruder) der Val. Macrinilla
ist; suecerio bedeutet also ohne Zweifel levir. In der germanischen In-
schrift ist suecerio eine interessante Kontamination von lat. socerio
und dem Vokalismus des germ. *swegr, s. (W. Schulze KZ 40, 400;)
J. Bruch, Einflufs der germ. Spr. auf das Vulgärlat. 191 3, 15.
Die durchaus verständliche Tendenz, das Maskulinum und
Femininum der Substantiva communia zu differenzieren führte leicht
dazu, dafs im älteren Latein — zu dem Commune puer [sancta puer
Liv. Andron.) trsitt puella, puera, Lommel a. a. O. (19 12), 18 — wie
auch in späterer Zeit Neubildungen auf -0 entstanden, vgl, sacerda
CIL VIII, 3307, 10575, sacerdofa III, 14900, antistita (Thes. L. L.
s. V.), sodala VIII, 3762, 21071, Pieske 48, coniuga (Thes. L. L.)
u. a. — Auch bei Adjektiven, besonders solchen, welche meistens
eine Person bezeichnen, ist dieselbe Neigung vorhanden und gerade
das gerügte paupera mulier ist interessant, weil dasselbe Beispiel
auch von andern Grammatikern angeführt und schon mit Plautus
belegt wird, vgl. Caper GL VII, 95, 2 K., Serv. ad Aen. XII,5ig:
. . . Plautus : '■paupera est haec inulier, sed hoc hodie non utimur',
1 Vgl. III, 5622, V, 8273; jene Inschrift; D. M Lupus vilicus fccit
Probino actori socerioni et Proba soror fratri o(bito) an(norum) XL et Urse
coniugi Z'ive faecaerunt erklärt Mommsen: Probitio act. def. . . . et filiae eins
Ursae fecerunt Proba soror Probini et Lupus . . . gener Probini Ursae
maritus; dann hätte Lupus seiner noch lebenden Frau ein Grab neben ihrem
verstorbenen Vater gestiftet, was sonderbar wäre; in Wahrheit ist C/rjc Gattin
des Probinus,
io8
ad Aen. III, 539; [Prob.] Inst. art. IV, 82, 38 K.; auch Varrro L. L.
8, 77 und besonders Prisciaa 11, 152, 8: Plauius in Vidularia :
'paupera haec res est\ Wahrscheinlich kam im ältesten Latein nur
paupera zwecks Differenzierung vom Maskulinum vor (es findet sich
z. B. noch Vulg. Marc. 12, 43; Commod. Instr. 2, 30, 9, Neue-
Wagener IP', 25) uad ging erst später auch das Maskulinum in
den Casus obüqui zu der zweiten Deklination über, \^. pauperorum
bei Petron c. 46 u. ö. (Rönsch, lt. u. Vulg. 275), paupero Ital. prov.
19, 17, gerügt von [Palaemon] GL V, 534, 33 K. usw.; auch it. povero,
log. pobaru, M.-Lübke 6305. Ob App. aus der lebendigen Sprache
schöpft oder nur ein häufiges Grammatikerzeugnis aufnimmt, ist
unsicher.
b) Auch das ]\Iaskulinum der Adjekliva communia auf -is
erstrebte gelegentlich eine Sonderform auf -us. Der Übergang von
irisiis zu tristus — belegt bei Rossi inscr. Christ. I, 481 ; vgl. it. tristo,
logud. tristu, rum. trist ALL VI, 133 — wurde aber m. E. durch
maestus begünstigt. Umgekehrt scheint in älterer Zeit iristis auf
das ursprüngliche hi'arus {iAaQOo) formell eingewirkt zu haben,
sodafs ein hilaris, Gegensatz zu tristis, entstand. Hilaris ist nämlich
nicht gleichaltrig mit hilarus, wie Neue-W. II 3, 149 und Georges
Lex. Lat. Wortf. s. v. glauben. Plautus {16 Belege), Caecilius (3 Belege),
Terenz (3 Belege), Pomponius und Lucrez kennen nur hilarus;
Most. 318: tibi nos hilari ingenio et lepidc accipient erklärt Leo hilari
richtig als Nom. Plur. und Poen. 1367: hunc festinn diem habeamus
hilare {-rem P, Harem A) und Terenz Ad. 287: hilare {-rem^ codd.)
hunc su7namus diem wird allgemein hilare geschrieben. Hilaris ist
also nicht zugleich mit hilarus, zur Zeil der Aufnahme des gr. iXaQOc,
sondern erst etwa im ersten vorchristlichen Jahrhundert durch -eine
besondere Veranlassung entstanden. Und die ältesten Belege,
Catull 61, 11: hilari die, Cic. Tusc. 1, 421, 400: voltu hilari, ep. ad
Q. fr. 2, II (13), i: hilari animo führen leicht zu der Annahme,
dafs das entgegengesetzte tristis, das in denselben Verbindungen
häufig war, die neue Endung veranlafste, vgl. noch Horaz ep. i, 18, 89:
oderunt hilarem tristes tristemque iocosi.
Dafs in n. 56 ipsus verworfen wird, ist möglich, aber nicht
sicher angesichts der Tatsache, dafs ipsus archaisch ist und auch
bei Fronto p. 84, iN,, Auson. Bissüla praef. 6, Itin. Alex. 17 (44)
und in den Jamben bei Henzen 5605, 3 — vgl. CGI. IV, 357, 36 —
als archaische Anlehnung betrachtet werden kann. Als neben eapse,
fem. zu ispse (> ipse) ein ipsa aufkam, weil ipse < idpse zwecks
Differenzierung vom Maskulinum zu ipsiim geworden war (Skutsch,
Glotta I, 308), und die beiden Bildungen ohne Unterschied Ver-
wendung fanden, tauchte auch ipsus als Nebenform von ipse auf.
Als sich später (in Übereinstimmung mit ipstini) nur ipsa durch-
gesetzt hatte, beschränkte sich auch das Maskulinum wieder auf
eine Form und zwar, nach ille iste, auf ipse. Dafs ipsus sich in
^ Danach [Prob.] Cath. IV, 15, 9 K.: hilaris legi et lülarus in Terentio.
log
der späteren Umgangssprache aufs neue bildete, ist nicht wahr-
scheinlich, da ü/us, istus fehlten; dafs es sich die Jahrhunderte
hindurch in der Volkssprache gehalten hat, ist möglich, aber
angesichts der Art der späteren Belege nicht sicher. Da sich
App. mit Archaismen nicht abzugeben pflegt, ist die unsichere
Lesart vielleicht nicht die richtige.
Das getadelte pahimhiis 'Ringeltaube', das erst seit Varro r. r.
111,9,21 und Varro Scaurus bei Charis. I, io6, 30K. belegt ist, 1
dann aber häufiger wird (Neue -Wagener 13, 929), ist ra. E. ohne
Zweifel nach Analogie von columhus entstanden. Auch dieses Wort
ist aber erst nach cobimha neugebildet worden (das mit gr. x6Xt\ußog,
xo2.i\ußdg 'Taucher' urverwandt ist), vgl. Varro L. L. 9, 56: o/wi . . .
?nares et feminae dicehantur columhae . . . nunc contra . . . appellatur
7)ias cohimbus, feviina coluinba — späteres simius neben simia —
und die selteneren Belege für columbus, das aber schon zur Zeit
des Plaut. (Rud. 88 7) in der Umgangssprache vorkam. Wie
neben columbus ein columhilus aufkam (Plin. ep. 9, 25, 3), so neben
pahimbus ein palumbtdus, das der von Deminutiven strotzende
,Apuleius belegt. — Im Romanischen hat sich nur die neue Form
auf -US durchgesetzt, M.-Lübke, Wb. 6 181.
Von den der dritten Deklination angehörigen Adjektiva auf
-er zeigt acer eine gröfsere Anzahl Nebenformen nach der zweiten
Deklination, vgl. Thes. L. L. s. v. Besonders oft begegnet das auch
von App. verworfene Neutrum acrum und zwar vor allem in der
Verbindung acetum acrum oder acrum acetu7n. So bezeugen die
Glossen, die sowohl acre wie acrum als Neutrum von acer angeben
(Goetz, Thes. Gl. em. 15, 17), zweimal acetum acrum, nur einmal
acetum acre. Bei den späteren Fachschriftstellern, wie Gargil. Martial.
cur. boum 21, Vegetius mulomed. III, 28, 16, IV, 28 und in der
Mulomed. Chironis (ALL X, 421) u.a. ist acrum acetum, das durch
formelle Angleichung des Adjektivs entstand, gang und gäbe. Wenn
auch der Übergang in die zweite Deklination nicht gerade von acttum
acrum ausgegangen ist — vgl. GL Suppl. 292, 13K. : celebrum; it.
allegro, häufiges ignem acrum bei Dioscorides — , so hat andererseits
diese feste Verbindung die Verbreitung von acer, acra, acrum
sicherlich gefördert, welche Formen auch im Romanischen erhalten
sind, vgl. it. agro, frz. aigre, sp. agro. Die sicheren Belege des
Vulgärlateins sind alle spät, so dafs ich zweifle, ob acrum = acrem,
das nach Charis. I, 117, 13 schon Cn. Matius (100 — 90 v. Chr. geb.)
angewandt haben soll, nicht vielmehr einen Schreibfehler im Text
des Matius (vgl. S. 108, A. i) darstellt. Schliefslich wurde in acris
verberibus der Reg. Bened. 30 (s. Linderbauer z. St.) die Anwendung
der abweichenden Form durch den auch sonst vulgärlateinischen
Wechsel von -is neben -ibus begünstigt, vgl. z. B. Fredegar Chron.
II, ic8, 17: vilis (■=■ -ibus) hominibus, I, 43, 11: in phiris regibus,
Haag, R. F. X, 878.
> Luril, 453 M ist unsicher.
r lo
§ 24. -es > -is.
a) 92 vaies non vatis 104 fames non famis
95 apes non apü 109 proles non prolis
b) 90 cautes non c{auiis) d) 88 ales non (cch's)
103 vepres non vepris lOl (fcj^j «on desis
106 Syrtes non Syrtis 102 r^ji?^ «o;« rw/j
107 aedes non aedis e) 89 facies non fa{ces).
c) 91 plebes non plevis 98 vulpes non vulpis
93 ^aö^j wo« ta-vis 105 clades non cladis
97 suboles non subolis 108 J^^f^j wo« je^z>
100 /«^j non luis
In dieser Reihe sind verschiedene Gruppen zu unterscheiden,
welche einer besonderen Erklärung bedürfen. — a) in vatis und
apis ist das i nicht nachträglich entstanden, sondern ursprünglich.
Dem keltischen Lehnwort vatis (Strabo IV, 4, 4 : jiaQa naGi . . .
ovdteig xal ö^vtSai) entspricht air. faith, dessen t wie in aile =
ak'us durch Umlaut in die Stammsilbe kam. Dementsprechend steht
Plaut. Mil. 9 1 1 vatis in AP — was allerdings Schreibfehler sein
kann — und erst bei Verg. Aen. III, 712 vates, vgl. Zwicker, De voc.
et. reb. Galileis, Diss. Leipzig 1905, 50. Vates entstand vielleicht
nach den vielen Personenbezeichnungen auf -es (mi/es, hospes usw.)
vgl. auch häufiges cives = civis auf Inschriften. Dafs neben vates
altes vatis in der Umgangssprache stets erhalten blieb, ist angesichts
des leichten Überganges von -es zu -is im späteren Vulgärlatein
recht unwahrscheinlich ; vielmehr ist das gerügte vatis eine Neu-
bildung, die auch CGI, II, 364, 53 neben vates bezeugt ist. — Auch
apis hat ursprüngliches 2 (Tib. 2, 1,49; Ovid met. 13,928), obgleich
die Etymologie des Wortes dunkel ist (unrichtig Holthausen, IF
35, 132 apis : opus). Apes ist wohl nur durch die verkehrte Auf-
fassung der Grammatici aufgekommen, welche apis nicht wie Charis.
1,238, 6 K. mit aptus (apio), sondern mit pes in Zusammenhang
brachten; vgl. Mar. Victor. VI, 477, 16K. : apes quasi ajrovg, quod
sine pedihus nascatur, Serv. ad Georg. 4, 257 ; [Prob.] Cath. IV, 26, 17;
und auch App. ist wohl durch diese törichte Etymologie zu der
Zurückweisung von apis verführt worden, das an vier Stellen der
Glossen steht, welche nur einmal (III, 500, i) apes belegen, Thes.
Gloss. em. s. v. Apes steht noch z. B. Sulpicia Sat. 55, Ven. Fort.
3, 9, 25; 4, 10, ii; 6, I, 8. — Ob schon Vergil, Georg. IV, 257:
aut illae (sc. apes) pedihus connexae ad limina pendent eine Etymologie
pedibus apere kennt und diese Varronisch ist? — Diese Vermutung
könnte die bei Varro, L. L. V, loi : volpes quod volat pedibus er-
haltene Etymologie wahrscheinlich machen. Im Gegensatz zu apes
ist vulpes mit e ursprünglich, da gegen J. Schmidt und Lommel,
a. a. O. 69, welche mit vrkis 'Wolff' operieren, Zusammenhang
mit gr. ä(f)X(X)Jiri^ anzunehmen ist, vgl. W. Schulze, KZ 45, 287.
Das vulgäre vulpis ist selten — Patron 58: volpis im vulgären Ge-
rrr
sprach — Porphyr zu Iloraz, Sat. II, 5, 56 ; fünfmal im CGI. III; Not.
Tir. 108, 34; Avian. fab. 40, 7; Anecd. Helv. p. 61, 17.
b) In den unter b aufgezählten Beispielen verwirft App. nicht
die Endung -i's als solche, sondern will sie nur den Plural gelten
lassen. Cau/es ist fast nur Plurale tantum und selten tritt der
Nominativ, z. B. Verg., Aen. 6, 471, Tib. 2, 4, 9 u. a., oder ein Casus
obliquus (Ovid, Seneca) des Singulars auf; der Nomin. ist dann
caufes (Tibull) oder cati/i's und auch App. tadelt ohne Zweifel cau/i's
nicht cotis^, da auch die Pluralform dieses fast nur poetischen und
nicht volkstümlichen Wortes in späterer Zeit selten cofes und regel-
mäfsig cau/es lautet. Dagegen ist in der ältesten Periode coles
beliebt und ordnen wie die Belege kritischer als es im Thes. L. L.
geschehen ist, so ergibt sich, dafs bis auf Vergils Aeneis nur cofes
bezeugt ist, vgl. Ennius, Ann. 421 : de co[nJ/tbus celsis, Cic. Tusc. 4, 33 :
scruptilosis cotibzis , Caes. b. g. 3, 13,9 (richtig Klotz mit ß cotes,
cautes a) ; Verg. ecl. 8, 43 ; georg. 4, 203 : duris in cotibus ; Prop.
I, 3, 4: duris cotibus. Die ersten sicheren Belege für cautes bieten
Vergils Aeneis 3, 534, 699; 4, 366; 5, 163, 205; 6, 471 ; 11, 260
und Tibull 2, 4, 9, und nach Vergil wenden die Dichter mit der-
selben Konsequenz cautes an, mit der man vorher cotes gebrauchte.
Es ist also wahrscheinlich, dafs erst Vergil und Tibull — s. das
§ 5 d über bipennis Gesagte — cautes in die Poesie eingeführt
haben und, da das Wort der Dichtersprache angehört, die Form
eine künstlich lancierte ist, welche zwecks Differenzierung von cotes
'Wetzsteine' und cautes 'spitziger Fels' erst geschaffen wurde. Im
Einklang mit dieser Auffassung steht das Fehlen des hyperurbanen
Lautwandels 0 > au in der lebendigen Sprache (§ 10); und dafs
cautes auch später als poetisch empfunden wurde, zeigt das zähe
Festhalten an cotes des Curtius (4, 6, 8 usw.), der zu den wenigen
Prosaikern gehört, welche im i. Jhdt. das Wort gebrauchten. —
Auch hier zeigt sich der Vergilische Einflufs in der schnellen Ver-
breitung des neuen aus cotes entstandenen cautes, vgl. auch § 5 d
und das erst durch Vergil zur Geltung gebrachte Thybris, K. Meister,
Lat.-Gr. Eigenn. 53ff. Dabei lasse ich die Frage, ob cautes des
Culex 355 und Ciris 467 vor- oder nachvergilisch ist, unberück-
sichtigt. Das ursprüngliche cotes ist nicht von cos zu trennen ;
schwerlich mit Recht versucht Jacobsohn, Z. vergl. Spr. 46 (1914), 59
mit Fick, BB. 3, 166 lit. schkävte heranzuziehen, in dem er '^skevst
als Stamm betrachtet, der im lat. "^cevetes >» covetes zvi covotes >• cotes
wurde: wäre aber nicht cevetes zu cetes geworden wie vivipera zu
vipera ?
Auch in vepres wird von App. nur der Nora. Plur. anerkannt.
Die Grammatiker erwähnen das Wort ausdrücklich als Plur. tantum
(Neue-W. P, 687), vgl. Charisius I, 33, 3 K., Diomedes I, 327, 32K.
und Tract., De dub. nom. V, 592, 19: uepres generis femitiiiii . . .
Singular etn non recipit, qtiamvis Aemilius mascxtline dicat : veper occulta
1 Die Lesart ist unsicher, s. den Apparat.
i\2
rtiis. Und ob Aemiiius Macer wirklich den Singular angewandt
hat, ist zweifelhaft, da veper occulia rtns weder dem Sinne nach
noch metrisch in Ordnung ist [vepre Baehrens, FPL 245) und
vielleicht auch schon Caper fehlerhaft voilag, den der erwähnte
Tractat und [Caper] GL VII, 101, 3: hie . . . veper [vesper M) vel
vepres masculina sunt exerpieren. Weder veper noch vepris ist sicher
belegt — CGI. IV, 484, 13: avena . . . noxia a vepris steht vepris
für vepribus — , so dafs vepris der App. vielleicht nur grammatische
Reflexion ist ; wohl finden wir vereinzelt die Casus obliqui vepre?n,
vepre, Neue -Wagener, a. a. O. Damit erledigt sich wohl auch die
noch von Vollmer aufgenommene Konjektur zu Horaz, Od. i, 23,5:
7ia7n seil viobilihus ve?-is (geändert in vepris) inhcrrtäi | advenius foliis
seu virides rubuin \ dimovere lacertae | el corde et genibus tremit. Auch
zerstört vepris den Zusammenhang mit dem vorhergehenden : ifiuleo
. . . qtiaerenti . . . malrem 71071 si7ie votio | auraruni et siJvae TTietu; aiirarm/i
hat in veris adveTitiis eine kühne, aber unmittelbare Fortsetzung,
weiteres bei Kiessling-Heinze z. St. Der Singular des Deminutivums
vepriaila ist für Pomponius an einer verderbten Stelle des Nonius
p. 231 M bezeugt.
Die Verwerfung von Syrtis richtet sich gegen die Dichter, wie
sich nicht nur aus Priscian II, 328, 13: se77iper plurale . . . Syriis,
liwmi et si7igula>-ifer . . . inve7iitur a poetis proIatii77i (folgen Beispiele
aus Lucan), sondern auch aus dem Fehlen des Singulars in der
Prosa ergibt. Denn an allen von Neue-W. V>, ^22 irrtümlicherweise
aus Livius, Mela, Plinius angeführten Stellen wird die einzelne
Syrtis 7/iaior oder 7/ii7tor genannt oder gemeint, und Cicero de or.
III, 163: 'Syrti77i patri77io7tii' scopulur7i libentius dixerivi verwirft
geradezu diese Metapher. Erst Vergil hat an einer Stelle (Aen.
IV, 41) den Singular angewandt, dem viele Beispiele für Syrtes bei
ihm gegenüberstehen, und fand bei den späteren Dichtern auch in
dieser Hinsicht Nachahmung. Wie Priscian zeigt, fufst App. auch
hier auf grammatischer Tradition. "*
Der wahrscheinliche Zusammenhang mit gr. aid^(0 zeigt, dafs
aedes ursprünglich das 'Götterhaus' bezeichnete und die Bedeutung
'Wohnung' eine abgeleitete ist. Dals aedes, nicht aedis, die alte
Form ist, zeigt z. B. Varro, L. L. VI, ig: Portuno, cui eo die aedes
. . . facta u. a. Dieses aedes wurde zunächst im Plural verwendet,
um sämtliche Räume eines Hauses zu bezeichnen (Plaut., Cas. 662:
07n7iis domi per aedes), bekam dann auch die Bedeutung 'Haus',
und jetzt wurde zwecks Differenzierung ein neuer Singular aedis
'Tempelraum' gemacht, dessen Bildung die vulgäre Aussprache
-es >• -is entgegenkam. Belegt ist aedis 'Tempel' schon bei Varro
und z. B. in den Fasti Praenestini. — Erst viel später wurde in
der Umgangssprache auch aedes 'Wohnung' gelegentlich zu aedis;
vor dieser Catachrese warnt aufser App. wohl auch Charis. I, 2:^, 6 K. :
aedes donius, 7ia7n si aedis dixeris, teTnphnn sig7iificas, vgl. noch CGI.
II, 552,24: aedis ö vaoq 1] oixoq. Auch Jacobsohn, a. a. O. 60
urteilt ungefähr ähnlich; wenn er dort aber an einem uralten Unter-
schied zwischen abstraktem haec torques und konkretem hie torqiäs
glaubt, so vergifst er, dafs torquis bei dem auch sonst Vulgarismen
aufweisenden Properz 4, 10, 44 und bei Statins, Theb. X, 518 zuerst
vorkommt, der sich sofort darauf (v. 527, s. § i) ein arjete sonor 0
erlaubt. Und wie bei Charis. I, 145, 22. 29 Laevius torques als
Femininum, dagegen Servilius Nonianus (unter Claudius) als Masku-
linum verwendet, so steht torquis ttnca Properzens decorus torquis
des Statius gegenüber: torquis ist wohl volkstümliche Form von
torques und übernahm von ihm die Unsicherheit des Geschlechts.
c) Neben den nur als Plurale tantum zugelassenen Wörtern
stehen solche, welche umgekehrt blofs im Singular gebräuchlich
sind; da -es ausgesprochene Pluralendung war, konnte sich hier
-is noch eher einbürgern. An der ältesten von Georges, Wortf. s. v.
zitierten Stelle, Plin. n. h. 33, 52: Saulaces Aeetae subolis bezeichnet
suholis das Einzelindividuum, und die Glossen ergeben die interessante
Tatsache, dafs proles und subohs nur durch yovi], gener atio usw.
und den Plural filii, nati — IV, 381, 10; V, 325, 10; III, 303, 12;
IV, 287, 47; 173,30; 179,3; V, 333, 15 — , dagegen /;W/j und
suholis nur durch filius vel filia (IV, 148,40; 556, 13; V, 324,51;
137,47) und durch filius (IV, 377, 27?; 423,39), nie durch das
kollektive generatio usw. erklärt werden. Textkritisch gewinnen wir,
dafs IV, 274,44: proles filii vel progenies mit a, b, c, nicht proles
filius progenies mit d zu lesen ist, vgl. IV, 381, 10: proles generatio
progenies vel filii. Prolis und subolis sollten den einzelnen Sohn oder
Nachkommen bezeichnen, aber App. verwirft die Formen überhaupt.
Prolis steht Comm. Instr. 11, 16, 7 ; CE 733,2; Not. Tir. 52, 36 b;
— subolis Comm. Instr. I, 36, 7.
Tabis {-vis) ist nicht belegt, für luis wird Prudent. Hamart. 249
(fälschlich auch Comm. Instr. 2, 16,7) angeführt. Dafs äds durch
Pestis beeinflufst sei, läfst sich nicht erweisen. App. wird wohl nicht
zufäUig tavis mit -v- anführen : da es keine Substantiva auf -ves gab,
konnte leicht an Stelle von taves, dessen e an sich nach i hinneigte,
tavis eintreten und Verbreitung finden.
Der Nominativ /«?/«>, den auch Caper VII, 105, 22 K. verwirft,
konnte kaum üblich werden, bevor der Genitivus famis, welcher
seit Cicero, Cat. i, 26 allgemein wurde, sich durchgesetzt hatte. Da
noch Varro nach Charis. I, 55, 15K. huius fami (<^ faviei, nach
der 5. Deklin., so auch Cato, Lucilius) schrieb, so wird das in
seiner allerdings vulgär gefärbten Schrift rer. rust. überlieferte famis
(II, 5, 15) wohl in fames zu ändern sein. Metrisch gesichert ist
famis bei Tiberianus und anderen späten Dichtern. Famis., das
auch Caper verwirft und damit die grammatische Tradition be-
zeugt, ist auch CGI. III, 476, 68; IV, 480, 24 belegt und mufs
deshalb in später Zeit häufig gewesen sein, weil nur von /a??iis
aus das durch sp. hambre, log, famine vorausgesetzte /ö;«/«^;« —
Groeber, ALL VI, 388 — entstanden sein kann; denn gerade das
Schema -is, -inis hat sich ausgedehnt, M.-Lübke, Einf.3 186. Nach-
dem einsilbiges glans als glandis (CGI. II, 255, 37) an den Geneti\ais
Baehrens, Sprachl, Kommentar zur Vulgärlat. Appendix Probi. g
114
ausgeglichen war, entstand der Tendenz des Silbenausgleichs zu-
wider (§ 22) (nach sanguis, -inis usw.) eine neue Deklination glandis,
-inis (CGI, II, 34, 13 -ne), welche rhythmisch glans, glandis entsprach,
vgl. auch das aus glandmis zurückgebildete glando ALL XV, 548.
Ebenso wurde einsilbiges lens, lendis über lendis, lendis zu lendis,
lendinis. Bei verviis wurde der Übergang zu verviis, verviinis (M.-
Lübke, Wb. s. V.) wohl durch t'^r;/««flri? 'Würmer haben' begünstigt;
danach wurde tarmes, tar7nitis 'Holzwurm' zu tarmes, -inis. Erst
dann setzte sich m. E. auch incus, incudis >■ incudis (z. B. CGI.
II, 540, 59) incudinis — incudo (z. B. CGI. II, 584, 21) — durch und
konnte schliefslich auch famis in diese Deklination übertreten (ohne
Erklärung, M.-Lübke, a. a. O.).
Auch plehis und wohl gleichfalls plebs — zuerst bei Cic, Pis. 64
— entstanden kaum, hevox plehis nehan plebi («< -ei, Sommer2 397)
als Genetivus aufkam. Plehes, Gen. Dat. plehi, konnte leicht zwecks
Differenzierung des Gen. und Dat. zu der 3. Deklination übergehen ;
plebs ist als neuer Nom. zum Gen. piebis sekundär wie nubs gegen-
über nubes (§ 22 c). Auch hier war die Endung -is besonders häufig
in plevis mit v, vgl. das oben über tavis Gesagte.
d) Dagegen wurde das i in desis, resis, alis durch die Casus
pbliqui desidis, residis, alitis usw. besonders begünstigt. Da die
Vokabeln reses und deses nicht volkstümlich waren — im Roma-
nisehen sind sie nicht erhalten — und auch bei Charis. I, 29,4;
132, 2 als Belege für -es, -idis zusammenstehen, so ist grammatische
Tradition wahrscheinlich. Deses 'träge' ist erst seit Livius belegt
und wurde nach dem Muster reses, resideo zu desideo neu hinzu-
geschafft, ohne dafs wir von einer rückläufigen Bildung reden dürfen.
Desis, das noch durch desidia, -osus gefördert wurde, steht CGI.
V, 404, 66 (sonst deses in Glossen) ; resis ist auch deshalb unbelegt,
weil die Glossen merkwürdigerweise fast ausschliefslich — an 18
(13) Stellen ^ gegenüber vier Belegen für reses — den Plural resides
anführen, was m. E. sich dadurch erklärt, dafs auch Vergil nur den
Plural (t'/rz, animi, populi) verwendet hat: Landgrafs Vermutung
ALL IX, 419, dafs die Glossen sich auf Vergil beziehen, wird be-
stätigt.
Auch alis ist sicher nicht aus der Volksprache geschöpft, da
es fast ausschliefslich auf die Dichter und poetische Vokabeln be-
vorzugende Prosaiker wie Plinius maior, Apuleius, Ammian be-
schränkt ist; bei Varro, r. r. III, 3, i steht es vielleicht aus etymo-
logischen Gründen, und Claud. Quadr. (12 Peter) bei Gell., N. A.
9, 1 1 , 7 f. : corvus adver sari . . . prospectum a lis arcebat . . . sie tri-
bunus . . . Opera alitis . . . vicit hat ales, wenn es ihm gehört, nicht
ohne Absicht angewandt. — Die Schüler werden zu alitis fälschlich
alis als Nom. angesetzt haben; auch equis CIL VI, 3207; comis
(=zcomes) X, 4500; viilis IV, 1904, 2557 vor 79 n.Chr. u ö. ; adips
(§ 15) waren wegen des / der Casus obliqui geläufig.
^ 5 Stellen sind korrupt.
^^5
Ctadis steht z.B. CGI. 11,573,33; IV, 216, 20; unsicher ist
CE979,6; — sedis CGI. II, 284,42 {sedes, sedis), 329, 27; 111,472,76;
s. noch Neue-W. P, 281; Rönsch, Coli. phil. 171.
e) facies non fa{cis) möchten Bücheier, Rh. Mus. 46, 235 und
Ullmann 179 schreiben; aber wenn Isidor, Orig. 19,26,7 (vgl.
Lindsay z. St.) und reg. monach. 13, \ facistergiuni, väcYit facitergium,
geschrieben hat, so beweist das erst sehr spät auftauchende Wort
keineswegs, dafs es schon früh ein selbständiges _/fl«> (Nom.) =
facies gab ; zu facis führt überhaupt keine Brücke. 1 Ganz unmög-
lich ist facs, d. h. fax, was Endlicher las ; denn fax erscheint nur
als zweites Glied in den Adjektiven bi/ax . . . öiJCQOücoJtoq CGI.
11,30,26; 54,8, womit a[t]trihux seiiex airis buccis IV, 22,37 zu
vergleichen ist. Wir können nur entweder facia lesen, das im it.
faccia usw. fortlebt, aber erst bei Vergil. grammaticus belegt ist,
oder _/ßc<?j. Diese Form ist nun in der Tat bei Paul. Fest. p. 87M.:
faces antiqui dicebant ut fides belegt und über den Sinn [facies) kann
angesichts des in § i besprochenen aries ;> ares kaum Zweifel be-
stehen ; facies wurde zu faces. Mit Unrecht setzt m, E. Jacobsohn
a. a. O. 63 faces als Nebenform von fax an ; denn wenn faces ge-
bräuchlich wäre, wäre facula, das das Monosyllabum ersetzen sollte
(§2b), nicht entstanden. Wie zwa faces — das Charakteristische
an der Fackel ist das Brennen, nicht das Glänzen — faceius werden
konnte, wäre sogar befremdend, wenn facetus 'glänzend' bedeutete,
wie Jacobsohn meint; aber diese Bedeutung ist vereinzelt und
sekundär. — Faces 'Antlitz' sagten nach Festus die antiqui und
tadelte App. als vulgär.
§ 25.
34 lanius non laneo
Die etruskische Herkunft der zu laniena gehörigen Wortsippe :
lanius, lanista, lanisira usw. hat Herbig, IF 37 (19 16/7), 179 wahr-
scheinlich gemacht. Unentschieden läfst er die Frage, ob lanio
ebenfalls etruskisch oder rein lateinisch ist. An sich wäre etrus-
kische Herkunft zu erwägen, da z. B. nach Festus, p. 308 M. subulo
den etruskischen Flötenspieler bezeichnet und die lateinischen Cog-
nomina auf -0 meistenteils aus dem Etruskischen stammen (Schulze,
Lat. Eigenn. 314). Aber es müfste befremden, dafs das seit Plautus
belegte lanius 'Schinder', 'Fleischer' erst bei Petron 392 in der
Form lanio begegnet (vgl. auch CIL X, 6493, erste Kaiserzeit usw.),
zumal an eine jüngere Entlehnung dieses alleinigen Wortes nicht
zu denken ist. Auch war die Endung -0 zur Bezeichnung des
arbeitenden Mittelstandes — vgl. z. B. cerdo, praeco, cocio, linteo,
polio — in Rom so üblich, dafs leicht innerhalb des Lateinischen
1 Nur das Zusammenstehen mit ales non alis , cautes non cauti's usw.
könnte für fades non facis sprechen, s. aber n. 96, 99.
? Wir werden bei Caper VII, 104, 4 latiius . . . dixerunt . . , veteres et
lanio in nomine, wie sonst, veteres cum grano salis zu deuten haben.
8*
ii6
selbst lanio neu aufkommen konnte. Vielleicht gab das neue o
dem Worte einen etwas verächtlichen Sinn, wie vielen auf -o
endenden Vokabeln: popino, gulo, bibo, heluo, catillo, ganeo, lurco,
nebulo, manduco, edo, co?nedo, mando, aleo, paedico, trico, sacco, hucco,
vappo, harOi verbero, sannio, labeo, sirabo, Stolo, tenebrio, lucrio usw.
Schon Plautus hat neben üblichem hgiriipa ein legimpio (Rud. 70Q).
Da seit ältester Zeit -0 verächtliches Suffix ist und daneben den
Handwerkerstand bezeichnet, konnte auch lanius im Lateinischen
selbst zu lanio 'Fleischer' werden, zumal das Wort auch 'Henker'
bedeutet. Das e in laneo entstand durch Angleichung der Zungen-
höhe, vgl. § 3 f.; bezeugt ist es Schol. luv. XI, 141.
§ 26. Das Verbum.
57 tersus non tertus.
Tertus, das Bücheier, Rh. Mus. 45, 159 in Widerspruch mit
der Überlieferung bei Plaut., Stich. 745 und Ps. 164 einsetzen wollte,
belegt Nonius p. 179 mit Varro, Men. 20, i6g und Cato, De lib. ed.
Die Form, welche auch Caper VII, 112, 1 K. verwirft, kann also aus
ältester Zeit überkommen sein und sich in der Umgangssprache
erhalten haben, obwohl es nicht an sekundären Neubildungen auf
-tum fehlt, vgl. conspnrlam Mulom. Chiron, p. 229, 1 1 Od. und Ahl-
quist, Eranos 12, 19 12, 164. — Nach dem Muster der bei Dental-
stämmen [clausus) lautgesetzlich entstandenen Participia Passivi auf
-sus wurde auch bei anderen Verben das -/«i'- Partizip durch -sus
ersetzt; zunächst zu Perfecta auf -si [manst/rus ; inantare ist alt),
dann auch in anderen Fällen W\g falsus zu fallo usw., für welche
kaum percello, perculsus (Sommer 2 608) massgebend gewesen sein
kann. Nun hat sich aber das -/«;«- Partizip gerade dort oft er-
halten, wo dem / ursprünglich ein -rc, -Ic voranging, vgX./arturn <
farctum, ful(c)tu7n, sar(c)tu7}i, mul(c)tum (späteres mulclum ist Neu-
bildung), tor(c)ium und auch tertum <C. teräum. Wie Paul. Fest.
74 M.: forclis bonus und Charis. I, 220,27 sarde zeigen, schwand
das c zwischen r und / ziemlich spät, wohl später als das c zwischen
r und s [ur[c]sus : rksah), das sich nirgends erhalten hat; auch
kann der Schwund etwas jünger sein als die sekundäre Um-
wandlung der Partizipendung -tus zu -sus, welche wegen der er-
haltenen Formen wie mantare wohl später sich vollzog als der Laut-
wandel -res- > -7-S-. Dann hätte aber zur Zeit jener Umwandlung
aus farctiim usw. ein farcsum werden müssen ; da aber -res- nicht
mehr vorhanden war und die Bildung eines farsum nach farsi
damals, als die Form noch, faretinn war, zu weit ablag, h\\eb farctum
erhalten. Als später das c schwand, war die Umgestaltung der
Participia schon ungefähr vollzogen und folgte nur noch ein Teil
der Participia auf -r[e]tum, wie mersus, tersus usw. Aber auch
mertare und tertus erhielten sich, wie z. B. Varro und App. zeigen.
n;
F. Die Suffixe.
§27.
212 tintinaculum non tintinabulum ^0 catuhis non cateltus
213 Adon non Ädonius l forphireticum marmor non
211 rabidus non rabtosus purpureticiim martnur
118 exter non extraneus 4L Byzacenus non Bizacinus
69 primipilaris non primipilarius 194 mergus non mergulus
Das ungewöhnliche, von App. bevorzugte tintinaculum findet
sich nicht nur bei Nonius p. 40, 12 M. (-««-) und CGI. EI, 465,39;
473,67, sondern wohl auch bei Amm. Marc. 17, 1 1, i: atque uit ti7i)tin'-
nacula principi resonantes audire haec taliaque gestienti, vgl. Loefstedt,
Eranos 8, 104, Clark z. St. und unten. Verwechslung der beiden
Endungen -c(u)lum und -h(u)liim ist in der Umgangssprache äufserst
selten, und wenn neben seltenem vectabiilum (Gell., N. A. 20, i. 28)
ein vectaculuvi (Tertull. De bapt. 3 u. ö.) vorkommt, so ist letzteres
vielleicht erst nach vehiculum sekundär entstanden. Awch pisabulum
'Mörserkeule' CGI. III, 321,43 neben p'saadum II, 151, 11 läfst sich
nicht anführen, weil in dem sehr späten Wort eher ein Schwanken
der Endung möglich war. Schliefslich ist auch vesticulum CGI.
II, 596, 39 vesticulum domtcs in qua diversi nutriufihir nicht als
vestibulum aufzufassen, das schlecht interpretiert wurde, sondern
vielmehr mit Loefstedt, Eranos 7,117 vesciculum zu lesen, das aller-
dings nicht belegt ist {vertiaihun Niedermann, Glotta i, 269). —
Ebenso selten ist -culus {-a, -u?n) an die Stelle anderer -ulus Sn^fixe
getreten CGI. II, 441, 8: ovxaXXtg, ficecula, ficedula ist Verwechslung
von c und t anzunehmen und ficetula, ficedula zu schreiben, vgl.
CGI. III, 17,47; 89,72 usw. Sehr oft ist zwar im Volkslatein
manipulus 'Handvoll', commanipulus durch vianiclus, coinmaniculus er-
setzt worden (W. Schulze, ALL VIII, 134), wie it. manochia, sp.
manojo usw. zeigen — Groeber, ALL III, 526; VI, 592 — , aber
Anlehnung an das Deminutivum manicula ist wahrscheinlich. *sco-
culum <! scopulum ist nicht sicher vulgärlateinisch gewesen, da ait.
scoppio belegt ist und it. scogho (und span. escollo) wegen ihres 0
nicht auf scoculus direkt zurückgehen. — Es müssen also ganz be-
sondere Faktoren die Entstehung und Verbreitung von tintinaculum
begünstigt haben, und einfacher Suffixtausch kann nicht vorliegen.
Nun ist aber tintinabulum {-culum) ein onomapoetisches Wort, und wir
brauchen nur beide Formen nacheinander auszusprechen, um uns zu
überzeugen, dafs tintinaculum mit seinen drei Tenues, nicht tintinabulum
die eindrucksvollere Wirkung erzielt; daher schon tintinaculi [viri)
bei Plaut., Truc. 782 um das Klirren der Fesseln der Gefangenen
zu bezeichnen. Deshalb ist wohl tinnabulum und tinnibulum, nicht
aber tinnaculum überliefert: nur in tinntinaculum konnte das Suffix
-culum die onomapoetische Wirkung üben, der es seine Entstehung
verdankt. Es ist also bei Ammian (s. o.) {tini)innacula, nicht tinnacula
gu lesen, was Loefstedt noch für möglich hielt. ^- Zu beachten isf
ii8
noch das einfache n: der klangreiche Vokalistnus i, a, u wurde
durch die Verschiedenheit der beiden / noch mehr gesteigert.
Merkwürdigerweise empfiehlt App. das seltene Adon (seit Varro,
Men. 540, gr. z. B. Theokr. 15, 149), nicht das gewöhnliche Adonis;
wohl deshalb, weil es im Lateinischen sehr wenige männliche Eigen-
namen auf -is, gab, sehr viele dagegen auf -ofi, welche aus dem
Griechischen stammten. Die längere Form Adonius {[4öojVLOq),
welche lateinisch nur CGI. III, 167, 47 belegt ist, weist App, wegen
ihrer Seltenheit und wegen des längeren Suffixes (s. u.) zurück ;
aufserdem sind die Vokabeln auf -om'us, mit wenigen Ausnahmen
wie mutonius, das erst von muio abgeleitet ist, und favonius, das
aber gleichfalls ursprünglich adjektivische Bildung war [fovönius >-
favönius 'der lauende Wind', Sommer 2, 109), alle Adjektiva — prae-
conius, lenoniu!, u. a. — , so dafs auch deshalb -onius vermieden
wurde als Endung eines entlehnten Substantives, für das auch
andere Suffixe zu Gebote standen. Instituta [Probi], IV, 121, 29 K.:
hie Adon, huius Adonis, erläuterten die Form der App., von der sie ab-
hängig sind, s. Einleitung; ganz anders urteilt Serv. zu Verg. Buc.
10, 18: Adon 7iusqua?n leclum est. — Während die meisten Gelehrten
— z. B. V. Wilamowitz, Bion v. Smyrna 1900, 12, E. Meyer, Gesch.
d. Alt. I, 2, 394 f. — für die Phoenikische Herkunft des Namens
eintreten, hat neuerdings Kretschmer, Glotta 7, 29 auf Grund von
Eustathius zu E 203 : liQiötaQXOQ ' ro "uiöcovig " xal tovtu -/uq
q)Yj(jL JtccQCi TO jjdoD eine alte aspirierte Form 'L4d(0P angenommen
und den Eigennamen für echt griechisch 'der gefallen hat' erklärt,
vgl. noch IG VII, 2780, 6 (vor d. J. 250): fdöcor und Bechtel, die
histor. Personennamen 19 17, 22. Aber aspiriertes 'lidcovic, das
spät ist, sieht doch sehr nach etymologischer Erfindung^ einer
grammatischen Schule aus, welche "Aöcovig nachträglich mit avdävco
in Verbindung bracht. Auch wäre die Hauptform \4öo)Vic ('Aöfo-
ViQ) mit ihrer Endung nicht erklärt, welche Kretschmer von einem
unbekannten '''L4(3ct>^'?y oder "4(Joji" ^suavilas' — letzteres auf Grund
des Schwindlers Fülgentius (Myth. 3,8: adon enim graece suavitas
dicitur, wohl aus dem Eigennamen "AöcoT fingiert) — herzuleiten
gezwungen wird. Es bleibt also bei dem Phoenikischen Etymon.
Wie schon das Nebeneinanderstehen von canis rabidus und
canis rdbiosus bei Plin. n. h. 29, 98 ff., auch z. B. Augustin. civ. Dei
22, 22: rabido cane . . . faciatque hominem . . . rabiosum (Schönwerth-
Weyman, ALL V, 215) zeigt, ist die Zurückweisung von rabiosus
nicht ganz gerechtfertigt und sie erklärt sich nur durch übertriebene
Scheu vor dem als vulgär empfundenen Suffix -osus. Denn auch
formell entspricht rahiosus der von Gellius, N. A. 3, 1 2, 3 beobachteten
Regel, dafs die Adjektiva auf -osus nicht von Verba (scherzhaftes
hihosa bei Laberius 80 R. 3), sondern von Substantiva abgeleitet zu
werden pflegen; anders war es allerdings in der Vulgärsprache; so
ist desiderosus (von desiderare) zwar nur in den Schol. Bern, zu
Verg. Ecl. 2, 43 überliefert, aber schon frz. desireux zeigt, wie sehr
desiderosus und desirosus {-de- fiel durch Haplologie aus, vgl. It.
119
Alex. 27) im Vulgärlatein verbreitet waren. Eine interessante Aus-
nahme von der Gellianischen Regel bildet im Hochlatein das seit
Seneca belegte clamosus (von clamare), neben dem das erwartete
damorosus nur einmal bei Ps.-Ambros. serm. 24, 4 sicher belegt ist,
vgl. auch Linderbauer, Comm. z. Reg. Bened. 1922, 221. Die ge-
nannte Regel wurde nl. in diesem Falle durch die noch stärkere
Abneigung des Ohres gegen das Suffix -ostis nach langem d +
vokalischem r durchkreuzt: abgesehen von 7?idrosus sind alle Ad-
jektiva auf -örosus spät {Schönwerth-Weyman 205): vapörosus seit
Apuleius, humorosus z. B. bei Cassius Felix (Wölfflin, Münch. Sitz.-
Ber. 1880,407), honorosus bei Isidor, dolor osus\ vgl. Paucker, Vor-
arb, z. lat. Sprachgesch. 74 ff. Dafs Zufall ausgeschlossen ist, zeigen
frühe Bildungen auf -orosus, wie jiemorosus, iorosus, litorosus u. a.
Auch in dieser Beziehung war an rabiosus mit den zwei der Endung
vorangehenden kurzen Silben nichts auszusetzen, vgl. obnoxtosus,
anxiosus u. a. — Der vulgäre Charakter der Endung -osus, welcher
App. zur Ablehnung von rabiosus verführte, tritt sowohl in den
vielen spätlateinischen Adjektiven zutage, welche dieses Suffix auf-
weisen, wie auch an einigen interessanten Stellen wie Quintil.
5, 10, 10: 'argumentum^ . . . inter opifices quoque vulgatum . . . vulgo-
que paulo numerosius opus dicitur ' argumentosmn'' ; Quintilian führt
argumentosus als Wendung der Umgangssprache an; in der Literatur
kommt es erst z. B. bei Sidonius Apollinaris (6. Jhdt.) vor, daneben
in Glossen. Auch Plin. ep. 2, 19,5: oratio . . . piignax et quasi
conientiosa scheint das vor ihm nicht belegte contentiosus durch quasi
als Neologismus entschuldigt zu haben und mit Unrecht wurde
quasi von älteren Herausgebern nicht aufgenommen, weil es in
einem Teil der Überlieferung fehlt. Häufiger sind Bildungen auf
-osus bei mehr vulgär schreibenden Schriftstellern wie Petron {57:
dignitossus, Heraeus, Sprache Petrons 13) und Vitruv (2, 31: 71011 de
harenoso neque calculoso luto 7ieque sabuloso luio) u. a. Nicht selten
sind auch im alten Latein Adjektiva auf -osus vorhanden, welche
die klassischen Schriftsteller meiden, sycopharitiosus (Plaut. Ps. 12 11,
ähnlich charitosus CIL VII, 10 192 u. a., Heraeus a. a, O. 13) und
Lucilius 1 1 2 1 M. schreibt : squarrosa incoTidita rosira. In mehreren
Bildungen auf -osus des alten und des späteren Lateins erkennen
wir die nie unterbrochene Kontinuität der Umgangssprache, von
der sich die strengere Latinität der klassischen Schriftsteller in
greifbarer Weise abhebt. Wenn aber co7isiliosus zuerst bei Cato
(Gell. N. A. 4, 19, 12) und dann wieder bei Fronto 128N. vorkommt,
wenn propudiosus bei Plautus und Gellius belegt ist, so ist mit der
künstlichen Nachahmung archaisierender Schriftsteller zu rechnen.
— Rabiosus war seit Plautus gebräuchlich ; Cicero, ep. ad fam.
VII, 16, I wendet das Deminutivum rabiosulae {litter ae) an und
Paucker a. a. O. 81 belegt für die Spätzeit rabidosus. In Roma-
nischen hat sich rabiosus erhalten, vgl. it. rabbioso usw.
In exter non extraiieus ist ohne Zweifel nicht die lokale, sondern
die übertragene Bedeutung gemeint, wobei dahingestellt bleibe, ob
120
die adjektivische oder substantivische Verwendung ('fremd' oder
'Fremde') hervorgehoben werden soll. Auch in diesem Falle hat
übertriebene Scheu vor dem Suffix zu der Ablehnung von extraneus
geführt, das neben exter als Fremder (fremd) der späteren Literatur
geläufig ist. So lesen wir z.B. in dem Bibelzitat Jes. i, 7 ff. bei
Tertull. adv. Jud. c. 3; adv. Marc. III, 23: {regionem vestram in
conspecta vestro) extranei {comedent') stets extranei und nur in der
letzten Hälfte von adv. Judaeos, welche Tertullian nicht gehört —
M. Ackermann, Über die Echtheit der letzteren Hälfte von Tertull.
adv. Jud., Diss. Lund 19 18, ggf. — , ist in jenem Zitate (c. 13)
exter i bezeugt. Auch zu her es steht z. B. bei Papirian neben exter
häufig adj. extraneus, vgl. Kalb, Roms Juristen (i8go), 40. Die
grammatische Vorsicht der App. schiefst also weit über das Ziel
hinaus. Exter steht z. B. auch bei Paulin. von Burdigala (weiteres
bei Georges, Wortf, 265), und die Bevorzugung von exter zeugt
keinesfalls für die afrikanische Herkunft der App., wie einst Kalb
116 glaubte. — Aufser extraneus, das seit Cicero (in lokaler Be-
deutung) belegt ist, begegnet seit Lucrez 4, 277 extrarius. Vielleicht
läfst Paul. Fest. 7 8 M. : extrarius est qiii extra fociim sacramentum
iusque sit , extraneus ex altera terra, wenn mehr als eine blofse
Differentia dahinter steckt, extrarius wegen der sakralen Bedeutung
als älter erscheinen — vgl. Pokrowsky, ALL XVI, 361 ff. — und
förderten auch die unmittelbar einander folgenden r, welche lästig
waren, die Verbreitung des allerdings nicht ganz synonymen extraneus.
Zu vergleichen ist teinporaneus, das neben schon bei Nepos belegtem
temporarius erst in der Vulgata und bei Augustin in P2rscheinung
tritt, Cohn, Suffixwandel im Vulgärlat. 18. — Überhaupt läfst sich
von den Doubletten -arius und -aneus die erste Endung fast immer
als die ältere erweisen. So erwähnt Fest. 226 M. proletaneus , eine
sonst nicht belegte Nebenform von prolelarius. Praesentarius {iiummi
usw.) lesen wir schon bei Plautus, praesentaiieus {ve7ienum) erst bei
Plinius und Seneca ; dasselbe zeitliche Verhältnis zeigen subitarius
(Plautus) und suhitaneus (Theod. Priscianus). Vereinsamt steht spätes
ripaneus CGI. V, g7, 8 neben üblicherem riparius (seit Plinius) da.
Von Wichtigkeit ist ferner, dafs Gell. N. A. 3, 18, 10 pedanii (sc.
senatores) als vulgäre Nebenform von /^ä^c?^// bezeichnet. Als vulgär
empfindet vielleicht Mar. Victor, die Endung -aneus sogar als
solche, wenn er VI, 25, 16K. : non est, ut emendastis, porca praeci-
danea, sed praecidaria, praecidaneus zurückweist, das schon bei
Cato, agr. 134 steht und auch zur Zeit des Victorinus, wie seine
Worte wohl zeigen, lebendig war, App. steht jedenfalls mit ihrer
Vermeidung des Suffixes -aneus nicht allein. Auch die roma-
nischen Sprachen zeigen die Ausdehnung von -aneus im Volks-
latein. So hat sich wohl suhitanus, Nebenform von suhitaneus —
Pokrowsky a. a. O. 365 — , nicht aber subitarius erhalten; dasselbe
gilt für extraneus, das in it, strano, frz. etrange, sp. estraiio usw.
welterlebt — M.-Lübke, Wb. 3098 ~, während extrarius ver-
loren ging.
121
Das ungewöhnliche, von App. getadelte primipilarius konnte
aus mehreren Gründen leicht aufkommen. Erstens bezeichnete die
Endung -arius sehr häufig Personen, während der zugehörigen
Bildung auf -aris nur adjektivische Bedeutung zukam; so steht
neben lapidaris 'steinern' lapidarius 'Steinmetz', neben focaris 'zum
Herd gehörig' focarius 'Küchendiener', neben solearis 'sohlenartig'
solearius 'Verfertiger von Schnürsohlen' usw. Leicht konnte das
Substantiv primipilaris ebenfalls die Enduug -arius annehmen.
Ferner ist zu beachten, dafs die durch -arius bezeichneten Personen
des öfteren den niederen Schichten der Gesellschaft angehören,
wie aufser den angeführten Beispielen argentar arius CIL Vi, Q171;
cakariarius VI, 9384 usw. zeigen. In charakteristischer Weise be-
zeichnet epistolarius 'Briefträger' einen niederen, epistolaris 'Sekretär
des kaiserlichen Kabinetts' (Cod. lustin. 7, 12, 24 u. ö.) einen vor-
nehmeren Wirkungskreis. So können schon allgemeine Erwägungen
zu der Annahme führen, dafs primipilarius als die einigermafsen
geringschätzige Bezeichnung des primipilaris durch die Soldaten
aufzufassen ist, welche auch mit Spitznamen sogar den höheren
Angestellten gegenüber keineswegs zurückhielten und z. B. die
persönlichen Begleiter des Feldherrn mit einem ebenfalls mit -arius
gebildeten Spottnamen huccellarii nannten, weil diese besseres Brot
bekamen als sie selbst, vgl. Kempf Jahrb. f. Klass. Ph. S.-B. 26, 377.
— Dafs in der Tat prim>pilarius eine geringschätzendere Bedeutung
hat als primipilaris , zeigt eine der wjnigen Belegstellen, Spartian.
Pescenn. Niger c. 2, 4: ad occidendum autem Nigrum primipilaretn
Julianus miserat, stulte ad eum, qiii haheret exercitmn, quasi qualislihet
Imperator a primipilario posset occidi; während zuerst das übliche
primipilaris steht, wird im folgenden der Hoheit des Imperators
die niedrige Stellung des subalternen Militärs durch die Form
primipilarius in drastischer Weise gegenübergestellt. Eine Bestätigung
gibt m. E. auch Val. Max. 6, 1, 12: hoc movit C Marium . . . cum
. . . sororis suae filitwi^ iribunuvi milihan, a C. Plotio manipulario
miliie iure caesu7n pronuniiavit, wo das ungewöhnliche jnanipularius
milcs (anstatt manipularis) den niedrigen Stand des Soldaten hervor-
heben soll, der gegenüber einem irihunus militum und Verwandten
des Marius Recht bekam. Unter Verkennung dieser Tatsachen
schrieb Kempf in Widerspruch mit der Überlieferung vianipulari
{-re der Parisinus). — Auch App. wird primipilarius als gering-
schätzende Bezeichnung empfunden und abgelehnt haben.
Unberechtigt ist die Zurückweisung von caiellus, das neben
catulus stets und bei den besten Schriftstellern vorkommt. Auch
hier führte Scheu vor der Endung -ellus zu der Verurteilung von
caiellus, da etwa seit dem dritten nachchr. Jhdt. eine grofse Menge
von Neubildungen auf -ellus {-a, -um) auftritt, während vorher das
Deminutivsuffix -ulus genügte. So ist casella bei ps.-Augustin serm.
^PP- 75) 2 belegt, plagella bei Cael. Aurelianus, roiella bei Augustin,
collicelliis und monticellus bei den Gromatici, navicella bei ps.-Augustin.
serm. app. i u. 2, üoscellus bei ps.-Apuleius usw. — Derainutiva
122
auf -ellus treten in älterer Zeit nur in bestimmten Fällen häufiger
auf: 1. wenn von viiulus, caiulus {< catelos wn^x. catel) schon in
ältester Zeit durch das Suffix -los ein Deminutivum gebildet wurde:
*caiel(oJ-los ]> catellus. — 2. Hatte die Endung -idus keine deminutive
Kraft, so konnte nach vitellus usw. als Deminutivum -ellus eingesetzt
werden: iabella, fabella (sitella, maiella), angellus nur bei Lucrez 2, 426
und seinem Nachahmer Arnob. 7, 4g. — 3. In Hypocoristica wie
anicella (§ 2 b), mamtlla, ocellus; von den seltenen Adjektiva auf
-ellus ist gerade hlandicella schon bei Paul. Fest. 35 M. belegt. Für
das schon früh bezeugte arcella (vgl, aber auch capsella, eiste Ha)
gibt vielleicht Char. I, 79, 20: loculus, cuius hypocorisma est hie
locellus (seit Caesar) das richtige Verständnis; da arca (Sarg) und
loculus zu den verha funehr ia gehören, konnten arcella und locellus
früh üblich werden, vgl. lectus vitalis 'Totenbett' (Hey ALL XI, 521 f.),
ire 'sterben' (Glotta V, 98) und ähnliche Euphemismen. — 4. Wenn
das ursprüngliche Deminutivum einen anderen Sinn bekam oder
durch die Endung -ellus dem Wort eine neue Bedeutung ab-
gewonnen wurde. Sportella 'Körbchen' kam vielleicht früh auf
(Petron 40,5), weil sportula auch 'Geschenk' bedeutete. Neben
buccula 'Bäckchen' (Plautus) tritt huccella in der neuen Bedeutung
'Bissen' seit Martial 6, 75,3 (über die buccellarri s. o.). — In der
Hs. wird catulus non ca\te)llus noch einmal wiederholt; angesichts
Caper VII, 108, 12K.: catinus hie, non catillus (so M) könnte man
auch für App. dieses Lemma einsetzen; aber ich lege auf diese
Vermutung keinen Wert.
Porphireiicus ist neh^n porphyrites {jtOQCfjVQirrjQ) 'Porphyr' durch
sein e auffällig, während doch in coralliticus und lychniticus {Xv^viT^jg
'leuchtender Marmor') das / geblieben ist, so dafs man -eticus, nicht
so erklären darf, dafs -iticus vor allem die an einer Krankheit
leidenden bezeichne (nephr iticus, pleuriticus usw.) und in anderen
Fällen im Volksmund zu -eticus umgewandelte wurde. Vergleichen
wir auch spleneticus und phreneticus neben sple7iiticus und phreniticus,
so werden wir vielmehr zu dem Schlufs gelangen, dafs die äufserlich
sehr ähnlichen Endungen -eticus und -iticus durch Einflufs des
vorhergehenden Vokals leicht vertauscht wurden und spleneticus,
phreneticus durch Assimilation an das erste e entstanden, dagegen
porphiriticus , das einzige Wort auf 'iticus, das in seiner ursprüng-
lichen Gestalt drei i in oflfener Silbe hatte, durch Dissimilation zu
porphireiicus wurde; daneben blieb porphiriticus , Not. Tir. 100, 99,
CGI. V, 585, 14. Sogar in die Hochsp'tache vinxde, porphyreticus ein-
geführt (Suet. Nero 50), obwohl hier wegen des y (nicht i) der
eigentliche Grund für die Entstehung der neuen Endung wegfiel;
auch App. wird porphyreticum empfohlen haben. — Nur in porphi-
reiicus erklärt sich das e, nicht in purpur eticus, das nichts anderes
ist als eine durch pur pur a veranlafste Umbildung von porphireiicus;
CIL VI, 222 steht purpuriticus (vgl. porphiriticus, s. 0.).
Leicht verständlich ist der Suffixtausch in Bizacinus, das CIL
XIII, 686 und laterc. Veron. 1 2, 3 bezeugen. Da die Einwohner
J2$
der verschiedensten Städte mit dem Suffix -inus, nicht mit -enus
bezeichnet werden — vgl. Reatinus, Ätaciniis, Tarentinus und vor
allem das lautlich ähnliche Byzantmus, das seit Tertullian vorkommt
u. a. — , konnte auch für die Einwohner der Provinz Byzacium
leicht die Endung -inus verwertet werden. Auch die Saraceni
werden im Romanischen zu Saracini. Schon die Amtsbezeichnung
früherer Statthalter Byzächims auf stadtrömischen Inschriften (CIL
VI, 1690, 1691 u. ö.) verbietet auf Grund dieses Namens die App.
in Afrika zu lokalisieren, s. Einleitung.
Aus Angst vor längeren Suffixen verwirft App. auch mergulus,
das, wie Ambros. Hexam. V, 13,43: merguli, fulicae, ardea = Verg.
Georg. 1,361 — 364: mergi, fidicae, ardea zeigt, mit mergus ganz
identisch ist. Das Wort ist nur spätlateinisch belegt (Vulg. Levit.
II, 17, Deuter. 14, 17 und in Glossen), daneben steht CGI. III, 436,5:
mergunculus. Da nach dem Muster lego — legulus 'Aufleser der
Oliven', credo — credulus, tremo — tremulus, cingo — cinguhim, tego
— tegulum die Schaffung eines neuen mergulus zu viergo vollkommen
verständlich ist, brauchen wir nicht mit Jacobsohn Charites für
Leo 433 A. 2 ein durch Dissimilation umgestaltetes *mergurus an-
zunehmen, das mit ai. madgura 'Taucher' identisch sei. (Im
Romanischen steht neben den Fortsetzern von mergus prov. margolh.)
Anhangsweise sei hier 210 allec non allex behandelt. Aus
aXixöv der KoiVi], das die Attizisten (Moiris p. i8g, 1 B) dem
Attischen äXvTCOV gegenüberstellen, ist a(l)lec 'Fischlake' entstanden,
das bei der Zurückziehung des Akzentes die Endung verlor und
vielleicht schon damals den Konsonanten verdoppelte (§ 13). Da
Substantiva auf -ec fehlten, wurde schon früh allex üblich, das nach
Priscian II, 212, 15K. bereits Verrius Flaccus gebrauchte, Neue-
Wagener 13, 826 und Thes. L. L. s.v. Wichtig ist der Übergang
der ungewohnten Endung der Casus obliqui -icis zu -icis im südit.
alice neben sp. alece, der mit vervicem «< vervecan — afrz. berbiz,
prov. berbitz (Cohn Suffixw. 41) — zu vergleichen ist. — Während
hier seltenes -ec durch -ex ersetzt wurde, finden wir umgekehrt
zu principis den Nomin. princep CIL II, 4832, III, 7856, VII, 302,
welcher vollkommen aus dem Schema herausfällt, als Neubildung:
bald tilgt, bald erzeugt die Volkssprache isolierte Formen.
G. Zur 'Wortbildungslehre.
§ 28.
20b orilegium non orolegiiim
2 2 aquaeductus non aquiductus
159 terraeviotus non terriinotium
Der Kompositionsvokal des Indogermanischen, f, ergab im
Lateinischen durch Schwächung i, vgl. anniger <[ armogeros. Das
Umsichgreifen des / in dieser Funktion zeigt schon iuridicus, foedi-
fragos (Laevius), honorißcus usw. Lindsay Lat. Lang. 363. Plaut.
124
Ps. 362 sociofraude macht einen abweichenden Eindruck und oclopeta
hat sich § 2 b durch seinen zweiten 0 -Vokal als hybride Bildung
herausgestellt. Erst jetzt kann das gebilligte orilegium erklärt werden.
Da man von der Sonnenuhr die Stunde ablas, entstand aus coQoXöyiov
volksetymologisches orolegium, Keller Volksetym. 99; umgekehrt
entstanden besonders in griechisch beeinflufsten Gebieten sortiloca
(= -gd) CIL VIII, 6i8l, sortilogiis IV, 5182, sacrilogos VI, 9659,
Sommer 2, 60. — Das allmählich latinisierte orolegiu?n zeigte nun
aber griechisches 0 und indem App. die wohl allgemeine, lateinische
Form der in Rom häufig aufgestellten (Daremberg und Saglio s. v.
horologium) Uhren anerkannte, verlangte sie nun konsequenter Weise
auch das i in der Kompositionsluge; und dafs sie mit dieser
Forderung Vorgänger hatten, zeigt CIL II, 4316 (Antoninenzeit),
aber daneben blieb orolegium, s. CGI. V, 364, 12: orolei und dazu
ahd. orlei. Merkwürdigerw^eise steht in den vulgären Gesprächen
Petrons 26, 71: horologium: entweder ist orilegium jünger oder
Petron bevorzugt doch im einzelnen die hochlateinischen Formen,
besonders wenn er seinen Griechen und Süditalienern giiechische
Lehnwörter in den Mund legt.
Aquilex 'Wasserauffinder' und aquilentus 'feucht' ist seit Varro
(Men, 444, 400) belegt. Wichtig ist der Übergang von aquaelicium
Paul. Fest. 2 M zu aquiliciiim bei Tertull., Apol. 40, von aquaemanale
(Varro bei Nonius 547) zu aquiminale bei Paul. dig. t,^)^ lO, 3. 4 usw.,
der ungefähr für dieselbe Zeit belegt ist, in der auch App. gegen
aquiductus auftritt. Wir haben es keineswegs mit einer lautlichen
Entwicklung ae'^ e 'y- i — aqueductus [-iiiini) CIL III, 8088, VI, 29844
— zu tun, richtig Jordan, Herm. 7, 367. Über das Alter des /" in
it. acquidotto, -doccio steht nichts fest (Ullmann 69). Aguidiict.
(Akk. Plur.) ist CIL XII, 4315 belegt; häufiger war wohl aqiäductium
(CGI. II, 462, 5 ; 111,326,71), da die neue Endung das Gefühl
der Komposition erzeugte und dieses die Entstehung des /' be-
günstigte.
So entstand auch das nicht belegte terrimotium — terraemotum
CGI. II, 430, 25, 501, 35 — , das aufserdem durch territorium be-
einflufst werden konnte, da der Römer den Unterschied in der
Wortbildung der beiden Wörter nicht empfand. Umgekehrt finden
wir in den späten Form. Andecav. 7, 20. 21 und 6, 14; 11, 19.31
terreiurium und terraiurium, Slyper a. a. O. 30.
H. Syntaktisches.
§29.
220 nobiscum nojt noscum
221 vobiscum non voscum
Die in it. nosco^ vosco fortlebenden Formen noscum, voscum sind
zwar unbelegt, aber schon im i. Jhdt. nach Chr. ist cum -\- Akk.
bezeugt, vgl. CIL IV, 221 : cum sodales, 275: cum discentes und Diehl,_
r25
De -m fin. epi'gr. 1 7 ff. Da me und te sowohl Akkus, wie Abi.
waren — im ältesten Latein entstanden Akkusativformen med und
ted mxi ablativischem -d — , konnten, als cum -}- Akkus, in Erscheinung
getreten war, in mecum und tecum die Pronomina leicht auch als
Akkusative aufgefafst werden und nach Analogie noscunty voscum
aufkommen, welche mecum, tecum, secum auch formell entsprachen.
Zu vergleichen ist die verbreitete Formel pro se et suos (CIL
III, 1038, 1600, 7833, XI, 619 [a. 170], XII, 1185), welche da-
durch entstand, dafs nach pro, das seit dem 2. Jhdt. gelegentlich
den Akkusativ regierte, gerade se besonders leicht als Akkusativ
empfunden werden konnte. — Die Kasusverwechslung trat bei
Präpositionen am ehesten ein, wenn diese sonstigen Präpositionen
begrifflich verwandt waren, welche einen anderen Kasus zu sich
nahmen. Schon bei Petron 3g : quihus prae mala stia cornua nas'
cuntur und 46: scimus te prae litter as faiuum esse si^i prae =. propter
mit Akkusativ; erst in späterer Zeit (Jul, Val. p, 41, ig, 105,12:
prae ceteros) findet sich prae auch in anderer Bedeutung mit dem
Akkusativ, s. Glotta IV, 277. — Nachdem man voscum, noscum, quicum
nicht mehr als volles Kompositum empfand, wurde cum noch einmal
vorne angehängt; eine Bildung wie CIL XI, 5779: conquicu (vixit)
ist eine Vorstufe des sp. conmigo, contigo. Auch sonstige in letzter
Zeit besprochene Charakteristika des späteren Lateins haben im
Spanischen ihre Fortsetzung; so entspricht dem seit Plautus be-
zeugten Gebrauch von esse als Verbum der Bewegung — Stich. 337:
/ui propere a portu u. a.; Loefstedt, Peregr. Aeth. 172, nicht über-
zeugend Salonius, Vitae Patrum ig20, 155 — das span. fueron a
Madrid 'sie kamen nach Madrid'. Auf weiteres mufs ich verzichten.
I. Vermischtes.
§30.
94 sufpellex non superlex
Die im Vulgärlatein häufige sogen. Rekomposition -^ cofi/aa'o
< conficio usw., fälschlich delacta = delecta CIL VIII, 5834 — tritt
in anderer Form in superlex auf, das CIL VI, 8973 : superlectile,
CGI. III, 92, 8 ff. : de superlectile . . . superlex . . . lectus . . . lectica usw.;
320,61 steht. Mit Recht vergleicht Heraeus 315: per lax CGI.
IV, 376, g (Vel. Long. VII, 65, 16K.); vgl. noch perluvium ^= pellu-
vium CGI. III, 410, 53 ; perlavia II, 147, 23 {peres ^= pedes Consentius
V, 3g2, 15 K.). — Von besonderem Interesse scheint mir in diesem
Zusammenhang das Schicksal von presbyter in Romania zu sein,
das teils erhalten ist — frz. pretre, aprov. prestre, sp. preste — ,
teils durch *prebyter ersetzt vioirde, vgl. rum. preot, it. prete, afrz.
prevoire. Selbstverständlich kann nicht das nur äufserlich einiger-
mafsen gleiche praehitor 'Lieferant' (!) 2XLi presbyter gewirkt haben,
wie M.-Lübke, Einf.3 178 mit Ascoli glaubt, sondern entspricht
das neue prae der Tätigkeit des Presbyters als Vorsteher der.
126
Kirchengemeinde und wurde es durch praeposUus [praeesse) usw.
veranlafst. — Aiiscülto wurde einerseits zu asculto (Caper VII, io8, 6K.
warnt davor), andererseits im frühen Vulgärlatein zu osculio (§ lO,
unbelegt); unter Einflufs anderer Komposita wie absiineo, obsecro
wurden nun auch ahsulto bei Gregor (Bonnet 143) und anderen
(Stangl, Cassiod. 555) und ohsculio gebildet. Da au y> 0 der älteren
Umgangssprache angehört (§ 10), mufs ohsculto früh gebildet sein
und in der Tat ist es in Pompei CIL IV, 2360: ops[c]uItat bezeugt.
Die Form erhielt sich — lokal beschränkt? — bis zur Zeit des
heiligen Benedictus, der sie Reg. Bened. i (Linderbauer z. St.) an-
wendet. — Wie häufig / prosthet. vor s -\- Konson. zur Präposition
in- wurde, zeigt L. Sommer, De prosthesi et aphaeresi, Diss. Jena
1900. — In Inschriften steht auch supellex, supelex (VI, 9049 mit
Anm., Albinus VII, 309, 30 K.). Da durch Horaz, Sat. 1,6, 118
supellex metrisch gesichert ist, kann super lex aus dieser Form ent-
standen sein. Wie Albinus hat anscheinend App. doppeltes p und
/ verlangt.
Das verderbte homfagimn non monofagium (47) ändert Ullmann
177 im Anschlufs an Endhcher und Haupt, Opus. III, 566 in om-
phacium (CGI. III, 571, 63 usw.) non omfagium, Heraeus mit Brandis,
De aspir. lat. p. 6, A. 1 in omofagium non monofagium. Wahr-
scheinlich ist monophagium, obwohl sonst nicht belegt, angesichts
Joseph, ad Macc, 14: jtaTTO^ayia Xaifiagyia fioi'og)ayia, Aristoph.
Wesp. 923, Ameipsias I, 677K. : £qq' sig xoganag fioi'ogxxye und
angesichts der Angriffe Martials (7, 59) und Juvenals (i, 95. 139)
auf die f/ovocpayot — s. K. Prinz, Martial und die griech, Epigr.
I (1911), 58 — in Rom zur Bezeichnung der Gefräfsigkeit ver-
wendet worden, während es erst später im Griechischen für die
einzige tägliche Mahlzeit der Mönche belegt ist. — Omophagia ist
zwar bei Arnobius 5, 19 Bacchanalia . . . quibus nomen Omophagiis
graecum est bezeugt, ist aber nur Übersetzung des auch sonst von
ihm benutzten Clem. Alex. Protr. 2, 12, 2 (I, 11,15 Stähl). Eine
etwas andere Bedeutung hat omophagiutn bei Cassian, Inst. 4, 22:
nee . . . cura inter eos ... coctionis imperiditur, quippe qui maxi7ne
xerophagiis vel omophagiis ntuntur. Welche Bedeutung man auch
für das Wort zur Zeit der App. voraussetzen mag, unwahrscheinlich
ist die Annahme, dafs omophagiwn mit dem begrifflich abliegenden
monophagium verwechselt wurde. — Während noch Tertull., Adv.
psych. I, 5 die griech. Endung -ia in xerophagia beibehält, hat die
auf Cassian sich beziehende Glosse V, 426, 41: xerophagia (Plural,
wie bei Cassian -//>): herbae quae comeduntur incoctae usw. xero-
phagia ^ mehr der lateinischen Wortform entsprechend, als Neutr.
Plural, verwendet. Ohne Zweifel schrieb auch App. : monophagia
(-fagia) non inonofagium.
Hoffnungslos unleserUch ist n. 158; für Emendationsversuche,
denen ich nicht beipflichte, s. Foerster und Heraeus 324. Auch
amurca non amurga (Ter. Maur. 898 : amurgam . . . plurimi) oder
aplustria non aplustra (zu aplusire s. Prlscian II, 350, 24 K.) wären
127
denkbar. — Auch für das korrupte canndain non canianus (18) liefsen
sich viele Vorschläge machen, z. B. cannabis, non cannape (-pts,
-bus, -ba, 'btim), vgl. Caper VII, 108, 11 K.: cannabe hoc non cannabis
codd. BC ; canalis non canale ' (Thes. L. L, s. v.) ; canalts non
canaliculus (Nonius p. 198); canis non cankula; cammarus non cam-
barus, vgl. Caper VII, 108, 13K.; canna non cannula, candela non
candelula usw. — Nicht möglich ist canna non calamus (Heraeus),
da Obszönes gemieden vi'ird. Aber zu Sicherheit gelangen wir
hier nicht.
Corrigenda.
S. I, Z. 8 V. unten lies: übertriebener
S. 3, Z. I lies: das
S. 9, Z. 2 V. unten lies: eine andere E.
S, 12, Z. 3 lies: dafs dem
S. 12, Z. 24 lies: nur dafs
S. 17, Z. 32 lies: fünften
S, 23, Z. 18, 21 lies: aidil
S. 29, Z. 9 lies: färä.
Indices.
Abetem lO
abia = avia 45
abies 1 1
accia(rium) ']']
acetum acrum 109
aedilis (aidil) 23
aeditu(m)us 65
Aiax 92
alberga 69
albor 69
a(u)nculus 81
anfractus 90
apexa(bo) 61
aquilicium 124
aquimanale 124
aramen 29
arater 104
arcella 122
archlum 27, 63
ares, aries 11
argumentosus 1 1 9
assares 29
auca 29
aucellus 22
aviaticus 106^
aviolus 81
avius 81
Baccar 104
bacillns 18
balbae 79
Bataorum 82
berbex 79
berna 79
bestens, -ea 42
betranus 81 ^
bixit, bivus 80
blandicellus 122
I. Wortindex.
Caldarium 13, 15
candelaber 104
castra 94
cereber 104
cidar 104
cinquacinta 87
citto 75
clamosus 119
clanculum 21
claustrum 62
clustrum 73
cocturnix 85
roda 62
colophus 26
colostra 25
columba, -bus 109
comedere 22
conquicu 125
contentiosus 1 19
conucella 68
coors 44
coplata 17
corbs 105
coriacea 92
cos III
criblo, -blum 70
cura agente 15
umbr. katel 23
Demoror 57
denego 57
desi[de]rosus 118
detudes 57
dext(e)ra, dextrorsum 13
discipulus, discipb'na 13
diäpessis 78
dolium 40
dolobra 26
Ebrius, -osus i
ebur, -uris 54
i-nrä^aivog 84
esse = venire 125
extrarius 120
Pacetus 115
famul 23
faras 29
festucum 51
ficetula 117
fill^us 77
filiölus 9, 12
fiola 36
fleugmaticus 88
frz. flotter 86
fons 54
fox 62 ^
fragellum 68
fraglo 70
frigidcrium 15
fugia(m) 98 .
furo 55
Qagantem 32
gaudia 94
genuclum 35
glandis, -o 1I3
grandula 69
grassus 88
grates 88
Hilar 104
hilarus 108
(h)eres loi
here(n)3 96
hie 22, lOI
homo, hemo 25
horoma 28
(h)ortus 10 1
(h)ostium lOI
laiunus 33
ienicla 33
ienuarius 33
impelimenta 83
incudis, -do I14
infra, inferi 14
inte-grum 9
interanea 49
interocile 49
ipiclo 73
isde 97
frz. jeter 86
Laceus 66
laptuca 86
larba 79
lasar 29
lendis 114
lienis 103
lorandrum 69
lubrica 69
Maesoleum 70
magnum tempus 22
mamor 74
manducare 22
maneo 71
maniclus I17
manipularius 121
masculus 21
medius 53
melicae 83
misoleum 70
molu(i)mentum 70
rnons 54
mulierem 9, II
munirnentum 70
Naffa 70
navellum 68
negotias 95
neofitus 48
nept(i)a 20
nespula 70
nilbus 70
Noember, Nuember 58
novilis I
Obsculto 126
oclopeta 18
Octuber (-bres) 57
olfacio 13
olla 62
opilio 58
oscinis 103
Ovum 26, 82
Palafredus 69
palfebra, palpetra 70
paramboli 28
parapsis 28
paretem 9
pedarius, -aneus 120
peduclus 35
pelegrinus 69
penna, pinna 50
phreneticus 122
pilum 44
plauster 104
ploro 22^
plostrum 62
plurigo 69
pons 54
porfidum 70
portare 22
posteri, postridie 13
pover(os) 34
prae + Akkus. 125
praecidarius, -aneus 120
praesentarius, -aneus 120
praesilium 83
prebyter 125
pridie = pridem 98
primum tempus 22
princep 123
prociter lOO
proda 70
proletarius, -aneus 120
prüdere 70
Quarranta 87
Radum 70
ranuclus 35
reliciae 66
retina 47, 103
robus 100
ruptus 86
Saeps 105
salma 88
scalper 104
scarpellum 68
secors, -dia 38
senecio, sinicio 49
serpuUum 61
singlariter 17
sol(i)datus 92
sorex, -icius 22
spleneticus 122
splenis 103
sponsa 56
sportella, -ula 122
suecerio, socerio 107
superstens 96
supra, superi 14
Tarmes, -inis 114
Tartera 37
titilus, tutulus 3a
torques, -is II 3
tottus 75
trienta 87
tronare 30
Ubi 65
ui = huic lOl
uligo 78
ürina 53
Urtica 53
Valde, validus 14
varvactum 32
vectaculum 117
veUragus 69
venemerenti 81
vermis, -inis II4
vesticulum II7
vinti 87
vitellus 19
vomo 25
I.iO
II.
Afrikanisches Latein 3, 23, 120
Akzent 68, 87, griechischer 36, 75
Anaptyxe 9, 16
Archaismus 94, 109, 119
Assibilation 42
Assimilation der Silben 32
Bauernlatein 55, 85, loo
Claudius imperator grammaticus 54, 90
Cornutus 66
Derainutiva 20, 22, 121
Differentiae i
Differenzierung 30, 31, 44, 49, 51, 53,
99, 112
Dissimilation 18, 26, 63, 82
Etruskisches 115
Euphemismen 122
Germanisches 107
Hiatus in
Hyperurbanismus 62 f., ili
Hypokoristikon 20, 61, 97, 122
Inchoativa 50
Instituta Artium [Probi] 2
Kompositionsvokal 123
Lokale Verschiedenheiten 3, 4, 48, 80,
97, 98
Lucrez, Prosodie 17, 77
Metathesis 68
Monosyllaba 21, 102, 113
Mouillierung 11, 41, 77
Muta c. Liquida 9, 76
Sachindex.
Onomapoetische Bildungen 35, 39, 78,
89, 117
Pluralia tantum in
Präfixe (ex-, in-) 50
Pro(En)clisis 29, 64, 93
Prosthesis 47, 126
Reduplikation 59
Rekomposition 66, 125
Sabinismus 83
Sanddhi 79, 80
Silbengrenze 45, 76, 96
Suffixe (-erus, -icus 27); -os, -ios 40 ;
-arium43; -osus 56, 118; -ellus 69,
121; -ula 69; -dum 73; -tra 73;
-trum 73; -igo 78; -plex 92; -inum
99; "O 115; -onius 118; -aneus,
-arius 12O; -arius 121; -iticus,
-eticus 122
Synkope 12 ff., 35
Umgekehrte Aussprache 55, 91, 96
— Schreibung 41, 81
Umlautung 34
Varro etymologie 110; vgl. 95
Velius Longus 52
Vergils Einflufs 50, III, 112
Vergilglossen 99, 114
Vergilinterpreten 3, 87
Verwandtschaftsnamen 106
Volksetymologie 33, 55, 70, 71, 88 u. ö.
Vulgärgriechisch 75
Druck von Karras, Kröber & Nietschmann in Halle (Saale).