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Full text of "Strafgesetz und widernatürliche Unzucht..."

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Erkelens 

Strafgesetz und widernotürliche Un 
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Strafgesetz 



und 



widernatürliche Unzucht 



Von 



Dr. med. van Erkelens. 



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BERLIN NW. 6. 

FISCHER'S MEDICIN. BUCHHANDLUNG H. KORNFELD. 

1895, 






JAN 6 »21 



Selbstmord und Wahnsinn. 



Der uns vor wenigen Wochen gemeldete Selbstmord des un- 
glücklichen Studenten aus Giessen mahnt mich laut, ein Wort zu 
Ounsten jener Ärmsten der Armen zu sagen, welche die Natur so 
«tiefmütterlich nach der heute herrschenden Ansicht ausgestattet. 
Der betreffende Student war Urning, er hatte mit einem Kutscher 
-ein Verhältnis angeknüpft, das entdeckt wurde. Nach dem § 175 
des Strafgesetzbuches wurde der Kutscher zu 7, der Student zu 
6 Monaten Gefängnis verurtheilt. Letzterer durch diese Strafe sich 
entehrt fühlend, wohl wissend, wie ihn Alles verlassen, ausstossen, 
seine Familie, seine Freunde, die sogenannte Gesellschaft den 
Stab über ihn brechen würden, zieht den Tod diesem schrecklichen 
Dasein vor. 

Was für Kämpfe hat wohl der Ärmste durchgemacht, bis er 
«oweit gekommen; was für Schreckensnächte durchlebt, bis er die 
Erkenntnis gewonnen, „du hast eine andere Natur als die Meisten 
deiner Mitmenschen, du bist unglücklich für dein ganzes Leben, 
wirst vielleicht nie ein Heim dir gründen, nie ein Familienleben 
finden können, wirst du entdeckt, bist du ein Ausgestossener, aber 
ohne deine Schuld!" 

Noch ein anderer Selbstmord, der in München im Sommer 
dieses Jahres stattfand, erzählt uns dieselbe Geschichte, dasselbe 
furchtbare, schuldlose Leid, das die Mehrzahl der Urninge ihr 
ganzes Leben hindurch trägt. 

Ein angesehener Bürger, der nie sich etwas hat zu Schulden 
kommen lassen, fleissig in seinem Beruf, anständig und geachtet 
im Verkehr, geliebt von seiner Familie und Freunden, er hat das 
eine entsetzliche Verbrechen begangen, dass ihn die Natur als 

1* 



4 Selbstmord uad Wahnsinn. 

Urning geschaffen, dass er in geschlechtlicher Liebe sich zum Mana 
hingezogen fühlte. Er wagt sich J^einem zu entdecken, wagt sich 
Keinem zu nähern, sondern geht an einen Ort, wo, wie er weiss^ 
Personen seines Geschlechts zu kaufen sind. 

Im Englischen Garten wird er von einem Schatzmann bei Um- 
armung eines Soldaten abgefasst, wird angezeigt und als man ihn 
vorgeladen, erschiesst er sich. 

Solche Selbstmorde kommen täglich vor; ich mochte sagen ^ 
dass fdnfzig Prozent jener unglacklichen Selbstmörder Urninge sind^ 
die vor lauter Angst, vor lauter Aufregung trübsinnig geworden^ 
Hand an sich legen. Ist doch von einigen bekannt, dass sie stets^ 
Gift oder Waffen bei sich tragen, um, wenn nothwendig, sich so- 
fort zu toten. Und wie Viele mag es geben, die Jahre hindurch 
mit dieser Leidenschaft kämpfen, bis sie entweder erliegen oder 
einsehend, dass sie unglacklich, den Tod diesem Leben vorziehen. 
Ich will einen anderen Fall erzählen, der so laut und furchtbar 
die Schuld unserer Gesetzgebung predigt, so dringend an eine 
Änderung dieses Gesetzesparagraphen mahnt, dass man fürwahr 
kein Bedenken mehr tragen dürfte, das auszuführen, was schon vor 
zwanzig Jahren die ersten Gelehrten der medizinischen Wissenschaft 
gefordert. Es handelt sich um einen deutschen Offizier. Derselbe 
hatte längere Zeit mit einem jungen Soldaten geschlechtlichen 
Verkehr gepflogen. Eines guten Tages erhält der Offizier in seiner 
Wohnung den Besuch des Obersten und hiermit zugleich den Ab- 
schied. Die Familie, die Kameraden sagen sich von ihm los. 
Der Offizier sucht sich tapfer durchzuschlagen; er ninmit im Ost- 
lichen Deutschland eine Stelle als Verwalter an. Nach einigen 
Jahren besucht er seine Familie, die ihn wieder aufgenommen 
mit Ausnahme eines Bruders, der alles in Bewegung gesetzt hatte, 
nm die Versöhnung zu hintertreiben. Dieser Bruder aber, das ist 
das Entsetzliche, ist selbst Urning, Jurist, verheirathet und Vater 
von vier Kindern. 

Der frühere Offizier ist empOrt über die Handlungsweise seines 
Bruders, er wird melancholisch und befindet sich jetzt in einem 
Irrenhause, ob heilbar oder unheilbar, weiss ich nicht. Solch eine 
Handlung, wird jeder auch nur etwas anständige Mensch sagen,. 



Selbstmord und Wahnsinn. 5. 

ist das Gemeinste, was nur ein Mensch thnn kann; solch einer 
Oesinnang ist nur der niedrigste, verworfenste Charakter fähig. 
TTnd doch gibt es Menschen, die gerade so handeln, wenn anch in 
anderen Farben, und doch gibt es Urninge, die selbst äusserlich 
in Beichthnm und Ehren dastehend so tief gesunken sind, dass 
isie gleich diesem Juristen handeln ; die sich sagen, wir müssen so 
^landein, sonst sind wir verloren unter den heutigen Verhältnissen. 
Ich selbst kenne einen Herrn, der seinem angeblichen Freunde 
;aufs Engste verbunden war, der seinem Freunde tiefen Dank 
-schuldete, aber als letzteres Namen in einen Uming-Process nur 
^als Zeuge verwickelt wurde, da wurde dieser reiche und sogenannte 
-vornehme Herr zum Verräther, nur um seinen früheren Freund 
nicht mehr zu kennen. 

Auch das wird die grOsste Anzahl der auch nur einigermassen 
moch f«in fühlenden Menge verabscheuen. 

Aber, fragen wir, ist es denn möglich, dass solch eine Ge- 
:sinnung, solche Ansichten unter den Urningen herrschen können? 
Sind denn diese Leute solche verworfene, solche gemeine Charaktere» 
•dass sie so zu handeln gezwungen sind? Nein, es gibt eine An* 
^ahl wahrhaft edler Urninge, die viel höher und edler denken, 
fühlen und handeln als überhaupt im Allgemeinen die Menschen, 
•die so Vieles erduldet, so viel gerungen und zu einer solchen 
Selbsterkenntnis und Erkenntnis des Lebens gekonmien sind, dass 
ihnen nichts liegt an dem Urtbeil der Menge, dass sie nur darauf 
«tolz sind vor sich und ihrem Gewissen rein dazustehen. 

Wie machen es aber sonst im Leben die Menschen? Ist 
Jemand vom Glück der Sonne beschienen, da steht das Haus nie- 
mals leer; kommt aber nur eine dunkle Wolke, hört man nur 
^twas öffentlich munkeln über den Sohn oder die Tochter oder 
^ogar über finanzielle Schwierigkeiten, auf einmal sind alle die 
^uten lieben Freunde fort; der eine ist erkältet, der andere ver- 
reist, der dritte durch seine Arbeit zu sehr in Anspruch ge- 
nommen. 

Es braucht nur einmal eine ansteckende, wenn auch nur 
leichte Krankheit in ein Haus einzuziehn, wo sind da die theuren 
Verwandten und Freunde? Wird aber gar eine ehrlose Handlung 



6 Selbstmord und Wahnsinn. 

bekannt, da zieht man sich nicht nur zurück, nein da donnern 
diejenigen in der Begel am Meisten, die dem Hause am Nächsten 
gestanden. Und das nennt man dann Familien ehre, kamerad- 
schaftliche Ehre, Korpsgeist und was man nicht für herrliche 
Namen erfunden hat, um schamloses Handeln zu beschönigen^ 
Lauter konventionelle Lugen. 

Das nenne ich Familien- und Freundesehre, wenn die Familie,, 
wenn der Freund sich in der Noth des Armen annimmt, ihn^ 
beisteht, ihn trOstet und wieder aufzurichten sucht. Alles thut 
gerade der Welt zum Trotz damit beweisend: „das ist mein Ver- 
wandter, mein Freund, der geht nicht unter, der hat gefehlt, das- 
kann auch uns so ergehen, aber wir handeln wie Männer, wie- 
Frauen von Ehre, wenn wir ihm helfen, ihm beistehen!'^ 

Und übersetzen wir dieses in das Leben der Urninge, die ja 
zum grOssten Theil feige und charakterlos sind oder geworden sind. 
Was wird denn einem Urning, wenn er seinen Freund nicht ver- 
leugnet, wenn er sagt, ich bin auch so ein Mensch, auch so ein 
Unglücklicher? Der Urning weiss es und darum wird er meisten- 
theils zum Yerräther, zum Judas auch an seinem Freund, wie der 
Jünger an dem grossen Meister von Nazareth. Er weiss es, er 
verliert seine Stellung vielleicht; ist er verheirathet, sein häus- 
liches Glück, sein Weib wendet sich von ihm, seine Familie- 
verlässt ihn, seine Freunde kennen ihn nicht mehr, er ist vielfach, 
unmöglich geworden in der Gesellschaft. Und da wundert mai> 
sich noch, dass der Jurist so gehandelt an seinem Bruder? Gewiss^ 
ein edler Mensch hätte nie so gehandelt, aber ein Mensch unserer 
heutigen Gesellschaft, die unter dem Zeichen der konventionellei^ 
Lüge lebt, der nichts Höheres kennt als nur einen Orden oder die- 
Freundschaft seiner sogenannten Kameraden, der muss so handeln,, 
denn das Gesetz erlaubt ja Alles, was geschlechtlichen Verkehr 
anbetrifft, nur nicht das, was die Natur so eingerichtet, die Liebe- 
des Mannes zum Manne. 

Worin bestand denn das grosse Verbrechen jener unglücklichenr 
Selbstmörder in Giessen und München? Es bestand darin, das» 
die Natur sich so furchtbar an diesen Armen versündigt, dass der 
ewige Geist, der doch Alles voraussieht und wissen muss nach der 



Selbstmord und Wahnsinn. 7 

Lehre der christlichen Eirche, dass dieser ewige Geist diesen Beiden 
eine Natur eingepflanzt, die sich nicht befriedigt fühlte von der 
IJmarmnng des Weibes, sondern die das höchste Glück empfand 
in dem Verkehr mit Personen ihres Geschlechts, mit Männern. 
Das war ihr Verbrechen, dass sie schuldlos an dieser Natur waren 
und auf keine andere Weise ihre sinnlichen Triebe befriedigen 
konnten. - 

Ist das nicht eine furchtbare Anklage all jener Tausenden, 
die in den Gefangnissen für schuldloses Leid gebüsst, jener Un- 
zähligen, die ihrem Leben deshalb ein Ende machen mufsten, weil 
eine sogenannte christliche Gesetzgebung der Liebe und Gerechtigkeit 
sie ausgestossen und füfs ganze Leben unglücklich gemacht hatte? 
Und aus welchem Grunde? Einzig und allein deshalb, weil die 
Natur sie als Urninge erzeugt, wurden sie ohne Schuld schuldig 
gesprochen. Sind denn diese Umiuge so grosse Verbrecher, dass 
der Staat solche Gesetze eriassen muss? Oder gibt es nicht 
unter ihnen sehr viele fleissige, solide, ja hervorragende Charaktere ? 
Weiss man es doch heute, dass gerade unter den grössten Namen 
der Geschichte die vieler Urninge genannt werden. Ich nenne 
nur hier Epaminondas, Achilles, Cäsar, Alexander d. Grossen 
Heinrich IV. von Frankreich, den grossen König von Preussen, 
Shakespeare, Byron, Winkelmann, Kleist, Lenau, Flaten, Grillparzer. 
Und über diese Männer, wie urtheilt da die Meinung der Fresse, 
der Geschichte? Ihnen hat man verziehen und verzeiht. Aber 
warum nicht den Lebenden, warum sollen diese noch inmier 
büssen für schuldloses Leid? 

Man sagt, es solle die Offentliehe Sitte nicht gefährdet, der 
öffentliche Anstand nicht verletzt werden; die Jugend, die kleinen 
Knaben könnten verführt werden; diese Unsitte der Männerliebe 
könne überhand nehmen, so dass die Bevölkerungszahl zurückginge; 
die Verbreitung der Männerliebe sei ein Zeichen des Verfalls der 
Völker. 

Wenn unsere Juristen Becht hätten mit all diesen Gründen, 
80 dürften sie dennoch nicht in die Freiheit und persönlichen 
Hechte eines erwachsenen Menschen eingreifen, ihm nicht das 
verbieten, woraus Niemand Schaden, aus dessen Verbot aber für 



g Selbstmord und Wahnsinn. 

die so von der Natur Erzeugten der grOsste Schaden, das grOsste 
ünheU erwachsen kann. 

Doch betrachten wir jene Fankte, welche man gegen die 
Aufhebung des betreffenden Gesetzesparagraphen in's Feld führt. 
Es solle der öffentliche Anstand, die öffentliche Sitte nicht verletzt 
werden. Jetzt wird Beides gefährdet durch das Verbot. Denn 
die Urninge sind gehindert am freien Verkehr unter sich, der 
feine gebildete Urning kann und darf niemals etwas merken lassen, 
er ist gezwungen die Personen der männlichen Prostitution zu 
kaufen, die sich schamlos auf den Plätzen und Strassen der 
grossen Städte herumtreiben. Nicht das allein, er muss sie nicht 
nur kaufen, nein er muss sich ihnen verkaufen, er muss mit ihnen 
verkehren, die er verachtet, nur um ni<5ht entehrt zu werden; er 
muss oft sein ganzes Vermögen opfern, denn diese Vampyre saugen 
ihm nach und nach sein Blut aus, sie lauern ihm auf, schreiben 
ihm Briefe, drohen mit der Polizei; und was ist seine Rettung? 
„der Selbstmord!" 

Der öffentliche Anstand, die öffentliche Sitte sollen nicht 
verletzt werden. Als ob nicht jener Verkehr dann ein anderer 
würde, wenn gerade dieses Gesetz aufgehoben! Dann sind nicht 
mehr so Viele gezwungen Kneipen aufzusuchen, die sie lieber nie 
sehen möchten, dann würde sicher die männliche Prostitution nicht 
mehr so blühen, wie sie es gerade jetzt thut. Derjenige aber, 
der nicht so von der Natur geschaffen ist, wird ohne Zweifel 
niemals ein Urning werden; wer sich und seinen Leib verkauft, 
ist eben ein Prostituirter, eine männliche Hure, ob es da Gesetze 
oder keine gibt, bleibt sich gleich. 

Aber die männliche Prostitution, dieses Prellerwesen, kann 
niemals so blühen wie gerade unter den heutigen Verhältnissen. 
Und ist denn in Italien, in Holland und Frankreich die öffentliche 
Sitte deshalb in Gefahr, weil dort keine solchen Gesetze herrschen? 
Niemals hat man gehört, dass in Paris und in Born die Menschen 
in dieser Beziehung besser seien als in Berlin und Wien. 

Der öffentliche Anstand, die öffentliche Sitte, werden sie denn 
etwa verletzt, wenn zwei Menschen von Natur so geschaffen sich 
gern und lieb haben; wenn sie als Erwachsene so leben, wie es 



Selbstmord und WahcsiDn. 9 

ihnen ihre Natur vorschreibt, wenn sie ein Freundschaftsbfindnis 
eingehen oft far's Leben, wenn sie glücklich und zufrieden sind im 
gemeinsamen Verkehr? Ist das ein Verbrechen? Oder werden 
nicht die öffentliche Sitte und der Öffentliche Anstand verletzt, 
wenn Bälle veranstaltet werden, wo die Personen beiderlei Ge- 
schlechts nackt tanzen und trinken; wenn der Student oder Kauf- 
mann oder Arbeiter oder Handwerker oder Offizier von einem 
Freudenmädchen zum andern geht; wenn der Hausfreund täglich 
erscheint; wenn die Prostituirten wie lebendige Waare auf den 
Strassen und in den Bordellen sich feil bieten? Da darf Alles 
geschehen, da ist Alles erlaubt, da werden die gemeinsten und 
unfläthigsten Sachen aufgeführt, aber wehe dem armen Urning, 
wenn er in Gesellschaft solcher Wüstlinge sich weigert mitzumachen ! 
Diese Leute begehen kein Verbrechen nach der heute herrschenden 
Ansicht, aber der Urning begeht ein Verbrechen, wenn er seiner 
Natur folgt. Wie oft habe ich es gehört aus dem Munde von 
Medizinern, die Nacht für Nacht schwärmten und sich Alles ge- 
statteten, dass sie unbarmherzig über einen den Stab brachen, 
wenn er nicht ihre Orgien mitfeierte und ihn für einen Urning 
erklärten. Man sollte nicht glauben, dass in unserer so weit vor- 
geschrittenen Zeit es noch solche Fanatiker, solche Unwissende 
selbst unter den Medizinern gäbe, die den armen Urning, anstatt 
2u bemitleiden, verurtheilen, die aber durch dieses Urtheil entweder 
ihre Unwissenheit in medizinischen Dingen oder ihre Eohheit be- 
kunden. 

Der grosse Wiener Psychiater Krafft-Ebing, dem nächst Ullrich 
die Urninge zu ewigem Dank verpflichtet sind, glaubt ja allerdings, 
dass die Urningliebe hauptsächlich etwas Krankhaftes, ein krank- 
haftes Laster sei. Ist dem so, beruht in der That, wie Erafft- 
Ebing meint, dieser Trieb auf etwas Krankhaftem, dann allerdings 
musste er auch annehmen, dass diese Krankheit heilbar sei, dann 
durfte er die einzelnen Versuche, die er durch Suggestion an 
Urningen vorgenommen, als gelungene veröffentlichen ; nur Schade, 
dass dieser grosse Psychiater vergessen hat, einige Jahre zu warten, 
bis wirklich eine vollständige Heilung erfolgt war. Denn dass 
Personen im hypnotischen Zustande Alles thun, was man von ihnen 



10 Selbstmord und Wahnsinn. 

Terlaiigt,ist ja bekannt. Aach will ich zageben, dass es solche charakter- 
feste, starke Männer gibt, die dieser Leidenschaft entsagen können 
Jahre lang, die Jahre lang mit sich kämpfen, wenn dieser Trieb 
kommt, aber in ihrem Innern wird so oft der Wansch and das 
Verlangen nach dem Verkehr mit Personen ihres Geschlechts 
zurückkehren, bis sie einmal wieder erliegen. 

„Nataram expellas farca, tamen asqae recarret.^^ „Magst du 
die Natar aach mit der Heagabel austreiben, sie wird dennoch 
immer zurückkehren!" Dieses Wort des römischen Dichters gilt, 
wenn irgendwo, so hier. Es ist keine Krankheit meiner Ansicht 
nach, sondern es ist eine Erscheinung, die wir nur dann zu er- 
klären vermögen, wenn wir uns des grossen Grundgesetzes in der 
Entwicklung des thierischen Lebens erinnern: „Jedes Individuum 
rekapitulirt, d. h. wiederholt in seinem Entstehen, in seiner Ent- 
wicklung, in seinem Leben die Geschichte seiner Art, seines 
Stammes.'^ Ist der Satz richtig, wie ihn die Naturgeschichte als 
bewiesen annimmt, dass Alles beim Menschen in der Entwicklung^ 
sei und Manches uns Fremde zurückweise auf frühere Erscheinungen,, 
hat sich allmählich im Laufe der Zeiten der Mann aus dem Weib 
und das Weib aus dem Mann entwickelt, bestand früher Herma- 
phrodisie d. h. Zwitterschaft im engsten Sinne des Wortes, wie 
können wir denn diese Erscheinung der ürningliebe anders er- 
klären, als dass irgendwo im Mann oder im Weib Urreste aus der 
früheren Zeit zurückgeblieben sind, die in dem Urning oder in der 
Urninde sich wieder gezeigt haben. 

Meiner Ansicht nach macht man überhaupt einen viel zu 
grossen Unterschied zwischen Mann und Weib. Es gibt Männer, 
die, ohne Urninge zu sein, wie Weiber handeln und weibisch furcht- 
sam sind, und wiederum, es gibt Weiber, die, ohne Mannweiber zu 
sein, einen Muth und eine Entschlossenheit zeigen, die eines jeden 
echten Mannes würdig wären. 

Es gibt so kolossale graduelle Unterschiede in dem Charakter 
auch der Urninge, dass es mir wirklich eigenthümlich vorkommt^ 
wenn ein in diesen Sachen so erfahrener Mann wie de Joux die 
Urninge mehr oder weniger über einen Leisten schlägt. Und wie 



Selbstmord und Wahnsinn. H 

es ganz gewaltige Unterschiede in dem Charakter der Urninge gibt^ 
so auch im Geschlechtsleben. 

Es gibt Männer, die nie ein Weib berührt haben, die aucl^ 
niemals imstande wären mit einem Weib geschlechtlichen Umgang: 
zu pflegen; wiederum gibt es Urninge, die in ihrer Jugend viel 
mit Weibern verkehrt haben, aber niemals einen Genuss oder Be- 
friedigung empfanden, bis sie von einem Bekannten oder durch die- 
Lektüre über ihre Natur belehrt sich Personen ihres Geschlechts^ 
hingaben; ferner kenne ich Urninge, denen es nur perioden weise- 
ein Bedürfnis ist in Gesellschaft junger Männer zu leben, nachher 
aber wieder zum Weib zurückkehren. 

Wie es Urninge gibt, die den Beischlaf mit dem Weib mit 
Genuss vollziehen, sich aber durch einen schönen Jüngling oder 
Mann mehr angezogen fühlen, so gibt es solche, denen man aut 
zehn Schritt Entfernung in Bewegung, Gang und Stimme es an- 
merkt, dass sie lieber in Weiber- als Männerkleidern einhergingen,, 
und wieder kenne ich eine grosse Anzahl von Urningen, von denea 
keiner ihrer Umgebung es ahnt, dass sie der Göttin Urania opfern. 
Auch hierin hat meiner Ansicht nach Erafft-Ebing Unrecht, wenik 
er glaubt, dass nur diejenigen echte Urninge seien, die absolut 
nicht den Beischlaf mit Frauen oder nur mit Widerwillen vollführea 
können. Man muss eben hier nicht den Massstab anlegen, dea 
man sonst in der Eintheilung von Körper- oder Geisteskrankheiten 
anzulegen berechtigt ist Es sind hier eben Erscheinungen, di& 
uns erinnern an Altes, an Vergangenes, was vielleicht vor Millionea 
von Jahren ganz und wahr in einer Person sich gezeigt hat, hier 
tritt es wieder auf bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger. 

Deshalb den Urningen die Ehe verbieten, ihnen jegliches^ 
Familienglück nehmen, ein einsames, freudloses Alter ihnen bereitem 
wollen, halte ich für grausam. Es gibt Urninge, die nichts sehn- 
licher wünschen als ein Familienglück, die die zärtlichsten und 
liebevollsten Gatten sind, die durch den Verkehr mit der Frau^ 
welche sie achten und lieben, allmählich sich so beherrschen lernen,, 
dass sie vielleicht nur mehr ideal die Personen ihres Geschlechts, 
lieben, wie es ja auch sonst Männer zu thun pflegen. Die Mehr- 



12 Selbstmord und Wahnsinn. 

^ahl der ürniDge, das ist keine Frage, ist far die Ehe untauglich, 
sie sind nicht imstande ein Weib zu befriedigen. 

Wie naiv man noch in unseren Tagen in dieser Frage ist, 
zeigt folgender Fall. In einer der neuen Provinzen Freussens lebt 
•ein Pfarrer seit einigen Jahren verheirathet Derselbe hat nie 
«eine Frau berührt, weigert sich auch ihr den Beischlaf zu ge- 
währen. Die Frau will deshalb Scheidung beantragen, der Pfarrer 
«oll seines Amtes entsetzt werden. Der Herr, welcher Amtsbruder 
•des Betreffenden ist und mir die Sache erzählte, schloss die Be- 
rechtigung der Amtsentsetzung mit folgenden Worten : „der Mann 
muss sicher verrückt sein!^' Man sieht, welch eine Unwissenheit 
in diesen Dingen herrscht und wie diese Unwissenheit zur brutalen 
Hohheit wird, indem sie den Armen, von Natur als Urning ver- 
anlagten, einfach vernichtet. Ohne Zweifel hätte dieser Pfarrer 
niemals heirathen sollen; aber wie Viele gibt es nicht, die erst in 
-der Ehe es merken, wie sie veranlagt, die es nie glauben, dass es 
Urninge gibt, bis sie selbst mit Schrecken es einsehen, dass auch 
«ie zu diesen Unglücklichen gehören. 

Ist ein Urning verheirathet und kann er mit seiner Frau 
geschlechtlich verkehren und wird er von ihr verstanden, so sollte 
niemals eine Scheidung eingeleitet werden, denn später wird es 
•dem Urning schwer, ein anderes Weib wieder zu berühren. Bei 
liebevoller, nachsichtiger Behandlung kann aber ein geliebtes Weib 
selbst den Urning so weit bringen, dass er dem geschlechtlichen 
Terkehr mit Personen seines Geschlechts entsagt, ich sage jedoch 
liier, wenn auch unter Kämpfen. 

Man hat eben noch ganz sonderbare Begriffe von Urningen, 
als ob sie Wesen ganz eigener Art seien, als ob die Geschlechts- 
organe verkümmert oder überhaupt gar nicht existirten. Von all 
-dem kann nur in wenigen Fällen bei den Urningen die Bede sein. 
Es ist keine echte Hermaphrodisie d. h. Zwitterschaft, wie man sie 
nicht selten auch noch heute bei den sogenannten Zwittern findet, 
^sondern es ist bei dem Einen mehr, bei dem Anderen weniger 
hervortretend das Geistesbündnis des männlich-weiblichen Wesens, 
-durch das der Mann sich mehr zum Mann, das Weib sich mehr 
zum Weib hingezogen fühlt, eine Erscheinung, die sich, wie ich 



Selbstmord und Wahnsinn. 1$ 

schon oben gesagt, nur dann wissenschaftlich erklären lässt, wem» 
ich annehme, dass vor Millionen von Jahren Mann und Weib eins- 
gewesen. Und ist denn zwischen Mann und Weib ein solch grosser 
Unterschied? Haben wir nicht in der Natur um uns die mannig- 
fachsten Bilder? Pflanzen, die in einer Blüthe männlich und 
weiblich sind; andere, die an einem Stamm, aber nicht in einer 
Blüthe, männliche und weibliche Blüthen tragen, wiederum solche,, 
wo der eine Baum die männlichen, der andere die weiblichen 
Blüthen hervorbringt. Und in der Thierwelt, wie sieht es da aus ? 
Wir wissen, dass die niedersten Thiere, die Protozoen, alle herma- 
phroditisch veranlagt sind; noch die Weinbergschnecke zeigt in 
manchen Exemplaren den reinen Hermaphroditismus d. h. Zwitter- 
schaft. Und in der Entwicklung des menschlichen Organismus ist 
doch auch kein so grosser Unterschied, wie man ihn wohl gern macheik 
möchte. Erst zu Anfang des vierten Monats entscheidet es sich,, 
resp. können wir mit Sicherheit es nachweisen, ob der Embryo- 
männlichen oder weiblichen Geschlechts ist Von der sogenannte]» 
Hexenmilch bei Knaben und Mädchen können uns viele Mütter 
erzählen. In der Pubertätszeit, d. h. vom 13. bis 15. Jahre an^ 
zeigt sich bei vielen Knaben in den Brüsten Milch. Ich selbst 
habe einen starken Mann gesehen, dem man Milch aus der Brust 
drücken konnte. Und die Geschlechtsorgane, durch deren Vor- 
handensein wir ja erst einen Unterschied zwischen Mann und Weib- 
machen, haben nicht die Männer die Geschlechtsorgane des Weibes- 
und die Weiber die der Männer in verkümmerter Gestalt? Aus^ 
den beiden WoUfschen und Müller'schen Gängen entwickeln sich 
die Geschlechtsorgane, aus dem WoUfschen die des Mannes, au» 
dem MüUer^schen Gang die des Weibes. Entspricht nicht die 
Glitoris, der sogenannte Kitzel, in seinem Bau ganz dem Penis, dem 
Glied des Mannes? Die Gebärmutter, sie findet sich auch beinv 
Mann in verkümmerter Gestalt Und gerade der echte Herma- 
phroditismus, das echte Zwitterthum beweist auf das deutlichste^ 
dass Mann und Weib früher einmal in einer Person verbunden 
waren. Die Literatur kennt solche echte Zwitter, die keineswegs^ 
sagenhaft sind. Können wir uns dann wundem, wenn sogar ge- 
schlechtlich die Unterschiede verwischt werden, dass das Urning- 



14 Selbstmord and WabnsinD. 

tham in der That etwas Angebornes ist, dass solche Urreste Tom 
llännlich-Weiblichen und Weiblich-Männlichen in einem Individuum 
Torhanden sind, bei dem Einen mehr, bei dem Anderen weniger? 

Und wenn dem so ist, hat dann noch, so frage ich, der Gesetz- 
geber ein Becht, Jemanden zu bestrafen, der seiner Natur gemftss 
lebt? Heisst das nicht eingreifen in die persönlichen Rechte und 
Freiheiten eines Individuums? 

Möchten doch Alle, die über den Urning den Stab brechen, 
an ihre eigene Jugend zurückdenken, was sie da gethan ! Möchten 
aber vor Allem alle Väter es bedenken, dass auch unter ihren 
Söhnen und Töchtern Urninge geboren werden können! Möchten 
alle Richter, die einen Urning verurtheilen, ihr eigenes Eind vor 
Augen haben, das vielleicht schon diesen Keim in sich tragend 
4ie Hand einst aufheben wird gegen den Vater, der es selbst durch 
43ein früher gesprochenes Urtheil verdammt hat. 

Für eine heilige Pflicht eines Jeden, besonders aber der Richter 
«md Ärzte halte ich es, dass sie sich mit der Frage der sogenannten 
griechischen Liebe vertraut machen, damit sie ein klares Urtheil 
gewinnen und eintreten für eine Sache, derenwegen Tausende und 
Abertausende schuldig gesprochen wurden ohne ihre Schuld. 

Erafift-Ebing meint, dass die Urninge hauptsächlich abstammten 
Ton nervös belasteten Eltern. Ich will keineswegs bestreiten, dass 
in manchen Fällen das zutrifft, dass vielleicht oft die Urninge 
«elbst später hochgradig nervös oder geisteskrank geworden sind. 
Aber bedenken wir wohl, dass es auch unter Nichtumingen viele 
Geisteskranke gibt, die weder sich inficirt haben, noch deren Eltern 
belastet waren. 

Jeder Psychiater wird mir zugeben, dass durch die fort- 
währende Angst und Sorge entdeckt oder bestraft zu werden, durch 
<lie aufreibenden inneren Seelenkämpfe der Urninge mit sich und 
ihrer Natur, einmal ihrer Natur zu folgen und dann wieder ohn- 
mächtig gegen sie anzukämpfen, weil sie den Trieb für etwas 
Schimpfliches halten nach den Gesetzen des Staates und der 
Kirche, dass durch diese ewigen Eämpfe und Sorgen auch der 
Stärkste unterliegen, dass mancher Urning später deshalb geistes- 
krank werden muss. 



Selbstmord und Wahnsinn. 15 

Wir haben allerdings viele Nervöse in unserer Zeit und mit 
der Nervosität mag vielfach das Zunehmen der Zahl der Urninge 
zusammenhängen, aber sehr viele Urninge werden gerade durch 
diese Kämpfe und Sorgen nervös und trübsinnig, so dass sie sich 
nichts lieber wünschen als den Tod. 

Ich kenne viele Urninge, die aus gesunden, kräftigen Familien 
stammen, die selbst blühend und gesund aussehen, Mder von 
Kraft und Männlichkeit darstellen, deren Geschvdster, soweit ich 
mich erkundigt, alle gesund und geschlechtlich normal sind, wie 
kann man da sagen, diese Urninge stammen alle aus belasteten Fa- 
milien ab! Schliesslich sind dann alle Familien belastet; wir haben, 
wenn wir soweit gehen wollen, überhaupt keine gesunde Familie, ent- 
weder ist sie dann nervös, syphilitisch oder tuberkulös belastet. 

In Betreff der Entstehung des Urnings hat die Erklärung ja 
Manches für sich, dass die Mutter sich eine Tochter gewünscht 
und dann einen Sohn geboren habe, dem sie gewissermassen eine 
weibliche Seele suggerirt habe, oder auch, dass der eine der Ehe- 
gatten im höheren Alter nicht mehr so kräftig gewesen sei, einen 
ganzen Sohn zu zeugen. Ob das Alles Einfluss hat, wissen wir 
nicht. Sonderbar allerdings ist ja die Erscheinung, dass gerade 
unter den Urningen so Viele gefunden werden, die in der Familie 
die jüngsten Kinder waren. Doch habe ich mich nach diesen ein- 
gehend erkundigt und gefunden, dass sowohl die ältesten als auch 
die mittleren und jüngeren Söhne der Familie vertreten waren, 
allerdings am Meisten die jüngsten Söhne. 

Wenn man für diese Sache mehr Verständnis hätte, besonders 
in den Kreisen der Ärzte, so würde man wunderbare Entdeckungen 
an den Kindern machen können, ja die Ärzte würden darin Bat- 
geber, Helfer und Better werden können für manche Familie. 

Es gibt unter den Urningen sehr viele, ich möchte sagen 
die Meisten, die sich schon von frühester Jugend an praedestinirt 
zeigten für das Umingthum. Ein aufmerksamer Beobachter wird 
es diesen Kindern ansehen können, dass sie sozusagen eigengeartet 
sind. Ich habe einmal eine Dame darauf aufmerksam gemacht, 
wie unter einer Schar von Kindern einige sich dadurch aus- 
zeichneten, dass diese Jungen so ganz anders waren. Ich möchte 



16 Selbstmord und Wahnsinn. 

manchem Kind, wenn ich ihm in die Augen sehe, sagen: ,yDQ 
wirst dich später als Urning herausstellen!*' 

Will man, dass dieser Trieb, wenn möglich, lange unterdrückt 
wird, so überwache man diese Kinder, bade sie Abends und Morgens 
kalt, lasse sie auf harter Matratze schlafen, keine geistigen oder 
aufregenden Getränke trinken noch scharfe Speisen essen, halte 
Alles von den kindlichen Augen ab, was sie aufregen kann ! Milch, 
Brod, Gemüse, wenig Fleisch sollen sie essen, als Getränk diene 
Wasser, Limonade, Cacao! Später sorge man dafür, dass diese 
Knaben und Jünglinge nicht zuviel im Hause oder über den 
Büchern sitzen ; halte sie an zu jugendlichen Spielen, Turnübungen, 
grossen Märschen; lasse sie Abends früh sich schlafen legen und 
des Morgens früh aufstehen ; suche, wenn eben möglich, sie so lange 
im elterlichen Hause zu behalten, als es geht! Das sind Rath- 
schläge, die man befolgen kann, mit denen man etwas erreicht, 
wenigstens soviel, dass die Jugend unschuldig und rein und ohne 
Selbstanklage verlebt wird. Werden solche Knaben erwachsene 
Jünglinge und Männer, so wird von selbst das traurige Bild sich 
ihnen enthüllen, um so trauriger, je länger das Gesetz sie, die 
Unschuldigen, mit Strafe bedroht^ 

• Man sagt ferner, das Gesetz dürfe nicht aufgehoben werden, 
weil sonst die kleinen unschuldigen Knaben verführt würden. Ge- 
wiss müssen die Knaben geschützt werden, dafür wird wohl jeder 
Urning eintreten. Ich glaube wohl dahin mein Urtheil als ein 
richtiges abgeben zu können, dass unter den Urningen keine oder 
nur sehr wenige sind, die Knaben nachstellen. Es gibt ja auch 
Männer, die Knaben verführen, die von dieser traurigen Leiden- 
schaft ergriffen sind, aber für sie mag und muss dasselbe Gesetz 
herrschen, was für die Männer gilt, welche an kleinen Mädchen 
solche Verbrechen begehen. 

Es ist eine grundfalsche Auffassung, wenn man glaubt, der 
Urning liebe sinnlich die Knaben; er hat sie gern, weil er in der 
Segel ein weiches, empfängliches Gemüth hat und das Kind sich 
zu ihm hingezogen fohlt, aber von einer sinnlichen Liebe ist bei 
einem Urning einem Knaben gegenüber wohl nie oder sehr selten 
die Bede. Darin sehe ich ein Zeichen wieder dafür, dass die 



Selbstmord und Wahnsinn. 17 

TJmingliebe im Allgemeinen keine Krankheit darstellt, sie mag 
meinetwegen etwas anormales sein, aber eine Krankheit ist sie 
nicht, denn der Urning empfindet in der Regel nur für den Jüng- 
ling der Geschlechtsreife oder far den erwachsenen Mann das, was 
man geschlechtliche, sinnliche Liebe nennt. 

Wäre es eine Krankheit, dann müsste man die Urninge für 
geisteskrank erklären, wie es ja manche Psychiater ans der früheren 
Zeit gethan haben nnd noch einige es heute thnn, die diese un- 
glücklichen Opfer einfach für verrückt erklärten und sie oft ihr 
ganzes Leben lang in ein Irrenhaus gesperrt haben. Fürwahr eine 
einfache, aber eine scheussliche und eines wahren ödlen Arztes 
unwürdige Praxis! 

Ein weiterer Grund, den Gesetzesparagraphen zu ändern, wird 
darin gesehen, dass man sagt: „Die Umingliebe könne so zunehmen, 
dass die Bevölkerungszahl zurückginge!" Ich habe schon oben 
gesagt, dass Niemand ein Urning wird, der nicht so geboren wird. 
Es mag ja vorkommen, dass ein Mann als Nichturning seinen 
Freund, der Urning ist, so sehr liebgewinnt, dass er diesem zu 
Liebe nicht heirathet, um stets mit ihm zusammen zu sein, das 
sind jedoch sehr seltene Fälle. Wenn auch, wie Krafift-Ebing 
meint, einige verfahrt werden und es ihnen angelernt werden könne, 
so muss ich dem erwidern, dass das fast immer männliche Pro- 
stituirte sind, die ihren Leib feil bieten, die aber später in der 
Kegel zum weiblichen Geschlecht zurückkehren. 

Was aber den Punkt betrifft, als ob durch die Urninge die 
Umingliebe zunehmen könne, so muss ich darauf hinweisen, dass 
dieselbe seit ewigen Zeiten und bei allen Völkern existirt hat. Dass 
die Zahl der Urninge zunimmt, ist klar, denn die Bevölkerungs- 
ziffer hat sich ja seit Anfang dieses Jahrhunderts in Europa um 
mehr denn verdoppelt. Es mag auch sein, dass die grosse Nervo- 
sität, an welcher unsere Zeit leidet und welche um so mehr zu- 
nehmen wird, als der Kampf um das Dasein zunimmt, manchen 
in das Lager der Urninge hinüberführt, aber im Allgemeinen kann 
und darf man behaupten: „Wer nicht als Urning geboren wird, 
wird nie Urning!" 

Man sollte daher im Gegen theil sich freuen, dass die Urninge 



Ig Selbstmord und Wahnsinn. 

nicht heirathen, da ja nach Ansicht mancher Gelehrten diese Art 
nnd Weise der Urningliebe sich vererbt, obschon das keineswegs 
bewiesen ist. Ich kenne zwar einen Vater, der Urning ist, dessen 
drei Söhne ebenfalls Urninge sind, aber es gibt anch Fälle, wo die 
Söhne absolut keine Urninge waren, obschon der Vater Urning war, 
nnd wiederum, es gibt ja fast in jeder grösseren Familie einen 
Urning nnd doch sind der Vater nnd die Geschwister ganz normal. 
Es ist gerade, als ob die Natur hier in fftrsorglicher Weise dafür 
gesorgt h&tte, dass keine Uebervölkemng eintrete. Ein wunder- 
bares Spiel der Natur! Sie, die grosse AUmutter weiss am besten, 
wie sie es einzurichten hat. Man furchtet ja in der Regel für 
Deutschland eine Uebervölkemng und Millionen von unseren Lands- 
leuten müssen auswandern; sollte die Natur ohne Absicht hier so 
handeln, dass sie Menschen hervorbringt, die im Allgemeinen nicht 
dazu geeignet sind, Kinder zu erzeugen. Hiermit ist aber nicht 
behauptet, als ob der Urning steril d. h. unfruchtbar ist. Es gibt 
viele Ehen von Urningen, die mit Kindern gesegnet sind; ver- 
schiedene jedoch kenne ich, die kinderlos geblieben sind. Indessen 
wir haben auch unter Nichtumingen zahlreiche kinderlose Ehen 
wo man nicht immer die Schuld bei der Frau suchen darf. 

Wir sehen, dass also Sterilität, d. h. Unfruchtbarkeit, sowohl 
bei Urningen als auch bei Nichtumingen gefunden wird, bei ersteren 
vielfach häufiger deshalb, weil es diesen oft unmöglich ist, den 
Beischlaf mit einer Person des anderen Geschlechts zu vollziehen. 
Orabowsky, der in seiner vor einigen Monaten erschienenen Schrift 
die Urningliebe behandelt und im Allgemeinen sehr richtig das 
natürliche Wesen derselben beleuchtet, fordert die Urninge auf, 
überhaupt Entsagung zu üben und so zu einer voUkomnmeren, 
höheren Stufe aufzusteigen. Er, der Schopenhauer ganz und gar 
in's Praktische übersetzen möchte dadurch, dass er die Menschen 
durch völlige Entsagung aussterben lässt, er hält die Urninge für 
besondere, ich möchte fast sagen, höhere Wesen und wünscht sie 
für seine Lehre zu gewinnen. Es ist das ja allerdings ein idealer 
Standpunkt, den Grabowsky vertritt, aber solange die Welt zu- 
sammengehalten wird durch Hunger und durch Liebe, wird sein 
Evangelium wohl nur eine kleine Schar von mönchisch und fanatisch 



Selbstmord und Wahnsinn. 19 

eingebildeten Leuten gewinnen. Sein Appell an die Urninge wird 
keinen Widerhall finden, denn gerade diese sind so leidenschaftlich 
in der geschlechtlichen sinnlichen Liebe, der Trieb zur Ausübung 
ist ein so sehr ausgeprägter, dass ein Urning in Behinderung dieses 
Triebes in der Regel schwere Schäden für seinen Organismus 
davonträgt. 

Wie man überhaupt von einer Entvölkerung durch die Urninge 
reden kann, ist mir nicht klar, da die Zahl derselben doch relativ 
eine geringe ist. Einige geben an, dass von hundert erwachsenen 
Personen, ich nehme hier als Alter der Erwachsenen das acht- 
zehnte Lebensjahr an, ein, andere zwei Prozent dem Umingthum 
angehören« In den grossen Städten mag der Prozentsatz ein 
grösserer «ein und ist es auch, da die Urninge sehr viel nach den 
grossen Städten zu ziehen bemüht sind, weil sie dort nicht so der 
Gefahr der Entdeckung ausgesetzt sind und mehr unter sich ver- 
kehren können. Im Allgemeinen jedoch darf man sagen, dass 
höchstens zwei bis zweiundeinhalb Prozent der Urningliebe ergeben 
sind. Auch hier gibt es Unterschiede. So hörte ich von einem 
jungen Kaufmann, der in Bayern gelebt und einige Zeit sich in 
einem kleinen Ort von fünfhundert; Seelen aufgehalten hat, dass 
er dort nicht weniger denn sechs Urninge gefunden habe. 

Als vor zwanzig Jahren das neue Strafgesetzbuch verfassk 
wurde und man den jetzigen Paragraphen 175, der aus dem preussi- 
sehen in's deutsche Strafgesetzbuch aufgenommen wurde, fallen 
lassen wollte, da erinnerte der damalige Justizminister besonders 
daran, dass diese Urningliebe hauptsächlich ein Zeichen sei des 
Verfalls der Völker. Wunderbar, dass das Königreich Bayern und 
das frühere Königreich Hannover nicht die furchtbaren Zeichen des 
Verfalls an sich trugen, denn dort war die Urningliebe nur inso- 
weit verboten wie auch der geschlechtliche Verkehr mit. Personen 
des anderen Geschlechts. Und weiter verlangen ja die Urninge 
nichts für ihre Natur, nichts anderes als das, was den anderen 
Menschen auch erlaubt ist zu thun, die mit einem Weibe ver- 
kehren. Dieselbe Strafe, welche jedes öffentliche Ärgernis, das 
durch den Geschlechtsverkehr mit Weibern gegeben, welche jede 
Handlung, die ein öffentliches Ärgernis erregen könnte, durch das 

2* 



20 Selbstmord nnd Wahnsinn. 

Gesetz trifft;, dieselbe Strafe soll auch an den Urningen vollzogen 
werden in ihrem geschlechtlichen Verkehr. Jede Yerfilhnmg von 
Knaben bis zum vollendeten sechzehnten oder achtzehnten Jahr soll 
auch an den Urningen geahndet werden. Jegliche unzüchtige Hand- 
lung von Geistlichen, Ärzten, Lehrern und Beamten an den diesen 
zur Erziehung, Pflege oder Aufsicht Übergebenen soll, ob von Nicht- 
umingen oder Urningen begangen, die Strafe des Gesetzes treffen. 

Aber eingreifen in das Leben, in die persönliche Freiheit und 
Rechte von Erwachsenen, die ganz gut wissen, was sie thun, 
welche die Natur geschaffen mit anderen Trieben, die man ver- 
gebens zwingen wird, ihrer Natur nicht zu gehorchen, diese Urninge 
an den Brandpfahl stellen, obwohl sie unschuldig, ihnen den 
Stempel des Verbrechers auf die Stirn drücken, weil die Natur sie 
als Urninge geschaffen, heisst das nicht einen Justizmord buchen, 
heisst das nicht den Unschuldigen, Unglücklichen preisgeben der 
Verachtung der Menge? 

Wenn die Gerechtigkeit eine Zierde, der höchste Schmuck 
eines Volkes ist, so mögen sich die berufenen Vertreter und Pfleger 
der Gerechtigkeit daran erinnern, dass Jahrhunderte vergangen 
sind, bevor denen Gerechtigkeit widerfahren ist, die von der Natur 
so stiefmütterlich behandelt sind. Noch Jahrzehnte werden ver- 
gehen, auch wenn der § 175 l&ngst aufgehoben ist, bis das Urtheil 
der Menge über diese Sache aufgeklärt ein gerechtes und mildes 
sein wird. Aber wie es den Pionieren der Naturwissenschaft und 
Medizin vorbehalten war, auch auf diesem Gebiete Klärung und 
Aufklärung zu schaffen, wie es heute keinem mehr einfallen wird, 
einen Backligen oder Lahmen zu verlachen, wie Niemand in 
Deutschland mehr daran denken wird, einen Ketzer oder eine Hexe 
zu verbrennen, so wird auch den Männern unsterbliches Verdienst 
gebühren, die ohne Furcht und oft mit Daransetzung ihres eigenen 
Ich, wie jener Assessor Ullrich, dafür gearbeitet haben, dass auch 
den Urningen ihr natürliches Recht wird, in ihren vier Wänden 
so zu leben, wie es die Natur ihnen gebietet. 

Woher kommt denn eigentlich diese Meinung, als ob durch 
die Umingliebe der Verfall der Sitten, der Untergang eines Volkes 
bedingt sei? Es ist dem starren jüdischen Geist zu verdanken. 



Selbstmord und Wahnsinn. 21 

den der grösste Staatsmann der Juden, ein Moses seinem Volke 
«ingeflOsst hat. Ohne Zweifel war die mannm&nnliche Liebe wie 
im ganzen Orient noch heute, so auch bei den Hebräern 
sehr verbreitet. „Wer bei einem Knaben schläft, der soll des 
Todes sterben,'^ so lautete das furchtbare Gesetz, welches dieser 
«chlaue und sein Volk wohl erkennende Mann erlassen. Ihm war 
<es vor Allem darum zu thun, dass das Volk zahlreiche Nach- 
kommenschaft habe, dass es sich vermehre wie der Sand am Meere. 
In Israel galt es ja fQr eine Schmach, wenn eine Ehe kinderlos 
blieb. Solch ein armes Weib war die Verachtete in der Gemeinde. 
Diese starren, unnatürlichen Grundsätze wurden nach und nach 
immer mehr gemildert. Grossartig hätte das Beispiel des grossen 
l^azareners, des Erlösers auf seine Jünger wirken müssen, wenn 
sie nicht selbst theilweise noch im starren Judenthum erzogen 
wären. Als die Ehebrecherin vor Christus geführt wurde und die 
Pharisäer schon triumphirten, wies er sie bekanntlich zurück mit 
den herrlichen Worten: „Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten 
Stein auf sie!^' Jesus kannte wie kein zweiter die menschliche 
Natur und wie tief er sie verstanden, zeigt uns die Bergpredigt, 
allen Menschen einen Spiegel vorhaltend, in dem sie sich erkennen 
Ifönnen. Aber der starre, fanatische Paulus, der ehemals orthodoxe 
Jude, er verdammt wieder im Korintherbrief, er hat keine Worte 
der Liebe wie sein grosser Meister. Paulus ist es auch, der im 
EOmerbrief von den Heiden spricht, die Mann mit Mann Schande 
getrieben. Das sind jene Stellen, die unsägliches Leid, unsägliches 
Elend über arme Menschen gebracht, die theilweise als gefallene Mäd- 
chen für immer ausgestossen oder wie die Urninge als Verbrecher heid- 
nischer Unzucht gefeiert wurden. Ob es dem Geiste der christlichen 
Liebe und Gerechtigkeit entspricht, will ich dahingestellt sein lassen. 
Unendlich Vieles, unendlich viele Gräuel sind verübt, lodernde 
Scheiterhaufen mit Ketzern, und Ungläubigen sind errichtet, zahl- 
lose Hexen sind verbrannt, viele Religionskriege geführt. Alles im 
l^amen dessen, der noch sterbend seinen Mördern verziehen hat. 
Heute ist man weitergekommen in der Erkenntnis des wahren 
und natürlichen Lebens, heute wäre es nicht mehr möglich, dass, 
wie es in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts noch in der 



22 Selbstmord und Wahnsinn. 

Schweiz geschah, ein Urning hingerichtet wurde. Damals schrieb 
der Schweizer Hössli sein berühmtes zweibändiges Werk über denr 
Eros oder die Männerliebe der Griechen und bewies, ein wie furcht- 
barer Justizmord an diesem Unglücklichen durch ein christliches 
Gericht vollzogen wurde. 

Griechenland ist nicht untergegangen durch seine Männerliebe^ 
denn zur Zeit seiner grössten Blüthe wie schon lange vorher war 
es Sitte, dass ein freier Grieche sich einem schönen Jüngling ver- 
band, mit dem er zusammen lebte und den er einführte in die^ 
Geschichte, Gesetze und Sitten seines Volkes. Wie Jemand Plato» 
Gastmahl anders auffassen kann als ein Gespräch, in dem haupt- 
sächlich die mannmännliche Liebe gepriesen wird, ist mir unklar. 
Und wenn auch in diesem Gespräch Sokrates nicht direkt des ge- 
schlechtlichen Verkehrs mit Alkibiades geziehen werden kann, so- 
geht doch soviel aus der ganzen Unterhaltung hervor, dass Sokrates 
selbst dieser Liebe ergeben war. 

Das Volk der Juden ist untergegangen mit seinen starre» 
Gesetzen wie auch Griechenland ohne diese Gesetze. Unser deutsches 
Volk, das bis auf unsere Tage diese Unglücklichen durch seine 
Gesetze verdammt, es hat oft Zeiten gehabt, wo man von einem 
Verfall und Niedergang des deutschen Volkes sprechen durfte. 
Die Völker des Orients, unter denen diese Sitte weit verbreitet ist> 
sie haben ihre Blüthezeit und ihren Untergang erlebt, doch niemals 
hat man daran gedacht, dass die mannmännliche Liebe die Schuld 
daran trage. Nein im Gegentheil, die grössten Namen der Geschichte 
verkünden es uns, dass Jemand ein Urning sein kann und doch 
ein edler, ein hervorragender Mensch. Wollten wir heute Rund- 
schau halten, wir würden viele Namen nennen können auf allen 
Gebieten des öflFentlichen Lebens, Männer der Kunst, sowie Gelehrte 
der Wissenschaft, hohe Diener des Staates als auch tapfere Soldaten^ 
sie alle sind bestrebt, dem Volk zu dienen nach besten Kräften- 
Viele sind die Gefeierten unseres deutschen Namens, sollten sie 
deshalb ehrlos sein, die ihr ganzes Leben dem Dienste der Mensch* 
heit weihen, weil sie von Natur als Urninge geboren? In allen 
Gesellschaftsklassen, in den höchsten wie in den niedrigsten gibt 
es Urninge. Man wirft den Urningen vor, dass sie Heuchler^ 



Selbstmord und Wahnsinn. 23 

Komödianten seien. Zwingt man sie nicht dazu durch unsere heutige 
Oesetzgebung? Sorgt man nicht dafür, dass diese Unglücklichen, von 
<ier Natur so Erzeugten vielfach trübsinnig und wahnsinnig werden ? 
Drückt man nicht diesen Armen in Folge unserer Gesetzgebung oft 
den Revolver in die Hand, „da, jetzt erschiess dich, denn du bist ein 
Urning !" So macht es die Armee, denn was bleibt so einem Aus- 
gestossenen? So macht es die Familie, die herrlich ehrbare, auf 
ihren Namen so stolze, die zum Mörder wird an ihrem eigenen Blut. 
Man legt in unseren Tagen dem Urning noch Fessel und Ketten 
an, denn er darf und kann nicht so schafifen in seinem Beruf, wie 
€r es wohl thun würde, wenn er frei seinem Triebe folgen dürfte, denn 
immer drückt ihn das Bewusstsein nieder: „Du bist ein Urning!" 
Viele unter den Urningen sind hochbegabt, sind bestrebt ihrem 
Yolk zu dienen mit ihren Kräften, aber der Staat beraubt sich 
selbst oft der besten seiner Söhne. 

Gleiches Recht für Alle, das ist die Losung unserer Tage, 
aber auch hier gleiches Recht, wo die Natur die Menschen so ge- 
schaffen, dass sie sich unähnlich würden wenigstens der Mehrzahl 
nach, wenn sie anders geschlechtlich verkehrten. Dass wir auch 
in Deutschland hierin andere Gesetze erhalten werden, dass eine 
natürliche, milde und den Urningen gerechte Auffassung sich Bahn 
brechen wird, dass der Paragraph 175 in der bisherigen Fassung 
nicht bleiben wird, das ist mir klar. 

An den Männern der Wissenschaft liegt es für die Urninge 
einzutreten; unserer Juristen heiligste Pflicht ist es, sich Kunde 
über die Natur des Urnings zu verschaffen, damit sie imstande 
sind die Sache zu verstehen und ihn nicht wie jetzt vielfach noch 
verspotten und verdammen. Haben die Vertreter des Volkes im 
Parlament über die Umingliebe sich unterrichtet» sind die Urninge 
selbst in Deutschland nicht mehr solche feige Naturen, sondern 
treten sie mannhaft für ihre Sache ein, dann wird auch in Deutsch- 
land der Tag nicht mehr fern sein, wo auch dem Urning, der alle 
Pflichten eines Staatsbürgers zu erfüllen hat, sein heiligstes Recht 
wird, nämlich das Recht so zu leben, wie ihn die Natur geschaffen! 



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