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Full text of "Sprachlicher Kommentar zur vulgärlateinischen Appendix Probi"

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THE  LIBRARY  OF  THE 

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NORTH  CAROLINA 


ENDOWED  BY  THE 

DIALECTIC  AND  PHILANTHROPIC 

SOCIETIES 


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QUO  HkRRASSOWITZ 

BUCHHANDLUNG 

:IEIP2I6: 


UNIVERSITY  OF  NC.  AT  CHAPEL  HILL 


00016937950 


This  book  is  due  at  the  LOUIS  R.  WILSON  LIBRARY  on  the 
last  date  stamped  under  "Date  Due."  If  not  on  hold  it  may  be 
renewed  by  bringing  it  to  the  library. 


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DATE 
DUE 


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2011 


DEC' 17  1973 


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may  be  •  kept  ou^  TWO 
"',  and  is  subject  to  a  fine 
-jx,  day  thereafter.  It  vtaa 
dfty-iridicated  below: 


SPRACHLICHER  KOMMENTAR 


ZUR 


VULGÄRLATEINISCHEN 
APPENDIX  PROBI 


VON 


W.  A.  BAEHRENS 


HALLE  (SAALE) 

VERLAG  VON  MAX  NIEMEYER 
1922 


SPRACHLICHER  KOMMENTAR 


ZUR 


VULGÄRLATEINISCHEN 
APPENDIX  PROBI 


VON 


W.  A.  BAEHRENS 


HALLE  (SAALE) 

VERLAG   VON   MAX    NIEMEYER 
1922 


Digitized  by  the  Internet  Archive 

in  2011  with  funding  from 

University  of  North  Carolina  at  Chapel  Hill 


http://www.archive.org/details/sprachlicherkommOObaeh 


GEORG  VVISSOWA 


gewidmet 


I 


Vorwort. 


Als  Vorlesungen  über  das  Vulgärlatein  mich  veranlafsten ,  die 
Appendix  Probi  eingehend  zu  erörtern,  ergab  sich  bald  die  Not- 
wendigkeit einer  neuen  Ausgabe,  welche  die  einzelnen  Erscheinungen 
in  ihrer  Entstehung  und  Entwicklung  erklärte.  Angesichts  der 
traurigen  Zeitverhältnisse  rnufste  der  Kommentar  in  einer  möglichst 
gedrängten  Form  zusaraniengetafst  werden ;  dafs  die  plastische  Dar- 
stellung darunter  gelitten  hat,  bedauere  ich  selbst  am  meisten.  Aber 
auch  in  dieser  Gestalt  konnte  das  Buch  nur  durch  das  aufopfernde 
Entgegenkommen  des  Herausgebers,  der  die  gan/en  Druckkosten 
übernahm,  erscheinen.  Die  Abhandlung  versucht  ihrerseits  dazu 
beizutragen,  die  zwischen  klassischer  Philologie  und  Sprachwissen- 
schaft (Romanischer  Philologie)  noch  immer  klaft'ende  Lücke  zu 
überbrücken.  Leider  sind  einige  Druckfehler  stehen  geblieben,  die 
unter  'Corrigenda'  aufgezählt  werden. 

Zu  besonderem  Dank  bin  ich  meinem  lieben  Kollegen  Dr.  Muler  tt 
in  Halle  a.  S.  verpflichtet,  mit  dem  ich  die  ganze  Arbeit,  im  be- 
sonderen die  romanisch  orientierten  Teile,  durchsprechen  konnte. 
Auch  hat  er  die  Mühe  nicht  gescheut,  die  Korrekturbogen  3 — 8 
mitzulesen. 

Göttingen,  im  Oktober  1922. 

Der  Verfasser. 


Inhalt 

Seite 

I.    Einleitung i 

II.    Text 5 

III.    Kommentar 9 

A.  Vulgärlateinische  Betonung 9 

B.  Vokalismus 12 

C.  Halbvokale 65 

D.  Konsonantismus 67 

E.  Formenlehre 102 

F.  Suffixe 117 

G.  Wortbildungslehre 123 

H.   Syntaktisches 124 

I.    Vermischtes 125 

Indices , , 128 


I.   Einleitung. 

In  dem  Palimpsest  Cod.  Vindobon.  17  aus  Bobbio  sind  ff.  49  r 
bis  52 r  über  eine  lateinische  Übersetzung  der  Bücher  der  Könige 
in  Unzialen  des  6.  (?)  Jahrhunderts  sowohl  die  Instituta  Artium  [Probi] 
wie  die  sogenannte  Appendix  Probi  in  vorkarolingischer  Cursive  des 
7.  (8.)  Jahrhunderts  geschrieben.  Dafs  der  sprachgeschichtlich  weit 
wichtigste  Teil  der  Appendix:  porphireticiim  marvior  non piirpureticum 
marinur  usw.  IV,  197,  19 — 199,  17K.,  welcher  allein  uns  beschäftigen 
kann  und  kurz  App.  (Probi)  genannt  wird,  in  seiner  ursprünglichen 
Gestalt  den  nämlichen  Verfasser  gehabt  habe  wie  die  übrigen  eben- 
falls nur  in  Bruchstücken  erhaltenen  Werke  der  App.  und  derselbe 
Grammatiker  auch  die  Instituta  geschrieben  habe,  kann  ich  Barwick 
Herm.  54  (191g),  409  nicht  zugeben.  Während  unser  Grammatiker 
nur  hochlateinische  Formen  anerkennt,  dagegen  vulgäre  Bildungen 
rügt  und  mit  dieser  Methode  im  Gegensatz  zu  einer  etwa  seit  dem 
I.  Jhdt.  n.  Chr.  aufkommenden  Sitte  steht,  nach  welcher  neu  ent- 
standene Vulgärformen  in  törichter  Weise  von  den  hochlaleinischen 
der  Bedeutung  nach  differenziert  wurden  —  vgl.  das  §  5b  über 
vinea  vinia,  balletis  baltetim  usw.  Gesagte  — ,  ist  dagegen  in  den 
gleichfolgenden  Differentiae  IV,  199,  17  — 203,  34  K.  z.  B.  auch 
zwischen  nohilem  [generosuvi)  und  novilem  {jiotuni  omnibus)  (S.  202,  19) 
unterschieden  worden,  welches  Beispiel  mit  vinea  'Weingarten', 
vinia  'Schirmlaube  der  Soldaten'  (von  Cornutus  GL  VII,  150,  20 K. 
verworfen)  auf  einer  Stufe  steht  und  durch  das  regelmässige  Auf- 
treten in  verwandten  Sammlungen  (Mace,  de  emendando  differ. 
libro  Paris  1900,  Indices)  als  echt  erwiesen  wird;  —  in  unserem 
Traktat  wäre  aber  novilem  als  vulgäre  Form  ohne  weiteres  getadelt 
worden,  vgl.  n.  198:  lolerabilis  non  tokravilis.  Auch  hätte  unser 
Anonymus  zwischen  ebritcs  und  ebriosus  nicht  einen  Unterschied  in 
in  der  Bedeutung  festgestellt  —  so  in  den  Differentiae  p.  199,  24  K. 
und  anderen  Sammlungen  — ,  sondern  entsprechend  n.  211:  rabidiis 
non  rabiosus,  mit  etwas  übertriebenem  Scheu  vor  dem  besonders 
auch  vulgären  Suffix  -osiis  (§  27),  ebriosus  zurückgewiesen.  Während 
die  Differentiae  mit  ihrer  Unterscheidung  zwischen  paene  und  piue, 
laeimn  und  letiim  zu  der  beschränkten,  alltägUchen  grammatischen 
Schablone  gehören,  zeigt  die  eigentliche  App.  Probi  mit  ihrer  Ver- 
werfung vulgärer  Bildungen,  welche  sie  wenigstens  z,  T.  aus  der 
sprudelnden  Quelle  der  lebendigen  Sprache  schöpft,  ein  wirkliclies 
Verständnis    für    sprachliche  Beobachtungen    und    eben  aus  diesem 

Baehrens,  Sprachl.  Kommentar  zur  Vulgärlat,  Appendix  Probi.  i 


Grunde  beansprucht  sie  auch  heutzutage  unser  Interesse.  Derselbe 
Abstand  trennt  aber  App.  auch  von  den  Instituta,  deren  Verfasser 
in  seinen  trockenen  Aufzählungen  jeden  Sinn  für  lebendige  Sprache 
vermissen  läfst.  Auch  handelte  er  in  seiner  Orthographia,  zu  der 
App.  mindestens  in  engster  Beziehung  stehen  müfste,  wenn  ihr 
Verfasser  die  Instituta  und  Orthographia  geschrieben  hätte,  wie 
sich  aus  S.  119,  i  —  16K.  ergibt,  über  nomina,  quae  an  ...  in  0 
convertant ,  ut  puia  cauda  et  coda  .  .  .,  i  ...  in  e  '.  .  .  vialivohis  et 
vialevolus,  .  .  .  quae  in  litter a  plus  scrihantur  .  .  .  equs  et  eqmis  .  .  . 
hoc  in  07'thographia  tractare  dehevms.  Equs  und  equus  wurden  an- 
scheinend trotz  126,  29  ifoqus)  beide  anerkannt,  während  App. 
n.  37:  equs  non  ecus  schreibt.  Wichtiger  ist,  dafs  App.  unter  richtiger 
Trennung  hochlateinischer  und  vulgärer  Formen  malivolus  und 
malevolus  anerkannt,  dagegen  coda  verworfen  hätte,  vgl.  n.  83:  auris 
non  oricla.  Auch  stellte  sich  der  Verfasser  der  Orthographia  trotz 
des  verwandten  Themas  ein  ganz  anderes  Ziel  als  App.,  so  dafs 
die  beiden  Schriften  unmöglich  einem  Autor  gehören  können. 
Andererseits  sind  Übereinstimmungen  voihanden,  welche  auch  an- 
gesichts der  gemeinsamen  Überlieferung  nicht  zufällige  sein  können, 
vgl.  Steup  de  Probis  gramra.  i7ofF. :  App.  29  avtis  non  az/j  =  Inst. 
107,  19:  qua  de  catisa  .  .  .  non  hie  aus  dicatur;  App.  30=  126,36: 
milex;  31  =  126,  23:  soher\'^  ^2  =  130,  11:  ßgel;  33  =  102,  13: 
?>iascel;  36  =  102,8:  harhar;  38  =  126,  29:  coqus  anerkannt;  138 
=  59,38:  tetrus;  181  =  126,  i:  pkps;  205  =  126,6:  lapsus;  213 
=  121,29:  Adon.  Adon  wird  trotz  der  seltenen  Verwendung  von 
beiden  anerkannt  (§  27),  lapsus  ausnahmsweise  zugunsten  von  lahsus 
von  beiden  verworfen  (§  17b);  harhar  bezeugen  aufser  einigen 
Glossen  nur  beide  Grammatiker.  Auch  ist  es  kein  Zufall,  dafs 
gerade  die  aufeinanderfolgenden  nn.  29,  30,  31,  32,  33,  36  u.  38 
auch  in  den  Instituta  vorkommen.  Da  die  Instituta  sonst  nur  mit 
Schulbeispielen  operieren,  dagegen  App.  interessante  und  seltene 
Vulgärformen  zu  bieten  pflegt,  können  nur  die  Instituta  aus  App. 
entliehen  haben,  nicht  umgekehrt.  Da  die  Worte  Inst.  119,25: 
sunt  nomina  quae  rem  proprie  co?nmufiiterve  significant,  proprie  .  .  . 
Roma  Tiheris  Diocletianae  .  .  .  communiter  .  .  .  i(rhs  flumen  thermae, 
auf  welche  Barwick  422  aufmerksam  macht,  sicherlich  geschrieben 
wurden,  als  die  zwischen  i.  Mai  305  und  24.  Juli  306  dedizierten 
Thermen  durch  ihre  Neuheit  noch  besondere  Aufmerksamkeit  auf 
sich  zogen,  etwa  vor  320  n.  Chr.,  ist  damit  auch  für  App.  der 
termijius  ante  quem  gegeben. 

Einen  anderen  Terminus  ergab  auch  die  Analyse  der  App., 
welche  abgesehen  von  einigen  Doubletten  in  ihrer  ursprünglichen 
Form  auf  uns  gekommen  ist  und  derer  einzelne  Beispiele  von 
vornherein  nicht  systematisch  geordnet  waren.  Baculus  wird  von 
App.  (n.  9)  anerkannt,  ist  aber  nicht  zufällig  —  anstatt  haculum  — 
erst    im    3.  Jhdt.    belegt    (§  2b).     Für  die  'Weintraube'  entlehnten 


^  Aus  suher  der  App.  machten  die  Instit.  sober. 


die  Römer  zuerst  ein  ^ßoTfJvajv,  dafs  bei  Martial  1 1,  27,  4  auftritt; 
die  seltsame  Form  hotrtius  begegnet  bei  Cyprian  und  wird  kaum 
viel  früher  entstanden  sein ;  erst  Hieronymus  verwendet  regelmäfsig 
botnis  =  ßuTQvg  und  findet  durch  seine  Autorität  sofort  allgemeine 
Nachahmung:  kaum  hätte  App.  noch  bo/nms  (n.  127)  nach  400  n.Chr. 
gebilligt,  s.  §  3g.  Ohne  Zweifel  haben  wir  unsere  Schrift  etwa 
zwischen  200 — 320  n.Chr.  anzusetzen.  Auch  allgemeine  Erwägungen 
führen  zu  der  Annahme,  dafs  App.  auf  dem  langen  Weg  der  vulgär- 
lateinischen Entwickelung  etwa  in  der  Mitte  steht.  Einerseits  können 
viele  gerügten  Formen  kaum  vor  200  oder  300  n.  Chr.  entstanden 
sein,  ohne  dafs  sich  bestimmteres  sagen  liefse  —  vgl.  das  im 
Kommentar  z.  B.  über  Herculens  (§  19  a),  viuseum  'Mosaik'  (§  10  b), 
hrabiwn  (§  lob),  osteum  (§  5  b)  u.a.  Ausgeführte  — ;  andererseits 
tadelt  App.  zwar  vulgäre  Bildungen,  aber  oft  nicht  diejenigen,  welche 
zu  der  jüngsten  Schicht  gehören  und  dem  Romanischen  unmittelbar 
zugrunde  liegen;  so  verwirft  sie  n.  129,  164  ansar,  nicht  aiica, 
s.  §3b;  29  aus,  nicht  *aviohis;  37  ecus,  im  Rom.  durch  caballus 
ersetzt;  61  osteum,  nicht  ustium  (§  5  b);  144  demidius,  nicht  das  frz. 
demi,  prov.  demiei  zugrunde  liegende  dtm^dius,  das  inschriftlich  in 
der  Tat  bezeugt  ist  (§  6  b);  157  Hntium,  nicht  das  von  den  meisten 
rom.  Sprachen  vorausgesetzte  lentiiun  (§  5  b);  30  milex,  nicht  sol(i)~ 
datus  (§  i8a);    169  7iura,  nicht  *ndra  (§  23)  u.  a. 

Zur  Zeit  als  das  sogen,  afrikanische  Latein  in  Blüte  stand,  hat 
man  auch  App.  in  Afrika  entstehen  lassen.  Aufser  Sittl  (ALL  VI,  557) 
ist  besonders  Gaston  Paris  Mel.  Renier  1887,  303  und  Mel.  Boissier 
''903»  5  wegen  der  erwähnten  afrikanischen  Namen  für  die  Herkunft 
aus  dieser  Provinz  eingetreten  und  auch  Barwick  a.  a.  O.  teilt  diese 
Ansicht.  Aber  die  falsche  Aussprache  von  Capsensis  (n.  49)  kann 
auch  in  Rom  bei  der  Lektüre  des  Schulschriftstellers  Sallust  gerügt 
worden  sein,  vgl.  lug.  89,  6;  92,  3.  4.  Und  Byzacenus  (48)  kann  in 
der  geographischen  Stunde  zur  Sprache  gekommen  sein;  auch  auf 
stadtrömischen  Inschriften,  z.B.  CI  VI,  1690,  it()i:  praeses  provhiciae 
Byzacenae  kommt  die  Amtsbezeichnung  früherer  Statthalter  jener 
Provinz  vor.  Vielmehr  als  die  vico  tabuli proconsolis  (135)  für  Afrika, 
zeugt  die  vico  capitis  Africae  (134)  für  Rom,  denn  ohne  Zweifel 
ist  der  vicus  der  zweiten  Regio  gemeint.  Da  dort  eine  Schule  war 
—  CIL  VI,  8983,  8984  u.  §  18  b  — ,  so  kann  sehr  wohl  ein  Lehrer 
jener  Unterrichtsanstalt  App.  verfafst  haben.  Das  in  n.  12  erwähnte 
Heiligtum  calcostegis  non  calcosteis  —  über  das  Septizonium  s.  §  1 5  b  — 
war  ein  bekannter  Tempel  in  Rom,  wie  sich  aus  Servius  ad  Aen.  I, 
448:  quidam  '■irahes  aeneas''  putant  ipsmn  templum  chalcosteiim  ergibt; 
nach  seiner  Angabe  glaubten  spätere  Vergilinterpreten,  welche  auch 
sonst  in  Vergils  Gedichte  alles  mögliche  hineindeuteten,  dafs  der 
Dichter  bei  der  Beschreibung  der  Gründung  Carthagos  auf  das 
bekannte  {ipsum)  Heiligtum  chalcosteum  in  Rom  anspielte,  keineswegs 
in  Carthago,  von  welcher  Stadt  .sich  jene  Erklärer  keine  Vorstellung 
machen  konnten.  Auch  sonst  wird  von  den  allegorischen  Interpreten 
2.  B.  Aeneas  als  der  römische  flamen  (Dialis),  Dido  als  die  römische 


ßaminica  betrachtet.  —  Die  in  n.  ig  gerügte  Form  Herculens  ist 
wahrscheinlich  in  den  westlichen  Provinzen  entstanden  (s.  §  19  a) 
und  erst  durch  das  Militär  nach  dem  Weltzentrum  Rom  gekommen; 
ob  auch  nach  dem  entfernten  Afrika,  ist  mindestens  zweifelhaft. 
Im  übrigen  ist  die  vulgärlateinische  Sprache  der  ersten  Jahrhunderte, 
wie  sie  aus  den  Inschriften  uns  entgegentritt,  in  sämtUchen  Provinzen 
und  in  Italien  fast  immer  die  gleiche.  Nur  sehen  gelingt  es  durch 
Angaben  von  Grammatikern  wie  Consentius  oder  durch  inschrift- 
liche Zeugnisse  —  z.  B.  für  den  besonders  in  Rom  häufigen  neuen 
Gen.  Sing.  Fem.  auf  -aes,  vgl.  zuletzt  Pieske,  de  tit.  Afric.  qu.  morph. 
Diss.  Breslau  19 13,  11  —  Differenzen  festzustellen,  welche  in  Wirk- 
lichkeit durch  Rückschlüsse  aus  dem  Romanischen,  aber  meistens 
erst  für  die  spätere  Zeit,  erschlossen  werden  können.  Für  Afrika 
fehlt  diese  Möglichkeit  und  weitere  sprachliche  Indizien  gegen  die 
Herkunft  der  App.  aus  dieser  Provinz  lassen  sich  nicht  anführen. 
Immerhin  sei  darauf  hingewiesen,  dafs  der  besonders  in  Rom  und 
in  gewissen  Teilen  Italiens  häufige  Übergang  des  an),  v  zw  b  dafür 
spricht,  dafs  baplo  {<Cvapulo) ,  s.  n.  215,  in  Rom  gerügt  wurde, 
nicht  in  Afrika,  wo  dieser  Lautwechsel  weniger  häufig  ist,  s.  §  14. 
—  Aber  schon  die  angeführten  Belege  genügen,  um  die  Entstehung 
von  App.  in  der  Reichshauptstadt  zwischen  den  Jahren  200  und 
320  sicherzustellen.  Dort  benutzte  sie  der  Verfasser  der  Instituta, 
mit  welcher  Schrift  App.  und  einige  anderen  kleinen  Traktate  im 
cod,  Vindob.  17  erhalten  sind.  Ob  diese  Vereinigung  schon  im 
vierten  Jahrhundert  in  Rom  stattfand  und  die  Vorlage  des  Vindo- 
bonensis  von  dort  nach  Bobbio  kam,  bleibt  unsicher. 

Herausgegeben  wurde  App.  zum  ersten  Male  von  Endlicher  und 
Eichenfeld,  Anal.  Gramm.  1837,  443,  deren  Text  in  den  Gramm. 
Lat.  von  H.  Keil  IV,  197,  19  wieder  abgedruckt  wurde.  Da«  durch 
Feuchtigkeit  die  Nummern  42,  43,  44,  51,  93 — 119,  147 — 176, 
{219 — 227),  ferner  auch  29,  86 — 90,  196,  197  schwer  zu  lesen 
sind,  war  es  eine  dankbare  Aufgabe  für  W.  Foerster  in  den  Wien. 
Stud.  14,  1892,  278  ff.,  den  Text  möglichst  genau  herauszugeben 
und  auf  einer  Lichtdrucktafel  die  Nummern  30 — 227  allgemein  zu- 
gänglich zu  machen.  Kurz  vorher  hatte  sein  Schüler,  K.  Ullmann 
in  den  Rom.  Forsch.  VII,  145 — 226  App.  durch  Anführung  lateinischer 
Parallelstellen  und  der  romanischen  Fortsetzungen  eingehend  er- 
läutert; lokalisieren  möchte  er  App.  in  Süditalien.  Durch  den 
gewaltigen  Aufschwung  der  lateinischen  Lautlehre  und  der  roma- 
nischen Philologie  ist  seitdem  die  damals  verdienstvolle  Arbeit  völlig 
überholt.  Schliefslich  stellte  sich  W.  Heraeus  in  seiner  Ausgabe 
ALL  XI  189g,  301  ff.  nur  das  Ziel,  das  lateinische  Material  möglichst 
vollständig  anzuführen,  ohne  auf  eine  sprachliche  Erklärung  der 
neuentstandenen  Vulgärformen  einzugehen.  Dieser  Aufgabe  habe 
ich  mich  unter  dankbarer  Benutzung  der  von  meinen  Vorgängern 
geleisteten  Arbeit  ^  unterzogen. 

'  Vgl.  noch  Heraeus  ALL  XI,  64  und  die  palaeograph.  Nachträge  Gunder- 
manns, Z.  f.  frz.  Spr.  und  Litt.  XV,  184  ff. 


Was  den  Text  selbst  anbetrifft,  sei,  abgesehen  von  den  im 
Apparat  erwähnten  Verbesserungen,  welche  in  der  Hs.  entweder 
die  erste  Hand  oder  ein  Korrektor  angebracht  hat,  auf  die  ver- 
schiedenen Zeichen  aufmerksam  gemacht,  welche  nicht  ohne  weiteres 
verständlich  sind.  Durch  •'.  (■.•)  soll  zu  n.  Q  vaclus  (stait  baclus),  zu 
n.  i8  beide  Formen,  zu  28  die  Wiederholung  von  gyrus,  zu  44 
br avium,  zu  52  dolens,  zu  118  wohl  die  Verwerfung  von  exlraneiis, 
zu  212  die  Anerkennung  von  thühiaculum  (oder  das  einfache  ti  in 
beiden  Formen)  getadelt  werden;  zu  146  verlangt  der  Unbekannte 
mit  Unrecht  «0«  ptisinnus,  zu  65  vielleicht  bractea  (-ta)  als  gerügte 
Form  (s.  Foerster  284);  zu  74  scheint  er  auf  die  Verbesserung  von 
orbs  aus  z'urbs  hinzuweisen,  s.  auch  n.  71  und  137  und  den 
Apparatus;  zu  77:  71011  frag ellum  •'.  merkwürdigerweise  non/age/Zum', 
zu  78:  'l-'  calatus  non  galatus  •!••  jedenfalls  calathus  zu  fordern. 
Aprus  (139)  und  stropa  (192)  versah  er  wohl  mit  dem  ••*  Zeichen, 
weil  die  Formen  auch  für  ihn  unbelegt  waren.  —  Mit  •:•  scheint 
er  das  ihm  unbekannte  pancarpus  non  parcarpus  (45)  gänzlich  zu 
verdammen,  ebenfalls  plasia  non  blasta  (188).  Weshalb  auch  zu 
calceus  non  calcius  (81)  und  74,  s.  oben,  das  Zeichen  steht,  bleibt 
unsicher;  in  n.  180  deutet  es  die  Umstellung  der  beiden  Formen 
an.  —  Durch  telebra  :n:  (125)  und  menetris  ./  (147)  zeigt  an- 
scheinend der  Korrektor,  dafs  ihm  auch  tenebra  und  tneletris  als 
Vulgärformen  geläufig  sind,  s.  §  12.  —  Über  einige  Stenographica 
s.  den  Apparatus  zu   189  und  Foerster  S.  285. 


II.   Text. 

(Eingeklammerte  Buchslaben  bind  unleserlich;  kurbiv  gedruckte  fehlen  in  der  Hs.) 

porphireticum    marnior   non   pur-  septizonium  non  septidonium 

pureticum  marmur  vacua  non  vaqua 

tolonium  non  toloneum  15     vacui  non  vaqui 

speculum  non  speclum  cultellum  non  cuntellum 

masculus  non  masclus  Marsias  non  Marsuas 

5     vetulus  non  veclus  f  cannelam  non  canianus 

vitulus  non  viclus  Hercules  non  Herculens 

vernaculus  non  vernaclus  20     columna  non  colomna 

articulus  non  articlus  pecten  non  pectinis 

baculus  non  vaclus  aquaeductus  non  aquiductus 

10     angulus  non  anglus  cithara  non  citera 

iugulus  non  iuglus  crista  non  crysta 

calcostegis  non  calcosteis  25     formica  non  furmica 

I   porphyreticum .''  i*  marm'r    V         2^  fortasse  telonium  scrib.,  sed  v. 

§  3a  9  vaclus  •'.  V         12^  an  chalcostegis?  13  serpizonium  non  serpi-^ 

donium    V,  altera  r  oblitterata         18  •'.  cannelam    V,  ?'.  §  30 


musivum  non  mus(e)um 

exeqiizae  non  execiae 

gyius  non  girus 

ävus  non  aus 
30     miles  non  milex 

sobrius  non  suber 

figulus  uon  figel 

masculus  non  mascel 

lanius  non  lanco 
35     iuvencus  non  iuvenclus 

barbarus  non  batbar 

equs  non  ecus 

coqus  uon  cocus 

coquens  non  cocens 
40     coqui  non  coci 

acre  non  acrum 

pauper  mulier  nou  paupera  muli(er) 

carcer  non  car(car) 

bravium  non  brabium 
45     pancarpus  non  parcarpus 

Theophilus  non  Izophilus 

monofagia  uon  monol'agium 

Byzacenus  non  Bizacinus 

Capse«sis  non  Capsessis 
50     catulus  non  catellus 

[catulus  non  ca(te)llus] 

dolens  non  dolium 

calida  non  calda 

frigida  non  Frieda 
55     vinea  non  vinia 

tristis  non  tristus 

tersus  non  tertus 

umbilicus  non  imbilicus 

turma  non  torma 
60    caelebs  non  celeps 


ostium  non  osteum 

Flavus  non  Flaus 

cavea  non  cavia 

seuatus  non  sinalus 
65     brattea  non  bratlia 

Cochlea  non  coclia 

coc/ileare  non  cociiarium 

palearium  non  paliarium 

primipilaris  non  primipilarius 
70     alveus  non  albeus 

glomus  non  glovus 

lancea  non  lancia 

lavilla  non  failla 

orbis  non  orbs 
75     formosus  non  toimunsus 

ausa  non  asa 

flagellum  non  fragellum 

calatus  non  galalus 

digitus  non  dicitus 
80     solea  non  solia 

calceus  non  calcius 

iecur  non  iocur 

auris  non  oricla 

Camera  non  cammara 
85     pegma  non  peuma 

cloaca  non  cluaca 

festuca  non  fis(tuca) 

ales  non  (alis) 

facies  nou  fa(ces)  « 

90     cautes  non  c(autis) 

plebes  non  plevis 

vates  non  vatis 

tabes  non  tavis 

suppellex  non  superlex 
95     apes  non  apis 


26^  littera  e  evanuit  secundum  Foersterum,  v.  n.  204  27'  exequae  V 
28  '.  •  non  gyrus  ;•  V,  corr.  Endlicher,  non  goerus  Haupt  opp.  III,  534 
ßS'*  iuaenclus  V  42  sqq.  inter  cancellos  posita  in  V  discerni  non  possunt 
44  *.•  bravium  V;  brabium,  ut  videtur,  V  45  •!•  pancarpus  V  45^  altera 
r  distingui  non  potest,  fuitne  n?  47  monofagia  Baehrens,  homfagium    V, 

omofagium  Brandis  de  aspir.  lat.  p.  6  A.  I,  Heraeus  omphacium  Endlicher, 
V.  §  30  49I  capsesis  V  52*  doleum  in  dolens  correctum  videtur  v,  §  5^' 
praecedit  ;•  53  utrumque  dicitur  V  in  marg,  55^  v\nea  V  60^  celebs  V 
61^  osieum  exhibere  "videtur  V  65  brallia  •'.  V  67  cocleare  V,  quod  si 
retines   (Vel.  Long.  VII,  69,  13 -Ä".)    66    coclea   scribendum    est  71   glovus 

(in  globus  corr,  m.  I  [?])  non  glomus  •'.  V,  transposui  ego,  cf.  §  19*^ 
74  •!•  orbis  non  orbs  •;   V  orbs  e  vurbs  corr.    V  77  •".  flagellum  non  fra- 

gellum •  ;  V  78  •]•;  calatus  non  galatus  •!•;  V,  calathus?  81  •'.•  calceus  V 
86^  de  o  littera   nihil  certi  constat  89  v.  §  24«?  90  non  cla  (P)   V 

91*  pleves    V        94  uUumque  (?)  dicilur  in  marg.  V 


Hubes  non  nubs 

suboles  non  subolis 

vulpes  non   vulpis 

palumbes  non  palumbus 
100     lues  non  Ulis 

dcses  non  desis 

reses  non  resis 

vepres  non  vepris 

fames  neu  famis 
105     clades  non  cladis 

Syrtes  non  Syrtis 

aedes  non  aedis 

scdes  non  s:dis 

proles  non  prolis 
HO     draco  non  dracco 

oculus  non  oclus 

aqua  non  acqua 

alium  non  uleum 

lilium  non  lileum 
1 15     glis  non  (gl)iris 

delirus  non  delerus 

tinea  non  ti(nia) 

exter  non  exttaneus 

clamis  nou  cl^mus 
120     vir  non  vyr 

virgo  non  vyrgo 

virga  uon  vyrga 

occasio  non  occansio 

caligo  non  calligo 
125     tercbra  non  telebra 

effemiuatus  non  imlimenatus 

botruus  non  butro 

grus  non  gruis 

anser  non  ansar 
130     tabula  non  tabla 

puella  non  poella 


balteus  non  b:dtius 

tax  non  facla 

vico    capitis    Africae    non     vico 
Caput  Africae 
13s     '^i^^o  tabuli  procoiisolis  neu  vico 
tabulu  proconsulis 

vico  castrorum    non  vico  caslrae 

vico  strobili  uon  vico  Irobili 

teter  non  tetrus 

aper  non  aprus 
14a     amycdala  non  amiddula 

faseolus  nou  fassiolus 

stabulum  non  stablum 

triclinium  non  triclinu 

dimidius  non  demidius 
145     turma  non  torma 

pusillus  non  pisinnus 

meretrix  non  menetris 

aries  non  ariex 

pe(rsica)  non  pessica 
150     dyh(entericus  non  disinte)ricus 

opobalsamum    nun  ababalsamum 

mensa  non  mesa 

rauciis  non  ra[u]cus 

auctor  non  autor 
155     auctoritas  non  autoritas 

ip(se)  non  ip(sus) 

linteum  non  lintium 

a(         )  non  (         )a 

terraemotus  non  teiiiraotium 
160     noxius  non  noxeus 

coruscus  non  scoriscus 

tonitru  nou  tonotru 

passer  non  passar 

anser  non  ansar 
i6^     hirundo  non  herundo 


106'   S*^fis    V,  fuitne  (sertis  =)  sirtis  corr,  in  syrtis?        115  gliris,  «0« 
liris,    le£'t   videtur  in    V  I18  ;•   exler  non  extraneus  ;•   V  II9'  vix 

chlamys  legendum,  minime  clamis,  i.  e.  chlamis,  legitur  in    V  125   telebra 

:n  :    V        131^  poUa  V        134  Atricae  f  {in  fine  lineae)  non  V        135I  tabulp 
in  tabuli  corr.  V,  super  i  add.  e.  m.  2         l37non  vico    btrobili  •*•    V,  z'.  §  186 

139  aprus  •;  V  \\o  f or fasse  -dola,  non  -dula  legitur  in  V;     priore  loco 

.p. 
fortasse   amygdala    scribendum  141    fas'olus    non    fassiolus   V,    estne    non 

passiolus  legejidump,  i».  §  56        146  pusinüus  non  pisinnus  • '.  V       147  menetris 
.\  V  151   opobalsaium  uon  ababalsamum   V  152  sie  legitur,  ni  fallor, 

in  V  153  racus  Niedermajtn  Mus.  Rhen.  60  (1905),  458,    raucus   V,  certe 

minime  draucus  legendum       158  de  coniecturis  parum  probabilibus  v.  Foerster 
Stud.  Vindob.  14,  306 ,    Heraeiis  ALL  XI,  334,  §  30.  165  herundo,    non 

harundo  legi  videtur  in  V,  sane  ita  resiituendum,  v.  §  6c 


obstetrix  non  opF(etris) 

capitulum  non  capiclum 

noverca  non  novarca 

nurus  non  nura 
170     socrus  non  socra 

ncptis  non  nepticla 

anus  non  anutla 

tondeo  non  dctundo 

rivus  non  rius 
175     imago  non  (         ) 

pavor  non  paor 

coluber  non  colober 

adipes  non  alipes 

sibilus  non  sifilus 
180     frustum  non  frustrum 

plebs  non  pieps 

garrulus  non  garulus 

parentalia  non  parantalia 

cöelebs  non  celcps 
185     poples  non  poplex 

locuples  non  locuplex 

robigo  non  rubigo 

plasia  non  blasta 

bipennis  non  biplnnis 
190     Äermeneumata  non  erminouiata 

tymum  non  tiimum 

strofa  non  stropa 

bitumen  non  butumen 

niergus  non  mevgulus 
195     myrta  non  murta 

zizipu(s)  non  zizup(u)s 


iunipirns  non  {iu)niperus 

tolerabilis  non  toleravilis 

basilica  non  bassilica 
200     Uibula  non  tribla 

viridis  non  virdis 

constabilitus   non    coustab[i]litus 

Sirena  non  Serena 

musiumvel  niusivum  nun  museum 
205     labsus  non  lapsus 

orilegium  non  orologiuin 

hostiae  non  osliae 

Fcbiuarius  non  Febrarius 

clalri  non  cracli 
210     allec  non  allcx 

rabidus  non  rabiosus 

tintinaculum  non  tintinabulum 

Adon  non  Adoniiis 

giundio  non  grunnio 
215     vapulo  non  baplo 

necne  non  necnec 

passim  non  passi 

numquil  non  nimquit 

numquam  non  numqua 
220     nobiscum  non  noscum 

vobiscum  non  voscum 

ncscioubi  non  ncsciocube 

pridem  non  pride 

olim  non  oli 
225     adiiuc  non  aduc  * 

idem  non  ide 

anfora  non  ampora 


166  obstetrix   non  certo  legitur  in  V       171   nepticla  V       173*  tuudeo  V 
175  ^'  §  S^  180  •••  frustrum  non  frustum   V         \%\   celebs  non  celips   V, 

an  celips?  sed  cf.  n.  60  188  •:•  plasia  V  189,  (204,)  2t  I,  214  post  bipinnis 
cett.  legitur  utrumque  dicitur  (?)  m  V  190  ermeneumata  V  192^  stropa 
.a.  •:•  V         197'  iunjepirus   V         197'^  num  non  ieniperus?  198  toleravilis 

non  tolerabilis  V  200^  tripla  in  tribla  corr.  V  202'''  non  constabilitus  V^ 
z».  §  26  204  vel  e  non  correxisse  videttir  V         206  v.  §  28  207  osliae 

I    :,! 

non  hostiae  V  209^  gfatu  (a)  V;  glalri  rccogiiovit  Leo,  quod  vix  approbavit 
App.  212  tintinabulum  ;•  V  218^  mimquit  V  corr.  Heracus  ALL  XI,  b^^ 
220  uoviscum  V        225  adhuc  ex  adhus  corr.  V 


III.   Kommentar. 

A.    Die  vulgärlateinische  Betonung  (§  i). 

Während  die  lateinische  Tonstelle  im  allgemeinen  auch  in 
den  romanischen  Sprachen  festgehalten  wird,  gibt  es  zwei  Wort- 
klassen, welche  im  Vulgärlatein  und  im  Romanischen  eine  Veränderung 
der  Tonlage  aufweisen.  Erstens  (i)  ist  vor  Mula  +  ^>  obwohl  die 
Silbengrenze  vor  die  Muta  fällt,  die  Pänultima  auch  dann  betont, 
wenn  sie  offen,  d.  h.  urspr.  kurz  ist:  int§'-grum,  vgl.  it.  intiero,  frz. 
entter,  span.  entero.  —  Sodann  liegt  (2)  in  der  Verbindung  -ig-  und 
z.  T.  auch  in  -i^-  mit  folgender  Schlufssilbe  der  Akzent  nicht  auf 
dem  ersten,  sondern  auf  dem  zweiten  Vokal:  filiölum,  midierem. 
Dagegen  zeigt  paretevi  (vgl.  CIL  VI,  3714:  pareks,  it.  parde, 
frz.  paroi  usw.)  u.  a.,  dafs  unter  gewissen  Umständen  -i^-  zu  -/- 
wurde;  beide  Erscheinungen,  viuli§rem  und  paretem,  sind  scharf  zu 
trennen,  vgl.  Meyer-Lübke  Einf.  3  (1920),  136  flf.  —  Da  diese  Ver- 
änderungen der  Tonlage  keine  befriedigende  Erklärung  fanden, 
mufs  eine  kurze  Erörterung  folgen. 

I.  Die  erste  Veränderung  ist  nach  F.  Neumann  Z.  f.  rom.  Ph. 
XX,  5  ig  ff.  und  Meyer-Lübke  Einf.  3,  142  so  vor  sich  gegangen,  dafs 
das  r  silbisch  wurde  und  einen  Vokal  entwickelte:  integrum  > 
integ^rum.  Auch  de  Groot,  Die  Anaptyxe  im  Lateinischen  192 1,  41, 
schliefst  sich  dieser  Ansicht  an;  nur  habe  nach  ihm  vielmehr  die 
energisch  gesprochene  Muta  den  Vokal  hervorgerufen.  Diese  Er- 
klärung trägt  aber  dem  erhaltenen  Material  zu  wenig  Rechnung 
(vgl.  [Berl.]  Phil.  Woch.  1922,  179):  wohl  finden  wir  Anaptyxe 
zwischen  Muta  und  Liquida  gelegentlich  im  Anlaut  —  vgl.  z.  B. 
Terebonios  CIL  I  (2,  1)2,  t^^-,  Cerescenti  lll,  4908  a  — ,  dagegen  im 
Inlaut  nur  in  einem  sicheren  Beispiel,  CIL  VI,  10554:  7tutirices  = 
nutrices  mit  kleinem  i  zwischen  t  und  r  {inagisteratus  u.  a.  scheidet 
aus,  weil  Einfiufs  von  magisier  vorliegen  kann).  Da  mehrere 
sichere  Belege  für  den  Svarabhaktivokal  zwischen  Muta  und  r  im 
Inlaut  fehlen  und  nicht  zufällig  fehlen,  ist  die  Erklärung  tenehrae  > 
tene¥rae  abzuweisen.  Während  nämlich  zwischen  anderen  Kon- 
sonanten im  Inlaut  die  Anaptyxe  weniger  selten  ist  —  vgl.  z.  B. 
Ocetavi  CIL  VIII,  6239;  Sepehnyiiemis  XIII,  7109  — ,  konnte  sich 
zwischen  Muta  und  r  in  der  Wortmitte  ein  Vokal  deshalb  kaum 
entwickeln,  weil  zu  derselben  Zeit  vielmehr  die  der  Anaptyxe  ent- 
gegengesetzte Erscheinung  der  Synkope  zwischen  Muta  und  Liquida 
im  Inlaut  häufig  war,  wofür  es  genügt  auf  das  über  das  ganze 
Gebiet  verbreitete  vetranus  (z.  B.  CIL  VI,  2579,  3450a,  XII,  173Q), 
auf  socruni,  socro  (VIII,  14683,  21320,  vgl.  span.  jw^^rc»,  nprov. 
sogre  [-0)  und  Pieske  a.  a.  O.  23  3,  auch  §  23)  hinzuweisen.  Die 
Verbindung  Muta  -|-  r  begünstigt  Synkope  des  zwischenstehenden 
Vokals,  lehnt  dagegen  Anaptyxe  im  Grofsen  und  Ganzen  ab. 

Eine  anders  Erklärung  hat  Ed.  Hermann  KZ  48  (19 18),  102 
versucht.    Da  nach  Ausweis  des  e  im  vorhistorischen  Latein  einmal 


10 

die  Silbentrennung  cönsec-ro,  impel-ro,  integ-rum  vorhanden  gewesen 
sein  mufs  (vgl.  rcfel-lo;  consa-cro  wäre  zu  consi-cro  geworden),  glaubt 
Hermann,  dafs  der  auf  der  damals  geschlossenen  Pänultima  ruhende 
Nebenton:  int^g-riwi,  pelkceb-rae  sich  auch  nach  der  Silbenöffnung, 
welche  in  vorliterarische  Zeit  zurückgeht,  erhalten  habe:  bUe-grurn, 
pellece-hrae;  als  dann  später  die  alte  Betonung  dem  Dreisilbengesetz; 
Platz  machte,  sei  im  Hochlatein  die  drittletzte  Silbe  betont  worden 
[pellece-brae,  inie-gruvi),  während  in  dem  damaligen  Vulgärlatein  der 
Nebenton  zum  Hauptton  wurde:  inie-gium,  pHlece-hrae  ^  inU-griivi, 
pellece-brae.  Es  springt  in  die  Augen,  dafs  der  jedenfalls  schwache 
Nebenton  in  integ-rum  nach  der  Silbenöffnung  noch  weniger  stark 
war  und  wohl  inte-grlnn  akzentuiert  wurde.  Aber  auch  wenn  die 
Pänultima  in  mte-grum  einen  schwachen  Nebenton  von  integ-rum 
bekam,  war  dieser  sicherlich  nicht  im  Stande,  die  altererbte  Be- 
tonung der  ersten  Silbe:  integrum  zu  beseitigen.  Deshalb  kann 
auch  pellece-brae  nicht  aus  einem  pellece-brae  entstanden  sein. 

Dennoch  trägt  Hermanns  Versuch  den  Keim  der  richtigen 
Erklärung  in  sich.  Wir  müssen  nur  annehmen,  dafs  die  Öifnung 
der  Pänultima  nicht  vor,  sondern  erst  nach  dem  Eintreten  des 
Dreisilbengesetzes  vor  sich  gegangen  ist,  als  dieses  aus  integ-rum, 
pelleceb-rae  schon  ein  integ-rum,  pelkceb-rae  gemacht  hatte.  Als 
dann  nach  Öffnung  der  vorletzten  Silbe  intig-rum  zu  inte-grum 
wurde,  hat  das  Hochlatein  dem  Dreisilbengesetze  entsprechend 
inte-grum,  pellec'e-brae  betont,  dagegen  die  damalige  Volkssprache 
an  dem  alten  Akzent:  inte-grum,  pellece-brae  festgehalten,  obwohl 
er  jetzt  gegen  die  Regel  verstiefs.  Da  die  älteste  Dichtung  durch- 
aus inte-grum,  niemals  integrum  zeigt,  mufs  die  Silbenöffnung  und 
die  Veränderung  der  Tonlage  im  Hochlatein  zwischen  dem  Drei- 
silbengesetz und  der  frühesten  römischen  Literatur  liegen.  Pläutus 
hat  niemals  die  vulgäre  Betonung  inte-grum  angewandt,  wie  er  z.  B. 
auch  den  zu  seiner  Zeit  in  Rom  volkstümlichen,  nicht  nur 
dialektischen  Nom.  Plur.  auf  -as  (vgl.  K.  Meister  IE  26, 82)  von 
seinen  Komödien  ferne  gehalten  hat,  Sommer  Erläut.  101.  —  Als 
seit  Ennius  die  Dichter  nach  griechischer  Technik  die  Positionslänge 
vor  Muta  und  Liquida  gelegentlich  gelten  liefsen  (vgl.  z.  B.  L.  Müller, 
de  re  metr.  383),  fanden  sie  für  die  Betonung  der  Pänultima  z.T. 
eine  gewisse  Stütze  in  der  Umgangsprache;  man  vgl.  z.  B.  Furius 
Bibaculus  frg.  5  Fr.  PL  318  Baehr.):  .  .  .  Cumana  meretrix  mit  dem 
volkstümlichen  mere-trix.  Für  unsere  Zwecke  genügt  es,  festzu- 
stellen, dafs  n.  147  menetris  und  166  opsetris  betont  wurde, 
vgl.   §  12. 

2.  Der  erwähnte  Gegensatz  zwischen  are'tem,  paretem,  abe'tem  und 
muli§'rem,  filipluin  verbietet  mit  A.  Horning  Z.  f.  r.  Ph.  VII,  572  und 
F.  Neumann  XIV,  547  beide  Erscheinungen  in  derselben  Weise  zu 
erklären,  dafs  nl.  von  den  beiden  zusammenstofsenden  Vokalen, 
welche  diphthongisch  wurden,  der  schallkräftigere  den  Ton  bekam. 
Auch  wäre  die  Annahme  sehr  bedenklich,  dafs  betontes  /  seinen 
Akzent  an  den  unbetonten   Vokal  abgegeben  hätte,  vgl.  Cohn,  die 


1 1 

Suffixwandlungen  im  Vulgärlat.  1891,  243;  ^Sxi.hien'y'  hiin  (Voretzsch 
Einf. '^  1918,  61)  sagt  für  vulgäiiat.  inuli^rem  <C  midierem  nichts  aus. 
—  Vielleicht  durch  ähnliche  Gründe  veranlafst,  will  Hermann  auch 
diese  Tonveränderungen  ins  vorhistorische  Latein  zurückvcrlegen, 
dafs  nl.  aus  dem  hypothetischen  Nebenton  va  pärietem  beim  Eintreten 
des  Dreisilbengesetzes  ein  volkstümliches /ßr/<//^?«  wurde;  eine  Wider- 
legung dürfte  nach  dem  oben  Gesagten  überflüssig  sein.  Vielmehr 
spricht  die  Ratio  dafür,  dafs  der  Hauptstofs  zu  der  neuen  Betonung 
von  dem  sämtlichen  Formen  gemeinsamen  Hiatus  /  ausgegangen 
ist  und  die  verschiedene  Entwickelung  in  aretem  und  muli§'rem 
durch  die  umgebenden  Laute  bedingt  war.  Da  aber  das  betonte 
/  der  Casus  obliqui  keineswegs  seinen  Akzent  zu  Gunsten  des 
folgenden  Vokals  verlieren  konnte,  mufs  der  Wandel  im  Nominativ 
vor  sich  gegangen  sein  und  mit  Recht  hat  schon  Thurneysen 
KZ  30  (iSgo),  502  für  den  Typus  aretem  vermutet,  dafs  zuerst 
äries  zu  arls"^  und  a?-ietibus  zu  aretibus  wurde  und  das  e  auf  ana- 
logischem Wege  sich  in  den  übrigen  Casus:  ar'etis  usw.  durchgesetzt 
hat;  vgl.  auch  Varro  1.  1.  V  98:  aries  -j-  gui  eam  (qnidam?)  dicebant 
ares  und  §  256.  Bestätigt  wird  diese  Ansicht  einigermafsen  auch 
durch  die  Dichtersprache,  welche  wohl  in  Anlehnung  an  die  Um- 
gangssprache, aber  mit  irrationeller  Beibehaltung  des  i  eine  dem 
vulgären  Lautwandel  -'  /?  >•  '  e  analoge  Entwickelung  —/?  >  —ie 
zeigt:  auch  hier  treten  zuerst  nur  Nominative  auf,  vgl.  aries  (vor 
der  Caesur  bei  Lucil  460  M.,  Vergil  Ecl.  3,  95  usw.),  abies  Vergil 
Ecl.  7,  66  usw.  mit  einem  e,  das  nicht  lautgesetzlich  sein  kann,  vgl. 
equcs  <i  equets  —  unsicheres  mills  nur  Plaut.  Mil.  528  —  und 
K.Meister  Lat.  -  Gr.  Eigennamen  19 16,  24.  Erst  Statius  hat  sich 
neben  ariltibus  (Theb.  2,  492)  auch  ein  et  ärjete  sonor 0  (10,  527) 
erlaubt.  2  Wohl  schon  zur  Zeit  des  Lucilius  wurde  unbetontes  ie 
vor  ausl.  s  in  der  Volkssprache  gelegentlich  zu  e.  Wann  die  neuen 
Formen  sich,  zuerst  im  Nom.  Sing.  (Abi.  Plur.),  durchsetzten,  läfst 
sich  mit  unsern  Mitteln  nicht  entscheiden.  Die  Instituta  IV,  Sg,  loK.: 
quaeritur  a.  Plinio  .  .  .  paries  .  .  .  qua  de  causa  non  ...  ad  e  pro- 
dudiim  pertinere  prommtietur  beweisen  keineswegs,  dafs  zur  Zeit  des 
Plinius  nicht  paretem  gesprochen  wurde;  denn  in  der  Sprache 
der  Grammatiker  bedeutet  non  prominfiatur  soviel  wie  non  licet 
pronuntiare. 

2  b.  Auch  die  Entwickelung  von  mulier  mufs  vom  Nom.  Sing, 
(u.  Abi.  'Plur.)  ausgegangen  sein.  Die  verschiedene  Behandlung 
des  ie  in  mulif'rern  und  paretem  (nach  pares,  pares)  ist  nur  durch  die 
Wirkung  der  umgebenden  Konsonanten,  welche  verschieden  sind, 
zu  erklären.  Meyer-Lübke  Einf.  3  erblickt  den  Grund  für  das 
Unterbleiben  der  Kontraktion  ie  y^  e  in  mulierem  in  dem  Einfluls 
des  r;  ohne  Zweifel  mit  Recht,  aber  nicht  das  inlaut.  r  der  Casus 


1  Aus  hochlat.  aries  entwickelte  sich  später  wieder  vulg.  ariex,  s.  §  i8a. 
^  Ein    hiemem  fehlt  dementsprechend  in   der  Dichtersprache,    weil  hiems 
auch  im  Nomin.  betontes  J  hatte. 


12 

obliqui,  sondern  nur  das  ausl.  r  des  Nom.  mulier  stand  der  (Kon- 
traktion und)  Dehnung  ie  >■  l  im  Wege,  da  -ir,  nicht  auch  -er-, 
im  Lateinischen  fehlt.  Aufserdein  ist  aber  zu  beachten,  dafs  das 
/  ein  /  vorhergeht,  das  für  die  MouilHerung  am  meisten  empfänglich 
war,  vgl.  z.  B.  das  aus  aPejimn  <<  alienu?}i^  entstandene  span.  ajeno, 
pg.  alheo  gegenüber  quietus  >  quetus  (CIL  VI,  371 1  =  31 1009 
aus  der  2.  Hälfte  des  2.  Jhdts.).  Die  verschiedene  Entwickelung 
von  midier  und  abies  usw.  erklärt  sich  also  durch  die  -ie-  umgeben- 
den Konsonanten.  Aber  nur  im  Nom.  Sing,  konnte  unbetontes  i 
das  /  mouillieren  und  zugleich  das  ausl.  r  der  Verbindung  von  ie 
>>  e  entgegentreten.  Wie  ares,  arietis  zu  ar'es,  aretis  wurde,  so 
übernahmen  auch  die  Casus  obliqui  von  vmVer  das  mouillierte  /. 
Nach  diesem  neuen  mouillierten  /'  war  für  das  betonte  /  von  mtdieris 
usw.  selbstverständlich  kein  Platz  mehr.  Der  Ton  hätte  nun 
eigentlich  auf  die  erste  Silbe  verlegt  werden  müssen:  mül'eris  usw.; 
da  aber  seit  ältester  Zeit  im  Gegensatz  zu  dem  Nominativ  die 
Casus  obliqui  den  Akzent  immer  auf  der  Silbe  nach  dem  /  trugen, 
so  wurde  der  dem  Ohr  gewohnte  Rythmus  auch  jetzt  in  der 
Vulgärsprache  beibehalten  und  nach  midier  (müVer),  midieris  stets 
rnnVer,  mtdieris,  mit  dem  Ton  nach  dem  /,  akzentuiert.  Auch  das 
wohl  zugleich  mit  müVer  entstandene  muPirihus  mag  seinen  Einflufs 
geübt  haben. 2 

Die  Entwickelung  von  filiolus  >  filiölus  verlief  in  paralleler 
Weise,  nur  das  hier  auch  im  Nom.  Sing,  das  i  betont  war  und 
sämtliche  Casus  ihr  mouilliertes  /'  vom  Stammwort  _^7'?/j  übernahmen, 
dessen  unbetontes  i  sich  in  allen  Formen  mit  dem  /  eng  verband. 
Aus  den  erwähnten  rythmischen  Gründen  wurde  nicht  fiPolus, 
sondern  fil'öltis  betont,  das  sich  hinsichtlich  des  Ak/.entes  zu  fiVus 
verhält,  wie  filiolus  zu  filius.  Dieselbe  Erklärung  trifft  zu  für  araneölus 
und  verwandte  Wörter,  in.  denen  Hiatus  -e  (>  i)  oder  -/  den 
vorhergehenden  Konsonanten  früher  oder  später  mouillierte.  In 
Vokabeln  wie  capreölus  wird  Analogie  im  Spiele  sein.  Da  die  Be- 
tonung -ölus  allgemein  wurde,  trug  wohl  auch  das  §  5  b  behandelte 
Lehnwort  fassiölus    (n.  141)    den  Akzent  schon  auf  der  Pänultima. 

B.   Vokalismus. 
§  2.    Synkope. 

Trotz  der  lebhaften  Erörterungen  der  letzten  Dezennien  sind 
die  Hauptprobleme  der  lat.  Synkope  noch  keineswegs  gelöst. 
Osthoflfs  Prinzip  der  Allegro-  und  Lentoformen  (ALL  IV,  464) 
erklärt  wohl  das  Nebeneinanderstehen  von  calidus  und  caldusy  nicht 


1  In  ahalenare  CIL  VI,  14930  usw.  kann  /  nur  eine  unvollkommene 
Schreibung  des  mouillierten  l  sein,  wie  in  ßlus  ^filius  (Pirson,  la  bngue  des 
Inscr.  de  la  Gaule  1901,  58). 

2  mulierem  des  Dracontius  schliefst  sich,  wie  arils  usw.,  nur  z.  T.  an 
die  Volkssprache  an. 


»3 

aber  das  Eintreten  der  Synkope  in  olfacio,  das  Unterbleiben  in 
patefacio.  —  Die  bes.  von  Vendryes  ^  vertretene  Hypothese  (de 
rintensite  initiale  Paris  IQ02,  185),  nach  Melcher  Vokalschwund 
nur  stattfand,  wenn  das  folgende  Wortende  mehr  als  eine  Mora 
betrug,  zwingt  zu  der  Annahme,  dafs  die  häutigeren  Nom.  und 
Akkus,  (colidus,  caliduni),  calidä(m)  sich  nach  den  selteneren  Casus 
obliqui  caldl  usw.  und  dem  selteneren  Comparativ  (Superlativ) 
richteten,  sodafs  schliefslich  caldus  (-vi),  calda  (-m)  sich  durchsetzten. 
Und  C.  Juret,  Dominance  et  r^sistance  (1913),  143  ff-,  der  glaubt, 
dafs  nur  nach  langem  Vokal  der  folgende  kurze  Vokal  durch  eine 
Sonans  (r,  /,  m,  n)  synkopiert  wurde,  mufs  caldus,  soldus  <  cälidus, 
sülidus  als  Analogiebildungen  nach  ardus  usw.  betrachten.  Richtig, 
nur  in  ihrer  starren  Konsequenz  übertrieben  ist  die  übrigens  schon 
oft  gemachte  Beobachtung,  dafs  besonders  häufig  eine  vokalhaltige 
Sonans  {in,  n,  r,  /,  auch  /,  ii)  die  Vokalabsorption  [pcraäio  <  pe)-- 
quatio)  und  die  eigentliche  Synkope  (caldus)  begünstigte,  vgl.  auch 
olfacio  {calfacio)  neben  patefacio.  Es  darf  aber  niemals  von  Gesetzen, 
sondern  nur  von  gewissen  Tendenzen  geredet  werden. 

Bei  der  Frage  nach  dem  Eintreten  oder  Ausbleiben  der  Synkope 
müssen  m.  E.  folgende  Momente  berücksichtigt  worden:  i.  der  zu 
synkopierende  Vokal;  dieser  ist,  [abgesehen  von  Synkope  in  der 
Kompositionsfuge  {corono  —  la^  corolla)'\  fast  immer  e  i  ü,  während 
nur  bei  sogen.  Vokalabsorption  [percuiio  <<  perquatid)  a  häufig  schwand. 2 
—  2.  die  umgebenden  Konsonanten:  aufser  r,  /,  m,  n,  i,  u 
konnten  bes.  zwei  gleiche  Laute  die  Synkope  begünstigen,  vgl, 
reddo  <i  redido  (anders  Thurneysen  KZ  44  [ig  11],  113),  reiiuli  <, 
retetuli  usw.;  auch  zwischen  freien  Verschlufslauten  gleicher  Artiku- 
lationsstelle ist  Synkope  nicht  selten,  vgl.  cedate  >  cedite  >>  celte; 
madiitis  "^  mattus;  ebenfalls  zwischen  j  und  /,  vgl.  postus  <^  posihis. 
Im  Vulgärlatein  tritt  auch  zwischen  gutturalen  und  dentalen  Ver- 
schlufslauten gleicher  Stimmtonverhältnisse  [frigdus)  und  in  den  Ver- 
bindungen avi,  avu  -\-  Kons,  {auca  ■<  avica,  taula  <C  taviila  <C  tabula') 
Synkope  ein,  vgl.  Schwan -Behrens,  Gramm,  des  Altfrz.  n  §  19.  — 
3.  der  Akzent:  des  öfteren  unterbleibt  die  Synkope  (z.T.)  bei 
vorhergehendem  Akzent,  während  dasselbe  Wort  bei  nachfolgender 
Betonung  synkopiert  wird;  man  vergleiche  dext(e)ra  neben  dextrorsum, 
cal(i)dus  neben  caldariwn,  posteri  neben  postridie,  discipidus  neben 
disciplina.  Da  die  Aussprache  eines  Wortes  nach  der  betonten  Silbe 
hindrängt,  konnte  der  unmittelbar  vor  dem  Ton  stehende  Vokal 
am  ehesten  ausgestofsen  werden;  auch  ist  vortonige  Synkope  nur 
in  vier-  oder  mehrsilbigen  Vokabeln  möglich,  in  denen  die  Dauer 
der  völlig  unbetonten  Silben  noch  geringer  ist  als  in  kürzeren 
Wörtern.  Was  im  Lateinischen  Tendenz  ist,  wird  im  Altfrz,  Gesetz 
(lex  Darmesteteriana),    nach    dem   jeder    vortonige  Vokal    aufser  a 


1  So   schon  V.Planta,    Gramm,  der  Osk.-Umbr.  Dial.  1,214;   Barbelenet, 
Bull.  Soc.  Ling.  38,  89. 

^  Unsicher    sind    die  Beispiele  Sommers,    Hb.*  134,    für  Synkope    des  a. 


14 

vor  leichter  Konsonanz  schwindet.  —  4.  die  Beziehung  zum 
folgenden  Worte:  bildet  ein  Adverb  oder  eine  Präposition  mit 
dem  folgenden  Wort  ein  Ganzes,  so  kann  mit  uneigenllicher  Synkope 
der  unbetonte  Vokal  auch  dann  ausfallen,  wenn  die  Tonsilbe  rächt 
unmittelbar  folgt,  man  vgl.  valde  mdgiiu/n,  siipra  mensain,  infra  ihrain 
neben  validus,  super i,  inferi\  diese  Formen  führen  noch  Stolz  Lat. 
Gr.''  170  und  Niedermann  Mist.  Lautl.2  (iqii),  25  zugunsten  des 
von  Planta  und  Vendryes  aufgestellten  Gesetzes  an. 

Nach  diesen  einleitenden  Bemerkungen  gehen  wir  zu  den 
Beispielen  der  App.  über: 

a)        53     calida  noii  calda 
54    frigida  non  fricda 
201      viridis  non  virdis 

CalJjis  und  7Hrdis  sind  allgemein  romanisch,  frigdus  lebt  z.  T. 
in  Romania  fort,  vgl.  Meyer-Lübke  Wb.  1506,  9368  a,  3512  u.  unten. 
—  Die  synkopierten  Bildungen  von  calidus  und  frigidus  führt  App. 
in  der  weiblichen,  nicht  in  der  männlichen  Form  an  und  es  drängt 
sich  die  Frage  auf,  ob  gerade  calda  und  frigda  (sc.  aqua)  in  der 
Umgangssprache  der  Bäder  liebenden  Römer  häufig  waren  und 
App.  zur  Anwendung  des  Femininum  veranlafsten.  In  der  Tat 
finden  wir  trotz  des  Zeugnisses  Quintilians  (i,  6,  19),  dafs  Augustus 
jedenfalls  in  der  gebildeten  Umgangssprache  caldus  angewandt  sehen 
möchte  —  vgl.  auch  Norden  zu  Verg.  Aen.  VI2,  195  —  für  caldus 
nur  wenige  Beispiele  in  den  Hss.,  wie  Thes.  L.  L.  s.  v.  ausdrücklich 
bemerkt,  und  zwar  bei  Cato,  Varro,  Vitruv,  Plin.  major,  Petron, 
Seneca  jun.,  Columella,  Scribonius  Largus,  also  hauptsächlich  bei 
Fachschriftstellern  und  in  mehr  vulgär  gefärbten  Schriften,  während 
von  den  bedeutenden  Dichtern  bezeichnenderweise  nur  die  Satiriker 
Lucilius  {268,  291  M.),  Horaz  (Bat.  i,  3.  53)  und  Martial  caldus  an- 
gewandt haben.  Dagegen  gibt  es  für  das  zuerst  bei  Cato  de  agr. 
6,  I  u.  75  und  Varro  RR  I,  13  auftretende  calda  so  zahlreiche  Belege 
seit  Seneca  filius,  dafs  die  auf  Grund  von  App.  vermutete  Vorliebe 
der  Volkssprache  für  calda,  sc.  aqua,  in  der  häufigen  Anwendung 
derselben  Form  in  der  Schriftsprache  eine  Bestätigung  findet.  Zu 
demselben  Ergebnis  führt  auch  das  für  App.  so  wichtige  Glossen- 
material, vgl.  auch  J.  Gerhards,  Beitr.  zur  Kenntnis  der  prähist. 
Franz.  Synkope  usw.  =  Beih.  z.  Z.  f.  Rom.  Phil.  55  [19 13],  63.  Dort 
finden  wir  nl.  gegenüber  neun  Belegen  für  calidus  —  V,  13,  3  = 
51,  17  (?)  mit  Substantiv  verbunden  —  und  elf  für  calidum  (11,96,  ig; 
327,60;  III,  145,51;  255,48  usw.  —  11,321,  59;  327,59;  111,7.43; 
145,50  usw.;  Goetz  Thes.  Gloss.  em.  s.  v.)  nur  einmal  calduvi  und 
niemals  caldus,  man  vergl.  111,522,38:  termon  caldum  {calidum  a). 
Dagegen  ist  umgekehrt  siebenmal  calda  belegt  und  zwar  des  öfteren 
in  denselben  Texten,  welche  auch  calidus  bieten  (11,96,  26;  327,59; 
496,38;  545,13;  111,338,50  usw.)  und  nur  zweimal  nicht  syn- 
kopiertes calida  (111,75,45;  184,30);  in  charakteristischer  Weise 
Stehen  11,327,59:    ß-sQf/ov   heccalda,   calidum  beide  Formen  neben- 


15 

einander,  —  Die  besondere  Beliebtheit  von  calda  dürfte  damit 
gesichert  sein.  Etwas  weiter  führen  andere  Glossen,  in  denen  calda 
mit  aqua  verbunden  ist.  Geht  aqua(e)  vorher,  so  steht  fast  immer 
calida(e)  —  vgl.  111,184,  33;  3o6,  20;  522,  26;  IV,  29,  20;  429,38  — , 
während  nur  111,315,35  aqua  calda  belegt  ist;  steht  dagegen  aqua 
an  zweiter  Stelle,  so  begegnet  nur  calda  (II,  440,  i8;  496,  43;  522,  2; 
111,87,66;  440,61;  476,55;  467,53).  Besonders  wichtig  sind 
11,440,  18:  haeccaldaqua  und  11,496,43:  in  calidaZaqna  konnte  sehr 
leicht  durch  vortonige  Synkope  der  kurze  2- Vokal  schwinden  und 
auch  mit  dem  häufigen  calda  aqua  der  Glossen  wird  für  die  Aus- 
sprache calda^aqua  gemeint  sein,  wie  mit  der  inschriftlichen  Formel 
cura  agente  =  curam  agenie  —  z.  B.  CIL  VI,  8826  [102  n.  Chr.], 
Diehl  de  -m  finali  epigr.  1899,  208  —  wohl  curagente,  das  seltener 
belegt  ist.  Calda  aqua  und  dann  auch  calda  waren  also  sehr  beliebt 
in  der  Umgangssprache.  Wenn  Scribonius  Largus  am  Ende  des 
ersten  Jhdts.  blofs  einmal  calda  aqua  und  siebenmal  aqua  calda  ge- 
braucht, so  zeigt  die  häufige  Anwendung  der  sekundären  Form  nur, 
dafs  das  primäre  calda" aqua  viel  älter  sein  mufs.  Bei  Vitruv  5,  10,  i 
(anders  Varro  I.  1.  5,  25)  steht  aquae  caldae  in  enger  Verbindung 
mit  caldariwn. 

An  der  Vitruvstelle  steht  neben  caldaritim  öfters  nicht  synkopiertes 
frigidarium',  und  Vario  1. 1.  5,  25:  aquae  frlgidae  et  caldae  und  Petron 
c.  67 :  caldum  ineiere  et  frigidum  polare  (in  einem  vulgären  Gespräch) 
zeigen  ganz  klar,  dafs  Synkope  des  Adjektivums  frigidus  nicht 
allgemein  üblich  war.  Dementsprechend  weisen  die  Glossen  zwar 
z.  B.  frigdärium  (V,  619,  35)  neben  frigidarium  (-0)  mit  nachtoniger 
Synkope  auf,  nie  dagegen  {frigdus  oder)  frigda,  während  calda 
öfters  belegt  ist.  Die  Erklärung  für  diesen  Unterschied  geben  vor 
allem  die  Konsonanten  g  und  d,  zwischen  denen  Synkope  erst 
später  eintrat.  Da  nicht  synkopiertes  frigidus  lange  weiter  lebte, 
werden  wir  das  kurze  /,  das  bekanntlich  frz.  froid,  it.  freddo  voraus- 
setzen, in  der  Weise  zu  erklären  haben,  dafs  schon  frigidus  unter 
Einflufs  von  rigidus  zu  frigidus,  nicht  erst  frigdus  durch  rigdus  zu 
frigdus  wurde.  Mit  der  dauerhaften  Existenz  von  nicht  synkopiertem 
frigidus  stünde  das  schon  vor  79  n.  Chr.  bezeugte  frulus  —  CIL 
IV,  1291:  da  fridam  pusillam  — ,  dessen  weite  Verbreitung  aspan. 
frido  erweist,  in  Widerspruch,  wenn  es  mit  der  üblichen  Etymologie 
fr'idus  <ifriddus  <C  frigdus  seine  Richtigkeit  hätte;  weil,  wie  gesagt, 
die  Natur  der  umgebenden  Konsonanten  die  Synkope  nicht  be- 
günstigte, ist  f'ldus  anders  zu  erklären  und  mit  v.  Ettmayer  Arch 
f.  d.  Stad.  d.  neuer.  Spr.  und  Lit.  128  NF  28  (1912),  37  anzunehmen, 
dafs  (aspan.  frido  und)  vulgärlat.  friduvi  auf  ein  frigidum  zurück- 
gehen, dessen  g  zwischen  den  fast  gleichen  (f,  z)  oder  völlig  gleichen 
Vokalen  [frigidus  nach  rigidus)  schon  früh  zu  j  wurde  und  vor 
79  n.  Chr.  schwand;  frljidus  {frijidus)  wurde  zu  fr'idus.  Nur  auf 
diesem  Wege  läfst  sich  die  verschiedene  Entwickelung  von  digitus 
im  Romanischen  erklären,  s.  §  16  g.  —  Frigdus  bürgerte  sich  später 
ein  als  caldus;  vielleicht  wurde  zuerst  das  in  App.  angeführte  fricda, 


i6 

sc.  aqua  (über  das  c  s.  §  4)  gebräuchlich,  möglicherweise  im  An- 
schlufs  an  calda.  Jedenfalls  beweist  auch  fricda  die  ziemlich  späte 
Abfassungszeit  der   App. 

Für  viridis  waren  durch  das  r  die  Sj'nkopebedingungen  günstig. 
Dementsprechend  findet  sich  nicht  nur  virdidriwn  häufig  —  vgl. 
für  virdesco  CGI.  IV,  597,  8  — ,  sondern  kommt  auch  vtrdis  selbst 
mit  vortoniger  Synkope  schon  einmal  bei  Cato  de  agr.  145,  3: 
virdem  oleum  vor. 

b)     I.         3  spectdutn  7ion  specliiin  3.         4  tnasciilus  non  maslus 

IG  angulus  non  anglus  7  vernacidus nonvernachis 

1 1  iiigulus  non  iuglus  S  articidus  non  articlus 

III  oculus  non  oclus  35  iicvenciis  non  iiivenclus 

9  bacidus  non  vaclus  1 7 1  neptis  non  nepticla 

5  vetulus  non  veclus  172  anus  fi07i  anucla 

6  vitulus  non  vicliis  4.       32  ß^ulus  nun  ßgel 
167  capitiduni    non  capiclum  33  tnasctdus  non  mascel 

2.     142     stdbiduin  non  stahltim  133  fax  non  facla 

130     tabula  non  tahla  202  constabiUtus  non  consta- 

200     tribula  710 n  ti'fbla  b[i]litns 

215  vapido  7ion  baplo 

Mit  Hilfe  von  Gradenwitz's  Laterculi  (1904)  läfst  sich  leicht 
feststellen,  dafs  die  wenigen  lateinischen  Vokabeln  auf  -dum,  -blu?n, 
-cla,'^  -hla,  clus  —  über  Plautin.  perichan  s.  unten  —  spätere  Lehn- 
wörter sind,  wie  arab.  dabla,  hebr.-gr.  siclus,  oder  erst  nachträglich 
in  der  Umgangssprache  aus  den  volleren  Formen  -culum,  -buliim 
usw.  neugebildet  sind,  z.  B.  laterclus,  fibla  usw.  Im  ältesten  Latein 
gab  es  nur  einige  Vokabeln  auf  -phim,  entweder  mit  urspr.  p  wie 
in  templmn  (vgl.  tempus)  oder  mit  einem  zur  Erleichterung  der  Aus- 
sprache eingeschobenen  /  wie  in  a7n-p-la  und  exem-p-lum  {exivid).'^ 
Dementsprechend  wurde  in  den  alten  Suffixen  -dhlom  >  -blom  und 
-tlom  >>  -dorn,  welche  den  Ort,  wo  etwas  geschieht,  und  das  Werk- 
zeug bezeichnen,  ein  anaptyxisches  ti  eingeschoben  3  und  wir  dürfen 
nicht  mit  Vendryes  266  und  de  Groot  60  unter  Ablehnung  vor- 
historischer Anaptyxe  in  dem  u  von  -buhivi  und  -adnm  blofs 
analogischen  Einflufs  von  anderen  Vokabeln  auf  -idus  [culus]  er- 
blicken. Da  aber  Plautus  altes  -clus,  -da,  -dum  benutzt  und  -culus 
(-«,  -twi)  bekanntlich  fast  nur  am  Ende  des  (Halb-) Verses  zuläfst  — 
Jacobssohn  Quaest.  Plautin.  Diss.  Göttingen  1904,  lof.  —  so  könnte 
man  meinen,  dafs  zu  seiner  Zeit  cubidum  in  der  Volkssprache 
lebendig  war  und  die  gleiche  Form  des  späteren  Vulgärlateins  die 
direkte  Fortsetzung  sei.  Aber  Plautus  kann  archaisieren  und  an- 
gesichts   der    starken    Tendenz    der    späteren    Umgangssprache    in 


'  adsecula  ist  seit  Cicero  bis  Hieronymus  regelmäfsig ;  nur  Nepos  Altic. 
6,  4  hat  einmal  assecla. 

2  7mdtiplus,  duplus  usw.  kommen  niclit  in  Betracht. 

'^  Lehrreich  ist  slabiilufn,  piacidu/n  neben  umVjr.  staflarem,  pdiadu. 


17 

ähnlichen  Endungen  zu  synkopieren  sind  die  vielen  jüngeren  Formen 
wie  cuhiclum  usw.  ohne  Zweifel  Neubildungen.  —  Wäre  -hluvi  {-bla) 
zur  Zeit  des  Plautus  noch  gesprochen  worden  oder  ihm  als  alte 
Form  bekannt,  so  hätte  er  sie,  wie  -dum  in  cuhiclum,  sicherlich 
neben  -bulum  [-a)  angewandt.  Wir  dürfen  also  das  schon  für 
III  V.  Chr.  bezeugte  tableis  CIL  12,585,46  nicht  auf  gleiche  Stufe 
mit  umbr.  lafle  stellen,  sondern  das  aus  tabla  (<<  -dhlci)  entstandene 
tabula  wurde  schon  früh  wieder  synkopiert;  hat  doch  schon  Lucrez, 
wie  wir  sehen  werden,  ein  singlariter  aus  der  Volkssprache  auf- 
genommen. Die  von  App.  gerügten  Bildungen  stablum,  tabla,  trihla 
sind  also  etwa  seit  dem  Ende  des  2.  Jhdts.  v.  Chr.  neu  entstanden. 
Seit  der  Zeit  sind  auch  die  übrigen  verworfenen  Formen  aufgekornmen, 
welche  alle  ein  ursprüngliches  u  zeigen;  masctdus  und  die  unter  3. 
aufgezählten  Vokabeln  zeigen  das  Deminutivsuffix  -culus  [-Ins  in 
iuve7iclus);  iugulus  vergleiche  man  mit  ai.  iugalam  (und  lugtim)',  angulus 
(zu  ancus)  mit  unguhis  (F'estus  375  M. :  Oscorum  lingua  anulus  und 
Ernout  Elem.  dial.  du  vocab.  lat.  1909,  243),  das  zu  tincus  gehört, 
und  ai.  arigülih  'Finger',  anguliyam  'Ring';  hier  zeigt  sich  die 
Synkope  im  umbr.  anglome  am  ehesten.  —  Vetulus  gehört  zu  vetus  1, 
vitu-lus  'Jährling'  zu  einem  gr.  ftrog  entsprechendem  Substantiv;  im 
Umbrischen  ist  vitluf  bezeugt.  Auch  in  ocuhis  vom  Stamme  *oqli 
(djr-)  ist  11  vor  dem  Suffix  -los  ursprünglich.  Mit  speculiwi  vgl.  aufser 
iaculum  besonders  decipulum  mit  urspr.  u  im  Gegensatz  zu  templum. 
—  Baculum  ist  nicht  mit  Walde^  aus  hac-tlom  entstanden  zu  denken 
(zu  subst.  bac-  wäre  das  Suffix  unpassend),  sondern  in  bac-u-lufti  zu 
zerlegen  mit  einem  wohl  uralten  u.  Unklar  bleibt  vapulo;  über 
facula  s.  unten. 

Dafs  diese  im  ältesten  Latein  verworfene  Synkope  etwa  seit 
dem  Ende  des  2.  Jhdts.  üblich  wurde,  beweist  auch  Lucrez,  der 
VI,  1088:  inter  se  quaedam  possint  coplata  teneri  und  1067:  quae 
viemorare  queam  inter  se  singlariter  apta  schreibt,  beide  Male  mit 
vortoniger  Synkope  im  fünftem  Fufse,  und  zwar  im  letzten  Teile 
des  6.  Buches,  der  auch  sonst  merkwürdige  metrische  Freiheiten 
bietet  —  über  aqua  oder  aqua  s.  §  13  —  und  dessen  späte  Ab- 
fassung auch  Müssehl,  de  Lucr.  libr.  I  condicione,  Diss.  Greifswald 
igi2,  121  und  H.  Diels  Berl.  Sitz.-Ber.  191 8,  916  nicht  für  alle 
Teile  in  Abrede  stellen.  Zwar  ist  singlariter  nur  im  Cod.  Flor.  35,31 
überliefert  (die  Haupthss.  haben  singulariter),  aber  Lachmanns 
Vermutung  inter  singillariter  apta  ist  auch  metrisch  unrichtig,  da 
nach  Mirgel,  de  Synal.  et  caes.  in  vers.  hexam.  Latin,  Diss.  Göttingen 
19 10,  35  Lucrez  die  Caesur  xara  rbv  xq'lxov  tqox-  oder  die 
sogen.  Hephthemimeris  anwendet,  wenn  die  dritte  Arsis  durch  die 
Stammsilbe     eines     nicht     einsilbigen    Wortes    ausgefüllt    wird:     das 


1  vettis  kaum  mit  Skutsch  ALL  XV,  35  als  adjektiviertes  Substantiv  = 
FsxOQ  zu  betrachten;  da  vetus  wohl  von  Anfang  an  zu  den  verschiedensten 
Substantiva  hinzugefügt  wurde,  kann  es  nicht  zuerst  in  vetus  vünim  (ein  Jahr 
alt>alt[!])  seine  Bedeutung  geändert  haben  (Persson,  Glotta  6,  89). 

Baehrens,  Spi-achl    Kommentar  zur  Vulgärlat.  Appendix  Probi.  2 


i8 

metrische  Gesetz  verlangt  shighriter.  —  Auch  lesen  wir  schon  in 
den  lex  Ursonian.  CIL  II,  5439,  II,  2,  24:  figUnas  teglarias  und  in 
den  viel  Volkstümliches  bietenden  libri  rer.  rust.  Varros  (I,  40,  4) 
surchs. 

Gehen  wir  zu  den  einzelnen  Beispielen  über.  Die  ziemlich 
frühe  Existenz  von  oclus  beweist  ocliferms  (Sen.  iun.)  und  vor  allem 
das  viel  besprochene  oclopeta  Petron.  c.  35  —  einige  Literatur  bei 
Schopf,  die  konson.  Fernwirkungen  usw.  19 IQ,  124.  Da  Trimalrhio 
ein  Repositorium  mit  den  zwölf  Bildern  des  Tierkreises  auftragen 
läfst  und  auf  jedes  Zeichen  ein  entsprechendes  Gericht  gelegt 
wird,  so  kann  in  dem  Abschnitt  super  sagiltariutn  oclopetam  mit  oclo- 
nur  das  Auge  gemeint  sein  und  hat  Vendryes  MSL  13  (1905/6), 
231  mit  Unrecht  oclope{c)tam  nicht  nur  mit  dem  Pferdenamen 
Oclopecta  (auf  Fiuchtäfelchen),  sondern  auch  mit  dem  CGI.  II,  206,  2; 

III,  308,  55,  56  zur  Erklärung  von  armilusor  angeführten  büilonaiy.rric, 
identifiziert.  Aufserdem  ist  die  Dissimilation  von  p-p  >  c-p  sonst 
nicht  sicher  belegt  (§  1 2),  sodafs  bjtXojcaixTrjq  fern  zu  halten  ist. 
Wohl  aber  ist  oclopeta,  das  sich  durch  den  Kompositionsvokal  0 
als  hybride  Form  verrät  (Bücheier  Rh.  Mus.  58  [1903],  624),  mit 
dem  hybriden  Pferdenamen  Oclopecta  zu  verbinden,  ohne  dafs  sich 
bestimmen  liefse,  welchem  Tiere  der  Name  {pclo'.  jtijxTrjg)  zuerst 
zukam.  Bücheier  vergleicht  den  Fischnamen  ocliftiga  u.  a.  Ich 
nehme  aber  an,  dafs  das  hybride  oclopecta  sich  bei  Petron  in  der 
sekundären  volksetymologischen  Form  oclopeta  zeigt  —  oclo  petit 
sagittaj-tus  — ,  sodafs  wir  weder  mit  Bücheier  oclope[c)ta  schreiben 
noch  mit  E.  Thomas  Stud.  z.  lat.  und  griech.  Sprachgesch.  19 12,  50 
die  Form  als  Beleg  für  den  Übergang  von  -et-  zu  -//-  anführen 
dürfen,  vgl.  auch  §  16.  —  Oclaia  steht  CIL  VI,  75  als  Beiname 
der  Bona  Dea,  vgl.  VI,  68:  oh  luminilms  restitutis;  oclus  steht 
z.B.  CIL  X,  7756  und  auf  dem  berühmten  Verfluchungstäfelchen 
aus    Nomentum    8751    Dess. ;    für    it.  occhio    usw.    s.  Groeber    ALL 

IV,  422. 

haculus  non  baclus  (9)  ist  wegen  des  anerkannten  Maskulinums 
für  die  Zeit  der  App.  von  Wichtigkeit.  Das  durch  ßdxTQor,  ba- 
cillum  und  Paul.  Fest.  p.  29  M:  haculum  pastorale  usw.  als  Neutrum 
gesicherte  Wort  ist  erst  etwa  seit  dem  3.  Jh.  (Hermes  Past.,  Vulg. 
usw.)  als  Masculinum  belegt,  da  auch  bei  Ovid  die  Überlieferung 
der  Metamorphosen  Tixxi  b acutum  hinweist,  vgl.  jetzt  Magnus  zu  2,  681, 
789;  6,  27.  In  der  Vulgärsprache  kann  durch  den  allmählichen 
Untergang  des  Neutrums  baculus  ziemlich  früh  entstanden  sein ; 
aber  in  der  Literatursprache  ist  baculus  fast  völlig  auf  griechische 
Übersetzungen  oder  griechisch  beeinflufste  Texte  beschränkt;  den 
Einflufs  der  Endung  des  allerdings  femininen  gäßöog  zeigt  die 
Vulgata,  welche  niemals  baculum  und  elf  Belege  für  baculus  als 
Übersetzung  von  QaßSog  bietet,  während  nur  Herrn,  mand.  ii,  16 
und  Auson.  53,  i  als  ältere  Belege  in  Betracht  kommen.  App. 
hätte  nun  aber  das  Masculinum  nicht  gebilligt  zur  Zeit,  als  die 
neue  Form    in    der  Literatur   noch    nicht   üblich    war;    wir   dürfen 


19 

Sit:  also  nicht  vor  der  Übersetzlmg'speriode  des  ausgdienden  zweiten 
oder  des  angehenden  dritten  Jahrhunderts  ansetzen.  Auch  bacillus 
ist  nach  Thes.  L.  L.  nicht  vor  Hieronymus  belegt.  Inschriftlich 
sticht  baclns  X,  1598.  Nur  im  Ital.  sind  bacchio  und  baculo  (< 
hachim  und  haaduni)  erhalten,  während  an  der  Peripherie  des  roma- 
nischen Gebietes  ein  anderer  Stamm  sich  durchsetzte  —  frz.  bälm, 
span.  baston  — ,  der  in  Italien  das  Erbwort  nur  z.  T.  verdrängte, 
Meyer-Lübke,  Wb.  Nr.  874. 

Vortonige  Synkope  in  speciihim  ist  —  abgesehen  von  speclaton 
Cir,  VI,  8583  —  sehr  häufig  in  speclarius  oder  speclarian'us  VI,  5:202, 
9899,  9900  u.  ö.  'Spiegelscheibenfabrikant',  vgl.  aibiclarius  g2gq, 
9300,  feg/arius  7615.  SpecluDi  selbst  ist  allgemein  romanisch,  it. 
specchio,  span.  espejo  usw. 

iiiglus  ist  unbelegt  und  im  rum.iunghiu  (Rom.  Forsch.  VII,  198) 
kann  die  Synkope  aufs  neue  eingetreten  sein.  Heraeus,  ALL  XI,  304 
vergleicht  CGI.  111,443,30:  coniicglae  C,8VXTr/Q£q;  II,  94,5:  iungla 
7]r'iaL  ^svxTixai.  —  Unbelegt  ist  auch  anglus,  vgl.  rum.  unghiu, 
prov.  angle(s),  frz.  angle,  Ullmann  198;  anders  M.-Lübke,  Wb.  465. 
Vitidus  zeigt  vortonige  Synkope  in  viclina  CGI.  III,  398,  7 
(364,5:  vitlina),  während  das  Cognomen  Vitlus  häufig  ist  (CIL 
V,  2448,  2460  usw.).  Im  Sinne  von  'Seekalb'  ist  es  überUefert 
X,  1589  und  CGI.  II,  30,  i:  biclus  (fc6x7/;  auch  im  Romanischen 
hat  das  Wort  sich  nur  in  dieser  Bedeutung  erhalten,  vgl.  it.  vecchio, 
sardin.  (logud.)  biju.  Für  'Kalb'  ist  dort  an  Stelle  von  viiulus  das 
Deminutivum  vitellus  getreten,  M.-Lübke,  Wb.  9387.  —  Unbelegt 
ist  veclus,  das  im  rum.  vechiu,  it.  vecchio,  sp.  viejo  weiterlebt,  Meyer- 
Lübke  9291.  —  Mit  capiclum  vgl.  CGI.  V,  495, 6:  capiclarius  und 
it.  capecchio ;  über  den  Lautwandel  ,-//-  >  -cl-  s.  §  7  e. 

2.  Die  auf  -abulum  [-a)  ausgehenden  Vokabeln  konnten  eine 
doppelte  Entwicklung  durchmachen:  entweder  wurde  ti  synkopiert 
wie  in  tabla  oder  intervokal,  b  wurde  zu  v,  und  -avuhijn  entwickelte 
sich,  ebenfalls  durch  Synkope,  zu  -auluvi.  Dementsprechend  setzt 
das  Romanische  neben  tabla  (frz.  table,  sp.  tabla)  auch  ein  taula 
voraus,  vgl.  it.  tola  'Schachbrett',  frz.  tole,  M.-Lübke,  Wb.  8514  und 
E.  Gierach,  Beih.  z.  Z.  f.  rom.  Ph.  24,  ig  10,  31.  Ob  auch  vereinzeltes 
rum.  staul,  staur  direkte  Fortsetzung  eines  vulgärlat.  staidum  ist,  bleibt 
etwas  unsicher,  weil  sonst  in  it.  Stabbio,  frz.  etable  usw.  stablum 
weiterlebt.  Andererseits  zeigt  spätgr.  (jzavXog  neben  OrdßXog  (Im- 
misch de  gloss.  Hesych.  ital.  372),  dafs  statdum  wirklich  einst  im 
Vulgärlatein  vorhanden  war.  —  Während  tableis  schon  für  1 1 1  v.  Chr. 
belegt  ist,  scheint  intervokalisches  b  erst  im  ersten  nachchristlichen 
Jahrhundert  zu  7'  geworden  zu  sein.  Wenn  trotzdem  tabula  nicht 
nur  zu  tabla,  sondern  auch  zu  tavtda  >  tatda  geworden  ist,  so  mufs 
entweder  neben  häufigerem  tabla  auch  tahda  sich  im  Vulgärlatein 
lange  gehalten  haben,  oder  hochlat.  tahda  ist  später  noch  einmal 
^  neben  tabla  —  in  die  Umgangssprache  eingetreten  und  zu 
tavida  >  taula  geworden.  Jedenfalls  dürfte  die  Feststellung  für  das 
Verständnis    des  Vulgärlateins   von   Bedeutung  sein.     Auch  hier  ist 


20 

vortonige  Synkope  häufig,  vgl.  lahlinum  (sehr  oft)  und  für  stahlarius 
Rönsch,  It.  u.  Vulg.  167,    Heraeus  320,  321. 

Tribula  7ion  trihla.  Die  von  Cato  de  agr.  135,  i:  Suessae  et  in 
Lucanis  plostra,  treblae  albae  erwähnte  frebla  ist  mit  lat.  tribuliim 
'Dreschmaschine'  identisch,  weil  neben  tribuluvi  (sp.  trillo  usw.)  auch 
trehla  im  it.  trebbia  'Dreschmaschine'  sich  erhalten  hat.  Dafs  die 
trebla  der  Suessani  und  Lucani  auch  formell  ein  dialektisches  Wort 
ist,  zeigt  schon  der  Vokal  e  neben  lat.  i  (Stamm  trei,  vgl.  trivi) 
und  die  Endung  -hla,  welche  lateinisch  zu  -btila  geworden  wäre, 
s.  oben.  Wir  müssen  also  fem.  dial.  trebla  vom  neutr.  lat.  tribuhwi 
aufs  schärfste  trennen,  Ernout  239.  Wenn  nun  seit  Coluraella  ver- 
einzelt auch  im  Lateinischen  tribula  (f.)  auftritt,  so  haben  wir  es 
m.  E.  mit  einer  Mischform  zu  tun ;  bei  der  Bevorzugung  süditalie- 
nischer Dreschmaschinen  übernahmen  die  Römer  z.  T.  auch  die 
Form  und  pfropften  dem  lateinischen  Wort  gelegentlich  die  fremde 
Endung  auf.  In  der  Umgangssprache  entstand  die  Form  wohl 
lange  vor  Columella.  In  interessanter  Weise  billigt  App.  als  Be- 
zeichnung eines  ländlichen  Instruments  die  vulgäre  Kreuzform  tri- 
bula, wie  sie  im  Munde  des  Landmanns  üblich  war.  Das  verworfene 
iribla  —  triblaeque  liest  Nonius  228  anstatt  tribulaque  bei  Verg. 
Georg.  I,  164  —  ist  wohl  synkopiertes  tribula;  es  kann  aber  auch, 
mit  tribula  auf  einer  Stufe  stehend,  eine  Mischung  aus  tribuluvi 
und  trebla  darstellen. 

3.  Mehrere  Vokabeln  auf  -eins,  -0,  -um  werden  nicht  nur 
wegen  der  Synkope,  sondern  auch  wegen  der  Deminutivendung 
getadelt,  obwohl  diese  für  nepticula  und  anicula  (seit  Terenz)  als 
Hypokoristikon  und  für  iuvenclus  zur  Bezeichnung  des  jungen  Tieres 
recht  verständlich  ist.  Es  ist  von  Wichtigkeit,  dafs  nach  dern  Zeugnis 
der  App.  besonders  auch  Angehörige  der  jüngsten  und  ältesten 
Generation  durch  die  Deminutivendung  in  der  Volkssprache  be- 
zeichnet wurden.  Ähnliches  finden  wir  auch  in  anderen  Sprachen, 
vgl.  Schwab.  Ähnle,  österr.  Ähnel  für  'Grofsvater'  und  frz.  petit-fils 
'Enkel'  (Schoof,  Z.  f.  hochd.  Mundarten  I,  1900,  221).  In  anicula 
und  nepticula  hat  die  Endung  sowohl  ihre  ursprüngliche  Kraft,  weil 
auch  der  physiologische  Schrumpfungsprozefs  die  Anwendung  von 
anicula  begünstigte,  wie  auch  hypokoristische  Bedeutung,  vgl.  noch 
anicilla  (Varro,  L.  L.  9,  74)  mit  der  speziell  hypokoristischen  Endung 
-illa  [-ella,  Musterbeispiel  Plaut.  Asin.  667).  Anucla  —  über  das  u 
s-  §  3g  —  steht  z.  B.  CGI.  11,  534,  11.  Nepticla  ist  unbelegt,  «<?/- 
ticiila  z.  B.  Gl  VI,  28562  u.  ö. ;  im  Romanischen  leben  nepta  und 
7ieptia  weiter.  Daneben  gab  es  manche  anderen  Formen  auf  -a'. 
7iepota,  nepotia,  nepticilla,  s.  Niedermann,  Contr.  a  la  crit.  et  ä  Texplic. . 
des  glosses  Lat.   1905,  36. 

^Juvenclus  ist  nicht  belegt,  iuvenculus ,  das  nicht  fortlebt,  (wohl 
iiivencus  :  it.  giovenco),  erst  im  Spätlatein,  wohl  zuerst  bei  Kirchen- 
vätern zur  Bezeichnung  junger  Frauen  (Tertull.  adv.  Jud.  9;  de 
monog.  3),  während  es  als  'junger  Stier'  anscheinend  nicht  vor  der 
Vulgata  (Jerem.  31,  18)   begegnet.     Ob   iuvenculus   in  diesem  Sinne, 


21 

den  auch  App.  dem  Wort  ohne  Z\v(;ifel  beilegt  —  bei  TertuU.  de 
monog.  3  ist  es  Deminutivum  von  iuvcncus  'jung'  — ,  schon  früher 
im  Volksmund  gebräuchlich  war,  läfst  sich  nicht  feststellen.  Jeden- 
falls zeugt  wohl  auch  die  Erwähnung  dieses  Wortes  für  die  späte 
Abfassung  der  App. 

Die  angeführten  Deminutiva  verwirft  App.  deshalb  mit  über- 
triebener Strenge,  weil  die  Deminulivsuffixe  in  der  Volkssprache 
immer  mehr  um  sich  griffen  und  wirklich  vulgäre  Bildungen  ins 
Leben  riefen,  s.  §  27.  Aus  derselben  Erwägung  heraus  tadelt  App. 
auch  in  facla  nicht  nur  die  Synkope,  sondern  auch  die  —  nicht 
deminutive  —  Endung  und  fordert  fax,  obwohl  facula  in  der 
Hochsprache  gang  und  gäbe  war.  —  Da  fax  und  facula  voll- 
kommen synonym  sind,  müssen  m.  E.  besondere  Gründe  dazu  ge- 
führt haben,  neben  dem  Stammwort  das  überflüssige  facula  zu 
bilden.  Fax  fällt  nun  aber  nur  durch  seine  einsilbige  Form  auf, 
so  dafs  facula  vvohl  der  bekannten  Abneigung  der  (Volks)sprache 
gegen  Monosyllaba  seine  Entstehung  verdankt.  Eine  Bestätigung 
geben  die  mit  Deminutivendung  gebildeten  Vokabeln  masculus  und 
clancu/utn,  i  welche  ebenfalls  völlig  synonym  sind  mit  den  einsilbigen 
Stammwörtern  nias  und  dam,  ohne  dafs  das  Suffix,  wie  sonst,  eine 
deminutive  oder  hypokoristische  (verächtliche)  Bedeutung  hätte. 
Auch  hier  sollten  Monosyllaba  gemieden  werden,  und  mit  Unrecht 
hat  einst  Osthoff  für  masculus  eine  Grundform  *mascus  (Samuelsson, 
Glotta  6,  228)  angesetzt.  Verständnis  für  diese  Erscheinung  zeigt 
schon  Gellius,  N.  A.  12,  13,7:  */«',  'm',  'uls'  . . .  particidae  quoniam 
parvo  .  .  .  sonitu  obscurius  promebantur,  addita  est  tribus  omnibus  eadem 
syllaba,  d.  h.  zuerst  wohl  nur  dort,  wo  cts  und  uls  nicht  proklitisch 
standen.  Schon  im  vorhistorischen  Latein  läfst  sich  also  die  Ab- 
kehr gegen  Monosyllaba  feststellen,  und  mit  Recht  hat  Wackernagel, 
Wortumfang  und  Wortform,  Nachr.  Gott.  Ges.  d.  Wiss.  1906,  147 
den  alten  Ersatz  von  sei  durch  scito  ähnlich  erklärt,  2  vgl.  auch 
Meillet,  MSL  13,3*59;  Z.  f.  armen.  Phil.  2,21:  "les  mots  autonomies 
de  la  phrase  tendent  dans  presque  toutes  les  langues  ä  n'etre  pas 
monosyllabiques".  Im  Anschlufs  an  Wackernagel,  der  auch  auf 
das  Schwinden  von  Ire  zugunsten  von  vadere  und  ambulare  im  Ro- 
manischen aufmerksam  macht,  hat  auch  Loefstedt,  Komm,  zur  Pere- 
grin.  191 1,  148  z.B.  spätlat. /(7«/z  = /0/,  quanti  =^  gtiol  in  diesen 
Zusammenhang  eingereiht.  Und  mit  Recht  verwirft  Sjögren,  Eranos 
16,  19 16,  41  auch  bei  Cicero  ad  Att.  III,  14,2:  in  Epirum  non  veni 
die  zweite  Überlieferung  non  ii,  weil  Cicero  das  kurze  Perfekt  auch 
sonst  häufig  gemieden  hat.  —  Eine  umfassende  Monographie  wäre 
eine    dankenswerte  Aufgabe,    welche    auch   die  Chronologie  zu  be- 


^  Höchstens  in  clanculum  könnte  man   das  Deminutivum  nachempfinden. 

2  Dagegen  ist  es  unnötig;  mit  Persson,  Glotta  6,  94,  der  auch  auf  die 
Gelliusstelle  u.  a.  hinweist,  das  Ausbleiben  der  Synkope  m  feros,  rätis,  cutis 
ebenfalls  durch  Scheu  vor  Monosyllaba  zu  erklären  ;  wurde  doch  auch  mortis 
zu  mors.  Vielmehr  konnte  eine  lange  Pänultima  {natura  oder  positione)  am 
ehesten  die  schwache  Endsilbe  absorbieren,  vgl.  ß^/v?.?  ]>•  f/^f^r  u.  Sommer ^  152. 


rücksichtigen  hätte.  Nur  wenige  Beispiele  kann  ich  hier  anführen: 
Schon  in  den  Brieffragmenten  des  Augiistus,  über  dessen  Vulgarismen 
man  Sueton.  87  vergleiche,  stehen  c.  76,  2  die  beiden  Vtirben, 
welche  das  kurze  edere  im  Romanischen  ersetzen,  nebeneinander, 
comcdere  (sp.  ptg.  comer)  und  manducare  (frz,  manger).  Die  Vorliebe 
für  das  kräftigere  portare  gegenüber  fers,  fert  usw.  zeigt  schon  das 
Bell.  African.  21,  2:  in  plosiris  deporiare  (sc.  saucios  iussit  Lahienus), 
welche  Stelle  Woelfflin,  Phil.  35,  151  und  Koehler,  Act.  Semin.  Er- 
lang. 1,400  mit  Caesar,  B.  G.  i,  54,  3:  naves  carris  iunciis  devehit 
zusammengestellt  haben.  ^  —  Besonders  oft  sind  kurze  Zeitbestim- 
mungen durch  längere  ersetzt  worden,  so  ver  teils  durch  primuin 
kmpiis  (frz,  printemps),  teils  durch  prima  aetas  (CGI.  IV,  459,25: 
pritnetas  ver),  das  wieder  mit  ver  gekreuzt  zu  prima  ver(a)  wurde, 
CGI.  III,  426,  7;  etwas  anders  Niedermann,  N.  Jahrb.  15,  1912,  335. 
Auch  diese  Tendenz  zeigt  sich  schon  sehr  früh,  wenn  anstatt  diti 
bereits  seit  Claud.  Quadrig.  frg.  81  u.  a.  !o)igo,  magno  tempore  auf- 
tritt, vgl.  Woelfflin,  Lat.  Komparation  67,  ALL  XV,  12.  —  Manche 
kurzen  Formen  haben  sich  nur  in  den  Teilen  der  Romania  er- 
halten, welche  auch  sonst  Altertümliches  aufweisen.  So  hat  z.  B. 
das  erwähnte  ferre  nur  im  Altcampadinischen  Spuren  hinterlassen, 
avem  lebt  nur  im  logudor.  ae  und  span.  ptg.  ave  weiter,  während  es 
im  übrigen  Gebiete  durch  aucelliis  [avicellus)  ersetzt  wurde.  Nur  im 
Engad.,  Aptg.  und  Aspan.  hat  sich  mus  gerettet,  wofür  sonst  überall 
sorex  (soriciiis)  'Spitzmaus',  das  seine  Bedeutung  erweiterte,  ein- 
getreten ist.  —  Scheu  vor  Monosyllaba  verführte  vielleicht  Fredegar 
in  seiner  Chronik  huius  für  fast  alle  einsilbigen  Kasus  zu  verwenden, 
vgl.  11,  116,  2:  ex  huius  (=  his)  unus,  I,  123,  18:  huitis  (=  hoc) 
/empöre  usw.,  und  Haag,  RForsch.  X,  884,  der  die  Erscheinung  nicht 
erklärt.  Eine  Vorstufe  bildet  in  Rufins  Übersetzungen  der  Origenes- 
homilien  zum  Alten  Testamente  der  auffallend  häufige  Gen.  Compar. 
horum  anstatt  his  ohne  folgendes  Substantiv,  vgl.  den  Sprachindex 
in  meiner  Ausgabe  II,  616.  Wir  bekommen  alhnählich  einen  Ein- 
blick in  den  Existenzkampf  des  einsilbigen  hie,  das  als  Pronomen 
in  den  romanischen  Sprachen  abgestorben  ist.  Über  die  Neigung 
kurze  Nominative  nach  den  längeren  Casus  obliqui  auszugleichen 
s.  %  22.  —  Auch  das  Monosyllabon  fax  ging  verloren  und  nur 
facula  (daneben  flaciila)  hat  sich  erhalten,  vgl.  span.  hacha,  ptg. 
facha  usw.,  M.-Lübke,  Wb.  3137. 

Während  App.  die  behandelten  Deminutiva  mit  übertriebener 
Sorgfalt  verwirft,  werden  ariicuJus,  vernaciilus  und  capitulum  anerkannt. 
Die  Anerkennung  von  articulus  war  notwendig,  weil  artus  selbst 
mit  verschwindenden  Ausnahmen  späterer  Zeit  Plurale  tantum  ist 
und  als  solches  anerkannt  wurde,  vgl.  bes.  Instituta  IV,  29,  21K: 
artus    mejnhra    numero    se7nper  plurali   declinantiir.      Dagegen    wollte 


^  Auch  die  Synonymik  ist  zu  berücksichtigen-,  da  aufscr  flere  auch 
lacritnare  verloren  ging,  hatte  plorare  von  Haus,  aus  eine  kräftigere  Bedeutung, 
s.   Seneca  ep.  63,  I  :   lacrimandum  est,  non  p  orandum. 


23 

App.  capitulum  als  capilithim  colmmiariim  oder  in  der  Bedeutung 
'Buchkapitel'  von  capiit  unterscheiden,  während  in  vtinaculus,  dem 
völligen  Synonym  von  venia,  die  vulgär  empfundene  Endung  sehr 
gut  für  die  Bezeichnung  eines  jungen  Sklaven  pafsle.  —  Veniadus 
steht  z.B.  CI  VllI,  9375,  als  Cognomen  X,  7176  u.  ö.  (Ullmann  198), 
im  Romanischen  ist  es  nicht  erhalten.  Articlus  ist  unbelegt,  lebt 
aber  im  frz.  arteil,  it.  artiglio,  sp.  artejo  weiter. 

4.  Die  Form  mascliis  (4),  welche  als  Cognomen  häufig  ist  (vgl. 
die  Indices  zu  CIL  III,  V,  VII,  XII,  Ullmann  198)  und  im  Roma- 
nischen weiterlebt,  ist  deshalb  wertvoll,  weil  nur  sie  die  richtige 
Erklärung  für  {t^t^  masauus  non  viascel  —  vgl.  auch  Instituta 
IV,  102,  13K,  CGI.  V,  221,  22  —  und  (32)  figulus  non  figel  — 
vgl.  Instit.  IV,  130,  II  —  abgeben  kann.  In  mascel  und  figel 
möchte  Ehrlich,  Zur  Indogerm.  Sprachgesch.,  Progr.  Königsberg  19 10, 
70  uralte  Reste  erblicken,  indem  er  auch  osk./amel  für  eine  ur- 
sprüngliche Bildung  hält,  aus  der  erst,  n^ich.  fa?nulare,  ein  \-3X.  fmnulus 
(seit  Plautus  bezeugt)  geworden  sei.  Aber  der  zweite  im  Oskischen 
belegte  Nominativ  auf  -/,  aedil,  mufs  notwendigerweise  aus  aedilis 
{-Is,  -l[l])  synkopiert  worden  sein,  da  der  Zusammenhang  mit  aedes 
'Tempel-herr'  jetzt  feststeht  —  Rosenberg,  Staat  der  alten  Italiker 
1913,  8  —  und  von  aedes  nur  aedilis  nicht  aedil  die  direkte  Ab- 
leitung sein  kann.  Osk.  fainel  entsprechend  wurde  aus  ital.  catelos 
umbr.  kalel,  während  im  Lateinischen  e  vor  dunklem  /  zu  u  wurde 
{caiulus),  aber  in  catelo-los  >  caiellus  vor  //  erhalten  blieb.  Da 
ital.  -elos  sich  im  Osk. -Umbr.  zu  -el,  im  Lat.  zu  -ulus  entwickelte, 
hat  sich  der  Süditaliener  Ennius  mit  seinem  merkwürdigen  /a?nul 
(Ann.  313,  danach  Lucrez  III,  1035)  die  Anwendung  der  oskischen 
Synkope  {famel)  auf  lat.  fa^nuliis  erlaubt.  Wiederholt  hat  sich  dieser 
Vorgang  auch  spontan  in  der  Volkssprache,  in  den  meist  über- 
sehenen Formen  Mascul  (Cognomen  CIL  IV,  1870  a)  und  figiil 
(IV,  3134),  welche  nicht  zufällig  nur  im  oskischen  Gebiete  ans 
Tageslicht  getreten  sind.  —  So  dürfen  wir  nach  dem  Gesagten  in 
maseel  und  figel  nicht  uralte  Reste  erkennen;  auch  kann  es  sich 
nicht  um  Oskizismen  handeln  —  so  auch  Solmsen,  lA  29,  30  — , 
da  Mascel  als  Cognomen  im  CIL  III,  V,  VII,  XII,  also  im  ganzen 
Gebiete,  nicht  selten  ist  und  neben  figel  in  Volcei,  CIL  X,  423 
gerade  im  oskischen  Gebiete,  wie  wir  sahen,  figiil  und  Mascul  auf- 
treten. —  Die  geographische  Verbreitung  mufs  auch  davon  zurück- 
halten, für  figel  und  mascel  afrikanische  Herkunft  anzunehmen,  wie 
es  einst  Kubier,  ALL  VII,  594  tat  zu  einer  Zeit,  als  die  Jagd  nach 
Afrikanismen  in  Blüte  stand.  Nichts  beweisen  gegenüber  der  gleich- 
mäfsigen  Verteilung  von  Mascel  über  das  ganze  Gebiet  das  in  Afrika 
bezeugte  Vernacel  [YIU,  loSgi)  und  die  afrikanischen  Namen  Nuvel, 
Mascal,  Maccal  usw.,  Pieske,  a.a.O.  17.  —  Mascel  xxnd  figel  sind 
echt  lateinische  Vulgärforraen,  welche  W.  Schulze,  KZ  2)C>^  ^3^ 
richtig  aus  figlus  und  masclus  (App.  n.  4)  mit  erneuter  Synkope 
entstanden  sein  läfst :  viasclas '^  mascl(7/)s  "^  mascell  y>  jfiascel.  Die 
Chronologie   bleibt   unsicher,    tiolz  Sommer''  167,    der  glaubt,    dafs 


24 

die  Formen  erst  entstanden  sind,  als  ausl.  -/  seine  verdumpfende 
Wirkung  auf  den  vorhergehenden  Vokal  verlöten  hatte.  Aber  wie 
im  Inlaut  i^pello  :  pepuli)  vor  //,  blieb  auch  im  Auslaut  von  mascel 
vor  einem  aus  //  (>>  Is)  entstandenen  /  das  e  erhalten.  Auch  sejnel 
wird  aus  semeil  «<  semeis  herzuleiten  sein  und  Ehrlichs  Erklärung 
(a.  a.  O.  70):  semel  <  semeis  <[  seml(i)s  <C  sem  lls  —  vgl.  got.  sim-le  — 
mit  analogischem  s  nach  bis  und  tris  bekommt  für  den  ersten  Teil 
durch  die  parallele  Entwicklung  von  masclus  >  mascel  eine  Be- 
stätigung. Dagegen  würde  in  simul  —  mit  /  nach  simüis  — ,  das 
aus  seml  <C  seml(l)  entstand  wie  facul  aus  facli,  ntr.  zu  faclis  (> 
facilis,  Leumann,  Lat.  Adjektiva  auf  -lis  19 17,  42),  vor  einfachem 
ausl.  -/  das  e  in  der  Tat  verdunkelt. 

5.  In  202:  constabilitus  non  coiistabiliius  hat  die  irrtümlich 
wiederholte  Schulform  zu  mehreren  Konjekturen  Anlafs  gegeben. 
Haupt,  Opusc.  II,  323  und  Ullmann  209  lesen  (con)slabilüus  non 
insiabilitus  mit  prosthet.  /  (>  in  vor  s)  oder  intensivem  in  des 
Verbums  instabilio.  Dann  wäre  aber  gar  nicht  abzusehen,  weshalb 
der  Grammatiker  gerade  das  Perfektum  und  nicht  das  normale 
Präsens  geschrieben  hätte,  während  ihn  doch  ganz  bestimmte  Gründe 
veranlafsten  nicht  caldus,  sondern  calda  als  gebräuchliche  Vulgärform 
hinzustellen.  Lesen  wir  dagegen  c.  tion  constab[i]litus,  so  erklärt 
sich  die  Anwendung  des  Perfekts  ohne  weiteres,  weil  nur  das  un- 
betonte i  von  constabilitus ,  nicht  das  betonte  von  constabilio  syn- 
kopiert werden  konnte.  Heraeus  329  vermutet  constabilitus  non 
constabilis,  aber  App.  tadelt  eher  die  langen  Endungen,  s.  §  27. 
Das  /  konnte  um  so  eher  synkopiert  werden,  weil  in  der  betonten 
Silbe  derselbe  Vokal  folgte. 

Vapulo  lebt  nicht  weiter;  vaplo  steht  Instituta  IV,  156, 37  K 
im  Bob.,  Heraeus  330,  über  das  b  von  baplo  s.  §  14.  —  Orbs  und 
niibs  werden  §  2  2  c  behandelt. 

§  3.    Vokalassimilation;  Vokalumlaut  und  Verwandtes. 

a)  2    toloniutn  non  toloneuni  146   pusillus  non  pisinnus 

20  colutnna  non  colomna  d)     151  opobalsamutn  non  ababalsa- 

177  coluber  non  colober  mum 

Hb  delirus  non  delerus  e)     196  zi»ipu(s)  non  zizup{u)s 

b)  183  parentalia  non  parantalia  197  iunipirus  non  (iu)niperus 

43    carcer  non  car(car)  193  bitumen  non  butumen 

129,   164    anser  non  ansar  203  sirena  non  sjrena 

163    passer  non  passar  1)     131  puella  non  poella 

168    noverca  non  novarca  g)     127  botruus  non  butro 

c)  58    umbilicus  non  imbilicus  h)     162  tonitru  non  tonotru. 
218    numquit  non  nimquit 

Die  Vokalassimilation  tritt  im  vorhistorischen  Latein  nicht  in 
denselben  Formen  auf  wie  in  der  späteren  Umgangssprache.  Dort 
wurde  vor  allem  betontes  e  assimiliert  und  zwar  an  das  folgende  i, 
wenn    zwischen    beiden  Vokalen    ein  stimmhafter  Konsonant  stand 


25 

—  cinis  <C  cenis  :  xÖTlQ',  similis  :  semel,  nihil  <<  nehil  — ,  an  das 
folgende  o  besonders  vor  m,  das  die  Lippeniunduiig  des  nach- 
stehenden 0  ganz  annahna,  vomo  <C  vemo  :  faiiico,  Jespersen,  Phon. 
2,  i6,  130  und  Sommer ■■'  ii3f-  Beeinflufste  in  dem  letzteren  Fall 
blofs  der  Mittelkonsonant  den  Vokalwandel  —  so  Sommer  —  oder 
auch  der  dem  e  vorangehende  Laut,  wie  E.  Hermann,  GGN  19 19, 
235  glaubt,  indem  er  vomo  dem  nicht  veränderten  emo  gegenüber- 
stellt und  homo  aus  he77io  zu  der  Zeit  entstanden  sein  läfsl,  als  das 
h  noch  der  Hinterzungenlaut  ;f  war?  Aber  die  älteste  lat.  Form, 
hemo  in  ne-(he)mo,  mit  der  he?none>n  bei  Paul.  Fest.  p.  100  M  über- 
einstimmt, zeigt  e,  so  dafs  der  Lautwandel  e  y>  0  sicher  nicht  ur- 
italisch war.  Entweder  hat  sich  in  osk.-umbr.  huviuns,  ho?no}ius  die 
Assimilation  selbständig  vollzogen  —  Solmsen  lA  19,  30  —  oder 
beide  Stämme  ghevi-  und  ghom-,  zu  denen  sowohl  got.  guma 
'Mensch'  wie  auch  )[afial,  lat.  humiis  und  lit.  zeme  'Erde'  gehören, 
haben  im  Urital.  nebeneinander  gestanden.  Da  das  älteste  Latein 
nur  hemo  zeigt,  scheint  innerhalb  des  Lateins  e  vor  m  +  0  zu  0 
geworden  zu  sein,  was  nur  möglich  war,  weil  auch  in  den  Casus 
obliqui  {hemoneiii)  die  o-Deklination  noch  häufig  auftrat;  hemonan 
war  also  nicht  kunstliches  Gebilde.  Da  zur  Zeit,  als  <?  zu  0  wurde, 
das  h  längst  reiner  Hauchlaut  war,  hat  nur  das  vi  die  Assimilation 
begünstigt.  Dafs  auch  in  glomus  <  glemos  die  Konsonanten  gl 
keinen  Einflufs  auf  die  Umlautung  ausübten,  zeigt  das  im  Roma- 
nischen erhaltene  gleinus  (nordital.  giemo),  das  ein  ursprüngliches 
Paradigma  glomos,  glemeris  voraussetzt,  dessen  neues  0  wohl  nur 
durch  folgendes  /;/  -\-  0  bedingt  war.  —  In  emo  unterblieb  der  Über- 
gang von  (?  zu  ö,  weil  nur  in  dem  isolierten  emo  (emont)  ein  0  in 
erster  Silbe  sich  hätte  entwickeln  können.  Wenn  trotz  gleichen 
Voraussetzungen  wohl  vemo  zu  vomo  wurde,  so  müssen  in  der  Tat 
beide  Labialen  zusammen,  nicht  das  vi  allein,  das  <f  zu  0  um- 
gewandelt haben,  das  ebenfalls  mit  Lippenrundung  gesprochen 
wurde.     Die  Hermannsche  Vermutung  triflft  also  nur  für  vomo  zu. 

a)  Wichtiger  für  den  Zusammenhang  mit  dem  Vulgärlatein 
ist  der  vorhistorische  Lautwandel  von  betontem  e  zvl  0  vor  dunklem, 
velarem  /,  vgl.  clor  :  tlcögiog  (Wasservogel),  dlaiva  (>  o/eiva  >  oliva) 
'.  eXai(f)a.  Schon  hier  zeigt  sich  velares  /  besonders  dem  0  ho- 
morgan :  noch  deutlicher  wird  dieser  Charakter  des  dunklen  /  in 
den  vulgärlat.  Formen  columna  >  colovina  und  dolälra  >  doUbra, 
in  denen  sogar  betontes  11  und  a  nach  velarem  /  an  vorhergehendes 
0  angeglichen  wurde;  bezeichnenderweise  fehlen  Beispiele  für  As- 
similation eines  betonten  0  nach  /  an  vorhergehendes  a  oder  u. 
Zuerst  sei  das  allerdings  beschränkte  Material  vorgelegt: 

I.  colustra  'lac  novum'  ist  die  alte  bei  Plaut.  Poen.  367,  390 
und  Lucil.  311M  bezeugte  Form;  erst  seit  Plinius,  N.H.9,1 23, 
Colura.  7,3,  13  u.a.  tritt  daneben  colosira  auf.  Mit  Suffixwandel 
erscheint  dann  seit  Martial  13,  38,  2  auch  Colostrum,  während  das 
alte    rnlustra    seine  Endung    zäher    behält   und  erst  seit  Caper,  GL 


2.6 

VII,  lOg.  3^.  u.a.  ein  colustrum  belegt  ist.    Das  Romanische  kennt 
nur  colgstrum,  vgl.  ]\Ieyei-Lübke,   Wb.  205S. 

2.  cohibcr  und  colubra;  für  vulgäres  colober,  colobra  vgl.  CGI. 
IV,  50Ü,  26  ;  Not.  Tir.  1 13,  27  ;  Thes.  L.  L.  s.  v. ;  Scluichardt,  Vokal. 
II,  149.  Das  Romanische  setzt  bekanntlich  nur  colgbra  (c7/.lobra  wohl 
unnötig  M.-Lübke,  Wb.  2060)  voraus,  vgl.  span.  culebra,  prov.  colobra, 
afrz.  culuevre. 

3.  Neben  colaphus  •<  x6)M(fjOi^  und  colaphizo  tritt  colophus 
Quint.  6,  3,83;  CGI.  III,  352,23  und  co/ophilzaveruni  Ital.  Malth. 
2ö,  67,  colopidiari  Ps.-Soranus  epit.  6g.  Über  percolopare  vgl. 
Heraeus,  Die  Sprache  Petrons  u.  die  Glossen,  Progr.  Oflenbach 
1899,  44  f. 

4.  Coiumna  hat  schon  in  voraugusteischer  Zeit  colomna  neben 
sich,  CIL  12,  1834,  vgl.  noch  IX,  4875  u.  ö.,  Schuchardt  II,  172 
und  it.  colonna. 

5.  Neben  Coltimba  tritt  Colomba,  vgl.  Carnoy,  Le  latin  d'Espagne 
1906,    57- 

6.  Dolabra  wird  zu  dolobra,  vgl.  CGI.  III,  204,31;  dolobra, 
dolobrum  II,  231,43,   Heraeus,  a.a.O.  45. 

Wie  wenig  Verständnis  diesen  Formen  entgegengebracht  wird, 
zeigen  die  Bemerkungen  über  colostra,  in  dem  Sommer  2  67  zögernd 
eine  bäuerische  Assimilation  erblickt,  während  Thcs.  L.  L.  s.  v.  ent- 
sprechend seiner  Bemerkung:  plerique  bonae  aetalis  audorcs  '■colostra' 
habere  vidcniiir,  colostra  als  die  gehobene  Form  betrachtet.  Und 
Ernout  142  hält  colostra  mit  0  statt  ic  für  dialektisch,  ohne  zu  be- 
denken, dafs  colostra  eine  erst  innerhalb  des  Vulgärlateins  durch 
Vokalassimilation  entstandene  jüngere  Bildung  ist. 

Durch  obige  Bemerkungen  haben  colomna  und  colober  der  App. 
ihre  Erklärung  gefunden,  und  wir  brauchen  für  das  g  <C  li  von 
colober  keineswegs  den  dissimilatorischen  Einflufs  des  folgenden 
labialen  Konsonanten  in  Anspruch  zu  nehmen.  Auch  ngptiac  <C, 
nuptiae  —  it.  nozze,  frz.  noces,  M.-Lübke,  Wb.  5999  —  wird  sein  q 
entweder  nocteni  oder  ngvius  verdanken,  nicht  dem  labialen/.  Ich 
glaube  also  mit  Meyer-Lübke,  Einf.''  151,  im  Gegensatz  zu  anderen 
Romanisten,  dafs  nicht  jeder  Labial  vorhergehendes  i{.  zu  g  dis- 
similieren konnte.  Erkennen  wir  andererseits  die  dissimilatorische 
Kraft  nur  für  vokal,  u  an  {sgum  ■<  suiim,  Pirson,  a.  a.  O.  1 6,  Grund- 
lage für  afrz.  suon ,  suen)  —  so  Meyer-Lübke  — ,  so  fehlt  für  den 
Übergang  von  iuvenis  >  igvenis,  den  it.  giovine  und  afrz.  juefne 
voraussetzen,  jtde  Erklärung  (Meyer-Lübke,  Einf.3  182)  und  müssen 
wir  annehmen,  dafs  nicht  das  0  von  övuin  zu  q  wurde  —  g  ver- 
langen it.  novo,  afrz.  uef,  span.  huevo  usw.  — ,  sondern  aus  einem 
hypothetischen  '^öitm  —  vgl.  rivtan  ^  rium,  it.  rio,  §  14  —  ein  guvi 
wurde,  das  dann  nach  dem  häufigen  Plural  ova  sein  v  noch  einmal 
auf  analogischem  Wege  zurückgewann,  M.-Lübke,  Einf.^  166.  Das 
^  konnte  also  vor  ^  und  v  zu  q  dissimiliert  werden. 


n 

Tolonium  non  iolonaiin'^  (2).  Zur  Zfit  als  f^r.  eL  bereits  als  i 
gesprochen  wurde,  entwickelte  sich  in  neuen  I>chnwörtern  -tlov  zu 
-tum.  Da  diese  Endung  den  Römern  nicht  geläufig  war,  wurde 
aus  archiiim  ein  archivum,  aus  musnnn  'Mosaik'  inuseum  oder 
musivum,  aus  hrahnim  ein  hravium.  Da  auch  App.  hrabuitn  ver- 
wirft, kann  sie  nur  telonnim,  nicht  teloniuvi  <C  tüxoVcLot  gebilligt 
haben ;  auch  im  Neuen  Testament  und  inschriftlich  —  Dittenberger, 
Inscr.  Orient.  525  —  ist  nlcävun'  nicht  selten,  Dafs  ferner  Ido- 
iicKtn,  nicht  etwa  teloneinn  mit  vulgärem  -mm  statt  -mm  (§  5  b),  zu- 
rückgewiesen werden  soll,  ergibt  sich  aus  den  vielen  Belegen  für 
tcloneum  bei  chiistlichen,  an  griechische  Vorbilder  (das  Neue  Testa- 
ment) sich  anlehnenden  Schriftstellern  —  Rönsch,  It.  und  Vulg. 
346  — ,  welche  zeigen,  dafs  TtXcortlor  (zwecks  Meidung  der  En- 
dung -hwt)  den  älteren  Lehnwörtern  entsprechend  durch  teloncum 
wiedergegciben  wurde ;  lelonetwi  hat  keine  Spuren  hinterlassen.  App, 
bevorzugt  telonmm  <C  relcoviOT  wohl  deshalb,  weil  -oniuni,  nicht 
-oncum,  eine  geläufige  Endung  im  Lateinischen  war.  Das  durch 
Assimilation  entstandene  0  der  ersten  Silbe,  das  weite  Verbreitung 
fand  —  vgl.  frz.  tonheu  und  ahd.  Zol  (Ullmann  195)  —  ist  merk- 
würdigerweise auch  von  App.  als  richtig  anerkannt  worden;-  wahr- 
scheinlich gab  es  damals  in  der  Nähe  Roms  allgemein  lolonia,  -nea 
genannte  Zollhäuser,  so  dafs  der  Umgangssprache  diese  Konzession 
gemacht  wurde.  Auch  ohne  folgendes  0  wurde  unbetontes  gr.  6 
vor  velarem  /  gelegentlich  zu  0,  vgl.  schon  CIL  P,  1604:  Menolavi 
und  Saalfeld,  Lautges.  der  griech.  Lehnw.   1884,  75. 

Hier  mufs  auch  delirus  non  delertis  (116)  behandelt  werden, 
obwohl  nur  bedingte  Assimilation  in  Betracht  kommt.  In  der  Ver- 
werfung von  deknis  stimmt  App.  mit  dem  bei  Velius  Longus  VII,  73,  2  K. 
erhaltenen  Urteil  Varros  überein :  sie  etiam  delirus  placet  Varrom,  non 
delenis;  tion  entm,  nt  quidam  existimant,  a  graeco  iracia  vox  est,  jtC'.QCt 
xb  h]Qüv ,  sed  a  lira,  id  est  suko,  Charis.  I,  76,  19  K.  Überliefert 
ist  delenis  häufig  in  Glossen,  II,  41,49;  491,  15;  III,  '^c^^,,  "^i', 
394,20;  395,2g;  deleritds  bei  dem  vulgär  gefärbten  Mimendichter 
Laberius  frg.  139  R"*,  dagegen  ist  deleramentum  frg.  134/6  nur 
Konjektur.  Auch  moderne  Gelehrte,  wie  Heraeus3i8,  haben  ge- 
glaubt, dafs  das  zweite  e  in  delertis  im  Anschlufs  an  hiQtlV  ent- 
standen sei.  Aber  auch  abgesehen  davon,  dafs  der  BegriiT  delerus 
'wahnsinnig'  viel  mehr  umfafst  als  der  des  gr.  ^jjQelr  'schwätzen', 
ist  eine  Beeinflussung  des  \'olkstüralichen  deUrus  durch  ein  sonst 
im  Lateinischen  nie  auftretendes  Fremdwort  recht  unwahrscheinlich, 
wie  Ernout  151  mit  Recht  hervorhebt.  Er  selbst  hält  delenis  (seit 
Varro)  für  ein  dialektisches  Wort,  das  urital.  ei  als  e  (lat.  i)  erhalten 
habe,  und  vergleicht  wmhr.  dislezalinsi/st,  3.  Pers.  Fut.  II  eines  Stammes 
*leizali,    der    im    got.  laists    'Spur',    ahd.   (wagan)leisa    wiederkehrt; 


'  Eine    Unterscheidung     zwischen     TsXwveloi'    'Zollhaus'    und    re/.ojvior' 
'Zoll'  gab  es  nicht  trotz  CGI.  II,  45,  3,  12:  rs?.ioviO%'  vectis^-aliwn. 
^   Wenn  m':\\\.  telonium  zu  lesen  ist. 


28 

Bücheier,  Umbr.  46  übersetzt:  'irritum  fecerit'.  Diese  Auffassung 
Ernouts,  welche  auch  Walde"'  s.v.  teilt,  wird  aber  glatt  widerlegt 
durch  die  Tatsache,  dafs  wohl  das  —  abgesehen  von  etymologischen 
Erklärungen  —  blols  in  übertragener  Bedeutung  'amens',  'demens' 
auftretende  delerus,  nie  dagegen  die  Grandwörter  Itra  {seit  Colu- 
mella  belegt)  und  lirare  (seit  Varro,  r.  r.  I,  29,  2)  die  <?-Form 
zeigen;!  CGI.  III,  334,32:  delerus  quasi  a  lern  aberrai  dient  lera 
nur  etymologischen  Zwecken.  Wäre  aber  das  e  dialektisch,  so 
würde  man  gelegentliches  e  vor  allem  in  lira  [lirare)  erwarten,  das 
in  scharfem  Gegensatz  zu  delirus,  -erus  seine  ländliche  Bedeutung 
beibehielt.  Aber  auch  das  delirus,  -erus  am  nächsten  stehende 
delirare  zeigt  bei  Plautus  u.  a.  stets  /  und  erst  Caper  VII,  109,  6K. 
und  die  Glossen  weisen  ein  delerare  auf,  das  nicht  alt  zu  sein 
braucht,  sondern  sekundär  nach  delerus  entstanden  sein  kann.  Nun 
ist  aber  delirus,  das  allein  auch  altes  e  {-erus  zuerst  bei  Varro) 
zeigt,  entweder  eine  Rückbildung  aus  dem  älteren  delirare  oder 
eine  Hypostase  aus  de  lira  —  Brender,  Die  rückläufige  Ableitung 
im  Latein.,  Diss.  Basel  1920,  44  —  und  dementsprechend  nicht 
vor  Varro  belegt.  Da  nun,  wie  gesagt,  lira  und  das  alte  delirare, 
von  denen  delirus  erst  abgeleitet  ist,  nur  i  zeigen,  kann  in  delerus 
das  e  nur  sekundär  sein  und  nicht  mit  diskzalinsusi  in  Zusammen- 
hang stehen.  —  Das  e  von  delerus  ist  erst  auf  lateinischem  Boden 
entstanden;  Vokalassimilation,  welche  der  vokalhaltige  Konsonant 
/  —  vgl.  Rousselot,  Principes  de  phon.  exper.  11(1901),  418  —  be- 
sonders begünstigte,  kann  deshalb  den  Vokalwandel  nicht  allein 
verursacht  haben,  weil  in  delirare  das  i  sich  (fast  immer)  gehalten 
hat.  Wir  werden  also  einen  Hauptgrund  für  den  Lautwandel  auch 
in  dem  speziellen  Suffix  von  delirus  zu  erblicken  haben,  das  durch 
das  vorhergehende  e  begünstigt  leicht  mit  der  Endung  -erus  ver- 
tauscht werden  konnte.  Auch  ist  zu  beachten,  dafs  die  mehrsilbigen 
Adjektiva  auf  -erus :  sincerus,  ausierus,  severus  den  inneren  Menschen 
charakterisieren,  während  von  den  ^4djektiven  auf  -irus  nur  delirus 
sich  auf  den  Menschen  bezieht,  so  dafs  auch  von  diesem  Gesichts- 
punkt betrachtet  delirus  leicht  zu  delerus  werden  konnte.  Wie  so 
oft  haben  mehrere  Faktoren  zusammengewirkt,  die  neue  Form  zu 
erzeugen. 

b)  Wie  das  /  kann  auch  das  vokalhaltige  intervok.  r  die  Assi- 
milation der  umgebenden  Vokale  begünstigen;  vgl.  Rousselot  a.  a.  O.: 
„les  consonnes  l  ei  r  ont  .  .  .  des  traces,  qui  ressemblent  beaucoup 
ä  ceux  de  voyelles,  qui  leurs  sont  contigues  .  .  .''.  Häufig  finden 
wir  diese  Assimilation  bei  der  Übernahme  griechischer  Vokabeln, 
vgl.  horoma  =  oQafia  in  Glossen  und  in  der  Passio  S.  Perpetuae 
74,  22,  dazu  Salonius,  Finsk.  Vetensk.-Soc.  Förhandl.  LXIII  (1920/1), 
Nr.  2,  15;  paramboli  =  jiaQif/ßoXai  z.  B.  CGI.  III,  208,  63  mit  Assi- 
milation in  betonter  Silbe ;  parapsis  =  jiaQO^ng  (häufig  in  Glossen, 


'  Irrtümlicherweise  jJibL  Georges,  Lex.  L.  Woilf,  s.  v.  ein  (/i'rii  und)  lerare 
für  Pomponius   157  R.'  an,  vgl.  Nonius  p.  17,32  Lindsay. 


29 

Goetz,  Thes.  Gloss.  ernend.  II,  47,  Heraeus,  Sprache  Petrons  48) 
entspricht  wohl  schon  gr.  Ttagatpig,  s.  CGI.  III,  271,5.  —  Für  echt 
lateinische  Wörter  vergleiche  man  das  neben  aeramen  im  Romani- 
schen vertretene  aramen  mit  Assimilation  des  unbetonten  Anlautes: 
afrz.  arain,  rum.  aramä  usw.,  M.-Lübke,  Wb.  242.  Interessant  ist 
auch  die  wenig  beachtete  Assimilation  ybr^j  y^  faras,  welche  schon 
in  Porapei  CIL  IV,  4278:  fures  faras,  frugi  iniro  und  auch  CIL 
VI,  13070:  aria  faras  cinia  vorkommt.  Die  auch  wieder  im  rum. 
fara  neuauftretende  Form  entstand  möglicherweise  zuerst  in  pro- 
kiitischer  Stellung,  so  dafs  unbetontes  0  an  folgendes  a  assimiliert 
wurde;  auch  im  Romanischen  spielt  bei  der  Entwicklung  von  foris, 
foras  die  Proklisis  eine  Rolle;  s.  Brall,  \d.i.  foris,  foras  im  Gallo- 
roman.,  Diss.  Berlin  ig  18,  ig.  —  Leicht  verständlich  ist  nach  dem 
Gesagten  die  Assimilation  in  dem  von  App.  angeführten  parantalia 
(185),  zumal  noch  ein  a  folgt. 

Enger  gehören  aiisar  und  passar  zusammen.  Nehmen  wir  das 
seit  Augustus  bei  Macrob.  Sat.  2,4,  12  und  bei  Plin.  n.  h.  5,33 
bezeugte  lasar  =  laser  (wohl  erst  aus  las(s)erpicium  verselbständigt) 
und  den  z.  B.  in  Glossen  bezeugten  Plural  assares  (von  asser)  hin- 
zu, so  zeigt  sich,  dafs  besonders  zwischen  s  und  (ausl.)  r  die  Assi- 
milation in  unbetonter  Silbe  sich  vollzog.  Begünstigt  wurde  die 
Angleichung  dadurch,  dafs  das  e  in  allen  Kasus  vorhanden  war 
und  sich  in  sämtlichen  Formen  zu  a  entwickeln  konnte,  während 
z.  B,  Cancer  auch  deshalb  nicht  zu  cancar  wurde,  weil  die  neuen 
Formen  isoliert  dagestanden  hätten,  ohne  Analogien  in  den  Casus 
obliqui.  —  In  diesen  Vokabeln  rief  die  Assimilation  neue  Genetive 
mit  a  in  offener  Silbe  ins  Leben :  passaris  usw. ;  andererseits  ist  in 
den  wenigen  Worten  wie  Caesaris,  deren  a  nicht  im  vorhist.  Latein 
zu  e  umgewandelt  wurde,  das  a  nachträglich  gelegentlich  zu  e 
geworden,  vgl.  für  Caeseris  CIL  VI,  5822,  g4g2,  27772;  IV,  2308: 
so  durchkreuzten  sich  die  verschiedenen  Tendenzen  der  Aus- 
gleichung und  Vokalassimilation.  Die  Beliebtheit  der  -ß;--Formen 
zeigen  die  romanischen  Entsprechungen  des  z.  B.  CI  VI,  26g8 
(Passar)  belegten  passar,^  vgl.  sp.  pajaro,  ptg.  passaro,  M.-Lübke, 
Wb.  6268.  Auch  atisar  war,  wie  CIL  V,  7go6  ansare,  CGI.  III,  17,  36; 
8g,  55;  Lex.  Sal.  7,  4:  ansare(m)  zeigen,  häufig,  aber  im  Romani- 
schen hat  sich  nur  auca  <  avica  erhalten  und  es  ist  interessant  zu 
beachten,  wie  App.  hier  und  sonst  wohl  eine  vulgäre  Form  bietet, 
aber  doch  nicht  diejenige,  welche  dem  Romanischen  unmittelbar 
zugrunde  liegt. 

Auch  das  durch  Konjektur  hergestellte  carcar  war  weit  ver- 
breitet, vgl.  got.  karkara,  ait.  carcar  gegenüber  it.  carcere.  Aber 
hier  liegen  die  Dinge  doch  wesentlich  anders,  weil  das  weit  älteste 
Zeugnis  des  5.  Jhdts.  v.  Chr.,  gr.  xdQxaQor,  ein  a  zeigt.  Da 
xüQxaQOV  nur  bei  dem  Westdorier  Sophron  aus  Syrakus  belegt  ist 


1  Dagegen  ist  bei  Apul.  metam.  p.  188,  15;   192,  18;  254,  i  H.  mit  Helm 
die  (?-Form  herzustellen. 


30 

(frg.  i47Kaib)  und  carcer  etymologisch  dunkel  ist,  haben  wir  es 
wohl,  wie  bei  allhim  (s.  §  5  b),  mit  einem  süditalienischen  Lehnwort 
carcar  zu  tun.  Das  in  der  Paenultima  von  carcaris  [-ri  usw.)  laut- 
gesetzlich entstandene  e  wurde  auf  den  Nom.  Sing,  übertragen. 
Daneben  erscheint  carcares  zuerst  in  den  Act.  fr.  Arv.  des  J.  87  n. 
Chr.  —  vgl.  noch  CIL  IX,  16 17  (etwa  aus  dem  J.  134  n.  Chr.)  und 
Thes.  L.  L.  s.  V.  — ;  entweder  hat  sich  in  der  Volkssprache  das 
alte  a  immer  gehalten  oder  durch  erneute  Assimilation,  welche  bei 
der  fast  völligen  Gleichheit  beider  Silben  leicht  eintreten  konnte, 
entstand  noch  einmal  carcar. 

noverca  non  7iovarca  (168).  Novarca,  das  nirgends  belegt  ist, 
verdankt  seine  Entstehung  keineswegs  der  von  Paul.  Fest.  174  M 
gegebenen  Etymologie:  quam  quis  liheris  suhlatis  110 v am  uxortm 
ducil  arcendae  familiae  gratia.  Am  ehesten  möchte  ich  7iovarca 
als  Kreuzung  von  noverca  und  nova  auffassen;  als  'die  neue'  be- 
trachteten die  Kinder  und  die  Dienerschaft  die  neu  ins  Haus 
tretende  Stiefmutter.     Zu  Klarheit  gelangen  wir  hier  nicht. 

c)  umbilicus  non  imbilicns  (58).  Sehr  leicht  konnte  das  im 
absoluten  Anlaut  stehende  11  sich  an  die  beiden  folgenden  i  an- 
gleichen und  imbilicns  entstehen.  Nachdem  die  neue  Form  ge- 
legentlich aufgetreten  war,  hat  sie,  wie  die  wertvollen  Glossen  lehren, 
auch,  eine  interessante  spezielle  Verwertung  gefunden.  Da  nämlich 
umbilicus  nicht  nur  den  Nabel,  sondern  (als  Neutrum)  mit  dem  Zu- 
satz Veneris  auch  die  griech.  >cotvh]doh'  —  eigentlich  'Pfanne  des 
Hüftbeckens'  —  genannte  Pflanze  bezeichnet,  1  wurde  zwecks  Diffe- 
renzierung die  neue  Form  imbilicns  [-um)  besonders  für  den  mehr 
vulgären  Pflanznamen  verwendet.  Das  zeigen  der  lateinische  Dio- 
scorides  und  die  Glossen  III,  537,  59 :  coginidon  (so)  id  est  imbillicinn 
(so)  Veneris  und  III,  565,6g:  invilicum  ventris  (so);  dagegen  ist  im 
Sinne  von  oiig)a?Mg  stets  die  Form  mit  u,  nie  imbilicns  überliefert, 
so  dafs  nicht  zufällig  nur  imbilicum  Veneris  bezeugt  ist.  Dafs  da- 
neben auch  imbilicns  o^i^palöc.  sich  in  der  Vulgärsprache  hielt, 
zeigt  App.;  weniger  beweisend  sind  logud.  imbiligo,  ptg.  embigo 
und  prov.  embelic,  da  sich  der  anlautende  Vokal  selbständig  um- 
gewandelt haben  kann,  wie  M.-Lübke,  Wb.  s.  v.  mit  Recht  bemerkt. 

Ein  analoger  Fall  liegt  m.  E.  auch  in  numquit  non  nimquit 
(218)  vor.  Dafs  überliefertes  riumquit  non  nimquit  rächt  va\iYoe.x?,\.QX 
in  numquid  non  numquit  zu  ändern  ist,  sondern  in  numquit  non  nim- 
quit, hat  mit  Hinweis  auf  CGI.  V,  313,48  ussv. :  nimquid  ?wn  aliquid 
und  375,3  usw.:  nimquis  non  aliquis  (Schuchardt  II,  206)  Heraeus, 
ALL  XI,  65  mit  Recht  hervorgehoben.  Hinzuzufügen  ist,  dafs  das 
neue  nimquid  (-j)  eine  doppelte  Bedeutung  zeigt.  Erstens  ist  es 
in  App.  seiner 'Entstehung  gemäfs  —  u  assimilierte  sich  an  folgendes 
i  —   synonym    mit    numquid  (-j);    dann    aber    ist    es   auch    gleich- 


1  Auch    acetabulum   kunn    sowohl    die  Hüftpfanne  (Petion.  56  u.  ö.)  wie 
jene  Pflanze  bezeichnen. 


3« 

bedeutend  mit  nihil  (Hemo),  wie  die  Glossen  zeigen,  i  Da  beide 
Bedeutungen  verwandt  sind,  ist  die  letztere  aus  der  ersteren  ab- 
geleitet ;  keineswegs  ist  nimqnis  =  nemo  etwa  aus  einem  nem(o)quis 
entstanden.  —  Auf  eine  Frage  wurde  häufig,  wenn  man  sie  be- 
jahte, durch  Wiederholung  des  ersten  Wortes  geantwortet:  _/w//«? 
hie  in  horto?  Fuit.  Da  nun  in  niimqtiis  der  Begriff  7iemo  schon 
in  nuce  vorhanden  war,  konnte  der  Angeredete,  durch  die  zahl- 
reichen Analogien  verführt,  auch  eine  Frage:  ntirnquis  hanc picturam 
viirntus  est?  sehr  leicht  in  der  Umoangssprache  mit  einem  numquis 
im  Sinne  von  nemo  beantworten,  ohne  jemals  mifsverstanden  zu 
werden.  Auf  diesem  Wege  denke  ich  mir  numquis  =  nemo  ent- 
standen. Wenn  es  die  Glossen  nur  in  der  Form  nimquis  geben, 
so  dürfen  wir  annehmen,  dafs  das  zunächst  durch  Assimilation  aus 
numquis  'wohl  jemand'  entstandene  7iimquis  später  zwecks  Differen- 
zierung besonders  für  das  neu  aufgekommene  numquis  =  nemo 
gebraucht  wurde. 

pusillus  non  pisinnus  (146).  Zur  Beurteilung  dieser  Formen  ist 
es  vor  allem  wichtig  festzustellen,  dafs  nicht  nur  Pusinmis  (-na)  als 
Eigenname  belegt  ist  —  CIL  XII,  4422;  III,  4957;  Solmsen  IF  31 
(1912/3),  475  — ,  sondern  auch  pusinmis  als  Appellativum  häufig 
war,  vgl.  aufser  dem  von  Ulimann  igo,  2  angeführten  pusinna  auch 
CIL  III,  12711:  innocentissimo  pusijino  Ienua(r)io  filio  und  VI,  11  145: 
hie  sita  est  pusinniea.  Wir  dürfen  also  nicht  mit  Walde  2  s.  v. 
pisinnus  als  selbständige  Bildung,  als  ein  Kinderwort,  das  qt).  pipinna, 
pipilare  erinnere,  betrachten,  sondern  müssen  annehmen,  dafs  aus 
dem  Allgemeinwort  für  'klein',  pusillus,  ein  hypokoristisches /?/jwm«J 
gebildet  wurde,  das  durch  Vokalangleichung  zu  pisinnus  wurde. 
Die  Richtigkeit  dieser  Auffassung  (der  Assimilation)  zeigt  auch 
vereinzeltes  pisil(l)ia  (CGI.  IV,  144,  i;  554,9;  V,  510,34),  das  zu 
pusillus  gehört,  vgl.  auch  sard.  piseddu  {=  pisillu7n)  und  L.  Wagner, 
N.  Archiv  NF  35  (1916),  iio.  Auch  pitinnus  steht  neben  putillus, 
ohne  dafs  die  Zwischenform  putinnus  belegt  ist.  Wie  pusinnus  ge- 
legentlich zu  pusinus  wurde,  so  avich  pisinnus  zu  pisinus ,  vgl.  CIL 
VI,  2662  :  filios  duos  geminos  pisinus  mit  dem  auch  sonst  neu  auf- 
tretenden Suffix  -i7ius,  z.  B.  VIII,  12794:  miserina.  In  der  Literatur 
kam  pisinnus  zuerst  bei  dem  mit  Recht  von  Persius  verspotteten 
Dichter  Attius  Labeo  vor,  der  in  seiner  Übersetzung  von  zi  35 : 
crudum  vianduees  Priamum  Priamique  pisinnos  mit  dem  Kosewort 
pisinnos  weniger  passend  die  erwachsenen  Kinder  des  Priamos  be- 
zeichnete. Erst  nach  Jahrhunderten  taucht  pisinnus  wieder  bei 
Marcellus  Empiricus,  Isidor  u.  a.  auf,  Geyer,  ALL  VIII,  480 ;  in  der 
Peregr.  Aether.  c.  9,  2  (Loefstedt  197)  in  der  Verbindung  a  pisinno, 
dem  ein  a  pilulo  bei  Anton.  Plac.  It.  34  entspricht.  Pitinnus  ist  auf 
Sardinien  häufig  und  auch  sonst  in  Italien  (mail.  pitin  'ein  wenig' 
usw.).     Obwohl    die  Hs.  pusinnus  bietet,    scheint  App.  nur  pusillus, 


*   Wäre   mit    7ion  aliquis  numquis  gemeint,    so  hätten   die  Glossf  n ,    wie 
sonst,   nimquis  {-d):  numquid  aliquis  [-d)  geschrieben. 


32 

das    allgemeine  Wort    für    'klein',    nicht  pusmnus   als  Kosewort  ge- 
billigt zu  haben. 

d)  opohakamum  non  ahabalsamum  (151).  Da  schon  balsamum 
an  sich  nicht  nur  die  Staude,  sondern  auch  den  aus  ihr  hervor- 
quillenden Saft  bezeichnete,  kam  dem  ersten  Teil  des  Lehnwortes 
kaum  Bedeutung  zu  und  konnte  opo-  leicht  an  das  Hauptwort 
assimiliert  oder  verstümmelt  werden;  so  entstanden  apobalsajmim 
Schol.  luv.  14,  26g,  opabaisamiim  CGI.  V,  316,  36  {obovalsaniu?n 
IV,  133,  22  cod.  c),  obbalsa?mnn,  obahamum  Not.  Tir.  98,  83,  Heraeus, 
ALL  XI,  62.  In  dem  von  App.  verworfenen  ababalsamum  sind  so- 
zusagen die  Abweichungen  kombiniert  aufgetreten.  —  Die  Assimi- 
lation der  Vokale  wurde  auch  durch  die  enge  Verwandtschaft  der 
zugehörigen  Konsonanten  [p-b  >•  b-b)  begünstigt.  Es  liegt  ia  der 
Natur  der  Sache,  hat  aber  noch  wenig  Beachtung  gefunden,  dafs 
besonders  bei  Gleichheit  der  silbenanlautenden  Konsonanten  die 
folgenden  Vokale  aneinander  angeglichen  wurden.  So  erklärt  sich 
m.  E.  der  Übergang  von  gigantem  zu  gagantem  im  Vulgärlatein, 
vgl.  afrz.  jaiant,  aprov.  jayan  usw.,  M.-Lübke,  Einf.3  158;  ebenso 
die  Umlautung  von  vervadiim  'Brachfeld'  zu  varvactum  (M.-Lübke 
a.  a.  O.)  und  das  Auftreten  von  cucuta  neben  cicuta  'Schierling'  im 
rumän.  cucutä  und  in  verwandten  Formen.  Dementsprechend  finden 
wir  tutulus  und  titilns  nicht  selten,  vgl.  CIL  VI,  29945:  tutulo, 
III,  6137:  titilo. 

e)  Nur  in  diesem  Zusammenhang  erklärt  sich  zizipu[s)  1  non 
zizupiii)s  (196)  'Brustbeerbaum',  das  wie  ziziphum  'Brustbeerfrucht' 
auf  gr.  ^i^vrpov  zurückgeht.  Gr.  v  wurde  in  ältester  Zeit  besonders 
durch  u  (c.u7nba,  Burrhus),  später  im  Hochlatein  durch  y  (Pyrrhus) 
und  nur  in  der  Volkssprache  durch  u  oder  i  wiedergegeben,  vgl. 
n.  28 :  gyrus  non  girus.  Wenn  trotzdem  App.  als  korrekte  Form 
zizip(h)us  verlangt  und  auch  bei  Plinius  u.  a.  das  i  regelmäfsig  aul- 
tritt —  auch  in  Glossen  nur  i,  vgl.  Thes.  Gl.  Em.  II,  433  — -,  so 
hat  sicher  die  Tendenz,  die  fast  identischen  Silben  zi-zy  auszu- 
gleichen, ein  Wort  mitgesprochen.  Dagegen  knüpft  die  verworfene 
Form  —  vgl.  auch  Ed.  Dioclet.  6, 56:  zizu/orum  —  direkt  an 
C,iC,v(f)OV  mit  v  an.  Das  Romanische  setzt  neben  ziziphum  {-a)  — 
vgl.  it.  zizzifa,  [giuggiola,  zizzola]  mit  neuem  Suffix  -h  —  wohl 
auch  eine  vulgäre  Form  mit  doppeltem  u  voraus,  vgl.  frz.  jujube, 
sp.  ptg.  jujüba.  Die  Ausgleichung  der  beiden  ersten  Silben  scheint 
also  auf  zwei  Wegen  sich  vollzogen  zu  haben,  indem  im  Hoch- 
latein ein  ziziphum  {-us)  hochkam,  in  der  Volkssprache  aufser 
zizuphum  {-us)  auch  *jujuba  mit  neuem  -ß- Suffix  wie  im  Italienischen, 
vgl.  Claussen,  RF  15   (1904),  863. 

Eine  alte,  ebenfalls  im  Hochlatein  akzeptierte  Vokalangleichung 
liegt   vor   in   iunipirus   non  {iti)nipertis.     Etymologisieren  können  wir 


>  Dafs    der  Baum  gemeint  ist,    ergibt  sich  wnlil  aus  n.  197  und  aus  non 
8tziJ>{u)s;  es  i<;t  also  zizipu{s)  zu  schreiben. 


33 

das  Wort  zwar  niclit;  denn  Vaniceks  von  Walde  2  gebilligtes  Etymon 
*mvem'-paros,  was  nur  'junge  ansetzend'  bedeuten  könnte,  wäre 
keineswegs  als  spezielle  Bezeichnung  des  Wachholders  geeignet. ' 
Aber  obgleich  die  ältesten  Belegstellen  iunipirus  bieten,  ist  doch 
wohl  das  echt  lateinische  Suffix  -perus  [-pera,  vgl.  pario)  die  ur- 
sprüngliche Endung,  während  -pirus  als  Suffix  fehlt.  Da  bereits 
für  Cato,  agr.  122  und  Varro  r.  r.  1,8,4  iunipirus  bezeugt  ist,  ist 
schon  früh  durch  Assimilation,  aber  auch  durch  Anlehnung  an 
pirus  die  neue  Form  entstanden.  Schon  Verrius  Flaccus  —  bei 
Serv.  Dan.  ad  Buc.  7,53  —  gibt  die  törichte  Etymologie:  iuvenem 
pirum.  In  der  Volkssprache  hat  sich  -perus  erhalten;  andererseits 
ist  durch  Assimilation  an  das  j  (und  vor  «)  das  u  der  ersten  Silbe 
zu  e  geworden,  vgl.  afrz.  genoivre,  prov.  genebre,  sp.  enebro, 
M.-Lübke,  Einf.3  158.  Für  a  finden  wir  eine  ähnliche  Angleichung 
in  iaiunus  (Plaut.  Cas.  129,803)  >  ieiumis,  in  ianuarius  >  ieyiuarius 
(CIL  VI,  1708,  311/ 14  n.  Chr.,  vgl.  it.  gennaio,  sp.  enero)  und  ianua 
>  ienua  (Stangl,  [Berl.]  Phil.  Woch.  33,  19 13,  370,  in  betonter  Silbe!), 
die  für  «  auch  in  *iunicea  >>  *ienicea  'junges  Rind'  (frz.  genisse)  zutage 
tritt.  Möglicherweise  hat  App.  iunipirtis  non  {ie)nipe7-us  geschrieben, 
sie  pflegt  aber  meistens  nur  einen  Fehler  zu  rügen  und  bietet  auch 
sonst  des  öfteren  nicht  die  unmittelbare  romanische  Form. 

hitumeu  no7i  butumen  (193).  Nur  letumen  (CGI.  III,  631,30,  vgl. 
frz.  beton?)  ist  belegt,  nicht  dagegen  hulumen.  Assimilation  des 
vortonigen  Vokals  an  u  der  Tonsilbe  ist  auch  sonst  nicht  selten, 
vgl.  z.  B.  Cutullus  =  Catullus  CI  VIII,  1 1  573,  lucusta  =  locusia  (CGI. 
III,  44,  15;  97,  6),  lugurrio  =  ligurrio  ALL  XI,  130  und  vor  allem 
tugurium  <i  tegurium,  Sommer  2  112.  Während  aber  in  diesen 
Fällen  die  Assimilation  an  u  auch  durch  den  Guttural  begünstigt 
wurde,  welcher  dem  u  homorgan  ist,  förderte  in  hitumen  das  anl.  b 
die  Angleichung,  welches  wie  u  mit  Lippenrundung  gesprochen 
wurde. 

Dagegen  haben  wir  es  in  sirena  non  serena  (203)  weniger  mit 
einer  durch  r  begünstigten  Assimilation  als  mit  Volksetymologie 
zu  tun;  mit  Recht  hat  Heraeus,  ALL  XI,  64  auf  CGI.  IV,  160,  53: 
serene  vestiae  la{e)tissime  in  mari  aufmerksam  gemacht,  wo  das  erste 
e  durch  die  Buchstabenfolge  —  das  Wort  steht  zwischen  servitium 
und  seclusa  —  gesichert  wird;  die  'Heiteren',  mit  'heiterer  Stimme 
[seretia  vox)  Singenden'  waren  die  Sirenen  für  die  allgemeine  Volks- 
vorstellung, vgl.  noch  Not.  Bern.  57,  100;  Reich.  Gloss.  bei  Foerster, 
Afrz.  Übungsb.  91.  Merkwürdigerweise  finden  wir  CGI.  V,  513,  45 : 
Serenes  monstra  maritima  usw.  wohl  das  durch  lateinische  Volks- 
etymologie entstandene  e,  aber  die  griechische  Endung;  zu  be- 
achten ist,  dafs  gr.  et  vor  Konsonanten  gelegentlich  auch  zu  e 
wurde  (vgl.  Saalfeld  62),  vor  r  z.  B.  in  cheragra  neben  cheiragra, 
chiragra. 


*  Verfehlt  Charpentier  Giotta  9  (1918),  57. 
Baehrens,  Spraclil.  Kommentar  zur  Vulgärlat.  Appendix  Probi. 


f)  piiella  non  poella  (131).  Von  den  bisherigen  Beispielen  unter- 
scheidet sich  poella  dadurch,  dafs  von  zwei  sich  unmittelbar  folgenden 
Vokalen  sich  der  unbetonte  dem  betonten  annähert.  Vergegen- 
wärtigen wir  uns  die  bekannte  Vokalskala 


so  erkennen  wir  leicht,  dafs  in  bezug  auf  den  Abstand  der  Zunge 
vom  Gaumen  und  auf  die  Öffnung  des  Mundes  e  und  0  gegenüber 
i,  u  und  a  als  mittlere  Vokale  zusammengehören.  Wir  haben  es 
mit  einer  bedingten  Assimilation  zu  tun,  wie  sie  z.  B.  auch  im 
vorhist.  coiraverunt  >»  coeraverunt  zutage  tritt,  während  deuco  >•  douco 
und  aides  >  aedes  anders  zu  erklären  sind.  Für  ahd.  leuht(a)  > 
leoht  usw.  s.  Baeseke,  Einf.  in  das  Althochdeutsche  17,  41.  —  Da 
sich  der  Lautwandel  in  unbetonter  Silbe  vollzog,  dürfen  wir  die 
Form  nicht  mit  Solmsen,  IF  31,  477  anführen,  um  das  CIL  III,  962,  2 
==  CE  34  Buch,  überlieferte:  bene  debet  esse  povero  qui  discet  beiie 
zu  diskreditieren.  Sogar  ein  vorhistorisches  *pover,  das  bis  dahin 
allgemein  angenommen  wurde,  indem  man  mit  Skutsch,  [Berl.] 
Phil.  Woch.  1895,  1334  puer  zuerst  in  der  unbetonten  Silbe  des 
häufigen  Vokativs  1  —  Jieüs  puere,  til  puere  usw.  — ,  das  später  auch 
Nominativ  wurde,  entstehen  liefs,  lehnt  Solmsen  a.  a.  O.  ab.  Aber 
Marcipor  kann  nicht  aus  Marcipuer  oder  Marcipuver  entstanden 
sein,  da  das  e  nur  zwischen  v  und  r,  nicht  zwischen  u  und  r  hätte 
schwinden  können  und  aus  -puyr  (<;  -puver)  niemals  -por  entstanden 
wäre.  Wir  müssen  unentwegt  an  altem  *poveros  festhalten,  das  sich 
orthotoniert  wohl  direkt  bis  in  die  spätere  Umgangssprache  gerettet 
hat,  wie  plovebat  bei  Petron  44  (Sommer  2  104).  —  Mit  dem  alten 
-ov-  in  povero  hat  aber  das  junge  poella  schon  deshalb  nichts  zu 
tun,  weil  puella  selbst  erst  später  zu  puer  und  puellus  gebildet  wurde, 
vgl.  CI  XIV,  2862 :  Fortuna  lovis  puer  primigenia  und  W.  Schulze, 
Gesch.  Lat.  Eigenn.  137.  Als  das  Femininum  aufkam,  war  pover 
jedenfalls  im  Hochlatein  zu  puer  geworden;  dafs  sich  nach  dem 
sporadisch  in  der  Umgangssprache  erhaltenen  pover  nun  auch  ein 
*povella  gebildet  hätte,  zu  dem  poella  gehöre,  ist  völlig  ausgeschlossen. 
Im  Romanischen  lebt  das  Wort  nicht  fort  (afrz.  polle  <  pulld).  Über 
laneo  und  herme7ieo?nata  s.  §  25  und  5  c. 

g)  In  botruus  non  buiro  (127)  ist  die  verworfene  Form  über- 
haupt nicht  mehr  durch  eigentliche  Assimilation  entstanden,  sondern 
durch  Umlautung,  indem  das  y,  u  von  botryo  {-uo),  als  es  konso- 
nantisch wurde  und  ausfiel,  dem  vorhergehenden  Vokal  seine  Kiang- 


^  Erst  Teienz  Ad.  940  Icennt  den  Volcativ  puer. 


35 

färbe  gab  und  o  zu  u  amwandelt<i.  Die  Römer  entlehnten  nämlich 
zur  Bezeichnung  der  'Weintraube'  zuerst  nicht  das  gewöhnliche 
ßoTQvg,    sondern  nicht  sicher  belegtes  *ßoTQVOJV,    das  bei  Martial 

11,  27,4  auftritt,  während  Ijo/rys  selbst  vor  Hieronymus  und  der 
Vulgata  nur,  im  Anschlufs  an  Dioscorides,  für  das  kerba  anihrosiae 
Verwendung  fand.  Dieses  hotmo  [-nevi)  verlor  in  der  Vulgärsprache 
das  konsonantisch  werdende  u  in  derselben  Weise,  wie  Fehruai-his 
>  Fehrarius,  Grandgent  Vulgär  Latin  §  226.  —  Butro  ist  auch 
Ital.  Gen.  40,  1 1   belegt,  verwandt  ist  hutrio  Greg.  v.  Tours  Stell.  28. 

—  Die  Vokalumlautung  wie  sie  in  hiitro  zutage  tritt,  steht  nicht 
vereinzelt  da.  So  setzen  it.  pidocchio,  afrz.  peou  usw.  ein  peduclus 
(so  schon  Petron.  57)  voraus;  ebenso  it.  ranocchio,  frz.  grenouille 
ein  ranucliis;  it.  ginocchio,  afrz.  genouil  ein  genudwn,  stets  mit  un- 
ursprünglichen u  in  der  Pänultima;  vgl.  auch  panucla  in  einem 
vulgären  Zauberspruch  bei  Marc.  Empir.  S.  113,  32,  Nied.  und 
Liechtenhan,  Sprachl.  Bern,  zu  Marc.  Erap.,  Diss,  Basel  191 7,  42. 
Gewifs  finden  wir  auch  Formen  in  den  Glossen,  welche  in  Anschlufs 
an  das  Hauptwort  [cojmculus  CGI.  V,  494,  68)  oder  durch  Assimilation 
[fronduciäa  V,  634,  47)  ein  ii  statt  i  erhielten.     Aber  diese  Beispiele 

—  weiteres  bei  Heraeus  die  Sprache  Petrons  45  —  sind  vereinzelt 
und  ephemer;  allgemein  war  die  Umlautung  nur,  wenn,  wie  in 
ranuclus  usw.,  der  umlautende  Vokal  zugleich  durch  Synkope  weg- 
fiel:   mit   ranuclus  <  raniculus  steht  butro  <  botruo  auf  einer  Stufe. 

—  Auch  die  anerkannte  Form  botrutis  ist  wichtig;  sie  wird  kaum 
aus  ßözQvog  entstanden  sein  (Schru:hardt  II,  140),  da  in  den 
sonstigen  Fällen,  in  denen  wenigstens  formell  der  griechische 
Genetivus  zum  Nominativ  wurde  (vgl.  ahacus  :  äßag-xoc,  Claussen, 
Rom.  Forsch.  15  [1904]  800),  ein  neuer  Nominativ  auf  -us  ge- 
schaffen wurde ;  dafür  genügte  auch  botrus  <C  ßoTQvg  schon.  Auch 
Guerickes  Ansicht,  de  ling.  vulg.  rel.  apud  Petron,  Diss.  Königsberg 
1875,  41,  dafs  vulgäres  -0  durch  -us  ersetzt  wurde,  trifft  kaum  das 
richtige,  da  nur  bei  Personenbezeichnungen,  kaum  bei  anderen 
Substantiven  die  Endung  -0  als  vulgär  empfunden  wurde,  s.  §  25 
über  /a7ieo.  Wahrscheinlich  war  botruus  Kreuzform  von  botruo  und 
botrus.  Erst  Hieronymus  hat  in  seinen  Übersetzungen  botrus  < 
ßöxQvg  in  die  Literatursprache  eingeführt,  das  nun  durch  seine 
Autorität  üblich  wurde,  während  botruus  seitdem  selten  ist.  Vor 
Hieronymus  begegnet  botruus  nur  bei  Cyprian,  ep.  37,  2;  63,7; 
69,  2  und  es  ist  nicht  wahrscheinlich,  dafs  botruus  vor  Ende  des 
2.  Jhdts.  oder  nach  Ende  des  vierten  von  einem  Grammatiker  als 
Normalform  hingestellt  werden  konnte;  App.  wurde  also  im  3.  oder 
4.  Jhrh.  verfafst. 

h)    tonitru  non  tonotru.    Mit  Unrecht  sehen  Sommer  2  112   u.a. 
in    tonotru    eine  Assimilation,    welche    mit   oppodum  =  oppidum   CIL 

12,  585,  81  (iii  V.  Chr.)  zu  vergleichen  wäre;  denn  in  Wahrheit  liegt 
eine  onomapoetische  Bildung  vor,  in  der  das  doppelte  0  das  dunkle 
Rollen  des  Donners  wiedergeben  soll.  Zur  Wiederholung  der  Lautung 
geben    Schalleindrücke    Anlafs,    welche   sich    dem  Wesen    nach    zu 


36 

wiederholen  pllegen,  vgl.  Brugmann,  K.  vergl.  Gramm,  d.  Indog. 
Spr.  286,  der  auf  ululare,  dXoXv^tir,  murmurare  und  Verwandtes 
hinweist.  Dafs  die  lateinische  Volkssprache  in  der  Tat  ein  schall- 
nachahmendes Element  in  dieses  Wort  hineintrug,  beweisen  auch 
aital.  tronare,  prov.  cat.  sp.  apg.  tronar,  welche  ein  vulgärlat.  tronare 
voraussetzen,  mit  einem  r,  das  nicht  nur  auf  assimilatorischer  Zu- 
fügung  beruht,  so  Schopf,  a.  a,  O.  [s.  §  12]  170,  richtig  Meyer- 
Lübke,  Wb,  8778.  Tronitru  ireviescunt  ist  im  cod.  Romanus  zu 
Vergil,  Aen.  V,  694  überliefert.  Vergil  schrieb  selbstverständlich 
tonitru,  aber  vielleicht  gab  es  im  Volkslatein  ein  schallnachahmendes 
tronitru  (wonach  erst  /rö;wr^  gebildet  wurde?).    Über  j(ror/jf//i- s.  §  8. 

§  4.    Der  Vokal  a. 

140     amycdala  non  amidduld 
84     Camera  non  cammara 
23     cithara  non  citera 

Das  ^l  des  volkstümlichen  omiddida  <  dfivyöd?.)]  (vielleicht  ist 
amiddola  zu  lesen,  s.  den  Apparatus  u.  unten)  ist  deshalb  kaum  in 
Anlehnung  an  die  vielen  Substantive  auf  -ula  gebildet,  weil  -dula 
selten  ist.  Vielmehr  ist  es  zu  beachten,  dafs  die  Römer  sowohl 
dfivyödXrj  'Mandelkern',  wie  df/.vy(^aXij  'Mandelbaum'  und  dfivy- 
dalov  'Mandelkern'  entlehnten,  dafs  aber  nur  dfivyÖdX?]  im 
lateinischen  Nebenformen  mit  einem  0  oder  u  zeigt,  das  vor  /  aus 
a  entstanden  ist;  amygdola  ist  bei  Columella  12,  59,  3  über- 
liefert; aviigdola  z.  B.  CGI.  III,  586,  24  (vgl.  noch  Thes.,  L.  L.  s.  v. 
p.  2029,  40.  42);  amandola  CGI.  III,  586,  24;  607,  16;  616,  24; 
aviandula  Plin.  Valerian.  5,  30;  CGI.  III,  578,  2.  Von  den  drei 
Lehnwörtern  erfährt  also  nur  dasjenige  einen  Lautwandel  in  der 
Pänultima,  dessen  griechisches  Vorbild,  d/^vyödX?],  den  Akzent  auf 
jener  Pänultima  hatte.  Sehen  wir  uns  nun  die  anderen  griechischen 
Lehnwörter  an,  deren  Pänultima  a  ebenfalls  vor  velarem  /  (Labial) 
zu  0  und  ti  wurde  (Saalfeld  79):  crapula  <  xgaLJtdXj],  scutula  < 
OxvTdX7j,  spatula  <<  GjiaxdXi].,  Hecuha  (älter  Hecoha)  <C  '^Exdßr/, 
pessulus  <  jidööaXog,  strangulo  <  ötQayyaXöco,  so  haben  die  vier 
ersten  ebenfalls  (aus  0  entstandenes)  u  an  Stelle  eines  a,  das 
im  Griechischen  den  Akzent  trug,  während  strangulo  wohl  nach 
iugülo  gebildet  wurde  und  pessulus  auch  in  der  ersten  Silbe  einen 
abweichenden  Vokalismus  zeigt.  —  Dagegen  haben  die  griechischen 
Proparoxytona  wie  xv^ißaXov ,  OxdvdaXov ,  XQoraXov  u.  a.  be- 
zeichnenderweise auch  im  Lateinischen  ihr  a  alle  behalten.  Von 
den  Paroxytona  entspricht  nur  gjidXj]  ein  phiala  mit  0;  aber  es 
gab  wohl  auch  phiola  im  Vulgärlatein,  vgl.  prov.  fiola,  frz.  fiole, 
M.-Lübke,  Wb.  6466.  Die  Vulgärform  amigdola  {-dula),  welche  den 
griechischen  Akzentverhältnissen  ihren  Ursprung  verdankt,  mufs 
unbedingt  zur  Zeit  der  Entlehnung  entstanden  sein  und  dem- 
entsprechend bietet  schon  Colunella,  bei  dem  das  Wort  zuerst  be- 
gegnet, amygdola.    Sie  konnte  aber  deshalb  nicht,  wie  crapula  usw. 


37 

zur  Alleinherrschaft  gelangen,  weil  amygdala  <C  d/ivy6aXr/  und 
amygdalum  <  dfj.ry^aXov  auch  auf  die  Form  des  dritten  Wortes 
ihren  Einflufs  geltend  machten.  —  Die  verschiedenen  Formen  auf 
-da/a,  -dalu7n  schützen  sich  gegenseitig  auch  gegen  sonstige  Ver- 
änderungen i;  höchstens  wurde  das  unbeliebte  -gd-  zu  -nd-  um- 
gewandelt, vgl.  Not.  Tir.  105,27:  amyndaJa  und  die  romanischen 
Vertreter  (s.  u.).  Dagegen  war  isoliertes  amygdola,  -dula  eher  Ver- 
änderungen ausgesetzt  und  es  wurde  nicht  nur  -gd-  zu  -nd-^  -dd-, 
—  vgl.  die  Form  der  App.  — ,  sondern  auch  das  unlateinische  y 
assimilierte  sich  in  betonter  Silbe  so  konsequent  an  vorhergehendes 
a,  dafs  amandola  sich  auch  im  Romanischen  durchsetzte.  Auf 
amygdala  geht  prov.  amella  usw.,  auf  amyiidala  span.  almendra,  pg. 
amendoa,  auf  amandola,  it.  mandola,  mandorla,  frz.  amande  zurück, 
M.-Lübke,  Wb.  436.  —  Amiddtda  mit  -dd-  ist  sonst  nicht  belegt; 
vergleichen  läfst  sich  frig(i)diini  >  friddo.  Das  ungewöhnliche  -gd- 
scheint  App.  auch  in  der  korrekten  Form  zu  meiden,  indem  sie 
mit  der  Schreibung  c  der  Umgangssprache  eine  kleine  Konzession 
macht,  vgl.  n.  54:  fricda  und  §  2  a.  Man  kann  auch  a?nygdala  non 
amiddola  bessern. 

Camara  wurde,  da  auch  die  Fremdwörter  dem  Gesetz  der 
Schwächung  unterlagen,  zu  camer a.  Das  getadelte  cammara  — 
über  das  doppelte  »^  s.  §  13  —  hat  entweder,  durch  die  assimi- 
latorische Wirkung  der  umgebenden  Vokale  begünstigt,  immer  neben 
Camera  gestanden  oder  ist  innerhalb  des  Lateins  durch  sekundäre 
Angleichung  aufs  neue  aufgekommen.  Camara  ist  nach  Thes.  L.  L. 
bes.  in  Glossen  und  Inschriften  und  bei  den  mehr  vulgär  gefärbten 
Schriftstellern  Varro  r.  r.,  Vitruv,  Columella,  Flin.  maior  (Sen.  ep.  86) 
überliefert,  und  Paul.  Fest.  p.  43  anerkennt  die  Form  besonders,  um 
die  griechische  Herkunft  klar  zu  machen,  vgl.  auch  Charis.  I,  58,  23  K.: 
camara  .  .  .,  ut  Verrius  Flaccus  adfir?nat,  non  camera  .  .  .  sed  Lucretius 
' camer aeque  caminis  .  .  .'  dicendo  etiam  cavieram  dici  posse  ostendit; 
Non.  p.  30,  7.  Camera  war  die  Form  der  gehobenen  Sprache  und 
wird  von  App.  gefordert,  während  sie  cammara  des  Volkslateins 
ablehnt.  Im  Romanischen  ist  sowohl  camera  (it.  camera)  wie  camara 
(sp.  ptg.  camara)  und  cammara  (siz.  neap.  cammara)  belegt. 

Cithara  mit  a  in  der  Pänultima  ist  auch  deshalb  wohl  späteres 
Lehnwort,  weil  es  erst  seit  Varro,  dem  Rhetor  ad  Herenn.  und 
Lucrez  belegt  ist  und  Plautus  trotz  mancher  Veranlassung  das  Wort 
niemals  angewandt  hat.  In  der  Volkssprache  wurde  a  nachträglich 
geschwächt,  wofür  rum.  und  ital.  cetera,  prov.  cidra  zeugen,  während 
weitere  vulgärlateinische  Zeugnisse  fehlen.  Aber  Parallelen  bieten 
Hilera  CIL  II,  3684,  Carnoy,  a.a.O.  17,  Caeseris  (§  3b),  incompera- 
bilis,  seperare  (Grandgent  §  231)  und  Tartera,  das  von  Consentius 
V,  392,  17K.  verurteilt  wird  und  trotz  der  umgebenden  a  auch  im 


1  Nur    amegdalits  =  amygdalus    steht   Arnob.  5,  7;    ainecdalus   Grom, 
Jat.  p.  352,  2   Lachm.,  in  amygdulus  verbessert. 


38 

mail,  tartera  (neben  -ara),  frz.  tarte  (-tte)  sich  durchgesetzt  zu  haben 
scheint,  vgl.  H.  Kohlstedt,  Das  Romanische  in  den  Artes  des  Con- 
sentius,  Diss.  Erlangen  19 17,  56. 

§  5.    Der  Vokal  e. 

a)    82     iecur  non  iocur. 

In  dem  Kapitel  über  Vokalassimilation  schreibt  Sommer  2,  114: 
'vor  zwischenstehender  Tennis  erscheint  ö-Umlaut  in  iocur ^  seit 
augusteischer  Zeit  Nebenform  von  iccur  .  .  .  wohl  rustik  .  .  .  Das 
0  von  socors  .  .  .  kann  bei  unbetonter  Silbe  in  secördis,  secördia 
entstanden  sein  {secordes  stulti  CGI.  IV,  169,  10).'  —  Iocur  tritt 
nur  gelegentlich  seit  Livius  auf;  an  den  beiden  gesicherten 
Stellen  25,  16,  2  und  41,  15,  i.  2  folgt  ein  iocinore  (-/);  vgl. 
noch  Plin.  n.  h.  28,  96,  loi,  104  u.  ö.;  32,  76.  81  u.  ö.,  Apicius, 
CI  X,  8249.  Wäre  iocur  durch  eine  gewisse  assimilierende  Um- 
lautung entstanden,  so  würden  auch  Belege  für  iocoris,  iocori  nicht 
fehlen.  In  Wahrheit  finden  wir  das  sekundäre  0  (vgl.  gr.  >jjta(}) 
nur  in  den  Formen  iocineris,  iocineri,  iocinere  häufig,  welche  älteres 
iecineris  usw.  zurückdrängten  (vgl.  Paul.  Fest.  p.  245 ;  Liv.  8,  g,  i ; 
Neue-Wagener  1^,837  f.),  d.  h.  in  unbetonter  Silbe.  Der  Laut- 
wandel <f  >■  ö  konnte  zuerst  nur  in  unbetonter  Silbe  vor  sich  gehen 
und  wurde  nur  durch  das  folgende  gutturale  c  veranlafst,  hatte  da- 
gegen mit  Assimilation  nichts  zu  tun.  Dieser  Einflufs  des  c  macht 
sich  auch  in  dem  Übergang  von  vactvus  zu  vocivus  geltend.  Mit 
Recht  hält  Sommer'^  iio  angesichts  Plautinischem  vocivus  (Gas. 
29,  596)  und  ?M\zX.vocäiio  GIL  T^,  583,77  [123  v.  Ghr.];  593,  93,  103 
[45  v.  Ghr.]  gegenüber  altem  vdcuae  GIL  I2,  585,28  den  ö-Yoka- 
lismus  für  ursprünglich,  vgl.  auch  umbr.  vasetom  =  vitiatum.  Aber 
im  Gegensatz  zu  Sommer  glaube  ich,  dafs  auch  hier  vor  gutturalem  c 
unbetontes  vä-  zu  vö-  wurde,  wie  umgekehrt  vor  dentalem  r,  s,  t 
betontes  vo-  zu  ve-  sich  wandelte,  vgl.  vosier  ^  vester,  vorsus  >■  versus, 
Sommer 2,  67.  Nur  in  socördia  trat  Assimilation  ein;  sie  wurde  aber 
ebenfalls  durch  das  c  begünstigt.  —  Aus  dem  Gesagten  ergibt  sich, 
dafs  ioctir  mit  0  in  betonter  Silbe  eine  analogische  Neubildung  nach 
iocineris  usw.  ist;  das  bei  Gharis.  1,48,20  (I,  546, 8)  K.  bezeugte 
iocinus  war  grammatisches  Postulat,  das  keine  Verwendung  fand; 
Prise.  lU,  238,  16  K.:    in  usu  non  est. 

b)       55  vinea  non  vinia  117  tinea  non  ti{nici) 

63  cavea  non  cavia  132  balteus  non  baltius 

65  brattea  non  brattia  141  faseolus  non  fassiolus 

66  Cochlea  non  coclia  157  linteum  non  Untium 

67  cochleare  non  cocliarium  52  dolens  non  dolium 

68  -palearium  non  paliariiim  61  ostium  non  osteum 
72  lancea  non  lancia  160  noxius  non  noxeus 

80  solea  non  solia  113     alium  non  aleum 

81  calceus  no?i  calcius  114     lilium  non  lileum 


39 

Das  schwach  gesprochene  e  vor  Vokal  wurde  schon  früh  zu  i 
geschwächt;  bereits  Pompeianische  Inschriften  CIL  IV,  1173:  valiat, 
IV,  528:  (h)abial  =  habeai  zeigen  /  und  angesichts  vinias,  vinieis 
CIL  I^  1853  (Amiternum)  sind  jene  Formen  keine  Oskismen ; 
Wick,  Fonetica  delle  iscriz.  pariet.  pompeiane  1905.  Umgekehrt 
finden  wir  besonders  auch  in  rustiken  Vokabeln  der  Landbevölke- 
rung e  statt  unbetontes  /  vor  Vokal,  vgl.  z.  B.  den  Bauernkalender 
CIL  VI,  2305,  2306:  vicea,  dolea',  XI,  3950  macerea,  talea  'Setzreis', 
Ernout  235 ;  das  e  entstand  vielleicht  am  ehesten  vor  a,  so  dafs 
auch  eine  bedingte  Assimilation  in  Betracht  käme.  Jedenfalls 
wurde  durch  die  schwache  Aussprache  des  Hiatusvokals  der  Unter- 
schied zwischen  /  und  e  leicht  verwischt.  Über  die  Aussprache 
des  Hiatus-?  s.  §1.  —  Die  schwache  Aussprache  zweier  Schlufs- 
vokale  eines  Wortes,  welche  kein  Konsonant  trennt,  läfst  sich  auch 
auf  anderem  Wege  zeigen,  der  zugleich  dolens  non  doliuni  erklären 
kann.  Es  ist  eine  wenig  beachtete  Tatsache,  dafs,  abgesehen  von 
Lehnwörtern,  die  meisten  Vokabeln  auf  -eus  früher  oder  später  eine 
sekundäre  Form  auf  -euni  neben  sich  haben.  Caseiis  und  caseum 
sind  zwar  beide  bei  Plautus,  halteum  und  cuUeum  neben  halteus 
(Liv.  Andronicus)  und  culleus  (bei  Plautus  nur  in  Casus  obliqui) 
schon  bei  Accius  und  Cato  belegt,  aber  die  Formen  auf  -ewn 
lassen  sich  schon  durch  ihre  Seltenheit  als  die  wahrscheinlich 
jüngeren  erkennen.  Neben  altem  pntcus  gibt  es  erst  seit  Varro 
ein  putenm  —  über  die  wohl  etruskische  Herkunft  Sigwart  Glotta 
Vni,  13g  — ,  neben  pluteus  (bei  Plautus)  nicht  vor  Vitruv  ein  plu- 
teum.  Und  wenn  neben  alveus  auch  ein  alveitm  bei  Festus  (Verrius 
Flaccus)  und  in  der  Itala  vorkommt  und  schon  bei  Cato  neben 
modius  ein  medium,  so  werden  durch  alviis  und  modus  alveum  und 
modium  ohne  weiteres  als  sekundär  erwiesen.  Für  das  spätere 
Vulgärlatein  kommen  besonders  laqueum  (Ital.  Osea  5,  i,  gr.  jrayig) 
neben  laqueus,  cuneum  (CGI.  II,  354,  20;  500,  5)  neben  cuneus, 
malleum  (GL  VII,  100,12;  CGI.  II,  504,27;  III,  23,21)  neben 
malleus,  orcium  (CGI.  II,  347,60;  III,  289,  11  ortiu7ii)  und  urceum 
(GL  IV,  211,  15)  neben  urceus  in  Betracht;  vgl.  noch  gladium 
Quint.  I,  5,  16  und  radm?n  GL  VII,  102,  i.  Ursprüngliche  latei- 
nische Vokabeln  auf  -eum  gab  es  nach  Gradenwitz'  Laterculi  nur 
sehr  wenige,  wie  horreum,  hordeum.  '  Die  Ausdehnung  der  Endung  in 
der  späteren  Umgangssprache  steht  in  Widerspruch  mit  dem  allmäh- 
lichen Untergang  des  Neutrums  im  Vulgärlatein,  dementsprechend 
auch  horreus  CI  II,  3222;  hordeus  Oribas.  2,  7  ;  balmeus  Petron.  41 
belegt  sind.  Diese  neuen  Bildungen  müssen  also  einem  besonderen 
Umstand  ihre  Entstehung  verdanken,  und  da  es  wohl  ein  alveum 
und  modium  neben  alveus  und  modius,  nicht  aber  alvum,  moduvi 
neben  alvus,  modus  gab,  so  liegt  die  Erklärung  nahe,  dafs  durch 
die  flüchtige  Aussprache  der  durch  keinen  Konsonanten  getrennten 
Vokale  der  Schlufssilben  das  an  sich  schwache  auslautende  -s  oft 
fast  vöHig  schwand  und  leicht  durch  kaum  gehörtes  auslautendes  -m 
cJes    neutralen  Nominativs    ersetzt   wurde.     Deshalb   tritt   wohl  -inm 


40 

an  die  Stelle  von  -ins,  nicht  dagegen  -ius  mit  etwas  kräftigerem  i' 
an  die  Stelle  von  häufigem  -tum.  —  Durch  diese  Erklärung  i  findet 
m.  E.  auch  ein  anderes  Problem  seine  Erledigung,  das  C.  Proskauer, 
Das  ausl.  -s  auf  den  lat.  Inschr.,  Strafsburg  igio,  loff.  behandelt 
hat.  Auf  den  Denkmälern  von  Beginn  der  historischen  Zeit  (350) 
bis  200  ist  —  im  Gegensatz  zu  den  ältesten  Inschriften,  welche 
festes  -s  zeigen  —  in  der  Nominativendung  -los  nur  selten  das 
ausl.  -s  geschrieben  worden,  in  etwa  13  von  147  Beispielen  (63 
aus  Praeneste).  Dagegen  fehlt  in  der  Endung  -os  mit  vorher- 
gehendem Konsonanten,  welche  neben  vielen  Eigennamen  auf  -ios 
viel  seltener  belegt  ist  (13 mal),  nur  dreimal  das  s.  Bezeichnend 
für  den  Gegensatz  sind  Gl  XIV,  2577,  2578:  Fourio  .  .  .  trihiinos\ 
IX,  4204:  Q.  Lainio  .  .  .  praiftctos  .  .  .pro  trebibos,  den  Proskauer  31 
dadurch  erklärt,  dafs  nach  Vokal  das  q  offener  sei  als  nach  einem 
Konsonanten  und  durch  dieses  sehr  offene  g  auch  das  ausl.  -s  re- 
duziert wäre.  Nach  dem  Gesagten  dürfte  auch  im  alten  Latein 
das  j  in  FouHo(s)  nach  zwei  flüchtig  gesprochenen  Vokalen  kaum 
gehört  sein.  Als  in  der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Substantiva 
mit  konsonantisch  anlautender  Schlufssilbe,  deren  s  etwas  fester 
war,  das  0  zu  u  wurde,  übertrug  sich  die  neue  Endung  -us  in  der 
Schreibung  auch  auf  die  übrigen  und  auf  die  im  Verhältnis  zu  den 
anderen  Substantiva  wenig  zahlreichen  Eigennamen  auf  -io.  Schon 
in  den  ältesten  Beispielen  auf  -iu(s),  welche  Proskauer  vor  200  an- 
setzt, sind  unter  47  Belegen  davon  27  aus  Praeneste,  nur  noch 
vier  oder  fünf  mit  -iu  ohne  ausl.  -s.  Aber  auch  jetzt  war  das  -s 
in  -eus  {-ius)  mehr  orthographisch  als  phonetisch  vorhanden,  wie 
es  nicht  nur  Inschriften  wie  VI,  6571:  Staliliu  Garns,  34627:  Aureliu 
Gaius,  sondern  vor  allem  die  behandelten  Neben forrmen  puteum, 
malleuvi  usw.  zeigen.  —  Vielleicht  erkennen  wir  jetzt  auch,  weshalb 
App.  dolens  billigt  und  nicht  das  übliche  dolmm.  Neben  dolium, 
das  sich  romanisch  erhalten  hat  (Groeber,  ALL  II,  103),  tritt  z.  B. 
im  Bauernkalender  CIL  VI,  2305,  2306  rustikes  dolea  (Plur.)  auf, 
vgl,  noch  Varro,  r.  r.  i,  13,6;  3,  15,2  usw.  Daneben  begegnet 
dolens  —  Grom.  Lat.  p.  296,  9,  14,  18  L.  und  CGI.  III,  357,  58  — , 
das  wegen  des  e  sicherlich  vulgär  ist,  mag  es  im  übrigen  als  volks- 
tümliches viasctilimim  pro  nerUro  oder  im  Anschlufs  an  urceus  :  urceuvi 
entstanden  sein.  Wie  kam  nun  App.  dazu,  diese  Form  anzuer- 
kennen? Doliuni  scheint  sie  mit  übertriebener  Vorsicht  deshalb 
nicht  anerkannt  zu  haben,  weil  es  in  der  Umgangssprache  schon 
ein  romanisch  nicht  erhaltenes  dolium  'Schmerz'  gab,  vgl.  CIL 
V,  1729  und  das  bereits  Plautinische  cordolium.  Von  den  erübri- 
genden Formen  betrachtete  sie  gegenüber  dem  verbreiteten  rustiken 
doleum  das  seltenere  dolens  als  richtig,  weil  auch  malleus,  laqueus 
usw.    hochlateinische  Bildungen  waren,    dagegen  malleum,   laqueum 


1  Es  könnte  auch  das  Empfinden,  dafs  die  Vokabeln  auf  -eus,  •ius  Ad- 
jekliva  seien,  die  Umwandlung  begünstigt  haben;  dann  aber  blieben  die  echt- 
lateinischen Eigeuiiameu  Fourio,  Lainio  usw,  unerklärt. 


41 

die  vulgären.  —  Dokus  ist  in  der  Hs.  erst  Korrektur  aus  doleum ; 
betrachten  wir  dies  als  richtig,  so  mufs  jedenfalls  rsj  dolium  non  do- 
leum (so  Charis.  I,  70,  27  K.)  gebessert  werden.  Aber  wie  wäre  ein 
später  Schreiber  darauf  verfallen  doleus  zu  korrigieren,  das  tatsächhch 
lateinisch  belegt  ist,  ihm  aber  nicht  richtiger  als  doleum  sein 
konnte?  Denkbar  wäre  dolium  non  doleus  oder  doleus  non  doleian: 
A.  Probi  kann  dolium  kaum  direkt  verworfen,  wohl  in  der  Weise 
nicht  anerkannt  haben,  dafs  sie  es  nicht  erwähnte. 

Ein  rustikes  e  liegt  wohl  auch  in  aleum  und  lileum  vor.  Griech. 
dXXäg  <  dXXdsig  'Wurst  mit  Knoblauch'  wurde  ohne  Zweifel 
einem  südital.  Dialekte  entliehen  —  älhiv  Xd^aror  ^haXoi  Hesych 
—  und  da  lat.  //  vor  Vokal  im  Oskischen  //  entspricht  (vgl.  bantin. 
allo  =  alia),  ist  aliiim  die  ursprüngliche  lateinische  Bildung  und 
aleum  die  dialektische  Form  aus  der  Umgebung  Roms,  vgl.  zu 
dXXäc  Kretschmer,  Glotta  I,  324.  Aleum  wird  auch  sonst  von  den 
Grammatikern  verworfen,  so  dafs  App.  auch  hier  aus  grammatischer 
Tradition  schöpft;  vgl.  Porphyr  zu  Horaz  Epod.  3,3:  'aliu?n^  di- 
cendum  . . .  non  ut  vulgo  'aleum';  Charis.  I,  70,  27 K. ;  Beda  VII,  263,  2 1 
K. ;  Albinus  VII,  295,  19  K.  Bezeugt  ist  aleum  im  Ed.  Diocl.  6,23 
und  in  späteren  Texten,  vgl.  z.B.  Niedermann,  Marc.  Empir.  Ind.  321. 
Schon  bei  Plautus,  Most.  47  ist  aleato  [cibus  alio  conditus)  überliefert 
mit  e  vor  a  (s.  p.  39).  Im  Romanischen  hat  sich  wohl  blofs  alium 
erhalten,  ebenfalls  nur  dolium  und  lilitim,  nicht  die  rustike  Form; 
für  alium  vgl.  it.  aglio,  frz.  ail,  span.  ajo  usw. 

Lilium  ist  aus  Xtigiov  entliehen  (Saalfeld,  Tens.  ital.-graec.  629) 
mit  Assimilation  des  r ;  im  span.  ptg.  lirio  wurde  lilium  wieder  dis- 
similiert, Schopf,  a.a.O.  136.  Lileum  steht  Not.  Tir.  105,  7  iE.,  viel- 
leicht ist  auch  CGI.  V,  218,  8:  lilia  non  lilea  zu  schreiben.  —  Gerade 
in  »doleum,  aleum,  lileum  tritt  das  Bestreben  zutage,  das  mit  /  zu 
moulliertera  i  eng  verbundene  i  wieder  vokalisch  zu  gestalten  und 
es  umgekehrt  offener  zu  sprechen,  vgl.  auch  das  über  osteum 
Gesagte. 

Ganz  anders  ist  wieder  noxius  non  noxeus  (160)  zu  beurteilen, 
und  es  liegt  nicht,  wie  man  wohl  meistens  annimmt,  nur  um- 
gekehrte Schreibung  vor.  Noxius  ist  dem  Sinne  und  dem  Emp- 
finden nach  Adjektiv  zu  noxa,  während  sonst  zu  Substantiven  auf 
-a  die  Adjektivbildung  stets  auf  -eus  endet,  vgl.  palma,  palmeus  — 
flamma,  flammeus  —  gevnjia,  gemvuus  —  pluma,  plumeus  —  spuma, 
spumeus  —  canna,  canneus  —  siuppa,  stuppeus  —  cera,  cereus  — 
terra,  terreus  —  vipera,  vipereus  —  rosa,  roseus  — purpura,  purpureus  — 
concha,  concheus  —  virga,  virgeus  —  spica,  spiceus  —  squama,  squa- 
mcus  —  herha,  herheus  —  myrrha,  myrrheus  —  charta,  charteus 
u.  a.  Sehr  leicht  konnte  daher  auch  noxius,  das  trotz  des  aus 
ihm  substantivierten  noxia  für  das  Empfinden  der  Volkssprache  zu 
noxa    gehörte,    zu    noxeus   werden,    das    CI  IX,  3437    (Schuchardt 

11,  141)    belegt    ist.     Noxsea  =  noxia  (f.)    bei  Hübner,  Inscr.  christ. 

12,  2   (Ende  6.  Jhdt.)    dürfen    wir   also    nicht   ganz   auf  eine   Stufe 
mit   noxeus   stellen ;    es    scheint,    dafs    erst    noxeus    auch  ein  noxea 


42 

nach  sich  zog,  dessen  e  durch  das  folgende  a  begünstigt  wurde, 
s.  oben.  —  Noxeus  war  nach  dem  Gesagten  mehr  verbreitet,  und 
es  ist  wohl  kein  Zufall,  dafs  App.  noxeus,  nicht  noxea  als  vulgäre 
Form  anführt. 

Mit  Recht  hebt  Ullmann  189  hervor,  dafs  osteum  seit  dem 
2  Jahrh.  —  CIL  VIII,  1309.  1310  (aus  den  JJ.  166/9);  zweimal 
auch  in  den  Act.  fr.  A.rv.  aus  dem  J.  218  n.Chr.;  Rönsch,  It.  u. 
Vulg.  463;  Marc.  Empir.  22-I.,  5N.  —  so  gut  belegt  ist,  dafs  man 
darin  mehr  als  einfache  umgekehrte  Schreibung  zu  sehen  hat;  aber 
archaisch  ist  die  Form  sicherlich  nicht.  Beachten  wir,  dafs  auch 
hestia  sehr  häufig  die  Nebenform  hestea  zeigt  —  Cypr.  Demetr.  g 
usw. ;  Ital.  ap.  6,  8  usw. ;  Thes.  L.  L.  s.  v.  —  und  das  nur  im 
späteren  Latein  belegte  bestens  nach  Thes.  L.  L.  bei  Commodian 
und  in  den  Acta  Petri  fünfmal  in  dieser  Form  und  nur  zweimal 
als  besliiis  belegt  ist,  so  liegt  es  auf  der  Hand  zu  vermuten,  dafs 
auch  in  osteum  die  dem  Vokal  vorangehende  Konsonantengruppe 
-st-  den  gelegentlichen  Lautwandel  beeinflufst  hat.  Vergleichen 
wir  nun  die  Worte  des  Grammatikers  Pompeius  (5.  Jahrh.)  V,  286,  7 
K. :  iotacismi  sunt,  qtii  fiwit  per  i  litter  am,  si  quis  ita  dicat,  Titius 
pro  eo  quod  est  Titius  (d.  h.  Titsius),  Aventius  pro  .  .  .  Aventius  (d.  h. 
Aventsius),  Amantiiis  pro  .  .  .  Amantius  (d.  h.  -tsius)  .  .  .  quotiens- 
cumque  enim  post  ti  vel  di  syllabam  sequi tur  vocalis,  illud  ti  vel  di  in 
sibilum  vertetidum  est  ...  castius  ...  ecce  media  syllaba  et  nihilo- 
rainus  in  sibilum  non  vertit  .  . .  ubi  s  litter a  est,  ibi  7ion  possu- 
mus  sibilum  iii  ipsa  i  littera  facere,  so  ergibt  sich,  dafs  zur 
Zeit  der  Assibilation  in  der  Umgangssprache  wohl  Titsjus  und 
Aventsjus,  aber  wegen  des  vorangehenden  s  castius  nicht  caslsjus 
gesprochen  wurde.  Diese  Assibilation  begann  im  2.  Jahrh.,  wie  sich 
aus  Vincentzus  auf  einem  Fluchtäfelchen  Carthagos  (Audollent  ^37) 
und  anderen  Beispielen  ergibt.  Aber  in  ostium  und  bestia  konnte 
sie  nach  vorhergehendem  s  nicht  eintreten  und  zur  Unterscheidung 
von  Titius,  repositio  usw.,  welche  nicht  immer  Titsius,  rcpositsio  ge- 
schrieben wurden,  deutete  die  Orthographie  seit  dem  2.  Jahrh.  mit 
osteum  an,  dafs  //  nicht  tsj  gesprochen  wurde,  wobei  die  Möglich- 
keit bestehen  bleibt,  dafs  sich  die  Aussprache  des  /  in  ostium  in 
eine  Vificenizus  (-ts/us)  entgegengesetzte  Richtung  bewegte  und  ge- 
legentlich auch  osteum  mit  e  gehört  wurde.  App.  kann  auch  osteum 
kaum  vor  dem  Ende  des  2.  Jahrhs.  verworfen  haben.  —  Auch 
hierin  stimmt  ostium  mit  bestia  überein,  dafs  das  /  der  nichtassibi- 
lierten  Verbindung  -sti-  den  vorhergehenden  Vokal  umlauten  konnte ; 
aus  ostium  wurde  üstium  (Geyer,  ALL  VIII,  480;  Pirson,  a.a.O.  42), 
das  allgemein  romanisch  ist,  und  bistia  ist  nicht  nur  bei  Gregor 
von  Tours,  sondern  auch  im  Romanischen  bezeugt,  Rohlfs,  Z.  f.  Rom. 
Phil.  41,  1921,  354.  Somit  erledigt  sich  die  Vermutung  von  Meyer- 
Lübke,  Z.  f.  Rom.  Phil.  22,  355,  Einf.3  180,  dafs  aus  vorhist.  de 
austio  —  inschriftlich  ist  austium  =  ostiufn  belegt  —  ein  de'  ustio 
geworden  sei  (inclaudo  >»  includo)  und  dieses  ustium  (selbständig) 
nach  vielen  Jahrhunderten  wieder  aufgetreten  sei, 


43 

Wenden  wir  uns  jetzt  zu  den  Formen,  in  denen  umgekehrt 
das  i,  nicht  das  e  abgelehnt  wird.  In  coc(h\/eare  tion  coclearium  — 
s.  auch  den  Apparatus  r.  St.  —  wird  auch  die  Endung  -arium 
zurückgewiesen.  In  seiner  tüchtigen  Dissertation  'Die  rückläufige 
Ableitung  im  Lateinischen',  Diss.  Basel  1920  (74),  hat  Brender 
wohl  mit  Unrecht  cochlear(e)  'Löffel'  als  Rückbildung  aus  coclearia, 
Plural  von  coclearium,  hingestellt.  Neben  coclear  'Löffel',  das  bei 
Celsus,  Plinius,  Coluniella  vorhanden  ist,  ist  zwar  auch  coclearium 
z.  B.  für  Scribonius  Largus,  c.  16  (-orum)  in  derselben  Bedeutung 
gesichert,  aber  an  den  ältesten  Stellen,  Varro  r.  r.  3,  12,  2;  3,  14,  i 
ist  coclearium  so  viel  wie  Uicdificitcm  rusticum  cochleis  servandis  factum^ \ 
dafs  diese  Bedeutung  die  ursprüngliche  ist,  zeigen  ähnliche  Bil- 
dungen wie  carnarium,  sanctuarium,  tabularium  usw.,  s.  W.  IMeyer, 
Die  Schicksale  des  lat.  Neutrums  im  Roman.,  Diss.  Zürich  1883, 
102.  Ohne  Zweifel  standen  zuerst  coclear  und  coclearium  in  ihren 
verschiedenen  Bedeutungen  nebeneinander  und  wurde  aus  dem  zu 
coclear  gehörigen  Plural  cocharia  ein  neuer  Nominativ  coclearium 
gebildet.  1  Dieser  Sachverhalt  wird  bestätigt  durch  App.,  die 
coclearium  als  Neubildung  —  und  wegen  des  langen  Suffixes  (§  27) 

—  verwirft;  dementsprechend  weisen  gerade  die  mehr  vulgär  ge- 
färbten späteren  Schriftsteller  wie  Pelagonius,  Marcellus  Empiricus 
u.  a.  coclearium  auf;  auch  in  den  Glossen  ist  es  häufig,  vgl.  Goetz, 
Thes.  Gloss.  em.  I,  226.  Schliefslich  wurde  in  gleicher  Weise  aus 
conclavia,  Plur.  von  couclave  (seit  Plautus),  ein  zuerst  beim  vulgär- 
gefärbten Vitruv  6,  3,  8  (Gen.  Plur.)  belegtes  conclavium  gebildet ; 
nach  exemplaria,  Plur.  von  exemplar  (Cicero),  ein  bei  den  Juristen 
auftauchendes  exemplarium.  Umgekehrt  tritt  neben  nubilarium 
'gegen  Regen  schützende  Feldscheune'  nubilare  CIL  VI,  2204.  Im 
Romanischen  lebt  coclearium,  die  neue  Vulgärform,  weiter,  vgl.  it. 
cucchiaio,  frz.  cuiller,  sp.  cuchära,  M.-Lübke,  Wb.  2012,  anders 
Groeber,  ALL  I,  54Q.  Die  Formen  mit  /  in  coclea  <C  xo'/^Äiac  belegt 
Schuchardt,  Vok.  1,433,  HI;  I45  ^"s  Inschriften;  vgl.  auch  CGI. 
11,354,36,  563,33;  III.  i4>6o;  87,49;  184,8.  Angesichts  usäum 
ist  auch  cuchliae  (mit  nicht  ganz  mouilliertem  /  nach  c(h)),  Ed.  DiocI. 
6,  46  von  Interesse. 

Nach  dem  Gesagten  ist  zu  dem  von  Columella  i,  6,  9  an- 
geführten palearia  'Spreuboden'  der  Singular  ohne  2,^€\i&\  palearium. 
Daneben  wurde  in  späterer  Zeit  zu  palear  'herabhängende  Haut 
am  Halse  des  Stieres',  das  meist  im  Plural  vorkommt  —  der 
Singular  ist  Sen.  Phaedr.  53  überliefert  — ,  ein  in  den  Glossen 
öfters  auftretendes /(2/frtr««>«  gebildet,  vgl.  z.B.  II,  268,26:  ötQiia 
t6  vjtoxdrco  zcov  TQcr/jj^.cor  rcöv  ßocöv  und  Goetz,  Thes.  Gl.  II,  40. 

—  Da  App.  auch  cochlear  und  cochlearium  scharf  trennt,  so  kann 
mit  der  anerkannten  Schulform  palearium  nur  der  Spreuboden 
gemeint  sein.     Über  das  Romanische  s.  M.-Lübke,  Wb.  6163. 


»  Nicht  aus   dem  echtgriech.  'ao'/XiÜqiov  (vgl.  xö'^Xoq,  ico'/}.[aq\  Pollux, 
Onom.  6,  87}  entliehen. 


44 

In  der  verschiedenen  Beurteilung  des  Verhältnisses  von  vinea 
zu  vinia  treten  mit  voller  Deutlichkeit  die  beiden  verschiedenen 
Methoden  der  Grammatiker  zutage,  welche  entweder  die  vulgären 
Nebenformen  als  solche  richtig  erkannten  und  verwarfen  oder  in 
wenig  erfreulicher  Weise  einen  semantologischen  Unterschied 
zwischen  den  klassischen  und  den  volkstümlichen  Bildungen  zu 
konstruieren  versuchten.  Nach  der  Auffassung  der  letzteren  bedeutet 
vinea  'Weingarten',  vinia  'Schirmlaube  der  Soldaten',  und  schon 
Annaeus  Cornutus  verwirft  in  den  GL  VII,  147  (150,20)  erhaltenen 
Auszug  Cassiodors  diesen  Unterschied:  qiiod  discrimen  stultissimum 
est,  vgl.  noch  Charis.  I,  95,  8  K.  Die  von  Marius  Victor.  VI,  8,  3 
angeführten  Grammatiker  treiben  es  noch  toller,  wenn  sie  unter 
Vernachlässigung  der  lebendigen  Sprachformen  für  vinea  'Schirm- 
laube' zwecks  Differenzierung  die  Schreibung  veinea  verlangen.  Wie 
sie  zu  dieser  merkwürdigen  Auffassung  kamen,  zeigt  das  zweite 
Beispiel,  pilum  militare  sei  mit  ei,  pilum  pinsitoritm  mit  i  zu  schreiben, 
zu  welcher  Annahme  eine  verkehrte  Benutzung  von  Lucilius  359  M. 
verführte:  {^pHum^)  quo  piso  tenues.  si  plura  haec  feceris  pila  |,  quae 
iacimus,  addes  e  ^peila''  iit  plenius  fiat:  nur  im  Plural  soll  die  gröfsere 
Masse  auch  äufserHch  durch  ei,  nicht  i  gekennzeichnet  werden 
(Vel.  Long.  VII,  56,  4K.  und  Sommer,  Hermes  44,  1909,  75,  dessen 
Ansichten  etwas  zu  modifizieren  sind) ;  besonders  in  der  Bedeutung 
'Speer'  stand  pilum  häufig  im  Plural.  —  In  Wahrheit  ist  vinia  die 
vulgäre  Form,  welche  seit  CI  VI,  933  aus  dem  J.  75  n.  Chr.  ge- 
legentlich belegt  ist.  —  Auch  in  der  Beurteilung  von  balteum,  einer 
vulgären  Form  von  haltetis  —  laltius  {132)  mufs  nach  Albinus 
VII,  298,  20 K.:  halleum,  cingulum,  per  e  scrihatiir  (Heraeus  320) 
nicht  selten  gewesen  sein  —  sehen  wir  die  Meinungen  derjenigen, 
welche  balteum  richtig  als  volkstümlich  erkannten,  und  anderer, 
welche  anders  urteilten,  auseinandergehen,  vgl.  Charis.  I,  77,  5 K.: 
halteus  masculifio  genere  semper  dicitur  .  .  .  Plinius  tarnen  vult  mascu- 
lino  genere  vinculum  significare ,  neutro  auiem  loca  ad  Uganda  apta, 
sed  Varro  in  Scauro  haltea  dixit  et  tusciim  vocahulum  aii  esse.  Es 
wäre  eine  nützliche  Aufgabe,  die  Zeugnisse  für  die  seit  dem  ersten 
Jahrhundert  aufkommenden  Versuche  zu  sammeln,  sekundäre  Formen 
der  Umgangssprache  der  Bedeutung  nach  von  den  normalen 
Bildungen  zu  differenzieren.  Man  vergleiche  z.  B.  Velius  Longus 
VII,  74,  16K. :  voluerünt  .  .  .  gra?/i??iatici,  ut  coortes  sint  villarum, 
Wide  homines  cooriantur  pariter  .  .  .  at  cohortes  rnilitum  a  viutua  cohor- 
tatione;  in  Wahrheit  ist  coors  eine  volkstümliche  Bildung,  welche 
sich  weiter  zu  cors  und  curs  entwickelte,  s.  Thes.  L.  L.  s.  v.  Auf 
weitere  Ausführungen  (s.  auch  die  Einleitung)  mufs  ich  hier  ver- 
zichten. 

Nachdem  das  Hiatus-^  zu  i  und  /  geworden  war,  konnte  aus 
verschiedenen  Gründen  der  neue  Laut  auch  den  vorhergehenden 
Konsonanten  irgendwie  beeinflussen.  So  wurde  vor  dem  neuen  i 
das  schwache  v  gelegentlich  zu  i  und  trat  neben  cavia  (63),  das 
in  Hss,  öfters  belegt  jst  (auch  Bullet.  Napol.   1859,   182),  ein  cabia, 


^5 

s.  CGI.  III,  360,  35:  gabia  yaXtdyQW,  397,  52:  cakeagra  (so)  gabia; 
in,  404,6:  cabia  galeagra  und  Tab.  devot.  252,  12  Audoll.:  xdßia', 
vgl.  auch  it.  gabbia.  Interessant  ist,  dafs  anscheinend  die  neue 
Form  cabia  (gabia)  häufig  die  mehr  spezielle  Bedeutung  'Wiesel- 
falle' bekommt,  vgl.  das  §  3c  über  nimquis  und  imbilicum  Gesagte. 
Auch  aina  'Grofsmutter'  begegnet  auf  Inschriften  (CI  X,  3646  und 
2 119?)  in  der  Form  abia. 

Neben  brattea  ist  auch  bractea  belegt,  aber  erst  seit  Apuleius, 
so  dafs  die  Form  innerhalb  der  lateinischen  Sprache  sekundär  ent- 
standen ist.  Mit  Unrecht  meint  also  Ernout  235,  dafs  brattea  ■< 
bractea  aus  irgend  einem  Dialekt  stamme,  in  dem  -et-  schon  früh 
-//-  geworden  sei,  —  so  z.  B.  in  Praeneste  und  Umbrien.  Da  -ct- 
im  Vulgärlatein  z.  T.  zu  -//-  wurde  (§  16  a),  kam  auch  die  umgekehrte 
Aussprache  (-et-  zu  -//-)  gelegentlich  vor.  Ein  so  entstandenes 
bractea  konnte  sich  vielleicht  deshalb  durchsetzen,  weil  vor  konso- 
nantisch gewordenem  Vokal  sich  die  Silbengrenze  verschob  (s.  über 
accia  =  acia  usw.  §  13),  indem  auch  die  vorangehende  Silbe  durch 
einen  Konsonanten  geschlossen  wurde,  und  auch  bractea  dieser 
Bedingung  besser  entsprach  als  brattea  =  bratia.  Das  /  von  brattia 
findet  sich  besonders  oft  auch  in  brattiarius  CIL  VI,  95,  9210,  9211 
u.  ö.  {brattearius  CGI.  II,  406,  28).  Dasselbe  gilt  auch  für  lanciarius, 
das  neben  lancia  —  z.  B.  CGI.  II,  121,3;  362,  2}^  —  häufig  belegt 
ist  in  Inschriften  und  Hss.,  auch  CGI.  II,  362,  24,  Schuchardt  I,  437; 
Heraeus  312.  Auch  lintiarius  ist  neben  lintium  (CIL  V,  1041  Lintia, 
CGI.  II,  361,  25  usw.)  nicht  selten  vertreten,  vgl.  z.  B.  CIL  V,  5932, 
VI,  9670  [lentiaritis  mit  e  wie  sonst)  usw.  Wie  die  Synkope  be- 
sonders in  vortoniger  Silbe  beliebt  war,  weil  die  Aussprache  nach 
der  betonten  Silbe  hindrängte,  so  konnte  sich  aus  ähnlichen  Gründen 
dort  am  leichtesten  das  e  zu  i  verflüchtigen.  Für  linteum  begünstigte 
noch  ein  spezieller  Faktor  den  Übergang  zu  lintium.  Neben  linteum 
gab  es  aufser  den  sekundär  entstandenen  pluteum,  puteu?n,  balteum, 
osteum  (s.  o.)  keine  auf  -teiim  endenden  Vokabeln,  während  dagegen 
die  Endung  -tium  häufig  war.  Sehr  leicht  konnte  daher  das  in 
der  Aussprache  nach  lintium  hinneigende  Wort  sich  immer  mehr 
der  grofsen  Wortgruppe  auf  -tium  anschliefsen.  Es  wird  schon 
früh  ein  lintium  gegeben  haben,  als  das  /  noch  vokalisch  war. 
Später  kam  daneben  lentiiim  auf,  CIL  XIV,  328,  das  den  meisten 
romanischen  Sprachen  —  vgl.  ait.  lenza,  sp.  lienzo,  M.-Lübke,  Wb. 
5072,  2  —  zugrunde  liegt;  aber  auch  in  diesem  Falle  gehört  die 
von  App.  verworfene  Form  der  älteren  Schicht  der  lateinischen 
Vulgärsprache  an. 

Das  häufige  Vorkommen  von  lancia  wird  auch  durch  lanciola 
(Apul.  met.  8,  27)  wahrscheinlich  gemacht.  Denn  der  Wandel  e  >- 
i  (/)  setzt  die  Betonung  lanciola  und  dementsprechend  lancia  (§  2) 
für  die  Umgangssprache  voraus,  wenn  nicht  nach  filiölus,  -la  und 
anderen  Vokabeln,  in  denen  die  Mouillierung  zuerst  eintrat,  lance(i)6la 
usw,  auf  analogischem  Wege  gebildet  wurden.  Jedenfalls  fand 
-iolus  in  der  Umgangssprache  immer  mehr  Verbreitung ;  für  capriolus 


46> 

vgl.  Thes.  L.  L.  s.v.  und  it.  capriolo ;  neben  urceolus  {prceolus)  tritt 
ein  ur dolus  {pi dolus),  vgl.  Thes.  Gloss.  em.  II,  384;  neben  calceolus 
ein  calciolus,  GL  Suppl,  187,  gK.  und  unten.  So  erklärt  sich  auch 
die  merkwürdige  Tatsache,  dafs  App.  141:  faseolus  non  fassiolus, 
wenn  der  Überlieferung  zu  trauen  ist  —  s.  den  Apparatus  — , 
nicht  das  übliche  phasiolus  [fasiolus)  =  (fCiöloXo^,  das  z.  B.  bei 
Plinius  n.  h.  12,26;  18,58.158;  Ed.  Diocl  i,  21 ;  6,33.39  (gr. 
jiaöioXoi)  ;  CGI.  II,  70,  41 ;  III,  16,  20;  88,  44  überliefert  ist,  sondern 
faseolus  als  richtig  anerkennt,  das  nur  vielleicht  bei  Columella 
11,2.72  und  einmal  bei  Plinius  27,94,  bezeichnenderweise  in 
einer  Erklärung  des  Pflanzennamen  phaselion  {isopyron  quidam  vocant, 
quoniam  folium  .  .  .  in  passeoli  pampinos  torquetur)  vorkommt.  *  Auch 
im  Griechischen  ^ab  es  anscheinend  neben  gewöhnlichem  (pdörßoc 
und  neben  (paoiolo^  gelegentlich  rpaoZ/oXo^;  aber  \3.t. /aseolus, 
das  ebenfalls  selten  ist,  wird  sekundär  neben  fasiolus  unter  Einflufs 
von  faselus  'Bohne'  neu  entstanden  sein.  Faseolus  wurde  trotzdem 
von  App.  anerkannt,  weil  die  Endung  -iolus  in  der  Vulgärsprache 
immer  mehr  Verbreitung  fand,  wie  die  angeführten  Beispiele  zeigen, 
und  daher  der  Schlufs  -eolus  als  der  gewähltere  galt.  Daneben  tritt 
nun  auch  eine  Form  mit  -ss-  auf,  passiolus  oder  fassiolus ;  passiolus 
wird  jetzt  allgemein  bei  Plinius  18,  125.  198.202.314;  24,65  an- 
erkannt, während /aj-j/o/K.?  CGI.  III,  3  15,  8  ;  563,1  belegt  ist.  Das 
häufige  -SS-  wäre  kaum  so  früh  fest  geworden,  wenn  es  erst  in 
fasiolus  vor  unbetontem  Hiatus-/  (s.  §  13)  sich  aus  einfachem  -s- 
entwickelt  hätte.  Wahrscheinlich  hat  sich  der  unlateinische  Wort- 
anfang pasi-  an  dem  häufigen  Anlaut  passi-  in  der  Umgangssprache 
ausgeglichen,  der  pasiolus  wegen  seines  p  sicherlich  angehört.  Dem- 
entsprechend tritt  das  -ss-  zuerst  nur  in  der  Form  passiolus  auf 
und    erst   später    durch  Kreuzung    auch    in  fasiolus.     Ob    auch    in 

App. :  non  fassiolus  vielleicht  passiolus  und  nicht  fassiolus  verworfen 
wird?  Jedenfalls  ist  die  Variante  mehr  als  eine  späte  Interpolation."^ 
Wie  auch  schon  Meister  im  Thes.  L.  L.  hervorhebt,  ist  im  Verbum 
caldare  und  in  calciamenlum  (vgl.  lex  met.  Vipasc.  =  CIL  II,  5181,32. 
35-36),  caldalor  (VI,  3939  a)  usw.  das  i  ziemlich  häufig,  während 
in  den  Inschriften  nur  calceus  mit  e  vorkommt.  Calcio  wird  auch 
von  den  Grammatikern  als  richtig  anerkannt,  Prise.  11,  476,  iiK. : 
calceo,  -eas,  quod  alii  caldo,  -las.  Der  Unterschied  erklärt  sich  wohl 
so,  dafs,  als  seit  Cato  neben  calceus  auch  calciamentum  trat,  calceus, 
wie  ein  Blick  in  den  Thes.  L.  L.  lehrt,  sich  mehr  auf  die  Hoch- 
sprache beschränkte,  während  calceamentum ,  das  längere  Wort,  be- 
sonders im  Volksmund  üblich  wurde.  So  finden  wir  in  Bibelüber- 
setzungen stets  calciamentum  und  bezeichnenderweise  gebraucht  es 
Cicero  nur  in  der  Übersetzung  des  fünften  Anacharsisbriefes  (Tusc. 
V,  90),    wo    auch    licet  venias  =  licet  te  venire  zu  lesen  ist.     Dera- 


1  Unsicher  ist  die  Lesart  Apicius  8,  359. 

'■*  Ob  aspan.yizj-fo/o  genügt,  mit  Körting  und  Meyer-Lübke  für  die  ganze 
Romania  phaseolus  anzusetzen,  ist  mir  zweifelhaft. 


47 

entsprechend  ist  cakeus  im  Romanischen  ganz  verloren  gegangen 
—  über  it.  calzo  M.-Lübke,  Wb.  1497  —  und  hat  sich  neben 
calcianmihim  (it.  calciamento,  at'rz,  chaucement  usw.)  nur  calcea  durch- 
gesetzt, das  nach  dem  Gesagten  kaum  mit  M.-Lübke  als  Ntr.  Plur. 
zu  cakeus  aufzufassen  ist,  sondern  vielmehr  aus  cakeamentum  durch 
Kürzung  neugebildet  wurde,  wie  relina  aus  retinaculum,  und  meistens 
'Strumpf  bedeutet,  sp.  calza,  ptg.  calca  usw.  —  Wo  cakeus  in  der 
Umgangssprache  gelegentlich  auftauchte,  wurde  es  cakius  gesprocher\, 
wie  App.  zeigt;  auch  hier  gehört  die  verworfene  Form  nicht  der 
unteren  Schicht  der  Volkssprache  an.  Belegt  ist  cakius  CGI.  II,  466,  i ; 
498,  8;  Not.  Tir.  99,  34;  vgl.  auch  Eutych.  GL  V,  463,  19  K.:  cakio, 
-las  a  cakius  derivatum.  —  Cakius  zeigt,  dafs  mit  dem  vorher- 
gehenden solia  (140)  ebenfalls  das  Schuhzeug,  nicht  der  Zungen- 
fisch gemeint  ist.  In  den  Glossen  begegnet  solia  sowohl  in  der 
Bedeutung  6(xr6cilia  (III,  326.  60)  wie  im  Sinne  von  ßorykcoOöov 
o  ix^vg  (11,259,6;  497,69;  523,40);  zu  jö/w 'Sandale' vgl.  noch 
soliarius  CIL  VI,  9404  und  soliaius  in  den  Act.  fr.  Arval.  seit  dem 
J.  105  n.  Chr.,  Henzen  comni.  37.  Das  Romanische  setzt  neben 
soka  (>  sollet)  auch  ein  sola  voraus,  vgl.  it.  suola,  afrz.  suele,  sp. 
suela  usw.  —  M.-Lübke  glaubt,  dafs  zuerst  im  Plural  aus  soleae  ein 
solae  entstand  und  dann  auch  der  Singular  sola.  Aber  weshalb 
wären  dann  nicht  auch  ein  tinae  (<  tineae)  und  tina,  ein  vinae 
(«<  vineae)  und  vina  aufgekommen?  Aufserdem  zeigt  das  belegte 
soliae  (CGI.  III,  326,  60),  dafs  auch  im  Nom.  Plur.,  wie  sonst, 
Hiatus-^  zu  i  wurde,  und  aus  soliae  konnte  niemals  solae  werden; 
solae  ist  dementsprechend  niemals  belegl.  Auch  kommt  sola  wohl 
in  der  Bedeutung  'Sohle'  (und  im  Afrz.  als  'Balken'  s.  u.),  nie  aber 
als  'Zungenfisch'  vor,  was  darauf  hinweist,  dafs  vielmehr  sola  'San- 
dale' als  Kreuzform  aus  solia  (<  soka)  und  solujii  'Schuhsohle'  zu 
betrachten  ist,  d.  h.  soPa  durch  solum  beeinflufst,  das  mouillierte  / 
aufgab.  Afrz.  suele  'Balken'  und  it.  sogha  'Schwelle'  zeigen  eine 
Bedeutung,  welche  bereits  bei  Verr.  Flaccus  (Fest.  301,  3  M.):  soka 
vel  viakria  rohuslea,  super  quam  paries  craticius  exstruitur  vorhanden 
ist,  s.  Heraeus  313. 

Tinia  ist  CGI.  II,  260,37;  III,  569,9  belegt;  fürs  Romanische 
s.  M.-Lübke,  Wb.  8746. 

c)       46     Theophilus  no?t  Izofilus 

190     ermeneumata  non  erminomata 

Seelraann,  Ausspr.  des  Lat.  318,  Foerster  und  Gundermann 
halten  an  der  Überlieferung  fest;  die  beiden  ersten  Gelehrten  halten 
das  i  für  prosthetisch,  aber  sicher  mit  Unrecht,  da  dieses  i  seit 
dem  2.  Jhdt.  n.  Chr.  (Literatur  bei  L.  Sommer,  de  prosthesi  et 
aphaeresi,  Diss.  Jena  1900)  fast  ausschliefslich  vor  s  mit  folgendem 
Konsonanten,  sc-,  sp-,  st-  begegnet;  vor  z,  wenn  es  vor  stimmhaftem 
Konsonanten  (Nasalis)  aus  s  entstand,  CIL  VI,  6792 :  Izmurna, 
26010a:  Izmyrna;  vor  z  ohne  Konsonanten  ist  prosthet.  ?'  auch  in 
griechischen  Lehnwörtern    m.  W.   nicht   belegt.  —  In   richtiger  Er- 


48 

kenntnis  dieser  Tatsache  haben  Endlicher,  Haupt,  opusc.  III,  566, 
Schuch.,  Vok.  I,  153,  157  und  Ullmann  188,  218:  non  ziofilus  ge- 
schrieben. Aber  auch  diese  Änderung  ist  überflüssig,  wenn  wir 
das  verwandte  Schicksal  eines  anderen  griechischen  Lehnwortes  im 
Lateinischen  beachten,  nl.  rtocpvTog-  Nicht  nur  wurde  in  beiden 
Vokabeln  e  vor  betontem  0  zu  z  geschwächt  —  vgl.  CIL  VI,  27359: 
Thiophilae,  25696:  Niophitus,  sondern  auch  i'toffvxoq,  zeigt  eine 
izofihis  vollkommen  parallele  Vulgärform,  nl.  in(n)ofitus,  vgl.  CIL 
XII,  5403:  inofiius  und  Marucchi,  epigr.  Christian.  (Mailand  19 10), 
n.  35 :  innofito.  In  beiden  Formen  izofilus  und  in(n)ofitus  trat  eine 
Metathesis  ein,  weil  das  Hiatus-/  nach  anlautenden  Konsonanten 
ungewöhnlich  war.  Einen  anderen  Weg  der  Entwicklung  zeigt 
nöfäus  —  CIL  V,  6180,  6224;  XI,  4075  — ,  das  sich  mit  Clöpatra 
<  Cleopatra  VI,  21548  und  compairöta  XI,  3541  vergleichen  läfst. 
In  diesen  Zusammenhang  pafst  nun  auch  er?nmömafa,  das  aus 
ermineomata  zusammengezogen  wurde,  wie  CGI.  III,  398,  i :  hermineo- 
viata,  p.  579  :  hermeneoma  zeigt.  Der  Übergang  -eii-  zu  -eo-  mit 
bedingter  Assimilation  der  Zungenhöhe  kann  sich  sehr  wohl  auf 
italischem  Boden  vollzogen  haben  (vgl.  auch  poella  -<  puella  §  3  f.). 
Die  angeführten  Beispiele  zeigen,  dafs  nur  im  betonten  0  das  vor- 
hergehende e  aufgehen  konnte,  dagegen  in  hei-merüoma  das  e  bleiben 
mufste.  App.  hat  also  absichtlich  den  Plural  ermhiöinata,  nicht  den 
Singular  eryninoma  (unbelegt),  welcher  erst  sekundär  nach  der  Mehr- 
zahl entstehen  konnte,  zurückgewiesen ;  vgl.  das  oben  §  2  a  und  b 
über  calda  und  constabilHus  Gesagte. 

d)       64     senatus  non  sinatus  126     effeminatiis  non  imfimenatus 

150     dysenterictis  non  disintericus  189     bipennis  non  hipinnis 

Während  im  vorhistorischen  Latein  vor  vi  -\-  h  und  vor  2? 
(gutturalem  Nasal)  +  Konson.  e  stets  zu  i  wurde  —  vgl.  quinque 
f^  jikVTS,  Sommer  2  57  — ,  ist  im  späteren  Vulgärlatein  vor  jedem 
n  -\-  Konsonant  e  gelegentlich  zu  i  geworden  und,  wie  in  dem 
behandelten  ermino?nata,  gleichfalls  vor  freiem  «.  Schon  frühere 
Gelehrte  haben  diesen  häufigen  Lautwechsel  im  Vulgärlatein  richtig 
beobachtet,  z.  B.  M.-Lübke,  Rom.  Gr.  I,  103.  sinatus  mit  /  -<  «?  in 
unbetonter  Silbe  steht  schon  CIL  I2,  593,  135  in  der  lex  {iabulae 
Heracleensis)  lulia  mtinicipalis  des  J.  45;  gewifs  hat  Lommatzsch 
angesichts  häufigen  senatus  in  derselben  Inschrift  mit  Recht  in  senatu 
hergestellt;  dafs  aber  andererseits  in  sinatum  nicht  blofser  Schreib- 
fehler ist,  sondern  der  vulgären  Aussprache  des  Steinmetzes  ent- 
sprach, zeigt  die  lex.  Colon.  Genet.  luliae  Urson.  des  J.  44,  CIL  P,  594, 
welche  ebenfalls  IV,  3,  4  sinator  bietet,  vgl,  CGI.  IV.  572,  41:  sina- 
toria.  Sinatu  ist  noch  CI VIII,  10525  bezeugt.  Da  die  z-Form 
sowohl  in  Spanien  wie  in  Süd-Italien  früh  belegt  ist,  war  sinatus 
keineswegs  ursprünglich  eine  Spracheigentümlichkeit  von  Heraklea, 
wie  noch  Ulimann  185  mit  Corssen  II,  2580".  annahm,  indem  er 
auch  in  dem  von  App.  gerügten  sinatus  einen  Beweis  für  die  süd- 
italienische  Herkunit    dieser  Schrift   erblicken    möchte:    heutzutage 


49 

wissen  wir,  wie  wenige  Eigentümlichkeiten  des  Vulgärlateins  in 
älterer  Zeit  auf  ein  enges  Gebiet  beschränkt  gewesen  sind.  Von 
Bedeutung  dürfte  die  Konsequenz  sein,  mit  der  das  in  stnaius  {-tor) 
selten  auftretende  i  in  einem  der  oftmals  vulgären  Charakter 
tragenden  Pfianzennamen  sich  zeigt,  nl.  in  senecio  =  gerontea  'Kreuz- 
wurz';  im  CGI.  III  (545,  40  usw.)  ist  nur  an  einer  sicheren  Stelle 
seyiitio,  dagegen  zwanzigmal  sinicio  bezeugt.  Da  das  bei  Afranius 
und  in  den  Glossen  überlieferte  senecio  =  senex  mit  seiner  -ö-Endung 
(s.  §  25)  sicher  volkstümlich  gewesen  ist,  bekam  das  lautlich  völlig 
übereinstimmende  senecio  'Kreuzwurz'  zwecks  Differenzierung  die 
Form  sinicio  [-tio) ',  derer  Entstehung  durch  das  Hinneigen  des 
ersten  e  (vor  n)  zu  i  und  durch  das  sonstige  Fehlen  der  Endung 
-ecio  begünstigt  wurde;  auch  iniernecio  bekommt  die  Nebenform 
iniernicio  {-tio). 

Dafs  das  erwähnte  sinatum  der  lex  lulia  municip.  in  seinem 
Vokalismus  der  Aussprache  des  Steinmetzen  wirklich  entsprach, 
zeigt  auch  das  in  derselben  Inschrift  Z.  144,  151  überlieferte  «'«j«?;? 
=  cetisum,  womit  VI,  9592:  initisis,  VI,  10902,  XIV,  2710:  minsibus, 
auch  VI,  27774  u.  28448:  hene  merinli,  11645  vi[e]rin[i]ibus  und 
X,  7776:  kalindas  (von  Sommer  2  58  für  einen  Schreibfehler  ge- 
halten) direkt  zu  vergleichen  sind.  Auch  in  n.  150  dysintericus  finden 
wir  Übergang  von  e  zu  i  vor  -nt- ;  aber  in  diesem  Falle  hat  ohne 
Zweifel  auch  das  mehr  der  Umgangssprache  angehörende  Wort  für 
Eingeweide:  ititeranea,  das  bei  Columella,  Plinius,  Solinus  und  CIL 
VI,  1770  belegt  ist,  die  Entstehung  des  /  begünstigt.  Auch  konnte 
nach  dem  Präfix  dys-,  das  noch  als  solches  empfunden  wurde,  der 
nicht  lateinische  Anlaut  euter(icns)  leicht  in  ittter(icus)  verwandelt 
werden;  CGI.  V,  337  steht  desinteria,  11,576,45:  delictio  desintiria 
distillatio'.  erst  in  diesen  Formen  hat  sich  die  in  dysintericus  an- 
gefangene Latinisierung  vollzogen  (vgl.  exintero  bei  Petron.  4g). 
Für  handschriftliches  dysintericus  und  disintericus  vgl.  Schuchardt 
I,  354,  Rose,  Ind.  zu  Anthimus  51  (ALL  XI,  322).  —  Nach  dem 
Ausgeführten  werden  wir  Niedermann,  Essais  d'etymol.  19 18,  97 
nur  beipflichten  können,  wenn  er  in  dem  CGI.  III,  602,  i  über- 
überlieferten interocile  ernia  nicht  gr.  vÖQOXijktj  'Wasserhodenbruch', 
sondern  ivT£Q0X7]hj  'Darmbruch'  erblickt,  und  auch  ernia  ist  hier 
diese  Bedeutung  beizulegen. 

Da  anl.  e  selten  zu  /  wurde,  dagegen  oft  anl.  /  zu  ^  —  vgl. 
CIL  XII,  2701:  ennocens;'^  XII,  482:  (/i)enetmte;  XII,  II 09:  JIeiara  = 
Hilara  — ,  aufserdem  niemals  im  Anlaut  if-  steht,  kann  efferninatus 
nicht  über  i/feminatus  zu  imfimendtiis  geworden  sein ;  vielmehr  ist 
Präfixvertauschung  eingetreten,  wie  Heraeus  319  bemerkt.  Es  ist 
aber  nicht  infrenatiis  zu  vergleichen,  das  mit  negativem  in-  an  die 


^  Vgl.  das  oben  über  ifnbüicum    Veneris  Gesagte. 

*  Vielleicht  ist  auch  in  n.  175  imago  7ton  l^mago)  zu  lesen,  vgl.  CIL 
VIII,  9291:  emag.  (inifer)[?],  ÜUmann  185;  aber  2,yxtis.  ymago  kommt  in  Be- 
tracht (CGI.  V,  288,  53),  auch  imma^o  (CGI.  V,  iio,  39  u.  ö.),  Heraeus  ALL 
XI,  63. 

Baehrens,  Sprachl.  Kommentar  zur  Vulgärlat.  Appendix  Probi.  a 


so 

Stelle  von  cffrenalus  'ungezügelt'  getreten  ist  —  vgl.  exa)umis  :  in- 
atiimis  — ,  sondern  eine  wirkliche  Parallele  bieten  nur  die  vielen 
Verba  inchoativa,  welche  ohne  Unterschied  der  Bedeutung  sowohl 
mit  ex-  wie  mit  ///-  zusammengestellt  sind ;  man  vergleiche  ex- 
albesco  inalbesco,  excandcsco  incandesco,  expallesco  impallesco,  exputesco 
(nur  Plautus)  i?nputresco,  exsorJesco  insordesco,  exlahesco  intabesco,  ex- 
acesco  inacesco,  extwnesco  inttimesco,  exhorresco  inhorresco.  Je  nach- 
dem das  Heraustreten  aus  dem  alten  (das  sich  Entfalten  in  dem 
neuen)  oder  das  Eingehen  in  den  neuen  Zustand  bezeichnet  werden 
sollte,  wurde  das  Inkohativum  mit  ex-  oder  in-  zusammengesetzt, 
ohne  dafs  ein  Unterschied  in  der  Bedeutung  wirklich  empfunden 
wurde.  Auch  der  effeminatus  ist  in  den  Zustand  der  Verweich- 
lichung eingetreten,  und  leicht  konnte  das  Präfix  ex-  in  der  Um- 
gangssprache durch  in-  ersetzt  werden.  Anstatt  femina  finden  wir 
dann  und  \v2irm  fe7)ieiia  —  CIL  V,  367,  1663;  XII,  2422;  Xm,  5657, 
IChr.  Hisp.  84 ;  —  dagegen  ist  fimena  (lecc.  fimmena)  erst  in  frän- 
kischen Diplomen  des  7.  Jahrhs.  belegt  (Schuchardt  II,  23),  so  dafs 
das  i  in  imfimenatus  nicht  durch  ein  fimena  beeinflufst  wurde.  Da 
nicht  infem-,  sondern  nur  hifim-  lateinischer  Wortanfang  ist  {inßnus), 
konnte  leicht  mit  Vokalumstellung  infimenatus  entstehen ;  auch  folgten 
sich  beide  i  jetzt  unmittelbar.  Das  n  wurde  auch  sonst  vor  dem 
Labiodental  gelegentlich  zu  m,  CIL  VIII,  334g:  imfanti;  CGI. 
^y  35O)  54-  55-  imßda;    II,  77,36:  inifamia  usw.,    ALL  XI,  319. 

Die  orthographische  Unsicherheit  in  penna  i^pet-stid)  pinna 
'Flügel'  zeigt  sich  auch  in  bipennis.  Bipennis  {dijtreQog)  ist  ur- 
sprünglich Adjektiv,  das  sowohl  den  Vogel  (Varro,  Men.  272)  wie 
das  Beil  (Varro,  Men.  38g,  Verg.,  Aen.  11,  135)  bezeichnen  konnte. 
Da  aber  sämtliche  Vögel  zweiflügelig  sind,  dagegen  nur  bestimmte 
Beile  zweischneidig,  ist  es  psychologisch  recht  verständlich,  dafs 
bipennis  nur  als  Bezeichnung  dieses  Instrumentes  sich  durchsetzte. 
Aufserdem  trat  schon  bald  insofern  eine  wichtige  Neuerung  ein, 
dafs  bipennis  (sc.  securis)  nicht  mehr  als  Adjektiv,  sondern  nur  noch 
als  Substantiv  angewandt  wurde.  Seit  Vergil  finden  wir  bipennis 
nur  bei  Plin.,  n.  h.  1 1,  g6  und  in  Glossen  (V,  638,  46  usw.),  welche 
hier  wohl  nicht  aus  der  Umgangssprache  schöpfen,  als  Adjektiv, 
und  Serv.  ad  Aen.  11,135  mufs  den  adjektivischen  Gebrauch  an 
dieser  Vergil  stelle  als  abweichend  hervorheben.  Wie  seit  Vergil 
bipennis  fast  ausschliefslich  Substantiv  ist,  so  ist  auch  dieser  Dichter 
mit  TibuU  (i,  6,  41)  der  erste,  bei  dem  sich  der  neue  Gebrauch 
belegen  läfst  und  zwar  an  mehreren  Stellen,  Georg.  IV,  331;  Aen. 
II,  47g,  627;  V,  307;  XI,  651;  bei  Varro,  Men,  441  beruht  bipinnis 
auf  Konjektur,  s.  Lindsay  in  seiner  Noniusausgabe  p.  99  M.  Da 
das  Wort  aufserdem  hauptsächlich  der  Dichtersprache  angehört, 
hat  wohl  vor  allem  die  Autorität  Vergils  das  Substantiv  bipennis  in 
die  Literatur  eingeführt,  wie  auch  cautes  =  cotes  (§  24).  Der  Ein- 
flufs  Vergils  zeigt  sich  auch  in  der  Stellung  von  bipennis:  abgesehen 
von  Aen.  II,  627  steht  es  bei  Vergil  nur  am  Ende  des  Hexameters, 
und   für   sämtliche    späteren  Daktyliker  trifft  dasselbe  zu;    bezeich- 


51 

iienderweise  steht  es  bei  Tibull  (einmal)  im  ersten  und  zweiten 
Fufs:  ipsa  bipenne  usw.  Allerdings  ist  es  angesichts  Tibull  i,  6, 
41  (29  V.  Chr.?)  nicht  wahrscheinlich,  dafs  Vergil  selbst  hipennis  zum 
Substantiv  geprägt  hat.  Interessanterweise  ist  bei  Horaz  gegenüber 
nicht  seltenem  securis  in  den  älteren  Oden  nur  einmal  in  einem 
sehr  späten  Gedicht  (IV,  4,  57)  aus  dem  Jahre  15  V.  Chr.  bipennis 
belegt.  Die  hauptsächliche  Beschränkung  auf  die  Dichtersprache 
zeigt  Petron,  der  nur  zweimal  in  Versen  bipennis ^  sonst  securis  ge- 
braucht hat.  —  Bipifinis  steht  häufig  in  den  Glossen,  ist  aber 
schwerlich  jemals  volkstümliches  Synonym  von  securis  gewesen. 
Auch  für  Varro  (Nonius  79)  ist  bipinnis  mit  i  bezeugt;  im  all- 
gemeinen läfst  sich  die  Gültigkeit  der  handschriftlichen  Zeugnisse 
schwer  bestimmen.  Lautliche  Entwicklung  liegt  angesichts  des 
älteren  Nebeneinanderstehens  von  perma  und  pinna  in  bipinnis  nicht 
vor.  Die  Frage,  ob  penna  und  pinna  zwei  verschiedene  Vokabeln 
sind  —  so  Walde  2  s.  v.  —  oder  pinna  aus  penna  entstanden  ist  — 
so  Sommer,  Erläut.  15  —  geht  uns  nicht  an.  Dafs  sich  pinna 
'Mauerzinne'  jemals  aus  der  Bedeutung  'Helnibusch',  'Helmspitze' 
hätte  entwickeln  können,  wie  Varro,  LL  V,  142  und  Sommer  glauben, 
kann  ich  mir  nicht  recht  vorstellen.  Da  auch  die  Form  für  'Mauer- 
zinne' stets  pinna  ist,  halte  ich  vorläufig  mit  Walde  an  der  ur- 
sprünglichen Trennung  beider  Vokabeln  fest. 

e)  87  fesiuca  non  fistuca.  Es  gab  im  Lateinischen  zwei  Vo- 
kabeln fesluca:  'Grashalm',  'Stab'  und  'Ramme'.  Man  hat  für 
letztere  auf  Grund  handschriftlicher  Varianten  fistuca  als  ursprüng- 
liche Form  angenommen  und  sie  von  figo  abgeleitet  (Walde '-^  s.v.). 
Aber  auch  dieses  fesiuca  ist  stets  mit  e  überliefert,  da  auch  bei 
Caesar,  Bell.  gall.  4,  17,4  nur  fcsiiculisque  adegerat  (so  /9),  nicht 
fistucisque  (so  a)  richtig  sein  kann,  s.  Meusel  in  seiner  Ausgabe 
1913,  I,  445.  Dasselbe  gilt  auch  im  festucare;  nvx  festucatio  zeigt 
bei  Vitruv  7,  1,1;  10,2,3  in  den  Haupthss.  (GH)  ein  i,  aber 
3,  4,  I  das  richtige  e.  —  hyxckv  fesiuca  'Halm'  hat  regelmäfsig  ^;i 
öfters  findet  sich  die  -/-Form  in  Bibelhss.,  auch  in  der  Reg.  Bened. 
c.  2,  s.  Linderbauer,  Corament.  (1921),  170.  J)d^  festuca  'Ramme' 
in  der  Kaiserzeit  seltener  ist  (nur  bei  Plinius  belegt)  —  rum.  fistaü 
'Hammer'  ist  vielleicht  die  Fortsetzung  — ,  hat  A.  Probi  wohl  das 
häufigere  fesiuca  'Halm'  gemeint;  vgl.  noch  Albinus  VII,  302,  loK.: 
festucam  non  fistucam  dicilo.  Das  vulgäre  fistuca  (CGI.  III,  407,  16) 
—  vgl.  z.B.  CIL  VI,  10096:  infisiae  —  hat  sich  im  Romanischen 
nicht  durchgesetzt,  vgl.  it.  festuca,  prov.  festuga.  Wohl  aber  hat 
sich  eine  andere  (differenzierende?)  Form  für  festuca  'Halm'  ge- 
bildet, nX.festucum,  vgl.  Itala  Lucas  6,42  (zweimal);  Juvenc.  1,659; 
Lex.  Sal.  46  {fistucuin)\  CGI.  III,  428,41.  Diese  Form  scheint  weit 
verbreitet  gewesen  zu  sein,  da  sie  im  alomb.  festugo,  prov.  festuc, 
frz.  fetu   fortlebt,    was   unsere   neueren  romanischen  etymologischen 


1  Gesichert    durch   Paul.  Fest.  86,4,    der    es,    wie    zögernd  Thurneysen, 
Th.  L.  L.,  vü\i  fenum  zusammenbringt. 


5? 

Lexica  in  unberechtigter  Weise  verdunkelt  haben.  Auch  hier  gibt 
App.  nicht  die  meist  abweichende  vulgäre  Bildung,  welche  z.  T. 
romanisch  ist,  obwohl  sie  zu  ihrer  Zeit,  wie  die  Itala  zeigt,  schon 
vorhanden  war. 

§  6.    Der  Vokal  i. 

a)     120     vir  non  vyr  I22     virga  non  vyrga 

121     virgo  non  vyrgo  24     crista  non  crysta 

Die  sowohl  von  den  Grammatikern  —  Prise.  Inst,  II,  7,  17  K.: 
i  .  .  ,  post  u  consonantem  .  .  .  sequente  d  vel  vi  vel  r  vel  t  vel  x  so- 
num  y  graecae  videtur  habere,  ul  ^video\  'vim\  ^virtus\  ^vilium\  'vt'x', 
III,  465,  14 K.,  Mar.  Victor.  VI,  ig,  22  K.,  der  auch  viyseram  anführt 
—  wie  inschriftlich  bezeugten  Formen  vyr,  vyrgo  finden  leicht  ihre 
Erklärung  in  der  Tatsache,  dafs  das  neue  y  (ü)  einerseits  die 
Zungenstellung  des  i,  das  es  ersetzen  soll,  beibehält,  andererseits 
die  Lippenrundung  des  vorangehenden  v  annimmt.  Daher  finden 
wir  das  y  auch  nach  Labialen  wie  m  und  nach  f  häufig,  vgl.  CIL 
III,  13979;  VI,  II 624;  IX,  3488:  myseri;  X,  2496,7:  myserae; 
VIII,  9513:  myseros',  VIII,  7759,  17:  my[s]ero;  mit  Unrecht  nimmt 
E.  Hoffmann,  Diss.  Breslau  1907,  64  Einflufs  von  gr.  ftvöagog  an; 
mylieres  XII,  4524;  häufig  ist  Mythras.  —  /ydes  z.  B.  CI  VIII,  7156 
=  CE  512,4;  fydelis  VIII,  15724.  10970;  vgl.  noch  III,  2515 
Fyrmia,  4816  Fylostratus.  —  Da  die  Alten  den  phonetischen  Vor- 
gängen verständnislos  gegenüberstanden,  beobachteten  sie  die  Er- 
scheinung eigentlich  nur  nach  v,  eigentümlicherweise  haben  aufser 
Priscian  (und  Mar.  Victor.)  die  Grammatiker  nur  vir  und  virtus  an- 
geführt, vgl.  Donat.  IV,  367,  14  K.  (Serv.  in  Donat.  IV,  421,31; 
Serg.  476,  2K.)  und  vor  allem  Velius  Longus  VII,  54,  13;  75,  15  K. 
Es  ist  also  wohl  kein  Zufall,  dafs  auch  App.  nur  Belege  von  ?'>/ 
nach  V  vor  folgendem  r  gibt,  und  sie  steht  hier,  wie  sonst,  im 
Verdacht,  die  Quelle  der  lebendigen  Sprache  durch  grammatische 
Tradition  getrübt  zu  haben.  —  Man  könnte  zwar  geneigt  sein  das 
älteste  Zeugnis  des  Velius  Longus,  der  nach  einigen  Gelehrten 
nicht  intakt  erhalten  ist,  deshalb  zu  verdächtigen,  weil  er  p.  75,  17 
im  Anschlufs  an  die  Aussprache  des  i  in  vir  auf  die  Neuerung 
des  Claudius  zu  sprechen  kommt  und  fälschlich  behauptet,  dafs 
dieser  einen  neuen  Buchstaben  für  den  Laut  eingeführt  habe,  der 
wie  in  vir  und  virtus  zwischen  i  und  u  die  Mitte  hält;  denn  in 
Wahrheit  ist  CIL  VI,  921  aus  den  JJ.  50 — 53  «älR  geschrieben, 
nicht  VtR  (Bücheier,  De  Ti.  Claud.  Caes.  gramm..  Kl.  Sehr.  I,  28) 
und  überhaupt  steht  das  P  nur  in  griechischen  Wörter  anstatt  y, 
z.  B.  CIL  VI,  918:  AECPPTI.  Es  ist  aber  sehr  zu  beachten,  dafs 
das  System  des  Claudius,  das  seine  Regierung  nicht  überlebte,  auch 
schon  von  Quintil.  Inst.  orat.  i,  7,  26  (Gell.  N.  A.  XIV,  5,  2)  nicht 
mehr  richtig  verstanden  wurde.  Quintilian  und  mit  ihm  Bücheier 
S.  4  glauben,  dafs  Claudius  das  Digammazeichen  ä  erfand,  um  die 
Schreibung  des  doppelten  VV,  z.  B.  in  AVVS  zu  vermeiden.    Aber 


53 

auf  Inschriften  Claudianischer  Zeit  ist  d  häufig  vor  e  und  /,  seltener 
vor  a  und  o,  nie  dagegen  vor  u  belegt,  und  Zufall  ist  angesichts 
der  2i'^  Beispiele  ausgeschlossen.  Das  d  steht  sowohl  in  aljiei, 
derna,  dir,  wie  in  octadiai,  pridatis,  so  dafs  sich  (s.  §  14)  überhaupt 
keine  Regeln  aufstellen  lassen.  Da  schon  Quintilian  in  die  Irre 
ging,  dürfen  wir  nicht  wegen  eines  Irrtums  über  die  ephemere 
Orthographie  des  Claudius  die  Stellen,  welche  die  Aussprache  des 
/  in  vir  und  virtus  behandeln,  dem  Velius  Longus  absprechen. 
App.  hatte  also  in  ihrer  Beschränkung  auf  Beispiele  für  y  vor 
folgendem  r  sicher  einen  Vorgänger.  —  Crysta  ist  unbelegt  und 
entstand  trotz  des  Bedeutungsunterschiedes  vielleicht  im  Anschlufs 
an  crysiallujn. 

b)  144  diniidius  non  demidius.  Die  im  Vulgärlatein  häufige 
Verwechslung  von  di-  (dis-)  und  de  konnte  z.  B.  durch  analogischen 
Einflufs  begünstigt  werden,  so  in  demico  =  dimico  (Thes.  L.  L.  s.  v.) 
nach  decerncre  (ferro),  decertare  (Serv.  Dan.  ad  Aen.  12,  695).  In 
demidius,  das  CIL  V,  4489  im  Testamentum  Ursae  belegt  ist  — 
vgl.  auch  CGI.  11,42,37:  demiciilus  — ,  hat  besonders  der  partitive 
Begriff,  der  demidius  als  der  Hälfte  des  Ganzen  (aus  der  Mitte) 
innewohnt,  und  der  immer  mehr  durch  de  wiedergegeben  wurde  — 
zuletzt  Salonius,  Vitae  Patrum  1920,  8g  —  die  Verbreitung  von  de- 
gefördert.  Diese  Entwicklung  tritt  besonders  klar  in  der  Form  de- 
mediiis  CIL  VII,  140;  X,  3428  zutage,  derer  völliges  Übergehen  im 
Thes.  L.  L.  desto  mehr  zu  bedauern  ist,  weil  auf  sie,  nicht  auf  de- 
midium,  wie  z.  B.  Heraeus  2)22  irrtümlich  glaubt,  frz.  demi  und  prov. 
demiei  —  nur  in  Gallien  ist  das  Wort  erhalten  —  zurückgehen, 
dem^dium  >  demie[d]i  (nach  M.-Lübke,  Wb.  2644  auf  dimedium,  das 
Not.  Tir.  56,  27  steht).  Demedium  (und  ditnediimi)  konnte(n)  des- 
halb leicht  aufkommen,  weil  die  Bedeutungen  von  dimidius  und 
rnedius  sich  aufs  engste  berühren  und  schon  bei  Varro,  r.  r.  3,  7,9; 
Colum.  11,2,39  medius  =^  dimidius  steht;  für  das  Spätlatein  siehe 
Rönsch,  It.  und  Vulg.  Z'^'^',  Bonnet,  Le  Lat,  de  Greg,  de  T.  275  und 
Löfstedt,  Peregr.  Aeth.  253,  Im  Mittelalter  wurde  umgekehrt  auch 
dimidius  für  medius  verwendet,  vgl.  Geyer,  Erl.  44. 

c)  165  hirundo  non  herundo.  Der  Übergang  von  anl.  i-  vor  r 
zu  e  ist  nicht  selten,  z.  B.  CGI.  IV,  65,22:  erofiiam;  V,  300,4: 
hersuium  —  auch  die  vorhistorische  Form  lautet  so,  vgl.  horreo',  — 
vergleichen  läfst  sich  vielleicht  der  Wandel  von  ü  vor  r  zu  ü  in 
ürina  und  Urtica,  den  das  Romanische  voraussetzt,  Groeber,  ALL 

VI,  148.      Die    Verbreitung    von    herundo,    welche    auch    Agroecius 

VII,  122,  18K. :  ariindo  canna  .  .  .  herundo  avis  bezeugt,  erklärt  sich 
vielleicht  auch  aus  dem  Bestreben,  das  Wort  von  hirudo  'Blutegel' 
zu  differenzieren,  weil  auch  vor  Dentalen  (vor  s  s.  §  19  a)  das  n 
nicht  deutlich  gehört  würde,  z.  B.  CI  XIII,  2646:  monimetu,  Pirson, 
a.  a.  O.  94,  vgl.  vor  allem  CGI.  III,  599,  43  :  medicamentum  ex  hi?-u(n)di- 
nibus  factum.  Dieselbe  Tendenz  kann  auch  die  Nebenform:  (k)erugo 
(nach  sanguisuga})  CGI.  IV,  86,  10;  V,  628,  40  haben  entstehen 
lassen.  — ^  Gröfseres   Interesse    dürfte   die   Tatsache   beanspruchen, 


54 

dafs  das  früher  an  dieser  Stelle  gelesene  harundo  weder  im  Vulgär- 
latein belegt  ist  —  Schuchardts  (I,  218)  handschriftliche  Variante 
bei  Priscian  II,  79,  20;  123,  7  beruht  auf  einem  Versehen  —  noch 
vom  Romanischen  aus  als  vulgärlateinisch  erwiesen  wird,  wie  Groeber, 
ALL  I,  243  glaubte.  Gegenüber  it.  rondine,  log.  randine  (prov. 
ironda)  usw.  setzen  nur  afrz.  aronde,  alondre  (prov.  arondcta)  ein  a 
voraus,  welche  auf  Gallien  beschränkt  sein  wird,  da  dort  vortoniges 
e  vor  r  nicht  selten  zu  a  sich  entwickelte;  mit  dem  sekundären 
alondre  ist  das  in  den  späten  Miscell.  Tironiana  (ALL  X,  266)  be- 
legte haruiidro  direkt  zu  vergleichen;  die  Form  ist  vielleicht  in 
Gallien  entstanden,  anders  Moore,  ALL  X,  272.  Harundo  gab  es 
nicht  im  Vulgärlatein,  und  wäre  weder  lautlich  noch  sonst  ver- 
ständlich, weil  schon  (h)arundo  'Rohr'  vorhanden  war,  das  zwar  im 
Romanischen  durch  canna  verdrängt  wurde,  aber  zur  Zeit  der  App. 
und  später  noch  Verwendung  fand. 

§  7.   Der  Vokal  o. 

a)     I  porphircticum  tnarmor  non  purpureticum  marmur 

Da  die  auf  -or  endenden  Vokabeln  fast  immer  mascuhna,  die 
auf  -ur  meistens  neutra  sind,  lagen  günstige  Bedingungen  für  den 
Übergang  des  neutralen  mannor  zu  marmiir  vor,  welche  nicht,  wie 
in  aeqiior  und  cor.,  durch  andre  Faktoren  wieder  aufgehoben  wurden. 
Aufserdem  kann  das  sinnverwandte  ehur  Einflufs  ausgeübt  haben, 
so  dafs  wieder  zwei  Ursachen  zusammengewirkt  hätten,  vgl.  die 
schon  von  Ciceros  Lehrer  Antonius  Gnipho  vertretene  Ansicht 
(Quintil.  1,6,23):  qiä  robur  quidem  ei  ebur  atque  eiiam  marmur 
fatetur  esse,  verum  fieri  vult  ex  hjs  robura,  ebura  marinura.^  Nach 
ebur  eboris  entstand  ein  marmur  itiarmoris,  daneben  auch  eburis  und 
marmuris  (CIL  V,  7647)  nach  dem  Nominativ.  Schliefslich  trat  auch 
im  Adjektivum  marmureus  (VIII,  4836)  das  u  auf  Aber  siz.  mar- 
mura,  \val.  marmur^  (Schuchardt  II,  138)  können  angesichts  it.  niar- 
more,  rura.  marmorä,  sp.  marmol,  ptg.  marmore  Neubildungen  sein. 
Über  porphireticum  s.  §  27. 

b)       25     formica  nön  fiirmica  173     tondeo  non  detundo 

75     formosus  non  formunsus  59     turma  non  iornta. 

Nicht  nur  vor  Nasal  +  Kons.  (§  5d),  sondern  auch  vor  r  -\- 
Kons.  wird  e  gelegentlich  zu  /;  vgl.  schon  CIL  12,401:  Siircus 
(aus  Luceria),  1^553.564  (Praeneste):  Mirqurios,  Mircurios  und 
nach  Velius  Longus  VII,  77,  12  gab  es  früh  ein  commircium.  Für 
Belege  späterer  Zeit  s.  z.  B.  Carnoy  igo6,  35.  Diesen  beiden  Er- 
scheinungen entspricht  der  Übergang  von  0  zu  u  vor  n  oder  r  -j- 
Kons.,  den  für  funtes  und  frundes  (Ennius,  Ann.  261 V.)  Charis. 
I,  130,  29  K.  und  Velius  Longus  VII,  49,  16  belegen.  Ob  ait.  monte, 
ponte,  fönte,  fronte  —  Wiese,  Altital.  Elementarbuch  23  —  prov. 
pon,  fon  usw.  —  Schulz-Gora,  Altprov.  Elem.  22  — ,  rum.  munte, 
frunte   usw.    einzelsprachliche   Entwicklungen    darstellen    oder,    wie 


55 

Groeber,  ALL  II,  426  will,  montem  usw.  schon  vulgärlateinisch  sind, 
bleibt  angesichts  sp.  puente  •  <C  pönlem  unsicher  (fuente  zeigt  auch 
unregelraäfsiges  /  statt  h).  Vielleicht  ist  es  kein  Zufall,  dafs  nur 
montem  auch  im  Spanischen  (monte)  ein  0  zeigt  gegenüber  dem 
urspr.  0    des    alten    Lateins    {eminens) ;    denn    gerade  Muntana  CIL 

III,  2624;  Muntaniis  XIV,  3649,  18;  VIII,  2272  usw.;  Munlane 
V,  3808  sind  häußge  Formen;  in  mons  konnte  das  an  sich  vor 
ns  {ni)  nach  g  hinneigende  0  unter  Einflufs  des  sinn-,  aber  wohl 
nicht  etymologisch  verwandten  promunturmm  (Walde  '^  s.  v.)  zu  o  {i() 
werden.  Im  übrigen  finden  wir  o^'  u  vor  n,  r  -\-  Kons,  nur  spär- 
lich belegt,  wg\.  frunie  CIL  VI,  28440,  X,  4936;  /rufe  ==■  frofilem 
X,  8249;  pimtifex  III,  6898;  cuntra  V,  1732;  prunta  XII,  5352; 
exurcisia  V,  5428;  Mavurte  dreimal  bei  Pirson  14  usw.  Auch 
furtuna  steht  z.  B.  VI,  18536  {Furtunato),  wo  eine  gewisse  Vokal- 
assimilation im  Spiele  sein  kann,  welche  für  furynica  ausgeschlossen 
ist.  Bei  der  geringen  Anzahl  der  Parallelen  ist  wohl  durch  einen 
besonderen  Grund  das  u  in  furmica  entstanden  und  weiter  ver- 
breitet,   und    es   ist   zu  beachten,    dafs  nach  Serv.  (Dan.)  ad  Aen. 

IV,  402  :  formica  .  .  .  ab  eo  qiiod  ore  niicas  ferl  die  Ameise  zu  volks- 
etymologischen Spielereien  Anlafs  gab.  Von  den  römischen  Dichtern 
wird  zwar  das  emsige  Hamstern  der  Ameise  verherrlicht  —  Horaz, 
Sat.  I,  1,33;  Vergil,  Aen.  4, 402  — ,  aber  dem  Landmann  war 
sie  lästig,  und  schon  Cato,  Agr.  91,129  gab  Vorschriften  gegen 
von  den  formicae  her  drohenden  Schaden.  Da  der  Vergleich 
mit  Dieben  nahe  lag  —  Plaut.,  Trin.  410  — ,  vermute  ich, 
dafs  durch  für  beeinflufst  furmica  als  halber  Scherzname  in  die 
Bauernsprache  Eingang  fand.  Vergleichen  läfst  sich  furo  'Frettchen', 
der  das  Wild  aus  seinem  Lager  holt  und  daher  einen  von  für  ab- 
geleiteten Namen  trägt.  Ob  im  sie.  neap.  furmicula,  lecc.  furmica 
(UUmann  192)  furmica,  das  lateinisch  sonst  nicht  belegt  ist,  direkt 
weiter  lebt,  bleibt  zweifelhaft. 

Merkwürdigerweise  zeigt  torma  (59),  das  Schuchardt  II,  176 
aus  cod.  Pal.  Verg.  Aen.  XI,  503  (i  Hand)  belegt,  den  umgekehrten 
Wandel  «  >■  0  vor  r  -{■  m.  Da  sonst  Parallelen  fehlen  und  Analogie 
nach  einem  sinnverwandten  Wort  nicht  vorliegt,  ist  torina  wohl 
nach  den  beiden  anderen  Wörtern  dieses  Typus,  nach  norvia  und 
forma,  entstanden.  Blofse  umgekehrte  Aussprache  dürfen  wir  um 
so  weniger  annehmen,  weil  auch  die  Beispiele  für  den  Lautwandel 
£»  >  «  vor  r  +  Konsonant  selten  sind. 

Dafs  auch  in  formunsus  der  Übergang  von  0  zu  «  durch 
11  +  Konsonant  begünstigt  wurde,'  zeigt  schon  das  Fehlen  von 
formusus,  w'i^x&ad,  formuiisus  auch  CGI.  IV,  347,  45,  Not.  Tir.  67,  37 
cod.  Cass.  belegt  ist,  foi-munsitas  expos.  mundi  40,  p.  115,  12  Riese. 
Wichtiger  ist  die  Frage,  wie  das  seit  Terenz,  Eun.  730  belegte,  von 
App.  anscheinend  nicht  anerkannte  formonsus  entstand,  das  jenem 
formunsus   zugrunde  liegt;   auch  inschriftlich  steht  es  oft,    z.  B.  CI 


*  ?i^.  fronda  mufs  nach  Meyer-Lübke,  Wb,  s,  v.  aufser  Betracht  bleiben, 


56 

IV,  6885.  Das  trotz  Stolz*  53,  4  aus  formosus  neugebildete /ör- 
monsus  erklärt  Skutsch,  Glotta  II,  246  durch  Anlehnung  an  sponsus, 
sponsa,^  hat  aber  dabei  übersehen,  dah  /ormonsus  sicher  viermal 
bei  Lucilius  (173,  476,  1026,  1226M.)  und  wohl  auch  bei  Terenz 
(s.  o.)  vorkommt,  dagegen  sponsus  deshalb  nicht  zufällig  erst  bei 
Cicero  belegt  ist,  weil  ursprünglich  nur  die  Braut  versprochen  wurde 
und  sponsus  erst  eine  Analogiebildung  nach  sponsa  ist,  wie  um- 
gekehrt Piarita  nach  maritus  'der  mit  einer  Braut  versehene', 
Lommel,  Stud.  über  indog.  Femininbild.,  Diss.  Göttingen  19 12,  21; 
E.  Herrmann,  GGN  19 18,  209.  Die  Hypothese  von  Skutsch  liefse 
sich  also  nur  in  der  Form  aufrecht  halten,  dafs  nach  sponsa  ein 
formonsa  gebildet  wurde,  womit  z.  B.  der  Bräutigam  seine  Braut 
anredete,  dann  auch  analogisch  formonsus  entstand  und,  da  in 
unserer  Überlieferung  formonsus  niemals  von  Verlobten  steht,  beide 
ihre  Gebrauchssphäre  stark  ausdehnten.  Da  n  vor  s  schwach  war 
{cos  =  consul)  und  laut  it.  sposa,  frz.  epoux  fast  sposa  {-us)  gehört 
wurde,  kam  später,  wie  sonst  neben  -ns-,  auch  neben  formonsus 
eine  -jj-Form  auf,  z.  B.  CK  1040,  3.  Im  Romanischen  hat  sich  das 
n  nicht  erhalten,  vgl.  it.  formoso  usw.  —  Wenn  der  Einflufs  von 
sponsa  wirklich  einst  vorhanden  war,  so  müssen  wir  immer  noch 
mit  einem  negativen  Faktor  rechnen,  welcher  das  Aufgeben  von 
•osus  begünstigte:  trotz  mancher  lobenden  Adjektiven  auf  -osus 
{ingeniosus)  haben  die  meisten  tadelnde  Bedeutung,  vgl.  vinosus, 
muUerosus,  verrucosus  und  besonders  Gell.  N.  A.  4,  9,  2 :  Nigidius : 
hoc  .  .  .  inclina7nentum  ...  ut  'vinosus\  ^ mulier ostis'  .  .  .  significat 
copiam  quandam  immodicam  rei  .  .  .  religiosus  .  .  .  qui  nimia  .  .  . 
religione  sese  alligaverat  usw.  Leicht  wurde  in  -osus  der  Begriff 
des  zu  Vielen  empfunden.  Im  Gegensatz  zu  speciosus  [spcciosius 
quam  veriics)  hatte  formosus  nur  günstige  Bedeutung,  so  dafs  leicht 
nach  sponsa  unter  Meidung  des  Suffixes  -osus  ein  formonsa  gebildet 
werden  konnte. 

Auch  in  tondeo  neigte  vor  -nd-  das  0  nach  u  hin  und  schon 
im  alten  Bauernkalender  CIL  VI,  2305,  2306  aus  der  Mitte  des 
I.  Jhdt.  n.  Chr.  lesen  wir  oves  iundunt  mit  Übergang  in  die  dritte 
Deklination  zu  einer  Zeit,  als  Verwechselung  der  Konjugationen 
durch  das  Zusammenfallen  von  -es,  -et  und  -is,  -it  noch  nicht  ein- 
getreten war;  tundeo  wurde  tundo  formell  angeglichen.  Auch  im 
Romanischen  lebt  tgndere  (s.  u.)  =  tundere  weiter,  rum.  tunde,  ait. 
tondere,  log.  tundere,  frz.  prov.  tondre,  sp.  tundir,  Groeber,  ALL 
VI,  135.  Da  zu  detondeo  häufiger  die  geschorene  Person  oder  der 
geschorene  Gegenstand  als  die  abgeschnittenen  Haare  (Bart  usw.) 
als  Objekt  steht  —  Thes.  L.  L.  s.  v.  — ,  war  es  meistenteils  völlig 
synonym  mit  tondeo.  Auch  detondeo  wurde  zu  dettmdo,  wofür  es 
aufser  App.  keinen  sicheren  Beleg  gibt,  da  Lucilius  ^y 8  M.:  proras 
despoliate  et  detundite  guberna  das  korrupte  detundile  vielleicht  in 
detondete  zu  ändern  ist.    Da  detundo  'abstofsen'  selten  ist  —  aufser 


*  Anlehn  mg  an  intonsus  {Apollo)  bleibt  aufser  Betracht. 


57 

Apul.  met.  2,  ^2  nur  als  Interpretamentum  an  zwei  Stellen  des 
Festus  p.  73:  deludes  esse  detunsos,  deminu/os,  p.  74;  überhaupt  nur 
im  Part.  Pass.  —  und  auch  CGI.  IV,  503, 8,  ¥,285,17,  627,66 
delunsi  deminuti  aus  Verrius  stammt,  schliefslich  detudes  (Jacobsohn, 
Charites  191 1,  442,2)  sich  nur  hielt,  weil  auch  detunsiis  nicht  sehr 
gebräuchlich  war,  fand  das  Verbum  in  der  Umgangssprache  wenig 
Verwendung,  so  dafs  detundo  =  detondeo  seine  Form  wohl  von 
tundo  =  tondeo  bekam.  Weil  tundo  'Rasieren'  mit  ttindo  'Stofsen' 
verwechselt  werden  konnte,  lag  es  nahe,  in  der  Umgangssprache 
detundo  an  seine  Stelle  treten  zu  lassen,  weil  wegen  der  Seltenheit 
von  delundo  'abstofsen'  Vertauschung  kaum  möglich  war.  Ein  solches 
detundo  bezeugt  in  der  Tat  App.,  indem  sie  es  verwirft  und  tondeo, 
nicht  tundeo,  wie  fälschhch  überliefert  ist,  verlangt.  Das  Kompositum 
wird  wohl  nur  aus  übertriebener  Angst  vor  Verba  composita  zurück- 
gewiesen, welche  in  der  Volkssprache  immer  mehr  überhand  nahmen; 
so  steht  z.  B.  demorari  als  Intransitivum  nur  bei  Plautus,  dem  vulgär 
gefärbten  Vitruv  und  seit  Fronto,  Gellius,  Apuleius  u.  a. ;  denego  als 
Synonym  von  nego  (nicht  im  Sinne  von  recuso)  nur  bei  Plautus, 
Tacitus  und  den  Späteren ;  manche  Klassiker  —  s.  Thes.  L.  L.  s.  v. 
—  meiden  das  Verbum  ganz.  Viele  Komposita  mit  de  stehen  nur 
bei  späteren  Schriftstellern.  Neben  tondeo  und  tundo  entstand  tondo 
z.  B.  CGI.  II,  580,  34,  595,  32,  das  auch  in  Komposita  wie  detondo 
(CGI.  II,  237,  30;  47,  4)  und  attondo  —  Vulg.  Ez.  44,  20:  attondent, 
Nah.  I,  12:  aitondentur ;  das  Fut,  -ebo  {-abo)  schwindet  —  vorkommt, 
Rönsch  a.  a.  O.  284. 

c)  31  sohrius  non  suber.  Nach  dem  oben  %  }ig  Ausgeführten 
schwand  in  sohrium  nach  br  konsonantisch  werdendes  i  —  soweit 
nicht  der  vokalische  Laut,  sogar  nach  der  ^-Richtung  hin,  wieder 
hergestellt  wurde,  s.  Caper  VII,  103,  iiK. :  sobrius  per  i  non  per  e 
scribetidum  — ,  vgl.  auch  it.  ebbro  (ALL  II,  276)  neben  sobrio.  Zu 
sohrum  wurde,  da  Adjektiva  auf  -brus  fehlten,  nach  aegrum  .  .  . 
aeger  usw.  ein  Nominativ  sober  gebildet;  verworfen  wird  es  von 
[Probus]  instit.  IV,  126,  23  K.,  de  nom.  exe.  IV,  213,  8,  eber  ebenda 
und  von  Charis.  I,  83,  16K.  —  Das  u  hat  sich  vor  Labial  und 
wohl  besonders  in  subrum,  -brius  vor  einem  durch  r  gestützten 
b  entwickelt ;  denn  während  suber  sonst  nicht  belegt  ist,  findet  sich 
subrius  CI  XII,  1553,  Not.  Tir.  81,  53  und  der  Gentilname  Subrius 
CIL  V,  7917  (W.  Schulze,  Gesch.  Lat.  Eigenn.  237),  vgl.  auch 
Schuchardt  II,  1 13,  201 ;  subrinus  =  sobriniis  steht  CGI.  V,  246,  20; 
consubrinus  CIL  III,  193 1,  V,  7366,  s.  Thes.  L.  L.  s.v.  Während  nur 
ein  sicheres  Beispiel  aus  dem  9.  Jhdt.  Octuber  bietet,  steht  elfmal 
(Schuchardt  II,  iii),  auch  in  dem  weit  ältesten  Beleg  CIL  II,  2959 
(119  n.Chr.)  das  u  in  Octubris^  das  vielleicht  auch  Reg.  Bened. 
48,  6  herzustellen  ist,  s.  Linderbauer  ■i^}^2.  Aber  auch  vor  einfachem 
b  neigte  0  zu  m  und  unsere  obige  Ansicht  (§  3  a)  wird  bestätigt, 
dafs  das  ti  von  cohiber  nicht  dissimilatorisch  durch  das  folgende  b, 
sondern  vielmehr  durch  das  vorangehende  ö  +  /  zu  ö  ge- 
worden ist. 


58 

d)  187  robigo  non  ruhigo.  Paul,  Fest.  264  M.:  rohum  rubro  colore 
(Juvenal  8,  155),  auch  robeus,  robius  bei  Varro,  r.  r.  2,  5,  8 ;  CIL 
VI,  826,  21  (vi'/ulo);  Gell.  N.  A.  IV,  6,  2  zeigen,  dafs  robigo  die  alte 
Form  ist  und  erst  nach  ruber  zu  riibigo  wurde.  Rebus  und  robigo 
sind  in  ihrem  Konsonantismus  [b)  echt  römisch,  dagegen  im 
Vokalismus  dialektisch;  da  das  ou  von  *roudh-os  nicht  nur  im 
Umbrischen,  sondern  z.  B.  auch  in  Praeneste  zu  0  wurde  (vgl.  CIL 
P,  549:  lostia  =  luria  <  loucsna),  ist  der  Geburtsort  sicher  Latium 
gewesen.  Auch  Plaut.,  Stich.  230:  robiginosus  zeigt  altes  0,  gleich- 
falls die  Hss.  von  Vergil,  Horaz  und  Juvenal.  Und  durch  Ovid, 
Fast.  IV,  907  erfahren  wir  von  der  Göttin  Robigo,  die  dem  männ- 
lichen Robigus  Varro,  L.  L.  6,  16  zur  Seite  steht;  ihm  gilt  das  Fest 
der  Robigalia,  Pfister,  RE  s.  v.  Wohl  auf  Grund  des  feststehenden 
0  in  jenen  Götter-  und  Festnamen  hat  App.  dort,  wo  der  Sprach- 
gebrauch zwischen  0  und  u  schwankte,  die  richtige  Wahl  getroffen. 
Robigo  blieb  auch  in  der  Volkssprache  erhalten,  wie  afrz.  roil,  roille, 
prov.  rovilh,  sp.  robin  zeigt,  vgl.  M.-Lübke,  Wb.  7348.  Dieselbe 
Empfehlung  von  robigo  CGI.  V,  144, 32 :  robigo  non  rubigo  (vgl. 
V,  39,  20  [Placidus] :  robigo  a  rodendo  dicilw).  —  Über  robigo  s. 
auch  Ernout  221;  aber  für  öpilio  <C  ov(ijpilio,  das  neben  üpilio  seit 
Plautus  belegt  ist,  dürfen  wir  deshalb  nicht  ohne  weiteres  dialektische 
Herkunft  annehmen,  weil  neben  upilio  'Schäfer'  sehr  leicht,  durch 
dvis  beeinfiufst,  in  Rom  selbst  (oder  in  der  Nachbarschaft)  ein 
opilio  aufkommen  konnte, 

e)  86  cloaca  non  cluaca.  Das  alte  z.  B.  bei  Varro,  Men.  290 
u.  a.  erhaltene  clovaca  hätte  zu  clavdca  werden  müssen,  da  nach 
dem  von  Thurneysen,  KZ  28,  159,  Solmsen  und  Kretschmer,  KZ 
37,4,  274  ff.  behandelten  Lautgesetz  vortoniges  0  vor  -'  in  a  um- 
gewandelt wurde,  \g\.  favilla  <:ifovilla,  lavare  <i  lovare:  Xoftco, 
cavare  <C  covare,  danach  cavus,  aber  sp.  cueva.  Solmsens  Annahme, 
das  ou  ■=  indog.  oii  zu  au,  dagegen  011  =  indog.  eu  zu  n,  0  ge- 
worden sei,  scheitert  an  der  Tatsache,  dafs  zur  Zeit  der  späteren 
Akzentverhältnisse,  durch  welche  ov--  zu  av'  wurde,  beide  ö//-Laute 
längst  zusammengefallen  waren,  Sommer 2,  1 10.  Vielmehr  hielt  sich 
Novemhres  —  Noembres,  Nuevibres  in  CIL  VI  —  durch  novem] 
schwerer  zu  deuten  ist  doväca,  das  bei  Plautus  belegt  und  wohl 
älter  als  das  junge  Lautgesetz  ist.  Da  nach  Plin.  bei  Prise. 
II,  29,  8  K.  das  /  in  ßavus  clarus  einen  sonum  plenum  hat  (wohl 
velares  /,  vgl.  -tlom  >  -dorn  und  2  b),  dagegen  in  ledutn  (und  über- 
haupt im  Silbenanlaut,  auch  vor  a,  0)1  einen  so^iwn  medium,  so  hat 
vielleicht  das  stark  volare  d  in  clovaca,  im  Gegensatz  zu  lavare, 
cavare,  das  0  erhalten;  aber  auch  diese  Erklärung  wird  kaum 
genügen. 2  Erst  viel  später  trat  durch  Vokalassimilation  gelegentlich 
daväca  auf,  CGI.  IV,  434,  26;  595,8.  —  Cloaca  entstand  durch 
Übergang   von    unbetontem   ov   zu    0,    Solmsen,   Stud.  z,  Lat.  Laut- 


1  Das  ergibt  sich  aus  dem  Zusammenhang. 

2  Eiu  clovere,  nach  dem  clovaca  erhahen  wäre  (Sommer  a.  a,  O.),  bat  es 
;aie  gegeben,  nur  cluere  (Plin.  n.  h.  15,  119):  gr.  xlxiCfiiv, 


59 

gesch.  141;  da  dieser  Laut  die  Mitte  hielt  zwischen  0  und  u 
{Noembres  neben  Nuembres),  ist  auch  duaca,  aber  nur  selten,  belegt: 
trotz  der  bei  Verrius  Flaccus,  Paul.  Fest.  38  M.  erhaltenen  Etymo- 
logie: cloacae  a  coUucndo  dictae  (s.  Mar.  Victor.  VI,  25,  gK.:  «0«  est 
cloaca,  ut  pulalt's,  scd  cluaca  quasi  conliiaca)  und  trotz  der  empfun- 
denen Verwandtschaft  mit  duerc  {Plin.  n.  h.  15,119)  findet  sich 
cluaca  nur  CIL  V,  8146,  X,  4752  und  seit  Sallust,  frg.  4,  16  M.  und 
Varro,  L.  L.  5,  157  höchstens  sechsmal  in  der  Literatur.  Auch  App. 
entscheidet  sich  für  die  übliche  Form. 

§  8.    Der  Vokal  u, 

161     coruscus  non  scoriscns 

Um  das  /  zu  verstehen,  müssen  wir  zunächst  das  anl.  s  er- 
klären. Usener,  Rh.  Mus.  49,  463  u.  a.  erblicken  in  scoriscns  eine 
uralte  Bildung,  in  der  das  zum  Stamm  gehörige  s  sich  mit  öxcuqoj 
vergleichen  liefse.  Da  aber  in  coruscus  das  alte  u  der  Pänultima 
unerklärt  bliebe,  betrachtet  es  Walde ^  s.  v.  mit  Thurneysen,  GGA 
1907,  806  zögernd  als  Lehnwort  aus  xoqv.^tco,  xvqioöco  'mit  den 
Hörnern  slofsen',  wogegen  sich  lautliche  und  semasiologische  Be- 
denken erheben ;  dagegen  wäre  Urverwandtschaft  mit  '/coqvxtco 
sehr  wohl  möglich.  —  Die  Beziehungen  zu  OxaiQC}  werden  auch 
dadurch  widerlegt,  dafs  das  doppelte  sc  in  scorusco,  scoruscatio  und 
scoruscus  nur  dann  bezeugt  ist,  wenn  diese  Vokabeln  fulguro  und 
fulgor  bedeuten,  vgl.  CGI.  III,  347,  16  usw.;  Ital.  Luc.  9,  29;  17,  24; 
24,4  {cod.  d),  Act.  Petr.  21.  Das  s  war  also  nicht  uralt,  sondern 
erst  sekundär;  wie  in  xccqxcJqco  'Wimmeln',  ai.  rö-rucäna  'leuch- 
tend' —  Brugmann,  K.  Vergl.  Gr.  286,  48iflf.  —  die  sich  wieder- 
holenden Reflexe  durch  die  Reduplikation  bezeichnet  werden,  so 
vielleicht  in  scoruscus,  scoruscatio,  scoruscus  durch  das  neue,  doppelte 
sc-  mit  scharfem  s.  Der  Vergleich  mit  unserem  'flitzen',  'blitzen' 
zeigt,  dafs  auch  das  i  in  scoriscns  verwandten  Eindrücken  seine 
Entstehung  verdankte  und  nicht  zufällig  zusammen  mit  doppeltem 
sc-  in  derselben  Form  bezeugt  ist,  vgl.  auch  scoriscatio  Ital.  Matth. 
24,27  cod.  d;  es  gibt  daneben  Formen  mit  i  und  anl.  c,  corisco 
CGI.  V,  171,  21  und  coriscae  IV,  37,  31  und  dazu  ptg.  corisco.  — 
Es  hat  nach  dem  Gesagten  App.  wohl  das  Substantiv,  nicht  das 
Adjektiv  coruscus  gemeint,  wie  auch  die  folgende  n.  162:  ionitru 
non  tonotru  nahelegt;  in  tonotru  malte  das  doppelte  0  das  dunkle 
Rollen  des  Donners,  §  3  h. 

§  9.    Das  y. 

17     marsias  non  marsuas  191     tymum  non  tumuni 

28    gyrus  non  girus  195     myrta  non  murta 

119     clamis  non  clamus 

Das  gr.  r,  das  besonders  im  Jonisch -Attischen  früh  zu  ü 
wurde,  haben  die  Römer  zuerst  durch  ti  —  gubernare,  purpura  — 
oder   durch  /  icaliptra)  wiedergegeben  und  als  solches  gesprochen, 


6o 

da  das  ü  die  Lippenrundung  des  u,  die  Zungenstellung  des  i  hatte. 
Später  wurde  das  y  eingeführt,  das  der  Tendenz,  den  griechischen 
Laut,  obwohl  den  Römern  fremd,  genau  zu  sprechen,  in  der  Schrift 
entgegen  kam;  daneben  blieb  aber  auch  das  der  lateinischen 
Zunge  geläufigere  u  und  i  in  der  Umgangssprache  erhalten.  — 
Die  Überlieferung  in  28 :  gynts  non  gyrus  ist  deshalb  nicht  mit 
Haupt,  op.  III,  534  in  .  .  .  7wn  goeriis,  das  in  Hss.  (Non.  p.  20,  26; 
18g,  2)2)  belegt  und  mit  Mysia  >  Moesia  zu  vergleichen  ist,  sondern 
in  .  .  .  non  girus  zu  ändern,  weil  gerade  diese  Form  volkstümlich 
gewesen  ist  und  ihre  Bedeutungssphäre  beträchtlich  erweitert  hat; 
vgl.  Peregr.  Aeth.  2,  5:  mons  per  giro  'ringsum'  und  besonders  3,  8: 
in  giro  parietes  ccdesiae,  14,2:  in  giro  collicido  isto,  wo  in  giro  im 
Sinne  von  circuin  bald  wie  dieses  den  Akkusativ  regiert,  bald  den 
Ablativ  als  Apposition  zu  sich  nimmt.  Loefstedt,  Peregr.  Aeth.  67 
weist  darauf  hin,  dafs  Hez.  16,  57  im  cod.  Weingart,  und  40,  16 
im  cod.  Wirceburg.  gr.  ■kvxXco  durch  in  gyro  (mitj')  übersetzt  wurde, 
aber  der  stilisierende  Hieronymus  in  circuitu  schreibt.  Auch  das 
Romanische  zeigt  ;',  it.  sp.  ptg.  giro,  prov.  gir. 

In  Marsias  non  Marsuas  ist  wichtiger  als  die  getadelte  Form 
—  z.  B.  CIL  II,  558,  Mart.  II,  64,  8  {-sua)  —  das  gebilligte  Marsias 
(wenn  es  nicht  in  Marsyas  zu  ändern  ist).  Es  ist  nämlich  zu 
beachten,  dafs  eine  bekannte  Statue  des  JNIarsyas  auf  dem  römischen 
Forum  stand  —  Horaz,  Sat.  1,6, 120;  Porphyr,  z.  St.;  Jordan,  Marsyas 
auf  dem  Forum  in  Rom  —  und  App.  z.  B.  auch  die  volkstümliche 
Form  (h)oriIegium  vielleicht  deshalb  anerkannte,  weil  die  öffentlichen 
Uhren  in  Rom  allgemein  so  benannt  wurden.  Dann  könnte  trotz  der 
Bemerkung  des  Serv.  (Dan.)  zu  Aen.  IV,  58,  dafs  Statuen  des  Marsyas 
auch  in  anderen  Städten  aufgestellt  zu  werden  pflegten  (Eckhel, 
Doctr.  numm.  4,  493  ff.),  auch  das  anerkannte  Marsias  für  Rom  als 
Heimat  der  App.  sprechen.     Sicheres  ist  nicht  zu  ermitteln. 

Ullmann  174,  220  wollte  clamys  non  clamus  lesen,  aber  die 
Hss.  der  verschiedensten  Schriftsteller  haben  fast  regelmäfsig  ent- 
weder clamis  oder  chlamys,  so  dafs  App.  nur  die  rein  griechische 
oder  die  echt  lateinische  Form  gebilligt  haben  kann.  Während 
Leo  für  Plautus  und  Ihm  für  Sueton  (Praef.  p.  LI)  das  überlieferte 
clamidem  {-de,  -dis)  nicht  für  ihren  Auktor  in  Anspruch  nehmen, 
haben  Marx,  Lucil.  321  und  Goetz-Schoell,  Varro  L.  L.  5,  133  da- 
mides  gedruckt.  Jedenfalls  wurde  die  völlige  Latinisierung  des 
Wortes,  das  erst  seit  Einführung  der  chlamys  in  Rom  unter  Sulla 
volkstümlich  werden  konnte,  dadurch  gefördert,  dafs  seit  Plautus 
der  Akkus,  chlajnydem  {clamidem)  oft,  niemals  dagegen  chlamyda 
gebraucht  wurde;  auch  chlamydas  ist  trotz  der  denkbaren  Inter- 
punktion :  cuho  in  Sardianis  tapetihus ;  damidas  et  purpurea  amicula 
für  Varro  Men.  212  (der  Schlufs  des  Satzes  fehlt)  nicht  gesichert 
und  steht  im  'Cato  de  lib.  educ'  p.  542  Non.:  damidas  encomho- 
viata  ac  parnaddas  quam  togas  in  der  Mitte  von  Graeca,  so  dafs 
an  der  noch  übrig  bleibenden  Stelle,  Pers.  6,46,  eher  damides 
{chlamydes)    mit   QL,   Priscian   (11,333,6;  350,  23  K.)    als  chlamydas 


6i 

{ctamidas  P.) '  mit  Leo  zu  lesen  ist.  Die  Latinisierung  der  Endung 
begünstigte  die  Verbreitung  von  clamis,  das  nach  der  konsequenten 
Schreibung  clamidevi  in  sehr  alten  Hss.  sicherlich  von  den  späteren 
Grammatikern  und  auch  von  App.  anerkannt  wurde,  so  dafs  wir 
nicht  chlamys  ändern  dürfen.  In  den  Glossen  steht  neben  nicht 
seltenem  chlamys  III,  t^z^,  21  chlamis,  V,  564,  47  clamis.  —  Dagegen 
blieb  in  chelys,  Akk.  chelyn  mit  griechischer  Endung  das y  erhalten; 
das  späte  hotrus  bekam  stets  u,  weil  vorher  schon  hotruus  gebildet 
war,  \  2,g.  —  clamus,  das  App.  rügt,  ist  nirgends  bezeugt. 

Da  bei  Aussprache  des  vi  die  Lippenstellung  mehr  der  des 
u  als  des  i  entspricht,  konnten  sich  murta  'Myrthenbeere'  und 
tumum  in  der  Volkssprache  allgemein  durchsetzen,  Murta  war 
sicher  nicht  weniger  volkstümlich  als  viiirtatuvi  'mit  Myrthenbeeren 
gewürzte  Wurst'.  Die  Namen  der  Würste  tragen  auch  sonst  vul- 
gären Charakter ;  vgl.  das  aus  apexabo  >  apexavo  (anders  K.  Meister, 
Lat.-Gr.  Eigenn.  52)  entstandene  apexao(nes)  bei  Arnob.  7,  24,  das 
sein  V  durch  dissimilatorische  Wirkung  des  /  verlor  —  s.  über 
paor  §  14,  longavo  (Varro,  Arnob.  7,  24)  wird  nicht  zu  longao  — ; 
ferner  das  nur  bei  ps.-Acro  zu  Horaz,  Sat.  2,  4,  60  überlieferte 
faria  salsicia,  it.  salsiccio,  Leumann,  Glotta  9,  156;  auch  sangtinculus 
bei  Petron  66  und  dazu  Heraeus,  Rh.  Mus.  72,  41.  Murta  'Myrthen- 
beere' steht  schon  bei  Cato,  agr.  125  und  Varro,  L.  L.  5,  1 1 1  u.  a.; 
vgl.  noch  CGI.  II,  131,  47  :  77iurta  hvqo'lvi]',  111,584,34.43.  Trotz 
des  folgenden  zizipus  und  iuniperus  (196,  197)  hat  App.  mit  myrta 
wohl  nicht  den  Myrthenbaum,  sondern  dessen  Beere  gemeint; 
denn  erst  seit  dem  3.  Jhdt.  kommt  dieses  myrta  =  7/iyrtus  z.  B.  in 
dem  auf  Apicius'  Namen  erhaltenen  Kochbuch  {inirtd)  und  anderen 
vulgären  Texten  vor;  gebilligt  hätte  App.  diesen  Neologismus 
schwerlich,  auch  wenn  er  zu  seiner  Zeit  vorkam.  Auch  das  Roma- 
nische zeigt  u,  sp.  ptg.  murta,  afrz.  murte,  aprov.  murta  usw. 

Tu?7ium  steht  z.  B.  CGI.  III,  611,32  und  ist  erhalten  im  lecc. 
tumu,  logud.  tumbu  und  sp.  tom-illo,  während  auf  dem  übrigen 
Gebiete  nur  serpullum  'Quendel'  fortlebt,  prov.  serpol,  it.  serpoUo, 
ALL  VI,  135.  Aber  App.  zeigt,  dafs  noch  im  3.  Jhdt.  tumum 
lebendig  war  und  erst  später  in  der  Übergangssprache  schwand: 
auch  andere  nur  in  Spanien  und  Sardinien  (Italien)  erhaltenen 
Vokabeln  brauchen  nicht  schon  in  sehr  früher  Zeit  abgestorben  zu 
sein.  Ob  angesichts  CIL  VIII,  7854:  thymum  auch  für  App.  diese 
Form  als  die  gebiUigte  anzusetzen  ist? 

§  10.    Die  Diphthonge. 

a)    Der  Diphthong  au. 
83     auris  non  oricla 
Zu    aurls    gehört   seit   ältester  Zeit    das  Deminutivum  auricula, 
das    zuerst    hypokoristische    Bedeutung    hatte    —    Plaut.   As.  668, 

•  Der  neue  Nomin.  chlamyda  kommt  —  anders  Thes.  L.  L.  s.  v.  —  be- 
zeichnenderweise zuerst  bei  Apuleius  vor. 


62* 

Poen.  375  — ,  dann  aber  bald  als  völliges  Synonym  von  auris  in 
die  Umgangssprache  Eingang  fand,  wie  bes.  die  interessante  Stelle 
des  Rhet.  ad  Herenn,  IV,  lo,  14  zeigt,  wo  oricida  (mit  0)  in  einem 
Beispiel  erscheint,  quod  ad  mfirmim  et  cotidiatmm  scnnonem  demissum 
est,  s.  auch  Wölfflin,  Phil.  34,  154;  Loefstedt,  Peregr.  Aeth.  31 1. 
Oricla  steht  als  Cognomen  CIL  XII,  5686,  652 ;  sonst  noch  CGI. 
III,  615,  18;  oricula  CGI.  II,  139,48  u,  ö.  (Heraeus,  Sprache  Petrons  7, 
Thes.  L.  L.  s.  v.)  und  schon  Verr.  Flaccus,  Fest.  Paul.  182,  183  M. 
führte  zur  Erklärung  von  oraia  'Goldforelle'  aufser  oruvi  =  aurum 
auch  oriculae  an.  Es  ist  nun  sehr  wichtig,  dafs  die  im  früheren 
Vulgärlatein  häufige  Monophthongisierung  des  ««,  wofür  die  Ge- 
schichte des  Clodius  das  einleuchtendste  Beispiel  abgibt,  sich  im 
Romanischen  nur  in  wenigen  Vokabeln,  in  cgda,  glla,  fax  und 
plostrum  S  durchgesetzt  hat,  während  in  den  übrigen  Wörtern  das 
alte  au  zugrunde  liegt,  vgl.  rura.  coadä,  it.  coda;  aprov.  coza,  frz. 
queue  (<  coda)  gegenüber  rura.  aur,  it.  ^ro,  aprov.  aur,  frz.  or 
(<  atmitn).  Auch  rum.  ureche,  it.  orecchio,  prov.  aurelha.  sp.  oreja 
sind  auf  auricula  zurückzuführen,  wie  die  den  alten  Diphthong  er- 
haltende provenzalische  Form  zeigt;  dafs  in  den  übrigen  Sprachen 
nachträgliche  Einzelentwicklung  von  au  zu  0  stattgefunden  hat,  weist 
M.-Lübke,  Einf.3,  121  nach;  so  kann  frz.  chose  nur  aus  causa 
entstanden  sein,  da  im  Afrz.  nur  vor  a  das  c  zu  ch  wurde.  — 
Man  hat  nun  aber  des  öfteren  mit  Thurneysen,  KZ  28,  156  olla, 
fox,  coda  und  plostrum  für  die  ursprünglichen  Formen,  dagegen  die 
mit  au  (cauda  usw.)  für  Hyperurbanismen  gehalten  und  auch  Walde 
hält  für  die  zwei  letzten  Vokabeln  daran  fest;  dann  hätte  das 
Romanische  nicht  eine  einzige  vulgäre  Bildung  mit  0  «<  au  über- 
nommen. Ist  diese  Ansicht  richtig?  Aula  ergibt  sich  durch  das 
Deminutivum  auxilla  als  das  primäre,  faux  durch  offucare,  Paul. 
Fest.  192  M.;  ^l^.  fauces  formell  isoliert  war  und  als  solches  empfunden 
wurde  —  Prise.  II,  323,  21  K.:  in  -aux  umim  femininum  :  haec 
faux  — ,  konnte  das  einmal  in  der  Umgangssprache  vorhandene 
foces  sich  leicht  {voces,  veloces  usw.)  auch  später  erhalten.  Cauda 
ist  etymologisch  unklar;  die  vulgäre  Bedeutung  kann  die  Entstehung 
und  Erhaltung  des  0  im  Romanischen  begünstigt  haben.  Plaustruvi 
wird  für  hyperurban  gehalten  wegen  der  bekannten  Geschichte 
Vespasians  (Suet.  22),  der  den  consularis  Mestrius  Florus  spottend 
i%«n«  nannte,  als  dieser  ihn  gemahnt  hatte  plaustru7?i,  nicht 
plostrum  zu  sagen.  Aber  plaustrum  kann  sehr  wohl  das  ursprüng- 
liche sein  und  sekundäres  plostrum  auch  in  der  besseren  Umgangs- 
sprache als  Bezeichnung  des  alltäglichen  Frachtwagens  sich  durch- 
gesetzt haben,  so  dafs  plaustruvi  schliefslich  fast  aufser  Kurs  kam; 
wahrscheinlich  gemacht  wird  diese  Ansicht  durch  häufiges  clostrum 
neben  ursprünglichem  claustrum  [clatcdo).  Dafs  claustrum  'Kloster*, 
nicht  clostrum  (ALL  I,  547)  romanisch  ist,  liegt  an  der  Bedeutung 
des  Wortes,  während  olla,  coda,  plostrum  einer  tieferen  Schicht  der 

1  Über  cotes  s.  §  25. 


63 

Volkssprache  angehören.  Bei/ox,  foces  spielten,  wie  gesagt,  formelle 
Gründe  mit.  Von  Hyperurbanismus  kann  für  keine  einzige  Form 
die  Rede  sein. 

b)  Da  raucus  non  ra[ujcus  (153)  —  draiicus  Usener,  Bücheier  — 
nur  auf  einer  Konjektur  Niedermanns  beruht,  kann  es  nur  nebenbei 
behandelt  werden.  Wie  raiicus  zu  draucus  'xarajivycov'  hätte 
werden  können,  ist  unverständlich;  ein  d  ist  in  der  Hs.  nicht  zu 
erkennen  und  eine  umgekehrte  Verschreibung  {raucus  st.  draucus) 
in  Martialhss.  beweist  natürlich  nicht,  dafs  draucus  non  raucus  zu 
schreiben  ist:  ein  ähnlicher  Euphemismus  liefse  jede  Ratio  ver- 
missen. —  Während  vortoniges  au  bekanntlich  im  Romanischen  vor 
folgendem  betonten  7i  zu  a  wird  ^  —  auscuUo  >  ascu/to  (Thes.  L.  L.), 
afrz.  ascouter,  asp.  ascuchar  usw.  — ,  ist  dagegen  in  betonter  Silbe 
nur  selten  durch  Dissimilation  und  Dehnung  des  ersten  Komponenten 
des  Diphthonges  a  statt  ati  eingetreten,  wenn  ein  u  in  folgender 
Silbe  stand  (anders  Sommer'-^,  80),  vgl.  CIL  VI,  667:  Cladius, 
II,  6257,  77  :  Fasli  nach  Fastus  (unbelegt)  =  Faustus,  anculus  = 
aunculus  VI,  19004  u.  ö.  und  unten  §  14.  Das  Bardische  ist  mit 
X-xiVi  =  la(ii)rus,  \2X\  =  caulis ,  pahdivu  =  pa(u)perum  einen  Schritt 
weitergegangen,  s.  M, L.  Wagner,  Arch.f. St.  d.  n.Spr.  NF.  35,  ig  16, 108. 
Die  Seltenheit  der  Belege  begünstigen  Niedermanns  Konjektur: 
raucus  fion  racus  nicht  sehr.  —  In  unbetonter  Silbe  ist  au  vereinzelt 
auch  ohne  folgendes  u  zu  a  geworden,  vgl.  z.  B.  Larentinus  [Fasiina) 
bei  Pirson  26;  papertad  C\l^  VI,  25741  (vgl.  sard.  päbaru)  und  (vor/) 
häufiges  nafragium  in  später  Zeit,  Schuchardt  II,  306 f.;  Form. 
Andecau.  15,  15. 

b)    Der  Diphthong  ei. 
i)       26     musivum  non  tnus{e)um 

204     musium  vel  musivum  ?ion  museum 
44     bravtum  non  brabium 

Das  gr.  ßgaßsiov  findet  sich,  abgesehen  von  den  Glossen,  nur 
zweimal  bei  nicht  christlichen  Schriftstellern  —  Script,  bist.  Aug. 
Capit.  Verus  6,  5;  Schol.  ad  Horat.  Ars  417  — ,  so  dafs  erst  durch 
die  Bibelübersetzungen  —  Ital.  I.  Kor.  9,24,  Phil.  3,  14  —  das 
Wort  in  die  römische  Literatur  und  Sprache  kam.  Auch  deshalb 
kann  App.  kaum  vor  dem  Ende  des  zweiten  Jahrhunderts  verfafst 
worden  sein.  Belegt  sind  bravium  und  brabtuvi  —  das  1  in  bravlum 
ist  gesichert  durch  Hymn.  Ambros.  II,  72,  25;  Ps.  Prosp.  carm.  de 
provid.  663;  unrichtig  Thes.  L.  L.  Sp.  2153,  29  — ,  während  ver- 
einzeltes brabeum  bei  Piudent.  peristeph.  5,  538 :  solus  brabei  duplicis 
nnr  (künstliche)  Anlehnung  an  ßQaßstov  ist.  Mit  Unrecht  haben 
deshalb  Foerster,  Uilmann  184  und  Heraeus  non  brc(beu?/ij  ge- 
schrieben. Wie  schon  oben  §  3  a  erwähnt  wurde,  sind  t£).covhüv, 
aQXsTov  und  ßgaßsiov  erst  zu  einer  Zeit  übernommen  worden, 
als  gr.  ei   wie    t    gesprochen    wurde.     Da    aber   in  den  demgemäfs 


^  Vgl.  Macenas  =  Maecenas  CIL  VI,  4610. 


64 

entstandenen  Formen  [ielonium),  arcJün?n  (Fronlo  p.  i6,  i6N.  usw.) 
und  brabium  -tum  ungeläufige  Endung  war,  wurde  zu  (ielomum), 
archlvum  und  bravium  umgebildet.  Bravium  und  brahiiwi  waren 
wohl  beide  in  der  Umgangssprache  gebräuchlich ;  vgl.  Schol.  Horaz, 
ars  417*  solet  dicere  is  qui  bravium  tenet  :  qiii  prio?-  vetierit,  bravio 
donabitur,  andererseits  brabium  in  Glossen  1,  auch  in  den  Formen 
brabrium  (IV,  487,  35)  und  brabirium  (IV,  25,  7).  Viel  häufiger  ist 
aber  bravium  und  dementsprechend  billigt  es  App.  Über  brabnim 
[bravium)  als  circensisches  Wort  s.  Pollack  RE  s.  v. 

Da  auch  ijiuseum,  musiiim  und  musiimvi  'Mosaik'  erst  seit  dem 
2.  Jhdt.  —  zuerst  (intiseuvi)  CIL  VIII,  993  in  einem  für  die  diva 
Plotina  errichteten  Tempel  —  belegt  sind,  stammen  sie  ebenfalls 
aus  dem  Griechischen,  obwohl  novOiXov  'Mosaik'  erst  spät  bei 
Schriftstellern  vorkommt,  welche  es  aus  dem  Lateinischen  über- 
nommen haben  (Blümner  Technologie  III,  327),  sodafs  gr.  ^«ovöfror 
vielleicht  zuerst  lokal  beschränkt  gewesen  ist.  Auf  Afrika  könnte 
das  dort  nicht  seltene  museum  führen,  s.  aufser  CIL  VIII,  993  auch 
13232  und  2657  [vitisaeo).  Deshalb  aber  auf  afrikanische  Herkunft 
der  App.  zu  schliefsen  wäre  verfehlt,  da  sie  gerade  inuseiim  ver- 
urteilt und  musium  (s.  aber  unten,  belegt  Script.  Hist.  Aug.  Spart. 
Pesc.  Nig.  6,8)  oder  musivtim  (Orelli-Henzen  3323:  opere  mmivo; 
Augustin.  cd.  16,8)  billigt.  Museum  wird  wegen  des  schon  vor- 
handenen museum  'Musensitz'  mit  Recht  verurteilt.  MovOelor  wurde 
zuerst  zu  musium,  dann  zu  musivum  (vgl.  archivum),  das  kaum  zuerst 
Adjektiv  {inusivum  opus)  war,  und  zu  museum.  Dafs  nicht  zufällig 
ältere  Beispiele  für  das  Wort  fehlen,  zeigten  indirekt  Stat.  Silv.  i, 
5,  42 — 43,  Plin.  n.  h.  36,  189;  Sen.  ep.  8ö,  6,  welche  die  Sache 
berühren,  aber  das  Wort  nicht  gebrauchen.  Ob  in  n.  204-  die 
Worte  musmm  vel  App.  gehören,  ist  nach  der  Ablehnung  von 
brab'ium  sehr  zweifelhaft;  auch  verstofsen  sie  gegen  die  Sitte  nur 
eine  Form  als  die  anerkannte  zu  erwähnen;  andererseits  mufs  der 
Zusatz  alt  sein  angesichts  des  seltenen  musium,  auf  das  ein  viel 
späterer  Fälscher  nie  verfallen  wäre. 

2,  222  nescioubi  iion  nesciocube.  Nach  Sommer 2  149  erfolgte 
die  Kürzung  des  ausl.  -ei  in  ubei  usw.  zur  Zeit,  als  es  zu  -e  ge- 
worden war;  das  Resultat  sei  ein  bald  -e  bald  -i  geschriebener 
Mittellaut  gewesen,  vgl.  neben  sibi,  quasi,  ubi,  heri:  sibe,  quase,  übe, 
here  (schon  Plaut.  Mil.  59)  usw.  —  Da  Plautus  im  An(In)laut  noch 
ei  und  i  unterscheidet  (Truc.  262),  andererseits  schon  häufig  ubl, 
mihi,  sibi  mifst,  so  mufs  man  jedenfalls  annehmen,  dafs  im  Auslaut 
dieser  oft  pro(en-)clitisch  sich  anlehnenden  Vokabeln  früher  als 
sonst  (im  In-  und  Anlaut)  das  ei  gekürzt  wurde.  3  Dann  brauchen 
wir    aber   nicht   bei    dem   Wandel    «"  >  ?  >  f  stehen   zu  bleiben, 


1  Auch  bradium  ist  bezeugt. 

2  Und  IX,  6281,  Treb.  Poll.  trig.  tyr.  15,  4. 

'  Bestätigt  wird  diese  Annahme  durch  frühes  Diove,  Honore  =  Diovi, 
Honori  (CIL  P,  607,  20.  31  [217  v.  Chr.]),  wo  das  e  <<  ei  ebenfalls  im  Auslaut 
steht,     ore  =  ori  Properz  4,  8,  10  lälst  sich  nicht  beseitigen. 


sondern  dürfen  glauben,  dafs  schon  zur  Zeit  des  Plautus  im  Aus- 
laut der  genannten  Wörtchen  der  Lautwandel:  (?/  ]>  ^  >■  Z  >  7 
sich  vollzogen  hatte.  Das  ausl.  /  wurde  dann  in  derselben  Weise 
zu  e,  wie  in  dem  ebenfalls  sich  anlehnenden  inagis  >  magi  (Leo 
Plaut.  Forsch. 2  294)  >  mage.  Tibe  steht  schon  CIL  12,  10  in  dem 
dritten  Scipionengedichte,  tibe  bei  Willmanns  1619  (65  n.  Chr.), 
CIL  VI,  9659,  IX,  3895.  Für  die  Kaiserzeit  vgl.  Quintil.  i,  4,  8; 
7,  24:  ^ sihe^  et  'quase'  ,  .  .  Livium  ita  his  usum  ex  Pediano  comperi, 
qui  et  ipse  eiiin  sequebatur  (aber  bei  Asconius  niemals  überliefert, 
Stangl,  Cic.  Oral.  Schol.  p.  19,9).  —  Das  c  ist  nach  sicubi,  necubi  usw. 
irrtümlicherweise  in  der  Volkssprache  eingeschoben.  Ed.  Hermann 
GGN  1918,  134 f.  glaubt,  dafs  aus  fälschlich  getrenntem  sic-ubi, 
nec-iibi,  alic-ubi  erst  sekundär  tibi  (statt  ciibi  <C  qifubi)  entstanden 
sei.  Aber  das  römische  Sprachgefühl  konnte  nur  in  ali-cubi  (vgl. 
aliquis,  aJiter,  Sommer  Erläut.  69)  zerlegen  und  empfand  in  sicubi 
und  necubi  der  Bedeutung  entsprechend  sicher  die  Kraft  von 
si  und  7ie. 

C.   Halbvokale. 
§11. 


14 

vaciia  non  vaqiia 

40 

coqui  non  coci 

'5 

vacui  ?ton  vaqiii 

27 

exequiae  non  execiae 

38 

coqus  non  cocus 

37 

eqiis  non  ecus 

39 

coquens  non  cocens 

208 

februarins  non  febrarius 

In  der  Endung  -uus  ist  nacl:  Konsonant  das  unbetonte  Hiatus-« 
schon  früh  in  der  Umgangssprache  zu  11  geworden  und  dann  ver- 
flüchtigt. Das  alte  aedilumus  —  \g\.  finitimus,  maritimus  —  ist  erst 
seit  Livius  in  der  Form  aediluus  wirklich  bezeugt  und,  wie  Varro 
(Gell.  N.  A.  12,  10,  4)  sah,  volksetymologisch  (aedem  tueri)  umgebildet 
worden;!  aber  schon  CIL  X,  6638c,  28  (44  n.  Chr.)  ist  aeditus  belegt. 
Morlus  steht  schon  CIL  IV,  3129:  cadaver  mortus  =  c.  viortuum', 
sogar  der  Dichter  Germanicus  erlavrbt  sich  v.  317  zweisilbiges  ardmun; 
i\xx  pe?petus,  innocus  s.  Corssen  II,  7 12.  So  wurde  in  der  Umgangs- 
sprache auch  vacus  gesprochen,  das  M.-Lübke  Wb.  91 15  für 
marchisanisches  vago  zugrunde  legt  wie  voc(u)us  für  italische 
Dialekte  und  sp.  hueco,  pg.  oco  mit  fehlendem  v  vor  0.  Erst  ana- 
logisch konnte  bei  Adjektiva  auch  in  Femininum  das  u  schwinden, 
und  es  ist  interessant  zu  beachten,  wie  App.  zeigt,  dafs  zu  ihrer 
Zeit  sich  diese  analogischen  Bildungen  noch  nicht  durchgesetzt 
hatten,  sondern  noch  vaqtia,  vaqiä  gesprochen  wurde;  andererseits 
war  wohl  schon  vacus  in  der  Umgangssprache  üblich,  weil  sonst 
App.  die  Normalform,  das  Mascul.  Sing,  vaquus,  nicht  allein  das 
Femin.  Sing,  und  Mask.  Flur.,  als  Beispiele  für  cic-  >  qu-  angeführt 
hätte  (vor  Schwund  des  ii  sollte  nicht  hier,  sondern  erst  später 
gewarnt  werden).  Dieselbe  Warnung  steht  auch  bei  Albinus 
GL  VII,  296,  7K.:    vacuus  per  c  non  per  q  scribendum  est,    nur  dafs 

'  Umgekehrt,  aber  kaum  richtig  Aistermann,  de  M.  Val.  Probo  1910,110, 
Baehrens,  Sprachl.  Kommentar  zur  Vulgärlat.  Appendix  Probi.  c 


66 

hier  ohne  Berücksichtigung  der  lebendigen  Sprache  das  Maskulinum 
angeführt  wird. 

So  entstand  auch  früh  relicus  (CIL  VIII,  2728,  9  um  148  n.  Chr.) 
und  danach  analogisch  reliciae  VI,  4999.  Execiae  kann  sehr  wohl 
reliciae  nachgebildet  worden  sein  —  beide  neue  Formen  setzen 
den  gutturalen  /(.'-Laut  voraus  — ,  und  wir  brauchen  nicht  mit 
M.-Lübke,  Groeb.  Grundr.2  475  anzunehmen,  dafs  extqiae  {execiae) 
aus  exequiae'^  sich  entwickelte:  '^ülaciare  und  *laceus  <C  illaqueare 
und  laqueus  können  durch  das  sinnverwandte  illicio,  das  durch 
Rekomposition  zu  *illaciv  wurde,  beeinflufst  worden  sein  und  sich 
schliefslich  durchgesetzt  haben.  —  vgl.  noch  Papirian  bei  Cassiod. 
VII,  158,  15  K.:  reliciae  et  relicui  per  c  scribehaiitur  ...  ut  relicuus 
, .  .  at  nunc  reliqtciae  et  exequiae per  q  scribuniur',  Albinus  VII,  300,  26. 

In  equs  non  ecus  beansprucht  auch  die  gebilligte  Form  Interesse; 
wichtig  ist  Serv.  Dan.  ad  Georg.  I,  12:  antiquissimi  lihri  '■aquam^ 
plerique  hahuerunt  .  .  .  sed  melius  'equuvi^  ...  in  Com.  ^equvi\  in 
aulhentico  'aquam\  ipsius  manu  'equm\  Ribbeck  Proleg.  442.  Den 
Grund  für  diese  orthographische  Schreibung  geben  Ter.  Scaurus 
VII,  12,  1 1  K.  und  Velius  Longus  VII,  58,  11;  59,  4K.  aus  Hadri- 
anischer  Zeit,  z.  T.  implicite,  an:  da  nach  vielen  Grammatikern 
7iu  immer  zweisilbig  zu  sprechen  sei,  ohne  dafs  sie  sich  die  konso- 
nantische Kraft  des  ersten  u  in  uulgus,  equus ,  seruus  (=  servus) 
überlegten,  hätten  sie  die  Schreibungen  volgus,  equos,  servos  (und 
equs)  eingeführt.  Diese  Ansicht,  welche  Scaurus  und  Longus  be- 
kämpfen, vertritt  nun  aber  Cornutus  bei  Cassioder  VII,  150,  5  K.: 
alia  sunt  quae  per  duo  u  scribuntur,  quibus  numerus  quoque  syllaharum 
crescit.  similis  enim  vocalis  vocali  adiuncta  non  solum  non 
cohaeret,  sed  etiam  syllabam  äuget,  ut  vacuus  .  .  .  eade)n  divisio 
vocalium  in  verbis  .  .  .  acuunt,  dessen  Standpunkt  der  Cornutus  auch 
sonst  benutzende  Papirianus  (Cassiod.  161,  4  K.)  ebenfalls  erhalten 
hat:  vulgus,  vultum  .  .  .  sunt  qui  putant  per  duo  u  scribi  no7i  debere, 
quod  similis  vocalis  vocali  adiuncta  non  solum  non  cohaereai,  sed 
etiam  syllabain  augeat  usw.  Cornutus  schrieb  nur  vacuus,  acuujit,  aber 
nicht  uulgus,  uultum  und  ebensowenig  wie  App.  equus,  sondern  equos 
oder  equs,  weil  jedes  geschriebenes  2iu  zweisilbig  sei!  Es  ist  also 
sehr  wohl  möglich,  dafs  bei  Serv.  Dan.  ad  G.  I,  12  Cotn."^  nicht  in 
Corneliani  (vgl.  Schol.  Bern,  zu  Georg.  IV,  87,  120,  175),  sondern  in 
Cornuti  aufzulösen  ist.  Equs  steht  z.B.  CGI.  IV,  336,  36;  ecus  in 
Versen  z.  B.  CIL  VIII,  16566,  8;  XIV,  391 1,  6.  Auch  hier  gibt  App. 
eine  Vulgärform,  aber  nicht  diejenige,  welche  dem  Romanischen  zu- 
grunde liegt;  dort  blieb  nur  equa  erhalten,  während  eqmis  durch 
caballus  ersetzt  wurde. 

Aus  den  Worten  des  Velius  Longus  VII,  79,7:  cocum  no7inulli 
in  utraque  sylldba  per  '17'  scribunt,  7i07inulli  et  inserta  («).  in  ,verbo 
etiam  'quoquere^  per  'quo\    Nisus  censet  ubique  V  ...  ponendam  tarn 


1  torcere  <^  torqiiere  (ALL  6,  127)  bleibt  aufser  Betracht. 

2  Nichts  darüber  bei  Reppe,  de  L.  Annaeo  Cornuto,  Diss.  Leipzig  1906. 


:67 

in  nomine  quam  in  verbo,  quod  mihi  nimium  videiur  exile.  nam  sicut 
non  est  prima  syllaba  oneranda,  sie  sequens  videiur  explenda,  der  nach 
den  Schlufsworten  coquus  zu  bevorzugen  scheint,  ergibt  sich  das  Be- 
streben die  beiden  silbeanlautenden  Konsonanten  auszugleichen. 
Wahrend  quoquus,  quoquere  in  Hss.  bezeugt  sind  (vgl.  Quint.  6,  3,  47), 
sind  cocus  und  cocere  häufiger;  nachdem  coquu's  zu  cocus  geworden 
war,  hat  sich,  durch  die  erwähnte  Tendenz  der  Ausgleichung 
im  Silbenanlaut  begünstigt,  analogisch  auch  cocere  und,  wie  App. 
zeigt,  auch  cocens,  coci  durchgesetzt,  vgl.  it.  cuocere,  frz.  ciiire  usw., 
M.-Lübke  Wb.  2212.  Lehrreich  für  den  assimilierenden  Einflufs 
des  ersten  c  ist  der  Gegensatz  zwischen  H'acus,  vaqua,  vaqui  — 
s.  oben  —  und  cocus,  cocens,  coci.  Cocens  ist  CGI.  III,  140,  68  f!.  be- 
zeugt. App.  billigt  auch  hier  aus  grammatischer  Erwägung  (tiu  sei 
immer  zweisilbig)  coqus,  nicht  coquus. 

Über  febricarius  und  den  Schwund  des  it  nach  -br-  vor  betonter 
Silbe  wurde  §  3  g,  7  c  gesprochen.  Februarius  ist  z.  B.  CIL,  III,  8690, 
VIII,  23061  u.  ö.  bezeugt.  Für  die  Datierung  ist  wichtig  CI 
IV,  4983:  XV  K  febrares,  aus  der  Zeit  vor  79  n.Chr.  Interessant 
ist  febroarius  Xu,  936,  3509;  Inscr.  Dittenb.  Syll.  315,  das  sich  wohl 
mit  dem  §  7  c  angeführten  sobreus  (vgl.  auch  osteum  §  5  b)  direkt 
vergleichen  läfst,  in  dem  Schwund  des  i  —  ^sobrtim  wird  durch 
sober  {suber)  vorausgesetzt  —  durch  erneute  Vokalisierung  nach 
der  Richtung  des  e  hin  vorgebeugt  wurde;  in  ähnlicher  Weise 
entstand  febroarius. 

D.    Konsonantismus. 
§  12.    Ferndissimilation,  Fernassimilation  und  Verwandtes. 

16  cultellum  non  cuntellurn  45  pancarpus  non  parcarpus 

77  flagellum  non  frag ellwri  180  frustum  non  frustrum 

125  terehra  non  teleira  209  clatri  non  cracli 

147  meretrix  non  menetris  216  necne  non  necnec 

166  obstetrix  non  opsietris) 

Einige  Literatur  sei  schon  hier  angegeben:  Grammont,  la 
dissim.  conson,  dans  les  lang,  ind.-europ.  1895.  —  Hoffmann-Krayer, 
Ferndissim.  von  r  und  /  im  Deutschen  =  Festschr.  z.  49  Philo- 
logenvers. Basel  1907,  141.  —  R.  Meringer  und  K.  Meyer,  Ver- 
sprechen und  Verlesen  1895;  R.  Meringer,  Aus  dem  Leben  der 
Sprache  1908.  —  Brugmann,  Das  Wesen  der  lautl.  Dissimil.  = 
Abh.  Sachs.  Ges.  d.  Wiss.  1909,  139.  —  Nachmanson,  Beitr.  z.  Kenntn. 
der  altgr.  Sprache,  Uppsala  19 10.  —  Hauptarbeit:  E.  Schopf,  Die 
konson.  Fernwirkungen  usw.  =  Forsch,  z.  gr.  und  lat.  Gramm.  5,  19 19 
mit  Literaturangaben. 

Im  Gegensatz  zu  der  häufigen  Assimilation  und  Dissimilation 
unmittelbar  nebeneinander  stehender  Konsonanten,  bei  der  nur 
lautphysiologische  Vorgänge  sich  abspielen,  kommen  bei  der  sogen. 
Fernassimilation  und  -dissimilation  auch  psychologische  Faktoren 
in   Betracht.      Ohne    weiteres   verständlich    sind    die   progressive 

5* 


6B 

Fernassimilation  und  -dissimilation  —  letztere  ist  ziemlich  selten  ^, 
welche  den  folgenden  Konsonanten  an  einen  verwandten,  schon 
gesprochenen  assimiliert  {Mcne/avos  >  Memelavos  CIL  XI,  6700,  158  b) 
oder  durch  einen  gleichen  vorhergehenden  Laut  dissimihert:  prora 
^  proda  (s.  u.).  Etwas  schwerer  zu  verstehen  sind  dieselben  Er- 
scheinungen regressiver  Art.  Da  die  Artikulationsmasse  sich 
simultan  an  denjenigen,  der  sie  sprechen  soll,  herandrängt,  ohne 
dafs  die  einzelnen  Laute  schon  klar  geordnet  sind,  so  kann  ein 
später  folgender  Konsonant  —  eventuell  an  einer  entsprechenden 
Stelle  der  vorhergehenden  Silbe  —  antizipiert  werden  um  einen 
lautphysiologischen  verwandten  Konsonanten,  der  vorhergeht,  zu 
ersetzen.  Meistens  tritt  dann  durch  Metathesis  der  vertriebene 
Konsonant  an  die  Stelle  des  anderen  —  po.ludem  >  padulem, 
Schopf  183  — ,  während  nur  in  Sprech-  oder  Schreibfehlern  wie 
pululenta  <[  punilenta  Pelagon.  §  209,  Atenororus  =  Aihenodoriis 
Eph.  Ep.  Vin,  p.  102,  n.  385  (ad  CIL  X),  6  usw.  eine  wirkhche 
Assimilation  eintritt.  Aber  der  Redende,  im  Begriff  einen  Konsonanten 
auszusprechen,  kann  auch  schon  durch  das  halb  unbewufste  Emp- 
finden geleitet  werden,  dafs  er  denselben  Laut  an  einer  späteren 
Stelle  innerhalb  dieses  Wortes  verwenden  mufs,  und  ihn  deshalb 
an  der  ersten  Stelle  in  einen  lautphysiologisch  verwandten  umwandeln. 
Diese  Erscheinung  der  regressiven  Dissimilation,  welche  im  Vulgär- 
latein häufig  war,  konnte  am  ehesten  dann  eintreten,  wenn  der 
spätere  Konsonant,  welcher  vom  Redenden  vorempfunden  wurde, 
in  der  betonten  Silbe  stand;  ist  es  doch  die  akzentuierte  Silbe, 
nach  welcher  die  Aussprache  eines  Wortes  hindrängt  (s.  §  2  a)  und 
welche  der  Sprechende  antizipiert.  Diese  allgemeine  Erwägung 
wird  durch  das  beschränkte  Material  in  der  Tat  bestätigt  und 
verdient  auch  deshalb  eingehender  Betrachtung,  weil  der  Einflufs 
der  Betonung  trotz  der  Hinweise  Grammonts  und  Hoffmann-Krayers 
von  Schopf,  dessen  Verdienste  ich  nicht  zu  schmälern  beabsichtige, 
nicht  berücksichtigt  wurde.  Der  vielgeschmähte  Satz  Grammonts 
(186):  Ma  dissimilation  c'est  la  loi  du  plus  fort'  hat  auch  für  das 
Latein  eine  gewisse  Berechtigung,  wenn  wir  nicht  von  einem  Gesetz, 
sondern  von  einer  gewissen  Tendenz  reden.  Niedermann,  Mel.  de 
Saussure  igo8,  66  erklärt  die  doppelte  Dissimilation  von  meretrix 
^  meletrix,  menetrix  und  terehra  ]>  telehra,  tenehra  so,  dafs  in  be- 
tonter Silbe  meretrix  zu  menetrix  wurde,  in  unbetonter  dagegen 
meretricis  zu  meletricis,  wie  peregrinus  zu  pelegrimis;  wir  werden  zu 
einer  anderen  Auffassung  gelangen.  —  Wie  schon  aus  einer 
Musterung  des  gesicherten  Materials  bei  Schopf  sich  ergibt,  werden 
—  abgesehen  von  dem  absoluten  Anlaut  (s.  u.)  —  nur  ;-  und  / 
durch  regressive  Dissimilation  getroffen.  Das  Material  für  / — /> 
r,  n — /  und  r — r  >  / — r  umfafst: 

a)    fragellmn  <<  flagelbcm,  s.  u.  conucella  <C.  colucella,    danach 

I  curtellus  <C  cultillus  conuc(u)la 

\cuntillum(s)  <Ccultellum(s)'&.w.  naviUiim  <,  labelhwi    (nur  in 

scarpHhim  <  scalpellum  ■         Mittellatein) 


69 

b)     palafredus  <C  para/redus  *lelebrdre  -<  lerehrdre 

pelegrinus  <i  peregriniis  hilrica  <C  riihrica 

*mektrms  <^  mereticis  i 

Aufser  diesen  beiden  Gruppen  kommen  nur  noch  in  Betracht  ^ : 
plurigo,  plurire  <C  prurigo,  prurire,  lordndrum  <<  rordtidrum,  albcrga 
<^  ahd.  heriberga,  Zwischenform  '* arber ga.  —  Aufserdem  nur  das 
gall.  Lehnwort  vcltragus  ■<  verlragus,  dlbor  <C  drhor  (Glegörius  << 
Gregor  ins  Schopf  82)  und  grändula  <[  gldndula. 

Da  sämtliche  dissimilierten  Formen  der  Gruppe  a,  mit  Aus- 
nahme von  navellum,  allgemein -romanisch  sind  —  s.  Groeber,  ALL 
I,  551,  M.-Lübke,  Wb.  3347,  2381,  7642,  2061  —  und  im  Vulgär- 
latein festen  Boden  gewannen,  so  konnte  dort  das  /  der  unbetonten 
Silbe  in  jeder  Stellung  zu  r,  n  dissimiliert  werden  3  durch  das 
lange  (doppelte)  /  des  betonten  festen  Suffixes  -ellus  {-ni,  -d),  welches 
sich  als  der  das  ganze  Wort  charakterisierende  Teil  den  Redenden 
beim  Aussprechen  der  ersten  Silbe  schon  aufdrängte.  —  Auch  in 
der  Gruppe  b  sind  die  Dissimilationen  allgemein -romanisch  ge- 
worden, M.-Lübke,  Wb.  6231,  6406,  5523  —  mit  Ausnahme  der 
zwei  letzten.  Das  anl.  r  einer  unbetonten  Silbe  konnte  also  durch 
das  /'  der  folgenden,  betonten  Silbe  zu  /  dissimiliert  werden,  wenn 
dieses  r  durch  einen  vorhergehenden  Konsonanten  derselben  Silbe 
gestützt  wurde  und  so  besonders  hervorgehoben  dem  Sprechenden 
schon  vorschwebte.  Die  Dissimilation  zu  /  tritt  nur  zwischen  gleichen 
Vokalen  auf:  wie  das  vokalhaltige  /  die  umgebenden  Vokale 
assimilieren  konnte  (§  3  a),  so  ist  anscheinend  am  ehesten  zwischen 
gleichen  Vokalen  r  zu  /  geworden. 

In  plurigo,  lordndrum,  alberga  hat  ebenfalls  ein  Konsonant  der 
betonten  Silbe  denselben  Laut  der  unbetonten  dissimiliert.  Dagegen 
ist  nur  in  drei  Vokabeln,  von  denen  vellragus^  als  Fremdwort 
weniger  in  Betracht  kommt,  das  r  der  betonten  Silbe  umgewandelt 
worden.  Aber  wir  dürfen  für  albor  <C  arbor  (CGI.  III,  559,  43 ; 
M.-Lübke,  Wb.  606)  nicht  mit  Grammont  22  und  Schopf  83,  3 
Einflufs  von  albus  annehmen,  auch  nicht  grändula  <  glandula  'ge- 
schwollene Druse'  mit  volksetymologischer  Anlehnung  an  vulgäres 
grandis  erklären.  Denn  in  arbor  wird  das  betonte  r,  das  übrigens 
am  Ende  der  Silbe  weniger  kräftig  war  (Kretschmer,  Glotta  I,  48), 
durch  das  r  des  festen  Suffixes  -or  dissimiliert,  das  sich  an  den 
Redenden  sofort  herandrängte  und  auch  die  betonte  Silbe  affizierte.^ 
Dieselbe  dissimilierende  Kraft  übte  auch  das  /  des  festen  Suffixes 
-ula  in  glandula',  grändula  ist  übrigens  nur  in  Hss,  des  Pelagonius 
überliefert. 


1  Mit  *  wird  angedeutet,  dafs  die  Dissimilation  vielleicht  in  diesen 
Formen  zuerst  auftrat. 

"^  flagrare  -^fragrare  und  fraglare  <ifragrare  (Schopf  8 1)  lasse  ich 
bei  Seite. 

^  conucella  und  conuc(u)la  können  durch  conus  beeinflufst  sein. 

*  Vgl.  aus  dem  vorhist.  Latein  culter  <^cert  -ros,  Skutsch  B.  B.  22,126. 

^  Vgl.   Glegörius  <C.  Gre^örius  und  vorhist.  cärmen  <C  canmen  usw, 


70 

Eine  Hauptrolle  spielt  nach  dem  Gesagten  der  Akzent;  fast 
nur  ein  Konsonant  der  betonten  Silbe  dissimiliert  und  auch  dieser 
meistens  nur  unter  sehr  günstigen  Bedingungen,  nämlich  wenn  er 
durch  einen  anderen  Konsonant  gestützt  wird  oder  in  dem  festen 
Suffix  -ellus  steht.  Die  Wirkung  einer  festen  Endung  zeigt  sich 
auch  darin,  dafs  anscheinend  nur  sie  eine  betonte  Silbe  ausnahms- 
weise beeinflussen  konnte. 

Ein  ganz  anderes  Bild  zeigen  die  bisher  übergangenen  Formen 
nespula  <^  viespula,  ndffa  <|  *ndppa  <]  mäppa,  nilhiis  <I  milvus,  welche 
vulgärlateinisch  und  allgemein-romanisch  sind  (M.-Lübke,  Wb.  5540, 
5342,  5904);.  hinzuzufügen  \\ü.re  masiiircmn  -<  nastürciiun,  Solmsen, 
Rh.  Mus.  56,  499.-  Im  Gegensatz  zu  den  behandelten  Fällen  sind 
der  dissimilierende  und  dissimilierte  Konsonant  nicht  gleich,  sondern 
der  kräftigere  und  durch  vorhergehenden  Konsonant  gestützte  Labial 
(/),  V)  affiziert  den  schwächeren  (;;/),  welcher  aufserdera  im  absoluten 
Anlaut  steht;  leicht  konnte  unter  diesen  Umständen  ein  Konsonant 
der  unbetonten  Silbe  die  betonte  beeinflussen.  Auch  im  Vulgärlat. 
cinqice  <<  quinque  konnte  eine  Erleichterung  der  beiden  Doppel- 
konsonanten nur  im  absoluten  Anlaut  vor  sich  gehen,  da  die  Endung 
-que  unantastbar  war.     Auch  schwindet  nur  ein  u. 

Die  progressive  Dissimilation  ist  seltener.  Beachtenswert  ist 
die  Tatsache,  dafs  nur  konsonantisch  gestütztes  r  zu  /  wird  — 
crihlum,  crihlo'^,  fraglo  — ,  während  freies  r  zu  d  dissimiliert  wird, 
vgl.  proda  «<  prora  (ALL  IV,  449),  prüdere  ■<  prurire  (IV,  450), 
radum  <<  rarum,  porfiduiii  <C  porfirum  (Grammont  66).  —  Für  die 
Labiale  kommen  nur  pdlfehra  •<  palpchra  —  so  ist  ausnahmsweise 
zu  betonen,  M.-Lübke,  Wb.  6176  - —  und  bläsiejiia,  äre  <  bldsphe?na, 
-dre  in  Betracht;  d.  h.  von  drei  Labialen  wurde  der  mittler^  durch 
den  ersten  (und  nebenbei  durch  den  dritten)  dissimiliert.  Eine 
andere  Umwandlung  zeigt  palpeira,  das  Charis.  I,  105,  14  K.  schon 
für  Varro  belegt  und  auch  sonst  vorkommt,  s.  Schopf  120,  M.-Lübke, 
Wb.  6176,  2.  Dagegen  verdankt  molii(i)meniinn  ■<  vionit(i)mentum 
CIL  VIII,  2269,  11480  b  sein  /  vielmehr  volksetymologischer  An- 
lehnung an  violes;  entstand  doch  auch  das  verbreitete  muniinetiium 
durch  Einwirkung  von  mimiis  und  maesoleum  (CIL  VI,  2120),  misoleiwi 
(XIII,  2/[g^)  =  mausoletim  durch  Einflufs  von  maestus  und  miser, 
da  eine  karische  Form  MatöOcoXXoQ  neben  MavOGcolAoa  —  vgl. 
Aüßgasröog  neben  ÄaßQavvöoq  — ,  von  der  wir  nichts  wissen, 
sich  kaum  ins  Lateinische  hätte  retten  können  (so  Kretschmer, 
Gesch.  gr.  Spr.  327)  und  aufserdem  7?usoleum  unerklärt  bliebe. 

Gehen  wir  jetzt  zu  den  Beispielen  der  App.  über,  so  fügen 
sich  diese  leicht  in  die  Gruppen  a  und  b  ein.  Das  verworfene 
amtellum,    das   nur    noch    in   ital.  Dialekten  (M.-Lübke,  Wb.  2381) 


^  Auch  im  Span,  niembro  usw.  ist  das  erste  m  nicht  durch  das  zweite  /«, 
sondern  durch  das  b  dissimiliert  worden,  anders  Bruch,  Arch.  f.  d.  St.  d,  n. 
Spr.  NF.  33,  191S,  36. 

*  Oder  zuerst  in  cribräre  mit  dreifachem  r} 


71 

fortlebt  und  das  durch  Dioskorides,  Rom.  Forsch.  X,  413,8  wie  im 
Romanischen  erhaltene  curtellus  (vulg.-ital.  cortello,  M.-Lübke,  2381) 
konnten  auch  deshalb  leicht  entstehen,  weil  silbenausl.  /  vor  Kon- 
sonanten häufig  zu  u  wurde  und,  wenn  ein  u  vorherging,  kaum 
gesprochen  wurde.  Neben  ducissim  und  sepuchru,  CIL  VI,  13170, 
1734g    finden    wir    auch    cuier  ■=  culier    und    cutellum   belegt,    CGI. 

III,  530,  42.  43.  Die  Dissimilation  in  cuniellum,  welche  durch  fra- 
gellum  und  conucella  usw.  als  solche  erwiesen  wird,  wurde  nur  sehr 
erleichtert  durch  die  schwache  Aussprache  des  /,  und  wir  können 
nicht  mit  Ernout  147  die  Dissimilation  leugnen  und  nur  phonetisch 
leichten  Übergang  von  -//-  zu  -;;/-  annehmen.  App.  billigt  neutr. 
cultellum  (z.B.  auch  Not.  Tir.  99,  12  und  in  Glossen),  während  Serv. 
ad  Aen.  6,  248  culiellus  nach  culier  verlangt. 

Für  die  weite  Verbreitung  von  fragellum,  das  z.  B.  CGI. 
I^  547>  Zö  iii  cod.  N.  von  erster  Hand  geschrieben  und  gebessert 
wurde,  zeugen  sowohl  spätgr.  (pQa'/tXÄLOv  —  W.  Schulze,  KZ  ;^t, 
(1895),  376;  Immisch,  De  gloss.  ital.  Hes.  373  — ,  wie  air.  srogell, 
akymr.  ff'rewyll  (Vendryes,  De  hibern.  vocab.  Paris  1902,  180),  so- 
dafs  die  Form,  obwohl  nur  im  Italienischen  erhalten  (Ullmann  205), 
im  Vulgärlatein  nicht  selten  war. 

Terebra  und  meretrix  sind  deshalb  besonders  wichtig,  weil  nur 
sie  eine  doppelte  Dissimilation  zeigen:  telehra,  teiielra  und  meletrix, 
menetrix.  Telehra  findet  sich  in  Hss.  (Bücheier,  Fleck.  Jahrb.  105,  1 1  2), 
tenehra  aufserdem  CGI.  III,  79,49  u.  ö. ;  menetrix  bezeugen  Nonius 
p.  423,  ilM. :    menetrices  a  manendo  diciae  sunt  und   Luxorius,  PLM 

IV,  528  B.  iiiwietris) ,  die  Ausdehnung  von  meletrix  zeigt  das  Ro- 
manische, afrz.  meautris,  prov.  meltritz  usw.  Da  die  Dissimilation 
r — r  >  n — r  nur  in  diesen  beiden  Vokabeln  auftritt,  welche  auch 
den  gewöhnlichen  Wandel  r  —  r  >■  / — ;-  aufweisen,  wie  er  in  pele- 
grinus  erscheint,  so  neigt  man  leicht  dazu,  tenehra  und  menetrix 
als  Formen  zu  betrachten,  welche  einem  besonderen  Grund  wie 
volksetymologischer  Anlehnung  ihre  Entstehung  verdanken.  In  der 
Tat  läge  für  tejtehra  'Bohrer'  eine  Beeinflussung  durch  teuere  nahe, 
vgl.  auch  sp.  tenedor  'Gabel';  wenn  aber  Heraeus  322  u.  a.  zur 
Erklärung  von  menetrix  eine  Umgestaltung  nach  manere  annehmen, 
das  auch  'übernachten'  —  W.  Schulze,  Graeca-Latina  22,  Loefstedt, 
Peregr.  Aeth.  76  —  und  gelegentlich  concumbere  bedeute  (Thielmann, 
ALL  III,  539),  so  ist  demgegenüber  scharf  hervorzuheben,  dafs 
manere,  das  mit  meretrix  lautlich  nichts  zu  tun  hat,  dieses  Wort 
unmöglich  hinsichtlich  eines  Konsonanten  hätte  beeinflussen  können : 
höchstens  wäre  ein  '^'manetrix  das  Resultat  gewesen.  Vielmehr  wurde 
menetrix  erst  ex  eventu  von  Grammatikern  wie  Nonius  mit  manere  in 
Zusammenhang  gebracht,  als  die  Form  längst  entstanden  war.  Viel- 
leicht wurde  bei  Eintreten  der  Dissimilation  meretrix  durch  eine 
Annäherung  an  das  anl.  m  auch  zu  menetrix.  Wahrscheinlich  ent- 
standen beide  Dissimilationen  zuerst  in  den  unbetonten  Silben  von 
meretricis  usw.  und  terebrdre;  möglich  wäre  auch  ihre  Entstehung 
j»  d^n  betonten  Silben  von  meretrix  und  terebra,  da  die  gestützten 


72^ 

Konsonanten    der   festen  Suffixe  -trix  und  -hra  auch  die  betonten 
Silben  affizieren  konnten,  s.  o. 

Regressive  Assimilation  ist  nur  selten.  Am  leichtesten  konnte 
sie  in  dem  von  App.  verworfenen  parcarpus  <<  pancarpus  vor  sich 
gehen,  wo  die  psychologisch  recht  verständliche  Neigung  zutage 
tritt,  zwei  Silben  eines  Wortes  mit  demselben  (Vokal  und)  Kon- 
sonant schliefsen  zu  lassen.  Ähnliches  wird,  da  es  in  der  Psyche 
der  Sprechenden  leicht  vorbereitet  wird,  immer  wieder  begegnen. 
Es  wäre  also  müfsig,  alle  Beispiele  zusammenzusuchen,  zumal  es 
ephemerische  Erscheinungen  sind,  welche  selten  oder  nie  allgemeine 
Aufnahme  fanden.  Vergleichen  lassen  sich:  pal/iier  =  pakr  CIL 
VI,  25707,  während  in  pa(s)ier  noster  (Meringer,  Verspr.  und  Verl. 
38)  die  Assimilation  von  noster  ausgegangen  ist;  ma{f)ter  VI,  26817  ; 
gr.  JSa{Q)TOQV&i?.oj  IG  IX,  II,  1163,2,  Nachmanson  37;  ^/»/(C'r 
TOvfQYpjöav  IG  II,  172  (Staatsdekret  aus  den  Jahren  340 — 332). 
Sehr  nahe  steht  Carpurm'us  CIL  VI,  14  153,  W.  Schulze,  KZ  33,  228  ; 
auch  im  Griechischen  findet  sich  KiiqjiovqviOu,  im  Spätgriechischen 
wandelte  sich  allerdings  silbenausl.  /  leicht  in  o  ura,  vgl.  dö&ocpöc 
u.  K.  Dieterich,  Unters,  zur  griech,  Spr.  107.  —  In  derselben  Weise 
entstanden  durch  progressive  Assimilation  Arie{r)iuisius  CIL  VI,  11915, 
Perpe{r)iua  XIII,  672g,  perpe[7-)tuorum  VIII,  i'j^i'].  Das  sozusagen 
symmetrisch  entstandene  doppelte  r  im  Silbenauslaut  ist  desto  be- 
merkenswerter, weil  anderseits  die  Wiederholung  der  litlera  canina 
im  starken  Silbenanlaut  gemieden  wurde,  vgl.  die  lange  erhaltenen 
Genetivi  liberum,  inferiim  (CIL  I'^,  1596)  =  liherorum,  mferorum, 
Wölfflin,  ALL  IV,  i ;  Sommer^  349.  Auch  bei  anderen  Buchstaben 
zeigt  sich  die  Silbenassonanz,  vgl.  VIII,  9377,9:  Delma{l)tarum; 
XI,  2893:  Äle{n)xandra\  VI,  32345,  3:  se(in)ptemvir',  hloCses  se{//i)p/e!n 
ist  vielleicht  nicht  belegt,  weil  es  in  der  Vulgärsprache  zu  sepie 
wurde  (Ihm,  ALL  VII,  67). 

Von  den  angeführten  Beispielen  iand  nur  gerade  parcarpus 
weitere  Verbreitung,  weil  es  ein  nicht  leicht  verständliches  Fremd- 
wort war,  dessen  gelegentlich  korrupte  Gestalt  von  anderen  über- 
nommen werden  konnte,  denen  die  richtige  Form  und  ihre  Be- 
deutung weniger  geläufig  waren.  Überliefert  ist  die  Form  bei 
Nonius  p.  264,  28  =  Varro,  Men.  567  im  Lugd.  prior:  parcarpineo 
(Heraeus,  ALL  XI,  64)  und  Osbern.  Panormia  p.  48  r :  partarpia  (so) 
Corona  ex  diver sis  florihus  parata,  vgl.  Fest.  p.  220,  20  M.  [paficarpiae). 
Die  wohlfeile  Etymologie  setzt  partarpia  voraus,  das  aber  nur  aus 
parcarpia  verschlechtert  ist. 

Auch  assimilatorischer  Lautzuwachs  ist  äufserst  selten  und 
ephemer;  er  tritt  ebenfalls  meistens  in  sozusagen  symmetrischer 
Form  auf,  vgl.  Oci{r)obres  {-ris)  CIL  X,  4531,  XI,  2872;  sl{r)uprari 
(Schopf  171);  c[f)edrae  Petron  38  und  progressiv  in  prist{r)is  = 
prisiis  'Walfisch'  (Ritschi,  Opusc.  11,  460  f.) ;  crGcod{i')illus  (Thes.  L.  L. 
s.v.);  strat{r)a  CGI.  III,  370,47;  prop{r)iTis  CIL  11,5439  (44  v.Chr.). 
Auch  dr)etariae  iabernae  (Caper,  GL  VII,  108,  13K.)  ist  zu  ver- 
gleichen.    Den   vorgeführten  Neubildungen  entsprechend  tritt  auch 


7?> 

in  dem  von  App.  verworfenen  frust{f)um  das  eingeschobene  r  dem 
Schriftbild  nach  symmetrisch  auf,  vgl.  gr.  y^Q^ifiT^Q)!],  Nachmanson  39 
(für  den  symmetrischen  Lautzuwachs  im  Griechischen  vgl.  auch 
{)^VQO'/c{?.)iyx?.ic  KZ  33,  9  u.  ö.).  Die  Verbreitung  von  frust{r)um 
wurde  auch  durch  die  Entstehung  des  beliebten  Suffixes  -trum  be- 
günstigt, vgl.  I.  O.  483  :  (pQedT{Q)cov.  Auch  ohne  vorhergehendes  r 
entwickelte  sich  die  Endung  -/{r)a  in  haUist{t')a,  gemsi{r)a  (Nieder- 
mann, Glotta  1,262,  aber  auch  Herbig  I.  F.  37  [1916/17],  172) 
und  culcitra  =  ciilcita  —  sp.  colcedra,  it.  coltrice  — ,  das  schon 
bei  Petron  38  in  einem  Gespräch  vorkommt.  Vielleicht  ist  bei  ihm 
(c.  66)  auch  friistnivi  richtig  in  H  überliefert.  Später  finden  wir 
der  Bedeutung  entsprechend  häufig  den  Plural  frustra  =  frusta 
(Ribbeck,  Prol.  Verg.  443,  Geyer,  ALL  VIII,  480),  ohne  dafs  nach 
dem  Gesagten  Einflufs  des  Adverbs  stark  gewirkt  zu  haben 
braucht. 

Nur  die  umgekehrte  Erscheinung,  der  Ausfall  des  zweiten  r, 
hat  auch  im  Romanischen  Spuren  hinterlassen,  vgl.  ait.  rum.  frate 
(Schopf  150);  it.  prop(r)io,  sp.  propio,  propiedäd;  sp.  cribar,  criba- 
dor  usw.  Auch  die  (regressive)  Dissimilation  fanden  wir  dem- 
entsprechend häufig  im  Romanischen. 

Die  Vorliebe  für  -trum,  -tra  tritt  auch  in  dem  durch  Meta- 
thesis  aus  cnist(ii}lum  'Backwerk'  entstandenen  clustrnm  zutage, 
das  zwar  nur  CIL  IX,  4597,  4970,  4976  belegt  ist,  aber  durch 
xXovöTQOjrZaxovg  bei  Athen.  14,  p.  647  c,  d  (Lindsay,  Lat.  Ling.  97, 
Schopf  179)  als  allgemein  gesprochene  Form  erwiesen  wird.  Die 
Rolle  des  beliebteren  Suffixes  bei  Metathesis  zeigen  auch  coacia  <C 
cloaca  (Consentius,  GL  V,  392,  23 K.)  und  der  Pflanzenname  por- 
cacla  <C  pordaca  <:^  portidaca,  Schopf  202  ;  denn  durch  die  vulgäre 
Synkope  in  den  Endungen  -culus,  -cula,  -culum  —  oben  §  2b  — 
wurden  die  Suffixe  -clus,  -da,  -dum  besonders  häufig.  —  Dieselbe 
Tendenz  erklärt  wohl  auch  das  gerügte  cradi  <C  clatri  'Gitterwerk', 
aus  dor.  x2f~ö^(>«  entlehnt;  durch  die  Metathesis  —  das  neue  -/// 
wurde  sofort  zu  -di,  s.  §  7  e  —  entstand  wieder  das  beliebte  Suffix 
-di.  Für  Metathesis  zweier  durch  Konsonanten  derselben  Silben 
gestützten  Laute  sind  nur  dusirum  und  cradi  belegt,  und  in  beiden 
Fällen  scheint  Vorliebe  für  ein  geläufigeres  Suffix  die  Umstellung 
gefördert  zu  haben.  Wenn  schliefslich  Niedermann,  Glotta  I,  261 
das  CGI,  III,  597,2:  riigilus  iiiier  culem  et  ipido  überlieferte  ipido 
mit  Recht  durch  hji'ixloov  'schürzenförmig  über  die  Gedärme  ge- 
lagerte Faltung  des  Bauchfells'  gedeutet  haben  sollte,  so  hat  nicht 
Dissimilation  von  p — p  >■  / — c,  welche  sonst  nicht  vorkommt, 
sondern  nur  die  Vorliebe  für  das  Suffix  -dum  die  Änderung  ver- 
ursacht (so  auch  Schopf  126,  i). 

Für  den  dissimilatorischen  Lautschwund  wurde  schon  auf  die 
auch  romanischen  Formen  frat[r]em^  prop[r]ius,  crib[r]are  hin- 
gewiesen, in  denen  beide  r  konsonantisch  gestützt  wurden.  In 
crihare  und  exprohare  •<  exprohrare  hat  auch  das  ;-  der  Endung 
den   Schwund   raitbewirkt,    vgl,    auch    ?m7iist[r]orutn    CIL  X,  825, 5 


74 

und  casf[r]orum  VI,  22^;  VIII,  451 1;  von  einem  regressiven  Laut- 
schwund kann  hier  kaum  die  Rede  sein.  In  dem  von  Pompeius, 
GL  V,  283,  13  getadelten  manior  =  marmor  hat  das  r  der  festen 
Endung  das  silbenausl.  r  der  fast  gleichen  vorangehenden  Silbe 
zerstört,  für  gr.  (laiiaQLiHp  s.  Nachmanson  4.  —  Aufser  dem  ver- 
breiteten dissimilatorischen  Schwund  von  r  begegnet  dieselbe  Er- 
scheinung im  Vulgärlatein  nur  noch  bei  /  und  zwar  abgesehen  von 
vereinzeltem  S[f]atil(t)tis  Q)  CIL  XV,  299;  VIII,  8414,  Res[t]uhis  {-a) 
VIII,  II 586,  17553  (?)  eigentlich  nur  in  dem  häu^gen  obsetrix,  das 
auch  App.  verwirft.  Diese  wohl  zuerst  von  Loewe,  Prodrom.  Corp. 
Gl.  423  behandelte  Form  findet  sich  oft  in  späten  Texten,  in 
Glossen  (z.  B.  V,  470,  52 :  obstetrix  quae  corriipte  obsetrix)  und  In- 
schriften:  III,  8820  (mit/),  X,  1933;  XIII,  3706  —  /  nach  s  von 
Steinmetzen  nachgetragen  — ;  VI.  9720,  9722,  9724,  9725  (mit/), 
daneben  auch  die  hochlat.  Form  4458,  6325,  6647,  6832  usw. 
Das  älteste  Beispiel  ist  bei  Plautus,  Mil.  glor.  697  in  A  (opsetrix) 
überliefert,  während  P  ein  verdorbenes  obstrex  bietet,  so  dafs  viel- 
leicht obsetrix  zu  schreiben  ist  und  auch  diese  Form  die  Kontinuität 
des  Vulgärlateins  bezeugen  kann,  s.  Reiter,  [Berl.]  Phil.  Woch.  39 
(1919),  642.  Sicher  stand  die  Form  in  der  vorhieronymischen 
Bibelübersetzung,  wie  sie  im  cod.  Lugdun.  (s.  VI)  zu  Exodus  i,  15 
— 19  überliefert  ist;  von  dort  kam  sie  z.  B.  in  die  von  Rufin  ver- 
fafste  Übersetzung  der  Exodushomilien  des  Origenes  (hom.  2, 
S.  154,  löfif.  B.).  Im  Romanischen  findet  man  überall  die  Formen 
mit  /,  vgl.  frz.  obstetrique,  it.  ostetrice;  in  Wahrheit  sind  es  aber 
nur  gelehrte  Buchwörter,  während  die  Umgangssprache  Vokabeln 
wie  it.  levatrice,  frz.  sage-femme  usw.  anwendet.  Über  ohsetricialis 
und  obsetricare  vgl.  noch  Ihlberg,  Abh.  Sachs.  Ges.  d.  W.  phil-hist. 
Kl.  28  (1910),  89;  J.  Medert,  Quaest.  crit.  et  gramm.  ad  Gynaecia 
Mustionis  pertin.,  Diss.  Giefsen  ig  11,  19.  —  Besser  als  slitis  <C  silitis 
und  sructor  <  stritdor  (Stolz  *  152)  liefse  sich  gr.  no2.vx[T]tJTOv 
GDI  3593  vergleichen,  W.  Schulze,  GGA  1895,  550;  1896,  24 
(der  CIA  11,4272:  X£LQi6[r]QdTy  u.a.  anführt):  vor  silbenanl.  / 
konnte  in  einem  Konsonantenkomplex  der  vorangehenden  Silbe 
der  gleiche  Konsonant  gelegentlich  ausfallen,  wenn  dieser  nicht  im 
Silbenanlaut  stand  und  beide  /  nur  durch  einen  Vokal  getrennt 
wurden.  Der  Akzent  spielt  hier  keine  Rolle,  und  sehr  wohl  kann 
die  betonte  Silbe  des  Nom.  Sing.,  obsetrix,  zuerst  das  /  verloren 
haben. 

Dieser  Gruppe  habe  ich  das  nicht  belegte,  aber  nach  App. 
verbreitete  necnec  =  iieciie  hinzugefügt.  Die  sich  sehr  ähnlichen 
Silben  konnten  leicht  vollkommen  ausgegUchen  werden,  vgl.  auch 
Perpcriua  =  Perpetua  usw.  (s.  o,).  Völlig  gleiche  Parallelen  gibt  es 
m.  W.  nicht. 


75 
§  13.    Konsonantengemination  und  Verwandtes. 

84  camer a  non  catnmara  124  caligo  non  calligo 

110  draco  non  dracco  182  garruliis  non  ^arulus 

199  basilica  non  bassüica  214  griindio  non  grunnio 

112  aqua  non  acqua 

Die  Ursachen  der  Konsonantenverdoppelung  im  Vulgärlatein 
sind  verschiedener  Art. 

In  vielen  Sprachen  tritt  bei  Kurz-  und  Kosenamen  eine 
Verdoppelung  des  letzten  Stammkonsonanten  ein  (Sommer  2  202), 
für  welche  die  Artikulation  beim  Rufen  die  phonetische  Grundlage 
bietet,  vgl.  gr.  ^xQdrxLq.  zu  ^t^xItiji.'joq  und  lat.  luppiter  (urspr. 
Vokativ),  dessen  p  sich  in  der  Anrufeform  verdoppelte.  Nur  so 
erklären  sich  m.  E.  einige  Geminationen  des  Vulgärlateins.  Wichtiger 
als  das  doppelte  /  in  dem  Ausruf  valle  =  vale  CIL  IV,  5386  ist 
die  Gemination  in  citto  CIL  VIII,  11  594  ^=  CE  1328 B.:  non  digne, 
Felix,  citto  vitam  caruisti,  miselle.  Sondern  wir  citto  aus,  so  ent- 
steht ein  metrisch  [caruisti)  ziemlich  reiner  Hexameter.  Da  citto 
kaum  Zusatz  des  INIeifslers  ist,  wurde  in  einen  festen  Grabschrit'ten- 
typus,  wie  so  oft  —  Beispiele  in  Engströms  Carm.  Lat.  Epigr.  i  g  1 2  — , 
ein  neues  Wort  vulgärer  Form  eingeschoben.  Ohne  Zweifel  ent- 
stand das  doppelte  /  zuerst  in  dem  Ausruf  citto  'schnell!',  während 
der  Gebrauch  in  unserer  Inschrift  schon  ein  sekundärer  ist.  Vgl. 
auch  it.  citto.  —  Hierher  gehört  m.  E.  auch  das  vielumstrittene  tottus 
=;  totus  (Consentius,  GL  V,  391,  34  K.),  das  im  it.  tutto,  logud.  tottu, 
frz.  tout  weiterlebt,  M.-Lübke,  Wb.  8815.  Groeber,  ALL  VI,  129 
nimmt  als  Grundform  von  tottus  ein  *t6ttdtus  an,  eine  Doppelsetzung 
von  totus,  wie  sie  it.  tututto  zeigt,  vgl.  Plautin.  tota  tota  occidi.  Aber 
eine  solche  Doppelung  wäre  wohl  tottotus  betont  gewesen  und  nie- 
mals hätte  sich  daraus  ein  tottus  entwickeln  können.  Es  ist  nun 
aber  zu  beachten,  dafs  totus,  besonders  der  Plural  toti  =  onmes  (z.  B. 
schon  Manilius  IV,  233,  738;  Wageningen  z.  St.),  in  einem  Satz  wie: 
quot  adfnerunt?  toti  adfuerunt,  stark  betont  war:  sehr  leicht  konnte 
die  akzentuierte  Silbe  von  toti  gedehnt  werden,  indem  das  /  der 
zweiten  Silbe  schon  zur  ersten  hinübergezogen  wurde,  1 

Bei  der  Übernahme  griechischer  Lehnwörter  trat  häufig  eine 
Konsonantenverdoppelung  ein.  Fälle  wie  strnppus,  stroppus  <C 
öTQOtpoQ  [supparum  <  (i[(jV.QO~  [oijraQOg]),  führt  Th.  Claussen, 
RF  15  (1904),  847  und  Neue  Jahrb.  1905,  411  an;  er  glaubt  aber, 
dafs  schon  im  Vulgärgriechischen  diese  Formen  mit  Doppelkonso- 
nanten bestanden.  Dagegen  spricht  nicht  nur  die  nicht  sehr  häufige 
Gemination  auf  Inschriften  usw.  (Mayser,  Gramm,  d.  Griech.  Papyri 
211;  Solmsen,  Unters,  z.  gr.  Lautl.  165),  sondern  auch  die  über- 
sehene Tatsache,  dafs  die  Verdoppelung  besonders  dann  eintrat, 
wenn   im  Gegensatz  zum   griechischen  Akzent  in   der   lateinischen 


1  Ähnlich,  wie  ich  nachträglich  sehe,  auch  H.  Kohlstedt,  das  Romanische 
in  den  Artes  des  Cousentius,  Diss.  Erlangen  1917,  76. 


76 

Entlehnung  eine  andere  Silbe  betont  wurde,  vgl.  auch  gr.  :ixT(0'^6a  > 
it.  pitocco,  ßQOxh  >  it-  brocca,  yQccfpior  >  neap.  läffie,  fiz.  greffe  u.  a. 
So  entstand  wohl  auch  cdmmara  aus  zciftaQü,  das  nicht  belegt  ist, 
aber  vielleicht  im  siz.  neap.  camraara  direkt  weiterlebt.  Es  gab 
nicht  schon  im  Vulgärgriechischen  ein  *xaiin<iQa,  sondern  erst  im 
Lateinischen   wurde    der  Auslaut    der  neu  betonten  Silbe  verstärkt. 

Auch  in  dracco  <  ögcixcor  hat  sich  das  doppelte  cc  wohl  im 
Lateinischen  neu  entwickelt.  Dracco  und  draccaena  sind  CIL 
III,  8238  erhalten,  dracco  lebt  im  ahd.  traccho  fort,  vgl.  Kluge, 
Pauls  Grdr,  V-,  338 ;  W.  Schulze,  Gesch.  Lat.  Eigenn.  447.  Weshalb 
gerade  in  diesem  Fremdworte  ohne  Akzentwechsel  Verdoppelung 
eintrat,  entzieht  sich  unserer  Beurteilung. 

In  dem  dritten  angeführten  Lehnwort  hassilica  —  vgl.  bassis 
z.  B.  CIL  X,  5388  —  konnte  die  Geminatio  leicht  eintreten,  weil 
in  echt  lateinischen  Vokabeln  nur  selten  einfaches  intervokalisches 
-s-  (oft  -SS-)  nach  kurzem  Vokal  sich  findet  ohne  zu  r  umgewandelt 
zu    sein.      Deshalb    ist    auch    z.  B.  possuit  =  posuit    (CIL  V,  5623, 

VII,  47  usw.)  öfters  bezeugt;  Sommer 2  204.  Bassilica  ist  in  Pompei 
belegt  CIL  IV,  1779,  Heraeus  328. 

Zur  Erklärung  von  acqiia  ein  kurzes  Wort  über  die  lateinische 
Silbentrennung.  Durch  inschriftliche  Syllabisierung  wie  durch  ety- 
mologische Tatsachen  steht  es  fest,  dafs  trotz  abweichenden  An- 
sichten der  alten  Grammatiker  die  Silbengrenze  stets  zwischen  die 
Konsonanten  (bei  mehr  als  zwei  vor  den  letzten)  fällt,  mit  Aus- 
nahme von  Muta  c.  Liquida,  welche  der  folgenden  Silbe  angehören 
(v.  Helle,  Glotta  XI,  29,  vor  allem  Dennison,  Class.  Phil  I,  47ff.). 
Da  aber  Muta  c.  Liquida  die  einzige  Ausnahme  bilden,  konnte 
auch  hier  die  Silbengrenze  gelegentlich  in  die  Muta  hineinverlegt 
werden.  So  entstanden  dem  phonetischen  Tatbestand  entsprechende 
Formen  1  wie  CIL  VIII,  696:  siipprema(o)  —  Hoffmann,  de  tit. 
Afric,  Diss.  Breslau  1907,  51  — ,  XII,  1939,  XIV,  1821;  süppremos 
XIII,  2314;    —    fräitre   VIII,    11 1:     pattri  III,   10327;      Mättrona 

VIII,  7251;  Pettronius  VIII,  7826;  —  äggro  III,  2448;  pereggre 
XII,  86,  Äggrippina  VIII,  3757;  —  dbblata  XIII,  1183;  äccleta  = 
athlefa  CGI.  IV,  5,  42  (über  tl  'p-  cl  s.  §  7e);  für  dupphim  z.  B.  in 
den  Formulae  Andecav.  s.  Slyper,  de  Form.  Andec.  Latinit.  disput., 
Diss.  Amsterdam  1906,  82.  Aber  es  bleibt  bei  verschwindenden 
Ausnahmen,  welche  die  Hauptregel  über  Muta  c.  Liquida  (§  i) 
nicht  berühren.  —  Eine  leichte  Verschiebung  der  Silbengrenze 
deutet  auch  das  doppelte  .r  in  ;«fl^m/f/- 2  CIL  X,  607  i  an;  während 
aber  die  geminierte  Muta  eine  Verschiebung  nach  der  vorher- 
gehenden Silbe  hin  zeigt,  kommt  in  -sst-  zum  Ausdruck,  dafs 
wegen  der  engen  Zusammengehörigkeit  der  beiden  intervokalischen 
Konsonanten  -st-   das  j  zur  folgenden  Silbe  hinübergezogen  und 


*  Diese    genauen   Schreibuugeu    kamen    wohl   zuerst   in   Inschriften    auf, 
welche  die  einzelnen  Silben  trennten. 

^  Vgl.  Sgiaoiog  usw.  auf  griech,  Inschriften  und  Papyri,  Mayser  a,  a.  0. 217, 


77 

die  Silbengrenze  in  das  i*  verlegt  wurde.  CIL  VI,  11920:  Antisstia\ 
III,  14,6581  (a.  199):  Antesstms;  V,  6127:  iussii;  VIU,  9999: 
[IJussti,  X,  607  I :  magissler  und  einige  Eigennamen  zeigen  doppeltes 
j-  in  betonter  Silbe;    vgl.  noch  VI,  746  (aus  dem  J.  183):    asstanle, 

III,  II 189:  maiesstati',  III,  10429  (a.  210),  VIII,  5034:  Faus\sti7ius, 
^I)  3732  Fausstines.  —  Nur  selten  steht  ss  in  der  Verbindung  -ssc, 

IV,  1278:  disscente,  vor  79  n.  Chr. 

Während  im  vorhistorischen  Latein  /  vor  Vokal  zu  i  wurde 
—  mediiis  :  madhyas,  f/tGOog  — ,  ist  umgekehrt  im  Vulgärlatein 
postkonsonantisches  /,  u  vor  Vokal  konsonantisch  geworden.  Auch 
hier  trat  eine  leichte  Verschiebung  der  Silbengrenze  ein,  weil  in 
dem  neuen  me7uo-rmm  (<  mevioriani)  das  r  zur  vorhergehenden 
Silbe  hinübergezogen  wurde,  was  durch  Schreibungen  wie  inemdrriam 
(CIL  VI,  10718)  zum  Ausdruck  kommt.  Die  Geminatio  in  socdorum 
i^>  5659  [?],  V,  4410,  VI,  6874  tritt  wohl  nicht  zufällig  nur  im  Gen. 
Plural  auf,  da  am  ehesten  vortoniges  i  konsonantisch  wurde,  anders 
W.  Schulze,  Gesch.  Lat.  Eigenn.  447.  —  Wichtig  sind  auch 
Schreibungen  wie  CGI.  III,  270,  16:  äccia  und  325,  39:  acciarium 
angesichts  it.  accia,  aital.  acciaio,  Auch  die  Mouillierung  in  ßlius 
kommt  CIL  VI,  13484:  fillionim,  VIII,  15813:  fillta,  XII,  2246: 
fillio  (VI,  13484:  fillis)  zum  Ausdruck;  fis  =  film  (E.  Hofl:"mann, 
a.  a.  O.  8)  zeigt  Assimilation  von  H  >  n,  vgl.  alban.  fian  'Täufling' 
aus  "^'filianus  (zitiert  bei  M.-Lübke,  Einf.3  173),  frz.  fille. 

Die  angeführten  Beispiele  erklären  nun  auch  die  Geminatio 
in  acqua,  dessen  u  allerdings  schon  immer  konsonantisch  gewesen 
war,  vgl.  got.  aha;  auch  hier  lag  in  der  Umgangssprache  die 
Silbengrenze  weder  genau  vor  noch  ganz  hinter  dem  q,  so  dafs  die 
Verlegung  in  diesen  Konsonanten  selbst  durch  die  Geminatio  zutage 
tritt.  Dafs  es  in  der  Umgangssprache  ein  aqua  gegeben  hätte  und 
durch  erneute  Konsonantierung  des  u  die  Verschiebung  der  Silben- 
grenze desto  leichter  ein  acqua  hervorbringen  konnte,  läfst  sich 
auch  dann  nicht  beweisen,  wenn,  wie  ich  glaube,  bei  Lucrez 
VI,  552,  868,  1072  mit  Lachmann  zu  VI,  552  und  Maurenbrecher, 
Parerga  zur  lat.  Sprachgesch.  1916,  245  aqua  und  nicht  mit  Havet, 
Rev.  d.  Phil.  XX,  77  und  Ahlberg,  de  proceleusm.,  Diss.  Lund 
1900,  76  aqua  zu  messen  ist  {liquida  erlaubt  sich  Lucrez  VI,  1259 
auch  wegen  des  rhythmischen  Wechsels:  Uquidis  et  liquida).  Denn 
aqua  kann  sehr  wohl  hyperarchaische  Nachbildung  des  ebenfalls 
lucretianischen  silüa  sein  und  es  steht  nur  in  der  zweiten  Hälfte 
des  6.  Buches,  welche  auch  andere  metrische  und  sprachHche  Frei- 
heiten aufweist,  s.  §  2  b.  Auch  die  schlechte  Inschrift  CE  930,  2 : 
tu  vendes  acuam  et  bibes  ipse  merum  erweist  nicht  ein  aqua  der 
Volkssprache.!  —  acqua  ist  erhalten  im  ital.  acqua  und  prov.  aigwa, 
trotz  C.  Hürlimann,  'Entw.  des  lat.  aqua  in  den  rom.  Spr.',  Diss. 
Zürich    1903,  4,    die    glaubt,    dafs    (wie    in    vielen    germanischen 


^  aqua   in    den   akzentuierenden  Klauseln    des  Ammianus  Marcellinus  ist 
künstliche  Messung;  vgl.  atqüe  u.  a.  ebenda. 


7« 

Vokabeln)  auch  das  w  in  aiwa  <  aqua  auf  provenzalischem  Boden 
sich  zu  gw  entwickeln  konnte,  i 

Wie  schon  Ahlberg,  de  accentu  Latino  IQ05,  52  vermutet  hat, 
wurde  die  Geminatio  in  calligo  durch  andere  Vokabeln  auf  -igo 
mit  vorhergehendem  1P~  wie  pulltgo,  molligo,  melligo  und  durch 
lol(l)igo  'Tintenfisch'  begünstigt.  Deshalb  ist  das  //  nur  für  das 
Substantiv  calligo  in  Hss.  belegt,  nicht  für  das  Verbum  oder  eine 
Ableitung  wie  caliginosus.  —  Ganz  evident  ist  die  Umbildung  des 
isolierten  tidigo  'ager  humidissimus'  (von  udus)  nach  den  vielen 
Substantiva  auf  -ligo  zu  uligo  (Grammont  128),  ohne  dafs  sich  das 
d  lautphysiologisch  in  /  umwandelte  (Ernout  243). 

Wie  gr.  jQvt,(})  zeigt,  ist  grundio  mit  invehiertem  71  die  ursprüng- 
liche, grunnio  die  sekundäre  Bildung.  Da  im  osk.-umbr.  -tid-  zu 
-?m-  wurde  (osk.  üpsannam  =  oJ>erandam)  und  von  den  inschriftlichen 
Belegen  mehrere  süditalienisch  sind  —  Agenna  Inscr.  Regn.  Neap. 
2736  neben  Agenda  5638;  Yerecunmis  CIL  IV,  1768,  mnnlgen  (so) 
X,  12 II  (Atella) ;  aufserdem  lulia  Oriunna  VI,  20589,  Secunnus 
Mommsen,  Inscr.  Helv.  234  — ,  so  hat  man  sowohl  für  grunnio  wie 
für  Plaut,  dispenno  im  Mil.  1407:  dispennite  hominem  divorsum  et 
distendite  (so  Nonius  und  z.  B.  Leo,  dispendite  A  und  B,  distendiie  CD) 
dialektische  Herkunft  angenommen,  Ernout  83, 154, 176,  UUmann  211. 
Aber  ein  Verbum  dispendo,  'Kova^os.  \ on  pando,  \s,i  überhaupt  nicht  über- 
liefert, nur  das  Partizip  dispessus,  bei  Plaut.  Mil.  360 :  dispessis  manibus 
(Gell.  NA  15,  15,4,  dispensis  A,  dispersis  P)  und  Lucrez  2,  1126; 
3,  988 :  dispessis  memh-is,  das  sich  zu  passis  [passis  inanihus)  verhält 
wie  coniectis  zu  iactis  und  direkt  als  Kompositum  zu  dem  Simplex 
gebildet  wurde,  ohne  dafs  die  übrigen  Formen  eines  Verbums 
dispendo  jemals  aufkamen;  dementsprechend  erklärt  Nonius:  dis- 
pennere  est  expandere  tracttim  a  pennis  nicht  etwa  durch  dispendere. 
Aufserdem  zeigen  die  belegten  Komposita  von  pando  alle  den 
jüngeren  Typus  expando,  nicht  den  älteren  expendo.  —  Auch  grminio 
ist  nicht  dialektisch,  da  es  die  onomapoetische  Umgestaltung  von 
grundio  ist,  welche  wegen  vieler  ähnlichen  römischen  Bildungen 
in  Rom  entstanden  sein  kann;  zu  vergleichen  sind:  gannio  , klaffen', 
Jiinnio ,  timiio,  tetrinnio  'Schnattern  der  Gänse';  —  susurrio,  harrio 
'Brüllen  der  Elephanten',  hirrio,  cucurrio  'kollern',  minurrio  'zwit- 
schern'; —  gliccio  (Naturlaut  kleiner  Hunde),  friguttio  , zwitschern' 
und  muttio.  —  Man  braucht  nur  grunnittcs  neben  grunditus  aus- 
zusprechen um  sich  zu  überzeugen,  dafs  sich  dieser  onomapoetische 
Übergang  überall  spontan  entwickeln  konnte.  Kein  Wunder,  dafs 
grunnio  auch  in  die  Hochsprache  eindrang,  vgl.  z.  B.  luv.  Sat.  15,  22 
{grmtnisse)',  häufig  belegt  ist  es  in  den  Glossen  (II,  36,  2,  III,  258,  63 
usw.)  neben  grundio  11,36,21;  V,  459,  14;  und  in  dem  sogen. 
testamentum  Porcelli  trägt  der  Testator  den  bezeichnenden  Namen 


1  Anders,   aber   nicht   richtig,   Tuttle,   Arch.  f.  d.  St.  d.  n.  Spr.  NF.  33, 
1915,  170. 

^  Einfaches  l  in  remeligo,  fidis^o  und  3  Vokabeln  auf  -iligo. 


7g 

M.  Griinnius  Corocotta.  Im  Romanischen  hat  sich  grundire  im 
prov.  afrz.  grondir  erhalten,  grunnire  im  sp.  grunir,  pg.  grunhir, 
it.  grugnire,  prov.  gronhir,  afrz.  grognir,  soweit  keine  Neubildungen 
bei  diesem  onomapoetischen  Verbum  vorliegen.  Ob  it.  grugnare, 
mazed.  grunare  (frz.  gronder)  ein  nicht  belegtes  vulgärlat.  *grunjare 
voraussetzen,  ist  mir  unsicher;  Groeber  ALL  II,  441,  VI,  391, 
M.-Lübke.  Wb.  3893. 

Aus  onomapoetischen  Gründen  konnte  vielleicht  auch  garrulus 
zu  garulus  werden  (vgl.  auch  graculus  'Dohle'),  das  Heraeus  327 
aus  Hss.  nachweist,  s.  auch  Ullmann  205. 

§  14.    Das  V  und  h. 

215  vapulo  non  baplo  62  Flavus  non  Plans 

198  tolerabilis  non  toleravilis  174  rivus  non  rius 

9  hacuhis  non  vaclus  73  favilla  non  failla 

70  alveus  non  albeus  176  pavor  non  paar 

29  avus  non  aus 

In  seiner  Abhandlung  über  h  und  v  im  Vulgärlatein  (Rom.  27 
[1898],  177;  unvollendet)  hat  Parodi  unter  Trennung  des  An-  und 
Inlautes,  von  intervokalischem  und  postkonsonantischem  v  (b)  mit 
Recht  auf  die  häufige  Umwandlung  von  v  '^  h,  die  seltene  von 
Z»  >  7'  im  Anlaut  hingewiesen,  welche  nur  in  vene  =  be'ne  (oft  im 
CIL  VI,  elfmal  in  CIL  X,  elfmal  in  CIL  XIV)  sich  öfters  zeigt.  — 
Es  ist  wohl  auch  kein  Zufall,  dafs  in  Pompei,  vor  79  n.  Chr.,  wohl 

V  y-  b,  nicht  aber  b  y-  v  vco.  Anlaut  belegt  ist;  vgl.  CIL  IV,  5125 
Phoebe  beni  {==  veni,  religionsgeschichtliche  Parallelen  bei  Weinreich, 
de  dis  ignotis  19 14,  39,  wodurch  sich  Engströms  Bemerkung  zu 
CEL  132:  ' sed  potest  etiavi  fuisse  benigne''  erledigt);  IV,  4380: 
(blofses)  Bertis',  4186:  Sittia  boco  te',  4874:  Vit.  Vitalio  baleat.  Schon 
diese  ältesten  Beispiele  widerlegen  nun  aber  Parodis  Ansicht  (S.  194), 
dafs  zuerst  nach  konsonantischem  Auslaut  des  vorangehenden  Wortes 

V  zu  b  wurde,  obwohl  diese  Meinung  in  dem  Übergang  von  v  zu 
b  nach  /  und  r  im  Inlaut  —  serbus  (s.  u.)  —  und  im  Spanischen  eine 
gewisse  Stütze  hätte.  Parodi  und  M.-Lübke,  Einf.3  166  (nach  ihm 
wurde  auch  anl.  b  nach  Vokal  zu  v)  glauben,  dafs  fast  ausschliefs- 
lich  Satzsanddhi,  die  Form  des  vorangehenden  Wortes,  den  Laut- 
wandel z»  >  3  (und  b  '^  v\  im  Anlaut  bestimmte.  Widerlegt  wird 
diese  Meinung  —  abgesehen  von  dem  schon  angeführten  Einwand 
—  auch  durch  andere  Erwägungen,  welche  darauf  schliefsen  lassen, 
dafs  öfters  ein  folgender  Laut  desselben  Wortes  den  Anlaut  be- 
einfiufste.  —  i.  Die  häufige  Verwechselung  von  b  und  v  veranlafste 
im  6.  Jhdt.  Martyrius  die  Lehren  seines  Vaters  Adamantius  de  b 
viuta  et  V  vocali  niederzuschreiben,  vgl.  GL  VII,  165K.  Da  der 
Verfasser  im  allgemeinen  der  klassischen  Orthographie  folgt,  sind 
die  wenigen  Abweichungen:  balbae  173,5  {=■  valvae),  berna  175,8 
(=  verna),  larba  186,  9  (=  larvd)  und  verbex  193,  2  (=  vervex) 
nicht  ohne  Interesse.     Die  Anlehnung  an  die  gesprochene  Sprache 


8a 

zeigt  der  Übergang  von  v  tm  h  nach  /  und  r  im  Inlaut  [larha, 
verhex),  welcher  die  alte  Entwickelung  von  solüo  zu  solvo  fortsetzt 
und  im  Romanischen  reichliche  Spuren  hinterlassen  hat,  vgl.  frz. 
corbeau  <<  corvellus,  it.  serbare  usw.  Auch  berna  ist  inschriftlich 
häufig,  CIL  VIII,  10475,  22;  X,  3354;  XIV,  2426.  Auch  balbae 
=  vulvae  war  also  im  Volksmund  üblich;  aufserdem  zeigt  es  die- 
selbe Entwicklung  wie  herbex  ■<  vervex,  das  schon  bei  Petron  57 
steht  (skeptisch  Heraeus,  die  Sprache  Petrons  48)  und  im  frz.  brtbis 
usw.  weiterlebt.  Da  verhex  häufig  ist  (CIL  VIII,  8246  u.  ö.)  und 
im  Romanischen  anl.  h  <i  v  sich  nur  fortgesetzt  hat,  wenn  ein  h 
nach  Konsonant  im  Inlaut  folgte,  so  ist  ohne  Zweifel  in  balbae  und 
herbex  das  anl.  b  durch  Assimilation  an  das  zweite,  ebenfalls  sekun- 
däre, aber  ältere  h  fest  geworden.  Bestätigt  wird  diese  Auffassung 
(vgl.  auch  CIL  X,  476,  478:  herba  =  verbd)  durch  eine  Angabe  des 
Consentius  GL  V,  392,  14K.:  ut  st  quis  dicat  bobis  pro  vobis;  auch 
bobis  entstand  durch  Assimilation  des  anl.  v  an  das  folgende  /', 
vgl.  CI  XIV,  3323   (a  bobis)  und  H.  Kohlstedt  a.  a.  O.  59. 

2.  In  einer  anderen  Gruppe  hat  der  gleichfolgende  Vokal  den 
Lautwandel  v  ~;;>  b  veranlafst.  Als  in  Vokabeln  wie  vir  und  virgo 
sich  das  i  dem  v  genähert  hatte  und  zu  y  geworden  war  (s.  §  6  a), 
war  die  Existenz  des  schwachen  anl.  v  gewissermafsen  gefährdet 
und  es  wurde  durch  das  kräftigere  h  ersetzt,  vgl.  CIL  VI,  2723, 
28062:  hurgo  2499:  byrginio\  XIV,  1064:  Byrginius,  III,  9567: 
hir[g]iniam,  V,  1796:  hirginio  —  VI,  3722^,  31038:  hyyris  =  viris, 
XIV,  21 18:  unibyria,  VI,  500,  6  (a.  377):  duodecimhyr,  VIII,  207g: 
hiri,  X  (4539),  7756:  bir.  Besonders  itnibyria  zeigt,  dafs  nicht  der 
vorhergehende  Konsonant,  sondern  das  zu  y  gewordene  i  den 
Lautwandel  v  '^  b  verursachte.  Auch  vor  verwandtem  0  —  Bei- 
spiele für  anl.  vu-  sind  selten  —  finden  wir  häufig  das  v  in  b  um- 
gewandelt, für  botum  =  Votum  vgl.  CIL  VI,  303,  280g;  X,  3042,  4183, 
V,  6232.  Die  Erklärung  gibt  III,  12602:  ex  oto  =  ex  voto;  dem- 
entsprechend ist  gr.  /  zuerst  vor  0,  co  geschwunden,  vgl.  Brause 
Lautl.  der  Kret.  Dial.  1909,  44.  Auch  im  Altitalienischen  wurde 
V  vor  0  des  öfteren  zu  b,  vgl.  boce,  boto  und  L.  Wiese,  altital. 
Elementarbuch  1904,  95.  —  3.  Etwa  die  Hälfte  sämtlicher  Beispiele 
für  anl.  v  y^  b  bilden  die  inschriftlich  häufigen  Formen  bivus  =  vivus 
und  bixit  ==  vixit\  vor  allem  findet  sich  nun  aber  bivus  in  der 
festen  Formel  se  bivo  und  se  hivxis  (Konietzny  ALL  XV,  323  u.  a.) 
und  bixit  steht  nicht  selten  in  der  Verbindung:  qui  bixit  amios  . . . 
Auch  diese  Tatsache  zeugt  gegen  Parodis  Theorie. 

Von  Wichtigkeit  ist  die  Feststellung,  dafs  der  Lautwandel  v  '^  b 
im  Anlaut  sehr  häufig  in  Rom,  ziemlich  oft  auch  in  Latium  (Süd- 
ilalien)  und  auf  griechischem  Gebiete,  sehr  selten  dagegen  in 
Norditalien,  Spanien  und  Gallien  bezeugt  ist.  Gegenüber  zahlreichen 
Beispielen  im  CIL  VI,  XIV,  X,  III  (XI)  finden  wir  in  Gallien  Cisal- 
pina  (CIL  V)  blofs  1 1  Belege  (6  für  bixit  usw.).  In  Spanien  sind 
die  einzigen  sicheren  Formen  CIL  II,  5725:  Bocontius  und  5015 
:  bixit,  Carnoy   131;  auch  für  Gallien  kann  Pirson  62  nur  2  Eigen- 


iiamen  und  5  Belege  lür  bixil  anführen. '  In  x^hika  sind  die 
Beispiele  etwas  häufiger;  die  zwei  ersten  Bände  enthalten  nach 
den  Indices  17  Belege  für  hixit  und  6  andere  Formen,  darunter 
zweimal  herhex.  Obwohl  keine  Sicherheit  erreicht  werden  kann,  ist 
das  von  App.  getadelte  haplo  eher  in  Rom  als  in  Afrika  üblich 
gewesen.     Bapido  steht  in  Bibelhss.,  s.  Rönsch  It.  u.  Vulg.  456. 

Übergang  von  h  zu  v  ist,  wie  gesagt,  im  Anlaut  äufserst  selten. 
In  dem  allein  häufigen  vent^nerenti  (s.  o.)  kann  in  der  Tat  Satz- 
sanddhi  das  7'  erzeugt  haben,  da  meistens  ein  auf  Vokal  endender 
Dativ  vorhergeht  und  b  zwischen  Vokalen  seit  dem  i.  Jhdt.  n,  Chr. 
zu  V  wurde.  Aber  Parallelen  zu  vaclus  (g),  das  auch  selbst  nicht 
belegt  ist,  sind  sehr  sporadisch,  so  dafs  Ullraann  172,  202  vielleicht 
mit  Recht  haculus  non  bachis  schreibt,  —  Ein  Beispiel  für  interv. 
b  ^  V  ixQ.  Inlaut  ist  tokravilis  (198),  womit  z.B.  CI  XIV,  64:  in- 
deprehensivilis ,  XIV,  loio,  1767,  VI,  2496:  incoviparavilis,  VI,  2557: 
incoviparavili  u.  a.  zu  vergleichen  sind.  Dafs  in  zahllosen  Fällen 
wie  renohahit  =  renovavit  XIV,  2080  nur  umgekehrte  Schreibungen 
vorliegen,  zeigen  fabilla  XI,  3862,  NoheinbriYsX.,  4038,  während  man 
failla  (s.  u.)  und  Noember  {Nueinher-,  Sommer  2,  log)  sprach. 

Über  den  Lautwechsel  v  ^  h  nach  /,  wie  ihn  alheus  (70)  zeigt, 
wurde  schon  gesprochen;  für  albetis  vgl.  noch  rum.  albie  'Trog' 
und  M.-Lübke  Wb.  392. 

Für  den  Schwund  des  v  vor  dem  homorganen  Vokal  u  in  der 
Schlufssilbe  -znis  führt  Solmsen  Stud.  z.  lat.  Lautgesch.  (1894),  44fif. 
viele  Beispiele  an,  welche  sich  vermehren  lassen.  Zu  den  Formen 
der  App.  sei  folgendes  bemerkt.  Da  das  Adjektivum  flavus  besonders 
in  der  Dichtersprache  näufig  war  —  'vox  poetis  praecipue  usitata' 
Thes.  L.  L.  s.  v.  —  und  im  Romanischen  nicht  erhalten  ist,  werden 
wir  Flaviis  non  Flaus  zu  schreiben  haben,  zumal  das  Cognomen  in 
der  Form  Flaus  oft  belegt  ist,  so  schon  CIL  I,  277  aus  dem  2.  Jhdt. 
v.  Chr.;  vgl.  noch  VI,  3311;  11,950,  2847,  4332  usw.  —  Die 
Häufigkeit  von  aus  =  avus  zeigen  die  Inschriften,  welche  aufser 
aus  (VIII,  1977,  8637,  1307 1,  E.  Hoffmann  a.a.O.  34,  IX,  748, 
XIII,  1924)  auch  das  erst  analogisch  gebildete  ai  (VIII,  1977)  und  ao 
(Vni,  18308,  X,  7648  usw.)  belegen.  Auch  auncuhis  =  avunculus  war 
so  verbreitet  (11,713,  827  usw.,  III,  go8  usw.),  dafs  aus  aunculus  nach 
einer  §  loa  besprochenen  Erscheinung  anculus  wurde,  CI  VIII,  3936, 
IX,  998,  VI,  19004.  —  Eine  zweite  Vulgärform  avius  —  CIL 
III,  14544  usw.  —  hat  sich  an  avia  angelehnt.  Das  Romanische 
setzt  neben  ganz  vereinzeltem  avus  in  italienischen  Dialekten  eigent- 
lich nur  das  Deminutivum  *aviölus  fort,  vgl.  frz.  a'ieul,  prov.  aviol, 
aujol,  sp.  abuelo,  M.-Lübke  Wb.  930.  Diese  Form  ist  nicht  belegt 
und    App.    gibt   wieder   eine   vulgäre  Bildung   der    älteren  Schicht, 


1  Neu  entwickelt  hat  sich  der  Lautwandel  im  10.  Jhdt.  in  Südfrankreich, 
Bourcier,  Elim.  de  lingu.  Romane  1910,  328.  Auch  altrum.  batrin  =  veter anus 
(H.  Tiktin,  Rum.  Elementarb.  1905,  55)  ist  sicher  nicht  direkte  Fortsetzung  von 
]&t.betranus,  das  z.  B.  CI  V,  1796  steht;  vgl.  heteranus  X,  719  (und  häufiges 
vetranus). 

Baehrens,  Sprachl,  Kommeatar  2ur  Vulgärlat.  Appendix  Probi.  6 


B2 

welche  den  romanischen  Sprachen  nicht  zu  gründe  Hegt,  vgl.  z.  B. 
das  §  3  b  über  ansar,  auca  Gesagte.  —  rius,  das  in  Hss.  häufig  ist 
(Schuchardt  11,478),  ist  allgemein  romanisch,  vgl.  ait.  sp.  pg.  rw, 
log.  prov.  riu,  afrz.  ri,  rif,  M.-Lübke  Wb.  7341.  Es  ist  sehr 
zu  beachten,  das  App.  für  -vus  >  -us  solche  Beispiele  anführt, 
welche  entweder  ausschliefslich  (F/avus)  oder  überwiegend  [avus, 
rivus,  trotz  Verg.  Buc.  3,  iii)  im  Singular  gebraucht  werden.  Avi, 
avos  fanden  weniger  Verwendung  und  da  im  Sing,  der  Nom.  und 
Akkus,  die  üblichen  Casus  der  Umgangssprache  sind,  konnten  at4s 
und  aum  leicht  zur  Herrschaft  kommen  und  ein  ai,  ao  schaffen. 
Dagegen  haben  in  Vokabeln,  welche  mehr  im  Plural  stehen.  Formen 
wie  ova  auch  im  Nom.  und  Akkus.  Sing,  das  v  entweder  von  vorn- 
herein erhalten  oder  baldigst  wieder  eingeführt,  und  dementsprechend 
zeigen  sämtliche  romanische  Sprachen  in  den  Fortsetzungen  von 
Ovum  das  v,  frz.  oeuf,  it.  uovo  usw.  (anders  M.-Lübke  Einf.  3,  166). 
Die  von  App.  verworfene  Formen  failla  und  paor  sind  deshalb 
von  aufserordentlicher  Wichtigkeit,  weil  sie  die  von  Thurneysen 
lA  g,  36  und  Solmsen  IF  31,470  geäufserte,  aber  nicht  aligemein 
angenommene  (dagegen  Schopf  a.  a.  O.  164)  Vermutung  bestätigen, 
dafs  der  Schwund  des  labialen  v  zwischen  a  und  folgendem  (be- 
tontem) 0,  i  (e)  besonders  durch  den  dissimilatorischen  Einflufs 
eines  vorhergehenden  Labialen  begünstigt  wurde.  Failla,  das  nicht 
belegt  ist,  aber  im  %\z.faidda,  ntz.-^.  faelle  wohl  direkt  weiterlebt, 
und  paor  —  auch  im  afrz.  prov.  paor  fehlt  das  v  —  stehen  auf 
einer  Stufe  mit  dem  häufigen  Faor  (CIL  III,  1634,6;  6008,  20  usw.), 
Faorabil(is)  (XIV,  2408,  II,  12),  Faorianus  (XV,  214,  215  usw.), 
Faonius  (VI,  2893  u.  ö.),  Flaonius  (IX,  lOio)  usw.  Für  den  Schwund 
des  V  in  paviinentum  vgl.  vor  allem  CIL  VI,  17987:  fecet  de  sud 
pementti.  Aber  Bataorum  (VIII,  2  i  668)  kann  direkt  nach  dem  häufig 
belegten  Bataus  (VI,  3220,  3223)  gebildet  worden  sein.  Da 
intervok.  v  den  Konsonanten  nicht  gleichsteht,  wurde  der  dissi- 
milatorische  Schwund  nicht  schon  in  §  12  behandelt. 

Die  Verschlufslaute. 
§  15.    Die  Dentale. 

a)     178     adipes  non  alipes 

Lat.  adeps  'Fett'  wird  von  namhaften  Gelehrten  als  griechisches 
Lehnwort  {äXsLg)a)  betrachtet  —  so  Thurneysen,  Thes.  L.  L.,  Walde  2, 
Stolz*  96  — ,  während  Sommer^  168  kurz  bemerkt:  'unklar  adeps,  falls 
wirklich  aus  aXsL(f)a  entlehnt'.  Aber  ein  Übergang  von  /zu  ^  ist  in 
der  lateinischen  Lautlehre,  einschliefslich  den  Lehnwörtern,  nirgends 
nachzuweisen  und  die  Ansicht  Pascals  (Riv.  di  Fil.  24,  290),  dafs 
die  Römer  aus  dem  arepes  der  Umbrer,  welche  sowohl  d  wie  / 
vor  eji  [famerias  =fa?)iilias),  also  auch  das  1  von  äXsiCfCc  durch 
r  wiedergaben,  ein  adeps  gemacht  hätten,  trägt  der  gesprochenen 
Sprache,    welche    beide  Laute  dennoch  unterschied,   viel  zu  wenig 


Rechnung.  Auch  wer  das  erst  in  späten  Glossen  überlieferte  akps'^ 
für  die  alte  Form  hält,  kommt  um  die  Schwierigkeit,  den  Laut- 
wandel in  a/eps  >-  adeps  zu  deuten,  nicht  herum.  Läfst  sich  da- 
gegen der  Übergang  von  d  zu  i  vor  e,  i  als  vulgärlateinisch  erweisen, 
so  ist  adeps,  adipes  die  ursprüngliche  Form,  welche  mit  clXsifpa  nur 
der  Bedeutung  nach  zusammengehört.  Dieser  Beweis  läfst  sich 
erbringen.  Für  das  vorhistorische  Latein  zeigt  oko-  neben  odor 
(öyco),  so/mm  <  sodiwn  {sed-ere)  und  wohl  auch  soko  <  siiedheo  (vgl. 
suesco,  td-Oi;  )'id-oc)  neben  sodales,  das  freilich  sein  d  vor  /  behalten 
haben  könnte,  dafs  dentales  d  wohl  vor  unbetontem  e,  i  durch  das 
nah  verwandte  praepalatale  /  ersetzt  wurde,  nicht  aber  vor  unbetontem 
0,  u  durch  das  vor  diesen  Vokalen  erscheinende  velare  /.  Dafs 
wir  es  nicht  mit  einem  sabinischen  Lautwandel  zu  tun  haben 
(Ernout  q8,  Walde  passim),  zeigt  auser  der  Bedeutung  von  oleo, 
soleo  (Sommer  Erläut.  376,  Schrynen  KZ  46  [19 14],  376)  auch  das 
ältere  Vulgärlatein,  in  dem  sich  derselbe  Übergang  von  d  '^  /  vor 
2  (nicht  vor  e)  zeigt.  Neben  impedivienta  bezeugt  Paul.  Fest.  108  M. 
ein  impelimenta  —  vg\.  peres  =  pedes  bei  Consentius  V,  392,  15  K. 
und  xxrsxhr.peri  — ;  neben  praesidium  bezeugt  Marios  Victor.  VI, 9, 18  K. 
praesüium  das  wohl  nicht  allein  durch  Suffixwechsel  nach  aiixilium 
entstanden  ist  und  vielleicht  in  consilüan  <<  considmm  (Plant.  Cas.  966) 
einen  Vorgänger  hat.  —  Melicae  bei  Paul.  Fest.  124M.  ist  eine 
Bezeichnung  für  gallae  medicae,  welche  sicher  nicht  durch  Kreuzung 
mit  {gallinae)  Deliacae  (Niedermann  lA  18,  81)  entstanden  ist.  Die 
wenigen  Beispiele  zeigen,  dafs  vereinzelt  auch  im  Vulgärlatein  vor 
i  das  d  durch  lautlich  verwandtes  praepalatales  /  verdrängt  wurde. 
App.  hat  wohl  keineswegs  zufällig  nicht  aleps,  sondern  alipes  (mit  i) 
getadelt  und  es  wäre  denkbar,  dafs  zunächst  nur  alipes  und  erst 
später  zu  adipes:  alipes,  adeps  auch  ein  aleps  entstand.  Aber  auch 
die  ältesten  Formen  adeps  und  adipes  sind  echt  lateinische  Vokabeln. 

b)  13  septizonixivi  non  septidoniuvi.  Ein  Gebäude  des  Namens 
Septizo7iium  gab  es  in  Rom  sicher  zur  Zeit  Suetons,  der  Tit.  c.  i 
angibt,  dafs  dieser  Fürst  paene  Septizonium  geboren  wurde,  vgl. 
Amm.  Marc.  XV,  7,  3.  Berühmter  war  das  von  Septimius  Severus 
am  Palatin  angelegte  Seplizonitnn,  über  das  Spart.  Sept.  Sev.  19,  5, 
24,  3  und  Hieron.  Chron.  a.  200  (S.  212  Helm)  berichten.  Auch 
z.  B.  in  Lambaesis  gab  es  ein  Septizonium,  das  nach  CIL  VIII,  2657 
in  den  JJ.  209 — 211  neu  aufgebaut  wurde  und  nach  Willmanns 
etwa  aus  der  Zeit  Hadrians  stammt;  ebenfalls  nach  Afrika  gehört 
das  VIII,  14372  erwähnte  Septizodium  unbestimmter  Zeit.  Dafs  das 
SepHzojiium ,  über  dessen  Zwecke  noch  keine  Klarheit  herrscht, 
nach    den   sieben   horizontalen    Str-eifen    (Unterbau,    erstes    Säulen- 


1  adeps  und  adipes  sind  beide  weit  verbreitet  (Prise.  II,  321,  29  K.);  adips 
(nach  den  Casus  obliqui)  gibt  es  seit  Plinius;  aleps  CGI.  II,  407, 57  usw.; 
alipes  in  App. 

"^  Unsicheres  Material  bei  Petr.  BB  25,  132;  vereinzeltes  olor  ist  Analogie 
nach  oleo. 


6* 


H 

Stockwerk,  Gesims  und  Stylobat  des  Zweiten  usw.)  des  drefstöckigen 
Baues  benannt  sein  sollte  —  dagegen  Hülsen,  das  Septizon.  des 
Sept.  Sev.  35,  dafür  Petersen,  Rom.  Mitt.  igio,  56  — ,  ist  schon  vom 
architektonischen  Standpunkt  aus  betrachtet,  unwahrscheinlich  und 
wird  auch  durch  die  Nebenform  seplizodium  widerlegt,  welche 
E.  Maass,  Tagesgötter  1902,  106  (nach  Schuchardt  III,  73)  wieder 
zu  Ehren  gebracht  hat.  In  der  Freude  über  seine  Entdeckung  hat 
Maas  die  Bedeutung  der  zweiten  Form  etwas  überschätzt.  Alte 
Zeugen,  wie  Sueton,  CI  VIII,  2657,  App.  bieten  Seplizoniinn  und 
bei  Hieronymus  hat  wohl  nur  eine  Hs.  (B)  Septizoditim  (Septizonium  F) 
und  schreibt  auch  Helm  Septizonium,  Septizoditim  steht  bei  Amm. 
Marc,  CIL  VIII,  14372  und  Ps.-Dositheus  CGI.  III,  58:  septe  zodi 
dies  :  saturni  solis  lune  usw.;  das  Schwanken  der  Überlieferung  in 
der  Vit.  Sept.  Sev.  c.  19,  5:  Septizonium,  24,  3:  Septizodium  (Vit. 
Get.  7)  läfst  uns  im  Unsicheren,  bis  diese  Vita  gründlich  analysiert 
sein  wird,  zuletzt  v.  Domaszewski,  Heidelb.  S.-Ber.  19 16,  7,  15  u. 
19 18,  13,  48  u.  Hasenbroek,  Unters,  z.  Gesch.  d.  Kais.  Sept.  Sev. 
192 1,  147.  Die  Überheferung  entscheidet  also  keineswegs  für 
Septizodium.  Gewifs  ist  zuzugeben,  dafs  in  der  Umgangssprache 
auch  der  Gebildeten  eher  Septizodium  nachträglich  zu  Septizonium 
werden  konnte  als  umgekehrt.  Dennoch  halte  ich  mit  Schürer, 
Z.  f.  neutest.  Wiss.  6,  1905,  29  an  Septizonium  als  ursprünglicher 
Benennung  fest,  weil  ^cöiöia  feststehender  Terminus  für  die  zwölf 
Bilder  des  Tierkreises  war,  ^cövcu  dagegen  für  die  Zonen  der 
sieben  Planeten;  C,c6l6lov  bedeutet  später  zwar  gelegentlich  'Stern' 
(Maass  122  fF.),  aber  nie  'Planet'  und  dementsprechend  ist  niemals 
ein  ijtva^coiSiov  belegt,  das  ein  Widerspruch  in  sich  wäre.  Wir 
dürfen  also  nicht  Septizodium  <  *ijtTa^oSi6lov  als  ursprürigliche 
Bildung  auffassen,  sondern  nur  Septizonium,  das  gr.  gjrrfc^cöi'og 
entspricht.  Wie  nachträglich  Septizodium  entstanden  sein  kann, 
zeigt  Censorin.  de  die  nat.  8,  4:  circulus  sigyiifer  .  .  .  zodiacon,  in 
quo  sol  et  luna  ceteraeque  stellae  vagae  feruntur:  die  Stellung,  welche 
die  sieben  Planeten  zu  den  zwölf  Bildern  der  Tierkreises  einnehmen, 
konnte,  da  zodium  und  zodiacuvi  auch  den  Römern  geläufige  Wörter 
waren,  die  Mifsbildung  Septizodium  in  der  Sprache  der  weniger 
Gebildeten  ins  Leben  rufen.  Während  in  der  hochlateinischen 
Orthographie  seit  Sulla  gr.  c^  erhalten  blieb,  finden  wir  im  Vulgär- 
latein diese  Buchstaben  häufig  durch  s  —  vgl.  so7ia  (Plautus), 
saplutus  Petron.  37;  im  Inlaut -jj-:  massa — ,  oder  durch  <// wieder- 
gegeben, vgl.  haptidiare  <  ßajTZL^siv  (Thes.  L.  L.  s.  v.).  Angesichts 
CGI.  IV,  S37,  32;  549,  II  usw.:  paradionium  wird  auch  Septizonium 
etwa  wie  Septidionium  gesprocheri  und  das  i  vor  folgenden  betontem 
0  in  derselben  Weise  absorbiert  worden  sein  wie  in  dem  oben 
§50  behandelten  Formen  Clöpatra,  nöfita,  erminömata.  Da  -doniuni 
keine  lateinische  Endung  ist  und  z  häufig  erhalten  blieb,  kann 
Septizoniu7n  mit  z  kaum  zu  Septidonium  geworden  sein.  —  Über- 
liefert ist  Septidonium  aufser  in  der  angeführten  Hieronymushs.  in 
den  Schol.  Bern,  zu  Lucan  VII,  425. 


85 

Über  izofiltis  (46)  wurde  schon  §50  gehandelt ;  hinzuzufügen 
ist,  dafs  das  >9-  zwar  meistens  als  t  erscheint,  aber  gelegentlich  auch, 
dem  späteren  Charakter  dieses  Lautes  entsprechend,  als  der  stimm- 
lose Spirant  z,  vgl.  besonders  &-Eiog  ■>  zio  neben  sp.  tio,  Claussen, 
RF  15,  1804,  833. 

§  16.    Die  Gutturale. 

a)     154     auctor  non  autor 

155     auctoritas  non  autoritär 

Zu  den  Lauterscheinungen,  welche  in  verwandten  Formen  im 
Umbrischen  (und  Oskischen)  früher  auftreten  —  vgl.  umbr.  curnase 
=  cornice  u.  a.  —  gehört  auch  die  Entwicklung  von  et;  lat.  sä(n)ctus 
entspricht  osk.  saahtum,  umbr.  sahta,  sahatam',  im  Umbrischen  hat 
das  h  geringe  Intensität.  Alt  ist  der  Wandel  auch  im  Lateinischen, 
vgl.  CIL  P,  550:  Vitoria,  Sommer  2  240.  Vor  allem  scheint  sich 
im  Bauernlatein  der  Übergang  von  -et-  zu  -(t)t-  schon  früh  voll- 
zogen zu  haben.  Während  Plaut.  As.  666,  Capt.  1003  und  Lucrez 
IV,  641  noch  das  alte  cocturnLx  (Caper  VII,  108,  17K.)  anwenden, 
finden  wir  seit  Ovid  nur  noch  cotiirnix  —  Diels,  Berl.  S.-Ber. 
1922,  52  — ,  das  natürlich  nicht  nach  dem  weit  abliegenden 
coi(h)unms  umgebildet  wurde.  Blatta  für  blaeta  'Wanze'  (lit.  blakts) 
gehört  ebenfalls  dem  Bauerlatein;  schon  bei  dem  Komiker  Laberius 
frg.  94  ist  es  bezeugt.  In  diesem  Zusammenhang  findet  das  viel 
besprochene  delitus  ebenfalls  seine  Erklärung.  Das  bei  Varro, 
r.  r.  II,  4,  16:  eii7n  porci  depichi  sunt  a  mamma,  a  quibusdam  deliti 
appellantur  neque  iam  laetantes  dicuntur  und  durch  CGI.  II,  42,  9: 
delitum  djcoyaXaxTiößtr  gestützte  delitus  darf  auch  deshalb  nicht 
in  ^delicus  geändert  werden,  weil  deliculus  bei  Cato,  agr.  2,7:  oves 
delieulas  'krank'  oder  'mangelhaft'  bedeutet,  vgl.  Ehrlich,  Zur  Indo- 
germ.  Sprachgesch.  1910,  651".  Ebensowenig  ist  deliti -^i  delicti  <:^ 
delacti  gerechtfertigt  (so  Thomas,  Stud.  z.  lat.  u.griech.  Sprachgesch.  45, 
der  Grattius  v.  303  falsch  interpretiert),  da  delecti  hätte  entstehen 
müssen.  Auch  Goetzs  Erklärung  (IF  31,  299),  deliti  bedeute  'aus  der 
Liste  gestrichene'  trägt  der  eng  verwandten  Form  delicti\.€\x\&  Rechnung. 
Neben  delitus  ist  nl.  auch  delictus  bezeugt,  vgl.  CGI.  IV,  329,  27 : 
depulsus  delictus  und  328,52:  delictus  depulsus  vel  berruclatu  quod 
dicitur,  das  aufser  dem  depulsus  [a  ynamvid)  auch  den  berruclatu  = 
verruclaius  bezeichnet,  ein  Tier,  das  mit  dem  depulsus  keineswegs, 
wie  Ehrlich  und  Thomas  glauben,  identisch  ist.  Denn  nach  Colum. 
VII,  6,  2  ist  der  verruclatus  ein  caper  cui  binae  verruculae  (,Wärzchen') 
dependent,  der  aufserdem  besonders  zeugungsfähig  sei,  was  keines- 
wegs für  jeden  porcus  a  manwia  depulsus  zutrifft.  Dennoch  tragen 
beide  Tiere  den  Namen  delictus,  demgegenüber  delitus  für  den 
depulsus  nur  als  sekundär  zu  betrachten  ist,  wenn  sich  für  delictus 
eine  für  beide  zutreffende  Bedeutung  feststellen  läfst.  Da  der  (noch 
junge)  depulsus  (a  mamma)  zur  Zeit,  wo  die  anderen  jungen  Tiere 
die  Muttermilch    trinken,    zurückgelassen  wird  und  n^ch  Columella 


86 

der  besonders  früh  reife  vernulaius  schon  mit  6  Jahren,  also  früher 
als  die  anderen  Böcke,  zeugungsunfähig  und  deshalb,  weil  gerade 
er  nur  solchen  Zwecken  diente,  vernachlässigt  wird,  so  kann  sehr 
wohl  die  scherzhafte  Bezeichnung  delictus  'der  Zurückgelassene' 
beiden  Tiernamen  zugrunde  liegen.  Ddiclus  hat  sich  dann  im 
Sinne  von  porcus  depiihus  auch  zu  delitiis  weiter  entwickelt.  Aller- 
dings hätte  sich  die  ursprüngliche  Bedeutung  von  deUciiis  [delinqud) 
nur  in  diesen  alten  Namen  erhalten.  —  Im  übrigen  Italien  und  in 
Rom  sind  die  Beispiele  für  -et-  >>  -//-  verhältnismäfsig  selten.  So 
lesen  wir  CI  IV,  275  (56  n.  Chr.,  Hey  ALL  XV,  275)  faia  (=1  facta), 
otogentos,  autione',  für  invitus  =  invidiis  s.  CIL  XÜ,  5561  ;  und  autor 
steht  CIL  VIII,  1423,  XII,  2058  (a.  491),  auf  einer  Münze  bei 
Cohen  VHP,  p,  284,78;  auctoritas  CIL  VI,  31553;  Inscr.  Hisp. 
ehr.  108  s.  VI/ VII;  antio  VI,  9035  a;  lattuca  <  lactuca  im  INIaximal- 
tarif  Diokletians  CIL,  III,  p.  828,  it.  latluga.  —  Im  Romanischen 
hat  sich  ein  ähnlicher  Lautwandel  von  -et-  zu  -//-  bekanntlich  nur 
im  Italienischen  durchgesetzt,  vgl.  it.  fatto  gegenüber  frz.  fait,  rum. 
fapt,  prov.  fac,  sp.  hecho ;  —  frz.  auteur  usw.  ist  gelehrte  Entlehnung. 
—  Eine  scheinbare  Ausnahme  bilden  frz.  jeter,  roter  und  flotter; 
da  für  rucius  bei  Oribasius  auch  eine  Form  ruptus  überliefert  ist, 
und  -pt-  überall,  auch  in  Frankreich,  zu  -//-  wurde,  möchte  Nieder- 
mann, Neue  Jahrb.  191 2,  337  für  die  drei  Verben  *j'eptare,  *ruptare 
und  *fliipiare  zugrunde  legen,  welche  Formen  entstanden,  als 
Menschen,  welche  das  aus  -et-  entstandene  -//-  richtig  sprechen 
wollten,  dieses  -//-  unrichtig  in  -pt-,  das  ebenfalls  zu  -//-  geworden 
war,  umwandelten.  Aber  die  Vorbedingung,  der  Wandel  von  -et 
zu  -//,  ging  in  Frankreich  nicht  in  Erfüllung,  ^  und  doch  hätten 
die  Bildungen  dort  aufkommen  müssen,  da  z.  B.  span.  echar,  pg. 
geitar  2o\i iectare  zurückgehen,  vgl.  Bruch,  Arch.  f.  d.  Stud.  d.  n.  Spr.  133 
NF.  33  (19 15),  354  ff.  Aufserdem  ist  das  Beispiel,  das  Niedermann, 
Rh.  Mus.  60,  460  aufser  ruptiis  für  Vertauschung  von  -et-  und  -pt- 
anführt,  nl.  laptuea  neben  laetuea  (und  lattuca,  s.  o.),  nicht  ganz 
stichhaltig,  weil  in  den  Glossen  lapttica  im  Gegensatz  zu  lacttica 
d-QiSas  'Salat'  nur  zweimal  —  V,  385,36;  321,12  —  als  Inter- 
pretamentum  von  picrida  verwandt  worden  ist,  das  laut  Plin.  n.  h. 
19,  126  die  schlechteste  Sorte  lactuca  bezeichnet;  laciuea  selbst 
wird  selten  als  picrida  in  den  Glossen  erklärt.  Laptuea  hat  nur 
ungünstige  Bedeutung  (nach  lappa  ?  ?)  und  ist  also  auch  semasio- 
logisch  von  lactuca  z.  T.  verschieden.  Bruchs  Annahme,  dafs 
"^iettare,  ^^'ruttare,  *fluttdre  schon  etwa  um  100  n.  Chr.  aus  Italien 
nach  Gallien  kamen,  ist  wegen  der  seltenen  Belege  für  den  Laut- 
wandel -et-  >  -//-  in  nicht  ländlichen  Vokabeln  älterer  Zeit  recht 
unwahrscheinlich.  In  Wahrheit  wird  ruclare  durch  voll^setymologische 
Anlehnung  an  rumpere  häufig  zu  ruptare  geworden  sein,  wie  auch 
Oribazius   zeigt,    und  kann  frz.  roter  auf  diese  Form  zurückgehen; 


'  Abgesehen  von  ephemeren  Beispielen  bei  Pjrsougi;  Bonnet  188  A.  I,  267; 
Haag  RF.  X,  861,  A.  i. 


87 

dagegen  müssen  jeter  und  flotter  innerhalb  des  französischen  erklärt 
werden,  jeter  vielleicht  durch  Dissimilation  (Herzog  Z.  R.  Ph.  23,  361), 
während  in  flotter  wohl  germanischer  Einflufs  anzunehmen  ist, 
Körting  Wb.  s.  v. 

b)  79  digüus  non  dicitus 
85  fegma  non  peuma 
12     calcostegis  non  calcosteis 

Da  digiius  trotz  der  unerklärten  Endung  zu  dem  Stamm  deü- 
gehört,  ist  es  wohl  verständHch,  dafs  man  öfters  —  anscheinend 
auch  Walde  2  s.  v.  —  das  von  App.  gerügte  dicitus  als  einen  alten 
Rest  betrachtet  hat.  Aber  schon  in  §  2  a  bemerkten  wir,  dafs 
it.  dito  mit  i  nur  aus  d'/fuvi  entstanden  sein  kann,  das  sich  aus 
dij'itum  <  digitum  entwickelte,  während  die  anderen  romanischen 
Formen  auf  digitum  zurückgehen.  Auch  ist  Pompeianisches  fridara 
und  asp a n.  yrJ(/ö  zxxi  fnjidus  {frljidus)  zurückzuführen,  s.  §  2  a. 
Schlielslich  zeigt  auch  viiiti  <  viginti'^  der  romanischen  Sprachen 
(vgl.  CIL  VIII,  8573),  dafs  besonders  zwischen  zwei  i  das  palatale 
g  zu  /  und  iji  zu  i  wird;  schon  im  ersten  Jahrhundert  gab 
es  ein  frldam.  —  Neben  dem  aus  digitus  entstandenen  häufigen 
dijitus  kann  nun  aber  kaum  altererbtes  dicitus  in  der  Volkssprache  vor- 
handen gewesen  sein.  Vielmehr  haben  wir  das  c  in  dicitus,  das 
auf  einem  Fluchtäfelchen  CIL  X,  8249  und  bei  Dessau  8751  (Blei- 
tafel aus  Nomentum)  erhalten  ist,  als  einen  Versuch  aufzufassen 
das  zu  j  sich  umwandelnde  g  durch  eine  Aussprache  nach  c  hin 
zu  retten.  Diese  Annahme  begünstigt  das  CIL  VIII,  8642  und 
X,  5939  überUeferte  quadracinta,  während  das  den  romanischen 
Formen  entsprechende  quarranta  bei  Le  Blant  Nouv.  Rec.  66 
(Pirson  97)  auf  die  Aussprache  quadrä(j)inta  hinweist,  vgl.  auch 
trienta  CIL  XII,  5399.  Auch  citiquacinta  [qtmiquacinta]  ist  III,  2234, 
V,  6 191   belegt;  aber  im  Volksmund  war  cinquä(j)inta  üblich. 

Ebenfalls  vor  folgendem  i  wurde  intervokalisches  g  zu  j  in 
calcosteis,  das  Heraeus  ALL  XI,  65  durch  Serv.  ad  Aen.  I,  448: 
quidavi  Hrahes  aeneas^  putant  ipsum  templum  chalcosteum  mit  Recht 
gegen  Änderungen  geschützt  hat.  Chalcostegis  ist  ohne  Zweifel 
Übersetzung  eines  ^yaXxoöTsyic  —  so  Bücheier  bei  Förster  318  — , 
nicht  eines  ■/ciÄy.oOTEy/'/c  oder  *ya?.xoOTtyoc.  In  diesem  Tempel 
waren  die  Dachbalken  mit  Kupfer  beschlagen,  wie  im  Chalcioecon 
(Liv.  35,  36,  9)  die  Wände  mit  ehernen  Platten,  Paus.  3,  17,  3. 
Aus  Servius  Worten  {ipsum)  dürfen  wir  schliefsen,  dafs  es  in  Rom 
einen  bekannten  Tempel  gab,  der  im  Volksmund  chalcosteis  (-cum) 
hiefs.  Leute,  die  in  Vergils  Worte  alles  hineindeuteten,  glaubten, 
dafs  in  der  Beschreibung  der  Gründung  Carthagos  auf  den  römischen 
Tempel  Bezug  genommen  wurde.  Wenn  auch  App.  den  Tempel 
ohne  Veranlassung  erwähnt,  so  ist  sie  sicher  in  Rom  verfafst  worden, 
s.  Einleitung. 

^  Wahrscheiulich  war  auch  hier  das  dem  g  vorangehende  i  betont,  vgl, 
trienta  CIL  XII,  5399  und  Consentius  V,  392,  4K. 


SB 

In  peuma  'Gefüge'  ist  an  Stelle  des  g  der  homorgane  Vokal 
u  getreten,  der  zugleich  hinsichtlich  der  Lippenstellung  dem  folgen- 
den w  verwandt  ist;  so  konnte  leicht  pegma  zu  peuma  werden,  das 
Schuchardt  11,  499  aus  Ed.  Luitpr.  125,18  belegt.  Knch.  fraiptieiila 
■=■  fragmenta  ist  öfters  bezeugt,  vgl.  auch  carauma  =  '/jtQayiua 
CGI  V,  349, 44.  Besonders  interessant  ist  Heiigmatictis  bei  Marc. 
Emp.  p.  160,  18  N.,  das  durch  eine  Art  Kontamination  der  phone- 
tischen (für  fleiima  s.  Schuchardt  II,  499)  und  der  historischen 
Orthographie  entstand,  Lichtenhan  a.  a.  O.  43.  —  Auch  an  dieser 
Stelle  gibt  App.  nicht  diejenige  Vulgärform,  welche  sich  im  Roma- 
nischen durchgesetzt  hat  und  erst  später  entstand,  n\.  pelma,  vgl. 
lomb.  obw.  pelma  'Honigwabe',  sp.  pehnazo  'Klumpen',  M.-Lübke 
Einf.  3,  170.  Dieselbe  Entwicklung  zeigt  z.  B.  sagma  >  sauma  > 
salma  —  Isid.  Orig.  20,  16,  5:  sagma,  qiiae  corrupte  .  .  .  salma  dicitur, 
vgl.  it.  salma,  asp.  jalma  usw.  Das  /  konnte  im  Silbenauslaut  wegen 
seines  dort  stark  velareh  Charakters  (Sommer  2,  166)  sehr  leicht 
durch  u  ersetzt  werden,  wie  xavxovÄaTfo  des  Ed.  Diocl.,  cauculus 
It.  Thren.  3,  16  und  andere  Beispiele  zeigen,  vgl.  noch  Skutsch 
Glotta  I,  159  und  oben  §  12.  Bei  der  grofsen  Verwandtschaft  von 
u  und  silbeausl.  /  konnte  auch  für  sauma  und  peuma  leicht  salvia 
und  pelma  eintreten.  Dafs  in  der  Volkssprache  das  /  gerade  an 
Stelle  eines  u  trat,  dem  in  der  Hochsprache  ein  "■  entsprach,  erklärt 
sich  vielleicht  durch  das  Bestreben  das  ic  wie  im  Hochlalein  wieder 
konsonantisch  zu  sprechen;  es  kam  dabei  anstatt  des  ursprünglichen 
g  der  dem  u  ebenfalls  verwandte  /-Laut  heraus. 

c)  calaius  non  galatus.  Die  allgemeine  Angabe  Grandgents 
Introd.  to  Vulgär  Lat.  138,  dafs  in  griechischen  Lehnwörtern  k  des 
öfteren  als  g  erscheint,  läfst  sich  wohl  dahin  einschränken,  dafs 
nur  vor  a,  0,  u  und  Liquiden  der  griechische  stimmlose  Guttural 
stimmhaft  wird.  Für  das  alte  Latein  sei  hingewiesen  auf  xvßtQj'ür 
gubernare,  XQaßßarog  grabahis  'Ruhebett'  (Lucilius),  yaXßdr?/ 
galbanum,  xcoßiöa  gohius  'Gründling'  (Lucilius);  für  das  spätere 
Vulgärlatein  vgl.  -/.agvo^pviD^ov  caryophyllum,  daneben  garyophyllum 
in  Hss.  und  it.  garofano,  frz.  girofle,  Thes.  L.  L.  s.  v.;  xcif/fJCtQOQ 
cammarus,  cambams,  gammarus  und  it.  ga?nbero,  sp.  gambaro;  xoXjtog 
colpus,  it.  golfo  (>  fr.  golfe),  frz.  goufre;  xQVJtrij  crypta,  it.  grotta, 
afrz.  groute,  M.-Lübke  Wb.  2349.  —  Vor  r  und  /  wurde  auch  in 
echtlateinischen  Vokabeln  c  stimmhaft,  vgl.  crates  >>  grates,  graiicula 
Thes.  L.  L.  s.  v.  und  rum.  gratie  'Hürde',  it.  grata  'Gitter',  M.-Lübke 
2304.  Sehr  leicht  konnte  also  durch  grossus  beeinflufst  —  M.-Lübke 
Einf.  3,  181  —  crassus  zu  grassus  werden,  CGI.  II,  35,  36,  rum.  gras, 
it.  grasso  usw.  Vor  /  ist  c  >  ^  z.  B.  belegt  in  glangu  .  .  .  glangor 
CGI.  11,  101,39  f.;  glebum  (==  clwum,  clevmn  Oribasius)  ascensum 
CGI.  V,  424,  3  u.  a.  —  Nach  dem  Gesagten  ist  galatus  <  calatus: 
xdXad-OQ  —  die  Frage,  ob  calathus  mit  h  zu  schreiben  ist,  ist  ebenso 
müfsig  wie  für  calcosiegis  — ,  das  sich  vielleicht  in  venez.  calto  er- 
hallen hat,  ohne  weiteres  verständlich;  natürlich  ist  Einflufs  von 
Galatus  'Galater'  (!)  ausgeschlossen  (Keller  Volksetymologie  93).  — 


89 

Aber  die  von  App.  in  20g  anerkannte  Form  lautete  sicher  clatri 
(§  12),  nicht  glaJri;  auch  in  den  italienischen  Dialekten,  welche 
das  Wort  bewahrt  haben,  ist  nur  c  erhalten,  vgl.  südital.  kyatru 
und  M.-Lübkc  1966.  —  Dagegen  fehlen  Beispiele  für  diesen 
Lautwandel  vor  e  und  /,  obwohl  es  an  Lehnwörtern  der  Gestalt 
{cerasus,  cercsus  u.  a.)  nicht  fehlt. 

§  17.    Die  Labiale  (s.  §  14). 

a)      179     sibilits  iion  sifdus. 

Da  indog.  -dh-  im  osk.-umbr.  Inlaut  als  /,  dagegen  im  Latein 
als  b,  d  erscheint,  so  nimmt  man  für  lateinische  Vokabeln  mit  /  <  dh 
im  allgemeinen  dialektische  Herkunft  an.  Wir  dürfen  dieses  an 
sich  richtige  Prinzip  nicht  übertreiben  und  zu  den  mehreren  Bei- 
spielen, für  welche  Ernout  75  mit  Unrecht  dialektischen  Ursp.iung 
als  sicher  betrachtet,  gehört  auch  sißlus.  Denn  gerade  in  diesem 
Wort  haben  seiner  Bedeutung  entsprechend  onomapoetische  Momente 
mitgespielt:  wird  doch  der  Sinn  von  sifilus  'Zischen'  lautlich  viel 
besser  durch  die  beiden  Spiranten  s — -f  als  durch  s  —  b  wieder- 
gegeben. So  konnte  sifilus  ohne  weiteres  in  der  römischen  Um- 
gangssprache aufkommen,  vgl.  Nonius  531  M:  sifilare  qiiod  nos  vili- 
tatetn  verbi  evitantes  sibilare  dicimus  .  .  .  sifilationibus  quis  exploditur, 
zumal  auch  die  Bedeutung  keineswegs  dialektische  Entlehnung 
vermuten  läfst.  Die  Annahme  onomapoetischen  Einflusses  wird  be- 
stätigt durch  CGI.  IV,  395,  3 :  suifium  \  stfilum,  wo  Groeber,  ALL 
V,  468  das  Lemma  mit  Unrecht  durch  suffium  ersetzen  wollte; 
anch  Span,  chifla,  frz.  chiffler  neben  siffler,  it.  zufolare  zuflfolare, 
prov.  chufla  chifla,  afrz.  schufie  zeigen  im  Anlaut  eine  Variation, 
welche  ebenfalls  auf  schallnialende  Tendenzen  zurückzuführen  ist. 
Nur  Verkennung  dieser  Tatsachen  konnte  Groeber  a.  a.  O.  und 
Heraeus  326  verleiten,  Einflufs  von  sufflare  anzunehmen. 

b)       60     caelebs  non  celeps 
181     plehs  non  pieps 
205     labsus  non  lapsus 

Die  von  App.  verworfenen  Formen  cekps  und  pieps  sind 
phonetisch  genaue  orthographische  Schreibungen,  deren  Existenz- 
berechtigung von  den  Grammatikern  heifs  umstritten  war,  Brambach, 
Neugest.  der  lat.  Orthogr.  242  ff.  App.  steht  auf  dem  Standpunkt 
Varros,  der  nach  Terent.  Scaur.  VII,  27,  1 1  K.  solche  Vokabeln  mit 
b  schrieb,  welche  auch  in  Genetiv  h  zeigten,  wie  plebs,  urbs,  aber 
Pelops  sein  j!i  liefs.  Dagegen  wendet  sich  Scaurus:  sed  nobis  iitrumquc 
per  ps  videtur  esse  scribendum,  quoniam  ex  his  tf)  liüera  co7islef,  quam 
genetivo  diximus  auf  in  bis  {(pÄsßöc)  auf  in  pis  [IHXojioq)  exire. 
Derselben  griechisch  orientierten  Auffassung  entsprechend  weist  er 
p.  14, 3 ff.  auf  die  enge  Verwandtschaft  zwischen  b  und/»  hin,  welche 
in  princeps  et  caeleps,  principis  et  caelihis  und  auch  in  carpo  et  scribo, 


90 

carpsi  el  scripsi  zutage  trete. '  Ein  neues  Argument  fügten  andere 
hinzu,  vgl.  Mar.  Victor.  VI,  21,  7  K.:  wie  zu  coniugis  und  legis  der 
Nom.  coniunx  und  lex  (g)  laute,  so  zu  plehis  und  caelihis  pieps  und 
caeleps  (xp).  Diesen  Argumenten  tritt  wieder  Priscian  entgegen 
II,  ^^,  10,  43,  7K. :  necesse  est  loco  ip  graecae  hs  vel  ps  scrihere  pro 
ratione  genetivi,  ut  ...  '■caelebs  caelihis',  '■princeps  principis''  .  .  .  '■nuho 
niipsV ,  '■scriho^  ^scripsi'  faciunt,  quamvis  an alogia  per  b  cogit  scrihere, 
sed  euphonia  superat,  quae  etiam  ^nuptani'  .  .  .  compellii  per  p  non  per 
h  dicere  et  scrihere,  vgl.  GL  II,  507,  15.  Priscian  schreibt  also  urhs 
urbis,  aber  nuho  mipsi  nuptuvi.  Er  anerkennt,  dafs  die  Analogie 
zu  nubsi  nuhtum  führen  müfste,  aber  wirklich  billigen  tun  diese 
Formen  m.  W.  nur  App.  und  [Probi]  Institut.  Art.  IV,  126,  6  K.: 
(um  lapsus  a  lahor  venire  int  eile galiir,  et  ideo  per  b,  non  per  p  litter  am 
scribi  proniintiatur,  was  für  den  Zusammenhang  beider  Schriften 
wichtig  ist;  wahrscheinlich  erklärt  der  Verfasser  der  Instituta  die 
Form  der  App.,  von  der  er  abhängig  ist,  s.  Einleitung.  App. 
schöpft  auch  hier  aus  Grammatikertradition,  führt  aber  nicht  mit 
Varro  urps,  sondern  nur  die  beiden  Vokabeln  auf  -ebs  an,  für 
welche  man  vielleicht  auch  wegen  der  vielen  auf  -(c)eps  endenden 
Wörter  die  Endung  -eps  befürwortete.  Pieps  ist  häufig,  CIL  II,  34,  53, 
1348)  335^;  XI,  3260;  für  celeps  vgl.  Thes.  L.  L.  s.  v.  Da  die 
Grammatiker  nach  griechischem  Muster  {/jid-EOL :  y  D-soi,  Reitzenstein, 
M.  Ter.  Varro  und  Joh.  Mauropus  35)  caelebs  mit  caeles^  erklärten, 
ist  als  anerkannte  Form  caeleps,  nicht  das  überlieferte  celeps  zu  be- 
trachten. —  Auch  conlabsus  ist  bezeugt,  CIL  IX,  2447,  5980, 
X,  5349,  6891  u.  ö.,  sodafs  der  extreme  Standpunkt  der  App.  auch 
praktische  Verwertung  fand.  —  Die  Zusammenstellung  von  bs  und 
ps  mit  j/;  ist  alt,  da  bekanntlich  schon  Claudius  für  bs  und  ps  das 
Antisigma  einführte,  das  dem  x  (und  z)  entsprechen  sollte,  Büc'heler, 
Kl.  Sehr.  I,  9. 

c)     227     amfora  non  a7npora 
192     strofa  non  stropa 

Das  gr.  f/i,  das  zur  Zeit  der  ältesten  Entlehnung  in  Griechischen 
noch  aspirierte  Tenuis  war,  gaben  die  Römer,  denen  dieser  Laut 
fehlte,  mit  einfachem  /  wieder.  Erst  seit  der  INIitte  des  2.  Jhdts. 
v.  Chr.  entsprachen  ff  ^  y/.  ph  th  ch,  welche  auch  in  einheimischen 
Vokabeln  wie  pulcher  eingeführt  wurden  (anders  W.  Schulze,  KZ 
oö^  386).  In  der  Volkssprache  blieb  es  bei  /,  /,  c,  vgl.  oben 
calatus,  tymum,  welche  Formen  vielleicht  sogar  App.  billigte,  und 
z.  B.  xöXag)OQ,  it.  colpo,  prov.  afrz.  colp,  sp.  golpe  usw.,  percolopare. 
So  blieb  auch  avipora,  dessen  Verbreitung  das  Deminutivum  ampulla 
bezeugt;  das  p  erhielt  sich  wohl  deshalb  so  sehr  lange,  weil  vor 
dem  labiodentalen  f  nicht  m,  sondern  n  zu  stehen  pflegt,  so  dafs 
mf  eine  zuerst  ungewöhnliche  Verbindung  war  und  auch  amfractus, 


1  Vgl.  noch  Curt.  Valerian.  und  Papirian.  bei  Cassiod.  VII,  156,  2;    159,  22, 
*  Paul.  Fest.  p.  44  M;  Gavius  Bassus  bei  Quintil.  l,  6,  36. 


91 

dessen  m  jedenfalls  feststeht,  zu  anfraclus  wurde;  erst  in  der 
Kaiserzeit  wurde  gelegentlich  m  vor  /"  gesprochen,  vgl.  §5d  i^im- 
fimenalus),  ein  vereinzeltes  im  fronte  CIL  I'^^,  1420  (Sommer 2  192) 
sagt  für  die  republikanische  Zeit  nichts  aus.  —  Diese  Auffassung 
bestätigt  das  in  Glossen  häufige  anfora  mit  n  (III,  496,  21,  III,  24,  6  ; 
620,  51;  IV,  558,58;  V,  340,  55),  welche  Bildung  vielleicht  schon 
in  der  älteren  Umgangssprache  aufkam,  als  -mf-  noch  gar  nicht 
geläufig  war,  und  auch  fortlebte,  als  später  der  Volksmund  dem 
-mf-  etwas  weniger  abgeneigt  war.  —  Das  gr.  (f,  wurde,  zum  Spirans 
geworden,  gelegentlich  auch  als  f  geschrieben,  so  steht  z.  B.  Dafnc, 
Fyllis  auf  Pompeianischen  Graffiti,  Häufiger  wird  /  erst  seit 
Septimius  Severus,  regelmäfsig  seit  der  zweiten  Hälfte  des  vierten 
Jahrhunderts  (Mommsen,  Ges.  Sehr.  VII,  792  ff.).  Daraus  Schlüsse 
auf  das  Alter  der  App.  zu  ziehen  wäre  müfsig,  da  amphora  und 
strophd  leicht  einzusetzen  sind  und  App.  als  Gegensatz  zu  p  ab- 
sichtlich das  (seltenere)  /'  verwendet  haben  kann. 

Sirdpa  <C  oTQOfprj ,  das  selbst  unbelegt,  aber  mit  siropoia  in- 
poslura  CGI.  IV,  176,  11  zu  vergleichen  ist,  hat  sich  wohl  gehalten, 
weil  es  sonst  überhaupt  keine  griechischen  Lehnwörter  oder  ur- 
römischen Vokabeln  auf  -ofa  —  auf  -öfa  nur  scrofa  —  gab.  Da- 
gegen waren  mehrere  griechische  Entlehnungen  auf  -dpa  <C  -orrfj 
(-0.T//)  vorhanden,  syncöpa,  apocopa,  vieidpa,  eciropa,  scöpa  «<  öxojt)'/ 
(spät  belegt),  iröpa,  während  nur  das  unklare  pöpa  'Opferdiener' 
als  lateinisches  Wort  in  Betracht  käme;  für  -öpa  s.  scöpa  'Besen', 
cöpa.  Angesichts  dieser  Tatsachen  ist  die  Erhaltung  von  ströpa  in 
der  Umgangssprache  völlig  verständlich. 

188  plasia  non  hlasta  wird  durch  das  oben  §  i6c  Gesagte  er- 
klärt. Das  ausl.  a  in  plasia  «<  jrldor/ic  'Bildhauer'  wie  in  poeia. 
Blasta  ist  unbelegt. 

§  18.    Das  s. 

a)       30     miles  non  milex  185    poples  non  foplex 

148     aries  non  ariex  186     locuples  non  locuplex 

Da  ausl.  .v,  wohl  zuerst  vor  anl.  Konsonanten,  in  der  Um- 
gangssprache zu  s  wurde  —  für  den  Anlaut  vgl.  das  Wortspiel  bei 
Petron.  c.  56  'serisapia  .  .  .'  xerophagi,  für  den  Auslaut  summum  ins, 
suvimum  crux^.l)  —  z.  B.  m  felairis  CIL  IV,  1388,  2292  (s.  §  12 
vunetris,  op  {seiris)),  so  hat  man  in  juiiex  usw.  das  x  durch  um- 
gekehrte Aussprache  erklärt  (vgl.  xancto  CIL  X,  1541  für  den  An- 
laut), s.  Sommer2  248.  Diese  Auffassung  mag  für  vereinzelte  Fälle 
zutreffen  (z.  B.  Claninx  CIL  XIII,  2477,  2),  aber  für  die  weitere 
Verbreitung  dieser  Formen,  wie  sie  App.  voraussetzt,  haben  meistens 
andere  Faktoren  mitgewirkt.  So  dürfte  ariex,  der  sich  zum  vervex 
verhält  wie  etwa  der  equus  zum  caniherius ,  eben  nach  vervex  sein 
ziemlich   festes   x  bekommen  haben,  1    nicht  nach  iudex  (Vendryes 


1  So  auch  Mohl,  Etud.  sur  le  lex.  du  lat.  vulg.   1900,  n.  9,    wie  ich  uach- 
träglich  sehe;  anders  Niedermann,  ZRPh.  26,  357  (kaum  richtig). 


92 

bei  Niedermann,  Contrib.  ä  la  crit.  des  glos.  Lat.  1905,  4g).  Ferner 
ist  für  locuples  und  poples  zu  beachten,  dafs  es  die  einzigen  auf 
-ples  endenden  Vokabeln  sind,  so  dafs  das  übliche  -plex  auch  in 
dem  Substantivum  poples  die  ungewöhnliche  Endung  leicht  ersetzen 
konnte.  Zu  vergleichen  wäre  die  Umwandlung  des  aus  praegna(fi)s 
mit  ungewohnter  Adjektivendung  entstandenen  pracgnas  einerseits 
zu  praegnax  (Fulgent.  myth.  p.  38,  21H.),  andererseits  zu  *praegnis 
(afrz.  preinz,  aprov.  prenhs,  M.-Lübke,  Einf.-^  170,  18g).  Die  Ab- 
neigung   gegen    locuples    zeigt    auch    vereinzeltes    loctiplens ,     CGI. 

IV,  110,  27:  locuplcns  multa  loca  possidens,  wo  freilich  die  Etymo- 
logie der  Alten  —  Paul.  Fest.  p.  119  M.;  Quint.  5,  10,  55  — 
durchschimmert.  —  An'ex,  das  aus  hochlat.  aries  sich  neu  entwickelte, 
nachdem  schon  im  älteren  Vulgärlatein  aries  zu  arls  geworden  war 
(§1),  und  poplex  sind  nicht  belegt;  lociiplex  steht  CGI.  V,  528,  i  ; 
Not. Tir. 41,  22  (cod.  Vat.);  Fulgentius  p.  142,  ig  Helm  (Heraeus  327); 
locuplebs  CGI.  V,  533,  13.  —  Schliefslich  ist  es  nicht  ganz  ohne  Be- 
deutung, dafs  nach  Ausweis  der  App.  besonders  in  solchen  Formen 
das  .r  sich  v/eiter  verbreitete,  welche,  wie  die  ursprünglichen  Vokabeln 
auf  -ex,  -ix,  in  den  Casus  obliqui  um  eine  Silbe  verlängert  wurden 
(vgl.    noch    z.   B.    satellex    CGI.  II,  280,  21  ;    fomix  =  fomis    [-<?j] 

V,  629,  3),  während  Fälle  wie  vulpex  CGI.  II,  5g7,  43  äufserst  selten 
und  ephemer  sind.  Während  in  Parisyllaba  das  neue  .v  sich  nicht 
durchsetzte,  weil  ausl.  .v  für  die  Imparisyllaba  charakteristisch  war, 
fiel  dieses  Hindernis  für  die  Imparasyllaba  auf  -es  weg  und  konnte 
-es  in  der  Umgangssprache  zu  -ex  werden,  wenn  die  sonstigen  Be- 
dingungen günstig  waren.  Auch  milex  {-ix)  findet  sich  —  [be- 
einfiufst  durch  dux}'^']  —  häufig  in  Inschriften,  vgl.  CIL  VI,  37, 
2457,  254g,  2625,  2723,  2737,  3637  u.  ö.  in  allen  Ländern.  Auch 
hier  gibt  App.  eine  Vulgärform  der  älteren  Schicht,  welche  im  Ro- 
manischen nicht  weiterlebt.  Miles  hat  sich  nur  als  altes  Lehnwort 
im  ahd.  milizza,  cymr.  milvvr  (Petersen,  Vergl.  Gr.  210)  erhalten, 
während  es  aus  sachlichen  Gründen  im  Romanischen  durch  .sol(i)- 
datus  'Söldner'  ersetzt  wurde.  ÄhnUche  Gründe  liefsen  auch  andere 
Verba  mihtaria  absterben,  z.  B.  wurde  das  nur  noch  im  Sp.  Ptg. 
vorhandene  lorica  {lorigd)  in  den  übrigen  romanischen  Sprachen 
durch  *coriacea  'Lederpanzer'  —  vgl.  it.  corazza  >  frz.  cuirasse 
usw.,    M.-Lübke   s.  v.    —    verdrängt,    s.   Jud,    Z.  f.  rom.  Phil.    38 

(i9i4)>  35- 

In  diesem  Zusammenhang  ein  kurzes  Wort  über  Aiax  Aiacis, 
das  nach  Schwerings  hübscher  Vermutung  IF  30(1912),  220  durch 
oskische  Vermittlung  zu  den  Römern  kam,  weil  dort  —  aber  viel- 
leicht noch  nicht  zur  Zeit  dieser  alten  Wanderung  des  Aiasnamens 
—  ausl.  .r  ziemlich  früh  zu  s  wurde :  meddiss  medikeis.  Die  Ein- 
wände Zimmermanns  IF  32,  203  sind  nicht  stichhaltig,  da  spätes 
sona(n)s  >  sotiax  (Apuleius)  und  praegna(7i)s  >■  praegnax  (s.  o.)  usw. 
für  einen  ähnlichen  Übergang  im  ältesten  Latein  nichts  beweisen. 
Wohl  aber  hat  Schwering  die  Form  zu  sehr  isoliert  und  nicht  be- 
achtet,   dafs  die  den  Römern  ungeläufige  Deklination  -ac,  -aVToq 


95 

auch  sonst,  wenn  auch  in  anderer  Weise,  umgewandelt  wurde; 
zwar  meistens  durch  eine  leichte  Einschlebung  eines  n  vor  dem  s 
im  Nominativ  —  admna(n)s,  Athama(n)s,  Atla(n)s  — ,  aber  dann 
und  wann  auch  in  anderer  Weise,  vgl.  DMpac,  iXirpavro^  >  e/e- 
phantus,  -ti  und  die  Städtenamen  'AxQdyai;  >  Agrigentuin  und 
Tcigac  >  Tarentuvi.  Sehr  wohl  konnten  also  die  Römer  selbst 
Äiaq,  ÄiavxOQ  zu  Aias,  Aiacis  umändern. 

b)     134  vico  capitis  Africae  non  vico  caput  Africae 

135  "vico  tabitli  proconsolis  non  vico  tahiilu  proconsulis 

136  vico  castrorum   non  vico  castrae 

137  vico  strobili  non  vico  trobili 

Überraschen  mufs  zunächst  das  sogar  anerkannte  vico  =  vicus, 
obgleich  sowohl  nach  Aussage  der  romanischen  Sprachen  —  nur 
im  Italienischen  und  Rumänischen  ist  ausl.  -s  sekundär  geschwunden 

—  und  des  Germanischen  —  vgl.  got.  asilus  <C  asintis  neben  wein 
(*wino)  ■<  vintim,  F.  Kluge,  Z.  f.  rom.  Phil.  17,  559;  Bruch,  ebenda 
41,  192 1,  429  —  wie  auch  des  Vulgärlateins  selbst,  wo  Formen 
wie  filio  =  filius,  vor  folgendem  s  X,  1367,  äufserst  selten  sind 
(Proskauer,  Das  ausl.  -s  auf  lat.  Inschr.  19 10,  i6g,  die  allerdings 
in  der  Ableugnung  des  Schwundes  zu  weit  geht),  ausl.  -s  nur 
ausnahmsweise  völlig  schwand  und  ausl.  u  zu  0  wurde.  Wir  müssen 
aber  bedenken,  dafs  vico  in  der  festen  Verbindung  mit  dem  näher 
bestimmenden  Genetivus  fast  einem  proklitischen  Worte  gleichkommt 
und  der  -j-Schwund  nicht  anders  zu  beurteilen  ist  als  das  häufige 
CO  =  cum  (Präpos.)  —  Diehl,  De  -7«  final,  epigr.  266  —  und  der 
Abfall  des  ausl.  -s  auch  vor  Vokal  in  der  volkstümlichen  Verbin- 
dung   amicusjimico    bei  Plautus   usw.,    s.   Leo,  Plaut.  Forsch. 2  259. 

—  Auch  hier  wurde  wie  bei  horilegium  u.  a.  von  App.  der  Volks- 
sprache eine  Konzession  gemacht,  vveil  vico  als  topographische  Be- 
zeichnung im  Munde  auch  der  Gebildeten  üblich  war.  —  Nicht 
anerkannt  wird  dagegen  die  Apposition:  vico  caput  Africae  vom 
Typus  'rue  Richelieu',  sondern  nur  der  Typus  'rue  de  Richelieu'. 
Es  ist  sehr  zu  beachten,  dafs  App.  für  diese  Erscheinung  solche 
Beispiele  anführt,  in  denen  auch  der  Name  selbst  noch  einen 
Genetivus  enthält  [Africae,  proconsulis),  so  dafs  die  vulgäre  Sprache 
hier  auch  die  Anhäufung  zweier  Genetivi  gemieden  zu  haben  scheint 
(daneben  auch  vico  porta  Naevia  auf  der  capitolinischen  Basis).  Es 
ist  deshalb  höchst  unwahrscheinlich,  dafs  wir  in  n.  137  non  vico 
strohilu  mit  Foerster  lesen  dürfen,  ganz  abgesehen  von  dem  seltenen 
Schwund  des  ausl.  -s  im  Hauptwort  (s.  o.).  Wir  haben  also  wirklich 
vico  strobili  non  vico  [sjtrobili  zu  lesen  und  • :  als  Tilgungszeichen 
zu  betrachten:  in  der  engen  Verbindung  vicostrohili  wurde  das  s 
zunächst  zu  vico-  gezogen  und  dann  in  der  Umgangssprache  unter 
Einflufs  von  vicocastrae  usw.,  in  dem  die  beiden  Glieder  noch  richtig 
als  solche  empfunden  wurden,  wieder  ausgestofsen,  wie  schon 
Gaston  Paris,  Mel.  Renier  303  richtig  vermutet  hat.  Ob  die  Gasse 
nach   einem  Menschen   benannt  worden  ist,    der  Strobilus  hiefs  (so 


94 

Bücheier  bei  Förster  310),  oder  vieiraehr  nach  der  Zirbelnufs,  läfst 
sich  nicht  entscheiden. 

Dieselbe  Erklärung  trifft  nun  aber  auch  für  vico  labuli  {-/u) 
proconsidis  zu,  mit  dem  Unterschied,  dafs  auch  App.  selbst  das 
wohl  aus  vico  siahuli  entstandene  vico  tabuli  (ohne  s)  anerkennt, 
weil  auch  iabulurn,  wie  Heraeus  ALL  XI,  66  aus  CGI.  III,  264,  72: 
ixQifvJov  tahulum  (11,  331,  58)  nachwies,  im  Sinne  von  'warme 
Wand  in  der  vinea''  vorkam.  Dafs  der  Eigenname  labulinn  pro- 
consolis  keinen  Sinn  gibt,  darum  kümmerte  sich  App.  wohl  weniger, 
weil  bei  den  steten  Umbauungen  die  ursprüngliche  Bezeichnung 
nicht  mehr  herausgeklügelt  werden  konnte.  Für  uns  ist  vicosiahili 
proconsulis  in  derselben  Weise  zu  vicoiahidi  proconsulis  geworden, 
wie  vicostrohili  zu  vicotrohili,  denn  nur  'der  Stall  des  Proconsuls' 
ist  für  eine  Gasse  eine  passende  Bezeichnung.  Bücheier  glaubt, 
dafs  in  tabuli^  das  e  der  zweiten  Hand  das  richtige  bietet  und 
die  Strafse  nach  einem  dort  von  einem  Prokonsul  angeschlagenen 
Brett  benannt  wurde;  aber  tahuleproconsuhs  wäre  nicht  leicht  zu 
dem  ebenfalls  lateinisch  richtigen,  aber  ungebräuchlichen  tahulii- 
proconstilis  verschlechtert  worden.  Zangemeister  bei  Förster  31g 
vermutet  vico(ca)tahoHproco7istdis  mit  Haplologie,  aber  das  catahultwi, 
die  grofse  Zentralstelle  des  ciirsus  publicus  in  Rom,  wo  die  aus 
dem  Osten  kommenden  Waren  abgeladen  wurden  (Hülsen  RE  s.  v.), 
bedürfte  nicht  des  sinnlosen  Zusatzes  proconsulis.  —  Merkwürdig 
ist  das  Unterbleiben  der  Synkope  in  tahila.  Das  0  in  proconsolis 
zeigt  die  archaisierdende  Tendenz  der  App.  bei  der  Bezeichnung 
dieses  Würdenträgers;  auch  in  der  Columna  Rostrata  CIL  P,  25,6 
ist  consol  hergestellt  worden ;  auf  grammatische  Tradition  weist 
Velius  Longus  VII,  4g,  15  K.  hin:  consol  scribehatur  per  o,'cum 
legeretur  per  u  constil.  Die  Bezeichnung  proconsulis  führt  natürlich 
nicht  in  die  Provinz,  denn  auch  ein  nach  Rom  zurückgekehrter 
proconsul  konnte  später  dort  so  genannt  werden.  Dagegen  ist  mit 
vico  capitis  A/ricae  sicher  der  bekannte  römische  vicns  der  zweiten 
regio  gemeint,  vgl.  Jordan,  Topogr.  v.  Rom  II,  587  ff.  Da  dort  eine 
Schule  war  —  CIL  VI,  8g83,  8g84:  paedagogus  {puerorum)  a  caput 
A/ricae  (auch  hier  nicht  flektiertes  caput  A/ricae)  — ,  so  ist  es  sehr 
wohl  möglich,  dafs  App.  von  einem  Lehrer  der  dortigen  Unterrichts- 
anstalt verfafst  worden  ist.  Auch  befanden  sich  in  Rom  mehrere 
castra  und  die  vielleicht  von  Septimius  Severus  errichtete  castra 
peregrina  (Richter,  Topogr.  2  337)  lagen  in  der  nächsten  Nähe  des 
vicus  capitis  A/ricae,  so  dafs  auch  an  der  Lokalisierung  der  vicocastrae 
in  Rom  kaum  gezweifelt  werden  kann.  —  Castra  konnte,  da  es  nur 
der  Form  nach  Plural  ist,  am  ehesten  zu  einem  Femin.  Sing,  werden 
und  ist  als  solches  vielleicht  schon  bei  Accius  (Nonius  200)  belegt: 
castra  haec  vestra  est,  wenn  sich  haec  nicht  auf  ein  vorhergehendes 
Fem.  Sing,  bezieht;  sicher  in  der  Ital.  (Lugdun.  Wirceb.)  exod.  32,  ig 
usw.;  CIL  VIII,  g725  usw.,  s.  Thes.  L.  L.  s.  v.  Das  frz.  joie,  it.  gioja 
hat  seine  Vorstufe  im  kollektiven  gaiidia,  das  schon  bei  den 
klassischen  Dichtern   zusammen  mit  ähnlichen  Formen  auffällig  oft 


95 

im  Plural  steht,  wofür  es  nicht  ausreicht,  nur  auf  die  metrischen 
Bequemlichkeitsrücksichten  hinzuweisen,  vgl.  Löfstedt,  Peregr.  Aeth. 
135  und  Wackernagel,  Vorles.  über  Syntax  98. 

§  19.    Die  Nasale. 

a)     152     mensa  non  mesa  19     Hercules  non  Hercitlens 

76     ansa  non  asa  123     occasio  non  occansio 

49     Capse(n)sis  non   Capsessis 

Die  schwache  Aussprache  des  n  vor  s  wird  für  das  älteste 
Latein  durch  cos  =  cdsul  erwiesen,  vgl.  noch  cesor  CIL  1,2,  8  und 
Quintil.  I,  7,  29;  Cic.  Orat.  159.  Unter  den  vielen  vereinzelten 
Belegen  dürften  z.  B.  folgende  besonderes  Interesse  beanspruchen. 
Negolians  =  negotiator  konnte  deshalb  leicht  in  der  vulgären  Form 
negotias  erscheinen  (CIL  VI,  9663,  X,  3947),  weil  es  seiner  ursprüng- 
lich etwas  verächtlichen  Bedeutung  entsprechend  —  Cic.  ad  Attic. 

V,  21,  10:  praefecturam  petivit;  negavi  me  cuidavi  negotianti  dare  — 
nur  bei  wenigen,  z.  T.  etwas  vulgär  gefärbten  Schriftstellern  vor- 
kommt, bei  Vitruv  Petron  (43,  6  homo  n.  in  einem  lässigen  Gespräch), 
Seneca  (ep.  94,  14),  Sueton,  und  nach  Ausweis  der  Inschriften 
XI,   1620    :    negotianti   7)iateriario ,    X,  3947    :    negotias   calcariarius, 

VI,  9676  in  den  Kreisen  des  kleinen  Mittelstandes  üblich  war  und 
besonders  dort  n  kaum  gehört  wurde.  —  CIL  XIV,  487  steht  pures 
=  parens  =  pater  in  einer  sonst  tadellosen  Inschrift;  parens  im 
Singular  war,  abgesehen  von  der  Dichtersprache,  wohl  mehr  im 
Volksmund  häufig,  so  dafs  die  dort  übliche  ;z-lose  Form  leichter 
auch  in  der  Schrift  zum  Ausdruck  kommen  konnte.  Es  wäre  eine 
lohnende  Aufgabe,  von  diesem  Gesichtspunkt  aus  die  vulgären 
Formen  der  einzelnen  Wörter  zu  betrachten. 

Was  die  von  App.  getadelten  Formen  mesa  und  asa  anbetrifft, 
wird  es  wohl  kein  Zufall  sein,  dafs  gerade  sie  in  der  Tradition  der 
Grammatiker  seit  Varro  eine  Rolle  spielen ;  ohne  Zweifel  verbindet 
App.  auch  hier  aus  der  lebendigen  Sprache  geschöpfte  Beobachtungen 
mit  grammatischer  Überlieferung.  Nach  Macrob.  Sat.  'i^,  2,Z:  Varro 
divinarum  qtiinto  dicit  ^aras'  primiim  'asas'  dictas,  quod  esset  necessariiim 
a  sacrificatitibus  eas  teneri,  ansis  autem  teuer i  soler e  vasa  qiiis  dubitet? 
brachte  Varro  das  alte,  aus  der  Zeit  vor  dem  Rhotazismus  über- 
kommene sakrale  Wort  asa  mit  ansa  in  Verbindung;  obwohl  der 
antiken  Wissenschaft  schon  eine  gewisse  Ähnlichkeit  der  Formen 
genügte  ihr  etymologisches  Spiel  zu  treiben,  wurde  Varro  wohl 
auch  durch  die  unwesentliche  Aussprache  des  n  in  ansa  zu  der 
Zusammenstellung  mit  asa  verführt;  die  weite  Verbreitung  von  asa 
■=  ansa  zeigen  CGI.  II,  23,  57:  asa  . . .  corior  Xaß?j,  sp.  asa,  pg.  aza, 
—  Auch  L.  L.  V,  1 1 8 :  quod  a  nohis  media  et  a  Graecis  mesa,  mensa 
dict  potest;  nisi  etiam  quod  ponebaiit  pleraque  in  cibo  mensa  stützt  Varro 
seine  Etymologie  mensa  :  mesa  nicht  ausdrücklich  auf  dem  schwachen 
Klang  des  n;  aber  die  späteren  Grammatiker  waren  anscheinend 
der  Ansicht,  dafs  Varro  auch  ?nesa  billigte,  vgl.  Charis.  I,  58,  17K. 


96 

Auch  App.  wird  durch  Varros  Autorität  oder  durch  Schultraditiofl 
veranlafst  worden  sein,  gegen  mesa  einzuschreiten,  dessen  weite 
Verbreitung  im  Vulgärlatein  das  Romanische  bezeugt,  vgl.  afrz.  moise, 
pro  V.  sp.  mesa,  M.-Lübke  Wb.  5497;  inschriftlich  steht  mesa  z.B. 
VIII,  8767  a,  V,  1685  u.  ö.,  s.  auch  CGI.  II,  563,  21. 

Sehr  häufig  schwindet  das  n  in  nienses  mtnsibus,  wie  die  In- 
schriften zeigen.  Daneben  treten  nun  auch  neue  Formen  mit 
doppeltem  ss  auf,  vgl.  für  messes,  messibus  z.  B.  CIL  VIII,  18302, 
21  145,  IX,  4028.  So  kam  neben  Capsensis  auch  Capsessis  des 
öfteren  vor.  Die  von  App.  gebilligte  Form  war  sicher  Capse(n)sis, 
da.  dies  die  sonst  allgemein  überlieferte  Lesart  ist,'  vgl.  Sallust  Bell, 
lug.  89,6  {Capsenses  Subst.);  92,  3,  4  und  CIL  VIII,  in;  daneben 
ist  nur  Gapsitanus  bezeugt.  Die  Erwähnung  des  Stadtnamens  beweist 
aber  keineswegs,  wie  G.  Paris  u.  a.  glaubten,  die  afrikanische  Herkunft 
der  App.;  sie  kann  sehr  wohl  durch  die  Sallustlektüre  in  der  Schule 
des  römischen  viais  caput  Africae  (§  i8b)  veranlafst  worden  sein, 
derer  Jünger  beim  Lautlesen  fälschlich  Capsessis  sprachen,  vgl.  noch 
Decatressiu7n  CIL  X,  1696. 

Es  konnte  nun  durch  die  sogen,  umgekehrte  Aussprache  auch  ns 
anstatt  s  eintreten.  Aber  auch  in  diesem  Falle  haben  solche  Formen 
meistens  nur  weitere  Verbreitung  gefunden,  wenn  andere  lautliche 
oder  begriffliche  Faktoren  mitwirkten.  Super slens  CIL  III,  410,  das 
XII,  5827  sogar  in  der  Form  super stenli  belegt  ist,  wurde  begrifflich 
als  Partizip  empfunden  und  so  konnte  die  durch  umgekehrte  Aus- 
sprache gelegentlich  aufgetauchte  Form  häufiger  werden;  vielleicht 
spielte  auch  bei  herens  =  heres,  z.  B.  III,  673,  5839  u.  ö.,  ein  ähn- 
licher Faktor  mit.  —  Was  das  gerügte  occansio  anbetrifft,  ist  besonders 
zu  beachten,  dafs  das  neue  -ns-  vor  /  steht.  Die  Verschiebung 
der  Silbengrenze,  welche  nach  dem  Konsonantischwerden  des  i  in 
den  vorhergehenden  Konsonanten  hineinverlegt  wurde  (§  13),  zeigt 
sich  auch  in  occassio  =  occasio,  das  in  Hss.  häufig  begegnet,  vgl. 
Koch  Rh.  Mus.  16, 160;  Wünsch,  sethian.  Verfluchungstafeln  p.  7,  13. 
Weil  es  nun  neben  mensibus  ein  jnesibus  und  messibus  gab  (s.  o.), 
so  konnte  neben  occasio  und  occassio  auch  das  durch  umgekehrte 
Aussprache  schon  vereinzelt  entstandene  occansio  weitere  Verbreitung 
finden.  Aufserdem  entsprach  auch  occa^-sio,  wie  occassio,  der  Tendenz 
die  dem  neuen  i  vorangehende  Silbe  konsonantisch  schliefsen  zu 
lassen.  Belegt  ist  occansio  z.  B.  CIL  VI,  33899,  vgl.  noch  Rönsch 
It.  und  Vulg.  459. 

Herculens  —  vgl.  CIL  VII,  1032  Herculenti,  VI,  31158,  XIII, 
7693  (Brohl,  Bonn)  Herclenii,  8188  (Köln)  Herclinti — kann  schon 
deshalb  nicht,  wie  Schuchardt  III,  132  und  Heraeus  305  glauben, 
mit  Clem€(n)s  Clenientis  :  Khjf^fjQ  KhjfisvTog  verglichen  werden,  weil 
hier  der  Gen.  auf  -eniis  schon  bestand,  der  für  Hercules  erst  zu 
schaffen  war,  und  blofs  der  Nomin.  an  die  Casus  obliqui  angeglichen 


'  Gelegentliches   -esis   (Corssen  I,  253)   für  Städteaamen    kommt  nicht  in 
Betracht. 


^7 

wurde ,  wie  in  dt  n  §  1 8  a  behandelten  Atla{n)s.  Auch  mit  Neniens 
=  Nemes  CIL  VI,  31  171,  Seuthens  VI,  31  147,  Asprenans  VI,  1370 
—  Zangeraeister  N.  Heidelb.  Jahrb.  3,  3  i';  W.  Schulze  Lat.  Eigen- 
namen 44  3,  483-*,  KZ  46  (1914),  191  —  hat  Heradens  nur  das 
gelegentlich  invehierte  n  im  Nora.  Sing,  gemeinsam;  die  verbreitete 
Deklination  Herculens,  Heradentis  ist  damit  nicht  erklärt.  Die  Form 
gehörte  wohl  den  mehr  niedrigen  Kreisen  an,  wie  z.  B.  XIII,  7693 
sich  auf  den  Hercules  Saxaftvs  bezieht.  Wichtiger  ist  folgendes. 
Drei  der  vier  angeführten  Inschriften  stammen  aus  Germanien 
(Niederrhein)  und  Brittannien.  Und  CIL  VI,  31  158  erfüllt  ein 
Votum  an  den  Soldatengott  Herades  (und  JuppHer  Juno)  campesiris 
(Ihm  RE  3,  1444),  welcher  nach  Gallien  und  Germanien  hinweist, 
da  vor  allem  die  keltisch-germanischen  eqidtes  s'mgulares  den  Campes- 
tribus  weihen.  Aufserdem  wurde  die  Inschrift  geweiht  vom  ex 
decurione  der  legio  prima  Minervia,  welche  seit  83  n.  Chr.  bei  Bonn 
stand.  Es  sieht  also  danach  aus,  dafs  Herctdens  ursprünglich  auf 
das  nordwestliche  Gebiet  beschränkt  gewesen  ist.  Erst  später  kam 
die  Form  nach  dem  Weltzentrum  Rom;  wie  CIL  VI,  31158  zeigt, 
durch  das  westliche  Militär;  ob  sie  auch  bis  nach  Carthago  durch- 
drang, ist  mindestens  zweifelhaft,  sodafs  auch  Herculens  der  App. 
für  die  römische  Herkunft  dieser  Schrift  zu  zeugen  scheint.  — 
Die  Formen  Heradens,  Herc(u)lenlis  können  vielleicht  mit  der  ab- 
weichenden Deklination  Hermes,  Hermeds  CIL  VI,  7235,  14053, 
Nicias,  Nkiaiis  VI,  15 160,  Demostheneni  VI,  25356  usw.  verglichen 
werden.  Diese  eigentümliche  Ausdehnung  griechischer  Endungen 
auf  griechische  Eigennamen,  denen  sie  nicht  zukommen  —  vgl. 
Bindel,  de  decl.  lat.  tit.  qu.  sei.  Diss.  Jena  19 12,  46  fF.;  Hehl,  die 
Formen  der  lat.  ersten  Deklin.  in  den  Inschr.  Diss.  Tübingen  191 2, 
49  ff.,  Pieske  a.  a.  O.  31  ff.  — ,  welche  besonders  in  Rom  für  Frauen- 
namen (auch  lateinische)  bezeugt  ist,  hatte  wohl  hypokoristische 
Zwecke,  vgl.  Chloenis  VI,  4300  mit  tatani,  mamani  (X,  2965)  usw. 
Vielleicht  ist  Heradens  -lentis  ein  ähnlich  zu  erklärender  Name,  mit 
dem  Soldaten  und  Arbeiter  des  Westens  den  ihnen  vertrauten  Gott 
bezeichneten. 

b)     217    passim  non  passi  224     olim  non  oli 

219     7iumquam  non  numqi(a  226     idem  non  ide 

223    pridem  non  pride  143  trtclinitim  non  triclinu 

Das  in  n.  226  gerügte  ide  ist  deshalb  von  einiger  Wichtigkeit, 
weil  unter  den  vielen  Beispielen  für  das  fehlende  ausl.  -m  auf 
lateinischen  Inschriften  —  Diehl,  de  m  finali  epigraphica  =  Jahrb. 
kl.  Phil.  S.-B.  25,  1899  —  ide,  isde  usw.  anscheinend  nur  in  Italien 
belegt  sind,  vgl.  CIL  VI,  18470,  6:  patr(ono)  isde  co?i(iugi),  14592, 
23408,  3,  9590.  Dafs  isde  hier  für  isdevi  steht,  beweist  auch 
VI,  9719:  amico  7neo  isdem  coniugt  eitts,  11368,  11840,  12930, 
10522:  lib)ertae  suae  is{dem  uxori)  X'iS'w.;  und  VI,  18212,  4:  Poihine 
palr(ono)  idem  coniug(i)  usw.  (s.  Konjet zny  ALL  XV,  306  f.)  zeigt, 
dafs    das    vielleicht   nicht    altertümliche,   sondern  nach  is  neu  ent- 

Baehrens,  Sprach!.  Kommentar  zur  Vulgarlat.  Appendix  Probi.  n 


98 

standene  isdem  isde  nicht  anders  als  qui  et  in  einer  Verbindung 
wie  Januario  qui  et  Derisori  (VI,  17540,  Löfstedt  Peregr.  Aeth.  228) 
als  Indeclinabile  zwischen  zwei  Dativen  stehen  kann.  Während 
aber  dort,  wie  VI,  15  159:  Ti.  Claudio  Niceroti  qui  et  Asiaticus  (sc. 
dicitur)  zeigt,  eine  Attraktion  des  Nominativ  Dcrisor  an  den  ersten 
Dativ  stattfindet,  waren  idem  und  auch  isdem  von  sich  aus  allmählich 
zum  Indeklinabile  geworden,  vgl.  VI,  8861 :  sepulchrinji  isdem  Agathopi, 
auch  Friese,  De  praep.  et  pron.  in  tit.  Afr.  lat. ,  Diss.  Bresslau 
1913,  54.  —  Für  ide  =  idem  vgl.  VI,  2334,  5;  1 1  034,  8  (8  v.  Chr., 
Nom.  Plur.);  für  eide  IX,  1927,  XIV,  345,  für  eode  VI,  26901;  für 
eiusde  V,  4489,  zweimal  in  einer  allerdings  auch  sonst  Abkürzungen 
aufweisenden  Inschrift.  ^  Das  Fehlen  aufserhalb  Italiens  wird  auf 
Zufall  beruheji;  aber  sicher  mit  Unrecht  hat  Diehl  261  auch 
III,  3173,  5  u.  *6379  eitis  de,  eiiinde  als  eiusdem,  eundem  erklären 
wollen,  wie  schon  die  erste  Inschrift  zeigt:  D  M Antoniae  Falernae 
.  .  .  et  filio  eins  de  an.  VIII  .  .  .  et  Octavio  Papiriano  nepoti  de  -an- 
VII  usw.:  de  vor  an.  VIII  mufs  wie  de  vor  an.  VII eine  Abkürzung 
von  decedere  sein.  —  Angesichts  der  angeführten  Tatsachen  kann 
ide  sicher  in  Rom  gerügt  worden  sein. 

Auch  nunqiia  ist  in  Rom  öfters  belegt,  vgl.  VI,  3616,  1740S, 
26708;  sonst  aufser  CGI.  IV,  297,  37  noch  CIL  III,  5295,  1170g 
(in  Dalmatien)  und  nuqtia  CIL  XIII,  71 19;  nusqua  XII,  5687,4 
(Froehner  Philo).  S.-B.  V,  25).  In  dem  Strafsburgereid  steht  nun- 
quam;  wenn  sp.  pg.  nunca  (mit  u)  direkt  auf  nunquam  zurückgeht 
(anders  M.-Lübke,  Wb.  5995),  so  kann  vulgärlat.  numqua  zugrunde 
liegen.  In  der  Endung  -am  fehlt  das  m  häufig  in  Verbalformen; 
anführen  möchte  ich  nur  CIL  XV,  7173,  7183,  7193,  7197:  tene 
me  ne  fugia,  eine  Formel,  welche  in  mehreren  Variationen  auf  dem 
Halsband  von  servi  und  canes  fugitivi  unter  Erwähnung  des  domitms 
zu  Rom  etwa  in  der  Zeit  von  Constantin  bis  Honorius  angebracht 
wurde  und  der  vulgären  Anwendung  entsprechend  oft  fugia  ohne 
m  aufweist.  Diese  Inschriften  sind  lokal  beschränkt  wie  z.  B.  das 
vielbesprochene  sub  ascia  dedicare  auf  Gallien,  Thes.  L.  L.  s.  v. 

pride  =  pridetn  ist  noch  CGI.  II,  292,23  belegt.  Es  ist  zu 
beachten,  dafs  pridem  und  pridie  sowohl  formell  wie  einigermafsen 
auch  der  Bedeutung  nach  sich  berühren  und  demzufolge  in  der 
späteren  Literatur  pridie  an  die  Stelle  von  pridem  getreten  ist,  vgl. 
Paneg.  Lat.  IV  (X),  30,  2:  perstringi  haec  satis  est,  quod  etiam  pridie 
[pridem  Acidalus)  prolixius  mihi  dicta  su7it,  wo  pridie  sich  kaum  auf 
den  vorhergehenden  Tag  bezieht;  XII,  8,  i:  sed  e^iim  aerumnosa  illa 
etiam  pridie  [pridie  H,  pridie  A,  pridem  die  interpolierte  X-Klasse) 
media  aetate  nostra  civili  sanguine  maculata  Verona  —  und  die  dazu 
von  mir  Paneg.  Latin,  nov.  ed.  Praef.  maior,  Diss.  Groningen  19 10, 
74  aus  Sulpicius  Severus  angeführten  Stellen,  auch  .CGI.  II,  390,  i: 


*  CIL  IX,  1927,  5:  eideqiie  probavit,  aber  vor  que  fehlt  z.  B.  auch  s  oft 
in  posterique  =  posterisque,  so  dafs  auch  VlII,  703  iteque  kein  sicheres  Bei- 
spiel für  ite  =  item  ist. 


99 

OV  jraXal,  non  pridk.  Wir  dürfen  aber  die  sprachliche  Eif^en- 
tümlichkeit  nicht  für  speziell  gallisch  halten, i  weil  die  Vorbedingungen 
sie  überall  entstehen  lassen  konnten.  Da  pridevt  fast  wie  pride 
gesprochen  wurde,  konnte  es  vom  lautlichen  Gesichtspunkt  noch 
eher  durch  pridü  ersetzt  werden. 

Passi  ist  unbelegt.  Verwandte  Formen  sind  ebenfalls  selten, 
vgl.  CIL  IV,  3340  lab.  VI  pag.  3  (54  n.Chr.):  minutati  und  XIII, 
II 88:  staii  solbieres.  —  Auch  oli  scheint  nicht  belegt  zu  sein;  denn 
CGI.  IV,  418,  I :  oli  lunc  ist  oUi  zu  schreiben;  da  olU  als  Adverb  neben 
häufigem  Uli  =■  illic  niemals  vorkommt  und  nur  durch  schlechte 
Interpretation  von  Verg.  Aen.  I,  254:  olli  subridens  in  die  Gramma- 
tikertradition eingeschlichen  ist  —  vgl.  Serv.  z.  St.  '<?///'  modo  'lunc^ 
propter  sequentia  (nl.  wegen  v.  256:  oscula  libavit  natae,  weil  noch 
ein  Dativ  folgt!)  — ,  so  ist  die  Glosse  aus  einem  Vergilkommentar 
abgeschrieben  w^orden.  —  In  der  Umgangssprache  begegnet  olwi 
oliorum  bei  Petron  43 :  jioveram  hominan  olini  oHortim  .  et  adhuc 
salax  erat,  wo  adhuc  zeigt,  dafs  oUin  oliorum  'vor  langen  Zeiten' 
bedeutet  und  nicht  Apposition  zu  hominem  sein  soll,  s.  Friedländer 
z.  St. 

Da  tqi'aIivov  im  Griechischen  häufig  ist  —  s.  Herwerden, 
lex.  gr.  suppl.  s.  v.  — ,  so  ist  tricliim  nur  einer  der  zahllosen  Belege 
für  den  Abfall  des  ausl.  -;;/.  Bezeugt  ist  tridinum  Ephem.  Epigr. 
IV,  737  (Heraeus  ALL  XI,  66,  Ullmann  201):  aedic(tdam)  levis  et 
item  lo(vis)  Dolch(eni)  triclinu(m),  wo  es  soviel  wie  cenaculum  be- 
deutet; gleichfalls  CGI.  11,459,14:  TQi7C?uvog'^  Iriclinuvi  cenatio; 
5 95,  50:  tridinum  dovius  in  tribus  parlibus  ledos  habens.  Da  die 
Endung  -iittwi  oft  einen  Raum  bezeichnet  (tonstrinum,  tablinurn, 
latrinum  usw.),  scheint  tridinum  zwecks  Differenzierung  zur  Be- 
zeichnung des  Speisezimmers,  nicht  des  Speisesofas  verwandt  worden 
zu  sein,  z.  T.  im  Gegensatz  zum  Griechischen,  vgl.  aber  auch  Anecd. 
Graec.  I,  1 14,  n  Bekker  tqixXlvov  ovx  Ijil  tcöv  xhvojv  (paö\ 
öslv  tdoösiv,  (xX?J.  6Jtl  Tov  oixov  {rQLxXlvLOV  schon  beim  Komiker 
Theopomp)  nach  Vorschriften  der  Attizisten.  Auch  App.  hat  wohl 
tridimi  'Speisezimmer'  verurteilt  und  verlangt  auch  dafür  tridinium. 

c)  7  I  glomus  non  glovus.  Abgesehen  von  der  beiden  Vokabeln 
in  älterer  Zeit  gemeinsamen  Bedeutung  'Klofs'  (s.  u.)  heifst  globus 
'Kugel',  'kugelförmige  Masse',  glomus  dagegen  'Knäuel'.  Durch 
die  formelle  und  begriffliche  ■'  Verwandtschaft  beider  Vokabeln 
konnte  leicht  das  eine  Wort  in  die  Gebrauchssphäre  des  anderen 
eintreten,    und    so    bekommt   globus   auch  die  Bedeutung  'Knäuel', 


1  Auch  Amm.  Marcell.  XXI,  2,  4:  a  quo  iam  pridie  occulte  desdverat 
(pridem  auch  Clark)  hat  anscheinend  pridie  im  Sinne  von  pridem  gebraucht; 
man  vergleiche  iain  pridie  mit  iam  fridie  des  Sulp.Sev.Dial.il  (III)  11,4 
und  mit  etiam  pridie  der  Panegyrici. 

ä  Das  Maskul.  rügt  Anecd.  Graec.  a.  a.  O,;  vgl.  CGI.  II,  302,  37 
triclimis, 

^  Vgl.  i.  B.  §-lobus  ignis  (Seneca)  mit  parvos  ignis  glomeratus  /«  orbes 
(Manilius). 


föö 

wie  sich  aus  Hieronym.  ep.  130,  15  (III,  195,  24  H.):  ncta  in  glohiitn 
collige,  aus  zahlreichen  Glossen  —  II,  215,  26  =  dyaü-cg  ('Knäuel') 
g/obus,  g/omus;  27:  dyaSidiov  globulus;  34,21:  xhoO^m  globus 
usw.  —  und  aus  den  romanischen  Sprachen  ergibt,  in  denen  neben 
glonius  (und  uraltem  gltmus,  §  3  a),  *glom7ilus,  ^gloitiellus  und  *glo- 
miscellum  auch  '^globula  (s.  die  Glossen),  '^glohellus,  ''^ globtisceUum 
(afrz.  gluiscel  usw.)  für  'Knäuel'  vorkommen.  Es  ist  nun  aber  sehr 
zu  beachten,  dafs  nicht  umgekehrt  auch  glomtis  für  globus  eintritt; 
denn  Priscian  II,  170,  2  K.:  ^hic'  et  'hoc  guttur'  ...  'globus'  quod 
etiam  'hoc  glonius'  dicHur  kommt  es  nur  auf  das  doppelte  Geschlecht 
desselben  Substantivs  an,  und  er  kümmert  sich  nicht  darum,  dafs 
es  eigentlich  'hoc  glonius''  quod  etiam  'hie  globus'  dicitur  heifsen 
sollte;  das  Maskulinum  läfst  er  vorangehen.  Da  App.  nicht  gegen 
glomus  vorgehen  kann,  das  nach  wie  vor  nur  'Knäuel'  bedeutete, 
wohl  aber  gegen  globus,  das  anfing  auch  als  Synonym  von  glomus 
aufzutreten,  so  ist  das  überlieferte  glovus  non  glomus  nicht  mit  Förster 
und  Heraeus  311  in  globus  (so  schon  die  bessernde  i.[?]  Hand) 
no7i  glomus  zu  ändern,  sondern  glomus  non  glovus  umzustellen.  — 
Schon  in  ältester  Zeit  wurden  einige  Klöfse  nach  ihrer  Form  globus 
oder  glomus  genannt,  Varro,  L.  L.  V,  107  ;  Paul.  Fest.  98  M.,  so  dafs 
die  beiden  Vokabeln  sich  schon  damals  eng  berührten.  —  CGI. 
V,  24,  3  (Placidus) :  globus  .  .  .  Imiaris  .  .  .  globuf/i  autem  et  glombum 
et  glojuera  .  .  .  petisa  ^nulierum  [et  glombum  fehlt  V,  72,5)  kann 
glombtun  Mischform  aus  globum  und  glomus  sein.  Ähnliches  findet 
man  auch  sonst  in  Glossen:  prociter  (V,  475,  59;  511,6)  velocikr 
ist  vielleicht  durch  Kreuzung  von  propere  und  (vel)ociter  entstanden ; 
robus  'lignorum  strues-ardens'  IV,  164,34;  563,  14  aus  rogus  und 
robur  (kaum  archaisches  robus) ;  vgl.  noch  altlat.  proimdgare  aus 
provulgare  und  promere  Q),  s.  Walde  ■^.  —  Das  v  in  glovus  entstand 
nach  den  in  §  14  behandelten  lautlichen  Vorgängen. 

§  20.    Das  h. 

207     hostiae  non  ostiae 
225     adhuc  non  aduc 

Das  h,  über  dessen  Schicksale  noch  immer  Seelmann,  Ausspr. 
262  K  zu  vergleichen  ist,  hatte  im  vorhistorischen  Bauernlatein  schon 
früh  seine  Kraft  eingebüfst  in  anser  {g^'- yji'^)>  ^^'^  Quintil.  1,5,19 
führt  für  den  geringen  Hauch  des  /i  gerade  aedos  ircosque  an.  Auch 
Velius  Longus  VII,  69,  4  K.  mufs  für  haedi  eine  Lanze  brechen : 
nonnulli  harenam  .  .  .  aliis  sine  adspiratione  videtur  enuntiandam  .  .  .  nos 
harenam  dicimus  .  .  .  siquidem,  ut  testis  est  Varro,  a  Sabinis  fasena 
dicitur  et  .  .  .  f  in  vicinam  adspirationem  mutatur ;  similiter  ei  haedos 
dicimus  cum  adspiratione,  quoniam  faedi  dicebantur  apud  a?itiqtios.  Die 
Grammatiker  hielten  also  besonders  dann  an  der  Aspiration  fest, 
wenn  an  der  Stelle  des  h  ursprünglich  ein  f  gestanden  hatte. 
Daher  ist  es  von  Wichtigkeit,  dafs  nach  Paul.  Fest.  84  M.  die  antiqui 
nicht    nur  faedus    für   haedus,    sondern    auch  fosiia    für   hostia    ge- 


lOI 

sprochen  hätten.  Erst  jetzt  erkennen  wir  den  Hintergrund  der 
grammatischen  Tradition,  wenn  App.  als  Beispiel  für  anl.  h  gerade 
hostiae  anführt,  das  aus  fostlac  entstanden  sein  soll.  —  Gerade 
hostia  konnte  ohne  Aspiration  leicht  mit  ostia  verwechstelt  werden, 
so  dafs  eine  Warnung  der  App.  sehr  am  Platze  war.  Auch  diesmal 
ist  die  auffällige  Verwendung  des  Plurals  beabsichtigt  (über  calda 
s.  §  2  a,  vgl.  auch  2  b,  5  c);  denn  da  hostium  =  ostium  häufig  war 
(Loefstedt,  a.  a.  O.  94),  hätte  ein  Leser  hostia  non  ostia  so  verstehen 
können,  als  ob  der  Plural  von  ostium  gemeint  wäre.  —  Belegt  ist 
ostiam  CIL  P,  1013. 

Da  im  Inlaut  h  selten  ist,  ist  auch  in  Komposita  das  h  ge- 
legentlich geschwunden.  Mit  aduc  sind  z.  B.  exibui  CIL  XI,  312, 
VIII,  7156,  14783,  16417  (a.  188),  21655,  exauriant  VIII,  1763g 
(Hoflfmann,  a.a.O.  37)  zu  vergleichen.!  Aduc,  das  CIL  V,  6244, 
VI,  10493;  CGI.  IV,  126,37  ^J^d  Anecd.  Helv.  p.  CXXXX:  adhuc 
cum  h  scrihendian  (Heraeus  331)  bezeugt  ist,  konnte  auch  deshalb 
leicht  entstehen,  weil  hie,  das  das  körperlose  is  häufig  verdrängte 
(s.  auch  §  2  b),  bis  es  selbst  selten  wurde  und  sich  mit  anderen 
Pronomina  wie  ipse  verband  (Stangl,  Ps.-Asconiana  1909,  10),  auch 
sonst  oft  die  ,^-lose  Form  zeigt.  2  Besonders  charakteristisch  dürften 
sein  CIL  VIII,  9200:  fecit  Donatus  filius  uins  und  X,  2184  (Puteoli) : 
D M M.  Caecilio  Primioni  et  Aiutrici  coniugi  uiiis  (III,  14242;  V,  1741), 
weil  uitis  an  der  Stelle  von  eius  steht  und  zugleich  dessen  Ä-lose 
Form  zeigt.  Unc  steht  z.  B.  V,  1642;  IX,  2880;  anc  VIII,  152; 
ic  IV,  132;  öf  (Akkus.)  V,  4488 ;  VIII,  9192.  Auch  tritt  umgekehrt 
his  =  is  in  Erscheinung,  vgl,  XIV,  497  :  his  a  quo  =  is  a  quo,  da 
auch  hie  a  quo  im  Spätlatein  gebräuchlich  war,  und  vor  allem  heius 
=  eius,  das  mit  uius  =^  huius  zu  vergleichen  ist,  z.B.  111,3917, 
VIII,  142S1,  3520:  eres  heiu  =  heres  eius,  das  nicht  durch  (graphische) 
Umspringung  des  h  zu  erklären  ist,  da  eres  =  her  es  auch  sonst 
nicht  selten  ist  (Diehl  zu  Vulgärlat.  Inschr.  n.  340)  und  vielleicht 
durch  ertis  beinflufst  wurde,  vgl.  Paul.  Fest.  99  M. :  heres  apud  antiquos 
pro  domino  ponebatur.  Vgl.  noch  heorum  ^=^  eorum  CIL  VI,  15  860. 
Wie  sehr  die  Pronomina  im  Vulgärlatein  aufeinander  einwirkten, 
zeigt  auch  VIII,  21  541:  ///  tumulo  =  huic  tumulo  mit  tii  nach  cui, 
vgl.  für  den  wichtigen  Dativ  illui  Grandgent  §  390.  Das  Adverb  hie 
wurde  in  interessanter  Weise  ohne  Aspiration  gesprochen,  wenn 
es  enklitisch  stand,  vgl.  VIII,  21428:  icceqquet,  21476:  iccisqnet  ^^^ 
hie  quieseit,  Pieske  63.  —  Auf  das  sonstige  Fehlen  des  h  kann  ich 
hier  nicht  eingehen.  Bemerkenswert  ist  das  häufige  Fehlen  in 
orius  ^=  hortus  (z.B.  111,4185)  angesichts  Varros  Lehre  S.  212,  9  G. 
—  Seh. :  ortus  sine  adspiratione  dici  dehere  Varro  ait ,  quod  in  eo 
omnia  oriantur. 


'  Umgekehrt  adherat  =  aderat  z.  B.  in  der  Form.  Andecav.  13,  29  u.  a., 
vgl.  Slyper,  de  form.  Andecav.  Latin,  disput.,  Diss.  Amsterdam  1906,  80. 

^  Vgl.  Zieg'l,  de  is  et  hie  pronom.  quatenus  confusa  sunt  Diss.  Marburg 
1S97,  19. 


I02 


§21. 

149    pel^rsicd)  non  pessica 

Mit  persica  wird  bei  Plinius  u.  a.  immer  der  Pfirsichbaum  ge- 
meint, während  die  Frucht  persicum  heifst.  Dasselbe  gilt  für  die 
Glossen,  und  App.  kann  nur  den  Baum,  nicht  die  Fruclit  gemeint 
haben.  Erst  sehr  spät  Icam  ein  ^persica  'Pfirsich'  auf,  das  rum. 
pierseca,  prov.  persega,  presega  'Pfirsich'  zugrunde  hegt  (im  span. 
prisco,  pg.  pecego  scheint  altes  persicum  weiterzuleben) ;  ital.  pesca, 
frz.  peche  brauchen  nicht  aus  pess(i)ca  entstanden  zu  sein,  sondern 
können  auch  auf  pers(i)ca  >  pe(s)sca  zurückgehen.  Ob  aber  CGI. 
III,  626,58:  iiifAtaq  id  est  persecas  vel  pescas  ('Pfirsichbaum')  ein 
vulgärlat.  pesca  bezeugt,  ist  unsicher,  da  die  Form  vielleicht  zu  den 
nach  dem  romanischen  Tatbestand  zurechtgemachten  gehört,  vor 
denen  Goetz,  RE  VII,  1466  warnt.  —  Pessica  'Pfirsich'  ist  im 
Bardischen  belegt,  vgl.  logud.  pessi/e,  Wagner  a.  a.  O.  (§  3  c),  womit 
malum  pessicum  CGI.  III,  358,  74  direkt  zu  vergleichen  ist.  Zur  Er- 
klärung dieser  Formen  und  von  pessica  der  App.  beaclite  man  den 
Übergang  von  intervokalischem  -rs-,  oft  aus  -rss-  entstanden,  zu 
-SS-  (oder  -s-)  im  Romanischen,  vgl.  dorsum  >  dosswn,  rum.  dos, 
it.  dosso,  frz.  dos;  —  sursu/u  '^  susum,  frz.  sus,  sp.  suso,  M.-Lübke, 
Einf.3  168.  Pessica  konnte  wohl  nicht  allgemein  übhch  werden, 
weil  die  persische  Herkunft  auch  später  in  der  Erinnerung  haftete. 


E.    Zur  Formenlehre. 
§  22.    Über  Casusausgleichung  und  Verwandtes.  , 

^)     1^5     ^^"'  "^*^  {g^)ifis  138  teter  non  teirui 

128    grus  non  gruis  36  barbarus  non  barbar 

21     pecten  non  pectinis  c)       96  niibes  tton  nubs 

b)     139     aper  non  apriis  74  orbis  non  orbs 

Über  11,  31  s.  §  /C. 

a)  Die  Neigung  innerhalb  der  Paradigmata  der  Deklinationen 
die  einzelnen  Fonnen  auszugleichen  —  schon  carnis  =i=  caro  bei 
Liv.  Andron.  frg.  3g,  Bahr.  —  äufsert  siclr  oft  in  der  Weise,  dafs 
der  Nom.  Sing,  die  Silbenzahl  der  übrigen  Casus  bekommt.  Sehen 
wir  uns  aber  die  wiederholt  angeführten  Beispiele  genauer  an  — 
bovis  =  bos  bei  Varro,  Petron  (c.  62  in  vulgärer  Erzählung);  suis  = 
sus  Varro,  L.  L,  10,  7;  Prudent.  c.  Symm.  2,  813;  kniis  =  lens 
Priscian.  II,  341,  22  K. ;  urhis  ==  iirbs  Fredegar,  Chron.  I,  54, 14  usw.; 
Haag,  R.  F.  X,  879  ;  antestites  =  anfistes  Thes.  L.  L.  s.  v.  und  Bonnet, 
Le  Lat.  de  Greg.  344;  calcis  =  calx  [Probus]  Cath.  IV,  20,  19K. ; 
faucis  =  faiix  CGI.  11,470,16  — ,  so  springt  es  in  die  Augen, 
dafs  es  sich  hauptsächhch  um  Monosyllaba  handelt  und  die  oben 
§  2  b  besprochene  Abneigung  gegen  einsilbige  Vokabeln  die  Tendenz 
des   Silbenausgleichs    innerhalb    des    Paradigmas    mindestens    sehr 


I03 

unterstützte  (so  schon  Virg.  gramni..  p.  38,  6  Huemer).  Daher  führt 
auch  App.  zwei  Formen,  glin's  und  grtiis,  an,  welche  in  der  Volks- 
sprache Monosyllaba  ersetzten.  Beide  Nominativi  sind  auch  sonst 
belegt,  glin's  CGI.  III,  18,58;  189,44;  431,48;  Not.  Tir.  109,7 
und  INIarc.  Emp.  p.  12g,  25  N.  ?nus  gliris  (kaum  Genetivus),  Charis. 
I,  42, 3 K.,  der  go,  3  auch  glir  bezeugt.    Gruis  steht  schon  bei  Phaedrus 

I,  8,  7;  vgl.  Not.  Tir,  179;  CGI.  II,  36,  15;  III,  437,  37  (318,  69  und 
sonst  grties);  Serv.  ad  Aen.  XI,  580  gibt  gruis  sogar  Existenzberech- 
tigung neben  gnis,  vgl,  CGI,  IV,  523,9:  grus  (:)  gruis.  Schliefslich 
ist  noch  grugis  Not.  Tir.  179;  CGI.  IV,  599,  ig  bezeugt,  angesichts 
Formen  wie  calcosleis  =  -gis  (12)  u.  a.  vielleicht  durch  die  Tendenz 
entstanden,  dem  vulgären  Schwund  des  intervok,  g  entgegenzutreten, 
welche  auch  an  falscher  Stelle  ein  g  aufkommen  liefs  (auch  die 
erste  Silbe  lautet  mit  g  an),   vgl.  lomb.  grüga. 

Auch  in  peclinis  wurde  der  Silbenausgleich  durch  einen  speziellen 
Umstand  begünstigt.  Mit  wenigen  Ausnahmen  sind  nl.  alle  auf 
-en  endenden  Vokabeln  neutrius  generis  und  auch  die  neuen  Nomi- 
nativi iurhen  und  termen,  welche  sich  nach  dem  Schema  crimen 
criminis  an  Stelle  des  ursprünglichen  turho  {-inis),  termo  (-inis) 
sekundär  entwickelten  (K.  Meister,  Lat.-Gr.  Eigenn.  6),  bekamen 
neutrales  Geschlecht,  vgl.  noch  anguen  (ntr.)  statt  angiiis  bei  Jul. 
Va!.  I,  2g.  Pecten  nahm  also  als  Maskulinum  eine  Sonderstellung 
ein  und  leicht  konnte  die  Volkssprache  durch  die  speziell  maskuline 
Endung  -nis  die  Ausnahme  beseitigen  und  pectinis  schaffen,  das 
zugleich  der  Tendenz  des  Silbenausgleiches  entsprach.  Die  Richtig- 
keit dieser  Auffassung  beweisen  die  Nebenformen  der  wenigen 
übrigen  Maskulina  auf  -en\  neben  osceji  (ra.)  ' Weissagevogel '  ge- 
brauchte schon  Cicero  ein  oscinis  als  Nominativ,  vgl.  Plin.  maior 
bei  Charisius  I,  105,  4;  13g,  11  K.  und  auch  lieii  (m.)  und  spien  (m.) 
—  renes  steht  nur  im  Plural  —  haben  lienis  (Celsus)  und  splenis 
(seit  Lactanz,  Brandt,  ALL  VIII,  130,  Heraeus  XI,  62)  mit  kurzem  t 
(Bechtel,  GGA  i8gg,  185;  Jachmann,  Stud.  Prosod.  ig  12,  ig)  neben 
sich.  Von  den  vielen  Neutra  zeigt  dagegen  nur  inguen  eine  ver- 
wandte Form,  CGI.  V,  77,  22.  Auch  zwei  andere  Nominative:  peciis 
und  pectina  sind  CGI.  II,  355,  62   überliefert,  denen  pollis  und  pollina 

II,  265,  4g  f.  zur  Seite  zu  stellen  sind.  Zur  Erläuterung  von  pk/is 
sei  auf  die  Ausdehnung  der  Flexion  -is  -inis  im  Vulgärlatein  hin- 
gewiesen, vgl.  §  24  c;  pectina  wird  vielleicht  dM?,  pectinare  neu  ent- 
standen sein,  wie  pugna  aus  piignare,  dem  Infinitiv  zu  pugnus,  und 
^retifia,  der  romanische  Ersatz  von  habena,  das  mit  avena  verwechselt 
wurde  (J.  Jud,  Z.  R.  Ph.  38  [1914],  33),  aus  retinaculuju;  jedenfalls 
begünstigte  pectinare  das  Entstehen  der  neuen  Form. 

b)  Da  sehr  viele  Substantiva  und  Adjektiva  auf  -iis  enden, 
nur  wenige  dagegen  auf  -er,  konnte  leicht  zu  aprum  ein  neuer 
Nomin.  aprics  gebildet  werden.  Bei  Adjektiven  kam  das  Empfinden 
dazu,  dafs  dem  Femininum  auf  -a  ein  Maskulinum  auf  -us  entspreche; 
so  entstand  heben  glaber  ein  glabrus  (Herm,  Fast.  3,  9,  i),  neben 
aeger    ein   aegrus    CGI.  IV^  474,  26,   neben    miser   ein    miserus    CII^ 


I04 

IV,  2250,  neben  ruber  ein  rulj^us  (Solinus  40,  2^  usw.)  und  auch 
neben  taeter  ein  taetrus,  das  aufser  App.  CGI.  II,  195,47  belegt.  — 
Zur  richtigen  Beurteilung  von  aprus  ist  von  Wichtigkeit  Priscian 
II.  2Tf2„  I2K.:  'aper  apri\  cuius  femininum  veleres  proiuleriint  ^ apra\ 
Gab  es  in  der  Vulgärsprache  auch  ein  apra,  was  immerhin  möglich 
ist,  so  entstand  aprus  auch  unter  Einflufs  dieser  Form,  weil  zur 
Bezeichung  der  Tiergattung  neben  einem  Femininum  auf  -a  durch- 
gehend ein  Maskulinum  auf -z/j  steht:  agnus  agna,  cervus  cerva,  eqmis 
eqiia,  weiteres  bei  Neue-Wagener  P,  915.  —  Während  die  Ent- 
stehung neuer  Nominativi  auf  -rus  an  der  Stelle  von  -er  recht 
verständlich  ist,  sind  Neubildungen  auf  -er  angesichts  der  geringeren 
Häufigkeit  dieser  Endung  weniger  leicht  zu  erklären.  Es  ist  also 
an  sich  wahrscheinlich,  dafs  nur  unter  sehr  günstigen  Bedingungen 
solche  Neubildungen  sich  durchsetzen  konnten.  In  der  Tat  dürften 
die  ältesten  Beispiele,  welche  noch  der  früheren  Kaiserzeit  an- 
gehören, auf  analogischem  Wege  entstanden  sein:  arater  in  der 
lex  August,  bei  Hygin,  limit.  112,  24  Lachm.  unter  Einflufs  von 
vomer  'Pflugschar';  scalper  'Schnitzmesser'  (Celsus  8,3,4)  nach 
culler,  vgl.  scalpelliis  (Geis.  2,  10.  15.  16  usw.)  neben  culklhisA  Und 
von  den  erst  spät  auftauchenden  Formen:  candelaher  (Arnob.  1,59), 
planster  (GGl.  II,  589,  56),  cereher  (Caper  VII,  103,  6K.,  CGI.  II,  lOO,  5) 
zeigen  die  erste  und  letzte  auch  die  -tis  Endung,  vgl.  candelabrus 
Petron  75  und  cerehrus  Oribas.  syn.  4,  lO  u.  12,  welche  dem  all- 
mählichen Untergang  des  Neutrums  ihre  Entstehung  verdankt.  Weil 
aber  die  Endung  -brus  fast  fehlte,  wurde  sie  trotz  rubrus  usw.  (s.  o.) 
durch  üblicheres  -ber  ersetzt.  Eine  Sonderstellung  nimmt  amphiihealer 
CIL  VI,  31  893  f.,  Petron  c.  45  (?  überliefert  -tur)  als  Lehnwort  ein. 

Dagegen  zeigen  die  aus  dem  Griechischen  entlehnten  Vol^abeln 
barbarus  und  hilarus  eine  Kurzform  auf  -ar.  Das  von  App.  und 
[Prob.]  Inst.  IV,  102,  8  zurückgewiesene  barbar  steht  CGI.  IV,  327,  25; 
43i>36;  590»  28;  V,  543,  14;  hilar  lehnt  [Prob.]  Cath.  IV,  15.  8K. 
ab.  Hilar  kann  sehr  wohl  aus  hiläris,  der  später  häufigen  Neben- 
form von  hilarus  (§  2^),  gekürzt  worden  sein.  Denn  echt  lateinische 
Vokabeln  gab  es  nur  auf  -äris,  keine  dagegen  auf  -äris;  und  von 
den  wenigen  Fremdwörtern  auf -am  wie  baccärts  'Art  Pflanze',  cidäris 
'Turban',  cantharis,  capparis  'Kaper'  zeigen  die  zwei  ersten  ebenfalls 
Kurzformen  auf  -ar:  baccar  war  stets  mit  baccaris  gleichberechtigt, 
cidar  steht  beim  Auct.  it.  Alex.  M.  26  (64)  und  Venant.  Fortun.  2,  9,  33. 
—  Es  war  also  in  der  Umgangssprache  in  der  Tat  die  Neigung 
vorhanden  -aris  der  Fremdwörter  durch  -ar  zu  ersetzen,  das  in 
den  Casus  obliqui  von  impar  imparis,  calcar  calcaris  usw.  kurzes  a 
zeigt.  —  Dagegen  ist  die  Entstehung  von  barbar  vielleicht  dadurch 
begünstigt  worden,  dafs  die  einfache  Wiederholung  der  gleichen 
Silbe  bar-  einen  ungünstigen  Eindruck  auslöste,  welcher  der  Be- 
deutung von  barbarus  entsprach,  vgl.  bardus  'dumm'  <  ßgaörq 
{ßaQÖVTSQog,  ßagÖLOroc),   bargus  'sine  ingenio'  (Goetz,  Thes.  Gl. 

^  iincer  =^  sincerus  CGI.  II,  334,  43  nach  integer  F 


I05 

em.  s.  V.),  hargin(n)a  und  haro.  —  Auch  der  wegen  der  vielen  r 
von  harharoriim  häufige  Gen.  Plur.  barbaruni  kann  die  Entstehung 
von  barhar  mit  begünstigt  haben, 

c)  In  der  Endung  -is  zweisilbiger  Substantiva  scheint  nach  natura 
oder  pontione  langen  Silben  Synkope  regelmäfsig  eingetreten  zu  sein, 
dagegen  nicht  nach  kurzen  Silben,  vgl.  Sommer^  152.  Auch  orbis 
hätte  eigentlich  zu  orbs  werden  müssen;  da  aber  vor  r  -{■  Konson. 
das  0  fast  einem  u  gleichkam  (§  7  a),  hätte  leicht  Verwechslung 
mit  urbs  eintreten  können  und  unterbheb  die  S3'nkope  wie  in  r'etis 
und  vitis,  deren  synkopierte  Formen  mit  res  und  vis  zusammen- 
gefallen wären  (Ahlberg,  De  accentu  Latino  1905,  57).  In  späterer 
Zeit  wurde  dennoch  orbs  (nach  urbsl)  vom  Volke  gelegentlich  ge- 
sprochen, vgl.  CGI.  V,  322,  13;  Ven.  Fortun.  g,  3,  14.;  vit.  S.  Mart. 
4,  583 ;  verworfen  wird  es  im  Fragm.  Bobb.  GL  V,  561,  36  K.,  bezeugt 
durch  Martyrius  bei  Cassiodor  VII,  189,  13  K.  An  der  ersteren 
Stelle  wird  auch  corbs  als  vulgäre  Form  von  corbis  zurückgewiesen, 
das  sein  i  in  ältester  Zeit  vielleicht  durch  Einflufs  des  lautlich  allein 
nahestehenden  orbi's  behielt.  Bei  der  Entstehung  von  orbs,  corbs 
wirkte  die  Analogiebildung  nach  den  vielen  Imparasyllaba  auf  -ps 
•pis  stärker  als  das  Streben  nach  Gleichheit  der  Silbenzahl  in  sämt- 
lichen Casus. 

Obwohl  das  von  App.  gerügte  nubs  nach  Serv.  ad  Aen.  X,  636 
schon  für  Livius  Andronicus  bezeugt  ist,  glaube  ich  nicht,  dafs 
nubs  neben  nubes  eine  selbständige  Bildung  ist  und  entweder  als 
konsonantischer  Stamm  (Stolz  *  171,  Jacobssohn  Z.  vgl.  Spr.  46 
[19 14],  64)  oder  als  /-Stamm  (<  juibis,  Plaut.  Merc.  879  \jiubts'\  ist 
nur  in  den  Palatini  überliefert)  oder  schliefslich  mit  Sommer  2  372 
nubes  als  ursprünglicher  Plural  aufzufassen  ist.  Denn  von  den 
parallelen  Doppelbildungen  sind  die  Formen  auf  -bes  {-pes)  die 
älteren,  die  auf  -bs  {-ps)  die  iüngeren,  vgl.  Varro,  L,  L.  VII,  2)o'- 
Ennius:  '.  .  .  trabes\  cuius  verbi  singularis  casus  recius  correptus  ac 
facta  trabs  (Sat.  Men.  391).  Mit  Unrecht  gehen  die  Lexica  von 
dem  seltenen  Nomin.  trabs  aus  —  meistens  steht  das  Wort  im 
Plural  oder  in  einem  Casus  obliquus  — ;  auch  der  abweichende 
Stammvokal  (vgl.  osk.  triibum  'domum',  umbr.  ircbeit,  Stamm  treb-) 
konnte  sich  am  ehesten  in  trabts  entwickeln.  —  Saeps  steht  in  den 
vulgär  gefärbten  libri  r.  r.  Varros  (i,  14,2)  und  bei  Cicero  nach 
Auson.  grammatomastix  II,  p.  168,5p.,  saepes  ergibt  sich  durch 
Plautus  bei  [Probus]  Cath.  IV,  8,  4K.:  praesaepes  als  die  ältere  Form; 
saepes  gehört  zu  saepio  wie  violes  zu  molior.  Ich  halte  also  auch 
nubs,  das  z.  B.  noch  CGI.  II,  508,  12,  III,  169,  i  überliefert  ist,  für 
sekundär:  die  Nominativendung  -es  war  für  die  erst  viel  später  im 
Vulgärlatein  schwindende  fünfte  Deklination  charakterisch  und  es 
wurden  zu  den  Genetiven  nubis,  irabis,  saepis  nach  Analogie  der 
vielen  Substantiva  auf  -s,  -is  neue  Nominative  auf  -s  gebildet.  Im 
späteren  Vulgärlatein  hat  man  sich  auch  eines  anderen  Mittels 
bedient,  indem  Nominative  auf  -is  geschaffen  wurden:  saepis  steht 
Ital.  Gen,  38,  29;  trabis  bei  Julius  Obsequens  u.  a. 


io6 


§  23.    Die  Ausdehnung  der  -uSf  -et,  -tun  Formen. 

c)      169     iturus  iwn  nura  1))  99    palumbes  7ion  palumbus 

170     socrus  non  socra  56     tristis  non  tristus 

43    pauper  mulier  noti  patipera  156     ip(se)  non  ip{sus)(r) 

inulier  c)  41     acre  non  acrum 

Über  n.  i/i   u.   172  s.  obeu  §  2b. 

Der  allmähliche  Untergang  der  schwächeren  vierten  Deklination 
in  der  Umgangssprache  —  schon  früh  ist  das  maskul.  senaiiis  in 
die  zweite  Deklination  übergeführt  worden  —  konnte  leicht  die 
neuen  Formen  socra  (socera  CIL  III,  3895  u.  ö.)  und  nura  entstehen 
lassen,  deren  -a  überdies  deutlicher  als  -us  das  weibliche  Wesen 
bezeichnete.  Das  Aufkommen  von  socro  (z.  B.  II,  530,  IX,  563) 
wurde  aufserdem  dadurch  begünstigt,  dafs  diese  Form  besser  als 
socrus  als  Femininum  zu  socer  pafste.  Angleichung  innerhalb  der 
einzelnen  Verwandtschaftspaare,  welche  im  Indogermanischen  noch 
verschiedene  Wurzeln  zeigen  (ai.  sunus-duhitä,  gr,  vl6c-d-vyäxr]Q\ 
ai.  bhrätä-svasä,  \2X.  f rater -soror;  Delbrück,  Ber.  Sachs.  Ges.  11,5), 
findet  in  den  Einzelsprachen  öfters  so  statt,  dafs  von  einem  ganz 
neuen  Stamm  sowohl  das  Maskulinum  wie  das  Femininum  gebildet 
werden,  vgl.  \s.t  filius  filia,  gr.  ddeMpog  ddÜAf/j  (Kretschmer  Glotta 
II,  201),  span.  hermano,  hermana  [f rater  bekam  rehgiöse  Bedeutung) 
und  Osthoff,  Vom  Suppletivwesen  in  den  indog.  Spr.  1900,  15. 
Demgegenüber  ist  die  Anlehnung  von  socrus  ]>  socra  an  socer  eine 
sehr  leichte;  ihrerseits  löste  sie  auch  eine  Annäherung  von  socer 
an  socra  aus,  indem  mit  Synkope  zwischen  Muta  c.  Liquida  soceriim 
zu  socrum  wurde  (§  1).  Dagegen  wurde  der  Suffixwandel  in,  nura 
keineswegs  durch  ein  stammverwandtes  Wort  beeinflufst  und  die 
sekundäre  Entstehung  der  Form  nach  socra  ist  auch  deshalb  nicht 
ausgeschlossen,  weil  das  im  Romanischen  fortlebende  *ndra  —  vgl. 
afrz.  nuere,  it.  nuora,  sp.  nuera,  pg.  nora,  rum.  norä  —  einen  ab- 
weichenden Stammvokal  zeigt,  den  es  nicht  von  *novia  'Braut' 
(Tappolet,  die  roman.  Verwandtschaftsnamen  Diss.  Zürich  1895, 
127),  sondern  von  socra  bekommen  hat;  auch  im  vorhist.  Latein 
hatte  sich  schon  die  Endung  von  nurus  nach  socrus  gerichtet,  vgl. 
gr.  rroc  (ig.  *snusos,  Pedersen  BB.  19,  293).  Belegt  ist  nura  z.  B. 
CIL  VIII,  4293;  9065,  15.  Auch  diesmal  bietet  App.  noch 
nicht  diejenige  vulgäre  Form,  welche  den  romanischen 
Sprachen  direkt  zugrunde  liegt. 

Die  Tendenz  isolierte  Verwandtschaftsnamen  aufzugeben  tritt  auch 
in  dem  allmählichen  Untergang  von  kvir  und  glos  zutage,  1  welche 
etwa  seit  dem  4.  Jahrb.  und  auch  im  Romanischen  durch  das  neue 
Paar  cognatus  cognata  ersetzt  werden.  Wohl  zur  Zeit  als  cognatus 
sich  noch  nicht  durchgesetzt  hatte,  wurde  ein  interessanter  Versuch 


^  jiepos,   das  auch  Neffe  bedeutet,   wird  in  Mailand  CIL  V,  5902  durch 
aviaticus  ersetzt,  das  rätoromanisch  ist. 


I07 

gemacht  die  Bezeichnung  des  Schwagers  den  übrigen  Benennungen 
der  angeheirateten  Verwandschaft  anzugleichen  und  dafür  suecerio 
zu  verwenden,  das  in  der  Form  socerio^  im  Sinne  von  socer  schon 
gelegentlich  benutzt  worden  war.  In  einer  Inschrift  aus  Straubing 
CIL  III,  II  977  =  Diehl  Vulgärlat.  Inschrift.  258  =  Vollmer  Inscr. 
Bavaria.e /^26)  =  3f.  Aur.  A7nando  com  (iculario)  ...et  Val.  Gemellinae 
socr.  eins  ...  et  Cl.  2Iacrino  socro  eins  ei  Val.  Valeriano  suecerioni 
Val.  Macrinilla  u[x]or  et  Amandinus  et  [Am]andina  fili  et  heredes 
t[x  iis]  n.  Uli  mil.  parentihus  fac.  c.  s.  v.  kann  suecerio  nach  Jacobs- 
sohn KZ  44  (19 11),  II  sowohl  den  levir  wie  den  Bruder  oder 
Vater  der  socrus  bezeichnen.  Bedenken  wir  aber,  dafs  Val.  Macri- 
nilla das  Gentilicium  ihrer  Mutter  Val.  Gemellina  und  nur  —  in 
anderer  Form  —  das  Cognomen  des  Cl.  Macrinus  trägt,  aufserdem 
Cl.  Macrinus  erst  an  zweiter  Stelle  genannt  ist,  so  mufs  dieser  der 
Stiefvater  der  Val.  Macrinilla  gewesen  sein.  Da  ferner,  wie  sonst, 
die  Frau  nicht  das  Gentilicium  ihres  Mannes  {Aur.  Amandas)  führt 
und  ihre  Mutter  weder  das  Gentilicium  ihres  zweiten  Gatten  trägt, 
noch  das  ihres  ersten,  das  sie  nach  der  zweiten  Eheschliefsung 
sicher  abgelegt  hätte,  sondern  ihren  Mädchennamen,  so  läfst  sich  die 
Gleichheit  des  Gentiliciums  der  Mutter  und  der  Tochter  nur  so 
erklären,  dafs  letztere  das  uneheliche  Kind  ihrer  Mutter  ist.  Da 
ist  es  nun  äufserst  wahrscheinlich,  dafs  auch  Val.  Valerianus  als 
unehelicher  Sohn  das  erst  aus  dem  Gentilicium  der  Mutter  abgeleitete 
Cognomen  bekam  und  der  Bruder  (Halbbruder)  der  Val.  Macrinilla 
ist;  suecerio  bedeutet  also  ohne  Zweifel  levir.  In  der  germanischen  In- 
schrift ist  suecerio  eine  interessante  Kontamination  von  lat.  socerio 
und  dem  Vokalismus  des  germ.  *swegr,  s.  (W.  Schulze  KZ  40,  400;) 
J.  Bruch,  Einflufs  der  germ.  Spr.  auf  das  Vulgärlat.   191 3,   15. 

Die  durchaus  verständliche  Tendenz,  das  Maskulinum  und 
Femininum  der  Substantiva  communia  zu  differenzieren  führte  leicht 
dazu,  dafs  im  älteren  Latein  —  zu  dem  Commune  puer  [sancta  puer 
Liv.  Andron.)  trsitt  puella,  puera,  Lommel  a.  a.  O.  (19 12),  18  —  wie 
auch  in  späterer  Zeit  Neubildungen  auf  -0  entstanden,  vgl,  sacerda 
CIL  VIII,  3307,  10575,  sacerdofa  III,  14900,  antistita  (Thes.  L.  L. 
s.  V.),  sodala  VIII,  3762,  21071,  Pieske  48,  coniuga  (Thes.  L.  L.) 
u.  a.  —  Auch  bei  Adjektiven,  besonders  solchen,  welche  meistens 
eine  Person  bezeichnen,  ist  dieselbe  Neigung  vorhanden  und  gerade 
das  gerügte  paupera  mulier  ist  interessant,  weil  dasselbe  Beispiel 
auch  von  andern  Grammatikern  angeführt  und  schon  mit  Plautus 
belegt  wird,  vgl.  Caper  GL  VII,  95,  2  K.,  Serv.  ad  Aen.  XII,5ig: 
.  .  .    Plautus  :  '■paupera    est   haec    inulier,   sed  hoc    hodie   non    utimur', 


1  Vgl.  III,  5622,  V,  8273;  jene  Inschrift;  D.  M  Lupus  vilicus  fccit 
Probino  actori  socerioni  et  Proba  soror  fratri  o(bito)  an(norum)  XL  et  Urse 
coniugi  Z'ive  faecaerunt  erklärt  Mommsen:  Probitio  act.  def.  .  .  .  et  filiae  eins 
Ursae  fecerunt  Proba  soror  Probini  et  Lupus  .  .  .  gener  Probini  Ursae 
maritus;  dann  hätte  Lupus  seiner  noch  lebenden  Frau  ein  Grab  neben  ihrem 
verstorbenen  Vater  gestiftet,  was  sonderbar  wäre;  in  Wahrheit  ist  C/rjc  Gattin 
des  Probinus, 


io8 

ad  Aen.  III,  539;  [Prob.]  Inst.  art.  IV,  82,  38  K.;  auch  Varrro  L.  L. 
8,  77  und  besonders  Prisciaa  11,  152,  8:  Plauius  in  Vidularia  : 
'paupera  haec  res  est\  Wahrscheinlich  kam  im  ältesten  Latein  nur 
paupera  zwecks  Differenzierung  vom  Maskulinum  vor  (es  findet  sich 
z.  B.  noch  Vulg.  Marc.  12,  43;  Commod.  Instr.  2,  30,  9,  Neue- 
Wagener  IP',  25)  uad  ging  erst  später  auch  das  Maskulinum  in 
den  Casus  obüqui  zu  der  zweiten  Deklination  über,  \^.  pauperorum 
bei  Petron  c.  46  u.  ö.  (Rönsch,  lt.  u.  Vulg.  275),  paupero  Ital.  prov. 
19,  17,  gerügt  von  [Palaemon]  GL  V,  534,  33 K.  usw.;  auch  it.  povero, 
log.  pobaru,  M.-Lübke  6305.  Ob  App.  aus  der  lebendigen  Sprache 
schöpft  oder  nur  ein  häufiges  Grammatikerzeugnis  aufnimmt,  ist 
unsicher. 

b)  Auch  das  ]\Iaskulinum  der  Adjekliva  communia  auf  -is 
erstrebte  gelegentlich  eine  Sonderform  auf  -us.  Der  Übergang  von 
irisiis  zu  tristus  —  belegt  bei  Rossi  inscr.  Christ.  I,  481 ;  vgl.  it.  tristo, 
logud.  tristu,  rum.  trist  ALL  VI,  133  —  wurde  aber  m.  E.  durch 
maestus  begünstigt.  Umgekehrt  scheint  in  älterer  Zeit  iristis  auf 
das  ursprüngliche  hi'arus  {iAaQOo)  formell  eingewirkt  zu  haben, 
sodafs  ein  hilaris,  Gegensatz  zu  tristis,  entstand.  Hilaris  ist  nämlich 
nicht  gleichaltrig  mit  hilarus,  wie  Neue-W.  II 3,  149  und  Georges 
Lex.  Lat.  Wortf.  s.  v.  glauben.  Plautus  {16  Belege),  Caecilius  (3  Belege), 
Terenz  (3  Belege),  Pomponius  und  Lucrez  kennen  nur  hilarus; 
Most.  318:  tibi  nos  hilari  ingenio  et  lepidc  accipient  erklärt  Leo  hilari 
richtig  als  Nom.  Plur.  und  Poen.  1367:  hunc  festinn  diem  habeamus 
hilare  {-rem  P,  Harem  A)  und  Terenz  Ad.  287:  hilare  {-rem^  codd.) 
hunc  su7namus  diem  wird  allgemein  hilare  geschrieben.  Hilaris  ist 
also  nicht  zugleich  mit  hilarus,  zur  Zeil  der  Aufnahme  des  gr.  iXaQOc, 
sondern  erst  etwa  im  ersten  vorchristlichen  Jahrhundert  durch  -eine 
besondere  Veranlassung  entstanden.  Und  die  ältesten  Belege, 
Catull  61,  11:  hilari  die,  Cic.  Tusc.  1,  421,  400:  voltu  hilari,  ep.  ad 
Q.  fr.  2,  II  (13),  i:  hilari  animo  führen  leicht  zu  der  Annahme, 
dafs  das  entgegengesetzte  tristis,  das  in  denselben  Verbindungen 
häufig  war,  die  neue  Endung  veranlafste,  vgl.  noch  Horaz  ep.  i,  18,  89: 
oderunt  hilarem  tristes  tristemque  iocosi. 

Dafs  in  n.  56  ipsus  verworfen  wird,  ist  möglich,  aber  nicht 
sicher  angesichts  der  Tatsache,  dafs  ipsus  archaisch  ist  und  auch 
bei  Fronto  p.  84,  iN,,  Auson.  Bissüla  praef.  6,  Itin.  Alex.  17  (44) 
und  in  den  Jamben  bei  Henzen  5605,  3  —  vgl.  CGI.  IV,  357,  36  — 
als  archaische  Anlehnung  betrachtet  werden  kann.  Als  neben  eapse, 
fem.  zu  ispse  (>  ipse)  ein  ipsa  aufkam,  weil  ipse  <  idpse  zwecks 
Differenzierung  vom  Maskulinum  zu  ipsiim  geworden  war  (Skutsch, 
Glotta  I,  308),  und  die  beiden  Bildungen  ohne  Unterschied  Ver- 
wendung fanden,  tauchte  auch  ipsus  als  Nebenform  von  ipse  auf. 
Als  sich  später  (in  Übereinstimmung  mit  ipstini)  nur  ipsa  durch- 
gesetzt hatte,  beschränkte  sich  auch  das  Maskulinum  wieder  auf 
eine  Form   und   zwar,    nach    ille  iste,    auf  ipse.     Dafs  ipsus  sich  in 

^  Danach  [Prob.]  Cath.  IV,  15,  9 K.:  hilaris  legi  et  lülarus  in  Terentio. 


log 

der  späteren  Umgangssprache  aufs  neue  bildete,  ist  nicht  wahr- 
scheinlich, da  ü/us,  istus  fehlten;  dafs  es  sich  die  Jahrhunderte 
hindurch  in  der  Volkssprache  gehalten  hat,  ist  möglich,  aber 
angesichts  der  Art  der  späteren  Belege  nicht  sicher.  Da  sich 
App.  mit  Archaismen  nicht  abzugeben  pflegt,  ist  die  unsichere 
Lesart  vielleicht  nicht  die  richtige. 

Das  getadelte  pahimhiis  'Ringeltaube',  das  erst  seit  Varro  r.  r. 
111,9,21  und  Varro  Scaurus  bei  Charis.  I,  io6, 30K.  belegt  ist,  1 
dann  aber  häufiger  wird  (Neue -Wagener  13,  929),  ist  ra.  E.  ohne 
Zweifel  nach  Analogie  von  columhus  entstanden.  Auch  dieses  Wort 
ist  aber  erst  nach  cobimha  neugebildet  worden  (das  mit  gr.  x6Xt\ußog, 
xo2.i\ußdg  'Taucher'  urverwandt  ist),  vgl.  Varro  L.  L.  9,  56:  o/wi  . . . 
?nares  et  feminae  dicehantur  columhae  .  .  .  nunc  contra  .  .  .  appellatur 
7)ias  cohimbus,  feviina  coluinba  —  späteres  simius  neben  simia  — 
und  die  selteneren  Belege  für  columbus,  das  aber  schon  zur  Zeit 
des  Plaut.  (Rud.  88 7)  in  der  Umgangssprache  vorkam.  Wie 
neben  columbus  ein  columhilus  aufkam  (Plin.  ep.  9,  25,  3),  so  neben 
pahimbus  ein  palumbtdus,  das  der  von  Deminutiven  strotzende 
,Apuleius  belegt.  —  Im  Romanischen  hat  sich  nur  die  neue  Form 
auf  -US  durchgesetzt,  M.-Lübke,  Wb.  6 181. 

Von  den  der  dritten  Deklination  angehörigen  Adjektiva  auf 
-er  zeigt  acer  eine  gröfsere  Anzahl  Nebenformen  nach  der  zweiten 
Deklination,  vgl.  Thes.  L.  L.  s.  v.  Besonders  oft  begegnet  das  auch 
von  App.  verworfene  Neutrum  acrum  und  zwar  vor  allem  in  der 
Verbindung  acetum  acrum  oder  acrum  acetu7n.  So  bezeugen  die 
Glossen,  die  sowohl  acre  wie  acrum  als  Neutrum  von  acer  angeben 
(Goetz,  Thes.  Gl.  em.  15,  17),  zweimal  acetum  acrum,  nur  einmal 
acetum  acre.  Bei  den  späteren  Fachschriftstellern,  wie  Gargil.  Martial. 
cur.  boum  21,  Vegetius  mulomed.  III,  28,  16,  IV,  28  und  in  der 
Mulomed.  Chironis  (ALL  X,  421)  u.a.  ist  acrum  acetum,  das  durch 
formelle  Angleichung  des  Adjektivs  entstand,  gang  und  gäbe.  Wenn 
auch  der  Übergang  in  die  zweite  Deklination  nicht  gerade  von  acttum 
acrum  ausgegangen  ist  —  vgl.  GL  Suppl.  292,  13K. :  celebrum;  it. 
allegro,  häufiges  ignem  acrum  bei  Dioscorides  — ,  so  hat  andererseits 
diese  feste  Verbindung  die  Verbreitung  von  acer,  acra,  acrum 
sicherlich  gefördert,  welche  Formen  auch  im  Romanischen  erhalten 
sind,  vgl.  it.  agro,  frz.  aigre,  sp.  agro.  Die  sicheren  Belege  des 
Vulgärlateins  sind  alle  spät,  so  dafs  ich  zweifle,  ob  acrum  =  acrem, 
das  nach  Charis.  I,  117,  13  schon  Cn.  Matius  (100 — 90  v.  Chr.  geb.) 
angewandt  haben  soll,  nicht  vielmehr  einen  Schreibfehler  im  Text 
des  Matius  (vgl.  S.  108,  A.  i)  darstellt.  Schliefslich  wurde  in  acris 
verberibus  der  Reg.  Bened.  30  (s.  Linderbauer  z.  St.)  die  Anwendung 
der  abweichenden  Form  durch  den  auch  sonst  vulgärlateinischen 
Wechsel  von  -is  neben  -ibus  begünstigt,  vgl.  z.  B.  Fredegar  Chron. 
II,  ic8,  17:  vilis  (■=■  -ibus)  hominibus,  I,  43,  11:  in  phiris  regibus, 
Haag,  R.  F.  X,  878. 


>  Luril,  453  M  ist  unsicher. 


r  lo 


§  24.    -es  >  -is. 

a)  92     vaies  non  vatis  104    fames  non  famis 
95     apes  non  apü                                        109    proles  non  prolis 

b)  90     cautes  non  c{auiis)  d)       88     ales  non  (cch's) 
103     vepres  non  vepris  lOl     (fcj^j  «on  desis 

106  Syrtes  non  Syrtis  102  r^ji?^  «o;«  rw/j 

107  aedes  non  aedis  e)       89  facies  non  fa{ces). 

c)  91  plebes  non  plevis  98  vulpes  non  vulpis 
93  ^aö^j  wo«  ta-vis  105  clades  non  cladis 
97  suboles  non  subolis  108  J^^f^j  wo«  je^z> 

100     /«^j  non  luis 

In  dieser  Reihe  sind  verschiedene  Gruppen  zu  unterscheiden, 
welche  einer  besonderen  Erklärung  bedürfen.  —  a)  in  vatis  und 
apis  ist  das  i  nicht  nachträglich  entstanden,  sondern  ursprünglich. 
Dem  keltischen  Lehnwort  vatis  (Strabo  IV,  4,  4 :  jiaQa  naGi  .  .  . 
ovdteig  xal  ö^vtSai)  entspricht  air.  faith,  dessen  t  wie  in  aile  = 
ak'us  durch  Umlaut  in  die  Stammsilbe  kam.  Dementsprechend  steht 
Plaut.  Mil.  9 1 1  vatis  in  AP  —  was  allerdings  Schreibfehler  sein 
kann  —  und  erst  bei  Verg.  Aen.  III,  712  vates,  vgl.  Zwicker,  De  voc. 
et.  reb.  Galileis,  Diss.  Leipzig  1905,  50.  Vates  entstand  vielleicht 
nach  den  vielen  Personenbezeichnungen  auf  -es  (mi/es,  hospes  usw.) 
vgl.  auch  häufiges  cives  =  civis  auf  Inschriften.  Dafs  neben  vates 
altes  vatis  in  der  Umgangssprache  stets  erhalten  blieb,  ist  angesichts 
des  leichten  Überganges  von  -es  zu  -is  im  späteren  Vulgärlatein 
recht  unwahrscheinlich ;  vielmehr  ist  das  gerügte  vatis  eine  Neu- 
bildung, die  auch  CGI,  II,  364,  53  neben  vates  bezeugt  ist.  —  Auch 
apis  hat  ursprüngliches  2  (Tib.  2,  1,49;  Ovid  met.  13,928),  obgleich 
die  Etymologie  des  Wortes  dunkel  ist  (unrichtig  Holthausen,  IF 
35,  132  apis  :  opus).  Apes  ist  wohl  nur  durch  die  verkehrte  Auf- 
fassung der  Grammatici  aufgekommen,  welche  apis  nicht  wie  Charis. 
1,238, 6  K.  mit  aptus  (apio),  sondern  mit  pes  in  Zusammenhang 
brachten;  vgl.  Mar.  Victor.  VI,  477,  16K. :  apes  quasi  ajrovg,  quod 
sine  pedihus  nascatur,  Serv.  ad  Georg.  4,  257  ;  [Prob.]  Cath.  IV,  26,  17; 
und  auch  App.  ist  wohl  durch  diese  törichte  Etymologie  zu  der 
Zurückweisung  von  apis  verführt  worden,  das  an  vier  Stellen  der 
Glossen  steht,  welche  nur  einmal  (III,  500,  i)  apes  belegen,  Thes. 
Gloss.  em.  s.  v.  Apes  steht  noch  z.  B.  Sulpicia  Sat.  55,  Ven.  Fort. 
3,  9,  25;  4,  10,  ii;  6,  I,  8.  —  Ob  schon  Vergil,  Georg.  IV,  257: 
aut  illae  (sc.  apes)  pedihus  connexae  ad  limina  pendent  eine  Etymologie 
pedibus  apere  kennt  und  diese  Varronisch  ist?  —  Diese  Vermutung 
könnte  die  bei  Varro,  L.  L.  V,  loi  :  volpes  quod  volat  pedibus  er- 
haltene Etymologie  wahrscheinlich  machen.  Im  Gegensatz  zu  apes 
ist  vulpes  mit  e  ursprünglich,  da  gegen  J.  Schmidt  und  Lommel, 
a.  a.  O.  69,  welche  mit  vrkis  'Wolff'  operieren,  Zusammenhang 
mit  gr.  ä(f)X(X)Jiri^  anzunehmen  ist,  vgl.  W.  Schulze,  KZ  45,  287. 
Das  vulgäre  vulpis  ist  selten  —  Patron  58:  volpis  im  vulgären  Ge- 


rrr 

sprach  —  Porphyr  zu  Iloraz,  Sat.  II,  5,  56  ;  fünfmal  im  CGI.  III;  Not. 
Tir.  108,  34;  Avian.  fab.  40,  7;  Anecd.  Helv.  p.  61,  17. 

b)  In  den  unter  b  aufgezählten  Beispielen  verwirft  App.  nicht 
die  Endung  -i's  als  solche,  sondern  will  sie  nur  den  Plural  gelten 
lassen.  Cau/es  ist  fast  nur  Plurale  tantum  und  selten  tritt  der 
Nominativ,  z.  B.  Verg.,  Aen.  6,  471,  Tib.  2,  4,  9  u.  a.,  oder  ein  Casus 
obliquus  (Ovid,  Seneca)  des  Singulars  auf;  der  Nomin.  ist  dann 
caufes  (Tibull)  oder  cati/i's  und  auch  App.  tadelt  ohne  Zweifel  cau/i's 
nicht  cotis^,  da  auch  die  Pluralform  dieses  fast  nur  poetischen  und 
nicht  volkstümlichen  Wortes  in  späterer  Zeit  selten  cofes  und  regel- 
mäfsig  cau/es  lautet.  Dagegen  ist  in  der  ältesten  Periode  coles 
beliebt  und  ordnen  wie  die  Belege  kritischer  als  es  im  Thes.  L.  L. 
geschehen  ist,  so  ergibt  sich,  dafs  bis  auf  Vergils  Aeneis  nur  cofes 
bezeugt  ist,  vgl.  Ennius,  Ann.  421 :  de  co[nJ/tbus  celsis,  Cic.  Tusc.  4,  33 : 
scruptilosis  cotibzis ,  Caes.  b.  g.  3,  13,9  (richtig  Klotz  mit  ß  cotes, 
cautes  a) ;  Verg.  ecl.  8,  43 ;  georg.  4,  203 :  duris  in  cotibus ;  Prop. 
I,  3,  4:  duris  cotibus.  Die  ersten  sicheren  Belege  für  cautes  bieten 
Vergils  Aeneis  3,  534,  699;  4,  366;  5,  163,  205;  6,  471 ;  11,  260 
und  Tibull  2,  4,  9,  und  nach  Vergil  wenden  die  Dichter  mit  der- 
selben Konsequenz  cautes  an,  mit  der  man  vorher  cotes  gebrauchte. 
Es  ist  also  wahrscheinlich,  dafs  erst  Vergil  und  Tibull  —  s.  das 
§  5  d  über  bipennis  Gesagte  —  cautes  in  die  Poesie  eingeführt 
haben  und,  da  das  Wort  der  Dichtersprache  angehört,  die  Form 
eine  künstlich  lancierte  ist,  welche  zwecks  Differenzierung  von  cotes 
'Wetzsteine'  und  cautes  'spitziger  Fels'  erst  geschaffen  wurde.  Im 
Einklang  mit  dieser  Auffassung  steht  das  Fehlen  des  hyperurbanen 
Lautwandels  0  >  au  in  der  lebendigen  Sprache  (§  10);  und  dafs 
cautes  auch  später  als  poetisch  empfunden  wurde,  zeigt  das  zähe 
Festhalten  an  cotes  des  Curtius  (4,  6,  8  usw.),  der  zu  den  wenigen 
Prosaikern  gehört,  welche  im  i.  Jhdt.  das  Wort  gebrauchten.  — 
Auch  hier  zeigt  sich  der  Vergilische  Einflufs  in  der  schnellen  Ver- 
breitung des  neuen  aus  cotes  entstandenen  cautes,  vgl.  auch  §  5  d 
und  das  erst  durch  Vergil  zur  Geltung  gebrachte  Thybris,  K.  Meister, 
Lat.-Gr.  Eigenn.  53ff.  Dabei  lasse  ich  die  Frage,  ob  cautes  des 
Culex  355  und  Ciris  467  vor-  oder  nachvergilisch  ist,  unberück- 
sichtigt. Das  ursprüngliche  cotes  ist  nicht  von  cos  zu  trennen ; 
schwerlich  mit  Recht  versucht  Jacobsohn,  Z.  vergl.  Spr.  46  (1914),  59 
mit  Fick,  BB.  3,  166  lit.  schkävte  heranzuziehen,  in  dem  er  '^skevst 
als  Stamm  betrachtet,  der  im  lat.  "^cevetes  >»  covetes  zvi  covotes  >•  cotes 
wurde:  wäre  aber  nicht  cevetes  zu  cetes  geworden  wie  vivipera  zu 
vipera  ? 

Auch  in  vepres  wird  von  App.  nur  der  Nora.  Plur.  anerkannt. 
Die  Grammatiker  erwähnen  das  Wort  ausdrücklich  als  Plur.  tantum 
(Neue-W.  P,  687),  vgl.  Charisius  I,  33,  3  K.,  Diomedes  I,  327,  32K. 
und  Tract.,  De  dub.  nom.  V,  592,  19:  uepres  generis  femitiiiii  .  .  . 
Singular etn  non  recipit,  qtiamvis  Aemilius  mascxtline  dicat :  veper  occulta 


1  Die  Lesart  ist  unsicher,  s.  den  Apparat. 


i\2 

rtiis.  Und  ob  Aemiiius  Macer  wirklich  den  Singular  angewandt 
hat,  ist  zweifelhaft,  da  veper  occulia  rtns  weder  dem  Sinne  nach 
noch  metrisch  in  Ordnung  ist  [vepre  Baehrens,  FPL  245)  und 
vielleicht  auch  schon  Caper  fehlerhaft  voilag,  den  der  erwähnte 
Tractat  und  [Caper]  GL  VII,  101,  3:  hie  .  .  .  veper  [vesper  M)  vel 
vepres  masculina  sunt  exerpieren.  Weder  veper  noch  vepris  ist  sicher 
belegt  —  CGI.  IV,  484,  13:  avena  .  .  .  noxia  a  vepris  steht  vepris 
für  vepribus  — ,  so  dafs  vepris  der  App.  vielleicht  nur  grammatische 
Reflexion  ist ;  wohl  finden  wir  vereinzelt  die  Casus  obliqui  vepre?n, 
vepre,  Neue -Wagener,  a.  a.  O.  Damit  erledigt  sich  wohl  auch  die 
noch  von  Vollmer  aufgenommene  Konjektur  zu  Horaz,  Od.  i,  23,5: 
7ia7n  seil  viobilihus  ve?-is  (geändert  in  vepris)  inhcrrtäi  |  advenius  foliis 
seu  virides  rubuin  \  dimovere  lacertae  |  el  corde  et  genibus  tremit.  Auch 
zerstört  vepris  den  Zusammenhang  mit  dem  vorhergehenden :  ifiuleo 
.  .  .  qtiaerenti . . .  malrem  71071  si7ie  votio  |  auraruni  et  siJvae  TTietu;  aiirarm/i 
hat  in  veris  adveTitiis  eine  kühne,  aber  unmittelbare  Fortsetzung, 
weiteres  bei  Kiessling-Heinze  z.  St.  Der  Singular  des  Deminutivums 
vepriaila  ist  für  Pomponius  an  einer  verderbten  Stelle  des  Nonius 
p.  231  M  bezeugt. 

Die  Verwerfung  von  Syrtis  richtet  sich  gegen  die  Dichter,  wie 
sich  nicht  nur  aus  Priscian  II,  328,  13:  se77iper  plurale  .  .  .  Syriis, 
liwmi  et  si7igula>-ifer  .  .  .  inve7iitur  a  poetis  proIatii77i  (folgen  Beispiele 
aus  Lucan),  sondern  auch  aus  dem  Fehlen  des  Singulars  in  der 
Prosa  ergibt.  Denn  an  allen  von  Neue-W.  V>,  ^22  irrtümlicherweise 
aus  Livius,  Mela,  Plinius  angeführten  Stellen  wird  die  einzelne 
Syrtis  7/iaior  oder   7/ii7tor  genannt  oder  gemeint,    und  Cicero  de  or. 

III,  163:  'Syrti77i  patri77io7tii'  scopulur7i  libentius  dixerivi  verwirft 
geradezu    diese  Metapher.     Erst  Vergil    hat    an    einer   Stelle    (Aen. 

IV,  41)  den  Singular  angewandt,  dem  viele  Beispiele  für  Syrtes  bei 
ihm  gegenüberstehen,  und  fand  bei  den  späteren  Dichtern  auch  in 
dieser  Hinsicht  Nachahmung.  Wie  Priscian  zeigt,  fufst  App.  auch 
hier  auf  grammatischer  Tradition.  "* 

Der  wahrscheinliche  Zusammenhang  mit  gr.  aid^(0  zeigt,  dafs 
aedes  ursprünglich  das  'Götterhaus'  bezeichnete  und  die  Bedeutung 
'Wohnung'  eine  abgeleitete  ist.  Dals  aedes,  nicht  aedis,  die  alte 
Form  ist,  zeigt  z.  B.  Varro,  L.  L.  VI,  ig:  Portuno,  cui  eo  die  aedes 
.  .  .  facta  u.  a.  Dieses  aedes  wurde  zunächst  im  Plural  verwendet, 
um  sämtliche  Räume  eines  Hauses  zu  bezeichnen  (Plaut.,  Cas.  662: 
07n7iis  domi  per  aedes),  bekam  dann  auch  die  Bedeutung  'Haus', 
und  jetzt  wurde  zwecks  Differenzierung  ein  neuer  Singular  aedis 
'Tempelraum'  gemacht,  dessen  Bildung  die  vulgäre  Aussprache 
-es  >•  -is  entgegenkam.  Belegt  ist  aedis  'Tempel'  schon  bei  Varro 
und  z.  B.  in  den  Fasti  Praenestini.  —  Erst  viel  später  wurde  in 
der  Umgangssprache  auch  aedes  'Wohnung'  gelegentlich  zu  aedis; 
vor  dieser  Catachrese  warnt  aufser  App.  wohl  auch  Charis.  I,  2:^,  6  K. : 
aedes  donius,  7ia7n  si  aedis  dixeris,  teTnphnn  sig7iificas,  vgl.  noch  CGI. 
II,  552,24:  aedis  ö  vaoq  1]  oixoq.  Auch  Jacobsohn,  a.  a.  O.  60 
urteilt  ungefähr  ähnlich;  wenn  er  dort  aber  an  einem  uralten  Unter- 


schied  zwischen  abstraktem  haec  torques  und  konkretem  hie  torqiäs 
glaubt,  so  vergifst  er,  dafs  torquis  bei  dem  auch  sonst  Vulgarismen 
aufweisenden  Properz  4,  10,  44  und  bei  Statins,  Theb.  X,  518  zuerst 
vorkommt,  der  sich  sofort  darauf  (v.  527,  s.  §  i)  ein  arjete  sonor 0 
erlaubt.  Und  wie  bei  Charis.  I,  145,  22.  29  Laevius  torques  als 
Femininum,  dagegen  Servilius  Nonianus  (unter  Claudius)  als  Masku- 
linum verwendet,  so  steht  torquis  ttnca  Properzens  decorus  torquis 
des  Statius  gegenüber:  torquis  ist  wohl  volkstümliche  Form  von 
torques   und    übernahm    von  ihm  die  Unsicherheit  des  Geschlechts. 

c)  Neben  den  nur  als  Plurale  tantum  zugelassenen  Wörtern 
stehen  solche,  welche  umgekehrt  blofs  im  Singular  gebräuchlich 
sind;  da  -es  ausgesprochene  Pluralendung  war,  konnte  sich  hier 
-is  noch  eher  einbürgern.  An  der  ältesten  von  Georges,  Wortf.  s.  v. 
zitierten  Stelle,  Plin.  n.  h.  33,  52:  Saulaces  Aeetae  subolis  bezeichnet 
suholis  das  Einzelindividuum,  und  die  Glossen  ergeben  die  interessante 
Tatsache,  dafs  proles  und  subohs  nur  durch  yovi],  gener atio  usw. 
und  den  Plural  filii,  nati  —  IV,  381,  10;  V,  325,  10;  III,  303,  12; 
IV,  287,  47;  173,30;  179,3;  V,  333,  15  — ,  dagegen /;W/j  und 
suholis  nur  durch  filius  vel  filia  (IV,  148,40;  556,  13;  V,  324,51; 
137,47)  und  durch  filius  (IV,  377,  27?;  423,39),  nie  durch  das 
kollektive  generatio  usw.  erklärt  werden.  Textkritisch  gewinnen  wir, 
dafs  IV,  274,44:  proles  filii  vel  progenies  mit  a,  b,  c,  nicht  proles 
filius  progenies  mit  d  zu  lesen  ist,  vgl.  IV,  381,  10:  proles  generatio 
progenies  vel  filii.  Prolis  und  subolis  sollten  den  einzelnen  Sohn  oder 
Nachkommen  bezeichnen,  aber  App.  verwirft  die  Formen  überhaupt. 
Prolis  steht  Comm.  Instr.  11,  16,  7 ;  CE  733,2;  Not.  Tir.  52,  36  b; 
—  subolis  Comm.  Instr.  I,  36,  7. 

Tabis  {-vis)  ist  nicht  belegt,  für  luis  wird  Prudent.  Hamart.  249 
(fälschlich  auch  Comm.  Instr.  2,  16,7)  angeführt.  Dafs  äds  durch 
Pestis  beeinflufst  sei,  läfst  sich  nicht  erweisen.  App.  wird  wohl  nicht 
zufäUig  tavis  mit  -v-  anführen :  da  es  keine  Substantiva  auf  -ves  gab, 
konnte  leicht  an  Stelle  von  taves,  dessen  e  an  sich  nach  i  hinneigte, 
tavis  eintreten  und  Verbreitung  finden. 

Der  Nominativ /«?/«>,  den  auch  Caper  VII,  105,  22  K.  verwirft, 
konnte  kaum  üblich  werden,  bevor  der  Genitivus  famis,  welcher 
seit  Cicero,  Cat.  i,  26  allgemein  wurde,  sich  durchgesetzt  hatte.  Da 
noch  Varro  nach  Charis.  I,  55,  15K.  huius  fami  (<^  faviei,  nach 
der  5.  Deklin.,  so  auch  Cato,  Lucilius)  schrieb,  so  wird  das  in 
seiner  allerdings  vulgär  gefärbten  Schrift  rer.  rust.  überlieferte  famis 
(II,  5,  15)  wohl  in  fames  zu  ändern  sein.  Metrisch  gesichert  ist 
famis  bei  Tiberianus  und  anderen  späten  Dichtern.  Famis.,  das 
auch  Caper  verwirft  und  damit  die  grammatische  Tradition  be- 
zeugt, ist  auch  CGI.  III,  476,  68;  IV,  480,  24  belegt  und  mufs 
deshalb  in  später  Zeit  häufig  gewesen  sein,  weil  nur  von  /a??iis 
aus  das  durch  sp.  hambre,  log,  famine  vorausgesetzte /ö;«/«^;«  — 
Groeber,  ALL  VI,  388  —  entstanden  sein  kann;  denn  gerade  das 
Schema  -is,  -inis  hat  sich  ausgedehnt,  M.-Lübke,  Einf.3  186.  Nach- 
dem einsilbiges  glans  als  glandis  (CGI.  II,  255,  37)  an  den  Geneti\ais 

Baehrens,  Sprachl,  Kommentar  zur  Vulgärlat.  Appendix  Probi.  g 


114 

ausgeglichen  war,  entstand  der  Tendenz  des  Silbenausgleichs  zu- 
wider (§  22)  (nach  sanguis,  -inis  usw.)  eine  neue  Deklination  glandis, 
-inis  (CGI,  II,  34,  13  -ne),  welche  rhythmisch  glans,  glandis  entsprach, 
vgl.  auch  das  aus  glandmis  zurückgebildete  glando  ALL  XV,  548. 
Ebenso  wurde  einsilbiges  lens,  lendis  über  lendis,  lendis  zu  lendis, 
lendinis.  Bei  verviis  wurde  der  Übergang  zu  verviis,  verviinis  (M.- 
Lübke,  Wb.  s.  V.)  wohl  durch  t'^r;/««flri? 'Würmer  haben'  begünstigt; 
danach  wurde  tarmes,  tar7nitis  'Holzwurm'  zu  tarmes,  -inis.  Erst 
dann  setzte  sich  m.  E.  auch  incus,  incudis  >■  incudis  (z.  B.  CGI. 
II,  540,  59)  incudinis  —  incudo  (z.  B.  CGI.  II,  584,  21)  —  durch  und 
konnte  schliefslich  auch  famis  in  diese  Deklination  übertreten  (ohne 
Erklärung,  M.-Lübke,  a.  a.  O.). 

Auch  plehis  und  wohl  gleichfalls  plebs  —  zuerst  bei  Cic,  Pis.  64 
—  entstanden  kaum,  hevox  plehis  nehan  plebi  («<  -ei,  Sommer2  397) 
als  Genetivus  aufkam.  Plehes,  Gen.  Dat.  plehi,  konnte  leicht  zwecks 
Differenzierung  des  Gen.  und  Dat.  zu  der  3.  Deklination  übergehen ; 
plebs  ist  als  neuer  Nom.  zum  Gen.  piebis  sekundär  wie  nubs  gegen- 
über nubes  (§  22  c).  Auch  hier  war  die  Endung  -is  besonders  häufig 
in  plevis  mit  v,   vgl.  das  oben  über  tavis  Gesagte. 

d)  Dagegen  wurde  das  i  in  desis,  resis,  alis  durch  die  Casus 
pbliqui  desidis,  residis,  alitis  usw.  besonders  begünstigt.  Da  die 
Vokabeln  reses  und  deses  nicht  volkstümlich  waren  —  im  Roma- 
nisehen sind  sie  nicht  erhalten  —  und  auch  bei  Charis.  I,  29,4; 
132,  2  als  Belege  für  -es,  -idis  zusammenstehen,  so  ist  grammatische 
Tradition  wahrscheinlich.  Deses  'träge'  ist  erst  seit  Livius  belegt 
und  wurde  nach  dem  Muster  reses,  resideo  zu  desideo  neu  hinzu- 
geschafft, ohne  dafs  wir  von  einer  rückläufigen  Bildung  reden  dürfen. 
Desis,  das  noch  durch  desidia,  -osus  gefördert  wurde,  steht  CGI. 
V,  404,  66  (sonst  deses  in  Glossen) ;  resis  ist  auch  deshalb  unbelegt, 
weil  die  Glossen  merkwürdigerweise  fast  ausschliefslich  —  an  18 
(13)  Stellen  ^  gegenüber  vier  Belegen  für  reses  —  den  Plural  resides 
anführen,  was  m.  E.  sich  dadurch  erklärt,  dafs  auch  Vergil  nur  den 
Plural  (t'/rz,  animi,  populi)  verwendet  hat:  Landgrafs  Vermutung 
ALL  IX,  419,  dafs  die  Glossen  sich  auf  Vergil  beziehen,  wird  be- 
stätigt. 

Auch  alis  ist  sicher  nicht  aus  der  Volksprache  geschöpft,  da 
es  fast  ausschliefslich  auf  die  Dichter  und  poetische  Vokabeln  be- 
vorzugende Prosaiker  wie  Plinius  maior,  Apuleius,  Ammian  be- 
schränkt ist;  bei  Varro,  r.  r.  III,  3,  i  steht  es  vielleicht  aus  etymo- 
logischen Gründen,  und  Claud.  Quadr.  (12  Peter)  bei  Gell.,  N.  A. 
9,  1 1 ,  7  f. :  corvus  adver sari  .  .  .  prospectum  a  lis  arcebat  .  .  .  sie  tri- 
bunus  .  .  .  Opera  alitis  .  .  .  vicit  hat  ales,  wenn  es  ihm  gehört,  nicht 
ohne  Absicht  angewandt.  —  Die  Schüler  werden  zu  alitis  fälschlich 
alis  als  Nom.  angesetzt  haben;  auch  equis  CIL  VI,  3207;  comis 
(=zcomes)  X,  4500;  viilis  IV,  1904,  2557  vor  79  n.Chr.  u  ö. ;  adips 
(§  15)  waren  wegen  des  /  der  Casus  obliqui  geläufig. 


^  5  Stellen  sind  korrupt. 


^^5 

Ctadis  steht  z.B.  CGI.  11,573,33;  IV,  216,  20;  unsicher  ist 
CE979,6;  —  sedis  CGI.  II,  284,42  {sedes,  sedis),  329,  27;  111,472,76; 
s.  noch  Neue-W.  P,  281;    Rönsch,  Coli.  phil.  171. 

e)  facies  non  fa{cis)  möchten  Bücheier,  Rh.  Mus.  46,  235  und 
Ullmann  179  schreiben;  aber  wenn  Isidor,  Orig.  19,26,7  (vgl. 
Lindsay  z.  St.)  und  reg.  monach.  13,  \  facistergiuni,  väcYit  facitergium, 
geschrieben  hat,  so  beweist  das  erst  sehr  spät  auftauchende  Wort 
keineswegs,  dafs  es  schon  früh  ein  selbständiges  _/fl«>  (Nom.)  = 
facies  gab ;  zu  facis  führt  überhaupt  keine  Brücke.  1  Ganz  unmög- 
lich ist  facs,  d.  h.  fax,  was  Endlicher  las ;  denn  fax  erscheint  nur 
als  zweites  Glied  in  den  Adjektiven  bi/ax  .  .  .  öiJCQOücoJtoq  CGI. 
11,30,26;  54,8,  womit  a[t]trihux  seiiex  airis  buccis  IV,  22,37  zu 
vergleichen  ist.  Wir  können  nur  entweder  facia  lesen,  das  im  it. 
faccia  usw.  fortlebt,  aber  erst  bei  Vergil.  grammaticus  belegt  ist, 
oder  _/ßc<?j.  Diese  Form  ist  nun  in  der  Tat  bei  Paul.  Fest.  p.  87M.: 
faces  antiqui  dicebant  ut  fides  belegt  und  über  den  Sinn  [facies)  kann 
angesichts  des  in  §  i  besprochenen  aries  ;>  ares  kaum  Zweifel  be- 
stehen ;  facies  wurde  zu  faces.  Mit  Unrecht  setzt  m,  E.  Jacobsohn 
a.  a.  O.  63  faces  als  Nebenform  von  fax  an ;  denn  wenn  faces  ge- 
bräuchlich wäre,  wäre  facula,  das  das  Monosyllabum  ersetzen  sollte 
(§2b),  nicht  entstanden.  Wie  zwa  faces  —  das  Charakteristische 
an  der  Fackel  ist  das  Brennen,  nicht  das  Glänzen  —  faceius  werden 
konnte,  wäre  sogar  befremdend,  wenn  facetus  'glänzend'  bedeutete, 
wie  Jacobsohn  meint;  aber  diese  Bedeutung  ist  vereinzelt  und 
sekundär.  —  Faces  'Antlitz'  sagten  nach  Festus  die  antiqui  und 
tadelte  App.  als  vulgär. 

§  25. 

34     lanius  non  laneo 

Die  etruskische  Herkunft  der  zu  laniena  gehörigen  Wortsippe : 
lanius,  lanista,  lanisira  usw.  hat  Herbig,  IF  37  (19 16/7),  179  wahr- 
scheinlich gemacht.  Unentschieden  läfst  er  die  Frage,  ob  lanio 
ebenfalls  etruskisch  oder  rein  lateinisch  ist.  An  sich  wäre  etrus- 
kische Herkunft  zu  erwägen,  da  z.  B.  nach  Festus,  p.  308  M.  subulo 
den  etruskischen  Flötenspieler  bezeichnet  und  die  lateinischen  Cog- 
nomina  auf  -0  meistenteils  aus  dem  Etruskischen  stammen  (Schulze, 
Lat.  Eigenn.  314).  Aber  es  müfste  befremden,  dafs  das  seit  Plautus 
belegte  lanius  'Schinder',  'Fleischer'  erst  bei  Petron  392  in  der 
Form  lanio  begegnet  (vgl.  auch  CIL  X,  6493,  erste  Kaiserzeit  usw.), 
zumal  an  eine  jüngere  Entlehnung  dieses  alleinigen  Wortes  nicht 
zu  denken  ist.  Auch  war  die  Endung  -0  zur  Bezeichnung  des 
arbeitenden  Mittelstandes  —  vgl.  z.  B.  cerdo,  praeco,  cocio,  linteo, 
polio  —  in  Rom  so  üblich,   dafs  leicht  innerhalb  des  Lateinischen 


1  Nur  das  Zusammenstehen  mit  ales  non  alis ,  cautes  non  cauti's  usw. 
könnte  für  fades  non  facis  sprechen,  s.  aber  n.  96,  99. 

?  Wir  werden  bei  Caper  VII,  104,  4  latiius  .  .  .  dixerunt  .  .  ,  veteres  et 
lanio  in  nomine,  wie  sonst,  veteres  cum  grano  salis  zu  deuten  haben. 

8* 


ii6 

selbst  lanio  neu  aufkommen  konnte.  Vielleicht  gab  das  neue  o 
dem  Worte  einen  etwas  verächtlichen  Sinn,  wie  vielen  auf  -o 
endenden  Vokabeln:  popino,  gulo,  bibo,  heluo,  catillo,  ganeo,  lurco, 
nebulo,  manduco,  edo,  co?nedo,  mando,  aleo,  paedico,  trico,  sacco,  hucco, 
vappo,  harOi  verbero,  sannio,  labeo,  sirabo,  Stolo,  tenebrio,  lucrio  usw. 
Schon  Plautus  hat  neben  üblichem  hgiriipa  ein  legimpio  (Rud.  70Q). 
Da  seit  ältester  Zeit  -0  verächtliches  Suffix  ist  und  daneben  den 
Handwerkerstand  bezeichnet,  konnte  auch  lanius  im  Lateinischen 
selbst  zu  lanio  'Fleischer'  werden,  zumal  das  Wort  auch  'Henker' 
bedeutet.  Das  e  in  laneo  entstand  durch  Angleichung  der  Zungen- 
höhe, vgl.  §  3 f.;   bezeugt  ist  es  Schol.  luv.  XI,  141. 

§  26.    Das  Verbum. 

57     tersus  non  tertus. 

Tertus,  das  Bücheier,  Rh.  Mus.  45,  159  in  Widerspruch  mit 
der  Überlieferung  bei  Plaut.,  Stich.  745  und  Ps.  164  einsetzen  wollte, 
belegt  Nonius  p.  179  mit  Varro,  Men.  20,  i6g  und  Cato,  De  lib.  ed. 
Die  Form,  welche  auch  Caper  VII,  112,  1  K.  verwirft,  kann  also  aus 
ältester  Zeit  überkommen  sein  und  sich  in  der  Umgangssprache 
erhalten  haben,  obwohl  es  nicht  an  sekundären  Neubildungen  auf 
-tum  fehlt,  vgl.  conspnrlam  Mulom.  Chiron,  p.  229,  1 1  Od.  und  Ahl- 
quist,  Eranos  12,  19 12,  164.  —  Nach  dem  Muster  der  bei  Dental- 
stämmen [clausus)  lautgesetzlich  entstandenen  Participia  Passivi  auf 
-sus  wurde  auch  bei  anderen  Verben  das  -/«i'- Partizip  durch  -sus 
ersetzt;  zunächst  zu  Perfecta  auf  -si  [manst/rus ;  inantare  ist  alt), 
dann  auch  in  anderen  Fällen  W\g  falsus  zu  fallo  usw.,  für  welche 
kaum  percello,  perculsus  (Sommer  2  608)  massgebend  gewesen  sein 
kann.  Nun  hat  sich  aber  das  -/«;«- Partizip  gerade  dort  oft  er- 
halten, wo  dem  /  ursprünglich  ein  -rc,  -Ic  voranging,  vgX./arturn  < 
farctum,  ful(c)tu7n,  sar(c)tu7}i,  mul(c)tum  (späteres  mulclum  ist  Neu- 
bildung), tor(c)ium  und  auch  tertum  <C.  teräum.  Wie  Paul.  Fest. 
74  M.:  forclis  bonus  und  Charis.  I,  220,27  sarde  zeigen,  schwand 
das  c  zwischen  r  und  /  ziemlich  spät,  wohl  später  als  das  c  zwischen 
r  und  s  [ur[c]sus  :  rksah),  das  sich  nirgends  erhalten  hat;  auch 
kann  der  Schwund  etwas  jünger  sein  als  die  sekundäre  Um- 
wandlung der  Partizipendung  -tus  zu  -sus,  welche  wegen  der  er- 
haltenen Formen  wie  mantare  wohl  später  sich  vollzog  als  der  Laut- 
wandel -res-  >  -7-S-.  Dann  hätte  aber  zur  Zeit  jener  Umwandlung 
aus  farctiim  usw.  ein  farcsum  werden  müssen ;  da  aber  -res-  nicht 
mehr  vorhanden  war  und  die  Bildung  eines  farsum  nach  farsi 
damals,  als  die  Form  noch,  faretinn  war,  zu  weit  ablag,  h\\eb  farctum 
erhalten.  Als  später  das  c  schwand,  war  die  Umgestaltung  der 
Participia  schon  ungefähr  vollzogen  und  folgte  nur  noch  ein  Teil 
der  Participia  auf  -r[e]tum,  wie  mersus,  tersus  usw.  Aber  auch 
mertare  und  tertus  erhielten  sich,  wie  z.  B.  Varro  und  App.  zeigen. 


n; 


F.    Die  Suffixe. 
§27. 

212  tintinaculum  non  tintinabulum  ^0  catuhis  non  cateltus 

213  Adon  non  Ädonius  l  forphireticum  marmor  non 
211  rabidus  non  rabtosus  purpureticiim  martnur 
118  exter  non  extraneus  4L  Byzacenus  non  Bizacinus 

69    primipilaris  non  primipilarius         194     mergus  non  mergulus 

Das  ungewöhnliche,  von  App.  bevorzugte  tintinaculum  findet 
sich  nicht  nur  bei  Nonius  p.  40,  12  M.  (-««-)  und  CGI.  EI,  465,39; 
473,67,  sondern  wohl  auch  bei  Amm.  Marc.  17,  1 1,  i:  atque  uit  ti7i)tin'- 
nacula  principi  resonantes  audire  haec  taliaque  gestienti,  vgl.  Loefstedt, 
Eranos  8,  104,  Clark  z.  St.  und  unten.  Verwechslung  der  beiden 
Endungen  -c(u)lum  und  -h(u)liim  ist  in  der  Umgangssprache  äufserst 
selten,  und  wenn  neben  seltenem  vectabiilum  (Gell.,  N.  A.  20,  i.  28) 
ein  vectaculuvi  (Tertull.  De  bapt.  3  u.  ö.)  vorkommt,  so  ist  letzteres 
vielleicht  erst  nach  vehiculum  sekundär  entstanden.  Awch  pisabulum 
'Mörserkeule'  CGI.  III,  321,43  neben p'saadum  II,  151,  11  läfst  sich 
nicht  anführen,  weil  in  dem  sehr  späten  Wort  eher  ein  Schwanken 
der  Endung  möglich  war.  Schliefslich  ist  auch  vesticulum  CGI. 
II,  596,  39  vesticulum  domtcs  in  qua  diversi  nutriufihir  nicht  als 
vestibulum  aufzufassen,  das  schlecht  interpretiert  wurde,  sondern 
vielmehr  mit  Loefstedt,  Eranos  7,117  vesciculum  zu  lesen,  das  aller- 
dings nicht  belegt  ist  {vertiaihun  Niedermann,  Glotta  i,  269).  — 
Ebenso  selten  ist  -culus  {-a,  -u?n)  an  die  Stelle  anderer  -ulus Sn^fixe 
getreten  CGI.  II,  441,  8:  ovxaXXtg,  ficecula,  ficedula  ist  Verwechslung 
von  c  und  t  anzunehmen  und  ficetula,  ficedula  zu  schreiben,  vgl. 
CGI.  III,  17,47;  89,72  usw.  Sehr  oft  ist  zwar  im  Volkslatein 
manipulus  'Handvoll',  commanipulus  durch  vianiclus,  coinmaniculus  er- 
setzt worden  (W.  Schulze,  ALL  VIII,  134),  wie  it.  manochia,  sp. 
manojo  usw.  zeigen  —  Groeber,  ALL  III,  526;  VI,  592  — ,  aber 
Anlehnung  an  das  Deminutivum  manicula  ist  wahrscheinlich.  *sco- 
culum  <!  scopulum  ist  nicht  sicher  vulgärlateinisch  gewesen,  da  ait. 
scoppio  belegt  ist  und  it.  scogho  (und  span.  escollo)  wegen  ihres  0 
nicht  auf  scoculus  direkt  zurückgehen.  —  Es  müssen  also  ganz  be- 
sondere Faktoren  die  Entstehung  und  Verbreitung  von  tintinaculum 
begünstigt  haben,  und  einfacher  Suffixtausch  kann  nicht  vorliegen. 
Nun  ist  aber  tintinabulum  {-culum)  ein  onomapoetisches  Wort,  und  wir 
brauchen  nur  beide  Formen  nacheinander  auszusprechen,  um  uns  zu 
überzeugen,  dafs  tintinaculum  mit  seinen  drei  Tenues,  nicht  tintinabulum 
die  eindrucksvollere  Wirkung  erzielt;  daher  schon  tintinaculi  [viri) 
bei  Plaut.,  Truc.  782  um  das  Klirren  der  Fesseln  der  Gefangenen 
zu  bezeichnen.  Deshalb  ist  wohl  tinnabulum  und  tinnibulum,  nicht 
aber  tinnaculum  überliefert:  nur  in  tinntinaculum  konnte  das  Suffix 
-culum  die  onomapoetische  Wirkung  üben,  der  es  seine  Entstehung 
verdankt.  Es  ist  also  bei  Ammian  (s.  o.)  {tini)innacula,  nicht  tinnacula 
gu  lesen,  was  Loefstedt  noch  für  möglich  hielt.  ^-  Zu  beachten  isf 


ii8 

noch    das    einfache   n:    der  klangreiche  Vokalistnus   i,  a,  u   wurde 
durch  die  Verschiedenheit  der  beiden  /  noch  mehr  gesteigert. 

Merkwürdigerweise  empfiehlt  App.  das  seltene  Adon  (seit  Varro, 
Men.  540,  gr.  z.  B.  Theokr.  15,  149),  nicht  das  gewöhnliche  Adonis; 
wohl  deshalb,  weil  es  im  Lateinischen  sehr  wenige  männliche  Eigen- 
namen auf  -is,  gab,  sehr  viele  dagegen  auf  -ofi,  welche  aus  dem 
Griechischen  stammten.  Die  längere  Form  Adonius  {[4öojVLOq), 
welche  lateinisch  nur  CGI.  III,  167,  47  belegt  ist,  weist  App,  wegen 
ihrer  Seltenheit  und  wegen  des  längeren  Suffixes  (s.  u.)  zurück ; 
aufserdem  sind  die  Vokabeln  auf  -om'us,  mit  wenigen  Ausnahmen 
wie  mutonius,  das  erst  von  muio  abgeleitet  ist,  und  favonius,  das 
aber  gleichfalls  ursprünglich  adjektivische  Bildung  war  [fovönius  >- 
favönius  'der  lauende  Wind',  Sommer  2,  109),  alle  Adjektiva  —  prae- 
conius,  lenoniu!,  u.  a.  — ,  so  dafs  auch  deshalb  -onius  vermieden 
wurde  als  Endung  eines  entlehnten  Substantives,  für  das  auch 
andere  Suffixe  zu  Gebote  standen.  Instituta  [Probi],  IV,  121,  29  K.: 
hie  Adon,  huius  Adonis,  erläuterten  die  Form  der  App.,  von  der  sie  ab- 
hängig sind,  s.  Einleitung;  ganz  anders  urteilt  Serv.  zu  Verg.  Buc. 
10,  18:  Adon  7iusqua?n  leclum  est.  —  Während  die  meisten  Gelehrten 
—  z.  B.  V.  Wilamowitz,  Bion  v.  Smyrna  1900,  12,  E.  Meyer,  Gesch. 
d.  Alt.  I,  2, 394  f.  —  für  die  Phoenikische  Herkunft  des  Namens 
eintreten,  hat  neuerdings  Kretschmer,  Glotta  7,  29  auf  Grund  von 
Eustathius  zu  E  203 :  liQiötaQXOQ '  ro  "uiöcovig "  xal  tovtu  -/uq 
q)Yj(jL  JtccQCi  TO  jjdoD  eine  alte  aspirierte  Form  'L4d(0P  angenommen 
und  den  Eigennamen  für  echt  griechisch  'der  gefallen  hat'  erklärt, 
vgl.  noch  IG  VII,  2780,  6  (vor  d.  J.  250):  fdöcor  und  Bechtel,  die 
histor.  Personennamen  19 17,  22.  Aber  aspiriertes  'lidcovic,  das 
spät  ist,  sieht  doch  sehr  nach  etymologischer  Erfindung^  einer 
grammatischen  Schule  aus,  welche  "Aöcovig  nachträglich  mit  avdävco 
in  Verbindung  bracht.  Auch  wäre  die  Hauptform  \4öo)Vic  ('Aöfo- 
ViQ)  mit  ihrer  Endung  nicht  erklärt,  welche  Kretschmer  von  einem 
unbekannten '''L4(3ct>^'?y  oder  "4(Joji"  ^suavilas'  —  letzteres  auf  Grund 
des  Schwindlers  Fülgentius  (Myth.  3,8:  adon  enim  graece  suavitas 
dicitur,  wohl  aus  dem  Eigennamen  "AöcoT  fingiert)  —  herzuleiten 
gezwungen    wird.     Es   bleibt    also  bei  dem  Phoenikischen  Etymon. 

Wie  schon  das  Nebeneinanderstehen  von  canis  rabidus  und 
canis  rdbiosus  bei  Plin.  n.  h.  29,  98  ff.,  auch  z.  B.  Augustin.  civ.  Dei 
22,  22:  rabido  cane  .  .  .  faciatque  hominem  .  .  .  rabiosum  (Schönwerth- 
Weyman,  ALL  V,  215)  zeigt,  ist  die  Zurückweisung  von  rabiosus 
nicht  ganz  gerechtfertigt  und  sie  erklärt  sich  nur  durch  übertriebene 
Scheu  vor  dem  als  vulgär  empfundenen  Suffix  -osus.  Denn  auch 
formell  entspricht  rahiosus  der  von  Gellius,  N.  A.  3,  1 2,  3  beobachteten 
Regel,  dafs  die  Adjektiva  auf  -osus  nicht  von  Verba  (scherzhaftes 
hihosa  bei  Laberius  80  R.  3),  sondern  von  Substantiva  abgeleitet  zu 
werden  pflegen;  anders  war  es  allerdings  in  der  Vulgärsprache;  so 
ist  desiderosus  (von  desiderare)  zwar  nur  in  den  Schol.  Bern,  zu 
Verg.  Ecl.  2,  43  überliefert,  aber  schon  frz.  desireux  zeigt,  wie  sehr 
desiderosus   und   desirosus   {-de-    fiel    durch   Haplologie   aus,    vgl.  It. 


119 

Alex.  27)  im  Vulgärlatein  verbreitet  waren.  Eine  interessante  Aus- 
nahme von  der  Gellianischen  Regel  bildet  im  Hochlatein  das  seit 
Seneca  belegte  clamosus  (von  clamare),  neben  dem  das  erwartete 
damorosus  nur  einmal  bei  Ps.-Ambros.  serm.  24,  4  sicher  belegt  ist, 
vgl.  auch  Linderbauer,  Comm.  z.  Reg.  Bened.  1922,  221.  Die  ge- 
nannte Regel  wurde  nl.  in  diesem  Falle  durch  die  noch  stärkere 
Abneigung  des  Ohres  gegen  das  Suffix  -ostis  nach  langem  d  + 
vokalischem  r  durchkreuzt:  abgesehen  von  7?idrosus  sind  alle  Ad- 
jektiva  auf  -örosus  spät  {Schönwerth-Weyman  205):  vapörosus  seit 
Apuleius,  humorosus  z.  B.  bei  Cassius  Felix  (Wölfflin,  Münch.  Sitz.- 
Ber.  1880,407),  honorosus  bei  Isidor,  dolor osus\  vgl.  Paucker,  Vor- 
arb, z.  lat.  Sprachgesch.  74  ff.  Dafs  Zufall  ausgeschlossen  ist,  zeigen 
frühe  Bildungen  auf  -orosus,  wie  jiemorosus,  iorosus,  litorosus  u.  a. 
Auch  in  dieser  Beziehung  war  an  rabiosus  mit  den  zwei  der  Endung 
vorangehenden  kurzen  Silben  nichts  auszusetzen,  vgl.  obnoxtosus, 
anxiosus  u.  a.  —  Der  vulgäre  Charakter  der  Endung  -osus,  welcher 
App.  zur  Ablehnung  von  rabiosus  verführte,  tritt  sowohl  in  den 
vielen  spätlateinischen  Adjektiven  zutage,  welche  dieses  Suffix  auf- 
weisen, wie  auch  an  einigen  interessanten  Stellen  wie  Quintil. 
5,  10,  10:  'argumentum^  .  .  .  inter  opifices  quoque  vulgatum  .  .  .  vulgo- 
que  paulo  numerosius  opus  dicitur  ' argumentosmn'' ;  Quintilian  führt 
argumentosus  als  Wendung  der  Umgangssprache  an;  in  der  Literatur 
kommt  es  erst  z.  B.  bei  Sidonius  Apollinaris  (6.  Jhdt.)  vor,  daneben 
in  Glossen.  Auch  Plin.  ep.  2,  19,5:  oratio  .  .  .  piignax  et  quasi 
conientiosa  scheint  das  vor  ihm  nicht  belegte  contentiosus  durch  quasi 
als  Neologismus  entschuldigt  zu  haben  und  mit  Unrecht  wurde 
quasi  von  älteren  Herausgebern  nicht  aufgenommen,  weil  es  in 
einem  Teil  der  Überlieferung  fehlt.  Häufiger  sind  Bildungen  auf 
-osus  bei  mehr  vulgär  schreibenden  Schriftstellern  wie  Petron  {57: 
dignitossus,  Heraeus,  Sprache  Petrons  13)  und  Vitruv  (2,  31:  71011  de 
harenoso  neque  calculoso  luto  7ieque  sabuloso  luio)  u.  a.  Nicht  selten 
sind  auch  im  alten  Latein  Adjektiva  auf  -osus  vorhanden,  welche 
die  klassischen  Schriftsteller  meiden,  sycopharitiosus  (Plaut.  Ps.  12 11, 
ähnlich  charitosus  CIL  VII,  10 192  u.  a.,  Heraeus  a.  a,  O.  13)  und 
Lucilius  1 1 2 1 M.  schreibt :  squarrosa  incoTidita  rosira.  In  mehreren 
Bildungen  auf  -osus  des  alten  und  des  späteren  Lateins  erkennen 
wir  die  nie  unterbrochene  Kontinuität  der  Umgangssprache,  von 
der  sich  die  strengere  Latinität  der  klassischen  Schriftsteller  in 
greifbarer  Weise  abhebt.  Wenn  aber  co7isiliosus  zuerst  bei  Cato 
(Gell.  N.  A.  4,  19,  12)  und  dann  wieder  bei  Fronto  128N.  vorkommt, 
wenn  propudiosus  bei  Plautus  und  Gellius  belegt  ist,  so  ist  mit  der 
künstlichen  Nachahmung  archaisierender  Schriftsteller  zu  rechnen. 
—  Rabiosus  war  seit  Plautus  gebräuchlich ;  Cicero,  ep.  ad  fam. 
VII,  16,  I  wendet  das  Deminutivum  rabiosulae  {litter ae)  an  und 
Paucker  a.  a.  O.  81  belegt  für  die  Spätzeit  rabidosus.  In  Roma- 
nischen hat  sich  rabiosus  erhalten,  vgl.  it.  rabbioso  usw. 

In  exter  non  extraiieus  ist  ohne  Zweifel  nicht  die  lokale,  sondern 
die  übertragene  Bedeutung  gemeint,  wobei  dahingestellt  bleibe,  ob 


120 

die    adjektivische    oder    substantivische  Verwendung    ('fremd'    oder 
'Fremde')    hervorgehoben    werden    soll.     Auch  in  diesem  Falle  hat 
übertriebene  Scheu  vor  dem  Suffix  zu  der  Ablehnung  von  extraneus 
geführt,  das  neben  exter  als  Fremder  (fremd)  der  späteren  Literatur 
geläufig   ist.     So    lesen    wir   z.B.    in    dem  Bibelzitat  Jes.  i,  7 ff.  bei 
Tertull.    adv.   Jud.    c.  3;    adv.   Marc.  III,  23:    {regionem   vestram    in 
conspecta  vestro)    extranei   {comedent')    stets    extranei   und    nur   in  der 
letzten  Hälfte    von  adv.  Judaeos,    welche  Tertullian  nicht  gehört  — 
M.  Ackermann,  Über  die  Echtheit  der  letzteren  Hälfte  von  Tertull. 
adv.  Jud.,    Diss.  Lund   19 18,    ggf.  — ,    ist   in  jenem  Zitate  (c.  13) 
exter  i  bezeugt.    Auch  zu  her  es  steht  z.  B.  bei  Papirian  neben  exter 
häufig   adj.    extraneus,    vgl.  Kalb,    Roms  Juristen    (i8go),    40.     Die 
grammatische  Vorsicht    der  App.    schiefst    also    weit   über   das  Ziel 
hinaus.     Exter  steht  z.  B.  auch  bei  Paulin.  von  Burdigala  (weiteres 
bei   Georges,  Wortf,  265),    und    die  Bevorzugung   von    exter   zeugt 
keinesfalls    für  die  afrikanische  Herkunft  der  App.,    wie  einst  Kalb 
116    glaubte.    —   Aufser  extraneus,    das  seit  Cicero  (in  lokaler  Be- 
deutung) belegt  ist,  begegnet  seit  Lucrez  4,  277  extrarius.    Vielleicht 
läfst   Paul.  Fest.  7  8  M. :    extrarius    est   qiii   extra  fociim   sacramentum 
iusque   sit ,    extraneus    ex   altera   terra,    wenn    mehr    als    eine    blofse 
Differentia  dahinter  steckt,  extrarius  wegen  der  sakralen  Bedeutung 
als   älter  erscheinen   —    vgl.  Pokrowsky,  ALL  XVI,  361  ff.   —   und 
förderten  auch  die  unmittelbar  einander  folgenden  r,  welche  lästig 
waren,  die  Verbreitung  des  allerdings  nicht  ganz  synonymen  extraneus. 
Zu  vergleichen  ist  teinporaneus,  das  neben  schon  bei  Nepos  belegtem 
temporarius    erst   in    der  Vulgata  und  bei  Augustin  in  P2rscheinung 
tritt,   Cohn,  Suffixwandel  im  Vulgärlat.   18.  —  Überhaupt  läfst  sich 
von  den  Doubletten  -arius  und  -aneus  die  erste  Endung  fast  immer 
als    die  ältere  erweisen.     So  erwähnt  Fest.  226 M.  proletaneus ,    eine 
sonst  nicht  belegte  Nebenform  von  prolelarius.    Praesentarius  {iiummi 
usw.)    lesen  wir  schon  bei  Plautus,  praesentaiieus  {ve7ienum)  erst  bei 
Plinius    und  Seneca ;    dasselbe   zeitliche  Verhältnis  zeigen  subitarius 
(Plautus)  und  suhitaneus  (Theod.  Priscianus).    Vereinsamt  steht  spätes 
ripaneus  CGI.  V,  g7,  8    neben    üblicherem    riparius  (seit  Plinius)  da. 
Von   Wichtigkeit    ist   ferner,    dafs    Gell.  N.  A.  3,  18,  10  pedanii   (sc. 
senatores)  als  vulgäre  Nebenform  von /^ä^c?^// bezeichnet.    Als  vulgär 
empfindet    vielleicht    Mar.  Victor,     die    Endung    -aneus    sogar    als 
solche,    wenn  er  VI,  25,  16K. :    non  est,    ut  emendastis,  porca  praeci- 
danea,    sed  praecidaria,    praecidaneus    zurückweist,    das    schon    bei 
Cato,  agr.  134  steht   und    auch   zur  Zeit  des  Victorinus,    wie  seine 
Worte  wohl   zeigen,   lebendig  war,     App.  steht  jedenfalls  mit  ihrer 
Vermeidung    des    Suffixes    -aneus    nicht    allein.      Auch    die    roma- 
nischen Sprachen    zeigen    die    Ausdehnung   von    -aneus   im   Volks- 
latein.    So    hat    sich    wohl  suhitanus,    Nebenform  von  suhitaneus  — 
Pokrowsky  a.  a.  O.  365  — ,  nicht  aber  subitarius  erhalten;  dasselbe 
gilt  für  extraneus,    das    in  it,  strano,    frz.  etrange,   sp.  estraiio  usw. 
welterlebt   —   M.-Lübke,    Wb.  3098    ~,    während    extrarius    ver- 
loren ging. 


121 

Das  ungewöhnliche,  von  App.  getadelte  primipilarius  konnte 
aus  mehreren  Gründen  leicht  aufkommen.  Erstens  bezeichnete  die 
Endung  -arius  sehr  häufig  Personen,  während  der  zugehörigen 
Bildung  auf  -aris  nur  adjektivische  Bedeutung  zukam;  so  steht 
neben  lapidaris  'steinern'  lapidarius  'Steinmetz',  neben  focaris  'zum 
Herd  gehörig'  focarius  'Küchendiener',  neben  solearis  'sohlenartig' 
solearius  'Verfertiger  von  Schnürsohlen'  usw.  Leicht  konnte  das 
Substantiv  primipilaris  ebenfalls  die  Enduug  -arius  annehmen. 
Ferner  ist  zu  beachten,  dafs  die  durch  -arius  bezeichneten  Personen 
des  öfteren  den  niederen  Schichten  der  Gesellschaft  angehören, 
wie  aufser  den  angeführten  Beispielen  argentar arius  CIL  Vi,  Q171; 
cakariarius  VI,  9384  usw.  zeigen.  In  charakteristischer  Weise  be- 
zeichnet epistolarius  'Briefträger'  einen  niederen,  epistolaris  'Sekretär 
des  kaiserlichen  Kabinetts'  (Cod.  lustin.  7,  12,  24  u.  ö.)  einen  vor- 
nehmeren Wirkungskreis.  So  können  schon  allgemeine  Erwägungen 
zu  der  Annahme  führen,  dafs  primipilarius  als  die  einigermafsen 
geringschätzige  Bezeichnung  des  primipilaris  durch  die  Soldaten 
aufzufassen  ist,  welche  auch  mit  Spitznamen  sogar  den  höheren 
Angestellten  gegenüber  keineswegs  zurückhielten  und  z.  B.  die 
persönlichen  Begleiter  des  Feldherrn  mit  einem  ebenfalls  mit  -arius 
gebildeten  Spottnamen  huccellarii  nannten,  weil  diese  besseres  Brot 
bekamen  als  sie  selbst,  vgl.  Kempf  Jahrb.  f.  Klass.  Ph.  S.-B.  26,  377. 
—  Dafs  in  der  Tat  prim>pilarius  eine  geringschätzendere  Bedeutung 
hat  als  primipilaris ,  zeigt  eine  der  wjnigen  Belegstellen,  Spartian. 
Pescenn.  Niger  c.  2,  4:  ad  occidendum  autem  Nigrum  primipilaretn 
Julianus  miserat,  stulte  ad  eum,  qiii  haheret  exercitmn,  quasi  qualislihet 
Imperator  a  primipilario  posset  occidi;  während  zuerst  das  übliche 
primipilaris  steht,  wird  im  folgenden  der  Hoheit  des  Imperators 
die  niedrige  Stellung  des  subalternen  Militärs  durch  die  Form 
primipilarius  in  drastischer  Weise  gegenübergestellt.  Eine  Bestätigung 
gibt  m.  E.  auch  Val.  Max.  6,  1,  12:  hoc  movit  C  Marium  .  .  .  cum 
.  .  .  sororis  suae  filitwi^  iribunuvi  milihan,  a  C.  Plotio  manipulario 
miliie  iure  caesu7n  pronuniiavit,  wo  das  ungewöhnliche  jnanipularius 
milcs  (anstatt  manipularis)  den  niedrigen  Stand  des  Soldaten  hervor- 
heben soll,  der  gegenüber  einem  irihunus  militum  und  Verwandten 
des  Marius  Recht  bekam.  Unter  Verkennung  dieser  Tatsachen 
schrieb  Kempf  in  Widerspruch  mit  der  Überlieferung  vianipulari 
{-re  der  Parisinus).  —  Auch  App.  wird  primipilarius  als  gering- 
schätzende Bezeichnung  empfunden  und  abgelehnt  haben. 

Unberechtigt  ist  die  Zurückweisung  von  caiellus,  das  neben 
catulus  stets  und  bei  den  besten  Schriftstellern  vorkommt.  Auch 
hier  führte  Scheu  vor  der  Endung  -ellus  zu  der  Verurteilung  von 
caiellus,  da  etwa  seit  dem  dritten  nachchr.  Jhdt.  eine  grofse  Menge 
von  Neubildungen  auf  -ellus  {-a,  -um)  auftritt,  während  vorher  das 
Deminutivsuffix  -ulus  genügte.  So  ist  casella  bei  ps.-Augustin  serm. 
^PP-  75)  2  belegt,  plagella  bei  Cael.  Aurelianus,  roiella  bei  Augustin, 
collicelliis  und  monticellus  bei  den  Gromatici,  navicella  bei  ps.-Augustin. 
serm.  app.  i  u.  2,   üoscellus   bei   ps.-Apuleius   usw.    —   Derainutiva 


122 

auf  -ellus  treten  in  älterer  Zeit  nur  in  bestimmten  Fällen  häufiger 
auf:  1.  wenn  von  viiulus,  caiulus  {<  catelos  wn^x.  catel)  schon  in 
ältester  Zeit  durch  das  Suffix  -los  ein  Deminutivum  gebildet  wurde: 
*caiel(oJ-los  ]>  catellus.  —  2.  Hatte  die  Endung  -idus  keine  deminutive 
Kraft,  so  konnte  nach  vitellus  usw.  als  Deminutivum  -ellus  eingesetzt 
werden:  iabella,  fabella  (sitella,  maiella),  angellus  nur  bei  Lucrez  2,  426 
und  seinem  Nachahmer  Arnob.  7,  4g.  —  3.  In  Hypocoristica  wie 
anicella  (§  2  b),  mamtlla,  ocellus;  von  den  seltenen  Adjektiva  auf 
-ellus  ist  gerade  hlandicella  schon  bei  Paul.  Fest.  35  M.  belegt.  Für 
das  schon  früh  bezeugte  arcella  (vgl,  aber  auch  capsella,  eiste  Ha) 
gibt  vielleicht  Char.  I,  79,  20:  loculus,  cuius  hypocorisma  est  hie 
locellus  (seit  Caesar)  das  richtige  Verständnis;  da  arca  (Sarg)  und 
loculus  zu  den  verha  funehr ia  gehören,  konnten  arcella  und  locellus 
früh  üblich  werden,  vgl.  lectus  vitalis  'Totenbett'  (Hey  ALL  XI,  521  f.), 
ire  'sterben'  (Glotta  V,  98)  und  ähnliche  Euphemismen.  —  4.  Wenn 
das  ursprüngliche  Deminutivum  einen  anderen  Sinn  bekam  oder 
durch  die  Endung  -ellus  dem  Wort  eine  neue  Bedeutung  ab- 
gewonnen wurde.  Sportella  'Körbchen'  kam  vielleicht  früh  auf 
(Petron  40,5),  weil  sportula  auch  'Geschenk'  bedeutete.  Neben 
buccula  'Bäckchen'  (Plautus)  tritt  huccella  in  der  neuen  Bedeutung 
'Bissen'  seit  Martial  6,  75,3  (über  die  buccellarri  s.  o.).  —  In  der 
Hs.  wird  catulus  non  ca\te)llus  noch  einmal  wiederholt;  angesichts 
Caper  VII,  108,  12K.:  catinus  hie,  non  catillus  (so  M)  könnte  man 
auch  für  App.  dieses  Lemma  einsetzen;  aber  ich  lege  auf  diese 
Vermutung  keinen  Wert. 

Porphireiicus  ist  neh^n porphyrites  {jtOQCfjVQirrjQ)  'Porphyr'  durch 
sein  e  auffällig,  während  doch  in  coralliticus  und  lychniticus  {Xv^viT^jg 
'leuchtender  Marmor')  das  /  geblieben  ist,  so  dafs  man  -eticus, nicht 
so  erklären  darf,  dafs  -iticus  vor  allem  die  an  einer  Krankheit 
leidenden  bezeichne  (nephr iticus,  pleuriticus  usw.)  und  in  anderen 
Fällen  im  Volksmund  zu  -eticus  umgewandelte  wurde.  Vergleichen 
wir  auch  spleneticus  und  phreneticus  neben  sple7iiticus  und  phreniticus, 
so  werden  wir  vielmehr  zu  dem  Schlufs  gelangen,  dafs  die  äufserlich 
sehr  ähnlichen  Endungen  -eticus  und  -iticus  durch  Einflufs  des 
vorhergehenden  Vokals  leicht  vertauscht  wurden  und  spleneticus, 
phreneticus  durch  Assimilation  an  das  erste  e  entstanden,  dagegen 
porphiriticus ,  das  einzige  Wort  auf  'iticus,  das  in  seiner  ursprüng- 
lichen Gestalt  drei  i  in  oflfener  Silbe  hatte,  durch  Dissimilation  zu 
porphireiicus  wurde;  daneben  blieb  porphiriticus ,  Not.  Tir.  100,  99, 
CGI.  V,  585,  14.  Sogar  in  die  Hochsp'tache  vinxde,  porphyreticus  ein- 
geführt (Suet.  Nero  50),  obwohl  hier  wegen  des  y  (nicht  i)  der 
eigentliche  Grund  für  die  Entstehung  der  neuen  Endung  wegfiel; 
auch  App.  wird  porphyreticum  empfohlen  haben.  —  Nur  in  porphi- 
reiicus erklärt  sich  das  e,  nicht  in  purpur eticus,  das  nichts  anderes 
ist  als  eine  durch  pur  pur  a  veranlafste  Umbildung  von  porphireiicus; 
CIL  VI,  222  steht  purpuriticus  (vgl.  porphiriticus,  s.  0.). 

Leicht  verständlich  ist  der  Suffixtausch  in  Bizacinus,  das  CIL 
XIII,  686   und  laterc.  Veron.  1 2,  3   bezeugen.     Da   die   Einwohner 


J2$ 

der  verschiedensten  Städte  mit  dem  Suffix  -inus,  nicht  mit  -enus 
bezeichnet  werden  —  vgl.  Reatinus,  Ätaciniis,  Tarentinus  und  vor 
allem  das  lautlich  ähnliche  Byzantmus,  das  seit  Tertullian  vorkommt 
u.  a.  — ,  konnte  auch  für  die  Einwohner  der  Provinz  Byzacium 
leicht  die  Endung  -inus  verwertet  werden.  Auch  die  Saraceni 
werden  im  Romanischen  zu  Saracini.  Schon  die  Amtsbezeichnung 
früherer  Statthalter  Byzächims  auf  stadtrömischen  Inschriften  (CIL 
VI,  1690,  1691  u.  ö.)  verbietet  auf  Grund  dieses  Namens  die  App. 
in  Afrika  zu  lokalisieren,  s.  Einleitung. 

Aus  Angst  vor  längeren  Suffixen  verwirft  App.  auch  mergulus, 
das,  wie  Ambros.  Hexam.  V,  13,43:  merguli,  fulicae,  ardea  =  Verg. 
Georg.  1,361 — 364:  mergi,  fidicae,  ardea  zeigt,  mit  mergus  ganz 
identisch  ist.  Das  Wort  ist  nur  spätlateinisch  belegt  (Vulg.  Levit. 
II,  17,  Deuter.  14,  17  und  in  Glossen),  daneben  steht  CGI.  III,  436,5: 
mergunculus.  Da  nach  dem  Muster  lego  —  legulus  'Aufleser  der 
Oliven',  credo  —  credulus,  tremo  —  tremulus,  cingo  —  cinguhim,  tego 
—  tegulum  die  Schaffung  eines  neuen  mergulus  zu  viergo  vollkommen 
verständlich  ist,  brauchen  wir  nicht  mit  Jacobsohn  Charites  für 
Leo  433  A.  2  ein  durch  Dissimilation  umgestaltetes  *mergurus  an- 
zunehmen, das  mit  ai.  madgura  'Taucher'  identisch  sei.  (Im 
Romanischen  steht  neben  den  Fortsetzern  von  mergus  prov.  margolh.) 

Anhangsweise  sei  hier  210  allec  non  allex  behandelt.  Aus 
aXixöv  der  KoiVi],  das  die  Attizisten  (Moiris  p.  i8g,  1 B)  dem 
Attischen  äXvTCOV  gegenüberstellen,  ist  a(l)lec  'Fischlake'  entstanden, 
das  bei  der  Zurückziehung  des  Akzentes  die  Endung  verlor  und 
vielleicht  schon  damals  den  Konsonanten  verdoppelte  (§  13).  Da 
Substantiva  auf  -ec  fehlten,  wurde  schon  früh  allex  üblich,  das  nach 
Priscian  II,  212,  15K.  bereits  Verrius  Flaccus  gebrauchte,  Neue- 
Wagener  13,  826  und  Thes.  L.  L.  s.v.  Wichtig  ist  der  Übergang 
der  ungewohnten  Endung  der  Casus  obliqui  -icis  zu  -icis  im  südit. 
alice  neben  sp.  alece,  der  mit  vervicem  «<  vervecan  —  afrz.  berbiz, 
prov.  berbitz  (Cohn  Suffixw.  41)  —  zu  vergleichen  ist.  —  Während 
hier  seltenes  -ec  durch  -ex  ersetzt  wurde,  finden  wir  umgekehrt 
zu  principis  den  Nomin.  princep  CIL  II,  4832,  III,  7856,  VII,  302, 
welcher  vollkommen  aus  dem  Schema  herausfällt,  als  Neubildung: 
bald  tilgt,  bald  erzeugt  die  Volkssprache  isolierte  Formen. 


G.   Zur  'Wortbildungslehre. 
§  28. 

20b     orilegium  non  orolegiiim 
2  2     aquaeductus  non  aquiductus 
159     terraeviotus  non  terriinotium 

Der  Kompositionsvokal  des  Indogermanischen,  f,  ergab  im 
Lateinischen  durch  Schwächung  i,  vgl.  anniger  <[  armogeros.  Das 
Umsichgreifen  des  /  in  dieser  Funktion  zeigt  schon  iuridicus,  foedi- 
fragos    (Laevius),   honorißcus   usw.   Lindsay    Lat.  Lang.  363.      Plaut. 


124 

Ps.  362  sociofraude  macht  einen  abweichenden  Eindruck  und  oclopeta 
hat  sich  §  2  b  durch  seinen  zweiten  0  -Vokal  als  hybride  Bildung 
herausgestellt.  Erst  jetzt  kann  das  gebilligte  orilegium  erklärt  werden. 
Da  man  von  der  Sonnenuhr  die  Stunde  ablas,  entstand  aus  coQoXöyiov 
volksetymologisches  orolegium,  Keller  Volksetym.  99;  umgekehrt 
entstanden  besonders  in  griechisch  beeinflufsten  Gebieten  sortiloca 
(=  -gd)  CIL  VIII,  6i8l,  sortilogiis  IV,  5182,  sacrilogos  VI,  9659, 
Sommer  2,  60.  —  Das  allmählich  latinisierte  orolegiu?n  zeigte  nun 
aber  griechisches  0  und  indem  App.  die  wohl  allgemeine,  lateinische 
Form  der  in  Rom  häufig  aufgestellten  (Daremberg  und  Saglio  s.  v. 
horologium)  Uhren  anerkannte,  verlangte  sie  nun  konsequenter  Weise 
auch  das  i  in  der  Kompositionsluge;  und  dafs  sie  mit  dieser 
Forderung  Vorgänger  hatten,  zeigt  CIL  II,  4316  (Antoninenzeit), 
aber  daneben  blieb  orolegium,  s.  CGI.  V,  364,  12:  orolei  und  dazu 
ahd.  orlei.  Merkwürdigerw^eise  steht  in  den  vulgären  Gesprächen 
Petrons  26,  71:  horologium:  entweder  ist  orilegium  jünger  oder 
Petron  bevorzugt  doch  im  einzelnen  die  hochlateinischen  Formen, 
besonders  wenn  er  seinen  Griechen  und  Süditalienern  giiechische 
Lehnwörter  in  den  Mund  legt. 

Aquilex  'Wasserauffinder'  und  aquilentus  'feucht'  ist  seit  Varro 
(Men,  444,  400)  belegt.  Wichtig  ist  der  Übergang  von  aquaelicium 
Paul.  Fest.  2  M  zu  aquiliciiim  bei  Tertull.,  Apol.  40,  von  aquaemanale 
(Varro  bei  Nonius  547)  zu  aquiminale  bei  Paul.  dig.  t,^)^  lO,  3.  4  usw., 
der  ungefähr  für  dieselbe  Zeit  belegt  ist,  in  der  auch  App.  gegen 
aquiductus  auftritt.  Wir  haben  es  keineswegs  mit  einer  lautlichen 
Entwicklung  ae'^  e  'y-  i —  aqueductus  [-iiiini)  CIL  III,  8088,  VI,  29844 
—  zu  tun,  richtig  Jordan,  Herm.  7,  367.  Über  das  Alter  des  /"  in 
it.  acquidotto,  -doccio  steht  nichts  fest  (Ullmann  69).  Aguidiict. 
(Akk.  Plur.)  ist  CIL  XII,  4315  belegt;  häufiger  war  wohl  aqiäductium 
(CGI.  II,  462, 5 ;  111,326,71),  da  die  neue  Endung  das  Gefühl 
der  Komposition  erzeugte  und  dieses  die  Entstehung  des  /'  be- 
günstigte. 

So  entstand  auch  das  nicht  belegte  terrimotium  —  terraemotum 
CGI.  II,  430,  25,  501,  35  — ,  das  aufserdem  durch  territorium  be- 
einflufst  werden  konnte,  da  der  Römer  den  Unterschied  in  der 
Wortbildung  der  beiden  Wörter  nicht  empfand.  Umgekehrt  finden 
wir  in  den  späten  Form.  Andecav.  7,  20.  21  und  6,  14;  11,  19.31 
terreiurium  und  terraiurium,  Slyper  a.  a.  O.  30. 


H.   Syntaktisches. 
§29. 

220  nobiscum  nojt  noscum 

221  vobiscum  non  voscum 

Die  in  it.  nosco^  vosco  fortlebenden  Formen  noscum,  voscum  sind 
zwar  unbelegt,  aber  schon  im  i.  Jhdt.  nach  Chr.  ist  cum  -\-  Akk. 
bezeugt,  vgl.  CIL  IV,  221 :  cum  sodales,  275:  cum  discentes  und  Diehl,_ 


r25 

De  -m  fin.  epi'gr.  1 7  ff.  Da  me  und  te  sowohl  Akkus,  wie  Abi. 
waren  —  im  ältesten  Latein  entstanden  Akkusativformen  med  und 
ted  mxi  ablativischem  -d — ,  konnten,  als  cum  -}-  Akkus,  in  Erscheinung 
getreten  war,  in  mecum  und  tecum  die  Pronomina  leicht  auch  als 
Akkusative  aufgefafst  werden  und  nach  Analogie  noscunty  voscum 
aufkommen,  welche  mecum,  tecum,  secum  auch  formell  entsprachen. 
Zu  vergleichen  ist  die  verbreitete  Formel  pro  se  et  suos  (CIL 
III,  1038,  1600,  7833,  XI,  619  [a.  170],  XII,  1185),  welche  da- 
durch entstand,  dafs  nach  pro,  das  seit  dem  2.  Jhdt.  gelegentlich 
den  Akkusativ  regierte,  gerade  se  besonders  leicht  als  Akkusativ 
empfunden  werden  konnte.  —  Die  Kasusverwechslung  trat  bei 
Präpositionen  am  ehesten  ein,  wenn  diese  sonstigen  Präpositionen 
begrifflich  verwandt  waren,  welche  einen  anderen  Kasus  zu  sich 
nahmen.  Schon  bei  Petron  3g :  quihus  prae  mala  stia  cornua  nas' 
cuntur  und  46:  scimus  te  prae  litter as  faiuum  esse  si^i  prae  =.  propter 
mit  Akkusativ;  erst  in  späterer  Zeit  (Jul,  Val.  p,  41,  ig,  105,12: 
prae  ceteros)  findet  sich  prae  auch  in  anderer  Bedeutung  mit  dem 
Akkusativ,  s.  Glotta  IV,  277.  —  Nachdem  man  voscum,  noscum,  quicum 
nicht  mehr  als  volles  Kompositum  empfand,  wurde  cum  noch  einmal 
vorne  angehängt;  eine  Bildung  wie  CIL  XI,  5779:  conquicu  (vixit) 
ist  eine  Vorstufe  des  sp.  conmigo,  contigo.  Auch  sonstige  in  letzter 
Zeit  besprochene  Charakteristika  des  späteren  Lateins  haben  im 
Spanischen  ihre  Fortsetzung;  so  entspricht  dem  seit  Plautus  be- 
zeugten Gebrauch  von  esse  als  Verbum  der  Bewegung  —  Stich.  337: 
/ui  propere  a  portu  u.  a.;  Loefstedt,  Peregr.  Aeth.  172,  nicht  über- 
zeugend Salonius,  Vitae  Patrum  ig20,  155  —  das  span.  fueron  a 
Madrid  'sie  kamen  nach  Madrid'.    Auf  weiteres  mufs  ich  verzichten. 


I.   Vermischtes. 
§30. 

94     sufpellex  non  superlex 

Die  im  Vulgärlatein  häufige  sogen.  Rekomposition  -^  cofi/aa'o 
<  conficio  usw.,  fälschlich  delacta  =  delecta  CIL  VIII,  5834  —  tritt 
in  anderer  Form  in  superlex  auf,  das  CIL  VI,  8973 :  superlectile, 
CGI.  III,  92,  8  ff. :  de  superlectile  .  .  .  superlex  .  .  .  lectus  .  .  .  lectica  usw.; 
320,61    steht.      Mit    Recht    vergleicht   Heraeus    315:  per  lax   CGI. 

IV,  376,  g  (Vel.  Long.  VII,  65,  16K.);  vgl.  noch  perluvium  ^=  pellu- 
vium  CGI.  III,  410,  53  ;  perlavia  II,  147,  23  {peres  ^=  pedes  Consentius 

V,  3g2,  15  K.).  —  Von  besonderem  Interesse  scheint  mir  in  diesem 
Zusammenhang  das  Schicksal  von  presbyter  in  Romania  zu  sein, 
das  teils  erhalten  ist  —  frz.  pretre,  aprov.  prestre,  sp.  preste  — , 
teils  durch  *prebyter  ersetzt  vioirde,  vgl.  rum.  preot,  it.  prete,  afrz. 
prevoire.  Selbstverständlich  kann  nicht  das  nur  äufserlich  einiger- 
mafsen  gleiche  praehitor  'Lieferant' (!)  2XLi  presbyter  gewirkt  haben, 
wie  M.-Lübke,  Einf.3  178  mit  Ascoli  glaubt,  sondern  entspricht 
das    neue  prae    der    Tätigkeit    des    Presbyters    als    Vorsteher    der. 


126 

Kirchengemeinde  und  wurde  es  durch  praeposUus  [praeesse)  usw. 
veranlafst.  —  Aiiscülto  wurde  einerseits  zu  asculto  (Caper  VII,  io8,  6K. 
warnt  davor),  andererseits  im  frühen  Vulgärlatein  zu  osculio  (§  lO, 
unbelegt);  unter  Einflufs  anderer  Komposita  wie  absiineo,  obsecro 
wurden  nun  auch  ahsulto  bei  Gregor  (Bonnet  143)  und  anderen 
(Stangl,  Cassiod.  555)  und  ohsculio  gebildet.  Da  au  y>  0  der  älteren 
Umgangssprache  angehört  (§  10),  mufs  ohsculto  früh  gebildet  sein 
und  in  der  Tat  ist  es  in  Pompei  CIL  IV,  2360:  ops[c]uItat  bezeugt. 
Die  Form  erhielt  sich  —  lokal  beschränkt?  —  bis  zur  Zeit  des 
heiligen  Benedictus,  der  sie  Reg.  Bened.  i  (Linderbauer  z.  St.)  an- 
wendet. —  Wie  häufig  /  prosthet.  vor  s  -\-  Konson.  zur  Präposition 
in-  wurde,  zeigt  L.  Sommer,  De  prosthesi  et  aphaeresi,  Diss.  Jena 
1900.  —  In  Inschriften  steht  auch  supellex,  supelex  (VI,  9049  mit 
Anm.,  Albinus  VII,  309,  30  K.).  Da  durch  Horaz,  Sat.  1,6,  118 
supellex  metrisch  gesichert  ist,  kann  super  lex  aus  dieser  Form  ent- 
standen sein.  Wie  Albinus  hat  anscheinend  App.  doppeltes  p  und 
/  verlangt. 

Das  verderbte  homfagimn  non  monofagium  (47)  ändert  Ullmann 
177  im  Anschlufs  an  Endhcher  und  Haupt,  Opus.  III,  566  in  om- 
phacium  (CGI.  III,  571,  63  usw.)  non  omfagium,  Heraeus  mit  Brandis, 
De  aspir.  lat.  p.  6,  A.  1  in  omofagium  non  monofagium.  Wahr- 
scheinlich ist  monophagium,  obwohl  sonst  nicht  belegt,  angesichts 
Joseph,  ad  Macc,  14:  jtaTTO^ayia  Xaifiagyia  fioi'og)ayia,  Aristoph. 
Wesp.  923,  Ameipsias  I,  677K. :  £qq'  sig  xoganag  fioi'ogxxye  und 
angesichts  der  Angriffe  Martials  (7,  59)  und  Juvenals  (i,  95.  139) 
auf  die  f/ovocpayot  —  s.  K.  Prinz,  Martial  und  die  griech,  Epigr. 
I  (1911),  58  —  in  Rom  zur  Bezeichnung  der  Gefräfsigkeit  ver- 
wendet worden,  während  es  erst  später  im  Griechischen  für  die 
einzige  tägliche  Mahlzeit  der  Mönche  belegt  ist.  —  Omophagia  ist 
zwar  bei  Arnobius  5,  19  Bacchanalia  .  .  .  quibus  nomen  Omophagiis 
graecum  est  bezeugt,  ist  aber  nur  Übersetzung  des  auch  sonst  von 
ihm  benutzten  Clem.  Alex.  Protr.  2,  12,  2  (I,  11,15  Stähl).  Eine 
etwas  andere  Bedeutung  hat  omophagiutn  bei  Cassian,  Inst.  4,  22: 
nee  .  .  .  cura  inter  eos  ...  coctionis  imperiditur,  quippe  qui  maxi7ne 
xerophagiis  vel  omophagiis  ntuntur.  Welche  Bedeutung  man  auch 
für  das  Wort  zur  Zeit  der  App.  voraussetzen  mag,  unwahrscheinlich 
ist  die  Annahme,  dafs  omophagiwn  mit  dem  begrifflich  abliegenden 
monophagium  verwechselt  wurde.  —  Während  noch  Tertull.,  Adv. 
psych.  I,  5  die  griech.  Endung  -ia  in  xerophagia  beibehält,  hat  die 
auf  Cassian  sich  beziehende  Glosse  V,  426,  41:  xerophagia  (Plural, 
wie  bei  Cassian  -//>):  herbae  quae  comeduntur  incoctae  usw.  xero- 
phagia ^  mehr  der  lateinischen  Wortform  entsprechend,  als  Neutr. 
Plural,  verwendet.  Ohne  Zweifel  schrieb  auch  App. :  monophagia 
(-fagia)  non  inonofagium. 

Hoffnungslos  unleserUch  ist  n.  158;  für  Emendationsversuche, 
denen  ich  nicht  beipflichte,  s.  Foerster  und  Heraeus  324.  Auch 
amurca  non  amurga  (Ter.  Maur.  898 :  amurgam  .  .  .  plurimi)  oder 
aplustria  non   aplustra   (zu  aplusire    s.  Prlscian  II,  350,  24  K.)  wären 


127 

denkbar.  —  Auch  für  das  korrupte  canndain  non  canianus  (18)  liefsen 
sich  viele  Vorschläge  machen,  z.  B.  cannabis,  non  cannape  (-pts, 
-bus,  -ba,  'btim),  vgl.  Caper  VII,  108,  11  K.:  cannabe  hoc  non  cannabis 
codd.  BC ;  canalis  non  canale  '  (Thes.  L.  L,  s.  v.) ;  canalts  non 
canaliculus  (Nonius  p.  198);  canis  non  cankula;  cammarus  non  cam- 
barus,  vgl.  Caper  VII,  108,  13K.;  canna  non  cannula,  candela  non 
candelula  usw.  —  Nicht  möglich  ist  canna  non  calamus  (Heraeus), 
da  Obszönes  gemieden  vi'ird.  Aber  zu  Sicherheit  gelangen  wir 
hier  nicht. 


Corrigenda. 

S.    I,  Z.    8  V.  unten  lies:  übertriebener 

S.    3,  Z.    I  lies:  das 

S.    9,  Z.    2  V.  unten  lies:  eine  andere  E. 

S,  12,  Z.    3  lies:  dafs  dem 

S.  12,  Z.  24  lies:  nur  dafs 

S.  17,  Z.  32  lies:  fünften 

S,  23,  Z.  18,  21  lies:  aidil 

S.  29,  Z.  9  lies:  färä. 


Indices. 


Abetem  lO 
abia  =  avia  45 
abies  1 1 
accia(rium)  ']'] 
acetum  acrum  109 
aedilis  (aidil)  23 
aeditu(m)us  65 
Aiax  92 
alberga  69 
albor  69 
a(u)nculus  81 
anfractus  90 
apexa(bo)  61 
aquilicium  124 
aquimanale  124 
aramen  29 
arater  104 
arcella  122 
archlum  27,  63 
ares,  aries   11 
argumentosus  1 1 9 
assares  29 
auca  29 
aucellus  22 
aviaticus  106^ 
aviolus  81 
avius  81 

Baccar  104 
bacillns  18 
balbae  79 
Bataorum  82 
berbex  79 
berna  79 
bestens,  -ea  42 
betranus  81  ^ 
bixit,  bivus  80 
blandicellus  122 


I.   Wortindex. 

Caldarium  13,  15 
candelaber  104 
castra  94 
cereber  104 
cidar  104 
cinquacinta  87 
citto  75 
clamosus   119 
clanculum  21 
claustrum  62 
clustrum  73 
cocturnix  85 
roda  62 
colophus  26 
colostra  25 
columba,  -bus   109 
comedere  22 
conquicu   125 
contentiosus   1 19 
conucella  68 
coors  44 
coplata  17 
corbs  105 
coriacea  92 
cos   III 

criblo,  -blum  70 
cura  agente  15 
umbr.  katel  23 

Demoror  57 

denego  57 

desi[de]rosus  118 

detudes  57 

dext(e)ra,  dextrorsum  13 

discipulus,  discipb'na  13 

diäpessis  78 

dolium  40 

dolobra  26 


Ebrius,  -osus  i 
ebur,  -uris  54 
i-nrä^aivog  84 
esse  =  venire  125 
extrarius   120 

Pacetus  115 
famul  23 
faras  29 
festucum  51 
ficetula   117 
fill^us  77 
filiölus  9,   12 
fiola  36 

fleugmaticus  88 
frz.  flotter  86 
fons  54 

fox  62  ^ 

fragellum  68 
fraglo  70 
frigidcrium  15 
fugia(m)  98    . 
furo  55 

Qagantem  32 
gaudia  94 
genuclum  35 
glandis,  -o  1I3 
grandula  69 
grassus  88 
grates  88 

Hilar  104 

hilarus  108 
(h)eres  loi 
here(n)3  96 
hie  22,  lOI 
homo,  hemo  25 


horoma  28 
(h)ortus  10 1 
(h)ostium  lOI 

laiunus  33 
ienicla  33 
ienuarius  33 
impelimenta  83 
incudis,  -do   I14 
infra,  inferi   14 
inte-grum  9 
interanea  49 
interocile  49 
ipiclo  73 
isde  97 
frz.  jeter  86 

Laceus  66 
laptuca  86 
larba  79 
lasar  29 
lendis  114 
lienis  103 
lorandrum  69 
lubrica  69 

Maesoleum  70 
magnum  tempus  22 
mamor  74 
manducare  22 
maneo  71 
maniclus   I17 
manipularius   121 
masculus  21 
medius  53 
melicae  83 
misoleum  70 
molu(i)mentum  70 
rnons  54 
mulierem  9,   II 
munirnentum  70 

Naffa  70 
navellum  68 
negotias  95 
neofitus  48 
nept(i)a  20 
nespula  70 


nilbus  70 

Noember,  Nuember  58 

novilis  I 

Obsculto  126 
oclopeta  18 
Octuber  (-bres)  57 
olfacio  13 
olla  62 
opilio  58 
oscinis  103 
Ovum  26,  82 

Palafredus  69 

palfebra,  palpetra  70 

paramboli  28 

parapsis  28 

paretem  9 

pedarius,  -aneus  120 

peduclus  35 

pelegrinus  69 

penna,  pinna  50 

phreneticus  122 

pilum  44 

plauster   104 

ploro  22^ 

plostrum  62 

plurigo  69 

pons  54 

porfidum  70 

portare  22 

posteri,  postridie  13 

pover(os)  34 

prae  +  Akkus.  125 

praecidarius,  -aneus  120 

praesentarius, -aneus  120 

praesilium  83 

prebyter   125 

pridie  =  pridem  98 

primum  tempus  22 

princep  123 

prociter  lOO 

proda  70 

proletarius,    -aneus    120 

prüdere  70 

Quarranta  87 


Radum  70 
ranuclus  35 
reliciae  66 
retina  47,   103 
robus  100 
ruptus  86 

Saeps  105 
salma  88 
scalper  104 
scarpellum  68 
secors,  -dia  38 
senecio,  sinicio  49 
serpuUum  61 
singlariter   17 
sol(i)datus  92 
sorex,  -icius  22 
spleneticus  122 
splenis  103 
sponsa  56 
sportella,  -ula  122 
suecerio,  socerio  107 
superstens  96 
supra,  superi  14 

Tarmes,  -inis  114 
Tartera  37 
titilus,  tutulus  3a 
torques,  -is   II 3 
tottus  75 
trienta  87 
tronare  30 

Ubi  65 

ui  =  huic  lOl 
uligo  78 
ürina  53 
Urtica  53 

Valde,  validus  14 
varvactum  32 
vectaculum  117 
veUragus  69 
venemerenti  81 
vermis,  -inis   II4 
vesticulum   II7 
vinti  87 
vitellus  19 
vomo  25 


I.iO 


II. 

Afrikanisches  Latein  3,  23,   120 
Akzent  68,  87,  griechischer  36,  75 
Anaptyxe  9,   16 
Archaismus  94,  109,   119 
Assibilation  42 
Assimilation  der  Silben  32 

Bauernlatein  55,  85,  loo 

Claudius  imperator  grammaticus  54,  90 
Cornutus  66 

Derainutiva  20,  22,   121 

Differentiae  i 

Differenzierung  30,  31,  44,  49,  51,  53, 

99,   112 
Dissimilation   18,  26,  63,  82 

Etruskisches   115 
Euphemismen   122 

Germanisches  107 

Hiatus  in 

Hyperurbanismus  62 f.,   ili 
Hypokoristikon  20,  61,  97,  122 

Inchoativa  50 

Instituta  Artium  [Probi]  2 

Kompositionsvokal   123 

Lokale  Verschiedenheiten  3,  4,  48,  80, 

97,  98 
Lucrez,  Prosodie   17,  77 

Metathesis  68 
Monosyllaba  21,  102,   113 
Mouillierung  11,  41,  77 
Muta  c.  Liquida  9,  76 


Sachindex. 

Onomapoetische  Bildungen  35,  39,  78, 
89,  117 


Pluralia  tantum  in 
Präfixe  (ex-,  in-)  50 
Pro(En)clisis  29,  64,  93 
Prosthesis  47,   126 

Reduplikation  59 
Rekomposition  66,   125 

Sabinismus  83 

Sanddhi  79,  80 

Silbengrenze  45,  76,  96 

Suffixe  (-erus,  -icus  27);  -os,  -ios  40 ; 
-arium43;  -osus  56,  118;  -ellus  69, 
121;  -ula  69;  -dum  73;  -tra  73; 
-trum  73;  -igo  78;  -plex  92;  -inum 
99;  "O  115;  -onius  118;  -aneus, 
-arius  12O;  -arius  121;  -iticus, 
-eticus   122 

Synkope   12  ff.,  35 

Umgekehrte  Aussprache  55,  91,  96 
—  Schreibung  41,  81 
Umlautung  34 

Varro  etymologie  110;  vgl.  95 
Velius  Longus  52 
Vergils  Einflufs  50,    III,   112 
Vergilglossen  99,  114 
Vergilinterpreten  3,  87 
Verwandtschaftsnamen  106 
Volksetymologie  33,  55,  70,  71,  88  u.  ö. 
Vulgärgriechisch  75 


Druck  von  Karras,  Kröber  &  Nietschmann  in  Halle  (Saale).