Zoom ne tn er a~o
a mmi nn men warn —
au —n no un.
STRAHLENTHERAPIE.
Mitteilungen
aus dem Gebiete der Behandlung mit
Röntgenstrahlen, Licht und radioaktiven Substanzen.
Zugleich
Zentralorgan
. für die
gesamte Lupusbehandlung und Lupusbekämpfung.
In Gemeinschaft mit
Dozent Dr. Falta, Primarius Dr. Jungmann, Dr. S. Löwenthal, Oberarzt Dr. Axel Reyn, Dr. H. E. Schmidt,
Wien Wien Braunschweig Kopenhagen Berlin
herausgegeben von
Professor Dr. C. J. Gauss, Priv.-Doz. Dr. Hans Meyer,
Freiburg i. Br, Kiel.
Professor Dr. R. Werner,
in Heidelberg.
Band |.
Urban & Schwarzenberg,
Berlin N. 24 Wien 1
Friedrichstr. 105 B. Maximilianstr. 4,
1912, - s E :
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Zur Einführung 1
Aus der chir rgischen Universitäts- Klinik, Heidelberg:
Priv.-Doz. Dr. Baisch-Heidelberg, Röntgenbehandlung tuberkulöser Lymphome 286
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Bardenheuer-Köln, Die Sonnenbehandlung der
peripheren Tuberculosis, besonders der Gelenke. (Mit 15 Abbildungen) . 211
Aus dem Institut für Strahlenbehandlung der Königl. Dermatolog. Klinik zu Kiel:
Prof. Dr. Fr. Bering u. Priv.-Doz. Dr. Hans Meyer, Methoden zur Messung
der Wirksamkeit violetter und ultravioletter Strahlenquellen (1. Mitteilung) 189
Aus dem Institut für Strahlenbehandlung der Königl. Dermatolog. Klinik zu Kiel:
Prof. Dr. Fr.Bering-Kiel, Experimentelle Studien überdieWirkung desLichtes 411
Aus der I. medizin. Universitäts-Klinik in Wien:
Sigmund Bernstein-Wien, Über den Einfluß der Radiumemanation
auf den respiratorischen Gaswechsel . . . it AZ
Aus der I. medizin. Universitäis: Klinik Wiene
O. Brill, A. Kriser und L. Zehner-Wien, Über die Panne des
Thorium-X im Organismus und die Ausscheidung desselben. . . 348
Aus der Kgl. Universitäts-Augenklinik zu Kiel:
Dr. Arnold Burk-Kiel, Die PREDEA der a durch
Röntgenstrahlen . . 168
Dr. Fritz Callomon- Bares: Zur Rontgeibeiendlans der Epitheliome 296
Priv.-Doz. Dr. med. et phil. Th. Christen-Bern, Über die physikalischen und
physiologischen Grundlagen der Tiefentherapie.e (Mit 2 Abbildungen) 5]
Dr. med. u. phil. Th. Christen- Bern, Der absolute Härtemesser. (Mit5 Abbild.) 325
Exz. Prof. Dr. V. Czerny- Pen, Die OaE der P AOE
für die Chirurgie . . 4
Ingenieur Friedrich TE E a. M., Die E und
technischen Grundlagen der Tiefenbestrahlung. (Mit 9 Abbildungen) . 310
Aus der Universitäts-Frauenklinik in Heidelberg:
Dr. H. E y mer- Heidelberg, Beeinflussung von BIO BSRIEN GEN Ovarial-
tumoren durch Röntgenstrahlen . . . .. I De en Bee o e 99B
DDr. Felten-Stoltzenberg, Die WET der Insolation an der See auf
tuberkulöse Entzündungen . . . . i p aeo d mokao a y A
Aus der Freiburger Universitäts-Frauenklinik:
Priv.-Dozent Dr. C. J. Gauss, Weitere Fortschritte auf dem Gebiete der gynä-
kologischen Radiotherapie Elo a de e ar ee 132
Dr. D. Henning-Berlin, Die Anwendung der Wommelsdorfschen Konden-
satormaschine. (Mit 1 Abbildung) . . 2.2... ee ee ie DO
Aus der Kgl. Universitäts-Frauenklinik zu Halle:
Privatdozent Dr. Th. Heynemann-Halle Zur Methodik der en
bestrahlung in der Gynäkologie . . . 362
Aus der Univer ea zu Kiel:
Prof. O. Hoehne und Dr.G@. Linzenmeier, Untersuchungen über d. Lage der
Ovarien and. Lebenden m. Rücksichtaufd. Röntgenbestrahlung. (Mit5Abb.) 141
Aus der Wiener Heilstätte für Lupuskranke:
Primarius Dr. Alfred Jungmann-Wien, Prognose und Therapie der Haut-
tuberkulose. (Mit 44 Abbildungen) . . . . . Be ur ee
Aus der Wiener Heilstätte für Be anke:
Primararzt Dr. Alfred J en -Wi = Die a
und ihre Ziele . . . . Es en re 277
Aus dem Radiologischen Institut der Allgemeinen Poliklinik in Wien:
Privatdozent Dr. Robert Kienböck-Wien, Uber das Qunantimeter . . . 68
Prof. Dr. Victor Rau -Kiel, ar der a für
die Dermatologie
1232
Aus der Universitäts-Frauenklinik, Freiburg i. B.:
Dr. B. Krinski-Freiburg i. Br., Ein klinischer SE zur ol der
gynäkologischen Röntgenbehandlung .
Geh. Hofrat Prof. Dr. STONIE: Die Röntgentherapie in ihrer t Bedentang : für
die Gynäkologie
Dr. A. Köhler-Wiesbaden, E E mit Metalin etzschutz
Hofrat Prof. Dr.Eduard Lang-Wien, Physikal. Energien im Dienste d. Therapie
Dr. S. Loewenthal- nn Über die Indikationen der SEE DRD
bei inneren Krankheiten
W. Ma y er- Basel, Röntesrröhren mit Kuikanlane
Priv.-Doz. Dr. Hans Meyer-Kiel, Die biolog. Grundlagen d. Rönkgenkherapiel I
Aus dem Institut für Strahlenbehandlung der Königl. Dermatolog. Klinik zu Kiel:
Priv.-Doz. Dr. Hans Meyer und Dr. Hans Ritter, nen ya
suchungen zur biologischen Strahlenwirkung
Aus dem Institut für Strahlenbehandlung der Königl. Dermatolog. Klinik Kiel:
Priv.-Doz. Dr. Hans Meyer u. Dr. Hans Ritter, Ex
Feststellung eines biologischen Normalmaßes für d.
rimentelle Studien zur
öntgenstrahlenwirkung
Privatdozent Dr. Hans Meyer-Kiel, Die en der OBEN neIADE
in der Gynäkologie
Aus der hiruro achen Abily de Büryerhospitals Cöln:
Dr. Artur Meyer-Köln, Über d. Behandlung d. Ulcus crurism. rotem Glühlicht
Aus der k. k. I. medizin. Universitäts- Klinik Wie
Dr. Johann Nowaczynski-Krakau, Über den Einfluß den Thorium-X
auf die Harnsäureausscheidung bei Leukämie
Aus dem Institut für Strahlenbehandlung der Königl. Dania Klinik zu Kiel:
Dr. Hans Ritter-Kiel, Klinische EOS SAINNBER. über die BDEDDDE der
Ovarien durch Röntgenstrahlen i
Aus dem Institut für Strahlenbehandlung der Königl. Der ala Klinik zu Kiel:
G. Schatz, Über die Anwendung von Strahleniiltern in der Tiefentherapie.
Aus der k. k. I. medizinischen Universitätsklinik Wien:
Dr. Gottwald Schwarz-Wien, Die Kalomelreaktion der nn
und ihre Anwendung zur Dosimetrie. i
Aus der Universitäts- Frauenklinik, Freiburg i. B.:
Dr. P.W.Siegel-Freiburg i. B., Dauererfolge iind. kauko eiken Radiotherapie
(Mit 5 Abbildungen)
Prof, Dr. Stargardt-Kiel, Die Röntgentherapie in der Augenheilkunde
Aus „Finsens medicinske Lysinstitut“ (Klinik der Hautkrankheiten), Kopenhagen:
Ove Strandberg-Kopenhagen, Pfannenstills Methode, die en
(Mit 6 Abbildungen) Ees
Dr. Thedering-Oldenburg, Über die EL NE ee besonders
Technik und Resultate derselben.
tuberkulöser Hautgeschwüre .
156, £
Dr. Thedering-Oldenburg, Über die TE der Acne MR: is
Prof. Dr. Oskar Vulpius-Heidelberg, Die Einrichtungen d.SanatoriumsSolbad
Rappenauf. Knochen-, Gelenk- u. Drüsenleiden (chir Bere Tuberkulose)
Aus dem Samariterhause zu Heidelberg
Priv.-Doz. Dr. R. Werner, Die Rolle der Strahlentherapie Dei der Paama
der malignen Tumoren. (Mit 13 Abbildungen) .
Aus dem Institute für Krebsforschung, Heidelberg:
Prof. Dr. R. Werner, Über die chemische Imitation der Strahlenwirkung u. ihre
Verwertbarkeit z. Unterstützung d. Radiotherapie (I. Ältere Experimente)
Prof. Dr. R. Werner u. Dr. L. Ascher- Heidelberg, Uber die chemische Imi-
tation der Strahlenwirkung und ihre Verwertbarkeit zur Unterstützung
der Radiotherapie (II. Neuere Experimente)
Aus der Lupusheilstätte, Hamburg:
Dr. Paul Wichmann-Hamburg, Biologische und therapeutische Erfahrungen
mit dem Radiumersatzpräparate Mesothorium.
F. Zacher-Erlangen, Zwei neue Röntgenröliren.
(Mit 21 Abbildungen) .
(Mit 5 Abbildungen) .
Seite
477
121
12
338
151
172
381
303
342
138
540
ÞOL
306
557
274
100
452
483
333
Zur Einführung.
D“ Biologie der Strahlenwirkung und die darauf sich gründende Strahlen-
therapie hat sich heute zu einer Spezialwissenschaft, zu einem selb-
ständigen sehr umfassenden Zweige der Medizin entwickelt.
Die Röntgentherapie hat sich im Laufe der Zeit mehr und mehr
von der allgemeinen Röntgenologie emanzipiert, sodaß, ursprünglich nur ein
kleiner Anhang einer unverhältnismäßig viel größeren und bedeutenderen
Disziplin, sie jetzt immer größere Bedeutung für die Medizin im allgemeinen
und ihrer einzelnen Spezialwissenschaften zu gewinnen scheint:
Die Dermatologie ist wohl bis jetzt die unbestrittene Domäne der
Strahlenbehandlung gewesen. Das Verfahren ist in einem großen Teil der
Hautaffektionen den alten Behandlungsmethoden gleichwertig zur Seite ge-
treten, in einem anderen Teil vermag die Röntgentherapie mehr zu
leisten als sie. ”
In der inneren Medizin ist das röntgentherapeutische Verfahren
bei der Behandlung der Leukämie ein unentbehrlicher Heilfaktor geworden,
bei manchen malignen Mediastinaltumoren ist durch die Röntgenbehandlung
Dauerheilung zu erzielen, auch bei anderen Erkrankungen, wie z. B. Base-
dow und chronischer Arthritis, sind nennenswerte Erfolge erreicht worden.
Auf chirurgischem Gebiete sind es hauptsächlich die malignen
Tumoren gewesen, bei denen dann, wenn das Messer nicht mehr helfen
kann, die Röntgentherapie eine Hoffnung auf Heilung oder doch Besserung
und Linderung bietet. Es ist nicht daran zu zweifeln, daß die Röntgen-
behandlung der tuberkulösen Drüsen und Gelenke bei fortschreitender
Technik zu einem sehr wichtigen Heilfaktor sich entwickelt, der in vielen
Fällen die Operation verdrängen wird.
Die Gynäkologie hat erst seit wenigen Jahren Nutzen aus der Röntgen-
therapie gezogen. Die Unkenntnis des Röntgenologen vom Fach in gynä-
kologisch-spezialistischen Dingen sowohl, wie die mangelnde Beherrschung
der Röntgentechnik beim Gynäkologen waren die Ursache, weswegen so
relativ spät das aussichtreiche Verfahren in die Gynäkologie Eingang fand.
Die Erfahrungen der neueren Zeit haben die ursprünglich gehegten Er-
wartungen weit übertroffen. Nachdem ein großer Teil der gynäkologischen
Therapie jetzt schon dem Messer durch die Radiotherapie entrungen ist,
kann der Gynäkologe der Kenntnis der Röntgentechnik nicht mehr ent-
raten. Er kann dies um so weniger, als fortgesetzt auf diesem so ent-
wicklungsfähigen Gebiete Neuerungen in der Technik herauskommen. die
1
2 Zur Einführung.
eine fortlaufende Verbesserung der bisher schon durchaus zufriedenstellenden
Resultate bedeuten. Die unmittelbare Folge solcher Verbesserungen muß,
soweit man dies voraussehen kann, eine erhebliche Verbreiterung der In-
dikationsstellung zur Röntgentherapie gynräkologischer Erkrankungen mit
sich bringen.
Auch die anderen Spezialwissenschaften: die Ophthalmologie, die
Laryngologie. die Rhinologie haben schon heute aus der röntgen-
therapeutischen Methode Nutzen gezogen. Es sei nur erinnert an die Be-
handlung der Lid- und Hornhautepitheliome, an die erfolgreiche Therapie
des Kehlkopf- und Nasenlupus.
Auch der Röntgenologe wird sicher das Bedürfnis nach einer über-
sichtlich zusammengestellten Literatur der röntgentherapeutischen Methode
und ihrer neuesten Fortschritte empfinden.
Die Mitarbeit der Röntgenphysiker und Röntgentechniker soll
den Röntgentherapeuten instand setzen, sich die exakten Grundlagen der
forschenden Naturwissenschaft für seine medizinische Praxis nutzbar zu
machen. Nur unter genauester Berücksichtigung der Naturgesetze können
Methoden ersonnen werden, die für die medizinische Wissenschaft prak-
tischen Wert erlangen.
Die Lichttherapie feiert ihre Triumphe vor allem bei der Behand-
lung des Lupus, bei dessen Bekämpfung in den Lupusheilstätten sie mit
an erster Stelle steht. Die rationelle Lupusbehandlung ist ein so wesent-
licher integrierender Faktor und ein so wichtiger Zweig der allgemeinen
Tuberkulosebekämpfung geworden, daß die Zusammenfassung der modernen
Lupusheilmethoden in einer eigenen Zeitschrift eine lohnende Aufgabe er-
scheint. Die Bedeutung der Strahlentherapie bei der modernen Lupus-
behandlung läßt es gerechtfertigt erscheinen, das vorliegende Organ nach
dieser Richtung hin nutzbar zu machen.
Die steigende Bedeutung der Heliotherapie namentlich zur Behand-
lung chirurgischer Erkrankungen macht es nötig, diesem Zweig der Strahlen-
therapie besondere Berücksichtigung zu schenken.
Die Radiumtherapie und die Behandlung mit radioaktiven Sub-
stanzen, die jedem Arzte ein wachsendes Interesse abringen, soll in
den vorliegenden Mitteilungen voll zur Geltung kommen. Die auch einen
weiteren Kreis von Ärzten interessierenden biologischen und therapeutischen
Forschungen erscheinen hier in rascher Folge. Die günstige Beeinflussung
der Leukämie und perniziösen Anämie durch das Thorium X, die sehr
beachtenswerten Resultate, welche bei der Gicht und der chronischen
Arthritis mit der Emanationsbehandlung erzielt wurden, machen das Inter-
esse des inneren Mediziners für diese Forschungen begreiflich. Wie weit die
Beeinflussung chirurgischer Erkrankungen durch das Radium und die radio-
Zur Einführung. 3
aktiven Substanzen Aussichten darbietet, ist bisher noch gar nicht im
einzelnen zu übersehen, jedenfalls verspricht dieses Verfahren mehr als
man ursprünglich glaubte annehmen zu dürfen.
Die wichtige Rolle, zu welcher die Radiumbehandlung und Radium-
wirkung auch in der modernen Balneologie berufen ist, wird auch das
Interesse des Balneologen auf die Strahlentherapie hinlenken.
Daß die Pharmakologie und Physiologie durch namhafte Mit-
arbeiter ihre Vertretung in den „Mitteilungen“ bekommen haben, sei noch
ausdrücklich betont.
Die Bedeutung der strahlenden Energie für die Hygiene macht auch
die vollste Berücksichtigung dieses wichtigen Zweiges der allgemeinen
Medizin in den vorliegenden Mitteilungen erforderlich.
Es ist bekannt, daß auch von der Tierheilkunde für die wissen-
schaftliche und praktische Ausgestaltung namentlich des röntgenthera-
peutischen Verfahrens Hervorragendes geleistet ist.
Auf dieser breiten Grundlage aufgebaut, werden die „Mitteilungen
aus dem Gebiete der Strahlentherapie“ immer eine große Zahl von Inter-
essenten aus den verschiedensten Spezialgebieten haben, deren gemeinsames
Interesse in dem einen Punkt zusammenläuft: in der Nutzbarmachung der
Strahlungen für die medizinische Wissenschaft.
Es steht zu hoffen, daß die Technik und Industrie, mit dem vollen
Verständnis für die große Bedeutung der Strahlentherapie, sich weiter ent-
wickelt und dadurch neue Möglichkeiten bietet, die bisher erreichten Er-
folge der medizinischen Behandlungsmethoden immer wieder zu überflügeln.
Alle diese Bestrebungen, sei es nun auf technischem oder medizinalem
Gebiete, sei es in der allgemeinen Disziplin oder in einer ihrer Spezial-
disziplinen, zusammenzuleiten auf einen gemeinsamen Sammelplatz, der dem
Austausch der Erfahrungen dienen möge, ist das Ziel dieser Zeitschrift.
C. J. Gauss. H. Meyer. R. Werner.
1*
Die Bedeutung der Strahlenbehandlung für die Chirurgie.
Von
Prof. Dr. V. Czerny, Wirkl. Geheimrat,
Direktor des Instituts für Krebsforschung in Heidelberg.
m Laufe der letzten 50 Jahre hat die Chirurgie auf ihrem Siegeszuge
eine ganze Reihe von Erkrankungen in das Bereich ihrer Wirksamkeit
einbezogen, die früher Domäne der inneren Medizin waren und nur selten
geheilt werden konnten. Unter dem Schutze der Asepsis entwickelte sich
eine glänzende Technik, die sich an die schwierigsten Aufgaben wagen
konnte; Eingriffe von ungeahnter Ausdehnung wurden unternommen, alle
Organe dem Messer unterworfen. Der operativen Kunst schienen keine
Grenzen gesetzt zu sein.
Aber die blendenden Erfolge waren nicht immer dauernder Natur.
Den kühnsten Krebsoperationen folgten oft schnelle Rezidive. Die lokale
Ausrottung tuberkulöser Herde hinterließ oft Fisteln oder Verstümmelungen.
Durch Reinfektion von der Blutbahn oder den Lymphwegen wurde das
definitive Heilresultat nicht selten vereitelt.
Wachstumshemmungen an den Knochen, störende Adhäsionen zwi-
schen den intraperitonealen Organen und ähnliche quälende, oder bedroh-
liche Sequelen der blutigen Eingriffe verminderten die Freude an den
Resultaten. ,
Sehr häufig waren zur Beseitigung des krankhaften Zustandes ver-
stümmelnde Eingriffe nötig, die wohl durch die kompensatorischen Kräfte
des Organismus und durch die Kunst des Operateurs oder die Fortschritte
der Mechanik ausgeglichen wurden, aber doch oft bei dem operierten Patienten
den Eindruck eines physischen oder psychischen Defektes hinterließen.
Die Chirurgie sah sich daher nach Bundesgenossen um, die ihr manchen
hoffnungslosen oder gefährlichen Eingriff ersparen, manchen mühsam er-
rungenen Erfolg sichern konnten.
Unter den Hilfsmethoden, die jetzt der Chirurgie ihre Unterstützung
anbieten — es sei hier nur an die Sero-, Chemo- und Elektrotherapie, an
die Anwendung der Massage und Heilgymnastik erinnert — ist die Strahlen-
behandlung wohl die vielseitigste und wirksamste. Das altbewährte Sonnen-
licht und die an ultravioletten Strahlen reichen Lichtarten der Quarz-,
Eisen-, Quecksilberdampflampe und ähnlicher Leuchtkörper, sowie die
Strahlen des Röntgenapparates und der radioaktiven Substanzen in ihren
zahlreichen Modifikationen bilden ein so mannigfaches und den verschieden-
sten Bedürfnissen anzupassendes Armamentarium, daß die Strahlenbehand-
Czerny, Strahlenbehandlung für die Chirurgie. 5
lung die Chirurgie unter den vielfältigsten Bedingungen zu unterstützen
vermag.
Nicht nur die Oberfläche der Haut, sondern auch die Tiefe des Körpers
sind ıhr Wirkungsfeld geworden; bald erleichtert sie den chirurgischen
Eingriff, indem sie den Erkrankungsherd einengt, bald sichert sie das
Resultat der Operation, indem sie die Keime des Leidens in der Um-
gebung der Wunde vernichtet, unter günstigen Bedingungen ersetzt sie
sogar das Messer des Chirurgen, der, durch die Vielseitigkeit seiner Kunst
mit Sorgen überhäuft, die Entlastung von mancher für ihn undankbaren
Aufgabe als Wohltat empfindet. Ja, der Chirurg hat es in neuester Zeit
gelernt, sich seinerseits den Bedürfnissen des Radiologen anzupassen, und
kommt ihm durch offene Wundbehandlung, Freilegung, oder Vorlagerung
von Tumoren und dergl. entgegen.
Es ist daher eine unabweisliche Aufgabe des modernen Chirurgen, die
bereits recht subtil und kompliziert gewordene Technik der Strahlentherapie
und die rasch sich vermehrenden Indikationen derselben zu verfolgen, um
aus ihnen Nutzen zu ziehen. Vieles ist noch theoretisch unklar und jeder
Tag bringt neue Methoden der Anwendung. Das meiste liegt verstreut in
zahlreichen: Zeitschriften und Monographien. Das praktisch Brauchbare
herauszugreifen und die Ärzte und Chirurgen in kurzer Frist damit bekannt
zu machen, ist sicher eine sehr dankbare Aufgabe, die wie wir hoffen,
durch diese Zeitschrift in befriedigender Weise gelöst werden wird.
Die Röntgentherapie in ihrerBedeutung für dieGynaekologie.
Von
Geh. Hofrat Prof. Dr. Krönig, Dir. der Universitätsfrauenklinik zu Freiburg.
ie Röntgentherapie hat gerade in unserem Spezialfach, der Gynae-
kologie, in den letzten Jahren eine ganz unerwartete Ausdehnung
gefunden. Besonders die Indikationsstellung zu operativen Eingriffen
hat sich bei den zahlreichen Anomalien des weiblichen Genitalapparates
durch die Röntgentherapie erheblich verschoben. Wenn wir bedenken,
daß heute die operative Inangriffnahme der Myome und der Blutungen
bei haemorrhagischer Metropathie in den meisten Fällen durch die Rönt-
genbestrahlung erfolgreich ersetzt wird, so kann man sich bei der weiten
Verbreitung dieser funktionellen und anatomischen Anomalien des Genital-
apparates schon eine Vorstellung davon machen, welche Bedeutung die
Röntgentherapie speziell für die Gymaekologie gewonnen hat. Dabei sind
wir erst im Beginne der Ausbildung der Methode. Es ist von ihrer
weiteren Ausgestaltung noch zu fordern, daß sie weit schneller und mit
möglichst geringen Nebenwirkungen für die Frau bei den genannten Er-
krankungen zum Ziele führt. Die große Kompliziertheit der Methode, die
vielen Möglichkeiten, durch welche dieses Ziel erreicht werden kann er-
schweren den Ausbau der Methode und übersteigen die Arbeitskraft des ein-
zelnen. Nur unter der Mitarbeit der verschiedensten Autoren, die ihre
Erfahrungen möglichst in einem Zentralorgan niederlegen, dürfen wir
erwarten, daß in möglichst kurzer Zeit die gewünschte Verbesserung
erfolgt. Dann wird die Röntgentherapie vielleicht auch bei anderen gynae-
kologischen Affektionen — entzündlichen gonorrhoischen Adnexerkrankungen,
Tuberkulose der Genitalien, sowie zur Erzielung einer temporären Sterili-
sation der Frau bei schwerer Lungentuberkulose und Herzfehlern, die
eine vorübergehende Aufhebung der Fertilitäit wünschenswert erscheinen
lassen — in kurzer Zeit so gefördert sein, daß sie auch hier die bisher
vornehmlich angewendete operative Therapie einschränken wird.
Während nun bei der Röntgenbestrahlung der Myome und der hämor-
rlıagischen Metropathien schon gesicherte Erfolge vorliegen, sind bei den
zuletzt erwähnten Bestrebungen die Mitteilungen noch so gering, daß es
zurzeit noch schwer ist, sich über die Bedeutung der Radiotherapie für
die gesamte Gynaekologie eine nur halbwegs klare Vorstellung zu machen.
Für den auf diesem Gebiete forschenden Gynaekologen ist es heute noch
mit sehr großem Zeitverlust und Opfern verbunden, die verschiedenen Mit-
teilungen, die sich zum Teil in den Zeitschriften der Röntgenologie, zunı Teil
in den Zeitschriften der Gynaekologie verstreut vorfinden, für seine Zwecke zu
sammeln. Daher müßten speziell die Gynaekologen den Herausgebern be-
sonders dankbar sein, wenn sie hier ein publizistisches Sammelorgan schaffen.
Physikalische Energien im Dienste der Therapie.
Von
Prof. Dr. Eduard Lang-Wien.
D: Licht- und Strahlentherapie hat heute eine so eminente Bedeutung
erlangt, daß sie aus unserem therapeutischen Rüstzeug gar nicht hinweg-
gedacht werden könnte. Eine wahre Fülle von neuen wirksamen Agentien physi-
kalischer Natur haben wir in den letzten Jahren gewonnen. Lichttherapie,
Röntgenstrahlen, Arsonvalisation und diathermische Ausnützung von Hoch-
frequenzströmen, Radium, Jonthophorese u. a. haben zum Teil eine so
bedeutende therapeutische Entwicklung genommen, dal fast kein Gebiet
der Medizin ohne Anteil geblieben ist. Wenn wir nur gerade einige Bei-
spiele hervorheben möchten, so seien von Hauterkrankungen genannt der
Lupus vulgaris und erythematosus, die verschiedenen Dermatomykosen, vor
allen Favus und Trichophytie, Psoriasis, Ekzem, Pruritus, Akne, Haut-
geschwülste karzinomatöser und sarkomatöser Natur, Gefäß- und Pigment-
mäler: aus dem Gebiete der Chirurgie tiefersitzende Neoplasmen, Wunden,
tuberkulöse Lymphgefäß- und Knochenerkrankungen, Lymphome, Strumen,
ferner Prostataerkrankungen, Leiden venerischer Natur; in der internen
Medizin Bluterkrankungen, vor allem die Leukämie, dann Tuberkulose der
Lungen, des Peritoneums, Bronchitis, Basedow, verschiedene Neurosen und
Neuralgieen, Ischias. Auch auf gynäkologischem Gebiete sind neue Me-
thoden dieser Art mit Erfolg herangezogen worden. Also schon bei dieser
kursorischen Aufzählung von gleichsam als Stichproben herausgehobenen
Krankheitsprozessen ergibt sich eine solche Fülle und Universalität der
Fälle, daß man wohl das Recht hätte, von einer förmlichen Revolution in
der Heilkunde zu sprechen.
Dabei sind es aber vielfach erst Anfänge, die einer breiten Entwick-
lung entgegensehen dürfen. So hat z. B. die Jonthophorese abgesehen von
wenigen Instituten, in welchen sie geübt wird, noch keine sehr große Ver-
breitung gewonnen, obgleich angenommen werden kann, daß die Tiefen-
einführung von Medikamenten auf dem Wege des Jonentransportes eine
Zukunft habe. Auch in der Röntgentherapie ist durch Verfeinerung der
Instrumentation und der Technik noch viel Neues zu erwarten. Ich ver-
weise u. a. auf die Filtertechnik, die Homogenbestrahlung, auf die Ver-
suche von Sensibilisierung und Desensibilisierung der Haut durch gleich-
zeitige Anwendung von Hochfrequenz, Anämisierung, Stauung u. a., auf
die Versuche, durch Einfügung von Fenstern aus gewissen Glassorten
8 Lang,
Strahlenabschnitten anderer Qualität den Durchtritt durch die Röntgen-
röhre zu ermöglichen, auf die Sekundentherapie u. a.
Die Hochfrequenzströme, obwohl lange in therapeutischer Übung, haben
erst in neuester Zeit ihr vielleicht wichtigstes Anwendungsgebiet in der
Thermopenetration ergeben. Auch die Radiumerfolge haben sich erst später
eingestellt, sind aber dafür von so eminenter Bedeutung, daß man schon
heute behaupten darf, das Radium werde sich zu einem unserer wunder-
barsten Heilinstrumente entwickeln und die therapeutischen Indikationen,
` insbesondere chirurgischer Natur, ganz umwälzend verschieben. Die Tho-
riumpräparate erweisen sich ebenfalls als höchst wirksame radioaktive und
zu therapeutischen Zwecken verwendbare Substanzen.
Die Phototherapie, die in der Lupusbehandlung so große Erfolge er-
zielt hat, entwickelt sich stetig, Von großer Bedeutung sind die Be-
mühungen, die Lichttherapie auch auf die Schleimhautwege auszudehnen.
In den Sensibilisierungsversuchen scheint wohl ein gewisser Stillstand ein-
getreten zu sein, doch ist hier das letzte Wort für die therapeutische Aus-
nützung noch lange nicht gesprochen. Auch Verbesserungen in der
Technik, neue Lichtquellen sind zu erwarten, wie ja auch das Quecksilber-
dampflicht, wenn auch in geringerem Grade für den Lupus, so doch für
andere Dermatosen eine wertvolle Bereicherung bedeutet. Auch der
Bedeutung des Lichtes im Dienste der Hygiene ist nicht zu vergessen.
Die Erfolge der Heliotherapie bei Knochenkaries werden durch Ein-
richtung entsprechender Heilstätten an vielen Orten der Ohnmacht, welche
wir mannigfach Leiden dieser Art gegenüber hatten, ein Ende bereiten.
Die Einwirkung der Sonne macht gewiß einen guten Teil der heilenden
Potenz aus, die bei tuberkulösen Hautaffektionen in Seehospizen zu
Tage tritt.
Es ist in der Tat ein großes, vielseitiges, die gesamte Ärztewelt in-
teressierendes Gebiet, dessen Bearbeitung diese neue Zeitschrift sich zur
Aufgabe gestellt hat.
Ein Organ, welches wie das vorliegende die Pflege dieser Disziplinen
auf breiter, wissenschaftlicher Basis, gestützt auf einen reichen Stab hervor-
ragender Mitarbeiter, anstrebt, ist berufen, ein ersprießlicher Faktor im
medizinischen Leben zu werden.
Ich kann den kurzen Artikel, der als freundliche Begrüßung dieser
Zeitschrift gelten soll, nicht schließen, ohne deutlich hervorzuheben, daß
man bei der Lupusbehandlung das hohe Niveau nicht verlassen darf, von
dem aus auch anderen Heilmethoden, insbesondere dem operativ-plastischen
Verfahren und sonstigen wirksamen Lokalapplikationen objektive Würdigung
zuteil werden muß; ebenso wie ich bei spezieller Bearbeitung der chirur-
gischen Therapie des Lupus es nie unterlassen habe, den hohen Wert der
Physikalische Energien. 9
physikalischen Methoden ins rechte Licht zu setzen. In meinem Aufsatze
über Einrichtung von Heilstätten, die zur Bekämpfung des Lupus dienen
und in dem vom Primarius Dr. Jungmann verfaßten „Zielen der Lupus-
heilstättenbewegung“ sind die Prinzipien eingehend dargelegt. Man wird
sich eben der Überzeugung nicht verschließen dürfen, daß sowie Orthopädie
und Urologie durch die Loslösung von dem Hauptfache einen bedeutenden
Aufschwung genommen haben, auch die großen Erfolge in der Behand-
lung des Lupus erst seit Schaffung von Lupusheilstätten mit selbständigen
Einrichtungen und eigenem Ärzte- und Pflegepersonal zu verzeichnen sind.
Die glänzenden Resultate in der Behandlung von Lungentuberkulose da-
tieren erst seit Gründung eigener Lungenheilstätten und wenn Kliniken
sich aus didaktischen Gründen, sei es mit modernen Strahlenarten, sei es
mit Liegehallen, oder hydriatischen Einrichtungen ausstatten, so können
dadurch Lupusheilstätten, Lungenheilstätten und Kaltwasserheilanstalten
nicht überflüssig gemacht werden.
Bedeutung der Röntgenbehandlung für die Dermatologie.
Von
Prof. Dr. Vietor Klingmüller, Direktor der Kgl. Dermatologischen
Universitäts-Klinik zu Kiel.
ie moderne Behandlung mit Röntgenstralilen ist mehr und mehr eins
der wichtigsten Hilfsmittel geworden. Aus den ersten tastenden
therapeutischen Versuchen nach Entdeckung der Röntgenstrahlen ist all-
mählich eine sicher zu beherrschende Methode geworden, welche in der
Hand eines erfahrenen Röntgenologen wie ein andersartiges Medikament
zu betrachten ist. Wie bei jedem Medikament haben wir auch bei den
Röntgenstrahlen sorgfältig zu berücksichtigen die Dosierung, die Wir-
kung und die Indikationsstellung. Auf diesen drei Faktoren baut
sich die moderne Röntgentherapie auf; je gewissenhafter wir sie beobachten,
um so bessere und sicherere Ergebnisse haben wir zu erwarten.
Die Dosierung der Röntgenstrahlen ist durch die neuen Mel-
verfahren bereits so weit fortgeschritten, daß wir die unbedingte Sicherheit
im Betriebe gewährleisten können. In einer Reihe von Arbeiten aus un-
serer Klinik hat Hans Meyer zusammen mit Hans Ritter die von ihm
ausgedachten und erprobten Verfahren mitgeteilt. Durch die Genauigkeit
solcher Melßsverfahren ist bis jetzt wenigstens sichergestellt, daß unter Be-
rücksichtigung gewisser anatomischer Verhältnisse eine Idiosynkrasie gegen
Röntgenstralillen nicht anzunehmen ist.
Die Kenntnis der biologischen Strahlenwirkung und ihrer Ge-
setze ist selbstverständlich die notwendige Voraussetzung für die An-
wendung der Röntgenstrahlen. Ohne ihre genaue Kenntnis ist ein sicheres
Arbeiten mit ihnen ausgeschlossen.
Die genaue Kenntnis der biologischen Röntgenwirkung ermöglicht eine
sichere Indikationsstellung. Von dieser hängt der Erfolg der Röntgen-
bestrahlung ab. Selbstverständlich wird es noch Sache weiterer Er-
fahrungen sein, daß wir die Indikationsstellung vertiefen und erweitern
können. Aber schon jetzt ist auch dieses Gebiet in so vielfacher Hin-
sicht fester begründet, so daß wir für eine Reihe von Krankheiten hier
auf einem relativ sicheren Boden stehen.
Gerade auch für den Dermatologen ist das genaue Studium und
die gründliche Kenntnis dieser drei Faktoren eine unerläßliche Vorbedingung
bei der Anwendung der Röntgenstrahlen, da die Röntgentherapie ein
unentbehrlicher Heilfaktor geworden ist. Sie ist bei einer großen
Klingmüller, Röntgenbehandlung für die Dermatologie. 11
Zahl von Hautkrankheiten sogar den übrigen Heilverfahren überlegen.
Nur die hauptsächlichsten Dermatosen sollen hier erwähnt sein: die Pilz-
erkrankungen des behaarten Kopfes (Epidemien von Mikrosporie usw.),
Folliculitis barbae, Epitheliome, wo bei richtiger Behandlung auch kos-
metisch ausgezeichnete Erfolge zu erzielen sind, manche Hautsarkome,
welche außerordentlich röntgenempfindlich sind, Mycosis fungoides, Tuber-
culosis cutis verrucosa, Keloide, Dermatitis papillaris nuchae usw. Bei
einer großen Zahl von Hautkrankheiten ist die Röntgenbehandlung den
anderen Verfahren gleichwertig an die Seite getreten, ganz abgesehen von
dem großen Vorzug der Sauberkeit, z. B. bei Ekzemen, Psoriasis usw. In
der Behandlung dieser häufigen Krankheiten wird derjenige Arzt die besten
Heilerfolge erzielen, welcher es versteht, die Röntgenbehandlung zur rich-
tigen Zeit und in der richtigen Art anzuwenden.
Die Dermatologen machen nun von der Röntgenbehandlung deshalb
noch nicht im gewünschten Maße Gebrauch, weil sie vielfach nicht ge-
nügende Unterweisung auf der Hochschule bekommen haben und daher
das Verfahren nicht anzuwenden verstehen. Auch die Mißerfolge erklären
sich auf diese Weise.
Daher muß in dreifacher Hinsicht Abhilfe geschaffen werden:
1. Es muß auf den Universitäten das Röntgen- und lichttherapeutische
Verfahren in genügender Weise gelehrt werden. Am besten durch Schaffung
von Dozenturen für Röntgenkunde und Lichttherapie.
2. Es muß durch Kurse den Ärzten, die in der Praxis stehen, Ge-
legenheit gegeben werden, sich über die von Jahr zu Jahr so schnell zu-
nehmenden Fortschritte auf dem Gebiete zu unterrichten. Diese Kurse
müssen an Kliniken oder Krankenhäusern gehalten werden, wo großes
Material zur Verfügung steht und wo geeignete Dozenten vorhanden sind.
3. Es muß durch eine geeignete Zeitschrift für die Verbreitung der
Kenntnisse auf diesem praktisch und wissenschaftlich so interessanten
Gebiete gesorgt werden. Daher ist die Begründung eines solchen Organes
eine Notwendigkeit, zumal bisher eine geeignete Zeitschrift für den ge-
nannten Zweck nicht vorhanden ist.
Nur durch das Zusammenarbeiten aller Disziplinen, wie es in der
vorliegenden Zeitschrift in so glücklicher Weise versucht werden soll, sind
auf dem Gebiete der Strahlentherapie Fortschritte zu erreichen, der Der-
matologie aber, die bisher in mancher Hinsicht führend vorangegangen ist,
erwächst die Pflicht, sich bei der weiteren Entwicklung des Faches, ent-
sprechend der Bedeutung der Röntgentherapie für die Dermatologie, mit
in die vorderste Linie der Forschung zu stellen.
Über die Indikationen der Radiumtherapie bei inneren
Krankheiten.
Von
S. Loewenthal in Braunschweig.
P der inneren Medizin ist der Kreis der krankhaften Zustände, die sich
für die moderne Radiumtherapie eignen, ein eng begrenzter. Er um-
faßt im großen Ganzen noch dieselben Krankheiten, welche wir seit jeher
mit radioaktiven Wässern und Sedimenten zu behandeln gewohnt sind.
Die radioaktiven Substanzen, wie sie uns die Natur in Luft, Wasser und
Boden liefert, verdanken ja ihr Bürgerrecht in der Therapie jenem all-
gewaltigen therapeutischen Genius, der Empirie. Die von dieser gezoge-
nen Indikationen, wie sie am reinsten in den sogenannten Wildbädern in
die Erscheinung traten, sind von den theoretischen und klinischen For-
schungen der letzten Jahre im wesentlichen nur bestätigt worden. Es
sind immer noch dieselben großen Gebiete der rheumatischen und chronisch-
entzündlichen Erkrankungen, sowie der Gicht und verwandter Stoffwechsel-
störungen, welche sich der Radiumtherapie darbieten. |
Trotzdem hat die moderne Erforschung der biologischen Radium-
wirkung auch auf diese altgewohnten empirischen Indikationen nachweislich
eingewirkt. Zunächst hat sich ein gewisses Verständnis dafür eröffnet,
warum es gerade diese besonderen Krankheitsformen sind, welche für die
Radiumtherapie, insbesondere für die Radium-Emanation, angreifbar sind.
Ich darf z. B. kurz daran erinnern, daß die Mehrzahl dieser Erkran-
kungen unter den Begriff der verlangsamten Resorption fällt, und
daß der Laboratoriumsversuch gezeigt hat, wie die Radiumemanation auf
den Resorptionsvorgang, speziell auf das autolytische a fördernd
einwirken kann.
So mag sich also wohl die günstige Wirkung der Kuren in radio-
aktiven Bädern, wie die der Emanationskuren, bei Residuen von Entzün-
dungen, von Verletzungen, bei chronisch-rheumatischen Erkrankungen, bei
chronisch-entzündlichen Veränderungen des Herzens und anderer Organe
zur Genüge erklären.
Es bleibt dann aber noch ein Teil der Indikationen übrig, die nicht
so einfacher Deutung zugänglich sind.
Da ist zunächst die Gicht, eine ausgesprochene Stoffwechselkrank-
heit. Die Heilerfolge mancher Kurorte bei dieser Krankheit stehen außer
allem Zweifel: aber sie erklärten sich doch erst zu einem gewissen Teil,
Loewenthal, Indikationen d. Radiumtherapie b. inneren Krankheiten. 13
als es gelang, die Harnsäure auch in vitro durch Radiumemanation in
ihrer Löslichkeit und in ihrem chemischen Bestande zu beeinflussen,
(Gudzent) und als es ferner gelang, das Verschwinden der harnsauren
Salze im klinischen Experiment aus dem Blute der Kranken und ihre
gesteigerte Ausfuhr durch den Urin mittels Radiumemanation nachzuweisen.
(Gudzent und Verf.)
Bei anderen Störungen des Stoffwechsels, z. B. bei der Fettsucht,
dem Diabetes, hat sich bisher eine ähnliche Sicherheit des Erfolges eben
so wenig bemerken lassen, wie eine theoretische Erklärung dafür. Denn
auch der Gesamtstoffwechsel wird ja nach den Untersuchungen von
Kikkoji, Silbergleit u.a. gesteigert, und es wäre demnach zu erwarten,
daß auch der Fett- und Kohlehydratstoffwechsel in geeigneten Fällen durch
Radiumemanation günstig beeinflußt wird. Es zeigt sich aber in diesem
Beispiel, daß wir durchaus nicht etwa wahllos die empirischen Indika-
tionen unserer Heilquellen auf die Radiumemanationswirkung beziehen
dürfen, und wir wollen keinesfalls vergessen, daß das Radium eben nur
einen Teil der spezifischen Bestandteile der Quellen darstellt.
So ist es ferner durchaus nicht wahrscheinlich, daß der Heileffekt man-
cher Brunnenkuren bei Magendarmkrankheiten auf die Radiumemanation
zurückzuführen ist. Trotz des Ausfalles des Experimentes, welches dafür
sprach, daß die Emanation sehr wohl imstande ist, auch die bei der Ver-
dauung wirksamen Fermente, z. B. Pepsin, Pancreatin, Diastase, zu akti-
vieren und obgleich diese Aktivierung günstig auf die Ausnutzung der
Nahrungsmittel und auf den Verdauungsakt wirken muß, so ist doch nicht
ohne weiteres die nachhaltige Wirkung der spezifischen Brunnenkuren auf
dieses eine Moment zu beziehen. Es ist sogar aus mancherlei Gründen
wahrscheinlich, daß die Emanation bei der Ausheilung der Magen-Darm-
krankheiten durch Brunnenkuren nur eine unterstützende Rolle spielt.
Trotzdem wird man auch diesen unterstützenden Faktor nicht gern missen,
und wird ihm notwendigerweise bei der Analyse der Heilwirkungen von
Brunnenkuren nach wie vor besondere Aufmerksamkeit schenken.
Ähnlich steht es mit den Erkrankungen des uropoetischen Systens.
Auch für dieses ist vielleicht die Durchspülung mit einer geeigneten Salz-
lösung wie Vichy, Wildunger usw. das Wichtigste, und die Wirkung
der radioaktiven Substanzen nur nebensächlich.
Für die Erkrankungen des Herzens, für die Gefäße, für den
Respirationsapparat wie für die Nervenkrankheiten gilt dasselbe
wie für die intestinalen Leiden überhaupt. Wo es sich um chronisch-ent-
zündliche Veränderungen handelt (Myocarditis, Thrombophlebitis, Pleuritis,
Laryngitis chronica usw.), sind wir nicht allein theoretisch, sondern vor
allem auch durch mannigfache klinische Erfahrungen gezwungen, der
14 Loewenthal,
Radioaktivität einen Teil jener Wirkung zuzuschreiben, wie wir sie nach
Bade- und Brunnenkuren zu sehen gewohnt sind. Daneben gibt es aber
so viele Zustände. bei denen diese pathologisch-anatomische Vorstellung
nicht zutrifft (Herzdilatation, einfache chronische Katarrhe u. a.), und für
welche der Kohlensäuregehalt des Wassers oder seine Salze weit besser
die günstige Wirkung erklären.
Bei allen diesen Gebieten ist es Aufgabe der Zukunft, die bekannten
Heilerfolge zu zerlegen, die Indikationen zu umgrenzen.
Man wird auch endlich davon abgehen müssen, für solche Betrach-
tungen nur den Gehalt an Radiumemanation zu Grunde zu legen; vielmehr
kommt die gesamte Radioaktivität des Wassers in Betracht, worunter
sowohl die gelösten Radiumsalze, als auch die Zerfallsprodukte der Emana-
tion zu verstehen sind, und selbstverständlich auch die Substanzen der
Thorreihe, insbesondere das Mesothorium und seine Abkömmlinge, deren
Vorhandensein in manchen Mineralwässern, z. B. in Kissingen, bereits
nachgewiesen ist.
Denn seit wir wissen, daß das unscheinbare und fast strahlenlose
Radium D auf die Zerstörung der harnsauren Salze einwirkt, müssen wir
gewärtig sein, eines Tages auch ähnliche physikalisch-chemische Wir-
kungen der andern radioaktiven Substanzen zu finden.
Noch ein paar Worte über die Anwendung von Emanationskuren bei
Krankheiten des Greisenalters.
Von Alters her stehen gerade die Wildbäder in dem Rufe, die Be-
schwerden des Greisenalters zu lindern, den Kräfteverfall zu verzögern,
ein „Jungbrunnen‘“ im wahren Sinne des Wortes zu sein. Man wird auch
heute den Wildbädern diesen Nimbus nicht ganz rauben dürfen; nur ist
es sehr fraglich, ob diese Wirkung, wenn wirklich vorhanden, auf Rech-
nung der Emanation des Quellwassers gesetzt werden darf. Die Versuche
mit reinen Emanationskuren, zuhause oder in Kliniken, haben jedenfalls
für einen solchen Zusammenhang noch nichts beigebracht. Es mag sein,
dal die experimentell gefundene Steigerung des Gesamtstoffwechsels und
die auch häufig zu beobachtende Besserung von Appetit und Schlaf auch
manchem Greise zugute kommen mag; eine spezifische Einwirkung, ins-
besondere auch auf die senilen Veränderungen des Nervensystems (Neuri-
tiden, sensorische Störungen usw.) habe ich wenigstens nicht wahrnehmen
können. Mithin wird man für die empirische gute Wirkung der Wild-
bider im Senium die bekannten übrigen Faktoren, das veränderte Milieu
und die veränderte Lebensweise, als Ursache ansehen müssen.
Über den engeren Ralımen der inneren Medizin führt uns die Be-
trachtung noch auf das Gebiet der gynäkologischen Erkrankungen und
der chirurgischen Nachkrankheiten.
Indikationen d. Radiumtherapie b. iuneren Krankheiten. 15
Bei den ersteren handelt es sich natürlich wieder um die chronisch-
entzündlichen Erkrankungen und ihre Residuen (Exsudate und Adhä-
sionen). Beiden Ärzten selbst ist die Indikation, solche Kranken nach Baden-
Baden, Kreuznach, Münster a. Stein, zu schicken, in unserm operations-
freudigen Zeitalter sehr zurückgetreten, aber trotz aller Erfolge des Messers
bleiben noch Fälle genug übrig, bei denen nach Entfernung der Krank-
heitsherde die resorptiven Kräfte des Organismus nicht ausreichen, um
alle Krankheitsreste zu beseitigen. Hier hätte also nach mehrfach ent-
wickelten Gesichtspunkten die Emanationstherapie einzusetzen. Ich stehe
nicht an, den Gynäkologen die Erprobung der Radiumtherapie an geeigne-
tem Materiale warm ans Herz zu legen. Die Aussichten auf diesem Ge-
biete sind vielleicht begründeter als auf vielen anderen.
Nun die Residuen von Verletzungen und Operationen!
Wir kommen hier zu einer Gruppe von Störungen, welche in früheren
Jahrhunderten geradezu eine Domäne der Wildbäder und verwandter
Mineralquellen waren. Alljährlich bevölkerte eine große Zahl von verletzten,
verwundeten oder operierten Personen die genannten Bäder, und zwar seit
den ältesten Zeiten bis in die Neuzeit hinein. Fast alle besonders be-
liebten Badeorte für diese Leiden sind radioaktive Schwefelbäder, Wild-
bäder oder salzhaltige Thermen; ich nenne nur: Aachen, Baden-Baden,
Wildbad, Gastein, Teplitz, Wiesbaden. Mit den zunehmenden Erfolgen
der Chirurgie nahm die Wertschätzung dieser Quellen für die in Rede
stehenden Krankheiten erheblich ab: in dasselbe Zeitalter fiel auch die
naturwissenschaftliche Vertiefung unserer medizinischen Kenntnisse, und
davon unzertrennbar abhängig ihre lästige Begleiterscheinung, die un-
kritische und bequeme Skepsis.
Heut, wo die Skepsis infolge der verbesserten Erkenntnis wieder der
Achtung vor der Empirie Platz macht, stellt sich aber der Wertschätzung
von Brunnenkuren das rein chirurgische Denken entgegen; dem modernen
Durchschnittchirurgen kann der Vorwurf nicht erspart werden, daß mit
dem Zeitpunkt der glücklich geheilten Operationswunde das Interesse
für den Fall und dessen weiteres Wohlergehen erheblich abzunehmen pflegt,
und daß er eine Beseitigung residuärer Operationsfolgen gern der Zeit
und dem Hausarzt überläßt. Der gleichen chirurgischen Nonchalance
begegnen wir dann, wenn bei Verletzungen das rein chirurgische ge-
leistet ist. Erst in der Wiederherstellung der Funktion und in der Be-
seitigung auch der subjektiren Beschwerden zeigt sich aber in dem
Chirurgen auch der gute Arzt und humane Helfer.
Zweifellos legten die alten Chirurgen mehr Wert auf diese Seite ihrer
Fähigkeiten, als die modernen. So würde mancher übermäßige Callus,
manche unförmige und schmerzhafte Narbe rascher und besser ihrer end-
16 Loewenthal, Indikationen d. Radiumtherapie b. inneren Krankheiten.
gültigen Form und dem Freisein von Beschwerden zugeführt werden,
manche Gelenksteifigkeit, manche Verwachsung von Sehnen und Nerven
verhütet werden, wenn die oben genannten Badekuren einen breiteren
Raum in der Nachbehandlung von Verletzungen und Operationen wieder
einnehmen würden.
Und mit demselben Rechte können wir von dem besser informierten
Chirurgen erwarten, daß er, wo Badekuren nicht am Platze, von der
Emanationsbehandlung im Hause oder in der Klinik Gebrauch mache.
Wir müssen hierbei einer sehr interessanten Tatsache gedenken,
welche uns die biologische Radiumforschung schon vor längerer Zeit ge-
bracht hat, und deren Tragweite auch heute noch nicht abzusehen ist.
Ich meine die von Fofanoff gefundene Hemmung der chemischen und
phagozytären Eigenschaften der Leukozyten durch Radiumemanation.
Daß mit dieser Hemmung auch eine Verminderung der Leukozyten im
Blute des lebenden Menschen einhergeht, haben von Noorden und Falta
bei Versuchen im Emanatorium gezeigt. Vorläufig sind wir nur berechtigt,
aus diesen Tatsachen eine Erklärung für altbekannte Kurerfolge bei chroni-
schen Eiterungen (Fisteln, Empyeme) abzuleiten, die sich zwanglos auf
eine Beschränkung der Leukozytenzahl und ihrer Wanderungsfähigkeit
zurückführen lassen. Auch die Heilbarket der Sklerodermie
(v. Benczur) durch Radiumemanation könnte man auf diesem Wege ver-
stehen. Aber auch das große Heer der chronischen Entzündungen
aller Art wird vielleicht nicht nur durch die Steigerung der resorptiven
Kräfte günstig beeinflußt werden, wie ich es oben zunächst angenommen
habe, sondern auch durch das Moment der Leukozytenhemmung.
Diese Annahme stände freilich im Gegensatz zu unserer herrschenden
modernen Anschauung über die Rolle der Leukozyten bei der Heilung.
Um so interessanter und wichtiger wird sich die Vertiefung in diese
Probleme in Zukunft erweisen.
Aus d. Wiener Heilstätte f. Lupuskranke (Vorst. Hofr. Prof. Eduard Lang).
Prognose und Therapie der Hauttuberkulose. ')
| Von
Primarius Dr. Alfred Jungmann.
Hierzu 44 Abbildungen.
We man sich im Geiste den Typus „Lupus“ zu vergegenwärtigen
sucht, denkt man meist an einen sehr ausgedehnten Prozel3 im Ge-
sichte mit schweren Zerstörungen an der Nase, Mund usw. — Überall aber,
wo ein großes Lupusmaterial zusammenfließt, hat man doch Gelegenheit,
zahlreichen Fällen von viel gutartigerem Aussehen zu begegnen, Fällen,
die in einem frühen Stadium in unsere Erscheinung treten. Meist sind
dies Kinder oder wenigstens Menschen im jugendlichen Lebensalter. In
ciner anderenorts?) publizierten Zusammenstellung aus unserem Kranken-
material, welches über 1800 Lupöse umfaßt, konnte ich nachweisen, daß,
wenn man dem Beginn der Erkrankung nachgeht, die Hauttuberkulose in
weitaus dem größten Teil der Fälle in der Kindheit und frühen Jugend
ihren Anfang nimmt. Diesen bedauernswerten Wesen den traurigen und
fürchterlichen Weg zu den schweren Verunstaltungen der späteren Zeit,
denen wir leider heute noch so häufig begegnen, daß sie uns geradezu als
typisch für den Erkrankungsprozeß erscheinen, zu ersparen, dies ist glück-
licherweise nach den modernen Fortschritten der Lupustherapie eine
«durchaus mögliche Aufgabe für den Arzt. |
Die rationelle moderne Lupusbekämpfung, wie sie sich gegenwärtig in
der Lupusheilstättenbewegung äußert, ist bei der weiten Verbreitung dieser
chronischen Volksseuche ein sehr wesentlicher integrierender Faktor unserer
allgemeinen Tuberkulosebewegung, innerhalb welcher er vielleicht die erfolg-
reichste Rolle spielt. Zu den Maßnahmen der Lupusaktion ist es von
eroßjer Bedeutung sich dessen stets bewußt zu sein, daß die Hauttuberkulose,
wenn auch nicht immer, so doch in der überwältigenden Mehrzahl der
Fälle. eine Erkrankung des Kindes und jugendlichen Alters darstellt.
Für diese Lebensperiode haben wir daher auch meist unsere Prognose
zu stellen.
!) Vortrag mit Demonstrationen, gehalten am 6. Februar 1912 auf Veran-
lassıung des Österreichischen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose sowie
der Wiener Ärztekammer.
2) A. Jungmann, Die Bekämpfung der Hauttuberkulose mit Rücksicht auf
die ätiologischen Momente. (Das österreichische Sanitätswesen, 1912, Nr. 6.)
9
Å
18 Jungmann,
Wovon hängt nun die Beurteilung des Heilvermögens in den be-
treffenden Fällen ab? In erster Linie von dem Allgemeinzustande des
Kranken. Diesem haben wir die größte Aufmerksamkeit zu schenken,
man darf sich nicht mit einer Nebenuntersuchung in dieser Hinsicht be-
gnügen oder glauben, daß die Verschreibung eines Roborans genügt. Nein.
der Allgemeinzustand des erkrankten Kindes und die Lebensverhältnisse
des jungen Menschen, in denen er sich bewegt, sie geben den wichtigsten
Maßstab für unsere Beurteilung ab, auf ihnen muß aber auch jede Lokal-
behandlung aufgebaut werden, soll sie nicht Stückwerk sein. Deshalb,
neben vielen anderen gewichtigen Gründen plädieren wir ja dafür, daß
eigene Heilstätten für jene Kranke errichtet werden, deren Lebensverhält-
nisse so schlecht sind, daß man von vornherein gar keine Hoffnung haben
kann, sie zu retten, wenn man sie nicht daraus befreit, wenn man diese
Kranken nicht neben der entsprechenden Anwendung entsprechender Heil-
methoden anständig ernährt, ja eventuell mästet, wenn man ihnen nicht
Luft, Licht und Sonne gewährt, nach Erfordernis mit Freiliegekuren, wie
sie selbst in der Peripherie von Großstädten, wenn planmäßig organisiert,
mit Erfolg durchgeführt werden können.
In Fällen von schwerer Lungentuberkulose ist diesem Faktor natürlich
weitaus die größte Bedeutung beizumessen und abgesehen von einer ent-
sprechenden Pflege des erkrankten Hautterrains meist auch auf jede Lokal-
behandlung des Hautleidens zu verzichten, um für den Kranken nicht
etwa die Zeit für manche hygienischen Maßnahmen, z. B. klimatische Be-
helfe, zu versäumen. Auch ist in solchen Fällen gar kein Zweifel darüber,
daß die Hauttuberkulose, unter welcher Behandlung immer, eine sehr
schlechte Prognose abgibt, sofern es nicht gelingt, den internen Zustand
zu bessern. Ebenso wie Menschen unter günstigen Allgemeinverhältnissen
wie wohl selten, auch zur Spontanheilung eines Lupus neigen — womit wir
allerdings bei der Bösartigkeit dieser Erkrankung niemals rechnen dürfen
— so zeigen sonst schwerkranke Individuen anderseits in der Regel gar
keinen lokalen Heiltrieb, wenn auch die modernsten und besten Methoden
angewendet werden. In den meisten Fällen von Lupus ist aber eine gleich-
zeitig etwa bestehende Lungentuberkulose von milderer Art und unsere wichtige
Aufgabe besteht eben darin, dafür zu sorgen, daß sie nicht schwerer werde,
nicht nur ihrer selbst wegen, sondern auch im Interesse der Lupusheilung.
Desgleichen wird auch die Prognose von gleichzeitig bestehenden
Knochen- und Drüsenerkrankungen beeinflußt sein, deren Bewertung ganz
im ähnlichen Sinne zu geschehen hat wie bei internen Affektionen. Diese
Leiden müssen stets mitberücksichtigt bezw. mitbehandelt werden und ihre
Vernachlässigung rächt sich nicht selten auch mit der Erfolglosigkeit der
Lupusbehandlung.
Prognose und Therapie der Hauttuberkulose. 19
Jeder Kranke ist daher prinzipiell vom Kopf bis zum Fuß zu unter-
suchen. Ihm ist ein entstellender Gesichtsherd nicht selten die Haupt-
sache und dessen Heilung der einzige Gegenstand seines Wunsches. Aber
kurzsichtig wäre der Arzt, der darauf einginge. In der Tuberkulose lautet
eben das Prinzip: der ganze Mensch muß behandelt werden, Teilerfolge
sind nie von vollem Werte. Wir begegnen häufig Kranken, die eine tuber-
kulöse Affektion an sichtbarer Körperstelle jahrelang in Behandlung hatten.
Inzwischen sind anfangs unscheinbare Tuberkuloseherde an versteckten
Körperstellen schwer vernachlässigt geblieben und nach und nach zu
Dimensionen angewachsen, die für den Kranken geradezu bedrohlich sind.
Da das Kindesalter ein sehr häufiger Ausgangspunkt, ja der aller-
häufigste der Hauttuberkulose ist, wird es sich überhaupt empfehlen, den
Kinderkörper von Zeit zu Zeit in der Hinsicht zu untersuchen, insbesondere
mit Rücksicht darauf, daß nach schweren akuten Erkrankungen (Masern,
Scharlach, auch Pertussis u. a.) manchmal auf hämatogenem Wege
Tuberkulose-Metastasen von irgendeinem okkulten Herde (z. B. Bronchial-
oder Mesenterialdrüsen) in die Haut transportiert werden.
Amallerwichtigsten ist es aber, die Schleimhaut der Nase und des
Mundes zu untersuchen, weil sie sehr häufig überhaupt den Ursprung der
Hauttuberkulose darstellt und der Kranke in den Anfangsstadien oft gar
nichts davon spürt und weiß. Wir hatten unter 1809 Lupösen 775
Kranke, die auch mit Schleimhauttuberkulose behaftet waren. Natürlich
ein sehr wichtiges Vorkommnis. Die Prognose solcher Fälle ist selbst-
verständlich vorsichtiger zu stellen und die Behandlung bei weitem
schwieriger. Ein Knabe leidet an einem wenig ausgedehnten, fast un-
scheinbaren Lupus an einem Nasenflügel ; trotzdem ist es eine schwere Er-
krankungsform mit Rücksicht auf den gleichzeitig bestehenden Schleimhaut-
prozeß. Würde man übersehen, das Naseninnere zu untersuchen oder mit
den besten Mitteln, die wir besitzen, zu behandeln, so käme man kaum zu
einem dauernden Erfolge bei dem Kranken. Die Schleimhaut ist nicht
selten der einzige Sitz der Tuberkulose. Als Beispiel diene ein kleines
Mädchen mit schwerem typischen Lupus des harten und weichen Gaumens.
Kein Zweifel, daß ein solcher Kranker davon bedroht ist, eines Tages auch
Herde an der Haut zu erhalten, wenn man ihn nicht rechtzeitig ausheilt,
was zwar schwierig, aber möglich ist.
Daß die Prognose, die Schwierigkeit und Dauer der Behandlung, auch
vom Sitze (z. B. in der Nähe besonders wichtiger Organe, also Auge, Ohr,
Nase, Mund, Genitale), von der Ausdehnung, von der Tiefe des Krankheits-
herdes abhängt, ist ja selbstverständlich. Besonders aber hervorgehoben
sei, daß sie auch von dem Alter der Erkrankung und der Art der Vor-
behandlung abhängt, insofern als ein initialer, noch nicht von Narben
9%
20 Jungmann,
durchzogener Herd, leichter ausheilt, wenn er richtigen Methoden unter
zogen wird, dal) es dann auch um so eher gelingen kann, die schweren
Destruktionen zn vermeiden, die die Ursache jener typischen Entstellungen
sind. Je weniger aber auch solche Vorbehandlungen vorausgegangen sind,
die, wie noch besprochen werden soll, oft mit schuld sein können an der
ungünstigen Gestaltung des Leidens, desto mehr Hoffnung haben wir auf
vollkommene Heilbarkeit des Kranken, also auf eine günstige Prognose.
Um so wichtiger ist es aber auch, die therapeutischen Indikationen zu be-
herrschen, damit man Methoden, die vielleicht traditionell sind, aber naclı
dem heutigen Stande des Wissens als minder empfehlenswert erkannt
werden sollen, ausschalte, damit man im jeweiligen Stadium sich nur
solcher Methoden bediene, die gerade die allersicherste Hoffnung ge-
währen. und nicht etwa sich auf eine Schablone in der Behandlung ver-
lege, was den Kranken oft genug von Schaden sein könnte. Nicht gerade
das, worauf man eingerichtet ist, sondern das Allerbeste ist für den Lupus-
kranken vonnöten.
Zur Therapie übergehend wollen wir zunächst unseren Standpunkt
bezüglich des Tuberkulins klarlegen. Es ist dieses nach unserer Er-
fahrung ein Hilfsverfahren in der Behandlung der Hauttuberkulose.
Heilungen von Lupus nur durch Tuberkulin müssen wohl vorläufig als
Raritäten bezeichnet werden. Doch kann kein Zweifel darüber bestehen,
daß durch Tuberkulinkuren häufig der lokale Prozeß in günstigem Sinne
umgestimmt wird, so daß die Anwendung von lokalen Prozeduren sich
späterhin erfolgreicher gestaltet. Leider sehen wir aber immer wieder
neben günstigen Fällen auch solche, bei denen es zu Verschlimmerungen
unter Tuberkulinkuren kommt. Es rührt dies daher, daß wir auf ein
rein empirisches Verfahren angewiesen sind und ein sicheres Wissen so-
wohl über die Methodik und Dosierung, als auch über die Art der an-
zuwendenden Präparate uns vorläufig mangelt.
Wir unterscheiden im allgemeinen die Methoden der Lokalbehandlung
des Lupus in radikale und unterstützende, wobei zu bemerken ist, dal)
die erste Gruppe vorläufig unseres Erachtens zwei Verfahren enthält.
welche den Nachweis erbracht haben, in einem großen Prozentsatz der
Fälle Dauerheilungen zu erzielen. — Daß eine Heilung ja hie und da
auch mit einem oder dem anderen Mittel gelingen mag, soll ja nicht be-
stritten werden; wir gehen aber, wie schon früher angedeutet wurde, von
dem Standpunkt aus, in den jeweiligen Krankheitsstadien stets von der
uns am allersichersten erscheinenden Therapie Gebrauch zu machen. —
Wenn man anders vorgeht, so läuft der Kranke die Gefahr, den richtigen
Moment, in welchem er noch mit sehr großer Sicherheitschance die Hei-
lung erlangen kann. zu versäumen, resp. die spätere Heilung könnte er-
Prognose und Therapie der Hauttuberkulose. 21
schwert werden. Die beiden Methoden, welche wir als radikale bezeichnen.
sind das operativplastische Verfahren und das Finsenverfahren.
Das operativplastische Verfahren, welches allgemein als Langs Me-
thode bezeichnet zu werden pflegt, weil Eduard Lang diese Methode in
der sorgfältigsten Weise ausgebildet hat, die präzisen Indikationen für die-
selbe angab und für eine bestimmte Art von Lupusfällen die Exstir-
pation zum Prinzip erhob), ist ja nur für einen Teil der Fälle ge-
eignet, nämlich für solche, welche man vollständig im Gesunden mit
lem Messer umgrenzen kann, für Fälle mit zirkumskripten Herden.
-— Aber in dieser Reihe von Fällen erhält man durch Exision mit einer
solchen Sicherheit Heilerfolge, wie sonst mit keiner anderen Methode. —
Lang hat dieses Verfahren nach allen Richtungen so ausgebildet, daß
man mit Hilfe der verschiedenen Arten der Deckung, sei es der einfachen
Naht. sei es mit Zuhilfenahme der Thierschtransplantation, durch Heran-
zıehung gestielter oder Wanderlappen, durch Deckung mit stiellosen Krause-
Lappen, auch ästhetisch vollauf befriedigende Resultate erhalten kann. —
Ich will in diesem allgemein gehaltenen Vortrag auf Details gar nicht so
sehr eingehen, sondern nur darauf hinweisen, daß es notwendig ist, stets
tatsächlich im Gesunden zu operieren, wie bei einem malignen Neoplasma,
laß man daher auch alles Krankhafte entfernen muß, z. B. regionär er-
krankte Drüsen, und daß für unsere Indikation weder irgendeine Lokalisa-
tion, noch die Ausdehnung, noch die Anzahl der Herde ein Hindernis
abgeben, wenn sie nur der Bedingung entsprechen, zirkumskript zu sein. —
bei zirkumskripten Herden haben wir nur solche Momente stets als Kon-
traindikation aufgefaßt, die überhaupt einen operativen Eingriff, welcher
Art immer, verbieten (schwere Anämie, Herzfehler, Hämophilie u. dgl.).
— Auch führen wir unsere Operationen fast immer nur unter Lokal-
anästhesie aus, Narkose ist nicht notwendig. — Die Lokalisation im Ge-
sichte oft ausgedehnter Herde ist, wie aus den zu demonstrierenden Fällen
zu ersehen ist, keinesfalls ein Hindernis zu kosmetisch tadellos ausführ- .
baren Operationen.
Ich zeige Ihnen zunächst eine klinische Tafel 2), welche die verschie-
densten Operationsfälle vor und nach der Operation enthält und verweise
daraus unter anderem auf den interessanten Fall eines lupösen Kollegen,
den Lang vor 16 Jahren operiert hat, ein Herd von sehr beträchtlicher
Ausdehnung im Gesichte, vielleicht der größte Lupusherd, der im Gesichte
durch Exstirpation geheilt wurde, und bei welchem nach der damaligen
1) Siche Eduard Lang, Der Lupus und dessen operative Behandlung.
(Verlag von J. Safar, Wien 1898.)
2) Eduard Lang, Klinische Tafel operierter Lupusfälle. (Verlag von
J. Safar, Wien.)
22 Jungmann,
Methode die Deckung nur mit Thiersch bewerkstelligt wurde. Später-
hin wurde von Lang mit Rücksicht auf den hübscheren kosmetischen
Effekt im Gesichte Lappenplastik vorgezogen. Daß jedoch auch in
diesem Falle ein sehr befriedigendes Resultat .erzielt wurde, entnehmen
ORE EEO RE TET
Deg PREET <
Fig.1. Mächtig ausgedehnter Gesichtslupus. Fig. 2. Lupus (Fig. 1) durch Exstir-
pation geheilt. Deckung mit Thiersch-
transplantation.
Sie nicht nur der Abbildung, sondern auch dem Umstande, daß dieser
Kollege seit jener Zeit}seiner ärztlichen Praxis ungestört nachgehen kann.
(Fig. 1 u. 2.) Ich verweise ferner auf den Fall des Ersatzes eines aus-
gedehnten lupösen Teiles der Ohrmuschel, wo Lang durch Heranziehung
Fig. 3. a) Lupus des Ohres b) Ohrlupus. Defekt nach Exstirpation.
c) Otoplastik.
eines gestielten, an seinem Ende doppelt gelegten Lappens, dessen Stiel
gleichsam wie ein Strebepfeiler das neue Ohr hält, einen ausgezeichneten
ästhetischen Erfolg erzielen konnte (Fig. 3), und ich bitte auch einem
anderen Falle Beachtung zu schenken, bei dem ich vor einigen Jahren
bei einem ausgedehnten Kinnlupus den Ersatz des Defektes durch einen
Prognose und Therapie der Hauttuberkulose. 23
behaarten beiderseits gestielten Brückenlappen aus den unteren Halspartien
bewerkstelligt habe, welcher dem Manne das Surrogat eines Bartes ver-
leiht und hierdurch einen ästhetisch recht vollkommenen Effekt hervorruft.
(Fig. 4 u. 5.)
Nun folge eine Reihe von operierten Patienten, die zum größten Teil
seit Jahren ausgeheilt sind.!)
Fall I. C.J., Wärterin, wurde im Alter von 26 Jahren wegen ausgedehntem
Lupus an vielen Körperteilen (25 Herde) im Jahre 1895 von Lang operiert. — Ein
Teil der Herde konnte vernäht werden, ausgedehnte Herde am rechten Vorderarm,
sowie an beiden Wangen wurden gethierscht. Ein Ektropium unter dem rechten Auge
wurde durch Implantation eines stiellosen Lappens beseitigt. — Sie ist seit 17 Jahren
geheilt geblieben. Das kosmetische Resultat ist ausgezeichnet. — Die Frau hat in-
Fig. 4. Ausgedehnter Lupus am Kinn. Fig. 5. Lupus (Fig.4) durch xarpa
tion geheilt. Lapponpiasnk aus den
tieferen Halspartien.
zwischen den Beruf einer Pflegerin gewonnen, geheiratet und hat gesunde Kinder.
Fall II. L. J., wurde als 16jähriger Jüngling wegen Lupus der rechten Wange,
des rechten und linken Ellbogengelenkes im Jahre 1896 von Lang operiert. — An
der Wange wurde ein gestielter Halslappen zur Deckung verwendet. — An den übrigen
Stellen teils Naht, teils Thierschdeckung. Der Patient ist seit 16 Jahren geheilt geblieben,
Fall III. R. V., wurde als 18jährige Hilfsarbeiterin wegen Lupus der rechten
Wange und am Halse im Jahre 1900 von Lang operiert. Krankheitsdauer seit dem
3. Lebensjahre. An der rechten Wange bestand ein kreisförmiger Herd, 5 cm im Durch-
messer. In der Submentalgegend ein zweiter Herd als länglicher Streifen. Gestielter
Halslappen für das Gesicht. Am Halse Naht. Glänzendes kosmetisches Resultat.
Sie ist seit 12 Jahren geheilt geblieben.
Fall IV. P. A., als 56jährige Bedienerin wegen Lupus faciei im Jahre 1903
von mir operiert, Lupusherd 7 cm X 4'/s cm. Gestielter Lappen vom Halse. Seit
9 Jahren rezidivfrei. (Fig. 6, 7.)
!) Die Geheilten wurden gelegentlich dieses Vortrages persönlich vorgestellt.
24 Jungmann,
Fall V. L. M., als 29jähriges Mädchen wegen Lupus der unteren Wangenhälfte
rechts, im Jahre 1906 von mir operiert. — Kurz nach der Operation geheiratet. — Sie
ist seit 6 Jahren rezidivfrei.
—
Fig. 6. Gesichtslupus. Die unverwisch- Fig. 7. Gesichtslupus (Fig. 6) durch Ex-
bare Marke zeigt die Schnittführung stirpation geheilt. Lappenplastik voın
während der Exstirpation an. Halse.
Fall VI. B. M., als 30jährige Private wegen Lupus beider Wangen von mir
im Jahre 1903 operiert. Exstirpation des Herdes der rechten Wange, 7 cm X 5 cm groß,
und der linken Wange, kronengroß. Links Deckung des Defektes durch Hautlappen-
=
Te
Fig. 9. Gesichtslunrns (Fig. 8) durch Ex-
Fig. 8. Gesichtslupus. stirpation geheilt. Plastik vom Halse und
von der Stirne her.
verschiebung. Rechts teilweise durch gestielten Halslappen; der Rest des rechten
Gesichtsdefektes am inneren Augenwinkel wurde durch einen kleinen Lappen aus
der Region der Nasenwurzel geschlossen. Seit 9 Jahren rezidivfrei. (Fig. 8, 9.)
Fall VII. R.E., wurde als 4jähriger Knabe im Jahre 1906 wegen eines kleinen
Lupusherdes an der rechten Wange von mir operiert. Der Knabe ist seit 6 Jahren von
Prognose und Therapie der Hauttuberkulose. 25
seinem Lupus befreit. Bemerkenswert ist, daß auch seine Mutter lupuskrank war.
Sie werden dieselbe unter den geheilten Finsen-Fällen demonstriert erhalten. (Finsen-
fall Nr. 1. Seite 34.)
Fig. 10. Lupus der Wange. Fig. 12. Lupus (Fig. 10 u. 11) durch Ex-
stirpation geheilt. Im Gesichte Plastik
vom Halse und der Stirne her. Am Vorder-
arm und Handrücken Thierschdeckung.
Fall VIII. W. J., Arbeiter, wurde, 20 Jahre alt, im Jahre 1907 von mir wegen
12 Lupusherden operiert, darunter ein ziemlich ausgedehnter Lupusherd unter dem
linken Auge und der Jochbeingegend, Deckung mit gestieltem Stirn- und Halslappen.
Bei einem zweiten ausgedehnten Herd des linken Vorderarmes und halben Hand-
rückens Deckung nach Thiersch. (Fig. 10, 11, 12.) Rezidivfrei seit 5 Jahren.
Abgesehen von dem schönen
kosmetischen Resultat im Gesicht,
ist es bemerkenswert, daß die Hand
nicht die Spur von Zirkulations-
störung aufweist, obwohl die Ex-
zision am Vorderarm sich stellen-
weise auf die ganze Zirkumferenz
erstrecken mußte.
Zum Vergleiche mit diesem
Falle wird der nächste erst vor
einigen Monaten operierte Patient
interessant sein.
FallIX. B.O., 35 Jahre alter
Hausierer, bei welchem ebenfalls
ausgedehnte Partien am Vorderarm Fig.11. Lupus am Vorderarm und Handrücken bei demselben
A d Patienten wie Fig. 10.
in der ganzen Zirkumferenz abge-
tragen, mit Thiersch gedeckt wurden, ohne daß bemerkenswerte Zirkulationsstörungen
hierdurch beobachtet wurden. Die Ausdehnung des Lupusherdes an der oberen Extre-
mität bei diesem seit 30 Jahren kranken Manne war eine viel beträchtlichere, als
in dem vorhergehenden Falle, denn sie betraf nicht nur ausgedehnte Partien des
rechten Vorderarmes, sondern erstreckte sich auch ein Stück weit über das Ell-
hogengelenk nach aufwärts an den Oberarm. Dieser Patient stellt aber auch
26 Jungmann,
gleichzeitig eine Kombination des Exstirpations- mit dem Lichtverfahren
dar. Denn als wir ihn vor 3 Jahren zuerst sahen, reichte der Lupus über das Hand-
Fig. 13. Ausgedehnter zirkulärer Lupus des Ober- und Vorderarmes, Handrückens,
einzelner Finger.
ö u
u a er ~g
e Re
ra u a r ” D 3 Sealg
u, » - 5 cid nn
wo‘ k z - ir l SE;
Tr RT F . i : f . TESS
Kun En‘ . T nn - LD aE md re _
Fig. 14. Lupus (Fig. 13) an der Hand durch Finsen geheilt. Unverwischbare Marke
vor der Exstirpation.
wurzelgelenk einerseits ein Stück weit auf die Vola manus, andererseits auch
am Handrücken, nur eine schmale gesunde Spange freilassend, an den I. bis IV. Finger
Prognose und Therapie der Hauttuberkulose. 27
und zwar stellenweise bis in das zweite Glied heran. Mit Rücksicht auf die vor-
erwähnte gesunde Spange am Handrücken faßte ich den Entschluß, zunächst die Er-
krankung an der Hand womöglich durch Finsenbehandlung zur Ausheilung zu bringen,
so daß dann der übrige Herd im Gesunden exstirpiert werden und die Hand von dem,
wenn auch möglichen und von uns ja wiederholt unternommenen, so doch sehr schweren
Eingriff einer Plastik verschont bleiben konnte. — Tatsächlich gelang dieser Plan und
erst nachdem wir zirka °/ı Jahre lang die Ausheilung der belichteten Partie an
der Hand beobachtet hatten, schrittich Ende Oktober 1911 zur Exstirpation desübrigen,
nunmehr zirkumskript gewordenen Herdes. In Anbetracht der verhältnismäßigen Kürze
nach der Operation ist die Narbe noch stellenweise gewulstet, was sich aber, wie Sie
Fig. 15. Lupus (Fig. 14) durch Exstirpation geheilt. Tierschdeckung.
eben aus dem Fall VIII ersehen konnten, späterhin sehr hübsch ausgleicht. Die
Funktionstüchtigkeit an den geheilten Partien ist vollkommen befriedigend. (Fig.
13. 14, 15.)
Fall X. V.E., Privatpflegerin, wurde im Alter von 16 Jahren im Jahre 1904
wegen eines mächtig über beide Halsseiten und die unteren Kinnpartien ausgedehnten
Lupus von mir operiert. Die Deckung geschah mit Hilfe von mehreren aus der Um-
gebung herangezogenen gestielten Lappen. Das Mädchen ist seit 6 Jahren rezidivfrei.
Doch war der obere Rand der Lappenbildung rechts in der Unterkieferregion lange
Zeit sehr gewulstet und Patientin erschien im Sommer 1911 mit Ulzerationen daselbst
bei uns. Diese Ulzerationen trugen jedoch keinen spezifischen Charakter, wie auch
Tuberkulininjektion zeigen konnte, sondern waren als Narbeninsuffizienzen aufzu-
fassen. Die zarten weißen Flecken, die man jetzt an diesen Stellen sieht, weisen auf
diese Affektion hin. Die schöne Ausheilung der insuffizienten Narbe gelang durch
Behandlung mit Radium.
28 Jungmann,
Fall XI. H. M., Privata, wurde, 58 Jahre alt, wegen eines erst 3 Jahre be-
stehenden Lupusherdes am linken oberen Augenlid und an der Stirn im Jahre 1904
von mir operiert und ist seit 8 Jahren redizivfrei geblieben. Die Partie an der
Stirne ist durch Thiersch gedeckt, der sich über dem Knochen besonders zart und
glatt gestaltet, die Partie am Augenlid ist durch Heranziehung eines Lappens aus der
Umgebung gebildet worden und ist heute kaum mehr zu merken, daß dieses Lid eine
plastische Operation erfahren hat.
FallXII. C.M., als 15jähriges Landmädchen vor ca. einem Jahre durch Exstir-
pation von 12 Lupusherden befreit; diese wurden zum Teil mit Thiersch gedeckt,
zum Teil vernäht. Bemerkenswert ist der Ersatz des rechten oberen Augenlides durch
eine Lappenplastik, insbesondere aber die Otoplastik, welche an der Kranken vor-
genommen wurde Die Patientin hatte nach wiederholten, an verschiedenen Sta-
stionen vorausgegangenen Eingriffen, als sie zu uns kam, kaum das oberste Drittel
Fig. 16. Michtie ausgedehnter Lupus Fig. 17. Lupus (Fig. 16) durch Exstir-
der linken Wange nnd der ganzen Nase pation geheilt. An der Wange Plastik
rechts und links. Totaler Ektropium von Stirne nnd vom Halse. Thiersch-
des unteren Augenlides. transplantation an der Nase. Heilung des
Ektropiums durck Krauselappen vom
Oberarm. Photographische Aufnahme
kurze Zeit nach der Plastik.
ihres Ohres erhalten, während an Stelle des Restes eine schmale lupös infiltrierte
Leiste vorhanden war. Nach Exstirpation derselben versuchte ich, ihr eine neue
Ohrmuschel durch einen Wanderlappen vom Halse her zu formieren. In mehrzeingze
Eingriffen gelang dies auch, so daß sie jetzt einen ganz befriedigenden Ersatti der
fehlenden Ohrmuschelteile hat.
Fall XIII. W.D., 32jährige Private, die ich erst vor kurzem operiert habe.
Diese wird einerseits demonstriert, um zu zeigen, daß kurze Zeit nach der Operation
die neuen Lappen noch rigid, die Nähte noch deutlich ausgeprägt erscheinen, was den
kosmetischen Effekt zu trüben scheint. Doch haben ja die bisherigen Fälle illustriert,
wie kosmetisch durchaus einwandfrei und befriedigend die Plastiken sich später ge-
stalten. Ferner zeige ich Ihnen diese Kranke auch als Beispiel dafür, das selbst sehr
ausgedehnte Plastiken im Gesichte mit gutem Erfolge durchführbar sind. Der
Lupus hatte nicht bloß die ganze linke Wange bis hart an dem unteren Lidrand er-
griffen, sondern war auch ein Stück weit auf den linken Hals übergegangen und
hatte auch die rechte und linke Nasenhälfte vollständig okkupiert. Es bestand auch
Prognose und Therapie der Hauttuberkulose. 29
ein totales Ektropium des linken unteren Augenlides, welches bis in die Jochbein-
region hinabgezogen war. Es wurde zur Deckung des nach der Exstirpation entstande-
nen mächtigen Defektes ein Stirn- und ein Halslappen verwendet, auf die Nase konnte
Thiersch aufgelegt werden. Bei einseitigen Nasendefekten empfiehlt sich Thiersch
nicht, weil durch Tendenz der Thierschnarbe zur Schrumpfung Nasenkrümmungen
entstehen. Bei Defekten an der ganzen Nasenhaut ist jedoch Thiersch, wie Sie sehen,
eine sehr gut anwendbare Methode. Ein nach der ersten Operation noch unbedeckt
gebliebener Teil des Defektes vor dem linken Ohre konnte kurze Zeit später durch
eine Lappenbildung aus dem Stiele des neu aufgelegten Halslappens gedeckt werden.
Die Beseitigung des Ektropiums geschah mit Hilfe eines stiellosen Lappens. (Fig. 16, 17.)
Unsere Patienten wurden seit jeher in sehr genauer Evidenz gehalten,
was für die Lupusbehandlung in jeder Beziehung von großer Wichtigkeit ist.
Bezüglich genauerer Rezidivstatistiken sei auf unsere früheren Publi-
kationen verwiesen. Doch sei hier nur hervorgehoben, daß wir unter
535 operierten Kranken mehr als 400 wiederholt nachkontrollieren konnten
und sich darunter Kranke befinden, die 17 Jahre lang geheilt sind. Nur
10 Kranke zeigten späterhin inoperable Rezidive; und von diesen fallen 9
in die erste Zeit der Operationen, d. i. in eine Periode wo Indikation
und Technik noch nicht die Präzision hatten, wie heute.
Es gibt wohl auch sonst bei ärztlichen Maßnahmen in irgendeinem
Krankheitsfalle niemals eine größere Sicherheit als sie das operativ-plastische
Verfahren für solche Lupusfälle, in denen es anwendbar ist, bietet.
Es wurde schon betont, daß diese Methode nur für eine bestimmte
Reihe der Fälle geeignet ist, allerdings für einen recht ansehnlichen Teil.
der sich gewiß aber noch beträchtlich vermehren würde, wenn die Kranken
häufiger im initialen Stadium erscheinen würden. — Wo aber keine Um-
srenzung im Gesunden möglich ist, wo die tuberkulöse Erkrankung so
angeordnet ist, daß der chirurgisch geschulte Lupusarzt sich im vorhinein
sagen muß, daß er keine sichere Möglichkeit hat, alles Krankhafte zu
entfernen, da wäre es ganz verfehlt, diese Methode anzuwenden. — Und,
wenn von mancher Seite auf die Häufigkeit von Mißerfolgen aufmerksam
gemacht wurde, so steht dies im Widerspruch zu unseren guten Resultaten
und kann nur, wenn nicht auf falscher Technik, so doch auf unrichtig
gestellter Indikation beruhen.
In demselben Jahrzehnt aber, in dem Lang die chirurgische Lupus-
heilmethode mit so großer Vorsicht ausgebildet hat und hierdurch als
erster an vielen Patienten zeigen konnte, daß der Lupus eine heilbare
Erkrankung ist, erstand aber noch ein anderes wirksames Verfahren für
diese Krankheit, mit welchem bei zahllosen Patienten radikale Heilung er-
zielbar ist und welches dabei kosmetisch ebenfalls ganz wundervolle Resultate
zuwege gebracht hat. — Es ist dies Niels R. Finsens Lichtmetlode.
Es hat ja einiger Zeit bedurft, bis man sich darüber klar wurde, dal) das
30 Jungmann,
Licht mächtige Heilpotenzen zu entfalten imstande sei. — Heute ist dies
ganz allgemein geläufig und es ist uns klar, daß der chemische Teil des
Lichtspektrums der Sonne und auch mancher künstlicher Lichtquellen, die
bereits ihre Probe abgelegt haben, mindestens ebensogut auf den kranken
Organismus bedeutende Wirkungen ausüben können muß, wie irgendein
pharmazeutisches Produkt. — Man mul) sich ja nur vergegenwärtigen, dal)
das Licht überhaupt die Bedingung alles Lebens darstellt.
Die ersten Erfolge erzielte Finsen mit seinem Sonnenapparat. Wenn-
gleich derselbe unter gewissen günstigen Begleitumständen sich sehr gut
verwenden läßt, so hat er doch kaum eine größere praktische Bedeutung,
mit Rücksicht darauf, daß seine Anwendbarkeit doch nur von sehr
schwankenden klimatischen Faktoren abhängt. — Die hervorragenden
Heilresultate liessen sich auch tatsächlich erst mit dem Kohlenbogen-Finsen-
apparat erzielen. — Sowohl die physikalischen Grundlagen, als auch die
Konstruktion dieses Apparates ist zu allgemein bekannt, als daß ich hier
des Näheren darauf eingehen sollte. !)
Wichtig ist natürlich eine ganz besonders akurate Verwendung dieses
Verfahrens und es müssen die einzelnen Lichtapplikationen von den Ärzten
auf das allergenaueste überwacht werden, nicht nur, was die Wahl und
Anordnung der zu belichtenden Stellen anlangt, sondern auch die genaue
Technik der Behandlung. Es mul vor kalorischen Effekten geschützt
werden, es mul darauf gesehen werden, daß stets eine entsprechende
Druckwirkung ausgeübt werde, es muß die notwendige Vorbereitung des
Patienten erfolgen und auch der entsprechend erforderliche Verband-
wechsel. Auch ist es bei der Langwierigkeit und Eigenart dieser Be-
handlung erforderlich, die Kranken oft jahrelang in konsequenter Evidenz
zu halten, denn die Behandlung kann selten in einem Zug geschehen.
Wenn der Krankheitsherd einer allgemeinen Durchbelichtung bis zu einem
gewissen Grade unterworfen ist, so muß stets eine mehr oder weniger lange
Pause eingeschoben werden, und es erfolgt die nachfolgende Behandlung
überhaupt immer nur serienweise.. Bei der Beschaffenheit jener Fälle,
die für das Finsenverfahren besondere Eignung besitzen, ereignen sich
infolge des Wesens des Prozesses häufig Nachschübe. Wenn diese der
Nachbelichtung nicht unterzogen werden, so kann die aufgewendete Mühe
oft vergeblich und illusorisch gemacht werden. Ferner sind die Apparate
auf das peinlichste klar und rein zu erhalten, von Kranken zu Kranken
müssen die Linsen gewechselt und einem antiseptischen Gange unterzogen
werden, damit es nicht zu Übertragungen oder zu den in der Lupus-Therapie
eine so schwierige Komplikation darstellenden Mischinfektionen komme.
1) Diese Vorlesung war mit einer Demonstration der verschiedensten Applikati-
onsarten in unserem Institute verbunden.
Prognose und Therapie der Hauttuberkulose. 31
Bei der Belichtung unserer Kranken kann man sehen, daß die ursprünglich
vom Kopenhagener Institut ausgehende manuelle Drucklinsenapplikation in
der Wiener Heilstätte meist nicht angewendet wird, sondern an deren Stelle
mein automatisches Kompressorium!) getreten ist, mit welchem wir seit
vielen Jahren arbeiten und vollkommen befriedigende Resultate erhalten.
Indem bei diesem Apparat hinter den Drucklinsen ein spiraliges Gestell
angebracht ist, kann die Drucklinse dem Patienten, falls er etwa eine
zurückweichende Bewegung macht, automatisch nachrücken. Selbst-
verständlich gehört zur Anwendung eines solchen Apparates auch ein
Widerlager als Gegendruck, und es ist nur zu bedauern, daß dieser auto-
matische Apparat öfters an manchen Stationen zur Anwendung gelangt,
ohne dab das gleichzeitig erforderliche Widerlager mit verwendet wird.
Selbstverständlich ist bei gewissen Stellen die manuelle Druckanwendung
nicht zu vermeiden.
Es muß in einer Lupusheilstätte ein auf das sorgfältigste geschultes
Pflegepersonal zur Seite stehen, und es können nur dort, wo tatsächlich
Pfiegepersonen sich mit großer Hingabe, ja Begeisterung der Ausübung
dieser keineswegs, wie man manchmal hört, langweiligen, sondern im
Gegenteil eine hohe Intelligenzstufe erfordernden Methode widmen, ebenso
imposante Erfolge erzielt werden, wie sie aus dem Kopenhagener Mutter-
institut stammen.
Die Finsen-Reyn-Lampe ist der einzige auf dem gleichen Prinzipe
beruhende Apparat, welcher dem großen Kohlenbogenlicht einigermaßen
an die Seite gestellt werden kann. Von den zahllosen anderen Licht-
modellen jedoch, die ähnliche Prinzipien wie die Finsen-Reyn-Lampe ver-
folgen (von anderen Lichtquellen wird ja später die Rede sein), welche
im Laufe der Jahre zur Publikation gelangten, hat keines eine irgendwie
beweisende Probe ablegen können und es ist gewiß nicht ungerechtfertigt,
wenn man sie als wertlos für die Lupus-Therapie bezeichnet, wie auch sehr
bedauerlich, daß sie nicht selten unter dem Namen Finsenmethode geführt
werden, und daher nur zur Diskreditierung des ausgezeichneten Verfahrens
Veranlassung bieten.
Daß das Finsenverfahren ein äußerst langwieriges und schwieriges ist,
wurde ja zur Genüge ausgeführt. Muß doch der Krankheitsherd Stelle
für Stelle förmlich mit dem Lichte abgesucht werden und es muß ein und
dieselbe Stelle, die ja nicht gut größer als 1!/, cm im Durchmesser, mit-
unter aber je nach der Lokalisation viel kleiner ist, einer wiederholten
Behandlung unterzogen werden. Die einzelne Sitzung dauert durchschnittlich
5j, Stunden. Etwa im Laufe der nächsten 24 Stunden komnit es zu einer
1) Siehe A. Jungmann: Techn.-therapeutische Mitteilungen zur Lupusbe-
handlung, speziell zum Finsenbetrieb. (Wien. klin. Wschr. 1906, Nr. 28.)
32 Jungmann,
typischen, entzündlichen Reaktion (Erythem-, Blasen- event. Pustelbildung )
und dann zu einer Rückbildung dieser Reaktion in ganz regelmäßiger
Weise. Das Wesentliche der Finsen-Reaktion besteht darin, daß die kranke
Stelle von dem Lichte in ganz spezieller Weise getroffen wird, wobei das
gesunde Grewebsgerüste verschont bleibt. Es kommt unter dem Einflusse
des Lichtes zur Degeneration des Epithels, der epitheloiden und Riesen-
zellen, während das kollagene Gewebe erhalten bleibt. Es kommt auch
zu Gefäßdilatation und zu Exsudation aus den dilatierten Gefäßen, zu
seröser Durchtränkung des Gewebes und Lymphansammlung, andererseits
zu rascher Resorption der degenerierten Zerfallsprodukte und Ersatz der-
selben durch Neubildung von Bindegewebe und Epithelisierung, also, um
es nochmals zu resumieren, die Wirkung des Lichtes ist, abgesehen von der
hierdurch erzeugten lokalen Hyperämie speziell auf das kranke Gewebe
gerichtet, welche es infolge seiner Penetrationskraft eben gut zu erreichen
imstande ist, verschont die gesunden Teile, die in jedem noch so schweren
Lupusherde noch vorhanden sind und ruft rasch Rückbildungsprozesse
hervor. Eben auf dieser als elektiv zu bezeichnenden Wirksamkeit beruht
das Entstehen jener ganz wundervollen Narben, die wir aus der Finsen-
Therapie gewöhnt sind und Sie an den zu demonstrierenden Fällen dieser
Art zu begutachten in der Lage sein werden.
Ebensowenig wie alle Patienten mit Hauttuberkulose die Indikation zur
operativ plastischen Methode bieten, könnte man den Grundsatz vertreten,
daß jeder Lupuskranke nach dem Finsenverfahren zu behandeln sei. — Bei
einer Reihe von Patienten wird zunächst das operative Verfahren und die
Finsenmethode in Konkurrenz treten können und wird, wobei beide gute
kosmetische Resultate erzielen lassen, das operative Verfahren für sich den
Vorzug des rascheren und doch noch gewiß viel sichereren: Effektes bieten.
während die Finsenmethode dem Kranken allerdings den. blutigen Eingriff
erspart, hingegen doch äußerst langwierig, auch kostspielig ist und große
Ausdauer, sowohl vonseiten des Patienten wie der Ärzte erfordert. —
Manche Herde sitzen wohl überhaupt zu tief, um für die Belichtung einen
radikalen Erfolg zu ermöglichen und werde ich unter den Patienten auch
solche zeigen können. — Andrerseits aber bietet das Finsenverfahren bei
zahllosen Kranken, bei welchen an Exstirpation gar nicht gedacht werden
kann, weil sie nicht zirkumskript sind, noch die Möglichkeit von Aus-
heilung oder zum mindesten sehr hervorragender Besserung. — Die Re-
sultate beim Finsenverfahren zeigen heute die immerhin sehr erhebliche
Ziffer von 30 — 60°/, Dauererfolgen neben unzähligen hervorragenden Bes-
serungen, die den Kranken wohl einer von Zeit zu Zeit zu wiederholenden
Behandlung unterwerfen, jedoch ihn immerhin gesellschafts- und berufs-
fälig machen. — Aber ganz ebenso, wie dies von der Operation
Prognose und Therapie der Hauttuberkulose. 33
gesagt werden kann, läßt sich auch für die Finsenmethode die Prognose
stellen, daß, wenn die Kranken häufiger im initialen Stadium kämen, die
Erfolge sich noch sehr beträchtlich vermehren würden. — Sind wir doch
heute gezwungen, zahlreiche Patienten in Finsenbehandlung zu nehmen, bei
denen wir bereits im vorhinein nur mehr die Aussicht auf Besserung,
nicht aber auf vollständige Heilung haben. — Es rührt dies daher, daß
das Krankheitsterrain bei diesen Kranken, sei es durch den zerstörenden
Einfluß des Krankheitsprozesses, sei es durch vorhergegangene ungeeignete
Behandlungsmethoden nicht die Qualitäten besitzt, die für eine ausgiebige
Lichtpenetration erforderlich sind.
Nur selten ist ein Lupusherd sogleich für die Finsenbelichtung ge-
eignet; derselbe muß hierzu erst vorbereitet werden. Denn es hat keinen
Zweck hypertrophische oder exulzerierte Herde dieser Behandlung sogleich
zu unterziehen, da wir ja Methoden besitzen, von denen gelegentlich der
Unterstützungsverfahren gesprochen werden wird, welche diese Vorberei-
tung für die Lichtbehandlung sehr gut bewerkstelligen. — Hierbei wenden
wir solche Methoden, welche zu dicken wulstigen Narben führen, nicht
an, einerseits weil diese an und für sich nicht günstig für die Lupus-
behandlung sind, andererseits auch, weil die spätere Finsenbehandlung
hierdurch erschwert oder unmöglich gemacht werden kann.
Von großer Bedeutung für die Erzielung von Dauererfolgen mit der
Lichtbehandlung ist die gleichzeitige Behandlung regionärer Drüsenpaquete,
wozu die Röntgenbestrahlung uns einen sehr hervorragenden Heilfaktor
liefert, insbesondere aber die Behandlung von Schleimhäuten. — Die
vorderen Partien der Mund- und Nasenschleimhaut, ferner die Konjuktiva
konnte mit den aus Finsens Lys-Institut stammenden Drucklinsen, die die
verschiedensten Formen haben, gut und mit ausgezeichnetem Erfolge be-
handelt werden. — Ich zeige Ihnen hier eine andere Reihe von Druck-
linsen, welche ich in die Therapie eingeführt habe, welche das Prinzip der
Konzentration der Lichtstrahlung, der Druckwirkung an dem zu behan-
delnden Platze und der direkten Kühlung der zu belichtenden Stelle ebenso
aufrecht erhalten, wie die ursprünglichen Finsendrucklinsen und welche es
ermöglichen, bis in die größten Tiefen der Mund- und Nasenhöhlen, auch
in das Innere des Ohrkanals u. dgl. einzudringen. Hierdurch hat
sich das Gebiet der Finsenbehandlung, wie mir scheint, sehr wesentlich
ausgedehnt. Doch ist gerade die chronische Schleimhauttuberkulose
(Lupus) auch für einige andere Methoden sehr zugänglich. Es sei auf
die gute Wirkung der Röntgenstrahlen hingewiesen, die aber wohl eine
unvollkommene Technik in dem schwierigen Terrain der Mund- und
Nasenhöhle gestatten, insbesondere aber auf die ausgezeichnete Verwendbar-
keit des Radiums, welches den großen Vorteil voraus hat, daß man Ra-
3
31 Jungmann,
diumträger von verschiedenst gewünschter Form zur Anwendung bringen
kann, die in alle Nischen leicht einführbar sind. Auch durch konsequente
Verwendung mancher chemischer Mittel läßt sich günstig auf erkrankte
Schleimhäute einwirken. Insbesondere ist hier das Jod hervorzuheben,
welches man in verschiedenen Konzentrationen, von dem schwachen Jod-
glyzerin, von dem sehr wirksamen Jodoformäther bis zu sehr starken
wässerigen Jodlösungen zur Anwendung bringt. Eine sehr hervorragende
Methode ist vor einiger Zeit ferner von Pfannenstiel aus dem Kopen-
hagener Institut angegeben worden, welche auf dem Prinzip beruht, dab
durch interne Darreichung von Jodnatrium und externe Einwirkung von
Wasserstoffsuperoxyd eine Spaltung des sich ausscheidenden Jodnatrium
stattfindet und Jod in statu nascendi seine Wirkung ausüben kann. Die
Erfolge, welche wir hiermit erzielen, befriedigen uns in vielen Fällen sehr.
Wenig habe ich aber von der traditionell zur Anwendung gelangenden
Milchsäure gesehen. Hie und da ist die Zerstörung eines zirkumskripten
Krankheitsherdes an der Mucosa mit dem Galvanokauter von Erfolg be-
gleitet, von den flächenhaften Zerstörungen mit dem scharfen Löffel möchte
ich aber nicht gerne Anwendung gemacht sehen, weil er, ohne radikal zu
wirken, doch die Zerstörung, die der Prozeß an sich macht, nur ver-
größert, sowie auch zur Verschleppung Anlaß gibt. In gewissen Fällen
hat man früher ja nicht ausweichen können, um Kranken den Luftdurch-
tritt durch ihre mit Granulationen erfüllte Nasenhöhle zu ermöglichen,
doch haben wir heute, wie erwähnt, hierzu ebenso geeignete und schonen-
dere Verfahren. Selbstverständlich ist an sich die Pflege und Reinlichkeit
für die Schleimhäute von großer Bedeutung.!) In diesem Sinne ist auch die
Behandlung karioser Zähne ein dringendes Erfordernis.
Desgleichen ist auch auf Tränensackerkrankung zu achten. Die Ex-
stirpation eines tuberkulös erkrankten Saccus laerymalis ist aber selten von
radikalem Erfolge. Manchmal erzielte ich durch Röntgenbestrahlung be-
friedigende Resultate.
Es werden nun eine Reihe von ehemaligen Finsenpatienten demonstriert.
Fall I. R. O., 39jährige Frau mit Lupus exulcerans der Nase schweren Grades.
Sie wurde hier zuletzt im Jahre 1907 belichtet und ist demnach seit 4!/, Jahren ge-
heilt. Die Form der Nase ist fast vollständig erhalten. Es sei darauf hingewiesen,
daß diese Frau die Mutter desals Fall Nr. VII (S.24) demonstrierten operierten Knaben ist.
Fall II. M. S., 8jähriges Mädchen mit zirka hellergroßen Lupusherden, je
an beiden Wangen. Sie wurde zuletzt im April 1910 belichtet, ist demnach seit zwei
Jahren geheilt. Man merkt kaum den Ort der ehemaligen Erkrankung.
1) Lang betont immer, daß die Kinder überhaupt — auch die gesunden —
schon sehr früh ebenso wie an Mundspülung und Gurgelung auch an regelmäßige
Spülung der Nase gewöhnt werden; beim täglichen Waschen mögen sie 2—3 mal
Wasser aus der Hohlhand in die Nase einschlürfen und herausschneuzen.
Prognose und Therapie der Hauttuberkulose. 35
Fall III. M. G., 17 Jahre alt, mit einem zirka 2 hellergroßen Lupusherd
an der linken Schläfe, welche, zuletzt im Dezember 1908, d.i. vor 3'/, Jahren belichtet
worden ist. In diesem Falle war lange Zeit die Stelle des ehemaligen Lupus durch
einen bräunlichen Pigmentfleck charakterisiert, der aber nach und nach von selbst
geschwunden ist.
Fall IV. P. G., 14jährige Schülerin wurde erst vor 5 Monaten aus der Belichtung
entlassen. Sie hatte einen Lupus der Nasenspitze mit ziemlich ausgedehntem Schleim-
hautlupus. — Letzterer wird noch behandelt. Ich demonstriere diese Kranke nur als
Beispiel eines besonders raschen Verlaufes des Heilungsprozesses an der Haut und
verweise darauf, daB fortgesetzte Behandlung der Schleimhautin einem
solchen Falle notwendig ist, um das günstige Resultat zu erhalten.
Fall V. F. M., 3ljähriges Mädchen mit schwerem Lupus exulcerans der Nase
und der benachbarten Wangenpartien in ausgedehntem Maße. Sie ist seit 3 Jahren
geheilt, hat aber vorsichtshalber für suspekte Pünktchen, die man nicht sicher als
x :
- a oi
Fig. 18. Schwerer Gesichtslupus. Fig.19. Lupus (Fig.18) durch Finsen geheilt.
Lupusnachschübe konstatieren konnte, noch Ende 1910 und anfangs 1911 einige
wenige Belichtungen erhalten. — Ein ausgedehnter Lupus am harten Gaumen wurde
durch Radium zur Heilung gebracht. — Das Fräulein dient jetzt bei uns als Pflege-
schwester. (Fig. 18, 19.)
Fall VI. H. Fr., 16jährige Handarbeiterin, mit sehr schwerem Lupus exul-
cerans der Nase und beider angrenzender Wangenpartien, desgleichen Lupus der
Gingiva zwischen den oberen Eckzähnen. Es ist bemerkenswert, daß diese Kranke
gegen den Willen ihrer Mutter auf polizeiliche Veranlassung durch den Vormund
unserer Behandlung übergeben wurde. Da der Lupus hypertrophischen Charakter
zeigte, wurde zuerst eine Pyrogallusbehandlung vorgenommen und dann Finsen-
belichtung eingeleitet; sie ist nun seit Herbst 1909, d. i. seit 2!/, Jahren, lupusfrei,
sowohl im Gesicht, als auch an der Mundschleimhaut. — An diesem Falle ist nicht
nur das kosmetisch hervorragende Resultat bemerkenswert, sondern er wirft auch ein
soziales Streiflicht auf die Lupusfrage. (Fig. 20, 21.)
Fall VII. M. L., 27jähriges Mädchen mit schwerem Lupus exulcerans und
Qi
2 ‘
36 Jungmann,
hypertrophicus der ganzen Nase und angrenzenden Wangenpartien. Sie ist seit Ende
1909, d. i. seit 2!/, Jahren geheilt, erhielt ebenso wie dies im Fall V beschrieben wurde,
vorsichtshalber im Jahre 1910 noch einige Belichtungen. Bei dieser Kranken
Fig. 20. Schwerer Gesichtslupus. Fig.21. Lupus (Fig.20) durch Finsen geheilt.
war schon nach ihrer Lupusheilung rechts in der Mitte der Wange, sowie am rechten
oberen Augenlid je ein linsengroßes Skrophuloderma entstanden, welche der Radium-
bestrahlung unterzogen wurden und seit einem Jahre ebenfalls ausgeheilt sind.
(Fig. 22, 23.)
m ss
A CRN j i SER
BER = žy EP. 5 n 28 a AN i
2 $ P Eu.
ER
RR.
Mic
<
d kaa
Fig. 22. Schwerer Gesichtslupus. Fig. 23. Lupus(Fig.22) durch Finsen geheilt.
Fall VIII. F. M., 46jährige Frau mit hypertrophischem Lupus des ganzen
linken Ohres. Unter kombinierter Pyrogallus- und Finsenbehandlung seit Herbst
1909, d. i. seit 2!/,, Jahren geheilt.
Prognose und Therapie der Hauttuberkulose. 37
FallIX. G.A., 40jährige Frau mit Lupus an beiden Handrjicken, durch Finsen-
behandlung seit dem Frühjahr 1908, das ist nahezu vier Jahren, geheilt. (Fig. 24—25.)
Fall X. K. Th., 42jährige Frau mit Lupus des ganzen rechten Handrückens,
durch Finsen-Belichtung seit Frühjahr 1909, d.i. nahezu drei Jahre, geheilt. (Fig. 26, 27.)
Fig. 24. Lupus an beiden Handrücken
Der nächste FallXI. A. J., 29jähriger Graveur, zeigt hingegen das Beispiel
eines Lupus der ganzen rechten Hand, zum Teil auch auf einige Fingerglieder über-
greifend, welcher trotz jahrelanger Finsenbehandlung nicht über ein gewisses Maß
der Heilung gebracht werden konnte, so daß der Patient sich schließlich zur Ex-
>
VR
i n
Fig. 25. Lupus an beiden Handrücken (Fig. 24) durch Finsen geheilt.
stirpation seines Lupusherdes entschloß, die im Juni 1911 ausgeführt wurde. Nach
der Exstirpation wurde ein stielloser Lappen aufgelegt. Das funktionelle und kosme-
tische Resultat ist sehr befriedigend.
Während es sich hier noch um einen relativ ausgedehnten Fall handelt, welcher
sich der Lichtbehandlung gegenüber refraktär verhielt, zeigt der nächste
38 Jungmann,
Fall XI. K. R., 20 Jahre alt, daß wir auch in kleineren Fällen manchmal
mit der Licehtbehandlung nicht auskommen und schließlich doch zur Operation greifen
müssen. — Bei dem Kranken wurden zwei Lupusherde am Körper schon vor 5 Jahren
exstirpiert und sind seither rezidivfrei geblieben; ein zirka 5 kronengroßer Herd an
der Schläfe aber wurde anfangs der Finsenbehandlung unterzogen, mußte aber
nach längerem Bemü-
hen exstirpiert werden,
weil einzelne tief ge-
legene Punkte des
Herdes für das Licht
nicht erreichbar waren.
Es wurde eine Lappen-
plastik gemacht. Pa-
tient ist jetzt auch an
dieser Stelle seit zwei
Jahren rezidivfrei.
Bei den zwei näch-
sten Patienten wurden
ebenfalls Körperherde
Fig. 26. Ausgedehnter Lupus des Handrückens. durch Exstirpation ge-
heilt, der gleichzeitig
bestehende inoperable Gesichtsherd wurde der Finsenbehandlung unterzogen und
zwar:
Fall XIII. G.E., 28 Jahre alt. Sieben zum Teil ausgedehnte Herde am Körper
wurden exstirpiert, teils genäht, teils mit Thiersch gedeckt. Der Gesichtslupus betraf
die Nase und das ganze mittlere Gesicht. Patientin ist durch Finsenbehandlung seit
Frühjahr 1910, d. i.
nahezu zwei Jahren, ge-
heilt und bietet uns ein
ausgezeichnetes kosme-
tisches Resultat. Be-
merkenswert istin die-
sem Falle, daß ein
schwerer lupöser Prozeß
am harten und weichen
Gaumen unter konse-
quenter Behandlung
mit Jodoform -Äther
zur Heilung gebracht
wurde.
Fall XIV DA, Fig. 27. Lupus (Fig. 26) durch Finsen geheilt.
25 Jahre alt, hatte 7
zum Teil ausgedehnte Herde am Körper, die exstirpiert und teils genäht, teils
gethierscht wurden und seit 4 Jahren geheilt sind. Der Lupus exulcerans der Nase,
angrenzenden Gesichtspartien und am Halse ist durch Finsenbehandlung bis auf ein-
zelne kleine Pünktchen, die von Zeit zu Zeit noch einer Nachbelichtung bedürfen, ge-
heilt. Drüsenpakete, die am Halse unterhalb des Lupus saßen, wurden durch
Röntgenbestrahlung wesentlich reduziert. Auch diese Patientin ist jetzt als Pfle-
gerin bei uns tätig. (Fig. 28—30.)
Prognose und Therapie der Hauttuberkulose. 39
Der nächste noch in Behandlung befindliche
Fall XV. S.S., 14jähriges Mädchen, ist von einem schweren Lupus exulcerans
der Nase, mittleren Gesichtspartien und Oberlippe durch Finsenbehandlung seit zirka
Fig. 28. Gesichtslupus. Fig. 29. Lupus (Fig. 28) durch längere
Zeit unbehandelt und daher sehr ver-
breitet.
zwei Jahren vollkommen geheilt, während einzelne restierende Pünktchen Schwierig-
keiten für eine vollständige Heilung ergeben. Bemerkenswert ist, daß diese Kranke
tiefer sitzende Lupusprozesse am harten Gaumen hat, welche mit Hilfe der oben (S. 33)
beschriebenen Drucklinsen einer rationellen Finsen-
behandlung mit Erfolg zugeführt werden. (Fig.
31— 32.)
Auch der nächste Patient
Fall XVI. M. E., 34jähriger Beamter, ist
bemerkenwsert, weil er außer Lupus des oberen
und unteren Zahnfleisches in den mittleren Partien
gar keine andere tuberkulöse Affektion darbietet.
Während der Lupus am oberen Zahnfleisch durch
Finsenbelichtung seit zirka °/, Jahren geheilt ist,
ist der Lupus des unteren Zahnfleisches vorläufig
nur als gebessert zu betrachten und steht noch
in Finsenbehandlung.
Fall XVII. M. R., l15jähriger Lehrling mit
Gesichtslupus stand bei uns in Finsenbehandlung,
LE. 3 x
WISE ST "oh -i welche wir mit den verschiedensten anderen Me-
hiis
Fig. 30. Lupus (Fig: 99) durch Finsen thoden, z. B. auch Tuberkulinbehandlung kom-
bis auf einige suspekte Pünktchen geheilt. binierten, weil die Erkrankung große Hartnäckig-
keit unseren Heilverfahren gegenüber zeigte. —
Erst als wir den Kranken für 4 Monate an die See brachten, wo er keine andere Be-
handlung als Sonnenbäder erhielt, heilte der schwere hartnäckig®e Prozeß aus. — Der
Knabe ist vorläufig seit ®/ı Jahren auch gesund geblieben. Die Lokalbehandlung ist
eben in vielen Fällen fruchtlos, wenn es nicht gelingt, einen unterernährten und in
ungünstigen Verhältnissen aufwachsenden Menschen durch Hebung des Allgemeinzu-
standes in eine bessere Heildisposition zu versetzen.
40 Jungmann,
Die Heranziehung von klimatischen Faktoren ist da von großer Bedeutung
und wir haben nicht selten bei Patienten ebenso wie in diesem Falle erst durch
längere Unterbringung in einem Seehospiz Heilerfolge erzielen können. ;
Unter den unterstützenden Verfahren nimmt eine sehr hervorragende
Rolle die Röntgenbestrahlung, ein, die wiederum ihr ganz bestimmtes In-
dikationsgebiet hat. Ein Vergleich zwischen Röntgen- und Finsentherapie
in Bezug auf ihre Wirkung ist ein zwar häufig versuchtes, aber wenig er-
giebiges Unternehmen, und diejenigen Autoren, welche auf beiden Gebieten
über sehr ausgedehnte Erfahrungen verfügen, pflegen im allgemeinen hier-
von lieber abzusehen, denn gerade in jenen Stadien, in welchen die
Finsentherapie ihre größten Erfolge feiert, pflegt die Röntgenapplikation
ziemlich aussichtslos zu sein, während hinwiederum die Röntgentherapie
Fig. 31. Sehr schwerer Gesichtslupus. Fig.32. Lupus (Fig.31) durch Finsen geheilt.
Indikationsgebiete hat, an die man mit Finsenbelichtung gar nicht heran
kann.
Auf ihrem ureigensten Indikationsgebiete lassen sich jedoch sehr her-
vorragende Erfolge mit Röntgenstrahlen bewerkstelligen, und zwar ins-
besondere auf dem Gebiete der kolliquativen Formen der Hauttuberkulose,
also beim Skrophuloderma, Lymphangioitis tuberculosa, Lymphknoten und
dergleichen. Ferner ist, wie bereits erwähnt, die Röntgentherapie eine
sehr wertvolle Methode zur Behandlung der tuberkulösen Lymphome, wie
sie sich ja in vielen Fällen von Lupus gleichzeitig finden, selbst-
verständlich auch. wenn es sich nur um Lymphome allein handelt, ohne
jede gleichzeitige Hauterkrankung. Um hierbei entsprechende Tiefen-
wirkung und gleichzeitig Schonung der Hautoberfläche zu erzielen,
Prognose und Therapie der Hauttuberkulose. 41
bedient man sich zweckmäßigerweise der Einschaltung von Filtern.
Die Tuberculosis cutis verrucosa ist für die Röntgentherapie ebenso wie
für die Radiumtherapie ganz hervorragend zugänglich und meist hiermit
radikal ausheilbar.
Zur Vorbereitung der Finsenbehandlung dient die Röntgentherapie, um
hypertrophische Herde zur Abflachung, tumide Formen, z. B. mächtig
vergrößerte Ohrmuscheln, aufgedunsene Lippen und dergleichen zur
Schrumpfung, Ulzerationen zur Überhäutung zu bringen.
Die Einschiebung einer schwachen Röntgendosis zwischen die Finsen-
behandlung empfiehlt sich auch mitunter bei follikulären Nachschüben,
wie sie manchmal plötzlich beim Lupus auftreten. Zur Vorbereitung
hypertrophischer und Reinigung ulzerierter Partien stehen uns allerdings
auch andere Mittel, wie z. B. das später zu erwähnende Pyrogallol zur
Verfügung, welche in ihrer Wirkung den Röntgenstrahlen an Promptheit
keineswegs nachstehen, und doch den Vorzug voraus haben, daß sie eine
wiederholte Anwendung gestatten, während die Röntgentherapie (dies ist
ja eine große Einschränkung derselben) eine Dosierung resp. Wiederholung
bestimmter Dosen über ein gewisses Maß hinaus nicht mehr gestattet, soll
man nicht das Gegenteil von dem erreichen, was man anstrebt und
geradezu Verschlechterung bewirken.
Vollkommene Ausheilungen von reinen Lupusfällen gehören mit den
heute bekannten und geübten technischen Maßnahmen der Röntgentherapie
zu den Ausnahmen. Bei sehr schweren ausgedehnten Fällen kann durch
Röntgenbestrahlung mitunter eine ansehnliche Besserung erzielt werden,
insbesondere in Kombination mit anderen Agentien, in erster Reihe Resorein
(Ehrmann). Doch ist es natürlich nicht ausgeschlossen, daß in Zu-
kunft noch weitere Vervollkommnungen möglich sind, um mit Röntgen-
strahlen auch beim Lupus mehr auszurichten, als es heute möglich ist.
Doch sei nochmals auf die sehr hervorragenden Resultate bei Lymphomen,
tuberkulöser Lymphangoitis und Skrophuloderma hingewiesen. Ich zeige
Ihnen dementsprechend auch mehrere sehr ausgedehnte Fälle von Skro-
phuloderma, welche unter der Röntgenbehandlung geheilt worden sind.
Fall I. St. M., 22 Jahre altes Mädchen, mit ausgedehntem Skrophuloderma
und Drüsenpaketen an beiden seitlichen Halsregionen und vorne in der Sternalregion.
Sie wurde von April 1910 bis Januar 1911 durch eine Anzahl von Röntgenbestrahlungen
(mittelweiche Röhre, Volldosis, Glasfilter) ausgeheilt und hat in letzter Zeit für kleine
Drüsennachschübe noch einzelne Partien nachbestrahlt bekommen.
Fall II. P. J., 25jähriger Tischlergehilfe, ebenfalls mit mächtig ausgedehnten
Drüsenpaketen und Skrophulodermen beider seitlichen und der mittleren Halsregion,
erhielt in der Zeit von Juli 1905 bis August 1908 in unregelmäßigen Intervallen im
ganzen 8 Expositionen Röntgenbestrahlungen (mittelweiche Röhre, Volldosis, die
späteren Expositionen mit Glasfilter), innerhalb welcher Zeit einzelne von den Drüsen
42 Jungmann,
suppurierten, — ein Vorgang, der gewöhnlich durch die Röntgenbestrahlung beschleu-
nigt wird — und einen kleinen operativen Hilfseingriff nötig machten. Auch dieser
Kranke blieb Jahre hindurch vollständig geheilt und zeigte nur im Laufe des Jahres
1911 kleine Drüsenschwellungen an einer Halsseite, die neuerlich nach einigen Be
strahlungen zurückgingen.
Fall III. M. M., 23jähriges Mädchen mit Skrophulodermen in der gleichen
Region wie Fall Il, nur auch noch ein Stück weit auf die Wangen hinaufreichend.
Diese Kranke stand in kombinierter Röntgen-Resoreinbehandlung und wurde von
August 1909 bis Juni 1910 durch 5 Expositionen Röntgen von ihrer Krankheit befreit;
doch ebenso wie in den früheren Fällen kam es auch hier wieder zu einem neuerlichen,
wenn auch unbedeutenden Skrophulodermanachschub am linken Unterkieferwinkel,
für welchen abermals dreimal Röntgenbestrahlungen in gleicher Dosis verabfolgt
wurden. Die Kranke ist nun seit einem Jahre ohne jede Behandlung und von neuer-
lichen Nacheruptionen frei. (Fig. 33, 34.)
_
f
Fig. 33. Skrophuloderma an Wangen und Fig. 34. Skrophnloderma (Fig. 33) durch
am Halse. Röntgenstrahlen geheilt.
Fall IV. C. St., 19jähriger Schuhmachergehilfe mit Lupus und Skrophuloderma
unterhalb des Kinnes; wurde im Jahre 1910 von dem größten Teile seines Krankheits-
herdes durch Röntgenbestrahlung (nach gleicher Methodik wie oben) befreit und er-
hielt für einzelne restierende Stellen Radiumbestrahlung. Er ist seit über einem Jahre
geheilt. (Fig. 35, 36.)
Bei dem
Fall V. P.R., 15 Jahre alt, ist bemerkenswert, daß er im Jahre 1905 von schwer-
stem Gesichtsskrophuloderma beider Wangen und der Nase durch Röntgenbestrahlung
rasch ausgeheilt wurde. Er erschien ein Jahr später mit typischem Lupus nodularis
in dem Terrain der ursprünglichen Skrophuloderma-Partie. Von dem Lupus wurde er
durch Finsenbehandlung ausgeheilt und ist seit über zwei Jahren gesund geblieben.
Soweit in diesen als Beispiele angeführten Fällen partielle Nachschübe zu neuer-
licher Behandlung Veranlassung gaben, trifft dies nicht die Behandlung selbst, son-
dern liegt im Charakter dieser fast immer im jugendlichen Alter auftretenden Er-
krankungsformen. — Um diese Kranken aus dem Stadium Iymphatischer Nachschübe,
Prognose und Therapie der Hauttuberkulose. 43
welche sich oft durch viele Jahre hinziehen, zu befreien, ist außer der Lokalbehand-
lung das Heranziehen von klimatischen Faktoren dringend geboten.
Die Radiumtherapie, welche große Verwandtschaft zur Wirkung
der Röntgenstrahlen aufweist, einfach mit den letzteren zu identifizieren,
halte ich nicht für berechtigt. Schon die physikalischen Grundlagen wür-
den dies nicht gestatten, da ja das Radium außer den den Röntgenstrahlen
analogen (ramma-Strahlen noch Alpha-Strahlen, die allerdings bei den
meisten Radiumkapseln nicht zur Wirkung gelangen können, aussendet,
sowie Beta-Strahlen, auf deren Mitwirkung wir jedoch keineswegs ver-
zichten wollten. Die Alphastrahlen sind den Kanalstrahlen, die Betastrahlen
den Kathodenstrahlen analog, also Strahlungen, welche eine Vorstufe der
von der Röntgenröhre entsendeten Strahlung bilden. Abgesehen hiervon
en.
PEN y
Pii ae
e E T
Fig. 35. Skrophuloderma am Kinn und Fig. 36. Skrophuloderma (Fig. 35) durch
Halse. Röntgenbestrahlung und Radium geheilt.
Der schwarze Strich unter dem Kinn ent-
spricht einem Schatten bei der photo-
graphischen Aufnahme.
sind aber auch die analogen Radiumstrahlen von den Kanal-, Kathoden-
und Röntgenstrahlen auch schon physikalisch dadurch unterschieden, daß
sie noch viel weitergehendere Penetrationskraft besitzen als diese. So
vergleicht ein französischer Autor die Gammastrahlung mit der Strahlung,
die aus einer ideal harten Röntgenröhre emittiert würde. Es geht eben
nicht an, das künstliche Produkt einfach mit dem Naturprodukt zu identi-
fizieren, eine Erfahrung, die wir auch sonst in der Medizin besitzen. Ab-
gesehen von diesen rein physikalischen Unterschieden ist auch die Appli-
kationstechnik in der Radiumtherapie eine andere dadurch, dal man ganz
bestimmte Formen von Radiumträgern herstellen kann, mit welchen es
möglich ist, an Stellen zu gelangen, an welchen die Röntgenstrahlen nicht
entsprechend applizierbar sind, wie z. B. in manchen Nischenbildungen. Es
ist daher zu hoffen, daß ebenso wie die Röntgentherapie auch die Radium-
44 Jungmann,
therapie sich ein ganz spezielles Indikationsgebiet erobern können wird.
Die Anwendung von Radiumträgern ist ja vorläufig noch eine ziemlich
beschränkte und selten geübte mit Rücksicht auf die Kostbarkeit und
Seltenheit des Materiales. Doch sind immerhin schon sehr bedeutende
Erfolge von Seiten vieler Autoren zu melden und hatte ich selbst Gelegen-
heit, über eine ganze Reihe von sehr schönen Heilungen zu berichten. +)
Einige Beispiele von erfolgreicher Anwendung des Radium in der
Lupustherapie seien vorgeführt.
Fall I. K. L., 5Sljährige Frau mit Lupusinfiltraten an der Uvula und an den
Gaumenbögen. Es bestand gleichzeitig ein Lungenprozeß mäßigen Grades. Durch
Radiumbestrahlungen ist die Kranke seit zwei Jahren geheilt.
Fig. 37. Lupus in der Umrahmung des Fig. 38. sapaa dem Anscheine nach (Fig. 37)
rechten Auges. urch Radium geheilt.
Fall II. B. N., 26jähriges Mädchen. Sie hatte am linken Unterschenkel zwei
voneinander geschiedene Lupusherde, beide ungefähr kindshandtellergroß, von ser-
piginösem Charakter. Der eine von den beiden Herden wurde mit Radium behandelt,
der andere blieb vorläufig unbehandelt. — Der behandelte Herd ist seit */4 Jahren
ausgeheilt.
Fall III. F. J., 20jähriger Mechaniker; Lupus, das obere Augenlid, den inneren
Augenwinkel und einen Teil des unteren Augenlides einnehmend, hart an den Lidrand
herantretend. Der Kranke wurde ebenfalls mit Radium behandelt, seit °/; Jahren
aber nicht mehr. Die Beobachtungszeit ist zwar kurz, er scheint jedoch ebenfalls
ausgeheilt zu sein. Ein zweiter, etwa kronengroßer Herd am Halse, zuletzt vor
zwei Monaten mit Radium bestrahlt, hat hingegen bisher noch keine wesentliche
Besserung gezeigt (Fig. 37, 38).
Fall IV. J. G., 22jähriger Schlosser, von einem Lupusherd an den abhän-
gigen Partien der linken Wange und unter dem Kinn durch einen operativ-plastischen
1) A. J ungmann, Demonstration geheilter Radiumfälle. (Protokoll der
k. k. Gesellschaft der Ärzte v. 28. März 1911.)
Prognose und Therapie der Hauttuberkulose. 45
Eingriff (teils gestielter Lappen, teils Naht) seit zwei Jahren geheilt. Ein Teil der
Narbe unter dem Kinn wurde jedoch keloid, wozu gerade operierte Stellen dieser
Kranken mitunter neigen, und bot daher ein weniger günstiges kosmetisches Re-
sultat. Die vollständige Abflachung, die man jetzt sieht, ist ebenfalls der Radium.
behandlung zu danken. (Vide auch Öperationsfall Nr. X.) — Es ist ja bekannt, daß
auch durch Röntgenbestrahlung keloide Prozesse sehr günstig beeinflußt werden.
Fall V. B. J., 53jähriger Buchdrucker; er leidet seit vier Jahrzehnten an
einem ausgebreiteten Gesichtslupus. Vor etwa zwei Jahren entwickelte sich an der
linken Wange ein pilzförmig wucherndes, mehr als kindshandtellergroßes Karzinom.
Es ist durch Kombination von Fulguration, Röntgen- und Radiumbehandlung seit
einem Jahre ausgeheilt (Fig. 39, 40).
Fig. 39. Carcinoma auf lupösem Boden. Fig. 40. Carcinoma (Fig. 39) durch Ful-
guration, aa He ra und Radium
geheilt.
Von den künstlichen Lichtquellen, welche nach dem Kohlenbogenlicht
ausgeprobt wurden, hat das Licht von leuchtenden Quecksilber-
dämpfen, welches sehr reich an chemischer Strahlung ist, sich bereits einen
dauernden Platz in der dermatologischen Therapie erobert.!)
Die Uviollampe hat wohl nur eine rein oberflächliche Wirkung und
kann für das Gebiet, welches wir eben behandeln, nur wenig leisten, z. B.
hie und da einmal zur Anregung der Epithelisierung einer sehr schwer
heilenden Ulzeration beitragen.
Hingegen hat die Kromayersche Quarzlampe, wenn sie mit Kom-
pression und gleichzeitiger Vorschaltung von Blauscheiben zur Anwendung
gelangt, eine recht ansehnliche Tiefenwirkung und zeigen die zur Demon-
stration gelangenden Fälle, daß sehr schöne Erfolge damit möglich sind.
1) Auf die nähere Beschreibung der Apparate wurde in dem Vortrag ebenfalls
nicht eingegangen und an Stelle dessen dieselben während der Applikation an Kranken
demonstriert.
46 | Jungmann,
Fall I. H. E., 32jährige Frau mit Lupus der ganzen Nase und beider angren-
zender Wangenpartien. In solchen Fällen sind Vergleichsbehandlungen sehr gut
möglich. Die eine mit Radium behandelte Hälfte zeigt sich wohl gebessert, die andere
Hälfte, welche mit Quarzlampe und zwar mit vielen einstündigen Sitzungen mit
Blaulicht unter Kompressionsbestrahlung behandelt wurde, ist fast vollständig aus-
geheilt.
Fall II. ©. M., 27jähriges Mädchen hatte einen kindshandtellergroßen Lupus-
herd in der rechten Kiefergegend. Wurde nach der gleichen Methode mit Quarzlampe
behandelt und ist seit zwei Jahren ausgeheilt (Fig. 41—42).
Doch wäre es nach unseren Erfahrungen verfehlt, die Quarzlampe als
vollwertigen Ersatz der Finsenlampe zu betrachten, da die letztere doch
noch viel bedeutendere und sicherere Wirkungen auch bei tiefer sitzenden
Fig. 42. Lupus (Fig. 41) durch Quarz-
lampenbestrahlung geheilt
Fällen gestattet. Die große Bedeutung, welche die Quarzlampe zur Be-
handlung mancher anderer Hauterkrankungen hat, kann ich hier nicht
näher ausführen, doch demonstriere ich dafür als einzelnes Beispiel einen
Fall von geheiltem Lupus erythematosus, der den gesamten Nasenrücken
eingenommen hatte: nur eine Spur von Atrophie weist auf die frühere
Ausdehnung des Krankheitsprozesses hin. Zur Technik der Quarzlampe
will ich noch auf die von mir eingeführten Modifikationen hinweisen und
insbesondere auf das automatische Kompressorium, welches ich angegeben
habe.!)
Unter den chemischen Agenzien, welche mit Erfolg in der Therapie
der Hauttuberkulose anwendbar sind, wurde das Pyrogallol bereits erwähnt.
ı) A. Jungmann, Klinische Ausführungen zur Kromayerschen Quarz-
lampe. (Archiv f. Derm. u. Syph., 1909.)
Prognose und Therapie der Hauttuberkulose. 47
Dasselbe ist entweder in Form von 10proz. Salben und Pflastern zu appli-
zieren, worauf nach einigen Tagen eine Verschorfung der elevierten Lupus-
partien eintritt und eine indifferente Salbe nachzufolgen hat(Jarisch), oder in
länger dauernder Applikation von schwächer prozentigen Salben (Veiel). Die
Pyrogallussalbe ist zur Lupusbehandlung ein sehr wirksames und kaum zu ent-
behrendes Mittel, ohne daß schwere Zerstörungen, die in der Lupustherapie
perhorresziert werden müssen, durch dieselbe erfolgen. Milder noch wirkt
das Resorcin, welches in 20—30 proz. Salben oder Lösungen appliziert
wird und eine allmähliche Schälung hervorruft. Viel kräftiger ist die
Kombination von Boeck: Resorzin, Pyragall, Ac. salicyl. aa 5,0; Talc.,
Gelanth. ää 7,0; deren Anwendung für wenig ausgedehnte Partien empfehlens-
wert erscheint. Zur Reinigung von geschwürigen und eitrigen Partien
bietet das Kalium hypermanganicum eine zweckmäßige Anwendung und
von Sublimat machen wir bei Mischinfektionen hie und da einen mäßigen
Gebrauch.
Hingegen ist die Anwendung schwer wirkender Ätzverfahren
keineswegs zu empfehlen, da dieselbe nicht genug das gesunde Ge-
rüst verschonen und die Zerstörungen, welche im Wesen des Prozesses
an sich liegen, nur noch begünstigen würden. Etwas anderes wäre es,
wenn man hiermit radikale Ausheilungen in einer nennenswerten Zahl der
Fälle erhoffen könnte. Dies ist aber nicht der Fall und ist auch begreif-
licherweise wenig wahrscheinlich. Denn die lupöse Infiltration ist so un-
regelmäßig in der Cutis verteilt, daß man nicht hoffen kann, daß durch
die Applikation einer sehr kräftigen Ätzsalbe, welche ja doch von der
Oberfläche aus zu wirken hat, alles Krankhafte getroffen werde.
So ist auch die Anwendung des Lapisstiftes, die früher allgemein üblich
war und leider auch heute nicht vollkommen verlassen wurde, sehr schäd-
lich. Wenn man denselben zur Zerstörung eines an der Oberfläche als
Lupusknötchen erscheinenden Infiltrates verwendet, so trifft man doch nur
die zentralen Partien desselben, während man die nach allen Richtungen
unregelmäßig in die Gewebsspalten sich erstreckenden Verästelungen, welche
von diesem Infiltrate ausgehen, dabei verschont. Man erhält infolgedessen
im Zentrum eines solchen Knötchens eine dicke, wulstige Narbe, in welche
späterhin neuerlich das lupöse Infiltrat hineinwächst, nunmehr aber der
Anwendung anderer Therapien infolge der narbigen Beschaffenheit erheb-
lichen Widerstand entgegensetzt.
Auch die Paquelinisation leistet wenig Ersprießliches in der
Lupustherapie. Die Brennungen mit dem Paquelin zerstören rücksichtslos
gesunde und kranke Teile und führen daher zu sehr häßlichen Narben-
bildungen. Dort, wo die Erhaltung bestimmter Formen schon aus kos-
metischen Rücksichten unbedingt geboten erscheint (z. B. Nase, Mund),
a
48 Jungmann,
ist die Anwendung eines solchen Verfahrens um so mehr zu perhorreszieren.
Denn die traurigen Verwüstungen, welche die Erkrankung selbst hervor-
ruft, werden hierdurch förmlich in einem Ruck überholt. Aber auch an
Stellen des Gesichtes, wo man im Falle von Ausheilung mit Zerstörungen
eher sich abfinden könnte, selbst, wenn z. B. ein Ektropium, das ja korri-
gierbar wäre, daraus resultierte, muß man sich darüber klar werden, dab
Paquelin ja wohl etwas sicherer wirkt als die meisten Ätzverfahren, aber
doch keineswegs absolut sicher. Wie will man aber die Lupusresiduen
oder Nachschübe hinter solchen dicken Narben, späterhin noch durch
irgendeine Therapie mit Erfolg erreichen?
Fig. 43. Schwerer Lupus im Gesicht und | Fig. 44. Lupus (Fig. 43) im Gesichte
an der oberen Extremität. durch Heißluftbehandlung, an der Ex-
tremität durch Exstirpation und
Thierschdeckung geheilt.
Die milderen, viel oberflächlicher wirksamen Holländerschen Heißluft-
brennungen sind viel eher in der Lupustherapie indiziert. Seit neue wert-
volle Methoden hinzugewachsen sind, ist ja dieses Verfahren einigermaßen
zurückgedrängt und ist sein Indikationsgebiet verringert worden. Doch
ist es in manchen schweren Fällen eine verwendbare Vorbereitungsmethode
zur Finsenbehandlung und gelegentlich, nach wiederholten Anwendungen,
lassen sich damit auch radikale Erfolge erzielen. Es sei hier als Beispiel
ein sehr erfolgreicher Fall aus unserer Erfahrung vorgeführt.
B. M., gegenwärtig 30 Jahre altes Mädchen, litt seit dem 15. Jahre an schwerem,
ausgedehntem Gesichtslupus und hatte auch fünf, zum Teil sehr große Lupusherde
an den Extremitäten. Die Kranke war an verschiedenen Stationen mit den früher
üblichen Methoden vorbehandelt worden und zeigte in tiefem Narbengewebe einge-
betteten Lupus. Die häutige Nase fehlt ihr. Im Laufe von acht Jahren erschien
sie sehr unregelmäßig bei uns, wurde während dieser Zeit im ganzen 5mal in Narkose
der Heißluft unterzogen und ist jetzt tatsächlich seit zwei Jahren im Gesichte lupusfrei
geblieben. Alsdie Heilung ir Gesichte weit vorgeschritten war, wurden die Körperherde
exstirpiert (vor drei Jahren), sie ist an diesen Stellen seither rezidivfrei (Fig. 43 — 44).
Prognose und Therapie der Hauttuberkulose. 49
Wir bedienen uns zur Ausführung des Heißluftverfahrens des Lang-
schen Paquelin-Heißluftbrenners.
Es sei noch erwähnt, daß nach unseren Erfahrungen die Heißluft-
brennung sich nicht selten bei gewissen verrukösen und papillomatösen
Formen von schwerem Extremitätenlupus empfiehlt; man stelle sich da
einen lupuskranken Fuß vor, der in jahrelangem Bestehen und Vernach-
nachlässigung des Leidens, wie in einen plumpen Warzenpanzer eingekleidet
erscheint. Wiederholte Heißluftbrennungen in Kombination mit Pyrogallus
führen da nicht selten zu sehr hervorragenden Besserungen. Ein Nachteil
des Verfahrens ist die Notwendigkeit der Narkose.
Die Diathermie, als Elektrokoagulation für den Lupus zur An-
wendung gebracht, durfte vielleicht für gewisse Fälle indiziert sein; sie hat
sich uns als unterstützendes Verfahren bei Lupuskarzinom bewährt.
Die Skarifikation, manchenorts sehr überschwänglich gepriesen, ist
aber doch den Beweis von Dauerheilungen in einer erheblichen Anzahl von
Fällen schuldig geblieben. Die Methode kann nicht für ganz ungefährlich
gelten, da es zur Eröffnung der Blutbahnen für das tuberkulöse Virus
kommt.
Unter die Therapien, welche man verlassen sollte, gehört auch die
Excochleation. Der scharfe Löffel hat durchaus nicht die Eigenschaft
einer feineren elektiven Wirkung, wie dies manchmal angeführt wird. Dies
konnte man in der vorbazillären Ära für möglich halten. Der scharfe
Löffel ist ein grausames, schonungsloses und gewiß nicht radikal wirkendes
Instrument. Auch Kombination der Excochleation mit Ätzmitteln bietet
nicht die sichere Gewähr radikaler Ausheilung; die Narben werden nur
umso dicker und undurchdringlicher. Die Excochleation führt im Gegen-
teile fast immer zu Ausbreitung des Leidens. In den zentralen Partien
entsteht wohl häufig für eine kurze Zeit scheinbare Heilung. Aber an den
Randpartien folgt bald Apposition neuer Lupusknötchen.
Nicht nur für das Gesicht, sondern auch für lupöse Körperherde dürften
Paquelinisation, Excochleation, Skarifikation, schwere Ätzmittel u. dergl.
unseres Erachtens kaum ein Anwendungsgebiet finden. Denn, wo sie nicht
radikale Heilung herbeiführen können, sind sie schädlich: wo aber wenigstens
die Möglichkeit von Ausheilung bestünde, in zirkumskripten Fällen, ist
wohl die Exstirpation den aus einer noch nicht modern chirurgisch ge-
schulten Periode stammenden Verfahrungsweisen stets überlegen.
Es sei demnach resumiert, daß nach unserer Auffassung als Grund-
lage der modernen Lupustherapie zu dienen habe:
Erstens: Verfahren, welche ohne Wahrscheinlichkeit von wesentlichen
Erfolgen einerseits den Zerstörungsprozeß fördern, anderseits dicke Narben-
4
50 Jungmann, Prognose und Therapie der Hauttuberkulose.
bildungen herbeiführen und daher auch zur Vorbereitung für die spätere
Anwendung von radikalen Heilmethoden nicht geeignet sind, sondern im
Gegenteil deren Prognose verschlechtern, sollten von vornherein aus der
Lupustherapie ausgeschaltet werden.
Zweitens: Für die Anwendung der nach unserem heutigen Wissen zu
bevorzugenden Methoden soll das Prinzip befolgt werden, sie rechtzeitig und
nicht wahllos, sondern mit strenger Indikationsstellung, insbesondere auf
der Höhe des technischen Könnens zu benützen.
Drittens: Bei der Vielseitigkeit und Schwierigkeit all dieser Ver-
fahren ist im Interesse des Volkswohles die Errichtung von Lupusheil-
stätten, wo man allen diesen Methoden mit entsprechender Ver-
tiefung und Schulung von Ärzte- und Pflegepersonal zu ent-
sprechen vermag, erforderlich.
Viertens: In diesen Heilstätten ist der Allgemeinpflege des Organismus
größte Beachtung zu schenken.
Durch Geltendmachung dieser Prinzipien könnte in einem sehr
wichtigen Zweige der Tuberkulosebekämpfung Bedeutendes geleistet werden.
T
Über die physikalischen und physiologischen Grundlagen
der Tiefentherapie.
Von
Dr. med. & phil. Th. Christen, P.-D. in Bern.
Hierzu 2 Abbildungen.
U“: Tiefentherapie verstehen wir die therapeutische Beeinflussung eines
nicht an der Körperoberfläche gelegenen Gewebes vermittelst Röntgen-
strahlen. Für die Ausführung derselben lassen sich drei Möglichkeiten
denken:
I. Die direkte Therapie, wobei Strahlen durch die Haut und
eventuell noch andere Schichten hindurch zu dem in der Tiefe gelegenen
Gewebe gesandt werden. Es ist dies der bisher fast einzig in Betracht
gezogene Weg.
I. Die indirekte Beeinflussung auf dem Blut- oder Lymphweg,
wobei wir uns vorzustellen haben, daß unter der Wirkung der absorbierten
Röntgenstrahlen gewisse Substanzen gebildet werden — wir können sie
Röntgentoxine nennen — welche an bestimmten Stellen, zu denen sie eine
besondere Affinität haben, eine spezifische Wirkung entfalten.
UI. Die induzierte Röntgenwirkung, welche aus der Trans-
formation der Strahlen im Innern des Körpers herzuleiten ist.
Als erste und bis jetzt wichtigste Form besprechen wir die
I. Direkte Tiefentherapie.
Die direkte Tiefentherapie, d. h. die Behandlung tiefliegender Gebilde mit
Röntgenstrahlen durch die unverletzte Haut hindurch ist begreiflicherweise
weit schwieriger als die Hauttherapie, schon deshalb, weil es auf den ersten
Blick ein Ding der Unmöglichkeit erscheint, Strahlen in der Tiefe zur
Wirkung zu bringen, die nicht vorher — d. h. bevor sie in jene Tiefe ge-
langen — auf die Haut wirken, welche bekanntlich gegen Röntgenstrahlen
ganz besonders empfindlich ist, und deshalb möglichst wenig davon erhalten
sollte. Dabei ist von vornherein klar, daß die Wirkung in der Tiefe stets
geringer sein muß, als an der Oberfläche, und zwar aus zwei Gründen:
1. weil die Oberfläche stets näher an der Strahlenquelle liegt als die
Tiefe, und
2. weil nie die ganze, auf die Haut auftreffende Strahlenmenge un-
vermindert bis zu dem in der Tiefe gelegenen Gewebe vordringt.
Die erste Ursache führt zu der Schwächung der Strahlen durch
4*
52 Christen,
Dispersion, die zweite durch Absorption. Wir tun gut, diese zwei
Dinge von Anbeginn unmißverständlich auseinanderzuhalten.
Die erste Ursache nämlich, die Dispersion, hängt nur ab von der
Fokaldistanz, d. h. von der Entfernung zwischen Strahlenquelle und
Haut, bezw. dem bestrahlenden Organ, nicht aber von der Strahlen-
qualität (Härte).
Die zweite Ursache dagegen hängt nur ab von der Strahlenqualität
und der Dicke der durchsetzenden Schicht, nicht aber von der
Fokaldistanz.
Wenn wir im folgenden kurz von der „Weichteilschicht‘ reden,
so soll darunter stets die Dicke der Weichteile verstanden sein, welche
zwischen der Hautoberfläche und dem tief gelegenen Gewebe liegen, welches
wir bestrahlen wollen.
Um in diesem Aufsatze jegliche mathematische Formel zu vermeiden,
begnügen wir uns damit festzustellen, daß die Schwächung der Strahlung
durch Dispersion um so geringer ist, je dünner die Weichteilschicht.
und je größer die Fokaldistanz ist. Die Dicke der Weichteilschicht ist
eine gegebene Größe. Dagegen können wir die Fokaldistanz nach Be-
lieben wählen. Allerdings bis ins Unendliche steigern können wir die-
selbe nicht, denn was wir bei großen Fokaldistanzen an der Dispersions-
wirkung noch verbessern können, steht in keinem Verhältnis zu der
dadurch bedingten Verschleuderung kostbarer Röntgenenergie.
Wir dürfen selbstverständlich die Röntgenröhre um so näher an die
Haut bringen, je dünner die Weichteilschicht ist. Im allgemeinen dürfte
es sich empfehlen, die Fokus-Hautdistanz nicht kleiner zu wählen, als die
fünffache Weichteilschicht. In diesem Falle beträgt die Schwächung der
Strahlung durch Dispersion zwischen Haut und Tiefe ungefähr 30 °;,.
Viel schwieriger als bei der Dispersion liegen die Verhältnisse bei
der Absorption. Wir müssen da von vornherein damit rechnen, dab
nicht nur verschiedene Gewebe des menschlichen Körpers verschiedenes
Absorptionsvermögen für die Röntgenstrahlen haben, sondern daß außer-
dem verschiedene Arten von Röntgenstrahlen in ein und demselben Ge-
webe verschieden stark absorbiert werden.
Das erstgenannte Moment ist zwar für die Röntgentherapie von keiner
sehr großen Bedeutung. Die Absorptionsfähigkeit der tierischen Gewebe
ist von derjenigen des destillierten Wassers nicht sehr weit entfernt, und
bei der Größe der übrigen Fehlerquellen dürfen wir uns ruhig gestatten,
bis auf weiteres die Absorptionsfähigkeit der Gewebe derjenigen des de-
stillierten Wassers gleich zu setzen. Einzig für den Knochen müssen wir
eine Ausnahme machen. Allerdings in der Regel sind die Gewebe, welche
wir unter Röntgenwirkung setzen, nicht von Knochen überdeckt. Tritt
Grundlagen der Tiefentherapie. 53
diese Anforderung dennoch an uns heran, so kommt uns ein besonders
glücklicher Umstand zu Hilfe, auf welchen wir an seinem Orte!) noch
werden zu sprechen kommen.
Die Hauptschwierigkeit besteht also in der Bestimmung der für die
Tiefenwirkung am besten passenden Strahlenqualität. Um die Natur
dieser Aufgabe richtig zu erfassen, diene folgende Überlegung:
Physikalisch wirksam — und somit auch therapeutisch wirksam —
kann irgend eine Strahlung stets nur da sein, wo sie absorbiert wird.
Beispiel: Ein blaues Glas, welches die Wärmestrahlen kräftig absorbiert,
wird durch dieselben höher erwärmt, als ein farbloses, welches den größten
Teil derselben ungehindert durchläßt.
Wir haben also die Aufgabe. nicht nur möglichst viel Strahlen in
die Tiefe zu, senden, sondern dieselben dort auch zur Absorption zu
bringen.
Nun sind wir ja in der glücklichen Lage, daß die Durchdringungs-
fähigkeit der Röntgenstrahlen innerhalb gewisser Grenzen ganz in unserer
Hand liegt: die weichen Röhren liefern uns eine wenig durchdringungs-
fähige, d. h. leicht absorbierbare Strahlung, während die harten Röhren
eine stark durchdringungsfähige, d. h. wenig absorbierbare Strahlung aus-
senden.
Um uns über die verschiedenen Möglichkeiten zu orientieren, wollen
wir gleich die beiden Extreme betrachten, welche bei unserer Aufgabe
möglich sind.
a) Wählen wir eine sehr weiche Strahlung, so wissen wir zum Vor-
aus, daß der größte Teil derselben schon in der Haut absorbiert wird,
und daß deshalb von der auf die Haut auftreffenden Strahlung nur ein
geringer Bruchteil in die Tiefe dringt, wo er die gewünschte Wirkung
ausüben sollte. Damit ist aber auch diese gewollte Wirkung nur eine
geringe, während durch die kräftige Absorption in der Haut eine Haut-
schädigung erzeugt wird. Wir erreichen also damit gerade das Gegenteil
von dem gewollten Ziel, welches in größtmöglicher Tiefenwirkung_ bei
möglichster Schonung der Haut besteht.
b) Wählen wir im Gegenteil eine sehr harte Strahlung, so dringt ein
relativ großer Bruchteil derselben in die Tiefe vor, weil die Durchdringungs-
fähigkeit der harten Strahlen groß, ihre Absorption nur gering ist. Daraus
folgt aber mit Notwendigkeit, daß auch das in der Tiefe gelegene Gebilde
von der relativ großen Strahlenmenge, die ihm zugeführt wird, auch nur
wenig absorbiert, eben weil die Strahlung sehr hart ist. Auch durch
das tief gelegene Gebilde geht die harte Strahlung großenteils ungehindert
hindurch, hat also wiederum keine merkliche therapeutische Wirkung.
') Siehe S. 56.
54 Christen,
Zwischen diesen beiden Extremen läßt sich irgendwo diejenige Strahlen-
qualität vermuten, welche die günstigste Tiefenwirkung gewährleistet. Die-
selbe läßt sich berechnen unter der Voraussetzung, daß die Röntgenstrahlung
homogen!) sei. Es hat sich hierbei herausgestellt, daß die in der Tiefe
absorbierte Röntgenenergiemenge dann am größten ist, wenn man die
Strahlenqualität so aussucht, daß in der überlagernden Weichteilschicht
gerade °J, der Strahlung absorbiert und °J, derselben an die gewollte Stelle
vordringen. Der mathematisch-physikalische Beweis hierfür findet sich in
meinem Aufsatze: „Röntgenphotographie und Röntgentherapie, zwei komple-
mentäre Probleme“. Fortschritte a. d. G. d. Rtgstr. Bd. XV. H. 6.
Wie soll aber in der Praxis dieses Absorptionsverhältnis im einzelnen
Falle herausgefunden werden? Da stehen wir vor der Schwierigkeit, daß
eine richtige Behandlung dieser Frage in der von den Physikern geläufigen
und für die Rechnung bequemsten Form nicht möglich ist, ohne den Ge-
brauch von Exponentialfunktionen, solange man mit dem bisher einzig ge-
bräuchlichen Begriffe des Absorptionskoeffizienten argumentiert. Abgesehen
davon, daß man mit dieser Größe nicht leicht einen konkreten Begriff
verbinden kann, so stoßen wir hier auf ähnliche Schwierigkeiten, wie sie
unsern Mittelschülern zu schaffen machen, wenn sie an die Zinseszins- und
Rentenrechnung heran müssen. Und doch läßt sich die Sache durch die
Einführung eines einzigen neuen Begriffes außerordentlich vereinfachen,
wie ich a. a. O. nachgewiesen habe.
Knüpfen wir gerade einmal an die Zinseszinsrechnung an, so wissen
wir, daß, je größer der Zinsfuß ist, desto rascher eine Verdoppelung des
zinstragend angelegten Kapitals erreicht ist. Kennt man den Zinsfuß, so
kann man auf Grund einer einfachen logarithmischen Formel die diesem
Zinsfuß entsprechende Verdoppelungszeit berechnen. Dabei ist von Be-
deutung, daß dieser Zusammenhang zwischen dem Zinsfuß und der Ver-
doppelungszeit des Kapitales gänzlich unabhängig ist von der Größe des
1) Dies trifft in Wahrheit nicht streng zu, ganz besonders nicht bei den Linde-
mannröhren (aber gerade diese wird man ja nie ohne Filter für die weichen Strahlen
zur Tiefentherapie verwenden). Aber die Behandlung jirgendeines Röntgenproblemes
unter der Voraussetzung einer inhomogenen Strahlung führt zu solchen Schwierig-
keiten, daß die dadurch gewonnene Erhöhung der Genauigkeit die unverhältnis-
mäßige Komplikation nicht rechtfertigen würde.
Erwähnt sei immerhin, daß alle unsere konventionellen Härteskalen auf der
stillschweigenden Voraussetzung einer homogenen Strahlung beruhen. Sobald man
hiervon abgeht, muß man zugeben, daß jede empirisch gefundene Strahlenqualität,
sei sie nun nach Benoist, Walter, Wehnelt usw. .. . gemessen, stets durch völlig
verschiedene Strahlengemische dargestellt werden kann. Die Röntgenstrahlen-
gemische lassen sich eben leider noch nicht in ihre Bestandteile zerlegen, etwa wie
die Lichtstrahlen durch das Prisma.
Grundlagen der Tiefentherapie. 55
Kapitales. Ist der Zinsfuß ein solcher, daß das Kapital 20 Jahre braucht,
um sich zu verdoppeln, so ist es gänzlich gleichgültig, ob wir 50 Pfennige
oder eine Milliarde Dollars anlegen.
Von da an ist aber die Rechnung eine außerordentlich einfache. Da
die Größe des Kapitales keine Rolle spielt, so muß nach weiteren 20
Jahren wieder eine Verdoppelung eingetreten sein, d. h. das ursprüngliche
Kapital ist auf seinen vierfachen ursprünglichen Wert angewachsen. Nach
abermals 20 Jahren hat es seinen achtfachen, nach nochmals 20 Jahren
seinen sechzehnfachen Wert erreicht, usw.
Durchaus analog verhält sich die Absorption einer homogenen Strahlung,
mit dem einzigen Unterschied, daß ihre Intensität durch die Absorption
nicht zunimmt, wie das Kapital durch den Zinsertrag, sondern stetig kleiner
wird. Anstatt einer Verdoppelung werden wir also unter bestimmten
Voraussetzungen eine Halbierung erhalten.
In der Tat, wenn wir irgend eine Röntgenstrahlung (sie braucht vor
erst nicht einmal homogen zu sein) durch eine absorbierende Schicht senden,
so wird von der Strahlung nur wenig absorbiert, wenn die Schicht dünn ist.
Es wird viel absorbiert, wenn die Schicht dick ist. Daraus ergibt sich mit
logischer Notwendigkeit die Folgerung, daß man für jede Strahlung und
für jede absorbierende Substanz stets eine solche Dicke der absorbierenden
Schicht herstellen kann, welche die durchtretende Strahlung gerade auf
die Hälfte ihrer Intensität reduziert. Diese Schichtdicke habe ich die
Halbwertschicht der Strahlung für das betreffende Medium genannt.
Dieser Begriff der Halbwertschicht hat seine großen Vorzüge. Einmal
ist seine Bedeutung jedermann, auch ohne eingehende physikalische Kennt-
nisse, leicht verständlich zu machen. Dann faßt er in einer Größe zwei
Veränderliche: die Durchdringungsfähigkeit der Strahlung und das Ab-
sorptionsvermögen der durchstrahlten Substanz.
Natürlich sind und bleiben dieg zwei prinzipiell verschiedene Dinge,
von denen jedes für sich wechseln kann; aber für die Probleme der Rönt-
gentherapie kommt eben nur diejenige Beziehung dieser beiden Veränder-
lichen in Betracht, welche in dem Begriffe der Halbwertschicht ihren Aus-
druck findet.
Ferner: Eine Halbwertschicht (d. h. diejenige Schichtdicke, welche
eine gegebene Strahlung durch Absorption gerade auf die Hälfte ihrer
ursprünglichen Intensität reduziert), kann man sich ohne weiteres als eine
konkrete Sache vorstellen. Man mißt sie in Zentimetern und hat damit
ein absolutes Maß für die Röntgenstrahlenqualität gewonnen.
Selbstverständlich kommt neben der Strahlenqualität auch die Natur der
durchstrahlten Substanz in Betracht, aber auch hier haben wir ein ein-
faches Hilfsmittel bei der Hand: wir machen es. wie dies bei ähnlichen
nn. a o a a a a a a O O o
56 Christen,
Problemen in der Physik meist geschieht, indem wir als absorbierende Sub-
stanz das destillierte Wasser wählen.
Die verschiedenen Gewebe des tierischen Körpers haben ja allerdings
etwas verschiedene Absorptionsfähigkeiten, die mit derjenigen des destillierten
Wassers nicht genau übereinstimmen. Indessen sind die hierdurch ver-
ursachten Fehler längst nicht so groß, wie andere, von denen wir sofort
reden werden. Diese Abweichungen kommen daher für unsere Messungen
nicht in Betracht.
Es kann auch nicht ausbleiben, daß mit der Zeit von den ver-
schiedenen normalen und pathologischen Körpergeweben die Halbwert-
schichten bestimmt und mit denjenigen des destillierten Wassers verglichen
werden. Es wird dies eine dankbare Aufgabe sein, die wohl in mancher
Frage Klarheit schaffen dürfte.
Wie gesagt, zur Zeit ist kein Grund vorhanden, warum wir uns nicht
mit der vereinfachenden Voraussetzung begnügen dürften, daß die ab-
sorbierenden Weichteile ungefähr das gleiche Absorptionsvermögen haben,
wie das destillierte Wasser. Wir können uns dabei ja nicht verhehlen,
daß in sehr vielen Fällen nicht nur die Dicke der absorbierenden Schicht,
sondern auch die Verteilung von Fett und Muskel (das Fett absorbiert
weniger als der Muskel) sich nicht genau messen, sondern höchstens
schätzen lassen. Hierdurch wird die Unsicherheit weit größer, als der
Fehler, den man mit Gleichsetzung der Absorptionsfähigkeiten der ver-
schiedenen Gewebe und des destillierten Wassers begeht.
Dazu kommt, daß das tief liegende Gewebe beträchtliche Dimensionen
haben kann, sodaß in seiner obersten Schicht die Dosis wesentlich größer
sein muß, als in seiner untersten Schicht.
Weiter ist, wie beim zinstragenden Kapital, der Einfluß der Halb-
wertschicht gänzlich unabhängig von, der Größe des „Kapitales“, d. h. von
der Intensität der einfallenden Strahlung: Ist eine Strahlung so beschaffen,
daß sie durch Absorption in 1 cm Wasser auf die Hälfte ihrer Intensität
reduziert wird, so tut sie dies, ob sie nun von einem altmodischen Apparat
ausgehe, der vielleicht 0,1 M. A. Sekundärstrom liefert, oder von einem
Momentapparat mit Mammutröhre. Dürfen wir dann noch mit einer an-
nähernd homogenen Strahlung rechnen, so wissen wir ferner, daß die In-
tensität der Strahlung, nachdem sie ihre doppelte Halbwertschicht durch-
drungen hat, auf ?/, ihres ursprünglichen Wertes reduziert ist; nach Durch-
dringen der dreifachen Halbwertschicht auf !/,, nach Durchdringen der
vierfachen Halbwertschicht auf !/,, usw., kurz, wir erhalten ein anschau-
liches Bild von dem Gange der Abschwächung in verschiedenen Tiefen
der absorbierenden Substanz. (Siehe nebenstehende Figur 1.)
Grundlagen der Tiefentherapie. 57
Und nun kommt die Hauptsache. Wir sollen im Interesse der gün-
stigsten Tiefenwirkung diejenige Strahlenqualität heraussuchen, welche in
der fraglichen Tiefe auf ®/, ihrer ursprünglichen Intensität reduziert ist.
Auch hier wieder läßt sich
unter der Annahme einer an-
nähernd homogenen Strahlung
eine einfache Beziehung her-
ausrechnen. Es läßt sich näm-
lich zeigen, daß das gewünschte
Absorptionsverhältnis erreicht
ist, wenn die Halbwertschicht
der Strahlung ”/,, der über-
lagernden Weichteilschicht be-
trägt. Liegt also z. B. eine
karzinomatöse Drüse 2 cm unter
der Hautoberfläche, so wird
von der auf die Haut fallenden
Strahlenmenge dann die größte Menge von der Drüse absorbiert, wenn die
Halbwertschicht der Strahlung 0,7.2cm = 1,4cm beträgt.
Besser als jegliche Rechnung läßt eine einfache Skizze mit beigefügter
Tabelle einen deutlichen Einblick in die diesbezüglichen Verhältnisse tun.
Auf Grund meiner a. a. O. gegebenen Absorptionsformeln können die
Zahlen dieser Tabelle jederzeit nachgerechnet werden. (Fig. 2.)
Wir senden eine beliebige Röntgen-
strahlung durch eine Weichteilschicht
„ von der Dicke w und berechnen, wie
"viel von dieser Strahlung zurückbleibt :
: X > Ss SSTÄLÄUSS, 1. in dem obersten Zehntel der
Schicht w!) und
2. ineinergleichdicken Schicht in der
Tiefe, nach Durchlaufen der Schicht w.
Die in diesen beiden Schichten zurückbleibenden Bruchteile der auf
die Hautoberfläche auftretenden Intensität sind in den zwei ersten Kolonnen
eingetragen. Es stellt also die erste Kolonne die Oberflächendosis dar,
und die zweite die Tiefendosis?). In der dritten Kolonne endlich ist das
Verhältnis der Oberflächendosis zu der Tiefendosis dargestellt.
ale
TREE RRA
D
N
Fig. 2.
1) Anstatt !/,, hätte man ebensogut !/ oder !/,, usw. wählen können. Es
sollen nur die Ideen fixiert werden. Die Zahlen in den Kolonnen 1 und 2 der
Tabelle wären andere geworden, aber der Gang dieser Werte wäre derselbe. Un-
geändert bliebe außerdem Kolonne 3.
?) Gemeint ist damit das, was ich a. a. O. als die ‚rohe Dosis‘ bezeichnet
habe, d. h. eine der absorbierten Röntgenenergie proportionale Größe, ohne Berück-
sichtigung der spezifischen Röntgenempfindlichkeit.
58 Christen,
Mit dem Buchstaben a ist die Halbwertschicht der Strahlung be-
zeichnet.
Absorptionstabelle.
a eea r entr
Absorbierte Strahlenmenge
Halbwertschicht Dosenquotient
oberste Schicht | tiefe Schicht
a = jew 242 "he 15 "ee 16,1
a = tje W 187 "leo 23 "Io 8,1
a = 1/4 W 129 */e 32 *Joo 4,0
a— Te: W 94 "Io 85 *Joo 21°,
a=w 67 “Jo 33 °Joo 2,0
a = 1j, w 47 °ico 29 ho 1,6
a =2.w BA °/eo 26! /, "ee 1,36
a=3.w 23 “loo 18 "oe 1,28
a—=4-w 17 m 15! /, "eo 1,1
Die erste Kolonne sagt uns (was wir ja schon längst wissen), dab,
je weicher die Strahlung, desto größer der in der obersten Schicht ab-
sorbierte Bruchteil derselben. Beträgt die Halbwertschicht a nur !;, der
Weichteilschicht, so absorbiert das oberste Zehntel der Weichteilschicht
bereits 242°/,, derselben, d. h. beinahe den vierten Teil. Gehen wir im
Gegenteil zu der härtesten Strahlung der Tabelle über, welche eine Halb-
wertschicht hat, die das Vierfache der Weichteilschicht beträgt, so werden
im obersten Zehntel der Weichteilschicht nur 17°j,. der einfallenden
Strahlung absorbiert.
Ganz anders verhält es sich mit der Tiefendosis. Nimmt man auch
-in der Tiefe wieder eine Schicht, deren Dicke den Zehntel der Weichteil-
schicht beträgt (um ein richtiges Tertium comparationis zu haben), und
berechnet man die in derselben absorbirte Röntgenstrahlenmenge, so findet
man, daß sowohl bei der weichsten Strahlung, als bei der härtesten die
absorbierte Strahlenmenge gering ist. Sie beträgt in beiden extremen Fällen
nur 15°/,, der auf die Haut auffallenden Strahlung. Man wird sich ferner
überzeugen, daß das Optimum, d. h. diejenige Strahlenqualität, bei welcher
die in der Tiefe absorbierte Strahlenmenge am größten ist, mit derjenigen
zusammenfällt, deren Halbwertschicht ”7/,, der Weichteilschicht beträgt.
In der dritten Kolonne endlich ist das Verhältnis der an der Ober-
fläche und der in der Tiefe absorbierten Röntgenstrahlenmenge eingetragen.
Sieht man von der Möglichkeit verschiedener Röntgenempfindlichkeit ab,
so stellt die dritte Kolonne direkt das Verhältnis der Oberflächendosis zur
Tiefendosis dar, d. h. diejenige Zahl, welche ich den Quotienten der rohen
Dosen genannt habe. Für die Berechnung der physiologisch wirksamen
Dosis müßten wir vorerst noch den Sensibilitätskoeffizienten kennen, eine
Grundlagen der Tiefentherapie. 59
Erweiterung der Betrachtung, auf welche ich mich in diesem kurz orien-
tierenden Aufsatze nicht wohl einlassen kann.
Die dritte Kolonne sagt uns also, daß wir die Haut am besten
schonen, wenn wir die Strahlung so hart nehmen, als dies aus anderen
Gründen angängig ist. Man sieht aber sofort, daß man der Kolonne 3
zuliebe mit diesem „so hart wie möglich“ nicht ins Ungemessene gehen
darf, sonst wird die aus der Kolonne ersichtliche Tiefendosis allzu klein.
Man würde dann wohl viel Röntgenenergie in die Tiefe senden, brächte
sie aber dort nicht zur Absorption, und würde damit auch die gewünschte
therapeutische Wirkung nicht erreichen.
Immerhin ersieht man aus der Tabelle, daß in der Nähe der günstigen
Halbwertschicht der Nutzeffekt (denn so dürfen wir doch wohl den thera-
peutisch wirksamen Anteil an absorbierter Strahlung nennen) sich nicht
merklich verändert. Nehmen wir z. B. anstatt des theoretisch günstig-
sten Wertes
se 7.Ww
10
den vorhergehenden Wert
Oo wW
"7
so ist der Nutzeffekt von 35°/,, bloß auf 32°,,, gesunken. Dabei müßte
man aber eine Erhöhung des Dosenquotienten von 2,7 auf 4,0 in Kauf
nehmen, ein Verfahren, welches durchaus zweckwidrig wäre.
Gehen wir nun aber nach der anderen Seite, d. h. wählen wir
a=W
so sinkt der Nutzeffekt auf 33°/,.,, während der Dosenquotient von 2,7
auf 2,0 heruntergeht. (Daß der Dosenquotient in diesem Falle gerade
gleich 2 ist, versteht man leicht, wenn a=w, d. h. wenn die Weichteil-
schicht gerade gleich der Halbwertschicht ist.)
Ja selbst wenn wir zu einer noch härteren Strahlung
10.w
iso
7
übergehen, so sinkt der Nutzeffekt bloß auf 29°[,,, während der Dosen-
quotient auf 1,6 heruntergeht.
Diese Feststellung ist von ganz besonderer Bedeutung. Wir müssen
auf zweierlei Dinge acht haben:
1. auf einen möglichst großen Nutzeffekt (Kolonne 2),
2. auf eine möglichste Verringerung des Dosenquotienten (Kolonne 3).
Erscheint uns bei dem günstigsten Nutzeffekt der Dosenquotient von
2.7 noch etwas hoch, so kommen wir auf der nächsten Zeile der Tabelle
bereits auf einen Dosenquotienten von 2,0 herunter. Will man denselben
60 Christen,
noch weiter verringern, so sieht man aus Kolonne 3, daß mit steigender
Strahlenhärte der Dosenquotient zwar stetig abnimmt, daß aber seine Ab-
nahmen immer geringer ausfallen. Die Härte mit 29°/,, Nutzeffekt und
einem Dosenquotienten von 1,6 würde eben noch angehen. Was darüber
hinaus liegt, gibt nur noch so geringfügige Verminderungen des Dosen-
quotienten, daß die damit verbundene Herabsetzung des Nutzeffektes durch
die Verbesserung des Dosenquotienten nicht mehr aufgewogen würde.
Aus diesen Betrachtungen geht folgender praktisch wichtiger Schluß
hervor:
Ist einerseits der größte Nutzeffekt bei einer Halbwertschicht von sieben
Zehnteln der Weichteilschicht gelegen, so ist mit Rücksicht auf den Dosen-
quotienten, d.h, mit Rücksichtauf möglichste Schonung der Haut,
diejenige Strahlenqualität am meisten zu empfehlen, deren
Halbwertschicht gerade gleich der Weichteilschicht oder um
ein Geringes größer ist.
Dieses Resultat gestattet uns nun eine bedeutende Vereinfachung all
unserer praktischen Maßnahmen. Wir können uns jeglicher Rechnung
entschlagen, und wählen in jedem Falle von Tiefentherapie die Strahlen-
qualität so aus, daß ihre Halbwertschicht gleich der Weichteilschicht ist,
welche die Strahlen zu durchsetzen haben, bis sie an die Stelle der ge-
wollten Wirkung gelangen. Man kann endlich der Kolonne 3 entnehmen,
daß die Tiefendosis in diesem Falle (stets abgesehen von der spezifischen
Röntgensensibilität des betreffenden Gewebes) gerade die Hälfte der Ober-
flächendosis beträgt.
Liegt zwischen Oberfläche und tiefem Gewebe nicht nur Haut und
Muskel, sondern auch Fett, so bestimmt man eine etwas zu harte Strahlung,
weil das Fett weniger absorbiert. Das hat nichts auf sich, weil ja nach-
gewiesen wurde, daß auch der folgende Härtegrad noch angängig ist. Nur
wird in diesem Falle die Tiefendosis etwas anders ausfallen, schätzungs-
weise ?/ der Oberflächendosis.
Bei dieser Bestimmung der Tiefendosis darf nie vergessen werden,
dal} alle unsere Dosierungsvorrichtungen bei harten Strahlungen die Dosis
überschätzen. Erst wenn wir einmal eine sichere Basis für die direkte
Dosimetrie geschaffen haben, wird man hierüber völlig ins Klare kommen.
Es ist aber damit durch einen glücklichen Zufall die Möglichkeit
gegeben, die mnemotechnische Regel
pana
10
aus der Welt zu schaffen, indem man auf Grund einer exakten physika-
lischen Überlegung in der Röntgenpraxis nicht nur bequemer, sondern mit
Rücksicht auf das Prinzip der Hautschonung auch zweckdienlicher
Grundlagen der Tiefentherapie. 61
a =w
setzt, d. h. die Halbwertschicht gerade so groß nimmt, wie die Weich-
teilschicht.
Weiter haben wir uns zu fragen: Wie kann man im einzelnen Falle
in der Röntgenpraxis eine Strahlung von bestimmter Halbwertschicht er-
halten? Oder wie kann man die Halbwertschicht einer Strahlung be-
stimmen?
Zunächst ergeben sich aus den bekannten Versuchen über Absorption
der verschiedenen Strahlenarten die zugehörigen Halbwertschichten. So
findet z. B. Kienböck (Radiotherapie, S. 83) in 1 cm Wasser
für dieHärtegrade nachBenoist-Walter 3 4 5 6
eine Reduktion der Intensität auf. . . . 33°), 40°), 50°, 60°,
woraus sich die entsprechenden Halbwert-
schichten berechnen zu ........ 0,63 0,75 1,00 1,35 cm.
Nach meinen Bestimmungen, welche die Herren Ingenieure der
Reiniger Gebbert & Schall A.-G. in liebenswürdiger Weise nachgeprüft
haben, erscheinen allerdings diese Zahlen etwas zu niedrig. Da wäre es
von besonderem Wert, wenn sich eine Vorrichtung herstellen ließe, welche
gestattet, die Halbwertschicht irgend einer Strahlung direkt abzulesen.
Ich gedenke in nächster Zeit ein einfaches Instrument der Öffent-
lichkeit zu übergeben, mit dessen Hilfe man an jeder Röhre die Halbwert-
schicht ihrer Strahlung direkt optisch bestimmen kann. Prinzipiell ist die
Aufgabe gelöst, es harren nur noch einzelne nebensächliche technische
Fragen der endgültigen Erledigung.
Damit ist ein wesentlicher Fortschritt namentlich deshalb erreicht,
weil wir in der Halbwertschicht ein absolutes Maß für die Strahlen-
qualität besitzen. So praktisch auch die bisherigen Meßmethoden sein
mochten, sie hatten alle den Nachteil, dab sie rein konventionelle Maße
darstellten. Außerdem war zu bedauern, daß wir eine ganze Reihe an-
nähernd gleichwertiger Maßsysteme hatten, welche unter sich immer wie-
der umgerechnet werden mußten, weil der Eine vorzog, nach Benoist, der
Andere nach Walter, der Dritte nach Wehnelt, wieder ein Anderer nach
Bauer usw. zu arbeiten. Die gegenseitige Umrechnung ist ja keine Hexerei,
aber sie kann doch nicht anders denn als eine Komplikation aufgefaßt
werden, welche durch Einführung einer absoluten Maßeinheit überflüssig
geworden ist.
Ist einmal die Halbwertschicht allgemein als Maß für die Röntgen-
strahlenqualität eingeführt, so wird uns der gegenwärtige Zustand ähnlich
vorkommen, wie weiland das Rechnen mit Pariser Fuß und Schweizer
Fuß usw., wobei sogar einzelne Städte für sich allein verschiedene Fuße
hatten, so z. B. die löbliche Stadt Metz deren drei.
62 Christen,
Aber nicht nur den einen Vorteil hat die Halbwertschicht, dab sie
ein absolutes Maß darstellt, sondern sie ist überdies das denkbar beste
Anschauungsmittel zur Erklärung der Absorptionsvorgänge. Wer macht
sich eine deutliche Vorstellung von den physikalischen Eigenschaften einer
Strahlung vom Grade 7 Wehnelt? Wissen wir aber, in welcher Schicht
destillierten Wassers diese Strahlung auf die Hälfte ihrer Intensität redu-
ziert wird, so kennen wir den ganzen Verlauf ihrer Veränderungen mit
der Tiefe: wir brauchen nur um weitere Halbwertschichten forzadamen
und jedesmal die letzte Intensität zu halbieren.
Wir erhalten so vor unserm geistigen Auge ein lebendiges Bild von
dem Zusammenhang zwischen Schichtdicke und Reduktion der Intensität.
Und wenn wir dieses Bild auch dem leiblichen Auge zugänglich machen
wollen, und gerade kein Buch zur Hand haben, in welchem die betreffende
Figur abgedruckt ist, so können wir dieselbe jederzeit dem Gedächtnis
entnehmen. Fig. 2 stellt diese Absorptionskurve dar, in welcher jeweilen
von einer Halbwertschicht zur andern (a) die Intensität auf die Hälfte
ihres letzten Wertes sinkt.
Um gewissen Bedenken von vornherein zu begegnen, muß ich mich
mit der früher üblichen Forderung, bei der Tiefentherapie „möglichst
harte‘‘ Strahlen zu verwenden, auseinandersetzen.
Liegt ein Gebilde sehr tief unter der Haut, so muß die günstigste
Halbwertschicht schließlich so groß sein, daß wir in das Gebiet der höch-
sten erhältlichen Härtegrade gelangen. Solche Härtegrade kann man
nicht mehr direkt (die Röhre würde einfach durchschlagen) sondern nur
durch Filtration vermittelst Aluminium erhalten. Aber wir dürfen dabei
nicht vergessen, daß, wie gesagt, bei so hohen Härtegraden die Absorption
eine sehr geringe und damit auch die physiologische Wirkung eine stark
reduzierte ist. Lassen wir uns nicht durch irgendwelche Reagenzkörper
täuschen, welche nachgewiesenermaßen bei harten Strahlungen viel zu hohe
Dosen angeben. Dann verschleudern wir einfach unsere Röntgenenergie,
indem der Großteil im Aluminium zurückbleibt, während der Rest das
bestrahlte Gewebe beinahe wirkungslos durchsetzt.
Ein einfaches Hilfsmittel zur Schonung der Haut besteht darin, daß
man, wo dies angeht, ein tiefliegendes Gewebe durch verschiedene Haut-
partien hindurch bestrahlt. Dabei ist es ganz unnötig, daß der Angriff
gleichzeitig von verschiedenen Seiten erfolge, wie dies seinerzeit vorgeschlagen
wurde. Es ist dies eine gänzlich unnötige Komplikation. Man kann die
Bestrahlungen in verschiedenen Richtungen ebensogut hintereinander aus-
führen.
Einer außerordentlich schönen und brauchbaren Entdeckung müssen
wir an dieser Stelle Erwähnung tun, der Desensibilisierung der Haut
Grundlagen der Tiefentherapie. 63
durch künstliche Blutleere, welche wir G. Schwarz?) ver-
danken.
In welcher Weise diese künstliche Blutleere am besten zu erreichen
sei, darüber sind die Akten noch nicht geschlossen. Es stehen uns hierfür
verschiedene Mittel zu Gebot: Kälteapplikation, Druckanämie, Adrenalin-
injektion.?) Die erste Methode scheint nicht verwendet worden zu sein:
sie dürfte praktisch ihre großen Schwierigkeiten haben.
Die Druckanämie erfordert bestimmte Kautelen®). Komprimiert man
zu schwach, so schädigt man die Haut. Komprimiert man zu stark, so
setzt man unter Umständen auch das in der Tiefe gelegene Gebilde unter
Druck, macht auch dieses anämisch und dadurch unterempfindlich. Man
wird also denjenigen Druck anwenden müssen, welcher gerade hinreicht,
um die Haut mit Sicherheit zu schützen. Nach meinen klinischen
Beobachtungen, die allerdings noch nicht zahlreich genug sind, beträgt
dieser Druck 40 cm Wassersäule (3 cm Hg.).
Über die Adrenalinmethode habe ich keine Erfahrung. Wo das thera-
peutisch anzugreifende Gewebe nahe der Haut liegt, verspricht diese
Methode einen wesentlichen Vorteil gegenüber der Druckanämie zu bieten,
denn in diesem Falle würde ein Druck allzuleicht auch auf das subkutane
Gebilde wirken und dasselbe in unerwünschter Weise desensibilisieren,
während eine geschickt ausgeführte intrakutane Adrenalininjektion das
subkutane Gewebe vielleicht unbeeinflußt läßt. Liegt aber das fragliche
Gebilde tief, wie z. B. die Ovarien unter einer (mindestens unter dem
physiologischen Tonus stehenden) Muskelschicht, so ist eine Druckwirkung
in die Tiefe, d. h. auf die Ovarien doch wohl ausgeschlossen und dann ist,
wenigstens für mein persönliches Gefühl, die Druckanämie nicht nur ein-
facher, sondern wohl auch für die Patienten angenehmer als eine vor-
bereitende Injektion der Haut. Doch darüber kann man einstweilen noch
verschiedener Ansicht sein und es werden sich mit der Zeit und mit zu-
nehmender praktischer Erfahrung gewiß alle diese Fragen klären.
Am sichersten geht man mit der Druckanämie überall da, wo zwischen
der Oberfläche und der Stelle der gewollten Wirkung ein Knochengefüge
liegt (Schädel, Thorax). Hier muß man große Oberflächendosen geben,
um den stark absorbierenden Knochen zu durchdringen. Dafür kann man aber
auch kräftig komprimieren, ohne daß man Gefahr liefe, auch das in der
1) Münch. Med. Wochschr. 1909, Nr 24.
2) Adrenalinanämisierung als Hautschutz in der Röntgentherapie. Münch.
Med. Wchschr. 1911, Nr. 24.
s) Vgl. meinen Aufsatz „Einige Anwendungen der Absorptionsgesetze auf die
Röntgentherapie“. Fortschritte a. d. G. d. Rtgstr., Bd. XVI, H. 4.
64 Christen,
Tiefe liegende Gewebe unter Druck zu setzen. Natürlich gilt für diese
Fälle die oben abgeleitete Halbwertschichtregel nicht, weil die dort
gemachte Voraussetzung einer homogenen Weichteilschicht nicht er-
füllt ist.
II. Indirekte Tiefentherapie.
Nicht nur klinische Beobachtungen, aus welchen man auf Fern-
wirkungen der Röntgenbestrahlung geschlossen hat, sondern auch Labora-
toriumsexperimente haben uns die Möglichkeit der Existenz eines Röntgen-
toxines nahegelegt. Bedenkt man, wie tief z. B. bei manchen Frauen die
Ovarien unter der Haut liegen, wie wenig Röntgenenergie dieselben er-
halten, so müssen entweder die Ovarien außerordentlich empfindlich für
Röntgenstrahlen sein, was ja auch tatsächlich der Fall ist, oder es bildet
sich in den überlagernden Schichten unter dem Einfluß der absorbierten
Strahlung ein Toxin, welches, auf irgend einem Wege den Ovarien zu-
geführt, dort die spezifische schädigende Wirkung auslöst. Ob man diese
zweite Erklärung heranziehen muß, oder ob die hohe spezifische Empfind-
lichkeit allein zur Erklärung ausreicht, können wir mit Sicherheit nicht
entscheiden, bevor wir das Verhältnis der Sensibilitätskoeffizienten von Haut
und Ovarium numerisch festgestellt haben.
Von ganz besonderm Interesse in dieser Hinsicht sind die Versuche,
welche Schiller und O’Donnell in Bd. XVI, H. 4 der Fortschritte ver-
öffentlicht haben. Diese Experimentatoren haben nachgewiesen, daß Flüssig-
keiten, welche zuerst intensiv bestrahlt und dann Tieren injiziert wurden,
schwere Schädigungen, ja den Tod der Tiere herbeiführten. Sind die
klinischen Erfahrungen über die Frage der indirekten Röntgenwirkung zur
Zeit noch widersprechend, so kann doch hinsichtlich der Bedeutung der
erwähnten Laboratoriumsversuche kaum irgend ein Zweifel bestehen, es sei
denn, daß man die Richtigkeit der Versuchsresultate selbst bestreiten wollte.
Fände sich darin nicht auch ein Wegweiser zur Erklärung der
Schwarzschen Entdeckung? Wenn durch die Anämisierung die durch
Rüntgenstrahlen aktivierbaren Flüssigkeiten weggedrängt werden, so fällt
die Bildung des Röntgentoxines fort. Oder wenn, wie dies nach den
ersten orientierenden Versuchen scheint, die Druckanämie einen höheren
Grad von Immunität erzeugt als die Adrenalinwirkung, kann dies nicht am
Ende daber kommen, daß unter genügendem Druck doch mehr aktivier-
bare Flüssigkeit weggeschafft wird, als unter Adrenalinwirkung?
Alles dies sind zur Zeit noch Hypothesen, aber sie enthalten so außer-
ordentlich interessante Fragestellungen, daß wir nicht umhin konnten, sie
wenigstens anzudeuten, um den einen oder andern der Leser zu weiteren
Forschungen in dieser Richtung anzuregen.
Grundlagen der Tiefentherapie. 65
HI. Induzierte Röntgenwirkung.
Eine bestimmte Erscheinung haben wir bis jetzt absichtlich außer
Acht gelassen, die Entstehung der sogenannten Sekundärstrahlen.
Auf die ganze theoretisch schwierige Frage der Sekundärstrahlen kann
hier unmöglich eingegangen werden. Erwähnt sei nur, daß jeder von
Röntgenstrahlen getroffene Körper seinerseits wieder zur Strahlenquelle
wird, wobei die in ihm neu entstehenden Strahlen einen andern Härte-
grad haben, als die einfallenden, so sind z. B. die von den Schwermetallen
ausgehenden Sekundärstrahlen weicher, während die im tierischen Körper
gebildeten Sekundärstrahlen härter sind als die einfallende Strahlung.
In der Röntgenphotographie machen wir die schmerzliche Erfahrung,
daß wir bei dicken Objekten weichere Strahlen anwenden müssen, als
eigentlich für die größtmögliche Kontrastbildung ersprießlich wäre, denn
unter harter Strahlung entstehen weit mehr Sekundärstrahlen als unter
weicher. _
Für die direkte Tiefentherapie dagegen sind die Sekundärstrahlen von
wenig Belang, weil sie so hart sind, daß ihre physiologische Wirkung kaum
in Betracht kommt.
Ganz anders verhält es sich mit den weichen Sekundärstrahlen, wie
sie z. B. von Metallen ausgehen. Johnson hat sich diese Eigenschaft
zu Nutze gemacht, wenn er seine Darmpatienten metallisches Silber ein-
nehmen ließ), und darauf den Bauch mit sehr harten Strahlen behandelte.
Dasselbe erreicht Harris, wenn er vor der Röntgenbehandlung des karzi-
nomatösen Rektums eine Vorbehandlung nit Zinksalbe anwendet. (Über
beides vergleiche die Verhandlung der Brit. Med. Ass., Birmingham 1911.)
Und verdankt nicht auch Emil G. Beck seine Erfolge mit der
\Wismutpastenbehandlung zum Teil diesem Prinzip? Er selbst hat von
einer Radioaktivierung der Wismutpaste durch nachfolgende Röntgen-
bestrahlung gesprochen. Aber nach dem eben Gesagten erscheint nun die
ganze Frage in einem neuen Lichte: In innigem Kontakt mit dem er-
krankten Gewebe steht die eingespritzte und erhärtete Wismutpaste. Auf
dieselbe fallen durch die bedeckenden Weichteile hindurch sehr harte
Strahlen. Anders als sehr hart können dieselben nicht wohl sein, wenn
es sich um Herde im Becken, im Hüftgelenk, in der Wirbelsäule handelt,
wie solche nach der Beckschen Methode mit überraschendem Erfolge
behandelt werden. Die harten Strahlen können infolge ihrer großen Halb-
wertschicht von den Weichteilen nur in geringer Menge absorbiert werden
und deshalb auch nur eine unbedeutende therapeutische Wirkung entfalten.
Nun treffen sie aber auf das Wismutsalz. werden dort kräftig absorbiert,
denn auch den harten Strahlen bietet das schwere Wismutsalz nur eine kleine
5
66 Christen,
Halbwertschicht. Ein Teil der absorbierten Strahlen wird aber in weiche
Sekundärstrahlen umgewandelt, welche nun in dem unmittelbar benach-
barten kranken Gewebe kräftig absorbiert werden und daher eine inten-
sive therapeutische Wirkung entfalten. |
= Damit ist das scheinbar unmögliche Problem gelöst, in der Tiefe des
Körpers weiche Strahlen zur Absorption und damit zur therapeutischen
Wirkung zu bringen.
Ist diese Erklärung der Erfolge der Beekerisn Behandlung nicht
plausibel? Ja noch mehr! Ich möchte vorschlagen, einen weitern Schritt
zu wagen. Der Hauptvorwurf, den man Beck gemacht hat, ist die Gift-
wirkung des Wismutes, welche Stomatitis und Zylindrurie verursacht, ja
schon zu Todesfällen geführt hat. Wenn aber für die hier in Betracht
kommende Heilwirkung die Eigenschaft, weiche Sekundärstrahlen aus-
zusenden, genügt, so wird sich auch ein Material finden lassen, welches
diese Eigenschaft besitzt, und zugleich ungiftig ist. Ist nicht auch dieses
Problem ein dankbares Objekt für physikalische und klinische Forschung?
Dieser kurze Aufsatz ist weit davon entfernt, die physikalischen und
physiologischen Grundlagen der Röntgentherapie erschöpfend zu behandeln.
Namentlich die physiologische Seite der Frage bedarf noch gründlicher
Untersuchungen. Namentlich fehlen zur Zeit noch jegliche numerischen
Daten über die Werte der Sensibilitätskoeffizienten der verschiedenen Ge-
webe, mit deren Hilfe man aus der „rohen Dosis‘‘ die „wirksame Dosis‘‘
berechnet, oder, wenn man lieber will, das Verhältnis zwischen der phy-
sikalischen und der physiologischen Dosis.
Immerhin hoffe ich, daß es mir gelungen ist, die Ideen der Praktiker
über verschiedene grundlegend wichtige Dinge zu klären und zu festigen,
vielleicht auch dazu beizutragen, neue Wege zu eröffnen, welche zu er-
strebenswerten Zielen führen und bei den Lesern die Überzeugung zu
wecken, daß diese Wege in den verschiedensten Richtungen gangbar sind.
IV. Zusammenfassung.
1. Die Behandlung tief liegender Gewebe mit Röntgenstrahlen ist auf
drei Wegen möglich: durch die direkte, durch die indirekte und durch die
induzierte Röntgenwirkung.
2. Bei der direkten Tiefentherapie ist der größte Nutzeffekt in der
Tiefe an eine ganz bestimmte Strahlenqualität gebunden.
3. Als Maß für die Strahlenqualität eignet sich am besten die Halb-
wertschicht, d. h. die in Zentimetern meßbare Schichtdicke destillierten
Wassers, in welcher die Strahlung gerade auf die Hälfte ihrer Intensität
reduziert wird. Je härter die Strahlung, desto größer ihre Halbwert-
schicht. Die Halbwertschicht ist ein absolutes Maß, während alle bisher
Grundlagen der Tiefentherapie, 67
üblichen Skalen nur konventionelle Maße waren. Sie gibt überdies eine
direkte Vorstellung über die Absorptionsverhältnisse bei der betreffenden
Strahlung. |
4. Die günstigste Tiefenwirkung erreicht man mit derjenigen Strahlung,
deren Halbwertschicht gerade gleich der überdeckenden Weichteilschicht
ist. Es ist hierbei der Nutzeffekt um ein Geringes kleiner, als der größt-
mögliche, dafür ist aber die Hautschonung sicherer gewährleistet. Ein-
facher könnte die Regel nicht sein.
5. Die indirekte Röntgenwirkung (Röntgentoxin) ist mit großer Wahr-
scheinlichkeit, die induzierte Röntgenwirkung mit Sicherheit erwiesen.
Beide harren noch weiterer Bearbeitung und Nutzbarmachung.
6. Die Desensibilisierung der Haut durch künstliehe Anämie ist ein
wichtiges Mittel zum Hautschutz. Die verschiedenen hierfür vorgeschlagenen
Methoden bedürfen ebenfalls noch der weiteren praktischen Bewährung.
Anmerkung bei der Korrektur: In neuester Zeit hat die Firma
Reiniger, Gebbert & Schall A.-G., Erlangen, einen nach meinen
Angaben konstruierten absoluten Härtemesser in den Handel gebracht,
dessen Prinzip ich auf dem letzten Röntgenkongreß in Berlin erörtert habe.
Es läßt sich mit demselben an jeder in Betrieb befindlichen Röntgenröhre
die Halbwertschicht der ausgesandten Strahlung direkt optisch be-
stimmen.
5*
Aus dem Radiologischen Institut der Allgemeinen Poliklinik in Wien.
Über das Quantimeter.
Von
Privatdozent Dr. Robert Kienböck.
I. Einleitung. Entwicklung der Radiometrie.
5 vor vielen Jahren (Wiener klin. Wochenschrift 1900, Nr. 50)
habe ich ausgesprochen, daß für die Radiotherapie die Beherrschung
der Dosierungstechnik von größter Wichtigkeit ist, da die normale Haut
von gesunden Individuen und pathologische Gewebe in gesetzmäßiger Weise
auf Röntgenlicht reagieren (im Gegensatz zur damals herrschenden Lehre
von einer ganz irregulären Empfindlichkeit für’ die Strahlen und Idiosyn-
krasie) und daher die Applikation ganz bestimmter, den Fällen angepaßter
Lichtmengen (Dosen) indiziert ist, daß aber .‚erst nach Ausbildung der
Photometrie des Röntgenlichtes exakte Untersuchungen möglich sein
werden und man dann im konkreten Falle auch zahlenmäßig die gesamte
Quantität des Röntgenlichtes — mit Berücksichtigung des Penetrations-
vermögens —- wird berechnen können“, ferner, „daß ein Parallelismus
zwischen der Wirkung (des Röntgenlichtes) auf die Haut und der
auf die photographische Platte bestehe"... „daß die chemischen
Veränderungen im Gewebe, wie auf der Bromsilbergelatine-
platte um so größer sind, je mehr die Strahlen zurückgehalten
werden“. Je weniger penetrierend die Strahlen sind, desto mehr werden
sie vom Gewebe und von der lichtempfindlichen Schicht absorbiert: je mehr
penetrierend sie sind, desto weniger werden sie absorbiert und dement-
sprechend weniger auf die Haut und auf das Bromsilber wirken.
Holzknecht war es, dem es im Jahre 1902 gelang, ein Radiometer
zu konstruieren, welches in der Radiotherapie die applizierten Lichtmengen
nach bestimmten Einheiten zahlenmäßig anzugeben bestimmt war. Es war
dies das erste Ohromoradiometer. Das Reagens, eine farblose Pastille.
wurde auf die zu bestrahlende Hautstelle gelegt, sie wurde durch steigende
Lichtmengen zunehmend grün gefärbt. Die Erfindung eines solchen Instru-
mentes bedeutete für die Radiotherapie eine neue Epoche; man konnte nun
1. die für verschiedene Zwecke indizierten Lichtmengen zahlenmäßig kennen
lernen und war 2. des Versuches enthoben, die applizierte Lichtmenge
durch Berücksichtigung zahlreicher Faktoren, wie z. B. Stärke des Primär-
stromes, des Sekundiirstromes, der Röhrenfluoreszenz und des Aufleuchtens
Kienböck, Über das Quantimeter. 69
des Fluoreszenzschirmes, Entfernung des Fokus von der Haut und Dauer der
Belichtung zu berechnen. Übrigens hatte früher die Berücksichtigung
aller dieser Faktoren nie zu einer absoluten Messung der Lichtmenge ge-
führt und wenn man einen Apparat nicht äußerst sorgfältig ausprobiert
hatte, so war es häufig zu Unter- und Überdosierung und infolgedessen
bald zu einer mangelhaften Wirkung, bald zu einer Verbrennung gekommen.
Die ersten Lieferungen der Holzknechtschen Pastillen waren brauch-
bar. Bald aber zeigten sich mehrere Mängel, insbesondere an den Pastillen
der nachfolgenden Lieferungen, welche die Lichtdosen nicht mehr genügend
genau anzeigten.
Es wurden nun in den folgenden Jahren, um den Bedürfnissen der
Praxis besser zu entsprechen, neue Radiometer erfunden, welche größten-
teils nach demselben Prinzip wie das ursprünglich Holzknechtsche
Chromoradiometer konstruiert sind. Es seien hier die Radiometer von
Freund, Sabouraud-Noire (beide 1904), Bordier und Schwarz
(beide 1906) genannt. Holzknecht suchte durch mehrere Jahre sein
erstes Instrument zu verbessern, konnte aber das gewünschte Ziel nicht
erreichen und ließ schließlich die Fabrikation seines Chromoradiometers
einstellen.
Das Sabouraud-Noiresche Radiometer ist sehr gut und in den
meisten Fällen der Praxis kommt man damit aus: in manchen Fällen und
für gewisse Zwecke erfüllt es jedoch nicht alle Anforderungen. Es ist
unterempfindlich, muß daher in halber Fokushautdistanz angebracht werden;
es ist nur für mittelweiches Licht etwa von Härtegrad 5 Benoist geeicht,
bei etwas weicherem oder härterem Licht macht es über die Hautdosen
ungenaue Angaben; ferner war nur eine Bestrahlungsstufe, keine Skala
vorhanden. (Diesem Mangel wurde allerdings später (1910) durch Holz-
knecht abgeholfen, welcher zum Sabouraud-Noireschen Radiometer
eine Skala konstruierte.) Die einzelneu Lieferungen der Sabouraud-
Noire-Pastillen hatten eine verschiedene Empfindlichkeit, es wurden ihnen
daher eigene Vergleichsmuster beigegeben.
Das Bordiersche Radiometer ist nur eine Modifikation des Sabou-
raud-Noireschen Radiometers, das Reagens ist dasselbe, doch wird die
Pastille nach Bordiers Vorschrift auf die Haut selbst gelegt. Die Skala
enthält zwar mehrere Grade, doch sind die niederen Grade bis zur Normal-
dose nur undeutlich ablesbar und nicht verläßlich, die höheren Grade
kommen aber in der Praxis nicht mehr in Betracht.
Das Reagens des Schwarzschen Radiometers ist in halber Fokus-
hautdistanz zu postieren und gibt nur 1 Kalom (etwa |, Normaldose) gut
an; die höheren Grade 2 und 3 sind ungenau; ferner ist es ebenfalls nur
für mittelweiches Licht geeicht.
70 Kienböck,
Freund hat seinem Radiometer keine Skala beigegeben. Auch die
Modifikation des Freundschen Dosimeters durch Bordier und Galimard
hat nur wenige Grade und außerdem andere Nachteile (Nachfärbung).
Keines der genannten Radiometer reagiert schon auf kleine Licht-
mengen, keines zeigt bei verschiedenem Härtegrad des Lichtes die Haut-
dose an und keines registriert den Härtegrad des Lichtes.
II. Wesen und Konstruktion des Quantimeters.
Die eben erwähnten Lücken versuchte ich durch Konstruktion des
„Quantimeters‘“ auszufüllen.!) Wie eingangs angeführt, habe ich schon
seinerzeit auf die Möglichkeit hingewiesen, mit Benutzung der Wirkung der
Röntgenstrahlen auf die photographische Platte ein Radiometer zu kon-
struieren. Ende 1904 fand Herr Horn (Firma Reiniger, Gebbert & Schall,
Erlangen) eine Sorte von photographischem Entwicklungspapier (,„Gaslicht-
papier‘), ein Chlorbromsilbergelatinepapier, welches er zur Messung der
Röntgenstrahlen in der therapeutischen Praxis für geeignet hielt. Die
Firma wandte sich an mich mit dem Ersuchen, die Brauchbarkeit des
Papieres zu prüfen und womöglich hierzu eine praktisch anwendbare Skala
auszuarbeiten. Ich nahm den Vorschlag gern an und untersuchte mehrere
Arten des Papieres. Ich hatte bald eine bestimmte Sorte ausgewählt,
welche sich durch eine für unsere Zwecke entsprechende (also im Ver-
gleiche mit den gewöhnlichen photographischen Platten und Papieren nicht
große) Empfindlichkeit der Schichte, einen ganz gleichmäßigen Guß und
eine dicke Papierunterlage auszeichnete. Es wurde versichert — und hat
sich auch im allgemeinen als richtig erwiesen —, daß das Papier, an einem
geeigneten Orte aufbewahrt, sich durch lange Zeit (Jahre) unverändert er-
halte, ohne in seiner Güte und Empfindlichkeit zu leiden. Ferner bestimmte
ich eine besondere Form und Kuvertierung der Reagenzstreifen und eine
besondere Artder Entwicklerkonzentration. Der Entwickler wirdnicht gemischt
aufbewahrt, sondern in zwei Stammlösungen, welche sich in sorgfältig gerei-
nigten und gut geschlossenen Gefäßen durch lange Zeit unverändert erhalten.
Stammlösung A: Metol (Hauff) . . . . . 150
Natrium sulfurosum . . . 150,0
Aqua destillata . . . . . 1000.0
Stammlösung B: Kalium carbonicum. . . . 110,0
Aqua destillata . . . . . 1000.0
1) Ich habe Instrument und Verfahren zuerst auf dem ersten Röntgenkongreß
in Berlin am 2. Mai 1905, sodann in verbessertem Zustande am 19. Januar 1906 in der
k. k. Gesellschaft der Ärzte in Wien besprochen und demonstriert. Meine ausführ-
liche Schrift über das quantimetrische Verfahren erschien in den Fortschr. auf d.
Geb. d. Röntgenstr. 1906, Bd.9. Das Quantimeter wird von der Firma Reiniger
Gebbert & Schall (Erlangen) erzeugt.
Über das Quantimeter. 71
Nach der Entwicklung der Streifen werden sie in einem sauren Fixier-
bad fixiert. |
Es handelte sich nun darum, für dieses neue Radiometer, das „Quan-
timeter“, eine Vergleichsskala zu konstruieren, welche durch stufen-
weise ansteigende Graufärbungen des ursprünglich weißen Papieres, die
entsprechenden absorbierten Lichtmengen in Einheiten angeben sollte und
zwar Lichtmengen, die in der Praxis verwendet werden. Ich bestrahlte
daher gleichzeitigin 16cm Fokusdistanz einen kuvertierten Papierstreifen,
eine chromoradiometrische Pastille von Holzknecht (erste Lieferung)
und in 8cm Fokusdistanz eine Sabouraud-Noiresche Pastille und zwar
mit mittelweichem Röntgenlicht (5° der Benoist-Walterschen Härte-
skala). Die Exposition wurde abgebrochen, als die Sabouraud-Noirösche
Pastille durch ihre Braunfärbung die „Maximaldose‘‘ angab; Holzknechts
Reagens zeigte 5 H Einheiten an. Nun wurde der Reagenzpapierstreifen
mit den obengenannten Entwicklerlösungen und zwar mit einer Mischung
von 1 Teil A, 1 Teil B und 4 Teilen Brunnenwasser durch 1 Minute be-
handelt, sofort fixiert und gewaschen; es war ein beträchtlicher Grad von
Schwärzung vorhanden. Ich wiederholte den Versuch noch oftmals mit
verschiedenen Röhren und erhielt bald einen etwas niedrigeren, bald etwas
höheren Grad von Schwärzung. Ich wählte nun von diesen Schwärzungen den
Durchschnitt aus und bestimmte den so erhaltenen Grad dazu, eine be-
stimmte Stufe der künftigen Skala darzustellen. Ich dachte zunächst daran,
die Holzknechtschen Einheiten zu verwenden und diese Stufe der
Skala mit 5 H zu markieren. Ich nalım jedoch aus drei Gründen davon
Abstand: |
1. handelte es sich hier um ein neues Instrument, das ein Reagens
von ganz anderer Art (anderer Zusammensetzung und Dicke der empfind-
lichen Schichte) besaß;
2. bot die genannte starke Schwärzung des Papieres die Möglichkeit.
von Weiß bis zu dieser Färbung viel mehr Stufen anzulegen; und
3. erachtete ich die Sabouraud-Noiresche Maximaldose als einen
in der Praxis sehr wichtigen Merkstein in der Reihe anteigender Licht-
dosen und fand es natürlicher, diese Dose nach dem Dezimalsystem in
zehn gleiche Stufen zu teilen. Ich nannte die Einheiten x und setzte
also für die Sabouraud-Noiresche Maximaldose-=5H = 10x.
Ich wählte eine Röhre aus, welche bei bestimmter Belastung kon-
stant funktionierte, also weder weicher noch härter wurde: mit dieser
Röhre war es nötig, das Papier bei 16 cm Fokusinstanz durch 20 Minuten
zu belichten, bis die Sabouraud-Noiresche Maximaldose erreicht war,
und das Papier nach der beschriebenen Art der Entwicklung die vor-
erwähnte Schwärzung 10 x erhielt.
72 Kienböck,
Bei einem zweiten Versuche setzte ich das Papier einer nur zwei
Minuten dauernden Belichtung aus; so wurde das Papier um das zehn-
fache schwächer exponiert als früher; die entstandene schwache Grau-
färbung wurde ebenfalls für die Skala ausgewählt und so die Stufe 1x
festgesetzt. |
Das Papier konnte auch noch schwächere und stärkere Belichtungen an-
zeigen und so wurden die folgenden Stufen für die Skala bestimmt: !/, (eine
Spur von Graufärbung), ?a, 1, 1!j2, 2, 21a, 3, 4, 5, 6, 8, 10, 14, 20. Die
letzte Stufe 20 entsprach der doppelten Maximaldose und zeichnete sich
durch tiefdunkle Schwarzfärbung aus. Die Stufen zwischen 10 und 20
unterschieden sich zu wenig, als daß man mehr als eine Zwischenstufe
hätte einschieben können.
Wie ersichtlich, wurde die Skala nach Lichtmengen graduiert, nicht
etwa in dem Sinne nach Schwärzungsgraden, daß z. B. als Stufe 4
ein Schwärzungsgrad bestimmt wurde, der viermal so dunkel als Stufe 1
erschien; denn die Schwärzungen steigen nur bei schwachen Belichtungen
im einfach arithmetischen Verhältnis mit den Lichtmengen; so erscheint
auf unserer Skala der graue Ton bei !/,” doppelt so dunkel, wie bei !/,°;
bei den mittleren Stufen unserer Skala steigen die Schwärzungen lang-
samer — wie man berechnet hat —, etwa proportional den Logarithmen
der einwirkenden Lichtmengen; bei den höheren Stufen noch viel langsamer.
Eine Nummerierung nach Schwärzungsgraden als solchen, ohne Be-
ziehung zu den erzeugenden Lichtmengen, wäre für die Praxis unbrauchbar
gewesen.
Unsere Skala galt vor allem für den Fall, daß mittelweiches Licht
verwendet und die Dose 10x in 20 Minuten erreicht wurde; doch besteht
bei dem Reagenzpapier für die Erzeugung eines bestimmten Schwärzungs-
grades — die vorgeschriebene Entwicklungsart vorausgesetzt — bei sehr
verschiedenen Kombinationen der Stärke des einfallenden Lichtes und der
Expositionszeit eine Reziprozität dieser beiden Werte und daher hat unsere
Skala in der therapeutischen Praxis fast allgemeine Gültigkeit.
Es wäre nun für die Fabrik nicht leicht gewesen, die Skalen, welche
den Instrumenten beigegeben werden sollten, mit Röntgenlicht herzustellen ;
es war dies auch nicht notwendig. Die Skala wurde vielmelir mit Be-
nutzung einer Glühlampe angefertigt.
Auch ich konnte nach einigen Versuchen mit einer Glühlampe brauch-
bare Skalen herstellen.
Es wurden mit der Glühlampe aus passender Entfernung (90 cm) mehrere
Quantimeterpapierstreifen und zwar verschieden lange: !/,, !/, und 1 Minute belichtet
und nun mit dem Normalentwickler in derselben Weise wie die früheren Streifen
entwickelt. Es fand sich nun, daß eine Belichtung mit der Glühlampe !/, Minute lang
dieselbe Schwärzung des Papiers hervorrief, welche durch 1 x mittelweiches Röntgen-
Über das Quantimeter. 73
licht erzeugt wurde. So wurde also die für das Papier mit 1 x Röntgenlicht äqui-
valente Glühlichtmenge (1 g) ermittelt. (Die Glühlampe wurde für später vorzu-
nehmende Belichtungen reserviert und ihre Belastung mit dem Strom der Lichtleitung
notiert.) Gab man mit der Glühlampe aus 90 cm Entfernung Papierstreifen die
Lichtmengen 1, 2 usw. bis 20 g durch Exposition mit 15, 30 bis 300 Sekunden, so re-
sultierte eine im Vergleich mit den durch Röntgenlicht 1—20 x ermittelten Schwär-
zungen zu schnell ansteigende Stufenleiter, durch 20 g erfolgte eine zu starke
Schwärzung, die Kurve der Gradation war zu steil. Es wurde nun die Lampe in der
Entfernung von 180 cm angebracht und für die erste Stufe der Skala 4mal so lange
wie früher, also durch eine Minute belichtet; es erfolgte die gleiche Schwärzung wie
vorher bei 1 g. Den folgenden Streifen wurden entsprechend größere Lichtmengen
appliziert, bis zu 20 g 20 Minuten lang. Diesmal stiegen die Schwärzungen zu lang-
sam an, der Ton bei 20 g war zu licht, die Gradationskurve eine zu flache.
So wurde durch Versuche gefunden, daß die Lampe bei etwas weniger als 140cm
eine, unseren ansteigenden Röntgenbelichtungen entsprechende, richtig graduierte Skala
ergab. Die aufeinanderfolgenden Felder wurden mit !/,, 1/2 1, 11/2, 2, 2!/,, 3, 4, 5, 6, 8,
10, 14, 20 Glühlichteinheiten g belichtet, und zwar mit unserem Glühlicht während
71/9, 15, 30, 45, 60, 75, 90, 120, 150, 180, 240, 300, 420, 600 Sekunden. — Zu diesem
Zweck wurde ein 15 cm langer, der Länge nach in 15 gleiche Felder geteilter Papier-
streifen in der Dunkelkammer bei rotem Licht unter schwarzes Papier gelegt und
die genannte, in 140cm Entfernung befindliche Glühlampe eingeschaltet. Der Papier-
streifen wurde nun aus seiner Lage unter demRand des schwarzen Papieres ruckweise,
und zwar stets um die Strecke von 1 cm (l Feld) vorgezogen und jedesmal eine be-
stimmte Zeit ruhig belassen. (Würde die Skala einfach alle Lichtmengen von 1 bis 20
aufwärts anzuzeigen haben, so würde man den Streifen nach jeder Verschiebung
30 Sekunden lang festhalten; unsere Skala hat aber andere Stufen, es wird daher
wie folgt vorgegangen):
Man zieht das 1. Feld des Streifens hervor und hält das Papier durch 180 Se-
kunden fest; dieses Feld wird durch die folgende Zeit nicht mehr verdeckt, ist daher
schließlich durch 600 Sekunden belichtet; es wird so zur obersten Stufe (200). Das
2. Feld wird 120 Sekunden festgehalten und so werden die folgenden Felder sukzessive
hervorgezogen und festgehalten, und von Fld 1 (20°) bis Feld 12 (19) 180, 120, 60, 60,
30, 30, 30, 30, 15, 15, 15, 15 Sekunden; dann wird der hervorgezogene, 12 cm lange
Teil des Skalenstreifens verdeckt und man zieht noch 2 Felder hervor, jedesmal mit
Stehenbleiben durch 7!/, Sekunden (Feld 13 = !j,°, Feld 14 = !/,9). Das letzte Feld
15 wird gar nicht hervorgezogen, also gar nicht belichtet, es bleibt weiß (Grad 0).
In der Fabrik wird jede neue Emulsion zuerst auf die Empfind-
lichkeit gegen Röntgenlicht geprüft und zwar durch Vergleich mit einer
früheren Emulsion und, wenn notwendig, mit neuer Entwicklungsvorschrift
und Skala versehen.
Die späteren Emulsionen des Quantimeterpapieres zeigten eine
etwas andere Empfindlichkeit als die erste Emulsion. Zum Teil wurde
für die neue Emulsion eine andere Entwicklungsvorschrift aus-
gearbeitet (entweder wurde die Entwicklungskonzentration oder die
Entwicklungszeit verändert) und die alte Skala behielt nun ihre
Gültigkeit; oder es war nicht möglich, eine Entwicklungsart zu finden,
bei welcher durch die Röntgenlichtmengen 1 bis 20x dieselben stufenweisen
74 Kienböck,
Schwärzungen wie auf der ersten Skala entstanden; dann wurde eine passende
(zu schöner Gradation führende) Entwicklungsvorschrift gegeben und eine
neue Skala konstruiert. Bei der Herstellung dieser Skala wurden auch
für die geeichte Glühlampe — bei Verwendung der neuen Entwicklungs-
vorschrift — die richtige Entfernung und die notwendigen Expositionszeiten
ermittelt, wobei sich im Vergleich mit der früheren Emulsion immer ein
anderes Glühlichtäquivalent ergab.
Es sollen von den im Laufe der Jahre am meisten benutzten Emul-
sionen die zugehörige Entwicklungsvorschrift und Skala genannt werden.
—— mn m
| Entwicklungsvorschrift
Emulsions- u
Jahr ; Skala
K tration !
e en) Entw.-Zeit
A-Lösung B-Lösung| Wasser
371 1905 1 1 4 60" „Skala 371"
181 1905 1 1 1 60" dieselbe
918 1906 1 1 1 20" dieselbe
496 1907 1 1 1 40" dieselbe
1617 1907 1 1 1 20" „Skala 1617:
2229 1909 1 1 1 30" dieselbe
zuerst dieselbe,
3357 1910 1 1 1 30 dann Skala 3357
7472 1911 1 1 4 30" dieselbe
Nach Ausarbeitung der für Röntgenstrahlen geltenden Entwicklungs-
vorschrift und Festsetzung der Skala wird jede neue Emulsion in der
Fabrik mit der Scheinerlampe geprüft, zuerst mit Verwendung der alten
dann der neuen Entwicklungsvorschrift und Skala. Eine neue Emulsion
kann gegen Scheinerlicht eine andere Empfindlichkeit zeigen, als die alte
Emulsion und doch für Röntgenlicht gleich empfindlich sein; umgekehrt
kann eine neue Emulsion bei der Prüfung mit der Scheinerlampe die-
selbe Empfindlichkeit zeigen, wie die alte Emulsion und doch für Röntgen-
licht anders empfindlich sein. Die Empfindlichkeit von photogra-
phischen Emulsionen für die verschiedenen Arten von elektri-
schem Licht ist eine wechselnde, und jede Emulsion unter-
scheidet sich von der anderen.
Jede neue Lieferung muß daher zuerst mit Röntgenlicht neu geeicht
werden; für dieses Licht muß eine besondere Entwicklungsvorschrift und
Skala bestimmt werden. Dann erst wird die Lieferung mit der Scheiner-
lampe wie oben angegeben geprüft: es wird speziell ermittelt, eine wie lange
Belichtung aus 30cm Entfernung bei Verwendung der neuen Entwicklungs-
!) 1 A-Lösung, 1 B-Lösung, 4 Wasser bezeichnet das Verhältnis der Mengen
in der Mischung, also z. B. 20cem A, 20cem B, 80cem W.
Über das Quantimeter. 75
vorschrift und neuen Skala zur Schwärzung 1° führt. Es gibt keine ab-
soluten Äquivalente von Röntgenlicht und Scheinerlicht — so daß 1 s
ein- für allemal gleichzusetzen wäre 1x. Es verhält sich hier wie beim
Glühlicht, wo auch nicht 1g für alle Emulsionen der Röntgenlichtmenge
1x äquivalent ist.
IH. Verwendung des Quantimeters bei der therapeutischen
Bestrahlung.
Das Instrumentarium des Quantimeters besteht also im wesent-
lichen einfach aus einer Serie von schwarz, kuvertierten
Reagenzstreifen (sowohl die Kuverts als auch die Streifen selbst tragen
Nummern) und aus einer Standardskala. Das Quantimeter dient in
der Therapie zur Ermöglichung einer genauen Messung der applizierten Dosen,
und zwar zur Bestimmung der wirklichen Oberflächendosen (Hautdosen),
zur Bemessung des Härtegrades des Lichtes und zur dauernden Registrierung
der Dosen. Der kuvertierte Reagenzstreifen wird (Signatur des Kuverts
nach unten, daher Schichtseite des Quantimeterpapieres nach oben sehend)
vor Beginn der therapeutischen Bestrahlung auf die zu behandelnde
Region gelegt — im allgemeinen auf das Zentrum der Hauptpartie —
und während der ganzen Dauer der Bestrahlung hier belassen. Das In-
strument gestattet, wie erwähnt, auch eine Messung und Registrierung
des Härtegrades des verwendeten Lichtes; zu diesem Zwecke wird vor Be-
ginn der Bestrahlung auf den kuvertierten Quantimeterstreifen ein kleines
Aluminiumplättchen von 1 mm Dicke (einfacher Tiefenmesser) auf-
gelegt. Das dünne Plättchen absorbiert — wenigstens von mittelweichem
Licht — beiläufig soviel wie eine 1 cm dicke Schicht von Wasser
oder Gewebe der Haut und tieferen Teile — wenn sie fettlos sind.
Der Streifen enthält in diesem Falle nach der Entwicklung 2 Felder,
1 dunkleres Feld (Oberflächendose) und ein helleres Feld (1 cm Tiefen-
dose). Bei mittelweichem Licht verhalten sich OD zu 1 cm TD genau
wie 2 zu 1; ist z. B. die OD 10x vorhanden, so beträgt die i cm
TD:5 x. — Bei weichem Licht ist der Unterschied in der Schwärzung
beider Felder größer (z. B. 10:4, 10:3); bei hartem Licht geringer
(z. B. 10:6. 10:7).
Dadurch daß aber der Lichteindruck am Papier nicht so-
fort kenntlich ist, sondern erst durch einen Entwicklungs-
vorgang sichtbar wird, wäre es umständlich, das Quantimeter
als einziges Meßinstrument bei den therapeutischen Be-
strahlungen zu verwenden, also mit diesem allein — sobald
man sich für Applikation einer bestimmten Dose entschieden
hat — die Expositionszeit zu bestimmen. Dagegen kann man bei
76 Kienböck,
gleichzeitiger Benützung des Milliampe£remeters und der von
Walter und vom Verfasser ausgearbeiteten Tabellen für Expositions-
zeiten richtig dosieren. Dazu muß aber die Röhre richtig belastet sein
und daher vom Beginn der Sitzung an immerfort konstant funktionieren
(was man an dem Milliamperemeter an dem Verweilen des Zeigers an
seinem ursprünglichen Punkte erkennt). Man hat die Bestrahlung nach
Ablauf von !/, oder '/, der in der Tabelle angegebenen Zeit (welche un-
verläßlich ist) zu unterbrechen, den Reagenzstreifen abzunehmen und zu ent-
wickeln. Dabei kann man sofort einen zweiten Streifen auf die Haut auf-
legen und -- ohne das Ergebnis der Entwicklung abzuwarten — die Be-
strahlung fortsetzen. Man erfährt nun aus dem Ergebnis der Entwicklung
des ersten Streifens einige Minuten nach der Unterbrechung, wie lange
man die Sitzung fortzusetzen hat. Beabsichtigt man z. B. dem Patienten
15 x zu verabreichen und zeigt der nach 5 Minuten von der Haut weg-
genommene Streifen nach der Entwicklung 5 x, so hat man, vom Zeitpunkt
der Unterbrechung an gerechnet, noch 10 Minuten lang zu bestralilen.
Funktioniert aber die Röhre nicht konstant, wird sie vielmehr im
Verlauf der Sitzung weicher oder härter (was man an dem Steigen oder
Sinken des Zeigers am Milliamperemeter erkennt), so kann man nicht so
einfach vorgehen, man müßte vielmehr die Sitzung wiederholt unterbrechen,
den aufgeklebten Streifen jedesmal gegen einen neuen umtauschen, den
früheren Streifen entwickeln und so fort, bis die gewünschte Dose er-
reicht ist. Dies ist äußerst unpraktisch, man wird es vielmehr in einem
solchen Falle vorziehen, die Expositionszeit mit einem direktablesbaren
„offenen“ Radiometer (z. B. Sabouraud und Noirs) zu bestimmen.
Am sichersten verfährt man, wenn man durch Versuche eine bei ge-
wisser Belastung konstant funktionierende Röhre bezüglich ihrer
biologischen Wirksamkeit eicht und nun mit drei Meßverfahren
gleichzeitig arbeitet: geeichte Röhre (mit Milliamperemeter), Sabou-
raud-Noire, und Quantimeter.
Man legt vor der Sitzung ein Quantimeterpapier auf die Haut, pos-
tiert die Sabouraud-Noir6-Pastille im selben Strahlenkegel auf einem
Träger in !, Fokushautdistanz und bestrahlt so lange, bis das Sabou-
raud-Noire&sche Radiometer das Erreichen der gewünschten Dose anzeigt:
dabei kann man die Holzknechtsche Skala zum Sabouraud-Noire
verwenden. Erst nachträglich entwickelt man den Quantimeterstreifen und
erfährt dadurch die gegebene Dose genauer — was für eine später fort-
zusetzende Behandlung wichtig ist — und hat überdies ein dauerndes
Dokument der Stärke der Bestrahlung.
Es ist sehr zu empfehlen, die Daten über die Bestrahlung — und
zwar unmittelbar nach Beendigung derselben — in das von mir angegebene
Über das Quantimeter. 77
Bestrahlungsprotokoll einzutragen, welches folgende Rubriken enthält:
das Datum, den Namen des Patienten, Körperteil, Fokusdistanz, Bestrah-
lungsdauer, Röntgenröhre, Knopf des Rheostaten am Primärstrom, Zahl
der Milliampere, Bemerkungen, Sabouraud-Noire-Holzknecht-Dose
in H Einheiten, quantimetrische Dose in x-Einheiten und Raum für den
einzuklebenden Quantimeterstreifen, wo man zunächst die Nummer des
Streifens notiert.
Hat man eine größere Zahl von Patienten bestrahlt und hat sich in-
folgedessen eine Serie von belichteten Quantimeterstreifen angesammelt,
so werden sie in der Dunkelkammer gemeinsam entwickelt.
IV. Vorgang bei der Entwicklung der Reagenzstreifen.
Die Entwicklung geschieht am besten in einer gewöhnlichen photo-
graphischen Dunkelkammer; eine solche steht wohl nicht nur den
Radiologen, welche Röntgendiagnostik und Therapie treiben, sondern auch
den Internisten, Chirurgen und Dermatologen stets zur Verfügung. (Das
Dunkelkästchen, welches ich seinerzeit konstruierte, damit man die Ent-
wicklung im hellen Zimmer vornehmen könne, ist weniger praktisch; auch
kann man im Kästchen nur einige wenige Streifen entwickeln.)
Die Gerätschaften, welche man braucht, sind: 4 kleine Entwick-
lungsschalen z. B. in der Größe von 9:12 cm, welche mit den Ziffern und
Buchstaben „I:E“ (für den Entwickler bestimmt), „Il:W“ (für das
Wasser bestimmt), „III:F* (für das Fixierbad) und „IV:W“ signiert sind.
Ferner 1 Meßzylinder zu 100 ccm, 2 Flüssigkeitsthermometer, einige breite
vernickelte Metallklammern (zum Festhalten von je 4 nebeneinander
liegenden Reagenzstreifen bei der Entwicklung), Chemikalien zur Her-
stellung der Entwicklerlösungen und 3 dazugehörige Glasflaschen zu etwa
300 ccm, eine Glasplatte 24:30 cm. Die Stammlösungen A und B des
Entwicklers kann man selbst herstellen (die Zusammensetzung ist oben im
Kapitel II angegeben), oder aber von der Firma fertig beziehen.
Man setzt die gereinigte Glasplatte auf den Tisch, legt die zu entwickelnden
kouvertierten Reagenzstreifen darauf (ich nehme beispielsweise an, wir haben 16 Streifen)
und stellt die Schalen I bis IV nebeneinander auf. Man füllt ein beliebiges Glas mit
kaltem Wasser, ein anderes Glas mit warmem Wasser und gießt von jedem in einen
daneben stehenden größeren Topf so viel, bis das eingelegte Thermometer 189 C zeigt.
Nun leert man einen Teil des temperierten Wassers in die Schale I, damitihre Wandung
die richtige Temperatur habe. Man füllt die Schale II mit Brunnenwasser, III mit
der Fixierlösung und IV mit Brunnenwasser. Sodann geht man an die Bereitung der
Entwicklermischung. Die Entwicklungsvorschrift in der Gebrauchsanweisung lautet
z. B.: Man mische 1 Teil A-Lösung (Reduktionsmittel), 1 Teil B-Lösung (Alkali) und I Teil
Wasser (Brunnenwasser) und entwickelt bei Zimmertemperatur (18° C) durch 1 Minute.
Dementsprechend gießt man in einen MeßBzylinder 1 Teil Lösung A, 1 Teil Lösung
78 Kienböck,
B und 1 Teil Brunnenwasser z. B. 20 ccm von jedem und legt in die Mischung das
2. Thermometer ein; zeigt dieses auf 18°C, so hat die Entwicklungsflüssigkeit die
richtige Temperatur; ist aber die Mischung etwas kälter oder wärmer, so stellt man
den Meßzylinder in den Topf und läßt ihn darin so lange, bis das Thermometer in
dem Entwickler auf 18°C sinkt, bzw. steigt. Jetzt leert man die Schale I aus, gießt
die Entwicklungslösung hinein und legt auch das Thermometer wieder ein. Man legt
eine Uhr (Taschenuhr mit Sekundenzeiger) hinter die Schale I.
Die rote Glühlampe wird angezündet und die gewöhnliche Glühlampe ver-
löscht. Dann entnimmt man die Reagenzstreifen ihren Kouverte, wobei man eine
Berührung der Schichtseite so viel als möglich vermeidet und legt sie wieder auf die
Glasplatte in eine Reihe nebeneinander; ob die Schichtseite nach oben oder nach unten
sieht, ist gleichgültig, doch sollen alle Streifen gleich liegen, so daß die Enden aller
Streifen über den Rand der Glasplatte ein wenig vorstehen. Dann werden die Streifen
an den vorstehenden Enden mit den gereinigt vorbereiteten Klammern gefaßt (4 Streifen
mit jeder Klammer) und die Klammern mit den eingeklemmten Streifen (,Streifen-
klammern‘‘) nebeneinander auf die Glasplatte gelegt.
Man überzeugt sich am Thermometer, ob der Entwickler in Schale I noch die
richtige Temperatur besitzt. Man nimmt eine Streifenklammer in die rechte und eine
zweite in die linke Hand und wartet, bis an der Uhr der Sekundenzeiger auf 0 (60)
angelangt ist. In diesem Momente taucht man rasch die beiden Streifenklammern
in die Schale I (den Entwickler enthaltend), bewegt sie darin behufs gleichmäßiger
Durchtränkung hin und her (ohne die Streifen an die Luft zu bringen) und beobachtet
dabei immer die Uhr. Genau nach Ablauf der vorgeschriebenen Zeit (in unserem Falle
nach einer Minute) zieht man rasch die Streifenklammern aus dem Entwickler zurück,
bewegt sie in der Schale II (Wasser) dreimal hin und her, und taucht sie in die Fixier-
lösung in der Schale III ein, öffnet die Klammer und läßt die frei gewordenen Streifen
in der Lösung liegen. Man greift hierauf nach der 3. und 4. Streifenklammer und
nimmt damit dieselbe Prozedur vor.
Seit Beginn der Entwicklung der 1l. Serie bis zur Erledigung
der 16Streifen sind nureinige Minuten vergangen. Man dreht jetzt die
gewöhnliche Glühlampe auf und verlöscht die rote Lampe. Der Ton der Reagenz-
streifen ist fixiert und das helle Glühlicht ruft keine stärkere Schwärzung mehr her-
vor. Wenn die Reagenzstreifen sich auch nur eine Minute in Schale III mit Fixier-
lösung befunden haben, soist eine vollständige Fixierung erfolgt. Man entnimmt nun-
mehr die Streifen der Schale III und bringt sie in Schale IV; hier werden sie bei Fort-
dauern der Spülung !/ Stunde gewässert und so vom anhaftenden Fixiernatron befreit
(statt dessen kann man auch das Wasser wiederholt wechseln. Nun werden die
Streifen auf Fließpapier mit der Schichtseite nach oben nebeneinander zum Trocknen
gelegt (die Streifen dürfen sich nicht überdecken).
Die Streifen sind nun zur Bestimmung der applizierten Dose, also zum Vergleich
mit der Normalskala bereit.
Man kann die Ablesung bei Tages- oder bei Lampenlicht vornehmen.
Bei nassem Zustande der Streifen ist die Dosenbestimmung etwas ungenau.
Man notiert die erhaltenen Dosenzahlen in der entsprechenden Rubrik des
Bestrahlungsprotokolles und klebt daneben (die Reagenzstreifen ein.
Diese sind nun unveränderlich und unbeschränkt haltbar und stellen daher
dauernde Dokumente der applizierten Dosen dar.
Über das Quantimeter. 79
V. Verläßlichkeit des Quantimeters.
In der Regel gibt das Quantimeter die Lichtdosen (sowohl die Ober-
flächendosen als auch, und zwar bei Benützung des 1 mm dicken Aluminium-
plättchens, die 1 cm Tiefendosen) richtig an; man soll mit dem Verfahren
aber nur unter Anwendung gewisser Kautelen arbeiten (siehe Kapitel VI
und VII), und zwar aus zwei Gründen:
1. mit der Dosenmessung ist ein Entwicklungsvorgang verbunden,
in welchem mehrere Umstände genau zu berücksichtigen sind (Zusammen-
setzung, Konzentration und Temperatur des Entwicklers und Dauer der
Entwicklung), was zu Versehen Gelegenheit gibt; auch könnte die Wirk-
samkeit des Entwicklers allmählich nachlassen;
2. manche Lieferungen des Quantimeterpapieres können anscheinend
trotz Verwahrung an trockenem und kühlem Ort bei längerem Liegen leiden
und sich dadurch in ihrer Empfindlichkeit gegen Licht ändern; aber
auch abgesehen davon könnte es vorkommen, daß — ohne daß man es
ahnt — Gase zum Papier dringen und es angreifen.
Solche unliebsame Änderungen der Empfindlichkeit kommen erfreulicherweise nur
ausnahmsweisevor; sie können vielleicht durch plötzliche starke Witterungswechsel
hervorgerufen werden. So traten z.B. vor einem Jahre in mehreren Instituten, wo das
Quantimeter ohne Kautelen verwendet wurde, Entzündungen der Haut ein. Bucky
machte davon in der Münch. med. Wschr. 1911, Nr. 27, Mitteilung. Es scheint, daß
damals an mehreren Orten, wo das Instrument verwendet wurde, gleichzeitig der
Wechsel in der Empfindlichkeit des Papieres eintrat. Auch ich beobachtete in Wien
mehrere Wochen vor Buckys Mitteilung, daß das Quantimeterpapier in der Empfind-
lichkeit zurückgegangen war und zu kleine Dosen anzeigte. Ich machte natürlich
der Firma Reiniger, Gebbert & Schall sofort von meiner Beobachtung Mit-
teilung, so daß sie alle Abnehmer von der Möglichkeit unrichtig gewordener Angaben
des Quantimeters verständigen konnte. Ich habe nun bei Prüfung von eingesandten
Reagenzpapieren, die von mehreren Orten stammten, gefunden, daß sie alle unter-
empfindlich geworden waren; es wurde daher von der Firma sogleich eine neue Ent-
wicklungsvorschrift und Skala ausgearbeitet. Ich fand die neue Form bei Prüfung
als richtig und seitdem hat das Papier seine Empfindlichkeit nicht geändert, also stets
richtige Angaben gemacht. Ich habe auch Emulsionen, welche mehrere Jahre alt
waren, geprüft und keine oder nur geringe Änderung in der Empfindlichkeit gefunden.
Schwankungen der Empfindlichkeit des Reagens unter gewissen Umständen
kommen übrigens bei allen Radiometern vor; ganz fehlerlose, ideale Instru-
mente können eben nicht hergestellt werden. Es erscheint daher um so wichtiger,
gewisse Kautelen zu gebrauchen und außerdem mehrere Meßinstrumente gleich-
zeitig zu verwenden.
VI Sensibilitätsproben.
Ich machte schon bei meiner ersten ausführlichen Schilderung des
Quantimeters darauf aufmerksam, daß die zu verschiedenen Zeiten her-
gestellten Emulsionen ungleiche Empfindlichkeit besitzen können und wollte
80 Kienböck,
jeden Therapeuten in die Lage versetzen, das Quantimeter stets selbst
prüfen zu können. Ich gab daher fünf Sensibilitätsproben an, welche
sich im allgemeinen als brauchbar erwiesen; ich werde hier aber doch
mehrere kleine Modifikationen bezw. Korrekturen angeben. Probe 4 und 5
werden mit Röntgenlicht angestellt; an diesen Vorschriften war wenig
zu ändern. Probe 1, 2 und 3 werden aber mit anderem Licht vor-
genommen. Da ich nun darauf aufmerksam wurde, daß sich, wie oben
erwähnt, die einzelnen Emulsionen des Papieres voneinander in ihrer
Empfindlichkeit gegen verschiedene Lichtarten in ungleichem Grade unter-
scheiden — es gibt nämlich keine absoluten Äquivalente verschiedener
Lichtarten, es kommt vielmehr stets auch auf die Zusammensetzung der
empfangenden Substanz (Reagens) an —, so können die Proben 1—3
nur dazu dienen, die Konstanz der Empfindlichkeit einer be-
stimmten Emulsion gegen Licht vom Zeitpunkte der ersten Unter-
suchung an zu prüfen. Daß eine Änderung in der Empfindlichkeit gegen
Röntgenstrahlen mit einer Änderung der Empfindlichkeit gegen anderes
Licht einhergehe, wurde seinerzeit von mir mit Recht angenommen.
Die Probe 1 erfolgt durch Bestimmung der Empfindlichkeit des Papieres mit
der Scheinerschen Normallampe. Die Fabrik liefert mit jeder Emulsion des
Quantimeterpapieres nicht nur eine Entwicklungsvorschrift und geeignete Skala,
sondern kann auch bekannt geben, welche Empfindlichkeit die Emulsion bei der Prü-
fung mit der Normallampe zeigt; die Fabrik teilt die Zeit der Belichtung mit der Lampe
(natürlich in der Dunkelkammer und zwar bei 30 cm Entfernung) mit, durch welche
nach Verwendung der für Röntgenbelichtung angegebenen Entwicklungsvorschrift und
Skala Schwärzung von Grad 1 erfolgt. Wenn man diese Probe mit dem erhaltenen
Papier ab und zu vornimmt, kann man erkennen, ob das Papier seine Empfindlich-
keit beibehalten oder etwa geändert hat. Die Probe ist aber umständlich und
zeitraubend. Bei neuen Emulsionen des Quantimeterpapieres hat man überdies von
der Firma die neue, nunmehr geltende Scheinerlicht-Vorschrift zu verlangen.
Probe 2. Glühlampenprobe. Man bestimmt in der Dunkelkammer einen
passenden Ort für Vornahme der Proben und wählt zwei Glühlampen aus, welche
dieselbe Stärke besitzen; dies erkennt man am besten daraus, daß sie auf Quanti-
meterpapier gleich stark einwirken. DieKontrollampe 2 hebt man als Reserve-
lampe auf, um im Falle cines Zugrundegchens der anderen Lampe einen Ersatz zu
haben. Die Kontrollampe 1 wird für die Proben verwendet, darf aber nur zu
diesem Zwecke verwendet werden, damit sich ihre Leuchtkraft nicht bald vermin-
dere. Ob man Kohlen- oder Metallfadenlampen verwendet, ist gleichgültig; Lampen
mit Mattglas sind vorzuziehen. Wenn auch nur kleine Stromschwankungen in der
Lichtleitung zu befürchten sind, wird der Lampe ein Widerstand und ein Präzisions-
voltmeter beigegeben; dieses soll stets auf dieselbe Spannung zeigen, anderenfalls
wird vor dem Versuche eine Regulierung des Stromes auf die gewünschte Spannung
vorgenommen.
Man ermittelt nun — wie eingangs bei Herstellung der Skala beschrieben —
gleich nach Empfang der Papiersendung die für die Emulsion geltende äquivalente
Glühlichtmenge, man findet, daß z. B. eine Exposition aus 140cm durch 30 Sekunden
bei Verwendung der für Röntgenlicht angegebenen Entwicklungsvorschrift und Skala
Über das Quantimeter. 8
am Papier die Schwärzung 1° erzeugt. Nun kann man mit dieser Lampe weiterhin
prüfen, ob das Papier seine ursprüngliche Empfindlichkeit beibehalten hat.
Diese Probe ist sehr empfehlenswert. Für jede neue Emulsion muß aber
neuerdings die äquivalente Glühlichtmenge ermittelt werden.
Probe 8 besteht im Aufsetzen einer bestimmten Radiumkapsel auf das kuver-
tierte Papier (Schichtseite nach oben, also Etikette des Kuverts nach ‚unten sehend)
oder in der Dunkelkammer auf das bloße Papier. Bei der ersten Lieferung ergab sich
z. B., daß nach der Applikation der Radiumkapsel auf das kuvertierte Papier durch
eine Stunde nach der vorgeschriebenen Entwicklung Schwärzung 4 der Skala entstand.
Man muß die Radiumkapsel mit dem Elektrometer von Zeit zu Zeit prüfen, um zu
erfahren, ob sich das Radiumsalz nicht zersetzt hat. Diese Probe kann ebenfalls dazu
dienen, die Konstanz der Empfindlichkeit des Papieres zu prüfen. Bei jeder neuen
Emulsion muß zu Beginn das Äquivalent Radiumlichtes neuerdings ermittelt werden.
Die Probe 4 besteht im direkton Vergleich der Empfindlichkeit der neuen Emul-
sion des Quantimeterpapieres mit der der früheren; sie ist natürlich nur dann be-
rechtigt, wenn man sicher ist, daß das Verfahren mit der älteren Emulsion exakt
gewesen ist, in der Praxis zu richtiger Dosierung geführt hat. Die Probe 4 wird
mit Röntgenlicht vorgenommen. Man legt einen Streifen der älteren Emulsion
und einen Streifen der neuen Emulsion neben einander auf den Tisch und befestigt darüber
eine mittelweiche Röntgenröhre derart, daß sie beide Streifen gleich stark belichtet;
dererste Streifen mußalso rechts, der andere linksvon der Symmetrie-Ebene der Röhre
liegen, d. h. von der Ebene, welche die Röhre in zwei symmetrische Hälften teilen
würde und bis zur Tischplatte verlängert wird. Man unterbricht nach einigen
Minuten die Belichtung und entwickelt beide Streifen gemeinsam und zwar, wenn von
der Fabrik keine neue Entwicklungsvorschrift beigegeben sein sollte, mit Benutzung
der alten Entwicklungsvorschrift. Besitzen beide Streifen die gleiche Empfindlichkeit,
so färben sie sich gleich stark. Darauf wiederholt man den Versuch, nur belichtet
man bedeutend länger. Tritt an den Papierstreifen nach der Entwicklung auch
diesmal die gleiche (natürlich im Vergleich mit früher stärkere) Färbung auf, so
hat man festgestellt, daß beide Emulsionen dieselbe Empfindlichkeit und Gradation
für das Röntgenlicht besitzen; hat das 1. Papier nach dieser Art der Entwicklung und
mit der zugehörigen Skala die Röntgenlichtdosen richtig angezeigt, so wird auch das
2. Papier, in derselben Weise behandelt, mit derselben Skala korrekte Angaben machen.
Dies wird mindestens bei der verwendeten Qualität von Röntgenlicht der Fall sein.
Will man noch sicherer vorgehen, so wiederholt man den Versuch mit hartem und
weichem Licht. Ä
Ergibt sich, daß das neue Papier für Röntgenlicht eine andere Empfindlichkeit
als das alte besitzt, so kann man entweder die Entwicklungsvorschrift beibehalten,
muß aber dann eine neue Skala herstellen, beziehungsweise die Nummern der alten
Skala ändern, oder aber man ermittelt eine Entwicklungsart, bei welcher die alte
Skala ihre Gültigkeit beibehält. Übrigens legt die Fabrik jeder neuen Emulsion die
entsprechende Gebrauchsanweisung bei.
Probe 5 besteht im Vergleich mit dem Sabouraud-Noireschen Radiometer
mit Benützung des ursprünglichen Vergleichsmusters (,Maximaldose“) oder der
neuen Holzknechtschen Skala; der Vergleich hat bekanntlich für die ursprüngliche
Art der Verwendung bei Tageslicht, für die Holzknechtskala bei Glühlicht zu
geschehen.
Man legt einen kuvertierten Reagenzstreifen auf den Tisch und bedeckt ihn
halbseitig mit dem lmm dicken Aluminiumplättchen; darüber befestigt man eine
6
82 Kienböck,
mittelweiche Röntgenröhre und eine Sabouraud-Noir6-Pastille; diese hat man
in einem gleich wirksamen Strahlenkegel, aber nur in !/, Entfernung vom Fokus
anzubringen. Man nimmt die Bestrahlung mit mittelweichem Licht (5° BW) vor,
bis nach dem Sabouraud-Noir6-Radiometer die Maximaldose, bezw. nach der
Holzknechtskala 5H erreicht sind. Diesen Versuch wiederholt man mehrmals mit
verschiedenen Röhren, benutzt aber stets mittelweiches Licht. Bei Benützung der
vorgeschriebenen Entwicklung und zugehörigen Skala wird die quantimetrische Ober-
flächendose zuweilen 8, zuweilen aber 12 oder gar 14 x betragen; der Durchschnitt
wird meist 10 x sein. Die unter dem Aluminium entstehende Schwärzung wird bald
den halben Wert der Oberflächendose, bald mehr bald weniger darstellen. Hat
man mit der Lieferung der Sabouraud-Noir6-Pastillen und der dazu gehörigen
Skala gute Erfahrungen gemacht, nämlich an der Haut mit der Maximaldose in der
Regel kein Erythem erzeugt und bei Belichtung des behaarten Kopfes Haarausfall mit
vorübergehender Kahlheit hervorgerufen, so ist man sicher, daß das französische
Radiometer bei dem Instrumentarium des Institutes und den verwendeten Röhren
zu einer praktisch brauchbaren Dosierung führt, und kennt nun auch die biologische
Bedeutung der Quantimeterzahlen ; manchmal entsprechen 8, andermal 14 x der
Epilationsdose — 14x wohl dann, wenn das (mittelweiche) Röntgenlicht viel weiches
Licht beigemischt enthält.
Um die seltenen, aber immerhin möglichen Änderungen in der
Empfindlichkeit des Papieres und in der Wirksamkeit der Entwicklerlösungen
nicht unbemerkt vorübergehen zu lassen, müßte man die Prüfungen des
Papieres mit der einen oder anderen Probe, am besten mit Nr. 2 (Glüh-
lichtprobe) in gewissen Zeitabständen, z. B. jeden Monat wiederholen.
Noch sicherer verfährt man, wenn man statt dessen vor jeder Ent-
wicklung der Reagenzstreifenserien Glühlichtkontrollstreifen herstellt
und mit den therapeutisch exponierten Streifen mitentwickelt; man kann
dann auch erkennen, wenn Fehler in der Einwirkung des Entwicklers (ge-
ringere Wirksamkeit, unrichtige Temperatur, Verunreinigung, unrichtige Ent-
wicklungszeit) gemacht wurden.
VII. Glühlichtkontrollstreifen.
Von dem ursprünglichen Vorgang, daß die Fabrik die Kontroll-
streifen herstellt und der Lieferung der Reagenzstreifen beigibt, mußte ab-
gegangen werden, denn das Papier verliert bald (z. B. nach zwei Wochen)
seinen Lichteindruck teilweise und die Kontrollstreifen werden dadurch
unbrauchbar. Jeder muß daher die Kontrollstreifen selbst herstellen; es
ist dies sehr einfach und geht sehr rasch. Man verwendet eine Glüh-
lampe, wie es oben bei Probe 2 geschildert wurde, also eine Lampe, die
man (nebst einer gleich starken Reservelampe) ausschließlich für diesen
Zweck bestimmt und stets mit gleich starkem Strom speist (Voltmeter!).
Man stellt jedesmal in der Dunkelkammer einen Kontroll-
streifen her, unmittelbar bevor man die Entwicklung der
therapeutischen Streifen beginnt, und fabriziert nicht etwa gleich
Über das Quantiıneter. 83
eine Serie für später. Man kann nun verschiedene Arten von Kontroll-
streifen herstellen.
Vorgang 1. Einfache Kontrollstreifen. Man bestrahlt mit
der Glühlampe in der Dunkelkammer, welche natürlich im übrigen ver-
dunkelt wird, in größerer Entfernung von der Lampe (z. B. 1 Meter)
einen Streifen, den man seinem Kuvert entnommen hat, unter Kontrolle
der Uhr z. B. 30 Sekunden. Der Streifen wird dann gemeinsam mit den
therapeutischen Streifen mit großer Sorgfalt entwickelt, und wird dabei einen
bestimmten Grad von Schwärzung erhalten. (Man wählt natürlich für die
Anfertigung des Kontrollstreifens eine Entfernung der Glühlampe und eine
Expositionszeit, welche nach der Entwicklung zu einem an der Skala gut ab-
lesbaren Grade von Schwärzung führen.) Die später unter genau den-
selben Umständen hergestellten Kontrollstreifen sollen stets dieselbe
Schwärzung wie der erste zeigen. Ist dies der Fall, so haben wir darin
ein greifbares Dokument, daß die Sensibilität des Papieres sich nicht ge-
ändert hat und daß kein Fehler in der Entwicklung begangen wurde, daß
also die Verwendung der Skala zu einer richtigen Dosenbestimmung führt.
Vorgang 2. Man belichtet den Streifen stufenweise, z. B. mit 30,
60 und 90 Sekunden und erhält nach der Entwicklung eine einfache,
kurze Kontrollskala mit 3 Stufen, z. B. etwa 1!/,, 31/4, und 7!:,” der
Normalskala entsprechend. Man kann die stufenweise Belichtung ent-
weder so vornehmen, daß man jedes Drittel des Streifens getrennt ent-
sprechend lange exponiert, oder daß man den Streifen dreimal ruckweise
aus seinem Kuvert vorzieht und jedesmal 30 Sekunden festhält, wobei die
Glühlampe erst am Schlusse verlöscht wird.
Vorgang 3. Noch besser ist es, statt dessen exakte kurze Kon-
trollskalenstreifen herzustellen. Man ermittelt die Entfernung der
Glühlampe und die Expositionszeiten, welche genau gewisse Grade der
Normalskala, z. B. 1, 5 und 10, erzeugen.
Vorgang 4. Man kann auch mehrere, in den Belichtungsgraden an-
einander anschließende Kontrollskalen herstellen, z. B. mit Stufen !/, bis 2,
3—8 und 10—20, oder von der Fabrik längere Streifen von Quantimeter-
papier beziehen und dann längere Kontrollskalenstreifen herstellen,
z. B. mit den Stufen 1 bis 10, oder vollständige Skalen mit unseren
Stufen !/, bis 20. Natürlich erfüllt eine Serie von 14 Streifen, die nicht
untergeteilt, sondern jeder in toto verschieden lang belichtet werden,
denselben Zweck; doch nimmt ihre Entwicklung mehr Zeit in Anspruch,
und hat man einmal ermittelt, wie kürzere oder längere Skalen hergestellt
werden, so macht die Wiederholung keine besondere Mühe mehr.
Von den vier genannten Verfahren möchte ich das dritte am
meisten empfehlen, es verbindet Einfachheit und Genauigkeit.
6*
81 Kienböck,
Kommt es einmal später bei der Entwicklung einer Serie von thera-
peutisch exponierten Streifen gemeinsam mit einem eben hergestellten
Kontrollskalenstreifen vor, daß dieser Streifen andere Schwärzungsgrade
als erwartet zeigt, und ist man sicher, die Glühlampenbelichtung sorgfältig
ausgeführt zu haben (man kann ja auch gleich wieder einen Kontroll-
streifen herstellen), so ist bei Bestimmung der Dosen an den
therapeutischen Streifen nicht die Normalskala, sondern die
Kontrollskala zu verwenden, oder man verwendet die Normalskala,
setzt aber bei den einzelnen Feldern geänderte Nummern ein.
Da die Glühlampe nur zur Herstellung der Kontrollstreifen dient, so
wird ihre Lichtstärke durch lange Zeit (vielleicht Jahre) konstant bleiben.
Natürlich wird man sich von Zeit zu Zeit durch Vergleich mit der Reserve-
lampe versichern, daB sie — bei richtigerf Speisung — ihre ursprüngliche
Lichtstärke beibehalten hat; sonst würde das Grlühlichtkontrollverfahren
irreführen.
Wie schon oben erwähnt, muß die Glühlampe, wenn man von ihr
dem Röntgenlicht äquivalente Lichtmengen verlangt, für jede Emulsion
des Quantimeterpapieres neu geeicht werden, d. h. es müssen dafür die
zu gewissen Graden der Skala führende Entfernung der Glühlampe und
(lie Expositionszeiten von neuem bestimmt werden.
Auch wenn man nur wenige therapeutische Expositionen vornimmt, soll
man die Streifen bald nach ihrer Verwendung entwickeln, ob-
wohl sich erst eine geringe Zahl angesammelt hat. Hat man es nicht eilig
und wollte man daher warten, bis sich eine größere Zahl von Streifen an-
gesammelt hat, um sie dann zusammen zu entwickeln, so müßte man be-
rücksichtigen, daß seit der Belichtung der ersten Streifen schon eine längere
Zeit verstrichen ist und ihr Lichteindruck abgenommen hat. Um auch hier
richtige Dosenangaben zu erhalten, würde es nicht genügen, unmittelbar
vor der Entwicklung der Serie der therapeutischen Streifen einen Kontroll-
streifen herstellen, man müßte vielmehr schon früher, bald nach den thera-
peutischen Sitzungen besondere, zu diesen Streifen gehörige (mit dem Datum
signierte) Kontrollstreifen belichten und aufbewahren: diese würden dann mit
den anderen therapeutischen und Kontroll-Streifen entwickelt und ebenfalls
geringere Schwärzungen zeigen. könnten daher eine exakte Dosenbestimmung
an den zugehörigen älteren therapeutischen Streifen ermöglichen. Natürlich
soll der kurz vor der Entwicklung exponierte letzte Kontrollstreifen die
richtige Schwärzung zeigen. Es ist aber weder notwendig, jeden Abend
nach der Ordinationszeit Kontrollstreifen herzustellen, noch praktisch, ex-
ponierte Streifen länger als eine Woche liegen zu lassen, man wird viel-
mehr gewöhnlich nach Ablauf von drei bis sechs Tagen alle Streifen ge-
meinsam mit einem frisch angefertigten Kontrollstreifen entwickeln: dabei
Über das Quantimeter. 85
werden sicher keine Fehler in der Dosierung vorkommen, da ja das
Papier den erhaltenen Lichteindruck etwa zwei Wochen unverändert bei-
behält.
Wendet man das Verfahren mit der Glühlichtkontrolle an, so ist man
gegen fehlerhafte Dosenbestimmung durch Abnahme der Empfind-
lichkeit der Emulsion, Schleierbildung, Abnahme der Wirksamkeit des Ent-
wicklers oder Versehen bei der Entwicklung ganz geschützt. Hat das
Quantimeter zur Zeit der Anfertigung des ersten Kontrollstreifens in der
Praxis richtig funktioniert, so wird es, wenn die zu verschiedenen Zeiten
angefertigten Kontrollstreifen miteinander vollkommen übereinstimmen, auch
weiterhin tadellos funktionieren.
Wer nach Vorgang 4 jedesmal mehr oder weniger vollständige, exakte
Kontrollskalen anfertigt, brauchte nun eigentlich in der späteren Zeit bei
der gemeinsamen Entwicklung der therapeutischen und Kontroll-Streifen
die Entwicklungsvorschrift nicht mehr genau zu befolgen, er könnte die
Standardskala ganz beiseite lassen, vielmehr nur die Kontrollskala benützen und
würde dabei keine Fehler in der Dosierung machen; doch würde ich von
diesem Vorgehen abraten.
VIII. Vorteile und Nachteile.
Es sollen zum Schlusse die Nachteile und Vorteile des Quanti-
meters gegenüber den anderen Radiometern kurz in Erwägung ge-
zogen werden. Die verschiedene Empfindlichkeit der aufeinander folgenden
Emulsionsnummern und das ausnahmsweise Vorkommen einer späteren
Veränderung der Empfindlichkeit mancher Emulsionen des Quanti-
meterpapieres sind ein Mangel, der aber mehr oder weniger den Re-
agentien aller Radiometer anhaftet und daher im Wettbewerb der In-
strumente nicht dem Quantimeter allein angerechnet werden kann. Man
kann dafür beim Quantimeter einen Vorteil darin sehen, daß man hier
wenigstens an jeder Emulsion die Konstanz der Empfindlichkeit und Rich-
tigkeit der Messung mit der Glühlichtkontrolle leicht kontrollieren kann;
wenn man anfangs die Verläßlichkeit der Entwicklungsvorschrift und
Skala praktisch erprobt und das Glühlichtäquivalent für Röntgenlicht eruiert
hat, so wird man auch in späterer Zeit mit dem Quantimeter richtig
dosieren.
Als einziger Nachteil bleibt eigentlich nur die Unmöglichkeit einer
augenblicklichen Ablesung der Dose, die Notwendigkeit einer sorgfältigen
Entwicklung der Reagenzstreifen. Dies führt dazu, stets zugleich eine
gleichmäßig funktionierende, geeichte Röhre oder ein offenes Dosimeter,
z. B. das Sabouraud-Noiresche Radiometer zu benützen.
86 Kienböck,
Die Vorzüge des Quantimeters sind folgende:
1. Das Chlorbromsilberpapier besitzt eine größere Empfindlichkeit
gegen Röntgenlicht, als die Reagentien aller übrigen Radiometer; es zeigt
daher bereits viel kleinere Lichtmengen an als alle anderen Dosimeter und
ist somit für Bestimmung kleiner Dosen, sowohl schwacher Oberflächen-
dosen als auch — wenn die Streifen in Körperhöhlen eingelegt
werden — kleiner Tiefendosen geeignet. Auch hat das Papier eine reich
abgestufte Schwärzungsskala und gibt daher feine Unterschiede in
der Stärke der Belichtung an.
2. Infolge seiner größeren Empfindlichkeit kann das Quantimeter-
papier unmittelbar auf die zu bestrahlende Körperstelle gelegt werden,
wodurch die Messung der Dosen sicherer wird. als wenn sich das Reagens
an anderer Stelle (etwa in !/, Fokushautdistanz im therapeutischen Strahlen-
kegel oder seitwärts in einem ganz anderen Strahlenkegel) befindet, wie
dies bei manchen Radiometern der Fall ist.
3. Das Quantimeterpapier reagiert, da die sensible Schichte sehr
dünn ist, auf das einfallende Röntgenlicht ähnlich wie die obere Haut-
schicht, nämlich weniger auf hartes und mehr auf weichesLicht,
sodaß man die oberflächlichen Hautdosen genau kennen lernt. Die an-
deren Radiometer besitzen Reagenzkörper von größerer Dicke, sie reagieren
daher nicht oder zu wenig auf weiches Licht.
4. Das Quantimeter mißt, was bei keinem anderen Radiometer mög-
lich ist, auch den Härtegrad des Lichtes; man braucht nur auf
das Reagenzpapier halbseitig ein Aluminiumplättchen oder eine Aluminium-
treppe aufzulegen und die auf den einzelnen Feldern entstehenden Schwärzungen
miteinander zu vergleichen. Das Quantimeter ist daher nicht ein ein-
faches Oberflächendosimeter, es kann vielmehr — da Aluminium
von imm Dicke beiläufig soviel Licht wie Wasser oder Gewebe von 1 cm
Dicke absorbiert — auch über Tiefendosen i. e. in tiefer gelegenen
(dünnen) Schichten deponierte Lichtmengen Anhaltspunkte geben und ist
daher ein Differenzierdosimeter.
5. Das Quantimeterpapier zeigt die zur Absorption gelangenden Licht-
mengen richtig an, denn es entstehen in der Röntgenpraxis nahezu die
gleichen Schwärzungen, ob auf das Papier ein starkes Licht durch kurze
Zeit oder ein schwächeres Licht durch entsprechend längere Zeit auffällt; es
gilt eben hier die photographische Reziprozitätsregel (Bunsen-
Roscoesches Gesetz).
Bei manchen anderen Dosimetern (Jodometer Freunds, Holz-
knechts Chromoradiometer 1902) ist diese Reziprozität wegen Nachfärbung
(Fortschreiten der Färbung nach Aufhören der Belichtung) nicht vorhanden,
was zu großer Ungenauigkeit der Messung führt. Je langsamer eine und
Über das Quantimeter. 87
dieselbe Lichtmenge auf diese Reagentien eingestrahlt ist, desto mehr haben
sie sich schließlich gefärbt; je schneller sie zugeströmt ist, desto weniger
Färbung zeigen sie unmittelbar nach Sistieren der Belichtung.
Nur für eine eventuelle Momenttherapie (Bestrahlung mit sehr
intensivem Licht durch Sekunden) besteht im Vergleich mit der üblichen Be-
handlungsart (Exposition mit dem Licht der gewöhnlichen Stärken durch
Minuten) eine Ausnahme von der Reziprozitätsregel; für diese Verwendung
des Quantimeters müßte eine besondere Skala ausgearbeitet werden,
was übrigens auf keine Schwierigkeiten stoßen würde.
6. Endlich besitzt das entwickelte Quantimeterpapier eine unbegrenzte
Haltbarkeit, man hat von den applizierten Lichtmengen dauernde
Dokumente, kann sie leicht registrieren und übersehen, was für wissen-
schaftliche Zwecke, ferner bei wiederholten Bestrahlungen einer Körper-
stelle mit kleineren oder größeren Pausen und in forensischen Fällen von
großer Wichtigkeit ist.
Das Quantimeter hat sich nun im Laufe der Jahre in der Praxis
gut bewährt; an demselben wurden seit Beginn (1906) keine Ver-
besserungen notwendig — abgesehen von Modifikationen der Sensi-
bilitätsproben und der Glühlichtkontrolle. Bei richtiger Handhabung macht
das Instrument genaue und verläßliche Angaben über die in
Schichten von verschiedener Tiefe deponierten Dosen und ist
diesbezüglich den anderen Radiometern überlegen. Wenn auch das Quanti-
meter manchem zunächst kompliziert erscheinen mag, so wird man sich doch
bei Verwendung desselben überzeugen, daß das Verfahren gar nicht be-
sonders umständlich ist; auch kann man die Entwicklung der Reagenz-
streifen, in manchen Fällen selbst die Anfertigung der Kontrollstreifen
einem geschulten Personale überlassen. Ein ideales Radiometer, das
gleichzeitig allen Anforderungen entspricht, ist allerdings das Quantimeter
nicht, ein solches Instrument existiert eben heute noch nicht. Wer das
Quantimeter zusammen mit einem offenen Dosimeter oder geeichten Röhren
eine Zeitlang benützt hat, wird seinen bedeutenden Wert erkennen und
darauf nicht mehr gerne verzichten.
Aus der k. k. I. medizinischen Universitätsklinik Wien.
(Direktor Prof. Dr. v. Noorden.)
Die Kalomelreaktion der Röntgenstrahlen und ihre
Anwendung zur Dosimetrie.
Von
Dr. Gottwald Schwarz, Leiter des Röntgenlaboratoriums.
Mit 5 Abbildungen.
I. Vorbemerkungen.
ls ich meine dosimetrischen Versuche im Jahre 1904 begann, war die
Röntgentherapie aus den Anfangsstadien eines vagen Empirismus bereits
in wissenschaftliche Bahnen gelenkt. Kienböck und Sträter hatten
das Gesetz formuliert, daß die Reaktion der Haut proportional der von
dieser absorbierten Röntgenlichtquantität verlaufe. Holzknecht war —
von der Unmöglichkeit einer X-Strahlendosierung mittels Elektrizitäts-
größen überzeugt — an die Konstruktion seines CUhromoradiometers ge-
schritten und arbeitete an der Verbesserung desselben unausgesetzt weiter.
Doch seine Bemühungen scheiterten. Es gelang nicht, die Reagenzpastillen
(Kalisulfatschmelzen) mit gleichbleibender Empfindlickeit herzustellen. Das
Sabouraud’sche Verfahren war damals in Deutschland und Österreich
noch unbekannt und so war die dosimetrische Frage wieder akut; es galt
neue Methoden zu finden.
Zunächst bewegten sich meine Bestrebungen in der Richtung, die so
hochgradig röntgen-empfindlichen Bromsilberemulsionen und zwar in flüssigem
Zustande heranzuziehen. Diesen Weg gab ich aber bald auf. Einerseits,
weil ich mich von den unberechenbaren Sensibilitätsschwankungen des
Silberbromids überzeugt hatte, andererseits weil ich erfuhr, daß Kienböck
ein selbständiges Verfahren mittels Chlorbromsilberpapier abzuschließen im
Begriffe war.
Ich suchte daher nach anderen Substanzen die durch die X-Strahlen-
energie chemisch verändert werden mochten. — Eine ganze Reihe von
durch Licht affizierbaren Stoffen oder Stoffgemengen unterzog ich der Ein-
wirkung der Röntgenstrahllen — vergebens —- bis ich endlich auf die
Mischung von Ammonoxalat-Sublimat (Eder’sche Lösung) stieß, die auf
Röntgenbestrahlung mit Abscheidung von Kalomel in charakteristischer Weise
reagierte.
Hiermit war nun eine Basis gegeben. Anstatt aber in möglichst ein-
Schwarz, Kalomelreaktion der Röntgenstrahlen. 89
facher Weise das gefundene Prinzip in die Praxis umzusetzen, beging
ich viele Mißgriffe. Zuerst wollte ich die abgeschiedenen Kalomelmengen
in Kapillarröhrchen zentrifugieren und aus der Höhe der Säule die Rönt-
genlichtquanten bestimmen. Dieses Vorgehen erforderte aber einen Auf-
wand von Kautelen der Reinlichkeit und Exaktheit — die man einem
praktischen Arzte nicht zumuten kann. Sodann ließ ich eine Skala ver-
fertigen, die aus in Glasröhrchen eingeschmolzenen Kalomel-W assersuspen-
sionen von verschiedener Konzentration bestand. Nach einem Jahre machte
ich und leider auch andere die Beobachtung — daß diese Suspensionen
ihre Trübung durch eine Art von Agluttination der Teilchen nach und
nach verloren. |
Von der Ansicht ausgehend, daß Bakterienbeimengungen schuld daran
trügen, wurde ein neues Modell mit sterilisierten Suspensionen verfertigt —
gleichzeitig der Versuch unternommen, gefüllte, gebrauchsfertige Reagenz-
phiolen in Umlauf zu bringen. Alles dies mißglückte, nicht zuletzt infolge
Sorglosigkeiten der schwer zu überwachenden Lieferanten.
Ich entschloß mich schließlich auf die Urform der Reaktion zurück-
zugreifen — d. h. in einem kleinen Eprouvettchen mit Gummikappe die
Reagenzflüssigkeit zu exponieren und die entstandene Trübung mittels eines
dahintergehaltenen schwarzen Striches auf weißem Grunde zu beurteilen.
II. Die Meßflüssigkeit (Kalmelogen).
Die Meßflüssigkeit, die ich wegen ihrer Eigenschaft Kalomel zu produ-
zieren, Kalmelogen genannt habe — ist zwar im fertigen Zustande bei
Reiniger, Gebbert & Schall zu beziehen. Ihre Zusammensetzung
und die Art ihrer Herstellung soll aber durchaus kein Geheimnis sein.
Im Gegenteil, es liegt im Interesse der Sache — daß an möglichst vielen
Orten das Reagens angefertigt werden kann, ja daß im Notfalle jeder
Röntgenologe selbst imstande ist, sich die Flüssigkeit zu bereiten.
Das Kalmelogen ist eine Mischung von zwei Lösungen: Lösung A
besteht aus
Ammonii oxalici purissimi pro analysi (Merck) 8,0
Aquae destillatae purissimae . . . . 210,0
Lösung B besteht aus
Hydrargyri bichlorati-corrosivi purissimi pro
analysi (Merck) . . . 2. 2 2200. 5,0
Aquae destillatae purissimae . . . . . 1050
Diese Lösungen sind gesättigte Lösungen. Um sie rasch zu bereiten,
empfiehlt es sich leicht zu erwärmen. Strenge zu beachten sind folgende
zwei Punkte. Erstens: die Qualität des destillierten Wassers. Es ist un-
glaublich, was oft als destilliertes Wasser ausgegeben wird. Es darf nur
90 Schwarz,
ein wirklich reines Produkt verwendet werden — weil selbst sehr geringe
Beimengungen sich beim Zusammengießen von Lösung A und Lösung B
dann durch Bildung eines Niederschlages bemerkbar machen. Zweitens:
die benutzten Flaschen müssen rein — trocken — und aus bestem Medizin-
glas (unlösliches Glas) sein. Trocken deshalb, weil selbst Spuren von
Quellwasser Niederschläge hervorrufen. Unlösliches Glas, weil sonst Glas
in die Lösung übergeht und gleichfalls Niederschläge erzeugt werden.
Ich muß alle diese Dinge, die dem Chemiker ohne weiteres geläufig
sind, in einem für den Arzt bestimmten Aufsatze ausdrücklich betonen,
weil dieser ja derartige Details zu beobachten nicht gewöhnt ist.
Die Lösung A und Lösung B sind, getrennt, weder licht- noch röntgen-
empfindlich. Mischt man zwei Teile Lösung A und einen Teil Lö-
sung B, so entsteht das Kalmelogen.
Diese Flüssigkeitsmischung ist nunmehr gegen ultravielettes Licht und
Röntgenstrahlen empfindlich. In Zimmerlicht kann man mit ihr ungestört
manipulieren, ohne daß Zersetzung eintritt. Kommt doch in geschlossenen
Räumen, gar bei künstlicher Beleuchtung, nur sehr wenig Ultraviolett vor.
Direktes Sonnenlicht und längeres (stundenlanges) Einwirken von zerstreutem
Tageslicht würde die Zersetzung einleiten. Deshalb ist die Kalmelogen-
flasche in einer undurchsichtigen Schachtel, natürlich auch vor Röntgen-
licht geschützt, aufzubewahren. Aus dem Kalmelogen kristallisiert mit
der Zeit ein Bodensatz aus. Er darf nicht aufgeschüttelt werden, weil
die Flüssigkeit dadurch ihre Durchsichtigkeit verliert. Ist dies dennoch
geschehen, dann wieder absetzen lassen oder filtrieren. Ein Giftzeichen
muß auf der Flasche angebracht sein.
III. Die Röntgenreaktion des Kalmelogens.
Wirken Röntgenstrahlen auf die Reagenzflüssigkeit ein, so kommt es
zu einer Zersetzung, die nach folgender Formel abläuft:
2 Hg Cl: + C: O, (NH) = 2 Hg Cl + 2 CO, + 2 NHg Cl.
Mit Worten: es entsteht Kalomel, Kohlensäure und Amo-
niumchlorid.
Keine andere Energie als ultraviolettes Licht und Röntgen- resp.
(Radium-)Strahlen ist im Stande die Reaktion auszulösen. Es spricht dies
wiederum für die enge Verwandtschaft des Ultravioletts mit den Röntgen-
strahlen im besonderen und für die elektrische Natur des Lichtes im all-
gemeinen.
Schon vor der Entdeckung der Röntgenstrahlen hatte Roloff
(Zeitschrift für physikalische Chemie, Bd. 13, S. 337) die Wirkung des
Lichtes auf die Edersche Lösung (d. i. Ammonoxalat-Sublimat) nach
der elektrochemischen Theorie erklärt. Nach ihm bildet sich zunächst in
Kalomelreaktion der Röntgenstrahlen. 91
der angesetzten Flüssigkeit eine Quecksilberoxalverbindung, das in Lösung
verbleibt — also nach der Ostwaldschen Hypothese — wie jedes ge-
löste Salz ionisiert, d. h. elektrisch geladen ist und zwar die Hgteilchen
positiv, die Oxalteilchen negativ.
Hg (9
++ \- -73
Durch die Einwirkung des Lichtes kommt es nun zu einer Gleich-
gewichtsstörung dieses Ionisationszustandes und somit zur chemischen Re-
aktion.
Für die Röntgen- und Radiumstrahlen ergibt sich eine Erklärung
des Vorganges ohne weiteres, wenn man deren Eigenschaft, elektrische
Ladungen von Körpern zu entfernen, heranzieht. Die m und (00) -
(Oxal)-Teilchen müssen, ihrer Ladungen beraubt, in einen ungelösten Zu-
stand übergehen. Es vollzieht sich dies auf die Weise, daß die Hg-Teil-
chen sich mit dem HgÜl, (Sublimat) zu dem unlöslichen Hg,Cl, (Kalomel)
verbinden, das ausfällt, während andererseits aus dem Oxal die Kohlen-
säure 2 (UO,) entsteht.
Soviel zur feineren Kenntnis der Reaktion.
Äußerlich betrachtet vollzieht sie sich in nachstehender Weise.
Die ursprünglich vollkommen durchsichtige wasserklare Flüssig-
keit verbleibt wasserklar zunächst auch unter dem Einflusse der Bestrahlung.
Nach einer gewissen Zeit bildet sich dann ein ganz feiner Nebel von
weißlicher Farbe. Unter fortdauernder Einwirkung der Röntgenenergie
wird dieser Nebel, der aus winzigen Kristallkeimen von Kalomel besteht,
alsbald zu einer deutlichen Trübung. Diese Trübung nimmt bei weiterer
Bestrahlung immer mehr zu — entsprechend der zunehmenden Kalomel-
mengen und beginnt sich als Niederschlag abzusetzen.
Läßt man in weiterer Ausdehnung des Versuches sehr große Röntgen-
mengen, die praktisch schon nicht mehr in Betracht kommen, auf die
Flüssigkeit einwirken, so bemerkt man schließlich eine flockige Abschei-
dung von Kalomel — während feine Bläschen von Kohlensäure aufsteigen.
Die Empfindlichkeit der Lösung hat in dem Augenblicke, wo freie, nicht
mehr absorbierbare CO, auftritt, außerordentlich zugenommen.
Eine Frage von Bedeutung ist die nach dem Einflusse wechselnder
Temperaturen auf den Ablauf der Reaktion. Sie kann dahin beantwortet
werden, daß wenigstens in den für die Dosimetrie verwerteten Anfangs-
stadien der Reaktion eine Beschleunigung oder Hemmung mit steigender
oder fallender Temperatur nicht zu beobachten ist. Nimmt man ein mit
Kalmelogen von Zimmertemperatur gefülltes Röhrchen, daneben eines, in
welchem die Flüssigkeit bis zum Sieden erhitzt wurde — und bestrahlt
heide gleichzeitig mit derselben Röntgenlampe, so ist gleichwohl die Trübung
92 Schwarz,
in beiden Röhrchen immer identisch. Umgekehrt wird selbst im hart-
gefrorenen Zustande das Kalmelogen nicht wesentlich langsamer getrübt
als unter normalen Verhältnissen. Ein Punkt ist schließlich noch her-
vorzuheben. Mit dem Aufhören der Bestrahlung sistiert auch die Kalomel-
produktion sofort.
IV. Die Anwendung der Kalomelreaktion zur Dosierung
der Röntgenstrahlen.
Daß die in einem lebenden Gewebe von bestimmter Empfindlich-
keit durch Bestrahlung provozierten Veränderungen von dem Quantum der
in diesem Gewebe zur Absorption gelangten Röntgenmengen abhängen —
dieser von Kienböck zuerst klar formulierte Satz — wird heute wohl
kaum noch irgendwo bestritten werden.
Dennoch dürfte eine kurze Erörterung gerade an dieser Stelle an-
gebracht sein.
Der Kienböck-Strätersche Satz geht zurück auf das Gesetz, das
Draper im Jahre 1851 wie folgt aussprach: Um eine photochemische
Wirkung auf Substanzen auszuüben, muß das Licht von diesen Substanzen
absorbiert werden.
Bunsen und Roscoe wiesen im Experiment nach, daß!Lichtstrahlen,
welche durch eine durch Licht zersetzbare Substanz passieren, nicht nur
entsprechend der Schichtdicke — sondern überdies noch gemäß der chemi-
schen Arbeitsleistung ausgelöscht werden, was eine nicht lichtempfindliche
Substanz von denselben optischen Eigenschaften vermissen läßt. Sie
nannten dies „photochemische Extinktion“.
Nichts anderes als ein chemischer Prozeß noch nicht genau er-
forschter Art ist aber auch die Röntgenreaktion der lebenden Substanz
und wir müssen schließen, daß die zur Herbeiführung der biochemischen
Veränderung, verbrauchte Röntgenstrahlenquantität gleichfalls zur Extink-
tion gelangt.
Lassen wir nun gleichzeitig Röntgenstrahlen auf röntgenempfindliche
Gewebe und auf die röntgenempfindliche Ammoniumoxalatsublimatlösung ein-
wirken, so wird in beiden Substanzen chemische Arbeit geleistet — deren
Ausdruck zwar verschieden — deren Größe aber proportional ist.
Die im Kalmelogen sich abscheidende Kalomelmenge ist ein Maß für
den Arbeitseffekt, ein Maß also auch für die biochemische Umsetzung,
welche dem Grad der zu erwartenden „Reaktion“ des Gewebes in medi-
zinischem Sinne gleichkommt. Diesen Grad aber im voraus bestimmen,
nennt man dosieren.
Wie benützt man nun das Kalmelogen zur Dosierung? Dazu stellt
man sich zunächst eine sogenannte Prüfzelle her. Man kauft sich ein oder
Kalomelreaktion der Röntgenstrahlen. 93
mehrere Eprouvettchen aus hartem schwer löslichem Glas, die 1 cm weit
und etwa 6 cm lang sind. Ferner Gummikappen, wie sie für Tropfen-
zähler verwendet werden. (Fig. 1.) Sie sollen !/, cm weit sein, Länge etwa 4 cm.
Von größter Wichtigkeit ist es, daß diese Kappen aus reinem absolut
zusatzfreiem (schwarzbraunem) Gummi verfertigt sind (also nicht rot
oder lackiert). Alles dies ist von prinzipieller Bedeutung. Denn ist das Gummi
nicht wirklich zusatzlos — so bilden sich bei Berührung mit dem Kal-
melogen sofort Niederschläge, die die ganze Messung natürlich
illusorisch machen. In gleicher Weise gilt das für die Reini-
gung der Eprouvettchen und Gummikappen, wenn sie nicht mit
genauer Einhaltung der folgenden Vorschriften vorgenommen
wird: absolut zu vermeiden ist die Verwendung von gewöhn-
lichem Wasser. Dieses enthält Kalk und macht, selbst in
Spuren mit Kalmelogen zusammengebracht, einen Niederschlag.
Man verwende also entweder destilliertes Wasser oder die Meß-
flüssigkeit selbst zur Reinigung.
In das reine Eprouvettchen füllt man 1!/,cm hoch Kal-
melogen ein, stülpt die Gummikappe über, schüttelt nun mehr-
mals um, so daß abwechselnd die Gummikappe, abwechselnd die
Eprouvette von der Flüssigkeit eingenommen ist — und sieht
sich schließlich in der Eprouvette das Kalmelogen auf
seine Klarheit hin an. Ist es nicht ganz wasserhell geblieben —
ein Zeichen, daß die Reinigung ungenügend war — so leert
man die Flüssigkeit aus und füllt neue ein. Wiederholt das Schüt-
teln, bis das Kalmelogen absolut durchsichtig bleibt. Dann
: i K i Fig. 1.
ist die Prüfzelle gebrauchsfertig. G=Gummi-
Zur Fixation der Prüfzelle an der Röntgenlampe dient 2
= Eprou-
ein einfacher Klemmbügel. (Fig. 2.) Eine aus Holz ver- ette.
fertigte Klammer, die an den Hals der Röntgenlampe an- K = Kalme-
geschraubt wird, trägt einen mit Schlauch überzogenen ca. logen.
3 mm dicken Bleidraht, an dessen Ende eine federnde Hülse zur Auf-
nahme der Prüfzelle sitzt.
Prüfzellen und Klemmbügel sind für ein paar Kronen bei Reiniger,
Gebbert & Schall zu haben.
Man nimmt die Prüfzelle so, daß die Meßflüssigkeit in die
Gummikappe rinnt und schiebt sie von unten in die Hülse des Klemm-
bügels ein. So formiert sich ein 5 Millimeter dicker und 3cm langer von
einer: für Röntgenstrahlen vollkommen durchlässigen Gummihülle umgebener
Kalmelogenzylinder.
Durch entsprechende Biegung des Bleidrahtes am Klemmbügel wird
94 Schwarz,
die Prüfzelle so weit von der Wand der Röntgenkugel eingestellt, daß
die Fokusprüfzellendistanz die Hälfte der Fokushautdistanz
beträgt.
Dabei ist natürlich darauf zu achten, daß die Prüfzelle innerhalb der
Strahlungsregion der Röntgenlampe sich befindet, und zwar womöglich so,
daß das der Prüfzelle zugewendete Feld symmetrisch mit dem der Haut
zugewendeten Feld liegt, wie dies durch die untenstehende Zeichnung er-
Fig. 2.
Prüfzelle mit Klemmbügel an der Röntgenröhre befestigt.
klärt wird. (Fig.3.) Auch soll darauf geachtet werden, daß die Strahlen senk-
recht auf die Mantelfläche des Kalmelogenzylinders auffallen, was durch
entsprechende Biegung des Klemmbügeldrahtes leicht erreicht wird.
Als zweckmäßigste Fokus-Hautdistanz wählt man 30 cm, i. e. 20 cm
Entfernung von der Wand der Röntgenlampe, wenn deren Radius 10 cm
beträgt, was bei den gebräuchlichen Typen der Fall ist. Die Fokus-Prüf-
zellendistanz ist dann 15 cm, i. e. die Gummikappe muß 5 cm von der
Kugelwand entfernt sein.
Verwendet man ein Strahlenfilter, so muß ein Stückchen der Filter-
substanz auch vor der Prüfzelle angebracht werden.
Die Abdeckung des Patienten, die Vorkehrungen zur Desensibilisierung
bei Tiefentherapie usw. gehören nicht in den Rahmen dieses Aufsatzes.
Ich erörterte hier lediglich die dosimetrische Frage.
Kalomelreaktion der Röntgenstrahlen. 95
V. Die Einheit „Kalom“.
Unter 1 Kalom verstehe ich diejenige Röntgenmenge, welche in
halber Fokus-Hautdistanz gemessen die erste deutliche Trübung des Kal-
melogens hervorruft.
Bei dieser Definition bedürfen zwei Punkte der Erläuterung:
1. Was versteht man unter deutlicher Trübung?
2. Wie stellt man es an, daß man diese erste deutliche Trübung
nicht überschreitet?
Die Beantwortung lautet
folgendermaßen: Wie aus
der im Kapitel III ersicht-
lichen Beschreibung der Re-
aktion zu entnehmen ist, 5 0?
geht die Kalomelabschei-
dung nicht sprunghaft,
sondern ganz allmählich S
vor sich.
Vorerst bleibt die Flüs-
sigkeit noch klar, dann
tritt ein ganz feiner Nebel
auf, worauf sich die Trü- 20
bung immer mehr und mehr
verstärkt. Sieht man also oft
genug nach, so wird einem
keine dieser Phasen der
Reaktion entgehen können. 30
Man setze sich zur Regel,
bei normaler Belastung der
Röhre alle drei Minuten H
die Bestrahlung zu unter- |
brechen und die Prüfzelle
auf den Trübungsgrad zu
untersuchen. Zu diesem
Zwecke nimmt man letztere aus dem Klemmbügel, schüttelt um und läßt die
Meßflüssigkeit in der Glaseprouvette sich sammeln. Unter „erstedeutliche
Trübung‘“ ist ein Zustand des Kalmelogens zu verstehen, in welchem es das
Stadium der feinsten Nebelbildung eben überschritten hat. Legt man die
Prüfzelle auf einen in weißem Grunde gezogenen schwarzen Strich, so soll
derselbe so erscheinen, wie Fig. 4 (rechte Hälfte) zeigt.
Fig. 3.
F = Röhrenfokus. — P = Prüfzelle.,
H = Hautoberfläche.
95 Schwarz,
DieEinstellung der Röhre und Prüfzelle (Fig.3): Das Arbeitsfeld
wird der zu bestrahlenden Partie des Patienten zugewandt, die Distanz vom
Fokus F zur Haut H gemessen. Dies geschieht in der Weise, daß man
zu dem bekannten Kugelradius der Röhre (hier 10 cm) die senkrechte
Entfernung des am nächsten gelegenen Hautpunktes bis zur Glaswand
hinzuaddiert (hier 20 cm). Die gesamte Fokus-Hautdistanz beträgt in un-
serem Beispiele somit 30 cm.
Für die EinstÖ{lung der Prüfzelle gilt nun die Regel: Die Fokus-
Prüfzellendistanz ist halb so groß wie die Fokus-Hautdistanz zu nehmen.
(In unserem Beispiele also 15 cm.) Auch bei der Ausmessung der Fokus-
Prüfzellendistanz verfährt man so, daß man zu dem bekannten Kugelradius
die noch fehlenden Zentimeterzahlen addiert (hier 5 cm).
Wegen derGleichmäßigkeit der Bestrahlung
empfiehlt es sich, nicht unter eine Fokus-Haut-
distanz von 26cm herunterzugehen. Bei großen
Flächen nimmt man die Fokus-Hautdistanz
größer, etwa 40 cm. (Die Fokus-Prüfzellen-
distanz betrüge im ersten Falle 13 cm, im
letzteren 20 cm.)
Die Figur 4 selbst kann in der Weise als
lol er Testobjekt benützt werden, daß man die expo-
Fig. 4. nierte Prüfzelle auf den rein schwarzen Teil des
Testobjekt für die Beur- Streifens hält und nun beurteilt, ob die expo-
teilung von IK. Man hält _. $ ; s
die exponierte Prüfzelle auf die Mierte Prüfzelle bereits den daneben wieder-
linke, rein schwarze Hälfte des gegebenen Trübungsgrad erreicht hat.
Streifens. Dieselbe wird dann
ebenso grau erscheinen, wie Ist dies noch nicht der Fall, so bestrahlt
die rechte, wenn die Trübung ii
der Flüssigkeit 1 K beträgt, AM noch weiter und prüft nach anderthalb
Minuten in analoger Weise.
Man kann selbstverständlich keine Zeit angeben, innerhalb welcher
die 1. Kalom entsprechende Trübung resultiert. Bei .schwacher Be-
lastung. bei großer Entfernung, bei sehr harter Strahlenqualität kann es
sehr lange dauern, zehn Minuten und darüber. Umgekehrt bei starker
Belastung, kleinerer Entfernung, mittelweicher Strahlung, auch schon z. B.
mit zwei Minuten. Beiintensiven Belastungen sogar eventuell wenige Sekunden.
Aber das ist ja der Sinn des Meßverfahrens, dal3 es von den un-
kontrollierbaren oder wechselnden Momenten der Entfernung und der
Unterbrechungszahl, Stromstärke, Strahlenqualität, Röntgenlampenfabrikat
usw. unabhängig macht, und lediglich den zustande gekommenen chemi-
schen Effekt anzeigt. Ob derselbe rascher oder langsamer eintritt, ist eine
Frage von sekundärer Bedeutung.
Kalomelreaktion der Röntgenstrahlen. 97
Die Firma Reiniger, Gebbert & Schall bringt eine Trübungsskala
(Fig. 5), bestehend aus übereinandergelegten matten Zelluloidstreifen in den
Handel, welche es gestattet, auch höhere Grade der Trübung zu beurteilen.
Dies ist insbesondere von Nutzen, wenn man nach Erreichung von 1 Kalom
dieselbe Prüfzelle noch weiter benützen will. Denn entsprechend der
wachsenden Dosis wächst natürlich die Trübungsintensität. Auch ein ge-
trübter Keil aus Milchglas, der von der genannten Firma hergestellt
werden wird. soll dem verbreiteten Bedürfnisse nach Skalen Rechnung
tragen. Dennoch möchte
ich es noch einmal her-
vorheben, dal man ganz
gut einer Skala entraten
kann. Will man in einer
Sitzung mehr als 1 Kalom
applizieren, dann giebt
man eben das getrübte
Kalmelogen weg, füllt
neues ein, bestrahlt wieder
bis zur ersten Trübung
und setzt diesen Modus
procedendi ad libitum
fort. Es soll natürlich
nicht geleugnet werden,
dal die Trübungsskalen
auch ihren Wert haben,
insbesondere für den Fig. 5.
Anfänger und dann. Trübungsskala.
wenn man die Bestrah-
lung nicht oft genug unterbrochen und damit die Einheit überschrit-
ten hat.
Was bedeutet nun ein Kalom in biologischer Beziehung?
Ein Kalom in halber Fokushautdistanz gemessen, ist das Drittel der-
jenigen Dosis, welche auf der behaarten Kopfhaut appliziert, nach 14 tägiger
Latenzzeit temporäre Epilation ohne jede anderen Reaktionserscheinungen
hervorruft.
98 Schwarz,
Zur ungefähren Orientierung diene folgende Tabelle:
Kleinstes erlaubtes `
Beispiel | Dosis. | Wiederholungs- 4k ist die Maximaldosis, welche
Zu intervall die intakte, nicht desensibilisierte
Ekzem | 1K | 1Woche — HautdesErwachsenennochverträgt,
Psoriasis. s. = ohne mit mehr als eventuell mit
Epilation | 3 K 3 Wochen leichtem Erythem — und nachfol-
bei Favus , ; :
o = o o gender Pigmentation zu reagieren.
Leukämie 4 K 4 Wochen
Myom
Diese Zahlen gelten für die Strahlen von gebräuchlicher Penetration
(II—VII Benoist). Bei ganz weichen und ganz harten Röhren dürften die
von H. E. Schmidt für das Sabouraudverfahren entwickelten Fehler (Fort-
schritte 1910, „Untersuchung über die Bedeutung der Röntgenstrahlen-
qualität für die direkte Dosimetrie‘‘) auch hier Geltung haben.
Bei überweichen Röhren würde man überdosieren, d.h. eine stärkere
Hautwirkung hervorrufen, als man nach den Kalomzahlen erwartet. Über-
weiche Röhren braucht man aber niemals.
Bei sehr harten Röhren würde man unterdosieren, d. h. eine schwächere
Hautwirkung hervorrufen, als man nach den Kalomzahlen erwartet.
Ganz harte Röhren verwendet man aber nur bei Tiefentherapie —
wo es auf die Hautreaktion ja gar nicht ankommt und es nur erwünscht
ist, wenn dieselbe noch etwas mehr als unbedingt notwendig geschont wird.
Einen Schaden können also die von Schmidt erhobenen Ungenauig-
keiten bei extremen Penetrationsgraden nicht verursachen.
Schließlich sei noch angegeben, daß 1 K ungefähr ®/, H gemessen
an der Holzknechtschen Skala zum Sabouraud entspricht — wobei ich
aber ausdrücklich bemerken möchte, daß dies bei verschiedenen Scheibchen
und verschiedenen Messungen sehr variiert, entsprechend der wechseln-
den Empfindlichkeit und der Beeinflußbarkeit des Baryum-
platincyanürschirms durch äußere Faktoren.
VI. Schlußbemerkungen.
Ich habe nunmehr in vollster Ausführlichkeit das kalomelometrische
Dosierungsverfahren beschrieben und es sollte mich wundern, wenn bei der
Unzahl der besprochenen Details der Leser nicht den Eindruck einer un-
gemein komplizierten Sache empfangen hätte.
In Wirklichkeit trifft aber das gerade Gegenteil zu. Meßflüssigkeit,
Prüfzellen, Hälter (eventuell Skala) bekommt man in gebrauchsfertigem Zu-
Kalumelreaktion der Röntgenstrahlen. 99
stande.!) Man hat nur ein paar Tropfen Flüssigkeit in Eprouvettchen zu
füllen und dabei auf Reinlichkeit zu achten.
Bedenkt man, daß im Vergleiche mit dem Sabouraudschen Ver-
fıhrren — die Kalomelometrie den Vorzug der Unbeeinflußbarkeit durch
wechselnde Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsgrade, ferner den der Em-
pfindlichkeitskonstanz, der Unabhängigkeit von der Beleuchtung und vom
Farbensinn des Beobachters besitzt, so wird man den — wie ein Fach-
genosse scherzend bemerkte — im ärztlichen Kreise schwerwiegenden
Nachteil, daß sie ein „nasses“ Verfahren ist, nicht gar zu hoch bewerten.
Ich für meine Person wenigstens bin so optimistisch, zu hoffen, daß
sich die Kalomelmethode immer mehr Freunde schaffen wird.
us we, *
!) Bei Reiniger, Gebbert & Schall.
Aus d. Samariterhause zu Heidelberg (Dir.: Geh.-R. Prof. Dr. V. Czerny, Exz. ı.
Die Rolle der Strahlentherapie bei der Behandlung der
malignen Tumoren.
Von
Priv.-Doz. Dr. R. Werner, Oberarzt des Samariterhauses.
Mit 13 Abbildungen.
B‘ vor ungefähr 15 Jahren gab es nur eine Behandlungsmethode der bös-
artigen Neubildungen: die chirurgische. Seither haben sich jedoch eine
ganze Reihe von neuen Verfahren entwickelt, die berufen sind, die operative
Behandlung zu unterstützen und zu ergänzen, zum Teil sogar dieselbe ganz zu
ersetzen, allerdings nur unter besonders günstigen Umständen.
Die Methoden rekrutieren sich aus den verschiedensten Gebieten der
Therapie, in erster Linie aus jenen der Radiotherapie und Elektrotherapıe.
dann aber auch aus jenen der Immunotherapie, Chemotherapie, Toxin-
behandlung und Fermentbehandlung.
Unter sämtlichen Methoden ist die Radiotherapie nicht nur die
älteste, sondern vorläufig auch die wichtigste. Ihre Bedeutung für die Be-
handlung der malignen Tumoren soll hier näher erörtert werden. Dazu
ist es nötig, die eigene Wirksamkeit der Radiotherapie und ihr Verhältnis
zu den übrigen Methoden zu beleuchten.
Bekanntlich kann sie auf zweifache Weise ausgeübt werden, entweder
als Bestrahlung mit dem Röntgenapparate oder mit radioaktiven Substanzen.
Die Röntgentherapie läßt sich wieder in verschiedener Weise der Behand-
lung des Krebses dienstbar machen, sie kann einerseits zur Vorbereitung
für die Radikaloperation, andererseits zur Nachbehandlung nach derselben.
ausnahmsweise sogar als voller Ersatz für eine solche, ferner schließlich
als Palliativmittel zur Stillung von Schmerzen und zur Förderung der Über-
häutung von Ulzerationen verwendet werden. Die Erfolge sind jedoch
meist nicht leicht zu erringen und blühen nur dem, der die Röntgentechnik
beherrscht. Ich will daher kurz auf jene Momente der letzteren eingehen.
welche speziell für die Behandlung von malignen Tumoren von Bedeu-
tung sind.
"Wir unterscheiden bekanntlich eine qualitative und quantitative Dosie-
"rung ter Strahlen. Die qualitative Dosierung bezweckt die Auswahl jener
Strahlenarten, ie für den betreffenden Prozel} optimal sind. Bei der Be-
«
haudlarg cr inahsmen Tumoren ist die qualitative Dosierung eine ziemlich
Werner, Behandlung der malignen Tumoren. 101
einfache. Man hat fast ausschließlich Objekte vor sich, die in der Tiefe
liegen, oder doch in dieselbe hinabreichen und es empfiehlt sich daher,
die penetrationsfähigste Strahlenart zu verwenden, welche die Röntgenröhre
liefern kann, auch dann, wenn der Tumor bis an die Oberfläche reicht.
Sonst erhält man nämlich leicht an dieser eine Besserung, während der
Tumor in den tieferen Schichten nur zu rascherem Wachstum angeregt
wird. Eine einigermaßen gleichmäßige Beeinflussung des Erkrankungsherdes
aber ist die Vorbedingung für ein günstiges Resultat.
Es erschien bisher vielfach ökonomischer, die oberflächlichen Anteile
weich zu bestrahlen, um den Vorteil der leichteren Erzeugung und pro-
zentuell vollkommeneren Verwertung der weichen Strahlen auszunützen.
Allein, um die tieferen Anteile der Geschwülste zu treffen, muß man unter
allen Umständen ein so großes Strahlenquantum verwenden, daß die Ober-
Häche eine genügende Dosis erhält. Exponiert man letztere nun außerdem
mit weichen Strahlen, so ist man genötigt, entweder die Oberfläche zu
überexponieren, was nur unvorteilhaft wirkt, oder die Tiefendose einzu-
schränken, was den Mißerfolg von vornherein besiegelt. Infolge dieser Er-
kenntnis habe ich die kombinierte harte und weiche Bestrahlung teilweise
freiliegender Tumoren zugunsten einer rein harten aufgegeben.
Überdies hat Hans Meyer in Gemeinschaft mit Hans Ritter jüngst
nachgewiesen, daß die harten Strahlen, wenn sie in gleicher Menge, wie die
weichen absorbiert werden, biologisch stärker wirken als letztere, eine Diffe-
renz, die besonders beim wachsenden Gewebe, also wohl nicht zum wenigsten
bei den malignen Tumoren vorhanden sein soll. Weiche Bestrahlungen
sind nur bei sicher ganz oberflächlichen Infiltraten (Ulcus rodens) oder für
ganz spezielle Zwecke (z. B. Überhäutung ulzerierender Flächen) indiziert.
Es genügt nicht, die harte Bestrahlung durch Wahl entsprechender
Röhren zu sichern, nıan muß die meist konkommittierenden weichen Strahlen
durch Filter abhalten. Meine persönliche Erfahrung erstreckt sich auf
Leder- und Stanniolfilter, doch ziehen andere Aluminium- oder Silberfilter
vor. Die Frage, ob einer dieser Filter einen besonderen Vorzug besitzt,
ist noch nicht gelöst und wird nur durch exakten Vergleich der Quanti-
metermessung mit der erhaltenen biologischen Reaktion zu entscheiden sein.
Die quantitative Dosierung hängt im wesentlichen von der Belastung
des Apparates und von der Zeitdauer der Bestrahlung ab. Da wir bei der
Behandlung des Krebses stets mit hohen Dosen zu arbeiten haben, ist hier
ganz besonders die objektive Messung der Strahlenquantität am Platze.
Sie geschieht am exaktesten wohl mit dem Kienböckschen Quantimeter,
das mit Hilfe des Stufenfilters nicht nur die Oberflächendosis, sondern
auch jene Strahlenmenge zu bestimmen gestattet, welche in der Tiefe von
mehreren Zentimetern erreicht wird. Unbequem ist jedoch dabei der Um-
102 Werner,
stand, daß man während der Bestrahlung nicht ablesen kann und daher
genötigt ist, dieselbe zu unterbrechen und die Meßfilms zu entwickeln, oder
das Ende der Bestrahlung schätzungsweise zu bestimmen. Dafür hat man
ein für wissenschaftliche und praktische Zwecke wertvolles Dokument der
gegebenen Dosen in den Händen. Besser ist es, gleichzeitig noch mit einer
anderen Methode (Sabouraud-Noiré, event. in der Holzknechtschen
Modifikation) eine Kontrollmessung vorzunehmen.
Die Quantität der Dosierung ist im wesentlichen abhängig von der
Empfindlichkeit des Tumors und der ihn bedeckenden Hülle. Subkutan
gelegene Tumoren können nur dann unter Schonung der Haut resp. Schleim-
haut genügend stark beeinflußt werden, wenn es sich um besonders em-
pfindliche Geschwülste handelt, so z. B. um Rund- oder Spindelzellen-
sarkome, Lymphdrüsen- oder Milztumoren. Die resistenteren Arten der
Geschwülste hingegen sind nur dann für die Bestrahlung geeignet, wenn
sie entweder die Haut durchwachsen haben oder operativ freigelegt
wurden.
Die Reaktion der Geschwülste hängt mehr von der biologischen Be-
schaffenheit derselben ab, als von der Art der Dosierung. Sie besteht im
günstigsten Falle in einer Schrumpfung des Tumors unter narbiger De-
generation desselben. Dies möchte ich als die ideale Form der Reaktion
bezeichnen, da sie mit keiner Unannehmlichkeit oder Gefahr verknüpft ist.
Weniger günstig ist schon eine Verflüssigung des Geschwulstgewebes ohne
entsprechende Resorption. Hier kann es unter Umständen zu einer Aus-
schwemmung lebensfähiger Geschwulstzellen infolge einer Lockerung des
Zusammenhanges im Tumorgewebe und zur Metastasierung in die benach-
barten Organe kommen. Bei großen Tumoren besteht auch die Möglich-
keit einer Intoxikation durch die Zersetzungsprodukte der Zellen. Man
ist oft genötigt, das kolliquierte Gewebe durch eine Punktion oder Exkoch-
leation zu entleeren, um der genannten Gefahr vorzubeugen. Am unan-
genehmsten ist die Reaktion in Form einer Nekrose. Hier kommt es zu
einem oft ganz rapiden Absterben ausgedehnter Gewebsmassen, die sich
erst spät demarkieren, sich infizieren können und bei der Abstoßung nicht
selten Arrosionsblutungen oder Perforationen in benachbarte Körperhöhlen
verursachen. In gewissem Umfange ist diese Art der Reaktion von der
Art der Dosierung abhängig, da sie in der Regel nur nach Applikation
übergroßer Strahlenmengen in kurzer Zeit entsteht. Beim Vorhandensein
schwerer Arteriosklerose oder bei schlecht vaskularisierten Tumoren kann
sie jedoch auch nach normalen Dosen beobachtet werden. Bei Geschwülsten,
die weder mit Leibeshöhlen kommunizieren noch auf großen Gefäßen auf-
sitzen, ist auch diese Reaktionsform therapeutisch brauchbar, wenn man
eine Infektion zu verhüten weiß.
Behandlung der malignen Tumoren. 103
Wir besitzen eine ganze Reihe von Methoden zur Verstärkung der
Röntgenwirkung. In erster Linie kann eine solche durch die Art der Be-
strahlung selbst erreicht werden, indem man diese dadurch wirksamer ge-
staltet, daß man einen in der Tiefe liegenden Erkrankungsherd von ver-
schiedenen Seiten her radiär bestrahlt. Man benutzt verschiedene Stellen
der Oberfläche zum Durchtritt des Strahlenkegels und vereinigt dieselben
am gewünschten Punkte im Körperinnern. Ich habe vor 6 Jahren einen
Apparat angegeben, der dies mit jeder wünschenswerten Genauigkeit er-
möglicht. Das Verfahren ist jedoch auch ohne besondere Apparate nach
dem Augenmaß in den meisten Fällen durchführbar.
Man kann auf diesem Wege unter Umständen das 15--20fache jener
Strahlenmenge in der Tiefe konzentrieren, welche sonst von einer Stelle
der Oberfläche her erzielt werden konnte. Ein zweiter Weg ist die so-
genannte homogene Bestrahlung. Sie besteht darin, daß man die Strahlen
aus großer Entfernung dem Körper zuführt, sodaß die Tiefenlage des
Tumors gegenüber der Distanz der Röhre nur eine geringe Rolle spielt.
Wählt man dann noch harte Strahlen, die den Körper verhältnismäßig
leicht durchdringen, so bekommt man an der Oberfläche und in der Tiefe
eine ziemlich homogene Durchstrahlung des Körpers. Das Verfahren würde
wohl weitaus das rationellste sein, wenn es nicht den Apparaten eine
außerordentlich große Überanstrengung zumuten würde, denen bisher noch
keine Konstruktion in praktisch brauchbarem Umfange gewachsen war.
Außer durch die Bestrahlungsart kann man auch durch andere
Maßnahmen die Wirkung der Röntgentherapie erhöhen. So vor allem da-
durch, daß man die schützenden Hüllen von den Tumoren entfernt. Man
bekommt dann nicht nur eine größere Dose in den Tumor hinein, sondern
es scheint auch, daß die Geschwulst selbst durch den operativen Eingriff
empfindlicher wird und leichter reagiert. Die Technik ist bei den der Ober-
fläche naheliegenden Geschwülsten eine einfache, da es sich in der Regel nur
darum handelt, einen Haut- oder Hautmuskellappen zurückzupräparieren und
am Rande der Geschwulst einzustülpen, wenn man es nicht vorzieht, ihn
überhaupt abzutragen.
Etwas schwieriger liegen die Dinge bei den intraperitonealen Gebilden,
z.B. bei den Magen-, Darm- oder Ovarialkrebsen usw. Hier muß man
eine spezielle operative Technik anwenden, um die Bauchhöhle widerstands-
fähig abzuschließen und gleichzeitig gegen Infektion von außen zu schützen.
Es geschieht dies am einfachsten in der Weise, daß man das Peritoneum
an den Hautrand vorsäumt und den gemeinschaftlichen Hautperitonealrand
an das gesunde Gewebe in der Nachbarschaft des Tumors (nicht an diesen
selbst) durch Nähte fixiert. Man erhält dann breite seröse Verwachsungen,
welche genügend Festigkeit besitzen, um einen Prolaps des Peritoneal-
104 Werner,
inhaltes zu verhindern. Die Tumoren selbst bilden einen so guten Ver-
schluß des Abdomens, dal außer beim Bestehen eines maximalen Aszites,
der die Verklebung verhindert, eine nennenswerte Vorstülpung im Bereiche
der Wunde nie beobachtet wurde. Die Tumoren werden dann nach den
oben angeführten Regeln bestrahlt und pflegen ziemlich rasch zurück-
zugehen, indem sie — meist ohne Nekrose — einschmelzen, von Granu-
lationen bedeckt werden und sich glatt überhäuten. In der Mehrzahl der
Fälle ist der Erfolg anfangs ein verblüffender. Durch die Verkleinerung
der Geschwülste verschwinden mitunter auch die bestehenden Stenose-
erscheinungen von seiten des Magens oder Darmtraktes, die Patienten er-
holen sich, werden unter Umständen sogar bis zur Arbeitsfähigkeit ge-
bessert; der Erfolg aber ist bei der weitaus größten Mehrzahl der Fälle
nur ein temporärer. In der Regel gehen die Kranken später an Meta-
stasen zugrunde, auch dann, wenn der Tumor lokal vollkommen beseitigt
wurde, da eben die Wirkung der Röntgenstrahlen sich nur auf das vor-
gelagerte Gebiet und dessen nächste Umgebung erstreckt. In einem Falle
jedoch, der bei der Aufnahme vollständig hoffnungslos zu sein schien, ist
seit mehr als 20 Monaten vollkommene Heilung eingetreten.
Krankengeschichte: Johann Georg F., 57 Jahre, Ratsdiener.
Juni 1907 Resectio ventriculi nach Billroth I wegen Carcinoma pylori. Da-
maliger mikroskopischer Befund: Carcinoma medullare solidum diffusum et plexi-
forme ventriculi, bis dicht an die Resektionsstelle reichend. Seit April 1910 wie-
derum Magenbeschwerden (Schmerzen, bisweilen Erbrechen), Abmagerung. Re-
lativ gutes Aussehen. Hinter der alten Operationsnarbe ein apfelgroßer Tumor
fühlbar. Zunächst erfolglose Antimeristembehandlung. Der Allgemeinzustand
des Patienten veschlechtert sich zusehends. Temporäre Entlassung auf Wunsch.
Am 27. Juni 1910 Wiedereintritt mit sehr großen Beschwerden (unstillbares Er-
brechen, große Schwäche, hochgradige Abmagerung, heftige Schmerzen). Objektiv
bedeutende Vergrößerung der Geschwulst. Am 7. Juli Laparotomie (Dr. Werner).
Kindskopfgroßer Tumor an der Resektionsstelle des Magens, der mit Leber und
Pankreas so stark verwachsen ist, daß er inoperabel erscheint. Zahlreiche Drüsen-
metastasen längs der großen Gefüße. Gastroenterostomia posterior nach Hacker-
Murphy. Vorlageruug in der früher beschriebenen Weise (cf. Abb. 1). Patient er-
holt sich allmählich. Am 12., 16. und 21. Tage post operationem je 2'/, H. Nach
der Entlassung im Verlaufe von 5'/, Monaten 16x5 H, wobei die Umgebung nur
alle Monate einmal 5 H mit harten Röhren bekommt, während die lokale Be-
strahlung außerdem noch elfmal mit mittelweichen Röhren durchgeführt wird.
Unter dieser Behandlung verkleinert sich der Tumor so bedeutend, daß schon
Ende 1910 an keiner Stelle eine größere Infiltration nachweisbar war. Die Epi-
dermis wuchs Anfang 1911 über die gesamte Wundfläche. Patient ist seit dieser
Zeit wiederarbeitsfähig und beschwerdefrei. April 1912(cf. Abb.2) vollkommen normal.
Von unangenehmen Komplikationen wäre zu bemerken, daß dreimal
Perforation in den Magen durch Nekrotisierung des Tumors eintrat. woraus
unangenchme Fisteln resultierten. In einem Falle wurde deshalb noch
Behandlung der malignen Tumoren. 105
nachträglich die Resektion durchgeführt, Der Tumor war nach der Be-
strahlung operabel geworden, obwohl er früher bei einer Probelaparotomie
inoperabel gewesen war. Die früher zahlreich vorhanden gewesenen Lym-
phome in der Nachbar-
schaft waren geschwun-
den, die Geschwulst
selbst auf ein Drittel
zurückgegangen. Leider
starb der Patient, da er
schon zu schwach war.
Komplizierter ist
das Verfahren bei der
Vorlagerung von Rek-
tumkarzinomen. Hier
muß der Darm von un- Fig. 1.
ten ausgelöst werden, Vorgelagertes Magenkarzinom unmittelbar nach der
der Tumor wird so gut Operation.
als möglich vorgezogen,
dann die Haut manschettenförmig in das Becken eingestülpt und an den
Ränden der Geschwulst vernäht. Bei intrathorakalen und intrakraniellen
Geschwülsten ist die Vorlagerung noch nicht erprobt.
Außer nach opera-
tiver Freilegung kann man
die Geschwülste auch dia-
kutan stärker bestrahlen,
wenn man die Haut unter-
empfindlich macht. Dies
geschieht durch temporäre
Anämisierung, entweder
durch mechanische Kom-
pression mit Hilfe von klei-
Fig. 2. nen Brettchen, oder Stoff-
Vorgelagert gewesenes, geheiltes Magenkarzinom. binden, die besonders strah-
20 Monate nach der Operation. lendurchlässig sind, oder
durch Einführung von
schwachen Adrenalinlösungen (0,2—0,6 cem, 1 : 1000 mit4 ccm pysiologischer
Kochsalzlösung verdünnt) durch Injektion oder Jontophorese. Da man aber
auch auf diesem Wege höchstens das 1!/,—2fache der Normaldose applizieren
kann, so ist keine so große Vermehrung der Strahlenwirkung zu erwarten
wie durch die operative Freilegung.
106 Werner,
Man kann aber auch umgekehrt vorgehen und die Geschwülste selbst
sensibilisieren. Entweder geschieht dies durch Erwärmung auf elektrischem
Wege (Diathermie), oder durch Gefrierenlassen mit Hilfe des Äthersprays,
resp. Chloräthylsprays, oder durch Reizung des Geschwulstgewebes durch
Hochfrequenzströme, die in Form von schwachen, wenig schmerzhaften
Funkenbüscheln einwirken, oder endlich durch Einspritzung sensibilisierender
Substanzen, z. B. Chinin oder Fluoreszin oder Eosin. Endlich kann man
auch die Wirkung dadurch vermehren, daß man den Geschwülsten Sub-
stanzen zuführt, die an und für sich schon eine ähnliche Wirkung haben
wie die Röntgenstrahlen selbst, z. B. durch Infiltration mit 2°, -5°%,
Cholinlösung. Man beobachtet bei allen diesen Maßnahmen eine Steigerung
der quantitativen Wirkung der Röntgenstrahlen. Allein die qualitative
Reaktion der Tumoren wird nicht wesentlich verbessert, die Folgen der
Überdosierung werden nicht verhütet. Daher kommt es, daß die Erfolge
bei den malignen Tumoren hinter unseren Erwartungen zurückstehen, ob-
wohl die hochentwickelte Röntgentechnik es gestattet, große Mengen von
Strahlen in die Tiefe gelangen zu lassen und deren Wirkung noch künst-
lich zu steigern.
Zu bemerken ist, daß es Geschwülste gibt, die selbst auf sehr große
Dosen hin nur mit schnellerer Wucherung reagieren und auch dann durch
Metastasen sich rapid ausbreiten, wenn man sie durch enorme Überdosierung
lokal gewaltsam zur Nekrose bringt. Häufig findet sich z. B. diese Art
der Resistenz bei Zungen- und Mundbodenkrebsen. Zeigt sich vermehrtes
Wachstum nach 1—2 kräftigen Bestrahlungsserien, so soll man die Röntgen-
therapie aufgeben.
Auch dann, wenn man auf einen ernsthaften therapeutischen Erfolg
mit Röntgenbestrahlung nicht mehr rechnen kann, ist diese nicht selten
als Palliativmittel von Wert. Am willkommensten ist wohl die schmerz-
stillende Wirkung der Röntgenstrahlen, insbesondere bei Tumoren, welche
auf Nerven drücken, oder den Knochen arrodieren, wobei bekanntlich
Schmerzen ausgelöst werden, die einen geradezu furchtbaren Charakter
annehmen können. In einem gewissen Protzentsatz dieser Fälle gelingt es
durch Applikation einer großen Menge von harten Strahlen oft in über-
raschend kurzer Zeit eine nicht selten wochenlang andauernde Schmerz-
freiheit zu erzielen, selbst dann, wenn sich die Zeichen des Morphinismus
einstellen und die Narkotika bereits versagen. Kleine Dosen, auf längere
Zeit verteilt, sind in der Regel unwirksam.
Abgesehen von der Schmerzstillung ist auch die Möglichkeit, ulzerierte
Flächen durch Röntgenbestrahlung zur Überhäutung zu bringen, von prak-
tischer Bedeutung. Hier muß man jedoch anders vorgehen. Es empfiehlt
sich, kleine Mengen (etwa 3—4 H) in zweiwöchentlichen Pausen zu appli-
Behandlung der malignen Tumoren. 107
zieren und nur mit weichen, höchstens mittelweichen Röhren zu arbeiten.
In einigen Wochen pflegen sich die ulzerierten Tumorpartien an der
Oberfläche zu reinigen und allmählich zu überhäuten.
Von besonderem Interesse für den Chirurgen ist die Möglichkeit,
durch Röntgenstrahlen Tumoren, die an der Grenze der Operabilität stehen,
zur Schrumpfung zu bringen und dadurch dem radikalen Eingriffe zugäng-
lich zu machen. Am häufigsten findet sich Gelegenheit hierzu bei Mamma-
karzinomen, Hautkrebsen, malignen Lymphomen und oberflächlichen Fas-
ziensarkomen. Man muß hier innerhalb von 3—4 Wochen zwei Serien
möglichst intensiver Röntgenbestrahlungen verabfolgen. Geht darauf der
Tumor genügend zurück, so ist die Operation unverzüglich anzuschließen,
bleibt jedoch nach dieser Zeit das gewünschte Resultat aus, so ist der
Fall für diese Art der Behandlung nicht geeignet.
Von Bedeutung ist auch die Nachbehandlung mit Röntgenstrahlen
nach Radikaloperationen zur Verhütung von Rezidiven. Dieselbe kann
in zweifacher Weise vorgenommen werden. Am bequemsten ist das dia-
kutane Verfahren, das für jene Fälle in Betracht kommt, in denen eine
Heilung per primam intentionem erwünscht erscheint und kein Zweifel an
der Radikalität der Operation obwaltet. Man ist dann allerdings in der
Dosierung durch die Haut beschränkt, hat aber dafür der Nachbehandlung
keine chirurgischen Interessen geopfert. Der Wert dieser Methode ist vor-
läufig noch nicht zu übersehen, doch sollte sie in jedem Falle geübt
werden, da man dem Patienten eine Chance gibt, für welche er keine
Nachteile in Kauf zu nehmen hat. Besser ist jedoch unter allen Um-
ständen die Bestrahlung in die offene Wunde. In jenen Fällen, in denen
man durch plastische Operationen oder Transplantationen den Substanz-
verlust zu decken hat oder wegen kaustischer Operationen auf eine primäre
Naht verzichten muß, empfiehlt es sich, die Wunde längere Zeit offen zu
behandeln und intensiv den Röntgenstrahlen auszusetzen. Es unterliegt
keinem Zweifel, daß man auf diesem Wege größeren Einfluß ausüben
kann, als bei diakutaner Bestrahlung. Außerdem ist es jedenfalls wertvoll,
das Wundgebiet mit Rücksicht auf die Rezidivgefahr noch längere Zeit
unter Kontrolle halten zu können. Ganz sicher schützt jedoch auch diese
Methode vor Rückfällen nicht, hauptsächlich dann, wenn sicher noch ım
Kranken operiert wurde.
Eine wesentliche Unterstützung und Ergänzung der Röntgentherapie
ist neuerdings in der Behandlung mit radivaktiven Substanzen gewonnen
worden. Von den zahlreichen strahlenden Elementen und deren Zerfalls-
produkten, welche die Physik kennt, kommen für die Praxis in Betracht:
die Salze und die Emanation des Radiums, das Aktinium, das Mesothorium
und das Thor-X. Man kann diese Substanzen in zweierlei Form appli-
108 Werner,
zieren — als Bestrahlungskörper oder in Form der Injektion. Erstere
werden in mehrfacher Gestalt konstruiert. Die älteste Form ist die der
Kapsel. Diese besteht in einem Stahlblock, in den eine flache Höhlung
eingeschnitten ist; in dieser wird die radioaktive Substanz in dünner Schicht
ausgebreitet und dann mit einem zarten Glimmer- oder Aluminiumplättchen
bedeckt, welches durch einen Ringverschluß dem Stahlblock aufgepreßt
wird. Neuerdings verwendet man für viele Zwecke aber „Plättchen“
deren radioaktiver Inhalt auf der einen Seite mit einer dicken, auf der
anderen mit einer dünnen Silberschicht überzogen ist. Plättchen und
Kapseln strahlen nur nach einer Seite stark, nach der anderen sehr wenig.
Die Kapseln haben den Vorzug, dal} man sie ohne Verbrennungsgefahr in
die Hand nehmen kann, was bei den Plättchen schon schwerer möglich
ist und größere Vorsicht erfordert. Dafür lassen sich die Plättchen leichter
in Spalten und schmale Höhlungen einführen. Man kann sie auch so
konstruieren, daß man sie mit Zängelchen armiert oder auf gerade oder
gebogene Stiele und Sonden aufschraubt, um sie bequemer in Hohlräume
einbringen zu können. Die dritte Form der Bestrahlungskörper sind die
Tuben. Es sind dies ganz zarte, schmale Silberröhrchen mit Schraub-
verschluß, in denen die radioaktive Substanz — meist von einer nicht ver-
brennbaren Membran als Lösung aufgesaugst — enthalten ist. Die freie
Einführung der radioaktiven Substanzen in die Tuben ist unzweckmälig,
da sich das Material sonst nach dem Gesetz der Schwere zu Boden senkt
und nicht gleichmäßig verteilt bleibt. Eine richtig gefüllte Tube strahlt
fast in ihrer ganzen Länge, die etwa 1—2 cm beträgt, nach allen Seiten
hin. Auch bei den Kapseln ist die Befestigung der radivaktiven Substanz
auf Membranen empfehlenswert. +)
Zur Injektion verwendet man die radioaktive Substanz entweder in
Form von Lösungen oder von Emulsionen. Die Strahlungsintensität der
Einzeldosen, die man injiziert, beträgt 10000 bis 120 Millionen Volt-Ein-
heiten, jene der Bestrahlungskörper wird nach der Menge Radiumbromid
angegeben, welchedie betreffende Strahlenquantitätemittiert. Dementsprechend
verwendet man Einheiten von 10—20, ja bis 50 mg „Radiumbromid-
Strahlungswert‘“.
Nicht alle radioaktiven Substanzen sind für alle Zwecke in gleicher
Weise geeignet: vor allem deshalb nicht, weil man sie nicht in allen Appli-
kationsweisen verwenden kann. So z. B. kann man die Radiumsalze zur
Füllung von Strahlungskörpern gebrauchen, oder sie in Lösung oder als
1) Von mancher Seite werden mit radioaktivem Lack überzogene Bestrah-
lungskörper empfohlen, doch ist man bei diesen zu sehr in Gefalır, die kostbare
Substanz zu verlieren. Die leicht absorbierbaren «-Strahlen werden allerdings bei
dieser Methode am besten ausgenutzt.
Behandlung der malignen Tumoren. 109
Emulsion einspritzen, die Radiumemanation hingegen nur in Lösung, oder
als Emulsion injizieren, in letzterer Form nur dann, wenn die Emanation
durch pulverisierte Körper von großer Adsorptionskraft (Kohle, Kieselsäure)
aufgenommen wurde. Das Aktinium eignet sich zur Füllung von Be-
strahlungskörpern oder zur Einspritzung in Form von Emulsionen, das
Mesothor zur Füllung von Bestrahlungskörpern oder zur Injektion als
Lösung, das Thor X nur zu letzterem Zwecke.!) Als Lösungen können
nur diejenigen radioaktiven Substanzen eingespritzt werden, die wasserlöslich
sind, alle anderen werden entweder in Kochsalzlösung, in Paraffinum liqui-
dum oder in Gelatine emulgiert. Die Lösungen müssen ungiftig sein, da
sie selbst bei subkutaner Injektion leicht in den Körper übergehen. Die
Emulsionen hingegen sind diesbezüglich ungefährlich, dafür aber kann man
sie nicht intravenös einspritzen, da sie Embolieen verursachen würden.
Die Wirkung der radioaktiven Substanzen auf die bösartigen Neu-
bildungen ähnelt in vieler Beziehung jener der Röntgenstrahlen. Auch
hier lassen sich die dort beschriebenen drei Reaktionsformen unterscheiden:
Schrumpfung, Verflüssigung, oder Nekrose. Die Wirkung ist, da bisher
im allgemeinen nur kleine Mengen verwendet werden, zirkumskripter, als
bei den Röntgenstrahlen, hingegen oft intensiver. Sie ist dadurch kompli-
ziert, dab die meisten radioaktiven Substanzen keine einheitliche Strahlung
aussenden. Im ganzen unterscheidet man drei Strahlenarten («-, 8- und
y-Strahlen). Die «-Strahlen sind leicht absorbierbar, dringen daher nicht
in die Tiefe, sind aber dafür biologisch hochwirksam; sie vermögen eine
ganze Reihe chemischer Körper zu zersetzen und bauen vor allem die
Lipoide verhältnismäßig leicht ab. Die £-Strahlen haben ein besseres
Durchdringungsvermögen, sind aber biologisch schon weniger wirksam. Die
y-Stralllen entsprechen vollkommen harten Röntgenstrahlen und teilen auch
deren Eigenschaften. Durch die komplizierte Zusammensetzung der
Strahlung bei den meisten radioaktiven Substanzen ist es möglich, bei der
Applikation in Form der Bestrahlungskörper mit Hilfe von Filtern, als
welche am besten Blei- oder Silberplättchen resp. -röhrchen verwendet
werden, die mannigfachsten Differenzen hinsichtlich der Wirkung hervor-
zubringen. Die «-Strahlung gelangt fast nur dort zur Geltung, wo die
radivaktive Substanz unmittelbar mit dem Gewebe in Berührung kommt.
also in erster Linie bei Einspritzungen, dann aber auch, wenn man radio-
aktive Substanz in Pulverform aufstreut, was jedoch wegen der Kost-
1) Neuerdings verwende ich auch von pulverisierter Kieselsäure adsorbierte
Thor-X-Lösung als Brei. der, mit Zucker angerührt, bei Krebsen des Magendarm-
traktes per os gereicht und gern genommen wird. Auch Pasten und Plomben
für Zerfallshöhlen in Tumoren, Wunden und Ulzerationen lassen sich aus mit
Thor-X radioaktiviertem Kieselsäurepulver darstellen.
110 Werner,
spieligkeit und Seltenheit stärker wirkender Präparate nur ganz ausnahms-
weise durchgeführt werden kann. Will man in die Tiefe wirken, so fängt
man die 8-Strahlen, welche aus dem Bestrahlungskörper — wenigstens zum
Teile — noch austreten können, mit Hilfe von kräftigen Filtern ab und
arbeitet nur mit y-Strahlen.
Die Bestrahlungskörper werden in verschiedener Weise verwendet:
1. Zur Applikation an der Oberfläche des Körpers, 2. zur Einführung in
die natürlichen Körperhöhlen (Mund, Nase, Rachen, Kehlkopf, Speiseröhre,
Vagina, Mastdarm usw.), 3. zur intratumoralen Bestrahlung in operativ
gesetzte oder natürliche Substanzverluste in den Geschwülsten, 4. zur
Nachbehandlung von Operationswunden. Für spaltförmige Hohlräume oder
Substanzverluste benützt man in der Regel die Tuben, die man entweder
senkrecht oder parallel zur Körperoberfläche einlagert. Größere Hohlräume
dagegen werden systematisch an den verschiedenen Stellen mit Kapseln
oder Plättchen bestrahlt.
Die Injektionen werden in zweckmäßiger Weise nur entweder in-
tratumoral oder intravenös gemacht. Die subkutane oder intramuskuläre
Injektion am Orte der Wahl ist weniger wirksam. Im allgemeinen ver-
wendet man zur intravenösen Injektion am besten Lösungen von Thor-X,
welche bis zu 120 Millionen Volt-Einheiten in 1 ccm enthalten können.
Zur intratumoralen Einspritzung verwendet man Lösungen von Thor-X
oder von Radiumsalzen; man erzielt damit eine räumlich ausgedehnte
aber verhältnismäßig kurz dauernde Wirkung, während man mit Hilfe von
Emulsionen von Radiumsalzen oder Aktinium zwar nur eine streng lokale,
aber dafür lang dauernde, intensive Wirkung bekommt. Die Lösungen
gehen zum großen Teil ziemlich rasch aus der Geschwulst in den Körper
über und werden durch Darm und Niere, die Emanationen auch durch
die Atmung und den Schweiß ausgeschieden. Die Emulsionen hingegen
bewirken in ihrer Nachbarschaft eine Nekrose, die sich mit Bindegewebe
abkapselt und in der die radioaktive Substanz viele Monate hindurch fast
unverändert liegen bleiben kann, ohne an Menge und an Strahlungsintensität
wesentlich abzunehmen. Ein gewisser Verlust wird nur im Anfang dadurch
herbeigeführt, daß die Leukozyten einen Teil der Substanz abtransportieren.
Von besonderem Werte ist die Kombination der Behandlung mit
radioaktiven Substanzen mit der Röntgenbestrahlung. Während letzterer
die Aufgabe zufällt, das erkrankte Organ in toto zu beeinflussen, haben
die ersteren hauptsächlich lokal den Erkrankungsherd von innen her oder
von der Oberfläche aus anzugreifen und die Röntgenwirkung zu verstärken.
Die intravenösen Injektionen macht man in der Absicht, eventuelle Meta-
stasen zu treffen und den Tumor von der Blutbahn her diffus zu radio-
aktivieren.
Behandlung der malignen Tumoren. 111
Die Erfolge dieser Behandlung sind zum Teile verblüffende. Manche
Lymphdrüsentumoren bilden sich in einigen Wochen überraschend zurück,
karzinomatöse Infiltrate schmelzen ein oder nekrotisieren und werden ab-
gestoßen. In vielen Fällen kommt es während der Resorption gleichzeitig
zur Überhäutung der bestehenden Ulzerationen (cf. Abb. 3 und 4.)
Allerdings ist der Grad des Erfolges bei den mannigfachen Arten von Ge-
schwülsten sehr verschieden. Während manche Tumoren nach mäßig
starken Applikationen in wenigen Wochen verschwinden, bedürfen andere
wieder lange fortgesetzter, intensiver Bestrahlung, um überhaupt zu deut-
Fig. 3. Fig. 4.
Gesichtsepitheliom vor der Gesichtsepitheliom 6 Wochen
Behandlung. nach Beendigung der Mesothor-
bestrahlung.
licher Reaktion gebracht zu werden. Man muß daher in jedem einzelnen
Falle individualisieren und von neuem probieren, umsomehr, als die histo-
logische Beschaffenheit der Geschwülste kein zuverlässiger Wegweiser für
die Beurteilung der Empfindlichkeit gegen die Bestrahlung ist. Ob die
momentan oft überraschenden Erfolge von Dauer sind, läßt sich derzeit
noch nicht entscheiden, da die Erfahrung mit den stärksten radioaktiven
Substanzen sich erst über einige Monate erstreckt Nach älteren Er-
fahrungen allerdings muß betont werden, daß selbst glänzende Moment-
erfolge, die scheinbar zur vollständigen Ausheilung führen, noch keines-
wegs den Dauererfolg verbürgen.
Neben der Radiotherapie ist es vor allem die Elektrotherapie, welche
gegenwärtig eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung der malignen Tumoren
spielt. Sie wird in dreifacher Form ausgeübt: Als Operation mit der
de Forestschen Nadel, als Thermopenetration oder als Fulguration. Die
112 Werner,
Operation mit der de Forestschen Nadel besteht darin, dal man mit
Hilfe eines hochfrequenten Wechselstromes, der 2 bis 3 Ampere stark.
aber höchstens etwa 400 Volt gespannt ist, einen Lichtbogen erzeugt, der
von der freien Spitze einer sonst isolierten Nadel oder Messerklinge aus-
gehend, das Gewebe mit wenig Schorfbildung rasch durchschneidet, so dal)
man, ohne den Körper zu berühren, gewissermaßen aus der Ferne operieren
kann. Es ist notwendig, für gute Ableitung vom Körper zu sorgen, um
an der Austrittsstelle des Stromes keine Verbrennung zu erhalten. Am
besten geschieht dies in der Weise, dad man den Körper des Patienten
auf eine große, der Körperform angepaßte, mit feuchtem Tuch überzogene
Kupferelektrode bettet, die mit dem elektrischen Apparate leitend ver-
bunden ist. Der Vorteil dieser Operationsmethode besteht darin, dab
man knapp am Erkrankungsherde operieren kann, ohne Ausstreuungen
befürchten zu müssen. Eine Fernwirkung auf zurückgelassene Reste des
Tumors findet nicht statt. Man kann auf diese Weise alle extraperitonealen,
extrathorakalen und extrakraniellen Operationen durchführen, soweit es
sich nicht um eine Durchtrennung von Knochen handelt, oder um das
Freipräparieren von Gefäßen und Nerven, die mit dem Tumor eng ver-
wachsen sind. In letzterem Falle ist. es, um Nebenverletzungen zu ver-
meiden, ratsamer, zum Messer zu greifen. Handelt es sich darum, einen
Einfluß auf zurückgelassene Keime zu gewinnen und deren Nachwachsen
zu verhindern, resp. sie zu zerstören, so muß man entweder zur Thermo-
penetration oder zur Fulguration greifen. Die Thermopenetration wird
mit Hilfe desselben Apparates ausgeführt, der die de Forestsche Nadel
speist, nur wählt man als Arbeitselektrode nicht ein spitzes Instrument.
sondern einen münzen- oder eichelförmigen Metallansatz. Die Wirkung
ist verschieden, je nachdem, ob man die Elektrode der Körperoberfläche
vollständig aufsetzt, oder eine kleine Distanz läßt, sodaß ein Funkenbüschel
entstehen kann. Im ersteren Falle gibt es eine allmähliche Erwärmung
des Körpers in der Nachbarschaft der Elektrode, die bis zur Verkochung
(les Gewebes gesteigert werden kann. Die Intensität der Hitzewirkung
ist bierbei um so größer, je kleiner die Elektrode gewählt wurde, während
(lie Tiefenwirkung mit der Größe der Elektrodenfläche steigt. Läßt man
einen kleinen Luftraum zwischen Elektrode und Körper. so wird die Ober-
tliche des letzteren verkohlt. Auf diese Weise ist es auch möglich, kleine
Blutungen zu stillen, insbesondere solche parenchymatöser Natur. Selbst-
verständlich ist auch die de Forestsche Nadel zu diesem Zwecke zu
verwenden.
Man kann der Thermopenctration zwei Aufgaben stellen. Die eine
besteht in der „Sterilisation* von Operationswunden nach radikalen Ein-
griffen oder nach solchen Operationen. bei denen nur wenig verdächtiges
Behandlung der malignen Tumoren, 113
Gewebe zurückgelassen wurde. In diesem Falle bemüht man sich, die
Temperatursteigerung nur soweit zu treiben, daß das normale Gewebe
nicht oder doch nur ganz oberflächlich zugrunde geht, während die kranken
Zellen, die inihm ein-
gebettet liegen, abster-
ben. Nach den Tier-
versuchensind nämlich
die Krebszellen gegen
bestimmte Hitzegrade,
de um 50—55 ° C
liegen, empfindlicher
als die normalen Kör-
perzellen. Darauf
basieren die Hoffnun-
gen, die sich an diese
Methode knüpfen. In Abb. 5.
praxi scheintes jedoch Mammakarzinom (mit Ubergreifen auf Rippen und
nicht möglich zu sein, Interkostalräume.
eine derartige elektive
Zerstörung in den tieferen Schichten zu erzielen, da sonst an der Ober-
fläche die Temperatur zu hoch bemessen werden muß. Für alle Fälle
sind die Wunden, welche auf diese Weise thermopenetriert wurden, wenn
sie sich überhaupt zur
direkten Vernähung eig-
nen, breit zu drainieren,
da spätere Abstoßungen
des oberflächlichen Ge-
webes und reichliche
Sekretion zu erwarten
sind. Besondersempfind-
lich ist das Periost und
das Perichondrium, so
dal) sekundäre Knochen-
und Knorpelabstoßun-
u gen nicht selten vorkom-
Narbe nach Forest-Operation, Thermopenetration, men (vgl. Abbildung 5,
später Röntgenbestrahlung, Rippenresektion und 6, 7, 8).
Transplantation.
Die zweite Aufgabe
der Thermopenetration besteht darin. bösartige Neubildungen gewaltsam
zu zerstören. Man kann dies in der Weise machen, dat) man die Tumoren
energisch durchhitzt, sodaß tiefe Schorfe entstehen, die an der Oberfläche
8
114
vollständig verkocht oder gar verkohlt sind. - Die Abstoßung dieser Schorfe
Werner,
kann man entweder der natürlichen Demarkation überlassen oder die Ent-
Abb. 7.
Epitheliom der Schläfen- und Parotisgegend.
folgen, die, wenn der Tumor
großen Gefäßen aufsab,
unter Umständen gefähr-
lich werden können. Bei
kleinen Tumoren aber, die
nicht in der Nähe großer
Gefäße sitzen, ist die
Methode sehr gut brauch-
bar, meist in Lokal-
anästhesie auszuführen und
gibt oft raschere Resultate
als dieStrahlenbehandlung.
Eine spezielle Form der
Verwendung der Thermo-
penetration ist die Durch-.
wärmung von Tumoren zur
Sensibilisierung für die
Röntgenbestrahlung. Man
nimmt zu diesem Zwecke
fernung sofort mit dem
scharfen Löffel vorneh-
men. In der Regel ist
letzteres leicht und un-
blutig durchzuführen.
Die 'Thermopenetration
wird dann abwechselnd
mit der Exkochleation so
oft wiederholt, bis das
ganze Geschwulstgewebe
entfernt ist oder bis
sroße Gefäße oder
| lebenswichtige Organe
=| Halt gebieten. Das Ver-
| fahren der spontanen
Demarkation ist inso-
fern etwas gefährlich,
als bei der Abstoßung
leicht Nachblutungen er-
Dy
P a 2%
Pi
iR -
>» gys
N
Cå
-r
>.
N
<
"o E Y
r Ż
+
A E
l
ON
CORT” a oN
mr.
PAo
Abb. 8.
Narbe nach Forest-Operation,Thermopenetration, se-
kundärer Röntgenbehandlung und Transplantation.
größere Elektroden (bis zum Umfange einer Handfläche) und erzeugt mit
Hilfe derselben allmählich auch in großer Tiefe eine mäßige Wärme-
_
Behandlung der malignen Tumoren. 115
steigerung, lie von einer beträchtlichen Hyperämie begleitet ist. - Besondere
Erfolge sind aber auch mit dieser Methode nicht zu erzielen.
Wo die Thermopenetration aus anatomischen Gründen (in der Nähe
großser Gefäße und Nerven usw.) zu gefährlich erscheint, tritt die Ful-
guration in ihre Rechte. Diese besteht darin, dal man einen hochgespannten
und hochfrequenten Strom in Form von 10—15 cm langen Funkenbüscheln
auf das Gewebe einfallen läßt. Ä
Dies bewirkt kleinezirkumskripte
Verbrennungen mit primärer
Anämie und sekundärer Hyper-
ämie. Die protoplasmareichen
Zellen werden vakuolisiert und
entschieden mehr geschädigt als
die protoplasmaarmen. Vor allem
aber wird das Bindegewebe zu
lebhafter Wucherung angeregt,
ferner ein mächtiger Strom von
Leukozyten angelockt, der sich
aus den fulgurierten Wunden in
Form einer reichlichen Sekre-
tion ergießt. Diese Faktoren sollen nun alle zusammenwirken und
nach de Keating Hart Geschwulstreste vernichten, ferner die Umgebung
zum Widerstande anstacheln und
überdies manche zurückgebliebenen
Tumorzellen mit Hilfe des Sekret-
stromes ausschwemmen. Zweifels-
ohne ist jedoch das Verfahren
nicht hinreichend, um beträcht-
lichere Reste des malignen Ge-
webes zu zerstören. Es gibt nur
ganz vereinzelte glückliche Fälle,
in denen dies wirklich gelang.
Abb. 9.
Analkarzinom vor der Behandlung.
Abb. 10. Einige derselben seien kurz an-
Zustand 3'!/, Jahre nach Amputatio recti geführt.
und Fulguration. Krankengeschichte: 1. Adam S.,
60 Jahre, Sattler.
Faustgroßer, fast in ganzer Ausdehnung ulzerierter Tumor an der rechten
Seite der Analöffnung mit starker Verengerung der Ampulla recti und diffuser
Infiltration der Gesäßmuskulatur (vgl. Abb, 9).
Diagnose: Carninoma recti,
Mikroskopische Diagnose: Zylinderzellenkarzinom. 13. VIII.08 Kolostomie.
4. IX. 08 (Exzell. Czerny) Radikaloperation nach Hochenegg-Kraske. Wegen
großer Ausdehnung des Tumors nur knappe Exstirpation möglich. 15 Min
g*
116 Werner,
Fulguration. 23. IX. 08 nochmals 10 Min. 24. II. 09 Verschluß der Kolostomie.
Frühjahr 1912 vollkommen rezidivfrei (vgl. Abb. 10).
2. Jakob H., 60 Jahre, Schneider.
Am rechten Stimmband ulzerierter Polyp, am linken Stimmband Abklatsch-
geschwür, haselnußgroße linksseitige Karotisdrüse.
Diagnose: Stimmbandpolyp mit Verdacht auf Karzinom.
Am 7. V.08 Tracheotomie. Mediane Laryngofissur. Sparsame Exstirpation
der erkrankten Stimmbandpartien. 3 Min. Fulguration.
Mikroskopische Diagnose: Epithelialkarzinom. Glatter Verlauf. Die Drüse
bildet sich allmählich zurück. April 1912 gesund.
3. Johann D., 47 Jahre, Arbeiter.
Ausgedehnter Gesichtslupus mit Übergreifen auf den Gaumen. Eigroßer
Tumor an letzterem, der die Oberlippe infiltriert.
Abb. 11. Abb. 12.
Lupuskarzinom der Ober- Lupuskarzinom der Öberlippe
lippe und des (raumens. und des Gaumens.
Diagnose: Lupuskarzinom des Gaumens und der Oberlippe (Abbildung 11 u. 12).
Am 24. IX. 07 Exstirpation mit Lippenplastik. Zwei Röntgenbestrahlungen (5 H).
Am 21. XI. 07 15 Min., 28. I. 08 20 Min., 12. II. 08 10 Min. und am 10. III. 08
3 Min. Fulguration (das letzte Mal nach Exkochleation eines Rezidivs), ebenso
am 20. VI. 08.
Ende 1911 vollkommen rezidivfrei (Abbildung 13.)
Das Haupterfordernis für den Erfolg der Fulguration ist eine mög-
lichst radikale Operation und wenn de Keating Hart meint, es genüge
eine „schlechte Chirurgie‘ zu machen und zu fulgurieren, um Krebskranke
zu heilen, so ist dies ein Irrtum.
Die fulgurierten Wunden müssen wegen ihrer außerordentlich starken
Sekretion breit drainiert werden, können aber, wenn dies wünschenswert
erscheint, durch lockere Nähte auch primär geschlossen werden. Häufig
Behandlung der malignen Tumoren, 117
heilen sie dann glatt zusammen. Es empfiehlt sich jedoch in der Regel,
sie offen zu lassen, um die Fulguration mit der Rdiaotherapie zu kombinieren.
Während beim Vorhandensein von größeren Tumorresten ein Heil-
erfolg durch die Fulguration kaum zu erzielen ist, leistet dieselbe in anderer
Hinsicht selbst bei den größten inoperablen Tumoren wertvolle Dienste,
wenn es sich darum handelt, ulzerierte Flächen zur Überhäutung zu bringen.
Hier ist die Methode allen übrigen bekannten Verfahren entschieden über-
legen. Es ist geradezu erstaunlich, wie schnell sich selbst stark verjauchte,
übelriechende Geschwürsflächen reinigen, wie kräftig die Granulationen auf-
sprießen und wie schnell das Epithel über sie
hinüberwächst. Schon um dieses Vorteiles
wegen sollte die Fulguration nicht vollkommen
aus dem Arsenale der Krebstherapie ver-
schwinden.
Die Radio- und Elektrotherapie stellen
momentan für die Praxis der Krebsbehandlung
wohl die beiden wichtigsten und am häufigsten
gebrauchten Verfahren dar. Allein wir müssen
noch einer Anzahl anderer Methoden geden-
ken, die zwar erst in Entwicklung begriffen
sind, aber doch wegen ihrer Bedeutung für
die Zukunft nicht übergangen werden können.
Sie sollen hier nur insoweit Erwähnung finden,
als dies nötig ist, um ihre Rolle mit jener
der Radiotherapie vergleichen zu können.
In erster Linie wäre die Immunotherapie
zu nennen, die anfangs die größten Hoffnungen
erweckte. Die Versuche der Behandlung der
Krebse durch immunisierende Verfahrensind bekanntlich schon älteren Datums.
Die passive Immunität hat aber vollkommen versagt, nur die aktive wird
gegenwärtig noch geprüft. Am rationellsten erscheint es, das bei der
Operation gewonnene Tumormaterial, wenn es nicht nachweisbar infiziert
ist, in Form einer konzentrierten Emulsion subkutan zu injizieren. Nennens-
werte Erfolge sind aber auch mit dieser Methode nicht erzielt worden.
Etwas günstiger liegen die Verhältnisse bei der Chemotherapie, die aber
ebenfalls trotz aller Bemühungen bisher zu keinem wesentlichen praktischen
Resultate gelangt ist. Nur die neueren Arsenpräparate (Atoxyl und Sal-
varsan) haben bei einigen Sarkomen wirklich bedeutenden Nutzen ge-
schaffen: bei Karzinomen versagen auch sie. Das Salvarsan speziell kann
in zweifacher Weise angewendet werden, entweder intravenös oder intra-
tumoral. Das erstere Verfahren ist erheblich angenehmer, da es schmerz-
Abb. 13.
Zustand 3!/, Jahre nach Ex-
BD, Röntgenbestrah-
ung und Fulguration,
118 s Werner,
los ist und höchstens zu vorübergehenden Fieber- und Schwächezuständen
Veranlassung gibt, die jedoch bei näherer Einhaltung der bekannten Kontra-
indikationen nie bedenklich werden. Man gibt bei Erwachsenen 0,4—0,5 g
pro dosi 2—3mal in zweiwöchentlichen Pausen, bei Kindern entsprechend
weniger. Der Effekt ist in manchen Fällen von Rund- und Spindelzellen-
sarkomen (weniger von Lymphosarkomen) ein eklatanter. Der Ausfall der
Wassermannschen Reaktion ist kein sicherer Anhaltspunkt für die zu
erwartende Wirkung. Die intratumorale Injektion geschieht mit der ältesten
von Ehrlich angegebenen, sehr schmerzhaften und stark nekrotisierenden
Emulsion. Die Aufschwemmung in Sesamöl ist weniger schmerzhaft, aber
auch weniger wirksam. Während nach intravenösen Injektionen die Ge-
schwülste einfach einschmelzen, kommt es nach intratumoralen zur Se-
questrierung ausgedehnter Tumorpartien, die dann schließlich oft instrumentell
entfernt werden müssen. Im allgemeinen dürfte sich daher die intravenöse
Injektion als Hilfsmittel der Sarkomtherapie mehr empfehlen, insbesondere
in Kombination mit der Radiotherapie. Außer den Arsenpräparaten wurden
auch Cholinlösungen chemotherapeutisch erprobt, doch läßt sich vorläufig
nur soviel sagen, dal ihr Einfluß dem einer intensiven Behandlung mit
radioaktiven Substanzen oder Röntgenstrahlen gleichkommt und geeignet
ist, diese zu unterstützen, eventuell zu ersetzen.
Auch die Toxinbehandlung spielt bisher keine größere Rolle. Die älteste
Form derselben ist die von Coley angegebene, die bekanntlich den heilen-
den Einfluß der Erysipeltoxine auf das Karzinom zu imitieren versucht.
Es hat sich jedoch herausgestellt, daß nur Sarkome und auch von diesen
nur die labilsten Formen, speziell auch jene, die auf Röntgenstrahlen gut
reagieren, durch Coleytoxine günstig beeinflußt, eventuell sogar geheilt werden
können. Bei kachektischen oder herzkranken Patienten ist jedoch wegen
der Fieberreaktion Vorsicht geboten. Von den übrigen Toxinen wurde in
letzter Zeit insbesondere das von Schmidt angegebene Antimeristem ge-
prüft, und es zeigte sich, daß demselben wohl keine spezifische Wirkung
auf das Karzinom zukommt, daß es aber immerhin einen gewissen Einflub
auf die perikarzinomatöse Entzündung besitzt, sodaß tatsächlich einzelne
Tumoren beweglicher event. auch kleiner werden können, und eine ge-
wisse subjektive und objektive Besserung erzielt wird, die freilich nicht
auf einer Zerstörung des Krebsgewebes, sondern auf einer Verminderung
der entzündlichen Reaktion in der Nachbarschaft beruht. Ernsthafte Heil-
erfolge wurden nicht beobachtet.
Die Hoffnung, durch Injektionen von Fermenten. welche Tumorzellen
mehr angreifen sollen als das normale Gewebe, die bösartigen Neubildungen
zu beeinflussen, haben sich bisher in bescheidenem Umfange erfüllt. Die
trvptischen Fermente sind z. B. allerdings imstande, lokale Erweichungen
Behandlung der malignen Tumoren. 119
von Tumorknoten herbeizuführen, aber eine vollständige elektive Zerstörung
derselben ist niemals gelungen. Noch weniger war mit Hilfe von Injek-
tionen am Orte der Wahl, die durch Fernwirkung auf dem Lymph- oder
Blutwege wirken sollten, irgendein nennenswerter Vorteil zu erreichen.
Die Rolle der Radiotherapie bei der Behandlung des Krebses erhellt
am besten aus folgenden Indikationen für die verschiedenen Methoden, die
auf Grund einer Erfahrung an ca. 2500 klinisch und über 1000 ambula-
torisch behandelten Fällen gewonnen wurden:
1. Operable Tumoren sind radikal zu exstirpieren, wenn nicht eine
direkte Kontraindikation gegen den chirurgischen Eingriff besteht (z. B.
schwere Herz- und Gefäßerkrankung, Diabetes, Nephritis usw.) oder eine
spezielle Indikation für einen Versuch mit den radio- und chemotherapeuti-
schen Methoden vorhanden ist.
2. Ein solcher Versuch ist statthaft bei oberflächlich gelegenen Sar-
komen oder Karzinomen. bei denen eine Verzögerung der Exstirpation um
einige Wochen nicht die Operabilität bedroht. Am empfehlenswertesten ist
bei Sarkomen eine Kombination lokaler Radiotherapie (Bestrahlung mit
dem Röntgenapparate und mit radium- oder mesothorhaltigen Bestrahlungs-
körpern unter gleichzeitiger intratumoraler Injektion von Thor-X-Lösung,
Radiumemulsion oder Cholinlösung resp. einer anderen sensibilisierenden Sub-
stanz) mit intravenöser|Injektion von Salvarsan oder Thor-X-Lösung. Eventuell
ist statt der beiden letzteren Mittel eine Behandlung mit Üvleytoxin
einzuleiten.
Wenn der Tumor jedoch nicht prompt reagiert oder sogar Tendenz
zum Weiterschreiten zeigt, ist die Operation vorzunehmen. Bei Karzinomen
ist auf eine Unterstützung durch Salvarsan oder Coleytoxin nicht zu rechnen,
man muß sich daher auf die Radiotherapie beschränken.
3. Das gleiche gilt von jenen Füllen, die durch sonstige Erkrankungen
ınoperabel sind, nur ist bei schweren Herz-. Gefäß- oder Nierenerkrankungen
Salvarsan und Coleytoxin kontraindiziert.
4. Bei Tumoren, die an der Grenze der Operabilität stehen, ist eventuell
durch die angeführten Methoden eine Verkleinerung des Erkrankungsherdes
anzustreben, ehe zum Eingriffe geschritten wird; bei intraperitonealen Neo-
plaısmen wäre unter Umständen eine operative Vorlagerung vorauszuschicken
und die Exstirpation nach der Vorbehandlung durchzuführen. Bei nicht
intraperitonealen, thorakalen und kraniellen Geschwülsten ist die Operation
mit der de Forestschen Nadel jener mit dem Messer vorzuziehen, wenn
die Exstirpation nur knapp im Gesunden erfolgen kann.
5. Als Nachbehandlung nach zuverlässigen Radikaloperationen, bei
denen eine prima intentio erwünscht ist, erscheint eine diakutane Röntgen-
bestrahlung als hinreichend. Bestehen aber Zweifel, ob die Exstirpation
120 Werner, Behandlung der malignen Tumoren.
genügend breit im Gesunden erfolgte, dann ist eine Thermopenetration des
Wundbettes empfehlenswert. Wo große Gefäße freiliegen oder eine längere
Verzögerung der Wundheilung durch den kaustischen Schorf unerwünscht
ist, tritt an die Stelle der Diathermie besser die Fulguration. Bei ganz
oder teilweise offener Wundbehandlung ist neben der äußeren Radiotherapie
auch eine innere durch Einführung von radioaktiven Substanzen von Vorteil.
6. Bei inoperablen Tumoren kommen außer den bei operablen Neo-
plasmen anwendbaren nichtchirurgischen Methoden noch die operative Frei-
legung (eventuell Vorlagerung) für die direkte Radiotherapie, ferner Thermo-
penetration, Exkochleation und nachfolgende intratumorale Bestrahlung mit
Mesothortuben, endlich die Fulguration zur Heilung der Ulzerationen in
Betracht. Die Indikation zu den einzelnen Verfahren ergibt sich aus den
anatomischen Verhältnissen.
7. Alle sonstigen Mittel und Methoden der Krebstherapie, die geprüft
wurden, erwiesen sich als weniger zweckmäßig als die angeführten.
Röntgentiefentherapie mit Metallnetzschutz.
III. Mitteilung. (Praktische Erfolge.)
Von
Dr. A. Köhler-Wiesbaden.
Boe die bisher erzielten praktischen Ergebnisse dieser vom Verfasser an-
gegebenen Methode der Massendosierung angeführt werden, sei zuerst
von den Forderungen, die an eine rationelle Tiefentherapie zu stellen sind,
gesprochen, ferner von den wichtigsten Faktoren, die bei der Methode in
Betracht kommen und von dem weiteren Ausbau der Methode seit der
ersten Mitteilung.
Jedem mit den einfachsten Elementarkenntnissen der Röntgentherapie
auch nur einigermaßen vertrauten Anfänger dürfte die Tatsache geläufig
sein, daß beil der Bestrahlung irgendeiner Körperstelle der größte Prozent-
satz der wirksamen Strahlen in den oberflächlichen Schichten zur Ab-
sorption kommt und daß in einer Tiefe von einigen Zentimetern nur einige
wenige Prozente der Strahlung zur therapeutischen Wirkung gelangen.
Bekannt und zweifelsfrei bewiesen ist ferner, daß eine geringe Dosis über-
haupt keine nachweisbare physiologische Wirkung entfaltet, sodann daß eine
mittlere Dosis auf wachsende Gewebe überhaupt, also auch auf Geschwülste,
sogar wachstumfördernd, wachstumanregend wirkt, und drittens, daß nur
hohe Dosen im Stande sind, Geschwülste resp. pathologische Produkte über-
haupt deletär und heilend zu beeinflussen. Daraus folgt: Soll in der
Tiefe von einigen Zentimetern eine deletäre Dosis zur Absorption kommen,
so muß die Dosis an der Eingangspforte (der Haut- oder Scheimhaut)
ein Mehrfaches dieser Dosis sein. Nun bedarf es etwa des Vierfachen
einer Erythemdosis, um Haut und Unterhautzellgewebe zur Nekrose zu
bringen, eine unheilbare Verbrennung anzurichten. Um also in die Tiefe
von mehreren Zentimetern eine gewebschädigende Dosis zu verabfolgen,
müßte die Haut zur völligen Nekrose gebracht werden.
An eine Tiefentherapie, die rationell sein soll, wäre also die Anfor-
derung zu stellen, dal sie einen Tumor zerstörend beeinflußt, ohne eine
unheilbare Nekrose der darüberliegenden gesunden Haut zu setzen.
Um bei relativer Schonung der Haut mehr Strahlen in die Tiefe zu
bringen als das zunächst unmittelbar möglich war, wandte und wendet man
noch heutzutage die Filter an, Leder oder dünne Metallplatten. Ausgehend
von der Theorie, daß die Strahlung einer Röntgenröhre immer ein Ge-
misch aus Strahlen verschiedener Penetrationskraft sei, kalkulierte man so:
Die Strahlen, die die Haut schädigen, werden durch das Leder, das ja
auch tierische Haut ist, aufgehalten. Die durchdringenderen Strahlen, die
122 Köhler,
unter der Haut in der Tiefe wirken sollen, werden von Lederfilter und
Haut unbehindert durchgelassen. Wer nun meint, die Haut könne bei
Auflegen eines Filters überhaupt keine Verbrennung erleiden, der ist stark `
im Irrtum. Verfasser, der seinerzeit bei Beginn der Filtertherapie dieser
Auffassung huldigte, hätte daraufhin beinahe eine enorme Verbrennung
angerichtet. Die unter einem Filter geschützte Haut ist demnach absolut
nicht gegen Verbrennungen gefeit. Immerhin schien theoretisch mit diesen
Filtern ein Fortschritt gemacht zu sein und für Tiefenbestrahlungen sehr
radiosensibler Gewebe (wie Lymphdrüsengewebe, Milz, Knochenmark,
Ovarien) dürfte auch praktisch ein Fortschritt getan sein, aber für maligne
Tumoren dürfte das Wenige, wodurch sie günstigere Verhältnisse bei der
Tiefentherapie schaffen, noch lange nicht zu erfolgreicher Beeinflussung
ausreichen. Ein anderer Weg, mehr Strahlen in die Tiefe zu bringen bei
relativer Schonung der Haut, bestand in Vergrößerung der Fokusdistanz,
der Entfernung des Röhrenfokus von der Haut. Theoretisch könnte diese
Methode sehr imponieren (denn: je größer die Distanz, desto geringer der
Unterschied der z. B. bei 1cm und 10cm Tiefe absorbierten Strahlen-
mengen usw.), praktisch ist sie rund zehnmal unrationeller als Bestrahlung
bei kleiner Fokusdistanz, da ein wichtiger Faktor dabei in Rechnung zu
ziehen ist, nämlich die Zeit. Eine z. B. sechsmal größere Fokusdistanz
erfordert natürlich eine 36 mal längere Zeit der Bestrahlung und man gelangt
demnach zu undurchführbaren Sitzungen, undurchführbar wegen der kost-
baren Zeit des Arztes, wegen der unerträglichen Unbequemlichkeit für den
Patienten, wegen des selbst für größte Institute unerschwinglichen Röhren-
konsums. Das müßte alles trotzdem mit in Kauf genommen werden,
wenn wirklich ein Erfolg wahrscheinlich wäre, da salus aegroti summa lex.
Das ist nicht der Fall: wenn überhaupt bei Meterdistanz eine Wirkung
erreicht wird, so kann sie bei malignen Tumoren eine nur für den
Patienten maligne, nicht für den Tumor maligne sein, da die
selbst bei drei bis vier Stunden ununterbrochener Belichtung in der Tiefe von
einigen Zentimetern zur Absorption kommende Strahlung nur anregend,
tumorwachstumsfördernd, nie zerstörend wirken kann. Wenn dieser Satz falsch
ist, dann sind sämtliche wertvolle Arbeiten der Weltliteratur über die
physiologischen und biologischen Wirkungen der Röntgenstrahlen falsch.
Ein weiteres Mittel, möglichst viel Strahlen in der Tiefe zur Wirkung
zu bringen bei größter Schonung der Haut, besteht darin, daß man, wo
es angängig ist, von mehreren Seiten her bestrahlt, gleichzeitig oder besser
nacheinander. So kann man ein Sarkom des Femur oberhalb des Knics
von vier Seiten bestrahlen, einen Tumor der Hypophyse von mehr als
einem Dutzend Stellen aus.
Ein guter Schritt vorwärts wurde gemacht, als man herausfand
(G.Schwarz), daß durch Kompression anämisierte Haut bedeutend weniger
Röntgentiefentherapie. 123
empfindlich gegen Röntgenstrahlen ist als normale Haut. Man komprimiert
demgemäß während der Bestrahlung mit einem durchlässigen Stück Holz
oder einem aufgeblasenen Gummiballon oder man anämisiert die Haut
mit Adrenalin usw.
Mit allen diesen Methoden nun lassen sich, wie wir gesehen haben,
mehr oder weniger große Mengen Röntgenstrahlen in der Tiefe von
mehreren Zentimetern zur Absorption bringen, und doch ist es, selbst bei
Kombination zweier oder dreier dieser Methoden, immer noch recht herz-
lich wenig, man kann sagen, mindestens zehnmal weniger als man gern
in die Tiefe verabfolgen möchte. Immer und immer wieder ist es die
Rücksicht auf die Haut, die uns nicht weiter vorwärts kommen läßt. Da-
her auch der Vorschlag von Czerny und Werner, den inoperablen Tumor
in die Hautwunde einzunähen und den so bloßliegenden vermittelst Röntgen-
therapie zum Zerfall zu bringen.
Ohne operativen Eingriff kann nur ein nach einer ganz anderen
Richtung führender Weg noch wesentlichen Wandel schaffen und vielleicht
ist dazu die Metallnetzschutzmethode berufen, deren Praxis allerdings noch
der weiteren Erfahrung bedarf:
Diese Metallnetzschutzmethode der Tiefenbestrahlung ist vom Verfasser
nicht auf der Suche nach einer besseren Tiefentherapiemethode gefunden
worden, sondern ihr Prinzip drängte sich geradezu auf bei Experimenten,
die Verfasser monatelang zwecks Verbesserung der Blendentechnik vor-
nahm, die allerdings für letzteres Ziel erfolglos verliefen und daher auch
niemals publiziert worden sind.
Das Prinzip ist folgendes: Wenn man ein Metalldrahtnetz mit Maschen
von 1—2 mm auf eine photographische Platte legt und einer Röntgenröhre
exponiert, so bekommt man bekanntlich ein sehr scharfes Bild des Netzes.
Wenn man dasselbe Netz in ca. 20 cm Entfernung (und parallel) der
photographischen Platte anbringt und mit einer gewöhnlichen Röntgenröhre in
nächster Nähe über dem Netz belichtet, so erhält man auf der photographischen
Platte nur noch einen sehr unscharfen Schatten des Netzes, bei manchen
Röhren bekommt man bei dieser Entfernung überhaupt keinen Schatten des
Netzes mehr auf die Platte, sondern letztere ist ganz gleichmäßig geschwärzt.
Der Grund für diese Erscheinung ist bekannt: Aus der Physik der
Röntgenstrahlen wissen wir, daß hier weder Brechung noch Beugung der
Strahlen in Betracht kommen können, sondern daß an dieser Erscheinung
lediglich der Brennfleck der Röntgenröhren schuld ist. Die Stelle der
Antikathode, auf welcher die konvergierenden Katlıodenstrahlen sich treffen,
ist bekanntlich bei den gewöhnlichen Röntgenröhren kein kleinster Punkt,
sondern ein mehr oder weniger großer Kreis, der im Mittel 1-5 mm
Durchmesser zu haben pflegt. Nehmen wir nun einen immer gleichen Ab-
stand der Röhre von dem Metallnetz an, so wird die gleichmäßige
124 Köhler,
Schwärzung der Platte resp. das vollständige Verschwinden des Netz-
schattens in umso kleinerer Entfernung des Netzes von der photographischen
Platte erreicht, je größer der Brennfleck auf die Antikathode ist.
Übertragen wir diese Tatsache auf die Verhältnisse bei der Therapie, so
ergeben sich nachstehende Folgerungen: Die für die Röntgenographie er-
forderliche möglichste Kleinheit des Brennpunktes ist bekanntlich für die
Therapie überhaupt ohne jeden Wert. Nehmen wir deshalb einmal eine
Röhre an, die einen Brennfleck von erheblicher Größe, also etwa 1—2 cm
Durchmesser hat. Nehmen wir ferner ein Metallnetz, etwa aus 1 mm
dicken Metallfäden mit 2 mm breiten Maschen und legen dies direkt auf
die Haut oder auf ein dünnes Lederfilter, das direkt der Haut anliegt,
und stellen wir nun unsere Röhre (mit größtem Brennfleck) in einer
Entfernung von einigen Zentimetern über dem Drahtnetz auf. Wenn wir
jetzt bestrahlen, so werden wir in einer gewissen Tiefe unter der Haut
eine vollständig gleichmäßige Strahlung haben, so gleichmäßig, als ob gar
kein Metallnetz zwischen Röhre und tiefliegendem Gewebe vorhanden wäre.
Das Metallnetz auf der Haut erlaubt uns aber, eine im Vergleich zu der
bisherigen ungeheuer hohe Dosis Röntgenstrahlen zu verabreichen, ohne ein
ausgedehntes, unheilbares Röntgenulkus anzurichten. Denn während jede
Zelle des in der Tiefe von mehreren Zentimetern zu bestrahlenden Ge-
webes (Tumors) gleichmäßige Bestrahlung erhält, wird die Haut von den
Röntgenstrahlen nur in den Maschen des Netzes getroffen, während die
Zellen direkt unter den Metallfäden des Netzes intakt bleiben. Durch die
Maschen des Metallnetzes hindurch nun wird die Haut bei mehrfacher
Überdosierung allerdings verbrannt, nekrotisch, aber sie wird in wenigen
Wochen wieder heilen, da jeder nekrotische Punkt von einem geschlossenen
Wall gesunder Zellen und Gefäßabschnitte umgeben ist. Jedenfalls steht
die geringe Schädigung der punktförmigen Nekrosen bei der Netztherapie
in keinem Verhältnis zu der ungeheuren Schädigung durch ein großes
ausgedehntes Ulkus, wie es bei Überdosierung ohne Metallnetzschutz ent-
stehen würde.
Für die praktische Ausführung der Methode nun hat sich folgendes
empfohlen: Es ist nicht nötig, ja kaum durchführbar, daß die dabei zu
gebrauchenden Röhren einen groljen Brennfleck haben. Man müßte nämlich,
da man eine Röntgenröhre bei 2 bis 4 Milliampere-Belastung kaum länger
als 5 bis 8 Minuten einschalten kann, etwa ein halbes Dutzend solcher
Röhren mit großem Brennfleck haben. Das kann man aber selbst bei
den größten Instituten nicht verlangen. Deshalb muß die praktische Aus-
führung der Methode anders geschehen und da gibt es eine verblüffende
Vereinfachung. Man nimmt eine gewöhnliche Röntgenröhre, wie man sie
zum Photographieren benutzt, schaltet sie solange ein, bis sie anfängt weich
zu werden, «dann betreibt man in gleicher Weise eine andere gewöhnliche
Röntgentiefentherapie. 125
Röhre, dann so hintereinander eine dritte, vierte, fünfte, sechste, soviel man
gerade Röhren besitzt. Jedesmal stellt man die nächste Röhre ein paar Milli-
meter anders als die vorhergehende eingespannt war. Wenn dann die vier
bis sechs gewöhnlichen Röhren jede mit um einige Millimeter veränderter
Fokusstellung betrieben worden sind, so ist die Verteilung der applizierten
Strahlenmenge in der Tiefe des Gewebes genau dieselbe, wie wenn man
eine Röhre mit recht großem Fokus gebraucht hätte. Selbst bei einem
Blendenkasten (mit drei Blöcken nach Gocht), bei dem sich eine Röhre
nur zentriert (praktisch zentriert!) einstellen läßt, ist doch der Effekt
nach Gebrauch vieler Röhren annähernd derselbe, da der Brennpunkt
einer Röhre fast nie mathematisch im Zentrum der Röhrenkugel steht,
wie man von Jedem Fabrikanten erfahren kann.
Auf diese Weise ist eine ungemeine Vereinfachung der Anwendung
der Methode eingetreten.
Ferner sind die Metalldrahtnetze aus Eisendraht, also fast unbiegsaın,
hergestellt worden, damit mit ihnen die Haut zwecks Blutleere komprimiert
werden kann.!) Sie werden am besten mit Blendenzylinder oder Blei-
slastubus, je nach Größe des zu bestrahlenden Tumors, der Haut fest
angedrückt, denn sie dürfen natürlich während der Bestrahlung auf keinen
Fall gleiten. Am Rande kann man sie außerdem mit Pflaster fixieren.
Ein ganz dünnes Filter aus Leder oder auch nur Seidenpapier em-
ptiehlt sich darunter zu legen, damit dieses die bei hoher Dosis in größerer
Menge entstehenden Sekundärstrahlen der Metallfäden des Netzes absorbiert
und die Haut direkt unter den Fäden auf diese Weise unter allen Um-
ständen absolut intakt bleibt.
Es ist einmal die Befürchtung geäußert worden, die gesetzten punkt-
förmigen Nekrosen könnten eventuell bei der Abstoßung einer eitrigen In-
fektion anheimfallen und dann würden jedenfalls auch die gesunden Wälle
um die Nekrosen herum eitriger Zerstörung verfallen, so daß schließlich infolge
Konfluierens der einzelnen Nekrosen ein einziges großes Ulkus entstände.
Ich weiß nicht, ob diese Gefahr wirklich so nahe liegt, aber nachdem
dieses Moment als möglich hingestellt worden ist, sorge ich durch aseptische
Reinhaltung der bestrahlten Stelle, so gut es geht, dafür, daß diese Kom-
plikation nicht eintritt. Sollte sie einmal sich ereignen, so wäre das noch
kein Grund, sich von dem Verfahren abzuwenden: nur wenn diese Kom-
plikation Regel werden sollte, wofür allerdings theoretisch gar keine Wahr-
scheinlichkeit vorliegt, dann würde ich selber empfehlen, die Methode so-
fort zu verlassen, vorausgesetzt, daß es kein Mittel zur sicheren Verhütung
dieser Komplikationen gäbe.
1) Zu beziehen sind die Metalldrahtnetze durch Reiniger, Gebbert & Schall,
Erlangen, am besten in Stücken von !/ qm, sie lassen sich gerade noch mit Gips-
schere schneiden, doch empfiehlt es sich, eine geeignete Schere mitzubestellen.
126 Köhler,
Der Einwand, man könne bei dieser Methode ja nur einmal bestrahlen
und nicht wiederholt, ist eigentlich unangebracht. Wenn man erstens im
Stande ist, die gegen früher 10- bis 15fache Menge von Strahlen auf diese
Weise einzuverleiben, so hat man doch damit viel, viel mehr getan als
bisher etwa durch fraktionierte Dosierung erreicht werden konnte. Zweitens
wird es viele Körperpartien geben (z. B. Mamma, Extremitätenknochen,
Inneres der Lungen usw.), die man von 3 oder 4 Richtungen bestrahlen
kann. Eine schon einmal durch die Methode strapazierte Hautstelle wird
man natürlich nicht noch einmal in dieser Weise bestrahlen können, aber
wenn man mit Verfassers Methode z. B. bei einem Femursarkom von
vier verschiedenen Seiten eine so enorme Dosis verabfolgt hat, dann mub
man doch damit zunächst wirklich zufrieden sein.
Man mul3 auch daran denken, was aus den gesunden Gewebsteilen
wird, die über dem bestrahlten Tumor liegen; sie absorbieren ja eine noch
größere Dosis Strahlen als der Tumor unter ihnen. Hier kommt uns nun
in den meisten Fällen die bekannte elektive Wirkung der Röntgenstrahlen
auf epitheliale Gebilde und die geringe Radiosensibilität der Muskeln und
des Fettgewebes sehr zustatten, man kann direkt sagen, ohne diesen
Faktor wäre die Methode meist aussichtslos. Bedenken habe ich noch be-
züglich der Gefäß- und Darmepithelien, die durch Absorption hoher Dosen
vielleicht stark leiden könnten; wie es sich damit verhält, muß die all-
mähliche Erfahrung lehren.
Es können hier nicht alle Punkte angegeben werden, die seit Schaffung
der Methode in Erwägung gekommen sind. Wer sich für weitere Einzel-
heiten theoretischer Natur interessiert, lese die beiden ersten Mitteilungen +).
Eine Verabfolgung von 10 Erythemdosen dauert im Durchschnitt
8$/, bis 1!/, Stunde.
Die praktische Ausführung einer Massendosierung mit Metallnetzschutz
gestaltet sich folgendermaßen, wobei vorausbemerkt werden muß, daß man
sie nicht mitten in der Sprechstunde machen kann, sondern eine Stunde
bis anderthalb Stunden dazu braucht und Vorbereitungen treffen muß, wie
zu einer Operation: Ehe der Patient ins Zimmer kommt, lege man sich
3 bis 6 der besten Röhren in hartem bis höchstens mittlerem Härtegrad
zurecht und spanne die beste ins Röhrenstativ ein. Dann wähle man den
Bleiglastubus oder Blendentubus aus, der einen Durchmesser von der Größe
des Durchmessers des Tumors hat. Je kürzer man den Tubus auswählt
resp. zur Verfügung hat, umso besser, denn eine umso größere Dosis kann
man in einer bestimmten Zeit verabfolgen, resp. umso schneller kann man
!) 1. Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen, Bd. 14 (dasselbe
wörtlich in französischer Sprache im „Journal Belge de Radiologie“ 1909, und in
den „Annales d’Electrobiologie et de Radiologie‘ 1909). 2. Münchener Medizinische
Wochenschrift 1909, Nr. 45.
Röntgentiefentherapie. 127
eine vorher bestimmte Dosis verabfolgen, umso kürzer, demnach bequemer
gestaltet sich die Prozedur für den Patienten und umso mehr kann man
die Röhren schonen und umsoweniger braucht man Strom. Bei Tumoren
des Halses und der Achselhöhle braucht man einen längeren Tubus. —
Dann schneide man sich ein Stück des angegebenen Metalldrahtnetzes zu-
recht, das etwa 2 cm mehr Durchmesser hat als der Tubus, mit dem es
später angepreßt wird, lege sich 3 bis 4 lange schmale Heftpflasterstreifen
sowie ein dünnstes Stück Leder oder 2 Lagen Seidenpapiers zurecht, die
etwa 3 mm mehr Durchmesser haben als das Netz, da der Rand des an-
gedrückten Netzes nicht in die Haut einstechen soll; besser biegt man ihn
etwas nach oben um.
Die Messung der verabfolgten Röntgenlichtmenge wird bei Hochspannungs-
gleichrichtern mit Hilfe der Walterschen Milliampereminutentabelle ausge-
führt (s. „Fortschritte auf dem Gebiet der Röntgenstrahlen‘‘, Bd. 14, Seiten
343/344). Da es bei so hohen Dosen, wie es unser Verfahren erfordert, auf eine
halbe Erythemdosis mehr oder weniger nicht genau ankommt, genügt dieses
grobe Verfahren vollständig. Ich nehme dabei die Glasdicke mit 0,4 mm
an und die in Tabelle II angegebene Röhrenhärte 5 BW (7 W). Ich
notiere mir dann also während der Belichtung z. B.: 18 cm Fokusdistanz.
Röhre 1, Belastung 3 MA, 4 Minuten, = 1 ED (denn 12,3 Minuten be-
dürfte es nach Tabelle II bei 18 cm Fokusdistanz bei 1 MA Belastung).
Röhre 2, Belastung 2 MA, 6 Minuten =1 ED; Röhre 3, Belastung 3 MA,
6 Minuten = 1!1, ED, Röhre 4 usw. usw. Man weiß dann jederzeit, wie
viel in jedem Augenblick ungefähr verabfolgt ist und addiert am Schluß
die Milliampereminuten und die tatsächlich gebrauchte Belichtungszeit.
Dann wird der Patient vorbereitet. Die zu belichtende Stelle wird
in weiterem Umkreis mit Seife gereinigt und mit Äther entfettet; unbedingt
nötig ist diese Reinigung vor der Bestrahlung nicht; unerläßlich dagegen
ist die Reinigung nach der Bestrahlung aus oben angeführtem Grunde.
Nun wird Patient mit großer Sorgfalt in die allerbequemste Stellung gelegt
und hier mit großen und kleinen Kissen und Sandsäcken gestützt und
unterlegt. Hierauf kommt ungemein viel an, denn nach einmal begonnener
Bestrahlung muß der Patient seine Lage mindestens ?/, Stunden bei-
behalten. Es ist das Unbequemste an dem ganzen Verfahren, wenn etwa
Patient bei leicht gedrehtem oder nach hinten gestrecktem Halse liegen
muß; sonst habe ich die Patienten nicht klagen hören. Dann wird das
Netz samt Filter (also allerdünnstes Gemsenleder oder 2—3 Lagen
Seidenpapier, Papierserviettenpapier) auf die betreffende Hautstelle auf-
gelegt und vorteilhaft mit 2—4 dünnen Heftpflasterstreifen am Rande
auf die Haut festgeklebt. Sodann wird der Röhrenkasten samt Blenden-
tubus oder Bleiansatz daraufgesetzt und mit etwas Druck so fixiert, daß
ein Verschieben oder dergleichen nicht möglich ist. Dann kommt etwas
128 Köhler,
sehr Wichtiges, das ein Arzt, der die Methode zum ersten Male anwendet,
leicht vergessen könnte: der Schutz des Patienten. Der mit Blei-
wänden versehene Blendenkasten und der Tubus bezw. der Bleiansatz
geben nämlich bei Verabfolgung von zehn und mehr Erythemdosen keinen
genügenden Schutz für die Nachbarpartien, zumal ja immer mit mög-
lichst kurzem Fokusabstand gearbeitet wird. Deshalb muß die Umgebung
auf eine Strecke von rund 40 cm außerdem noch mit Bleistücken belegt
werden. Dann wird die (harte) Röhre in Gang gesetzt und am besten
mit 2—3 Milliampere belastet. Mit niedrigeren Stromstärken zu arbeiten
empfiehlt sich nicht, da eine Behandlung sonst über zwei Stunden und länger
dauern würde. Sollte man in den ersten 2—3 Minuten gewahr werden,
daß etwas am Instrumentarium oder Blendenkasten oder an der Lage des
Patienten nicht in Ordnung ist, so ist es jetzt noch Zeit, auszuschalten
und Abhilfe zu schaffen, später geht das nur, wenn das Netz durch das
Heftpflaster absolut fest angeklebt sitzt. Wenn man merkt, daß nach
5—10 Minuten die Röhre anfängt, merklich weicher zu werden, entfernt
man die erste Röhre und fügt die nächste in den Blendenkasten ein. Wenn
die Röhre im Bilendenkasten einen gewissen Spielraum hat, fixiere man
diese zweite Röhre jetzt etwa 1 cm weiter nach rechts von der Mitte der Ein-
stellung der ersten; die dritte Röhre später 1 cm nach links usw. usw. So
fahre man fort, indem man immer die Dosis notiert, bis die gewünschte
Menge verabfolgt ist; sind alle Röhren gebraucht und die gewünschte
Dosis noch nicht erreicht, nehme man wieder die erste Röhre, die sich ja
inzwischen abgekühlt hat. Immer aber stelle man, wenn angängig, bei
jeder Röhre den Fokus etwas verändert zur Mitte des Blendentubus. Wenn
die Röhre in einem Blendenkasten mit drei Blöcken ruht, also eine Ver-
schiebung darin nicht gestattet, so macht das nichts aus, weil, wie oben
ausgeführt, diese Zentrierung keine mathematisch genaue ist.
Nach beendeter Belichtung — man sieht natürlich jetzt auf der Haut
weiter nichts als den Druck des Netzes — wird die belichtete Partie
nochmals tadellos gewaschen, aber ohne kräftiges Reiben oder dergleichen
und dann durch Mull und Heftpflaster vollkommen geschützt. Bereits nach
wenigen Tagen beginnt die Reaktion einzusetzen. Es empfiehlt sich, nach
vier Tagen zum ersten Male nachzusehen.
In jedem Falle ist dem Patienten vorher zu erklären, daß an der
belichteten Stelle eine dauernde Narbe zurückbleiben wird, was er, wenn man
es ihm als das kleinere Übel hinstellt, gern mit in den Kauf nehmen wird.
Von Tierversuchen, die geplant waren, wurde im letzten Augenblicke
Abstand genommen, da ohne Narkose die Tiere nicht ruhig halten und in
Narkose eine einzige Zuckung genügt, alle Versuchsanordnungen zu ver-
schieben und den Versuch zunichte zu machen. Außerdem kann man
Röntgentiefentherapie. 129
nicht gut einem Kollegen zumuten, in solcher Nähe der Röntgenröhre bei
stundenlanger intensiver Dosierung zu narkotisieren, da der Narkotiseur
auch nicht im entferntesten so gut vor den Strahlen geschützt werden
kann, wie man in Praxis den ruhig daliegenden Patienten schützen kann.
Verfasser mußte deshalb bei der praktischen Erprobung am Menschen
sehr langsam vorgehen und allmählich zu immer höheren Dosen über-
gehen. In Ermangelung einer Klinik und Krankenhausmaterials ver-
fügt er bis zur Stunde erst über die kleine Zahl von drei Fällen. Da
es sich auch dabei natürlich zunächst nur um Fälle handeln konnte, die
ohnedies absolut hoffnungslos lagen, so wird man nicht erwarten, gleich
von vollständigen Heilungen zu hören. Aber so klein die Zahl der Fälle
und so unglücklich sie lagen, so zeigten doch die Folgen der Bestrahlung,
einen wie bedeutend bessernden Einfluß die hohen Dosen aus-
geübt haben gegenüber den mäßigen Wirkungen, die man bisher
röntgentherapeutisch auf solche Tumoren erzielen konnte.
Es soll nun in Kürze das Wichtigste dieser Fälle berichtet werden:
1. (Th. Nr. 208. J. G.) Karzinomrezidiv der Halsdrüsen.
65jähriger Mann, immer gesund bis vor 7 Monaten, da wären kleine Geschwülstchen
über linkem Schlüsselbein aufgetreten, die bald eine hühnereigroße Masse bildeten.
Operation vor vier Monaten (Mikroskop: Karzinom) 4!/, Woche Nachbehandlung.
Nach Verlassen des Krankenhauses sei die Geschwulst rasch von neuem wieder ge-
wachsen. Der betreffende Chirurg hat die neue Geschwulst für inoperabel gehalten
und 10 schwache Röntgenbestrahlungen verabfolgt. Da daraufhin keine Verkleinerung,
ging Patient zu einem anderen Chirurgen, der ebenfalls den Tumor für inoperabel
hielt und mir den Patienten zur Röntgenbehandlung überwies. Halbkindskopfgroßer
Tumor, die ganze eine Halsseite einnehmend; mitten über Tumor die alte Operations-
narbe; Haut über Tumor stellenweise livide verfärbt. Tumor mit Unterlage fest ver-
wachsen, auch zurClavicula feste Stränge ziehend. Halsumfang 46cm. Der Tumor wurde
zur Tiefentherapie mit Metallnetzschutz in verschiedene, ca. 4 cm Durchmesser fassende
Felder eingeteilt, die der Reihe nach in Intervallen von 1—10 Tagen bestrahlt wurden.
Es wurde allmählich vorgegangen, eine Stelle mit einer Erythemdosis (ED) bedacht,
eine mit 2 ED, eine mit 4 ED, eine mit 5 ED (im Ganzen 227 Milliampereminuten)
und da meist bei 2 und 3 MA Belastung und außerdem die verschiedenen Partien mit
wechselnder Fokusdistanz bestrahlt wurden, betrugen die tatsächlichen Bestrahlungs-
zeiten der 4 Stellen 20, 38, 25 und 18 Minuten. Nach 4—5 Tagen war an den am
stärksten bestrahlten Stellen die Netzzeichnung zu sehen, zu Nekrosen kam es nicht,
später starke Desquamation der bestrahlten Partien. Mitteilung des behandelnden
Arztes 8 Tage nach der letzten Betrachtung: „Es ist hochgradig auffallend,
wie enorm die größten Knollen des Tumors vorn in der Mitte und
nach unten zu immer mehr zusammenschrumpfen, aber sonst kommen
jetzt an mehreren Stellen des Körpers Metastasen, so daß Patient bald eingehen wird.“
Die jetzt vorgenommene Messung des Halsumfanges ergab 4l cm, also eine Ver-
minderung von 5 cm binnen 8 Tagen. Patient hatte an einigen Tagen nach
der Bestrahlung leichte Anfälle von Frösteln, man muß hier an Resorptionssymptome
denken. Patient wurde allmählich hinfälliger. Kurz vor dem Exitus sah ich den
Patienten noch einmal, der Tumor war an den Partien, wo er bestrahlt worden war,
9
130 Köhler,
geschrumpft geblieben, aber gesichtswärts und dorsalwärts erheblich gewachsen, in
seiner Nachbarschaft viele Metastasen. Haut über dem Tumor von stark dunkel-
blauem Aussehen, Netzzeichnung nicht mehr zu erkennen.
2. (Th. Nr. 262. W. B.) Branchiogenes Karzinom.
49jähriger Mann; vor 5!/, Jahren begann Verdickung der rechten Halsseite,
die bald faustgroß wurde. 10 Röntgenbestrahlungen, die er damals in seiner Heimat
erhielt, verkleinerten die Geschwulst; später bei Wiedervergrößerung habe er eine
sehr große Dosis verabfolgt bekommen, die Haut sei danach sehr entzündet gewesen
und habe nie wieder ihr richtiges Aussehen bekommen. Vor 3!/, Wochen vergrößerte
sich die Geschwulst plötzlich wieder, Patient habe zwei schwache Bestrahlungen hinter-
einander erhalten; da bis vor ein paar Tagen keine Veränderung, wurde er nach Wies-
baden geschickt. Großer, stämmiger, gesund aussehender Mann. Urin 1 pro mille
Zucker. An linker Halsseite ca. apfelgroße Geschwulst, die Haut darüber atrophisch,
mit Pigmentwanderungen und Teleangiektasien. Man fühlt einen dreiteiligen Tumor,
zwei je enteneigroße Teile, darunter ein etwas kleinerer. Klinische Diagnose: Lympho-
sarkom oder Karzinom. Therapie mit Metallnetz; die eine Stelle bekommt 4 Erythem-
dosen, die andere 6 ED., die dritte 3 ED.; in die Mitte von diesen drei Stellen wird
ferner noch 1!/, ED. verabfolgt. Im Ganzen waren es 239 Milliampereminuten und
23, 31, 36, 44 und 16 Minuten tatsächlicher Bestrahlungszeit. Stelle I und II waren
an zwei Tagen hintereinander bestrahlt worden. Bereits 3 Tage nachher kommt
Patient und macht mich auf eine beträchtliche Verkleinerung aufmerksam.
Patient mußte nach der letzten Bestrahlung abreisen. Später schrieb Patient, daß
vier Wochen nach der letzten Bestrahlung der Tumor sich wieder zu vergrößern an-
gefangen habe. Er wurde in Berlin noch zweimal schwach bestrahlt, da keine Änderung
dann Operation in Bierscher Klinik. Diagnose: Branchiogenes Karzinom. Der
Tumor besteht aus alveolär angeordneten, durch leichte Züge von zellreichem, ju-
gendlichem Bindegewebe getrennten Karzinomzellen. Letztere sind zum gro-
Ben Teil stark degeneriert und zwar bald mit vollständigem Mangel, bald mit
Zerbröckelung der Kerne. Aneinzelnen Stellen findet sich auch eine kleinzellige Infil-
tration zwischen den Tumorzellen. Prof. Stricker.“ Ein paar Monate später Exitus letalis.
3. (Th. Nr. 323. T. K.) Karzinom des Colon sigmoideum — Rezidiv. 26jäh-
riges Fräulein. Vor 20 Monaten Beginn der Beschwerden; starke Stuhlverhaltung,
dann Schmerzen, vor 18 Monaten ging sie zum Chirurgen und wurde von ihm wegen
einer Darmgeschwulst operiert. Es handelte sich um ein Karzinom des Colon sig-
moideum (Dr. Heile). Ein Stück vom Beckenknochen wurde dabei mit entfernt,
Seit einigen Wochen Schmerzen an der Operationsstelle, die mit dem Wetter sehr
wechseln. Hühnereigroßer Tumor an der Stelle des früheren Tumors, inoperabel.
Therapie: Röntgenbestrahlung mit Metallnetzschutz, von außen, Gegend der Spina
post. inf. 6 ED. (70 Milliampereminuten bei 8 cm Distanz Haut-Röhrenwand, 35 Mi-
nuten tatsächliche Bestrahlungszeit).,. Verfasser hatte Gelegenheit, die entfernt
wohnende Patientin 14 Tage später wiederzusehen. Die Netzzeichnung trat auf der
Haut sehr deutlich hervor. Ein Bericht des behandelnden Arztes acht Wochen später
besagt, daß die Kräfteabnahme der Patientin in letzter Zeit auffallend geworden sei
und daß der Exitus bald bevorstehe. Eine bessere Darmpassage sei nicht eingetreten.
„Der Tumor scheint unverändert zu sein. Die Punkte sind dunkel pigmentiert, keine
Schorfe. Ein Abstoßen von Punkten habe ich nicht bemerkt.“ — Da es Verfasser
sehr zweifelhaft erscheint, ob post mortem ein Tumorstück zur mikroskopischen
Untersuchung zu erreichen sein wird, dürfte der Fall als abgeschlossen zu betrachten
sein. \Vie der Fall lag, war eine genaue Größenbestimmung des Tumors nur bimanuell
einigermaßen möglich. Ich glaube nicht, daß die schwer leidende Patientin oft nach
Röntgentiefentherapie. 131
der Röntgenbestrahlung seitens des behandelnden Arztes der quälenden bimanuellen
Untersuchung ausgesetzt worden ist, um die eventuelle Größenabnahme genau festzu-
stellen, will andererseits aber auch nicht allzuviel Wert darauf legen, daß der Tumor jetzt
unverändert zu sein scheint, also zehn Wochen nach der Bestrahlung zum mine
destenkeineVergrößerungtrotzschnellenWachstums vor der Belichtung.
Wenn zusammenfassend noch einmal kurz die Hauptmomente hervor-
gehoben werden dürfen, so sei dies mit Folgendem getan: Binnen wenigen
Tagen wurde eine bedeutende Verkleinerung bösartiger Tumoren erzielt, in
einem Falle sogar bei einem Karzinom-Rezidiv. Von Karzinom-Re-
zidiven ist aber bisher bekannt, daß sie sich gegen Röntgenbestrahlung viel
unempfindlicher zeigen als primäre Tumoren desselben Baues. Bis jetzt
wurden als höchste Dosis 6 Erythemdosen gegeben; diese Dosis bringt
bei gleichzeitiger Anwendung dünnsten Lederfilters und Kompressions-
anämisierung noch keine Nekrosen hervor. Man kann also und wird bei
den nächsten Fällen noch höhere Dosen verabfolgen und nach den oben
erwähnten praktischen Erfolgen bei 6 ED wird man bei noch höherer
Dosis jedenfalls noch wirksamere deletäre Wirkungen auf maligne Tumoren
erzielen. Die Grenze, wie weit man gehen darf, werden uns bei weiterer
praktischer Ausprobierung die allgemeinen Resorptionserscheinungen geben
(und eventuelles Konfluieren der Maschennekrosen von bestimmter Tiefe an).
Die in der Praxis gebrauchten Belichtungszeiten von ®/,—1?/, Stunde
bei 6—10 ED aber werden selbst den hartnäckigsten Verfechter von Be-
strahlungen bei großer Fokusdistanz überzeugen müssen, daß es praktisch
unmöglich ist, mit Fokusdistanzen über 30 cm erfolgreiche Tiefentherapie
zu treiben. Der Fokus ist soweit an die zu bestrahlende Stelle zu bringen,
als ihre Lage, ihre Form und die bequeme resp. relativ bequeme Lage des
Patienten es eben gestatten. Die Fokusdistanz wird demnach von 15—830cm
betragen.
Zum Schluß macht Verfasser noch auf den Wert des Metallnetz-
schutzes bei Tiefentherapie mit geringeren Dosen, wie sie bei Milz- und
Knochenbestrahlungen, bei Leukämie, bei Myom- bezw. Ovarialbestrah-
lungen, bei Lymphomen und dergleichen üblich sind, aufmerksam, beson-
ders für Anfänger und mäßig Geübte, die in der Dosierung noch nicht
sicher sind. Es empfiehlt sich dann 1. bei der Dosierung in einer Sitzung
von da ab, wo die Dosis kritisch werden könnte, das Metallnetz auf-
zulegen und den Rest nur durch dasselbe zu verabfolgen, 2. bei der Dosis-
verteilung auf mehrere Sitzungen in der letzten Sitzung den Metallnetz-
schutz aufzulegen. Hat der Ungeübte überdosiert, so wird der Schaden
schneller heilen, weil zwischen den verbrannten Maschenstellchen immer
Zellen geblieben sind, die weniger Strahlen erhalten haben als jene.
9*
Aus der Freiburger Universitäts-Frauenklinik (Direktor: Geheimrat
Prof. Dr. Krönig).
Weitere Fortschritte auf dem Gebiete der gynäko-
logischen Radiotherapie.
Von
Priv.-Doz. Dr. C. J. Gauss, I. Assistent der Klinik.
D“ Verwendung der gynäkologischen Röntgentherapie steht immer noch
in einem auffälligen Mißverhältnis zu ihrer Leistungsfähigkeit. Nicht
nur, daß vorläufig nur wenige gynäkologische Kliniken und auch diese
nur in sehr bescheidenem Maße bestrahlen, auch bei den Radiologen vom
Fach ist die Methode noch nicht zu der ihrer Bedeutung zukommenden
Vollkommenheit gediehen.
Dem Gynäkologen lag die Röntgentechnik an und für sich zu fern,
als daß er sich hätte entschließen können, in ihre nicht immer leicht zu
erlernenden Einzelheiten einzudringen, die zudem eine genaue Kenntnis
des ziemlich komplizierten Instrumentariums voraussetzt. Dazu kam eine
gewisse Unsicherheit, ob die Radiotherapie wirkliche Erfolge aufzuweisen
habe, zugleich wohl auch ein gewisses Mißbehagen, gerade die Operationen
aufgeben zu sollen, die seit Jahren und Jahrzehnten zum festen und
schönsten Besitz des Gynäkologen gehört hatten.
Dem Radiologen wiederum standen andere Umstände hindernd bei
einer zielbewußten Ausübung der gynäkologischen Radiotherapie entgegen.
Er kannte sich auf dem ihm fernliegenden gynäkologischen Spezialgebiete
naturgemäß nicht genügend aus, um die nötige Abgrenzung der Indika-
tionen selbständig vorzunehmen, um Erfolge und Mißerfolge seiner Leistungen
im Verhältnis zu den Leistungen der üblichen gynäkologisch-therapeutischen
Methode richtig bewerten zu können. Sodann stellten sich lange Zeit dem
Gedanken der radiologischen Tiefenbestrahlung auch Hindernisse prinzipieller
Natur entgegen.
So kam es, daß die gynäkologische Radiotherapie länger, als es uns
jetzt verständlich ist, in den allerbescheidensten Anfüngen stehen blieb.
Erst Albers-Schönbergs Arbeiten waren berufen, eine vielversprechende,
bis dahin planlose Therapie zu einer systematischen Methode auszu-
gestalten. Weit entfernt, die Bedeutung seiner verdienstvollen Arbeiten
anzuzweifeln, glaube ich es aber doch als Stillstand ansehen zu müssen,
wollten wir uns mit den bisher erreichten Resultaten dauernd begnügen.
Albers-Schönberg lehnte es ja selbst ab"), seine Methode als die allein
o 1) Zentralblatt für Gynäkologie 1911, Nr. 27.
Gauss, Gynäkologische Radiotherapie. 133
richtige angesehen haben zu wollen. Und so haben wir an der Freiburger
Frauenklinik, fußend auf seinen Arbeiten, daran gearbeitet, die Erfolge der
Methode durch eine zweckentsprechende Ausgestaltung der speziellen
Technik zu mehren. Wenn wir uns dabei immer mehr von den durch
Albers-Schönberg festgelegten Vorschriften entfernt haben, so geschah
dieses nicht in der Mißachtung seines Wunsches, eine einheitliche und sicher
erprobte Technik innezuhalten, sondern heraus aus dem berechtigten Bestreben,
die der Methode anhaftenden Nachteile nach Möglichkeit zu beseitigen.
Die prinzipielle Grundlage jeder wirksamen gynäkologischen Radio-
therapie ist eine genügende Tiefenwirkung, der Transport einer biologisch
ausreichenden Dosis in der Tiefe des Körpers. Das suchte Dessauer
zu erreichen durch eine von ihm erdachte eigenartige Methode der Tiefen-
therapie, die er als Homogenbestrahlung bezeichnete. Er glaubte einer-
seits eine räumlich-gleichmäßige Durchdringung des Körpers erreichen zu
können, wenn er durch sehr weiten Fokushautabstand das Größenverhältnis
zwischen Oberflächen- und Tiefendosis des bestrahlten Körpers möglichst
günstig gestaltete. Er nannte das auf diesem Wege angestrebte Ziel die
räumliche Homogenität der Bestrahlung. Wenn er nun weiter durch
Zwischenschaltung einer Glasplatte die harten Strahlen des Strahlen-
gemisches isolierte und nur diese dem Körper zuführte, so glaubte er
damit auch die spezifische Homogenität der Strahlung erreicht zu
haben. Diese zweifellos geistreiche Theorie scheiterte jedoch an der Praxis,
und zwar hauptsächlich wohl infolge der langen Bestrahlungsdauer und der
trotzdem nur geringen Menge harter Strahlen, die in der Zeiteinheit und
in der Zeitsumme dem Körper der bestrahlten Patientin zugeführt wurde.
Wenngleich nun ausreichende Erfahrungen über diese Methode der Homo-
genbestrahlung vielleicht bisher noch nicht vorliegen, so kann man doch
wohl annehmen, daß sie vorläufig wenigstens praktisch bedeutungslos ist.
Einen anderen Weg ging Albers-Schönberg. Er wählte eine
„zwangsweise“ innegehaltene Fokushautdistanz von 38 cm, in der Über-
legung, daß die harten Strahlen auf diese Entfernung noch genügend stark
wirken würden, ohne daß die zugleich mit ihnen auf die Körperoberfläche
auftreffenden weichen Strahlen der Haut bei Innehaltung seiner genau
präzisierten Technik Schaden zufügen könnten. Seine Methode hat gegen-
über der Homogenbestrahlung Dessauers ohne Zweifel den Vorteil,
klinische Erfolge zu erzielen. Als Nachteil haftet ihr aber ebenso sicher
die Tatsache an, daß die Erfolge oft sehr spät, gelegentlich sogar garnicht
eintreten; zudem ist eine sichere Vermeidung von Hautschädigungen auch
bei genauester Innehaltung aller seiner Vorschriften leider doch nicht
immer möglich; endlich erschien als ein weiterer Nachteil der bisherigen
Technik die lange Behandlungsdauer, die an Zeit und Arbeitskraft nicht
geringere Anforderungen stellt als an die Geduld der Patientin. Da sie
134 Gauss,
in erster Linie durch die Empfindlichkeit der Haut gegen Röntgenstrahlen
bedingt ist, so lag es nahe, den der Haut besonders gefährlichen weichen
Anteil des Strahlengemisches weitgehend auszuschalten und den über-
bleibenden harten Strahlenrest allein zu verwenden.
Das von Albers-Schönberg empfohlene Lederfilter hatte im Prinzip
schon dasselbe Ziel, erreichte es aber nur unvollkommen. Es mußte also
eine weitere Abfiltration der weichen Strahlen vorgenommen werden. ob-
wohl es natürlich klar war, daß durch die Absorption eines großen An-
teils der ausgesandten Strahlenmenge im Filter die zur Erreichung der
Erythemdosis nötige Zeit unverhältnismäßig stark verlängert werden würde.
Diese aus der Filterwirkung für die Zeiteinheit resultierende Abschwä-
chung der applizierten Dosis versuchte ich zu paralysieren durch Ver-
kleinerung der Fokushautdistanz. So gelang es, die durch das eingeschaltete
Filter verlorene Zeit durch Annäherungder Röhre wieder einzuholen.
Gegen diese technische Neuordnung war in erster Linie ein Einwand
besonders naheliegend, der, dal die supponierte Tiefendosis durch die
große Annäherung der Röhre an die Körperoberfläche in ein ungünstigeres
Verhältnis zur gemessenen Oberflächendosis geriete als das bei größerem
Fokushautabstand der Fall ist, daß also, mit Dessauer geredet, die räum-
liche Homogenität der Strahlung verschlechtert würde. Das muß für die
Bestrahlung ohne Filter unumwunden zugegeben werden. Wird die Be-
strahlung aber, ehe sie die Haut trifft, genügend stark filtriert, so ist, wie
ich das durch rein physikalische Versuche an einem Aluminium-Phantom
beweisen konnte, die in der Tiefe gemessene Dosis gefilterter Nahestrahlung
bei gleicher Obertlächendosis nicht nur nicht geringer, sondern sogar größer
als bei ungefilterter Fernbestrahlung. Bei Filternahbestrahlung ist also die
räumliche Homogenität der Strahlung direkt verbessert. Ich habe mich
nun durch dieses dosimetrische Ergebnis meiner physikalischen Experimente
keineswegs zu der Annahme verleiten lassen, daß darum nun auch der
biologische Effekt, oder — klinisch ausgedrückt — das Heilungsresultat
beim Menschen durch die Filternahbestrahlungen gleich günstig ausfallen
müßte. Es war mir von vornherein klar, dal der Beweis dafür erst dann
als erbracht angesehen werden könne, wenn biologische Beobachtungen
die Richtigkeit der physikalischen Überlegungen bestätigen würden.
Bestrebt, diese offene Frage nicht durch Experimente am Menschen
zu klären, wählte ich eine Versuchsanordnung, die mir trotzdem geeignet
zu sein schien, die verschiedenartige Wirkung verschiedenartiger Bestrahlung
an der lebenden Zelle zu kontrollieren. Die in Gemeinschaft mit
Lembcke angestellten Untersuchungen wurden an keimenden Saubohnen
und jungen Kaulquappen vorgenommen, Objekten, in denen ich wegen
ihrer Jugend und ihres schnellen Wachstums besonders gute biologische
Indikatoren sehen zu können glaubte.
Gynäkologische Radiotherapie. 135
Die Resultate dieser Experimente habe ich schon im Juni 1911 auf
dem Kongreß der Deutschen gynäkologischen Gesellschaft in München in
einer kurzen Mitteilung erwähnt), ausführlich dann im September 1911
auf der Deutschen Naturforscherversammlung zu Karlsruhe?), in der Frei.
burger Medizinischen Gesellschaft?) und in der Berliner Gesellschaft für
Geburtshülfe und Gynäkologie‘) besprochen. Da ich sie zusammen mit
Lembcke an anderer Stelle in extenso veröffentlichen werde, so möchte
ich an dieser Stelle nicht auf Einzelheiten eingehen, als ihr wichtigstes
Ergebnis aber doch die Tatsache feststellen, daß die durch Filterwirkung
‚.gehärtete‘‘ Strahlung ceteris paribus den weichen ungefilterten Strahlen
gleicher Dosis an biologischer Wirkung nicht nur gleichkonmt, sondern
sie sogar ganz bedeutend übertrifft. Diese durch genaue Beobachtung der
Versuchsobjekte sichergestellte, durch Zeichnungen und Photographien
festgelegte Tatsache schien mir so unanzweifelbar und zugleich so wichtig,
daß ich mich für berechtigt hielt, sie als Grundlage für eine prinzipielle
Abänderung der gynäkologischen Radiotherapie zu betrachten.
Die so gewonnene und mit Vorsicht auf den Menschen angewendete
Bestrahlungstechnik scheint mir nunmehr auch praktisch so weit aus-
gearbeitet zu sein, daß sie es verdient, der Öffentlichkeit übergeben und
nachgeprüft zu werden.
Ich muß mich an dieser Stelle darauf beschränken, die prinzipiell
wichtigsten Punkte unserer modifizierten Technik herauszuheben und zugleich
in großen Zügen über die mit ihr an unseren Patienten erzielten Erfolge zu be-
richten. Die von ungläubigen Gemütern gewünschte, genaue Mitteilung unserer
Krankengeschichten muß ebenso wie die ausführliche Publikation der oben er-
wähnten, grundlegenden Experimente aus äußeren Gründen verschoben werden.
Wie ich schon sagte, gingen meine Untersuchungen am Menschen
darauf aus, einerseits die wirksame Tiefendosis möglichst zu erhöhen,
andererseits aber zugleich eine Schädigung der Haut weitgehend auszu-
schließen. Die Erfüllung dieser schwer zu vereinigenden, paradox er-
scheinenden Forderungen wurden möglich durch die Übertragung der
technischen Prinzipien unserer Pflanzen- und Tierexperimente auf die
gynäkologischen Bestrahlungen. Ich schaltete also wie dort zwischen der
Röhre und dem zu bestrahlenden Objekt ein 3 mm dickes Aluminiumfilter
ein, verringerte den Fokushautabstand auf 20 cm und vergrößerte die wirk-
same Tiefendosis weiter durch die Applikation möglichst zahlreicher Ober-
flächendosen unter Anwendung mehrfacher Eintrittspforten. Die so fest-
eclegte, bisher noch nirgends in annähernd gleicher Weise geübte und von
1) Verhdlg. der Deutsch. Gesellsch. f. Gynäkolog. 1911, p. 622.
2) Verhdig. der Gesellsch. deutscher Naturforscher und Ärzte 1911, p. 249.
3) Deutsche Med. Wochenschrift Nr.5, 1912.
t4) Am 8. III. und 22 III. 1912.
136 Gauss,
mir kurz als mehrstellige Filternahbestrahlung oder Filternahkreuzfeuer +)
charakterisierte Technik ermöglichte es, mit der Gesamtexposition einer
einzigen Bestrahlungsserie eine Gesamtdosis von Kienböckeinheiten bis
zu 837 x zu verabfolgen, zu der ich mit dem speziell für unsere Zwecke
gebauten Instrumentarium bis zu 12 Bestrahlungsstunden brauchte, während
Albers-Schönberg?) in einer 18 Minuten dauernden Bestrahlungsserie
im ganzen nur 7!/, x applizierte.
Gleich Albers-Schönberg schalten wir zwischen je 2 Sitzungsserien
eine Pause ein, die wir auf (rund der Untersuchungen Romingers aus
unserer Klinik®) vorläufig noch auf 21,,—3 Wochen bemessen.
Der Erfolg der von uns angewandten Technik ist nun in zweifacher
Hinsicht bemerkenswert. Zum ersten trat die Heilung der auf diese Weise
bestrahlten Frauen mit Myom oder Metropathia haemorrhagica bisher in
allen Fällen ein, so daß ein Versagen der Methode anscheinend nicht
vorkommt. Zum anderen beobachtete ich gegen früher eine ganz erheb-
liche Abkürzung der Behandlungsdauer; während unter den nach alter
Technik geheilten Patientinnen der Eintritt andauernder Amenorrhoe
frühestens nach 6 Wochen beobachtet wurde, waren durch die neue
Technik nach der gleichen Behandlungsdauer schon fast die
Hälfte aller amenorrhoisch. Das bedeutet ohne allen Zweifel einen
Fortschritt. Wenn er auch in erster Linie der Patientin zugute kommt,
so empfindet ihn doch auch der behandelnde Arzt als eine Wohltat; das
weiß jeder, der die Zweifel am Erfolg kannte, wie sie bei der langen
Dauer der früheren Behandlungsmethode regelmäßig nicht nur der Patientin,
sondern auch ihm selbst aufstiegen. Dies bange Warten auf den Erfolg
ist bei uns seit der Einführung unserer neuen Bestrahlungstechnik einer
hoffnungsfreudigen Sicherheit gewichen, die durch die immer wieder gleich-
schnell eintretende Heilung fortdauernde Verstärkung erfährt.
Dies Gefühl der Sicherheit wird wirksam noch weiter verstärkt durch
die speziellen Erfahrungen, die wir seit Anwendung unserer Technik hinsicht-
lich der früher eine verhältnismäßig so große Rolle spielenden Haut-
schädigungen gemacht haben. Bei der Albers-Schönberg folgenden
Bestrahlungstechnik konnten wir früher bei 670 bestrahlten Stellen in toto
9°/, Hautschädigungen nicht vermeiden; dabei fällt die Tatsache erschwerend
ins Gewicht, daß in 3°/, der unterhalb der Erythemdosis bestralilten Haut-
stellen trotzdem ein Erythem auftrat, und daß in 79°j, der unabsichtlich
überdosierten Stellen eine Hautschädigung, darunter viermal solche zweiten
Grades, beobachtet wurden. Einen Beweis, daß nicht etwa fehlerhafte
Technik, sondern die Methode als solche Schuld daran war, sehe ich in
1) Deutsche Med. Wochenschrift Mai 1912.
2, Zentralblatt für Gynäkologie 1911, Nr. 27.
3) Freiburg. Inaug.-Diss. 1911.
Gynäkologische Radiotherapie. 137
der Tatsache, daß uns auch Patientinnen zu Gesicht kamen, die andern-
orts unter Befolgung der von Albers-Schönberg angegebenen Technik
ihre Hautschädigungen ersten und zweiten Grades akquiriert hatten.
Demgegenüber machten wir die ohne Zweifel sehr angenehme und
praktisch wichtige Beobachtung, daß unsere neue Bestrahlungstechnik die
Möglichkeit zu geben scheint, Schädigungen der bestrahlten Haut-
partien weitgehend, anscheinend sogar völlig zu vermeiden. Das
glauben wir aus der Tatsache entnehmen zu können, daß wir bei der
genauen Beobachtung obiger Vorschriften ein ausgesprochenes Erythem der
bestrahlten Stellen bisher noch nicht erlebt haben. Ja, auch in Fällen
von Übersteigung der Erythemdosis bis zu 30 x an einer Hautstelle
haben wir eine Hautschädigung bis jetzt nicht gesehen. Das scheint mir
ein Vorteil zu sein, dessen Bedeutung gegenüber der bisherigen Methode
nicht genug hervorgehoben zu werden verdient. Die Erklärung für diese
auffällige Tatsache ergibt sich aus der Eigenschaft des Filters, einen sehr
großen Teil weicher, also hautgefährdender Strahlung abzufangen; an die
Stelle der vor dem Filter liegenden komplexen, hart-weichen Strahlen
ist dann hinter dem Filter eine hauptsächlich harte Strahlung getreten,
die dem idealen Ziele der spezifischen Homogenität schon erheblich nahe
ist. Natürlich kann diese spezifische Homogenität der Strahlen in der
Theorie noch beliebig gesteigert werden dadurch, dal man noch dickere
Filter wählt; doch würde durch den dadurch bedingten großen Strahlen-
verlust zugleich auch eine unverhältnismäßig starke Verlängerung der Be-
strahlungsdauer nötig werden. Auf Grund von systematischen Untersuchun-
gen schien uns ein Kompromiß in der Form eines 3 mm dicken Aluminium-
Filters praktisch das Beste zu sein. Mit ihm sind unsere gesamten Resul-
tate gewonnen, und wir haben vorderhand keinen Grund davon abzugehen.
Fasse ich meine Ausführungen zum Schlusse zusammen, so glaube
ich auf Grund physikalischer, botanischer und zoologischer Experimente,
sowie auf Grund klinischer Beobachtungen am Menschen ohne Übertreibung
folgendes sagen zu dürfen:
Die Nachteile, die den bisher üblichen Methoden der gynäkologischen
Radiotherapie anhaften, werden vermieden durch Befolgung einer prinzipiell
veränderten Bestrahlungstechnik, wie sie seit mehr als Jahresfrist an der
Freiburger Universitätsfrauenklinik durchgeführt wird. Sie besteht in der
Zwischenschaltung eines 3 mm dicken Aluminiumfiters, in der Ver-
minderung der Fokushautdistanz auf 20 cm und in der Steigerung der
applizierten Oberflächendosis bis hinauf zu mehr als 800 x in einer Be-
strahlungsserie. Die Anwendung dieses Filternahkreuzfeuers gewährleistet
nach den bisherigen Erfahrungen nicht nur eine weitgehende Schonung
der bestrahlten Hautstellen, sondern erreicht die gewünschte Heilung zu-
gleich innerhalb einer außerordentlich kurzen, bisher anderweitig noch
nicht erreichten Behandlungsdauer.
Aus d. Institut f. Strahlenbehandlung der Königl. Dermatolog. Klinik zu Kiel
(Direktor: Prof. Dr. Klingmüller).
Klinische Beobachtungen über die Beeinflussung
der Ovarien durch Röntgenstrahlen.
Von
Dr. Hans Ritter.
s ist wiederholt in der Literatur darauf hingewiesen worden, daß nach
Bestrahlungen des Gesichtes, der Extremitäten und besonders der
Schilddrüse, also auch bei großer Entfernung der Strahlenquelle eine
Schädigung der Ovarialfunktionen möglich sei, die ihren Ausdruck findet
in einer starken Beeinflussung und Veränderung der Menstruation sonst
gesunder Individuen.
H. E. Schmidt beobachtete derartige Störungen, namentlich bei
jüngeren Frauen etwa bis zum 25. bis 30. Lebensjahr. So gaben von
12 Patientinnen im Alter von 15—30 Jahren, bei denen teils das Gesicht
wegen Akne, teils die Hände oder Füße wegen Ekzem oder Psoriasis be-
strahlt wurden, nur zwei mit Bestinimtheit an, nie eine Störung der Periode
bemerkt zu haben, während in den übrigen zehn Fällen anamnestisch
immer eine Störung, entweder eine Verspätung, Abschwächung oder ein
Ausbleiben der Menses nach Bestrahlung des Gesichtes oder der Extre-
mitäten festzustellen war.)
Eine Reihe ganz ähnlicher Beobachtungen teilt Fraenkel mit, der
an insgesamt 30 Fällen als Nebenbefund, z. T. ungewollt, Perioden-
veränderungen und Periodenverzögerung von mehr oder minder langer
Dauer konstatieren konnte. Namentlich traten diese Erscheinungen auf
nach Bestrahlung der Schilddrüsen. In manchen Fällen dauerten hier
die Menstruationsstörungen monatelang, um sich dann erst allmählich
wieder auszugleichen. Diese Beobachtungen von Fraenkel, die, wie er
in seinem Lehrbuch sagt, die Grundlagen bildeten „für seinen damaligen
Vorschlag, die Röntgenstrahlen in der Gynäkologie anzuwenden“, und aus
denen er den Beweis ableitet für eine kumulative und allgemein sich
ausbreitende Wirkung der Röntgenstrahlen, erschienen uns in einer doppelten
Hinsicht interessant: 1. aus theoretischen Gründen, weil man hoffen
konnte, auf diese Weise etwas Neues zu erfahren über die Beziehungen
zwischen zwei Drüsen mit innerer Sekretion, Ovarien und Schilddrüse,
!) Verhandl. d. d. Röntgengesellsch. Bd. V, S. 47.
Ritter, Beeinflussung der Ovarien durch Röntgenstralilen. 139
und 2. weil man in dieser Erscheinung ein Beispiel finden könnte für
eine indirekte Beeinflussung der Ovarıien auf dem Blutwege, für eine
typische Fernwirkung der Röntgenstrahlen auf die Ovarien, für die, soweit
ich sehe, bis jetzt ein strikter Beweis noch nicht geführt ist.
Wir haben nun, um über diese Fragen Aufklärung zu bekommen,
bei insgesamt 30 Frauen, bei denen eine Bestrahlung der Halsregion wegen
tuberkulöser Drüsen indiziert war oder auch bei Lupuspatientinnen mit
einfachen Lymphomen die Bestrahlung nach allen Regeln der Tiefen-
therapie in der Art vorgenommen, daß die Schilddrüse jedesmal ganz
besonders intensiv mit getroffen wurde. Die meisten dieser Patientinnen
wurden zweimal, viele dreimal, andere vier- bis neunmal mit den nötigen
dreiwöchentlichen Pausen bestrahlt und zwar mit den größtmöglichen
Dosen. Die Beobachtungszeit erstreckte sich also bei allen diesen Kranken
auf mehrere Monate, bis zu °/, Jahren, einer Zeit, die natürlich zur Be-
obachtung etwaiger Menstruationsstörungen völlig ausreicht.
Die Bestrahlungen wurden bei einer Serie von Frauen, und zwar in
den meisten Fällen, in der nach Fränkel günstigsten Zeit für die
Periodenbeeinflussung: unmittelbar nach der letzten Periode oder wenigstens
in der ersten Hälfte nach dieser vorgenommen: in einer zweiten Serie
wurde in der zweiten Periodenhälfte bestrahlt, bei einigen Frauen kurz
vor resp. während der Periode, ausgehend von der bekannten Beobachtung,
daß zurzeit der Menstruation die Schilddrüse eine Anschwellung erfahren
kann, woraus vielleicht — analog den Beobachtungen bei der Röntgen-
wirkung auf Basedow-Kropf — eine erhöhte Empfindlichkeit resultieren
konnte. Es wurden also alle Möglichkeiten erschöpft. Das Alter der
Frauen schwankte zwischen 16 und 38 Jahren.
Das Resultat war nun im Hinblick auf die Fränkel’schen Be-
obachtungen ein üherraschendes: bei keiner einzigen dieser 30 Frauen trat
eine Menstruationsstörung ein. Die Periode blieb genau in allen Fällen
so stark und so regelmäßig wie vorher, von einer Fernwirkung der Röntgen-
strahlen in dem Sinne, wie sie von Fränkel aufgefaßt wurde, war also
bei all den Frauen nichts zu konstatieren.
Die Erklärung liegt wohl darin, daß wir sehr sorgfältig das Abdomen
der Kranken abgedeckt haben, so daß hier in der Tat eine isolierte
Halsbestrahlung vorgenommen wurde. also keine vagabundierenden Strahlen
die Ovarien treffen konnten, die ja zuweilen, wie wohl jeder Röntgen-
therapeut erfahren hat. auffallend leicht Menstruationsstörungen her-
vorrufen.
Eine Beziehung zwischen Schilddrüse und Ovarien
in dem Sinne, daß durch Bestrahlung der Schilddrüsen
eine Beeinflussung der Ovarialfunktion eintritt, ist
140 Ritter, Beeintlussung der Ovarien durch Röntgenstrahlen.
nach unseren doch recht zahlreichen Beobachtungen
abzulehnen.
Dagegen erscheint es durchaus nicht unmöglich, daß eine weitere
Beobachtung von Fränkel, wonach umgekehrt bei isolierter Bestrahlung
des Abdomens bei Frauen mit Myomen ein Einfluß auf die vergrößerte
Schilddrüse zu konstatieren ist, im Sinne eines spontanen Rückganges der-
selben, durch weitere Beobachtungen bestätigt werden wird. Es wäre sehr
interessant, auf diese Strumen, die ja von Freund!) in 56 Fällen von
Myomen 44mal beobachtet wurden, die also sehr häufig zu sein scheinen,
bei den Myombestrahlungen weiter zu achten.
ı Freund: Deutsche Zeitschr. f. Chirurg. Bd. 31, S. 446
Aus der Universitätsfrauenklinik zu Kiel (Direktor: Professor Stoeckel).
Untersuchungen über die Lage der Ovarien an der
Lebenden mit Rücksicht auf die Röntgenbestrahlung.
Von
Prof. ©. Hoehne und Dr. G. Linzenmeier.
Mit 5 Abbildungen.
ie wichtige Entdeckung, daß Röntgenstrahlen auf die Generations-
drüsen gerade wegen der spezifischen Funktion des immer erneuten
Aufbaues reifer Keimzellen sehr intensiv einwirken und daß die Ovarien
ganz besonders radiosensibel sind, hat dazu geführt, mit Menorrhagien
einhergehende Uterusleiden durch Bestrahlung der dem Uterus über-
geordneten Ovarien zur Heilung zu bringen. Einschränkung oder völlige
Beseitigung der Ovulation und Menstruation durch partielle oder totale
Vernichtung der Eierstocksfollikel in den verschiedenen Stadien ihrer Ent-
wicklung ist das Ziel dieser Behandlungsmethode. Das Ziel bedeutet also
nichts anderes als eine besondere Art der Kastration, die sich in ihrer
Wirkung von der operativen Entfernuug der Ovarien vorteilhaft dadurch
unterscheidet, daß die Organe nicht mit einem Schlage ausgeschaltet werden,
sondern daß der F'unktionsausfall der Keimdrüsen entsprechend der lang-
sam ansteigenden Röntgenwirkung allmählich geschieht und sich vielleicht
gar nicht in vollem Umfange auf die innere Sekretion der Ovarien er-
strecken braucht.
Wenn man die Ovarien wirksam bestrahlen will, so kommt es darauf
an, die Röntgenstrahlen möglichst darauf zu konzentrieren. Solche Kon-
zentration der Strahlenenergie ist nur erreichbar durch genaueste Orien-
tierung über die Lage der Ovarien in dem zu bestrahlenden Fall. Je
besser wir das Ovarium seiner Lage und Entfernung nach kennen, um so
wirksamer vermögen wir die Kraftquelle auszunutzen, und um so mehr
Strahlenenergie sind wir in der Lage den Ovarien zuzuführen unter denk-
bar größter Schonung der so strahlenempfindlichen Hautdecke, zumal wir
die Strahlen von verschiedenen Positionen aus, also unter Benutzung
wechselnder Wege, auf das eine bekannte Ziel lenken können.
Die Ovarien richtig zu treffen, ist um so mehr geboten, als wir nach
dem heutigen Stande des Wissens von der biologischen Strahlenwirkung
nur dann auf einen sicheren Erfolg rechnen können, wenn in der Tat die
112 Hoehne und Linzenmeier,
Ovarien von den Strahlen primär erreicht werden. Die theoretisch nicht
von der Hand zu weisende Möglichkeit, daß eine Beeinflussung des Ova-
riums auch dann eintreten könne, wenn das in der Umgebung des Organes
gelegene Gewebe getroffen und von dort eine sekundäre Strahlung auf
das zu beeinflussende Ovarium geleitet wird, ist bis jetzt durch experi-
mentelle Untersuchungen nicht gestützt und kann infolgedessen nicht zur
Grundlage der Therapie gemacht werden.
Diese Erwägungen veranlaßten uns, über die Lage der Ovarien mit
Rücksicht auf die Röntgenbestrahlung eingehendere Untersuchungen an-
zustellen und dadurch für eine möglichst kraftausnutzende Bestrahlung der
Keimdrüsen eine Grundlage zu schaffen. Die beiden Fragen, die wir uns
vom röntgentechnischen Standpunkte aus vorlegten, waren folgende:
1. Wie verhalten sich die beiderseitigen Ovarien, nach außen projiziert,
in ihrer Lage zueinander und zu leicht auffindbaren fixen Punkten der
Körperoberfläche?
2. Wie groß ist die Tiefenentfernung der Ovarien von der Außenfläche
der Bauchdecken?
Wir verzichteten auf die Untersuchungen von Leichenmaterial, weil ja
aus der Entwicklungsära gynäkologischer Diagnostik zur Genüge bekannt
ist, wie sehr sich die Lageverhältnisse der Beckenorgane nach dem Tode
ändern, und verwerteten als brauchbare Resultate lediglich durch Messun-
gen an der Lebenden gewonnene Zahlen. Eine willkommene Ergänzung
dieser Erhebungen bildeten gelegentlich vorgenommene Messungen bei
Laaparotomien.
Für die Beantwortung unserer ersten Frage benutzten wir als Pro-
jektionsebene das Dreieck, das von den beiden Spinae iliacae anteriores
superiores und der Mitte des oberen Symphysenrandes gebildet wird. In
diese Ebene wurden die Projektionspunkte der Ovarien mit Hautstift ein-
getragen. Wir gingen so vor, dal wir bei der auf einem gewöhnlichen
Untersuchungsstuhl liegenden Frau die Ovarien bimanuell aufsuchten, olıne
sie zu verschieben, und ihre Projektionspunkte exakt bestimmten durch
lotrechtes Aufsetzen eines gestreckten Fingers auf die Projektionsebene
und vorsichtiges Eindrücken der Bauchdecken in senkrechter Richtung
bis zur Erreichung des Ovariums. Die Projektion führten wir in den aller-
meisten Fällen beide aus, um uns gegenseitig zu kontrollieren, wobei sich
zeigte, dal mit zunehmender Übung kaum noch Differenzen in den Unter-
suchungsresultaten vorkamen.
Zur Veranschaulichung und leichteren Übersicht unserer Meßresultate
ließen wir einen Stempel anfertigen, der die von uns gewählte Projektions-
ebene in 1/, natürlicher Größe schematisch wiedergibt und eine schnelle
Untersuchungen über die Lage der Ovarien usw. 143
Eintragung der Projektionspurkte ermöglichte. In unserem Schema nannten
wir die Verbindungslinie der beiden vorderen oberen Darmbeinstachel
= Spsp, die dazu Senkrechte nach der Mitte des oberen Symphysenrandes
— m, die Verbindungspunkte beider Ovarien =D, endlich die Entfernung
der Projektionspunkte von Spsp rechts = RSpsp, links = LSpsp. — Als
Beispiel für einen in das Schema eingetragenen Befund möge Figur 1
dienen.
In der folgenden Tabelle 1 (siehe Seite 144) geben wir eine Übersicht
über unsere Befunde bei anteflektiertem Uterus. Die 37 untersuchten
Fälle sind geordnet nach der Anzahl der von den Frauen überstandenen
Geburten. Wo nichts besonders bemerkt ist, lag der Uterus in nor-
maler Anteflexion.
Aus der Tabelle ist ersichtlich, daß die Distanz der Ovarien nur in
geringen Grenzen schwankt, meist zwischen 9—10 cm beträgt und im
Mittel 9%/, cm ausmacht. Kontrollme- \, Ä I;
sungen nach Eröffnung der Bauchhöhle Sp R= L Sp
bei abdominalen Uteruskarzinomopera- D:
tionen ergaben entsprechende Zahlen für un
die Distanz der Ovarien, bestätigten also S
die Verläßlichkeit unserer Untersuchungs- S
resultate. Bei hypoplastischem Habitus Fig. 1.
und kleinen Quermaßen des Beckens
kann die Zahl bis auf 7—8 cm heruntergehen, bei auffallend großem
und breitem Becken bis zu 13 cm ansteigen. Die Projektionspunkte
liegen gewöhnlich nicht symmetrisch von der Medianlinie; meist
reicht der rechte weiter lateralwärts als der linke. Im Mittel betrug
RM = gut 5 cm, LM = knapp 4', cm. Je stärker der Uterus
antevertiert ist, um so weiter entfernen sich die Projektionspunkte von
Spsp, was besonders deutlich aus Nr. 35 (Situs nach Alexander-Adams-
scher Operation) hervorgeht. Hier wurde das Ovarium beiderseits 4! cm
symphysenwärts von Spsp gefunden. Wir kommen auf diesen Punkt noch-
mals bei den Retroversionsfällen zurück. Im Mittel liegen die Projektions-
punkte der Ovarien bei Anteversioflexio uteri ca. 2 cm unterhalb von Spsp.
Wie sich die Zahlenverhältnisse in der Gravidität gestalten, läßt
sich aus Tabelle 2 (sieha Seite 145) erkennen, in der 18 Fälle nach
dem Graviditätsmonat zusammengestellt sind; und zwar beziehen sich
10 Fälle auf den 2. Schwangerschaftsmonat, 6 Fälle auf den 3. Schwanger-
schaftsmonat und je 1 Fall auf den 4. bzw. 6. Schwangerschaftsmonat.
144 Hoehne und Linzenmeier,
Tabelle 1.
Lage der Ovarien bei anteflektiertem Uterus.
Entfernung des Entfernung des
En rechten Ovariums | linken Ovariums
anz
©
g u Distanz von der von der
5 ; Alter ?para| der Ver- Bemerkungen
= Ovarien | Median- |bindungs-| Median-
ori sD linie |linie der| linie
= = RM |Spinae = LM
sea nn u pSp
1. | 20 0 | Tj, cm | 3!/, cm 2 cm | 3%, cm | 3 cm
2.125 | 0 8, 41; 2 4 l'h
3.124 | 0 8'/ 41, 31, 4 1,
4. 95 0 81), 4, Auf u 4 11), 0 edekket, es
5. 91 I 4h 1 th 1 eicht dextroponiert
6 | 23B | I 101%, 6 2 4!/, 2
7T |18| I 4", 1 48), 1
8 | 397 | I 10 6 5 4 4
9 | 2 | I 10 bi, 1!/; 4:1), 3
10. 28 I 10'/, 5, 2 5 ls
1.1 2| I 10'/; 5 1!/ 51/, 1!,,
12. | 2 | I Th 4h io | 1
13.))| 2 | II 9% 6 5 Bth 4 Uterus dextrovertiert
14. | 23 | II 91i bi, 4 4 0 Uterusdextrotorquiert
15. | 20 | U 1 6 5 4 Uterus dextrovertiert
16. | — | II 9 41; 4!/; 4'la 41,
17. | 86 | II 81), 5 BIyP Se 3!/2 _ |Schlaffe Bauchdocken
18. | 30 | II 10 5 2 5 1!/} [Atrophie des Genitale
19. | 26 | II 9ta 5 2 41,
20.2)| 31 | III 9 4'/; 1 43); 1
21. | 28 | I| 13 377 3 61), a ern
22. | 32 | III 9% 5 2; 41], 21%,
23. | 25 | III 10 6’,, 0 3's t/a
24. | 28 | III 10 5 0 2
25. | 29 | III 10 6 2 4 3
26. | 85 | III 10 5 1 5 1
27. | 26 | IH 10 6 2 4 2
28. | 28 | III 10 6'/; | l'h 3! 11, Bene erstere
29. | 27 |uI| 10, 6 1h Al, E E o A
30. | 22 | III 9 áli lh 4°], Thi
81. | 26 , III Th 4 2 31%, 2
32. | 24 | III | 8, E 5 3 iena as
33. | 23 | IV 8 4 14 4 21,
34. | 35 | IV 10 5 2 5 21),
35. | 385 | V | 10 51), 4, 41), A en
36. | 42 | — 91, 41], 2 5 2,
| 1/3 ö'la 1a
87. | 26 | VI 9 317,
1) Vgl. spätere Messung Tab. 3, Nr. 1.
3) Messung nach Aufrichtung des beweglich retroflektierten Uterus. Vgl.
Tab. 3, Nr. 2.
Untersuchungen über die Lage der Ovarien usw. 145
Tabelle 2.
Lage der Ovarien bei anteflektiertem graviden Uterus.
| Entfernung des | Entfernung des
rechten Ovariums | linken Ovariums
©
3 5 ua = der von der
S g der _ Ver- , ‚ Ver- Bemerkungen
= Ovarien | Median- bindungs-| Median- |bindungs-
SA pn linie |linie der; linie |linie der
= | = RM Burn = LM TO
SpSp SpSp
L 2ļ|ol 9, 5 | 2 4, | 0 Mens. II
ol — lol 9 5 1 4 1 „u
3. | 23 I 10 5 th 5 1 „u
auf der Linie
4. | 20 | III 10 5 = 0 5 1; II
5. | 29 | III 9% 5ta 31; 4 4 K Hu
6. | 24 | IV 8), 41, 1 41, 0 » H
7.1 41 | V 91), 5 1 41), 1 u,»
8. | 32 | VII 81, A'th a 41, 2 41
9.) 19| 0 10t/; Bil, 1 5 1 „ IIb
10. | 21 | — 10 43l; 0 b/, 0 „ IIb
11. | 23 I 8; 31), 0 5 1 „ IDa
12. | 23 I 9t 51/3 1!/, 4 1, „ Illa
13. | 26 | II 10 5th: 0 41), — 1, „ lIlIla
(=> oberhalb
der Linie)
14. | 28 | VI 91), 6th 0 3 1 „ Ila
15. | — | XII 9 41; 1 41, 0 „ HI
16.| 25 | II 10 61; 1 34, 0 „ IIIb
17. | 27 ‚VIII 2 j 6 y 6 1 „ IV Mitte
is.) =j- IL 8 | — 1, | = 1a „ VI
Die Tabelle 2 lehrt, daß die Distanz der Ovarien im 2. und 3.
Schwangerschaftsmonat dieselbe bleibt wie im nichtschwangeren Zustande,
also im Mittel 91), cm beträgt. Auch die Verteilung der Distanz nach
rechts und links ändert sich nicht wesentlich, wird aber gleichmäßiger.
Im 2. Schwangerschaftsmonat betrug durchschnittlich RM = ca. 5 cm,
LM = gut 4!/, cm, im 3. Schwangerschaftsmonat RM =5!/, cm, LM
= gut 4 cm. Mit der Verbreiterung des Uterus in den weiteren Schwanger-
schaftsmonaten wächst D. Wir maßen im 4. Schwangerschaftsmonat
12 cm, im 6. Schwangerschaftsmonat 18 cm. Die Entfernung der beider-
seitigen Projektionspunkte von der Verbindungslinie der Spinae ist im
2. Schwangerschaftsinonat relativ groß und wird mit wachsendem Uterus
trotz stärkerer Anteversioflexio kleiner, rückt aber auch in der Mitte der
Schwangerschaft kaum über Spsp nach oben hinaus. Nur in einem Gravi-
ditätsfall (mens. IIIa) fanden wir den Projektionspunkt des linken Ova-
riums oberhalb der Verbindungslinie der Spinae (Nr. 13).
10
146 Hoehne und Linzenmeier,
Die kleine Tabelle 3 betrifft das Verhalten der Ovarien bei Retro-
versioflexio uteri. Sie umfaßt nur 5 Fälle, welche aber die infolge der
Lageveränderung des Uterus eintretende Dislozierung der Ovarien deutlich
zeigen.
Tabelle 3. |
Lage der Ovarien bei retrovertiertem Uterus.
Entfernung des ! Entfernung des
rechten Ovariums | linken Ovariums
Ganze von der | von der
S n
D 5 Distanz
8 5 Alter ?paral der | Ver- Ver- Bemerkungen
s A P
Es Ovarien | Median- |bindungs | Median- |bindungs-
Ez SD linie |linie der| linie |linie der
F = RM T =| = LM en =
ale A el e eae a a l E a
1.) | 22 | II 8); D'i 1 3 2
2.2)| 31 | III Th 31), 0 4 0
: ; Linke Adnexe binten
a a O Ea | antornaib | Ša | unterhamp | adhArent, Recht.Ors
4. 37 | IV 9!) 5 0 41), 1 Totalprolaps ; Messung
5.9 26 | II | 7 31, 0 41, T i
Besonders interessant sind die Fälle, bei denen wir vor und nach
Aufrichtung des Uterus die Lage der Ovarien feststellen konnten (siehe
Nr. 1, 2 u.5). Es zeigt sich hier, daß die Projektionspunkte bei retro-
vertierter Uteruslage näher aneinandergerückt und der Verbindungslinie
der beiden Spinae zugewandert sind, während die Aufrichtung des Uterus
ein Auseinanderrücken der Projektionspunkte um 1—2 cm und ein mehr
oder weniger ausgesprochenes Symphysenwärtswandern zur Folge hat. In
Nr. 3 ist die Distanz der Ovarien trotz Retroversion des Uterus groß =
10 cm. Das beruht aber auf einem adhäsiven Entzündungsprozeß, der
zur Fixierung des linken Ovariums geführt und ihm die Möglichkeit ge-
nommen hat, weiter nach hinten zu rücken und sich dem andersseitigen
Ovarium zu nähern.
In Figur 2 haben wir sämtliche Projektionen der Ovarien, bei ante-
vertiertem nichtgraviden Uterus =®@ (37 Fälle), bei antevertiertem graviden
Uterus = O (17 Fälle), bei retrovertiertem Uterus = X (5 Fälle), zusammen
jederseits 59 Projektionen in unsere Projektionsebene eingetragen.
1) Derselbe Fall ergab bei früherer Messung in Anteflexionsstellung die Maße
auf Tab. I Nr. 18:D=9t/)..
2) Nach Aufrichtung des sehr beweglichen Uterus liegen die Ovarien je ®/s cm
weiter lateralwärts und sind deutlich um 1 cm symphysenwärts gerückt. Vgl.
Tab. I Nr. 20.
s) Nach Aufrichtung des leicht beweglichen Uterus liegen die Ovarien je
il cm weiter lateralwärts und sind deutlich nach der Symphyse zu gerückt.
Untersuchungen über die Lage der Ovarien usw. 147
Nachdem wir genügende 'Klarheit über die Lage der Ovarien zuein-
ander und zu den fixen Punkten unserer Projektionsebene gewonnen hatten,
wandten wir uns der Beantwortung unserer zweiten Frage zu: Wie groß
ist die Tiefenentfernung der()varien von der Außenfläche der Bauchdecken?
Das Resultat dieser Untersuchungen muß ganz besonders inter-
essieren, weil Zahlenangaben über die Tiefenlage der Ovarien bisher über-
haupt nicht existieren und weil dieses Maß für die Wahl der Strahlen-
qualität von großer Bedeutung ist. Je tiefer ein Organ unter der Haut
liegt, um so penetrationsfähiger müssen bekanntlich die Strahlen sein, um
Fig. 2.
so dicker muß die zur Filtrierung der Strahlen benutzte Schicht (Alumi-
nium) gewählt werden, damit eine optimale Absorption in dem zu bestrah-
lenden Organ stattfinden kann.
Für die Tiefenmessung bedienten wir uns eines Beckenmessers, der auf
der einen Seite einen festen Arm, auf der anderen Seite eine leicht ent-
fernbare, aus biegsamem Metall gefertigte Branche besitzt (siehe Fig. 3).
Der feste Arm des Beckenmessers wurde unter Leitung der touchieren-
den Finger, wobei natürlich an der jedesmaligen Lage des Ovariums nichts
geändert werden durfte, mit seinem Knopf an die tiefste Stelle des betref-
fenden Ovariums angelegt und in dieser Stellung fixiert gehalten. Hierauf
wurde die andere, infolge ihrer Biegsamkeit sehr exkursionsfähige Branche
in den Beckenmesser eingefügt und ihr Knopf auf den Hautprojektions-
punkt des Ovariums eingestellt. Hatten so die beiden Branchen ihre
richtige Lage erhalten, so wurde die äußere Branche wieder entfernt, der
Beckenmesser aus der Vagina herausgenommen, sodann die äußere Branche
in unveränderter Form von neuem in den Beckenmesser eingefügt und
nun die Distanz der Branchenknöpfe direkt mit Bandmaß gemessen.
10*
148 Hoehne und Linzenmeier,
Um Ungenauigkeiten der Messung möglichst auszuschalten, wurde das
Maß immer bei vollkommen planer Projektionsebene genommen. Ein
Hinausragen der Bauchdecken über die bekannte Projektionsebene wurde
Fig. 3.
durch Auflegen eines wenig federnden Metallbogens (siehe Fig. 4) auf die
drei fixen Knochenpunkte verhindert. Den Metallbogen hielt die Frau, bei
der gemessen werden sollte, selbst fest aufgedrückt.
Fig. 4.
Die von uns beiden nach der beschriebenen Methode gefundenen
Maße stimmten immer fast genau überein, was um so mehr für die Brauch-
barkeit des Verfahrens spricht, als bei der dem Blick entzogenen Messung
eine vielleicht ungewollte gegenseitige Beeinflussung der Untersuchenden
ganz ausgeschlossen war. Die Entfernung der am weitesten abwärts
reichenden Ovariumstelle von der Bauchoberfläche, bzw. von unserer Pro-
jektionsebene nannten wir T, und zwar die des rechten Ovariums RT, die
(les linken Ovariums LT.
— u — u — mn am
Untersuchungen über die Lage der Ovarien usw. 149
In Tabelle 4 haben wir die Tiefenmaße von 19 Fällen übersichtlich zu-
sammengestellt. Der Uterus lag in 18 Fällen antevertiert, nur in einem Fall
(Nr.19)retrovertiert. In dreiFällen bestand eineSchwangerschaft im2.Monat.
Tabelle 4.
Tiefenentfernung der beiderseitigen Ovarien von der
Bauchoberfläche.
$ o Tiefenentfernung 5
Sgi des
z g/Alter'?para| rechten | linken Bemerkungen
SE | |Ovariums Ovariums
= Er lee Ser ac = i a ar La
1.| 26 O 1em | ‘cm
2) 24| 0 5t 51y
3j -=| 0 7J, 2
415| 0 z 6'/,
5| 37 I 4th 41),
6.| 20 I _ 6,
7., 30 | II 6 4ta
8.| 26 | II 61, =
9.) 28 | III 7 7
10.| 25 | III 7 _
11.) 28 | III "ph =
12.) 24 | III 51i o Uterus anteflektiert im Hodgepessar (ge-
messen nach Entfernung des Pessars)
13.| 37 | IV 6 6
14.| 41 | V Ta 6
15.) 26 | VI 61, 5°/,
16.| 20 | IOU 61), 6 Graviditas mens. II
17.) 29 | III 5 41], Graviditas mens. II
18.| 32 | VII — 5 Graviditas mens, II
19 | 26 | II | 8 7 | Uterus in beweglicher Retroversion I—II°
Die Tabelle 4 lehrt uns, daß die Differenzen bezüglich der Ent-
fernung der Ovarien von der Projektionsebene bei den verschiedenen
Fällen nicht sehr große sind. Die Entfernung schwankte zwischen 41],
und 71, cm. Im Mittel betrug sie rechts (16 Fälle) = knapp 6!/, cm
und links (15 Fälle) = ca. 6 cm. Sie ist um so größer, je weiter nach
hinten die Ovarien im kleinen Becken gelegen sind, um so geringer, je
weiter sie im kleinen Becken nach vorn rücken. Damit stimmt auch über-
ein, daß die drei Frühgraviditätsfälle (mens. II), bei denen der Uterus
stärker antevertiert-flektiert ist. in ihren Maßen hinter dem -Mittel etwas
zurückbleiben, und daß auf die eine Messung bei Retroversio uteri (Nr. 19)
die größten überhaupt gefundenen Zahlen entfallen.
Figur 5 gibt unsere sämtlichen Tiefenmaße wieder, eingetragen in die
zuunsererProjektionsebene senkrechteFrontalebene. Die Punkte
= beziehen sich wie in Fig. 2 auf den nichtgraviden, die Ringe = O auf
den graviden Zustand des Uterus, das Kreuz = X auf den Retroversionsfall.
150 Hoehne u.Linzenmeier, Untersuchungen über die Lage der Ovarien usw.
Unsere Untersuchungen haben uns davon überzeugt, daß man die
Lage der Ovarien im kleinen Becken, vor allem auch nach ihrer Ent-
fernung von der Bauchhaut, zahlenmäßig recht genau bestimmen kann,
wenn sich der Messung nicht außergewöhnliche Hindernisse entgegenstellen.
So wird eine genaue Lagebestimmung der Eierstöcke bei Uterusblutungen
in der Praeclimax und in der Menopause, sowie in den ersten Monaten der
Gravidität meist durchführbar sein. Aber auch wenn wir in einem Be-
strahlungsfalle aus irgendeinem Grunde einmal nicht zu einer exakten
3
EN,
5 °.o
a b
fo F
Fig. 5.
Lokalisierung der Ovarien gelangen sollten, so besteht immer noch die
Möglichkeit, sich an die von uns aufgestellten Mittelwerte unter Berück-
sichtigung der jeweiligen Uteruslage zu halten. Man wird so mit einer
großen Wahrscheinlichkeit die Ovarien richtig treffen.
Schwieriger liegen die Verhältnisse bei dem myomatösen Uterus, weil
hier die gynäkologische Untersuchung zwecks genauer Lokalisierung der
Ovarien, wenigstens bei größeren Tumoren, oft versagen muß. Wir glauben
aber nicht, daß in der Regel durch das wachsende Myom eine sehr er-
hebliche Verschiebung der Ovarien eintritt, trotzdem die Gestaltung des
Uterus eine so außerordentlich verschiedene sein kann. Es würde von
Wichtigkeit sein, diesem Punkt bei Myomoperationen größere Beachtung
zu schenken und die Lage der Ovarien in solchen Fällen auf eine etwa
vorhandene Gesetzmäßigkeit hin zu prüfen. Wir werden unsere dies-
bezüglichen Beobachtungen und Aufzeichnungen fortsetzen.
Für alle gynäkologischen Bestrahlungsfälle muß schon heute die
Forderung gestellt werden, daß der Röntgenbehandlung mindestens der
Versuch einer genauen Lokalisierung der Ovarien durch einen geübten
Frauenarzt vorhergeht. Es muß nicht nur jedes Ovarium für sich bestrahlt,
sondern auch die Strahlenzuführung zu jedem Ovarium möglichst ökonomisch
und schonend für die von den Strahlen durchsetzte Haut gestaltet werden.
Mit unseren Messungen glauben wir diesem Ziel näher gekommen zu sein.
Die biologischen Grundlagen der Röntgentherapie.
Die Wirkung der Röntgenstrahlen auf das Auge.
Von
Privatdozent Dr. Hans Meyer, Kiel.
uf. die Frage der physiologischen Wirkungen der Röntgenstrahlen
auf das Auge, die lange im Mittelpunkt des Interesses stand, erübrigt
es sich, hier näher einzugehen. — Wir wissen heute, daß in der Tat die
Röntgen- wie die Radiumstrahlen im dunkel adaptierten Auge sehr geringe
Helligkeitsempfindung auszulösen vermögen, wenn auch morphologische
Veränderungen der Netzhautelemente fehlen und Bleichung des Sehpurpurs
nicht eintritt. Es handelt sich eben nur um sehr geringe Erregungsgrade,
deren subjektive Wahrnehmung nur unter gewissen Kautelen bei völliger
Dunkeladaptation des Auges möglich ist. Der Nachweis von Aktions-
strömen der Netzhaut, welchen Himstedt und Nagel für die Röntgen-
strahlen erbrachten, spricht für eine direkte Erregung der Netzhaut-
elemente.
Diesen physiologischen Wirkungen auf das Auge stehen jene patho-
logischen gegenüber, welche bei sehr starker Bestrahlung als krankhafte
Veränderungen auftreten. Diese kommen für uns hier lediglich in Betracht.
Das größte Verdienst um die Erforschung dieser für die Praxis hoch
bedeutsamen Frage der Schädigung des Auges durch Röntgenstrahlen ge-
bührt Birch-Hirschfeld, der sowohl am Tier- wie am Menschenauge
die durch die Strahlung gesetzten Veränderungen auf das eingehendste
untersuchte.
Daß das Auge bei seiner exponierten Lage ebenfalls von den Röntgen-
wirkungen ergriffen werden konnte, war ja von vornherein zu erwarten.
In der Tat hatte man auch schon lange gelegentlich klinisch-therapeutischer
Bestrahlungen von Gesichtsaffektionen Erythem der Lider, Zilienausfall,
ferner Symptome konjunktivaler Reizung und Sekretion, auch einmal (von
Duyse) vorübergehende Keratitis beobachten können, — daß aber auch
die schwersten Veränderungen am Auge im Anschluß an therapeutische
Bestrahlungen sich einstellen können, wurde erst durch Birch-Hirsch-
felds Untersuchungen evident. Wegen ihrer praktischen Bedeutung seien
diese klinischen Beobachtungen im einzelnen angeführt:
Es handelte sich ausnahmslos um Patienten, die wegen Karzinom
resp. Ulcus rodens in unmittelbarer Nähe des Auges intensiven thera-
peutischen Bestrahlungen ausgesetzt worden waren. Bei einem Patienten
war 40 Tage nach der Bestrahlung neben einer schweren Conjunctivitis
152 Meyer,
palpebrarum eine Keratitis interstitialis aufgetreten: Am äußersten Horn-
hautrande machte sich eine tiefe Trübung bemerkbar, die sich mit der
Zeißschen Lupe in feinste Punkte auflösen ließ; das Epithel war in dieser
Gegend leicht uneben. Während es in diesem Falle wegen des peripheren
Sitzes der Hornhauttrübung nicht zu einer Sehstörung kam, führte in
einem zweiten Falle diese Keratitis interstitialis zu beträchtlicher Herab-
setzung des Sehvermögens. Ein weiterer Fall mit ganz analogen Er-
scheinungen war deswegen bemerkenswert, da hier keine Röntgenstrahlen
von vorne her das gut abgedeckte Auge getroffen haben konnten. Die
von der Seite her durch die Orbitalwandungen doch jedenfalls sehr ab-
geschwächte Strahlung hatte hier genügt, um die Schädigung herbeizuführen.
Der vierte Fall ist insofern besonders interessant, als er anatomisch unter-
sucht werden konnte und, da hier die Dosen, die zur Applikation kamen,
wenigstens zum Teil abgemessen wurden: 80 x in zwei, 21 Tage aus-
einanderliegenden Sitzungen, nach unseren heutigen Anschauungen un-
zulässige Quantitäten.
Die durch die anatomische Untersuchung aufgedeckten Befunde wiesen
auch am inneren Auge hochgradige Veränderungen auf, die man in Be-
rücksichtigung der späteren Beobachtungen am Menschen, sowie am Tier-
experiment als für die Wirkung der Röntgenstrahlen typisch bezeichnen
kann: Eigenartige Degenerationsprozesse an den Gefäßen, und zwar sowohl
an Iris, Ziliarkörper und Netzhaut, die in Analogie mit den von Gaßmann
an der Haut festgestellten Befunden als vakuolisierende Degeneration der
Gefäßintima aufgefalßt wurden, — weiter hochgradige Degeneration der
Netzhautganglienzellen mit den Erscheinungen der Vakuolisation und
Chromatolyse — und schließlich auffallende Veränderungen an der Makula,
die das Bild einer zystoiden Entartung darbot.
Daß diese Befunde in der Tat für die Röntgenstralilen charakteristisch
sind, konnte Birch-Hirschfeld an zwei anderen Kranken bestätigen:
Bei dem einen Kranken konnte ophthalmoskopisch 21], Jahre nach der
wegen eines Kankroids am äußeren Augenwinkel vorgenommenen Be-
strahlung ebenfalls diese merkwürdige Veränderung der Gefäße nach-
gewiesen werden. Die Gefäße der Konjunktiva zeigten zahlreiche Ein-
schnürungen und zwischen diesen sackförmige Erweiterungen des Gefäß-
rohres; die normalen schlangenartigen Windungen der größeren Venen
fehlten dagegen. Auffallend war in diesem Falle die lange Zeitdauer, die
bis zur deutlichen Ausbildung dieser Gefäßveränderungen erforderlich war.
Erst mehrere Jahre nach der Bestrahlung waren die Erscheinungen so
augenfällige, daß sie mit der Lupenvergrößerung nachgewiesen werden
konnten. Dieser Befund steht durchaus in Analogie mit den gleichsinnigen
Veränderungen an den Hautgefüßen nach Röntgenbestrahlung: Auch hier
Biologische Grundlagen. 153
sehen wir immer und immer wieder, wie diese Gefäßwandalterationen sich
ganz allmählich und langsam entwickeln.
Auch in einem weiteren Falle, der wieder anatomisch untersucht
werden konnte, konnten wenigstens zwei der vorhin als typisch bezeichneten
Röntgenveränderungen am Auge konstatiert werden: Die Vakuolisation des
Protoplasma und der Zerfall der Chromatinsubstanz , der Netzhaut-
ganglienzellen — und die vakuolisierende Degeneration der Gefäße. Die
zystoide Entartung der Makula fehlte in diesem Falle.
Außer diesen Beobachtungen von Birch-Hirschfeld findet man in
der Literatur Angaben über schwere Schädigungen der Augen durch thera-
peutische Bestrahlungen, trotz der nach Tausenden zählenden Kasuistik
ganz außerordentlich selten, — Kienböck und Belot erwähnen sogar
ausdrücklich, daß die Bestrahlungen von Epitheliomen in der Augengegend
stets ohne Augenschutz ausgeführt würden und daß niemals derartige
Schädigungen von ihnen beobachtet wurden. Der Grund für diese Selten-
heit solcher Befunde ist sicher der, daß die in den Fällen von Birch-
Hirschfeld applizierten Dosen ganz außerordentlich große waren: Sie
sind mit einer Ausnahme nie abgemessen und stellen Verbrennungsdosen
dar, denen gegenüber das Auge natürlich ebensowenig widerstandsfähig
ist, wie die Haut. Trotzdem sollen und können wir uns auf diesen Um-
stand in der Therapie nicht verlassen und jeder gewissenhafte Röntgeno-
loge wird bei therapeutischen Bestrahlungen in der Gegend des Auges
den exaktesten Augenschutz zur Anwendung bringen.
Auch bei den von Birch-Hirschfeld angestellten Tierexperi-
menten kamen Dosen zur Anwendung, wie wir sie in der Therapie nicht
verwenden. Die geringste Dosis, die appliziert wurde, war 24 x, die
größte 48 x, während unsere therapeutische Maximaldosis bei 15—18 x
liegt. Nichtsdestoweniger sind diese Tierexperimente von großem Interesse.
Sie ergaben im wesentlichen folgendes.
Die Veränderungen am vorderen Augenabschnitt haben in mancher
Hinsicht große Ähnlichkeit mit den von der Haut her bekannten Strahlen-
wirkungen. Es kommt zum Ausfall der Zilien, Konjunktivitis, Keratitis,
die unter dem Bilde der Keratitis interstitialis verläuft, und Iritis. Dabei
stehen auch hier Veränderungen am Epithel und den Gefäßwandungen,
analog den von Gaßmann an der Haut beschriebenen, im Vordergrund
des Krankheitsbildes.
Die Veränderungen am Hornhautepithel sind besonders bemerkenswert
dadurch, daß sich neben degenerativen Erscheinungen (Quellung von Kern
und Zelleib, Vakuolisation des Protoplasma usw.) auch deutliche Zeichen
von Wucherung erkennen lassen: Es finden sich nicht nur, wahrscheinlich
auf direkte Kernteilung zurückzuführende Einschnürungen und Verdoppe-
154 Meyer,
lungen der Kerne, sondern auch normale typische Mitosen. Schließlich
behalten aber die regressiven Vorgänge die Oberhand und es resultiert
überall eine Abflachung des Epithellagers, das an der Kornea einschichtig
wird. — Die Gefäßveränderungen waren bei den Versuchstieren weniger
ausgeprägt wie bei den von Birch-Hirschfeld untersuchten mensch-
lichen Augen, wahrscheinlich deswegen, weil der Zeitraum, den diese
Alterationen für ihre Entwicklung gebrauchen, in diesen Tierversuchen
noch nicht groß genug war.
Am hinteren Augenabschnitte zeigten die stärksten Degenerationen
die Ganglienzellen der Retina, an denen Vakuolisationen, Hyperchromasie
und Schrumpfung des Kernes, Zerfall der Chromatinsubstanz, endlich voll-
kommener Zellzerfall beobachtet werden konnten. Die Veränderungen an
der Körnerschicht waren geringfügiger: Auflockerung der Schichten, Homo-
genisierung der einzelnen Körner und stellenweiser Zerfall derselben waren
die wesentlichsten Symptome. Bei einigen Tieren war außerdem Atrophie
der Papille schon ophthalmoskopisch nachzuweisen.
Auffallend ist, daß in diesen Versuchen und klinischen Beobachtungen
weder die Kapsel noch die Substanz der Linse im geringsten alteriert war,
denn eine klinische Beobachtung Birch-Hirschfelds, die als Starbildung
im Anschluß an Röntgenbestrahlung aufgefaßt werden konnte, war nicht
eindeutig und daher nicht zu verwerten.
Daß aber dieser negative Befund Birch-Hirschfelds für die Linse
neugeborener Tiere, sowie für Tiere in utero nicht zutreffend ist,
wurde durch die Untersuchungen von Tribondeau und Belley, sowie
von Hippel erwiesen. Von Hippel konnte angeborenen Schicht- und
Zentralstar beim Kaninchen dadurch hervorrufen, daß er Röntgenstrahlen
auf den Bauch des trächtigen Muttertieres am 9., 11. und 13. Tage der
Schwangerschaft einwirken ließ. Es ist wahrscheinlich, daß es sich hierbei
um eine direkte Einwirkung der Strahlen auf das Epithel des gerade um
diese Zeit sich abschnürenden Linsenbläschens gehandelt hat. Die gleichen
Formen partieller Linsentrübung konnten nun allerdings auch bei Schutz
des Bauches durch dicke Bleiplatten, wobei nur die Brust der Tiere be-
strahlt wurde, sowie nach Cholininjektionen erzielt werden. Es war also
nicht ganz ausgeschlossen, daß es sich auch bei den direkten Bestrahlungen
nur um eine indirekte toxische Wirkung handelte, die bei den letzt-
genannten Experimenten natürlich nur allein in Frage kommen kann. Be-
weisend sind die Experimente von Tribondeau und Belley, welche an
neugeborenen Katzen, die in den ersten fünf Lebenstagen bestrahlt wurden.
Katarakt erzeugen konnten, als dessen Ursache Veränderungen am vorderen
Linsenepithel festzustellen war.
Durch eine weitere experimentelle Arbeit von Tribondeau und
Biologische Grundlagen. 155
Lafargue wurde in Übereinstimmung mit Birch-Hirschfeld Starbildung
am erwachsenen Tier niemals gefunden, so daß die Ansicht, die Linse
solcher Tiere wäre refraktär, wohl begründet schien. Nun ist aber neuer-
dings von Alphonse der Beweis erbracht worden, daß auch bei aus-
gewachsenen Tieren — allerdings erst nach ganz außerordentlich starken
Bestrahlungen des Auges — Degeneration des Kapselepithels der Linse
zu erzeugen ist. Das ist deswegen von einigem Interesse, weil Gutmann
und Treutler über je einen Fall von Star berichtet haben, für dessen
Genese sie die Einwirkung von Röntgenstrahlen in Betracht zogen.
Während es sich hier bisher in allen Fällen um Veränderungen des
Auges handelte, die durch eine einmalige (eventuell auch mehrmals appli-
zierte) große Strahlendosis erzeugt waren, haben wir es hier mit einer
sog. chronischen Röntgenschädigung zu tun, d. h. einer solchen, die durch
eine Unmenge sich stets summierender und kumulierender kleinster Röntgen-
reize zu Stande kommt.
Der Gutmannsche Fall betraf einen jugendlichen gesunden Ingenieur,
der sich viel mit Herstellung von Röntgenröhren beschäftigte und Seh-
störungen verspürte. Gutmann fand Tropfenbildung in der hinteren
Oorticalis beider Linsen, die bei Aussetzen der Beschäftigung stationär
blieben. Treutlers Patient war Angestellter eines Röntgenlaboratoriums,
und hatte beiderseits hinteren Polarkatarakt und eine Sehschärfe von ®/go,
während er vorseiner Anstellung als Röntgenarbeiter gut gesehen haben wollte.
Diese chronischen Röntgenschädigungen sind nun von großer prak-
tischer Bedeutung und es wäre dringend erwünscht, auch im Tierexperiment
eine Grundlage für diese Erkrankung, die also möglicherweise gerade die
Linse betrifft, zu gewinnen. Das wird am besten am Affenauge ge-
schehen können. Man wird dann auch erfahren, ob eine Trübung zu Stande
~ kommt durch eine direkte Einwirkung auf die Linsenfasern oder das
Kapselepithel oder ob indirekt die Röntgenstrahlen eine Schädigung der
für die Existenz der Linse so wichtigen Ziliarkörpergefäße herbeiführen,
und so die Starbildung erzeugt wird.
Daß es außerdem von praktischem Interesse wäre auch die Ver-
änderungen des Affenauges zu studieren durch Dosen, wie sie wirklich in
der Röntgentherapie zur Anwendung kommen, liegt auf der Hand, nachdem
wir bis jetzt durch Birch-Hirschfeld nur etwas über die „Verbrennung“
des Kaninchenauges erfahren haben.)
!) Die gesamte Literatur findet sich: Birch-Hirschfeld, Die Wirknng
der strahlenden Energie auf das Auge in Lubersch-Östertags Ergebnissen der
Allgemeinen Pathologie und pathologischen Anatomie des Menschen. XIV. J.
Erg. 1910.
Die Röntgentherapie in der Augenheilkunde.
1. Die Röntgenbehandlung der Lidepitheliome.
Von
Prof. Dr. Stargardt-Kiel.
D“ Behandlung der Lidepitheliome ist bis vor wenigen Jahren eine rein
chirurgische gewesen. So lange es sich um beginnende Epitheliome
handelt oder um solche, die noch keine allzu große Ausdehnung erreicht
haben, sind die Erfolge mit der chirurgischen Behandlung auch recht be-
friedigende. Durch eine Keilexzision eines Teiles des Lides läßt sich der
Tumor mitsamt seiner Basis entfernen. Der entstandene Defekt läßt sich
durch Naht gut schließen. Irgendwelche Folgen pflegen nach einem
solchen Eingriffe nicht zurückzubleiben. Ganz anders wird aber die Sach-
lage, wenn die Tumoren eine gewisse Größe überschritten haben. Es ist
dann zwar auch noch möglich, sie zu entfernen und durch eine plastische
Operation den Defekt zu decken. Aber der Erfolg ist doch für den
Kranken, sowohl was das Aussehen als die Funktion betrifft, meist kein
befriedigender. So reizvoll auch eine derartige plastische Operation für
den Operateur ist, so sehr müssen wir doch im Interesse des Kranken
nach Mitteln und Wegen suchen, sie zu verhindern und durch weniger
eingreifende und verstümmelnde Methoden zu ersetzen. Schon seit Jahr-
zehnten hat man versucht, auf chemischem Wege eine Heilung der
Kankroide zu erreichen. Es hat sich aber leider kein gangbarer Weg
gefunden und heute kann man es nicht mehr als zweckentsprechend be-
zeichnen, Arg. nitr. oder ähnliche chemisch wirkende Mittel bei Lid-
kankroiden anzuwenden.
Über die Erfolge mit Jequiritin läßt sich bis heute noch kein sicheres
Urteil abgeben.
Dagegen scheint die Behandlung mit Röntgenstrahlen von ausgezeichneter
Wirkung zu sein, sowohl was die kosmetischen Erfolge, wie auch die funk-
tionellen Resultate betrifft.
Soviel ich aus der Literatur ersehe, hat Mayou im Jahre 1902 zum
ersten Male die X-Strahlen bei Lidkankroiden angewandt. Ihm sind dann
eine ganze Reihe von Autoren gefolgt, im Jahre 1902 Kenney, 1903
Perthes und Salomonson-Wertheim, 1904 Bergonie, van
Duyse, Guglianetti, Hamer, de Lantsheere, Birch-
Hirschfeld, 1905 Claiborne, Gueriteau, Snyders, de Laper-
r
sonne, Greeff, Marple, Valude, 1906 Newcomes, Oram
Röntgentherapie in der Augenheilkunde. 157
Ring, Trousseau, 1907 Denti, 1908 Hauchamps, de Schwei-
nitz, Morestin, 1909 Olivier y Knipe, Dolcet, Cargill,
1911 Tischner und Camill Hirsch.
Man sollte glauben, daß es bei einer so großen Zahl von Arbeiten
schon heute möglich ist, ein definitives Urteil über den Wert der Röntgen-
behandlung von Lidepitheliomen zu fällen, und das um so mehr, da ja in
einer großen Zahl von Fällen eine jahrelange Beobachtung möglich war.
Leider läßt sich ein solches definitives Urteil heute noch nicht ab-
geben. Immerhin vermögen wir uns schon einen einigermaßen sicheren
Überblick über die Frage zu verschaffen.
Daß die Röntgenbehandlung in vielen Fällen einen ausgezeichneten
Erfolg hat, ist ganz zweifellos. Es ist auch sicher, daß sie in vielen Fällen
einen Dauererfolg zeitig. Ich will da nur die Fälle (2) von Tischner,
in denen zwei Jahre lang kein Rezidiv auftrat und den Fall von Birch-
Hirschfeld erwähnen, in dem ein Karzinom, das bereits die ganze
Orbita zerstört hatte und nur zum Teil durch Operation (Exenteratio
Orbitae) entfernt werden konnte, durch intensive Röntgenbehandlung zur
dauernden Heilung gebracht wurde. Gerade dieser Fall, der fünf Jahre
lang beobachtet worden ist, illustriert außerordentlich gut die Möglichkeit
einer dauernden Heilung. Im günstigen Sinne sprechen sich denn auch
die meisten der obenerwähnten Autoren aus. Manche urteilen geradezu
enthusiastisch über die Bedeutung der Röntgenstrahlen für die Behandlung
der Lidkankroide Diese optimistische Auffassung deckt sich mit der
Auffassung, die man auch vielfach über die an anderen Körperstellen
sitzenden oberflächlichen Karzinome hört. Ganz besonders werden immer
die guten kosmetischen Resultate betont, eine Auffassung, der ich mich
nur anschließen kann.
Es darf aber nicht verschwiegen werden, daß einige Autoren sich
nicht nur sehr skeptisch, sondern geradezu abfällig über den Wert der
Röntgenstrahlen aussprechen. Cargill hatin einem Falle, trotz 20 malıger
Bestrahlung, keine Besserung gesehen und erst durch Zinkionisation eine
Heilung erreicht. Valude ist sogar der Ansicht, daß die Röntgen-
behandlung regelmäßig zu Mißerfolgen führt und Dolcet verwirft sie
ebenfalls, weil Rezidive nach Röntgenbehandlung häufiger seien, als nach
operativer Entfernung. Trousseau hat in mehreren Fällen einen Miß-
erfolg gehabt. In einem Falle. in dem es sich um ein Rezidiv eines schon
mehrfach behandelten Kankroides handelte, konnte er mit Röntgenstrahlen
an der Oberfläche Heilung erreichen, in der Tiefe aber wucherte der Tumor
in die Orbita hinein. Ebenso ging in einem zweiten Falle das Kankroid
an der Oberfläche zurück, während sich in der Tiefe Knoten neu bildeten.
In einem dritten Falle trat trotz Röntgenbehandlung Vergrößerung des
158 Stargardt,
Epithelioms auf und erst durch Operation konnte Heilung erzielt werden.
Morestin bestrahlte ein Karzinom an der Nasenwurzel ohne Erfolg,
es mußte operiert werden. Hauchamps hat bei einem Lidkarzinom
mit Röntgenstrahlen keinen Erfolg gesehen, dagegen Heilung mit Radium
erzielt. Rosenkranz hat in einem Falle Röntgenstrahlen ohne Erfolg
angewandt und erst durch Fulguration Heilung erzielt. Es scheint mir
von größter Bedeutung zu sein, die Gründe für diese Mißerfolge fest-
zustellen. Leider ist das bei dem vorliegenden Materiale nicht in der
Weise möglich, wie man es eigentlich wünschen müßte. Die Gründe für
Mißerfolge können ja in zwei Richtungen gesucht werden. Einmal kann
die angewandte Methode unzweckmäßig gewesen sein und auf der anderen
Seite kann es sich um Tumoren gehandelt haben, die wenig oder gar nicht
radiosensibel waren.
Über die erste Möglichkeit lassen sich nach dem vorliegenden Materiale
nur Vermutungen aufstellen. Man kann sich aber doch des Eindrucks
nicht erwehren, daß in den meisten Fällen eine unzureichende Methode die
Schuld an dem Mißerfolg trug. Das ergibt sich vor allem aus dem Fehlen
jeglicher genauerer Angaben über die angewandten Dosen. Die Angabe
der Zeit der Bestrahlung allein genügt keineswegs (vgl. unten). Wir werden
‘aber erst dann in der Art des Tumors oder in anderen Verhältnissen die
Ursache für einen Mißerfolg suchen dürfen, wenn die Angaben über die
angewandte Methode so einwandsfreie sind, daß wir uns ein sicheres Bild
über die angewandten Dosen machen können. So lange das nicht der Fall
ist, d. h. so lange nicht Fälle bekannt geworden sind, in denen mit aus-
reichenden Dosen gearbeitet ist, ohne einen Erfolg zu erzielen, brauchen
wir meines Erachtens die bisher bekannt gewordenen Mißerfolge nicht allzu
tragisch zu nehmen. Wenn sich also die meisten Mißerfolge doch wohl auf
eine unzureichende Methodik zurückführen lassen, möchte ich doch auch
die Möglichkeit nicht von der Hand weisen, daß es sich in einem Teile
der nicht beeinflußten Fälle um Tumoren gehandelt hat, die wenig oder
gar nicht radiosensibel waren. Differenzen in der Radiosensibilität der
Tumoren sind ja seit langer Zeit bekannt. Wetterer will sie aus dem
Bau, der Konsistenz und.der Art des Wachstums der Tumoren erklären.
Er ist der Ansicht, daß derselbe Tumor auch während seines Wachstums
seine Radiosensibilität ändern kann und er meint, daß die Epitheliome speziell
in den Anfangsstadien besser reagieren, als in den späteren.
Wenn das auch für die Lidkankroide zutrifft, so müssen wir vor allem
dafür sorgen, daß die Fälle rechtzeitig in unsere Behandlung kommen.
Das ist heute leider vielfach noch nicht der Fall. Es mag das wohl in erster
Linie daran liegen, daß die Epitheliome der Lider nicht rechtzeitig genug
erkannt werden.
Röntgentherapie in der Augenheilkunde. 159
Es wird eben das Lidkankroid vielfach in seinen Anfangsstadien für
eine einfache Lidrandentzündung gehalten und als solche behandelt. Es
ist deswegen nötig, daß gerade auf die Diagnose dieser Tumoren im Unter-
richt mehr Gewicht gelegt wird, als bisher. Wir können uns da speziell
bei den Gynäkologen ein Beispiel nehmen. Der Erfahrene kann, wie das
auch Fuchs betont, ein Lidepitheliom nicht verkennen. Ich halte es des-
wegen auch für überflüssig, eine Probeexzision vorzunehmen, zumal
dadurch unter Umständen das durch die Röntgenbehandlung gewähr-
leistete gute kosmetische Resultat in Frage gestellt werden kann.
Woran können wir nun erkennen, daß wir es mit einem Tumor zu
tun haben, der sich gegen die Röntgenstrahlen refraktär verhält? Tischner
meint, daß man erst dann die Bestrahlungen aufgeben soll, wenn nach
4—6 Bestrahlungen noch keinerlei Erfolg zu sehen ist. Auch Denti
steht auf dem Standpunkte, daß man erst nach 5—6 vergeblichen Be-
strahlungen die Röntgentherapie als aussichtslos aufgeben soll.
Ich glaube, daß man bei Anwendung größerer Anfangsdosen, als sie
Denti und andere gebraucht haben, sehr viel schneller über den zu er-
wartenden Erfolg orientiert sein kann. Ich meine, daß man bei den von
mir angegebenen Dosen (vgl. unten) schon nach der zweiten Bestrahlung
einen deutlichen Erfolg sehen muß.
Ist das nicht der Fall, so braucht man aber noch nicht an dem Er-
folge der Strahlentherapie zu verzweifeln. Es sind ja in den letzten Jahren
eine ganze Reihe von Methoden angegeben worden, durch die man refrak-
täre Tumoren sensibilisieren kann. So kann man Hochfrequenz-Ent-
ladungen mit Hilfe einer Kondensatorelektrode direkt auf das Epitheliom
einwirken lassen. Es stellt diese Methode eine Art milder Fulguration
dar. Ob hierbei die Sensibilisierung allein durch die erzeugte Hyperämie
zustande kommt, oder, was wahrscheinlicher ist, durch eine direkte Be-
einflussung der Krebszellen, läßt sich heute noch nicht sagen. Schmidt
hat in einem Falle von Hautkrebs an der Nase, bei dem der Epithelwall
durch Röntgenstrahlen nicht zu beseitigen war, im Gegenteil weiterschritt,
durch Erzeugung eines Lichterythems mit der Quecksilberdampflampe eine
so günstige Beeinflussung des Tumors erreicht, daß er durch die jetzt
wiederholte Röntgenbehandlung glatt zur Heilung gebracht wurde. Mög-
lich wäre es auch, daß die gleichzeitige Anwendung von Adrenalin und
Röntgenstrahlen bei den refraktären Tumoren Erfolge erzielt (Fritz
M. Meyer).
Es ist auch nicht unwahrscheinlich, daß bei Verabreichung genügend
großer Dosen die sogenannten refraktären Tumoren seltener zur Beobachtungen
kommen.
Leider läßt sich über die Abhängigkeit des Erfolges von der an-
160 Stargardt,
gewandten Dosis aus der bisher vorliegenden Literatur kein sicheres Ur-
teil gewinnen. Denn bis vor wenigen Jahren stand es mit der Dosierung
sehr schlecht. Man mußte sich darauf beschränken, die Expositionszeit,
die Entfernung der Röhre von der bestrahlten Stelle und schätzungsweise
den Härtegrad der Röhre anzugeben. Die Mangelhaftigkeit dieser Me-
thode ist wohl jedem zum Bewußtsein gekommen. Und auf diese Mangel-
haftigkeit werden wir auch wohl die verschiedenen und zum Teil direkt
widersprechenden Resultate verschiedener Autoren in den früheren Jahren
zurückführen müssen.
Diese alten Methoden sind ja nun heute glücklicherweise überholt.
Ja, es muß direkt als ein Kunstfehler bezeichnet werden, wenn wir uns
etwa heute noch auf sie beschränken wollen.
Unbedingt muß heute eine genaue quantitative und qualitative Messung
gefordert werden.
Auch der Ophthalmologe, der einen Kranken zur Röntgenbestrahlung
überweist, muß sich vorher vergewissern, daß in dieser Beziehung nichts
versäumt wird; denn er trägt schließlich an einem etwaigen -Mißerfolge
mit die Schuld.
Für genaue quantitative und qualitative Messungen stehen heute ver-
schiedene Methoden zur Verfügung. Sehr gut bewährt hat sich die von
H. Meyer angegebene Methode. Die Dosierung geschieht hier mit Hilfe
des Sabouraudschen Radiometers mit Hilfe einer von ihm besonders aus-
gebauten Technik. Der Röntgenbetrieb gestaltet sich in der Weise, daß
an zwei Zeigerapparaten, dem Milliamperemeter und dem Bauerschen
Härtemesser die Konstanz der Röhre überwacht wird und dann mit Hilfe
‚der Barretschen Distanzzündung und Osmoregulierung die stark entgasten
Röhren (Burgerröhren) auf dem gewünschten Härtegrad gehalten werden.
Die Qualität des Lichtes wird mittels einer zweimetalligen Härteskala (am
besten Benoist-Walter) bestimmt (Ritter).
Bei den Lidepitheliomen müssen wir ziemlich große Dosen applizieren.
Eine ängstliche, schleppende Behandlung ist unter allen Umständen, wie
auch Wetterer und H. Meyer betont, verfehlt. Als erste Dosis sind
etwa 15—18x zu geben, als zweite und eventuell dritte und weitere Dosis
wenigstens 10x, besser gleich 11—12x. Kleine Dosen sind auch des-
wegen nicht empfehlenswert, weil sie unter Umständen gerade Reiz-
erscheinungen auslösen und auf diese Weise die Malignität des Tumors
steigern können.
Birch-Hirschfeld meint, daß man bei der Bestrahlung meist mit
kleineren Dosen (?/, der Erythemdosis) auskommt. Ich glaube, daß das
wohl für einige Fälle zutreffen kann, daß es aber im allgemeinen vor-
zuziehen ist, von vornherein größere Dosen anzuwenden. Wenigstens habe
Röntgentherapie in der Augenheilkunde. 161
ich einen Fall gesehen, in dem es sich um ein etwa 1 cm langes Kan-
kroid an der unteren Lidhaut handelte, in dem die oft wiederholte Be-
strahlung mit kleinen Dosen (Bruchteilen der Erythemdosis) zwar ein
Weiterfortschreiten verhinderte, aber trotz jahrelanger Behandlung nie zu
einer Beseitigung des Tumors führte.
Von großer Bedeutung ist natürlich auch die Wahl der Strahlen-
qualität. Die für die Behandlung der Epitheliome wirksamste und beste
Strahlung ist eine solche vom Typus Benoist-Walter 5. Die von Schultz
für besondere Fälle empfohlene sehr weiche und überweiche Strahlung
halten wir nach unseren Erfahrungen bei der Epitheliombehandlung nicht
für indiziert.
Man muß sich natürlich bewußt sein, daß eine Dosis von 15—18x
weit über der Epilationsdosis liegt und dab sie für die umgebenden
Partien eine „Verbrennungsdosis“ darstellt.
Deswegen müssen wir bei so hohen Dosen auch dem Schutze des Auges
eine besondere Beachtung schenken. Die Frage, ob und in welcher Weise
wir das Auge schützen müssen, ist früher in verschiedener Weise beantwortet
worden. Mayou und Goldzieher meinten, daß ein Schutz des Auges
unnötig wäre.
Diese Auffassung ist heute doch wohl nicht mehr haltbar. Wir müssen
es heute als durchaus möglich betrachten, daß mit Dosen, wie wir sie
therapeutisch verwenden, das menschliche Auge schwer geschädigt werden
kann.
An der Bindehaut können Entzündungen auftreten, ferner Gefäß-
veränderungen, die sich schon mit der Jkupe nachweisen lassen (Birch-
Hirschfeld 1). Diese Gefäßveränderungen, die ja an sich ohne Bedeutung
sind, können dann sehr unangenehm werden, wenn sie in der Nähe der
Hornhaut liegen, weil sie dann zu sekundären Hornhauttrübungen führen
können.
An der Hornhaut sind öfters Entzündungen beobachtet worden
(van Duyse, Guglianetti, Weeks, Birch-Hirschfeld). Ich selbst
habe einen Fall beobachtet, der sich durch seine lange Dauer (3 Monate)
und durch die gänzliche Resistenz gegen alle therapeutischen Maßnahmen
auszeichnete.
Linsentrübungen sind beim Menschen wiederholt beobachtet (Gutmann,
Treutler, Birch-Hirschfeld, Paton).
Sie sind dadurch charakterisiert, daß sie im Pupillargebiet und zwar
in den hinteren Linsenteilen beginnen. Es scheint aber, daß die Linse
nur durch ganz abnorm große Dosen und nur bei häufiger Bestrahlung ge-
schädigt wird.
11
162 Stargardt,
An der Regenbogenhaut können Entzündungen und Gefäßveränderungen
im Sinne der vakuolisierenden Gefäßdegeneration auftreten (Birch-
Hirschfeld).
Die Netzhaut kann in zweierlei Weise geschädigt werden. Einmal
kann es auch hier zu Gefäßveränderungen (vakuolisierende Degeneration)
kommen, durch die sekundär das nervöse Gewebe geschädigt werden kann;
dann aber können zweifellos (Birch-Hirschfeld) die Ganglienzellen der
Netzhaut direkt durch die Röntgenstrahlen schwer geschädigt werden. Solche
Schädigungen, die im wesentlichen in Chromatolyse und Vakuolisation be-
stehen, sind auch beim Menschen histologisch nachgewiesen worden. Neben
diesen Veränderungen kommt auch, wie Birch-Hirschfeld in einem Falle
fand, zystoide Degeneration der Netzhaut in der Makulagegend vor.
Es ist zuzugeben, daß in manchen der bisher beobachteten Fälle von
Bulbusschädigungen beim Menschen abnorm große Dosen zur Anwendung
gekommen sind, die dazu noch nicht einmal abgemessen waren. Soviel ist
aber Jedenfalls sicher, daß wir mit Erythemdosen schon erhebliche Konjunk-
tival- und Hornhautentzündung hervorrufen können. Daß eine einmalige
Erythemdosis genügt, beim Menschen auch Netzhautveränderungen zu er-
zeugen, ist bisher nicht bewiesen. Es ist aber wohl zweckmäßig, solange
nicht das Gegenteil nachgewiesen ist, auch mit dieser Möglichkeit zu rechnen.
Mir scheint jedenfalls die Frage, ob wir das Auge bei den Be-
strahlungen schützen müssen, schon heute dahin entschieden zu sein, dad
das unbedingt geschehen muß.
Es erhebt sich nun die zweite Frage, in welcher Weise wir das Auge
schützen können. Ich selbst habe im Jahre 1905 bei Versuchen über die
Wirkung der Röntgenstrahlen auf den Trachomfollikel das Auge durch
dicke Bleiplatten geschützt. Diese Bleiplatten waren auf der dem Bulbus
zugewandten Seite entsprechend der Hornhautkrümmung ausgehöhlt und
wurden vor jedesmaligem Gebrauche auf dieser Seite besonders sorgfältig
geglättet. Eine Schädigung durch diese Bleiplatten habe ich nie gesehen.
Ich glaube auch, dal die Befürchtung Steiners, es könnten durch den
zu innigen Kontakt mit dem Auge „Bleiintoxokationen“ entstehen, nicht
gerechtfertigt ist. Das einzige, was zu befürchten wäre, wären bei bestehenden
Hornhautulzerationen Bleiinkrustationen, wie wir sie z. B. bei Gebrauch
von Bleiwasser leider immer noch sehen. Ich glaube aber, daß auch diese
Bleiinkrustationen nur bei Anwendung von Blei in Lösungen entstehen
und daß sie bei Anwendung der von mir angegebenen Bleiplatten nicht
zu befürchten sind.
Dagegen scheint mir aus einem anderen Grunde der Gebrauch der
Bleiplatten nicht schr zweckmäßig zu sein. Ich hatte ihnen die Gestalt
der bei Augenoperationen viel gebrauchten Jägerschen Platten gegeben.
Röntgentherapie in der Augenheilkunde. 163
Sie konnten deswegen nicht einfach in den Bindehautsack eingelegt werden,
sondern mußten während der ganzen Dauer der Bestrahlung von dem
Patienten selbst gehalten werden. Das ist erstens sehr unbequem für den
Patienten und erschwert zweitens den Bleischutz der Umgebung des
Auges.
Ich bediene mich jetzt der Bleiglasschalen von F. Ad. Müller Söhne
(Wiesbaden), die wie eine Prothese vorn auf das kokainisierte Auge
gesetzt werden. Sie lassen natürlich einige Strahlen hindurch, doch sind
das meines Erachtens nach so wenig, daß eine Schädigung des Auges
durch sie nicht bedingt wird.
H. Meyer (Kiel) hat die Durchlässigkeit der Schalen gemessen und
hat gefunden, daß ungefähr 90—95°/, der Strahlen durch diese Bleiglas-
schalen absorbiert werden, sodaß nur ein verschwindend kleiner Bruchteil
in das Auge gelangt, von dem wir wohl mit Sicherheit annehmen können,
daß er keine schädigende Wirkung auf das Auge hat.
Die Schalen sind außerordentlich bequem, nur muß man mehrere
Schalen vorrätig halten, da der Bindehautsack bei verschiedenen Personen
verschieden groß ist und zu kleine Schalen leicht herausgleiten können,
ganz abgesehen davon, daß nie natürlich auch nicht genügend Schutz ge-
währen. Vor dem Einlegen der Schalen in den Bindehautsack feuchtet
man sie zweckmäßig mit physiologischer Kochsalzlösung an. Auch ist es
unbedingt erforderlich, das Auge genügend unempfindlich zu machen, was
durch 2—3 Tropfen einer 2°/ igen Kokainlösung zu erreichen ist.
Die Umgebung des Kankroides, die nicht bestrahlt werden soll, schützt
man am besten durch Aufstreichen eines dicken Wismuthbreies. Statt des
Wismuthbreies kann man auch das 50 mal billigere Baryumsulfat benutzen
(Hoffmann). Der Schutz der Umgebung des Kankroides muß deswegen
ein besonders sorgfältiger sein, weil sonst die Zilien und die Meibohm-
schen Drüsen geschädigt werden können. Handelt es sich bei dem Schutz
der Zilien nur um kosmetische Rücksichten, so spielt bei den Meibohm-
schen Drüsen doch die Rücksicht auf ihre physiologische Bedeutung eine
grofie Rolle. Die Meibohmschen Drüsen haben die Aufgabe, mit einem
Fette, das wesentlich dünnflüssiger ist, als das Sekret der Talgdrüsen der
Haut, den freien Lidrand zu bedecken. Fehlt dieses Fett, so laufen nicht
nur die Tränen über den Lidrand herab, sondern es kommt auch leicht
zu Macerationen des Epithels. Da durch die Lidkankroide schon ohnehin
gewöhnlich ein Teil der Meibohmschen Drüsen zerstört ist, haben wir
allen Grund, für die Erhaltung der noch vorhandenen zu sorgen. Die
weitere Umgebung kann in der gewöhnlichen Weise durch bleiimprägnierten
Müllerschutzstoff geschützt werden. Es ist aber bei der Lagerung dieses
Stoffes besonders darauf zu achten, dal nicht etwa Strahlen zwischen ihm
11*
164 Stargardt,
und der auf dem Bulbus liegenden Bleiglasschale passieren und das Auge
schädigen können.
Tischner hat in einem Falle die Röntgenbehandlung abbrechen müssen,
weil eine alte skrophulöse Keratitis rezidivierte. Bei genügendem Schutze,
z. B. durch die erwähnte Bleiglasschale ist ein solcher Zwischenfall wohl
nicht zu befürchten.
Besondere Beachtung verdient noch die Frage, wie wir uns in den
Fällen zu verhalten haben, in denen das Epitheliom schon auf die Innen-
seite der Lider, also auf die Bindehaut übergegriffen hat. Camill Hirsch
hat vor kurzem einen Fall beschrieben, in dem die Behandlung des Haut-
kankroides mit Röntgenstrahlen zu einem vollen Erfolge geführt hatte, ın
dem aber der in der Bindehaut sitzende Teil des Kankroides durch die
Röntgenstrahlen absolut nicht zu beeinflussen war. Es wurde deswegen
die Bindehaut mit Radium behandelt und zwar wurde das Radium in einer
Bleikapsel, die entsprechend der erkrankten Bindehautstelle ein Loch hatte,
direkt auf die ergriffene Bindehaut aufgelegt. ‚Jede Sitzung dauerte eine
Stunde und darüber. Nach jeder Sitzung bildete sich auf der Geschwürs-
fläche ein grauer Schorf, der ganz oberflächlich war und sich ohne Blutung
leicht abziehen ließ. Durch 12 Sitzungen wurde völlige Heilung erzielt.
Ich glaube, daß man auch in solchen Fällen mit Röntgenstrahlen zum
Ziele kommt, wenn man von vornherein die Bindehaut in genügender Weise
mitbestrahlt. Ich habe selbst vor kurzem einen solchen Fall beobachtet.
Es handelte sich um einen 47jährigen Mann, der im Jahre 1904 beim Des-
infizieren eine Verätzung des unteren Lidrandes durch Kalkmilch, die bekanntlich
20°/, ätzendes Kalkhydrat enthält, erlitten hatte. An der verätzten Stelle hatte
sich zunächst eine immer wiederkehrende Entzündung entwickelt, dann war es zu
Falschstellung von Zilien durch Narbenbildung gekommen, die auch 1908 eine
Trichiasisoperation notwendig gemacht hatte. Auf dem Boden dieser verätzten
und dauernd gereizten Stelle hatte sich schließlich ein Kankroid entwickelt, das
zu Beginn der Behandlung schon in einer Ausdehnung von 7 mm den Lidrand
arrodiert hatte und in einer Breite von 4 mm auf die Innenseite der Bindehaut
übergegriffen hatte. Bei der Bestrahlung, die von H. Meyer, Kiel ausgeführt
wurde, haben wir vor allem dafür gesorgt, daß die erkrankte Bindehautfläche ge-
nügend bestrahlt wurde. Es geschah das sehr einfach dadurch, daß der Lidrand
mit Hilfe eines Leukoplaststreifens weit nach unten gezogen wurde. Auge und
Umgebung wurden in der oben angegebenen Weise geschützt. Als erste Dosis
wurden 15x appliziert. Schon nach vier Tagen zeigte sich eine sehr lebhafte
Reaktion der Bindehaut an der bestrahlten Stelle Auch die Lidhaut war etwas
gerötet und geschwollen. Die Reaktion nahm bis zum 14. Tage noch etwas zu,
um dann langsam abzuklingen. Schon drei Wochen nach der ersten Bestrahlung
war der Epithelwall fast ganz verschwunden, und der zerfallene Grund des
Epithelioms hatte sich gereinigt. Es war von dem Epitheliom kaum noch etwas
zu sehen. Acht Wochen nach der ersten Bestrahlung wurde eine zweite Be-
strahlung mit 12x ausgeführt, da auf der Innenseite des Lides in der Bindehaut
des Tarsus noch etwas verdicktes und uns verdächtig erscheinendes Epithel zu
Röntgentherapie in der Augenheilkunde. 165
sehen war. Es trat dieses Mal nur eine ganz geringe Reaktion nach 10 Tagen
ein. Die Epithelverdickung bildete sich dann zurück. Das Epitheliom ist jetzt
seit sechs Monaten geheilt. Auch bei der sorgfältigsten Untersuchung mit starken
Vergrößerungen (binokulares Mikroskop) läßt sich von dem Tumor nichts mehr
nachweisen. f
Der Fall scheint mir doch soviel zu beweisen, daß bei genügender
Bestrahlung auch das in der Konjunktiva sitzende Epitheliom geheilt werden
kann. Allerdings glaube ich, ist es dazu unbedingt erforderlich, daß die
Bindehaut so gelagert wird, daß die Röntgenstrahlen direkt auf sie wirken
können. Ob eine ähnliche Wirkung durch das Lid hindurch zu erreichen
ist, möchte ich sehr bezweifeln. Daß wir für die Teile des Epithelioms,
die sich in der Bindehaut entwickelt haben, eine geringere Radiosen-
sibilität annehmen müssen, wie dies nach dem O. Hirschschen Falle
scheinen könnte, glaube ich auf Grund meines Falles ausschließen zu können.
Soweit sich nach dem bisher vorliegenden Materiale ein Urteil über
den Wert der Röntgenbehandlung der Lidepitheliome bilden läßt, muß das
unbedingt günstig lauten. Das Verfahren ist schmerzlos, es ist bei richtiger
Dosierung und bei genügendem Schutze des Bulbus ungefährlich und es
gibt so ausgezeichnete Resultate, wie wir sie speziell in Bezug auf die Kos-
metik mit keiner anderen Methode erreichen können. Grade, wer reichlich
Gelegenheit gehabt hat, Lidepitheliome operativ zu behandeln, muß das
ohne weiteres zugeben. |
Wir müssen heute unbedingt versuchen, mit Bestrahlungen auszukommen,
und operative Eingriffe zu vermeiden. Auf Rezidive müssen wir natürlich
ebenso achten wie früher. Ob aber wirklich die Rezidive nach Röntgen-
bestrahlung häufiger sind, als nach operativen Eingriffen, wie das von
einigen Autoren angegeben wird, das wird sich erst dann entscheiden lassen,
wenn in jedem Falle eine genaue quantitative und qualitative Messung der
angewandten Dosis ausgeführt ist.
So lange das nicht der Fall ist, müssen wir m. E. Mißerfolge in erster
Linie auf eine unzulängliche Methode zurückführen.
Literatur.
Birch-Hirschfeld. Zur Wirkung der Röntgenstrahlen auf das menschliche Auge.
Klin. M. f. A. XLVI, 1908, T. 2, S. 129.
Derselbe. Die Wirkung der Röntgen- und Radiumstrahlen auf das Auge.
v. Graefes Arch. f. Ophthalm., Bd. 59, 1904.
Derselbe. Die Wirkung der strahlenden Energie auf das Auge in Lubarsch-
Ostertags Ergebn. d. Allg. Pathologie und Pathol. Anatomie des Menschen
und der Tiere. XIV. J. Erg. 1910.
Bergonié. Cancroide de la paupière et de l’orbite traité avec succès par la ra-
diotherapie. Arch. d’electr. med. Avril 1904.
166 Stargardt,
Bull. Die Behandlung inoperabler bösartiger Geschwülste mit X-Strahlen. Kongr.
der Amer. Ophthalm. Ges. Boston, Mai 1%5b. Ref. klin. Monatsbl. f. Augenh.
XLII, 2, S. 574.
Cargill. Rodent ulcer of right eyelid and nose, part treated by zincionisation
and part by X-rays. Trans. Ophth. Sci. N. K. XXIX, II 1909, p. 153.
Claiborne. Disc. zu Bull.
Denti. Die Röntgentherapie bei den Hautepitheliomen im allgemeinen und der
Lider im besonderen. 19. Vers. d. ital. Ges. f. Ophthalm. Okt. 1907. Ref.
Zeitschr. f. Augenh. XIX, 1, 8.78.
Dolcet. Über die Vorteile der Exstirpation über die Radiotherapie bei der Be-
handlung des Lidkarzinoms. XI. intern. ophthalm. Kongreß, Neapel 1909.
van Duyse. Epitheliom geheilt durch X-Strahlen. Soc. belge d’ophthalm.
Nov. 1904.
Greeff. Lidkarzinom durch Licht geheilt. (Ges d. Chariteärzte Berlin.) Ref.
Münch. med. Wschr. 1905, S. 336.
Gueviteau. Epithelioma du sac lacrymal, guerison par les rayons de Roentgen.
La clin. ophthalm. 1905 p. 67.
Guglianetti. I raggi Roentgen nella cura degli epithelioma oculari. Annali di
Ottalm. XXXV 1904, p. 323.
Hamer. Carcinoma palpebrae inferioris, behandelt mit X-Strahlen. Nederland.
Tijdschr. voor Geneesk. I p. 651, 1904. Ref. Z. für Augenh. III, 5, S. 510.
Hauchamps. Lidkarzinom durch Radium günstig beeinflußt. Deutsche med.
Wschr. 1908,
Hirsch-Camill.e Über kombinierte Röntgen-Radiumbehandlung bei Lid-
karzinom. KI. Mon. f. Augenh. 1911, Bd. XII, Neue Folge, J. 49, S. 201.
Hoffmann. Ein Ersatzmittel für Wismuth in der Röntgentherapie. Mon. f.
prakt. Dermat. Bd.53, Nr. 10.
de Lantsheere. Behandlung eines Ulcus rodens mit X-Strahlen. Soc. belge
d’ophthalm. November 1904. Ref. Kl. Mon. f. Augenheilk. LXIH. 1, S. 522.
de Lapersonne. Action des rayons X sur l'œil et radiothérapie oculaire. Presse
méd. 1905.
Kenney. Cancer of the eyelid treated by X rays. Ref. Jahresb. f. Augenheilk.
(Nagel-Michel) 1902.
Marple. Disc. zu Bull.
Mayou. Rodent Ulcer of the face, involving the upper and lower lid, treated
by X-rays. Ophthalm. Rev. July 1902, p. 202.
Meyer, Hans. Eine Methode zur Messung der Röntgenstrahlung in der Therapie.
Münch. medic. Wschr. Nr. 4, 1911.
Meyer und Ritter. Zur Methodik der qualitativen Strahlenmessung. Berl.
klin. Wschr. 1912, Nr. 2.
Morestin. Epithelioma.... Recueil d’ophthalm. 1908, p. 281.
Nagelschmid. Über die zurzeit feststehenden Indikationen der Röntgentherapie.
Röntgen-Taschenbuch Bd. III. Leipzig 1911. S. 126.
Newcomes. The therapeutic application of the X-ray. Annals of Ophthalm. p.
618. 1906.
Olivier y Knipe. A case of epithelioma of the inner palpebral angle. Wills
Hospit. Ophth. Society. Ophth. Record p. 135, 1909.
Oram-Ring. Therapeutische Verwendung der X-Strahlen in der Ophthalmologie.
Ann. med. Ass. 1906.
Röntgentherapie in der Augenheilkunde. 167
Perthes. Über den Einfluß der Röntgenstrahlen auf epitheliale Gewebe, insbes.
auf das Karzinom. Arch. f. klin. Chirurgie LXXI, 4, 1903, S. 955.
Ritter. Der rationelle Röhrenbetrieb in der Röntgentherapie. Münch, med. Wochen-
schrift 1912, Nr. 3.
Rosenkranz. Die Fulgurationsbehandlung der Krebse nach Keating-Heart.
Berl. Kl. W. 1908.
Salomonson-Wertheim. Ulcus rodens en X-Strahlen. Nederland. Tijdschr.
vor Geneesk. II p. 642, 1903.
H. E. Schmidt. Röntgenrefraktäres Ulcus rodens durch Röntgenbestrahlung
geheilt, nach vorangegangener Sensibilisierung. Verhandl. d. VII. Röntgen-
kongresses, S. 105.
deSchweinitz. Heilung eines Lidepithelioms durch Röntgenstrahlen. College
of Physic. of Philad. Ref. Klin. Mon. f. Augenh. XLVI, S. 330.
Snyders. Epitheliome of the eye. Ophthalmology 1905.
Stargardt. Über die Wirkung der Röntgenstrahlen auf den Trachomfollikel.
Z. f. Augenh. 1905, Bd. XIV, S. 251.
Steiner R. Die Röntgen-Therapie in der Okulistik. Röntgen-Taschenbuch
Bd. III, Leipzig 1911.
Tischner. Über Röntgentherapie bei Lidkarzinomen. Klin. Mon f. Augenh. 1911.
Bd. XLIX, S. 477.
Trousseau. Les épithéliomes des paupières. Opération ou radiothérapie? Annales
d’oculist. 1906.
Valude. A propos du traitement des cancroides par la radio-thérapie. Ann. d. Ocul.
Août 1905.
Wetterer. Die Röntgenbehandlung subkutaner Tumoren. Röntgen-Taschenbuch
Bd. UI, Leipzig 1911, S. 172.
Aus der Kgl. Universitäts-Augenklinik zu Kiel.
(Direktor: Prof. Heine.)
Die Behandlung der Hornhautepitheliome durch Röntgen-
strahlen.
Von
Dr. Arnold Burk, Assistent der Klinik.
Mit 1 Figur,
D“ Behandlung von Epitheliomen der Cornea mit Erhaltung des Bulbus
ist bisher noch nicht möglich gewesen, man war vielmehr selbst bei
nicht erblindetem Auge zur Enukleation gezwungen, und der Vorschlag von
Reis!), auf radikale Behandlung zu verzichten und unter Berücksichtigung
des langsamen Vordringens, des geringen Tiefenwachstums sowie der geringen
Neigung des primären Hornhautepithelioms, auf die Umgebung überzugreifen.
in gewissen Fällen die Abtragung des Tumors vorzunehmen, dürfte wohl
nur in ganz besonders liegenden Fällen (z. B. bei Einäugigen) in Betracht
kommen.
Ich bin nun in der Lage, über eine Heilung von Hornhautepithelion:
durch Röntgenbestrahlung mit Erhaltung des Augapfels zu berichten.
J. F., 76 jähriger landwirtschaftlicher Arbeiter, bemerkte vor neun Jahren
einen grauen Fleck auf der linken Cornea, der sich nur ganz allmählich ver-
größerte. Seit einem halben Jahre habe sich das Sehvermögen auffallend ver-
schlechtert.
Befund: Beiderseits Konjunktiva gerötet, Entropium spasticum mäßigen Grades
an allen Lidern, links oben Trichiasis. Die unteren ?/, der linken Hornhaut sind
von einer flachen, grauweißen, höckerigen Geschwulst bedeckt, welche temporal
unten den Limbus erreicht und die Konjunktiva daselbst in einer zum Hornhaut-
rande konzentrischen kleinen Falte vor sich herschiebt. Nach der Lage des Tumors
muß man sein primäres Entstehen auf der Hornhaut annehmen. Die Zilien des
Oberlides schleifen auf dem Tumor und bilden so durch die chronische Reizung
möglicherweise die Ursache für denselben. Die vom Tumor freien Teile der Cornea,
das sind das obere Drittel und die nasale und nasal untere Randpartie, sind ober-
flächlich getrübt und von zarten oberflächlichen Gefäßen versorgt, während zum
Tumor einige größere Gefäße aus der Konjunktiva hinziehen und sich in ihm
verzweigen. Das Sehvermögen beträgt Fingerzählen !/),m. Bei erweiterter Pupille
ist der Optikuseintritt sichtbar, normal, dagegen finden sich senile Dehiszenzen in
der Macula lutea. Am rechten bestehen ebenfalls zarte Maculae corneae und die-
1) Reis, Über einige seltenere Geschwülste des Augapfels epithelialer Natur.
K]. Mon. f. Augenheilk. Bd. 41. 11. 401ff.
Burk, Behandlung der Hornhautepitheliome. 169
selben Macula-Veränderungen, durch welche der geringe Visus von S=Fg 1,5m
erklärt wird.
Eine Probeexzision von der dem Hornhautzentrum zugehörenden Partie
ergab folgendes Bild (vgl. nachstehende Figur).
Der Tumor, von solider Konsistenz, besteht in der Hauptsache aus Epithel-
zellen und ist von zahlreichen Kapillaren durchzogen. Senkrecht geführte Schnitte
zeigen, daß der Probeexzisionsschnitt größtenteils in epitheloidem Gewebe geführt
ist, zum kleineren Teil eine am Grunde liegende, sehr zellreiche und fast nur
aus Kapillaren bestehende Bindegewebsschicht getroffen hat. Von der Bow-
manschen Membran und dem Stratum corneae ist nichts zu sehen. An die von
Endothel bekleideten Kapillaren schließt sich überall zunächst eine Schicht pallisaden-
förmig angeordneter Zellen. Die darauffolgenden Zellen zeigen sehr schnell
Neigung zu konzentrischer Schichtung, die bald an vielen Stellen zur Bildung
von Verhornungszentren führt. Die Zellen besitzen durchweg einen ziemlich
großen Protoplasmaleib und einen oft rundlichen, meist jedoch ovalen, dunkel-
gefärbten Kern. Sie sind überall durch eine ungefärbte Spalte voneinander ge-
trennt, welche von zierlichen Interzellularbrücken durchzogen sind. In den zahl-
reichen Hornperlen sind die Zellgrenzen nicht mehr zu erkennen und die Kerne
liegen viel spärlicher in der homogen gefürbten Protoplasmamasse. Eine eigen-
artige Vakuolisierung findet man an fast allen Zellkernen, und zwar um so weiter
170 Burk,
fortgeschritten, als sich die Zellen dem Verhornungsprozeß nähern. Die Vakuole
pflegt den größten Teil des Kernes einzunehmen und liegt entweder in der Mitte
oder sie hat den Rest der sehr stark färbbaren Hornsubstanz an die Wand ge-
drängt. Im Gebiet der Hornperlen ist der Kern etwas gequollen und enthält
2—4 und mehr Vakuolen, so daß er in der Tat nur noch eine von blau gefärbten
Fäden durchzogene Blase darstellt. Mancherorts finden sich auch schöne Mitosen.
Da die Diagnose auf Epitheliom !) zu stellen war, wurde dem Patienten die
Enukleation vorgeschlagen, die derselbe jedoch verweigerte. Sonach schien ein
Versuch, den Tumor durch Röntgenstrahlen zu beeinflussen, gerechtfertigt.
Nach Epilation der gegen die Kornea gekehrten Zilien wurde am 5. III. 12
erstmalig eine Dosis von 10 x anf das ungeschützte Auge appliziert unter mög-
lichster Abdeckung der Umgebung. Die Strahlenqualität war BWö. Am 19. Ill.
mäßige Rötung des ganzen Gesichts, vorwiegend aber der Umgebung des linken
Auges und leichte Vermehrung der konjunktivalen Hyperämie. 22, III.: Erythem
auf die Umgebung des linken Auges zurückgegangen. In der Krankengeschichte
findet sich der Vermerk: „Corneal-Tumor scheint dünner zu werden (?)‘. Im
Laufe der nächsten Tage setzte ein so rapides Einschmelzen des Tumors ein, daß
eine am 23. begonnene Skizze am 25. nicht fortgeführt werden konnte. Die Ver-
kleinerung zeigte sich hauptsächlich in Dickenabnahme, zugleich schmolz er aber
auch in der Flächenausdehnung zusammen, am nasalen Rande, wo er durch die
Exzision schon vorher dünner war, beginnend. Entzündliche Erscheinungen waren
dabei sehr gering. Die an sich starke Vaskularisation wurde durch eine aktive
Hyperämie deutlicher, zugleich nahm die Konjunktival-Injektion zu. 28. III.:
nur noch am temporalen Hornhautrande zwei stecknadelkopfgroße flache graue
Knötchen. An diesem Tag bemerkte man am unteren Rande in der Ausdehnung
von ca. 1 qcm eine weißliche Verfärbung der Conjunctiva bulbi. Eine Probe-
exzision war wegen der Brüchigkeit des Gewebes nicht möglich, es handelte sich
um einen oberflächlichen Zerfall des Konjunktival-Epithels, der in wenigen Tagen
verschwand, ohne eine Narbe zu hinterlassen. 2. IV. 2. Bestrahlung: Dosis 10 x,
Strahlenqualität BW5. Die Konjunktivitis ließ in den nächsten Tagen nach. 6. IV.
war von dem Tumor auch mit dem Korneal-Mikroskop nichts mehr nachzuweisen
und in den darauffolgenden Tagen hellte sich die im Bereich des Tumors getrübte
Kornea wesentlich auf, die Iris war durch dieselbe in allen Einzelheiten zu sehen
und die Vaskularisation ging so bedeutend zurück, daß am 29. IV. nur noch ver-
einzelte feine Zweige übrig waren. Die Konjunktiva blieb noch leicht gereizt,
doch litt Patient schon vorher an einer beiderseitigen chronischen Konjunktivitis.
Im Bereich des Tumors war noch eine sehr feine Macula übrig, welche an der
Stelle der Exzision die Form einer leichten Applanatio corneae hatte. Der übrige
Augenbefund war unverändert, insbesondere war bei maximal erweiterter Pupille
nichts von Katarakt zu sehen. Irishyperämie war während der ganzen Behand-
lungsdauer nicht aufgetreten.
Die Röntgenstrahlenwirkung ist im vorliegenden Fall unter zwei Ge-
sichtspunkten von Interesse. Erstens die ganz eklatante Wirkung auf den
Tumor, der im Laufe von 3 Wochen durch zwei Bestrahlungen von mäßig
hoher Dosis vollständig verschwand mit Hinterlassung einer zarten Narbe.
1) Herr Privatdozent Dr. Wilke, 1. Assistent am Pathologischen Institut, hatte
die Güte, die Präparate durchzusehen und bestätigte die Diagnose.
Behandlung der Hornhautepitheliome. | 171
Es ist dies der erste Fall von Heilung eines Korneal-Epithelioms durch
Röntgenstrahlen. Guglianetti!) hatte bei einem solchen einen erfolglosen
Versuch gemacht und mußte enukleieren.
Zweitens das Ausbleiben jeglicher Schädigung des Auges, von einer
unbedeutenden vorübergehenden Konjunktivitis abgesehen, welche bald nach
dem Optimum der Strahlenwirkung in der 3. Woche wieder abklang.
Der Widerspruch, der in diesem Fall gegenüber den auf experimen-
tellem Wege gemachten Erfahrungen Chalepuckys?) und Birch-Hirsch-
felds?) zu liegen scheint, ist nur ein scheinbarer, denn diese Autoren
haben in ihren Experimenten, deren Erfolg sie vor der Bestrahlung des
Auges zunächst noch warnen ließ, entweder die Strahlendosis überhaupt
noch nicht abgemessen, oder so hohe Dosen gewählt, wie sie heute auch
bei therapeutischer Bestrahlung der äußeren Haut wegen ihrer schädlichen
Wirkung nicht mehr zur Anwendung kommen. Es ist daher auch durch-
aus unwahrscheinlich, daß sich in diesem Falle ähnlich wie in den Fällen
von Birch-Hirschfeld Spätfolgen am Auge noch zeigen werden, da eben
die Dosen, die hier zur Heilung ausreichten, recht gering waren.
Es ist also die Möglichkeit erwiesen, Hornhautepitheliome ohne Schä-
digung des Auges durch Röntgenbestrahlung zur Heilung zu bringen, und
es knüpft sich daran die Hoffnung, daß in der Hand des Geübten dıe
Röntgentherapie auch in der Behandlung der Kornealepitheliome Ersprieß-
liches zu leisten vermag.
Die Röntgenbehandlung wurde in dem vorliegenden Falle in dem
Institut für Strahlenbehandlung der Kgl. Dermatol. Klinik zu Kiel vor-
genommen.
nn
1) Guglianetti, Radiotherapie bei Epitheliom. Arch. di Ophthalm. 1906.
Ref. C.-Bl. f. Aug.
3) Chalepucky: Über die Wirkung der Röntgenstrahlen auf das Auge und
die Haut. U.-Bl. f. Aug. Bd. 21. 1907.
Ders.: Über die Wirkung der Röntgenstrahlen. Ebenda.
s) Birch-Hirschfeld: Die Wirkung der Röntgenstrahlen auf das Auge.
Graefes Arch. f. Ophthal. Bd. 59.
Aus dem Institut für Strahlenbehandlung der Königlich dermatologischen
Klinik zu Kiel (Direktor Prof. Dr. Klingmüller).
Experimentelle Untersuchungen zur biologischen
Strahlenwirkung.
Von
Privatdozent Dr. Hans Meyer und Dr. Hans Ritter.
s sollen in folgendem eine Reihe von Experimenten besprochen werden,
die vielleicht geeignet sind, in eine grundlegend wichtige Frage der
biologischen Strahlenwirkung einige Klarheit zu bringen, nämlich in die
Beziehung zwischen Qualität der Röntgenstrahlung und ihrer
biologischen Wirksankeit.
Zwischen der Strahlenqualität und der Art ihrer biologischen Wirkung
besteht ganz sicher ein Zusammenhang. Wenn man aber alles übersieht,
was an Tatsachen bekannt ist, die uns über diese ungemein wichtige und
schwierige Frage hinreichenden Aufschluß geben könnte, so ist die Aus-
beute recht gering. Der Grund, weshalb dieses Problem bisher so schwierig
anzugreifen war und so wenig fruchtbare Bearbeitung gefunden hat, liegt
wohl darin, daß die Grundlage für die Bearbeitung desselben, nämlich die
Kenntnis der Strahlenabsorption im Gewebe bei den ver-
schiedenen Strahlenqualitäten bisher fehlte. Ohne die genaueste
Berücksichtigung der Strahlenabsorption ist aber natürlich ein Vergleich
der biologischen Wirksamkeit der einzelnen Strahlenqualitäten unmöglich.
Eine einfache Überlegung kann uns das sofort klar machen.
Wenn wir eine Strahlung auf die normale Haut applizieren, so sehen
wir, daß die Reaktion auf die Haut je nach der Qualität der gewählten
Strahlung ganz verschieden ausfällt: wählen wir eine sehr weiche Strahlung.
so wird man die Beobachtung machen, daß die Haut mit einer viel
stärkeren Entzündung reagiert als bei Applikation härterer Strahlen; die
entzündungserregende Wirksamkeit der weichen Strahlen auf die Haut ist
augenscheinlich eine größere. Aus dieser Beobachtung hat sich die Auf-
fassung herausgebildet, daß die weiche Strahlung als solche eine viel stärkere
biologische Energie entwickle, als die harte. Aber man muß doch bei dieser Be-
obachtung einen sehr wichtigen Faktor berücksichtigen, nämlich die Strahlen-
absorption in der Haut. Denn wenn wir uns fragen, worin liegt nun dieser
ganz evidente Unterschied in der entzündungserregenden Wirksamkeit harter
und weicher Strahlen auf die Haut begründet, so kann offenbar dieser
Meyer u. Ritter, Untersuchungen zur biologischen Strahlenwirkung. 173
Unterschied auch herrühren von der Verschiedenheit der in der Haut ab-
sorbierten Strahlenmenge. Je weniger penetrationskräftig, je weicher also
die Strahlung ist, desto größer muß natürlich auch die Menge der von
der Haut absorbierten Strahlendosis sein und um so größer dementsprechend
die Wirkung. Wenn man nun die Absorption der Strahlung in der Haut
bei den verschiedenen Strahlenqualitäten nıßt, und diese Messung wurde
von uns in langen Versuchsreihen an Leichenhaut und am Kaninchenohr!)
vorgenommen, so ergeben sich dabei ganz erhebliche Differenzen: Wählen
wir z. B. eine Strahlung von Typus Benoist-Walter 4, so betrug bei
dem Strahlengemisch der von uns benutzten Röntgenröhren die Absorption
ca. 35°), der applizierten Strahlung, geht man jetzt mit der Strahlen-
qualität in die Höhe, so sinkt die Absorption beim Typus Benoist-
Walter 5 auf ca. 25°,, bei Typus Benoist-Walter 6 auf ca. 20°),
und wählen wir jetzt eine sehr harte Strahlung, wie wir sie in der Tiefen-
therapie anwenden, nämlich eine durch 4 mm Aluminiumfilter gehärtete
Strahlung, so finden wir jetzt bei denselben Versuchsbedingungen nur noch
6"/, der Oberflächendosis. Wir: sehen also, daß in dem einen Fall, bei
Applikation der weichen Strahlung, die sechsfache Menge der
Strahlen in der Haut absorbiert wird, wie bei der sehr harten
oder mit anderen Worten, würden wir eine Normaldosis applizieren, so
wird in dem einen Fall davon !/,, in dem anderen aber !/,, zur Absorption
und damit zur Wirkung gelangen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß
diese großen Unterschiede in der Absorption völlig ausreichen, um die
Verschiedenheit der erwähnten Wirkung der Strahlen auf die Haut zu
erklären und es ist jetzt wohl einleuchtend, daß die uns hier interes-
sierende Frage, ob die biochemische Wirkung harter Strahlung sich von
der mittelweichen resp. weichen unterscheidet, ob also die weichen Strahlen
einen stärkeren oder schwächeren Effekt auf die Zellen ausüben, als die
harten, nur gelöst werden kann mit Berücksichtigung der Strahlenabsorption._
Aın besten und einfachsten ist natürlich ein Vergleich der Strahlenwirkung
bei den verschiedenen Strahlenqualitäten möglich, wenn die Strahlen-
absorption in den zu behandelnden Objekten gleich ist.
Es ist nun das nicht genug zu würdigende Verdienst des Berner
Röntgenologen Christen, uns nicht nur in der Halbwertschicht
ein absolutes Maß für die Strahlenqualität geliefert zu haben,
sondern vor allem auch über die Strahlenabsorption im Gewebe uns außer-
ordentlich klare und völlig grundlegende Anhaltspunkte gegeben zu haben.
Auf diese von Christen aufgestellte Absorptionsgesetzen stützen sich
die vorliegenden Untersuchungen.
1) Diese Messungen wurden an der Christenschen Absorptionstabelle kon-
trolliert und ergänzt.
174 Meyer und Ritter,
Wir gehen zunächst auf Experimente ein, die sich auf die Tiefen-
wirkung der Röntgenstrahlen beziehen.
Zunächst wollen wir betonen, daß wir uns die Auffassung von
Christen vollständig zu eigen machen, wonach man die Absorptions-
fähigkeit pflanzlicher und tierischer Gewebe, soweit sie für die biologische
Röntgenwirkung überhaupt in Frage kommen, unbeschadet der Genauig-
keit mit der des destillierten Wassers gleichsetzen kann. Frank-Schultz
hat ja die verschiedenen Gewebe auf ihre Dichtigkeit hin untersucht und
hat die spezifischen Gewichte der einzelnen Organe in einer Stufenfolge
zusammengestellt. Dabei hat sich, wie Christen im Gegensatz zu
Schultz völlig mit Recht hervorhebt, aber nur das eine herausgestellt, daß
nämlich diese Unterschiede in der spezifischen Dichte außerordentlich ge-
ring sind, daß die spezifischen Gewichte der verschiedenen Gewebe, so-
weit sie für die Strahlenwirkung in Betracht kommen, so nahe bei-
einander liegen, daß man diese geringen Differenzen getrost vernach-
lässigen kann.
Als biologisches Maß für die Wirksamkeit der Röntgenstrahlen wählten
wir zunächst den wachstumshemmenden Einfluß auf Pflanzen-
keimlinge, und zwar nahmen wir Erbsenkeimlinge des zweiten Quellungs-
tages, die sich für diesen Zweck ganz hervorragend gut bewährten. Die
Tiefenbestrahlungen wurden nun also einfach in der Weise ausgeführt,
daß die Keimlinge von einer 4 cm hohen Wassersäule überschichtet wurden;
und die Frage, die wir uns nun vorlegten, war die: Wie verhält sich die
biologische Wirkung der Strahlen in dieser Tiefe von 4 cm bei wechselnder
Strahlenqualität, wobei aber die Dosen so gewählt werden, daß die Strahlen-
absorption in diesen 2 mm dicken Pflanzenkeimlingen als gleich angesehen
‘werden kann?
Aus den zahlreichen Untersuchungen -— es wurden im ganzen etwa
40 Beete bepflanzt mit je 75 Pflanzen — seien nur einige ausgewählt,
die uns besonders bemerkenswert erscheinen. Um Extreme zu haben,
verglichen wir zunächst einmal Strahlen von mittelweichem Charakter, Typ
Benoist-Walter 5 — wie sie ja in der Dermatotherapie allgemein- an-
gewandt werden — und eine sehr harte Strahlung, die ein 4mm dickes
Aluminiumfilter passiert hatte. Zunächst mußte nun also die Vorfrage
erledigt werden, wie sich die Absorption in beiden Fällen in einer Tiefe
von 4 cm bei gleicher Oberflächendosis gestaltet. Zu diesem Zwecke wurde
die Halbwertschicht der beiden zu vergleichenden Strahlenqualitäten be-
stimmt und es zeigte sich, daß die Strahlung vom Typ Benoist-Walter 5
genau einer Halbwertschicht von 1 cm Wasser entsprach, während die
sehr harte Strahlung genau eine Halbwertschicht von 4 cm aufwies. Nach-
dem dies einwandfrei festgestellt war, konnten wir nun aus der Chri-
Untersuchungen zur biologischen Strahlenwirkung. 175
stenschen Absorptionstabelle. die für 2 mm Schichtdicke (entsprechend
der Dicke der Keimlinge) umgerechnet wurde, entnehmen, daß bei gleicher
Oberflächendosis in dem einen Fall, nämlich bei der mitielweichen Strah-
lung (a—=!], w) die absorbierte Strahlenmenge in der Tiefenschicht 8 pro
mille betrug, in dem anderen Falle aber bei der sehr harten Strahlung
(a — w) 18 pro mille; also unter den gegebenen Versuchsbedingungen verhielten
sich bei gleicher Oberflächenintensität die Tiefendosen, d.h. die in den 2 mm
dicken Keimlingen absorbierten Lichtmengen wie 8 zu 17. Man brauchte
also nur die Dosen so abzumessen, daß von der mittelweichen Strahlung
die Dosis 17, von der harten aber die Dosis 8 auf die Oberfläche appliziert
wurde, dann hat man gleiche Absorptionsverhältnisse in der Tiefe und kann
jetzt die Wirkungsweise der beiden Strahlenarten miteinander vergleichen.
Tabelle 1.
Absorptionstabelle nach Christen.
a = Halbwertschicht:. w = 4cm.
Absorbierte Strahlenmenge für
Halbwertschicht 2mm Dicke
oberste Schicht | tiefe Schicht
a1, w 131% gm
a = t/j W 99° 12°/o
a = tja W 6T'lee 17".
a = Tho W 48° 18°.
a=w 34m | 17°/»
a= 2w 17°/00 14°/m
a—=3w | 11°/o 9'i
a= 4w | 8" | Tie
Das Resultat nun geht aus folgendem Versuche hervor. 50 Pflanzen
wurden in einer Tiefe von 4 cm Wasser mit einer Oberflächendosis von
120 x mittelweichen Lichtes von der Halbwertschicht 1 cm bestrahlt, 50
ganz gleiche Pflanzen in derselben Art mit der Oberflächendosis 57 x sehr
harten Lichtes mit der Halbwertschicht 4 cm. Wurden diese Keimlinge
nun mit 50 Kontrollen in dasselbe Beet eingepflanzt, so zeigte sich nach
14 Tagen, daß die mit hartem Licht behandelten Keimlinge sehr stark
geschädigt waren, während die mit mittelweichem Licht bestrahlten nur
ganz wenig im Wachstum zurückgeblieben waren. Daraus zogen wir
den Schluß, daß bei gleicher Strahlenabsorption in der Tiefe
die biologische Wirkung dann eine intensivere ist, wenn die
zur Absorption gelangte Strahlung eine harte Strahlung ist.
Ein zweiter sehr instruktiver Versuch soll hier angeführt werden.
Wenn man die Christensche Absorptionstabelle übersieht, so bemerkt
176 Meyer und Ritter,
man, daß die Strahlenabsorption mit zunehmender Halbwertschicht all-
mählich wächst, von 8 pro mille an, ein Optimum durchläuft — 18 pro
mille — und nun — bei weiterer Härtung der Strahlung abnimmt. Es
müssen naturgemäß immer vor und nach dem Optimum zwei Strahlen-
qualitäten, eine härtere und eine weichere vorhanden sein, bei welchen die
Absorptionsverhältnisse in der Tiefe gleich sind. Es ist z. B. aus der
Tabelle zu entnehmen, daß bei den Halbwertschichten 2 und 4 cm die
absorbierte Strahlenmenge in der Tiefenschicht beide Male 17 pro mille
ist, und es konnte nun ermittelt werden, daß man solche Strahlungen von
den Halbwertschichten 2 und 4 cm erhält, wenn man das eine Mal
mit 0,5 mm Aluminium und das andere Mal mit 4 mm Aluminium fil-
triert. Es handelt sich also um einen Vergleich mäßig harter und sehr
harter Strahlen bei gleicher Tiefendosis. Auch hier ergab sich ganz ein-
deutig dasselbe Resultat. Die sehr harte Strahlung ist in ihrer Wirkung
der mäßig harten überlegen.
Ein anderer recht bemerkenswerter Schluß läßt sich noch aus diesem
einfachen Experimente entnehmen: Es ist einleuchtend, daß, wenn die
Oberflächendosis 120 x appliziert wurde (bei der Halbwertschicht 1 cm),
resp. 60 x!) (bei der Halbwertschicht 4 cm), dann die Dosis, welche in
beiden Fällen auf die Pflanzen in einer Tiefe von 4 cm einwirkte, 30 x
war. Diese Dosis 30 x kann gemessen werden mit Hilfe chemischer
Maße, d. h. ein Quantimeterstreifen, der in einer Tiefe von 4 cm be-
festigt wird, zeigt die Dosis 30 x, ein anderer, an der Oberfläche ange-
brachter Streifen zeigt die Dosis 120, resp. 60 x an?). Nun aber zeigte
sich das auffallende Ergebnis, daß die Schädigung, welche die Pflanzen-
keimlinge erlitten, längst nicht dieser Dosis 30 x entsprach, sie war weit
geringer, sie entsprach ungefähr einer Dosis von 10 x, wie eine Reihe von
Parallelversuchen zeigte. Daraus kann man den Schluß ziehen, daß
die chemisch wirksame Energie beim Durchwandern durch die
Gewebe nach der Tiefe längst nicht in demselben Maße ab-
nimmt wie die biologisch wirksame Energie, daß hier kein Paralle-
lismus besteht, und daß es uns nicht gestattet ist, aus den Veränderungen
der QJuantimeterstreifen, die in der Tiefe des Körpers irgendwo angebracht
sind (vgl. die Arbeiten von Manfred Fränkel) unmittelbar Rück-
schlüsse zu ziehen auf die wirksame biologische Energie. Diese letztere
ist viel geringer als die chemisch dort wirksame Energie uns anzeigt.
(Weitere Untersuchungen nach dieser Richtung stehen in Aussicht.)
ı) Die Dosis57 x isthier des besseren Verständnisses wegen auf 60 x abgerundet.
2) Diese Dosen können natürlich nicht direkt mit dem Quantimeter gemessen
werden, man mißt in Wirklichkeit nur den zehnten Teil beider Dosen und appliziert
die zehnfache Menge in dem Experimente.
Untersuchungen zur biologischen Strahlenw.rkung. 177
Gehen wir jetzt zu den Experimenten über, welche die Oberflächen-
bestrahlung betreffen, so ließ sich, wenn wir dieselben Lichtqualitäten
mit den Halbwertschichten 1 und 4 cm wählten, rechnerisch feststellen,
dal3 die Strahlenabsorption in den Pflanzenkeimlingen dann gleich ist,
wenn die indizierten Lichtstärken sich verhielten wie 1 zu 3,9, wenn also
von der weichen Strahlung die Dosis 1 und von der harten Strahlung die
Dosis 3,9 auf diese Pflanzenkeimlinge gelangte. In den Versuchen, die
auf Grund dieser Berechnung angestellt wurden, ergab sich regelmäßig ein
enormer Unterschied zu Gunsten der harten Strahlung. Also auch hier
dasselbe Resultat wie bei der Tiefenbestrahlung: Bei gleicher
absorbierter Strahlenmenge ist die biologische Energie, soweit sie ihren
Ausdruck findet, in der auf Pflanzenkeimlinge ausgeübten Wachstums-
hemmung um so intensiver, je härter die Strahlung ist.
Tabelle 2.
Versuche mit Erbsenkeimlingen.
A. Tiefenbestrahlungen (unter 4cm Wasser).
Größe der Pflanzen
Strahlenqualität Oberflächendosis 14 Tage nach der Köntrellen
| Bestrahlung
I. Halbwertschicht 1cm!) 120 x 6,8cm | 8.4 cm
Halbwertschicht 4cm 57x 28cm | '
1I. Halbwertschicht 2cm 60 x 5,9 cm | TIem
Halbwertschicht 4cm 60 x 48cm | ’
B. Oberflächenbestrahlung.
11I. Halbwertschicht 1cm 10x 5 cm | 115cm
Halbwertschicht 4 cm 39 x 0cm}
Es war nun weiter zu entscheiden, wie weit diesem an Pflanzen-
keimlingen aufgefundenen Gesetz allgemeine Gültigkeit zu-
kommt. Es wurden infolgedessen einige weitere Versuche an der Haut
angestellt. Es mußte auch hier die Vorfrage erledigt werden, in welchem
Umfange die Strahlung bei den einzelnen Strahlenqualitäten in der Haut
absorbiert wird, und es ergab sich, wie schon ausgeführt, durch Messung
an Menschenhaut, die aus den Christenschen Absorptionstabellen ergänzt
und kontrolliert wurden, daß von einer Strahlung vom Typus Halbwert-
schicht 1 cm (Benoist-Walter 5) fast viermal so viel in der Haut
absorbiert wird, wie von einer Strahlung mit der Halbwertschicht 4 cm.
!) In den Versuchen I—III ist die Absorption in den Pilanzenkeimlingen
gleich berechnet.
12
178 Te Meyer und Ritter,
Um gleiche Absorption in der Haut herbeizuführen, mußte man also die
Dosen so abmessen, daß von der harten Strahlung die Dosis 4, von der
weichen aber die Dosis 1 auf die Haut gelangte. Als biologisches Mab
wählten wir in diesem Falle die Wirkung der Strahlen auf die Zellen der
' Haarpapille, die ja ihren sichtbaren Ausdruck findet in dem Haarausfall.
_ Die Epilationsdosis bei einer Strahlung vom Typus Halbwertschicht 1 cm
liegt, wie allgemein bekannt, bei 8-10 x; wo lag aber die Epilationsdosis
beim Typus Halbwertschicht 4 cm? Wenn beide Strahlungen gleich wirk-
sam sind, dann sollte sie bei der Dosis’40 x liegen, denn bei dieser Dosis
ist die Absorption in der Haut in beiden Fällen gleich. Die Prüfung
wurde vorgenommen an einigen Kranken mit Hirntumoren. die nach dem
Vorgang von Jaugeas mit sehr harten, durch 4 mm Aluminium filtrierten
Strahlen (Halbwertschicht 4 cm) behandelt wurden, und wo nun die
Wirkung der sehr harten Strahlen auf die Haarpapillen leicht beobachtet
werden konnte. Das Resultat war ein überraschendes. Eine fünfstellige
Totalbestrahlung des behaarten Kopfes führte nicht erst, wie man hätte
erwarten sollen, bei der Dosis 40 x, sondern schon bei der Dosis 10—12 x
in 2 Fällen zu einer vollständigen Epilation. Dieser einfache Vorgang
zeigt uns also zur Evidenz und ganz eindeutig, daß die harten
Strahlen bei gleicher Strahlenabsorption sich als sehr viel
wirksamer erweisen auf die Zellen der Haarpapille als Strahlen
von weicherer Qualität. Die Zellen der Haarpapille verhielten sich
in dieser Bezieliung nicht anders wie die Zellen der Pflanzenkeimlinge.
Es lag nahe, den Unterschied der Wirkung nun auch an einem patho-
logischen Prozeß zu erproben und wir wählten zu diesem Zweck die
Psoriasis). Wenn man z. B. bei einem Kranken, der drei ganz gleich
alte Psoriasisplaques am Rumpf aufweist, den ersten mit mittelweichem
Licht (Halbwertschicht 1 cm — Benoist-Walter 5), den zweiten mit
einer Strahlung, die mit 0,5 mm Aluminium filtriert ist (Halbwertschicht
2 cm) und den dritten mit einer 4 mm Aluminium filtrierten Strahlung
behandelt (Halbwertschicht 4 cm), so kann man beobachten, daß, wenn
gleiche Dosen abgemessen und appliziert werden, 8 Tage nach der Be-
strablung der mit überharten Strahlen behandelte Plaque vollständig ge-
schwunden ist, der mit mittelbartem Licht im Abheilen, und der mit
mittelweichem Licht(Benoist-Walter 5 = Wehnelt 8) unverändert war.
Diese Beobachtung ist sehr bemerkenswert, denn sie zeigt uns, daß die
Wirkung genau parallel geht mit der zunehmenden Härte der Strahlung,
obwohl doch die Absorption gerade umgekehrt verläuft, denn die alsor-
bierten Strahlenmengen verhalten sich bei den Halbwertschichten 1, 2 und
\ Vgl. Frank-Schultz, Die Röntgentherapie in der Dermatologie 1909.
Untersuchungen zur biologischen Strahlenwirkung. 179
4 cm, die hier angewendet wurden. gerade umgekehrt, nämlich wie 4:2:1.
Also zeigte sich bei der mittelweichen Strahlung trotz der viermal so
starken Absorption und bei der mittelharten Strahlung trotz der zweimal
so starken Absorption eine schwächere Wirkung als bei der überharten
Strahlung. Wir glauben aus diesen Beobachtungen den Schluß
ziehen zu können, daß das Problem der optimalen Strahlen-
wirkung keineswegs gelöst ist mit der physikalischen Be-
stimmung der optimalen Absorption (obwohl diese die uner-
läßliche Grundlage ist), und daß das Optimum der Absorption
durchaus nicht in allen Fällen das Optimum der Wirkung ist.
Die Forschung, die ausschließlich mit dem Rüstzeug des Physikers an die
Erledigung dieser Fragen herangeht, kann diese Probleme unmöglich
erschöpfen, hier muß die Physik mit der biologischen Forschung im
Bunde sein.
Ganz besonders wichtig ist es nun, daß dieselben überharten Strahlen
(mit 4 mm Aluminium filtriert), die auf die Zellen der Psoriasisherde, auf
die Zellen der Haarpapille sich so sehr wirksam erwiesen, eine Reaktion
der Haut im Sinne einer Dermatitis viel weniger leicht herbei-
führen, als man das erwarten sollte. Während bei der Applikation der
Dosis 10—12 x die überharten Strahlen Haare prompt zum Ausfall bringen,
tritt bei derselben Dosis ein Erythem niemals auf, die Erythemgrenze liegt
hier für diese Strahlenqualität (Halbwertschicht 4 cm) sehr viel höher,
wahrscheinlich erst bei der dreifachen bis vierfachen Dosis (ca. 30—40 x
je nach der Körperregion).!) Je härter die Strahlung gewählt wird, desto
mehr macht sich ein Gegensatz geltend zwischen der Wirkung auf bestimmte
biologische Prozesse, die sich in der Haut abspielen (wenn wir ganz all-
gemein die poliferierende Tätigkeit der Haarpapille und die mit Parakera-
tose einhergehenden Prozesse in den Psoriasisplaques so bezeichnen wollen)
und der entzündungserregenden Wirkung der Strahlen auf die Haut.
Damit soll nun aber keineswegs zum Ausdruck gebracht werden, daß diese
entzündungserregende Wirkung der Strahlen mit der spezifischen Wirkung
auf die Gefäße, wie sie ihren Ausdruck findet in der sog. Röntgen-
atrophie, zusammenfällt.e. Wir haben allen Grund, anzunehmen, daß es
sich hier nicht um etwas völlig Identisches handelt. Die Röntgenatrophie
tritt niemals ein — wie Schultz nachgewiesen — bei der Applikation
überweicher Strahlen, die doch zu sehr heftigen Entzündungen führen, und
die Röntgenatrophie kann, wenn auch nur im Ausnahmefalle, noch nach
Jahren eintreten, ohne daß jemals ein Erythem beobachtet wurde. Histo-
logische Untersuchungen über die Einwirkung weicher und harter Strahlen
1) Die Feststellung der Erythemgrenzen bei den einzelnen Halbwertschichten,
die eine Grundlage bildet für die Dosimetrie, wird z. Zt. von uns ausgearbeitet.
12*
180 | Meyer und Ritter,
auf die Gefäßwände, die Stabsarzt Rohrbach aus unserem Institut binnen
kurzem veröffentlichen wird, werden uns da weiteren Aufschluß geben. Es
ist durchaus ratsam, in der Praxis bei Anwendung der Tiefentherapie nun
mit der Applikation dieser gefilterten Strahlen nicht ins Ungemessene zu
gehen, im Vertrauen darauf, daß wenn wir weiter keine Erytheme be-
obachten, sich auf der Haut auch keine Spätfolgen einstellen werden.
Vieles spricht dafür, daß sich ein solches Vorgehen bitter rächen kann,
denn es ist mit Sicherheit nicht von der Hand zu weisen, daß diese harten
Strahlen, die auf die Zellen der Haarpapille schon bei einer relativ kleinen
Dosis (10—12x) intensiv einwirken, bei der dreifachen Dosis ohne jede
Wirkung auf die Gefäßwände sein sollten, wenn auch ein sichtbares Ery-
them nicht resultiert. Die Annahme ist durchaus nicht unwahrscheinlich,
daß diese sehr harten Strahlen sich auch nach dieser Richtung hin wirk-
samer erweisen, als die mittelweichen und vollends die überweichen
Strahlen.
Es liegt uns fern, aus diesen experimentellen und klinischen Be-
obachtungen an den Zellen der Pflanzenkeimlinge, an den Zellen der
Haarpapille, an den Zellen der Psoriasisplaques und wie wir noch hinzu-
fügen wollen, an den samenbildenden Zellen des Testikels, die sich ebenso
verhalten,!) schon ein allgemeines Gesetz abzuleiten. Das Gemeinsame
an den angeführten, von uns geprüften biologischen Prozessen ist ja das,
daß es sich hier um wachsendes Gewebe handelt, um Gewebe mit leb-
hafter Zellproduktion und Zellproliferation.
Wir beschränken uns darauf, das Ergebnis unserer Untersuchung so
zu formulieren: Der wohl zuerst von Kienböck formulierte Satz,
daß die biologische Strahlenwirkung proportional geht der
absorbierten Strahlenmenge, ist dahin zu erweitern, daß bei
einer Reihe biologischer und pathologischer Prozesse, wo es
sich um Gewebe handelt mit lebhafter Zellproduktion und
Zellproliferation, bei gleicher Strahlenabsorption eine Strah-
lung um so wirksamer ist, je härter sie ist. Dieses Gesetz
gilt nicht nur für die Oberflächen-, sondern ganz besonders
auch für Tiefenbestrahlungen, wo die höhere Wirksankeit der
härteren Strahlenqualität ganz besonders evident ist. Das
Optimum der Absorption fällt keineswegs für alle biologischen
Prozesse mit dem Optimum der Wirkung zusammen.
Wenn wir eine Erklärung für diese Tatsache geben sollen, so könnte
dieselbe einmal darin liegen, dal die Annahme, die bisher allgemein ver-
!) Ausgedehnte Untersuchungsreihen an Testikeln und Ovarien sind binnen
kurzem von Ritter und Fleischhauer zu erwarten.
Untersuchungen zur biologischen Strahlenwirkung. 181
breitet war, daß nur und ausschließlich die in den Zellen absorbierte
Strahlung wirksam ist, nicht zutrifft. Wir können uns sehr wohl: vor-
stellen'), daß auch die Energie, die die Gewebe durchwandert ohne ab-
sorbiert zu werden, ebenfalls wirksam ist. Wenn wir also gleiche Mengen
weicher und harter Strahlen in einem Gewebe zur Absorption bringen, so
wird der Effekt, soweit er durch die absorbierte Strahlung herbeigeführt
wird, vielleicht gleich sein, für die harte Strahlung kommt aber immer
noch ein zweiter Effekt hinzu, es ergibt sich immer noch ein Plus, das
herrührt von der größeren Menge der die Gewebe durchwandernden Strahlen,
denn darin besteht ja der Unterschied der härteren und weicheren Strahlung,
daß die eine die Gewebe besser durchwandert wie die andere, und wenn
wir gleiche Absorption harter und weicher Strahlung erreicht haben, so ist
die Gesamtmenge, welche auf die Zelle einwirkt, bei der harten natürlich
immer eine größere.
Eine noch einfachere Erklärung ergibt sich, wenn wir uns an die
von Klingelfuß für die chemische Wirkung der Strahlen auf die
photographische Platte gefundenen Gesetze erinnern. Klingelfuß hat ja
eine sehr glückliche Bezeichnung für die Eigenschaften der Röntgenstrahlen
eingeführt, indem er in Übereinstimmung mit den Ausdrücken für die
Größen des elektrischen Stromes die Strahlenmenge als Röntgen-
strahlenstärke und die Strahlenhärte als Röntgenstrahlen-
spannung bezeichnet. Wie nun bei dem elektrischen Strome sich die
Arbeit ergibt aus dem Produkt von Stromstärke und Stromspannung, so
konnte er nachweisen, daß auch für die Röntgenstrahlen die Arbeit aus
dem Produkt Strahlenstäirke mal Strahlenspannung sich zusammensetzt.
Als Kontrolle des Röntgenstrahleneffektes diente ihm die Reaktion auf die
photographische Platte. War also die Strahlenstärke gleich und wurde
in dem einen Falle die Strahlenspannung erhöht, so fiel der chemische
Effekt intensiver aus. Bei den biologischen Versuchen liegt die Sache
ganz ähnlich: Je höher die Strahlenstärke, d. h. je mehr Strahlen von der-
selben Spannung appliziert werden, desto größer ist die Absorption und
desto größer natürlich die Wirkung (das ist der Kienböcksche Satz).
Wir konnten nun zeigen, daß, wenn bei derselben Strahlenstärke, d.h.
bei Absorption gleicher Strahlenmengen, die Strahlenspannung steigt, die
Röntgenstrahlenarbeit, also der Effekt auf biologische Vorgänge ebenfalls
ein größerer wird. Das was Klingelfuß für chemische Prozesse evident
macht, läßt sich auch an biologischen Vorgängen verfolgen: Die Röntgen-
wirkung wird nicht nur gesteigert durch Erhöhung der Strahlen-
stärke, sondern auch durch Erhöhung der Strahlenspannung,
!) Vgl. Dessauer, Röntgenkongreß 1911, Diskussionsbemerkung, S. 116.
182 Meyer u.Ritter, Untersuchungen zur biologischen Strahlenwirkung.
ein Gesetz, das uns unter diesem Gesichtspunkte betrachtet, vielleicht gar-
nicht mehr so auffällig erscheint, obwohl es mit den heute allgemein ver-
breiteten Anschauungen nicht im Einklange steht.
Zum Schluß möchten wir noch einem Einwand begegnen, der na-
türlich sofort sich aufdrängt. Wir sind ja nicht in der Lage, mit Hilfe
der heute vorhandenen, auf den chemischen Wirkungen der Strahlen be-
ruhenden Dosimetern gleiche Mengen harter und weicher Strahlen ab-
zumessen, da diese Dosimeter nur für eine bestimmte Strahlenqualität ge-
eicht sind. Es wird ja allgemein angenommen, daß bei Applikation harter
Strahlen zu geringe Dosen abgemessen werden, da die Metalle der Dosi-
meter natürlich bei härterer Strahlung relativ weniger Strahlen absor-
bieren als die Gewebe mit ihrem viel geringeren spezifischen Gewicht
(H. E. Schmidt, Christen u.a.). Wenn das richtig ist, und wir halten
diese Anschauung für durchaus berechtigt, so würde die Kompensation dieses
Fehlers, die leider heute noch nicht möglich ist, ja aber nur zur Folge haben,
dal) die Unterschiede in der Wirkungsweise weicher und harter Strahlung viel
deutlicher hervortreten, als wir sie bei den vorliegenden Experimenten
konstatieren konnten. Deshalb behalten die Resultate trotz dieses Um-
standes volle Gültigkeit.
Nachtrag.
Die Bestimmungen der Halbwertschicht wurden in den vorliegenden
Untersuchungen mit Hilfe des Quantimeters von Kienböck ausgeführt,
ganz ähnlich wie auch Christen in seinen ersten Arbeiten sich auf die
Kienböckschen Quantimetermessungen bezogen hatte. Sobald nun das
neue Instrument von Christen zur direkten optischen Ablesung der Halb-
wertschicht von der Fabrik bezogen werden konnte, haben wir die Be-
stiimmungen sofort mit Hilfe dieses Apparates wiederholt und dabei aller-
dings etwas andere Werte für die von uns geprüften Strahlenqualitäten ge-
funden. Die Abweichungen sind aber nicht derart, daß die von uns ge-
zogenen Schlußfolgerungen irgendwie in Frage gestellt werden — also
auch auf Grund dieser neuen Untersuchungen behält das von uns formu-
lierte Gesetz in allen Einzelheiten seine Gültigkeit.
Aus dem Institut für Strahlenbehandlung der Königl. Dermatol. Klinik zu Kiel.
(Direktor: Prof. Klingmüller.)
Experimentelle Studien zur Feststellung eines biologischen
Normalmaßes für die Röntgenstrahlenwirkung.
Von
Privatdozent Dr. Hans Meyer und Dr. Hans Ritter.
D: Erforschung der biologischen Strahlenwirkung ist im Grunde ge-
nommen nichts anderes als ein Seitenstück, ein Zweig der Pharmako-
logie. Die Röntgenstrahlen sind in ihrer Wirkung einem Medikament mit
einer Maximaldosis durchaus gleichzustellen, und genau wie wir bei jedem
chemischen Arzneimittel vor seiner Anwendung am kranken Menschen
nicht der Erfahrung des Tierexperimentes entraten können, so ist auch
bei der therapeutischen Anwendung der Röntgenstrahlen eine genaue Kennt-
nis der Wirkung dieser physikalischen Energie, gewonnen am Tierexperiment
und gestützt auf die klinische Erfahrung, eine unumgängliche Grundlage
und Voraussetzung aller Röntgenbehandlung. Die Pharmakologie und die
Erforschung der Strahlenwirkung haben daher gemeinsame Ziele und so
erscheint es uns nicht unzweckmäßig, auch an die Methoden anzuknüpfen,
welche die Pharmakologie und die experimentelle Therapie geschaffen haben.
Es ist zu wiederholten Malen — besonders von Paul Krause —
der Gedanke ausgesprochen worden, daß ein gewisser Fortschritt in der
wissenschaftlichen Erkenntnis der Strahlenwirkung und damit auch ihrer
praktischen Anwendung erzielt werden würde, wenn man ein biologisches
Maß, eine biologisch gewonnene Röntgenstrahlenmengeneinheit besäße, und
sicher wäre von all den Meßmethoden, von denen man in der Röntgen-
therapie Gebrauch machen kann, die Idealmethode: die biologische — denn
da es sich in der Therapie stets darum handelt, eine Wirkung auf bio-
logische Prozesse hervorzurufen, seien sie nun normaler oder pathologischer
Natur, so wäre es natürlich das beste, wenn man die Abstufung der Wirkung.
d. h. also die Dosierung an der Hand eines biologischen Meßverfahrens
vornehmen könnte.
Es ist nicht wahrscheinlich, daß jemals für die praktische Ausführung
des röntgentherapeutischen Verfahrens sich eine biologische Meßmethode
wird ausarbeiten lassen, aber trotzdem wäre es deswegen so ungemein
wichtig, über ein solches biologisches Maß zu verfügen, weil wir dann in
der Lage wären, die auf den anderen Wirkungen der Strahlen beruhenden
184 Meyer und Ritter,
Methoden, die in der Praxis Eingang finden und Eingang gefunden haben,
mit diesem biologischen Normalmaße zu vergleichen, sie sozusagen auf
biologischem Wege zu eichen.
Dieser Gedanke hat uns seit langem beschäftigt und wir haben uns
zunächst gefragt, ob dieses Ziel sich nicht mit Hilfe gewisser biologisch
wichtiger Zellbestandteile erreichen ließe. Es lag nahe, an das „Haupt-
handwerkszeug‘‘ im Getriebe des chemischen Zelllaboratoriums, an die Fer-
mente zu denken und das lag um so mehr nahe, als wir heute über sehr
feine Meßmethoden verfügen, um den Ablauf fermentativer Prozesse quan-
titativ zu verfolgen — es sei nur erinnert an die Arbeiten von Abder-
halden und seiner Mitarbeiter über die Messung fermentativer Polypeptid-
spaltung am Polarisationsapparate, eine Methode, mit der ja eine Fülle
biologisch wichtiger Arbeiten geleistet ist. Aber es zeigte sich hier, daB
eine praktisch verwertbare Konsequenz in dem angestrebten Sinne sich
nicht erreichen ließ, weil die Wirkung der Strahlen auf fermentative Pro-
zesse (untersucht wurde die Beeinflussung der Peroxydase, Pankreatin und
Hefepreßsaft) sich als nicht intensiv genug erwies. Immerhin trug die
Arbeit nach anderer Richtung hin reiche Früchte, denn es wurde auf die
Art eine Methode gefunden, welche zur Messung der biologischen Wirk-
samkeit der an Ultraviolett reichen Strahlenquellen (Finsenlampe, Quarz-
lampe usw.) sich als sehr geeignet erwies, da das ultraviolette Licht im
Gegensatz zu den Röntgenstrahlen eine sehr wesentliche und je nach der
Intensität wechselnde Beeinflussung der Fermentwirkung zeigte.!) Dieser
Gegensatz der ultravioletten und der Röntgenstrahlen ist eine sehr eigen-
artige, schwer zu erklärende Erscheinung, die uns wiederum vor Augen
führt, daß es nicht angängig ist, die Wirkungsweise der einzelnen Strahlungen
auf die in der Zelle sich abspielenden biochemischen Prozesse zu identifizieren.
Bezüglich der Röntgenstrahlen haben wir die Versuche nun nach einer
anderen Richtung hin fortgeführt. Es ist ja wohl allgemein bekannt, daß
man eine Reihe chemischer Arzneimittel in ihrer Wirksamkeit so ausdosiert,
daß man sie Tieren, Mäusen oder Fröschen, einspritzt, und nun die Wirk-
samkeit des zu prüfenden Medikamentes mit der bekannten Medikament-
wirkung in der Art vergleicht, daß man die Dosis feststellt, bei welcher
durch eine spezifische Wirkung auf ein lebenswichtiges Organsystem der
Tod der Tiere erfolgt. Die Digitalis z. B. ist ein Medikament, das Je
nach der Herkunft der Pflanze recht verschieden ausfällt, das man aber
in seiner Wirksamkeit zweckmäßig dadurch ausdosieren kann, daĵ man es
einem Frosche einspritzt und nun die Dosis feststellt, bei welcher Herz-
stillstand und damit der Tod der Tiere eintritt. Man hat auf diese Art
!) Vgl. Meyer und Bering, Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgen-
strahlen Bd. XVII, S. 33.
Studien z. Feststellung e. biolog. Normalmaßesf. Röntgenstrahlenwirkung. 185
eine sog. „‚Froschdosis“ der Digitalis, eine Normaldosis, die trotz der
wechselnden Wirksamkeit einen Vergleich der einzelnen Präparate gestattet
und so den Arzt von der Zufälligkeit in der Zusammensetzung des Medi-
kamentes unabhängig macht, denn wenn er die Froschdosis kennt, so ist
damit natürlich eine einwandfreie Dosierung des Präparates möglich.!)
Wenn es gelänge, bei dem Medikament Röntgenstrahlen, das ja auch je
nach seiner Herkunft — d.h. je nachdem es von den einzelnen Dosi-
metern abgemessen wird - recht verschieden ausfällt, eine ähnliche Normal-
dosis festzulegen, dann wäre damit wohl nach mancher Richtung hin ein
Fortschritt erzielt.
Wir haben also bei den Röntgenstrahlen einen ähnlichen Weg
eingeschlagen und haben versucht, bei Mäusen eine solche Dosis, eine
„Mausdosis“ festzustellen. Die spezifische Wirkung auf ein lebens-
wichtiges Organsystem war hier gegeben in der Wirkung auf die röntgen-
empfindlichen blutbildenden Organe. Durch die Untersuchungen von Krause,
Ziegler, Heinecke u.a. m. ist ja zur Genüge erwiesen, daß die Strahlen-
wirkung auf die hämatopoetischen Organe, speziell auf das lymphoide Ge-
webe, eine deletäre ist, daß aber die Schädigung doch nicht immer eine
irreparable zu sein braucht und unter gewissen Bedingungen also eine
Restitutio ad integrum möglich erscheint. Es war anzunehmen, daß hier
die Dosis der ausschlaggebende Faktor ist, daß die Schädigung der Hämato-
poese erst von einer bestimmten Dosis an eine irreparable wird, daß
also unterhalb dieser Dosis die Strahlen nur im Sinne einer Lähmung der
blutbereitenden Organe wirken, von der eine Erholung noch eintreten kann.
Bestätigte sich diese Annahme, so war zu entscheiden, wo diese Dosis lag
und ob eine größere Anzahl Tiere ein gesetzmäßiges Verhalten darbot.
Die aus diesen Fragestellungen sich ergebenden Experimente mußten
naturgemäß an einer sehr großen Anzahl von Tieren ausgeführt werden,
und zwar mußten es Tiere sein von derselben Zucht, die also unter den-
selben Bedingungen längere Zeit gehalten waren, Tiere von möglichst gleichem
Alter und gleichem Gewicht — also ähnlich wie es bei der Froschdosis
der Pharmakologen bei der Ausdosierung der Digitalis nötig ist. Die Ex-
perimente wurden mit 200 Mäusen angestellt, welche die genannten Be-
dingungen erfüllten und die nun in Serien von je 20 Tieren mit steigenden
Dosen: 20—65 x, in Abständen von je 5 x, bestrahlt wurden. Die Ab-
messung der Einzeldosen erfolgte mit Hilfe des Instrumentes nach Sabou-
raud-Noir6 und zwar bei der Strahlenqualität, bei der dieses Instrument
geeicht ist: BW5. (Es hätte natürlich keinen prinzipiellen Unterschied
bedeutet, die Abmessung der Dosen mit irgend einem anderen Dosi-
messer vorzunehmen.)
t) Focke, Gottlieb u. a.
186 Meyer und Ritter,
Es zeigte sich nun, daß in der Tat auch eine größere Anzahl gleich-
artiger Tiere ein ganz gesetzmäßiges Verhalten darboten. Die mit 20
und 25 x bestrahlten 40 Tiere blieben sämtlich am Leben — sie verloren
nur ihre Haare auf dem Rücken, die nach 7—8 Wochen dann wieder
wuchsen — von der Dosis 30 x an aber erlagen sämtliche 160 Tiere der
Strahlenwirkung und zwar trat der Tod um so schneller ein, je größer die
Dosis war. Die längste Latenzzeit, d. h. die Zeit bis zum Tode der Tiere,
betrug bei der Dosis 30x 24 Tage, die kürzeste Latenzzeit lag bei der Dosis 65x,
wo schon nach 3—5 Tagen sämtliche 20 Tiere starben. Der Tod erfolgte, wie
die Sektion mehrerer Tiere ergab, durch Zerstörung der blutbildenden Organe.
200 Mäuse von einer Zucht
Dosis | Zahl | leben nach Dosis | Zahl | 3 Monaten | tot tot t| z Zeit bis zam Tode
|: 3 Monaten
20x 20 0 x 201 æ% To!
25x 20 0
30 x 20 20 u 3 Tage 0
| 7,0
14 „ 12
DA „p 4
| 8. 4
85x | 20 0 20 3,0
7,0
4 „ 6
21 „ 10
2B p 4
40x | 20 0 20 3.0
| T n 0
| I «3, 212
2A „ 8
| 28B > 0
45x 20 0 | 20 3 „ 0
T 0
l4 „ 16
2 „ 4
E 8 „ 0
50x 20 20 3 5.9
| 7, 4
| 4 „ 7
| 29 „ 0
8 „ 0
55x | 20 0 20 8 „ 10
| 7 > 10
4 „ 0
2 „ 0
| | 28B „ 0
60x į 20 0 20 3 „ 42
7, 8
l4 „ 0
1, 0
28B „0
65x | 20 0 20 83 n W
T y 0
| 14 ” 0
| 1, 0
0
Studien z. Feststellung e. biolog. Normalmaßes f. Röntgenstrahlenwirkung. 187
Daraus glauben wir den Schluß ziehen zu können, daß es
gelingt, auch für die Röntgenstrahlen, ähnlich wie bei chemi-
schen Arzneimitteln, eine biologische Normaldosis festzulegen,
die ihre Grundlage findet in der spezifischen Wirkung auf ein lebens-
wichtiges Organsystem, nämlich auf die strahlenempfindlichen Iymphoiden
Gewebe, und daß diese „Mausdosis* für Röntgenstrahlen gemessen nach
Sabouraud-Noir6 bei einer Strahlenqualität von B W 5 bei den von uns
benutzten Tieren zwischen 25 und 30 x liegt.
Wir möchten die Erwartung hegen, daß diese Untersuchungen nach
mancher Richtung hin eine praktische Bedeutung erlangen können. Denn
den Hauptwert der Mausdosis erblicken wir darin, daß wir jetzt mit
Hilfe dieses biologischen Maßes die an den verschiedenen Dosi-
metern abgemessene Strahlung vergleichen können. Wir wollen
vorläufig noch nicht von einem absoluten, sondern nur von einem Vergleichs-
maß sprechen. Wir können ferner feststellen, was die mit einem und
demselben Dosimeter, aber bei verschiedener Strahlenqualität abgemessene
Strahlung biologisch bedeutet und können jetzt, und das erscheint uns be-
sonders wichtig, beurteilen, wie sich die einzelnen Dosimeter be-
wechselnder Strahlenqualität zueinander verhalten. Die von
Schwarz!) in recht dankenswerter Weise angeregte Begründung einer
Radiometerkontrollstation hat doch eigentlich — sofern es sich um ein
wissenschaftliches Institut handeln soll — zur unumgänglichen Grundlage
ein solches biologisches Vergleichsmaß. Denn das von Schwarz empfohlene
Kalom kann doch nur dann als Röntgenstrahlenmeßeinheit benutzt werden,
wenn nachgewiesen ist, daß alle die verschiedenen chemischen Prozesse,
die sich in den Reagenzkörpern abspielen: in der Ederschen Flüssigkeit,
in dem Chlorbromsilbergelatinepapier, in dem Baryumplatincyanür usw.,
auch dann, wenn die Strahlenqualität sich ändert, immer parallel
laufen. Man müßte also erwarten, daß z. B. bei den Halbwertschichten
1, 2, 3 und 4 cm das Verhältnis der von den einzelnen Dosimetern an-
gezeigten Dosen zueinander konstant bliebe. Es ist nicht unmöglich, daß
ein Parallelismus besteht, aber es muß Sache der Forschung sein, erst das
festzustellen, bevor wir das chemische Maß des Kaloms, das im übrigen
eine sehr empfehlenswerte Röntgenstrahlenmeßeinheit darstellen würde, ein-
führen, und um das festzustellen, erscheint uns ein biologisches Vergleichs-
maß eine Notwendigkeit. Wie interessant es wäre, auch die indirekten
Methoden, z. B. das praktisch so bedeutungsvolle Köhlersche Melßverfahren
mit dieser Mausdosis — wieder bei wechselnder Strahlenqualität — zu
vergleichen, bedarf kaum näherer Ausführung.
) Schwarz: Fortschritte auf dem (rebiete der Röntgenstrahlen Bd. X VIII, S.67.
1838 MeyerundRitter, Studien z. Feststellung e. biolog. Normalmaßes usw.
Auch andere interessante Fragestellungen lassen sich natürlich mit
Hilfe dieses neuen Maßes erledigen: Die Frage des Erholungsfaktors und
der Kumulierung der Einzeldosen ist jetzt bequem dem Studium zugänglich,
die schon oft aufgeworfene Frage, ob eine Bestrahlung eines Organes unter
Kreuzfeuer dann wirksamer ist, wenn die Bestrahlung gleichzeitig von ver-
schiedenen Seiten erfolgt oder wenn nacheinander aus verschiedenen Röhren-
positionen bestrahlt wird und manche anderen Probleme lassen sich jetzt
mit diesem Vergleichsmaß der Mausdosis vielleicht der Lösung näher führen.
Selbstverständlich sind die Untersuchungen nicht nach jeder Richtung
hin abgeschlossen, dazu ist das Problem zu schwierig, insbesondere wegen
der Beschaffung eines großen gleichartigen Tiermateriales, ohne daß diese
Untersuchungen wertlos sein würden. Insbesonders muß noch untersucht
werden, ob der Sprung von 25 zu 30 x nicht noch zu verkleinern ist,
was uns wahrscheinlich dünkt. Wir glaubten aber, daß das vorliegende
Material ausreicht, um zu zeigen, daß der von uns eingeschlagene Weg
gangbar ist und daß wir hoffen dürfen, beim weiteren Verfolgen dieses
Weges einen gewissen Fortschritt in der wissenschaftlichen Erkenntnis der
biologischen Strahlenwirkung und auch der praktischen Anwendung der
Strahlen namentlich hinsichtlich der Meßtechnik zu erzielen.
Aus dem Institut für Strahlenbehandlung der Königlich Dermatologischen
Klinik zu Kiel. (Direktor Prof. Dr. Klingmüller.)
Methoden zur Messung der Wirksamkeit violetter und
ultravioletter Strahlenquellen.
(1. Mitteilung.)
Von
Prof. Dr. Fr. Bering und Privatdozent Dr. Hans Meyer.
I.
s ist bekannt, daß für die Röntgentherapie die Einführung der exakten
Dosimetrie, d. h. die Einführung von Methoden zur Strahlenmessung
eine völlige Umwälzung dieses Verfahrens bedingt hat und daß erst die
Dosierung der Strahlen aus rein empirischen Versuchen eine sicher zu be-
herrschende Methode schuf, welche die Röntgentherapie zu einer wissen-
schaftlichen Disziplin gestaltete.
Die Dosierung in der Röntgentherapie erfolgt ja am besten auf dem
Wege der Messung der Strahlenwirkung und es ist ganz besonders die von
Holzknecht begründete Quantitätsmessung mit Hilfe der chemischen
Wirkung der Röntgenstrahlen, welche die für die Praxis bedeutungsvollste
Rolle spielt, sei es nun, daß es sich um Farbenänderungen handelt, die
unter dem Einfluß der Strahlen im Bariumplatincyanür auftreten, sei es,
daß die Einwirkung der Strahlen auf die Bromsilbergelatineschicht des
photographischen Papieres oder auf die Edersche Flüssigkeit für diesen
Zweck nutzbar gemacht wird.
Ein doppelter Vorteil ist es, der sich aus diesen exakten Strahlen-
messungen ergibt: Einmal wird dadurch eine große Sicherheit des Betriebes
gewährleistet und zweitens wird erst durch diese Messungen ein Vergleich
der von den einzelnen Autoren bei den verschiedenen Krankheiten appli-
zierten Strahlenmengen möglich. Denn wenn wir in der Literatur lesen,
daß eine gewisse Zeitlang, z. B. 10 oder 20 Minuten lang bestrahlt wurde,
so besagt das an sich natürlich sehr wenig, denn in dieser Zeit kann jede
beliebige Strahlendosis, die größte und die kleinste, appliziert werden. Maß-
gebend ist eben nicht die Zeit, sondern die Stralllenmenge, welche während
dieser Zeit appliziert wird und daher ist eine Dosierung nach der Zeit in
der Röntgentherapie unmöglich.
In mancher Beziehung ähnlich liegen die Verhältnisse bei der Licht-
therapie, die sich der Wirkung violetter und ultravioletter Strahlenquellen
190 Bering und Meyer,
bedient. Bisher hat man allgemein die Dosen, welche mit den einzelnen
Lampen (Quarzlampe, Finsenlampe, Dermolampe usw.) appliziert wurden,
lediglich nach der Zeit bemessen; man hat sich also damit begnügt, für
die verschiedenen Erkrankungen gewisse Zeitmaße festzulegen, die erfahrungs-
gemäß für eine günstige Beeinflussung sich am geeignetsten erwiesen.
Dieser Modus ist aber nicht in jeder Hinsicht befriedigend. Der Licht-
therapeut, der die Lichtreaktionen bei seinen Patienten genau kontrolliert
und überwacht, wird namentlich bei dem Gebrauch der Quarzlampe die
Erfahrung machen können, daß die Reaktionen, die mit dieser Lampe
z. B. bei der Lupusbehandlung oder bei der Behandlung der Acne des
Gesichtes gesetzt werden, nicht immer gleich sind und er wird sich des
Eindruckes nicht erwehren können, daß hier nicht in allen Fällen eine
verschiedene Empfindlichkeit des Kranken im Spiele ist, sondern daß viel-
mehr die Intensität der Lichtquellen selbst eine nicht absolut gleich-
mäßige ist, daß also die Wirksamkeit der emittierten Lichtstrahlen bei
den einzelnen Lampen auch desselben Systems wechselt. Wenn diese
Vermutung aber zutrifft — und wir werden beweisen, daß bei der nament-
lich zur Lupustherapie viel verwendeten Quarzlampe diese Annahme
durchaus zu Recht besteht — dann ist natürlich die Angabe, daß 20
oder 30 Minuten oder dergleichen bestrahlt werden muß, um die optimale
Wirkung zu erzielen, durchaus ungenügend, denn in diesem Falle wird ja
der eine Lichttherapeut, der über eine sehr wirksame Lampe verfügt, eine
ganz andere Dosis applizieren wie ein anderer, und auch derselbe Arzt
wird nicht zu allen Zeiten dieselben Strahlenmengen applizieren, wenn er
lediglich nach der Zeit dosiert, da die Wirksamkeit der Quarzlampen aus
noch später zu besprechenden Gründen sich allmählich ändert.
Daher ist auch in der Lichttherapie ähnlich wie in der Röntgen-
therapie eine Methode zur quantitativen Messung der ultravioletten Strahlen-
wirkung ein Bedürfnis. Allerdings besteht hier ein prinzipieller Unter-
schied gegenüber der Strahlenmessung in der Röntgentherapie, der in fol-
gendem begründet ist.
Die Röntgenröhre ist eine eminent varıable Strahlenquelle, deren
Strahlungsintensität auch bei gleich bleibender Stromzufuhr enormen
Schwankungen bezüglich der Emission des Röntgenlichtes ausgesetzt ist.
Wie Klingelfuß auf Grund seiner physikalischen Untersuchungen am
Sklerometer einwandsfrei nachgewiesen hat, gibt es keine Röntgenröhre,
die in jedem einzelnen Zeitpunkte während der Bestrahlung immer die-
selbe Menge Röntgenstrahlen aussendet, sondern die Schwankungen in der
Emission des Röntgenlichtes liegen im Wesen der Röntgenröhre begründet
und auch bei größter Übung ist es nicht möglich, sie völlig von Be-
triebe fernzuhalten. Daher ist eine absolute Röhrenkonstanz während der
Messungsmethoden d. Wirksamkeit viol. u. ultraviol. Strahlenquellen. 191
ganzen Dauer der Bestrahlung ein in Theorie und Praxis ganz unmögliches
Postulat, so sehr wir auch alle Hilfsmittel der Röntgentechnik heran-
ziehen werden, um dieser Konstanz möglichst nahe zu kommen. Daraus
ergibt sich für uns die Konsequenz, in der Röntgentherapie bei jeder
einzelnen Bestrahlung die Dosis abzumessen. Wenn wir also z.B. in
der Weise vorgehen würden, daß wir alle 2 bis 4 Wochen die Röntgen-
röhre mit einem Dosimeter ausdosieren, d. h. also feststellen, in welcher
Zeit die Röhre diese Dosis gibt und nun nach der Zeit dosieren, dann
liegt es in dieser ganz unvermeidiichen Labilität und Variabilität der
Röntgenröhre begründet, daß dabei dem Ungeübten leicht, dem Geübteren
vielleicht weniger häufig Dosierungsfehler vorkommen können. Nur der
Arzt, der über die Klingelfußsche Meßeinrichtung verfügt — und darin
beruht der große Wert derselben —- kann mit einer sog. quantitativ ge-
eichten, d. h. ausdosierten Röhre arbeiten, ohne Fehler zu begehen. !)
In der Lichttherapie liegt die Sache aber anders. Hier haben wir
im Gegensatz zur Röntgenröhre Strahlenquellen vor uns, die ja diesen
Schwankungen während der Einzelbestrahlung nicht unterworfen
sind, sondern die nur ganz allmählich unter gewissen Umständen in ihrer
Strahlenintensität heruntergehen können. Daher ist es hier natürlich nicht
nötig, bei jeder Bestrahlung eine Strahlenmessung vorzunehmen, sondern
man würde sich hier begnügen können, die Wirksamkeit der Lampen alle
14 Tage bis 3Wochen — je nach der Beanspruchung — mit Hilfe einer
Meßmethode zu prüfen, die Lampe also zu eichen, und nun die Abstufung
der Wirkung, also die Dosierung nach der Zeit vorzunehmen.
Die Forderungen, die der Praktiker an eine solche Meßmethode
knüpfen muß, sind die, daß sie zuverlässig und einfach zu handhaben ist.
Ein kompliziertes Verfahren, das sich teurer Apparate bedient, ist hier
nıcht am Platze.
Es lag bei der Ausarbeitung einer solchen Methode nahe, die che-
mischen Wirkungen der ultravioletten Strahlen für den vorliegenden Zweck
nutzbar zu machen. Es gibt ja schon eine ganze Reihe solcher Aktino-
meter, die zur Messung der chemischen Intensität des Lichtes gebraucht
werden. Aus der großen Anzalhıl dieser chemischen Photometer seien nur
einige erwähnt.
Im Finseninstitut in Kopenhagen hat Absalon Larson ein Photometer zur
Messung der Intensität des konzentrierten Lichtes ersonnen, das so konstruiert
ist, daß das Licht eine dünne Schicht fein pulverisierten Bergkristalles passiert,
wodurch eine ziemlich gleichmäßige Schwächung der sichtbaren und der ultra-
violetten Strahlen herbeigeführt wird. Als Sensitometer des auf die Art abge-
ı) Eine eingehende Studie des Klingelfußschen Sklerometers und seine
Bedeutung für die Meßtechnik ist in dieser Zeitschrift binnen kurzem zu erwarten.
192 Bering und Meyer,
schwächten und dadurch für die Lichtmessung besser verwertbaren Lichtes wird
dann Chlorsilberpapier benutzt, dessen Schwärzungsgrad mittels eines modifizierten
Lummer-Brodhuisschen Photometers bestimmt wird.
Ein anderer Apparat stammt von Bunsen und Roscoe. Dieses Aktino-
meter benutzt eine Mischung von Chlor und Wasserstoff, welche unter der Ein-
wirkung des Lichtes Salzsäure bilden. Die Volumverminderung in einer be-
stimmten Zeit gibt dann das Maß für die Lichtintensität an.
Becquerels elektrochemischer Photometer besteht aus zwei mit einer Schicht
Brom- oder Jodsilber überzogenen Silberplatten. Die Platten werden in ein Gefäß
mit verdünnter Salzsäure versenkt und mit einem Galvanometer verbunden. Wird
nun die eine Platte beleuchtet, während die andere im Dunklen gehalten wird,
so entsteht infolge der Spaltung des Bromsilbers ein elektrischer Strom, dessen
Stärke von der Beleuchtungsintensität abhängt, welche deshalb durch den Aus-
schlag der Galvanometernadel gemessen werden kann.
Vogels Skalaphotometer besteht aus einer kleinen länglichen Holzschachtel,
in welche man einen in eine Lösung von Kaliumbichromat getauchten Streifen
Papier legt. Das Papier wird durch den aus Glas bestehenden Deckel der
Schachtel belichtet. Auf diesen sind Seidenpapierstreifen, der eine über den
anderen, so aufgeklebt, daß eine Reihe Abschnitte von gleichmäßig steigender
Durchstrahlung gebildet wird; jeder dieser Abschnitte ist mit einer schwarzen
Zahl bezeichnet. Während der Exposition färbt sich das gelbe Papier braun
und die Farbenveränderung schreitet von dem dünnsten Ende der Skala nach
dem dicksten fort. Die Zahlen werden sich hell auf dunklem Grunde zeigen und
die zuletzt sichtbare gibt an, wie weit die Lichtwirkung gelangt ist. Anstatt
Chromatpapier läßt sich auch Chlorsilberpapier benutzen.')
Diese Meßmethoden bieten z. B. sicher ein großes praktisches und
vor allem wissenschaftliches Interesse, für den vorliegenden Zweck schienen
sie uns aber nicht einfach genug. Sehr zuverlässige Resultate gab uns
die bei dem Ederschen Photometer unter der Lichtwirkung einsetzende
Kalomelanausfüllung aus einem Gemisch von Ammoniumoxalat und Subl-
mat. Das Kalomelan wird gewogen. Diese Wägung erfordert jedoch einen
gewissen komplizierten Apparat. Deswegen haben wir eine neue Methode
ausgearbeitet, die sich uns praktisch als recht brauchbar erwiesen hat.
Die Methode knüpft an an die photochemische Oxydation des Jod-
wasserstoffes in wässeriger Lösung. Es ist bekannt, daß eine wässerige
Lösung von Jodwasserstoff sich in der atmosphärischen Luft unter dem Ein-
fluß von intensivem Lichte unter Jodabspaltung außerordentlich stark zer-
setzt, und zwar verläuft die photochemische Reaktion derart, daß unter
dem Einfluß des Lichtes der Sauerstoff der Luft den Wasserstoff des IH
an sich reißt und sich mit ihm zu Wasser verbindet, wodurch natürlich
dann das Jod frei wird. Der Prozeß geht also nach folgender einfachen
Formel vor sich: 2 IH + O = I + H,O. In ganz analoger Weise er-
folgt nun die Zersetzung von wässeriger angesäuerter Jodkaliumlösung.
3) Zit. nach Gunni Busck, Lichtbiologie. Mitteil. aus Finsens Lysinstitut,
1904, Heft 8, S. 21.
Messungsmethoden d. Wirksamkeit viol. u. ultraviol. Strahlenquellen. 193
Versetzt man nämlich Jodkalium in wässeriger Lösung mit Mineralsäuren,
Schwefelsäure, Salzsäure oder Salpetersäure, so wird Jodwasserstoff frei-
gemacht und es tritt nun wiederum durch das Licht die Jodabscheidung
in der angegebenen Weise ein. Da nun diese photochemische Reaktion
proportional geht der Lichtintensität, so ist es klar, daß man darauf eine
photometrische Methode aufbauen kann, indem man das abgeschiedene
Jod durch Titrierung mit Hyposulfit quantitativ bestimmt.
Nach zahlreichen Vorversuchen haben wir nach dem Vorgange von
Pinnow!) für unsere Zwecke das Reaktionsgemisch Jodkalium +
Schwefelsäure gewählt, da sich dieses für den vorliegenden Zweck am
geeignetsten erwies. Da unter der Lichtwirkung die Menge des frei-
werdenden Jods proportional geht der Menge der Schwefelsäure, anderer-
seits aber der zersetzende Einfluß des Lichtes bei verdünnten Jodkali-
lösungen viel besser als bei konzentrierten hervortritt, so war in einer
Reihe von Versuchen weiter die günstigste Konzentration der Reagenz-
lösungen zu bestimmen. Auf Grund dieser kamen wir dazu, die Meß-
flüssigkeit folgendermaßen festzulegen. Diese besteht aus zwei Lösungen,
welche vor dem Gebrauch zu gleichen Teilen gemischt werden:
Lösung A Kal. jodat. 10 gr.
Aqua dest. 1000 „
Lösung B Konzentrierte Schwefelsäure 53 „
Aqua dest. 1000 „,
Es werden nun zur Ausführung der Messungen je 25 ccm von der
Lösung A und B mit einer Pipette abgemessen und in die Prüfzelle?) ge-
bracht, in der die Lichtreaktion sich vollziehen soll. Diese Prüfzelle ist
ein Zylindergefäß, welches ca. 70 ccm Flüssigkeit faßt. Die vordere plane
Fläche des Zylinders besteht aus einem Quarzglasfenster von derselben
Größe wie das Fenster der Quarzlampe, die hintere plane Fläche wird von
einem Glasdeckel gebildet, der mit Hilfe einer Feder auf der Glaszelle
festgehalten wird. Die mit der Meßtlüssigkeit gefüllte Prüfzelle wird mit
dem Quarzglasfenster an die Quarzscheibe der Lampe angelegt und nun
die Bestrahlung vorgenommen. Nach derselben wird der Deckel abgenommen
und nun sofort in der Prüfzelle oder nach Umgielien in eine flache Glas-
schale das abgeschiedene Jod titimetrisch bestimmt, was ja sehr einfach
ist: Man gibt als Indikator der bestrahlten Lösung 3 bis 5 Tropfen einer
1 °/, Stärkelösung hinzu, wodurch die Flüssigkeit schön blau gefärbt wird.
(Diese Lösung bezieht man am besten für den vorliegenden Zweck aus der
Apotheke: sie muß nämlich ganz klar sein. weil man bei Anwendung
!, Pinnow, Chemisches Centralblatt 1901, Bd. 2. S. 965.
?:, Die Prüfzelle ist von der Firma Ernst Pohl. Kiel, Hospitalstraße zu be-
ziehen.
13
194 Bering und Meyer,
trüber Lösungen nicht eine blaue, sondern eine grünliche Färbung erhält,
in der schwarze Flöckchen suspendiert sind, was sie für die Jodometrie
ungeeignet macht.) Nun läßt man aus einer Bürette von einer 1/10
Normal- Natriumthiosulfatlösung tropfenweise in die Mischung einfließen
und benützt als Endreaktion die Entfärbung der blau gefärbten Lösung.
Liest man nun die verbrauchte Natriumthiosulfatlösung ab, so hat man damit
direkt ein Maß für die abgeschiedene Jodmenge und damit ein Maß für
die chemische Wirksamkeit der Strahlen. Eine quantitative Berechnung
des abgeschiedenen Jods aus dem verbrauchten Thiosulfat dürfte sich er-
übrigen, es genügt, das letztere allein zu bestimmen. Es lag uns daran,
die Methode für den Praktiker möglichst einfach zu gestalten.
Es erschien uns zunächst einmal sehr wichtig, die Wirksamkeit der
einzelnen Quarzlampen mit Hilfe dieser Methode zu erproben und dabei
etwaige Unterschiede festzustellen. Es wurde zu diesem Zwecke die Wirk-
samkeit von 3 Lampen verglichen, von denen die eine eben aus der Fabrik
gekommen, die zweite seit 3 Wochen im Betriebe und die dritte seit
zwei Monaten täglich stundenlang zur Bestrahlung herangezogen worden
war. Das Resultat dieser Vergleichsuntersuchungen geht aus folgender
Tabelle hervor:
Tabelle I.
II. III.
Belichtungs- I. Lampe seit Lampe seit
zeit Neue Lampe 3 Wochen 3 Monaten
im Betrieb im Betrieb
Zur Titrierung des Jod verbrauchtes Thiosulfat
— — -m iu o ee mn en eiu o a 2. ._.. -rooe nn De
1 Min. 6 ccm 4 ccm 3,5 cm
2 ?) 8 ?9 6 7 5,5 ?9
3 y 10 , 8 y l y
4 „ 11,5 „ 10 „ 85 „
D g 135 ,, HL. g 10
6 » 16 , 12,5 „ 10,5 ,„
C 2 18 , 13 , 11 $
8 „ 19 ?? 14 ” 12 29
Damit ist einwandsfrei bewiesen, daß die chemische Wirksamkeit der
Quarzlampen sich mit der Zeit ändert, sie nimmt ab. Diese Verminderung
der chemisch wirkenden Strahlenenergie ist vor allem zurückzuführen auf
eine Inkrustierung der Kühlkammer mit dem Kalk des Leitungswassers,
wobei natürlich ein Teil der strahlenden Energie durch Absorption in diesem
Messungsmethoden d. Wirksamkeit viol. u. ultraviol. Strahlenquellen. 195
Kalkniederschlag verloren geht — und in zweiter Linie kommt wohl auch
bei längerer Benützung der Lampen eine Veränderung des Quarzglases in
Frage, die dann zu einer geringeren Durchlässigkeit dieses Materiales für
die ultravioletten Strahlen führt.
Die aus dieser Feststellung sich ergebende praktische Konsequenz
ist die, daß man die Kühlkammer mindestens alle 2—3 Wochen vom
Kalk säubert, was am besten in der Weise geschieht, daß man durch
Eingießen einer 5—10°/,igen Salzsäure-Lösung den Kalk löst. Sehr zweck-
mäßig ist es dann, außerdem noch nach Abnahme des Quarzglasfensters,
das sich ja mit einem besonderen Schlüssel leicht aus der Fassung lösen
läßt, das U-förmige Quarzrohr im Innern der Lampe mechanisch mit der
Salzsäurelösung zu säubern und von dem anhaftenden Kalk zu befreien.
Meistens wird nach einer solchen Reinigung die chemische Wirksamkeit
der Strahlen wieder mit der früher festgestellten übereinstimmen. Die vielen
Mißerfolge bei der Bestrahlung mit der Quarzlampe haben sicher sehr oft
ihre Ursache in der mangelhaften Reinigung der Lampe. Stellt sich jedoch
heraus, daß dieselbe auch dann weit hinter der einer neuen Lampe zurück-
bleibt, so liegt eben eine Schwächung der Durchlässigkeit des Quarzfensters
vor, die dann unter Umständen eine Auswechslung desselben durch die
Quarzlampenfabrik erforderlich macht. Es ist aber wohl einleuchtend, daß
eine solche Erneuerung eines der kostbarsten Teile der Quarzlampe erst
dann erfolgen kann, wenn wirklich eine so erhebliche Abschwächung der
chemischen Wirksamkeit der Lampe eingetreten ist, daß ihre praktische
Anwendung dadurch unmöglich gemacht wird. Und da ist es nun nicht
unwichtig, daß diese chemische Meßmethode uns in den Stand setzt, nicht
nur den durch die Abschwächung der Strahlenwirkung gesetzten Fehler
zu erkennen, sondern ihn auch auszugleichen.
Schwarz!) hat vor kurzem vorgeschlagen, für die Röntgenstrahlen-
messungen als Röntgenstrahlenmengeneinheit das Kalom festzusetzen und
er bezeichnet damit diejenige Röntgenlichtmenge, welche bei einer bestimmten
Strahlenhärte nötig ist, um durch Ausscheidung von Kalomel den ersten
deutlichen Grad von Trübung in einer von ihm näher bestimmten Lösung,
dem Kalmelogen zu erzeugen. Ganz ähnlich möchten auch wir für die
Messung ultravioletter Strahlenquellen ein auf den chemischen Wirkungen
der Strahlen beruhendes Normalmaß in Vorschlag bringen, und zwar möchten
wir als Normaldosis diejenige Strahlenmenge bezeichnen, welche
in 50 ccm der von uns angegebenen Prüfflüssigkeit soviel Jod
zur Abspaltung bringt, daß zur Jodometrie 10 ccm einer !/;oo-
Normal-Natrium-Thiosulfatlösung nötig sind. Diese Normaldosis
!) Schwarz, Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen, Bd. 18, H. 1.
13*
496 Bering und Meyer,
nennen wir 1 Finsen. Wie aus Tabelle I hervorgeht, würden wir, um
diese Dosis zu applizieren, mit der ersten Lampe 3 Minuten, mit der
zweiten Lampe 4 und mit der dritten 5 Minuten bestrahlen müssen.
Diese Mengenverhältnisse sind aus rein praktischen Gründen gewählt,
wobei manches zu berücksichtigen war: zunächst die photochemische
Induktion. Wenn nämlich lichtempfindliche Substanzen oder Reaktions-
gemische der Lichtwirkung ausgesetzt werden, so verläuft, wie wir uns an
zahlreichen Versuchen überzeugen konnten, die Einleitung des photo-
chemischen Prozesses häufig wesentlich anders als die Fortsetzung. Wenn
das chemische System dem Lichte ausgesetzt wird, ist diese Anfangswirkung
(photochemische Induktion) eine geringe, erst nach einiger Zeit, eben nach
Ablauf der Induktionsperiode, gelangt das Licht zur vollen Wirkung und
erst dann erfolgt die photochemische Umsetzung proportional der Licht-
menge. Es war also darauf zu achten, daß das von uns festgesetzte Maß
bei der praktischen Anwendung des Verfahrens nicht innerhalb dieser
photochemischen Induktionsperiode oder Latenzzeit liegen kann.
Weiter mußte in Betracht gezogen werden, ob etwaige Abweichungen
von der sog. photochemischen Reziprozitätsregel!) bei der Benutzung
dieses für praktische Zwecke vorgeschlagenen Maßes zu erheblichen und
störenden Fehlern führten. Das Produkt der Lichtintensität i und der
Zeitdauer der Bestrahlung £ nennt man die Lichtmenge. Wenn die Um-
setzung gleichmäßig verläuft, so ist der photochemische Effekt E des Lichtes
auf ein Reaktionsgemisch proportional dem Produkte der Lichtintensität j
des zur Wirkung gelangenden Lichtes und der Zeitdauer der Bestrahlung t,
oder E ist proportional dem Produkte ;.t, d. h. der photochemische Effekt
ist bei regulärem Verlauf einer Lichtreaktion proportional der zur Wirkung
gelangenden Lichtmenge. Daraus ergibt sich, daß zur Erzeugung einer
bestimmten Lichtwirkung die Dauer der Belichtung sich umgekehrt pro-
portional der Intensität des einwirkenden Lichtes verhalten muß. Das ist
die sog. Reziprozitätsregel. Diese Regel gilt aber nur in gewissen Grenzen,
sie ist keineswegs allgemein gültig, sondern es finden besonders bei sehr
geringer Intensität des einwirkenden Lichtes Abweichungen statt. Die
Regel gilt also für sehr schwache Lichtintensitäten nicht mehr, sondern
man muß dann relativ viel länger belichten, als der Lichtstärke entsprechen
würde. Es wird dann nämlich, wie Schwarzschild präzise nachwies, von
der einfallenden Lichtenergie um so weniger für den photochemischen Prozeß
verwendet, je langsamer die Energie zuströmt. Ganz ähnlich wie nun
der Photograph bei der Bestimmung der Belichtungszeiten zur Hervor-
bringung eines gewissen photochemischen Effektes mit der praktischen
Gültigkeit der Regel rechnet, so konnte auch von uns ermittelt werden
N Eder-Photochemie. Halle 1906.
Messungsmethoden d. Wirksamkeit viol. u. ultraviol. Strahlenquellen. 197
daß für die praktische Ausführung der Meßmethode in der von uns vor-
geschlagenen Form die Abweichungen von der Reziprozitätsregel als ir-
relevant gelten können.
Die Dosierung gestaltet sich sehr einfach: Wollen wir die Dosis von
2 Finsen geben — die Dosis von 1 F. erhalten wir, wie schon erwähnt,
mit einer guten Lampe in 3 Min. —, so wird eben die doppelte Zeit appli-
ziert, die wir bei der Prüfung zur Hervorbringung dieses Effektes ermittelt
haben, bei der Dosis !/, Finsen die Hälfte der Zeit und so kann jede
beliebige Dosis auf ganz einfache Weise festgestellt und appliziert werden.
An der Quarzlampe muß diese Prüfung, wie erwähnt, alle paar Wochen
vorgenommen werden, um eine etwaige Abschwächung der Lichtwirkung zu
ermitteln. Diese wird in den meisten Fällen durch Reinigung der Kühl-
kammer behoben, oder wenn das nicht gelingt, so ist die schwächere
Wirkung durch Verlängerung der durch die Dosimetrie uns angezeigten
Expositionszeit ohne weiteres auszugleichen.
Wird dieses Maß 1 Finsen akzeptiert, so wäre damit insofern ein
Fortschritt erzielt, als nun eine Verständigung in der Literatur viel leichter
wird. Denn jetzt kann die Angabe der Zeit, welche bei jeder einzelnen
Krankheit bestrahlt werden soll, um eine optimale Wirkung zu erzielen,
die aber doch je nach der Wirkung der Lampe schwanken muß, ersetzt
werden durch die Angabe der Dosis. Wenn wir in Zukunft festlegen
würden, wir applizieren bei der Behandlung des Lupus vulgaris als best-
möglichste Dosis mit der Quarzlampe die Dosis 5 oder 10 Finsen als
Einzelapplikation, so wäre damit für jeden Arzt die Möglichkeit gegeben,
diese Strahlenmenge genau zu reproduzieren, ob er nun eine starke oder
eine schwächere Lampe hat. Darin erblicken wir einen Fortschritt.
Es wird jetzt unsere Aufgabe sein, die durch zahlreiche klinische Be-
obachtungen als die beste erkannte Strahlendosis bei jeder Erkrankung,
die für die Lichttherapie in Frage kommt, genau festzustellen. Diese
Arbeit erfordert natürlich das Zusammenarbeiten vieler Autoren, das aber
nur möglich ist, wenn ein solches Normalmaß existiert.
Es besteht natürlich auch nun die Möglichkeit, die Strahlung, welche
die Quarzlampe nach Vorschaltung einer Blauscheibe aussendet, mit diesem
Maße zu prüfen. Dieses aus Uviolglas bestehende Blaufenster dient ja
dazu, der Quarzlampe die Überfülle von äußeren ultravioletten Strahlen zu
nehmen, während es die blauen, violetten und langwelligen inneren ultravio-
letten Strahlen gut passieren läßt. Es war nun interessant, das Licht der
Quarzlampe und das Blaulicht an diesem chemischen Maß zu vergleichen, wobei
sich, wie die nachfolgende Tabelle lehrt, herausstellte, dal um dieselbe che-
mische Wirkung von 1 Finsen zu erzielen, man mit dem Blaulicht erheblich
länger bestrahlen muß als mit dem Licht der Quarzlampe ohne dieses
Blaufenster. Zwei Versuche seien hier zur lllustrierung mitgeteilt:
198 Bering und Meyer,
Tabelle I.
Belichtungs-| Quarzlicht Blaulicht | Quarzlicht Blaulicht
zeit I I | II II
| Verbrauchte Thiosulfatlösung
EUER IRRE. | a rn
1 Min. 6 ccm | 2 ccm 4 ccm | 1,5 ccm
2 y» 8 y 4 y | 6 u 3,5
3 y 10 ,, 9.5. | 8. 45 ,
4, 115 „ Ta l Wa LE a
D- a 135 „ 85 „ il ,„ ı 7 o
6. 16 „ 10 „p | 125, 8 n
T i — i — TE "3: 9 $
8 „ a | = | 14 „ 10 9
| |
Es scheint uns nicht unwichtig, daß wir jetzt einen Anhaltspunkt
haben, wie die chemische Wirksamkeit dieser beiden Lichtqualitäten der
Quarzlampe sich zueinander verhält, während wir bisher auf tastende Ver-
suche am Kranken angewiesen waren. In der vorstehenden Tabelle ver-
hält sich die chemische Wirksamkeit der beiden Strahlungen, nach der Zeit
berechnet, die nötig ist, um 1 Finsen zu applizieren, wie 1:2. Damit soll aber
nicht gesagt sein, daß das in allen Fällen so sein muß, es ist eben Aufgabe des
Arztes, das jeweils an seiner Lampe mit dem neuen Maß zu bestimmen.
Von hervorragendem Interesse ist nun die Frage, wie das Blaufilter
die Penetrationskraft des Quarzlichtes abändert oder mit anderen Worten
die Frage, ob die Tiefenwirkung des Lichtes bei gleicher Oberflächendosis
durch Vorschaltung des Blaufensters zunimmt. Es ist ja zu erwarten.
daß man mit Hilfe des Blaufilters eine bessere Verteilung des Lichtes
in der Haut erzielt, also auch eine bessere Tiefenwirkung erreicht, die ja
für die Lupusbehandlung eine so große Rolle spielt.
Dieser Frage suchten wir dadurch näher zu treten, daß wir durch
Zwischenschaltungeiner KaninchenhautbeigleicherÖberflächen-
dosis (gemessen nach Finseneinheiten) die chemische Wirkung in der
Tiefe, d. h. also nach Passieren der Tierhaut, prüften:
Tabelle II.
Oberflächendosis Quarzlicht | Blaulicht
verbrauchte Thiosulfatlösung
1 F. 4 ccm 6,2 ccm
un 8 p 115 „
tn 12.4 16,7,
b 2 20 „ 21,0 x
B y 23 „ 23,5 33
Messungsmethoden d. Wirksamkeit viol. u. ultraviol. Strahlenguellen. 199
Appliziert man also in beiden Fällen auf die Kaninchenhaut z. B.
die Dosis von 4 Finseneinheiten, so ergibt sich, daß in dem einen Falle,
nämlich bei dem Blaulicht, noch eine Wirksamkeit von über 1!/, Finsen,
in dem anderen dagegen eine solche von über 1 Finsen nach Passieren
der Tierhaut resultiert. Hier entspricht also eine Oberflächendosis von
4 Finsen bei dem Blaulicht einer Tiefendosis von 1!/, Finsen, bei dem
Quarzlicht von 1 Finsen. Die Penetrationskraft ist also bei dem Blau-
licht eine größere. Bei größeren Dosen, z. B. 8 Finsen, ist allerdings die
Differenz in der Tiefenwirksamkeit eine geringe.
Auch für andere Lichtgeber läßt sich natürlich dieses Maß nutzbar
machen, vor allem für die Finsenlampe, wo ja auch leicht Schwankungen
in der Strahlenemission eintreten können. Jeder Lichttherapeut weiß, daß
gerade hier eine tadellose Bedienung, die vor allem auf die Stellung der
Kohlenelektroden zu achten hat, notwendig ist und daß schon z. B. ge-
ringfügige Abweichungen in der Zentrierung des Lichtes zu einer nicht
unerheblichen Abnahme der Wirksamkeit der Lampen führen können.
Also auch hier dürfte vielleicht ein solches chemisches Maß, das eine
Kontrolle der Lampen zu jeder Zeit gestattet und eine etwaige Änderung
der Wirksamkeit durch die Dosimetrie auszugleichen vermag, von Nutzen
sein. Man erhält z. B. bei der Finsen-Reynlampe 1 F. in ca. 12 Minuten
(bei der von uns geprüften Lampe).
Il.
Von der größten Bedeutung erscheint es uns nun festzustellen, was
dieses chemische Maß biologisch bedeutet, vor allem deswegen, weil nur
mit Hilfe eines biologischen Vergleichsmaßes ein Vergleich der Wirksam-
keit verschiedenartiger Strahlenquellen (Finsenlampe, Quarzlampe,
Dermolampe) möglich ist. Es ist woll einleuchtend, daß eine Strahlen-
quelle in ihrer chemischen Wirksamkeit einer andern, die ganz andere
Strahlenarten enthält, überlegen sein kann und doch ist damit nicht von
vornherein gesagt, daß nun auch die biologische Wirksamkeit der
Strahlen auf einen ganz bestimmten Krankheitsprozeß, wie z. B. auf das
lupöse Gewebe, überlegen zu sein braucht. Wenn wir uns daran erinnern,
daß wir schon nicht von der Wirkung eines Lichtgebers auf ein chemi-
sches Reagens auf dessen Wirkung auf ein anderes ohne weiteres schließen
dürfen, daß also hier gar kein vollkommener Parallelismus zu bestehen
braucht, und daß andererseits der Umstand, daß zwei verschiedene Licht-
geber dasselbe chemische Reagens, z. B. Chlorsilberpapier, in gleichen
Zeiträumen gleich stark beeinflussen, uns noch nicht dazu berechtigt, sie
zu identifizieren, um wie viel mehr müssen wir vorsichtig sein, bei ver-
200 Bering und Meyer,
schiedenen Lichtgebern von chemischen Wirkungen ohne weiteres auf
biologische zu schließen. Wie Busck!) sehr richtig hervorhebt, sind
wir nicht imstande, den Wert eines Lichtgebers mit einer einzigen Zahl
zu erschöpfen, sondern wir bedürfen dazu einer ganzen Reihe Zahlen für
jede einzelne Eigenschaft desselben, und deswegen ist ein Vergleich zwischen
verschiedenartigen Strahlenquellen, wie z. B. Finsenlampe und Quarz-
lampe, nicht möglich nur dadurch, daß man einzig und allein die chemische
Kraft des Lichtes mißt. In dieser einen Summe lassen sich unmöglich
alle die verschiedenen Eigenschaften der Strahlen zusammenfassen, sondern
jede muß für sich genommen werden, ihre chemische Kraft, ihre Leucht-
kraft, ihre Wärmefähigkeit und vor allem ihre biologische Kraft.
Deswegen wäre es nicht richtig, unmittelbar mit einem chemischen
Maße, wie dem von uns aufgestellten Normalmaß, auf die biologische
Wirksamkeit der verschiedenen Lampen zu schließen, es wäre z. B. nicht
richtig zu sagen, daß, weil eine Quarzlampe die Dosis 1 Finsen in drei
Minuten, eine Finsenlampe diese Dosis aber erst in 12 Minuten gibt, nun
die Quarzlampe als therapeutische Strahlenquelle der Finsenlampe viermal
überlegen ist: solche Vergleiche halten wir für durchaus unzulässig.
Es ergibt sich also die Notwendigkeit, dieses chemische Maß mit
einem biologischen Maß zu vergleichen, es sozusagen biologisch zu charakte-
risieren. Wir wählten dazu ein doppeltes: 1. die Wirkung der ultra-
violetten Strahlen auf Fermente und 2. die Fähigkeit des Lichtes, Gefäß-
dilatationen und Entzündungsvorgänge in der Haut auszulösen.
Die Wirkung der Strahlen auf Fermente für diesen Zweck heran-
zuziehen, erschien uns aus mehreren Gründen berechtigt. Einmal sind die
Fermente das „Hauptwerkzeug‘‘ der Zellen, sie spielen im Zelleben eine
ganz hervorragende Rolle, die Lebenserscheinungen der Zelle knüpfen sich
an die Fermente und werden von ihnen ausgelöst?) — und weiter ist ja,
wie vielfache Untersuchungen von Downs und Blunt, Jodlbauer. Tap-
peiner, Hertel, Schmidt-Nielsen, Green u. a. einwandsfrei er-
wiesen haben, die Empfindlichkeit der Fermente gegenüber den chemisch
wirksamen Strahlen eine beträchtliche. Es ist nicht anzunehmen, dal
diese starke Beeinflussung der Fermentwirkung durch das Licht eine für
das Zelleben völlig gleichgültige Erscheinung ist, im Gegenteil, wir haben
allen Grund zu der Annahme, daß diese Lichtwirkung auf die Fermente
auch ım Zellhaushalt eine wichtige — wenn auch noch nicht genügend
erforschte Rolle spielt. ?)
) Gunni Busck, Lichtbiologie l. c.
23) Hofmeister, Die chemische Organisation der Zelle. Ein Vortrag.
Braunschweig 1901.
3) Untersuchungen über «die Bedeutung der Lichtwirkung auf Fermente für
das Zelleben sind dem Abschluß nahe.
Messungsmethoden d. Wirksamkeit viol. u. ultraviol. Strahlenquellen. 201
Wir wählten als Objekt der Untersuchung in erster Linie die Peroxy-
dase, von der ja bereits Jodlbauer, Karamitsas u. a. gezeigt haben,
daß sie durch die Strahlen sehr leicht angreifbar ist.
Daß die biologische Bedeutung der Peroxydasen noch nicht unbe-
stritten ist, konnte für uns nicht ausschlaggebend sein, da es uns nur
darauf ankam, die Veränderung der Fermentwirkung als solche nach-
zuweisen. a oo.
Es sei daran erinnert, daß wir nach Bach und Chodat die Oxy-
dationsprozesse in der Zelle uns so vorstellen können, daß gewisse stick-
stoffhaltige Körper, die Oxygenasen den molekularen Sauerstoff unter
Peroxydbildung aufnehmen. Das Oxydationsvermögen dieser Peroxyde ist
aber bei der im Gewebe in Betracht kommenden Verdünnung außerordent-
lich gering. . Deshalb verfügt die Zelle über ein weiteres Ferment, die
Peroxydase, welcher die Fähigkeit zukommt, das Oxydationsvermögen der
Peroxyde außerordentlich zu erhöhen. Die Zelle ist so in der Lage, ihre
Verbrennungsprozesse durch Peroxydasebildung jederzeit zu regeln.
Wir benutzten zu unseren Versuchen eine pflanzliche Peroxydase,
welche aus Meerrettichwurzeln dargestellt wurde. |
Darstellung des Fermentes: 5 kg Meerrettichwurzeln wurden mittels der
Hackmaschine fein zerkleinert, einige Stunden sich selbst überlassen, um die enzy-
matische Glykositspaltung zu vervollständigen, und dann einige Tage mit starkem
Alkohol extrahiert, um die ätherischen Öle aufzulösen. Die rote alkoholische
Flüssigkeit wurde abgegossen, der Rückstand wiederholt mit 80 % Alkohol ge-
waschen, abgepreßt und schließlich das Residuum mit 40 % Alkohol (10 Liter)
versetzt und fünf Tage stehen gelassen; die abgepreßte Flüssigkeit hierauf filtriert
und mit weniger als dem doppelten Volumen starken Alkohols versetzt, solange
noch eine starke Trübung entstand. Der grauweiße Niederschlag wurde dann
wiederum in ein wenig destillierttem Wasser gelöst, mit starkem Alkohol wiederum
ausgefüllt und über Schwefelsäure im Vakuum von Alkohol und Wasser befreit.
Das erhaltene Produkt wurde im Exsikkator über Schwefelsäure aufbewahrt.
Zur Messung der Aktivität der Peroxydase wurde die von Bach und
Chodat ausgearbeitete Purpurogallinreaktion benutzt. Es handelt sich
hier um die Aktivierung von Hydroperoxyd durch die Peroxydase, wo-
durch Pyrogallol zu Purpurogallin oxydiert wird. Durch Wägung dieses
in Wasser unlöslichen Körpers konnte also direkt ein Anhaltspunkt für
die Aktivität der Peroxydase gewonnen werden.
Es war aber bei diesen Versuchen eine Reihe von Punkten zu be-
rücksichtigen.
Die Wirkung der Peroxydase steht in einem ganz bestimmten Ver-
hältnis zum Wasserstoffsuperoxyd. Eine Quantität n Peroxydase aktiviert
eine Quantität m Wasserstoffsuperoxyd, 2n = 2m usw., beide Substanzen
vereinigen sich also zu einem chenischen System. Das Oxydationsprodukt
steht zu diesem System in einem direkten Verhältnis — aber nur bis zu
202 Bering und Meyer,
einer gewissen Grenze, über welche hinaus die Menge des ausgeschiedenen
Körpers konstant bleibt. Es war also notwendig, diese Grenze in Vor-
versuchen festzulegen, weil sonst eine Veränderung der Aktivität nicht
selbst zum Ausdruck gekommen wäre. Weiter war zu berücksichtigen,
daß die Konzentration des Wasserstoffsuperoxyds nicht zu hoch war, da
sonst die Peroxydase geschädigt wurde, auch Pyrogallussäure in zu starker
Konzentration übt einen nachteiligen Einfluß aus, wenn sie zu lange mit
den Fermenten in Berührung kommt. Das Ferment wurde daher immer
zuletzt als Wasserlösung zugesetzt.
Wir wählten die Konzentration der Peroxydase so, daß in 40 ccm
der Lösung 0,3 g des Fermentes enthalten war, die Wasserstoffsuperoxyd-
lösung war 1 °,..
Die Versuche wurden im einzelnen nun so ausgeführt, daß je 40 ccm
dieser 0,75 °/, Fermentlösung in der Prüfzelle mit einer bestimmten Dosis,
gemessen nach Finseneinheiten, belichtet wurden, während immer gleich-
zeitig 2 unbestrahlte Kontrollen angesetzt wurden. Nach der Belichtung
wurde dann die Probe mit 10 ccm einer 1 proz. Wasserstoffsuperoxyd-
lösung und 35 ccm einer 3proz. Pyrogallollösung versetzt, 4 ccm Toluol
hinzugefügt und nach 24 Stunden die Purpurogallinmenge durch Wägung
quantitativ bestimmt. Alle Versuche wurden mehrere Male wiederholt. Um
einen genauen Einblick in den Grad der Fermentschädigung zu bekommen,
wurde jedesmal durch eine größere Anzahl von Kontrollversuchen außerdem
festgestellt, in welchem Grade durch Zusatz fallender Fermentmengen bei
gleichbleibender Gesamtflüssigkeit eine Beeinflussung der Purpurogallinaus-
scheidung eintrat. Einer dieser Versuche mag das illustrieren:
Tabelle IV.
Peroxydase Purpurogallinausscheidung
0.3 g +4 0.0 aqua dest. 0,190 g
0.29 „+ 001 „ s 0,185 ,,
0.27 „ + 0,03 „ = 0,160 ,,
02454006 5 0,143",
0,20 „ + 0,10 ,, s 0,120
0,15 „ + 0.15 „ S 0.100 .,
0,10 „ + 0,20 . N 0,080 „
0,03, + 027 „ 6 0,020 „
Mit Hilfe solcher Kontrollversuche ist wohl die Abschwächung der
Fermentwirkung durch das Licht recht genau zu ermitteln; würde man
z. B. nach der Belichtung finden, daß die Purpurogallinausscheidung von
0,190 auf 0,160 heruntergegangen ist, so würde das einer Abschwächung
der Peroxydase von 0.3 auf 0,27 entsprechen., d. h. man würde sagen
Messungsmethoden d. Wirksamkeit viol. u. ultraviol. Strahlenquellen. 203
können, die Wirksamkeit der Peroxydaselösung ist um 10 °/, durch das
Licht geschwächt worden. (Um die Darstellung nicht zu komplizieren,
sind diese Kontrollversuche im folgenden, nicht im einzelnen, mit aufgeführt
worden.)
In einigen Fällen, wo es sich um besonders wichtige Feststellungen
handelte, wurde noch die Wirkung des Lichtes auf ein zweites Ferment
herangezogen. Wir wählten zu diesem Zwecke die Wirkung auf das
peptolytische Ferment des Hefepreßsaftes.
Darstellung des Preßsaftes: Mehrere Liter Brauereihefe werden durch
ein Haarsieb hindurch mit klarem Wasser gründlich ausgewaschen, das Wasser
abgegossen und die Hefe durch ein Nesseltuch gepreßt; darauf fünf Minuten in
einer Buchnerschen!) Presse einem Drucke von 50 Atmosphären ausgesetzt.
1000 g dieser entwässerten Hefe werden nun in einer großen Porzellanschale mit
1000 g Quarzsand und 200 g Kieselguhr vermengt und solange mit dem Stempel
gerieben, bis die Masse sich spontan von der Wand der Schale ablöst. Diese
Masse wird nun in ein Preßtuch eingeschlagen und nun in der Buchnerschen
Presse bei 250—400 Atmosphären ausgepreßt. Der ausfließende Preßsaft läuft auf
ein Faltenfilter und in ein durch Eiswasser gekühltes Gefäß. Der Preßsaft wird
im Eisschrank aufgehoben, muß jedoch wegen seiner geringen Haltbarkeit mög-
lichst bald verarbeitet werden.
In dem fermentreichen Preßsaft der Hefe wurde vorläufig nur das
peptolytische Ferment auf seine Beeinflußbarkeit durch die Strahlen ge-
prüft; einmal deswegen, weil die Untersuchung auf proteolytische und
peptolytische Fermente gerade in neuester Zeit von mancherlei Frage-
stellungen aus lebhaftes Interesse erweckt hat, vor allem aber, weil der
Ausbau der Methodik durch Abderhalden und seine Mitarbeiter ein sehr
genaues Studium der Wirkungsweise dieser Fermentgruppe ermöglicht hat.
Wir haben vorläufig allerdings auf die von Abderhalden ausgebaute
optische Methode, d. h. also auf die Verfolgung der Änderung des Drehungs-
vermögens der Ebene des polarisierten Lichtes durch bestimmte Poly-
peptide unter dem Einfluß einer Fermentlösung, verzichtet, eine Methode,
die uns sicher den exaktesten Einblick in die Wirkungsweise der Fermente
verschafft, und haben uns bisher mit einem einfacheren von Abderhalden
und Schittenhelm angegebenen Verfahren begnügt, das uns für unsere
Zwecke genügend befriedigende Resultate gab, auch bei Berücksichtigung
der quantitativen Verhältnisse.
Das Prinzip dieser Versuchsanordnung ist das, dal ein Polypeptid
oder ein Pepton angewandt wird, das eine schwer lösliche Aminosäure,
z. B. Tyrosin, Leuzin oder Cystin enthält, dabei aber selbst spielend leicht
in Wasser löslich ist. Die eingetretene Spaltung gibt sich dann durch
!) Die Buchnersche Presse wurde uns von Herrn Geheimrat Fischer, Direktor
des Hygienischen Instituts, in liebenswürdiger Weise zur Verfügung gestellt.
204 Bering und Meyer,
Ausfällung der betreffenden Aminosäure kund. — Wir wandten das von
Abderhalden und Schittenhelm empfohlene, durch partielle Hydrolyse
aus Seide gewonnene „Pepton Roche“ an, das sehr viel Tyrosin enthält
(dieses Seidenpepton wird von der chemischen Fabrik von Hoffmann-
La Roche in Basel in den Handel gebracht). Die Ausführung der Ver-
suche gestaltete sich folgendermaßen: Das Pepton wird am besten — wie
eine Reihe von Vorversuchen ergaben — in 30°/, Lösung benutzt. - Die
Lösung wird dann auf ihre Reaktion geprüft, ist sie schwach sauer, so
wird so viel Natriumbikarbonat zugegeben, bis sie ganz schwach alkalisch
reagiert. Nach dem Filtrieren wird nun die zu prüfende Fermentlösung
zugesetzt, etwas Toluol zugefügt und die Probe in den Brutschrank gestellt.
Die Wirksamkeit des peptolytischen Fermentes wird dann durch die Menge
des in einer bestimmten Zeiteinheit abgeschiedenen Tyrosins gekenn-
zeichnet. Diese Methode hat den Vorteil. daß sie relativ einfach ist, sie
erfordert kein kompliziertes Instrumentarium und macht keine weiteren
Manipulationen wie Kochen, Einengen usw. notwendig. Der Preßsaft
wurde in einer Verdünnung von 1:5 benutzt.
Die erste Frage, die zu entscheiden war, war die: wie wirkt die
Dosis 1 Finsen, gemessen an der Quarzlampe und gemessen mit dem Blau-
licht!) derselben, auf die Peroxydase? Das Resultat gibt:
Tabelle V.
| Peroxydase Purpurogallin
e a 03g | 024g
Bestrahlt mit 1 F Quarzlicht . . . 03, 0,157 „
j „ 1 F Blaulicht . . . 0.3, 0,118 „
Der Schluß, der aus diesem Versuche gezogen werden kann, ist folgen-
der: Die Wirkung auf die Peroxydase, die durch 1 F Quarzlicht hervor-
gerufen wird, ist weniger intensiv wie die Wirkung von 1 F Blaulicht.
In dem einen Fall ist, wie Kontrolluntersuchungen lehrten, eine Ab-
schwächung der Wirksamkeit um ungefähr 20%, in dem andern Falle um
33°], eingetreten.
Eine zweite Versuchsreihe hatte zum Gegenstand den Vergleich dieser
beiden Strahlenquellen, Quarzlicht und Blaulicht, nach Passage einer
Kaninchenhaut, um die biologische Wirksamkeit der penetrierenden
Strahlen in beiden Fällen zu vergleichen.
1) Unter Blaulicht ist das durch Blaufilter 3 tiltrierte Licht, unter Quarzlicht
das nicht filtrierte licht der Quarzlampe verstanden.
Messungsmethoden d. Wirksamkeit viol. u. ultraviol. Strahlenquellen. 205
Tabelle VI.
| Peroxyäaso Purpurogallin
U abestik =: =. | og D 0,156 g
|
Bestrahlt mit 12 F Övarzlicht (Oberflüchendosis) 03 y 0,079 „,
> „ 12 F Blaulicht s 03, 0,054 „,
Das Resultat war so, daß bei der Öberflächendosis von 12 F die
biologische Tiefenwirkung, d. h. die Wirkung nach Passieren der Tierhaut,
sich bei dem Blaulicht als erheblich überlegen erwies.
So einfach die Schlußfolgerungen sind, die wir aus diesen Versuchen
ziehen konnten, wo es sich darum handelt, zwei Lampen desselben
Systemes zu vergleichen, so schwierig wird die Beurteilung, wenn wir an
den Vergleich des Finsenlichtes und des Quarzlichtes herantreten, wo es
sich um zwei verschiedenartige Lichtgeber handelt, und wir betonen aus-
drücklich, dab wir aus diesen Untersuchungen nicht etwa den Schluß ziehen
wollen, daß das Quarzlicht dem Finsenlicht bei der Behandlung des Lupus
oder einer anderen Erkrankung über- oder unterlegen sei oder ihm hier
an Wirksamkeit gleichkäme. Hier kandelt es sich nur darum, das auf
den chemischen Wirkungen der Strahlen beruhende Maß 1 Finsen, das
eine Mal gewonnen an der Quarzlampe, das andere Mal gewonnen an der
Finsenlampe, mit einer Einwirkung auf einen biologischen Vorgang zu
vergleichen; wir wollen lediglich feststellen, was in beiden Fällen dieses
Maß biologisch bedeutet.
Bei den nach dieser Richtung hin angestellten Versuchen mußte natür-
lich der Strahlenkegel der beiden Lichtgeber gleich groß sein, was dadurch
leicht bewirkt werden konnte, daß das Quarzglasfenster der Quecksilber-
lampe durch Abdeckung entsprechend verkleinert wurde. Das Resultat
eines derartigen Versuches gibt |
Tabelle VI.
Berosydı dase e Earpurogallin
TO I TEENAA TTN as, $ ER Dr erg, a en Ar ISS = Ta
Unbestrahlt . . . . my 0,3 g | o 186 g
Bestrahlt mit 1 F Finsenlicht al, 0,3 5 | 0,176 ,,
= „ 1FBlauliht ... 03. | 0,15,
Also eine völlige Übereinstimmung der Wirkung. Ein zweiter Versuch,
der mit einem andern Peroxydasepräparat angestellt wurde. das eine andere
Wirksamkeit aufwies, wird illustriert durch
206 | Bering und Meyer,
Tabelle VI.
Peroxydase | Purpurogallin
Unbestrahlt. er g p" 03 g 0,143 g
Bestrahlt mit 1 F Finsenlicht . RE 03 „ 0,135 „,
„ 1 F Blaulicht ... 0,3 „ | 0,135 „
Das Resultat dieser Versuche erschien uns wichtig genug, um sie noch
mit einem andern Ferment, nämlich dem peptolytischen Ferment des Hefe-
preßsaftes in der oben genau geschilderten Weise noch einmal anzustellen.
Tabelle IX.
| Hefepreßsaft | Tyrosin
Unbestrahlt . 10 ccm (1:5)-+ 30 ccm ag.dest. | 0,335 g
Bestrahlt mit 1 F Finsenlicht . = | 0,285 „
2 „ 1 F Blaulicht
„ | 0,280 „
Das Resultat ist wieder ein ganz ähnliches. Man kann daraus den
Schluß ziehen, daß in der Tat 1 F Blaulicht und 1 F Finsenlicht an
diesem biologischen Maß gemessen gleichwertig sind.
Diese Feststellung scheint uns namentlich auch nach einer besonderen
Richtung hin von Bedeutung zu sein. Denn wenn wir nachweisen können, dab
dieses Maß 1 F für Finsenlicht und Quarzlicht in seiner Wirkung auf Peroxy-
dase biologisch dasselbe bedeutet, dann ist natürlich jetzt ein Schluß auf die
biologische Tiefenwirkung gerechtfertigt, wenn wir sie in der Art prüfen,
daß wir eine Kaninchenhaut vorschalten und nun bei gleicher Oberflächen-
dosis die diese Haut penetrierenden Strahlen wiederum mit demselben
Maß: Wirkung auf Peroxydase messen.
Der Versuch wurde also in der Weise ausgeführt, daß auf die Kaninchen-
haut die Dosis von 12 F Finsenlicht und Blaulicht appliziert wurde und
nun die Wirkung der die Kaninchenhaut passierenden Strahlen durch Be-
einflussung der Peroxydase gemessen wurde.
Tabelle X.
RORY ‚dase | Purpurogallin
Fabel ee ka = og q 0,156 g
Bestrahlt mit 12 F Finsenlicht (Oberfi ichendose) 03 „ 0,145 „,
55 „ 12 F Blaulicht 4 0,3 y | 0,054 „
Messungsmethoden d. Wirksamkeit viol. u. ultraviol. Strahlenquellen. 207
Danach ist der Schluß berechtigt, daß die biologische Tiefenwirkung
des Blaulichtes gemessen an der Einwirkung auf Fermente derjenigen des
Finsenlichtes zum mindesten nicht nachsteht, eher überwiegt.
Irgendwelche Schlüsse auf die Superiorität der einen oder der andern
Lampe für die Lupusbehandlung möchten wir, wie erwähnt, aus diesen
allgemeinen biologischen Untersuchungen nicht ziehen. Es ist eben zu
bedenken, daß die Wirkung des Lichtes auf die Fermente, speziell auf die
Oxydationsfermente, doch schließlich nur eine, wenn auch wohl sicher
nicht unwichtige Komponente bei der Wirkung auf lebendes Gewebe ist.
Es lag uns in erster Linie daran, hier einmal die Arbeitsmethoden zu
zeigen, nach denen nach unserer Ansicht am besten dieses Problem an-
gegriffen werden kann.
Über eine weitere Methode, um die biologischen Wirkungen der Strahlen
bei verschiedenen Lichtgebern zu messen, die sich auf die Fähigkeit des
Lichtes gründet, Gefäßdilatation und Entzündung in der Haut hervor-
zurufen, wird in einer zweiten Mitteilung berichtet werden.
Aus der Röntgentechnik.
Astraldurchleuchtungsschirm.
G diesemNamen wird zur Zeit ein neuer Schirm in den Handel gebracht, der
mit Hilfe einer von Dr. Rupprecht-Hamburg hergestellten Leuchtmasse über-
zogen ist. Der Schirm sieht im auffallenden Tageslicht reinweiß aus, im verdunkelten
Zimmer, von Röntgenstrahlen getroffen, leuchtet er ähnlich grüngelb auf wie ein
Bariumplatinceyanürschirm. Der Schirm soll bei gleicher Versuchsanordnung heller
aufleuchten als Bariumplatincyanürschirme und soll vor allen Dingen größere Halt-
barkeit und Widerstandsfähigkeit gegen chemische und physikalische Einflüsse be-
sitzen, besonders gegen die Röntgenstrahlung selbst, die ja (vgl. Sabouraud-Noire-
Pastillen) bekanntlich Bariumplatincyanür erheblich verändert. — Ich habe den
Astralschirm seit 18 Wochen im Gebrauch und bin sehr befriedigt. Um die gleiche
Helligkeit zu erhalten, bei der ich meine Schirmuntersuchungen vorzunehmen ge-
wohnt bin, schalte ich bei dem Astralschirm weniger Widerstände aus als ich es bei
dem Bariumplatincyanürschirm tat. Das ist insofern wichtig, als bei gleich gutem
Durchleuchtungsbild der Patient weniger intensiv den Röntgenstrahlen als bisher
ausgesetzt ist; besonders beruhigend ist aber dieser Umstand bei Untersuchungen des
ganzen Darmcs, z. B. bei habitueller Obstipation oder dergl., wenn man den Patienten
3 Tage lang je dreimal jeden Tag längere Zeit am Schirm untersucht (und dazu noch
mehrere Aufnahmen machen muß). Am meisten fiel mir der Unterschied bei Unter-
suchung des Ösophagus resp. des Mediastinums starker Personen auf, wenn man auch
nicht erwarten darf, daß sich nun mit dem neuen Schirm der Thorax eines muskel-
starken Mannes so klar und kontrastreich wie der einer engbrüstigen Frau darstellt.
Zur genaueren Prüfung, ob wirklich ein wesentlicher Unterschied in der Leucht-
kraft besteht, ließ ich mir kleine Probestücke Astralschirmkarton und ganz frische
Bariumplatincyanürstücke (Sabouraud-Noire-Pastillen) schicken, schnitt sie in kleine
Stücke, die symmetrisch auf Papier geklebt wurden, und setzte sie den Strahlen einer
Röntgenröhre aus. Dabei fand ich, daß beide Massen in direktem starken oder halb-
starken Licht fast gleichmäßig hell aufleuchteten, ein wesentlicher Unterschied war
dabei nicht vorhanden; deutlicher zugunsten des Astralpräparates wurde der Unter-
schied bei schwächerem indirekten Lichte oder bei stärkerem Lichte, wenn ein dichter
Gegenstand (menschlicher Körper oder ein Stück Blei) zwischen Röhre und Schirm-
proben gebracht wurde. Aber darauf kommt es ja gerade bei der praktischen Röntgen-
durchleuchtung an, daß durch die stärksten Körper hindurch der Schirm noch relativ
kräftig aufleuchtet (nicht kommt es darauf an, daß die Stellen des Schirnes, die un-
mittelbar von den Röntgenstrahlen getroffen werden, etwa noch heller aufleuchten
sollen).
In bequemster Weise aber läßt sich die Überlegenheit der Astralschirmmasse
in folgender Weise demonstrieren: Ich besitze ein schwaches Radiumpräparat, 1 Centi-
gramm Radiumbromür von 50000 Aktivitätseinheiten, das in einer linsengroßen
Vertiefung einer Glasplatte sich befindet und, mit einem Hartgummiplättchen oder
dergl. bedeckt, in eine Metalldose gefaßt ist. Aus einer Astralschirmprobe und einer
Sabouraud-Noirtpastille wurde je cin Stück von (mm)? Größe herausgeschnitten,
beide auf einen Streifen gummierten Papieres in unmittelbarer Berührung neben
einander geklebt und so über die linsengroße Öffnung der Radiumdose gelegt, daß die
Aus der Röntgentechnik. 209
eine Hälfte der Öffnung von der Astralschirmprobe, die andere von dem Bariumplatin-
cyanürplättchen bedeckt wurde. Nach Verdunkelung des Zimmers und kurzer Ge-
wöhnung der Augen an die Dunkelheit sieht man, daß die Astralhälfte um ein ganz
Bedeutendes heller aufleuchtet als die Bariumplatincyanürhälfte. Zum Überfluß
— was aber bei dem großen Unterschied beider Helligkeiten gar nicht nötig war —
habe ich dieselbe Beobachtung von unparteiischen, unbeeinflußten Personen bestätigen
sehen.
Da ich wohl die Beeinflussung der Leuchtmassen durch Radium in praxi analog
der durch Röntgenstrahlen annehmen darf, folgt daraus, daß bei Erregung durch
gleiche Röntgen-Lichtstärken die Astralmasse besser aufleuchtet als das Barium-
platinceyanür. Umgekehrt folgt, daß zu gleichstarkem Aufleuchten beider Schirme
bei der Astralmasse ein weniger intensives Röntgenlicht genügt als beim Bariumplatin-
cyanür, demnach ist bei ärztlichen Schirmuntersuchungen bei Gebrauch des Astral-
schirmes die Schonung der Haut des Patienten eine größere, was bei langdauernden
Untersuchungen erheblich ins Gewicht fällt.
Der Astralschirm ist übrigens auch ein Phosphoreszenzschirm, er leuchtet nach.
Durchleuchtet man eine Testhand, schaltet dann das Röntgenlicht aus, zieht die Hand
weg, so leuchtet der Schirm weiter mit dem dunklen Handbild. Solche Eigenschaft
ist für einen Schirm, an dem man Organbewegungen studieren will, nicht erwünscht,
eher unwillkommen (während sie bekanntlich für Verstärküngsschirme erforder-
lich ist). Ich bin deshalb mit etwas ungünstigem Vorurteil in diesem Punkt an den
Schirm herangegangen, habe aber gleich bei der ersten Patientenuntersuchung gemerkt,
daß das Nachleuchten nicht stört, besser gesagt, daß man — obwohl es physikalisch
vorhanden sein muß — gar nichts davon gewahr wird. Das erklärt sich aus folgender
Tatsache: Wenn man das oben beschriebene Nachbild durch Wiedereinschalten des
Röntgenapparates wieder bestrahlt, dann verschwindet es sogleich. Bei einer Unter-
suchung eines Patienten nun wiederholt sich ja eigentlich dieser Vorgang ständig,
indem jedes Nachbild von den Strahlen der nächsten Sekunde gewissermaßen hinweg-
geleuchtet wird.
Über die dem Astralschirm nachgesagte größere Haltbarkeit und Widerstands-
fähigkeit gegen chemische und physikalische Einflüsse vermag ich noch nichts auszu-
sagen, da ich den Schirm erst seit wenigen Monaten in Gebrauch habe.
(Der durch Reiniger, Gebbert & Schall-Erlangen und andere Firmen zu beziehende
Astralschirm wird inkl. Bleiglas und geschützten Griffen laut Preisverzeichnis zu fol-
genden Preisen abgegeben: 13 + 18 cm = 39,20 Mark; 18 + 24 cm = 56,60 Mark;
24 + 30 cm = 98 Mark; 30 + 40 cm = 152 Mark; 40 + 50 cm = 251 Mark.)
A. Köhler, Wiesbaden.
Bücherbesprechung.
Grundriß der Radiumtherapie und der biologischen Radiumforschung. Unter Mit-
wirkung von F. Gudzent, A. Sticker und E.Schiff. Herausgegeben von
S. Loewenthal. Mit 43 Abbildungen. Wiesbaden 1912. — Verlag von
J. F. Bergmann. — Preis 7 Mk.
Das Werk gliedert sich in einen allgemeinen und in einen speziellen Teil.
In letzterem beschreibt zunächst Loewenthal nach einer kurzen historischen
Einleitung in klarer, übersichtlicher Weise die Methoden zum Nachweise der
Radioaktivität, die Natur der verschiedenen Strahlungen, die Umwandlungen der
radioaktiven Substanzen, die Meßmethoden der Strahlungsintensität, die biologi-
schen Wirkungen der Radiumstrahlung sowie der Emanation, die Differenzen des
Effektes verschiedener radioaktiver Substanzen, die Radioaktivität der Heilquellen.
ferner die therapeutisch brauchbaren Applikationsformen des Radiums unter be-
sonders genauer Darstellung der Emanationsbehandlung. Die spezielle Radium-
therapie ist von Gudzent für das Gebiet der inneren Medizin, von Sticker für
jenes der Chirurgie und von Schiff für das der Dermatologie bearbeitet. Jeder
dieser Autoren schildert auch die für seine Spezialität in Frage kommenden An-
wendungsarten und biologischen Wirkungen, ehe er auf die Indikationen und
Erfolge bei den verschiedenen Erkrankungen zu sprechen kommt. Die grobe
Mannigfaltigkeit der Leiden, bei denen die Radiumtherapie mit Nutzen als Unter-
stützungsmittel der Behandlung, oder sogar als Heilmittel herangezogen werden
kann, wird hier besonders deutlich vor Augen geführt. Chronische Arthritiden,
Gicht, Krankheiten des Nervensystems, des Herzens und der Gefäße, des Re-
spirations-, Verdauungs- und Urogenitaltraktes, maligne und benigne Tumoren,
verschiedene Lokalisationen der Tuberkulose, viele Entzündungen und Mißbildungen
der Haut umfaßt schon heute der therapeutische Wirkungsbereich der radioaktiven
Substanzen. Wer sich über den gegenwärtigen Stand unseres Wissens und Könnens
auf diesem jungen Zweige der ärztlichen Kunst rasch und doch genügend gründ-
lich informieren will, dem sei das Buch warm empfohlen.
R. Werner- Heidelberg.
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis
besonders der Gelenke.
Von
Geh. Med.-Rat Prof. Bardenheuer, Köln.
| (Mit 16 Abbildungen im Text.)
I Teil.
as Sonnenlicht ist ein wesentlicher Heilfaktor; es ist dies kein neues
Mittel, sondern ward schon im Altertume therapeutisch verwandt; wir
erproben in Ferien den wohltätigen Einfluß des Sonnenlichtes an uns
selber. Es ist daher wohl begreiflich, daß im Altertume und auch heute
noch manche Naturvölker, die Wohltat der Sonne an sich erprobend, ihr
Göttlichkeit beilegten und sie als Gott anbeteten resp. anbeten.
Die Ankunft des Sommers mit den ersten Sonnenstrahlen begrüßen die Be-
wohner des hohen Nordens nach einen langen düsteren Winter mit Freuden-
feuern, weil dieselben sie wiederum dem Leben wiedergeben ; das Sonnenlichtruft
im Frühling alljährlich die Zellen der Pflanzen wiederum zum Leben zurück.
Die Sonnenbehandlung ward schon, wie Herodot mitteilt, im vor-
christlichen Zeitalter (500 v. Chr.) von den Ägyptern angewandt, die
Kranken ließen sich im Sande gelagert von der Sonne belichten.
Im christlichen Zeitalter geriet dieselbe ganz in Vergessenheit, um
nachher wie so häufig, wiederum von sogenannten Naturärzten aufgegriffen
zu werden. Das Gleiche gilt von der Hydrotherapie, Mechanotherapie.
Rickli, ein Schweizer, ein sogen. Naturarzt, hat im Jahre 1855 in Veldes
in der Oberkrain eine Sonnenbad-Anstalt gegründet; er benutzte die all-
gemeine Besonnung des ganzen Körpers und wollte hiermit die wunder-
barsten Kuren bei den verschiedensten Erkrankungen, besonders durch Er-
höhung des Stuffwechsels erzielen; es handelte sich hierbei!) eigentlich nur
um Sonnen- und Lichtluftbäder.
Die Sonne, zumal auf den Höhen, hat einen außerordentlichen Ein-
fluß auf alle lebenden Organismen, auf Pflanzen und Tiere.
Versetzt man eine positiv heliotropische Pflanze der Ebene, die tausend-
fältig die Generation in der Ebene gewechselt hat, auf die Höhe, so wird
die in der Ebene schlankere, größere Pflanze stämmiger, dicker, kleiner,
die Blätter werden kleiner, behaarter, das Grün der Blätter ist weit dunkler,
die Blüten sind viel lebhafter gefärbt, vollsaftiger; die Wurzeln senken sich
ı) v. Haberling, Oberstabsarzt: Sonnenbäder. Hirschwald 1912. Er gibt
ein ausführliches Verzeichnis der Literatur.
14
212 Burdenheuer,
weit tiefer in die Erde. Es speichert die Pflanze in der kurzen Sommer-
zeit weit beträchtlichere Reservestoffe auf für die Winterzeit (Chromophyll),
um den Unbilden des Winters zu trotzen; versetzt man umgekehrt die
gleiche Pflanze nach tausendfältigem Generationswechsel in die lichtärmere
Ebene, so wird sie schlanker, blasser usw.
Das gleiche erfahren wir an unseren Pflanzen in der Ebene. Setzen
wir die lichtbedürftigen positiv heliotropischen Pflanzen in dunkle Zimner,
so siechen sie trotz guter Ernährung dahin, um sich bei der Belichtung
wieder zu erholen. Die Sonne vermehrt an erster Stelle den Stoffumsatz.
Das Gleiche gilt auch von den Tieren. Edwards wies 1825 nach, daß
Froschquappen, in dunkles, trübes Wasser versetzt, gegenüber den in
belichtetes Wasser gesetzten langsamer wuchsen, sich nicht normal ent-
wickelten, kleiner blieben; die Glieder verstümmelten, während die letzteren
im Lichte wieder auswuchsen.
Der berühmte Physiologe Moleschott wies nach, daß bei im Dunklen
gehaltenen Fröschen die Kohlensäureausscheidung sich vermindert, im Lichte
dieselbe mit gleichzeitiger Vermehrung der Sauerstoffaufnahme stieg; er wies
ferner nach, daß die Erregbarkeit der Nerven und Leistungsfähigkeit der
Muskeln mit der Belichtung stieg.
Darin stimmen alle Physiologen und Kliniker überein und haben dies
auch zum Teil experimentell nachgewiesen, daß der Sauerstoffverbrauch in
der Sonne ein regerer ist, als im Dunklen (Quincke, Vierordt, Behring).
Es stimmt dies auch mit der praktischen Erfahrung überein. Fast
alle Kranken, die ich bei meinem zweimaligen Besuche in Leysin sah, und
welche in einem dekrepiden, desolaten Ernährungszustande dort angekommen
waren, sahen nach einem längeren Aufenthalte daselbst äußerst gesund,
kräftig aus, hatten kräftige Muskulatur, die Atrophie des erkrankten Ober-
schenkels z. B. bei Tuberculosis des Knies war geschwunden: die Kranken
hatten bedeutend an Gewicht zugenommen, sie waren nicht wiederzuerkennen.
Mein Sohn, Dr. Otto Bardenheuer, Assistenzarzt in Leysin, hat durch
Untersuchungen des Blutes vor und während der Behandlung dies auch
für das Blut nachgewiesen.
Die Sonne wirkt bei den Pflanzen durch Bildung von Chromophyll,
bei den Menschen blutbildend durch Bildung besonders der roten Blut-
körperchen und des Hämoglobin.
Die Erythrozytenzahl stieg anfänglich stark und nahm im allgemeinen
nach einer längeren, Monate andauernden Besonnung umsomehr zu, je
größer die anfängliche Schwäche war und die anfängliche Erythrozyten-
verminderung betrug, um nachher bei schließlich eingetretener Heilung
sich noch immer dauernd über der normalen Zahl (5!),—6 Millionen
im ccm) zu erhalten.
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis. 213
Die weißen Blutkörperchen sind, zumal bei fistulöser peripherer Tuber-
culosis, im Anfange stark vermehrt (12000—13000). In den ersten Tagen
steigt die Zahl um 2000—4000, um nachher mit der Besserung auf die
Norm (10000) zurückzugehen.
Die polynukleären Leukozyten sind anfänglich stark vermehrt, zuweilen
auf 70°), aller Leukozyten, die Lymphozyten selbst meist stark vermindert,
bis auf 10°/, fallend. Anfänglich in den ersten drei Wochen steigt dies Miß-
verhältnis noch, um nachher mit der fortschreitenden Besonnung sich zu
bessern, die polynukleären Leukozyten nehmen ab und die Lymphozyten
zu; es stehen alsdann oft den z. B. 30—40°], polynukleären Leukozyten
60—70°/, Lymphozyten gegenüber.
Der Hämoglobingehalt steigt anfänglich rasch um 7°/, in den ersten
3—5 Tagen und nimmt dann mit der fortgesetzten Besonnung nur lang-
sam zu.
Durch diese Untersuchung wird der rasche Stoffumsatz an der Sonne
und auf der Höhe klar; ich habe nur einen Auszug aus der nächstens er-
scheinenden, mit Kurven belegten Arbeit gegeben.
Das gleiche haben auch Lenkei, Hallopeau nachgewiesen.
Rollier wies durch die Praxis nach, daß die Haare an den länger
besonnten Stellen verstärkt, Hallopeau, dal die Nägel rascher wachsen,
Unna und Moeller, daß die Epidermis hypertrophisch wird; daher er-
halten die Seeleute wie die Ackerer eine rigidere, weniger Mienenspiel ge-
stattende, starre Gesichtshaut.
Der Stoffumsatz, die Entwicklung des ganzen Organismus, das Wachs-
tum werden also durch die Sonnenbestrahlung gefördert.
Ein gleiches läßt sich vom Menschen annehmen und beweisen. Rousseau
sagt: „Die menschliche Blume ist diejenige, welche von allen Blumen am
meisten der Sonne bedarf.“ Wir wissen, daß die Menschen in lichtarmen
Gegenden, z.B. im hohen Norden bei dem langen Winter und bei dem
Sonnenmangel, kleiner, hellfarbiger sind, das Blut hat nicht so viel rote
Blutkörperchen, nicht so viel Hämoglobin.
In dem langen Winter sind sie mißmutiger, nervöser, erkranken mehr,
im Sommer erholen sie sich wiederum, sind lebenslustiger, kräftiger, nerven-
stärker usw., wie Dr. Linhard (Grönland) es uns von den Einwohnern
von Grönland beschreibt.
Es trifft dies indessen nicht zu bei den im gleichen Breitengrade an
der See auf Inseln wolınenden, zumal bei Schiffern; dieselben sind kräf-
tiger, wettergebräunt, wetterhart, da hier die Sonne durch den Reflex vom
Sande, von der Meeresoberfläche intensiver wirkt.
Das gleiche beobachten wir jedoch auch auf dem Lande, bei unserer
Landbevölkerung; im heilen Sommer erkranken sie kaum, nicht weil sie, wie
14*
214 Bardenheuer,
die alsdann weniger beschäftigten Ärzte sagen, keine Zeit zum Krankwerden
haben, sondern weil sie draußen auf dem freien Felde in der Glut der
Sonnenstrahlen oft teilweise entblößt arbeiten; sich der Sonnenbestrahlung
aussetzen.
Daher wurde auch in Leysin, zumal bei sehr schwachen, dekrepiden
Patienten, Kindern bei dauernder, erfolgreicher Sonnenbehandlung stets eine
bedeutende Gewichtszunahme nachgewiesen.
Die Tuberkulösen, welche in Leysin aufgenommen wurden, waren nie
fett, es handelt sich daselbst meist um stark abgemagerte Patienten, die-
selben nahmen besonders als Kinder meist bedeutend zu.
Außer der Förderung des Stoffumsatzes hat die Sonne noch eine
spezifische Wirkung auf die Tuberculosis.
Die Höhe hat schon lange einen großen Ruf nach dieser Seite hin
genossen, viele bedeutende Chirurgen und Innere, Socin, Esmarch,
Albert, Königsen., Krause haben schon vor langer Zeit den Höhen
eine große Wirkung gegen Tuberculosis der Gelenke zugesprochen.
Die praktische Erfahrung ist hier, wie so häufig, der theoretischen
Begründung weit vorausgeeilt. Bezüglich des vermehrten Stoffumsatzes ge-
lingt es auch experimentell, chemisch und physiologisch die Wirkung zu
erklären, weit weniger aber bezüglich der anderen Wirkungen, der Bak-
terizidität, noch viel weniger wissen wir, welche Strahlen des Spektrums,
ob und wie die violetten, chemischen, kurzwelligen oder die mehr Licht
spendenden gelben oder langwelligen roten, Wärme bildenden wirken.
Überdies gibt es außer den erwähnten zu beiden Seiten des un-
sern Augen zugängigen Spektrums noch zwei viel größere Bezirke, die
ultravioletten und infraroten Strahlen; die letzteren machen sich geltend
durch ihre Wärmeentwicklung auf ein Thermoelement, die ultravioletten
durch ihre chemische Wirkung auf lichtempfindliche Präparate (Jodsilber).
Die Strahlen können wir konzentrieren durch Konvexlinsen oder Hohl-
spiegel und ihre Wirkung verstärken, wir können außerdem die einzelnen
Strahlen durch Durchleitung derselben durch gefärbtes Glas oder Stoffe
(rot, gelb, grün, blau), welche nur die gewünschte Farbe rot, gelb, grün,
blau durchlassen, besonders in ihrer Wirkung studieren und verstärken, in-
dessen sehr weit sind wir einstweilen in der Leistung der Wirkung der-
selben auf das Gewebe die Zellen im menschlichen Körper noch nicht
gelangt.
Das Sonnenlicht wird sehr abgeschwächt z. T. absorbiert durch den Durch-
tritt durch die Atmosphäre, ist also auf der Höhe weit stärker, ferner durch den
Nebel, den Feuchtigkeitsgehalt, die Wolken, den Staub, z. B. in der Ebene,
zumal in einer Industriegegend, wodurch die Intensität des Sonnenlichtes
bedeutend sinkt; nach Langley werden die ultravioletten bisher als
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis. 215
wirksamer angesprochenen Strahlen von der Atmosphäre zu 58°/,, die roten
zu 20-—24°|, absorbiert. In der Höhe, z. B. des Montblanc, beträgt die
Abschwächung der Sonnenstrahlen nur 6°),, am Meere 20—30°/, (v. Bern-
hard, Heliotherapie im Hochgebirge. Enke, Stuttgart 1912).
Hierzu kommt noch, daß die Sonne auf der Höhe weit länger scheint,
daß weit mehr Sonnentage daselbst sind, während sie in der Ebene im
Winter fast ganz fehlt, daß die Sonnenhitze auf der Höhe wegen des
rascheren Luftwechsels bei der bestehenden größeren Luftbewegung selbst
im Sommer nicht erdrückend und nicht so atembeengend wirkt. Mit der
größeren Höhe und intensiveren Wärmeproduktion im Sommer fällt die Tem-
peratur im Schatten, beträgt z.B. in der Höhe von 3000 Meter im Schatten
6—10° CO, in der Sonne 50— 60°.
Die Lichtintensivität wird gesteigert durch den Reflex, z. B. im Winter
auf der Höhe von der Schneedecke, am Meere von dem Sande, von der
Meeresoberfläche, auf See von der letzteren allein. Daher ist die Sonne in In-
dustriegegenden wegen des Staubgehalts oder in einiger Entfernung vom Meere,
z. B. in Holland wegen des Feuchtigkeitsgehaltes der Luft, wegen des
Nebels weniger wirksam. Mehr Kraft besitzt also auch die Sonne am Meere
gegenüber der vom Meere entfernt liegenden Ebene, bedingt durch die
reinere Luft, durch den geringeren Feuchtigkeitsgehalt, durch das Fehlen
des Staubes, durch den Reflex der Sonnenstrahlen; noch wirksamer ist die
Sonne auf hohen Bergen bei der Orientierung derselben nach Süden, zu-
mal wenn wenig größere nebelgebende Flüsse und Seen in der Nachbar-
schaft sind. Die Höhe muß 1500—2000 Meter betragen, für die meiste
Zeit des Jahres befindet man sich hier oberhalb der Wolken, die Sonne
wirkt intensiver und länger, fällt besser in die Zimmer hinein, es gibt da-
selbst äußerst wenig oder gar keinen Staub. In der Ebene, zumal im Beginne
dieses Frühlings, bei sonnenarmen Tagen ist die Wirkung der Sonne
weit geringer, es vergehen oft Tage und Wochen, wo die Patienten der
Sonnenbehandlung kaum oder gar nicht zugeführt werden können; daher
ist auch im Anfang dieses Sommers der Effekt der Behandlung ein ge-
ringerer.
Die verschiedenen Strahlen wirken verschieden, die ultravioletten und
violetten wirken deletär. Sie pigmentieren überdies die Haut, vielleicht
durch Austritt von Pigment aus dem Blute oder Zerfall der fixen Ge-
webszellen; ?/ der kurzwelligen Strahlen werden beim Durchtritte durch
die Haut von der Haut absorbiert, !/, werden nach Rollier-Rosellen in
langwellige Strahlen verwindelt und dringen in die Tiefe. Rollier hält
die starke Pigmentierung als ein gutes Zeichen für die erfolgreiche Be-
handlung; dieselbe entsteht bei Brünetten leichter als bei Blonden, weshalb
bei ersteren auch der Erfolg ein größerer ist.
216 Bardenheuer,
Die roten Strahlen dringen in die Tiefe ein, wie wir wissen, scheinen
sie z. B. durch die Wangen, durch die Hydrocele selbst mit verdickter
Wand, durch die Hand hindurch. Die ultravioletten und violetten ver-
bleiben also mehr in der Oberfläche der Haut und wirken chemisch deletär
die kranken Zellen zerstörend, rufen eine Entzündung hervor; sie wirken
also bei Lupus wie Pyrogallussäure, wie Chlorzink, wie Radium, Röntgen-
strahlen, wie Kochsche Einspritzung, wie die gesammelten Finsen-
schen Strahlen. Daher sieht man auch, dab die Bestrahlung mit violetten
Strahlen z. B. bei der Behandlung von Brandwunden weit stärkere Narben
setzt, als die Bestrahlung mit rotem Lichte, wie Dr. Meyer, Assistenz-
arzt am Kölner Bürgerhospital nachwies.
Man kann selbst durch relativ dicke Muskelschichten hindurch noch
photographieren. Hiermit ist jedenfalls bewiesen, daß die roten Strahlen
tief eindringen. Die in der Tiefe absorbierten roten Strahlen rufen höchst
wahrscheinlich eine Hyperämie hervor, bewirken den Austritt von Leuko-
zyten, Blutserum, und zerstören hierdurch die Bakterien, Bazillen. Die
roten Strahlen teilen in der Tiefe dem Blute außerdem Lichtenergie mit,
welche es im Dunklen an die photographische Platte abgibt; dasselbe wird
photoaktiv.
Das im Körper kursierende Blut gibt die aufgenommene Energie auch
an alle inneren Organe ab und hebt hiermit die Funktion.
Vielleicht beruht hierauf auch deren Allgemeinwirkung; durch die
allgemeine Sonnenbestrahlung des ganzen Körpers wirkt die Sonnenenergie
infolge des vermehrten Stoffumsatzes auf die tuberkulösen Prozesse und
umgekehrt wiederum durch die örtliche Bestrahlung des lokaltuberkulösen
Herdes auf den ganzen Organismus.
Das Sonnenlicht wirkt auch ganz besonders bakterizid auf die Eiter-
erreger: Staphylo-, Streptokokken, Tetanusbazillen, Tetanussporen; Kul-
turen von Streptokokken, Staphylokokken werden durch die Sonne ab-
getötet: wachsen weiter im Dunklen, z. B. in einem in der unteren Hälfte
mit schwarzem Papier umwickelten Glase, während sie oberhalb des die
Sonnenwirkung ausscheidenden Papiers getötet werden.
Die Kulturen von Tetanusbazillen in Hühnertleischbouillon werden in
zwei Stunden getötet, die sporenhaltigen Kulturen in 30 Stunden.
In Sputum und Schleim gehüllte Tuberkelbazillen werden durch das
Sonnenlicht getötet (Migneco), infizierte, schmutzige Wäsche wird durch
das Sonnenlicht steril (Esmarch), Sonnenlicht durchdringt noch die tiefen
Schichten des Wassers und wirkt bakterizid (Buchner und Frankland).
Konzentriertes Sonnenlicht wirkt noch durch das Ohr eines weißen Kanin-
chens auf eine Bakterienkultur abtötend ein (Finsen). vide Bernhard
l.c.8. 16. Dab das Sonnenlicht schr bakterizid wirkt. habe ich gerade
E ~ o y S
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis. 217
oft bei der Mischinfektion von Tuberculosis und Eiterung (durch Bazillen
und Staphylokokken) oder auch nach frischen Operationen beobachtet. In
16 Fällen von alten Resektionen mit nachfolgender Eiterung (3mal bei
totaler Resektion der Hüftgelenkpfanne, 3mal des Handgelenkes, 2 mal
der Synchondrosis sacroiliaca, 4mal des Kniegelenkes, 2mal des Ellbogen-
gelenkes, 2 mal des Fußgelenkes) hat die Besonnung die Eiterung rasch zum
Schwinden gebracht, ob durch die Drainierung der tiefen Wunde, durch
die Austrocknung und die Entziehung des Nährbodens für die Mikroben
oder durch Abtötung derselben, das ist zweifelhaft; es steht aber fest, daß
regelmäßig die Wundverhältnisse normale wurden.
Ebenso habe ich dieselbe oft mit Erfolg bei frischen Wunden mit
Infektion gebraucht.
Es ist eine bekannte Tatsache, daß die Verwundungen im heißen
Klima meist trotz Vernachlässigung der anti- oder aseptischen Behandlung
oft außerordentlich günstig verlaufen, wie v. Schroetter vom Sudan
sagt, wie mir Regierungsrat Hoffmann von Neuguinea persönlich
berichtete. Ebenso bekannt ist, daß schwere Verwundungen in den tro-
pischen Ländern in unseren Kolonien, wobei oft Tage, selbst Wochen jede
Behandlung fehlte, oft günstig verlaufen.
Bernhard erwähnt in seiner äußerst lehrreichen, sowie durch Be-
nutzung der einschlägigen Literatur äußerst interessanten Abhandlung
l. c. S. 23, daß in Graubünden das Fleisch durch die Sonnenstrahlen vor
Zersetzung bewahrt wird. Die Sonnenbestrahlung wirkt durch die trockene
Luft, durch die Drainage, zweifellos auch durch die Abtötung der Mikroben.
Trotz diesen zahlreichen Beweisen, teilweise überzeugenden Beobach-
tungen und Experimenten fehlt auch heute noch der absolut strikte Beweis,
daß die Sonnenbehandlung im Stande ist, einen einzigen Krankheitskeim
ım menschlichen Körper zu töten. Dagegen wissen wir und können
dies durch das Röntgenbild beweisen, daß tuberkulöse Auftreibung, z. B.
einer Phalanx, eines Metacarpus, eines Metacarpophalangalgelenkes, wobei
der Knochen ganz destruiert, angefressen ist und von der Form des Kno-
chens, selbst eines Teiles desselben, nichts mehr erkennen läßt, nachher
wieder ausheilt,. seine normale, schlanke Konfiguration wiedergewinnt.
Hierbei bleibt immer die Frage zu entscheiden, ob die Bazillen getötet
worden sind, oder ob allein durch Erweichung des tuberkulösen Herdes
und nachfolgenden Abbau des krankhaften und Anbau des neuen Knochen-
gewebes die normale Konfiguration desselben wieder hergestellt worden ist.
Man könnte nun bei Anerkennung der Wirksamkeit des Sonnen-
lichtes die Frage aufwerfen, ob künstliches Licht nicht die Sonne zu er-
setzen im Stande wäre. Die Möglichkeit liegt vor, aber die bisherigen
Versuche lassen im Stiche. Uviol- und Quarzlampen sind versucht
218 Bardenheuer,
worden, indessen wie es scheint mit wenig Erfolg. Dem Sonnenlichte
wohnt eine spezifische Wirkung inne. Das direkte Sonnenlicht wirkt am
stärksten nach Dieudonné, das diffuse Licht schwächer (l. c. S. 16), noch
schwächer das elektrische Bogenlicht, am schwächsten das elektrische Glüh-
licht. Die Wärme hat nach Dieudonné keine Bedeutung; am stärksten
bakterizid wirken nach letzterem die blauen, violetten und ultravioletten,
weniger stark die grünen, am wenigsten die gelben und roten Strahlen.
Letztere wirken wohl am weitesten in die Tiefe, aber auch mehr
thermisch auf das Blut in der Tiefe ein und durch letztere auf alle fern-
liegende Organe.
Die allgemeine Sonnenbehandlung wirkt, wie Lenkei sagt, auf den
ganzen Organismus erfrischend, kräftigend, appetitanregend und ruft ein
angenehmes Ermüdungsgefühl hervor. Hallopeau hebt auch hervor, dalj
dieselbe sowohl bei oberflächlich als bei tief sitzenden Schmerzen schmerz-
lindernd wirkt; letzteres betont auch Rollier. Die Sonne wirkt auch noch
durch Schweißtreibung; durch Transpiration werden vielleicht auch die
Kokken nach außen gefördert. Das Schwitzen tritt meist nur an den be-
strablten Stellen auf; hierbei wirken allein die Wärme- (roten und gelben)
Strahlen. Der Schweiß wirkt nie ermattend, sondern erfrischend; es felılt
hierbei das Frostgefühl. Die allgemeine Sonnenbestrahlung wirkt örtlich
etwas temperatursteigernd, nicht des Körperinnern; die Rektaltemperatur
ward meist nicht gesteigert.
Die Sonnenbehandlung war bis vor zehn Jahren eigentlich nur ein
Luftbad und bestand in der allgemeinen Besonnung und Freiluftlicht-
behandlung des ganzen Körpers, in dem stundenlangen Aufenthalte meist
des gesunden Körpers entweder beim Baden oder auch unbekleidet im
Lufthade; sie wurde verwendet zur Stärkung und Abhärtung des Organismus
(Rickli), eventuell auch zur Heilung von allgemeinen Störungen der mannig-
faltigsten Art desselben.
Wir verstehen aber heute unter Sonnenbehandlung die Ein-
wirkung der Sonne auf den in Ruhe befindlichen Körper (allgemeine Be-
sonnung) oder auf einzelne erkrankte, besonders tuberkulös erkrankte Teile.
Knochen, Gelenke, auf Lupus usw. (lokale Besonnung). Ich will hier im
ersten Teile vorwiegend die Behandlung der tuberkulösen Gelenke, Knochen
besprechen und nur die Behandlung der visceralen Tuberculosis, des uro-
genital-uropoet. Apparates, des Darmtraktus, des Abdomens streifen.
Das größte Verdienst an der Einführung der Sonnenbehandlung ge-
bührt unstreitig Bernhard von Samaden und Rollier. Die Literatur
ist heute schon eine sehr reichliche, ich verweise auf die Arbeit von Oskar
Bernhard, Heliotherapie im Hochgebirge. Enke, Stuttgart 1911.
von Rollier, Die Höhen- und Sonnenkur der chir. Tuberculosis.
Die Sonnenbehandlung der pheripheren Tuberculosis. 919
übersetzt von Dr. med. Karl Bodens (Dr. Bodens Verlag, Eilenburg
bei Leipzig).
„sonnenbehandlung der chirurgischen Tuberculosis“, Vortrag, gehalten
in der Jahresversammlung der Societe medicale de la Suisse romande 1909,
31. Oktober (sehr lesenswert), auf die Arbeit von Oberstabsarzt Haberling,
Cöln (erschienen 1912bei Hirschwald in Berlin. Bernhard hat als erster
im Hospital in Samaden die allgemeine Sonnentherapie in Höhenorten
angewandt und 1904 berichtete er zuerst in der Jahresversammlung des
Zentralvereins Schweizer Ärzte in Olten. Rollier hat zuerst die direkte
lokale und allgemeine Sonnenbehandlung 1903, also vor neun Jahren, in
Anwendung gezogen; er hat drei Anstalten in einer Höhe von 1250, 1350
und 1510 m angelegt. Es würde Unrecht sein, wenn wir hier nicht noch
des Kehlkopfarztes Sorgo gedächten, welcher in der Heilanstalt Alland
die Kehlkopftubereulosis in 14 Fällen durch direkte Bestrahlung des Kehl-
kopfinnern heilte. Der Patient mußte es selbst erlernen, mittels eines in
den Pharynx eingeführten Kehlkopfspiegels Sonnenstrahlen in den Kehl-
kopf hineinzuleiten. Er hat in mehreren Abhandlungen 1903, 1904, 1905
die Behandlung und deren Erfolge mitgeteilt. Ich stelle hier nur die
Frage, ob die Sonne, da doch die Sonnenbehandlung tiefliegende Gelenke
(Hüfte, Synchondrosis sacroiliaca) heilt, nicht auch durch die Kelılkopf-
platten hindurch auf das Kehlkopfgeschwür einwirken sollte wie Prof.
Moritz Coeln in der Diskussion im ärztlichen Verein auch hervorhob.
Rollier hat seine Resultate auf den Kongressen Paris 1905, Rom
1907 und 1912, Washington 1908, an der Düsseldorfer Akademie 1912
mitgeteilt. Dieselben haben stets in den Projektionsbildern den Beifall,
in Düsseldorf selbst die begeisterte Zustimmung der Zuhörer geerntet.
Ich will hier hauptsächlich von den Erfolgen in der Anstalt Leysin sprechen,
da ich dieselbe 2mal, einmal im Frühjahre 1911 und das zweite Mal im
Frühlinge des Jalıres 1912 besucht und mich persönlich von den Erfolgen
überzeugt habe und hierdurch in die Lage versetzt war, die Resultate zu
verfolgen. Ich selbst habe im Sommer 1911 und auch wiederum
Frühling 1912 die Besonnung angewandt. Die Anstalt von Bernhard
habe ich bisher noch nicht besucht, werde dies aber noch diesen Herbst
nachholen.
Die Behandlung von Bernhard und Rollier in Leysin unterscheidet
sich insofern, als ersterer allgemein, letzterer örtlich und allgemein besonnt.
Die Patienten befinden sich dauernd in frischer Luft und zwar sogar
auch in der Nacht, insofern die Schlafzimmer durch breite dreiflügelige
Türen mit den tiefen, von Osten nach Westen verlaufenden, aber nach
Süden orientierten Veranden kommunizieren und auch in der Nacht, ab-
gesehen vom Winter, teilweise oder im Sommer ganz offen bleiben.
220 Bardenheuer,
Die Veranden oder im Erdgeschoß die Terrassen müssen so beschaffen
sein, daß sie alle Betten mindestens der liegenden Patienten aufnehmen
können, und daß die Patienten leicht, bequem aus den Zimmern ın
dieselben geschoben werden können. Vom Beginn des Tages ab werden
die Patienten im Winter auf die Veranda resp. Terrasse geschoben, so
daß sie mindestens den ganzen Tag in Gottes freier Natur liegen, so dab
sie die meiste Zeit des Tages auf den Höhen von 1200 —1500 m, da hier
meist die Sonne scheint, der direkten allgemeinen und nach Bedürfnis auch
die erkrankten Stellen der direkten lokalen Sonnenbehandlung mehr oder
weniger längere Zeit zugängig sind; auf jeden Fall aber Licht- und Luft-
bad, selbst wenn die Sonne fehlt, dauernd genießen. Grancher sagte in
der dritten Sektion des internationalen Tuberkulosekongresses in Paris:
„Geben wir unseren Kindern Sonne, und wir werden diejenigen retten,
die von Tuberkulose bedroht sind, und viele von denen heilen, die schon
weiter betroffen sind, und so der Menschheit eine bessere Zukunft sichern.“
Das Luft- und Lichtbad ist dem menschlichen Körper unentbehrlich.
Die Hautpflege ist äußerst wichtig, die Haut überzielt den ganzen Körper,
hat eine enorme Ausdehnung, ist ein äußerst wichtiges Organ für die
Oxydation und Reinigung des Blutes, für die Ausscheidung der Zerfalls-
produkte, der Kokken, Bazillen und Bakterien, überhaupt für den An- und
Abbau des Organismus; dieselbe unterstützt wesentlich die Nierenfunktion
und sollte eigentlich nicht dem Einflusse der die Tätigkeit derselben für-
(lernden Sonne entzogen werden.
Die Sonne regt durch die vermehrte Oxydation, zumal in der Höhen-
luft, den Stoffumsatz an, steigert den Appetit, die Darmfunktionen. Die
Kranken nehmen regelmäßig und zwar oft ganz bedeutend an Gewicht zu.
die Muskeln kräftigen sich, die Atrophie derselben, z. B. des Oberschenkels
bei Gonitis schwindet. Dasselbe sehen wir auch schon bei unseren Land-
arbeitern, die im Sommer zur Erntezeit mehr oder minder schwach un-
bekleidet in der strahlenden Sonne arbeiten und daher während des Sommers
kaum erkranken; dieselben sind im Sommer weit widerstandsfähiger. Letzteres
wird auch durch die oben mitgeteilten Beobachtungen der Sonnnenwirkung
auf die Pflanzen, durch die Experimente an Tieren (Moleschott usw.)
bestiitigt.
Gleichzeitig werden die Kranken lokal behandelt, wodurch auch wiederum
der ganze Organismus mit gestärkt wird.
Die Art der örtlichen Behandlung ist folgende:
Die tuberkulösen Gelenke werden in der Rückenlage immbobilisiert; es
wird denselben die Belastung mit dem Körpergewichte abgenommen, die
absolute Immobilisierung in einem Gipsverbande ist im allgemeinen nicht
so sehr zu empfehlen und nur ausnahmsweise am Platze, wenn die Schmerz-
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis. 221
haftigkeit und die Schwellung sehr groß ist; mehr empfiehlt es sich, einen
Extensionsverband anzulegen, wie wir es auch in der Ebene bei der Be-
handlung der Gelenktuberkulose vielfach machen, wodurch die oft rauhen,
zerfressenen Gelenktlächen entlastet, die entzündlich infiltrierten und retra-
hierten Gelenkbänder, Kapsel, Muskeln usw. gedehnt werden.
Wenn ein Gipsverband ausnahmsweise angelegt werden muß, so wird
in dem Verbande ein Fenster angelegt, so daß durch die Öffnung die
lokale Bestrahlung möglich wird.
Der Gipsverband ist im allgemeinen zu verwerfen, weil unter dem-
selben die Muskeln, selbst Knochen, die Haut unter dem Ausschlusse der
Gymnastik atrophieren, die Zirkulation gehemmt wird, das venöse Blut
staut. die Muskelkerne unterernährt werden usw.; dasselbe gilt von den
Nerven. Alle Gewebe bedürfen dauernd der funktionellen Behandlung.
Bei der Extensionsbehandlung kann die funktionelle, sobald wie die
Schmerzen geschwunden sind, was unter der analgesierend wirkenden
Sonnenbehandlung sehr rasch, meist in einigen Tagen eintritt, sehr
frühzeitig aufgenommen werden. Die Besonnung wirkt nämlich äußerst
rasch analgesierend, bei den tuberkulösen Arthritiden, Synovitiden, Peri-
tonitiden, bei tuberkulöser Zystitis, Darmtuberkulose; selbst bei anfänglich
oft recht heftigen Schmerzen usw. schwindet der Schmerz bei Gelenk-
tuberculosis im Vereine mit der Extension meist in einigen Tagen, oft nach
einer einzigen Bestrahlung; alsdann wird auch gleich die funktionelle Be-
handlung mit aufgenommen.
Hierdurch wirkt man auch gleichzeitig fürdernd auf den örtlichen
Prozeß; durch anfänglich in kleinen Winkeln ausgeführte, passiv, nachher
aktiv eingeleitete Gelenkbewegung wird die Zirkulation des Blutes geför-
dert, wird ein leichter Reiz um den tuberkulösen Herd ausgeführt, und
wird unter der gleichzeitig einwirkenden Bestrahlung der Austritt von den
die Bazillen abtötendem Blutserum, von den die Bazillen verspeisenden
Leukozyten angeregt; es werden die tuberkulösen Herde erweicht, resp.
durch Bildung einer dicken narbigen Bindegewebshülle abgekapselt, resp.
im ersteren Falle die tuberkulösen Massen resorbiert.
In anderen Fällen bricht der Herd auch zuweilen nach außen auf.
und es entleert sich die tuberkulöse Masse nach außen, oder je nach der
Beschaffenheit der tuberkulösen Grundsubstanz wird, z. B. beim Knochen
bald der tuberkulöse Herd selbst erweicht, resorbiert unter gleichzeitiger Neu-
bildung von normalen Knochen, oder es bilden sich bei etwas stärkerer Reaktion
um den tuberkulösen Knochen Granulationen, die z. B. an den Phalangen
oder an den Metakarpus-, Metatarsal-., den Karpal- und Tarsalknochen,
dem Ellbogen-, Fußgelenke, an der Tibia, an den Rippen, selbst an der
Wirbelsäule. am Becken usw. den nekrotischen tuberkulösen Knochen all-
299 Bardenheuer,
mählich nach außen exfoliieren. Alsdann schließt sich die Fistel in
kurzer Zeit.
Für die erwähnten Gelenke ist Rollier meist im Stande durch
Röntgenogramme und Photographien Belege zu geben. Durch die Güte
von Rollier bin ich in der Lage, diese Vorgänge an den von den
Leysinschen Photographien entnommenen Photographien und diaskopi-
schen Bildern diese Heilungsprozesse in meinen Vorlesungen zu demon-
strieren und zu beweisen.
Interessant ist zu beobachten, daß beim zufälligen Aussetzen der Be-
strahlung durch das Fehlen der Sonne gleich die in der Abstoßung
begriffenen nekrotischen Splitter gewissermaßen unter Verkleinerung der
kräftigen Granulationen sich wieder zurückziehen, um sich mit der Auf-
nahme der Bestrahlung wieder rasch nach außen zu verschieben.
Die Art der Ausführung der Besonnung ist folgende:
Nach der Aufnahme auf die Höhe wartet man zuerst einige Tage ab,
um zu sehen, wie der Patient die Höhenluft verträgt; es gilt dies ganz
besonders von den Patienten, die gleichzeitig eine Lungenaffektion haben.
Es entsteht durch die Höhe ein Konflux des Blutes zu den Lungen: die
Atmung auf der Höhe ist wegen des Mangels an Sauerstoff langsamer.
tiefer; es tritt, wie v. Schrötter auf der Expedition nach Teneriffa nach-
wies, eine Vermehrung der weißen Blutkörperchen ein, damit hält die
Vermehrung des Hämaglobins nicht Schritt, in größerer Höhe stellt sich
Klopfen der Karotiden, Schlafsucht ein; der Puls wird unregelmäßig.
In den Höhen von 1500 Meter ist letzteres nicht der Fall, indessen
wohl das erstere. Der Patient mul sich daher vorerst an die Höhe ge-
wöhnen. Die ersten 4—8 Tage wird nicht bestrahlt, zumal wenn Fieber
vorhanden ist, man beginnt nur mit dem Aufenthalte in der freien Luft.
mit dem Luft- und Lichtbade.
Alsdann beginnt man mit derallgemeinen Bestrahlung und zwar von
den Füßen allmählich nach oben ansteigend, so daß man in acht Tagen
bis zur Brust, welche bedeckt ist, vorgeschritten ist; der Kopf ist geschützt
durch einen leinenen Schlapphut mit über die Augen herabhängender
Krämpe. Die Besonnung des ganzen Körpers wird allmählich immer
nger, 4—6 Stunden, 2—83 mal, zwei Stunden den Tag hindurch ausgeführt
werden, auf jeden Fall bleiben aber die Patienten dauernd im Lichtbade:
es ist dies individuell verschieden; Fuchsige, noch weniger Blonde ertragen
die Besonnung lange, Brünctte, Dunkelfarbige dagegen am besten. Es
entsteht zuweilen ein Erythema oder Ekzema solare, eine bullöse Derma-
titis. Die bullöse Dermatitis hinterläßt zuweilen Leukoplakie. Unter
solchen Verhältnissen muß die Besonnung ausgesetzt werden. Am Kopfe
mul man mit der Besonnung weit vorsichtiger zu Werke gehen; hier ent-
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis. 223
steht bei zu starker Besonnung Hirnreiz, Schläfrigkeit, weshalb dıe Be-
sonnung hier ausgesetzt oder mindestens eingeschränkt werden muß. Die
Augen müssen stets durch Überlegen von schwarzem Papier oder Papp-
deckel geschützt werden.
Die örtliche Besonnung wird anfänglich nur fünf Minuten ausgeführt,
alle paar Tage um 5, nachher um 10—15 Minuten steigend, wird die-
selbe zuletzt 2 und
mehr (6) Stunden
des Tages mehr-
mals ausgeführt.
Man muß, zumal
in der Ebene, jede
Sonnenstundeaus-
nutzen, leider
fehlte dieselbe in
diesem Frühjahr
oft ganze Tage.
Unter der Be-
sonnung pigmen-
tiert sich die Haut,
so daß sie dunkel-
braun wird, die
Patienten bekom-
men oft vollstän-
dig das Aussehen
von Mulatten. Den
Eintritt der Pig-
mentierung hält
Rollier prognos-
tisch für äußerst
wichtig; hierdurch
werden die wirk-
samen, kurzwelli- Fig. 1. Große Fung. tub.
gen Strahlen in
langwellige umgewandelt und dringen in die Tiefe. ?/, der kurzwelligen
Strahlen werden von der Haut absorbiert. Die Pigmentierung tritt bei
den Blonden weit langsamer ein, womit auch ein langsamerer Heilungs-
prozeß verbunden ist.
Durch die Pigmentierung wird die Haut widerstandsfähiger; sie wird
immuner gegen Infektion, wird selten von Acne, Furunkulosis befallen, im
Gegenteile eher gegen diese Ausschlagsformen gestählt.
2924 Bardenheuer,
Bei der Bestrahlung der Wunden, der Geschwüre, der fistulösen
Tuberculosis tritt anfänglich eine stärkere, wässerige Sekretion ein, die
rasch abnimmt; es wird die Wunde gewissermaßen drainiert, das Sekret
an die Oberfläche angesogen, die Sekretion hört bald auf; es entstehen
bald auf den Fisteln Krusten, die stets abgehoben werden müssen, und
so tritt rasch eine totale
Heilung ein. Wenn Flie-
gen, Insekten, Staub vor-
handen sind, so wird die
Wunde mit einem weiten
Drahtkorb zur Fernhal-
tung derselben oder mit
breitmaschiger Gaze über-
deckt. Fliegen und Staub
fehlen indessen auf den
Höhen.
Ich habe oben er-
wähnt, daß durch die Be-
sonnung in der Höhenluft
das Blut reicher an Blut-
körperchen wird und
bleibt, der Hämoglobin-
gehalt steigt; die krank-
hafte Vermehrung der
weißen Blutkörperchen
fällt und das Verhältnis
der polynukleären zu den
Lymphzellen wird ge-
bessert, die vermehrten
Polynukleären nehmenab,
Fig. la. Verheilt. die verminderten Lymph-
zellen nehmen an Zahl zu.
Die Sonnenbestrahlung wirkt also durch Hebung der Ernährung, Er-
höhung des Stoffwechsels, durch die bakterizide Kraft, durch Abkapselung
der tuberkulösen Herde, in anderen Fällen durch Erweichung der binde-
gewebigen Narben, zumal bei tuberkulöser Arthritis, bei Ankylosen durch
Ausstoßung der nekrotischen tuberkulösen Knochen, zuweilen der ganzen
Drüsen.
Das wunderbarste war für mich bei dem zweimaligen Besuche von
Leysin die strotzende Gesundheit, die man bei allen, welche länger ın
Behandlung waren, konstatieren konnte, trotz der oft bestehenden Misch-
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis. 225
infektion, trotz der anfänglichen, bei der Aufnahme bestehenden Abmagerung,
trotz der ausgedehnten Tuberculosis. in den großen Gelenken, trotz der
Multiplizität der Tubereulosis, meist sogar in mehreren großen oder sogar
in zahlreichen Gelenken, zumal der Füße und. Hände.
Es waren fast ausnahmslos die schwersten Fälle von Tuberculosis der
verschiedensten, oft zahlreicher zu gleicher Zeit befallener Gelenke; es
waren die Patienten
bei der Aufnahme
meist sehr dekre-
pide, abgemagert,
fieberten; es waren
vielfach, wie die
nachherige Statistik
noch zeigt, offene
tuberkulöse Herde,
wobei eine Misch-
infektion bestand.
Es ist zu natürlich,
daß nur die Fälle
dorthingesandt wer-
den, wo alle Mittel
in der Ebene schon
versucht worden
waren und versagt
hatten.
Die Patienten hat-
ten fernerhin nach-
her stets eine kräf-
tige Muskulatur,
hatten an Gewicht
bedeutend zugenom-
men, waren heiter Fig. 2 Multiple Tuberculosis beider Füße, der Hand und
Das des Knies.
und munter.
Wunderbarste aber
war, daß meist die Deformation der Gelenke, die oft klumpfüßige‘ Be-
schaffenheit der Hände und Füße geschwunden war, daß fast ganze
zerstörte Knochen, Phalangen, Karpal-, Metakarpal-, Tarsalknochen usw.
wieder eine normale Form erhalten hatten (vgl. Fig. 1 und 1a, Metakarp.
Tub.; Fig. 2 und 2a, allgemeine Tub.; groBes Gelenk (S. 223—226), daß abge-
stoßene Drüsen, ganze Diaphysen der Phalangen, kirschkern- bis baum-
nußgroße nekrotische Knochen in einem kraterförmigen Geschwüre auf dem
226 Bardenheuer,
Wege der Auswanderung aus dem Gelenke befindlich lagen und nachher
auch sich abgestoßen hatten (vgl. Fig. 3, 3a und 3b [S. 227—228], Fuß-
gelenktub. mit AusstoßBung eines nekrotischen Splitters). +)
Noch wunderbarer war, daß die entzündeten Gelenke frühzeitig be-
wegt werden können, ohne einen Schmerz auszulösen, und daß die vorher
Fig. 2a. Nach der Heilung.
bestehenden Ankylosen der von 5, 10 Jahre alten, entzündeten, von 2, 5,
10, 15 Fisteln umgebenen ankylotischen mißgestalteten Gelenke beweglich
geworden sein sollten. Ich habe hierbei anfänglich bei der ersten Besich-
tigung innerlich ein Fragezeichen gemacht, jedoch bei der zweiten Besich-
tigung nach einem Jahre konstatierte ich, daß in mehreren Fällen von
früher bestehender absoluter Versteifung des Ellbogens, des Knies, der
') Es sei hier betont, daß alle Photogramme mit Ausnahme von Fig. 7 und 7a
von Herrn Rollier entlehnt sind.
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis.
227
Fig. 3.
Hüfte, des Hand-,
des Fußgelenkes
nach der Heilung
eine normale Be-
weglichkeit wie-
dergekehrt war.
Für letztere habe
ich gleichfalls un-
ter den von Ley-
sin entlehnten
Photographien
mehrere Beweise;
in einem Falle von
tuberkulöser Fuß-
und Kniegelenk-
ankylose war Pa-
tientin nachher in
der Lage, den
Unterschenkel
Fußgelenktuberculosis.
gelegen.
Fig. 3a.
selbst herausgehoben.
Nekrotisches Stück von
Nekrot. Stück in Ulcerat.
spitzwinklig zu
beugen (vgl. Fig.
4, Fung. Knie und
und Fußgelenk;
Fig. 4a, wunder-
bare Erhaltungder
Streckung; Fig.
4b, der Beugung
IS. 229—231]).
Besonders inter-
essant war mir,
daß in einer grö-
Beren Anzahl von
Koxitiden, welche
ich sah, ich schätze
sie zum mindesten
auf sechs, jedes-
mal eine starke In-
filtration in der
15
228 Bardenheuer,
Fossa iliaca (Pfannentuberculosis) mit Aufhebung jeder passiven Be-
weglichkeit bestand; dieselben konnten nach der Aufnahme der Sonnen-
behandlung leichte Bewegungen in der Hüfte ausführen, die Exsuda-
tion schwand regelmäßig, und in mehreren Fällen konstatierte ich bei
dem zweiten Besuche schon das Bestehen der freien Beweglichkeit (ein
schöner Fall von multipler Tub. im Gesicht; Ellbogen mit zahlreichen
Fig. 3b. Verheilt.
Fisteln (vgl. Fig. 5, 5a, 5b und 5c [S. 232—235]; wundervolle Er-
haltung der Gelenkbewegungen). Das sind solche Fälle, wo ich früher und
zwar als erster die Pfannenresektion meist mit Erfolg ausführte und noch
ausführe. Heute würde ich, wenn die Verhältnisse es gestatteten, dieselben
zur Sonnenbehandlung auf die Höhe schicken, denn die Operation ist doch
eine große und bei der meist bestehenden Schwäche und Abszeßbildung
keine ungefährliche (vgl. Fig. 6 und 6a [S. 236—237], Fung. dickes Fuß-
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis. 229
gelenk vor und nach der Behandlung zeigt die kosmet. Wirkung der
Sonnenbehandlung.
Besonders wirksam ist die Besonnung bei eitriger Tuberculosis der
Synchondrosis sacroiliaca, wobei ich mit Vorliebe und gleichfalls als erster
die Resektion des Gelenkes ausführte. Ich sah drei Fälle, dieselben waren
ohne Operation ausgeheilt, in einem Falle waren beide Synchondroses be-
fallen mit kolossalen Senkungsabszessen beiderseits, und trotzdem ward
Fig. 4. Vor der Behandlung; fung. Tuberculosis des Knies und Fußes.
Heilung erzielt. Besonders staunenswert ist, dal hier mehrmals Hei-
lung eintrat, wenngleich die Tuberculosis sich auf beide Gelenke ausgedehnt
hatte. Ich habe selbst mit der Besonnung eine geschlossene eitrige Synchon-
drosis, welche neben einer Eiterung und Tuberculosis der Handgelenke
bestand, geheilt.
Ebenso staunenswert ist der Erfolg bei Tuberculosis des Peritoneum,
selbst bei tuberkulösen Tumoren des Coecum, wo vorher zuweilen durch
die Laparotomie der Beweis geliefert worden war, daß der tuberkulöse
Tumor wegen seiner Größe und seiner Verwachsung mit der Umgebung
nicht zu entfernen war.
In mehreren (etwa in fünf Fällen) war der Tumor schon geschwunden
15*
230 Bardenheuer,
und die früher profus eiternden Fisteln geschlossen. Die Sonnenbestrahlung
heilt bei Peritonealtuberculosis ausnahmslos und zwar oft in relativ kurzer Zeit
(in 3—6 Monaten) aus, wofern keine Fisteln bestehen. Tuberkulöse große
Tumoren des Peritoneum, des Darmes, des Coecum schwinden ganz und
geben die natürliche Passage ganz frei. Ich sah zwei Fälle von perforierten
tuberkulösen Darmtumoren mit einem gegen 12 cm langen, 3—4 cm
breiten, wallartigem, fungösem Geschwüre in der Abdominalwand und großen
r
“
P r
O À
e
Er
- +)
.
;
Y
n
C
u
Š
Te,
»
”
-
#
“
v ` 2 D
Fig. 4a. Geheilt, gestreckt.
palpablen Tumoren in der Peritonealhöhle. Aller Kot entleerte sich nur
durch die Abdominalwand, es traten häufig kolikartige Schmerzen mit
Einklemmungserscheinungen auf.
Durch die Besonnung sind in einem Jahre die Tumoren und mit
ihnen die Symptome der Darmstenose geschwunden. In beiden Fällen ist
das tuberkulöse Darmgeschwür der Abdominalwand geheilt und bis auf
eine kleine, nur für eine sehr dünne Sonde durchgängige Fistel ge-
schlossen, welche von Zeit zu Zeit 4—6 Wochen geschlossen bleibend,
sich öffnet, um sich rasch wieder zu schließen. Kot tritt nicht mehr durch,
der natürliche Weg ist vollkommen frei.
Ferner sah ich zwei Fälle von Tuberculosis des Manubrium und
232 Bardenheuer,
beiden Sternoklavikulargelenke und der anschießenden ein- oder doppel-
seitigen Rippenknorpel habe ich als erster die Totalresektion der ganzen
Knochenpartie ausgeführt und bildete mir eigentlich auf diesen Fortschritt
der operativen Chirurgie etwas ein. Heute würde ich indessen, soweit
dies tunlich ist, dieselben Kranken auf die Höhe zur Sonnenbehandlung
schicken, denn die Operation läßt zuweilen, zumal wenn sich sekundär
ein Empyem durch Fortleitung auf die Pleura gebildet hat, im Stiche;
sie ist überdies nicht ganz
ungefährlich underfordert
zur Heilung meist eine
lange Zeit.
Ich sah überdies da-
selbst eine große Zahl von
durch Besonnung ge-
heilten tuberkulösen
Drüsen. Zuweilen er-
weichen dieharten Drüsen
innerhalb kurzer Zeit, so
daß mehrere Male eine
Punktion ausgeführt wer-
den mußte; das Messer
ward niemals zur Hand
genommen; meist ver-
schwanden die Drüsen
bald; dieselben bedurften
zur Heilung meist nur
eine kurze Zeit, oft nur
eine dreimonatliche Be-
Fig. ö. Multiple Tuberculosis am Gesicht, handlung und zwar stets
am Ellbogengelenk vor Behandlung. ohne entstellende Narben,
während die für den Chi-
rurgen technisch höchst interessanten Operationen wegen ausgedehnten tuber-
kulösen Halsdrüsen meist relativ große Narben hinterlassen.
Rollier nennt die Sonnenbehandlung eine ideale antiseptische
Behandlung, Bernhard hebt ebenfalls hervor, dal frische Wunden
äußerst schnell ohne Drainage heilen.
Ich habe in letzter Zeit auch oft sehr frühzeitig Operationswunden,
zumal von in der Tiefe sitzender Tuberculosis, Synchondrosis-Resektion,
totale Resektion des Hüftgelenkes mit Einschluß der Pfanne, Ellbogen-
resektion, Fußgelenkresektion usw., wenn mir gute Sonnentage zur Ver-
fügung standen, mit Erfolg bestrahlt.
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis. 233
Die Wunde wird zur Fernhaltung der Fliegen, des Staubes usw., mit
einer einfachen, breitinaschigen Gazelage in einer 1 cm großen Entfernung
von der Wunde überlagert.
Der Erfolg war stets ein frappanter, es sickert anfänglich reichlich
dünnflüssiges Sekret ab, welches nach 4—14 Tagen rasch abnahm, so daß
eine primäre Heilung in solchen Fällen erzielt ward, wo früher bei der
tiefen Lage der Knochenwunde oft eine fistulöse langdauernde Eiterung
eintrat.
Fig. 5a. Vor der Behandlung (Seitenansicht).
Bezüglich des Zeitpunktes der Aufnahme der Sonnenbehandlung nach
den Operationen ging ich anfänglich etwas tastend vor, da es einem bei
unserer ganzen chirurgischen Erziehung schwer wird, so frühzeitig den
Luftzutritt zu gestatten, zumal uns die Sonne auch selten dauernd zur Ver-
fügung steht. In einzelnen Fällen, z. B. bei Sehnen-, Muskel-, Nerven-
verletzungen, zumal an der volaren Seite des Vorderarmes, habe ich schon
am vierten, bei Resektionen am zehnten Tage die Sonnenbehandlung auf-
genommen. Ich habe die Absicht, die Zeit der aseptischen abschließenden
Verbandbehandlung immer mehr abzukürzen. Bisheran fordern die ge-
wonnenen Resultate zu letzterem auf.
234 Bardenheuer,
Ich habe oben schon erwähnt, daß zumal bei der fistulösen Tuberculosis
und bei fistulöser Ausheilung von Resektionen größerer Gelenke, zumal
nach der totalen Resektion der tief gelagerten Gelenke des Hüftgelenkes,
der Synchondrosis sacroiliaca, des Knie-, des Fußgelenkes man noch im
Stande ist, durch die Bestrahlung die Asepsis wieder herzustellen und
jahrelang dauernde Fisteln in kurzer Zeit zur Heilung zu führen.
Die Aussicht eines günstigen Verlaufes der tuberkulösen Gelenk-
entzündung fällt bedeutend, wenn vorher die geschlossene Tuberculosis
durch die Ableitung des Eiters nach außen oder durch eine größere
Operation, Resektion zu einer aperta umgeformt worden ist.
Calot hat mit Recht über dem
Eingange eines jeden Kinderhos-
pital folgende Aufschrift ange-
bracht: Den geschlossenen Tuber-
kulosen sichere Heilung: eröffnet
man aber die Tuberkulose, oder
läßt man sie öffnen, so eröffnet
man damit nur zu häufig dem Tode
die Pforte.
Unsere Resultate werden bei
der Mischinfektion, wie sie durch
die Eröffnung des tuberkulösen
Herdes eintritt, bedeutend ver-
schlechtert; es gilt dies ganz be-
sonders von den tiefen Tuberku-
losen, z. B. der Synchondrosis
sacroiliaca, der Hüfte, der Wirbel-
säule; sie führen sehr oft, besonders
die erstere und die letztere durch
die andauernde Eiterung, durch
Albuminurie, oft erst nach Jahren zum Tode, während man mit der Sonnen-
behandlung selbst unter diesen höchst ungünstigen Verhältnissen noch häufig
Heilung erzielt.
Gebe ich jetzt eine kurze statistische Übersicht der Leysinschen Fälle,
wie Rollier sie in Düsseldorf vorgetragen hat, und füge meine Fälle
hinzu, so wurde in 14 Fällen von offener fistulöser Tuberculosis der Synchon-
drosis, in Levsin die Hälfte noch geheilt, drei gebessert, zwei sind noch
in Behandlung, zwei starben.
Besonders ist hier noch die Behandlung und der Erfolg bei starken
Kyphosen hervorzuheben. Wenn Senkungsabszesse, bestanden, so wurde
der Patient zur Hälfte der Besonnungszeit in der Rückenlage auf den
Fig. 5b. Gebeugter Arm.
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis, 235
Abszeß, zur Hälfte auf dem Bauche ruhend auf den Buckel bestrahlt: im
letzteren Falle stützen die Patienten sich am Tage zur Unterhaltung mit
anderen Patienten auf die Ellbogen und heben den Thorax, wodurch eine
starke Rückwärtsbewegung des dorsalen Lendenteiles entsteht und die
höher oben gelagerte Kyphosis ausgeglichen wird.
Von 53 Spondylitiden ohne Abszeß und 28 mit Abszeß sind 45 resp.
23 = 68 geheilt, 7 resp. 8 gebessert, 1 stationär, 2 gestorben.
Ich habe drei Fälle, zwei mit geschloßener Eiterung, einen ohne Eiterung
einen mit Fisteln im vorigen Sommer erfolgreich besonnt, das letztere
Fig. 5c. Gestreckter Arm.
Kind hatte fünf Fisteln, war so elend und schwach und schon seit fünf
Jahren dauernd in den kommunalen Hospitälern gewesen; ich bekümmerte
mich kaum noch um das Kind, weil ich es für verloren hielt. Nach der
Besonnung heilten die Fisteln rasch aus, im Winter trat wieder ein Rezidiv
ein, eine Fistel hatte sich wieder geöffnet, das Kind ward im Frühling
1912, soweit die Sonne gestattete, wiederum besonnt, worauf es sich wieder
rasch erholte und die Fistel wiederum weniger Eiter aussondert und große
Neigung zum Verschließen zeigt (vgl. II. Teil der Arbeit).
Zwölf Fälle von geschlossener eitriger Beckentuberculosis sind in Leysin
alle geheilt. In zehn Fällen von fistulöser Beckentuberculosis ward nur
2mal Heilung, Amal Besserung erzielt, in fünf Fällen trat der Tod ein.
Ich habe zwei tuberkulöse eitrige Synchondrosisentzündungen mit dem
236 Bardenheuer,
Erfolge, dal der Eiter in dem einen Falle, 40 J. alt, rasch resorbiert
wurde, behandelt, gleichzeitig heilten die stark eiternden Resektionsfisteln des
Handgelenkes aus; ich hielt hier schon die Amputation der Hand für ge-
boten; in dem anderen trat nach der Resektion der Synchondrosis durch
die Besonnung rasch die Ausheilung erzielt.
In 39 Fällen von nicht eitriger Coxitis (Leysin) ward 36 mal Heilung,
3mal Besserung erzielt,
Fig. 6. Fung. dickes Fußgelenk nach der Behandlung.
in 18 Fällen von eitriger Coxitis 15mal Heilung, 2 mal Besserung,
1 noch in Behandlung,
in 24 Fällen von fistulöser Coxitis 8 mal Heilung, 6 mal Besserung,
3 noch in Behandlung, 7 mal Tod.
In meiner Behandlung waren 6 tuberkulöse Coxitiden; schwere Formen
in allen Fällen: bei 3 über 20 Jahre alten Patienten, bei 3 Kindern
heilte die Coxitis relativ sehr rasch (in 4—8 Monaten) aus, außerdem sind
3 Fälle von Mischinfektion, nach Totalresektionen rasch ausgeheilt. Die-
selben waren mehrmals ohne Erfolg nachreseziert (ein Fall 4 mal), mit jeder
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis. 237
Resektion trat eine anfängliche sichtliche Besserung ein, die aber bald
wieder einer stärkeren profusen Eiterung Platz machte, nach der Besonnung
trat relativ rasch Heilung ein, 1 Fall von fistulöser Coxitis ist gestorben.
50 tuberkulöse Gonitiden (in Leysin) ohne Abszeß 46 mal Heilungen,
2 mal Besserungen, 2 noch in Behandlung,
9 mit Abszeß 7 mal Heilungen, 2 mal Besserungen,
S fistulös 6mal Heilung, 1 mal Besserung, 1 noch in Behandlung.
In allen kleineren und relativ oberflächlich gelegenen, also in allen
anderen Gelenken sind die Erfolge Rolliers, mochten sie bei der Auf-
E
nn.
p“
S
rA
Fig. 6a. Nach der Behandlung.
nahme noch so trostlos erscheinen und noch so ausgedehnt sein, gab die
Bestrahlung stets sichere, ungeahnte Resultate, auch selbst bei mehrfach
bestehenden Fisteln und vorhandener Mischinfektion, bei noch so großer
Weichteilzerstörung und Mißgestaltung der Gelenke. Es dürfte hieraus wohl
der Schluß zu ziehen sein, daß der Eiter bei der tiefen Lage unterhalb
der durch Beteiligung an der Entzündung erstarrten Muskeln und der ent-
sprechenden Faszien, z. B. des Psoas, des Iliacus usw. sich flächenartig
verbreitet und der Abfluß des Eiters nach außen, wie er durch die Be-
strahlung gefördert werden soll und auch wird, behindert wird.
Hierzu kommt auch noch der Umstand, daß die Strahlen nicht so
weit und so wirksam in die Tiefe wirken.
238 Bardenheuer,
Unter den obwaltenden Verhältnissen glaube ich, ist es geboten, die
Fisteln zu erweitern, der Sonne das Eindringen in die Tiefe zu erleichtern,
und ferner hierdurch den Abfluß des Eiters und Austrocknung der Abszel-
höhlen zu fördern.
Zu diesem Vorschlage glaube ich mich berechtigt durch die häutige
Beobachtung, daß bei Resektionen der Synchondrosis sacroiliaca, der Hüft-
gelenkpfanne durch die Bestrahlung der operativ bloßgelegten, ın der
Tiefe gelagerten, tuberkulösen Höhlen, welche vorher trotz der mehrmals
(in einem Falle von totaler Resektion des ganzen Hüftgelenkes 4 mal)
wiederholten Nachresektion nicht ausheilten, rasch heilten, ‚sobald wie eben
die tuberkulösen Granulationen örtlich möglichst tief bestrahlt wurden.
Der Abflu des Sekretes wurde hierdurch gefördert, alsdann nahm die
Sekretion rasch ab.
Die übrigen oberflächlich gelegenen Gelenke gaben in Leysin
stets trotz meist multipler Affektion mehrerer, oft sogar äußerst zahl-
reicher Gelenke, trotz Affektion mehrerer großer Gelenke, beider Ell-
bogen, beider Knie, beider Fuß- und Karpalgelenke (in einem Fall zu gleicher
Zeit) trotz bestehender Mischinfektionen stets sehr gute Resultate.
Die Bedingungen für den Abfluß des Sekretes sind durch die ober-
flächliche Lage hier weit günstiger.
Ich erwähne an erster Stelle die Tuberculosis des Fußgelenkes und
der Tarsalknochen; ich habe mehrere Fälle, mindestens 5 gesehen, wo aus-
gedehnte zahlreiche Fisteln bestanden und die Füße klumpfußähnliche De-
formationen zeigten, wo 5 Markstück große mit üppig wuchernden Fungosi-
täten bedeckte Geschwüre an den dorsalen oder den lateralen Flächen des
Metatarsus bestanden. Es waren dies Fälle, wo ich trotz der von mir
sonst so häufig mit Erfolg selbst in schweren Fällen ausgeführten und be-
liebten und von mir zuerst empfohlenen Querresektion als einziges Mittel
zur Erzielung der Heilung die Amputation für indiziert gehalten haben würde.
Rollier hat 47 Fälle von Tuberculosis des Fußes mit 44 Hei-
lungen behandelt:
14 ohne Eiterung, 13 Heilungen, eine Besserung,
12 mit Eiterung, 10 Heilungen und 1 station., 1 tot,
21 fistulös, 20 Heilungen und 1 station.
Ich war stets sehr zufrieden mit der von mir als Erstem ausgeführten
(Juerresektion, aber trotzdem bin ich zuweilen — aber sehr selten nachher —
gezwungen gewesen, weil der Prozeß nicht zu begrenzen war, zu amputieren.
Jedenfalls war trotz der oft ausgedelhnteren Tuberculosis der Rollierschen
Fälle nach der von mir ausgeführten Resektion das kosmetische und
funktionelle Resultat lange nicht so gut als wie bei der Rollierschen
Besonnung.
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis. 239
In 3 Fällen von mehreremals rezi-
divierter Tuberculosis der Fußwurzel-
knochen nach Resektion habe ich 2 mal
noch von der Besonnung gute Resul-
tate mit kompletter Heilung zu verzeich-
nen gehabt, imal war ich trotz an-
fänglich bedeutender, der kompletten
Heilung am Ende des vorigen Sommers
nahestehenden Besserung nachher
wegen des im Winter bei fehlender Be-
sonnung entstandenen Rezidives ge-
zwungen, die Amputation auf Drängen
nachzuschicken (siehe Fig. 7, 7a,
[vgl. II. Teil]).
In einem Falle von Resektion des
Fuß- und Tarsalgelenkes, welche ich
im Anfange dieses Jahres ausführte, Fig. 7. Fung. Fußgelenk vor der
war das Resultat ein schlechtes. Es Donanatung.
bestand eine starke Schwellung, Re-
zidiv, Mischinfektion v. F., vor der Besonnung v. F. nach 4 wöchentlicher
Behandlung.
Nur 7 Fälle von Tuberculosis des Schultergelenkes hat Rollier in
seiner Statistik erwähnt:
Ei 2 \ ‚N \
f ; EN AN
T'
2mal ohne Eiterung, 2mal Heilung,
2mal mit Eiterung, 1mal Heilung, 1mal
Besserung,
3 fistulöse, 3 Besserungen.
Ich habe 2 Fälle von Tuberculosis des
Schultergelenkes ohne Eiterung besonnt. Der
Erfolg war jedesmal eklatant.
20 Fälle von Tuberculosis des Ell-
bogengelenkes hat Rollier behandelt:
g |
5 ohne Eiterung, 4 Heilungen, 1 Besserung,
5 mit Eiterung, 5 Heilungen,
10 fistulöse, 9 Heilungen, 1 Besserung.
Ich habe 2 Fälle von eitriger Tubercul.
des Ellbogens mit der Sonne bestrahlt; in
einem Falle bestand nebenbei allgemeine
Tuberculosis des Kniegelenkes welche ander-
Fig. 7a. Nach der Behandlung. wärts zur Amputation bestimmt war, und an
240 Bardenheuer,
vielen Stellen bestand Hauttuberculosis; die komplette Heilung des Knies
ward erzielt durch Resektion und Nachbehandlung des eitrigen resezierten
Gelenkes mit Bestrahlung, Heilung der übrigen Herde, 4 in der Haut und
des Ellbogengelenkes. In einem anderen Falle ward die Heilung durch Be-
sonnung relativ rasch in 3 Monaten erzielt.
In einem Fall von 2jähr. geschlossener eitriger Tuberculosis des ankylot.
Ellbogengelenkes, welchen ich seit 1!1/, Monaten besonne, ist die Beweglich-
keit weit größer, das Gelenk weit dünner, sodaß ich bei etwas günstigem
Sommer eine komplette Heilung prognostiziere.
Über 14 Fälle von Handgelenktuberculosis mit 10 Heilungen,
1 Besserung, 1 station., 1 tot berichtet Rollier:
6 ohne Abszeß, 6 Heilungen,
2 mit Abszeß, 2 Heilungen,
6 fistulöse, 3 Heilungen, 1 Besserung, 1 in Behandlung, 1 tot.
Ich hatte 3 Resektionsfälle des Handgelenkes, wo ich mehreremals
nachresezieren mußte, ohne Heilung zu erzielen; erst nach der Besonnung
trat Heilung ein, 2mal komplette, einmal blieb eine wenig Eiter absondernde
enge Fistel zurück.
Über 21 Fälle von multipler Spina ventosa berichtet Rollier
wovon 20 geheilt, eine noch in Behandlung ist:
6 ohne Abszeß, 6 Heilungen,
3 mit Abszeß, 3 Heilungen,
12 fistulös, 11 Heilungen, 1 Besserung.
Hierbei fiel mir ebenso, wie am Fuße auf, daß keine Eingriffe vor-
genommen wurden, daß die Finger und Hand oft klumpig entstellt und
doch nachher kosmetisch schön ausgeheilt waren, daß dieselben oft in
großer Zahl mit zahlreichen tuberkulösen Herden an den Füßen und an
beiden Händen und in größeren, relativ oberflächlich gelagerten Gelenken,
z. B. des Ellbogens, der Schulter, des Knies, kombiniert waren, daß nekro-
tische Splitter längere Zeit in der weit exulzerierten Fistel liegend sich
von selbst ausstießen; der Knochen erhielt oft soine normale Konfiguration
wieder.
Über 60 Fälle von Tuberculosis der Knochen (ohne Beteiligung
der Gelenke) berichtet Rollier, wovon 54 geheilt, 5 gebessert wurden,
1 Patient starb.
25 waren geschlossen, mit 21 Heilungen, 4 Besserungen,
35 fistulös, mit 32 Heilungen, 2 Besserungen, 1 tot.
Über 45 Fälle von Peritonitis tuberc. und Darmtuberculosis be-
richtet Rollier, mit 32 Heilungen, 5 Besscerungen, 4 stationär,
4mal tot.
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis. 241
38 tub. geschlossene Perit.- und Darmtuberculosis, 27 Hei-
lungen, 4 Besserungen, 3 in Behandlung (vgl. Statistik
Rollier, die Zahlen stimmen nicht ganz).
11 exulc. tub. Perit.- und tub. Darmtuberculosis, wovon 4 starben,
von den anderen 5 geheilt, 1 gebessert, 1 noch in Behandlung.
Der Erfolg bei tub. Perit. ist geradezu erstaunlich; innerhalb kurzer
Zeit sah ich, daß Daumenballen bis Faustgroße Tumoren (in einem Jahre)
geschwunden waren, 2mal sah ich, daß 10—15 cm lange, 4—5 cm breite
Darnıgeschwüre, welche durch die Bauchwand exulzeriert waren, in 1 Jahre
bis auf eine enge Fistel ausheilten; ich habe die Fälle schon oben er-
wähnt.
Rollier beobachtete 30 Fälle von Tuberculosis der Niere,
20 mal ohne voraufgegangene Nephrektomie, 11 Heilungen, 7 Besserungen,
2 stationär,
in 10 Fällen, wo die Nephrektomie an einer Seite vorher ausgeführt
war, 6 mal Heilung, 2 mal Besserung, 2 stationär.
Über 6 tub. Ileocoecaltumoren, zum Teil durch Laparotomie bloß-
gelegt, waren 5 mal Heilungen, 1 mal Besserung verzeichnet.
Rollier berichtet ferner über:
88 Fälle von Tuberculosis der Drüsen des Halses und Bronchial-
drüsen mit 81 mal Heilung, 6 mal Besserung, 1 tot.
Rollier operiert nie, höchstens punktiert er abszedierende Drüsen;
die Drüsen wurden nie exzidiert; es bleiben keine entstellenden Narben wie
nach der Exzision zurück.
6 Fälle von tub. Adnexerkrankung sah er, 5 sind ohne Opera-
tion geheilt, 1 ist gebessert.
7 Fälle von tub. Polyarthritis seros. (tub. Rlieumatismus Poncets),
wovon 6 geheilt, 1 Besserung.
9 mal sah er Tuberculosis der Augen, 9 mal Heilungen,
3 mal des Ohres, 3 mal Heilungen,
13 mal Skrofulodermata mit 10 Heilungen, 3 Besserungen.
Rolliers Statistik gibt Bericht über 650 Tuberkulöse, welche mit
Sonne behandelt worden waren, 355 waren über 20 Jahre alt, 295 Kinder.
Die Prognosis ist im allgemeinen um so ungünstiger, je älter der
Kranke ist, das gilt besonders von tief gelagerten Gelenken. Eine Coxitis,
eine Tuberculosis der Wirbelkörper, der Synchondrosis gibt im Alter eine
weit ungünstigere Prognosis, als im kindlichen Alter; das gilt auch selbst
für die Resektion.
Hierzu bemerke ich noch, daß fast alle Fälle mit höchst wenigen Aus-
nahmen sehr schwere Tuberculosis-Affektionen der Gelenke, der Knochen,
der Synchondrosis sacroiliaca, der großen Gelenke und entweder durch die
242 Bardenheuer,
tiefe Lage, das Alter des Kranken, durch die offene Abszedierung usw.
oder durch die Multiplizität der Tuberculosis in verschiedenen Gelenken
als besonders schwer zu bezeichnen waren. |
Die Patienten waren meist schon Jahre lang (oft bis 10 Jahre) er-
krankt, waren bei der Aufnahme äußerst dekrepide, schwach, nachher
kräftig, gesund, hatten stark an Gewicht und Muskulatur zugenommen:
es waren vor der Aufnahme stets Fälle, welche von den Ärzten aufgegeben
waren, zum mindesten Jahre lang ohne Erfolg behandelt worden waren.
Es kann daher eine an einem kommunalen Hospitale aufgestellte
Statistik, wobei naturgemäß alle, auch die leichtesten, im Anfangsstadium
befindlichen tuberkulösen Affektionen mit in die Statistik (z. B. Phalangen-
tuberculosis usw.) aufgenommen werden, mit der Leysinschen, wohin nur
die schwersten verzweifelten Fälle geschickt worden sind, nicht verglichen
werden. Es befanden sich überdies unter den Fällen viele Fälle, welche
man in der Ebene der Amputation überwiesen hätte.
An zweiter Stelle ist noch zu bemerken, daß von den 650 Fällen
450 geschlossen waren und 200 fistulöse, wobei also eine Mischinfektion
bestand; und die Prognose weit ungünstiger ist
von den 450 geschlossenen heilten 393 aus, 41 wurden gebessert,
11 waren noch in Behandlung, 5 starben.
Bei den 200 fistulösen trat in 137 Fällen Heilung, in 29 Fällen
Besserung ein, 14 sind noch in Behandlung, 20 starben.
Aus dieser Statistik ergibt sich die größere Gefahr bei offener Tuber-
culosis; es starben von den mit geschlossener Tuberculosis Behafteten an-
nähernd 1°/,, von den mit offener 10°|,.
Wir wissen dies aus Erfahrung, daß diese Fälle selbst für die Re-
sektionen, welche ja hier meist in vorgeschrittenen Fällen in Frage kommen,
die offene Tuberculosis so für die konservative, noch mehr für die opera-
tive Behandlung weit ungünstigere Resultate gibt.
Es gilt dies ganz besonders von den großen Gelenken, Hüften, Syn-
chondrosis usw. Ich sah eine Reihe von Fällen, wo trotz großer In-
tumeszenz, trotz zahlreichen Fisteln an großen Gelenken die Heilung ja
selbst mit Erhaltung der Beweglichkeit erzielt wurde.
Noch merkwürdiger war, daß in fast allen Fällen, die ich sah, trotz
Jahre langer Eiterung die Beweglichkeit erhalten war.
Rollier hat nur in 7 Fällen operiert. Von den Gestorbenen ist
noch zu bemerken, daß die Verstorbenen meist an hochgradigster Tuber-
culosis der Lunge, Amyloid der Nieren usw. litten.
Die höchst interessante Arbeit von Bernhard in Samaden gibt
gleichfalls einen Bericht über seine Erfolge in 279 Fällen; dieselben sind
annähernd gleich gute. Er gibt nur eine Statistik über 279 Fälle von
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis. 245
Behandlung mittels allgemeiner Besonnung, nicht über lokale, welche noch
folgen wird. Er hat weit mehr operiert als Rollier. Seine Beobachtungs-
zeit erstreckt sich auf 10, diejenige von Rollier auf über 9 volle Jahre von
direkter lokaler und allgemeiner Besonnung.
Man kann heute nicht mehr von einer in der Entwicklung begriffenen
Wissenschaft sprechen, sondern sie baut sich auf auf die Erfahrung und
Beobachtungszeit über ein Dezennium. Die Zahlen, die Röntgenogramme
die Photographien, die örtliche Beobachtung der behandelten Fälle meiner-
seits. die Statistik sprechen eine zu überzeugende Sprache, als dal ich
diesen Tatsachen gegenüber mein Auge verschließen könnte. Wenn nun
die Sonnenbehandlung so außerordentlich gute Resultate in solch schweren
Fällen zu verzeichnen hat (ich habe unter den 350 Patienten kaum einen
leichten Fall gesehen), so werden dieselben naturgemäß in leichten Fällen
noch weit günstiger sein.
Ein befreundeter Chirurge sagte mir ich sei etwas optimistisch. Die
in Leysin beobachteten Fälle und die großartigen röntgenographisch und
photographisch niedergelegten Beweise sind so überzeugend, daß ich dagegen
sagen mul, wer die Erfolge nicht zugeben will, ist entweder blind oder
es fehlt ihm der gute Wille zu sehen; er ist etwas zu skeptisch.
Man könnte mir den Vorwurf machen, und es ist schon geschehen,
daß ich plötzlich zu Gunsten der konservativen Behandlung eine solch
auffällige Schwenkung gemacht habe. Ich habe aber selbst in den antisep-
tischen Aera (seit 1874 in Köln) auf dem Gebiete der Resektionen viel
und darf wohl sagen vielfach mit Erfolg gearbeitet, z. B. durch die quere
Lage und Größe der Resektionsschnitte, durch die Verteidigung der radi-
kalen Entfernung der primären Tuberculosis, besonders mit Einschluß des
zentralen Teiles der Gelenke der Hüftgelenkpfanne, des Schulterblattgelenk-
teiles, durch die extraskapuläre Ausführung der Operation, um nur nichts
Tuberkulöses zurückzulassen, durch die Fixierung der Resektionsenden
gegeneinander mittels Vernagelung usw.
Es war mir keine Operation zu groß, z. B. bei der Synchondrosis
tuberculosis, um nur den primären Herd ın toto zu entfernen; ich kann
auch wohl sagen, daß unsere Resultate fast ausnahınlos gute waren, indessen
ist nicht zu leugnen, daß die Resektion bei noch so gutem Verlauf stets
ein verstümmelndes Resultat gibt, wie auch Bier schon hervorhebt und
zumal, wenn man bei Kindern bei der Operation mit der Wachstumslinie
in Kollision tritt, resp. die Tuberculosis die Wachstumslinie schon zerstört
hat; von Volkmann sagt in seiner prägnanten, etwas drastischen Weise,
daß die von ihm resezierten Kinder mit ihren verkürzten und verkrüppelten
Gliedmaßen samt und sonders vor seiner Tür erscheinen möchten, um ıhm
eine Katzenmusik darzubringen.
16
244 Bardenheuer,
Ich habe stets schon während meiner ganzen chirurgischen Tätigkeit
Kinder reicher Eltern oder gut situierte tuberkulöse Patienten mit gutem
Erfolge konservativ behandelt; ich machte von vornherein eine Differenz
zwischen armen und reichen Patienten. Arme behandelte ich, um im all-
gemeinen meinen Standpunkt in kurzen Worten darzulegen, 3 Monate,
selbst !/, Jahr konservativ; wenn hiernach keine Besserung, sondern sogar
eine Verschlimmerung eintrat, so resezierte ich.
Bei reichen Patienten, die alles für sich tun, die Sool- und Seebäder
. besuchen konnten, die in guten hygienischen häuslichen Verhältnissen lebten
und folgsam waren, Vertrauen zum Arzte hatten und behielten, outrierte
ich stets die konservative Behandlung und hatte sehr oft bei nicht zu
starker Entwicklung der Tuberculosis gute Resultate. Indessen darunter
befanden sich doch nie solche ausgedehnte tuberkulöse Affektionen, wie
Rollier sie fast durchweg zu behandeln hatte.
Wenn multiple Tuberculosis, zumal größerer Gelenke bestand, da half
die Operation im allgemeinen wenig, die Tuberculosis entwickelte sich rascher,
als wie das Messer heilte. Ich muß offen bekennen, daß ich es selbst sehr
bedaure, daß ich die von mir auf dem Gebiete der Resektionen der tuber-
kulösen Gelenke angebahnten Fortschritte selbst vernichte.
Heute halte ich mich aber, nachdem ich selbst die Besonnung erprobt und
einen solchen Einblick sowohl durch die Befragung der Literatur, als durch
die persönliche in Leysin durch zweimaligen Besuch gemachte Beobachtung
der Erfolge in die Wirksamkeit der Bestrahlung gewonnen habe, für ver-
pflichtet für dieselbe einzutreten. Es gilt dies ganz besonders von einer
größeren Reihe von Fällen, wo kein Chirurge mehr den Mut gehabt haben
würde, zu resezieren, noch viel weniger, dieselbe konservativ zu behandeln,
sondern vielmehr gleich amputiert haben würde.
Ich habe während meiner ganzen chirurgischen Tätigkeit im Interesse
der Vervollkommnung der von mir veränderten und verbesserten Gewichts-
oder Federextensions-Behandlungsmethode der Frakturen gearbeitet und bin
innerlich sehr zufrieden mit den Resultaten, ja selbst etwas stolz auf dieselben.
Wenn aber irgend ein besseres Mittel seitens cines anderen Chirurgen
als die Gewichtsextension gegen die Frakturen angegeben würde, so würde
ich eben so leicht die Extensionsbehandlung, welche heute fast allgemein
Anerkennung gefunden hat, gerne gegen diese neue Behandlungsmethode
eintauschen.
Es entsteht die Frage, ob man nicht auch hier in unserer Gegend durch
Besonnung etwas erreichen kann, ob nicht mit der Behandlung am Meere,
in Soolbädern oder mittels X-Strahlen das Gleiche zu erreichen ist. Zur
wirksamen Sonnenbehandlung ist viel Sonne und intensive Sonne nötig.
Es dürfen die wirksamen violetten und ultravioletten Strahlen nicht durch
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis. 245
Nebel, Staub, Wolken absorbiert werden. Daher hat das Flachland in der
Meereshöhe, zumal im Norden, wo die Tage kürzer sind, wo weniger Sonnen-
tage zur Verfügung stehen, die Sonnenenergie weit geringer ist, wenig Erfolg.
Am Meere liegen die Verhältnisse schon weit besser, die Wolken
sehen meist in das benachbarte Tiefland ab, die Sonne wird vom Sande
und Meere reflektiert und wirkt weit kräftiger; am Meere ist kein Staub,
der Staub wird durch die Flut weggewaschen, der Sand ist nicht so ge-
fährlich, wie der Staub.
Daher bekommen auch die Seereisen in heißen Zonen den Tuberkulösen
so gut.
Im sonnenreichen Süden liegen die Verhältnisse auch günstiger,
leider ist daselbst zu viel Staub, und die Hitze im Sommer unerträglich.
Oft sind auch, z. B. in Griechenland, Italien, in Spanien die häuslichen
hygienischen Verhältnisse sehr ungünstig, so daß trotz schönen Sonnen-
tagen viel Tuberculosis daselbst herrscht. Soviel steht übrigens auch be-
züglich des Höhenklimas fest, daß auf den sonnigen Höhen Tuberculosis
selten ist. Auf dem Berge ist weit mehr und weit länger Sonne, die
Intensität des Lichtes weit intensiver, kein Staub, die Hitze ist nicht
drückend, nicht erstickend, da immer etwas Wind vorhanden ist, und die
Luft daselbst durch denselben stets in Bewegung gesetzt wird, im Winter
aber wirkt durch die reflektierten Sonnenstrahlen seitens des Schnees und
Eises die Bestrahlung außerordentlich günstig. Die Kinder können in
Badehosen herumlaufen, Schlitten fahren, Ski laufen usw., wie die Bilder
Rolliers demonstrieren.
Die Sonnenbehandlung hat gerade so wie die Antisepsis auch einen
großen Einfluß auf die Bautechnik. Eine Klinik für Tuberkulöse kann
der Billigkeit halber drei Etagen haben, mul) aber stets nach Süden ge-
richtet sein und nach Süden gerichtete Veranden haben. Dieselben müssen
so eingerichtet sein, daß die Betten mit größter Leichtigkeit ohne große
Mühewaltung auf die Veranden geschoben werden können.
Die Veranden müssen ferner von Osten nach Westen verlaufend
gegen Süden gerichtet sein. Können aber auch gleichzeitig an der öst-
lichen und westlichen Seite des Pavillons sich befinden, so daß sie früher
Morgens und später Abends von der Sonne beschienen werden; sie müssen
groß, 3!/, m tief, sein, so daß sie alle Betten des mit der Rückseite nach
Norden sehenden Zimmers aufnehmen können, sie müssen ferner durch
breite, dreiflügelige Türen mit den letzteren kommunizieren, so daß die
Zimmer ordentlich belichtet und belüftet werden.
Die Zimmer müssen ganz in Weiß gestrichen sein und etwa eine
Tiefe von 4—4!1/, m haben. Die Krankenzimmer liegen in der Klinik
nur nach Süden. Es ergibt sich hieraus, daß der Pavillon lang gestreckt
16*
240 Bardenheuer,
ist, da keine Krankenzimmer nach Norden liegen, somit die letzteren nicht
zu beiden Seiden des Korridors liegen. Gegen Norden mul das Gebäude
möglichst durch eine Bergwand geschützt sein. An der Nordseite des
Pavillons befindet sich ein breiter (21/3 m) Korridor, auf welchen der Opera-
tionssaal, Laboratorium, Bandage-, Gipszimmer, die Röntgenabteilung, das
Zimmer für den Röntgenarzt, Aufbewahrungszimmer der Röntgenbilder.
der Photographien, Schwesterzimmer, Zimmer für Dienstpersonal, die
Lifts usw. münden; hierbei soll der ganze Korridor nördlich nicht ganz
mit Zimmern besetzt sein, er soll freie Lücken haben, damit er auclı
ordentlich belichtet und gelüftet werden kann. Bei einem drei Etagen
hohen Bau ist genug Raum zur Anbringung aller der oben erwähnten
Zimmer nach Norden vorhanden. Die Zimmer für die Ärzte liegen nach
Westen und Osten. Aufenthaltsräume für die Kranken, Eßräume müssen
Parterre liegen und gleichfalls, um den Kranken nicht die Sonnenseite zu
nehmen, nach Osten oder Westen gerichtet sein. Die Küchen, Vorrats-
räume liegen am besten in dem Erdgeschosse nach Norden, südlich vor
dem Gebäude liegt eine breite Terrasse zur Besonnung. Das Dach muß
flach sein und, um dort auch noch bestrahlen zu können, nördlich eine
Glashalle haben, in welche die Kranken rasch beim Eintritte eines Ge-
witters, Schneefalles usw. befördert werden.
Große Lifts verbinden die einzelnen Etagen mit einander und liegen
auch im nördlichen Teile des Sanatoriuns.
Die Anstalt muß auf der Höhe von mindestens 1500 m hoch, ober-
halb der Wolken, nicht in der Nähe von Seen liegen, indem sonst starke
Nebel aufsteigen, welche sich als Wolken an die Berge anlagern, wodurch
ein zu großer Teil der Sonnenkraft absorbiert und die sonnenhellen Tage
gemindert werden. Überhaupt muß es vor dem Bauen meteorologisch
festgestellt sein, daß sehr wenig Regentage, sehr wenig Nebel auf dem
Terrain des zu erbauenden Sanatoriums besteht.
In der letzten Zeit haben von Eiselberg, Hohenegg, Morauf,
Jerusalem für die Sonnenbehandlung in der Diskussion auf der Höhe
plaidiert. Letzterer hat ein Sanatorium in Grimmensteie im Wienerwalde
760 m hoch angelegt. Im Engadin, Davos, Arosa sind eine Reihe Schul-
sanatorien und Kinderheilstätten geplant.
Auch in der Ebene wird heute schon die Bestrahlung angewandt.
Tietze in Breslau, Machard bei (Genf, Vulpius Soolbad Rappenau.
Auf diesem Gebiete ist der Militärfiskus wie so oft für uns vorbild-
lich. Oberstabsarzt Haberling, Cöln erwähnt in seiner Arbeit, welche
erschöpfend die diesbezügliche Literatur anführt, daß die Militärhospitäler
schon 16 Liegehallen besitzen, in welchen alle Kranke des Tages über
im Lichtbade behandelt werden.
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis. 247
Die Erfolge, welche wir von unseren Erholungsreisen in der Schweiz,
nach Italien haben, sind wohl zum größten Teile dem Aufenthalte in der
sonnenreichen Gegend, der Wirkung des Höhenklimas und der Besonnung
zuzuschreiben. Es entsteht die Frage, ob wir nicht auch in der Ebene
diese Behandlung aufnehmen können; ich habe damit begonnen und war im
vorletzten Sommer mit den Resultaten sehr zufrieden, wenngleich mir keine
Veranden zur Verfügung stehen und wir die Kranken in die Sonne tragen,
auf Liegestühlen, im eng begrenzten Garten lagern und sie unter großen
Schwierigkeiten wieder beim plötzlich eintretenden Regen ins Hospital
auf die verschiedenen Zimmer, in verschiedenen Etagen zurückbefördern
müssen, wenngleich wir das Essen ihnen im Garten verabfolgen müssen
usw. usw. Auf jeden Fall wird man in Zukunft der chirurgischen Station
Veranden nach Süden geben müssen, so dali auch die Kinder, die Kranken
im Sommer dauernder in frischer Luft liegen und möglichst lange besonnt
werden können. Im Winter ging mir aber in fünf Fällen ein großer Teil
des Resultates wieder verloren (vgl. II. Teil).
Auch in diesem Jahre habe ich schon eine große Besserung der
bestehenden peripheren Tuberculosis in 14 Tagen konstatieren können. Es
werden jetzt bei mir 46 Patienten (41 tuberkulöse) besonnt, so weit Sonnen-
tage da sind, was leider in letzter Zeit oft nicht der Fall ist.
Man mul daher unter diesen Verhältnissen die stärkst Erkrankten
doch auf die Höhe in eine Anstalt schicken. Weshalb sollten nicht ebenso
gut, wie solche Anstalten an der Nordsee in Wyk auf Föhr, auf der Insel
Sylt usw. oder in Berc sur mer privatim oder seitens größerer Städte, z. B.
Schöneberg, gegründet sind, nicht auch in der Schweiz, Tirol, Bayern, Baden
seitens einer oder mehrerer Kommunen angelegt werden können; die Ver-
pflegung der Kranken kommt der Kommune nicht teurer zu stehen, im
Gegenteil, in Wirklichkeit billiger, und hierbei wird eine große Zahl von
Tuberkulösen nicht nur dem Leben, sondern auch als leistungsfähige Bürger,
ohne verkrüppelt zu sein, ohne ein verkürztes Bein, ein versteiftes Gelenk
zu haben, ohne ein Bein, ohne einen Arm verloren zu haben, der Kom-
mune erhalten, während sie sonst weit längere Zeit in den Hospitälern
liegend oft genug dahinsiechen und ihr Leben einbüßen.
Aus privatwohltätigen Mitteln sind sogen. Tuberkulosenheime für tuber-
kulöse Lungenerkrankte errichtet worden, weshalb sollte nicht auch das
gleiche für an periph. Tuberculosis Leidende geschehen können, wo doch
entschieden mehr zu erreichen ist?
Ob auch für die Tuberculosis der Lunge die Bestrahlung auf Höhen
so günstig wirkt, ist noch fraglich; jedenfalls darf die Höhe nicht zu hoch
gewählt werden. zumal bei bestehender Neigung zu Blutungen, indem in
der Höhe der Blutzufluß zu den Lungen sehr gesteigert wird.
248 Bardenheuer,
So viel steht aber fest, daß unter den chirurgischen Kranken bei
Rullier stets eine große Anzahl von gleichzeitiger Tuberculosis der Lunge
bestand, und daß die letztere gleichzeitig mit ausheilte. Indessen sind in
Leysin auch mehrere Pavillons für interne Tuberculosis, welche gute Re-
sultate haben sollen; dieselben sind von der Rollierschen Anstalt unab-
hängig, welche nur peripher tuberkulös Erkrankte aufnimmt.
In dieser meiner Arbeit soll nicht etwa gesagt sein, daß heute alle peri-
pheren Tuberkulosen sicher geheilt werden, wie ja auch aus der Statistik
hervorgeht. So viel steht aber fest, daß wir heute mit der Sonnenbehandlung
zumal auf der Höhe unstreitig weit günstigere Resultate erzielen und weit mehr
Patienten dem Leben und zwar einem tätigen Leben wiedergeben, als wie
mit jeder anderen Behandlung. Wir können diese Behandlung auch in
gut eingerichteten, reichlich mit Veranden versehenen Hospitälern im
Sommer, wofern derselbe nur etwas günstig ist, erfolgreich anwenden, in-
dessen im Winter geht doch oft das Erreichte wieder verloren, wie sich
aus dem II. Teile der Arbeit ersehen läßt, daher würde in solchen leichten
Fällen eventuell die Sonnenbehandlung auf der Höhe nachzuschicken sein.
in schweren Fällen ist aber im Winter und Sommer hindurch eine dauernde
Behandlung auf der Höhe am Platze.
Rezidive hat Rollier trotz eingezogenen Erkundigungen äußerst selten
zu beobachten Gelegenheit; einen Fall sah ich daselbst, es war primär
eine starke Tuberculosis des Tarsus, das Rezidiv war kaum erwähnenswert
und bestand in einer leichten Anschwellung und Schmerzhaftigkeit des
Gelenkes und ward bald wieder behoben.
Nichts ist vollkommen auf dieser Welt, auch den größten Fortschritte
haften diese oder jene kleine Mängel an, was auch sehr gut, sonst würde
ja schließlich für unsere Geistesarbeit nichts mehr zu tun übrig bleiben.
Auch auf dem Gebiete der Sonnenbehandlung der peripheren Tuber-
culosis werden durch die angestrengte Arbeit der Chirurgen, der Anstalts-
ärzte noch Fortschritte angebahnt werden, das gilt auch ganz besonders
nach der Seite der theoretischen Begründung der Wirkung der Sonnen-
strahlen auf den menschlichen Organismus hin, der genaueren Erkenntnis
der verschiedenen Strahlen des Sonnenspektrums.
Eine der wichtigsten zu lösenden Fragen ist aber die soziale, auf
welche Weise wird es den Kommunen resp. dem Staate, der Provinzial-
verwaltung möglich. die tuberkulösen Kranken der Wohltat der Höhen-
sonnenbehandlung zuzuführen; wo. aber der Wille ist, da gibt’s auch einen Weg.
Der Zweck der Arbeit war, die Kollegen für diese Behandlung zu
erwärmen, ganz besonders aber auch die einzelnen Verwaltungen und edel-
denkende Menschen für dieselbe zu gewinnen: im II. Teile der Arbeit
werde ich auf diese Frage noch etwas genauer eingehen.
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis. 249
II. Teil.
In dem voraufgegangenen Teile dieser Arbeit habe ich unter Anleh-
nung an den zweimaligen Besuch der äußerst sehenswerten Heilstätte Leysin
zur Behandlung der peripheren Tuberculosis einen Bericht über den Vor-
trag Rolliers in Düsseldorf und über meinen Vortrag im ärztlichen Vereine
ın Köln, wobei ich die mir zur Verfügung gestellten Photographien und
Röntgenogramme sowie die Statistik Rolliers benutzte und demonstrierte,
segeben. Es lag anfänglich in meiner Absicht, die Arbeit hiermit zu
schliefjen, indessen lohnt es sich doch, bei den großen Schwierigkeiten,
welche sich der Benutzung der Höhenluft und Sonnenbestrahlung entgegen-
setzen. der Frage noch etwas näher zu treten, was man in der Ebene er-
reichen kann, ob man nicht mindestens, zumal für leichte Erkrankungs-
fälle. mit der Sonnenbehandlung allein auskommt und ob man nicht in
schweren Fällen durch konsequente, gewissenhafte Ausnutzung der Sonnen-
tage, ev. auch zumal bei der Aufnahme von Schwererkrankten im Winter durch
eine frühzeitige Operation im Winter und nachgeschickte Sonnenbehandlung
des operierten Herdes im Sommer die Sonnenbehandlung auf der Höhe um-
gehen könne. Letzteres kann nur entschieden werden durch eine länger fort-
gesetzte Beobachtung der praktischen Erfolge in der Ebene und zwar in ver-
schiedenen aufeinanderfolgenden Jahren. Ich habe daher alle im Jahre 1911
behandelten Fälle nochmals, soviel es zu erreichen möglich war, untersucht
und festgestellt, wieviele von den damals Geheilten geheilt geblieben sind,
wieviel Rezidive eingetreten sind. Die Erkrankten werden in der Ambu-
lanz meist weiterbehandelt. Ich habe auch fernerhin die Resultate des
Jahres 1912, da die Drucklegung sich etwas verschoben hat und da der
Sommer in der letzten Hälfte besonders sonnenreich ist, mit angeführt.
In der letzten Zeit habe ich gerade Gelegenheit gehabt, den großen Ein-
fluß stark sonniger Tage auf den kranken Menschen und auf die tuber-
kulösen Krankheitsherde zu beobachten. Fälle, die vorher auf die Bestrahlung
nicht oder nur höchst wenig reagierten, zeigten mit dem Eintritte der
sonnigen Tage ein vollständig verändertes Bild sowohl in ihrem allgemeinen
als in dem örtlichen Befinden. Die profuse Sekretion eines spondylitischen
Senkungsabszesses verminderte sich innerhalb 14tägiger Besonnung des
Monates ‚Juli; in diesem verzweifelten, hoffnungslosen Falle wie in mehreren
andren (bei einer profusen Kniegelenkeiterung), bei einem zweiten spondy-
litischen Senkungsabszesse habe ich wiederum Zuversicht und Hoffnung auf
eine Ausheilung gewonnen. Gerade letztere Beobachtung hat mich auch
bestimmt. die Resultate des Jahres 1912 mitzuteilen, um durch dieselben
einen in die Augen springenden Beweis für die große Wirkung der Sonnen-
bestrallung zu geben: hierzu sind aber auch intensive Lichtstrahlen nötig.
250 Bardenheuer,
Das Schlimmste ist hierbei, daß es sich meist bei Kindern um multi-
loculäre Tuberculosis handelt, wobei man selbst bei anfänglich sehr guten
Resultaten und Ausheilung aller Herde nie mit Bestimmtheit sagen kann,
ob im Winter nach der Aussetzung der Sonnenbehandlung und nach der
Rückkehr in alte hygienisch ungünstige Verhältnisse nicht wiederum wie
so oft neue Herde auftreten. Bei Großen handelt es sich meist um sehr
schwere Fälle, oft isolierte Tuberculosis; hier scheint das gewonnene Re-
sultat mit oder ohne operative Behandlung eher ein dauerndes zu sein, in-
dessen muß auch hier die orthopädische, konservative Behandlung im Winter
und die Sonnenbehandlung im Sommer oft noch lange weiter fortgesetzt
werden. Soviel steht aber fest, daß in allen Fällen bei Kindern wie bei
Großen der Stoffumsatz gewaltig gefördert wird, daß die Patienten sich
außerordentlich erholen, weit kräftiger werden und gewissermaßen Kräfte
aufspeichern, um den Noxen des Winters, dem Fehlen der Sonnenbelichtung
eher Widerstand zu leisten.
Vorher bemerke ich noch, daß Herr Dr. Max Jerusalem eine Heil-
stätte in Grimmenstein, 2!J, Bahnstunden von Wien entfernt, gegründet
hat (760 m hoch); er gibt einen Bericht über 37 Fälle von mit Sonnen-
licht behandelter Tuberculosis- Erkrankten; v. Mediz.-Klinik, Wochenschr.
für prakt. Ärzte, 1912, 120, red. von Brandenburg, Berlin. Die Resul-
tate sind sehr gute, wie auch die beigefügten Photogramme beweisen, trotz
der relativ niedrigen Höhe von 760 m, trotz der relativ kurzen Behandlungs-
dauer von 3—4—8—10—14 Monate, trotz der Schwere der Fälle (Coxitis,
Fußgelenktuberkulose, Caries der Wirbelsäule). Die beigegebenen Photo-
graphien sind überzeugend. J. hebt noch hervor, daß nicht nur die Tuber-
culosis ausheilt, sondern auch die Beweglichkeit der Gelenke wiederkehrt
(Fußgelenktuberkulose), was ich auch für meine Fälle bestätigen kann, z. B.
von Fall 5 vorigen Jahres (vgl. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie 1911)
F. 11, F. 12, F. 30, F. 33.
Ich habe die Absicht, zuerst einen kurzen Bericht über die Dauer-
resultate der Behandlung im Jahre 1911 zu geben. Hierdurch allein
schon leuchtet der Vorzug der Sonnenbehandlung gegenüber der operativen,
welche doch mehr oder minder bei noch so guter Ausheilung verstümmelnde
Resultate gibt (v. Volkmann, Bier, Czerny). Diese Frage der Wirkung
der Sonnenbehandlung auf geringerer Höhe (in Deutschland) hat für uns
schon aus lokalpatriotischen Rücksichten hohes Interesse: meine Befragungen
bei verschiedenen meteorologischen Anstalten über die Sonnentage auf ver-
schiedenen Höhen weisen alle auf die Schweiz und zwar auf die gegen
Norden geschützten Alpen hin, weil die Schweiz gegen Norden durch vor-
selagerte (rebirge geschützt ist.
In diesem Sommer habe ich bis jetzt im ganzen 46 Fälle behandelt.
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis. 25
Ich habe schon früher hervorgehoben, daß von meinen 36 im vorigen
Sommer (1911) behandelten Fillen, welche in der Deutschen Zeitschrift
für Chirurgie 1911 veröffentlicht sind, Seite 153, viele rückfällig ge-
worden.
Fall 1, l. e. v. S. 153. Es bestanden als Folge von Tuberkulose der Hals-, Brust-
und Wirbelsäule des zum Skelette abgemagerten Kindes 5 Fisteln mit profuser Eite-
rung; alle Fisteln waren unter der Sonnenbehandlung ausgeheilt, das Kind wurde
geheilt und gekräftigt im Beginne des Winters entlassen. Albumin war im Harne
verschwunden. Das Kind war im Gegensatze zum Beginne der Erkrankung mit-
teilsam und heiter. Die Muskulatur hatte sich bedeutend gekräftigt usw.
Das Kind ist in Waisenpflege und kehrte zurück mit einer stark sezernierenden,
wieder aufgebrochenen Fistel am Halse; es war wieder stark abgemagert, hinfällig.
wenig mitteilsam. Durch die wiederaufgenommene Sonnenbehandlung, soweit die-
selbe bei dem anfänglich vorherrschenden Regenwetter möglich war, hat die Sekretion
bedeutend abgenommen, das Kind ist wieder kräftiger und heiterer, die Fistel se-
zerniert wenig. Das Rezidiv war Folge der Unterbrechung der Sonnenbehandlung:
für Leysin bestimmt.
Fall2,v.l.c. S. 153. Eitrige Hüftgelenkentzündung, hatte sich bedeutend ge-
bessert, mußte aber nachher wegen Zahlungsschwierigkeiten das Hospital verlassen
und ist zuhause an der profusen Eiterung zugrunde gegangen.
Fall 3, v. 1. c. S. 154. Geschlossene Tubereulosis der Synchondrosis sacroiliaca
mit geschlossenem AbszeB und stark eiterndes Rezidiv des resezierten tuberkulösen
Handgelenkes ward durch die Sonnenbehandlung geheilt und ist dauernd geheilt
geblieben. Der Abszeß an der Synchondrosis ist verschwunden.
Fall 4, v. l. c. S. 155. Tuberculosis des Metatarsus, 3malige Operation, dann
Besonnung; Patientin hat die Behandlung in der Heimat nach der Entlassung dau-
ernd fortgesetzt. Das Fräulein ist ein Bild von blühender Gesundheit, ist dauernd
geheilt geblieben. |
Fall 5, v. l. e. S. 155. Allgemeintubereulosis Tub. des Kniegelenkes (Resektion),
der Haut an verschiedenen Stellen, geschlossene Tuberculosis des Ellbogengelenkes.
Besonnung. Der äußerst schwache Knabe ist heute vollständig geheilt, gleichfalls
das tuberkulös ankylosierte Ellbogengelenk mit Erhaltung der Beweglich-
keit. Der Knabe ist äußerst kräftig und dauernd gesund; die tuberkulösen Herde
sind komplett ausgeheilt und geheilt geblieben.
Fall 6, v. l. c. 156, ist noch in Behandlung. Von diesem Falle konnte ich im
vorigen Jahre noch nichts Bestimmtes mitteilen. Der Abszeß ist heute geschwunden,
die Kyphosis ist ausgeglichen, der Abszeß in der Regio iliaca resorbiert; das Kind
ist kräftig geworden und geht 14. VII. 1912 im Tutor herum.
Fall 7, v. c. S. 156. Caries tub., des Cranium tub. der 1. tuberkulösen
Synchondrosis; Resektion, Kind äußerst schwach. Besonnung und Heilung der
Kopffisteln, der tuberkulösen Drüsen, der postoperativen Fistel der Synchon-
drosis. Im Winter trat eine Verschlechterung ein, alles ging wieder mit der Auf-
hebung der Sonnenbehandlung verloren, das Kind ist wieder äußerst schwach. Pa-
tientehen ist im Beginne dieses Jahres auf Kosten der Stadt nach Levsin geschickt
worden. Bei meinem Besuche daselbst, Ostern 1912, war das Kind wiederum weit
besser, sehr kräftig, die Fisteln lieferten kein Sekret mehr, waren trocken, das Re-
zidiv war Folge der Unterbrechung der Sonnenbehandlung im Winter; heute 2. VII.,
laut Bericht aus Leysin, ist das Kind ist geheilt.
252 Bardenheuer,
Fall8,v.l.c.S.157. Die Lähmung der Arme und Schmerzen in denselben nach
Spondylitis cervico dorsalis ist geschwunden. Der Erfolg ist dauernd ein guter. Patientin
trägt einen Tutor.
Fall 9, v. 1. c. 157. Mehrmalige Resektion des Handgelenkes, dann Sonnen-
behandlung. Heilung ständig.
Fall 10. Doppelseitige tuberkulöse Entzündung der Wirbelkörper, Senkungs-
abszeß, geheilt entlassen. Leichtes Rezidiv insofern eine alte Fistel wiederum aufge-
brochen ist, die durch Insolation 1912 wieder der Heilung entgegengeht. Das Rezidiv
ist Folge der Unterbrechung der Sonnenbehandlung.
Fall 11, v. l. c. S. 158. Linksseitige tuberkulöse Coxitis. Heilung dauernd.
Beweglichkeit wiedergekehrt.
Fall 12, v. 1l. c. S. 158, rechtsseitige tuberkulöse Coxitis. Dauernde Heilung:
Beweglichkeit wiedergekehrt.
Fall 13, v. l. ce. S. 158. Extrakaps. Totalresektion der Hüfte, 3 malige Nach-
resektion im Winter, immer wieder Rezidive, bis sie besonnt wurde, im Winter
geheilt entlassen. Nochmals am Anfange dieses Jahres aufgenommen mit Erosion
der aneinander liegenden, nach innen umgeschlagenen Ränder der Haut an der Re-
sektionsstelle; keine Fistel, dauernd geheilt.
Fall14, v.1.c. S. 159. 20 Jahre alter Patient, seit 2 Jahren tuberkulöse Coxitis,
geheilt entlassen, geheilt geblieben mit Erhaltung der Beweglichkeit.
Fall 15, v. l. cc. S. 159. Kind Elli, Allgemeintuberculosis, 49 Fisteln; große
Besserung in 3!/,Monaten, 23 Fisteln geschlossen. Der Zustand der Knie- und Ell-
bogengelenke stark gebessert, Kind war gekräftigt. Im Winter sind die Herde an
den Metakarpal und -tarsalknochen zum Teil wieder aufgebrochen. Es besteht
am Fuße wieder eine starke profuse Eiterung. Im Anfange des Jahres 1912 ist das
Kind nach Leysin gebracht worden, woselbst bei meinem Besuche im Monat April
eine bedeutende Besserung zu konstatieren war, 2. VIII. alle Fisteln mit Ausnahme
von 2 sind geheilt.
Fall 17, v. l. c. S. 160. Resectio totalis cox. tub. des seit 3 Jahren an Coxitis
tuberc. behandelten Patienten. Heilung durch Sonnenbehandlung im Sommer 1911.
Heilung der zurückgebliebenen stark sezernierenden Fisteln.. Dauernde Heilung.
Fall 18, v. l. c. S. 160. Ebenso tub. Coxitis. Totalresektion. Heilung durch
Sonnenbehandlung wie im vorigen Falle, dauernd geheilt.
Falll9, v.l.c. S.160. Tuberkulose der Articul. sacroiliaca dext. et sin. seit 6 Jahren
an beiderseitigen Abszessen des Beckens behandelt. 1910 2mal operiert, zuletzt
Ende 1910 partielle Resektion der Articul. sacroiliaca dextra. Patient äußerst schwach.
4monatige Sonnenbehandlung. Patientin sehr gekräftigt, es besteht nur noch eine
kaum sezernierend Fistel. Im Laufe des Winters 1910/11 ist insofern wieder eine
Verschlechterung eingetreten, als die Fistel wieder mehr sezerniert. Das Allgemein-
befinden ist dagegen ein gutes. Im Frühling 1912 hat sie zuhause die Sonnenbe-
handlung wieder aufgenommen.
Fall 20 und 21, v. l. c. S. 160, blieben gut. Offene Tub. des Metas. II und Ill
d. Tub. des unteren Endes der Ulna; dauernde Heilung. Fall 21 Const. tub., tub.
Halsdrüsen geheilt geblieben.
Fall 22, v. l. e. S. 160. Schwaches Kind, 7 Jahre alt. Resektion totalis des
Hüftgelenkes; es blieben 3 Fisteln zurück. Ausheilung im Sommer 1911. 1912 Früh-
ling ganz ausgeheilt; es wurde nur zur Verlängerung des adduziert stehenden Beines
in der Narkosis das Bein unter Einbrechen der Verwachsung des Femur mit dem
Osileum in starke Abduktion gestellt, was gut ertragen wurde, ohne daß der tuber-
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis. 253
kulöse Prozeß im sezernierten Gelenke wieder aufbrach. Die Fußsohlen stehen jetzt
in gleicher Höhe. Sehr gutes Resultat.
Fall 23, v. l. c. S. 161. Allgemeine Tuberculosis T. des Schultergelenkes, Resek-
tion der Tuberositas tibiae des l. metakarpophal. Gelenkes Tub. pulmonum. Patient
ist durch die Sonnenbehandlung dauernd geheilt. In allerletzter Zeit habe ich aller-
dings diesen Patienten nicht mehr gesehen.
Fall 24, v. l. c. S. 161. Starke Tub. genus, extracap. Resektion, unreiner Ver-
lauf, starke fistulöse Eiterung; Sonnenbehandlung bis in dieses Jahr hinein. 1912,
es besteht nur noch eine ein wenig sezernierende Fistel.
Fall 25, v. l. cœ S. 162. Eitrige Gonitis; extracaps. Resektion. Langdauernde
Eiterung. Besonnung, rasche Abnahme der Sekretion. Ausheilung dauernd.
Fall 26, v. l. c. S. 162. Tuberkulose. der rechten, vorderen Brustwand (zweiten,
dritten Rippe), doppelt faustgroßer intrapleur. Abszeß, Lunge nach hinten gedrängt,
mit affiziert; 5 zurückbleibende Fisteln heilten erst mit der Sonnenbehandlung bis
auf eine sehr dünne aus. Im Winter Rückfall, 2 Fisteln, welche nach hinten 15 cm
in die Tiefe der Lunge führten. Patientin ist äußerst schwach geworden. Anfang
Mai 1912 Resektion der inneren Hälfte der Clavicul., des l. Sternoclaviculargelenkes,
®/s; der Breite des Manubr. et Corpus sterni, der vorderen Hälfte der 4., 5., 6., 7. und
8. Rippe, kolossale Höhle, die 20 cm tief, 15 cm breit war, Einlagerung eines rechtse
seitigen Hautlappens, welcher in der Hälfte der Breite die Höhle überdeckte. Nach
14 Tagen Aufnahme der Sonnenbehandlung, rasche Abnahme der Eiterung, Patientin
erholt sich von Tag zu Tag. Die Sekretion nimmt rasch ab, die Wundfläche verkleinert
sich zusehends, flacht sich rasch ab. Patientin muß nach Leysin zur dau-
ernden Heilung geschickt werden.
Fall 27, v. l. c. 162. Ausgedehnte Tub. des Manubr., Corpus sterni der ganzen
linken, vorderen Thoraxwand bis zur 8. Rippe inkl. Resektion in 5 Sitzungen, Empyem,
linksseits Tubercul. pul. Die Sonnenbehandlung wirkte anfangs gut. Patient er-
holte sich. Mit dem Aussetzen der Sonnenbehandlung im Oktober trat rasch eine
Verschlechterung ein; Patient ging an fortschreitender örtlicher und allgemeiner
Tuberkulosis zugrunde. l
Fall 28, v.1. c. S. 163. Caries tub. der r. 2. u. 3. Rippe, Tub. der l. und 6. Rippe
unterhalb der Mamilla. Tub. des Calcan. Patient ist bis auf 2 kleine, kaum sezer-
nierende Fisteln geheilt worden und geheilt geblieben. Pat. hat sich außerordent-
lich erholt.
Fall 29, v. l. c. S. 163. Resektion Artic. man., profuse Sekretion, phlegm.
Entzündung, eigentlich war es ein Amput.-Fall, Resektio, fistulöse Ausheilung, prof.
Sekretion, Besonnung. Sekretion versiecht bis auf eine wenig Sekret liefernde kleine
Fistel. Patientin hat sich sehr erholt, Rezidiv im Winter Auslöfflung, Heilung.
Fall 30, v. l. e. S. 163. Coxitis, Ankylosis, geheilt geblieben mit Beweglichkeit.
Fall 31, v. l. c. S. 163. Fr. seit 15 Jahren Tuberculosis des Fußgelenkes und
des Tarsus. Quere Resektion. Entlassen mit 2 kaum sezernierenden, kleinen
Fisteln; bedeutende Besserung des Allgemeinbefindens. Im Beginne des Jahres
1912 aufgenommen, Rezidiv, die Fistel eiterte wieder etwas stärker, Patientin äußerst
gekräftigt, verlangte aber mit Bestimmtheit die Amputation, wenngleich ich der Über-
zeugung war und dies aussprach, daß die Heilung durch Sonnenbehandlung zu er-
reichen wäre. Heilung durch Amputation.
Fall 33, v. l. e. S. 164. Pfannencoxitis durch Sonnenbehandlung dauernd ge-
heilt trotz starker Tuberculosis, Wiederkehr der normalen Beweglichkeit. 1. VII
1912, heute absolut gesund.
254 Bardenheuer,
Fall 34, v. l. e. S. 165. Kniegelenktuberkulose, dauernd gesund geblieben.
Fall 35, v.1.c. S. 165. Tub. vertebr. Jumb., ist gesund geblieben, trägt nur noch
einen Tutor zur größeren Sicherheit.
Fall 36, v. l. c. S. 000. Tuberkulöse Schulterentzündung, bedeutende Besserung
ist ständig, ist jetzt, 1912, geheilt.
Wie sich aus obiger Mitteilung ergibt, hatten wir von 36 Fällen, welche
im Sommer 1911 mittels Sonnenbestrahlung behandelt wurden, 8mal ein
Rezidiv, 4 ein leichtes, 1 Wiederaufbruch einer Fistel, welcher durch
Neuaufnahme der Besonnung bald geheilt resp. gebessert wurde, in einem
5. Falle (Fall 30) verlangte Patientin wegen eines Rezidives (Fistel-
bildung am Tarsus), da sie schon seit frühester Jugend an Tarsustuberkulose
litt, die Amputation; sie hätte umgangen werden können, in einem 6. Falle
(Fall 26) trat ein starkes Rezidiv der Tuberkulose der Thoraxwand ein und
mußte dieserhalb im Jahre 1912 eine ausgedehnte Resektion der Thoraxwand
ausgeführt werden, die Patientin ward in diesem Sommer bedeutend gebessert.
3 haben die Behandlung dauernd fortgesetzt und haben sich dauernd ge-
bessert. Fall 19 offene Tuberkulose beider Sychondr. beider Art. sacroiliacar.
leichtes Rezidiv. Einer starb, er verließ zu früh das Hospital, wenngleich
er bei der Entlassung bedeutend gebessert war, nachträglich an profuser
Eiterung eines stark eiternden fistulösen Hüftgelenkes, einer operiert wegen
Tuberkulose der 8 oberen linkss. Rippen, des Manubr. und corpus sternı,
wegen eines linkss. Empyems und Tuberculosis pulmorum; er starb an all-
gemeiner Tubercul. pulm. Es war anfänglich eine Besserung eingetreten,
nachher aber mit Unterbrechung der Sonnenbehandlung trat eine rasche
Verschlimmerung ein. Bei zwei von den anfänglich sehr gebesserten zeigte
sich im Winter ein Rezidiv, dieselben sind im Anfange des Jahres 1912
nach Leysin geschickt worden und mit unter den 8 Rezidiven verrechnet.
Die Berichte über das Befinden derselben lauten sehr gut: es waren dies
äußerst schwere Fälle. Fall15, allgemeine Tuberculosis mit 55 Fisteln, an-
fünglich außerordentliche Besserung, im Winter Rezidiv. Fall 7, Tuberkulose
des Craniums und der Sychondr. sacroiliaca, anfänglich außerordentliche Bes-
serung, fast Heilung, im Winter Rezidiv. In 7 Fällen ist das anfänglich
versteifte, geschlossene tub. Gelenk der Hüfte 5mal wieder beweglich ge-
worden, 1mal des Ellbogens, 1mal der Schulter. Ganz erstaunlich war
in den meisten Fällen von postoperativer tuberk. profuser fistulöser Eiterung
(lie rasche Abnahme der Sekretion, wodurch man wohl berechtigt ist. den
Sonnenstrahlen auch eine antiseptische Wirkung zuzusprechen und früh-
zeitig nach Operationen die Sonnenbehandlung aufzunehmen.
Unter den durch die im Sommer 1911 geheilten und geheilt gebliebenen
Fällen befanden sich 6 geschlossene Coxitiden, 1 der Schulter (50 J. alti, ein
Ellbogengelenk (Kind), 4 bei relativ alten Personen, eine 26 Jahre alte
Patientin. Fall 14, eine 18 Jahre alte Patientin, Fall 21, eine 19 Jahre,
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis. 255
Fall 11, und ein 17 Jahre alter Patient, Fall 12; in 3 von diesen Fällen
war das Gelenk stark versteift, der Tiefendurchmesser sehr vergrößert.
Die Patienten haben sich unter der Sonnenbehandlung sehr erholt, die
fehlende Beweglichkeit, die normale Konfiguration des Gelenkes sind wieder-
gekehrt. Fall 30, Patientin ist vollkommen geheilt, kann rasch und
sicher gehen.
Außerdem waren 2 Kinder unter den 36 Fällen mit geschlossener
Coxitis, eins von 11 Jahren, Fall 30, und eins von 9 J., Fall 33; ersterer
wurde bedeutend gebessert und fast geheilt entlassen, und setzte die
Behandlung zuhause fort bis baldige vollständige Heilung eintrat. Das
2. Kind, Fall 33, hatte eine Pfannencoxitis mit röntgenographisch nach-
weisbarer, starker tuberkulöser Ulzeration der Pfanne sowohl wie des Kopfes.
Heilung mit Glättung des Kopfes und der Pfanne. Die Ausfüllung der
fossa ılıaca, die starke Versteifung ist geschwunden. 1.VII. ist Patient
dauernd gesund, kräftig, trägt keinen Tutor.
Hiermit ist nichts bewiesen, auch früher heilten auch bei mir oft tuber-
kulöse Coxitiden aus, indessen nicht mit der Regelmäßigkeit, wie bei der
Sonnenbehandlung, und in so kurzer Zeit und mit Rückkehr (in 5 Fällen)
der absolut oder fast absolut verlorengegangenen Beweglichkeit. Es gilt
dies ganz besonders von dem letzten Falle (F. 33), wo die Gelenkflächen
zerfressen waren. und fernerhin in den 4 Fällen, wo die Patienten über
resp. nahe 20 Jahre alt waren, und wo eine starke Infiltration in der Um-
gebung des Gelenkes und eine absolute Versteifung bestand.
Besonders wirksam war die Sonnenbehandlung bei fistulöser
Ausheilung von totaler Resektion des Hüftgelenkes (mit Einschlubß
der Pfanne), wie im Falle 13, 17, 18, 22.
Ich hatte unter einer großen Anzalıl von Totalresektionen der Hüfte,
welche ich im Laufe der letzten Jahre ausgeführt hatte, 4 Fälle, welche
nicht ausheilen wollten, 2 wurden mehrmals, eine 4mal. eine 1 mal nach-
reseziert; die Fisteln haben sich alle dauernd geschlossen, nur im Falle 13
trat ein kleines oberflächliches Druckgeschwür-Intertrigo ein, welches in-
dessen durch Ausdünstung zwischen «den Rändern der tief eingesenkten
Haut an der Resektionsstelle entstand; es war keine Knochenfistel. Dies
Geschwür ward in 14 Tagen geheilt.
Diese Fälle demonstrieren ganz besonders die antiseptische Wirkung
der Sonnenstrahlen.
Handgelenkresektion.
Das gleiche kann ich bezüglich der Ausheilung von stark eiternder
fistulöser postoperativer Eiterung von 3 Handgelenkresektionen des J. 1911
berichten.
256 Bardenhener,
Fall 3, Lehrer: Ausgedehnte, fungöse Handgelenktuberculosis: er
war anderwärts zur Amputation bestimmt. Totale Resektion, es mußte
3mal nachresiziert werden. Die Hand blieb dauernd gleich geschwollen
und eiterte profus; erst mit der Besonnung im Sommer 1911 trat Heilung
in 4 Monaten ein, die Heilung ist eine dauernde. Patient litt gleichzeitig
an einem geschlossenen Abszesse der Synchondr. sacroiliaca, welcher durch
Besonnung ausheilte. Ähnlich lagen die Verhältnisse im Falle 9. Abso-
lute Heilung bei einem Patienten, welcher dauernd an periph. Tuberc. an
den verschiedensten Stellen gelitten hatte. Im Falle 29, eine 60 Jahre
alte Frau, eiterte nach der Totalresektion das Handgelenk dauernd (Patientin
litt seit 6 Jahren daran), die Totalresektion 1910 besserte auch den Zu-
stand wenig. Die dauernd starke Eiterung aus einer Fistel und die 3 cm
lange und 1'/, cm breite Granulation wurde erst dauernd durch eine
12 wöchentliche Sonnenbestrahlung geheilt.
Tuberculosis
der Synchondrosis sacroiliaca sah ich 1911 3mal: dieselbe gibt im all-
gemeinen eine sehr ungünstige Prognosis, in einem Falle (F. 3) war die-
selbe geschlossen, eitrig. Es bestand nebenbei, wie erwähnt, die Tuberkulose
des Handgelenkes. Dieselbe wurde geheilt durch eine 4monatliche Be-
sonnung (siehe oben). In einem Falle (7) ward die Resektion ausgeführt;
es bestand nebenbei Tuberkulose des Craniums. Durch die Besonnung trat
rasche Heilung ein, aber im Winter brachen beide Stellen wieder auf, das
Kind ging nach Leysin, wo komplette Heilung eintrat.
In einem Falle waren beide, nicht nnr die rechte (wie ich voriges Jahr
mitteilte), sondern auch die linke Synchondrosis tuberkulös.
Fall 19. Patientin wurde nach der Besonnung der postoperativen
Fisteln 1910 im Jahre 1911 von einem Rezidive befallen, es brach eine
wenig Sekret liefernde Fistel wieder auf, welche sich aber durch die Be-
sonnung bald wieder (1912) besserte.
Auch in diesen beiden letzteren Fällen bewährte sich im Jahre 1911
die Besonnung sehr; im ersten Falle aber ganz besonders, indem eine
spontane Resorption des Eiters und eine Ausheilung der tuberkulosen Syn-
chondrosis in 4 Monaten eintrat und dauernd blieb.
Andere Gelenke.
Auch bei den postoperativen Fisteln nach Resektion des Kniegelenkes,
des Fulsgelenkes, des Tarsus, Metatarsus, des Metacarpus, der Phalangen,
der Rippen bewährte die Besonnung sich stets und führte zur dauernden
Heilung; nur im Falle 15 mußte wegen Rezidiven die Patientin nach Leysin
geschickt werden; im Falle 1 trat bei C’aries der Wirbelsäule ein leichtes
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis. 257
Rezidiv ein, eine Fistel am Halse von 5 brach wieder auf, verkleinerte
sich aber nach der Sonnenbehandlung bald wieder. Und in einem Falle
von Tuberkulose des Tarsocruralgelenkes des ganzen Tarsus schickte ich auf
Drängen der Patientin, die schon jahrelang an dem Leiden gelitten hatte.
die Amputation nach.
Aus der Betrachtung geht hervor, daß mit dem Schwinden des
Sommers 1910 resp. mit der Unterbrechung der wirksamen Sonnenbehand-
lung die Besserung oft 8mal sistierte, resp. die Heilung einem Rezidive
Platz machte; unter 36 Fällen blieben 28 geheilt (siehe oben).
Jedenfalls ist der Erfolg bei der Sonnenbehandlung in einem heißen,
sonnenreichen Sommer sehr wirksam und leistet sehr viel.
In diesem Sommer lagen die Verhältnisse anfänglich ungünstiger. Auf
jeden Fall wäre das Ideal, daß man die Kinder in ein Sanatorium der
Schweiz schicken könnte, wie ich dies oben erwähnte.
Wir werden aber einstweilen für den Winter 1912 die Bestrahlung
mit elektrischer Bogenlampe oder mit der Quarzlampe oder mit der künst-
lichen Sonnenlampe versuchen, um wenigstens die nach meiner Überzeugung
höchst wahrscheinlich nicht zu entbehrende Sonnenbehandlung in etwas
zu ersetzen.
In diesem Sommer haben wir 46 Patienten behandelt. Ich habe jetzt
aber auch, weil ich die gute antiseptische Wirkung bei offener peripherer
Tuberculosis beobachtet habe, auch zuweilen infizierte, nicht tuberkulöse
Wunden bestrahlt.
Die Erfolge sind ja nicht so eklatant, wie im Sommer 1910, indessen
aber noch bemerkenswert und legen wiederum die Aufforderung nahe, auf
Hilfsmittel zum Ersatze der Sonnenbehandlung oder auf Mittel zur aus-
giebigeren Sonnenbehandlung zu sinnen.
Die Fülle sind kurz folgende:
Fall 1, Augustahospital.e. Heinrich Gemmerich, 7 Jahre. 23. VIII. 1911
operiert wegen Tub. extracapsuläre, Resectio genus, schlechtes Allgemeinbefinden; cs
bestehen noch zwei Fisteln, die stark sezernieren. Durch Besonnung nahm die Sekre-
toin rasch ab, und besteht nur noch eine kaum zu entdeckende Sekretion von sehr
wenig seröser Flüssigkeit; 4. VII. 1911, diese Fistel ist eng und oberflächlich.
Fall 2, Wachendorf, Herbst 14 Jahre, Aufnahme 23. III. 1912, Caries tuberc.
phlegmonodes der 5. Zehe des linken Fußes. Knochen ist druckschmerzhaft, All-
gemeinbefinden schlecht, wurde besonnt seit dem 23. III. Die Entzündung ist ge-
schwunden, das Allgemeinbefinden hat sich gehoben. Die Fistel ist geschlossen.
Patient ist 16. VII. 1912 geheilt entlassen.
Fall 3, Schumacher, 12 Jahre alt. 16. II. 1912 aufgenommen, Fungus cubiti
synovialis et oss. Die Beweglichkeit ist bedeutend behindert, im radiohumeral. Ab-
schnitte besteht an der hinteren Seite eine starke fungöse Anschwellung, die Gelenk-
bewegung ist für die Streckung und Flexion stark behindert. Das Gelenk ist stark
schmerzhaft. Es wird das Gelenk besonnt; die fungösen Massen haben abgenommen.
258 Bardenheuer,
sind heute 16. VII. ganz verschwunden. Die Schmerzhaftigkeit des Gelenkes und der
Knochen ist aufgehoben, große Besserung der aktiven Beweglichkeit, die Streckungs-
und Flexionsfähigkeit hat bedeutend zugenummen, eine komplette Heilung ist noch
nicht vorhanden, aber mit Sicherheit zu erwarten.
Fall4, Müller, Lorenz, 69 Jahre alt. 29. II. 1912, Fungus genus tuberc. syno-
vialis, trübseröses Punktat vorgeschritten, Tub. pulm., Sput. und Punktat Tuberkel-
bazillen enthaltend, sehr schmerzhaft bei Bewegung und auf Druck, Patient schr
heruntergekoummen, frühzeitig gealtert, senex, appetitlos. Besonnung im Gipsverbande,
1. VII. Schmerz hat schr abgenommen. der Appetit gut, das Allgemeinbefinden hat
sich gehoben, die Schmerzhaftigkeit ist geschwunden, die Schwellung ist außer-
ordentlich vermindert, trotz starker Lungenphtisis hat das Allgemeinbefinden sich
schr gehoben; Heilung trotzdem fraglich. Fall für Höhenbehandlung.
Fall 7, Wirz Henriette, 8 Jahre. 16. V. 1912, extracaps. Resectio cox. tub.
sin. totalis mit Einschluß der Pfanne. Es blieben danach stark sezernierende Fistel-
kanäle zurück.
Mit der Besonnung nahm die Sekretion rasch ab und heilten die Fisteln aus.
Fall 8, Schuh, Elise, 13 Jahre, ward am 20. VI. 1912 aufgenommen mit einer
Caries sicca des rechten Schultergelenkes; das Schultergelenk ist vollständig versteift,
schmerzhaft bei Druck und bei passiven Bewegungen. Behandlung: Extension und
Besonnung, worauf bald die Schmerzhaftigkeit schwindet, die Beweglichkeit sehr
zunimmt, heute 2. VIII. normal ist.
Fall9, Rademacher, Susanne, 43 Jahre. Caries tub. der Halswirbelsäule, stark
eiternde Fistel, offne Tub. des Sternum und der linksseitigen oberen Rippenknorpel
zahlreiche stark eiternde Fisteln, spina ventos. aperta. Tub. malleol. extern. Fisteln im
Rücken und am linken Hüftgelenke, Patientin ist schr schwach, appetitlos. 4. 1. 1912,
Jub. oss. multiloc; Behandlung bis April mit Jodoform und Glyzerin-Injektionen, seit
April mit Extension des Kopfes, Besonnung, sehr guter Effekt. Patientin erholt sich
sichtlich, Appetit gut, Patientin ist weit kräfuger, die Sekretion hat überall abgenommen,
viele Fisteln haben sich vollkommen geschlossen.
Trotzdem wird mit Sicherheit mit der Unterbrechung der Sonnenbehandlung der
ProzeB wieder aufflackern ; Pat. ist tür Leysin bestimmt.
Fall 10, Kuhn, H., 37 Jahre, 15. VL. 1911 aufgenommen, sehr schwach, alte
tuberkulöse Pfannencoxitis, leidet seit 16 Jahren an Coxitis, Bein steht in Flexion, Ad-
duktion, Senkungsabszeß in der fossa iliaca, fistulös, Totalresektion coxac, geräumige
Resektion eines großen Teiles des os il., os pub., os ischii, besonders des ersteren; Aus-
löfflung des großen intrapelvären Abszesses, welcher an der Innenfläche der ganzen
linken Beckenhälfte lag und nach oben bis über die Crist. ilei sich erstreckte, nach
unten bis unterhalb des Lig. Poup. Gipsverband, letzterer bleibt 8 Wochen liegen.
Der Wundverlauf war schlecht, kolossale profus. Eiterung, wandtellergroßer, phleg-
monöser Decubitus ad nates. Die Granulationswundränder waren klaffend, stellen-
weise 10 bis 15 cın breit, die Granulationswunde verlief von der äußeren Seite der
Diaphyse femor zur Spina ant. sup. weiterhin entlang der Crista ilei bis zum Kreuz-
beine ; quer zu dieser Wunde verlief eine ähnliche nach vorn zur Mitte des Lig. Poup.
Die Granulationen waren schlaff, fehlten vielfach vollständig, aus der Tiefe stießen
sich allmählich und stellenweise gangränöse Faseien ab. Der Fall war ein verzweifelter,
absolut hoffnungsloser. Ich hatte alle Hoffnung auf die Möglichkeit einer Heilung
aufgegeben. Erst von dem Augenblicke ab. wo ieh (April) die Besonnung einleiten
konnte, trat ein Umschwung ein. Die Wunde hat sich allmählich gewaltig verkleinert,
nur mit Mühe kann man noch etwas in die Tiefe eindringen resp. schauen, die Granu-
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis. 259
lationen sind fest, die Wunde ist stellenweise höchstens 1 cm breit, der Decubitus ist
fast verheilt, die Sekretion 14. VII. 1912 höchst gering, man kann nur 1l cm tief son-
dieren, niegendwo liegt Knochen frei. Es ist die Granulationswunde höchstens 200
bis 220 St. bestrahlt worden. Patient hat sich sehr erholt, hat sehr guten Appetit,
die komplette Heilung ist mit Sicherheit zu erwarten. Der Einfluß der Sonnenbehand-
lung war geradezu ein wunderbarer. Der Mann verdankt der Sonne sein
Leben; zur Sicherung des Erfolges ist die Höhensonnenbehandlug nötig.
Fallll, Neumeister, Heinr., 25 Jahre, aufgenommen mit einem Pyarthros
4.1V.1912. 14 Tage nach dem Beginn der Erkrankung, Februar 1912, im Anschlusse
an einen Fall, Inzision des Gelenkes allseitig, Drainierung; es fließt reichlich blutig-
serös-eitrige jauchige Flüssigkeit ab, die Eiterung an beiden Gelenkseiten war und blieb
eine profuse, so daß ich mehrmals die Amputation in Frage zog. Erst von dem
Augenblicke ab, wo ich die Sonnenbehandlung anwendete, vom 20. April ab, trat ein
vollständiger Umschwung ein.
Die Besonnung war und ist im Bürgerhospital, zumal bei Erwachsenen,
iiulerst schwer auszuführen, weil wir keine Veranden und nur einen relativ
kleinen Garten besitzen, und weil der Patient bei seiner Größe sehr schwer
zu transportieren war. Es wurde nur im April, Mai, Juni 1912 besonnt,
etwa 200—220 Stunden. 5. VII. 12. Der Erfolg war ein sehr guter.
Die vielen von den 4 Einschnitten herrührenden Schnitte haben sich bis
auf eine kleine, höchst enge Fistel geschlossen, Patient hat in den
letzten Monaten dauernd leichte aktive Bewegungen ausgeführt, welche ich,
wie allerwärts bei Entzündungen, frühzeitig ausführen lasse und diese
nicht nur zur Erhaltung der Funktion, sondern auch zur Einleitung, Er-
weichung und Resorption der entzündlichen Infiltration der jungen Narben-
gewebe durch die stärkere aktive Hyperämie, durch die Verhütung der
passiven Stauung des venösen Blutes für nötig erachte. Die Sekretion ist
serös, äußerst gering, die Beweglichkeit des früher gestreckt stehenden
ankylot. Gelenkes ist heute in einem Winkel von fast 90° möglich. Die
Einwirkung der vom Patienten selbst aufs gewissenhafteste und mit einer
wahren begeisterten Überzeugungstreue ausgeführte Besonnung war eine
vorzügliche. Die volle Gelenkbewegung wird erhalten bleiben.
Fall 12, Eberhard Mattuan, 26 Jahre alt, aufgenommen 1. V. 1912 wegen
einer sehr ausgedehnten septischen Phlegmone des rechten Oberschenkels ; die Phleg-
mone nahm 2/3 des Umfanges des ganzen Oberschenkels mit Ausnahme des hinteren
Drittels ein. Patient fieberte stark. Es mußten mehrmals große Inzisionen in der
ganzen Länge des Oberschenkels ausgeführt werden ; nekrotische Haut, Faszien
wurden in großer Ausdehnung abgetragen, so daß */s des ganzen Umfanges der Haut
und Faszien am Oberschenkel fehlte. Das Resultat der einmonatigen operativen
Behandlung war am 1. Juni eine kolossal ausgedehnte, in der oben beschriebenen Aus-
dehnung die vordere Fläche des Öberschenkels einnehmende Granulationsfläche.
Vom 1. Juni ab Besonnung.
Die Sonnenstrahlen haben einen großen Einfluß auf die Verheilung
sroßer Geschwüre, worauf auch Bernhard aus Samaden aufmerksam macht.
Das Geschwür hat sich durch eine 100 stündige Besonnung im Monat Juni
17
960 Bardenheuer,
durch rasche Epithelisierung sehr verkleinert, indessen läßt sich über das
Endresultat noch nichts Bestimmtes sagen, jedenfalls werden noch größere
Operationen, Transplantationen nötig. Der Fall gehört eigentlich nicht
hierher, da es sich um eine septische Erkrankung handelt; ich wollte ihn in-
dessen wegen des großen Heileffektes durch die Sonnenbestrahlung nicht
unerwähnt lassen. 2. VIII. die Verkleinerung der Wunde ist eine über-
raschende.
Fall 13, Textoris, Herm., 3l Jahre, alte, starke, fixierte Kyphysis, Caries
tuberc. der Brustwirbel seit dem 13. Lebensjahre ; aufgenommen 12. V. 1912 wegen
eines geschlossenen Senkungsabszesses an der Außenseite des linken Oberschenkels;
es bestehen vier Narben von alten Fisteln am Rücken. Behandlung 8 mal Punktion des
Abszesses und Besonnung seit einem Monate (44 St.), Abszeß wird dauernd kleiner, das
Allgemeinbefinden ist gut, Patient kräftiger, endgültiges Resultat steht noch aus, dagegen
ist 14. VII. AbszeB sehr viel kleiner geworden, so daß die komplette Resorption sicher
eintritt, Fall für Leysin.
Fall 14, Hauer, Carl, 20 Jahre, aufgenommen 17. II. 1912, leidet an Osteomye-
litis tub. genus mit folgendem starken Empyem des Kniegelenkes, Fieber; mehrmalige
Punktion, nachher Inzisionen des Kniegelenkes, an 4 Stellen, Drainierung zuletzt
6. V.extrakapsuläre Resektion. Einpflanzung der schmäleren Diaphyse des Femur
in die Tibia, Eiterung profus, Besonnung seit 17 Tagen 1. VII. 1912, Eiterung nimmt
an der äußeren Seite ganz bedeutend ab, ist an der inneren Seite weniger profus; zu
kurz besonnt, Resultat steht daher noch aus.
Patient wird besonnt seit Juni, 68 Stunden lang im ganzen, trotzdem ist der gute
Einfluß der Sonne nicht zu verkennen. Heute, am 12. VIII., ist der Erfolg ein sehr
guter. Die Eiterung nimmt rapide ab. Die komplette Heilung steht in Aussicht.
Der Erfolg hat sich erst gezeigt im sonnenreichen Juli. Fall für Hohensonnen-
behandlung.
Fall 15, Skeibert, Simon, 2 Jahre alt, Tubercul. der Articul. talocrural. dext.,
vor Jahren (1910) ward die Resektion wegen Tuberculosis ausgeführt. Am 6. IV. 1912
aufgenommen mit Rezidiv, 14. IV. 1912 Nachresektion des os. nav., eines Teiles
der ossa Cunef. I, II, III und Cub. Verkürzung der Nehnen, 6. IV. fistul. Ausheilung.
Starke profuse Sekretion. Besonnung vom 6. V. 1912 ab von morgens 8 bis abends 7,
rasche Besserung, Ausheilung trotz vieler Regentage vom 25. VI. bis 1. VII. 1912 bis
16. VII. 1912. Das geschwächte Kind ist sehr kräftig geworden, die Sekretion hat in
letzterer Zeit erst bedeutend nachgelassen, Dauerheilung noch fraglich. Fall für
Höhenbehandlung. Das Resultat der hiesigen Sonnenbehandlung zeigt Fig. 7 und
7a (vgl. I. Teil, S. 239).
Fall 16, Krügel, Erna, 9 Jahre, aufgenommen 19. IV. 1912, seit längerer Zeit
(3 M.) in ambulanter Behandlung wegen Tub. des Ill. und IV. Metacarpus und Re-
sektion derselben und des os hamat., unreiner Verlauf, starke Sekretion, außer-
dem Tub. der 4. Basalphalanx, Auslöfflung. Kind schr schwach. Besonnung seit
5. VII. Erfolg natürlich noch gering, 12. VIII. reine Wunde, Sekretion nimmt stark
ab. Das Kind ist viel kräftiger, Dauererfolg sehr fraglich. Höhenbehandlung wird
nötig.
Fall 17, Taube, Auguste, 18 Jahre, 18. IV. 1912 aufgenommen, offene Tub.
der Lendenwirbelsäule, in linker Leiste tub. Drüsen, dahinter Senkungsabszeß, leider
eröffnet. Profuse Eiterung. Besonnung erst seit 3. VlI. 1912, ohne sichtbaren Erfolg,
14. VII. 12 Eiterung äußerst profus. Erst in den letzten Tagen nimmt sie etwas ab.
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis, 261
Patientin erholt sich aber sichtlich; Fall für Höhensonnenbehandlung. Pat. ist
leider nicht aus Köln.
Fall 18, Schumacher, Wilhelmine, 19 Jahre alt, aufgenommen 15. IV. 1912,
multiple Caries column. vertebr. colli, phlegmonöser Abszeß in der Tiefe des Nackens,
ferner der linken 1., 2. und 3. Rippe unterhalb der Clavic., 8. Rippe in der Linea ma-
millaris, tub. Abszeß in der linken fossa iliaca. Leichte Parese beider Arme und ziehende
Schmerzen in beiden Armen, besonders im linken, sowie Parese des linken Beines durch
Druck aufs Rückenmark. 17. IV. 1912, Resektion der betreffenden 4 Rippen, Punk-
tion des Nackens und des Iliakalabszesses, Extension des Kopfes, leicht fistul. Aus-
heilung der Operationswunden von der Resektionsstelle der Rippen, leichte Sekretion.
Besonnung vom 6. VI. 1912 ab, von 10 vormittags bis abends 7 Uhr. Appetit bedeutend
gebessert, Infiltration am Halse weit geringer an Umfang, Kopf weit beweglicher.
Patientin weit kräftiger, Fisteln an den Rippen ausgeheilt, leichte Parese des linken
Armes und linken Beines besteht noch. Erfolg der Sonnenbehandlung ist eklatant.
Patientin hat sich sehr erholt; es bleibt indessen noch vieles bei der fortbestehenden
Lähmung zu tun übrig. Äußerst schwerer Fall, die Wirkung der Sonnenbehandlung
ist eine große, die dauernde Heilung aber fraglich. Fall für Höhenbehandlung. Pat.
ist leider nicht aus Köln.
Fall 19, Frau Schäfer, 33 Jahre alt, aufgenommen 2. VI. 1912, seit 7 Jahren
erkrankt. Caries des Corp. manubrium sterni, der 5 oberen Rippen links. Erste
Operation 5. V. 1910, Rippenresektion. Fall ist schon im Berichte 1911 erwähnt als sehr
guter Verlauf. Patientin hatte sich damals prachtvoll erholt. Die große Höhle war
ausgeheilt bis auf zwei Fisteln (Fall 26 1910), fast geheilt entlassen.
10. VI. 1912 wieder aufgenommen. 12, VI. fast totale Resektion des Manubr.,
des Corpus sterni, der Articul. sternoclav., der inneren Hälfte der Clavic., der vorderen
Hälfte der 8 oberen Rippen inkl. Kolossale Höhle der Pleura von mindestens 15 cm
Tiefe, 15cm Höhe, 10cm Breite. Einpflanzung eines Hautlappens von der äußeren
Thoraxhälfte.
Vom 19. VI. 1912 Patientin äußerst schwach. Besonnung von 10 Uhr morgens
bis abends 7 Uhr. Die profuse Sekretion nimmt rasch ab. Appetit vorzüglich, Patientin
erholt sich rasch. Urin rein; auch hier hat trotz derkurzen Besonnungeszeit vom 19. VI.
bis 7. VII. die Besonnung sehr gut gewirkt. Sekretion sehr gering, Wunde verkleinert
sich sehr, Patientin weit kräftiger, indessen bleibt der Bestrahlung noch vieles zu leisten
übrig; ich befürchte fast, daß, da die Tuberculosis von der Lunge ausgeht, beim
Aussetzen der Besonnung im Winter wiederum ein Rezidiv eintritt. Der Fall eignet
sich sehr für die Behandlung in Leysin.
Fa1ll120, Breiden, Joh., 6 Jahre alt, am 2. IV. 1912 aufgenommen. Tuberc.
multilocul. Hochgradige Spondylitis. tubere. Senkungsabszeß. Tub. am Hand-
rücken; im Metacarpo. phal. Gelenke des 2. Finger r., Abszeß am linken Oberschenkel.
Besonnung gegen 210 Stunden. Fisteln haben sich geschlossen. Abszeß 3 mal
punktiert, hat sich nicht neu gebildet. Allgemeine und lokale Besonnung. Kind hat
sich außerordentlich erholt, Allgemeinbefinden vorzüglich. Dauerheilung wahr-
scheinlich.
Fall 21, Bernhardt, Heinrich, 11 Jahre alt, 22. IV. 1912 aufgenommen,
Tub. multilocul., bohnengroßer tuberkulöser Abszeß am Ohrläppehen, in der rechten
Nierengegend hühnereigroßer Abszeß, leider inzidiert, Jodoformglyz.-Inject., Tubere.
der Basalphalanx des III. F. r., Tub. Caries des II. r. Metacarp. (Giesonnt 38 ganze,
12 halbe Tage gleich gegen 410 Stunden, allgemein und lokal.
17*
262 Bardenheuer,
7. VO. Ohrgeschwür sezerniert kaum noch, die Anschwellung am III. rechten
Finger und in der Mittelhand verschwunden, Fistel sezerniert nicht mehr. Abszel3 in
Nierengegend fast verheilt.
Sonneneinwirkung sehr gut, indessen ist Patientchen noch nicht ganz geheilt.
Das Kind hat sich außerordentlich erholt. Fall für Höhenbehandlung.
Fall 22. Mensch, Christian, 15 Jahre alt, aufgenommen 28. V. 1912, allgemein
und örtlich gesonnt gegen 290 Stunden. Wallnußgroßer Knochenherd in der linken
Femurepiphyse, starker intraartic. Erguß, starker Schmerz auf Druck, wie bei Be-
wegungen. 14. VII. nach Besonnung Erguß verschwunden, hervorragende Besserung
der Konstitution. Gelenk weit dünner. Dauerheilung wohl wahrscheinlich.
Fall 23, Schmidt, Franz, 6 Jahre alt, aufgenommen 1. V. 1912, Fungus talo-
cruralis sin., schwammige, fungöse Massen im Gelenke, Gelenk stark angeschwollen,
Bewegungen aktiv und passiv sehr eingeschränkt und schmerzhaft, allgemein und ört-
lich besonnt, gegen 315 Stunden. Konservative Behandlung durch Sonnenbehandlung
war bei der Nässe des Sommers anfänglich zu wenig aussichtsvoll und hatte in der Tat
bis 24. VI. auch wenig Erfolg, als daß man bis zum Herbste einen kompletten Erfolg
erwarten konnte; daher
24. VI. 1912 Resektion, um alsdann Besonnung nachfolgen zu lassen. Aus-
heilung mit sehr starker Sekretion.
12. VII. nach 24 Tagen Besonnung, Sekretion noch reichlich, aber doch bedeutend
vermindert, entzündliche Infiltration sehr verringert.
Fall24, Voelsgen, Paul, 14 Jahre alt, aufgenommen 11. V.1912, Caries cranii.
tub.; markstückgroße Knochenerosion schmierig belegt.
1. VII. nach zweimontiger Besonnung wenig Erfolg. Wunde noch tot, leblos,
schmierig belegt, (16. IV.) seit 14 Tagen bessere Sonne, Erfolg sehr gut, bis auf einen
Rest zugeheilt.
Fall 25, Thelen, Bertha, 7 Jahre, Tub multilocul., aufgenommen 9. XII. 1911,
Fungus talocruralis dext., der Rippen, Fußwurzeltub. links. Anfangs Dezember 1911
Resektion.
1. V. 1912 zahlreiche Fisteln, bleiben in der ganzen Resektionswunde übrig,
Fuß klumpig, stark angeschwollen. 1. V. profuse Eiterung. Allgemeine und örtliche
Besonnung bis 14. VII. 1912, Schwellung hat sehr abgenommen. Das Allgemein-
befinden hat sich sehr gehoben, Sekretion hat sehr abgenommen, Schwellung weit
geringer.
1. Metatarsus geheilt.
Rippencaries geheilt. Komplette Heilung steht noch aus, ist auch etwas fraglich,
für Höhenbehandlung geeignet.
Fall 26, Rothgang, Katharina, 6 Jahre, aufgenommen 16. IV. 1912, Tub.
multilocularis. Tubercul. am rechten Unterarme, tub. Ulzeration am linken Fuß-
gelenke, im unteren Drittel des rechten Unterschenkels tub. Fistel, faustgroßer AbszeB
am l. Unterschenkel.
29. IV. Punktion der Abszesse. Jodoforminjektion. Allgemeine und lokale
Besonnung vom Mai ab bis 12. VII. 1912, Abszeß am Unterschenkel verschwunden.
Fistel am linken Unterschenkel trocken. Ulzeration am rechten Unterarm sehr ver-
kleinert, ganz trocken. Allgemeinbefinden vorzüglich.
Fall 27, Weber, Anna, 7 Jahre alt, 15. IV. 1912 aufgenommen, Tubercul.
multilocul. 15. IV. rechter Zeigefinger exartikuliert, in der Exartikulationsnarbe
mehrere Fisteln, kleine Abszesse, großer tub. Abszeß am linken Unterschenkel. Punk-
tion ; haselnußgroßer Abszeß am III. rechten Metakarpalknochen.
Die Sonnenbehandlung der periphereu Tuberculosis. 963
Blepharit. scrof. am linken Augenlide.e. Behandlung allgemeine und lokaie Be-
sonnung. Ulzera am Exartikulationsstumpfe ausgeheilt. Blepharitis verheilt. Ab-
szeß am linken Unterschenkel nach Punktion ausgeheilt. In diesem Sommer kom-
plette Heilung noch zu erwarten. Resultat gut. Vorzügliches Allgemeinbefinden.
2. VIII. ist komplett geheilt.
Fall 28, Hoffmann, Cäcilia, 12 Jahre alt, aufgenommen 26. IV. 1912. Fistula
colli stark sezernierend, nach Caries der Wirbelsäule im vorigen Jahre besonnt, Rezidiv
v. Fall 1 1911. Es wurden damals 5 Fisteln ausgeheilt, das Kind vorher bis zum Skelette
abgemagert, hatte sich sehr erholt. Patientin kehrt, wenngleich es im Waisenhause
befindlich und gut ernährt wurde, sehr geschwächt wieder.
26. IV. 1912, die Halsfistel ist wieder aufgebrochen, sezerniert stark. Sonnen-
behandlung gegen 360 Tage lokal. 7. VII. die Halsfistel sezerniert weit weniger, das
Kind hat sich wieder sehr erholt. Eignet sich für Höhensonnenbehandlung.
Fall 29. Risse, Dorothea, 10 Jahre alt, aufgenommen 8. V. 1912, sehr herunter-
gekommenes Kind, äußerst schwach, äußerst bleich, Urin eiweißfrei, mannskopfgroßer
Abszeß an der hinteren Seite des Oberschenkels nach Spondylitis war leider in großer
Ausdehnung inzidiert; Leistenfistel, profuse Eiterung.
8. V. 1912, Bosonnung lokal.
1. VII. 1912, hat anfänglich leider wenig Einfluß, Kind ist äußerst schwach,
Sekretion ist etwas vermindert nach einer zweimonatlichen Besonnung, Prognose sehr
ungünstig. Erst seit der besseren Besonnung im Juli Abnahme der Eiterung; eignet
sich für Höhensonnenbehandlung.
Fall 30, Linnemann, Auguste, 7 Jahre alt, aufgenommen 15. VI. 1912, Fungus
tub. articul. genus dext., seit 3 Monaten in ambulanter Behandlung ohne Erfolg,
Aufnahme nicht gestattet, vor 3 Wochen entstand durch Fall eine Fract. supra con-
dyloidea dextr., daher Aufnahme. Streckverband und Besonnung, 2. VII. Abnahme der
Knieschwellung; Zeitraum der Sonnenbehandlung zu gering, um großen Erfolg zu
haben, trotzdem ist die Besserung unverkennbar. 14. VII. 1912, das Gelenk ist weit
dünner, schmerzlos komplette Heilung noch in diesem Sommer zu erwarten. 2. VII
eingetreten.
Fall 31, Römlinghofen, Lina, 5 Jahre, aufgenommen 25. VI. 1912, Fungus
talocrur. dext. Seit 2 Monaten ambulatorische Gipsverbandbehandlung, starke
Schwellung und große Schmerzhaftigkeit des Fußgelenkes ist bestehen geblieben,
Kapsel stark verdickt.
14. VII. trotz kurzer Behandlungsdauer (20 Tage) ist nach den wenigen Besonnungs-
tagen die Schmerzhaftigkeit geschwunden, Schwellung stark zurückgegangen. Der
Erfolg ist ein guter zu nennen. 2. VIIl. eklatante Besserung.
Fall 32, Bongardt, Emilie, 8 Jahre alt, aufgenommen 22. II. 1912, Tuberc.
multilocul. Tub. des rechten os. zygomatic., kleiner apfelgroßer Abszeß, Haut ver-
dünnt, nekrotisch. Kornealgeschwür, Konjunktivitis. Rechtes Ohr haselnußgroßer
Abszeß, nachher tub. Ulzeration., Ekzem an den Nasenöffnungen, Abszeß in der linken
Fußsohle. 18. VI. Punktion des letzteren, Besonnung lokal und allgemein.
AbszeßB am Auge ausgeheilt bis auf eine geringe Sekretion. Ohrgeschwür, Nasenekzem,
Konjunktivitis geheilt, Abszeß in Fußsohle fast der Heilung nahe. Allgemeinbefinden
vorzüglich, bedeutende Besserung. 2. VIII. komplette Heilung.
Fall 33, Massen, Hermann, 1 Jahr alt, aufgenommen 2. V. 1912, Tub.
multilocul; Fungus gen. dext., Spina ventos. der Basaphalanx poll. sin. et digit., secund.
dext., Abszeß orbitalis sin,
Spondyl. vertebralis des I. und II. Rückenwirbels. Früher ward im November
264 Bardenheuer,
im Kinderhospital das rechte Kniegelenk reseziert, Lymph. colli. Das Kind war
äußerst schwach, so daß es vom Arzte aufgegeben war und als der Behandlung nicht
mehr bedürftig bezeichnet.
11. V. 1912, Nachresektion, Gipsverband, fistulöse Ausheilung mit reichlicher
Sekretion, Sonnenbehandlung (gegen 410 Stunden) ; die Fisteln am Knie ausgceheilt,
ebenfalls an beiden erwähnten Basalphalangen und am Auge, 14. VII. 1912, ganz auf-
fallende Besserung des örtlichen und des Allgemeinleidens; das Kind hat sich außer-
ordentlich erholt; komplette Heilung noch fraglich. Fall für Höhenbehandlung.
Fall 34, Nicolai, Elise, 1 Jahr, aufgenommen 2. I. 1912. Seit September
1911 Flexion des linken Beines im Hüftgelenke. 2. I. 1912, Stat. praes. Oberschenkel
flektiert, abduziert; ankylotisch, Adduktion und Rotation aufgehoben, starke Vergröße-
rung des Tiefendurchmessers, große Schmerzhaftigkeit bei passiven Bewegungen und auf
Druck hin, Gipsverband angelegt, entlassen zur ambulat. Behandlung.
17. V. 1912 wieder aufgenommen, Schmerzhaftigkeit in Hüfte hat sehr zuge-
nommen, rechtes Knie mit affiziert, tub. Fungus.
17. V. 1912, Extension, lokale und allgemeine Besonnung, 4. VII. bedeutende
Besserung, Kniegelenk weit dünner, Schmerzhaftigkeit in beiden Gelenken weit weniger.
Allgemeinbefinden sehr gebessert. Komplette Heilung fraglich, ev. Fall für Höhen-
behandlung.
Fall 35, Mainz, Karl, 31, Jahre, aufgenommen 20. IV. 1912, Skrofulodermata an
13 Stellen des Körpers mit subcut. Abszeßbildung. Allgemeine und lokale Besonnung
gegen 225 Stunden, äußerst rasche Heilung. 18. VII. 1912. Es besteht nur noch ein
subkutaner Abszeß des, Fußgelenkes an der äußeren Seite. Komplette Heilung wohl
sicher, Fall für Höhenbehandlung.
Fall 36, Peheye, Peter, 2 Jahre, aufgenommen 15. V. 1912, Osteomyelitis tub.
multiloc., eitrigtuberc. Gelenkentzündung, Empyem des linken Kniegelenkes, Anky-
losis in Streckstellung, hohes Fieber, lateral und medial je 2 Inzisionen. Drainierung
des Gelenkes. Abszeß an der linken Clavicula, Inzision, subperiod. Resektion der
Clavic. 20. VI. Caries costar. V.und Vl sin., Resektion der kariösen Rippen. Es blieben
allerwärts Fisteln zurück, welche gegen 255 Stunden besonnt wurden. 14. VII. 1912
Fisteln zum großen Teile geschlossen, Bewegungen des anfänglich ankylot. Kniege-
lenkes in mäßigem Grade möglich. Resektionswunden der Rippen vernarbt. All-
gemeinbefinden gebessert. Besserung hat erst eingesetzt seit Anfang Juli, seit der
intens. örtlichen und allgemeinen Bestrahlung. Fall für Höhenbehandlung.
Fall 37, Kausen, 63 Jahre alt, 21. XII. 1911, wegen Lymph. colli. Wieder-
aufgenommen wegen Rezidive, ausgedehnte, phlegmonöse Hauttuberkulosis im ganzen
vorderen Abschnitte des Halses, die Drüsen in der Tiefe sind in der gleichen Ausdehnung
infiltriert. Es bestehen zum mindesten 12 Fisteln, wobei die verdünnte bläuliche
Haut perforiert ist. Die vordere linke Axillarwand ist in ähnlicher Weise phlegmonös
infiltriert und stellenweise, wie bei ‘der charakteristischen bekannten subkutanen
Tuberkulosis in der Nasolabialfalte von einem fingerbreiten und fingerlangen Wulste,
ähnlich einem aufgelagerten Blutegel bedeckt, wobei die verdünnte livide bläuliche
Haut durch weiche tuberkulöse Granulationen abgehoben ist. Die Axilla ist mit
tubereul. Drüsen ausgefüllt. Die Berührung der vorderen Axillarwand sowie des
Halses ist äußerst schmerzhaft. Patient ist sehr schwach, verweigert jeden operativen
Eingriff. Lunge tub. Patient hat sich unter der Besonnung sehr erholt, schwerer
Fall, eignet sich für Höhensonnenbehandlung.
Die Sonnenbehandlung, welche von Anfang April bis 8. VIT. aus-
geführt wurde, hat außerordentlich schön gewirkt, Patient hat sich erholt.
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis. 965
hat mehr Appetit, die Infiltration am Halse ist bedeutend geringer geworden,
mehrere Fisteln haben sich geschlossen, Patient fühlt den wohltätigen Ein-
Hui der Sonnenstrahlen und sehnt sich nach denselben. Trotz der vor-
züglichen Wirkung ist der Sommer nicht lang genug, um eine komplette
Heilung zu erzielen. Es ist dieser Fall für Leysin geeignet. Heilung auch
dort noch fraglich.
Fall 38, Hensch, 62 Jahre alt, aufgenommen 7. V. 1912, wegen Tuberculosis
dı-s Metacarpo-Phalangealgelenkes des rechten Daumens und der Haut über demselben.
Dieselbe war in einem oblongen, fingerlangen Wulste abgehoben. Sonnenbehandlung.
Patient war sehr obstinat und sonnte wenig. 18. VI. 1912, entlassen. Der Wulst hatte
sich trotzdem auf die Hälfte verdünnt und verschmälert.
Fall 39, Griesberg, 40 Jahre alt, 8. VI. 1912, Lymphomatosis colli tuberc.,
stellenweise erweicht und Hauttubercul. Rezidiv, nach Exzision im Jahre 1910 gleich
besonnt. Patient ist sehr eifrig, die Drüsen haben sich um die Hälfte verkleinert.
Fall 40, Linkemeyer, 34 Jahre alt, 5. VI. 1912 aufgenommen mit Discisio
traumat. tendin. antibrachis. Sehnennaht, nach 4 Tagen Besonnung, weil die Wunde
etwas unrein war. Rasche Heilung. 3. VII. 1912 geheilt mit erhaltener Beweglichkeit
entlassen. Der Fall gehört eigentlich nicht hierher.
Fall 41, v. K. Kaplan, 30 Jahre alt, Hydrops genus tuberc., 6. V. 1912 aufge-
nommen, war wegen Tub. pulm. in Davos, Behandlung daselbst mit Höhenluft und
Injektion von Tuberkulin bedeutende Besserung. 6. V. 1912 trat leichter Spitzen-
katarrh, Erguß ünd fung. Massen im Kniegelenke. Behandlung: gefensterter Gips-
verband und. Besonnung, wenn keine Sonne, so Schwammkompression. 8. VII. 1912,
bedeutende Besserung, Patient hat sich sehr gekräftigt. 3. VIII. verläßt bald
geheilt das Hospital. |
Fall 42, Doering, Kind, 12 Jahre, Essen, 10. VI. 1912 aufgenommen, Tuberc.
des linken Handgelenkes, Handgelenk stark angeschwollen, auf Druck schmerzhaft,
Bewegungen behindert. Behandlung: gefensterter Gipsverband, Besonnung. 7. VII.
entlassen. Schwellung, Schmerzhaftigkeit bedeutend geringer, indessen Behandlung
von zu kurzer Dauer.
Fall 43, Sch., candid. theol., 24 Jahre alt, leidet seit ! | ‚ Jahr an beständigem
Ausschlag am Halse unterhalb des Unterkiefers in der ganzen Breite desselben; Fu-
runkulosis. Behandlung mit Seifenwaschungen, 2 mal täglich und darnach Abwaschung
mit Alkohol, zuletzt mit 1 :1000 Sublimatlösung. Bedeutende Besserung. Indes voll-
kommene Heilung erst bei der gleichzeitigen Besonnung.
Fall 44 und Fall 45. Zum Schlusse erwähne ich noch zwei Fälle von totaler
Resektion des Ellenbogengelenkes bei einem Knaben; erstere bei einem 14 Jahre
alten und zweite bei einem 60 Jahre alten Manne. Beide Resektionen waren mit
leichten, wenig Sekret spendenden Fisteln ausgeheilt. Die Besonnung heilte dieselbe
in 14 Tagen aus. Ich bezweifele es, daß diese Fisteln so rasch ohne Sonnenbehandlung
ausgeheilt wären.
Fall 46, geschlossenes, tubereul. Kniegelenk, welches im Jahre 1912 gebessert
wurde und noch dauernd in Behandlung blieb: erst in diesem Jahre ist diese bedeutende
Besserung zu konstatieren.
Im ganzen habe ich 465 Fälle mit Sonnenstrahlen behandelt. Mit
Ausnahme von einigen wenigen Fällen (6) handelte es sich stets um Tuber-
eulosis, Imal um eine Furunkulosis; ich habe die Besonnung nach Sehnen-
206 Bardenheuer,
verletzung fmal, bei sept. Phlegmone imal und bei leichter postoperativer
Infektion 2mal mit sehr raschem Erfolge in Anwendung gezogen, weil ich
in der Praxis bei der Behandlung der Tuberculosis die Erfahrung gemacht,
daß bei fistulöser Ausheilung von einer Resektion wegen Tuberculosis, z. B.
wegen eines tuberk. Gelenkes, die Besonnung oft sehr rasch die Sekretion
einschränkte und die Fisteln meist 2mal bei einer Ellbogenresektion inner-
halb 14 Tagen zum kompletten Verschlusse führte.
Besonders wirksam fand ich die Besonnung in Fällen, wo ich vorher
trotz langdauernder, zweckentsprechender Behandlung, trotz der oft sogar
mehrmalig der ersten Resektion nachgeschickten Nachresektion des Ge-
lenkes keine Heilung erzielen konnte, z. B. bei totaler Resektion wegen
Hüftgelenkpfannentuberculosis; ich erzielte hier durch die Besonnung in ver-
zweifelten Fällen eine komplette Ausheilung. Es entspricht dies der ab-
tötenden Wirkung der Sonnenstrahlen auf alle Arten von Bakterien, be-
sonders von Eiterkokken, wie wir dies eingangs schon hervorhoben; es wird
dies übrigens auch heute von den Bakteriologen und Anstaltsärzten mit
Recht hervorgehoben.
Unter den 40 Fällen von Tuberculosis waren 10 leichte und solche Fülle,
welche nur einige Tage besonnt werden konnten. Diese Fälle scheide ich
von der Besprechung aus, ich habe sie aber mit Absicht erwähnt, um ev.
im nächsten Jahre, wenn’s nötig werden sollte, auf dieselben zurückkommen
zu können. Es befinden sich unter den Fällen viel operierte aus dem ein-
fachen Grunde, weil bei schweren Fällen nach den Erfahrungen aus dem
vorigen Jahre keine Aussicht vorhanden ist, daß sie im Laufe zumal dieses
anfänglich sonnenarmen Sommers ausheilen könnten und welche ich dieser-
halb operierte.
Unsere Hospitalverhältnisse sind zur Besonnung recht ungünstig. Ich
kämpfe nach allen Seiten hin mit großen Schwierigkeiten, um gewisser-
maßen dem Tage einige Sonnenstunden abzuringen. Das Hospital, ein
Blockhospital mit 520 Betten auf einem Terrain von 5 Morgen aufgebaut,
hat nur einen selır kleinen freien Luftraum: Veranden besitzen wir nicht.
Der Garten ist äußerst schmal und von naheliegenden Häusern umgeben,
so daß ganz besonders die allgemeine Besonnung schon wegen den Zu-
schauern aus den benachbarten Häusern oder wegen der im Hospital not-
wendigerweise verkehrenden Personen äußerst schwierig ist. Auf die all-
gemeine Besonnung lege ich gerade wegen der Vermehrung des Stoffumsatzes
einen großen Wert. Die Patienten müssen in dem Blockhospital aus
relativ großer Entfernung von den verschiedenen Stockwerken (3) in den
Garten getragen werden, wodurch der Krankendienst, die Verpflegung usw.
in (lem relativ entfernt liegenden Garten sehr erschwert werden. Dies ist
ganz besonders der Fall, wenn die Patienten vom Regen überrascht.
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis. 267
werden, womit ein ebenso schwerer Rücktransport beim Fehlen einer
üderdeckten Halle nötig wird. Trotzdem habe ich konstatieren können,
daß das überlastete Wartepersonal, unter dem Eindrucke der großen
Wirksamkeit der Sonnenbehandlung stehend, zumal die Schwestern.
die Mehrarbeit, ich möchte sagen trotz zeitweiliger Klagen mit einer ge-
wissen Begeisterung übernahmen. Ich habe ferner konstatiert, daß die
allgemeine intensive Besonnung selbst bei kurzer Dauer von 8—14 Tagen
so äußerst wirksam den Appetit anregt, die Kräfte hebt und das lokale
Leiden besesrt. Es besteht augenscheinlich eine Wechselwirkung zwischen
der Hebung der Konstitution und dem lokalen Leiden.
Ich muß bekennen, daß ich mich alltäglich auf das Wiedersehen der
Besonnten zumal in den letzten Sommertagen des Monates Juli freue; man
kann in der Tat in dieser schönen Sommerzeit alle paar Tage diesen oder
jenen Fortschritt konstatieren. Innerhalb einiger Tage fühlen die Patienten
sich wohler, kräftiger, sind heiterer, verlangen selbst nach der Sonnen-
behandlung und wünschen Sonnentage herbei. Patienten, bei welchen die
allgemeine Sonnenbehandlung aus obenerwähnten örtlichen Gründen
nicht anzuwenden war, erholten sich sichtlich weit langsamer, als die
anderen Kinder, welche dieselbe genossen; die Heilung des peripheren Herdes
vollzog sich gleichfalls weit langsamer. Bei allen Patienten ohne Ausnahme
war nach einiger Zeit das Resultat der Sonnenbehandlung eine starke
Kräftigung des Gesamtorganismus.
Ich habe die Fälle eingeteilt in sehr schwere, schwere und leichte.
Im ganzen habe ich 46 Fälle besonnt, darunter 6 nichttuberkulöse,
10 leichte Fälle, somit im ganzen 16, welche ich ausscheide; es bleiben
noch 30 tuberkulöse Erkrankungsfälle, hiervon waren 19 sehr schwere Fälle,
11 mittelschwere. Unter den sehr schweren Fällen befinden sich 10 über
20 Jahre, 9 Kinder: Fall 4, 9, 10, 11, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 23.
25, 29, 33, 34, 35, 36, 37, im ganzen 19.
Ich nenne sehr schwere Fälle, wo multiple Tuberculosis neben Tuber-
culosis eines Hauptgelenkes oder wo neben einem großen, tuberkulösen
Gelenke oder Spondylitis, eine offene starke Eiterung besteht usw., oder
wenn mehrere Hauptgelenke befallen sind.
Unter den 30 Fällen befanden sich 11 mittelschwere Erkrankungen.
Die mittelschweren Erkrankungen sind folgende Fälle: 3, 13, 21, 22, 26.
30, 31, 32, 41, 42, 46.
Mittelschwere Fälle nenne ich solche, wo eine geschlossene Tuberc.
eines selbst großen Gelenkes bestelit oder wo nach Resektionen nur einige
wenig spendende Fisteln übriggebliebeh sind, oder wo ein geschlossener
Senkungsabszeß bei tub. Osteomyelitis vertebr. besteht, oder wo bei mul-
tipler Tuberculosis nur kleinere Knochengelenke befallen sind usw.
268 Bardenheuer,
Der Erfolg war in den sehr schweren Fällen für die Hebung der
Kräfte bezüglich der Anregung des Appetites stets ein sehr guter.
Im Falle 4 war der Erfolg ein eklatanter, ein sehr guter, das fung.
Gelenk ist weit dünner, wenngleich es sehr fraglich ist, ob er bei seiner vor-
geschrittenen Lungentuberc. und bei seinem Alter eine komplette Heilung
erzielen wird. Fall für Leysin.
Gleichfalls im Falle 9 war der Erfolg ein ganz wunderbarer; die
vielen Fisteln am Thorax, der Spina vent., des Malleol. ent.; der Wirbel-
caries, der Fisteln im Rücken, an der Hüfte haben sich zum großen Teile
geschlossen. Patientin hat sich sehr erholt; Patientin war aufgegeben.
Fall für Leysin.
Im Falle 10 bestand nach einer Pfannenresektion der Hüfte eine
kolossale, stark eiternde, jauchende Wunde; ich hatte den Patienten auf-
gegeben. Patient geht der Heilung mit Sicherheit entgegen; er verdankt
der Sonne das Leben und wird geheilt; indessen auch für Leysin geeignet.
Im Falle 11 bestand nach der Drainierung eines jauchig eiternden
Kniegelenkes eine nicht zu beherrschende Sekretion. Der Erfolg war ein
außerordentlicher. Das Gelenk ist fast geschlossen, die Gelenkbewegung
wird erhalten. Er wird sicher komplett geheilt.
Im Falle 14 war der Erfolg ein sehr guter; es bestand eine profus
jauchige Sekretion nach Resektion des Kniegelenkes: der volle Erfolg trat
erst ein mit der wirksameren Besonnung im Juli, die Sekretion ist kaum
nennenswert, das Gelenk wird ausheilen. Fall für Leysin.
Im Falle 15 trat auch erst eine bedeutende Besserung mit der
intensiveren Besonnung im Juli ein, starke profuse Eiterung mit einem
Rezidive und nach einer Resektion des tuberkulösen talocruralen Gelenkes.
wird in der Höhe wohl ausheilen. Fall für Höhensonnenbehandlung.
Im Falle 16 ist der Erfolg auch erst im Monate Juli eingetreten,
bedeutende Besserung. Caries tub. mehrerer Metacarpalknochen; fraglich,
ob komplette Ausheilung. Fall für Höhenbehandlung.
Im Falle 17 profuse Sekretion eines Senkungsabszesses als Folge von
Spondylit. tub. Der Einfluß der Sonne macht sich erst in den letzten
Tagen (ist sehr kurz besonnt) etwas geltend; einstweilen noch geringer
Erfolg. Fall für Leysin. Leider keine Kölnerin, so daß die Zulassung
zur Höhenbehandlung fraglich ist.
Im Falle 18 multiple Caries der 1., 2., 3. und 8. Rippe, der Colum.
vertebr. cervicalis, tuberkulöser Senkungsabszel} in der foss. iliaca usw. Die
Wirkung ist eine vorzügliche, die komplette Heilung ist doch noch frag-
lich wegen der nachher im Winter, ehe die komplette Heilung erzielt
ist, eintretenden Unterbrechung der Sonnenbehandlung: dies wäre ein Fall
für Höhenbehandlung.
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis. 269
Im Falle 19, ein äußerst schwerer Fall Tuberculosis der vorderen
rechtss. Thoraxwand, großes Rezidiv vom J. 1911, Rezidiv der 8 oberen Rippen
und teilweise des Brustbeines, profuse Eiterung. Die große Höhle ver-
kleinert sich unter der Besonnung äußerst rasch, so daß bei fortgesetzter
Besonnung auf der Höhe mit Sicherheit eine komplette Heilung erzielt
würde. Fall für Leysin.
Im Falle 20 multilocul. Tuberc., hochgradige Spondylit., offener
Senkungsabszeß, sehr guter Erfolg, komplette Heilung ist möglich; Fall
für Leysin.
Fall 23, Kind: Resektion des talocrural. Gelenkes, prof. Eiterung,
16/XIl, Besonnung seit einem Monate. Sekretion stark vermindert. Er-
folg gut. komplette Heilung fraglich. Fall für Leysin.
Fall 25: Tuberc. multilocul. r. Rippen, 1. Tarsus. Resektion, pro-
fuse Eiterung. Erfolg sehr gut. Komplette Heilung möglich; Fall für Leysin.
Fall 29: Großer stark eiternder, weit inzidierter Senkungsabszeß nach
Spondylitis, erst leichter Erfolg seit der kräftigeren Besonnung im Juli.
Fall für Leysin.
Fall 33: Tub. multilocul., Tub. genus, der Phalangen, des Os zygomatic.
im Kinderhosp. Reseziert Lymph. colli, äußerst schwaches Kind, fast
moribund, aufgegeben. Nachresektion, Besonnung 410 Stunden, außer-
ordentliche Wirkung der Sonne, indes komplette Heilung sehr fraglich.
Fall für Höhenbehandlung.
Fall 34: Hüft- und Kniegelenktuberc.; bedeutende Besserung, kom-
plette Heilung fraglich. Fall für Höhenbehandlung.
Fall 35: Tub. Abszesse an 13 Stellen. Heilung bis auf einige Herde;
sichere Heilung nur wahrscheinlich, daher Fall für Höhenbehandlung.
Fall 36: Tub. des 1. tibio-tars. Gelenkes. Tub. multilocul. der Rippen.
Empvem des Kniegelenkes, hohes Fieber, Drainierung.
Fall 37: Ausgebreitete Tuberc. der Drüsen und Haut, des Halses
und der l. Axilla: sehr schwacher dekrepider Herr. Die Besonnung hat
sehr gut gewirkt. Heilung nur möglich auf der Höhe.
Unter den 19 Fällen mit schwerer Tuberculosis hatte die Sonnen-
behandlung 13mal eine vorzügliche Wirkung und steht in 7 Fällen eine
komplette Heilung zu erwarten, in 17 Fällen wird trotz der guten Wirkung
der Sonnenbehandlung wahrscheinlicherweise mit der Unterbrechung der
Sonnenbehandlung der Zustand sich wieder verschlechtern, sie sind im
Winter der Höhensonnenbehandlung bedürftig. Es beantwortet dies allein
schon die Frage, ob man die Tuberculosis nicht auch in der Ebene be-
handeln könne. In 6 Fiillen ist nur eine Besserung, 3mal überhaupt eine
Besserung, 2mal eine bedeutende Besserung erzielt worden. 2mal wird
auch hier eine Höhenbehandlung im Winter nötig. Am schlechtesten sind
270 Bardenheuer,
. die Erfolge bei profus eiternden offenen Senkungsabszessen wegen Spondvlitis:
einen wesentlichen Ausschlag gibt hierbei auch noch das Bestehen und der
Grad der Tuberculosis in den Lungen.
In allen Fällen, selbst in den Fällen, wo anfänglich die Wirkung der
Sonne örtlich eine geringe war, z. B. 2mal bei prof. eiternden Senkungs-
abszessen, stellte sich zuerst ein relativ besserer Allgemeinzustand ein und
in den schönen Tagen des Monates Juli auch selbst zusehende Besserung
des örtlichen Zustandes, die Eiterung nahm selbst hier sichtlich ab. In
den Fällen? wo aus den obenerwähnten Gründen nur örtlich besonnt
werden konnte, war der Verlauf ein weit weniger guter. Die allgemeine
Besonnung kann daher nicht entbehrt werden.
Die meisten der mittelschweren Fälle waren Kinder und zeichneten
sich aus durch die Multiplizität der Erkrankungsherde, wodurch für die
konservative Behandlung die Prognosis auch oft sehr ungünstig wird, so daf3
sie dieserhalb auch zu den schweren Fällen gerechnet werden könnten.
Man operiert hier oft ohne Sonnenbehandlung einen Herd nach dem andern,
um alsdann wieder nach kurzer Zeit ein neues Gelenk befallen zu sehen.
Hierdurch leidet die Konstitution, die Kinder siechen langsam dahin. Alle
Patienten, alle Kinder haben sich aber außerordentlich durch die Sonnen-
behandlung erholt und die Eltern waren bei jedem neuen Besuch (nach
8—14 Tagen) erstaunt über das Wohlergehen der Kinder, ja wie sie sich aus-
drückten, sie erkannten ihre Kinder kaum wieder. Diese multiplen Knochen-
tuberculosen werden durch die Sonnenbehandlung gewissermaßen oft rasch
zu leichten herabgedrückt und bei einer langdauernden guten sommerlichen
Besonnung geheilt.
7 leichte Fälle waren:
Fall 38: Tub. des I. metacarpophal. Gelenkes.
Fall 39: Halsdrüsenrezidive.
Fall 40: Wenig Sekret liefernde Fisteln nach einer Sehnenscheide-
verletzung (nicht tub.).
Fall 43: 1mal Furunkulosis des Halses usw.
Fall 44 und 45: Wenig Sekret liefernde Fisteln nach Resektion eines
tub. Ellbogengelenkes.
In den erwähnten mittelschweren und leichten Fällen war der Erfolg
der Sonnenbehandlung ein guter, nur im Falle 23 hat sich der Erfolg erst
nachträglich eingestellt, sowie im Falle 46, wo im Jahre 1911 der Erfolg
sehr gering war.
Ich habe diese letzteren Fälle hier der Vollständigkeit halber nur mit
angeführt, weil sie besonnt worden sind und weil sie ev. noch in einer
folgenden Statistik Erwähnung finden könnten.
In den schwersten und schweren Fällen wäre der Erfolg noch weit
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis. 271
besser gewesen, wenn unsere Kranken im Anfange des Sommers 1912
dauernder und mehr hätten besonnt werden können. Wenn man nun
trotz dieser mangelhaften, durch die infolge der ungünstigen Hospital-
verhältnisse erschwerte Besonnung so gute Resultate erzielen kann, um
wieviel mehr würde dies der Fall sein, wenn dieselben in einem Hospitale
untergebracht gewesen wären, welches mit Veranden usw. ausgestattet ist.
Die Resultate würden bezüglich der 1911 behandelten Fälle noch weit
besser gewesen sein, wenn man in der Lage gewesen wäre, im Winter die
Behandlung fortzusetzen, entweder durch Verlegung in ein Sanatorium auf
der Höhe, z.B. nach Leysin, oder wenn man sie anderwärts fortgesetzt hätte;
die Rezidive würden jedenfalls nicht eingetreten sein, oder wenn man viel-
leicht irgendeine andere Strahlenbehandlung hätte einleiten können, z. B.
durch Quarzlampen, künstliches Sonnenlicht oder elektrisches Licht usw.
Alle diese Strahlen wirken in ähnlicher Weise auf Tuberculosis ein. Die
Röntgenstrahlen werden vielfach empfohlen zur Behandlung der Gelenk-
tuberculosis (Wilms), die Radiumstrahlen gleichfalls, z. B. zur Behandlung
der Tuberc. der Mundhöhle, die elektrischen Strahlen, die konzentrischen
Sonnenstrahlen (Finsen) zur Behandlung des Lupus usw. und zuletzt die
reinen Sonnenstrahlen.
Für mich steht die Sonnenbestrahlung an der Spitze, und ich glaube,
sie sind nicht, auch nur annähernd durch künstliches Licht zu ersetzen.
Wir haben nun die Absicht, wenigstens im Winter oder an fehlenden
Sonnentagen des Sommers eine andere Bestrahlung zu benutzen, worüber
ich hoffe, im nächsten Jahre berichten zu können. Ob aber die Strahlen-
behandlung, welche heute ein ganz. neues und in sich abgeschlossenes Gebiet
der Chirurgie bildet, vgl. I. Bd. dies. Zeitschr., wirklich die Sonne beim
Ausfall derselben wenigstens für die Wintermonate etwas ersetzen kann,
das muß die Praxis noch in der Zukunft zeigen.
Hierdurch würde ja die Schwierigkeit der mangelnden Höhen-Sonnen-
behandlung, wie sie in der Ebene besteht, aus dem Wege geräumt sein.
Schlägt dieser Versuch fehl, was ich befürchte, so bleibt nichts anderes
übrig, als daß entweder die Communen oder Provinzialverwaltungen oder
der Staat Einrichtungen treffen, daß man wenigstens die Wintermonate die
tuberkulös Erkrankten auf die Höhe schickt. Im übrigen steht hier der
Bürgerschaft ein schönes Feld für die Betätigung der Wohltätigkeit offen.
Bei der Sonnenbehandlung in der Ebene wird zum mindesten voraus-
gesetzt, daß in jedem neuen Hospitale alle Vorrichtungen getroffen sind,
um die Kranken möglichst bequem der Sonnenbehandlung zuzuführen, resp.
die Lichtbehandlung in freier Luft ebenso bequem beim Eintritte von
Regen usw. unterbrechen zu können.
Die allgemeine Sonnenbestrahlung kann aber nach meiner Überzeugung in
272 Bardenheuer,
schweren Fällen nicht entbehrt werden, zumal wenn anfänglich die örtliche
Sonnenbehandlung nur wenig Wirkung hatte. Dieselbe wird mit einem
Schlage eine kolossal rasch wirkende mit der gleichzeitigen Einleitung der
allgemeinen Sonnenbehandlung; ich schätze diese letztere ebenso hoch ein
als die erstere,
Die Änderung unseres Bürgerhospitals ist nicht angängig, da dasselbe
nach einigen Jahren in ein Hospital für die verschiedenen Spezialitäten
der Medizin und für Verletzungen, die im Zentrum der Stadt stattfinden,
umgeschaffen wird. In schweren Fällen halte ich jedoch selbst bei guten
Hospitaleinrichtungen die Behandlung auf der Höhe für geboten.
3. VIII. 1912 erhielt ich einen Bericht über die 5 Kinder, welche nach
Leysin geschickt wurden, es waren alle Fälle von schwerster Tuberculosis
an vielen Stellen; bei einem Kinde bestand Tuberculosis des Knochens
an 24 Stellen mit 24 Fisteln, dieselben sind bis auf 2 Fälle ausgeheilt.
In 2 Fällen bestand eine profuse Beckenknocheneiterung mit zahlreichen
Fisteln, 1mal neben multipler Tuberculosis eine stark sezernierende offene
Tuberculosis des Fußgelenkes, 1 mal eine offene Tuberculosis der Synchondrosis
sacroiliaca und Tuberculosis des Schädelknochens. In 2 Fällen bestand
Albuminurie.
Ich hatte absichtlich die schwersten Fälle ausgewählt, alle Patienten
waren schon seit Jahren erkrankt, und zum Skelette durch profuse Eiterung
abgemagert, alle sahen mit Bestimmtheit dem sicheren tödlichen Ausgange
entgegen. Alle Kinder haben während der 8monatlichen Behandlung
2—4 kg zugenommen, sehen wie die Photographien zeigen äußerst kräftig
aus, 2 sind geheilt, 2 der Heilung sehr nahe, einer wird in 3 Monaten
geheilt sein. Mein Wunsch geht dahin, die Patienten des Jahres 1912,
welche teils der Heilung nahe sind, teils zur Sicherung der dauernden
Heilung, in diesem Sommer wenig gewonnen haben und der Höhensonnen-
behandlung absolut bedürfen, nach Leysin schicken zu können; ich hoffe,
daß die städtische Verwaltung hierfür zu gewinnen ist: ich bin alsdann
überzeugt, daß ich im nächsten Jahre über den günstigen Verlauf der meisten
dorthin geschickten Fälle berichten kann.
Literatur über Sonnenbehandlung.
Haberling, Sonnenbäder. Veröffentl. aus d. Geb. des Militär-Sanitätswesens 1912,
H. 50 (bei Hirschwald).
de Quervain, Zur Sonnenbehandlung bei chirurg. Tuberkulose. Zeitschr. f. Chir.
Bd. 114, S. 301.
Rollier, La cure solaire de la tuberculose chirurgicale. (Paris medical 1911, S. 140.)
Witmer, Über den Einfluß der Sonnenbehandlung bei der Hochgebirgsbehandlung
der chirurg. Tuberkulose. Zeitschr. f. Chir., Bd. 114, S. 308.
Die Sonnenbehandlung der peripheren Tuberculosis. 273
Franzoni, Über den Einfluß der Sonnenstrahlen auf tuberkulöse Sequester. Zeitschr.
f. Chir., Bd. 114, S. 371.
Jerusalem, Zur Sonnenbehandlung der chirurg. Tuberkulose. Zeitschr. f. diät.-phys.
Ther., Bd. 15, S. 385.
Treskinsoja, Angelica, Über den Einfluß des Sonnenlichts auf die Tuberkelbazillen.
Inaug.-Diss. St. Petersburg 1910.
Flammer, A., Lichtbiologie und Heliotherapie. Inaug.-Diss. Zürich 1910.
Häberlin, Die Kinder-Seehospize und die Tuberkulosebekämpfung.
Rollier, Héliothérapie et tuberculieno-thérapie des tuberculoses urinaires. Revue
médicale de la Suisse romande, No. 1, 1911.
Malgat, La cure solaire comme les bains solaires chez les enfants. Physiothérapie
infant. Paris 1910.
R ollier, In der Festschrift f. Kocher.
Die Einrichtungen des Sanatoriums Solbad Rappenau
für Knochen-, Gelenk- und Drüsenleiden (chirurgische
Tuberkulose).
Von
Prof. Dr. Oskar Vulpius-Heidelberg.
ie Berichte über erfolgreiche Behandlung chirurgisch Tuberkulöser mit
Sonnenbestrahlung waren es, welche in der jüngsten Zeit das
Interesse weiter Kreise nicht nur auf diese Art der Therapie allein, son-
dern überhaupt auf den Wert der Allgemeinbehandlung der chirurgischen
Tuberkulose und speziell auf die Behandlung dieser Leiden in eigens ein-
gerichteten Sanatorien hinlenkten. Publikationen über die überraschenden
Wirkungen der Heliotherapie haben auch mich veranlaßt, der Frage der
Sanatoriumbehandlung näher zu treten. Eine Reihe von Reisen infor-
mierten und überzeugten mich von der Bedeutung physikalischer Heilfak-
toren in der Behandlung chirurgisch Tuberkulöser.
Es gelang mir dann auch, ein solches Sanatorium ins Leben zu rufen,
das kürzlich dem Betrieb übergeben wurde. Da in diesem neuen Sana-
torium die Lichtbehandlung eine große Rolle spielen wird und da
ferner Heilstätten mit ähnlicher vollständiger Ausrüstung für die moderne
kombinierte Behandlung der chirurgischen Tuberkulose noch nicht existieren,
dürfte eine kurze Beschreibung der in unserem Sanatorium vorhandenen
Einrichtungen an dieser Stelle wohl Interesse besitzen.
Die Heilstätte liegt bei dem 50 km von Heidelberg entfernten Solbad
Rappenau in etwa 800 Fuß Meereshöhe. Der Bau ist auf einem Wiesen-
hange errichtet, der leicht nach Süden geneigt ist und sich etwa 1 km
vom Orte entfernt befindet, so daß hier völlig staubfreie, reine Luft vor-
handen ist. Gegen Norden schützt ein 20 Meter hinter dem Haupt-
gebäude beginnender, sich stundenlang hinziehender Hochwald. Innerhalb
der Einfriedigung liegen etwa 30000 qm Wiesenfläche und 20000 qm
Wald.
Das Hauptgebäude wendet seine 40 Meter lange Front nach Süden
und um wenige Grade nach Osten. Fast alle Krankenzimmer haben Süd-
licht, während nach Norden, getrennt von den Krankenräumen durch einen
breiten, von Ost nach West das ganze Gebäude durchziehenden Korridor,
die Nebenriume angeordnet sind. Das Sanatorium ist zunächst bestimmt
für 120 bis 140 Kranke, Kinder und Erwachsene, die in drei Verpfle-
gungsklassen unterzubringen sind.
Vulpius, Einrichtung. d. Sanatoriums Solbad Rappenau f. Knochenleiden usw. 275
Im Kellergeschoß befindet sich außer Küche, Wirtschafts- und Ma-
schinenräumen zur Erzeugung von Wärme, Licht und Kraft der Inhala-
tionsraum mit etwa 35 qm PBodenfläche. Der von der Berliner Inhala-
tionsgesellschaft gelieferte Apparat zerstäubt die Sole derart, daß der ganze
Raum in wenigen Minuten mit einem trockenen Nebel dicht erfüllt ist.
Infolge dieser Wirkungsweise des Apparates ist ein besonderer Kleider-
schutz hier nicht nötig.
Im Erdgeschoß liegen nach Norden die Verwaltung und ein Behand-
lungsraum. In diesem ist ein Apparat für Bestrahlung mit elektrischem
Bogenlicht aufgestellt. Der an demselben angebrachte verstellbare Schein-
werfer gestattet die Anwendung des weißen oder farbigen Lichtes in
beliebig zu variierender Entfernung und Konzentration. Außerdem steht
hier der Röntgenapparat, welcher den Zwecken der Diagnostik und der
Therapie dient. Im übrigen wird das Erdgeschoß als Männerstation
3. Klasse benützt. Die Fenster sind hier, wie überall im Gebäude so
kolossal angelegt, daß die Südwände der Krankenräume fast nur aus
Fensteröffnungen bestehen. Das obere Drittel der Fenster ist jeweils ge-
sondert und durch eine zweckmäßige Vorrichtung seitwärts vollkommen zu
öffnen, so daß Luft und Licht ungehindert einströmen können und die
Ventilation eine sehr reichliche ist, auch wenn die Hauptfenster geschlossen
bleiben. Die Räume sind durchwegs in lichten Farben gehalten, die Wände
nur bis zur Kopfhöhe getönt und abwaschbar. Ecken und Fugen sind
vermieden, letztere durch Verwendung von Steinholzböden.
Östlich an diese Station schließt sich eine 15 Meter lange gedeckte
Liegehalle mit schrägem Dach und einem als Sonnenbad dienenden, nach
Süden gerichteten Ausbau an. |
Das 1. Obergeschoß ist für Patienten 1. und 2. Klasse gedacht. Die
bauliche Ausstattung der Räume ist hier die gleiche wie in den übrigen
Stockwerken. Das Mobiliar ist ebenso wie alles Holz- und Eisenwerk
weiß lackiert, abwaschbar und unter Vermeidung von Staubecken nach be-
sonderen Zeichnungen hergestellt. Nach Norden liegen hier Operations-
und Verbandräume, Badezimmer, Tagesraum und Schwesternzimmer. Die
nach Süden gewendete Reihe der Krankenzimmer beherbergt zumeist je
1—2 Kranke.
Das zweite und dritte Obergeschoß ist für Frauen und Kinder be-
stimmt, welche zum Teil in kleineren Krankenräumen mit 4—6 Betten,
zum Teil in gewaltigen, lichten Sälen untergebracht sind. Nach Norden
liegen unter anderem Räume, welche Laboratoriumszwecken dienen sollen.
Es ist geplant, daß physikalische, physiologische und bakteriologische
Untersuchungen hier ausgeführt werden, um klärend und fördernd auf die
bisher zumeist nur empirisch erprobte klinische Behandlung einzuwirken.
18
276 Vulpius, Einrichtung. d. Sanatoriums Solbad Rappenau f. Knochenleiden usw.
An das Hauptgebäude schließt sich nach Westen ein 20 Meter langer
Anbau. In dem Erdgeschoß desselben befinden sich die Solbäder und ein
Raum, welcher der Anwendung des ultra-violetten Lichtes dient. Hier
sind zwei Quarzlampen nach Dr. Breiger an rollbaren Stativen vertikal
verschieblich angebracht. Der Fußboden ist mit einer Maßeinteilung ver-
sehen, so daß der in der Mitte des Raumes gelagerte Patient aus beliebig
zu wählender Entfernung von den künstlichen Höhensonnen bestrahlt
werden kann. Wenn wir uns auch von der energischen Wirksamkeit der
natürlichen Besonnung im Sanatorium bereits zu überzeugen Gelegenheit
hatten, so erblicken wir doch in der Verwendung des ultra-violetten Lichtes
einen ganz gewaltigen Vorteile Vermögen wir doch dadurch die Vorzüge
des Höhenklimas bis zu einem gewissen Grade zu ersetzen und sind zu-
gleich unabhängig von der Bewölkung. Die Möglichkeit, im geschlossenen
Raume den ganzen Körper zu bestrahlen und dadurch die nötige All-
gemeinwirkung zu erzielen, ist gewiß von der größten Bedeutung.
Über den Solbädern liegen in Etagen übereinander die 20 Meter
langen und 6 Meter tiefen Liegehallen. Hier befinden sich die Patienten,
soweit nötig auf rollbaren Ruhebetten und durch verschiebliche Wind-
schirme nach Wunsch von einander isoliert, den ganzen Tag. Die Liege-
hallen sind nach Norden und Westen verglast, nach Süden offen. Gekrönt
sind sie von einer ungedeckten Sonnenterrasse gleicher Größe.
Südwestlich von den Liegehallen und nur wenige Meter von ihnen
entfernt liegt ein 16 Meter langes Gradierwerk, dessen Ausdünstungen in-
folge der vorherrschenden Windrichtung den Patienten fortwährend zu-
geführt werden.
Nach den gemachten Ausführungen sind die im Sanatorium Solbad
Rappenau vereinigten Einrichtungen wohl geeignet, den Heilverlauf der
chirurgischen Tuberkulose ganz besonders günstig zu beeinflussen. Und es
ist zu erhoffen, daß hier praktische und wissenschaftliche Arbeit in glück-
licher Vereinigung dem Ausbau unserer Therapie werden dienen können.
Es steht zu erwarten, daß die überall einsetzende Bewegung zu Gunsten
der Sanatoriumbehandlung der chirurgischen Tuberkulose dazu führen wird,
daB an geeigneten Orten Deutschlands ähnliche Heilstätten errichtet werden.
Wir werden uns freuen, mit ihnen Hand in Hand arbeiten zu können, und
öffnen unsere Anstalt gerne für alle diejenigen, welche sich für diese neue
Art von Heilstätten interessieren.
Aus der Wiener Heilstätte für Lupuskranke (Vorstand: Hofr. Prof. Lang.)
Die Lupusheilstättenbewegung und ihre Ziele.
Von
Primararzt Dr. Alfred Jungmann.
iner der häufigsten Einwände, der versucht wird, um die so überaus
wichtige und segenbringende Lupusbewegung in ihren Zielen zu hemmen,
ist der, es sei kein Bedürfnis nach der Errichtung eigener Heilstätten vor-
handen; wenn man alle dermatologischen Kliniken und Abteilungen mit
Finsenapparaten ausstatte, sei dies ein genügendes und billigeres Mittel zur
Heilung von Lupuskranken.
Wie grundfalsch unseres Erachtens diese Auffassung ist, soll in diesem
Aufsatze dargelegt werden.
Bis zur systematisch ausgebildeten operativ-plastischen Methode, die
in Wien eingesetzt hat und dann an Langs Abteilung im Krankenhause
geübt ward, und bis zur Einführung des Finsenverfahrens ist es den armen
Lupuskranken wahrlich schlecht ergangen. Diese bejammernswerten Kranken
wanderten während ihres Dezennien dauernden Leidens von einer Station
zur andern. Überall wurde eine andere von den unzähligen Methoden
versucht, die man ersonnen hatte, um zu helfen. Diese Methoden waren
fast durchweg grausamster Art. Ein Arsenal der verschiedensten Ätz-
fläschehen und Ätzsalben, Brennungen, Schabungen, Stichelungen, das war
im wesentlichen der Grundzug der Lupusbehandlung in früherer Zeit. Eine
Ausheilung gehörte zur größten Rarität. Hingegen verbreitete sich der
Lupus fast immer unaufhaltsam, ja vielfach war der therapeutische Eingriff
gerade hierzu die Veranlassung und manche schwere Entstellung, die der
Lupus nicht selbst hervorgerufen hatte, ward solchen Methoden verdankt!
Schließlich verlor ein solcher Kranker den Mut. Wenn er sich nicht nach-
gerade daran gewöhnte, es als besondere Gunst des Schicksals zu betrachten,
daß er jährlich für eine Zeitlang — freilich als nicht sehr gern gesehener
Gast — Unterkunft im Spitale fand, mit anderen Worten, wenn er nicht
ein sogenannter „Spitalsbruder“ wurde, so verkroch er sich, immer elender
und elender werdend, sich und seinen Mitmenschen zur Last. Alle flohen
vor seinem häßlichen Anblick, niemand gab ihm Arbeit! Körperlich,
seelisch, moralisch und ökonomisch gingen diese Menschen zugrunde. Sie
gingen nicht rasch zugrunde, sondern langsam, in Jahrzehnte langem Siech-
tum. Es soll in dieser Schilderung beileibe kein Vorwurf für die damaligen
18*
278 . Jungmann,
Ärzte liegen. Diese versuchten ja alles, was Tradition und ihre Erfindungs-
gabe gewährten, um den Unglücklichen zu helfen.
Es begann aber eine neue Epoche in der Lupustherapie!
Die Methode der radikalen Exstirpation, die schon von einigen
Chirurgen, insbesondere aus der Billrothschule hier und da angewendet
worden war, griff Lang auf und es ist sein großes Verdienst, sie seit 1892
in systematischer Weise ausgebildet, durch Angabe einer bestimmten Technik
und entsprechender Indikationen wertvoll gemacht zu haben; wir können
an einem nach vielen Hunderten zählenden Krankenmateriale nachweisen,
daß hiemit in einer, bestimmten Bedingungen entsprechenden Reihe von
Lupusfällen sichere und die Kranken und ihre Umgebung hochbefriedigende
Dauererfolge erzielbar sind, mit einem Sicherheitsgrade, wie kein ärztlicher
Eingriff bei irgendeinem Leiden ihn höher darbietet.
Es ist zu hoffen, daß diese, wie Lang durch Gründung einer Schule
bewiesen hat, erlernbare Methode für jenen Teil der Fälle, in welchem
sie anwendbar ist, mit der Zeit von allen Ärzten adoptiert werden wird,
die sich mit Lupusbehandlung beschäftigen.
Einige Chirurgen operieren ja hie und da Lupuskranke nach dieser
ausgezeichneten Methode; aber diese chirurgischen Eingriffe sind eine stunden-
lange mühselige Arbeit. Wie kann der Chirurge mit seinen vielseitigen
und lebenswichtigen Interessen sich im großen Stile den Lupuskranken
widmen? Dazu hat er ja keine Zeit und der Lupus ist ja eine Haut-
krankheit und die Lupösen suchen deshalb auch den Dermatologen auf.
Nun, und der Dermatologe? — Ja, der Dermatologe ist eben kein Chirurge,
meist will er auch keiner werden. Die rein dermatologischen Interessen
sind weit begrenzt genug, um ihn im Atem zu halten; und so wandert
der Lupuskranke weiter, von einem Ort zum andern, und dieses segen-
bringende Verfahren wird zwar allgemein anerkannt, aber von wenigen
rühmlichen Ausnahmen abgesehen, mit voller Konsequenz bisher fast nur
von Lang und seiner Schule ausgeführt und sie haben — man darf es
behaupten — mehr Lupuskranke durch Exstirpation geheilt als alle anderen
Ärzte zusammen.
Die Zahl der Lupuskranken ist aber in den meisten Ländern eine
große. Was liegt denn da näher, als eigene Institute zu gründen, wo die
Lupuskranken weder als dermatologisch, noch als chirurgisch aufgefaßt
werden, sondern der guten Exstirpationsmethode unterzogen werden, wenn
sie für die Erkrankungsform tatsächlich indiziert erscheint, oder
irgend einer andern Behandlung, wenn diese vonnöten ist.
In einer Lupusheilstätte müssen selbstverständlich alle wertvollen
Methoden, die der Lupöse braucht, gekannt und auf das sorgfältigste aus-
geübt werden. Die Ärzte einer solchen Anstalt müssen das alles lernen.
Die Lupusheilstättenbewegung und ihre Ziele. 279
Die Exstirpationsmethode ist ja wohl nicht leicht, es gehört dermatologi-
sches und chirurgisches Wissen dazu, um dieses Verfahren radikal aus-
zuüben, und gewiß auch eine künstlerische Ader, um die Plastiken aus-
zuführen, daß sie schön werden, daß sie gelingen. Aber in solchen Heil-
stätten bildet sich ja eine Tradition; der junge eintretende Arzt lernt von
dem älteren, wie er es zu machen hat. Die Ärzte, die in solchen Heil-
stätten ausgebildet werden, beherrschen das Verfahren und seine Indikationen,
wenn sie austreten; und beherrschen muß man dies, sonst erlebt man Miß-
erfolge, wie viele, die diese Methode trotz ungenügender Beherrschung ver-
sucht haben, zu erzählen wissen. Also nicht bloß, daß die Patienten einer
solchen Heilstätte den Vorteil haben, ausgeheilt zu werden, auch die Pa-
tienten, die außerhalb der Heilstätte von Ärzten behandelt werden, die
solche Heilstättenbildung genossen haben, werden geheilt.
Die neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts waren eine verheißungs-
volle Zeit für die Lupösen. Denn während in Wien das Exstirpations-
verfahren für einen Teil der Kranken ausgebildet wurde, entstand in Kopen-
hagen Finsens glänzendes Lichtverfahren, welches für einen großen Teil
solcher Fälle, die durch Exstirpation nicht heilbar sind, Genesung zu
bringen imstande ist. Entsetzlich aussehende Lupuskranke können durch
das Lichtverfahren ganz ausgeheilt oder sehr gebessert werden. Nicht alle
Lupuskranken; das wurde von Finsen selbst nicht behauptet. Viele zum
Beispiel, die man durch Exstirpation nicht heilen kann, kann man durch
Licht heilen, insbesondere, wenn man sie richtig vorbehandelt. Durch un-
richtige Vorbehandlung können manche sonst durch Licht heil-
bare Patienten unheilbar werden. Auch muß das Lichtverfahren
gut gemacht werden; wenn man es schlecht macht, dann nützt es nichts.
Das Lichtverfahren dauert in den schweren Fällen lange, lange. Da darf
man nicht die Geduld verlieren, der Kranke nicht und der Arzt nicht.
Und die Pflegerinnen müssen erst zu einer eigenartigen Geduld und Auf-
merksamkeit erzogen werden. Langweilig oder geisttötend darf ihnen die
ewig gleichmäßige Beschäftigung nicht werden. Langweilig ist sie auch in
der Tat nicht den Pflegerinnen in einem Institute, wo eine große Be-
geisterung dafür herrscht, das Los der Lupösen zu lindern. Finsen war
es gelungen, in seinem Kopenhagener Institute eine solche Schar begeisterter
Menschen um sich zu sammeln, und nur deshalb konnte er, auf Grund
einer nach Hunderten zählenden Patientenreihe, der internationalen Ärzte-
schaft die Kunde bringen, daß es möglich ist, mit dem langwierigen, neben-
bei bemerkt, auch teueren Lichtverfahren bisher ungeahnte Erfolge zu er-
zielen, vorausgesetzt, daß eben dieses Verfahren ebenso sachkundig, regel-
mäßig, unverdrossen ausgeübt wird, wie in Kopenhagen.
Daraufhin sind allmählich in allen Kulturländern an vielen Orten
280 Jungmann,
Finsenapparate aufgerichtet worden, meistens ‘an dermatologische Stationen
angegliedert. Hier in Österreich war es zuerst Lang, der seiner Abteilung
im Allgemeinen Krankenhause einen solchen Apparat anschließen ließ.
Dann geschah es auch in den einzelnen Kronländern. Aber welche merk-
würdige Erscheinung! Die glänzenden Resultate des Kopenhagener In-
stitutes, die nicht zu widerlegen waren, weil man sie ja selbst gesehen hatte,
sie wurden anfangs nirgends in diesem Maße erreicht. Wir selbst haben ja
mit dem Apparat an der Abteilung im Krankenhause schon vor Begründung
der Wiener Lupusheilstätte eine ganze Anzalıl von Patienten geheilt. Aber
vollauf befriedigt waren wir erst, als wir durch Langs schöpferische Aktion
eine eigene Heilstätte für Lupuskranke besaßen. Wie kam denn das?
Das kommt vor allem daher, daß an Stationen, wo nebenher auch Finsen-
behandlung gemacht wird, neben dem riesigen Wirkungskreis, den eine der-
matologische Klinik oder Abteilung den Ärzten und Wärterinnen auferlegt,
es gar nicht möglich ist, sich dieser schwierigen, allein ganze Menschen
erfordernden Tätigkeit so voll zu widmen, wie sie es verlangt. Herrscht
an einer solchen Station gerade für den Lupus ein ganz eigenartiges In-
teresse, wie dies zum Beispiel an Langs Abteilung der Fall war, und wie
es auch an mehreren anderen dermatologischen Stationen in der Welt der
Fall ist, so geht es ja besser. An Orten, wo das Verfahren nur nebenbei
betrieben wird, oder welche nicht über so viele Lupusfälle verfügen, daß
ein stetiger Betrieb der Finsenlampen erforderlich ist, beschäftigen sich
Ärzte und Hilfspersonen nur gelegentlich mit dieser Behandlungsart, all-
mählich verwässert sich die Tradition der peinlich akkuraten Applikation
des Apparates, die Mißerfolge häufen sich so, daß man bald die Lust an
der Sache verliert, und dann wird es natürlich noch schlechter damit, das
Finsenzimmer verödet, und so wird unverdientermaßen eine gute Sache
diskreditiert. Tatsächlich wird die Wiener Lupusheilstätte von Kranken
auch aus solchen Gegenden frequentiert, wo dermatologische Abteilungen
öffentlicher Krankenhäuser mit Finsenapparaten versehen sind. Nur wo
das Finsenverfahren systematisch und regelmäßig ausgeübt wird, wo ein
eigener ständiger Ärzte- und Pfilegestatus da ist, wo die Kenntnis sich
ausbildet, wo die Tradition die Kenntnis erhält, nur an solchen Plätzen
gedeiht die Lichtbehandlung. In Heilstätten, die dem Lupuskranken ge-
widmet sind, wo der Lupus der Hebel für die gesamte ärztliche Tätigkeit ist,
dort können solche Lichtemrichtungen am ehesten gedeihen, dort kann man
viel Zeit und Muße aufwenden, um sich diesem Verfahren zu widmen,
und es auch zu verbessern; dort ist es in fast ununterbrochenem Gebrauche;
es können Ärzte und Pfleger zu jener notwendigen Akkuratesse heran-
gebildet werden, dort müssen sie auch herangebildet werden. Und wieder
läßt es sich wiederholen, die Organe, die in solchen Heilstätten geschult
Die Lupusheilstättenbewegung und ihre Ziele. 981
worden sind, sind auch die Pioniere einer guten Lupusbehandlung außer-
halb der Heilstätte.
Es herrscht auch manchmal das entgegengesetzte Extrem und es be-
steht die sanguinische Auffassung, die Finsenlampe stelle das Um und Auf
der Lupusbehandlung dar. Es kann aber, wie bereits ausgeführt wurde,
eine Heilstätte nur dann ihren Zweck erfüllen, wenn sie ebenso die opera-
tire Behandlung wie die Phototherapie ermöglicht. Es muß daher auch
dafür gesorgt werden, daß der der Heilstätte vorstehende Arzt mit der
richtigen chirurgischen Schulung zur Ausführung von Plastiken ebenso
ausgestattet sei, wie mit der Beherrschung der physikalischen und sonstigen
therapeutischen Methoden. Bei der Einrichtung von Heilstätten das ope-
rativ-plastische Verfahren hintanzusetzen, das wäre wohl von vornherein
(ler Verzicht auf Universalität. Es wäre wirklich nicht zu begreifen, warum
eine vorzügliche Behandlungsmethode, die — man darf es kühn sagen —
bereits fast zur Vollkommenheit ausgebildet ist, nicht von allen der Lupus-
behandlung dienenden Institutionen liebevoll gepflegt werden sollte. Selbst-
verständlich muß auch die höchste Ausnützung der Vorteile von Röntgen-
strahlen und Radium, Quecksilberdampflicht, Hochfrequenzströmen und
a. m., kurz von allen wertvollen Methoden statthaben. Und jedes neu
hinzutretende Verfahren muß mit gleicher Sorgfalt geübt werden können
wie die altbewährten.
Solche Institute üben dann auch naturgemäl) eine große Werbekraft
auf die Lupösen aus. In Kopenhagen rekrutieren sich die Kranken aus
aller Herren Ländern, und auch zur Wiener Lupusheilstätte pilgern die
Kranken nicht nur aus allen Provinzen Österreichs, sondern auch aus
Deutschland, der Schweiz, Italien, Rußland, sämtlichen Balkanländern,
selbst aus Amerika. |
Was folgt daraus? Das Ziel der Lupusbekämpfung kann nicht darin
liegen, ein Netz von knapp eingerichteten Lupusheilstitten auszuspannen;
sondern je vollkommener die einzelne ausgestattet ist, um so eher wird der
Zweck erfüllt. Vollkommen können aber nur Heilstätten werden, die
selbständig sind, die ihren eigenen Ärzte- und Pflegerstatus besitzen und
wo alle Behandlungsmethoden gleich vollendet beherrscht werden.
Es ist begreiflich, daß an solchen Orten, wo man sich diesen Dingen
mit größerer Ausdauer zu widmen vermag, auch Verbesserungen und Aus-
bildungen der Methodik eher entstehen können.
Bei einer Heilstätte für Lupuskranke kommen auch andere Gesichts-
punkte in Betracht. Schon die Diagnosestellung ist nicht immer leicht.
Und dann ist der Lupus eine schr vielgestaltige Hauterkrankung. Deshalb
ist es natürlich vor allen erforderlich, daß die Ärzte einer solchen Anstalt
gut ausgebildete Dermatologen sind, und deshalb muß eine solche Heil-
282 Jungmann,
stätte auch ein Ambulatorium haben, wo die Krankheit diagnostiziert wird
und die jungen Ärzte lernen, den Lupus von anderen Hautkrankheiten zu
unterscheiden, den Lupus zu erkennen. In einem gewissen Ausmaße er-
scheinen in einem solchen Ambulatorium auch zeitweise andere Hautkranke,
einerseits weil sie selbst glauben, daß sie Lupus haben, andererseits weil
in einer lwupusheilstätte zur Behandlung des Lupus außer den beiden
Radikalverfahren noch eine ganze Reihe von anderen Einrichtungen bestehen
müssen, die in der Lupusbehandlung von großem Werte sind, Röntgen,
Radium, verschiedene Lichtquellen anderer Art usw. — Methoden, die mit
Vorteil auch bei anderen Erkrankungen als beim Lupus zur Verwendung
gelangen können. Es ist begreiflich, daß auch Nichtlupöse von diesen
Vorteilen in einem Institute, von welchem sie wissen, daB diese sehr
schwierigen Methoden voll beherrscht werden, Gebrauch machen wollen.
Auch von Ärzten werden sie, obwohl nicht lupös, in die Lupusheilstätte
geschickt.
Vom Standpunkte der Lupusheilstätte ist, insofern als diese Haut-
kranken die Lupusbehandlung in gar keiner Weise beeinträchtigen dürfen,
diese stets die Hauptsache bleibt, nichts einzuwenden. Es ist sogar bis
zu einem gewissen Grade wünschenswert, weil hierdurch die universelle
Auffassung der Heilstättenärzte und die Vertiefung ihres Wissens gefördert
wird, was in letzter Linie wieder den Lupuskranken zugute kommen mu).
Sind die bisher aufgezählten Momente allein schon hinreichend, um
den großen Wert und die Notwendigkeit der Errichtung von Heilstätten
für Lupuskranke zu erhärten, so sind aber noch eine Reihe von anderen
Argumenten hierfür anzuführen.
Der Lupuskranke ist zwar ein Hautkranker; aber er hat noch hier-
mit zusammenhängende andere Leiden schwerer Art. Sehr häufig sind
auch seine Schleimhäute erkrankt; er bedarf der Behandlung seiner Augen.
Ohren, seiner Nasen- und Mundschleimhaut, seines Kehlkopfes. Die so
wichtige Behandlung dieser Schleimhautleiden ist nicht nur nebenbei vorzu-
nehmen, sondern deren exakte Ausführung ist ein integrierender
Faktor jeder wertvollen Lupusbehandlung. Man muß bei Behand-
lung des Hautlupus stets ganz genau den Zustand der Schleimhäute ken-
nen. Sind solche Kranke nicht in einem Institute, wo alle ihre vielseitigen
Heilbedürfnisse erfüllt werden, dann gelangt man entweder dazu, dal)
einiges hiervon übersehen wird, oder die Kranken können den ganzen Tag
hindurch von einer spezialistischen Station zur andern wandern. Und was
das Schlimmste hierbei ist, man verliert dadurch den gemeinsamen Über-
blick über den ganzen Menschen.
In eigens hierzu eingerichteten Heilstätten, wo sich jedoch die Ärzte
bei dem großen zusammenströmenden Krankenmaterial die Kenntnis dieser
Die Lupusheilstättenbewegung und ihre Ziele. 283
verschiedenen Leiden des Lupuskranken und ihrer Behandlung selbst in
ausgezeichneter Weise erwerben, dort kann dem Rechnung getragen werden.
Sofern ein spezialistischer Rat notwendig ist, erscheint natürlich ein Kon-
siliarius.
In den meisten Fällen ist eben der Lupus keine Hauterkrankung
allein, sondern eine tuberkulöse Manifestation an der Haut eines sonst
tuberkulösen Menschen. Daß solche tuberkulöse Personen noch eine
Menge anderer Dinge benötigen als die lokale Behandlung ihrer Haut und
Schleimhäute, ist ja selbstverständlich.. Wo anders als in der Heilstätte
kann vorgesorgt werden für ein ausreichendes hydriatisches Verfahren, für
Sonnen-, Luft- und Sandbäder, für Gartenanlagen, eine gewisse Sport-
betätigung und dergleichen? Die dermatologischen Stationen, die derlei
Einrichtungen in ausreichendem Maße besitzen, bestehen noch nicht. Und
solange, bis sie eingerichtet sein werden, können die Lupuskranken nicht
warten. Abgesehen davon, daß, selbst wenn solche Einrichtungen in
dermatologischen Stationen beständen, es sehr fraglich ist, ob die gemein-
same Benützung derselben für die dabei zu kurz kommenden Lupösen und
vom hygienischen Gesichtspunkte für die anderen Hautkranken der Klinik
statthaft wäre.
Eine Lupusheilstätte muß auch — und das ist noch ein neuer Ge-
sichtspunkt — nach anderen bestimmten, auf den Lupus berech-
neten prophylaktischen und hygienischen Prinzipien eingerichtet sein, in
ähnlichem Sinne, wie dies sonst in Tuberkulosen-Heilstätten der Fall ist,
wo ja gewisse Einrichtungen z. B. den Zweck haben, auf den Tuberkulösen
einen gewissen erziehlichen Einfluß auszuüben.
All die vielseitigen Einrichtungen einer solchen Heilstätte sind wohl
eine kostspielige Sache. Wenn es sich aber darum handelt, diese schwer
kranken Menschen der Gesundung und der Nationalproduktion wieder-
zugeben, die sie früher in noch viel höherem Maße belastet haben, als die
Kosten solcher Heilstätten betragen, so erledigt sich dieser Punkt sehr
bald. Je weniger man hierbei die aufgebrachten Summen zersplittert, je
mehr man sie ganzen, vollwertigen Institutionen widmet, um so richtiger
handelt man.
Einer der allerwichtigsten Gesichtspunkte ist ferner die Chronizität
dieser Erkrankung, welche eine langdauernde Behandlung erfordert. Wo
sollen die entstelltesten von den Patienten, die nirgends Unterkunft finden,
selbst wenn sie — was sehr ausnahmsweise bei diesen hauptsächlich aus
den ärmsten Kreisen entstammenden Personen der Fall ist — das Geld
besitzen, um sich einzumieten, wo sollen sie wohnen? Wir kennen Fälle,
wo die nächsten Verwandten, Vater und Mutter, den Kranken nicht in
ihrer Mitte dulden. Die Antwort auf diese Frage ist einfach. Sie sollen
284 Jungmann,
in einer Lupusheimstätte — die zur Heilstätte gehört — unter
gebracht werden. In den Spitälern kann man solche Kranke nur aus-
nahmsweise so lange halten, als erforderlich ist. Was liegt näher, als daß
ein solch halbgeheilter Kranker, wenn er entlassen wird, sich verliert, dab
er eine andere Station aufsucht, wo er wieder eine Zeitlang bleiben kann
und nach anderen Gesichtspunkten behandelt wird. Das letztere ist ja
natürlich auch bei den Patienten der Lupusheilstätte möglich, daß sie das
Institut verlassen und dann nach anderen Stationen gehen. Das wird sich
aber seltener ereignen, sobald der Lupuskranke weiß, welche Einrichtungen
er braucht und in der Heilstätte hat.
Mit all dem Gesagten soll ja keineswegs dagegen plaidiert werden, daß
Lupöse in anderen Stationen, wo man darauf entsprechend eingerichtet ist,
behandelt werden. Es sollte hier nur gezeigt werden, daß in großem Stile
die Lupusheilstätte hierzu weitaus am geeignetsten ist.
Welches ist das Ziel solcher Heilstätten?
Erstens: Es kann eine große Anzahl von Lupuskranken geheilt
werden.
Zweitens: Es soll eine gewisse soziale Fürsorge für die Lupus-
kranken mit der Heilstättenbewegung verbunden werden.
In unserer Organisation übernimmt der „Verein Lupusheilstätte‘‘ diese
Aufgabe. |
Drittens: Es werden die Ärzte für eine vorzügliche Behandlung
der Lupösen ausgebildet.
Viertens: Es kann für die Ausbildung und Vertiefung der Ver-
fahren zur Lupustherapie Erhebliches geleistet werden.
Fünftens: Durch die größeren Erfolge der Lupusbehandlung in-
folge der Gründung solcher Heilstätten werden die Patienten aufmerksam
und erscheinen in einem früheren Stadium ihrer Erkrankung, wodurch die
Heilungsmöglichkeit vergrößert wird. Untersuchungen der Kinder durch
Schulärzte, Anzeigepflicht und eine ganze Reihe von Maßnahmen allgemeiner
Natur, welche in den bestehenden Organisationen zur Bekämpfung der
Tuberkulose einen wichtigen Faktor bilden müssen, können dazu noch
weiter beitragen.
Sechstens: Durch gut eingerichtete Heilstätten kann allmählich der
Lupus bis auf die neu entstehenden und, weil im Frühstadium befindlich,
leichter heilbaren Erkrankungen ausgerottet werden.
* *
*
Nach diesen Prinzipien hat Eduard Lang in Wien ein solches In-
stitut geschaffen, welches bisher in einem provisorischen Gebäude unter-
gebracht war; demnächst wird nun eine große Heilstätte eröffnet. Der
Schlüssel zu dem Erfolge Langs liest darın, daß ebenso wie die
Die Lupusheilstättenbewegung und ihre Ziele. 285
Selbständigkeit auch die Vollständigkeit des Lupusheilstätten-
hetriebes vom ersten Anbeginn an, den wesentlichsten Programmpunkt
seiner Lupusaktion ausmachte. Seit 1902 hat er diese Überzeugung
unabläßlich auch nach außen hin vertreten; am eindringlichsten auf dem
16. internationalen Kongreß in Budapest!), am ausführlichsten in seinem
Artikel: Über Einrichtung der Heilstätten, die zur Bekämpfung des Lupus
dienen.?)
Die Errichtung eines solchen, auch für kommende Generationen und
immer neu entstehende Anforderungen bedeutsamen Institutes hat wohl
von dem. Gründer ein großes Maß von Selbstlosigkeit, gesteigerten Leistungen
und zielbewußter Voraussicht erfordert. Wohl überall wird die Errichtung
einer solchen Anstalt auf manche Schwierigkeiten stoßen, bis die weitesten
Kreise von der Bedeutung der Lupusheilstätten erfüllt sind und sie ein-
fach als eine selbstverständliche Notwendigkeit ansehen.
1) E. Lang, Die Behandlung des Lupus mit Rücksicht auf die Pathogenese.
Deutsche Med. Wochenschrift 1909, Nr. 40.
2) Neues Wiener Tagblatt 1910, Nr. 129 u. 143.
Aus der chirurg. Universitätsklinik in Heidelberg. Direktor: Prof. M. Wilms.
Röntgenbehandlung tuberkulöser Lymphome.
Von
Privatdozent Dr. B. Baisch, Assistent der Klinik.
D“ große Aufschwung, den die Röntgentherapie in den letzten Jahren,
gestützt auf die fortschreitende Kenntnis der biologischen Wirkung
der Röntgenstrahlen, genommen hat, hat dazu geführt, daß immer weitere
Spezialgebiete in der Medizin sich damit befaßten, und daß immer wieder
neue Krankheitsformen mit Erfolg ihr unterworfen wurden. Die Tuberkulose
gehört zu den jüngsten darunter. Auf der einen Seite sind es die gün-
stigen Erfolge, die eine rein konservative Therapie bei der Tuberkulose
zu erzielen imstande ist, wie uns die vielfachen Erfahrungen der neueren
Zeit zeigen, die zu einer Einschränkung der operativen Behandlungsmethoden
führen mußten. Auf der anderen Seite ist es die Kenntnis von der elek-
tiven Wirkung der Röntgenstrahlen auf junge, in raschem Wachstum be-
griffene Zellen, und die durch Heinicke und Krause und Ziegler
experimentell nachgewiesene weitgehende Zerstörung besonders des lym-
phatischen Gewebes, die die Röntgentherapie bei der Tuberkulose aus-
sichtsreich erscheinen lassen mußte. Aus früherer Zeit liegen aber nur
vereinzelte Mitteilungen über solche Versuche vor. So hat Mühsam im
Jahre 1898 Versuche angestellt, experimentell bei Meerschweinchen erzeugte
Tuberkulose durch Röntgenbestrahlung zu beeinflussen, und dabei gefunden,
daß lokal die Tuberkulose wesentlich abgeschwächt und die Lebensdauer
der Tiere verlängert werden konnte, die allgemeine Ausbreitung der Tuber-
kulose jedoch nicht zu verhindern war, was wohl teilweise durch die
große Empfindlichkeit der Versuchstiere gegen Tuberkelbazillen zu erklären
ist. Diese Versuchsergebnisse fanden bei uns nur wenig Beachtung und
fast ausschließlich in der ausländischen Literatur finden sich in den nächsten
Jahren vereinzelte Mitteilungen über Erfolge mit Röntgenbehandlung tuber-
kulöser Lymphome und Knochen- und Gelenkerkrankungen. Besonders
amerikanische Forscher waren es, die sich um die Röntgentherapie der tuber-
kulösen Lymphome verdient machten. Wetterer und Bachem geben eine
Zusammenstellung der einschlägigen Arbeiten. Erst durch die guten
Resultate von Iselin, der auf Veranlassung von Wilms an einem größeren
Tuberkulosematerial die Röntgenbehandlung durchführte, wurde bei uns
das Interesse dafür geweckt und seitdem mehren sich die Mitteilungen
über günstige Erfolge mit dieser Behlandlungsmethode. Vor allem sind es
Baisch, Röntgenbehandlung tuberkulöser Lymphome. 987
auch hier die tuberkulösen Lymphome, die vielfach mit guten ‚Erfolgen
bestrahlt wurden, Barjou und Denks und besonders Kienböck und
Wetterer berichten darüber.
An der Heidelberger chirurgischen Klinik führen wir seit nunmehr
ca. zwei Jahren die Röntgenbehandlung möglichst bei allen Fällen tuber-
kulöser Lymphome durch. Über unsere Erfahrungen damit möchte ich
im folgenden berichten, wie ich auch schon an anderer Stelle davon Mit-
teilung machen konnte. i
Unsere Erfolge haben sich zweifellos in letzter Zeit gebessert, was
meines Erachtens auf größerer Übung und gleichmäßigerer Einhaltung
einer bestimmten Technik, besonders einer genauen Dosierung beruht. Ich
muß daher in Kürze auf diese Technik eingehen.
Jeder Erfolg einer Röntgentherapie muß davon abhängig sein, daß
eine genügende Anzahl wirksamer Strahlen an den Erkrankungsherd ge-
bracht werden kann. Seit den Untersuchungen von Perthes wissen wir,
daß die Intensität der Röntgenstrahlen von der Hautoberfläche nach dem
Inneren rasch abnimmt, daß aber die harten Strahlen eine wesentlich ge-
ringere Intensitätsabnahme zeigen als die weichen. Die neuesten Versuche
von H. Meyer und Ritter haben außerdem gezeigt, daß bei gleicher
Strahlenabsorption die harten Strahlen biologisch wirksamer sind als
die weichen. Wir werden daher möglichst harte Strahlenqualität wählen
und dieselben noch durch Einschalten von Filtern, die die weichen Strahlen
absorbieren, wie Leder, Glas, Staniol oder Aluminium, verstärken. Wir
sind dadurch nicht genötigt, um eine möglichst große Homogenität der
Strahlenwirkung zu erzielen, d. h. das Verhältnis von Oberflächen- und
Tiefenwirkung möglichst gleich zu gestalten, große Entfernungen von der
Haut zu wählen, wie dies Dessauer angab. Gauss konnte sogar nach-
weisen, daß bei genügend starker Filtration der Strahlen die Tiefendosis
bei Nahebestrahlung und gleicher Oberflächendosis größer wird als bei
ungefilterter Fernbestrahlung.
Weitere Verbesserungen des Verhältnisses der Tiefenwirkung zur Ober-
flächenwirkung wurden einmal dadurch zu erreichen getrachtet, daß man
die Haut unempfindlicher machte. Nach Schwarz gelingt dies durch
Anämisierung, sei es mechanisch durch Kompression oder durch Injektion.
von Adrenalinlösung. Andererseits suchte man umgekehrt vorzugehen
und die Empfindlichkeit der Tiefe zu erhöhen. Nach dem Vorschlag von
N.E. Schmidt gelingt dies durch Hyperämisierung, wozu wir in der
Diathermie eine besonders geeignete Methode besitzen.
Bei den tuberkulösen Lymphomen werden wir im allgemeinen ohne
diese letztgenannten Hilfsmittel auskommen. Uns hat sich folgende An-
ordnung am besten bewährt. Wir verwenden einen kleineren Funken-
288 Baisch,
induktor mit Quecksilberunterbrecher (das sog. „Rekord“ -Instrumentarium
von Reiniger, Gebbert & Schall). Das Qualimeter von Bauer
und ein Milliamperemeter gestatten jederzeit während des Betriebes die
Härte und Konstanz der Röhre und die tatsächlich wirksame Röntgen-
energie von geschützter Stelle aus zu kontrollieren. Durch den von
Gauss angegebenen Zusatzapparat für Tiefenbestrahlung, den „Rythmeur‘‘,
der den primären Strom in regelmäßigen Intervallen kurz unterbricht, ist
es möglich, die sekundäre Belastung stärker zu wählen, also mehr wirk-
same Strahlen in der Zeiteinheit zu erhalten, ohne die Röhre dadurch zu
rasch überanzustrengen. Die Bestrahlungsdauer wird dadurch nur wenig
verlängert. Die Tiefenwirkung im oben erwähnten Sinne erzielen wir durch
Röhren von 8—12 Wehnelt (6—9 Bauer) und durch Einschalten eines
1,0 mm dicken Aluminiumfilters. Als Haut-Fokusdistanz nehmen wir im
allgemeinen 24—28 cm. Die Dosis wird mit der Barium-Platin-Cyanür-
pastille nach Sabouraud-Noire in manchen Fällen in der Modifikation
nach Holzknecht bestimmt. Die Behandlung wird nun so durchgeführt,
daß wir gleich zu Beginn eine volle Dosis nach Sabouraud-Noire
geben, bei großen Drüsenpaketen ist es möglich, mit Bleiglastubus die
Dosis von verschiedenen Hautstellen aus zu wiederholen und so die Tiefen-
wirkung zu verstärken. Die Wirkung der Bestrahlung wird dann zunächst
abgewartet und frühestens nach 3 Wochen eine weitere Bestrahlung oder
Bestrahlungsserie ausgeführt. Eine genaue Dosierung hat sich nach
unseren Erfahrungen als ganz wesentlich für den Erfolg erwiesen, insofern
als durch eine zu schwache Bestrahlung, wenn nicht die Volldosis gegeben
und trotzdem drei Wochen abgewartet wird, die Einwirkung meist ungenügend
bleibt.
= Die tuberkulöse Drüsenerkrankung läßt klinisch drei verschiedene
Stadien erkennen und sie sind auch wichtig für unsere Behandlungsweise
und die Beurteilung der Bedeutung und des Erfolges der Röntgenbestrahlung.
Es sind dies:
1. Die einfachen hyperplastischen,
2. die verkästen oder vereiterten,
3. die ulzerierten, fistelnden Formen.
| Ich will für jedes der drei Stadien unser Vorgehen und die Wirkungs-
weise der Bestrahlung schildern und durch einzelne Beispiele aus der
großen Zahl unserer Fälle zu demonstrieren versuchen.
Wenn wir bei den einfachen hyperplastischen Lymphomen eine Voll-
dosis verabreicht haben, so sehen wir an den nächstfolgenden Tagen meist
eine erhebliche Zunahme der Schwellung, die sich noch auf die Umgebung
ausdehnt, unter Umständen mit leichter Rötung der Haut und Beein-
trächtigung des Allgemeinbefindens durch Fieber, Kopfschmerzen, Mattig-
Röntgenbehandlung tuberkulöser Lymphome. 989
keit usw. verbunden. Wir sahen diese Reaktion besonders ausgesprochen
bei Kindern, die den typischen skrofulösen Habitus darboten, wir sahen
sie aber auch in allen Fällen mit starker Pirquetscher Kutanreaktion,
worauf ich später noch eingehen werde. Diese starke Reaktion — nota-
bene ohne Hautschädigung — war auch mitunter die Veranlassuug, daß
die Patienten dies als Verschlimmerung ansahen, und daher bei ambulanter
Behandlung nicht mehr wiederkamen. Man wird also gut daran tun, die
Patienten vorher auf das Eintreten dieser Reaktion aufmerksam zu machen.
Nach wenigen (3—4) Tagen klingt die Reaktion ab und nun macht sich
meist auch schon eine Verkleinerung der Drüsen bemerkbar, die in der
Regel nach 8 Tagen deutlich bemerkbar ist. In ınanchen Füllen, bei
denen das Drüsenpaket nicht zu groß und die Reaktion sehr stark war,
können wir schon nach einer Bestrahlung die Drüsen verschwinden sehen.
Als Beispiel seien dafür folgende Fälle angeführt:
1l. 11jähriger Junge, Fr. W., der seit6 Wochen Drüsenschwellung hat, die auf Jod,
Umschläge usw. nicht kleiner wurde. Jetzt ist auf der rechten Halsseite ein klein-
apfelgroßes hartes Drüsenpaket, nicht verschieblich, zu fühlen.
23. X. 1911. Bestrahlung mit einer Volldosis nach Sabouraud-Noire auf
die Drüsen 1,0 mm Aluminiumfilter 1,0 Milliamp. Nach der Bestrahlung sehr starke
Reaktion. Schwellung bis auf die Backe, Rötung, leichter Schmerz, 8 Tage anhaltend.
Danach sind nach Mitteilung des Hausarztes die Drüsen rasch kleiner geworden.
Februar 1912. Das große Drüsenpaket völlig verschwunden bis auf einige kleine
Resistenzen.
2. 3ljährige Frau, R.H. Seit vier Jahren am Unterkiefer Drüsen, die wechselnd
in der Größe waren, in der letzten Zeit aber birnengroß wurden. Jetzt hart, verschieb-
lich, in der Umgebung kleinere Drüsen fühlbar. Pirquet + +.
21. VI. 1912. Bestrahlung 1 Sabouraud-Dosis mit 1,0 mm dickem Alumi-
niumfilter. Dauer 22 Minuten. Sehr intensive Reaktion. Rötung der Haut. Schwel-
lung der Backe. Spannung und Schmerzen in der ganzen rechten Kopfhälfte, die nach
drei Tagen langsam zurückgeht.
Ende Juli. Die Drüsen wesentlich verkleinert. Fast völlig verschwunden.
In anderen Fällen ist die Reaktion nicht so prompt, namentlich wenn
es sich um recht große Pakete aus vielen miteinander verbackenen Drüsen
bestehend handelt. Hier ist als erstes Zeichen der Bestrahlungswirkung
zumeist ein Auflösen in einzelne gut voneinander abgrenzbare und nun
verschiebliche Drüsen zu konstatieren. Erst weitere Bestrahlungen bringen
dann weitere Verkleinerungen und völliges Verschwinden der Drüsen-
schwellungen. Als Beispiel dafür sei folgender Fall angeführt;
3. 6jähriges Mädchen, J. Pf. Seit ca. !/, Jahr im Anschluß an Keuchhusten
große Drüsenschwellungen auf beiden Halsseiten und in rechter Axilla. Axillar-
drüsen werden exstirpiert. Halsdrüsen bestrahlt. Mai 1911. Pirquet—+ +. Drüsen
nach der zweiten Bestrahlung (je 1/, Sabouraud-Dose) wesentlich kleiner. Darnach
nur geringe Abnahme. Juli-Sept. 1911. Starke Bronchitis, daher nicht bestrahlt.
290 Baisch
Sept. Zwei weitere Bestrahlungen, darauf völliges Verschwinden der Drüsen. Juli
1912. Keine Drüsen mehr zu fühlen.
Es gelingt also, in einer Reihe von Fällen durch fortgesetzte Be-
strahlungen einen völligen Erfolg durch Verschwinden der Drüsen zu er-
zielen. Relativ häufiger aber können wir im Verlauf der Röntgentherapie
andere Beobachtungen machen und zwar sind es dann zwei Möglichkeiten,
die den idealen Heilungserfolg beeinträchtigen.
Auf der einen Seite sehen wir nach der anfänglichen Verkleinerung
der Drüsen einen Stillstand eintreten und auch durch fortgesetzte Be-
strahlung ist ein Verschwinden nicht zu erzielen. Solche Drüsen sind
dann meist schon palpatorisch durch besondere Härte gekennzeichnet, ge-
wöhnlich etwa bohnengroß und gut verschieblich. Exstirpiert man dann
solche Drüsen, wie wir es mehrmals zur mikroskopischen. Untersuchung
taten, so findet man sie auch auf dem Durchschnitt hart und narbig und
im Zentrum gewöhnlich kleinere oder größere Käseherde, die von einem
straffen Bindegewebe eingeschlossen sind. Die mikroskopische Untersuchung
ergab den gleichen Befund. Die nekrotischen Herde sind scharf begrenzt
durch ein zellarmes Bindegewebe, das an einzelnen Stellen in die Käseherde
hineinzuwuchern beginnt und so eine ÖOrganisierung derselben anbahnt.
Von irgendwelchen Tuberkelknötchen war in solchen Drüsen nichts mehr
zu finden. Wir können dies also auch als eine Art Vernarbung und Hei-
lung ansehen nnd werden verstehen, daß ein völliges Verschwinden solcher
Drüsen nicht möglich sein konnte.
Als Beispiel hierfür sei folgender Fall angeführt:
4. 15jähriges Mädchen, A. H. Seit !/, Jahr Drüsenschwellung am rechten Unter-
kieferrand und auf der rechten Wange, die hier aufbricht und eine breite Ulzeration
mit unterminierten Rändern hinterläßt. Vom 7. II. 1911 ab bestrahlt, nach sechs Be-
strahlungen teils auf die Drüsen, teils auf die Ulzeration, ist diese völlig vernarbt.
Am Unterkiefer noch eine bohnengroße Drüse, die auch auf weitere vier Bestrahlungen
nicht mehr kleiner wird. Die Exstirpation ergibt den oben ausführlicher geschilderten
Befund.
Auf der anderen Seite können wir nach den ersten Bestrahlungen
auch eine vermehrte Erweichung und eitrige Einschmelzung auftreten sehen.
Wir werden dann durch eine kleine Inzision den Eiter entleeren, die
Wunde völlig schließen und weiter bestrahlen und können damit dann
völlige Heilung erzielen. Dies führt uns über zu der obengenannten zweiten
Gruppe der Drüsen, die wir schon in teilweise vereitertem oder verkästem
Zustand in Behandlung bekommen, und das ist die große Mehrzahl der
Fälle, die in chirurgische Behandlung kommen. In diesen Fällen werden
wir nur selten mit der Bestrahlung allein auskommen. Wir werden ge-
wöhnlich durch eine kleine Inzision den Eiter entleeren, die Wunde völlig
schließen und nach Heilung der Naht wieder bestrahlen. Es hat sich
Röntgenbehandlung tuberkulöser Lymphome. 291
uns als zweckmäßig erwiesen, die Heilung der Hautwunde erst abzuwarten,
da wir bei früherem Bestrahlen Dehiszenzen der Nahtlinie : oder Fisteln
auftreten sahen. Nach der Inzision und Entleerung des Eiters oder Ex-
kochleation der Käsemassen bleibt meist noch eine erhebliche Schwellung
zurück, die aus entzündlicher Infiltration der Umgebung und kleinen Drüsen
besteht. Durch die Bestrahlung erzielen wir ein völliges Verschwinden
dieser Schwellung und es bleibt nur eine kleine, blasse und lineare Narbe
zurück. Folgende Fälle mögen dies veranschaulichen:
5. 45jähriger Mann, A. B. Unter dem linken Sternocleidomast. hühnereigroßes
Drüsenpaket, im Zentruni erweicht. Inzision, Exkochleat. Hautnaht. Pirquet+ -.
5. XL. 1910 bis 28. I. 1912 fünf Bestrahlungen. Danach ist die Schwellung völlig
verschwunden, Narbe weich, klein, blaßB und kaum sichtbar.
6. 34jähriges Fräulein, L. Tr. Seit zwei Monaten Drüsenschwellung am Hals,
die trotz Jodsalbe usw. zunimmt. Schwellung wird inzidiert, exkochleiert. Wund-
verschluß p. prim. Es bleibt kleinapfelgroße Schwellung mit einigen gesondert fühl-
baren Drüsen. Pirquet—+-+. Vom 4. IV. 1911 bis 23. V. 1911 fünf Bestrahlungen,
in deren Verlauf die Schwellung zurückgeht und schließlich völlig verschwindet, so
daß nur die lineare Narbe bleibt, die unter den Unterkieferrand verschwindet und kaum
sichtbar ist.
Entstehen in der Inzisionswunde gelegentlich kleine Fisteln, so werden
diese durch die Bestrahlung bald wieder zum Schluß gebracht, ohne das
Aussehen der Narbe zu beeinträchtigen.
Ähnlich gute kosmetische Erfolge können wir mit der Bestrahlung
auch bei der dritten Gruppe, den ulzerierten und fistelnden Formen er-
zielen. Im allgemeinen bieten sie der Röntgenbestrahlung etwas mehr
Widerstand, einmal wegen der meist bestehenden Sekundärinfektion, die
uns häufig zu wiederholten Inzisionen und Exkochleationen zwingt. An-
dererseits läßt die dabei meist ekzematöse Haut in der Umgebung der
Fisteln keine Bestrahlung mit vollen Dosen zu. Immerhin kann man aber
mit vorsichtigen, wiederholten Bestrahlungen auch hier Heilung erzielen
mit Narben, die sich durch ihr glattes, blasses Aussehen auszeichnen.
Ein besonders eklatanter Fall hierfür ist folgender:
7. 14jähriger Junge, W. L., der seit mehr als !/, Jahre Drüsenschwellungen vor
dem rechten Ohr, später auch am Halse, hatte. Bald danach Inzision der präauri-
kulären Drüsen, die Fisteln hinterläßt, auch an anderen Stellen brechen Abszesse
durch. Sehr starke Sekretion. Ekzem der Umgebung über den ganzen behaarten Kopf.
Wunden glasig, schmierig belegt. Hohes Fieber. 3. III. 1911 Aufnahme in die Klinik.
Zwei Monate lang mit Verbänden, mehrfachen Inzisionen und Exkochl. ohne richtigen
Erfolg behandelt. Die Ulzerationen sehen noch speckig aus, die ganze Gesichts- und
Halsseite geschwollen. Pirquet- -+ +. — 6. V.1911 und9. V. 1911. Bestrahlung
mit je !/, Sabourauddose auf beide Halsseiten. Starke Reaktion danach, wieder hohes
Fieber, vermehrte Sekretion und Jauchung der Ulzera. Nach der zweiten Bestrah-
lung sehen die Ulzera besser aus. Die Sekretion läßt nach und ist weniger übelriechend.
19
292 Baisch,
Die Besserung macht langsam Fortschritte, so daß Patient bis Herbst nach 12 Be-
strahlungen entlassen wird. Er stellt sich erst im Juli 1912 wieder vor. Die Fisteln
an der Wange sind mit flachen blassen Narben völlig geheilt. Am Hals sind noch
auf beiden Seiten einige harte Drüsen.
Dieser Fall zeigt uns, daß wir da, wo eine mehrere Monate lange ander-
weitige Behandlung ohne Nutzen war, mit der Röntgenbestrahlung in relativ
kurzer Zeit eine Besserung und schließlich eine Heilung erzielt werden
kann. Weiterhin ist aber auch die starke Reaktion auf die Bestrahlung,
die mit hohem Fieber und vermehrter Sekretion einherging, bei dem
Patienten, der auch auf Pirquet in sehr starker Weise reagiert hatte,
bemerkenswert. Schon Kienböck hat auf diese Beobachtung hingewiesen
und wir konnten sie, allerdings meist in geringerem Grade auch bei anderen
Fällen machen. Es ist das auch der gleiche Vorgang, wie ich ihn oben
als Reaktion bei den geschlossenen Lymphomen beschrieben habe. Das gute
Aussehen der Narben nach den breiten Ulzerationen mußten wir ebenfalls
auf die Röntgenbestrahlung zurückführen. Dies wird von allen Beobachtern
übereinstimmend angegeben, daß die Narben sich durch ihre Kleinheit
und blasses Aussehen auszeichnen und niemals solche keloidartigen Ver-
dickungen aufweisen, wie wir sie sonst so vielfach nach Drüsenulzerationen
sehen können.
Fassen wir nun unsere Erfahrungen noch einmal zusammen, so können
wir sagen, die Röntgenbehandlung ist ein wertvolles Hilfsmittel für alle
Fälle von tuberkulösen Lymphomen. Im ersten Stadium, der einfachen
Hyperplasie, wirken die Röntgenstrahlen gründlicher als die Exstirpation,
weil sie gerade die vielen kleineren Drüsen in der Umgebung der stark
vergrößerten, die bei der Operation leicht übersehen werden und dann zu
Rezidiven Veranlassung geben können, besonders intensiv beeinflussen.
Wir können in günstigen Fällen damit völliges Zurückgehen der Drüsen-
schwellungen erzielen und vermeiden auf diese Weise die oft so entstellenden
Narben, was nicht nur in kosmetischer Beziehung für die Patienten
von Vorteil ist, sondern wie Bernhard mit Recht hervorhebt, auch in
sozialer. Solche Halsnarben drücken auch nach vollkommener Heilung
den Betreffenden den Stempel der Tuberkulose auf, was eventuell bei
Fragen der Anstellung oder ähnlichem von Bedeutung werden kann. Eim
besonders eklatanter Fall sei hier noch kurz angeführt.
8. 19jähriges Mädchen, Fr. Schw., die schon mehrfach wegen Drüsen operiert
worden war und eine von der Schläfe über die ganze Wange auf den Hals
ziehende Narbe, eine zweite hinter dem Sternocleidomast. hat. Unter diesen Narben
wieder aufgetretene Drüsen werden durch drei Bestrahlungen zum Verschwinden ge-
bracht, ebenso eine später am Kinn auftretende Drüse durch weitere drei Bestrah-
lungen. Pirquet war sehr stark + + +.
Röntgenbehandlung tuberkulöser Lymphome. 293
Sind die Drüsen im Zentrum schon in Nekrose übergegangen, so
kann durch die Bestrahlung entweder eine Abkapselung und narbige Ein-
schließung dieser Nekrosen und damit eine Heilung erzielt werden, oder
es kommt zur rascherer Einschmelzung und Abszedierung. In diesen
Fällen werden wir ebenso wie bei den Fällen der zweiten und dritten
Gruppen durch Bestrahlung im Verein mit kleinen operativen Eingriffen
das beste Resultat erzielen, was besonders wegen des kosmetischen Erfolges
der kleineren weniger auffallenden Narben dem Resultat bei rein chirur-
sischer Therapie unbedingt überlegen ist.
Schließlich ist auch noch ein wesentlicher Faktor gegen die aus-
gedehnten Drüsenexstirpationen ins Feld zu führen, auf den von Wilms
und anderen hingewiesen worden ist. Wir haben fast bei allen unseren
Patienten mit tuberkulösen Lymphomen die Pirquetsche Kutanreaktion
gemacht und dabei meist einen starken positiven Ausfall derselben beob-
achtet. Dies zeigt uns, daß in den betreffenden Individuen ein lebhafter
Immunisierungsvorgang gegen die Tuberkulose durch Bildung von Schutz-
stoffen eingesetzt hat. Bei frühzeitiger, ausgedehnter Exstirpation der Drüsen
kann dieser Immunisierungsvorgang nicht so kräftig sein, der Körper bleibt
gegen eine Neuinfektion gleich empfindlich und ist der Drüsen, die als Filter
ein wertvolles Mittel im Kampfe gegen die Verbreitung der Infektion im
Körper sind, beraubt. Die Röntgenbestrahlung dagegen ist imstande,
diesen Vorgang zu unterstützen, was wir aus der starken lokalen und
allgemeinen Reaktion schließen können, die wir besonders bei den Fällen
mit starker Pirquetscher Reaktion ausgesprochen fanden. Die gleichen
Fälle zeichneten sich dann auch durch eine besonders rasche und günstige
Heilung aus.
Den pathologisch-anatomischen Vorgang, der sich nach der Bestrah-
lung in den Drüsen abspielt, kennen wir seit den experimentellen Unter-
suchungen von Heinecke. Er konnte damit feststellen, daß in allen
Iymphatischen Organen durch die Bestrahlung je nach Dauer und Intensität
derselben ein rapider Zerfall der Lymphozyten eintritt, der nach einigen
Tagen seinen Höhepunkt erreicht. Danach beginnt ein regenerativer Vor-
gang, der in massenhaftem Auftreten von Fibroblasten, wie es auch Freund
fand, und Neubildung von Bindegewebe besteht. Bei der Bestrahlung der
tuberkulösen Lymphome müssen wir danach in dem Stadium der oben ge-
schilderten Reaktion die Zeit des Lymphozytenzerfalles sehen, ‘worauf dann
auch hier der Regenerationsvorgang einsetzt. Wir werden danach auch
verstehen, daß der Heilungsprozeß nicht immer bis zu völligem Verschwin-
den der Drüsen gehen wird, sondern daß in einzelnen Fällen bindegewebige
Reste bleiben, besonders wenn zentrale Nekrosen vorhanden waren.
Wir konnten diese Vorgänge an mikroskopischen Präparaten, die wir
19*
294 Baisch,
gelegentlich der Exstirpation bestrahlter Drüsen erhielten, beobachten. Je
nach der Dauer und dem Grade der Bestrahlung waren die Bilder ganz
verschieden. Zunächst sahen wir die Tuberkelknötchen zugrunde gehen,
die Zellen sind zerfallen, nur die Riesenzellen haben sich im Zentrum er-
halten. In späteren Stadien ist auch von diesen nichts mehr zu sehen,
von allen Seiten wuchert nun Bindegewebe in die Knötchen hinein und
führt auf diese Weise zu ihrer Vernarbung. Wie in Fällen von zentraler
käsiger Nekrose diese von zellarmem straffen Bindegewebe eingeschlossen
werden, habe ich an anderer Stelle schon geschildert. Krall konnte in
solchem käsigen Eiter bestrahlter Drüsen noch zahlreiche Tuberkelbazillen
nachweisen, bei denen der Tierversuch dann allerdings eine erhebliche Ver-
minderung der Virulenz ergab.
Zum Schlusse möchte ich noch eine statistische Übersicht über unsere
Fälle geben. Das gesamte, gemeinschaftlich mit Dr. Krall behandelte
Material umfaßt jetzt 126 Fälle. davon scheiden 29 für eine Beurteilung aus,
weil sie nicht vollständig bestrahlt wurden, d. h. nach der ersten oder zweiten
Bestrahlung wegblieben oder aus anderen Gründen operiert wurden. Von
den resticrenden 97 Fällen sind bisher 57 als geheilt aus der Behand-
lung entlassen. 36 stehen noch in Behandlung.
Genauere Rubrizierung möchte ich von 50 Fällen geben, die ich unter
eigener ständiger Kontrolle behielt. Von diesen scheiden 9 aus wegen
unvollständiger Bestrahlung. Die übrigen 41 verteilen sich folgendermaßen
auf die einzelnen Stadien:
| Zusammen I. Stadium | II. Stadium am. Stadium
|.
m — m 7. p ZZ rn ee TILL nn nn Te m [LU ———
. Geheilt
ver Ge
; 25 9 12 | 3
2. noch in Behandlung | |
mit Erfolg 12 | 7 | 4 1
4. ohne wesentlichen Er- | |
folg. 4 | 2 | = | 2
Wir schen danach das bestätigt, was ich oben anführte, daß die
III. Gruppe einer raschen Heilung die meisten Schwierigkeiten entgegen-
setzt. Die Mißerfolge in dieser Gruppe betreffen zwei Fälle von großen
dloppelseitigen Drüsenpaketen, die zum Teil ulzeriert waren, bei einen Fall
war auch der Pirquet negativ. Die beiden mangelhaften Erfolge der
I. Gruppe betreffen ebenfalls Fälle mit sehr großen beiderseitigen Drüsen-
paketen, die zwar anfänglich eine Verkleinerung zeigten, dann aber gegen
weitere Bestrahlung sich resistent verhielten. Vielleicht mag der Haupt-
grund hier darin liegen, daß die Bestrahlung nicht intensiv genug war,
um einen befriedigenden Erfolg zu erzielen. Jedenfalls können wir das eine
sagen, daß ein völliger Mißerfolg, wobei überhaupt keine Reaktion einge-
e e on mn e oe
Röntgenbehandlung tuberkulöser Lymphome. 295
treten wäre, nicht vorgekommen ist. Den unserigen ähnliche Resultate
konnte Wetterer erzielen, der unter 31 Fällen einfach hyperplastischer
Drüsen 29 Heilungen, bei vereiterten Drüsen unter 23 Fällen 18 Heilungen
und bei ulzerierten Formen unter 12 Fällen 8 Heilungen sah.
Die bisherigen Erfolge haben den Beweis geliefert, daB die Röntgen-
behandlung in der Therapie der tuberkulösen Lymphome von nicht zu
unterschätzender Bedeutung ist und weitere Erfahrung und Übung wird
die Erfolge zweifellos noch verbessern.
Literatur.
Bachem, Fortschr. f. Röntgenstrahlen, Bd. 13.
Baisch, Berliner klin. Wochenschr. 1911, Nr. 44.
— Klinisch-therapeutische Wochenschr. 1912, Nr. 21.
Barjou, (Ref.) Fortschr. f. Röntgenstrahlen, Bd. 16.
Bernhard, Heliotherapie im Hochgebirge. Ferd. Enke, Stuttgart 1912.
Denks, Ärztl. Verein Hamburg, April 1911.
Iselin, D. Zeitschr. f. Chir. 1910, Bd. 103.
Heinecke, Mitteil. aus d. Grenzgebieten d. Medizin u. Chir., Bd. 14.
Kienböck, Arch. f. phys. Medizin u. med. Technik, Bd. 5.
— Röntgentaschenbuch 1911.
Krall, Münch. med. Wochenschr. 1912, Nr. 3.
Meyer, H., u. Ritter, Strahlentherapie, Bd. 1, H. 1/2.
Mühsam, D. med. Wochenschr. 1898.
Perthes, Fortschr. f. Röntgenstr., Bd. 8.
Wetterer, Handbuch d. Röntgentherapie 1908.
— Arch. f. phys. Medizin, Bd. 6.
— D. med. Wochenschr. 1911, Nr. 44.
Wilms, D. med. Wochenschr. 1911, Nr. 36.
Zur Röntgenbehandlung der Epitheliome.
Von
Dr. Fritz Callomon, Arzt für Hautkranke in Bromberg.
PR Mitteilung bezweckt in erster Linie, erneut die Aufmerksamkeit
auf unliebsame und unvorhersehbare Möglichkeiten bei der Röntgen-
behandlung der Hautepitheliome zu lenken.
I. Der 61jährige Fuhrmann R. steht seit einem Halbjahr in ärztlicher Be-
handlung wegen eines seit 1'!/, Jahren sich entwickelnden Geschwürs an der Nase;
Kaustik und Ätzung erfolglos, Exzision abgelehnt, daher uns zur Röntgenbehand-
lung überwiesen. Status: Offenes Kankroid mit wallartigem Rand von kaum
Kirschkerngröße am r. Nasenflügel. Regionäre Lymphdrüsen in keiner Weise fühl-
bar beteiligt. Am 23. 1.1911 Röntgenbestrahlung: !/, Erythemdose (Sab.-Noire'
bei 8 Wehnelt; Wiederholung 2 Wochen später am 4. II. — Abdeckung der
Augen; die ganze übrige Umgebung der Nase wird ins Bestrahlungsbereich ein-
bezogen. Schon am 24.11. ist das Kankroid völlig geschwunden; die Über-
häutung des Ulkus erfolgte schon vorher. Die Narbe ist weich, nirgends mehr
suspekt; zur Sicherung des Resultats noch einmal !/, E.-D. am 24. II. 1911.
Bis jetzt (Juni 1912) — also 1'/, Jahre später — besteht dieser örtliche Heil-
erfolg unverändert. Hingegen erschien schon Febr. 1912 der Kranke mit kinder-
faustgroßer, derber Schwellung der r. Wangengegend, die nach seiner Angabe
fast unmittelbar nach der letzten Bestrahlung begann, im Mai 1911 etwa
Walnußgröße, im Nov. Pflaumengröße erreichend, ohne größere Schmerzen zu ver-
anlassen. Der ihm zur Pflicht gemachten Kontrolluntersuchung hatte sich Pat.
entzogen, da er infolge des raschen und dauernden Heilerfolgs an der Nase einen
Zusammenhang gar nicht für möglich halten wollte. — Status (Febr. 1912): klein-
faustgroßer, harter metastatischer Tumor der r. Parotisgegend, weithin in
die oberflächlichen und tieferen Schichten des Halses auslaufend; chirurgischer-
seits für inoperabel erklärt (Umwachsung der Halsgefäße und -nerven)
Juni 1912 haben wuchernde Geschwulstmassen die Haut durchbrochen; mehrfache
Bestrahlungen konnten natürlich nur oberflächliche Rückbildungen erzielen und
an dem weiteren malignen Verlauf nichts ändern.
II. Die 7Y jährige Witwe K. wird chirurgischerseits am 22. IV. 1910 zur Be-
strahlung eines bisher gutartig verlaufenden, jahrelang bestehenden Kankroids der
Stirnhaut uns zur Bestrahlung überwiesen. Erbsengroßes, geschlossenes Epithe-
liom. regionäre Drüsen frei Am 22. IV. reichlich eine halbe Erythemdose bei
8! Wehnelt, am 11. Mai nochmals !/,;, E.-D. Am 18. V. status idem, kein Rück-
gang; weitere Bestrahlung in höherer Dosis empfohlen, doch erscheint Pat. hierzu
erst 4 Wochen später, und zwar mit völlig verändertem Bilde: Die Neu-
bildung ist plötzlich rapid gewachsen, hat in der kurzen Zeit über Kirsch-
größe erreicht, sich also mehr als doppelt im Umfange vergrößert. Von weiteren
Bestrahlungen wird Abstand genommen. Sofortige Exzision nebst Drüsenaus-
räumung seitens des überweisenden Chirurgen; Heilung.
Außerlich bot dieser Tumor beim Eintritt in die Behandlung keinerlei vom
gutartigen Typus der Alters-Kankroide abweichendes Merkmal.
Callomon, Röntgenbehandlung der Epitheliome. 297
Zweifellos ist bei der alten Frau (Fall II) ein jahrelang gutartig
persistierendes Epitheliom durch zwei Bestrahlungen (reich-
liche halbe Erythemdosen bei 81J, W.) zu plötzlicher rapider Wuche-
rung gebracht, somit ein Wachstumsreiz ausgeübt worden. Dahin-
gestellt bleibe, ob dies durch von vornherein höhere Dosierung vermeidbar
gewesen wäre; jedenfalls gab uns der unerwünschte Erfolg Anlaß, bei
jedem Kankroid, gleichgültig ob geschlossen oder offen, fortan sofort eine
der Volldose mindestens nahe kommende Menge zu geben, wie dies auch
H. E. Schmidt und Frank Schultz jetzt grundsätzlich empfehlen
(also *, bis 1 E.-D. in Abständen von 3 bis 4 Wochen). Auch diese
beiden Autoren haben ähnliche unliebsame Beobachtungen gemacht, und
zwar auch bei höherer Dosierung. H. E. Schmidt berichtet auf dem
4. Kongreß der Deutschen Röntgen-Gesellschaft über einen Kranken, bei
dem eine kirschkerngroße Epithelwucherung trotz anfänglicher Abflachung
nach der 7. Bestrahlung plötzlich zu wachsen begann, nach der 8. Be-
strahlung zu Drüsenschwellungen und trotz sofortiger Operation zum Tode
führte. Frank Schultz erwähnt in seiner „Röntgentherapie‘ (S. 132)
ein Epitheliom, das nach zwei Bestrahlungen von 7 und 5 Wehnelt zu
rascher Propagierung und ad exitum kam. Es gibt eben Versager, die
sich dawernd als röntgenrefraktär erweisen — auch bei veränderter Dosierung
und Röhrenhärte —, und unter diesen eine Anzahl von Fällen, die durch
die Röntgenbestrahlung sogar verschlimmert werden.
Das illustriert auch der 61jährige Patient (Fall I) mit bisher gut-
artig verlaufendem, d.h. sehr langsam wachsenden Kankroid des Nasen-
flügels: trotz völligen und raschen Heilerfolges an der Nase ent-
wickelt sich bald nach der 3. Bestrahlung in der Nachbarschaft
eine metastatische Geschwulst, die den Fall maligne gestaltet. In
ähnlicher Weise sah Herxheimer einen durch Röntgenstrahlen geheilten
Fall von Hautkarzinom durch Weiterwachsen nach innen (Gehirn) zu
(Grunde gehen; der Fall wird in der Diskussion auf dem 5. Internationalen
Dermatologenkongreß erwähnt. Bei unserm Kranken läßt sich zwar nicht
mit Bestimmtheit ein Kausalzusammenhang zwischen Bestrahlung und Ent-
wicklung der Metastase behaupten, mindestens aber legt sein Verlauf die
Möglichkeit nahe, daß auch hier insofern ein Wachstumsreiz mitgespielt hat,
als in der Peripherie des bestrahlten Bezirks — wo der vielleicht schon vor-
her latente Keim der Metastase lag — die Kraft der aus weiterer Ent-
fernung von der Röhrenwand ausgehenden Strahlen nicht ausreichte, um
die tiefer im Gewebe sitzenden Geschwulstkeime vernichtend zu treffen,
sondern nur um als Reiz zu wirken. Wenigstens entspräche diese An-
nahme unseren Vorstellungen von der Wirkungsweise der X-Strahlen auf
das Gewebe, die sich je nach der Dosis vom Zellreiz über das Sta-
298 Callomon,
dium vorübergehender Zellähmung bis zum Zelltode steigert (Frank,
Schultz).
Die schwerwiegende Bedeutung eines solchen Falles für die Praxis
liegt darin, daß der Kranke sich angesichts des prompten Heilerfolges am
Ursprungsherd über die Natur der Parotisgeschwulst täuschen und so den
Zeitpunkt für die Operation versäumen konnte, bis es zu spät war. Auf
dem V. Internat. Dermatologen-Kongreß in Berlin salı sich Schlesinger
auf Grund ähnlicher Erfahrungen aus dem von Bergmannschen Material
zu grundsätzlicher Ablehnung der Röntgentherapie für operable Epitheliome
veranlaßt, da eben — nach dem damaligen Stand dieser Therapie sicher
häufiger als heute — unter dem Bilde scheinbaren Rückgangs ein Weiter-
wuchern in der Tiefe möglich sei. Man darf natürlich nicht vergessen,
daß derartige Vorkommnisse heute zu den Ausnahmen gehören und als
atypische zu bezeichnen sind gegenüber der sehr großen und weit über-
wiegenden Zahl sichergestellter Dauerheilungen. Die von H. E. Schmidt
auf dem IV. Röntgenkongreß publizierten und in seinem „Kompendium“
aus der Literatur gesammelten Zahlen wirken überzeugend genug. Ich
verfüge selbst über z. T. durch zwei Jahre nachbeobachtete endgültige
Heilungen. Dennoch dürfte Schmidt vielleicht zu weit gehen, wenn er
bei jedem Kankroid ohne regionäre Drüsenschwellung die Röntgentherapie
für in erster Linie indiziert erklärt und ihr wegen der Promptheit des
Erfolgs, der kosmetischen Vorteile, der unblutigen Behandlung grund-
sätzlich den Vorzug vor der chirurgischen einräumt. So selten üble Folgen
der Bestrahlung sind, so genügen sie wohl, um auch heute gerade bei
diesen günstig liegenden Frühfällen im Prinzip die Exzision weit
im Gesunden als das zunächst angezeigte Verfahren zu betrachten. Leider
gibt ja das klinische Aussehen der Neubildungen gar keinen Anhalt für
ihre Radiosensibilität und gestattet somit — wie schon Veiel sen. auf
dem V. Internat. Kongreß hervoriob — keineswegs eine Auswahl der
Fälle in dem Sinne, dal die einen unbedingt dem Chirurgen, die anderen
dem Röntgenarzt zuzuweisen wären.
Ohne weiter die bis heute viel diskutierte Frage der Indikation des
Röntgenverfahrens beim Kankroid aufzurollen, das bei den Dermatologen
meist wärmste Verfechter, bei den Chirurgen vielfach Widerspruch findet,
dürfte soviel als sicher gelten, daß eine strenge Indikation für die
Röntgenbehandlung nur in drei Kategorien von Fällen
besteht: 1. wenn technische Schwierigkeiten ernste Bedenken gegen die
Operation bieten, d. h. Schwierigkeiten der Plastik bei ungünstigem Sitze
(Augenwinkel, Lider) oder bei sehr ausgebreitetem, flachem Ulcus rodens,
das zu große Defekte hinterlassen würde, 2. wenn ernste allgemeine Kontra-
indikationen gegen den Eingriff bestehen (sehr hohes Alter, interne Er-
Röntgenbehandlung der Epitheliome. 299
krankungen schwerer Natur), 3. in jenen viel selteneren Fällen, die
Schiff und Neisser auf dem V. Internat. Kongreß erwähnen, wo
trotz radikaler Exzisionen immer wieder Rezidive auftreten.
In allen anderen Fällen kann die Indikation nur eine relative sein.
Unbedingt ist vor allzu langer Fortsetzung der Bestrahlungs-
versuche bei röntgenrefraktären Kankroiden zu warnen,
wie H. E. Schmidt und Schultz ebenfalls betonen.
Daß aber gerade bei den chirurgisch nicht zugänglichen Epitheliomen
das Röntgenverfahren unersetzlichen Wert haben kann, illustrieren folgende
beide Beobachtungen, die den am Anfang erörterten mit ungünstigen
Verlauf gegenübergestellt seien, um zu zeigen, daß auch für denjenigen,
der sich nur bei operativ unangreifbaren Kankroiden zur Bestrahlung be-
rechtigt fühlt, ein nicht kleines und um so dankbareres Anwendungsgebiet
übrig bleibt.
II. Frau G., 70 Jahr alt, sehr gebrechliche Dame, leidet seit etwa 5 bis
6 Jahren an geschwüriger Erkrankung der r. Ohrmuschel und Umgebung. Status
(5. XI. 1910): flaches, sehr ausgedehntes Ulcus rodens, die r. Ohrmuschel retro-
aurikulär umgebend und nach oben und vorn umkreisend bis nahe dem Ohr-
eingang; die Hinterfläche der Muschel ist bis fast ans Ohrläppchen mit ergriffen
und im oberen Teile infolge Kontakts beider Geschwürsflächen allmählich mit der
Kopfhaut fest verwachsen. Das obere Viertel der Ohrmuschel ist stark destruiert
und geht ohne Grenze in die mit ihr verwachsene geschwürige Schläfenhaut über.
Ausbreitung und Sitz schalten neben dem gebrechlichen All-
gemeinzustand die Operation aus; daher am 5. XI. Röntgenbestrahlung
von ®/, Erythemdose (Sab.-Noire) bei 8 W. Hierauf sofortiger Beginn leb-
hafter Epithelisierung der Geschwürfläche. Wiederholung der Bestrahlung
am 2. XII. Leider macht zunehmende Altersschwäche ein erneutes Herkommen
der mehrere Stunden entfernt wohnenden Dame nicht mehr möglich; doch hat
nach dem Bericht der Angehörigen die Besserung weiter zugenommen. — Weiter-
verlauf nicht kontrollierbar.
IV. Frau Sch., 70 Jahr, zeigt im Gesicht das Bild umfangreicher plastischer
Operationen, die wegen Lupus vor 16 Jahren ausgeführt wurden; an der Stirn
und r. Gesichtshälfte, sowie unterhalb des r. Auges sind teils Exzisionen vor-
genommen worden, teils Plastiken durch gestielten Lappen (Stirn) und Krause-
transplantation. Lupusreste sind seit Jahren nirgends mehr sichtbar; jedoch
haben sich langsam kleine umschriebene Verhärtungen und Geschwüre im Gesicht
entwickelt. Status (April 1910): am Nasenrücken, in der Mitte der l. Wange, an
der Operlippe und am r. oberen Augenlid kleinlinsen- bis erbsengroße, teils offene,
teils geschlossene Kankroide. Lupusknötchen nirgends sichtbar. — Beginn der
Röntgenbehandlung mit halben Erythemdosen in zweiwöchentlichen Inter-
vallen, Steigerung an den hierauf nicht reagierenden Stellen auf ?/, und ?/; E.-D.
bei 8 und 8'/,W. Nach einem halben Jahre sind sämtliche Neubildungen
zum Rückgange gebracht und mit feiner Narbe geheilt außer einem
kleinen Rest an der Il. Wange, der sich auch erneuter Bestrahlung gegenüber
bis heute immer renitent erwies, auch bei Wechsel der Röhrenhärte. Hingegen
geht ein kleines Rezidiv an der Nase auf nochmalige Behandlung zurück. Juni
300 Callomon,
1912 besteht nur der resistente hirsekorngroße Kankroidrest an der Wange, sonst
überall glatte Vernarbung.
Beide Beobachtungen sind unter die oben erwähnte erste Kategorie
von Fällen strenger Röntgenindikation einzureihen. Im ersten Falle schließt
die weite Ausbreitung und Lokalisation eines flächenhaften Ulcus
rodens, das andere Mal die Multiplizität der Kankroide auf dem Boden
eines alten Operationsgebietes chirurgisches Vorgehen aus. Der erste Fall
wird gebessert; der Heilerfolg des zweiten zeigt aufs deutlichste den her-
vorragenden Wert des Röntgenverfahrens, das hier allein das Antlitz einer
den größten Teil ihres Lebens an Lupus leidenden, hiervon durch schwierige
Plastiken geheilten, jedoch schwer entstellten Frau vor weiterer Entstellung
und dem Umsichgreifen einer neuen Krankheit bewahren konnte. Übrigens
bestätigt der letzte Fall die von Frank Schultz in seiner „Röntgen-
therapie* erwähnte Erfahrung, daß die Beseitigung der letzten, oft nur
stecknadelkopfgroßen Reste mehr Zeit erfordern kann als die Behand-
lung des ganzen übrigen Epithelioms. Leider stand uns Radium, bzw.
Mesothorium, trotz aller Bemühungen nicht zu Gebote, das Schultz
gerade für diese röntgenresistenten Kankroidreste empfiehlt.
Endlich einige Bemerkungen technischer Natur:
1. In der Regel wurde die Umgebung der Neubildung nicht abgedeckt.
um die Strahlen möglichst weit im Gesunden wirken zu lassen und kos-
metisch störende, sich bei höherer Dosierung besonders leicht einstellende.
scharf abschneidende Pigmentierungen zu vermeiden. Nur die Nähe des
Auges ließ die Abdeckung ratsam erscheinen. Technische Schwierigkeiten
können sich hierbei ergeben, wenn — wie bei der zuletzt erwähnten Frau
mit multiplen Kankroiden — ein Epitheliom in der Mitte des oberen
Augenlids lokalisiert ist. Hier erwies sich als einfachstes Verfahren der
Heftpflasterzug, mittels dessen es gelingt, die Haut des Oberlids weithin
nach medianwärts und oben über den Orbitalrand zu ziehen und durch
Einstellung mittels Bleiglastubus alsdann den Bulbus vom Strahlungsbezirk
völlig fernzuhalten.
2. Das hohe Alter und der gebrechliche Zustand vieler an Kankroid
leidenden Patienten legt den Wunsch nahe, durch geeignete Wahl der Röhre beı
möglichst großer Leistung möglichst kurzdauernde Sitzungen zu
erzielen. Selbst relativ dünnwandige Röhren mittleren Härtegrades geben
die meist anzuwendende ?/,—!, Erythemdose gewöhnlich kaum in weniger
als etwa 20—25 Minuten. Aus dieser Erwägung heraus schien uns die
Empfehlung der Lindemann-Röhre auf dem 7. Röntgen-Kongreß einen
Fortschritt zu versprechen. Nach Albers-Schönberg beträgt die Durch-
lässigkeit des von den Gebr. Lindemann erfundenen Glases für X-
Strahlen das Vier- und Fünffache gegenüber dem sonst bei der Röhren-
Röntgenbehandlung der Epitheliome. 301
fabrikation verwendeten Natriumkalziumsilikatglase: die geringe Absorption
der Strahlen erklärt sich durch die chemische Zusammensetzung aus Bor,
Lithium und Beryll mit ihren geringeren Atomgewichten, sowie durch die
hiermit erreichbare besondere Dünne der Glaswand, die bei der Lindemann-
Röhre nur !,o—?lı, mm beträgt gegenüber !,—1 mm bei den gewöhn-
lichen Röhren (s. Verh. des 7. Kongr. d. D. Röntgen-Ges., S. 161 und 163).
Wir gebrauchten bei der Patientin mit multiplen Kankroiden unter anderem
eine Müller-Röhre Nr. 13 mit Lindemann-Fenster, welche bei 8 W.
die Erythemdose nach Sabouraud-Noiré in 18 Minuten ergab; in 10 Minuten
also war die bei Kankroidbehandlung in Betracht kommende Dosis etwa er-
reicht. Erwies sich diese Abkürzung der Bestrahlungsdauer auf der einen
Seite als hoher Gewinn, so ergab sich auf der anderen daß bei Anwendung
der Lindemann-Röhre zu Therapiezwecken die peinlichste Vorsicht in
der Wahrung der Röhrenkonstanz besonders streng geboten ist, wofern
Erytheme vermieden werden sollen. Hierüber wurden wir wiederholt bei
der Bestrahlung von Ekzemen belehrt. Denn schon geringfügige Schwan-
kungen der Konstanz während des Betriebes können bei der quantitativ
wirksameren Bestrahlung naturgemäß einen Ausschlag geben, Schwankungen,
die bei den gewöhnlichen Röhren weniger leicht zu übersehen sind und
wegen ihrer relativen Geringfügigkeit vielleicht noch nicht einmal Anlaß
zur Regulierung während des Betriebes bieten würden. Doch auch qualita-
tive Unterschiede hinsichtlich des zur Wirkung kommenden Stralilenge-
misches scheinen bisweilen mitwirken zu können. Wenigstens muß es
auffallen, daß wir bei einer 10 Minutenbestrahlung, d. h. schon bei
reichlich ?/, E.-D., trotz sorgsamer Beobachtung der Meßinstrumente
und der Patientin, sowie trotz unmittelbar vor der Behandlung wiederholter
Bestimmung der E.-Dose, ein Erythem von zweiwöchigem Ablauf er-
zielten. Ohne aus dieser vereinzelten Beobachtung sichere Schlüsse zu
zichen, hielten wir uns für verpflichtet, bei Anwendung der Lindemann-
Röhre fortan in der Einzeldosis unter °/, E.-D. zu bleiben. Die letzte
vorangegangene Röntgenbehandlung lag in unserem Falle zelın Wochen
zurück. Mag trotz dieses Zwischenraumes eine Kumulierung von Röntgen-
wirkungen denkbar sein, so scheint es uns fraglich, ob hier nicht in-
folge der gesteigerten Durchlässigkeit des Lindemann -Fensters für
jede Strahlengattung, auch für sehr weiche Strahlen, Abweichungen
hinsichtlich des wirksamen Strahlengemisches eine Rolle gespielt haben
für welche die übliche, für mittlere Härtegrade gewöhnlicher Röhren
geltende Bestimmung durch Teinte B des Radiometers keinen deut-
lichen Maßstab gab. Es sei nur kurz auf die Untersuchungen von
Frank-Schultz hingewiesen, dem der Nachweis gelang, daß Strahlen
von 2 W. schon bei Verabreichung von ?1, Volldosen nach S.-N. ein
302 Callomon, Röntgenbehandlung der Epitheliome.
Erythem zu erzeugen vermögen, und daß ?], E.-D. bei 2 W. etwa !/, E.-D.
bei 7,5 W. gleich zu setzen ist. Gileichartige Ergebnisse liegen von
H. E. Schmidt vor (Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr. XV, I). Danach
könnten sehr wohl die im Strahlengemisch unserer Röhre, wenn auch
in noch so kleinem Mengenverhältnis, mit enthaltenen weichen Strahlen,
die bei anderen Röhren infolge Absorption durch die Glaswand ganz aus-
schalten, bewirkt haben, dal das Erythem schon etwas unterhalb der nach
S.-N. bestimmten E.-D. erreicht worden ist. Jedenfalls scheint die Frage
der absoluten Zuverlässigkeit des S.-N.schen Dosimetrieverfahrens für
Röhren aus Lindemann-Glas der Nachprüfung zu bedürfen. Angaben
hierüber waren in der mir zugänglichen Literatur bisher nicht zu finden.
Literatur.
H. E. Schmidt, „Kompendium der Röntgentherapie“. August Hirschwald 1909.
Frank Schultz, „Die Röntgentherapie in der Dermatologie“. Jul. Springer 1910.
Verhandlungen des V. Internationalen Dermatologen-Kongresses Berlin 1904.
Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen, XV, 1.
Verhandlungen der Deutschen Röntgen-Gesellschaft, Bd. V und Bd. VII.
Aus der chir. Abteilung des Bürgerhospitals Cöln (Chefarzt Geh. Med.-Rat
Prof. Dr. Bardenheuer).
Über die Behandlung des Ulcus cruris mit rotem Glühlicht‘).
Von
Dr. Artur Meyer, Assistenzarzt der Abteilung.
D“ chronische Unterschenkelgeschwür nimmt in der Krankheitsstatistik
infolge seiner Häufigkeit, seiner langwierigen Behandlung und oft-
maligen Wiederkehr einen breiten Raum ein, nur allzuoft bedingt es lang-
dauernde Arbeitsunfähigkeit oder gar völlige Invalidität, so daß es auch
in volkswirtschaftlicher Beziehung eine große Bedeutung gewinnt. Vergeb-
lich hat man bisher nach einer Therapie gesucht, die eine rasche und
dauernde Beseitigung dieses hartnäckigen Leidens gewährleistet. Zahlreich
und mannigfaltig sind ja die Hindernisse, die sich seiner Heilung entgegen-
stellen. Aberglaube und soziale Verhältnisse spielen rein äußerlich eine
große Rolle; somatisch sind es Allgemeinkrankheiten, wie Lues, Diabetes
und Tuberkulose, Erkrankungen des Herzens und der Niere, Tumoren des
Abdomens, bei Frauen die Gravidität, die die Heilung erschweren. Als
lokale Hindernisse kommen die Lage an einer mechanischen Insulten
exponierten Körperstelle und die ungünstigen anatomischen Beziehungen
der Haut zu dem darunter liegenden Knochen in Betracht. Alle heilungs-
widrigen Momente werden aber bei weitem überwogen durch die schlechten
Zirkulationsverhältnisse am Unterschenkel. Die Ermährung und Wider-
standskraft der Gewebe durch bessere Zu- und Abfuhr des Blutes zu
heben, bleibt daher die hervorragendste Aufgabe bei der Therapie des
Ulcus cruris. Durch Trendelenburg ist die Bedeutung der venösen
Stauung voll gewürdigt worden, nicht minder wichtig bei der Behandlung
des Ulcus cruris ist aber die Sorge für eine ausreichende Zufuhr von Er-
nährungsflüssigkeit. Die Erzeugung einer aktiven Hyperämie ist ja ein
Leichtes, seit wir die Heißluft- und Dampfkastenbäder kennen, doch ver-
dienen die Glühlichtbäder Kellogs den Vorzug. weil strahlende Wärme
schneller in die Haut eindringt als die von den erst erwähnten Apparaten
selieferte fortgeleitete Wärme.
Bei der Beurteilung des wirksamen Prinzips der Kellogschen Glüh-
lichtkästen ist neben der Wärme die Lichtkomponente für offene Wunden
von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Wir kennen durch die bereits
!) Nach einem am 4. Dezember 1910 im Verein Niederrheinischer Chirurgen zu
Düsseldorf gehaltenen Vortrag.
304 Meyer,
im Jahre 1876 angestellten Versuche von Downes und Blunt die bak-
terizide Eigenschaft des zusammengesetzten Lichtes. Finsen gab die
Anregung zur Untersuchung der physiologischen Wirkungen einfarbigen
Lichtes auf die pathologischen Veränderungen der Haut. Unna, Wid-
mark, Hammer und andere Autoren stellten experimentell fest, dal) die
thermischen Strahlen des Spektrums — ultrarot, rot und orange — ledig-
lich hyperämisierend auf die Haut wirken, daß dagegen die chemischen
Strahlen — blau, violett und ultraviolett — eine hohe Reizwirkung
ausüben, die zu Erythem, ekzematöser Erkrankung und Pigmentbildung
führt.
Den Einfluß der Lichtarten von verschiedener Wellenlänge auf den
Organismus, speziell auf die Haut und die Vorgänge bei der Entzündung
haben zahlreiche Arbeiten der letzten Jahre zu eruieren gesucht. Wir
wissen durch die Forschungsergebnisse von Dreyer, Neisser, Halber-
städter, durch die interessanten Experimente von Busck und Scholz.
daß die blauvioletten Strahlen bereits von den oberflächlichsten Haut-
schichten absorbiert werden, dal dagegen die roten Strahlen gegenüber dem
tierischen Gewebe eine bedeutende Tiefenwirkung entfalten, die sich nach
Bang, Abadie und Jezierski in Hyperämie, Gefäßdilatation, Serum-
austritt und lebhaftem Zustrom von Leukozyten dokumentiert.
Dreyer, Jansen und Salvendi sahen eine intensive Vermehrung
der Epidermiszellen unter dem Einflusse der roten Bestrahlung, Ogneff.
Hertel und Jezierski konstatierten vermehrte Kariokynesis, lebhaftere
Zellteilung und erhöhte amöboide Bewegung. So haben wir in dem roten
Licht ein wirksames Mittel, ohne entzündliche Irritation eine Durchblutung
der Gewebe mit reicher seröser Durchtränkung der Saftspalten zu erzeugen.
sein elektiver Einfluß auf die Leukozyten und den Zellteilungsprozel för-
dert in Wundhöhlen die bindegewebige Regeneration und ihre Epitheliali-
sierung. Hierbei vermag es um so intensiver seine Wirkung zu entfalten
als vermöge der Tiefenpenetration auch die unter das Oberflächenniveau
versenkten, für die Überhäutung wichtigen Drüsenepithellager betroffen und
zu lebhafter Neubildung angeregt werden.
Die praktische Verwertung dieser Eigenschaften des roten Lichts geht
von Finsen aus, der bei der Variola zuerst die von ihm sogenannte nega-
tive Lichttherapie eingeführt hat, d. h. durch Ausschluß der chemisch
wirkenden Strahlen die Reizung der Gewebe vermeidet und nur dem ther-
mischen Agens des Spektrums — der Rotseite — seinen Einfluß auf die
Haut gestattet. Ein narbenloser Verlauf der Pocken war der Erfolg der
Bestrahlung, eine Beobachtung, die nach ihm vielfache Bestätigung fand.
Motchan eızielte bei Noma eine Heilung durch Rotlichtbestrahlung.
Breiger, Brieger, Deutsch, Diesing, Gebhardt, Kellermann, Mayer.
Behandlung des Ulcus cruris mit rotem Glühlicht. 305
kurz eine Reihe von Klinikern berichten über die erstaunlichen Erfolge
bei Ulcus cruris.
Wir selbst haben seit April dieses Jahres die Wirkung des roten
Glühlichtbades bei einer Reihe von Unterschenkelgeschwüren beobachtet.
Die Anwendung gestaltet sich äußerst einfach. Im gewöhnlichen Glühlicht-
kasten werden die weißen durch die roten Birnen der photographischen
Dunkelkammer ersetzt, das Geschwür wird zur Vermeidung einer zu großen
Austrocknung und eventuellen Verbrennung mit einer dünnen Schicht Bor-
salbe geschützt und nun 2 mal täglich etwa 15 Minuten der Bestrahlung
ausgesetzt. Schon nach wenigen Sitzungen verwandeln sich tiefe, schmutzig
belegte Geschwüre in reine Granulationsflächen, die sich auffallend rasch
mit Jungem Gewebe füllen und mit einer deckenden Epithelschicht über-
ziehen. Nach wenigen Wochen haben wir bei Defekten, die sonst aus-
sedehnte Transplantationen erforderten, bei Fällen, bei denen man selbst
eine Amputation in Erwägung ziehen mußte, eine glatte Überhäutung er-
zielt. Dabei sind die gebildeten Narben schmal, reich an Gefäßen, keines-
wegs kallös und gut verschieblich, sie stellen nicht starre, stark einschnürende
Ringe dar, wie sie sonst wohl an die Stelle der Unterschenkelgeschwüre
treten und zu erneuter variköser Entartung der Kollateralen nach Exstir-
pation der Vena saphena Veranlassung geben. Dank dieser Narbenbe-
schaffenheit haben wir in unseren Fällen Rezidive während der bisherigen
Beobachtungszeit, das sind für den ältesten Fall jetzt 16 Monate, nicht
erlebt.
Bei der Rotlichtbehandlung versäumen wir keineswegs die Anwendung
anderer erprobter Heilfaktoren. Die drei „chirurgischen Grazien,” Hoch-
lagerung, Ruhe und Kompression sind unentbehrliche Hilfen, vorsichtige
Massage, Elektrizität und feuchte Wärme auf die Wade heben die Blut-
zirkulation, eine 5°/,ige Peru-Balsamsalbe hilft die Überhäutung anregen.
Varicen werden, wenn sie stärkere Grade angenommen ‚haben, operativ
entfernt, doch gelingt meist vorher eine völlige Ausheilung des Geschwüres,
sodaß die Venenexstirpation, unter günstigen aseptischen Verhältnissen,
mehr zur Verhütung von Rezidiven als zu kurativen Zwecken, vorgenommen
werden kann.
Unsere bisherigen Erfahrungen sprechen durchaus zu Gunsten des ge-
schilderten Heilverfahrens, und wir erblicken heute in der Kombination
der Rotlichtbestrahlung mit der bisher üblichen Therapie einen Fortschritt
in der erfolgreichen Behandlung des chronischen Unterschenkelgeschwürs.
Über die Lichtbehandlung torpider, besonders tuberkulöser
Hautgeschwüre.
Von
Dr. Thedering-Oldenburg.
ie bedeutende Heilkraft der Röntgen- und Radiumstrahlen bei ober-
flächlichen Krebsgeschwüren der Haut ist jedem Radiologen aus der
täglichen Praxis und den immer zahlreicher sich häufenden Belegen in
der Literatur wohl bekannt. Bereits auf wenige energische Röntgen-
bestrahlungen pflegt das Ulcus rodens mit prompter Überhäutung zu reagieren.
Bei weitem nicht so willfährig gegen Röntgenbestrahlung verhält sich
das tuberkulöse Geschwür. Wenngleich jeder Radiologe über eine
kleinere oder größere Statistik durch X-Strahlen geheilter tuberkulöser
(seschwüre verfügen dürfte, so steht doch durch die Erfahrung der radio-
logischen Praxis unbestreitbar fest, daß die Überhäutung tuberkulöser Ge-
schwüre recht häufig wiederholte Röntgenbestrahlung mit hochbemessenen
Dosen erfordert und infolgedessen durch die unvermeidlich großen Be-
strahlungsintervalle sehr lange Zeit in Anspruch nimmt. Ja die Fälle
sind nicht ganz selten, daß ein tuberkulöses Geschwür sich gegen Röntgen-
strahlen scheinbar refraktär verhält und die Heilung trotz zahlreicher Be-
strahlungen und reichlich bemessener Dosierung nicht gelingt. Ich werde
nachstehend mehrere derartige Beobachtungen mitteilen. Auf eine Dis-
kussion der Ursachen dieses verschiedenen Verhaltens krebsiger und tuber-
kulöser Geschwüre gegen Röntgenstrahlen möchte ich mich im Rahmen
(dieses vorwiegend praktischen Zwecken dienenden Aufsatzes nicht einlassen.
Ich begnüge mich, die praktisch wichtige, auf vielfacher Erfahrung beruhende
Tatsache zu registrieren. Vielleicht liegt der Grund in einer verschiedenen
Radiosensibilität der in Betracht kommenden pathologischen Elemente:
des Tuberkelknötchens einerseits, der wuchernden Krebszelle andererseits.
Viel zu wenig bekannt ist dagegen die außerordentlich günstige Wir-
kung, welche das Blaulicht auf die Abheilung tuberkulöser Geschwüre
auszuüben imstande ist. Die Heilung tuberkulöser Geschwüre mit - Blau-
licht begegnet fast niemals den geringsten Schwierigkeiten. Ja ich verfüge
über mehrere Beobachtungen, dal Lupusgeschwüre nach jahrelanger ver-
geblicher Röntgenbestrahlung durch Blaulicht in kürzester Zeit — inner-
halb eines Monats — verheilten. Diese und zahlreiche andere günstige
Erfahrungen veranlassen mich, der Behandlung tuberkulöser (Greschwüre
mit der Quarzlampe recht eindringlich das Wort zu reden.
FLhedering, Lichtbehandlung torpider, besonders tuberkul. Hautgeschwüre. 307
Die Technik ist sehr einfach. Die Drucklinse der Lampe wird direkt
auf den sorgfältig gereinigten Geschwürsgrund eingestellt. Die Bestrahlungs-
dauer beträgt im Durchschnitt '', Stunde. Nachträglich Verband mit
Borsalbe oder wegen der starken Wundabsonderung hinterher, besser mit
Liq. al. acet. 2°/,. Nun zur Illustration der Blaulichtwirkung bei tor-
pidem Hautgeschwür zunächst einige Krankengeschichten.
l. Frau N. Lupus mucosae nasi et nasi. Im Naseninnern großer geschwüriger
Lupusherd der Schleimhaut. Auf dem linken Nasenflügel ein markstückgroßes Lupus-
geschwür mit torpidem Grunde, ohne die geringste Heilungstendenz. Seit vier
Jahren wird das Geschwür monatlich 2—4 mal mit Röntgenstrahlen
ohneErfolg behandelt!!) Am29. I. 19121 x !/, Stunde lang mit Blaulicht be-
strahlt bei direktem Aufsetzen der Drucklinse. Erfolg: Bereits in den nächsten Tagen
nimmt das Geschwür frischeres Aussehen an. Ein starker Sekretionsstrom reinigt
den Geschwürsgrund, der sich mit frischen Granulationen und weiterhin mit festem
Schorf bedeckt. Nach Lösung des letzteren im Beginn der 3. Woche Geschwür mit
schöner fester Narbe verheilt. Durch fortsetzende Finsentherapie der äußeren und
Röntgenbestrahlungen der inneren Nase gelang im Laufe der nächsten Monate die
vollständige Ausheilung des Lupus außen und innen mit vorzüglichem ‘kosmetischen
Resultate. Die Heilung des Schleimhautlupus wurde durch monatelang fortgesetzte
Tamponade mit Sublimatlösung 1: 1000 (Doutrelepont) wirksamst unterstützt.
Fall2. 19jähriger Mann, Lupus der Nase, des linken Oberschenkels, des linken
Daumenballens. Der Herd an Nase und Oberschenkel sind durch kombinierte Röntgen-
Finsentherapie mit atrophischer nicht ganz rezidivfreier Narbe geschlossen. Am linken
Daumenballen besteht jedoch ein seit 8 Jahren offenes tuberkulöses Geschwür von
Zweimarkstückgröße, seit fünf Jahren vergeblich mit Röntgenstrahlen behandelt.?)
Der Geschwürsgrund ist mit torpiden hypertrophischen Granulationen bedeckt, der
Rand des Geschwürs zeigt blassen schlaffen Epithelsaum ohne Neigung zur Über-
häutung. Therapie: 14. III. 1912. Ätzverband mit Pyrogallol-Salbe (10%) drei
Tage lang. Am 22. III., 1. IV., 9. IV. wird das Geschwür je etwa !/ Stunde lang mit
der Quarzlampe belichtet bei direktem Aufsetzen der Drucklinse. Erfolg: Von der
ersten Blaulichtbestrahlung ab nimmt das Geschwür frischeres Aussehen an, sich von
Woche zu Woche verkleinernd.. Am 13. IV. ist die Überhäutung vollendet, so daß
die Finsenbestrahlung beginnen kann. Die Narbe ist weich, fest und glatt.
Fall3. 78jährige Frau. Die Kranke ist vor Jahren wegen ausgedehnten Kutan-
rezidivs eines operierten Mamma-Karzinoms mit mehreren Serien Röntgenbestrah-
lungen von mir behandelt worden. Unter dem Einflusse mittelharter Strahlung bis
zu energischer Reaktion 1. Grades bedeckte sich die ausgedehnte krebsige Geschwürs-
fläche der Brust und der Achselhöhle mit einem festen Schorf, der unter Borsalben-
verbänden sich im Laufe der nächsten Monate langsam und stückweise löste. Nach
Abfall des Schorfs erwies sich die große jauchende Krebswunde fest vernarbt und über-
häutet. Der Erfolg ist, vereinzelte kleine Rezidive abgerechnet, die stets durch wenige
Nachbestrahlungen zu unterdrücken waren, bis heute voll andauernd. — Anfang dieses
Jahres bildete sich nun an einer umschriebenen Stelle der Röntgennarbe ein Kon-
glomerat telcangiektatischer Grefäßschlingen, die mit Entleerung dunkelroten Blutes
platzten und ein etwa groschengroßes Geschwür zurückließen, das unter Borsalben-
1) Von anderer Seite.
?, Von anderer Seite,
20
308 Thedering,
verband nicht heilen wollte, vielmehr Neigung zur Vergrößerung aufwies. Der Grund
des Geschwürs war speckig belegt, die Farbe anämisch blaß. Am 22. IV., 4. V., 18. V.
wurde das Geschwür mit Röntgen bestrahlt, Strahlung mittelhart, Dosis !/,—!/, E.-D.
Bis 11. VI. trat darauf im Aussehen des Geschwürs keine Änderung auf. Die Röntgen-
bestrahlung war scheinbar ohne Wirkung. Am 11. VI. wurde Blaulicht angewendet,
direktes Aufsetzen der Drucklinse etwa 20 Minuten. Bereits am 20. VI. war das Ge-
schwür zart überhäutet.
Fall4. Arbeiter. Es handelt sich um einen Fall von multipler Hauttuberkulose,
vor allem eine ausgedehnte Tuberculosis verrucosa cutis des rechten Handrückens.
Durch kombinierte Finsen-Röntgenbehandlung in Verbindung mit wiederholten
galvanokaustischen Eingriffen usw. gelang die Heilung sämtlicher Stellen im Laufe
von drei Jahren bis auf ein ca. markstückgroßes Geschwür des rechten Handrückens.
Dasselbe zeigte hart infiltrierten Rand, speckigen Grund und trotzte allen nur denk-
baren therapeutischen Eingriffen. Exzision war wegen harter Narbenspannung der
Umgebung nicht möglich. Von Nov. 1911 bis Febr. 1912 wurde das Geschwür 6mal
erfolglos mit Röntgen bestrahlt. Irgendeine Beeinflussung des Geschwürs durch die
Röntgenstrahlen war nicht zu erkennen. Im Juni 1912 wurde die Röntgentherapie
mit der Quarzlampe vertauscht. Bestrahlt wurde am 16., 22., 29. Juni und 6., 13.,
27. Juli. Im Laufe dieser Bestrahlungsserie mit Quarzlicht war eine Änderung im
Charakter des Geschwürs unverkennbar. Am Grunde traten gesunder aussehende
Granulationen hervor, welche das Geschwür erheblich abflachten, der Rand wurde durch
Narbenlösung erweicht, und am 10. VIII. 1912 erschien das Geschwür von einer zarten
Epitheldecke überhäutet.
Fall 5. Lupus exulcerans der linken Schläfe bei einem jungen Mann. Trotz
Versuches mit Transplantation besteht eine ausgedehnte tuberkulöse Ulzeration der
ganzen linken Schläfe, der Gegend des Jochbeines und des linken oberen Augenlides.
Zur Überhäutung der Geschwüre genügte dreimalige Bestrahlung mit Blaulicht am
11., 18., 25. März 1912. Bereits am 29. März, also vor Ablauf der dritten Woche, war
die Überhäutung soweit fortgeschritten, daß mit der Finsenbehandlung begonnen
werden konnte.
Fall 6. Markstückgroßes Lupusgeschwür der linken Wange. Fräulein in mitt-
lerem Alter. Bestrahlt mit Quarzlicht am 26. April, 27. Juni, am 4., 11., 18., 25. Juli
und 1. August 1912. Am 16. August 1912 ist die Überhäutung mit fester, glatter
Narbe beendet.
Über die „Lichtbehandlung des Ulcus cruris" ist von Dr. Meyer.
Cöln, eine Arbeit im dritten Hefte dieser Zeitschrift zu erwarten. [ch
beschränke mich daher in dieser Hinsicht auf die Bemerkung, daß ich
auch beim Ulcus cruris varicosum über mehrere durchaus erfreuliche Er-
folge mit Blaulicht verfüge. Zur Illustration diene kurz folgender Fall:
Ulcus cruris e varicibus bei einer erwachsenen Frau. In der Gegend des linken
Malleolus externus besteht ein flaches etwa talergroßes Krampfadergeschwür. Vom
8.—15. VI. 1912 wird das Geschwür erfolglos mit Arg.-Peru-Salbe behandelt. Darauf
vom 15. VI. ab Blaulichttherapie, etwa alle 8—10 Tage cine Bestrahlung je !/, Stunde
lang. Sofort ändert sich der Charakter des Geschwürs. Die Granulationen frischen
auf, der Epithelsaum zeigt lebhaft gesteigerte Zellvermehrung und am 8. VIII. ist
das Geschwür mit fester Narbe bis auf eine stecknadelkopfgroße zentrale Granulation
verheilt.
Lichtbehandlung torpider besonders tuberkul. Hautgeschwüre. 309
Zusammenfassend ergibt sich also folgendes Bild der Blaulichtwirkung
bei torpidem Hautgeschwür: Schnelle Umwandlung des schlaffen Geschwürs-
rundes in lebhaft rote Wundgranulation; Steigerung der Wundsekretion
durch aktive Hyperämisierung und Reinigung des Geschwürs; rasch fort-
schreitende Überhäutung durch Anregung der Zellenvermehrung des
epithelialen Geschwürsrandes; Verheilung innerhalb weniger Wochen mit
solider Narbe. Der träginaktive Charakter des chronisch hinschleichenden
Prozesses wird prompt verwandelt in den Zustand aktiv-akuter Reaktion.
Die Wirkung des Blaulichtes bei torpidem Hautgeschwür
besteht indem energischen Anreizaller den Prozeß der
Wundverheilung bedingenden biologischen Faktoren.
Besonderes Interesse erweckt noch die Beobachtung in den Fällen
i—4, daß die mit Röntgenstrahlen durch langdauernde z. T. jahrelange
Behandlung vergeblich erstrebte Verheilung torpider Hautgeschwüre mit
der Quarzlampe innerhalb weniger Wochen und mit wenigen Belichtungen
erreicht wurde.
Das praktische Ergebnis vorstehender Beobachtungen läßt sich in
folgenden Satz kleiden:
Das Quarzlicht entfaltet bei torpiden Hautgeschwüren verschieden-
artiger Ätiologie eine energische Heilkraft.
Beim tuberkulösen Hautgeschwür ist die heilende, überhäutende Wir-
kung des Blaulichtes den Röntgenstrahlen erheblich überlegen.
Gegenüber der Unzuverlässigkeit und Langwierigkeit
der Röntgentherapie bei Behandlung tuberkulöser Geschwüre ist die Wir-
kung des Quarzlichtes ausgezeichnet durch große Zuverlässigkeit,
Schnelligkeit des Erfolges, Schönheit der Narbenbildung.
20%
Die physikalischen und technischen Grundlagen der
Tiefenbestrahlung.
Von
Ingenieur Friedrich Dessauer, Frankfurt a.M. (früher Aschaffenburg ).
(Mit 9 Abbildungen im Text.)
A.
D“ Bestrebungen, den biologischen Einfluß der X-Strahlung auch auf
solche Prozesse anzuwenden, die sich nicht an der Oberfläche, son-
dern mehr oder weniger in der Tiefe des menschlichen Körpers abspielen,
sind noch nicht alt. Der Amerikaner Senn (1), die Deutschen Albers-
Schönberg (2) und Heinecke (3) u. a. beobachteten bereits in den
Jahren 1903 und 1904 Einwirkungen der X-Strahlen auf die Tiefe und
zwar auf die Milz und auf die samenbildenden Organe, die sich als be-
sonders röntgenstrahlenempfindlich herausgestellt haben. Mit Zielbewußt-
sein an die Frage herangetreten zu sein, ob eine Beeinflussung patho-
logischer Gebilde in der Tiefe des menschlichen Körpers möglich sei, ist
das Verdienst des Leipziger Chirurgen Perthes. In einer Arbeit: „Zur
Frage der Röntgentherapie des Karzinoms‘“, welche 1904 im Archiv für
klinische Chirurgie erschien, teilte er mit, daß es ihm gelungen sei, Lippen-
karzinome mit Bestrahlungen durch die Haut hindurch zur Abheilung zu
bringen. Die bedeutendste Arbeit und der eigentliche Beginn der Tiefen-
bestrahlung in der damaligen Zeit erschien Ende des Jahres 1904 in den
Fortschritten auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen von Perthes (4) unter
dem Titel: „Versuche einer Bestimmung der Durchlässigkeit menschlicher
(Gewebe für Röntgenstrahlen mit Rücksicht auf die Bedeutung der Durch-
lässigkeit der Gewebe für die Radiotherapie.“ Diese Arbeit kann als
Anfang der Bestrebungen zur Tiefenbestrahlung bezeichnet werden. Perthes
berichtete hier von ausführlichen Versuchen, die er angestellt habe, um
festzustellen, wie weit in die Tiefe des menschlichen Körpers sich der bio-
logische Einfluß erstrecke. Er verwandte, um den Einfluß in die Tiefe
zu leiten, verschiedene Mittel, wählte größere Entfernung der Röntgen-
röhren, wählte harte X-Strahlung und filtrierte mit Hilfe von Staniol die
ausgesandte X-Strahlung, um nur den härteren Teil zur Wirkung kommen
zu lassen. Aber trotz dieser richtigen Methodik kam er zu einem im
wesentlichen negativen Resultat, das für die Entwicklung des Tiefen-
bestrahlungsverfahrens keine günstige Prognose erlaubte. Er faßt das
Resultat in seinen Schlußworten folgendermaßen zusammen: „Bei Bestralı-
lung des Körpers sinkt die Intensität der Röntgenstrahlen von der Körper-
Dessauer, Physikalische u. technische Grundlagen d. Tiefenbestrahlung. 311
oberfläche nach dem Körperinnern zu rasch ab. Bei Verwendung von
mittelweichen Röhren ist in 1 cm Tiefe nur 50—60 Proz., in 2 cm Tiefe
nur 35—45 Proz., in 3cm Tiefe nur 20—30 Proz. der ursprünglichen
Intensität vorhanden. Die Intensitätsabnahme erfolgt langsamer bei der
Verwendung harter Röhren, aber auch in diesem Falle sinkt die Intensität
im 4. cm unter 40 Proz., im 5. cm unter 25 Proz. des ursprünglichen
Wertes herab. Die Intensitätsabnahme in der Tiefe erfolgt merklich lang-
samer, wenn auf die Körperoberfläche eine absorbierende Schicht, etwa
1 mm Aluminium gelegt wird.“ |
Ohne Kenntnis der Arbeiten von Perthes, aber angeregt durch
eine Diskussion mit einem Freunde und früheren Mitarbeiter, Herrn
Dr. med. Paul C. Franze, befaßte ich mich Ende des Jahres 1904 mit
der physikalischen Lösung des Problemes der Tiefenbestrahlung und es
gelang mir damals diese Lösung herbeizuführen (5 und 5a). Durch die
Unterstützung von Exzellenz Üzerny in Heidelberg konnte ich 1905 und
1906 eine derartige Tiefenbestrahlungsanordnung längere Zeit im Betriebe
erhalten und ihre physikalischen Bedingungen praktisch ausprobieren.
Die Ergebnisse dieser Versuchsreihe legte ich zum Beginne des Jahres 1907
der Deutschen physikalischen Gesellschaft vor, in deren Verhandlungen
die Arbeit abgedruckt ist (6). Diese Arbeiten mit der Tiefenbestrahlung
wurden in der damaligen Zeit von wenigen aufgegriffen, unter ihnen ins-
besondere von der Frauenklinik in Halle (Geheimrat Veit) (7) in Ver-
bindung mit dem dortigen Physikalischen Institut (Geheimrat Dorn (8),
von Dr. Wetterer (9) in Mannheim, Schüller (10) und von anderen
Stellen (10a, b, c, d). Bald darauf gewann aber die Bewegung an Breite,
überall wurde von Radiologen versucht in die Tiefe zu bestrahlen und die
Methode, welche Perthes und ich angegeben hatten, wurde mehr oder
minder vollkommen und mit verschiedener technischer Variation angewendet.
Heute wird die Tiefenbestrahlung vielfach ausgeübt und es ist mit einiger
Sicherheit vorauszusagen, daß ihre Anwendung noch viel weiter gedeihen
wird, nachdem die anfangs überaus groß erscheinenden technischen Schwie-
rigkeiten zur Durchführung rationeller Tiefenbestrahlung oder Homogen-
bestrahlung mit der Zeit überwunden werden konnten und uns neuerdings
Maschinen zur Verfügung stehen, die das Geforderte mit einigermaßen
genügender Ökonomie zu leisten vermögen. Die technische Durchbildung
der Tiefenbestrahlung zu einer Methode, die nicht nur ganz vereinzelt an-
gewendet werden kann, stammt aus neuerer Zeit. Wie meist in der
Technik erst dann die Apparate zur notwendigen Vollkommenheit durch-
gebildet werden können, wenn ein konkretes Bedürfnis für sie vorliegt, so
hat der glänzende Erfolg, der in der Behandlung des Myoms durch Rönt-
gentiefenbestrahlung erzielt worden ist, die Maschine zur Erzeugung der
312 Dessauer,
therapeutisch tiefwirkenden Strahlung endgültig erzogen. Im Nachfolgen-
den möchte ich zunächst die physikalischen, sodann die technischen
Grundlagen der Tiefen- oder Homogenbestrahlung kurz darstellen und
diejenigen Maschinen erwähnen, die zur Erzeugung der tiefwirkenden
X-Strahlen sich bewährt haben. Am Schlusse möchte ich eine neue
Maschine angeben, die ich in den letzten Monaten konstruierte und aus-
probte und die, wie mir scheint, in der Lage sein wird, die Bestrebungen
der Tiefenbestrahlung ihrerseits zu fördern.
B.
Perthes hatte untersucht: „wie tief geht der biologische Einfluß der
X-Strahlung?“. Ich stellte mir das Problem 5) und 6) anders und
zwar folgendermaßen:
Der heilende Einfluß der X-Strahlung beruht darauf, daß verschiedene
Zellformen auf gleiche Mengen X-Strahlung verschieden reagieren und
zwar häufig pathologische Zellformen mehr als normale, gesunde. Die
Voraussetzung, daß eine solche Elektivwirkung, hervorgerufen durch ver-
schiedene Radiosensibilität, zu Tage tritt, ist also die, daß die pathologische
und die gesunde Zellgruppe möglichst unter gleichen Bedingungen bestrahlt
werden, d. h., daß nicht etwa die gesunden Zellen sehr viel mehr Strahlen
bekommen als die pathologischen, denn in letzterem Falle würde der Unter-
schied ihrer Empfindlichkeit ausgeglichen. Nun wissen wir, daß weiche
X-Strahlung biologisch stark wirkt, daß aber weiche X-Strahlung an der
Obertläche der Haut bereits im wesentlichen absorbiert wird und erkennen
daraus, daß die biologische Kraft an der Haut am größten und in der
Tiefe sehr gering ist. Es scheitert also die Beeinflussung pathologischer Zell-
anhäufungen in der Tiefe daran, daß es uns aus physikalischen Gründen
nicht möglich ist, die in der Tiefe liegenden Zellen unter den gleichen
biologischen Einfluß zu bringen, wie die an der Oberfläche liegenden ge-
sunden, d. hı. sie mit jenen homogen zu bestrahlen. Infolgedessen formulierte
ich das Problem folgendermaßen: ist es physikalisch möglich, in
beliebiger Tiefe des menschlichen Körpers unter mög-
lichst den gleichen Bedingungen mit Röntgenstrahlen
zu bestrahlen, wie es an der Oberfläche möglich jst?
An der Oberfläche treffen die Strahlen auf eine gewisse nicht zu grole
Zone der Haut gleichmäßig stark ein. Es wird also an der Oberfläche
homogen bestrahlt. Die Strahlen sind für die einzelnen getroffenen Punkte
von homogener Beschaffenheit und die einzelnen Stellen sind auch gleich-
mäßig weit von der Strablenquelle entfernt. In der Tiefe ist es anders.
die Strahlen sind von ungleichmäßiger Beschaffenheit und die Entfernung
ist größer wie an der Obertläche. Können wir physikalisch trotzdem m
Physikalische und technische Grundlagen der Tiefenbestrahlung. 313
der Ticfe so bestrahlen wie an der Oberfläche, mit anderen Worten ist
es möglich, homogen zu bestrahlen?
Es ist offenbar, daß in dieser Problemstellung die ganze Zukunft der
Tiefenbestrahlung enthalten ist. Wenn es also möglich ist, in der Tiefe
so zu bestrahlen, wie an der Oberfläche, dann ist es möglich, in der Tiefe
primär ähnliche Erfolge zu erzielen, wie an der Oberfläche — wobei auf
sekundäre Prozesse, Resorptionserscheinungen und dergleichen zunächst
keine Rücksicht genommen ist. — Ist die Frage aber physikalisch lösbar,
d. h. können wir erst physikalisch die Bedingungen so machen, daß man
in der Tiefe genau so bestrahlt wie an der Oberfläche, die Oberfläche
also nicht mehr X-Strahlung erhält als die Tiefe, so muß es technisch,
wenn auch vielleicht nicht vollkommen, so doch annähernd möglich sein,
der physikalischen Lösung nahe zu kommen. Es muß dann eine Reihe
von technischen Hilfsmitteln geben, die vielleicht verschiedener Natur
sind, um die physikalisch möglichen Bedingungen auch praktisch in die
Wege zu leiten. Die physikalische Lösung bildet den Gegenstand der
zwei zitierten Arbeiten, deren Inhalt ich im Nachfolgenden auszugsweise
wiedergebe:
1. Mit wachsender Penetrationskraft nimmt die biologische Energie
der X-Strahlung rasch ab. Strahlen also, die tief dringen, haben wenig
biologische Kraft, Strahlen, die unter normalen Verhältnissen schon an
der Oberfläche absorbiert werden, haben große biologische Kraft.
2. Die Bestandteile des menschlichen Körpers absorbieren verschieden
stark die X-Strahlung, wie wir uns an jedem Röntgenbilde überzeugen
können. Absorbieren nun benachbarte Zellgruppen die X-Strahlung sehr
verschieden, so wird auch dadurch die Gleichmäßigkeit der Wirkung sehr
beeinträchtigt. |
3. Das dritte Hindernis der Tiefenbestrahlung endlich ist das folgende:
die X-Strahlungen und ihre biologische Energie nehmen im Quadrat der
Entfernung ab; da im allgemeinen tiefliegende Gebiete von der Röntgen-
röhre weiter weg sein müssen, als die Oberfläche des Körpers, so wird
auch dadurch die Homogenität der Bestrahlung beeinträchtigt.
Diese drei Hindernisse sind physikalisch wie folgt zu überwinden:
(die Einzelheiten wollen in den aufgeführten Abhandlungen nachgelesen
werden. Wenn man den Abstand vergrößert, aus welchem bestrahlt
wird, so macht die Tiefe im menschlichen Körper in Bezug auf die räum-
liche Abnahme nicht mehr viel aus (Fig. 1). Man kann sich das leicht klar
machen, wenn man folgendes überlegt: ein Blatt Papier in 1 m Abstand
von einer Kerze wird viermal so hell beleuchtet sein, wie ein Blatt Papier
in 2 m Abstand von einer Kerze. Wenn wir aber das Blatt Papier aus
dem Abstand von 2 m in den Abstand von 2 m und 1 cm entfernen, so
314 Dessauer,
ist die Differenz verschwindend klein (Fig.2). Wenn also, aufdasTiefenbestrah-
lungsproblem übertragen, die Körpertiefe in Bezug auf den Gesamtabstanıl
unerheblich wird, so ist die räumliche Homogenität gewahrt, d. h. (lie
Vergrößerung der Entfernung spielt keine wichtige Rolle mehr. Die räum-
liche Homogenität wird also verbessert, wenn wir die Röntgenröhren vom
Objekte weiter weg
entfernen. Es mul)
da nicht gleich zu
extremen Bedin-
gungen gegriffen
werden, wie ich sie
seiner Zeit bei der
ersten konsequenten
Durchführung der
Tiefenbestrahlung
inderÖzernyschen
Fig. 1. Räumliche Homogenität I. Klinik angewendet
habe. Zur Bestıralı-
lung von einigen Zentimetern in der Tiefe genügt unter Umständen schen
ein nicht sehr erheblicher Abstand, umsomehr man andere Mittel anwendet.
die die räumliche Homogenität gleichfalls herzustellen gestatten. Ein
solches Mittel ist die Bestrahlung von verschiedenen Seiten, wie das durch
die Fig. 8 dargestellt wird. Wenn man von verschiedenen Seiten durch Ein-
trıttspforten, deren
Umgebung durch un- Liertstirhe 0.9
durchlässige Medien
abgedeckt ist, be-
strahlt, so überkreu- _
zen sich die Strahlen „- — = —
in der Mitte und man el.
kann das, was in der Fe
Tiefe weniger zur Gel-
tungkommit, durch die uhr 1
Überkreuzung bei der
Mehrfachbestrahlung
wieder ausgleichen.
Fig. 2. Räumliche Homogenität II.
Auf diese Weise läßt sich räumliche Homogenität der Strahlung
herbeiführen. Die Absorption, welche an und für sich verschieden ıst
bei der Strahlung, die für gewöhnlich bei Durchleuchtungen und Aufnahmen
zur Anwendung kommt. wird immer weniger verschieden, wenn wir nur
Strahlen einer Qualität und zwar Strahlen sehr harter Art benützen.
Physikalische und technische Grundlagen der Tiefenbestrahlung. 315
Man kann sich leicht davon überzeugen. Bei Wahl härterer Röhren ist
der Unterschied zwischen Knochen und Fleisch und Durchleuchtungsbildern
der Hand beispielsweise nur noch gering. Treibt man die Härte bis
zu einem Extrem, so ist die Differenz zwischen der Absorption, der ja in
ihrer Dichte im allgemeinen sehr nahe beiein-
ander liegenden pathologischen und normalen
Zellformen, also z. B. eines Tumors und der
benachbarten Muskulatur zu vernachlässigen,
was bei weicher X-Strahlung keineswegs der
Fall ist. So läßt sich Homogenität der Ab-
sorption erreichen.
Die dritte wichtige Voraussetzung ist aber
schließlich die homogene Qualität oder, wie sie
in den genannten Arbeiten bezeichnet wird.
die spezifische Homogenität der Strahlung, d.h. pig.3. Räuml. HomogenitätIll.
die Bedingung, daß auf die Oberfläche der
Haut keine andere Strahlung wirkt wie in der Tiefe. Im allgemeinen ist
das Gegenteil der Fal. An der Oberfläche wirken die härteren und
vor allen Dingen die weicheren Strahlen (Fig. 4). Diese werden
an der Oberfläche absorbiert, in der Tiefe wirken dann nur die harten
Aluminium
\
WOM UL LLL
sehr wei. —— sehr werh
ei weich - .-- 0 wei
men mittel weich —.—.— mlel wech
— am aw nn kart UD mihl hart
— hyrt
Fig. 4. Spezifische Homogenität]. Fig. 5. Spezifische Homogenität II.
und die sind biologisch viel schwächer. Die spezifische Homogenität her-
zustellen ist eigentlich das Hauptproblem. Man kann sie herstellen, indem
man dafür sorgt, daß auch auf die Oberfläche nur sehr harte Strahlen
wirken, indem man sehr harte Röhren wählt und durch Filter die weiche
Strahlung vorher abfängt (Fig.5). Experimentell gelangte ich zu dem Extrem,
Strahlungen herzustellen, die durch 4 hintereinander aufgestellte Menschen
hindurch gingen, wobei die menschlichen Körper nur noch als schwache
Schatten auf dem lL.euchtschirm wahrnehmbar waren, etwa wie trübes.
316 Dessauer,
aber noch durchscheinendes Glas im Lichte. Es waren also die spezifischen
Absorptionsunterschiede ausgeglichen. Ebenso konnte ich bei der experi-
mentellen Durchführung zeigen, dal oberhalb des menschlichen Körpers
und unterhalb des menschlichen Körpers nahezu gleichviel absorbiert wurde,
wenn die Strahlung von vorne kam, daß also die räumliche Homogenität und
die spezifische Homogenität bewahrt wurden. Es muß hier nun vor allen
Dingen betont werden, daß es zur Herbeiführung eines Erfolges in einem
gegebenen Krankheitsfall keineswegs notwendig ist, eine physikalische
Homogenität herbeizuführen. Es genügt hier in der Regel ja eine An-
näherung. Praktisch ist also die Herstellung einer idealen Homogenität
meist überflüssig. Um aber überhaupt das Problem der Tiefenbestrahlung
zu lösen und weiter zu führen, mußte es zunächst physikalisch auf-
gefaßt werden und mußten die physikalischen Versuchsbedingungen rein
studiert werden. Vielfach ist in der späteren Literatur der Irrtum auf-
getaucht, als ob diese Auffassung dieses Problems, die ich in meinen
ersten Arbeiten brachte, nun von mir in jedem einzelnen Falle der Tiefen-
bestrahlung verlangt würde. Das ist keineswegs der Fall und ist keines-
wegs beabsichtigt. Vielmehr ist bloß daran gedacht, zu zeigen, wo die
Lösung des Problems liegt, also die Richtung in der praktisch gearbeitet
werden muß, und es ist dem einzelnen Fall überlassen, sich dieser Lösung
zu nähern, so weit wie es möglich ist, andererseits soweit es praktisch er-
scheint. Die praktische Tiefenbestrahlung ist also immer nur eine mehr
oder minder große Annäherung an die physikalische Lösung des Problems.
C.
Von der physikalischen Lösung zur technischen Lösung ist ein immer-
hin nicht unbeträchtlicher Weg zurückzulegen gewesen. Der Fehler der
ersten durchgeführten Tiefenbestrahlung war der, daß die applizierte
Strahlendosis zu klein, bezw. wenn sie groß genug war, die Bestrahlungs-
dauer allzu lang gewählt werden mußte. Sehr harte Strahlen, wie sie in
der Tiefenbestrahlung ausschließlich zur Anwendung kommen sollten, haben
einen geringen biologischen Einfluß, verfürben auch die Reagenzien der
Dosimeter wenig und verlangen infolgedessen lange Zeiten oder große er-
zeugte Strahlenmenge. Die Röntgenröhren nun geben für den in sie hinein-
gesandten Strom ein Strahlungsgemisch ab, das ım Allgemeinen aus einem
großen Teil weicher Strahlung und einem geringen Teil härterer Strahlung
besteht. Auch eine harte Röhre ist eine solche, die verhältnismäßig viel
harte Strahlen, in Wirklichkeit aber auch sehr viel weichere Strahlen (und
Wärme) produziert. Bei meinen ersten Tiefenbestrahlungen wurde nun
in der Regel ein normaler Röntgenapparat gewählt, die Röhre möglichst
hart benutzt und filtriert und dann bei häufigem Wechsel der Röntgen-
Physikalische und technische Grundlagen der Tiefenbestrahlung. 317
röhre, um sie vor Überlastung und allzu großer Erhitzung zu schützen,
von mehreren Seiten durch Filter hindurch bestrahlt. Es ist dies auch
heute noch die Methode, die meistens angewendet wird. Im einzelnen
gibt es hier viele Variationen. Bei meinen Versuchen hat sich Fenster-
glas als ein gut geeigneter Filter erwiesen, v. Jaksch in Prag hat zweifel-
los ausgezeichnete Resultate mit dünnen Silberfolien erzielt. Sehr vielfach
ist das Aluminium im Gebrauch und es scheint, als ob die meiner Er-
innerung nach zuerst von Kienböck gemachte Angabe, dab etwa 1 mm
Aluminium in der Absorption einem Zentimeter Fleisch entspreche, annähernd
zutrifft. So wurde denn insbesondere in der letzten Zeit meistens Alu-
minium als Filtermaterial benutzt und hat sich auch bewährt.
Die Entfernung für die Tiefenbestrahlung wurde anfangs selır groß
gewählt. Aber da die Strahlung dann durch die große Entfernung stark
beeinträchtigt war, mußte man notgedrungen näher gehen und man glich
den Fehler an räumlicher Gleichmäßigkeit bei der Einzelbestrahlung aus
durch Bestrahlung von immer mehr Eintrittspforten. In letzter Zeit sind von
verschiedener Seite förmliche Bestrahlungsgitter angegeben worden, das
heißt Folien aus undurchlässigem Material (Blei), in welche viereckige
oder runde Löcher geschnitten sind und die man auf die Oberfläche des
zu bestrahlenden Gebietes legt. Durch die Diaphragmen läßt man Strahlen
eindringen, sodaß sie in der Tiefe immer an dieselbe Stelle gelangen.
Man zielt also von verschiedenen Seiten auf das ın der Tiefe liegende
Gebiet, eröffnet, wie Gauss es nennt, ein Kreuzfeuer. Alle diese Me-
thoden sind anwendbar und führen mehr oder weniger zum Ziel und zwar
ist ihre Zweckmäßigkeit um so größer, je mehr sie sich der physikalischen
Homogenität nähert. Man wird sich mit den Hilfsmitteln, Wahl der Filter,
des Abstandes, der Röhrenhärte, Mehrseitenbestrahlung, eben dem einzelnen
Falle so gut es geht anzupassen suchen, um so den Forderungen der Tiefen-
bestrahlung, einmal Schutz der Oberfläche und zweitens hinreichende
Strahlenmenge in der Tiefe, nach Möglichkeit gerecht zu werden.
Das Hauptproblem der technischen Tiefenbestrahlung liegt aber wo
anders. Bei der gewöhnlichen, zu diagnostischen Zwecken angewendeten
Apparatkonstruktionen handelt es sich darum, eine möglichst komplexe
Strahlung zu erzielen, also eine Strahlung, die aus einem reichhaltigen
Gemenge von vielen weichen und härteren Strahlen sich zusammensetzt
und so ein fein nüanciertes Bild liefert. Gewöhnliche gut gebaute Funken-
induktoren, auch die neuen Wechselstrommaschinen und Einzelschlag-
(BlitzJapparate eignen sich dazu vorzüglich. Wendet man diese Apparate
für Tiefenbestrahlung an, so ist das, was in der Durchleuchtung und Auf-
nahme ihr Vorteil ist, die Komplexität ihrer Strahlung, ein offenkundiger
Nachteil. denn von dem ganzen Strahlungszemisch soll nur die härteste
318 Dessauer,
Strahlung in Anwendung kommen, die weiche, bevor sie die Haut erreicht.
abgefangen werden. Es ist also offenbar, daß die Technik uns eigentlich
ganz andere Apparate der Tiefenbestrahlung bauen müßte, als wie sie solche
bis jetzt für den diagnostischen Zweck und für die Obertlächenbestrahlung
gebaut hat. Auf diesen großen Unterschied habe ich bereits im Jahre
1905 auf dem ersten Röntgenkongreß hingewiesen, in einem Vortrage über
die Ziele der Röntgentechnik, der mit folgenden Worten schloß: „In der
diagnostischen Anwendung steht unter allen Zielen, die wir erstreben, die
immergrößere Verfeinerung in der Differenzierung von Dichtigkeitsunterschieden
oben an, hier arbeiten wir ruhig in den Bahnen weiter, die wir beschritten
haben. In der Therapie werden wir meiner Anschauung nach, was die
Röntgentechnik anlangt, unsere Marschroute ändern, neue Ziele der Kon-
struktion ins Auge fassen und im Bau der Apparate tiefgreifende Ände-
rungen erleben.“ Es kommt tatsächlich bei der Tiefenbestrahlung darauf
an, Röntgenröhren so in Betrieb zu setzen, dal) sie für die hineingeleitete
elektrische Energie möglichst nur ganz harte Strahlung liefern unter Ver-
meidung der Erzeugung weicher Strahlung und unter Vermeidung über-
flüssiger Wärmebildung. Die Röntgenröhre liefert ja für die hineingeleitete
Elektrizität zwei Energieformen, Röntgenstrahlen und Wärme und zwar
im allgemeinen sehr viel Wärme und sehr wenig Röntgenstrahlen. Die
Abnutzung der Röntgenröhre ist zum großen Teil die Begleiterscheinung
der Wärmeerzeugung und es ist für die Ökonomie des Betriebes nicht
gleichgültig, in welcher Form die Elektrizität die Röhre passiert. So
wissen wir, daß starke Schließungsinduktion liefernde Apparate ungewöhn-
lich viel Wärme bilden und die Röhren rasch vernichten. Aber wenn
wir annehmen, daß die Entladung günstig ist, die Wärmebildung also in
der Röntgenröhre nur so groß ist, wie sie sich eben nicht vermeiden läßt.
so ist klar, daß sie davon abhängt, ob wir viel oder wenig Strom in die
Röhre senden. Im allgemeinen wird eine Röhre um so rascher abgenutzt,
je mehr und länger sie Strom erhält, wenn nämlich der Strom an und
für sich geeignet ist. Der Strom bildet nun weiche und harte Röntgen-
strahlung. Für die Bildung von weicher und harter Röntgenstrahlung
wird Strom verbraucht. Die weiche Röntgenstrahlung können wir aber
zu dem Zwecke der Ticfenbestrahlung nicht benützen, wir brauchen nur
die harte Röntgenstrahlung und so könnten wir mit einem Bruchteil des
Stromes die Röhre betreiben, wenn wir die weiche Röntgenstrahlung gar
nicht erzeugten. Wenn wir aber mit einem Bruchteile des Stromes die
Röhre betreiben, so ist schon aus diesem Grunde ganz zweifellos die Ab-
nützung der Röhre viel geringer. Diesen Zusammenhang, der unmittelbar
zur eigentlichen technischen Problemstellung führt, wollen wir an einem
Beispiel uns noch klarer machen. Angenommen, es wird aus einer Ent-
Physikalische und technische Grundlagen der Tiefenbestrahlung. 319
fernung von 10 cm auf eine Aluminiumfolie von 3 mm Dicke X-Strahlung
gesendet und es liegen oberhalb und unterhalb dieser Aluminiumfolie
Reagenzkörper, welche die zugeführte X-Strahlennienge messen, so erhalten
wir bei einer Bestrahlung von 10 Minuten mit 5 Milliampere in der
Röntgenröhre bei der gewöhnlichen Betriebsart etwa folgendes: der obere
Reagenzkörper, der von dem Aluminium nicht bedeckt war, hat als Äqui-
valent für die aufgewendeten 50 Milliamp£reminuten 25 X-Einheiten
(Kienböckeinheiten) Bestrahlung erhalten. Der Reagenzkörper unterhalb
des Aluminiums 21/, X-Einheiten. Die Differenz ist im Aluminium ab-
sorbiert worden. Es ergibt sich daraus: an der Oberfläche wären für jedes
erzeugte X nur 2 Milliampereminuten Stromaufwand notwendig gewesen.
Aber unter 3mm Aluminium wird durch die aufgewandten 50 Milliampere-
minuten nur 21/, X erzeugt, also für jedes X werden 20 Milliamp£re-
minuten Strom verbraucht, d. h. die Röhre erleidet eine Abnutzung von
20 Milliampereminuten Strom für die Erzeugung von einem X in der
Tiefe. Wir können das Ergebnis auch so fassen, daß die Abnutzung der
Röhre, bzw. ihre Strombelastung für dieselbe Dosis unter 3 mm Alu-
minium zehnmal so groß ist wie an der Oberfläche. Wir brauchten also
mit anderen Worten zehnmal so viel Röhren und zwar deswegen, weil der
srößte Teil des die Röhre verzehrenden Stromes dazu dient, weiche Strahlen
hervorzubringen, mit denen wir nicht arbeiten können. Wäre es möglich,
die Röntgenröhre mit einem solchen Strome zu betreiben, daß für je
5 Milliampäöreminuten unter 3 mm Aluminium ein X erzeugt würde, so
brauchten wir die Röhre nur mit 12,5 Milliampereminuten anzustrengen,
um diese 2!/, X zu erzielen, und wäre es gar möglich, den Strom so abzu-
ändern, daß wir nur 2 Milliampereminuten für ein X unter den Filter
brauchten, so hätten wir um 2!/, X unter 3 mm Aluminium herzvorzu-
bringen, nur 5 Milliampereminuten notwendig, und wir brauchten also die
Röhre statt mit 5 Milliamp£re nur mit 0,5 Milliampere zu belasten und das wäre
ein gewaltiger Fortschritt. Tatsächlich ist es mir gelungen, mit Apparaten,
die ich in den Veifa-Werken in Frankfurt a. M. herstellen ließ,
in der letzten Zeit eine Strahlung zu erzielen, die nur ca. 1,22 Milli-
ampereminuten für die Erzeugung einer X-Einheit unter 3 mm Aluminium
oder, was dasselbe ist, unter 3 cm Körpertiefe verbraucht: das bedeutet
also, daß wir für dieselbe Tiefenwirkung 10 oder gar 20 mal weniger Strom
und Röhrenbeanspruchung nötig haben, wie früher. Es ist klar, daß sich
solche Apparate zu diagnostischen Zwecken wenig oder gar nicht eignen,
ebenso wie sie sich wenig zur Oberflächenbestrahlung ausnutzen lassen.
Die Methoden, die zum Ausbau des technischen Apparates für die
Tiefenbestrahlung geführt haben, konnten nur dadurch zur Entfaltung
kommen, daß ein aufnahmefähiger Markt geschaffen wurde, und der trat
320 Dessauer,
ein, als es gelang, das Myom äußerst günstig zu beeinflussen. Als ins-
besondere durch die Arbeiten der Freiburger Klinik die Myombestrahlung
in allgemeine Aufnalıme kam, wurde durch die Anforderung der Patienten
es notwendig, ungeheure Mengen Röntgenlichtes in die Tiefe zu bringen
und die Techniker mußten Apparate herausbringen, die das ohne allzu-
große Röhrenabnutzung vermochten. Die wichtigsten derartigen Kon-
struktionen scheinen mir die folgenden drei zu sein:
1. die in der Arbeit des Berner Dozenten Schwenter-Traclhısler
beschriebene Methode der Röhrenbelastung mit großen Pausen;
2. die Methode von Janus (Reiniger, Gebbert & Schall) mit einem
Pausenschalter und endlich
3. die in Nachstehendem von mir beschriebene neue Methode des
Betriebes der Röhre mit Überspannung.
Die Methoden sollen nun hier ganz kurz angegeben werden, während
das nähere technische Detail in den einzelnen Abhandlungen nachzulesen ist.
Die von Schwenter beschriebene Methode (Münchener Medizinische
Wochenschrift 1910, Heft 50), beruht auf der Erfahrung, daß die Röntgen-
röhre nach dem Durchgang eines Stromstoßes noch eine Weile ionisiert
bleibt, und wenn sofort ein neuer Stromstoß an sie herantritt, mehr Wärme
erzeugt, als sie erzeugen würde, wenn sie vor dem Eintritt des neuen
Stromstoßes Zeit gehabt hätte, sich zu erholen. Mit dieser Methode sind
die einzelnen Entladungen der Röntgenröhre durch Pausen zu trennen und
insbesondere bei Verwendung von kräftigen Induktorien, wie des Blitz-
apparates der Veifa-Werke, hat die Freiburger Klinik ihre ersten hervor-
ragenden Resultate erzielt und es waren bei Anwendung dieser Methode
nur etwa 3,8 Milliamp&reminuten — manchmal etwas weniger, manchmal
etwas mehr — notwendig, um unter 3 mm Aluminium ein X zu erzeugen,
während frühere Apparate vielfach 10, 20, ja sogar 25 Milliampereminuten
zur Erzeugung von 1 X in dieser Tiefe notwendig gemacht hatten. Nach
Publikationen, die schon weit zurückliegen, hat Janus von der Aktien-
gesellschaft Reiniger, Gebbert & Schall eine Methode ausgearbeitet, bei
einem speziell gebauten Röntgenapparat außer dem gewöhnlichen Queck-
silberunterbrecher noch einen Pausen- oder Phasenschalter, oder wie er
ilın nennt, „Rythmeur“ einzuschalten, der etwa in jeder Sekunde einmal
für !/ Sekunde den Strom eintreten läßt und für !/, Sekunde ihn unter-
bricht. So entstehen Perioden der Tätigkeit und der Untätigkeit des
Apparates, die Röhre flackert auf, leuchtet eine Zeitlang, erlischt wieder,
tlackert wieder auf, erlischt wieder. Sie hat bei jedem Erlöschen Zeit,
von ihrer Wärme abzugeben und wird so geeignet, während der Belastungs-
phase mehr elektrischen Strom aufzunehmen. Mit dieser Methode kam
die Freiburger Klinik bis zu einem Verbrauch von etwa 2 Milliampere-
Physikalische und technische Grundlagen der Tiefenbestrahlung. 391
minuten pro X, wie ich mich durch eigene Versuche überzeugen konnte.
In der von Janus (11) publizierten, unten wiedergegebenen Kurve sind
unter 3mm Aluminium noch 5 Milliamp&reminuten pro X notwendig (Fig. 6).
Die neue Methode, die ich in der letzten Zeit im Laboratorium der Veifa-
Werke ausgearbeitet habe und über die ich an anderer Stelle ausführlich
berichtete, beruht auf folgender Überlegung:
Bei einem Induktionsstoß des Funkeninduktors zeigt zunächst im
Augenblicke der Unterbrechung die Spannung im Sekundärstromkreise bis
auf diejenige Höhe, bei welcher sie durch Leitungsbahn (Röntgenröhre)
durchbrechen kann (Fig. 7). Der erste Durchbruch der Elektrizität durch die
— Dosis ia Kendad Einheiten
e Tiek
1 IL II III!
1121A
Lh LAL, 411
YS a
1/17!
1
I
0
bei 10 X auf der Haut) wurde`erreicht Fig. 7. Spannungs- u. Strom-
in 10 Minuten bei 5 Milliampère in der kurve u. Härtefelder der Röhre.
Röhre, 20 Wh. Strahlenhärte, 15 Cm `
Fokus-Hautdistanz und 3 mm Alumi-
niumfilter.
Fig. 6. Dosis A (13X in 8cm Tiefe
Röntgenröhre ionisiert den Gasinhalt und macht die Röhren leitend, sodaß
nunmehr die Stromstärke in der Röntgenröhre bei fallender Spannung zu-
nimmt. Es entstehen somit im allerersten Momente des Durchbruchs in
der Röntgenröhre harte Strahlen, nachher bei fallender Spannung eine
größere Menge weicher Strahlen. Bei der Wechselstrommaschine ist das
Verhältnis ein anderes: hier ist die primäre Änderung keine ruckweise wie
bei der Unterbrechuug, sondern eine von gegebener Geschwindigkeit, in-
folgedessen steigt die Spannung im sekundären Stromkreis relativ langsam
von Null bis zum Maximum. Der Durchbruch bei der Wechselstrom-
maschine wird bei der eben gerade hinlänglichen Spannung erfolgen. Der
langsame Verlauf der Induktionswelle bei der Wechselstrommaschine hat
nun zur Folge, daß nach erfolgtem Durchbruch verhältnismäßig lange Zeit hin-
durch der Strom durch die Röhre hindurchgeht und daß auch bei derlangsamen
Abnahme der Spannung Strom bei sehr geringer Spannung die Röhre
322 Dessauer,
passiert und daher überwiegend weiche Röntgenstrahlung entsteht. Man
kann nun — und das ist die Lösung des vorliegenden Problems — auclhı
bei Wechselstrommaschinen die Röntgenröhre mit überharter Strahlung
betreiben, wenn man folgende Vorkehrungen trifft:
Zunächst wird der Röntgenröhre dauernd ein Widerstand parallel
geschaltet. Dieser Widerstand hat den Zweck, Hochfrequenzschwingungen,
die sich im Trans-
formator sonst leicht
ausbilden, wegzuneh-
men und dadurch die
Röntgenröhre zu
schützen ;überdies die
damit verbundenen
Durchschläge der Röhre zu vermeiden. Wird ein solcher Widerstand
parallel geschaltet, so kann das Übersetzungsverhältnis der primären zur
sekundären Spule ohne Gefahr für die Röntgenröhre wesentlich erhöht
und damit die Sekundärspannung erheblich gesteigert werden. Das zweite
Mittel der neuen Konstruktion besteht darin, daß die Röntgenröhre in
den Sekundärstromkreis des X
Transformators erst dann ein- A < Ze
geschaltet wird, wenn die % nn |
Spannung des Sekundärstro- o OSEERE EE |
mes über die notwendige ee
a |
Durchbruchspannung hinaus- Iene rE |
gewachsen ist. Vorher befin- 1
. Sl. h
det sich nur d oh — tr Q
er sehr hohe - ' aoa |
3
2
1
— Überspannung
Röhrənspannung ——
Fig. 8. Theoretische Stromkurve.
Widerstand im Stromkreise.
Dadurch wird erreicht, daß
die Spannung, welche die “aw o 2 $ 6 1 Em
Röntgenröhre empfängt Gewebstiefe.
2 Be u al Fig. 9%. Röhrenhärte: 10 Benoist-Einheiten.
W esentlich gröber ‚Ist, als Belastung:.2 Milllampere.
wenn die Röntgenröhre bei Bestrahlungszeit: 10 Minuten.
Wechselstrombetrieb im Forna au Joe...
Hautfilter: 3mm Aluminium.
sekundären Kreise einge-
schaltet ıst und dann die Spannung durch ihren Durchbruchswiderstand
selbst bestimmt.
Das dritte Mittel ist. daß der Hochspannungsschalter den Strom wieder
unterbricht in dem Augenblick, wo die Strahlung bei sinkender Spannung
weicher wird (Fig. 8). Auf diese Weise konnte es gelingen, bei Wechsel-
strombetrieb Resultate zu erzielen, wie sie in Kurve Fig. 9 dargestellt
sind. bei welchen also eine überaus harte Strahlung bei relativ sehr ge-
Physikalische und technische Grundlagen der Tiefenbestrahlung. 3923
ringem Stromaufwand (Milliampöreminuten) durch die Röhre hervorgebracht
wird. Diese Kurve zeigt ein wesentlich günstigeres Resultat, als die in
der Literatur, z. B. in der Münchener Med. Wochenschrift Nr. 11 vom
12. März 1912 dargestellte Kurve. Auch der Effektaufwand (Milliampere-
minuten) ist wesentlich kleiner.
So dürfte nun auch in den technischen Grundlagen der Tiefen-
bestrahlung ein großer Schritt vorwärts geschehen sein. Die Ökonomie
der Tiefenbestrahlung ist verbessert, der Röhrenverbrauch, der vorher fast
unerschwinglich war, erheblich reduziert. Noch ist diese Behandlungs-
methode kostspielig und wird es vorerst auch bleiben. Aber sie ist
wenigstens auch für weitere Kreise praktisch möglich geworden. Hoffen
wir, daß dieser in etwa 8 Jahren mühsamer technischer Arbeit erreichte
Abschluß der technischen Grundlagen durch weitere Erfolge in der Be-
handlung tiefliegender Prozesse gekrönt wird.
Literatur.
la) Senn, N., The therapeutical value of the Roentgen rays in the treatment of
pseudoleucaemia. New York Med. Journ., 18. IV. 1903. Ref. Zentralbl. f.
Chir. 1903, Nr. 33, S. 905.
lb) Senn, N., Case of splenomedullary leucaemia successfully treated by the use
of the Roentgen rays. New York Med. Rccord, 22. VIII. 1903. Ref. Zentralbl.
f. Chir. 1904, Nr. 15, S. 476.
lc) Senn, N., The X-rays in Ilymphadenoma. New York Med. Journ., 18. IV. 1903.
Ref. The Lancet 1903, Vol. I, p. 130.
2) Albers-Schönberg, Über eine bisher unbekannte Wirkung der Röntgenstrahlen
auf den Organismus der Tiere. Münch. med. Wochenschr. 1903, Nr. 43, S. 1859.
3) Heinecke, Über die Einwirkung der Röntgenstrahlen auf innere Organe. Münch.
med. Wochenschr. 1904, Nr. 18, S. 785 und Nr. 21, S. 927.
4) Perthes, Versuche einer Bestimmung der Durchlässigkeit menschlicher Gewebe
für Röntgenstrahlen mit Rücksicht auf die Bedeutung der Durchlässigkeit
der Gewebe für die Radiotherapie. Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgen-
strahlen 1904, Bd. 8, H. 1.
5) Dessauer, Beiträge zur Bestrahlung tiefliegender Prozesse. Med. Klinik 1905,
Nr. 21, S. 526. Ref. Fortschr. auf d. Geb. d. Röntgenstrahlen Bd. 9, H. 1,
S. 80.
5a) Dessauer, Probleme und Methode der Tiefenbestrahlung mit Röntgenstrahlen.
Therapeutische Rundschau 1908, Nr. 44.
6) Dessauer, Eine neue Anwendung der Röntgenstrahlen. Verhandlungen der
Deutschen physikalischen Gesellschaft 1907, Bd. 9, Nr. 3.
7) Veit, Zusatz zur Arbeit Prof. Dr. Dorns über: Zur Tiefenbestrahlung mit Röntgen-
strahlen. Münch. med. Wochenschr. 1909, Nr. 14.
8) Dorn, Zur Tiefenbestrahlung mit Röntgenstrahlen. Münch. med. Wochenschr.
1909, Nr. 14.
9) Wetterer, Die Homogenbestrahlung nach Dessauer. Arch. d’Cleetr. med. Nr.
247, Ref. Fortschr. auf d. Geb. der Röntgenstrahlen Bd. 13, H. 3, S. 189.
21
324 Dessauer,Physikalische u. technische Grundlagen der Tiefenbestrahlungr.
10) Schüler, Erfahrungen mit der Dessauerschen Röntgentiefenbestrahlung. Deutsch.
med. Wochenschr. 1909, Nr. 31.
10a) Schwenter, Eine neue Methode der Röntgenbestrahlung. Münch. med.
Wochenschr. 1910, Nr. 50.
10b) Krüger u. Dessauer, Die Nachbehandlung operierter Karzinome mit homo-
gener Bestrahlung. Berlin. klin. Wochenschr. 1908, Nr. 11.
10c) Franze, Homogenbestrahlung. Deutsche Ärzte-Zeitung, August 1908.
10d) Sommer, Über das Problem der homogenen Tiefenbestrahlung in der Röntgen-
therapie. Zeitschr. f. neue physikal. Med. 1908, Nr. 11.
11) Janus, Ueber die Technik der Röntgenbestrahlung tiefliegender Gewebe.
Münch. med. Wochenschrift 1912, Nr, 11.
Der absolute Härtemesser.
Von |
Dr. med. & phil. Th. Christen in Bern.
(Mit 5 Abbildungen im Text.)
ls ich vor zwei Jahren zum ersten Male den Vorschlag!) gemacht hatte,
die Halbwertschicht in destilliertem Wasser als Maß für die Röntgen-
strahlenqualität (Durchdringungsfähigkeit, Härte) einzuführen, fehlte es
nicht an Stimmen, welche speziell darin eine Schwierigkeit sahen, daß wir
damals noch keine Methode besaßen zur direkten Bestimmung dieses
Maßes. Das wäre zwar an und für sich kein Grund gewesen, den Ersatz
der willkürlichen Skalen durch eine absolute Einheit von der Hand zu
weisen, um so mehr, als das neue Maß auch an Anschaulichkeit alle
andern übertrifft. Nun ist aber auch dieser letzten Schwierigkeit ab-
geholfen und ich werde im folgenden beschreiben, wie sich das Problem
der direkten optischen Messung der Halbwertschicht an jeder in Betrieb
befindlichen Röntgenröhre lösen ließ.
Es handelt sich dabei um folgendes: Eine Röntgenröhre sendet eine
Strahlung von bestimmtem Durchdringungsvermögen (Härtegrad) aus. Wir
sollen nun messen, wie weit diese Strahlung in destilliertem Wasser vor-
dringen kann, bis von ihr gerade die Hälfte durch Absorption verschwunden
ist. Oder mit anderen Worten, wir haben zu messen, wie dick eine Schicht
destillierten Wassers sein muß, damit sie von einer durchgehenden Strah-
lung eines gegebenen Härtegrades gerade die Hälfte absorbiert und die
Hälfte durchläßt.
Eine photographische Methode habe ich schon früher?) beschrieben,
doch ist eine solche für den Gebrauch des Praktikers zu umständlich.
Für Herstellung eines handlichen Instrumentes ist auch das destillierte
Wasser nicht besonders geeignet. Es mußte also zuerst ein fester Körper
gefunden werden, dessen Absorptionsvermögen mit demjenigen des destil-
lierten Wassers übereinstimmt, und zwar für alle Strahlenqualitäten. Nach
längeren Versuchen ist es den Herren Ingenieuren der Reiniger, Gebbert
& Schall A.-G. gelungen, in dem Bakelit ein solches Material zu finden.
Der Beweis wurde nach dem Vorgehen von Perthes?) dadurch erbracht,
daß man ein Stück Bakelit in destilliertes Wasser einlegte und das Ganze
über einer photographischen Platte bestrahlte, und zwar mit Strahlen ver-
1) Röntgenphotographie und Röntgentherapie usw. „Fortschritte“, XV, 6.
2) Einige Anwendungen der Absorptionsgesetze usw. „Fortschritte“, XVI, 4.
23) Versuch einer Bestimmung der Durchlässigkeit usw. „Fortschritte“, VIII, 12.
21*
326 Christen,
schiedenen Härtegrades. Es entstand dann bei der Entwicklung der Platte
entweder gar kein oder ein kaum wahrnehmbarer Schatten des Bakelit-
stückes. Diese Perthessche Methode ist sehr gut, indem schon bei den
geringsten Unterschieden im Absorptionsvermögen zwischen der Flüssigkeit
und dem eingelegten Körper eine deutliche Zeichnung von dessen Konturen
auf der Platte erscheint.
Die Aufgabe, vor die wir nun den Beobachter stellen müssen, besteht
darin, dal) er diejenige Dicke einer Bakelitschicht ausfindig machen soll.
welche von einer gegebenen Strahlung gerade die Hälfte durchläßt und die
Hälfte absorbiert. Wüßten wir, wie stark jeweilen die halbe Intensität
des gegebenen Röntgenlichtes ist, so brauchten wir nur verschieden dicke
Bakelitstücke zwischen Röhre und Leuchtschirm zu halten und unter den-
selben dasjenige auszusuchen, welches die Strahlung so schwächt, daß sie
mit jener halben Intensität übereinstimmt.
Bei der Konstruktion des Instrumentes handelte es sich also weiter
darum, eine Vorrichtung zu schaffen, welche jegliches Röntgenlicht, un-
bekümmert um dessen Durchdringungsfähigkeit, stets unabänderlich gerade
auf die Hälfte seiner Intensität reduziert, damit man den nötigen Ver-
gleichswert stets zur Hand hat.
Diesem Zwecke dient nun eine Scheibe mit regelmäßig verteilten
Löchern, deren Durchmesser und gegenseitige Abstände so berechnet sind.
daß die Summe aller Löcher gerade halb so groß ist wie die Fläche der
sanzen Scheibe. Die andere Hälfte bildet dann das stehengebliebene
Metall, aus welchem die Scheibe besteht, und welches so dick genommen
wurde, dab auch von der härtesten. in Betracht kommenden Strahlung
nicht so viel durchgeht, daß eine sichtbare Fluoreszenz erregt würde.
Natürlich muß bei der Ablesung dafür gesorgt werden, daß die Richtung
der Strahlen genau parallel zu den Achsen der Löcher ist. Wie dies
erreicht wird, soll später noch angegeben werden.
Bringt man die beschriebene gelochte Scheibe —- wir nennen sie
„Halbwertplatte‘ — zwischen Röhre und Leuchtschirm, und zwar in einer
solchen Entfernung, daß nicht die Bilder der einzelnen Löcher, sondern
eine gleichmäßige Helligkeit sichtbar wird, so zeigt der Leuchtschirm an
dieser Stelle stets diejenige Helligkeit, welche der halben Intensität des
ausgesandten Röntgenlichtes entspricht. Setzt man daneben ein Stück
Bakelit, welches gerade so dick ist, daß es ebenfalls die Hälfte der ein-
dringenden Strahlung absorbiert, so müssen beide Flächen auf dem Leucht-
schirm gleich hell erscheinen.
Damit ist die Konstruktion des Halbwertmessers gegeben: Neben der
„Halbwertplatte“ ist eine verschiebbare Treppe aus Bakelit und vor diesen
beiden Teilen ein Stückchen Teuchtschirm angebracht. Visiert man, so
Der absolute Härtemesser. 327
wie dies in Fig. 1 angedeutet ist, mit dem Instrument gegen die leuchtende
Röhre, so erkennt man zwei verschieden helle Felder, von denen das eine der
Halbwertplatte, das andere der vorliegenden Stufe der Bakelittreppe ent-
spricht. Verschiebt man nun die Bakelittreppe, so kann man stets eine
Stufe derselben vor den Leuchtschirm bringen, welche den Leuchtschirm
gerade so hell aufleuchten läßt, wie das daneben liegende, der Halbwert-
platte entsprechende Feld.
Nun muß man sich aber zuerst dessen versichern, daß die Strahlen-
richtung, wie oben gefordert, genau parallel zu den Achsen der Löcher,
also senkrecht zu der Halbwertplatte ist. Ist dies nicht der Fall, so
treten folgende Erscheinungen auf:
1. Bei Drehung um die frontale Axe verschieben sich entweder die
hellen Felder übereinander unter Bildung eines dunkeln Grenzstreifens,
oder es tritt zwischen beiden eine Lücke, d. h. ein heller Streifen, auf.
Wir müssen also das Instrument so um die frontale Achse drehen, daß die
beiden Felder sich gerade berühren, ohne daß zwischen ihnen ein dunkler
oder ein heller Streifen auftritt. Diese Einstellung macht jeder Beobachter
instinktiv, weil er so am besten die beiden Helligkeiten miteinander ver-
gleichen kann.
2. Bei Drehung um die vertikale Achse verschmälern sich die beiden
leuchtenden Flächen. Man hat demgemäß das Instrument so um die
vertikale Achse zu drehen, daß die Felder ihre größte Breite erreichen.
Fig. 1.
Wenn man erst einmal einige Bestimmungen ausgeführt hat, so wird
diese Einstellung ganz automatisch vorgenommen. Ist man so weit, so
dreht man den Knopf F des Zahntriebes, welcher die Bakelittreppe ver-
schiebt, so lange, bis beide Felder gleich hell erscheinen. Die Beurteilung
der Helligkeitsdifferenzen ist eine sehr sichere, weil beide Felder genau
328 Christen,
den gleichen Farbenton haben. Auch die Intensität der Beleuchtung ist
eine gute, indem als Leuchtkörper der hochempfindliche Astralschirm ge-
wählt wurde.
Ist durch die genannte Einstellung gleiche Helligkeit der beiden Ver-
gleichsfelder erreicht, so weiß man, daß die vor dem Leuchtschirm liegende
Stufe der Bakelittreppe, weil sie gerade so stark absorbiert wie die Halb-
wertplatte, die durchgehende Strahlung gerade auf die Hälfte ihrer Intensität
reduziert. Die Höhe dieser Stufe, deren Absorptionsvermögen ja mit dem-
jenigen des destillierten Wassers übereinstimmt, ist also die Halbwertschicht
der gemessenen Strahlung. Man liest sie an einer Skala ab, welche durch
den genannten Zahntrieb an einer
Marke, G, vorbeigeführt wird.
Selbstverständlich ist das Instru-
ment mit einer Metallplatte versehen.
welche den Körper des Beobachters
vor den Röntgenstrahlen schützt.
. Außerdem ist ein Kryptoskop ange-
bracht. welches die Möglichkeit bietet,
die Messung im unverdunkelten Raume
vorzunehmen (s. Fig. 2).
Kurz zusammengefaßt, ist also
die Messung der Halbwertschicht in
folgender Weise vorzuuehmen:
1. Man faßt mit der linken Hand den Griff des Instrumentes, stellt
sich in angemessene Entfernung (etwa 60 cm) von der Röhre, legt das
Gesicht dicht an das Kryptoskop, und visiert gegen die leuchtende Röntgen-
röhre.
2. Man orientiert das Instrument so, daß
a) die Vergleichsfelder die größtmögliche Breite haben und
b) an der Grenze der beiden Vergleichsfelder weder ein dunkler
noch ein heller Grenzstreifen auftritt. Nur dann sind die
Strahlen parallel zu den Achsen der Löcher der Halbwertscheibe.
3. Man dreht den Triebknopf F so weit, bis beide Vergleichsfelder
gleich hell erscheinen.
4. Man liest an der Marke & die Halbwertschicht der Strahlung in
Zentimetern ab.
Nachdem mit Einführung der Halbwertschicht als Maß für die Strahlen-
qualität die bisherigen rein empirischen und teilweise arbiträren Skalen
durch ein absolutes Mal) ersetzt sind, möchte ich noch einen Vorschlag
für eine etwas bequemere Namengebung machen. „Strahlen mit der Halb-
wertschicht 1,4 cm“ ist etwas umständlich. Wir schießen ja auch nicht mit
Fig. 2.
Der absolute Härtemesser. 329
„Kugeln vom Durchmesser 6 Millimeter‘, sondern mit „6 mm Geschossen“.
Und so wollen wir auch in der Röntgentechnik einfach mit „1,4 cm Strahlen‘
arbeiten. So hat z. B. eine „0,8 cm Strahlung‘ eine Halbwertschicht von
von 0,8 cm, sie ist so hart, daß sie in einer Tiefe von 0,8 cm auf 50°,
ihrer Intensität reduziert ist, in 1,6 cm auf 25°/, in 2,4 cm auf 12,5°|,
usw...
Es erübrigt uns noch, das neue Maßsystem mit den bisher üblichen
Skalen zu vergleichen. Es geschieht dies an Hand folgender Vergleichstabelle,
deren Ausarbeitung die Herren von der Reiniger, Gebbert & Schall A.-G.
nir in liebenswürdiger Weise abgenommen haben.
ns or mal aaa o a nd nn rin nn a ee ee i S ah, ii —
Halbwer © ®@ 5 | | | ie Üblich
: Be | 5 5 2 | s | 5 s E8. ei e
schicht in em | G D = ', | 2 D wg Bezeichnung
0.2 a Dee | l | 08 j 1% | ee
0,4 2,9 u, 20 1° 835 ' sehr weich
08 56 a j l a j 837 | 2% | s1 i "weich
0,8 8,3 © 6 | 7 | 5 | 56 4, | 102 | mittel
10 00100 | 8 i 8, | 6 ; 64 | 5* | 168 |, hart
1,2 | 112: 2 = | = | m 7,5 — |! — ; sehr hart
1.4 EB en de | — 'aı en
1,6 1139: a k s Sgp | E
1,8 14,0 | — I | — 198 a -
So aa et A|
Die ** bedeuten Abrundungen. 5* z. B. heißt „etwas größer als 5“
und 5, „etwas kleiner als 5“.
Anschaulicher noch ist die graphische Darstellung in Fig. 3, ın welcher
die Halbwertschichten als Abszissen und die Grade der konventionellen Skalen
als Ordinaten aufgetragen sind. Man sieht, dal keine dieser Skalen sich
als gerade Linie abbildet. Die Kurven verlaufen alle in mehr oder weniger
eigensinnigen Krümmungen. |
Nur das Klingelfußsche Sklerometer nimmt eine Sonderstellung ein.
Zwar ist auch hier die Kurve (Fig. 4) an einer Stelle stark abgebogen.
Aber für mittlere und harte Strahlen ist der Verlauf auffallend genau
geradlinig. Von der 0,65 cm-Strahlung an aufwärts besteht also ziemlich
genaue Proportionalität zwischen den Sklerometergraden und den ent-
sprechenden Halbwertschichten. Man kann dies durch die folgende Glei-
chung ausdrücken:
a = 0,52 cn -+ s. 0,9028 cm,
wobei a die Halbwertschicht und s den Sklerometergrad bedeutet. Die
Gleichung hat Gültigkeit, solange a größer ist als 0,65 cm. Die Be-
rechnung des Zusammenhanges zwischen Sklerometergrad und Halbwert-
330 Christen,
schicht geschah auf Grund der Figur auf S. 129 der Verh. der D. Rtg.-
Ges., Bd. VI, woraus sich der Zusammenhang zwischen Sklerometergrad
und Benoist-Skala ermitteln läßt.
Zum Schluß möchte ich noch auf die Absorptionstabelle zurück-
kommen, welche ich im 1. Heft dieser Zeitschrift!) auf S. 58 veröffentlicht
habe. Anschaulicher als durch Zahlen werden solche Zusammenhänge durch
die graphische Darstellung illustriert. So gibt Fig. 5 Aufschluß über die Ab-
sorption verschieden harter Strahlen an der Oberfläche und in der Tiefe.
Wir denken uns eine Weichteilschicht von der Dicke w und senden durch
dieselbe Strahlen von der Intensität I,. Die Breite der Figur entspricht
der Weichteilschicht, w, links die Oberfläche, rechts die Tiefe. Die Höhe
der Figur entspricht der Intensität I,.
ee
HEREN
PEHEE
meS
ea
a rn a8 20 am I 18 2000
Bene cm. Halbrwertschicht a Maß)
Fig. 3.
Betrachten wir Strahlen von verschiedenem Durchdringungsvermögen
(aber alle von der gleichen Intensität I,), so wird die Intensität mit dem
Vordringen durch die Schicht w um so rascher abnehmen, je weicher die
Strahlung ist. So zeigt die Figur, daß bei derjenigen Strahlung. welche
schon im vierten Teil der Weichteilschicht auf die Hälfte reduziert wird
(in der Figur ist die Kurve bezeichnet mit a= w/4), die Intensitätskurve
am steilsten abfällt, während sie bei der härtesten Strahlung. die erst in
Ober die physikalischen und physiologischen Grundlagen der Tiefen-
therapie. Strahlentherapie Bd. I, H.1.
rn u en om en
Der absolute Härtemesser. 331
der dreifachen Weichteilschicht auf die Hälfte reduziert wird (darum die
Bezeichnung a = 3.w) weit flacher verläuft.
Will man sich nun zuerst über die Oberflächendosen orientieren, so
betrachte man die Strahlenmengen, welche im obersten Zehntel der Weich-
teilschicht absorbiert werden. Hierzu ist im Abstande von w/10 vom
linken Rande ein senkrechter Strich angebracht. Die Länge dieses Striches
vom oberen Rande bis auf die entsprechende Kurve gibt uns jeweilig für
die der Kurve entsprechende Härte den Intensitätsverlust im obersten
Zehntel der Weichteilschicht und damit eine der Oberflächendosis pro-
portionale Größe. Wir stellen dabei ohne weiteres fest, daß dieselbe
um so größer ist, je kleiner die Halbwertschicht, d. h. je weicher die
Strahlung ist, was ja von vornherein klar sein dürfte.
Die Halbwertschichten
= ’ der Strahlungen, deren
/ Absorptionskurven einge-
zeichnet sind, erfährt man
1 - ohne weiteres, indem man
bloß die entsprechende
u Ä Kurve bis zum Schnitt mit
dem Niveau I = 2 ver-
folgt und feststellt, wie weit
se. dieser Schnittpunkt von
dem linken Rande der
í Figur entfernt ist. So
20» 4 findet man in der Figur
| ; für die erste Strahlung
4 C ar. i eine Reduktion der In-
© tensität auf die Hälfte
schon im ersten Viertel der
Weichteilschicht (a = w/4), bei der zweiten im ersten Drittel der Weichteil-
schicht (a = w/3) usw. ...
Gehen wir nun in die Tiefe, d. h. an die innere Grenze der Weich-
teilschicht w, also an den rechten Rand der Figur, so müssen wir, um
einen Vergleich zu haben, wieder eine Schicht von der Dicke w/10 be-
trachten und feststellen, wie viel von jeder der dahin gelangenden Stralı-
lungen absorbiert wird. Zur Beurteilung dieser Frage sind an den Intensi-
tütskurven an der inneren Grenze der Weichteilschicht Dreiecke angezeichnet
deren Grundlinien gleich w/10 sind, während ihre Höhen die Intensitäts-
verluste in dieser Schicht von der Dicke w/10 messen. also eine der
jeweiligen Tiefendosis proportionale Größe darstellen.
Fig. 4.
332 Christen, Der absolute Härtemesser.
Man erkennt nun auf den ersten Blick, dal diese Dreieckhöhen bei
der härtesten sowohl wie bei der weichsten Strahlung relativ klein sind,
daß sie aber für die in der Mitte liegenden Strahlenqualitäten höhere
Werte erreichen. Es gibt also gesetzmäßig bestimmte Strahlen-
qualitäten, für welche die Tiefenwirkung die größtmögliche
ist bei gegebener ÖOberflächenintensität. Streng genommen
müßte dies Strahlung a = =
wie ich a. a. O. nachgewiesen habe.
Man sieht aber an Hand der Figur
leicht ein, daß die vorgeschlagene Ver-
einfachung — anstatt der Strahlung
en Se die Strahlung a= w zu neh-
men — praktisch durchaus gerecht-
fertigt ist, indem die Höhen der ent-
sprechenden Dreiecke einen kaum er-
kennbaren Unterschied aufweisen, wäh-
rend die Oberflächendosen, abgelesen
an der Vertikalen bei w/10 (links oben),
gerade für diese beiden Strahlungen
doch noch einen beträchtlichen Unter-
schied zeigen. Man sieht ferner, dab
man durch Auswahl einer noch härteren
Strahlung die Oberflächendosis nicht
Fig. 5. mehr viel, die Tiefendosis dagegen be-
trächtlich schwächen würde.
Auch die einfache Regel, welche wir für die Größe der Tiefendosis
abgeleitet haben, läßt sich an der Figur verifizieren: Wenn man die
Strahlung so auswählt, dal ihre Halbwertschicht gleich ist der Dicke der
überlagernden Weichteile, so ist die Tiefendosis gerade gleich der halben
Oberflächendosis.’) Dementsprechend schneidet die Kurve a = w an der
Vertikalen bei w/10 (links oben) ein Stück ab, welches gerade doppelt so
grol ist wie die Höhe des Dreiecks am rechten Ende der Kurve a = w.
Es ist hiermit der Grund gelegt für eine richtige Würdigung des
Zusammenhanges zwischen Absorption und Dosierung. Auf Grund dieser
Erkenntnisse kann nun weiter gebaut werden.
sein,
1) Abgesehen natürlich von der Dispersion, welche besonders in Rechnung
zu setzen ist.
Zwei neue Röntgenröhren.''
Von
F. Zacher, Erlangen.
Mit 5 Abbildungen im Text.
ine der wichtigsten Forderungen bei Röntgenröhren für Schnell- und
Momentaufnahmen ist eine ergiebige und vor allen Dingen schnell
wirkende Kühlung der Antikathode. Bei den Trockenkühlröhren sucht
man diese dadurch in wirksamer Weise zu erreichen, daß man von der
Antikathode aus direkt einen massiven Kühlstab durch die Glaswand der
Röhre hindurch nach außen führt. Zweckmäßig wird dann das freie Ende
des Kühlstabes zur Vergrößerung seiner, die kühlende Luft berührenden
Oberfläche mit einem Rippenkühlkörper versehen. Die feste Verbindung
des Kühlstabes mit der Antikathode einerseits und, durch die luftdichte
Platineinschmelzstelle, mit der Glaswand der Röhrenkugel andererseits
führt jedoch bald dazu, daß infolge der bei der Erwärmung auftretenden
Ausdehnung des Kühlstabes in der Längsrichtung und durch damit aus-
gelöste mechanische Kräfte ein Defekt der Platineinschmelzstelle eintritt.
Die die Einschmelzstelle bildende Glasmasse springt nicht selten infolge
dieser Ausdehnung, da sie nicht nachgeben kann und die Röhre wird durch
das Eindringen von Luft unbrauchbar. Diesem Übelstand kann man wirk-
sam begegnen, indem man den Antikathodenklotz für sich in der Röhre
befestigt und den Kühlstab gesondert in diesen einführt, derart, daß er
sich in dem Metallkörper des Klotzes in seiner Längsrichtung verschieben
kann. Die einpfindliche Einschmelzstelle ist dann von schädlichen Material-
spannungen gänzlich entlastet. Um trotz der Verschiebbarkeit eine gut
wärmeleitende Verbindung zwischen dem Antikathodenklotz und dem be-
weglichen Kühlstab herzustellen, wird derselbe konisch in den Antikathoden-
klotz eingeführt (Schnittzeichnung Fig. 1). Durch geeignete Wahl der
Konizität vermeidet man Materialschwächungen im Antikathodenklotz, die
bei zylindrischer Einführung leicht entstehen und zu Wärmestauungen An-
laß geben, durch welche die schnelle Ableitung der Wärme stark beein-
trächtigt wird. Bei richtigen Abmessungen des Antikathodenklotzes sowie
des Kühlstabes erreicht man somit eine Belastungsfähigkeit der Röhren,
welche sie bei relativ langen Zeiten auch den stärksten Belastungen zu-
gänglich machen. Kine solche Röhre stellt die in Fig. 2 abgebildete
„Kffektröhre“* dar. Nachstehend eine der Serien von Belastungen, die mit
einer völlig neuen Röhre unmittelbar einander folgend vorgenommen wurden:
1) Hergestellt von der Firma Reiniger, Gebbert & Schall A -G.
334 Zacher,
1. Belastung 5 M.-A. 450 Sek. (71/, Minuten) = 2250 M.-A.-Sek.
2. = 18 a 60 „, 1080 4
8. „n 225. 30, 6755.
zusammen 4005 M.-A.-Sek.
d. i. eine Leistung, die 9 Nierenaufnahmen ohne Verstärkungsschirm oder
57 Nierenaufnahmen mit Verstärkungsschirm gleichkommt. Als Instru-
mentarium wurde ein Idealapparat verwendet, die Röhre hatte einen Härte-
grad von ca. 7,5 Wh.-E.
Ist die „Effektröhre“ ausschließlich für Schnell- und Momentaufnahmen
mit höchsten Belastungen geeignet, so ist die nachfolgend beschriebene
RERE
SWIA REMUN
7
en %,
| TEN
2
Fig. 1.
1. Glaswand der Röntgenröhrenkugel. — 2. Antikathodenklotz. - 3. Antikathodenrohr. —
4. Platineinschmelzstelle. — 5. Massiver Kühlstab. — 6. Rippenkühlkörper. — 7. Konus. —
8. Abstützkörper des Antikathodengebildes gegen den Hilfsglashals. — 9. Hilfsglashals. —
10. Abstützkappe des Kühlstabes gegen den Antikathodenhals.
Röntgenröhre für speziell langandauernde röntgenologische Arbeiten, wie
2. B. Durchleuchtungen, Bestrahlungen und vornehmlich für die Tiefen-
therapie bestimmt. Von einer für diese Zwecke bestimmten Röhre ver-
langt man in erster Linie absolute Konstanz während längerer Zeit bei
Belastungen von im Mittel 4—5 M.-A. und Härtegraden zwischen 8 und
10 Wh.-E. Wie ist diese aber zu erreichen? Bei einer Röhre von nor-
maler Funktion kann man annehmen, daß die Verteilung der Gasmoleküle
im Innern der Kugel praktisch genugend gleichmäßig, der Gasdruck überall
derselbe ist. Sobald man aber eine solche Röhre für länger andauernde
Arbeiten einschaltet, bemerkt man, daß der Gasdruck sich ändert und die
Röhre härter oder weicher wird. Letzteres kommt in der Hauptsache
daher, daß die Metallteile der Antikathode und auch der Kathode die
okkludierten Gase infolge Erwärmung abgeben. Man kann aber auch
andererseits bemerken, daß die Röhre dazu neigt, hart zu werden oder
Zwei neue Röntgenröhren. 335
aber nach wenigen Einschaltungen Inkonstanz zeigt. Das Hartwerden
kann man durch die aus irgendwelchen Gründen vorzeitig auftretende Zer-
stäubung des Antikathodenmetalles erklären. Die Ursache der Inkonstanz
kann aber auch darin gefunden
werden, daß der Gleichge-
wichtszustand der inneren mo-
lekularen Gasverteilung be-
einträchtigt worden ist. Die-
ser kann aber dann, einwand-
freie Stromverhältnisse vor-
ausgesetzt, nur durch benach-
barte, größere Temperatur-
differenzen gestört werden.
Und in der Tat treten diese
Jaauch bei einer Röhre, deren
Antikathode nicht genügend
gekühlt ist. in reichlichem
Maße auf. Die Antikathode
wird unter Umständen bei
langer Betriebsdauer bis zur
Rotglut erhitzt, während die
Wandungen der Röhrenkugel
höhere Temperaturen anneh-
men, die jedoch immer weit
hinter derjenigen der Anti-
kathode zurückbleiben. Durch
diese Temperaturdifferenzen
werden nun _leichtverständ-
licherweise auch die im Innern
befindlichen Gase beeinflußt
und sie werden sich verschie-
ben. Sorgt man aber dafür,
daß diese schädlichen Tempe-
raturdifferenzen nach Mög-
lichkeit vermieden werden, so wird man eine Konstanz der Röhre auch
bei langandauernden röntgenologischen Arbeiten erzielen, die nur durch die
relativ langsam erfolgende, aus physikalischen Gründen unvermeidliche Zer-
stäubung der Metallteile beeinträchtigt werden kann. Dieser Ausgleich der
Temperaturdifferenzen wird dadurch erreicht, daß man das gesamte Anti-
kathodengebilde aus ein und demselben Material, am besten Kupfer, her-
stellt. Antikathodenklotz und -rohr bilden einen Hohlkörper, welcher durch
die Einschmelzstelle mit der Glaskugel der Röntgenröhre luftdicht ver-
Fig. 2.
336 Zacher,
bunden ist (Schnittzeichnung Fig. 3). In das Antikathodenrohr führt man
ein zweites Rohr von geringerem Durchmesser ein, welches nahe vor der
Antikathodenplatte endet. Leitet man dann Preßluft durch dieses Rohr,
Fig. 3.
1. Glaswand der Röntgenröhrenkugel. — 2. Antikathoderklotz. — 3. Platinspiegel.
4. Abstützkörper des Antikathodengebildes gegen den Hilfsglashals. — 5. Anti athoden-
rohr. — 6. Antikathodenrohr nach außen verlängert. — 7. Innenrokr zum Einführen
der Preßluft. — 8. Ausströmöffnungen für die Preßluft. — 9. Platineinschmelzstelle.
so erzielt man nicht nur eine kräftige Kühlung des Antikathodenkörpers
selbst, sondern auch eine solche des Antikathodenrohres, da ja die Preb-
luft im Gegenstrom durch das ganze Antikathodengebilde geleitet und fort-
Ohne ohne
„ mit Pressiyft __fres,__ mit Pressiuft Frasg _ _ mit Pressluft _ a ARESE
iuri lut
p-e- Pmp ern ETEA AEE T l | | 1 BIR
nr .— + 1.
te ın Wehnelt FinA
m
ré
6 >
F
S E pittt aa
ES
ES oH ak Ee E E E T Dr Lo A I Fe
Š X | | | i
ST } + + a + + 4 — + — HH tan | i - — i
oe LI kak il. HiHi er rrerH
O IO 20 30 40 30 75 7 0° 20° 30 40° 50 25t 10° 20° 30° 40 50 3St 10 20 30 40 50 451.10 20 30
V Ausschaltung der Press: ft RENBERBEBBERTA
Mınsarurg e - SCHALAG BERUN,
Fig. 4.
während in Höhe der Außentemperatur neu zugeführt wird. Dadurch, dab
das Antikathodengebilde aus ein und demselben Material besteht, läßt sich nun
eine gleichmäßige Kühlung desselben auf seiner ganzen Oberfläche erzielen und
die Erwärmung kann leicht in denjenigen Grenzen gehalten werden, welche
eine Temperaturdifferenz der Glaswand gegenüber nach Möglichkeit ausschalten.
Zwei neue Röntgenröhren. 337
Auf diese Weise ist es möglich, ohne Anwendung von flüssigen oder
umständlich zu handhabenden gasförmigen Kühlmitteln auch metallreiche
Röhren von hohen Härtegraden bei Tiefentherapie mittels des Rhytmeurs
eine Stunde und länger zu betreiben, ohne daß der Härtegrad von z. B.
10 Wh.-E. sich wesentlich ändert oder die Röhre gar unbrauchbar wird.
In Fig. 4 ist eine graphische Darstellung der Änderungen des Härtegrades
einer solchen „Preßluftröhre“ (Fig. 5) gegeben, sofern man wechselnd die
Preßluftkühlung betätigt oder abstellt. Es zeigt sich, daß der Härtegrad
von 10,5 Wh.-E. während einer Stunde unverändert bleibt bei angewendeter
Kühlung. Innerhalb 10 Minuten ändert sich jedoch der Gasdruck der
Röhre bei abgestellter Kühlung derart, daß die Röhre nur noch 4 Wh.-E.
hat. Bei nunmehr wieder vorgenommener Kühlung steigt der Härtegrad
in 75 Minuten auf 10 Wh.-E. Das Experiment wurde dann wiederholt
und gab dasselbe Resultat. Bei wiederholtem, stundenlangem Einschalten
zeigten alle Versuchsröhren stets gleichbleibende Konstanz.
‘SOWAS EEMI HT:
Fig. 5.
Die vorbeschriebene Betriebsweise kann solange ohne weiteres fort-
gesetzt werden, bis die natürliche Erhöhung des Vakuums ein Regenerieren
der Röhre bedingt. Erforderlich zum Betriebe der Röhre ist allerdings
ein Preßluftgebläse, dessen Anschaffungskosten jedoch im Vergleich zu der
rationellen Ausnutzung des Röhrenmaterials bei dem angestrengten Betrieb,
wie er z. B. bei der Tiefentherapie bedingt ist, nicht in Betracht kommt.
Aus dem Röntgeninstitut des Bürgerhospitales zu Basel.
Röntgenröhren mit Luftkühlung.
Von
W. Mayer.
m Hinblick auf die zahlreichen Verbesserungen von hervorragender Be-
deutung, die das Röntgeninstrumentarium in den letzten Jahren erfahren
hat und die gewaltigen Leistungen der modernen Apparate, wird jeder
Röntgenologe lebhaft bedauern, daß die Konstruktion der Röntgenröhren
mit dieser erfreulichen Entwicklung nicht gleichen Schritt gehalten hat.
Wohl hat die Technik auch hier große Fortschritte zu verzeichnen, die
besonders augenfällig sind, wenn man etwa eine der heutigen Röhren und
ihre Leistung mit einer solchen vor 15 Jahren vergleicht. Allein im Grunde
genommen ist doch die Röntgenröhre das Schmerzenskind geblieben, das
sie von jeher war. Der Probleme sind noch manche zu lösen, bis die
Röhre geschaffen ist, die allen Anforderungen entspricht und die den von
den heutigen Apparaten gelieferten großen Intensitäten Stand hält. Eines
dieser Probleme, dessen sich die Techniker von jeher mit Vorliebe an-
genommen haben, ist die Frage, auf welche Weise sich die beim Betrieb
auftretende schädliche Erhitzung der Röntgenröhren vermindern, oder besser
vermeiden lasse. Dieser Frage kommt um so größere Bedeutung zu, als
ja gerade von ihr die Leistungsfähigkeit und die Lebensdauer der Röhren
zum guten Teil abhängt. In ihr liegt die Ursache vieler Störungen und
manchen Mißerfolges. Kein Wunder deshalb, daß so viele sich mit ihr
befassen, und zu bedauern ist nur, daß eine wirklich befriedigende Lösung
bisher nicht gefunden werden konnte. Zahlreich sind die Konstruktionen,
die im Laufe der Jahre herausgebracht worden sind, um dem leidigen
Übelstande abzuhelfen. Darunter sind solche von recht problematischem
Werte, während andere als wirkliche Errungenschaft angesprochen werden
dürfen. Ich erinnere hier an die Wasserkühlröhre und an die vorzüglichen
Dienste, die sie gewiß jedem Röntgenpraktiker geleistet hat. Aber auch
sie versagt da, wo es sich um langen andauernden Betrieb bei starker Be-
lastung handelt. Wo zu intensiveren Kühlmitteln gegriffen wurde, wie
etwa vor Jahren zur flüssigen Kohlensäure. ist es beim Versuch geblieben,
was im Interesse eines ungefährlichen Betriebes durchaus nicht zu bedauern
ist. Daß bei den Röntgenröhren mit sogen. „Luftkühlung“ von einer solchen
nicht viel zu merken ist, darf nicht groß wundern. Die in den Röhren
auftretende Wärmewirkung ist ja bekanntlich eine so enorm große, daß
sie sich auf solch einfache Weise nicht beseitigen läßt. Wie so manchen
hat diese „Kühlfrage* auch mich seit Jahren lebhaft interessiert, und wenn
ich mir erlaube, im nachfolgenden auf einen etwas anderen Weg hinzuweisen,
den ich eingeschlagen habe. um zu einer befriedigenderen Lösung zu gelangen,
so geschieht dies auf Grund langer Beobachtung und praktischer Erfahrung
u a.
Mayer, Röntgenröhren und Luftkühlung. 339
Als einfachstes und zweckmäßigstes Kühlmittel habe ich von jeher die
Luft betrachtet. Vor vielen Jahren schon habe ich mich ihrer bedient,
um das Äußere der Röntgenröhren während des Betriebes etwas abzukühlen.
Es geschah dies in einfacher Weise so, daß ich einen kräftigen, von einem
Weasserstrahlgebläse gelieferten Luftstrom, passend verteilt, gegen die Glas-
wandungen blies. Ich konnte damit deren allzu starke Erhitzung mit gutem
Erfolge verhindern. Es war zweifellos, daß so gekühlte Röhren sich inner-
halb gewisser Belastungsgrenzen länger betreiben ließen als nicht gekühlte.
Um die gute Wirkung weiter zu erproben, kühlte ich die Antikathode
einer Wasserkühlröhre durch eingeblasene Luft. Auch dies gelang ganz
gut, obschon die Konstruktion des Versuchsobjekts für diesen Zweck
sicherlich nicht geeignet war. Ein besonders konstruiertes „Luftkühlrohr“,
obgleich nicht ganz meinen Wünschen entsprechend hergestellt, leistete mir
während sehr langer Zeit gute Dienste und bestätigte mir, daß der ein-
geschlagene Weg eine wesentliche Verbesserung des Röntgenbetriebs herbei-
führen könne. In der Folge benützte ich dann die jederzeit zu habende
Müllersche Zangenröhre, deren massive Antikatliode einer direkten
Kühlung durch Luft allerdings nicht gerade besonders zugänglich ist, im
übrigen aber sich für meine Zwecke gut eignete. Mit diesen Röhren habe
ich während längerer Zeit umfassende Versuche angestellt und bin dabei
zu ganz annehmbaren Resultaten gekommen. Die Röhren wurden mit ver-
schieden starker Luftzuführung gekühlt und zwar so, daß entweder nur die
hohle Antikathode, in die ein mit dem Gebläse in Verbindung stehendes Rohr
eingeführt wurde, oder die Glaswand, oder aber beide zugleich dem Luft-
strom ausgesetzt waren. Die Belastung wurde von 1—10 M. A. variiert;
der jeweilige Härtegrad mittels des Klingelfußschen Sklerometers, dem
besten und zuverlässigsten Meljinstrumente, das ich kenne, festgestellt und
fortlaufend kontrolliert. Dabei zeigte sich, daß die äußere Kühlung eben-
falls von großem Einfluß auf die Haltbarkeit der Röhre ist. Man tut
also gut, das eine zu tun und das andere nicht zu lassen; d. h. man soll
mit der Antikathode zugleich auch das Äußere der Röhre kühl halten.
Diese Tatsache kam mir so recht zum Bewußtsein, als ich eine Röhre
versuchsweise derart belastete, daß dabei die Antikathode auf die Länge
von 4—5 Zentimeter in lebhafte Rotglut kam, wobei ich dafür sorgte, daß
durch genügende Luftzufuhr die ganze Röhre gut gekühlt wurde. Sie blieb
so während 30 Minuten bei 7—8 M. A. und einer zwischen 120 und 125°
schwankenden Härte eingeschaltet. Wenn das Rohr die Tendenz zum
Weicherwerden zeigte, genügte eine Pause von !/,—1 Minute, um es
immer wieder auf den ursprünglichen Stand zurückzuführen. — Ohne die
gründliche Abkühlung der Röhre wäre dieselbe bei solcher Behandlung
sicher zu Grunde gegangen. — Bei kleiner Belastung, z. B. mit 5—6 Milli-
Ampere können die Röhren stundenlang betrieben und bei stets sich gleich-
bleibender Härte erhalten werden.
22
340 Mayer,
Eine solche Röhre wies z. B. während einer Stunde folgende Schwan-
kungen auf, die alle 5 Minuten notiert wurden:
Anfangs-Härte: 112 H., 110, 102, 105, 105, 107, 108, 110,
112, 111, 110, 113; mittlere Härte somit 109H.
Ein anderer einhalbstündiger Versuch ergab bei 6 Milli-Ampere
folgendes:
Anfangs-Härte: 125 H., 115, 115, 115, 114, 120, 120; mittlere
Härte somit 1138 H.
Auch bei höheren Belastungen ist die Konstanz des Vakuums eine
außerordentlich gute, wenn nur dafür gesorgt wird, daß die Luftzufuhr
eine genügende ist. Die Belastungsfähigkeit und Haltbarkeit der Röhren
wächst mit dem zugeführten Luftquantum und wohl auch mit dem Druck.
unter dem die Luft einströmt. Je größer diese beiden Faktoren sind,
desto besser ist die Kühlung und desto länger kann die Röhre bei stel-
gender Belastung betrieben werden. Natürlich gibt es auch hier Grenzen,
die schon aus praktischen Gründen nicht überschritten werden können.
Welcher Luftdruck die günstigsten Betriebsverhältnisse schafft. konnte ich
leider noch nicht genügend feststellen, da das mir zur Verfügung stehende
Gebläse einen nur mäßigen Überdruck zu liefern vermochte. Soviel scheint
mir aber sicher, daß durch Steigerung des Druckes speziell die Antikathode
sehr intensiv gekühlt werden kann, wodurch die Möglichkeit stärkster Be-
lastung gegeben ist.
Auf die beschriebene Weise gelingen Dauerbelastungen, wie sie sonst
nicht zu erreichen sind. Die so lästigen Störungen infolge fortwährender
Änderung der Röhrenhärte fallen dahin oder werden wenigstens erheblich
verringert. Die Gefahr der Zerstörung der Röhren durch Überlastung
ist wesentlich kleiner, obgleich ihre Leistung gesteigert wird. Es be-
deutet dies einen immerhin nicht zu verachtenden Zeit- und Material-
gewinn. Welche Annehmlichkeit ein ungestörter Dauerbetrieb bei zeit-
raubenden Durchleuchtungen und therapeutischen Bestrahlungen bildet, liegt
auf der Hand. Ein Beispiel möge dies für die Therapie zeigen. Nach
den Feststellungen von Klingelfuß sind zur Erzielung einer Tiefendosı:
(Bestrahlung durch 1 mm dickes Aluminiumfilter in 2 mal 12 cm Fokus-
Hautdistanz) bei einer Röhre von 20 cm Durchmesser und dem Durch-
lässigkeitskoeffizienten # = 1 im Mittel 4000 J. H. T.-Einheiten nötig. Wird
nach den bisherigen Erfahrungen die Belastungskonstante mit 120 J. H.
angenommen, so wird die Verfärbung der Sabouraudpastille bis zur Ver-
gleichsnuance B in
4000:120 = 33.3 Minuten
erfolgen. Die gekühlte Röhre läßt aber eine weit höhere Belastung zu.
Die Belastungskonstante kann z. B. leicht auf 650 J. H. gesteigert werden,
wodurch die Bestrahlungszeit auf
a ey Sn nn Arne A a a a ai
Röntgenröhren mit Luftkühlung. 341
4000:650 = 6,1 Minuten
abgekürzt wird. Auf obige Verhältnisse bezogen, erfordert eine offene Be-
strahlung ohne Aluminiumfilter (OÖberflächendosis) 1750 J. H. T.-Einheiten.
Bei der Belastungskonstante der ungekühlten Röhre von 120 J. H. wären also
1750:120 = 14,5 Minuten
erforderlich. Die gekühlte Röhre gestattet aber die Erhöhung der Kon-
stante auf 1000 J. H., was einer Zeitkürzung auf
1750:1000 = 1°), Minuten
gleichkommt. Wiederholte Kontrollversuche haben dies bestätigt und die
Möglichkeit weiterer Kürzung ergeben.
Hierbei möchte ich nicht unterlassen zu bemerken, daß diese exakte
Dosimetrierung nur mit Hilfe des obenerwähnten Sklerometers von Klingel-
fuß möglich war, das durch die Genauigkeit und Zuverlässigkeit seiner
Angaben und durch die Bequemlichkeit der Ablesung die allerbesten Dienste
leistet. Dieses Instrument gestattet eine Überwachung der eingeschalteten
Röhre und eine Beurteilung der in ihr vorgehenden Veränderungen, wie
sie mit dieser Präzision auf andere Weise kaum möglich ist. Es leistet
daher nicht nur dem Röntgentherapeuten hervorragende Dienste, sondern
dem Röntgenologen überhaupt, dem daran liegt, seine Röhren unter fort-.
laufender Kontrolle zu haben.
In Heft 2 Band XVII der „Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgen-
strahlen‘ berichtet M. Barret über ‚„Röntgenröhren mit dauernder Luft-
kühlung“.!) Die Ausführungen des Referenten, der demnach denselben
Weg eingeschlagen hat, den ich schon längst betreten habe, bestätigen
meine Erfahrungen in allen Teilen. Das Referat berichtet allerdings über
Belastungsziffern, gegen die sich die meinigen recht bescheiden ausnehmen.
Um so eher aber glaube ich daher auf die Richtigkeit meiner Beobachtungen
und die Brauchbarkeit der angegebenen Kühlmethode hinweisen zu dürfen,
die auf die Bezeichnung „Luftkühlung“ wirklich Anspruch machen darf
und bei geeigneter Anwendung und ebensolcher Röhrenkonstruktion dem
vielbeschäftigten Röntgenpraktiker gute Dienste leisten kann.
Meine Ausführungen machen durchaus keinen Anspruch darauf, das
eingangs erwähnte Problem gelöst zu haben. Sie wollen lediglich als eine
aus der Praxis hervorgegangene Anregung aufgefaßt sein und als Hinweis
dienen, auf welche Art und Weise einem auch heute noch als Kalamität
empfundenen Übelstand beim Röntgenbetrieb wirksam begegnet werden kann.
!) Fortschr. a. d. Gebiete d. Röntgstr. Bd. XVII, H.2, Seite 111: M. Barret,
„Röntgenröhren mit dauernder Luftkühlung“.
Fortschr. a. d. Gebiete d. Röntgstr. Bd. XVIII, H.1, Seite 75: W. Mayer,
„Röntgenröhren mit dauernder Luftkühlung“.
Aus der I. Mediz. Univ.-Klinik in Wien (Vorstand Prof. Dr. C. v. Noorden).
Über den Einfluß des Thorium-X auf die Harnsäure-
ausscheidung bei Leukämie.
Von
Dr. Johann Nowaczynski (Krakau).
er Einfluß der Radiumemanation auf den Purinstoffwechsel ist bereits
Gegenstand mehrfacher Untersuchungen gewesen, die ergaben, daß
bei den meisten Individuen eine Steigerung des endogenen Faktors der
U-Ausscheidung auftritt. In der Arbeit von Gudzent und Loewenthal
sind die Ausschläge verhältnismäßig klein; größere Ausschläge finden sich
bei v. Noorden und Falta, besonders dort, wo sehr hohe Emanations-
dosen verwendet wurden. Solche größere Ausschläge wurden hauptsächlich
bei jenen Individuen beobachtet, welche auch stärkere vorübergehende
Leukozytose zeigten, während Individuen, deren Leukozytenapparat auf die
verwendeten Emanationsdosen nicht reagierte, meist auch keine Steigerung
der U-Ausscheidung aufwiesen.
Die enorme Wirkung, die nach den Untersuchungen von Falta,
Kriser und Zehner größere Dosen von Thorium-X auf den Leukozyten-
apparat bei den Leukämien ausüben, ließ eine viel mächtigere Beeinflussung
des Purinstoffwechsels erwarten, analog jenen, die man bei wirksamer
“_ Röntgenbestrahlung zu beobachten pflegt.
Auf Veranlassung von Doz. Falta habe ich bei folgenden mitgeteilten
Fiillen von Leukämie, die mit Thorium-X behandelt worden sind, die
U-Ausscheidung untersucht.
Die Patienten befanden sich sämtlich auf purinfreier Kost. Die
Harnsäurebestimmungen wurden nach der Methode von Hopkins-Folin-
Shaffer ausgeführt. Das Thorium-X wurde subkutan einverleibt. Be-
züglich der weiteren Details der Krankengeschichten verweise ich auf die
Mitteilung von Falta, Kriser und Zehner.
Fall I. Cz.J. 43 J. alt. Iiymphatische Leukämie.
Wahrscheinlich schon seit 5 Jahren Iymphatische Veränderungen der Haut.
Zahlreiche bis wallnnßgroße Drüsenschwellungen am Halse, Achselhöhle und
Schenkelbeuge, weich, nicht schmerzhaft. Leukämische Infiltrate im ganzen Nasen-
rachenraum, Gaumenbögen, Hinterwand des Pharynx und im Larynx. Leber
zwei Querfinger unterhalb des Rippenbogens. Milztumor ebenso; Konsistenz eher
weich.
Iın Jahre 1911 (Abteilung Pal) 40000 Leukozyten, gegen Ende des Jahres
300000. Im Laufe 1911 wurde der Patient öfters mit Röntgenstrahlen behandelt.
Nowaczynski, Einfluß des Thorium-X usw. 343
Beim Eintritt in die Klinik (am 16. II. 1912) 1588000 Leukozyten mit 95 Proz.
Lymphozyten. Vom 27. II. 1912 Fieber und erysipelartige Rötung der Gesichts-
haut. Bronchopneumonia bilateralis. Exitus am 14. III. 1912.
Diät i Blutbefund | Behandlung
| | |
Dat. |Bem-| y | U
N:
18. Febr. | 750 | 7,854 0,5053 | porate 1.588, 000 W BK. 2. Inj. Thor. -X 250,000 ME.
19. „| 800 9.497 0,408 | S 1,680,000 ,„ 13.1Inj. Thor. -X 250 ‚000ME.
0. „ 900 | 7,912|0,3813 4 20.000. ;, |
Bi 4: 650 | 6,752 (0,3778 s 160,000 „ u
Bi. 2 670 | 7,785|0,4522 F 180,000 ž , 4. Inj. Thor-X 250,000 M E.
7: t 750 8. 106 | 0, 3909 > 103,000 —
M a 650 | 7,77110.4216 $ 176,000 ,„ |5.Inj.Thor.-X 250,000 ME.
26. | 1080 | 8248/05214 y 100,000 ,„ |6. Inj. Thor.-X 300,000 M E.
Bee. 546 650 | 8,372|0,8848 z 90,000 , |7.Inj.Thor.-X 200,000 M E.
8. n | 720 |108360:9837) > | s4000 > |
29. „| 780 |11,868|1.0695| | 80,000 „» |l ieh
1. März | 910 '11 ‚769 11.3138 =. 1 82000 | I
BA | 860 | 14,749 |0,8320 „> 3). BRR0D:
Ergebnis: Die Untersuchung der U-Ausscheidung ergibt in dem Falle
ein höchst auffallendes Resultat. Trotz der enormen Zerstörung von
Leukozyten (Leukozytensturz an einem Tage von 1580000 auf 20000)
findet keine besondere Steigerung des endogenen Faktors der
U-Ausscheidung statt. Auch späterhin bleiben die Werte für Harn-
säure an der mittleren Grenze der Norm. Erst mit dem Beginn des
Fiebers nach dem Aussetzen der Thorium-X-Behandlung kommt es zu
enormer Steigerung der endogenen U-Ausscheidung. Die N-Ausscheidung
zeigt ein ähnliches Verhalten.
Fall II. M. M. 53 J. alt. Lymphatische Leukämie.
Seit 1910 dreimal in Behandlung der Klinik v. Strüm pell resp. v. Ortner.
Die Krankheit begann im J. 1909 mit Anschwellung der Drüsen am Halse,
in den Achselhöhlen und in der Inguinalgegend; gleichzeitig kam Mattigkeit und
Ermüdbarkeit. Gewichtsabnahme. Blutbefund im J. 1910: Erythrozyten 4136000,
Leukozyten 800000. Die Patientin wurde mit Röntgenstrahlen behandelt. Die
Leukozytenzahl fiel auf 147000 herab. Im Laufe der nächsten Monate besserte
sich der Zustand der Patientin nicht. Die Drüsen wurden größer. Am Anfang
des J. 1912 Fieber mit Schüttelfrost, Erbrechen und Diarrhoe; stechende Schmerzen
im Bauche. Trotz guten Appetits Abmagerung. Blutbefund im Januar 1912:
Erythrozyten 3200000, Leukozyten 500000.
Eintritt in die Klinik v. Noorden am 20. II. 1912.
Haut gelblich, blaß; am Halse überall und in Achselhöhlen ganze Pakete
von stark vergrößerten Drüsen. Leber bis vier Querfinger unterhalb des Rippen-
bogens. Milztumor bis Spina iliaca anterior superior. In der Inguinalgegend bis
hühnereigroße Drüsentumoren. Blutbefund: ca. 700000 Leukozyten mit 94 Proz.
Lymphozyten.
Im Laufe der Behandlung bedeutende Verkleinerung des Milztumors und
der Drüsen.
344 Nowaczynski,
|Harn-| | ee ee
Dat. Dat menge N x| U U | pis Diät Blutbefund | Behandlung
18. Jan. zn _ |060 |
19. „ — 10,63 Vorperiode nach Untersuchungen der Klinik
20. „ | — 10,63 we v. Ortner (Doz. Decastello).
21: = O, ‚sl
20. F ebr. 750 9,975 | 0,6243 purinfrei | 722,000 WBK. | 1.Inj.Thor.-X 250,000 M E.
21. „ 780 | 9,806.06288| „ 69,000 „| 2:Inj.Thor.-X 250.000ME.
22. „| 1300 l14,960 09636) .„ 1728000 > | 3.Inj.Thor.-X 250.00 ME.
23. „| 1120 [11995 0,61%4| ,„ 1586,000 „| 4 Inj.Thor.-X 250.00ME.
24. „| 1620 113,200 0,8201! „ 1584000 „ | 5.Inj.Thor.-X 250.000 ME.
25. „ | 1480 |12 „929 0, 7825| „ 1646.000 „ | 6.Inj.Thor.-X 250,000 ME.
26. p 1450 112,606 P 0,9135 j 700,000 , 7.Inj.Thor.-X 400,000 ME.
am 27. Febr.
28. „ 1470 |13,006' i 0,9040 5 630,000 ,„ | 8. Inj.Thor.-X 400,000 ME.
am 29. Febr.
1. März | 1220 |13,595 0,9607 = 570,000 ,, | 9.1nj. Thor.-X
3: &; 1500 |14,364 | 0,9675 3 454,000 ,„ _ ;10.Inj.Thor -X 500,000 ME.
am 4. März
6, 800 |11,491'0,804 „ {290,000 „ |11.Inj.Thor.-X 500.000 ME.
7. „| 1150 113.926 0,985) [315,000 „ =
8. 3: 900 |10,546 0 ‚8171 ; 358,000 —
9. > | 1650 |15. 199 1 1199| > [270000 , 12.Inj.Thor.-X 900,000 ME.
10. „ | 1020 |13,194 0.9065) „ [290.000 „ 118.1nj.Thor.-X 800,000. ME.
11. 1250 |15.680' ‚0.8625 263,000 EN
14 r 1400 |12. "ug 1.008 E 253.000 . 13. 1Inj.Thor.-X 1 Mill. ME.
i 20 g natr.
17... a 900 |11,64211,328 nucleinic. 140,000 ,„ —
18. , 470 | 6,862 „|17. Inj.Thor.-X 600,000 ME.
Ergebnis: Schon am dritten Tage nach der ersten Injektion hohe
U-Werte; vom 5. Tage an regelmäßig Werte, die weit über denen der
Vorperiode liegen. Die Zahl der Leukozyten im Blute sinkt dabei nur
auf etwas weniger als die Hälfte herab. Exogen zugeführte Purin er-
scheint prompt.
Fall III. Kr. C. 37 J. alt. Myeloische Leukämie.
Vom 26. XII. 1911 bis 20. II. 1912 in der Klinik v.Ortner in Behandlung.
Seit 20. II. 1912 in der Klinik v. Noorden.
Die Krankheit begann mit Mattigkeit, Schwäche und Körpergewichtsabnahme;
dabei Blutwallungen nach dem Kopfe, Kopfschmerzen und Schwindelanfälle. Vor
einem Jahre Lungenspitzenkatarrh; seit dieser Zeit kurzer Atem und Herzklopfen.
Seit September 1911 Schmerzen um den Nabel; Ausbleiben der Menses. Sternum
leicht empfindlich; die übrigen Knochen normal. Thyreoidea vergrößert. Keine
Drüsen am Halse; Lungenbefund abgesehen von den Veränderungen an den Spitzen
normal; an der Herzspitze lautes systolisches Geräusch. Leber bis vier Querfinger
unterhalb des Rippenbogens. Milz mächtig vergrößert: obere Grenze an der
VIl. Rippe, die untere bis zum Lig. Pouparti, dabei hart. Von den Drüsen nur
Inguinaldrüsen und große Drüsen im Douglas palpabel.
Blutbefund beim Eintritt: ca. 600000 Leukozyten.
Milz nimmt während der Behandlung an Umfang ab; die vergrößerten Lymph-
drüsen verschwinden.
Einfluß des Thorium-X auf die Harnsäureausscheidung bei Leukämie. 345
Dat. Me N U j! Diät Blutbefund Behandlung
menge
1. Febr. — — 10,883 | purinfrei \ Vortiriode nach den Untersuchungen
Do Au — — |0,846 si der Klinik Prof. v. Ortner
G u = — 10,793 2. (Doz. Decastello).
21. ,„ | 1020 |10,353| 1,2278 > 611,000 WBK. | 1.Inj. Thor.-X 250,000ME.
W 970 | 8,080/1,0100| „, 578,000 „, 2. Inj.Thor.-X 250,000 ME.
23. „ | 1200 |10,130|1,0440 $ 588000 |3 3. Inj.Thor.-X 250,000 ME.
24. „ |1120 | 9,264|1,0752 = 542000 ,, 4. Inj.Thor.-X 250,000ME,
25. „| 1100 | 8,470/0,9570 > 220,000 „ en
26. ,„ | 1400 |10,348 1,2547 io 400,000 ,, 5. Inj. Thor.-X 400,000 ME.
| am 27, Febr.
28. „ | 1150 10,754 |0.6598 x 500,000 6. Inj. Thor.-X 400,000 ME.
1. März | 1050 | 9,055 0,7520 > 354,000 , 7. Inj. Thor.-X 500,000 ME.
3. „` | 1400 |11,407|1,1690 = 340,000 5, Aa
E a | 850 | 7,808 0,6598 e 350,000 ,„ 8. Inj. Thor.-X 500,000 ME.
5. „ |1220 10, 92109836) `, |380,000 ,, =
6. , | 1200 | 8,232|0,6930 5 882,000 ,„ am 7. März
8. `> 1180 | 9,647|1,0576 A 582000 ii 9. Inj. Thor.-X 600,000 ME.
Ai i 800 | 6,720 0,6090 $ 342,000 ,„ |10.Inj. Thor.-X 800,000 ME.
12. ,„ | 1080 | 8,678/0,7207 N 310,000 , am 13. März
na 910 8,561 0,7951 F 280,000 „ |18.Inj. Thor.-X.900,000ME.
15. „| 950 | 8,09910.6768| „, 227,000 ,„ =
17. „ |1180 11,184|1,1239/20 8 matr. 296,000 „ |183. Inj. Thor.-X800,000 ME,
18. „| 850 | 8,222|0,7841 | purinfrei | 270,000 „, 14. Inj. Thor.-X 1 Mill. ME.
Ergebnis: Beträchtliche Steigerung des endogenen U-Wertes während
der ersten Zeit der Behandlungsperiode. Dabei große Schwankungen.
Später erschöpft sich die Wirkung; die U-Werte liegen jetzt eher niedriger
als vor der Thoriumbehandlung. Exogen zugeführtes Purin wird prompt
ausgeschieden. Rückgang der Leukozytenzahl nur etwas mehr als die
Hälfte.
Fall IV. Sch. Fr. 17 J. alt. Myeloische Leukämie.
Aufgenommen am 22. II. 1912, entlassen am 30. III. 1912.
Fünfmal seit August 1911 in der Behandlung der I. med. Abt. Prof. Pal
gewesen.
Die Krankheit begann Januar 1911 mit einem Ohnmachtsanfall; im April 1911
Schmerzen im Abdomen. Damals hat der Arzt die vergrößerte Milz konstatiert.
Anfang Juli Fieber bis 39° mit Frösteln; seit Frühjahr Atembeschwerden, Herz-
klopfen, Schwindelgefühl, Kopfschmerzen und Gewichtsabnahme.
Tonsillen groß; am Hals vereinzelte Drüsen. Leber einen Querfinger unter
dem Rippenbogen palpabel. Milztumor bis zwei Querfinger oberhalb des Ligament.
Pouparti, ziemlich derb, nicht schmerzhaft. Während des ersten Aufenthalts auf
der Abteilung Pal 993200 Leukozyten. Die Patientin hat 5 Serien von Röntgen-
bestrahlungen durchgemacht; die letzte unmittelbar vor dem Eintritt. Beim Ein-
tritt ca. 200000 Leukozyten. Während der Behandlung rasche Verkleinerung der
Milz und der Drüsen. Abnahme der Leukozyten bis zur Norm.
346 Nowaczynski, Einfluß des Thorium-X usw.
Harn- = di
Dat. menge| U | Diät Blutbefund | Behandlung
25. Febr. | 1050 | 6,570' 10,5573] purinfrei | 221,000 WBK. | =
26. „ | 1150 | 8436 0,55983: „ 200,000 ,„ |1.Inj. Thor.-X 300,000 ME.
27. „ | 1280 | 7,884 0,672 4 178000 > =
29, 1020 | 7.868 0,6961| „, 196,00 ,„ !2.Inj.Thor.-X 500,000ME.
2. März | 850 ‚234 10,656 3 136,000 , am 4. März
5., 800 | 9,18410,70 | „, 145,000 „ |8.Inj. Thor.-X 500,000 ME.
6. „ 900 | 6,816'0,8198| „, 80,00 „| 2
T 850 | 7,325 0,4558) 82,00 „ ,4.Inj. Thor.-X 600.000 ME.
8. „ | 1100 | 8962'0,7981| „ 100,00 5, =
9 820 | 5,56710,3874) 60,000 „ | 5.Inj.Thor.-X 800.000 M E.
10. „| 1000 8,288. 06412) „ 60.000 „ 2
11. „ | 1800 | 7,91710,5801] „ 44,000 ,„ 6. Inj. Thor.-X 900,000 ME.
12. „ |1150 | 885510,7546) > | 36.000. Bu
13. „| 1270 |10,525'0.7048 u 15.00 „ =
15. „ 11120 | 8529105602 „, 11,000 | =
20g natr. e
17. „ 940 102770 nee 92 „ | =
18. „ 720 | 7,408|0,5049| purinfrei| 7,40 „ en
Ergebnis: Deutliche, aber nicht sehr hochgradige Steigerung der endo-
genen U-Ausscheidung. Auch hier wieder deutliche Schwankungen. Exogen
zugeführtes purinhaltiges Material wird prompt, aber nur zum Teil aus-
geschieden.
Die Untersuchung ergab bei Fall II, III und IV bedeutendes An-
steigen der endogenen U-Ausscheidung. Fall II betraf eine Iymphatische,
Fall III und IV eine myeloische Leukämie. Im Fall I erhoben sich die
Werte erst später, als ein infektiöser Prozeß hinzukam, während die Thorium-
behandlung ausgesetzt wurde. Trotzdem ist gerade in diesem Fall ein
intensiver Leukozytensturz im Beginne der Behandlung eingetreten. Hier
waren aber Milz und Lymphdrüsen von Anfang an nicht so stark ver-
größert wie in den anderen drei Fällen, und es erfolgte der Schwund des
lymphatischen Apparates bei weitem nicht in der Intensität wie in den
anderen Fällen. Die Zerstörung der im Blut kreisenden Leukozyten alleın
scheint also den endogenen Faktor nicht wesentlich zu steigern. Auch in
den anderen drei Fällen fällt der größte Anstieg der U-Ausscheidung in
die erste Zeit der Behandlung. Die Ausscheidungskurve des exogen zu-
geführten Purinmaterials erhebt sich durchwegs rasch und läuft rasch al,
doch wird anscheinend in einigen Fällen ein Teil zur Neubildung von
Körperpurin zurückbehalten.
Das Ergebnis der Untersuchung läßt sich dabei zusammenfassen: Unter
dem Einfluß des Thorium-X tritt in entsprechenden Fällen so-
wohl bei lymphatischen wie bei myeloischen Leukämien eine
starke Einschmelzung der leukämisch erkrankten Organe ein,
die sich auch in einer beträchtlichen Steigerung der endogenen
U-Ausscheidung zeigt.
Aus der I. Mediz. Universitätsklinik in Wien (Direktor Prof. C.v. Noorden).
Über die Verteilung von Thorium-X im Organismus und
die Ausscheidung desselben.
Von
0. Brill, A. Kriser und L. Zehner.
F einer Arbeit, deren wesentlichste Resultate vor einigen Monaten
veröffentlicht wurden !), haben Falta, Kriser und Zehn er überraschende
Beobachtungengen über die Wirkung von Injektionen von Thorium-X auf
das Blutbild mitgeteilt und für die Therapie verschiedener Krankheiten,
besonders der Leukämien eine neue Perspektive eröffnet.
Auf Anregung von Herrn Priv.-Doz. Falta haben wir die Verteilung
des Thorium-X im Organismus und die Ausscheidungsweise einer genauen
Prüfung unterzogen?), da solche Untersuchungen für die Dosierung und
für die Wirkungsweise des Thorium-X im Organismus wichtige Aufschlüsse
versprachen.
Thorium-X gehört bekanntlich zu den kurzlebigen Zerfallsprodukten
des Thoriums und wird gegenwärtig fabrikmäßig aus Thoriumsalzen resp.
deren primären Zerfallsprodukten Mesothorium und Radiothorium abge-
schieden. Thorium-X zerfällt mit einer Halbwertszeit von nur 3,6 Tagen
unter Abgabe von Alpha- und weichen Betastrahlen in die äußerst kurz-
lebige Thoriumemanation (Halbwertszeit 53 Sekunden). Die Thoriumema-
nation hinwiederum liefert bei ihrem raschen Zerfall eine Reihe von Meta-
bolen, Thorium A, B, C und D, von welchen Thorium D neben Beta- auch
durchdringende Gammastrahlen aussendet. Diese sogenannte „induzierte
Aktivität“ klingt verhältnismäßig langsam ab.
Methodik: Die Bestimmung der ausgeschiedenen oder in den ein-
zelnen Organen befindlichen Mengen von Thorium-X haben wir mit Hilfe
des Elektroskops durchgeführt. Allerdings gibt es zur Zeit für die Messung
von Thorium-Präparaten oder deren Zerfallsprodukten noch keinen Standard
und keine einheitliche Methode, wie sie für Radium durch die Internatio-
nale Kommission festgestellt wurden. Für unsere Untersuchungen kommt
das aber insofern nicht in Betracht, als es sich dabei doch nur darum
handelt, die einverleibten Mengen mit den in den verschiedenen Organen
1) Wiener klinische Wochenschrift 1912, Nr. 12.
2) Eine vorläufige Mitteilung über diese Versuche, soweit sie die Ausschei-
dungen betreffen, findet sich in dem Vortrag von W. Falta auf dem Kongreß für
innere Medizin 1912.
348 Brill, Kriser und Zehner,
befindlichen, beziehungsweise mit den ausgeschiedenen Mengen zu ver-
gleichen. Um den Vergleich in vollkommen exakter Weise auszuführen,
müßte man das Thorium-X selbst (etwa analog wie das Radium durch
Austreiben der Thoriumemanation und Messung derselben durch den Sät-
tigungsstrom) bestimmen. Aber diese Methode begegnet hier wegen? der
sehr kurzen Lebensdauer der Thoriumemanation großen Schwierigkeiten.
Auch ist es für unsere Zwecke gewiß nicht so sehr wichtig, ob und welche
Mengen von Thorium-X allein ausgeschieden resp. verteilt werden.
sondern es kommen auch die strahlenden radioaktiven Zerfallsprodukte
sicherlich für die Wirkung im Organismus ebenso in Betracht. Es genügt
also, den Vergleich auf die gesamte Menge an Thorium-Zerfallsprodukten
zu beziehen.
Man könnte nun den Vergleich so ausführen, daß man für jedes der zu unter-
suchenden Präparate die Erreichung des radioaktiven Gleichgewichts mit Thorium-D
sichert und die Ionisationen, welche durch die durchdringenden Gammastrahlen
des Thorium-D allein in einer Ionisationskammer erzeugt werden, untereinander
vergleicht. (comp. Eves: Methode der Messung der Radiumpräparate.) Aber dieses
Verfahren ist im Falle von Thorium nur wenig ausgearbeitet und für die Unter-
suchung einer so großen Anzahl von Präparaten wenig geeignet. Wir haben
daher die, wenn auch nicht so genaue, so doch viel weniger zeitraubende Methode
eingeschlagen, die Gesamtstrahlung der betreffenden Präparate nach bestimmter
Zeit zu vergleichen.
Es wird also einfach die gesamte Aktivität einer Probe von
der dem Organismus einverleibten Lösung zu beliebigen aber
gleichen Zeiten verglichen mit der gesamten Aktivität des be-
treffenden Organs oder der betreffenden Ausscheidung. Da der
Zerfall unabhängig davon, ob innerhalb oder außerhalb des Organismus.
in gleicher Weise erfolgt, so erhält man so praktisch richtige Vergleichswerte.
Für diese Versuche wurden Lösungen von löslichen Thorium-X-Salzen ver-
wendet, welche uns die Deutsche Gasglühlicht-Aktiengesellschaft (Auergesellschaft)
in Berlin zur Verfügung gestellt hat. Von diesen Lösungen wurde eine genau
gemessene Menge injiziert beziehungsweise peroral einverleibt, ein aliquoter kleiner
Teil aber auf einem Aluminiumtellerchen von 10 cm Durchmesser eingedampft
und getrocknet. Die Ausscheidungen: Fäzes, Harn und die Organteile wurden
zur Messung vorbereitet, indem sie zunächst auf dem Wasserbade, dann bei 1°
bis 200° im Trockenofen scharf getrocknet bzw. verkohlt wurden. Die verkohlten
Rückstände wurden fein pulverisiertt und eine genau abgewogene Menge auf
gleichen Aluminiumtellern in dünner Schicht ausgebreitet. Die Tellerchen mit
den Präparaten wurden sodann in eine Ionisationskammer gebracht, welche zwei
Kondensatorplatten enthielt, von welchen die obere mit einem gut geeichten
Elektroskop von Günther & Tegetmeyer in leitender Verbindung stand, während
die untere geerdete verschiebbar war, sodaß sie behufs Erreichung des Sättigungs-
stromes verstellt werden konnte. Die Kapazität betrug 13,5 cm®. Der gemessene
Sättigungsstrom wurde nach Abrechnung des Leerabfalles auf elektrostatische
Einheiten umgerechnet, in welchen Einheiten im folgenden die „Aktivität“ der
Präparate ausgedrückt ist.
Verteilung von Thorium-X im Organismus. 349
Es wurden folgende drei Arten der Einverleibung von Thorium-X. in
den Organismus in Betracht gezogen: 1. per os (Trinkkur), 2. intravenöse
Injektion, 3. subkutane Injektion.
1. Ausscheidung des Thorium-X nach Einnahme von lös-
lichen Thorium-X-Salzen per os. Wir führen folgenden Versuch an,
der bei einem mit Thorium-X behandelten Rheumatiker vorgenommen wurde:
Protokoll Nr. X. Patient erhielt per os 1,5 ccm eines Präparats von
Thorium-X, welches nach der Angabe der D. G.-A. pro ccm 350000 Mache-Ein-
heiten entsprechen soll. Acht Tage später zeigte eine Probe von 0,015 ccm eine
Aktivität entsprechend 0,512 elektrostat. Einheiten. Zu gleicher Zeit gemessen
zeigten die Ausscheidungen:
Aktivität in elektrostat. Prozente der
Zeit Beh der Einheiten me Mengen
Injektion : | à
| Fäzes | Harn | Fäzes Harn
2 Stunden | — 0,0051 | — 00
4 Stunden | — 0,001 | _ 0,002
6 Stunden | — ı 00015 `> — 0,003
8 Stunden , 2,44 0,00070 | 4,7 | an
1. Tag ; — 0 | —
2. Tag 29 0 5,6 0
3. Tag | 3,6 0 | 7 0
4. Tag | 0,75 0 | 1,5 o
6. Tag ¿0,021 0 | 0.04
Summa: | 18,84 | mr
Ergebnis: Die Ausscheidung durch die Niere ist in diesem Falle nur
ganz minimal und hört schon nach wenigen Stunden ganz auf. Dagegen
werden mit den Fäzes schon in den ersten drei Tagen nach der Injektion
ca. 17 0/, der einverleibten Menge Thorium-X ausgeschieden. Die später
ausgeschiedenen Fäzes zeigen nur mehr eine sehr geringe Aktivität.
2. Intravenöse Injektionen. Es wurden eine Reihe von Kaninchen
mit intravenösen Injektionen von löslichem Thorium-X-Salz behandelt und
die Ausscheidungen sorgfältig gesammelt und elektroskopisch untersucht:
Versuchsprotokoll Nr. XXIV. Kaninchen, Körpergewicht 1870 Gramm
erhielt eine intravenöse Injektion von 0,6 ccm eines Präparates von Thorium-X
welches nach der Angabe der D. G.-A. pro ccm 1200000 „Mache-Einheiten“ ent-
halten soll. Acht Tage später zeigte eine Probe dieses Prüparates eine Aktivität
die einem Sättigungsstrom von 27,6 e.-st.E. der ganzen injizierten Menge ent-
sprechen würde. Dagegen zeigten zu gleicher Zeit die Ausscheidungen:
Aktivität in Prozente der
a st. E injizierten Menge
o Fäzes Harn Fäzes | Harn
Tee | | 0,011 | 0,0425 | 0,04 015
2. Tag
3. Tas i| 00325 |} oo021 I} 0o12 |} 0,10
4. Tag | 0,120 | 0,0008 | 0,43 0.03
ó. Tag | 0,0831 | 0,0003 | 0,30 0.01
Summa: | 089 | 0,29
350 Brill, Kriser und Zehner,
Versuchsprotokoll Nr. XXV. Kaninchen, Körpergewicht 2.350 kg
erhielt intravenös 2,3 ccm eines Präparates, das nach der Angabe der Lieferantin
pro ccm 1500000 Mache-Einheiten entsprechen soll. Die gesamte Aktivität dieses
Präparates gab nach unserer Messung acht Tage später: 149,5 el.-st. E. Die der
Ausscheidungen zu gleicher Zeit:
Aktivität in Prozente der
Tage p. i. | st. E. | injizierten Menge
| Fiüzes | Harn | Fäzes Harn
1 Tag : 0111 | 068 | 010 | 044
2. Tag 0.216 0,025 ; 0,14 0,02
3. Tag 0,816 0,166 0,04 0,06
4. Tag | 1224 0,167 M 0.82 0.06
5. Tag | 0,463 ; 0028 | 0,31 0,02
Summa: | 1,91 | 0,60
Ergebnis: Bei den Kaninchen ist die Ausscheidung radio-
aktiver Substanz durch Fäzes und Harn überhaupt gering. Sie
beträgt 1—3°/, der einverleibten Menge und davon entfallen
etwa zwei Drittel auf den Kot, ein Drittel auf den Harn. Nach
sechs Tagen ist die Ausscheidung nur mehr minimal.
Da somit erhebliche Mengen von Thorium-X im Organismus verbleiben.
war es von großem Interesse, die Art der Verteilung desselben festzustellen.
Es ist allerdings zu bemerken, dal eine vollständige Bilanz der injizierten
Mengen nur dann möglich wäre, wenn man einerseits die mit dem Schweiß
abgesonderten Mengen berücksichtigen würde, die allerdings offenbar nur
sehr gering sind. Andererseits ist aber auch zu berücksichtigen. daß in
den Lungen fortwährend die Thoriumemanation an die Außenluft abgegeben
wird, und daß die betreffenden Mengen von Emanation außerhalb des
Organismus zerfallen, daher für die Bilanz verloren gehen. Während die
Probe des injizierten Präparates, für sich in einem geschlossenen Gefil
aufbewahrt, dem radioaktiven Gleichgewichte zustreben kann, wird dieser
Prozeß im Organismus offenbar durch die Ausscheidung von Emanation
durch die Lungen fortwiihrend gestört. Wir haben durch eigens angestellte
Versuche festgestellt, daß die so entstehenden Differenzen bis zu 2—3 "o
der injizierten Menge pro Tag betragen. Wir haben daher von der Aut-
stellung einer Thorium-X-Bilanz abgesehen und geben im folgenden nur
die wichtigeren Resultate der Verteilung der radivaktiven Substanz zunäclıst
nach intravenöser Injektion wieder.
Man muß dabei, wie aus den folgenden Versuchen hervorgeht, wohl
unterscheiden zwischen der Verteilung wenige Stunden nach der In-
jektion und der Verteilung nach einigen Tagen oder Wochen.
Versuchsprotokoli Nr. XXIX. Kaninchen, Körpergewicht 2100 g
erhielt intravenös 3 cem einer Lösung von Thorium-X, die nach den Angaben
der D. G.-A. etwa 1670000 Mache-Einheiten pro ccm entsprechen soll. Das Tier
Verteilung von Thorium-X im Organismus. 351
wurde zwei Stunden nach der Injektion getötet, die einzelnen Organe wie oben
beschrieben zur Messung vorbereitet. Zufolge der Bestimmung, welche wir mit
einem aliquoten Teil des Injektionspräparates vornahmen, würde die ganze inji-
zierte Menge 458,0 el.-st. Einh. entsprechen. Dagegen fanden wir in den Organen:
B ` Aktivität Aktivität p. Gramm
in 10—5 elektrostat. in 10—5 elektrostat.
Gewicht der Probe
Organ ; in Gramm im |
| frischen Zustande Einheiten | Einheiten
Muskel . 0. 33 21,500 651
Ba nn 45 16.100 3,000
Bilut aa a a e 30 290,700 8.660
Lunge. . ....% 8 18400 ` 2,300
Gehirn u ee 8 2,930 366
Hoden. .....| 5 | 3,220 6,44
Knochen mit Mark . 30 750,000 25,000
Milz . . 05 6.190 12,380
Darm mit Inhalt. 60 216,000 21,600
Niere . 2.2.20. 8 81.500 10.190
Leber . . . 2... 40 | 285,000 7,120
Ergebnis: Zwei Stunden nach der Injektion sind am stärksten
aktiv: die Knochen und der Darm (mit Inhalt gemessen), dann
Milz, Niere und Leber. Am schwächsten aktiv ist das Gehirn.
Wenn wir nicht auf die Gewichtseinheit, sondern auf die Gesamtmengen
der Organe beziehen, so finden wir, daß weitaus die größte Menge
der radioaktiven Substanz in den Knochen sich befindet, und
zwar etwa 20—25°],, die nächstgrößten Mengen im Blut und viel-
leicht in der Leber. Eine Woche später zeigt sich ein ganz anderes Bild:
Versuchsprotokoll Nr. XXV. Kaninchen, 2350 g schwer (s. Seite 350).
Die Aktivität der injizierten Menge betrug 149,5 el.-st. E. Exitus sieben Tage
nach der Injektion. Die folgende Tabelle zeigt die Aktivität einiger Organe:
In 10-5 elektrostat. Einheit
Organ Gewicht Gesamt- Aktivität
Aktivität pro Gramm
Leber . 100 g 2400 24,0
Muskel . . 2. 630 | 25,2
Lunge. . . 10 350 33.0
Milz i ee 102 | 34.0
Niere . .. Bi 6500 272,0
Nebennieren. Ds 120 60,0
Gehirn. . . 50 „ 230 | 4,6
Ergebnis: Nunmehr sind die Nieren am stärksten aktiv,
dann kommen die Nebennieren, während die übrigen Organe
alle viel schwächer und ziemlich gleich stark aktiv geworden
sind. Nur das Gehirn zeigt wieder außerordentlich niedrige
Werte der Aktivität. Diese Verteilung finden wir auch bei einer An-
zahl von anderen Versuchen wieder, die hier nicht weiter angeführt werden.
3. Subkutane Injektion: Diese Einverleibungsart haben Falta,
352 Brill, Kriser und Zehner,
Kriser und Zehner!) bei ihren Versuchen bevorzugt. Sie haben dabei
niemals Nekrosen oder größere Lokalerscheinungen beobachtet und das
können wir auch für unsere Tierversuche bestätigen. Allerdings ist stets
auf den kleinen Kunstgriff zu achten, daß bei Injektion größerer Dosen
das Präparat mit physiologischer Kochsalzlösung zu verdünnen ist, bevor
es injiziert wird, und daß die Injektionsstelle nachher eine Zeitlang
massiert wird. Wir haben die Ausscheidungen nach subkutaner Injektion
bei Kaninchen, Hunden und bei Menschen verfolgt, und geben im folgenden
einige Beispiele:
Versuchsprotokoll Nr. XVII. Kaninchen, 1940 g schwer, erhielt sub-
kutan 0,5 ccm eines Präparats von Thorium-X, welches nach der Messung der
D. G.-A. pro ccm 1070000 „Mache-Einheiten“ entsprechen soll. Aus der Aktivität
einer Probe geht hervor, daß zwölf Tage später die ganze injizierte Menge einen
Sättigungsstrom von 101,2 el.-st. E. erhalten sollte. Dagegen waren zu gleicher
Zeit die Aktivitäten der Ausscheidungen:
Bu A Aktivität | In Prozenten der injiz. Menge
Tage p. i. 5
| Füzes | Harn | Fäzes | Harn
1,0268 023 0,26 | 07
2 | 0245 0,147 | 0,24 0,15
3 , 0,258 0191 | 026 0,19
50,230 0,065 0,22 0,07
6 j = 0,021 |! = 0,02
7 | 006 0,034 0,08 0.08
8 = aa | = L
9 ] 0019 0,037 , 0.02 0,04
10 1 0,0022 0,0008 | 0,002 0,001
Summe | 1,082 0,771
Versuchsprotokoll Nr. XVI. Kaninchen, trächtig, erhielt subkutan
l ccm einer als „675000 Mache-Einheiten“ am Versuchstage entsprechend an-
gegebenen Thorium-X-Lösung. Gesamtaktivität der Messung sieben Tage später
53,3 el.-st. E. Zu gleicher Zeit wurde gemessen:
| Aktivität von
In Prozenten derinjiz. Menge
Tage p. i ` , | n
| Fäzes | Harn : Fäzes | Harn
1 ' 0,132 083 | 0,2 1,5
2 1,814 0,067 3,4 0,12
3 0,165 j 1,1 0,3
4 Wurf: 8 Junge, welche auf ihre Aktivität unter-
sucht wurden. Gesamtaktivität derselben: 0,24 1.
der einverleibten Menge.
| 0.592
|
Ergebnis: Aus den hier angeführten und aus anderen Experimenten
an Kaninchen geht hervor, daß in Fäzes und Harn auffallend ge-
ringe Mengen der radioaktiven Substanz enthalten sind, gegen-
1) loc. cit.
Verteilung von Thorium-X im Organismus. 353
über den in den folgenden Versuchen an Hunden und Menschen
konstatierten. Auch scheint die Ausscheidung bei den Kanin-
chen ziemlich verschleppt stattzufinden.
Versuchsprotokoll Nr. XXIII. Hund, Körpergewicht 9kg bekam sub-
kutan 0,3 ccm einer Thorium-X-Lösnng, von welcher eine Probe von 0,0023 ccm
sieben Tage später eine Aktivität von 0,283 el.-st. E. zeigt. Das entspricht einer
Gesamtaktivität von 87,3 e. E. des injizierten Präparats. Zu gleicher Zeit wurde
gemessen:
Ausscheidungen' Aktivität In Prozenten der injiz. Menge
nach Tagen p. i. Fäzes Harn ! Fäzes Harn
1 | 1,681 05 | 45 2,6
2 | 0,190 0,283 05 0,76
3 ' 0,182 0044 | 0,36 0,18
4 | 0,014 0,018 | 0,04 0,05
5 | 0,047 0,04 | 0,14 0,12
6 | 0014 0,004 : 0,04 0,01
7 | z= | =
8 | 0,007 (0,0008 | 002 || ooo
Summe | 5,60 | 8721
Versuchsprotokoll Nr. XXVI. Hund, Körpergewicht 11 kg erhielt
subkutan 3 ccm einer Thorium-X-Lösung, deren Gehalt am Versuchstage nach
der D. G.-A. 3000000 Mache-Einheiten entsprechen sollte. Zehn Tage später zeigte
eine Probe eine Aktivität, die einem Sättigungsstrom von 91,2 el.-st. E. der ganzen
injizierten Menge entspricht. Am gleichen Tage ergaben die Ausscheidungen:
| Aktivität in In Prozenten der
Tage p. i. [ee rear Einheiten | injizierten Menge
u Fäzes | Harn a _Füzes | Harn
1 al, | 0,436 | — | 0,48
2 8 23 0,410 | 8,97 0,47
3 | 0,018 | — 0,02
4 259 0,036 | 284 0,04
5 | 0, 61 0,207 0,67 0,23
6 I 0, "68 0,045 0,76 0,05
Summe: | 13,24 | 1,29
Ähnliche Resultate gaben andere Versuche an Hunden. Es werden
also nach subkutaner Injektion von Hunden 2—3°], im Harn und 5,5
bis 14°, mit den Fäzes ausgeschieden.
Wir haben ferner die Ausscheidungen einiger Patienten untersucht,
welche mit Thorium-X behandelt wurden. Wir führen die folgenden Ver-
suche an:
Versuchsprotokoll Nr. XII. Patient D. erhält am 30. III. eine Injektion
subkutan von 0,4 ccm eines Thorium-X-Präparats, welchem nach Angabe der
D.G.-A. am 29. III. pro ccm 1180000 M.-E. entsprachen. Am 3. IV. gab die
Gesamtstrahlung von 0,01 ccm dieser Lösung eingedampft einen Sättigungsstrom
entsprechend 0,0355 elektrostat. Einh. Somit würden der ganzen injizierten Menge
entsprechen: 14,20 el.-st. Einh. Dagegen zeigten die Ausscheidungen:
354 Brill, Kriser und Zehner,
Tage nach der. Aktivität | In Prozenten derinjiz. Menge
en | Füzes Harn Fäzes Harn
1. | 1,373 0415 f 10 3,0
2. | = 0.091 | — 0,6
3. | 2,02 0,02 | 14,2 0,14
4. | 015 0,01 | 1,0 0,07
Hier wurde der Versuch unterbrochen. |
Es wurden also in den ersten 4 Tagen |
in den Fäzes . | 25,2
und nar . L 3,81
im Harn ausgeschieden.
Versuchsprotokoll Nr. XIII. Patient U. erhielt am 11. IV., nachmittags
4 Uhr, eine Injektion subkutan von 0,3 ccm eines Thorium-X-Präparats, welchem
nach Angabe der D.G.-A. am 9. IV. pro ccm 2500000 M.-E. entsprachen. Am
17. IV. erzeugte eine Probe von 0,001 ccm dieses Präparats einen Sättigungsstrom
entsprechend 0,082 elektrostat. Einh., was einer Gesamtaktivität der injizierten
Menge von 24,0 elektrostat. Einh. entsprechen würde. Dagegen zeigten zu gleicher
Zeit die Ausscheidungen:
Zeit nach der Aktivität in el.-stat. Einh. In Prozenten “ injiz. Menge
Inj ektion | Füzes Harn | Fäzes | Ha üzes Harn
4 Stunden ! — 0,0: 128 | — 0, 11
1. Tag ; 1.20 0,0198 | 5.81 0.08
2. Tag | 1.631 0.00705 | 6,63 0,03
3. u. 4.Tag | 0518 0,0012 | 2,10 0,005
5. Tag | 0.142 0,001 | 0,54 0,004
6. Tag i 0.0595 | 0 0,20 0
7. Tug 0.0358 | 0 08 0
Es wurden also in 8 Tagen ausgeschieden i
durch die Füzes. 2 = = 2.2.1 1551 |
durch den Harn. 0,229
Die Versuche über die Art der Ausscheidung bei Menschen
stimmen also mit denen bei Hunden unternommenen ziemlich
überein: Es wird nach subkutaner Injektion das Thorium-X größtenteils
durch die Fizes und nur zum geringeren Teile durch den Harn ausge-
schieden. Während der ersten fünf Tage nach der Injektion werden etwa
14 bis 25°,durch die Fäzes und 0,2 bis 4°/, durch die Nieren
ausgeschieden. Von da ab erfolgt die Ausscheidung nur äußerst langsam,
sodaß wenn man berücksichtigt, daß in den ersten acht Tagen etwa
16 bis 20°, radioaktiver Substanz in Form von Thoriumemanation durch
die Lungen den Körper verlassen können (siehe weiter oben Seite 350),
etwa 50 bis 60°), des injizierten aktiven Materials im Körper retiniert
bleiben müssen.
Über die Art der Verteilung der im Körper verbleibenden Mengen von
Thorium-X nach subkutaner Injektion geben die folgenden Versuche Aufschluß.
Verteilung von Thorium-X im Organismus. 355
Versuchsprotokoll Nr. XXIII (siehe weiter oben Seite 353). Hund vom
Körpergewicht 9kg. Der Hund wurde 10 Tage nach der Injektion getötet. Es
wurden gefunden:
Gewicht ges. Aktivität Aktivität p. Gramm
É in 10-5 elektrostat.! in 10--5 elektrostat.
| er frischen Probe Einheiten inkeiten
Hesse, 25 a = 8 695 87
Lunge. . . 2.2.5 15 2% 19
Gele . 2 22... 10 610 61
Leber . . . 2... 20 203 14
Hoden . . . . .. 16 202 | 13
Miz % 4... 4 | 15 l 357 | 24
Nebennieren . a | 130 ' 65
Darm ohne Inhalt | i | 140 7
Nieren. . . Zi 36 1780 | 50
Gehirn . . | 63 | 220 4
Versuchsprotokoll Nr. XXVII. Hund 10 kg schwer, erhielt subkutan
0,8ccm einer Thorium-X-Lösung. Aktivität auf die gesamte injizierte Menge
bezogen nach acht Tagen 9,79 elektrostatische Einheiten. Zu gleicher Zeit ge-
messen hatten die Organe des nach Ablauf von sieben Tagen sezierten Hundes:
JA Aktivität p. Gramm
Organ: ‚in 10-5 elektrostat.
| Einheiten
Muskel . 222020... 12
Lunge 2. 2.2. 3 ara 2. 14
Leber? ul. a. ee] 9
Knochenmark | 29
Umgebung der Injektionsstelle | 4200
Ergebnis: Daraus geht hervor, daß eine Woche nach der sub-
kutanen Injektion die radioaktive Substanz ziemlich gleich-
mäßig verteilt ist. Nur die Nieren, Nebennieren, Galle und Herz-
muskel sind stärker aktiv. Das Knochenmark zeigt keine auf-
fallende Aktivität mehr; das Gehirn ist wieder auffallend in-
aktiv. An der Injektionsstelle findet sich ein Depot von bis zu
17°], der injizierten Menge. Sonst stimmt die Verteilung im großen
und ganzen mit der eine Woche nach der intravenösen Injektion kon-
statierten überein.
Überblicken wir nunmehr die Resultate unserer Untersuchungen, so
können wir dieselben wie folgt zusammenfassen:
1. Die Ausscheidungsverhältnisse sind beim Kaninchen andere
als beim Hunde oder beim Menschen: es wird nämlich beim Kaninchen
sehr viel weniger von der injizierten radioaktiven Substanz durch die
Nieren und besonders auch durch den Darm ausgeschieden.
2. Beim Hunde und beim Menschen wird durch den Darm etwa
durchschnittlich 10 mal soviel als durch die Nieren ausgeschieden. Die
Tatsache, daß die Ausscheidung hauptsächlich durch den Darm erfolgt,
23
356 Brill, Kriser und Zehner,
erklärt die von Falta, Kriser und Zehner im Tierexperiment nach In-
jektion sehr hoher Dosen gefundenen Hämorrhagien. Man darf daher
Diarrhoen, die eventuell im Lauf einer Behandlung mit Thorium-X
auftreten, nicht bekämpfen, es empfiehlt sich vielmehr immer, für ge-
nügende tägliche Entleerung zu sorgen. Ein Grundsatz, der bei der Thorium-
X-Behandlung auf der hiesigen Klinik schon seit Monaten eingehalten wird.
3. Die Ausscheidungsverhältnisse bei subkutaner Injektion einerseits
und bei intravenöser Injektion andererseits unterscheiden sich nicht wesent-
lich. Wichtig ist jedoch, daß bei subkutaner Injektion öfters an der In-
jektionsstelle radioaktive Substanz zurückgehalten zu werden scheint.
Hier sei noch erwähnt, daß wir Versuche angestellt haben, ob man
durch Überführen des löslichen Thorium-X-Salzes in ein unlösliches Salz
und Injektion einer Emulsion davon die Menge der Ausscheidungen her-
unterdrücken und den Effekt auf den Organismus erhöhen kann. Aber
diese Versuche gaben nach beiden Richtungenhin bislang nur negative Resultate.
Was die Verteilung betrifft, so ist hervorzuheben, daß in der ersten
Zeit nach der Injektion das Knochenmark sehr stark aktiv ist. Das er-
klärt die spezifische Wirkung des Thorium-X auf die blutbildenden Or-
gane, wie sie Falta, Kriser und Zehner konstatiert haben. Ferner
ist, wie eben erwähnt, der Darm sehr aktiv.
4. Längere Zeit nach der Injektion findet sich eine ganz andere
Verteilung vor: die blutbildenden Organe sind nun nicht mehr besonders
aktiv, wohl aber die Niere und besonders auch die Nebennieren. Was
die Nebennieren anbelangt, so könnte dies gewisse degenerative Ver-
änderungen erklären, die nach Applikation von hohen Dosen von Thorium-X.
bei Hunden gefunden wurden?!); die hohe Aktivität der Niere scheint auch
Nierenblutungen, die im Tierexperiment nach sehr starken Dosen des
öfteren beobachtet wurden, zu begründen. Auffallend bleibt, daß trotz
der hohen Aktivität der Nieren nach Verlauf von acht Tagen oder
mehreren Wochen der Harn um diese Zeit fast völlig inaktiv ist.
Interessant ist ferner, daß das Gehirn sowohl kurze Zeit als auch
längere Zeit nach der Injektion immer nur äußerst schwach aktiv be-
funden wurde.
Anhang.
Bei Gelegenheit der Veröffentlichung der obigen Untersuchungen wollen
wir nicht versäumen, auf die Frage einer genauen und übereinstimmenden
Dosierung der therapeutisch verwendeten Thorium-X-Präparate hin-
zuweisen, eine Frage, die von großer praktischer Bedeutung ist.
1) Vergl. die Mitteilung von Falta, Kriser und Zehner auf dem Kongreß
für innere Medizin 1912.
Verteilung von Thorium-X im Organismus. 357
Die Deutsche Gasglühlicht-Aktiengesellschaft (Auer-Gesellschaft) in
Berlin, welcher wir auch unsere Präparate zu verdanken haben, ist wohl
die erste Firma gewesen, welche Thorium-X-Salze für therapeutische
Zwecke erzeugt hat. Die Firma liefert dieselben gelöst in steriler physiolo-
gischer Kochsalzlösung in zugeschmolzenen Ampullen und gibt den Inhalt
in Form von „Mache-Einheiten“ an. Diese Angabe bezieht sich, wie uns
die Firma freundlichst mitteilt, auf die folgende Methode der Messung der
Aktivität: ein aliquoter Teil der Lösung wird auf einem Metalltellerchen
eingedampft, dann auf eine geerdete Platte eines Fontaktoskops gebracht
und nach 10 Minuten der Voltabfall des Elektroskops bestimmt, welcher
auf das ganze Präparat und auf „Mache-Einheiten“ (das ist hier einfach
1000 elektrostatische Einheiten) umgerechnet wird.
Diese Methode ist im großen ganzen für den Vergleich von ver-
schiedenen Thorium-X-Präparaten, die in gleicher Weise hergestellt wurden
zulässig, solange stets mit dem gleichen Apparat, unter den gleichen Be-
dingungen, bei gleicher Plattenentfernung usw. gearbeitet wird. Eine ähn-
liche Methode haben wir ja auch für Vergleichszwecke benützt.
Solange man die Präparate immer von der gleichen Firma bezieht,
und sich durch stete Prüfung davon überzeugt, daß die Angaben von
„Mache-Einheiten‘“ für die Aktivität untereinander vergleichsweise stimmen,
wird man klinisch und therapeutisch mit diesen Präparaten arbeiten
können, die bei Tierversuchen mit den gleichen Präparaten festgestellte
Dosierung auch weiterhin auf Mache-Einheiten beziehen können usf.
Wir haben uns in der Tat durch zahlreiche Versuche überzeugt, daß die
Aktivitätsangaben der D. G.-A. für die uns gelieferten Präparate unterein-
ander annähernd stimmen. Die Maximaldifferenz, die wir fanden, betrug 30°/,.
Völlig anders wird aber die Sachlage, wenn man berücksichtigt, daß
andere Firmen Thorium-X-Salze für therapeutische Zwecke erzeugen und
mit anderen Meßapparaten arbeiten. Es ist klar, daß dann für jeden dieser
Fälle abermals alle die Tierversuche, wie sie Falta, Kriser und Zehner!)
angestellt haben, um die richtigen Dosierungen festzustellen, immer wieder
wiederholt werden "müßten und daß man die für das eine Präparat fest-
gestellten Maximaldosen bei jedem anderen Präparat von Thorium-X jedesmal
wieder feststellen müßte usf. Es erscheint uns also dringend notwendig, daß,
bevor dieser therapeutisch so wichtige Stoff in den Handel gebracht und all-
gemein zugänglich gemacht wird, die Dosierung auf eine allgemein giltige
und physikalisch einwandfreie zurückgeführt wird. Als eine solche Methode
wird sich vermutlich die empfehlen, die Aktivität durch die Gammastrahlen
des Thoriums D zu messen und auf die Gammastrahlenaktivität der Ge-
wichtseinheit von Radium zu beziehen, also eine ähnliche Methode, wie sie
schon jetzt für die Wertbestimmung von Mesothorium in Gebrauch ist.
1) loc. cit.
-- 23%
(Ausd. Universitäts-Frauenklinik in Heidelberg (Direktor: GeheimratMenge).
Beeinflussung von proliferierenden Ovarialtumoren durch
Röntgenstrahlen.
Von
Dr. H. Eymer, Assistenzarzt.
roliferierende Ovarialtumoren sind bisher von der Behandlung mit
Röntgenstrahlen ausgeschlossen gewesen. Man weiß, daß die Neigung
zur malignen Degeneration bei den proliferierenden Kystadenomen recht
groß ist, und daß ca. 20 Proz. aller Ovarialneubildungen bösartiger Natur
sind. Andererseits ist die Technik der Operation so gut ausgebildet, daß
die Entfernung meist auf keine Schwierigkeiten stößt. Bei der Unsicher-
heit in der Erkenntnis des Geschwulstcharakterss muß man stets damit
rechnen, eine nicht mehr gutartige, oder eine zu Bösartigkeit neigende
Neubildung vor sich zu haben. Bei dieser Sachlage würde es in vielen
Fällen darauf ankommen, tiefliegende bösartige Geschwülste zu behandeln.
Die therapeutische Bestrahlung maligner tiefliegender Neoplasmen ist aber
immer noch ein Schmerzenskind der Röntgentherapie, während oberfläch-
lich liegende maligne Neubildungen sich durch X-Strahlen relativ leicht
beeinflussen lassen. Die Operation ist also immer vorzuziehen.
Obwohl auch wir diesen Grundsätzen folgen, bin ich doch in der
J,age über zwei Fälle zu berichten, bei denen es infolge einer Fehldiagnose
zur Bestrahlung tiefliegender proliferierender Ovarialtumoren kam. Bei
beiden Fällen lautete die falsche Diagnose „Myom“ des Uterus, ein neuer
Beweis dafür, daß die sichere Unterscheidung der Eierstocksgeschwülste,
einerlei welcher Natur dieselben sind, von Uterustumoren nicht immer
leicht, Ja manchmal unmöglich ist.
Die Krankengeschichte der ersten Patientin sagt folgendes: Die 49jährige Frau
hatte früher alle 4 Wochen reguläre, wenn auch etwas starke, 8 Tage lang dauernde
Menses. Sie machte zwei Geburten ohne irgendwelche Komplikationen durch. Vor
Weihnachten 1909 war die letzte richtige Periode. Die Aufnahme erfolgte am 14. Fe-
bruar 1910. Patientin blutet seit drei Wochen beständig außerordentlich stark. Die
Patientin klagt über Mattigkeit, Kopfschmerzen, Ohrensausen, Hämmern im Kopf
und öftere Ohnmachtsanwandlungen. An Gewicht will sie nicht abgenommen haben.
Der Befund ergibt cin enormes Fettpolster, vollkommen ausgeblutete Schleim-
häute. Hb. 15%. Erythrozyten 2884000, Leukozyten 5600. Am Herzen konnte
beschleunigte Aktion, Galopprhythmus festgestellt werden. An allen Ostien fand sich
ein systolisches Geräusch. Der erste Ton ist paukend. Der Medianabstand nach rechts
4!/., nach links 12 cm. Es handelt sich um ein „anämisches, debiles, dilatiertes Herz“.
Das Blutbild war nur infosern verändert, als sich zahlreiche Poikilozyten vorfanden.
Eymer, Proliferierende Ovarialtumoren. 359
Der gynäkologische Befund ist folgender: Der Uterus liegt mehr nach links und
ist etwas vergrößert. Rechts neben dem Uterus ein besonders durch das rechte Vaginal-
gewölbe gut tastbarer, weil dasselbe herabdrängender Tumor, der mit dem Uterus
breit zusammenhängt und sich mit demselben bewegen läßt, der bis über den Nabel
reicht und in den oberen Partien derb, in den unteren zystisch sich anfühlt.
Es wurde die Diagnose auf ein zum Teil zystisch entartetes Myom gestellt.
Eine Operation war bei dem Kräftezustande der Patientin ausgeschlossen. Es
wurde darauf in 6 Serien bestrahlt; die Serie zu 4 Sitzungen. Jede Sitzung der ersten
drei Serien & 6 Minuten, in den letzten drei Serien jede Sitzung zu 10 Minuten. Außer
geringer Pigmentation der Haut trat keinerlei Schädigung auf. Unter dem Filter im
Ganzen 75 X (Kienböck) verabreicht. Nach der ersten Serie, die während der Blu-
tung begonnen war, ziemliche Zunahme derselben und Abnahme des Hämoglobin-
gehaltes, so daß kaum 12°, vorhanden waren. Die letzte schwache Blutung war Ende
Ende Mai 1910 aufgetreten. Am 9. Juli 1910 hatte Patientin 55% Blutfarbtoff.
Der Tumor war, wie von mehreren Untersuchern festgestellt wurde, nur noch faustgroß,
der Uterus etwas vergrößert. Patientin konnte jede Arbeit verrichten. Der Leib war
weich und eindrückbar. Die Frau fühlte sich dann vollkommen wohl, bis Ende Januar
1912, also nach über 1!/, jähriger Amenorrhoe, eine leichte Blutung auftrat. Die Frau
war wieder sehr hinfällig geworden, hatte nur noch 50% Hämoglobin. Der Leib war
enorm angewachsen bis zu einem Umfange von 120 cm. Patientin klagte über Spannung
und Druckgefühl nach unten. Eigentliche Schmerzen hatte sie nicht. In der letzten
Zeit soll der Leib sehr rasch zugenommen haben. Es fand sich ein entschieden zysti-
scher Tumor, der das ganze Abdomen prall ausfüllte..e. Am 2. III. 1912 wurde nunmehr
die Operation vorgenommen, wobei unter sehr großen Schwierigkeiten ein mit der
rechten Seite des Uterus breit verwachsenes, zum größten Teile intraligamentär sitzen-
des, pseudomuzinöses Riesenkystom, das den ganzen Leib ausfüllte und zum Teil mit
dem Darm verwachsen war, entfernt wurde. Die linken Adnexe waren in eine etwa
birngroße Tubo-Ovarialzyste verwandelt. Der Uterus wurde nach Doyen mitexstir-
piert. Die Patientin wurde am 19. III. geheilt entlassen. Der Tumor erwies sich als
nicht maligne. Im Uterus fanden sich drei ca. taubeneigroße intramural gelegene
Myomknötchen.
Der Fall kann nur so zu deuten sein, daß von vornherein eine intra-
ligamentär entwickelte rechtsseitige Ovarialzyste vorlag, die wegen ihrer
vielen Kammern einen soliden Eindruck machte und die durch ihr breites
Verwachsensein mit dem Uterus einen Uterustumor vortäuschte. Der
Uterus hat sich während der ganzen Beobachtungszeit in seiner Größe
kaum verändert. Wir haben also bei diesem Falle eine sichere Verklei-
nerung der Eierstocksgeschwulst bei der Bestrahlung eintreten sehen.
Die Krankengeschichte des zweiten Falles ist folgende:
Es handelt sich um eine 47 jährige Frau, die früher alle 4 Wochen 3 Tage lang nicht
stark menstruiert war. Sie hat dreimal normal geboren und eine Frühgeburt durch-
gemacht. Der letzte Partus fiel ins Jahr 1896. Aufnahme in die Klinik am 22. VIll.
1910. Anfang Juli 1910 traten Schmerzen im Leib auf. Gleichzeitig begann eine Blu-
tung, die mit Unterbrechungen bis zur Aufnahme dauerte. Der Leib wurde beträcht-
lich dicker. Am 21. VIII. kamen Schmerzen im Kreuz und Leib hinzu.
Befund bei der Aufnahme: Schleimhäute außerordentlich blaß. Hämoglobin
18%. Patientin ist sehr debil und kann nicht außer Bett sein. Fieber bis 39,0. Das
360 Eymer,
Herz ist nicht dilatiert. Seine Töne sind paukend. Puls 120. Lungen ohne krank-
haften Befund.
Gynäkologischer Befund: Uterus ist über hühnereigroß, derb und glatt. Von der
rechten Vorderwand des Uterus ausgehend findet sich ein über mannskopfgroßer,
solider, kurzgestielter Tumor, dessen obere kugelige Kuppe die Nabelhorizontale über-
ragt und der nach links nochmals eine große Ausladung aufweist. Die Adnexe sind
nicht mit Sicherheit tastbar.
Diagnose: Uterus myomatosus, subseröses Myom.
Weiterer Verlauf: Wegen starker Blutung muß zunächst tamponiert werden.
Außerdem bekommt die Patientin Kochsalz per anum. Am 28. VIII. steht die Blu-
tung. 29. VIII.: Ein Zug mit der Cürette durch das nicht vergrößerte Cavum. Keine
Abrasio musosae. Mikroskopisch findet sich Adenopolymorphie mit hochgradiger
atypischer Epithelwucherung. Eine Operation war bei dem Kräftezustand vollkommen
ausgeschlossen. Es wurde deshalb eine Röntgenkur vorgenommen, wobei eine breite
Blende direkt mitten auf den Tumor aufgesetzt wurde. Es wurde von Mitte September
1910 bis Mitte Januar 1911 in 6 Serien zu 4 Sitzungen, jede Sitzung zu 7—8 Minuten,
bestrahlt. Röhre mindestens 7 Walther, 1—2 Milliampere. Im ganzen wurden 40 X
verabreicht. Die letzte Blutung war am 21. und 22. XII. 1910, nur noch außerordent-
lich schwach. Am 5. X. 1910: Tumor noch inNabelhöhe. Gewicht der Patientin 64 kg.
Hämoglobin 40%. Am 24. X. 1910: Tumor sicher kleiner; höchster Punkt desselben
gut 2 Querfinger unter dem Nabel. Gewicht der Patientin 64 kg.
14. XI. 1910: Patientin sieht erstaunlich erholt aus. Tumor über mannsfaust-
groß, schlecht beweglich. Gewicht der Patientin 65 kg.
3. I. 1911: Gewicht 68 kg. 13. I. 1911: Tumor faustgroß. Gewicht 70 kg. Hä-
moglobin 54%.
16. II. 1911: Tumor faustgroß. Gewicht 74 kg. Hb. 70%!
Patientin hatte also in einem Monat 8 Pfd. zugenommen und während der ganzen
Beobachtungszeit 10 kg. Der Tumor ging nicht weiter wie auf Faustgröße zurück.
Es ging der Patientin ausgezeichnet bis zum Oktober 1911. Sie war vollkommen
amenorrhoisch, konnte alle Arbeit verrichten, sah direkt blühend aus.
Im Oktober 1911 nun trat eine geringe Blutung aus einer samtartigen Erosion
der vorderen Lippe auf. Aus dem Cavum uteri erfolgte nie eine Blutung. Am 24. X.
1911 wurde Patientin wieder in die Klinik aufgenommen. Der Uterus ist dem einer
Multiparen entsprechend. Hinter dem Uterus findet sich ein teils zystischer, teils
derber, weit über mannskopfgroßer, fast das ganze Abdomen ausfüllender Tumor.
Eine geringe Aszitesmenge ist ebenfalls vorhanden. Hämoglobin nur noch 55%.
Gewicht 67 kg. Die Patientin sieht nunmehr entschieden kachektisch aus. Am 2. XI.
1911 Operation. Es handelt sich um einen enorm gefäßreichen, rechtsseitigen Ovarial-
tumor, der zum Teil erweicht ist, und dessen Auslösung wegen mancherlei Verwach-
sungen einige Schwierigkeiten macht. Der Uterus und die normalen linken Adnexe
wurden mitentfernt. Die Patientin, die schon in einem schr dekrepiden Zustand war,
erlag am 4. Tage einer Peritonitis.
Der mikroskopische Befund ergab mit Sicherheit, daß es sich um ein primäres,
gemischtzelliges Ovarialsarkom mit ausgedehnten Hämorrhagien und Kolliquations-
nekrosen handelte. Der Uterus war normal, im linken ÖOvar war kein Follikel mehr
nachweisbar.
Auch der zweite Fall zeigt deutlich ein Kleinerwerden eines Ovarial-
tumors durch Röntgenbehandlung.
Proliferierende Ovarialtumoren. 361
Beide Fälle bieten viel Ähnliches, obwohl es sich im ersten Fall um
eine gutartige, im zweiten um eine bösartige Neubildung des Eierstocks-
gewebes handelt. Wenn auch im ersten Fall der Uterus von drei kleinen
intramuralen Myomen durchsetzt und im zweite Fall diffus vergrößert war,
so ist bei beiden Kranken die Ursache der verstärkten und irregulären
Blutungen doch mit großer Wahrscheinlichkeit in den Veränderungen der
Ovarien zu suchen.
Es könnte der Einwand gemacht werden, daß ursprünglich noch gar
keine Eierstocksgeschwulst bestanden hätte, daß vielmehr bei den zwei
Patienten Myome, die dann subserös entwickelt gewesen sein müßten,
durch die Röntgentherapie zum Verschwinden gebracht worden seien und
daß erst danach Eierstocksgeschwülste auftraten. Dieser Einwurf wird
dadurch hinfällig, daß die Lokalisation der Tumoren bei jeder einzelnen
der zahlreichen Untersuchungen immer genau mit derjenigen übereinstimmte,
die nachher bei der Operation festgestellt wurde, daß sich bei Fall I auch
nicht die Spur eines subserösen Myoms fand und bei Fall II eine diffuse
Vergrößerung ohne Knotenbildung vorlag.
Die Betrachtung der Krankengeschichten läßt nur die Deine zu,
daß durch eine tiefentherapeutische Anwendung der X-Strahlen tiefliegende
Tumoren, in unseren Fällen handelte es sich um solche des Eierstocks,
beeinflußt wurden und zwar in dem Sinne, daß ihr Volumen sich erheb-
lich verkleinerte.
Gutartige tiefliegende Geschwülste sind sicher beeinflußbar, was wir
auch für die Substanz der Myome schon lange annehmen. Die Röntgen-
tlıerapie bösartiger, tiefliegender Neubildungen ist dagegen bis jetzt noch
recht problematisch. Die von uns beobachtete erhebliche Volumenab-
nahme eines ÖOvarialsarkoms ist daher etwas durchaus Bemerkenswertes.
Daß die partielle Erweichung des Sarkoms Röntgenstrahlenwirkung sei,
erscheint unwahrscheinlich, da Erweichungen überhaupt in großen malignen
Tumoren oft beobachtet werden.
Es wäre denkbar, daß außer durch direkte Einwirkung der Röntgen-
strahlen auf die Geschwulstsubstanz auch dadurch eine Wachstums-
hemmung der Tumoren zustande käme, daß die totale Vernichtung des
spezifischen Ovarialgewebes, besonders auch auf der gesunden Seite, den
Blutafflux zu dem Genitale geringer gestaltet. Eine schlechtere Ernährung
des Tumors wäre die Folge. Ob das spätere rasche Wachstum der Tu-
moren in beiden Fällen auf eine Reizung der Geschwulstzellen durch die
Röntgenstrahlen zurückzuführen ist, bleibt dahingestellt, ist aber sehr un-
wahrscheinlich.
Aus der Kgl. Universitäts-Frauenklinik zu Halle a/S. (Direktor:
Geh.-Rat Prof. Dr. Veit.)
Zur Methodik der Röntgenbestrahlung in der Gynäkologie.
Von
Privatdozent Dr. Th. Heynemann, Oberarzt der Klinik.
I)“ diesjährigen Verhandlungen der Deutschen Röntgen-Gesellschaft haben
wieder gezeigt, wie weit die Anschauungen über die Methodik und
Technik der Röntgenbestrahlung in der Gynäkologie noch auseinandergehen.
Es sind nicht nebensächliche, sondern grundlegende Fragen, um die
der Streit geht und die der endgültigen Entscheidung noch harren.
Im folgenden will ich die Methodik auseinandersetzen, zu der wir
an der Frauenklinik in Halle gelangt sind, und die Gründe und Erwägungen
darlegen, welche uns zu ihr geführt haben.
Die Aufgabe der Röntgenbestrahlung in der Gynäkologie ist die der
Tiefenbestrahlung überhaupt. Es sollen tief im Körper liegende Gewebe
durch die Röntgenbestrahlung beeinflußt und geschädigt werden.
Infolgedessen müssen die Grundsätze, die maßgebend sind für die
Technik der Tiefenbestrahlung, auch maßgebend sein für die Methodik der
Röntgenbestrahlung in der Gynäkologie.
Daneben sind aber noch die besonderen anatomischen, physiologischen
und pathologischen Verhältnisse an den weiblichen Genitalien zu berück-
sichtigen; sie machen eine Reihe besonderer, spezieller Maßnahmen er-
forderlich.
Die Tiefenbestrahlung.
Die Tiefenbestrahlung hat erst spät Anerkennung und allgemeine Be-
achtung gefunden.
Man bezweifelte die Möglichkeit, auch in der Tiefe des Körpers eine
biologische Wirkung erzielen zu können oder glaubte doch wenigstens, eine
solche Wirkung sei nur unter gleichzeitiger Schädigung anderer Gewebe
und Organe zu erreichen.
Man pflegt bei den Röntgenstrahlen harte und weiche zu unterscheiden.
Harte Stralilen sind die, denen eine hohe Durchdringungsfähigkeit (Pene-
trationskraft) der Gewebe zukommt. Den weichen fehlt sie, sie werden
bereits in den oberflächlichen Gewebsschichten absorbiert; in die Tiefe gelangen
sie nicht. Die biologische Wirkung aber, welche ja lediglich für eine
therapeutische Beeinflussung und damit auch für die Tiefenbestrahlung in
Heynemann, Methodik der Röntgenbestrahlung in der Gynäkologie. 363
Betracht kommt, suchte man überwiegend bei den weichen Strahlen; den
harten Strahlen erkannte man sie nur in geringem Maße zu.
Nach dieser Anschauung erschien der Versuch einer Tiefenbestrahlung
fast aussichtslos. Entweder mußte sie unwirksam bleiben, weil die biolo-
gisch wirksamen, weichen Strahlen bereits in den oberflächlichen Geweben
zur Absorption und damit zur Einwirkung kamen, oder aber, wollte man
die Tiefenwirkung durch eine besonders kräftige und langdauernde Be-
strahlung, durch eine Häufung der harten Strahlen erzwingen, so mußte
längst vor Erreichung dieses Zieles eine Schädigung und Zerstörung der ober-
flächlichen Gewebe durch die weichen Strahlen erwartet werden.
Die Erfahrung hatte gelehrt, daß hier ganz in erster Linie die ober-
flächlichste Gewebsschicht, die Haut gefährdet war. Verbrennungen und
schwer heilbare Ulzerationen waren des öfteren zur Beobachtung gekommen,
wurde doch bei den gewöhnlich in Gebrauch befindlichen Röntgenröhren
ungefähr die Hälfte der ganzen Strahlenmenge schon im obersten Zenti-
meter der Gewebsschicht absorbiert.
Das übereinstimmende Urteil der Sachverständigen ging dahin, daß
der Haut ohne Gefahr der Schädigung gerade noch die Strahlenmenge zu-
gemutet werden könne, die Kienböck nach seinem Meßverfalhrren mit
10X, Holzknecht aber als 5E bezeichnete. Damit war der Strahlen-
menge, die einer Hautstelle zugefügt werden konnte, eine ganz bestimmte
Grenze gezogen; sie durfte nicht überschritten werden.
Das Ziel, die zu lösende Aufgabe der Tiefenbestrahlung lag nach
diesen Erfahrungen klar. Es waren möglichst viel biologisch wirksame
Strahlen in die Tiefe zu senden zur Erzielung einer Wirkung, möglichst
wenig durften die Körperoberfläche treffen, da hier die Dosis an eine be-
stimmte Grenze gebunden war.
Eine möglichst große Tiefen-, eine möglichst kleine Oberflächen-
dosis war anzustreben.
Nach dem oben Gesagten war dies zunächst durch eine möglichst
ausgiebige und ausschließliche Verwertung harter Strahlen, wie sie harte
Röntgenröhren hervorbringen, zu erreichen.
Bestrahlte z. B. M. Fränkel eine 5 cm hohe Wassersäule mit einer
Röhre, deren Härte er auf 3 nach Benoist-Walter bestimmt hatte, so
gelangten nur 1 °/, der die Oberfläche treffenden Strahlen durch die Wasser-
säule hindurch. Nahm er eine wesentlich härtere Rühre (5 nach B. W.)
so drangen 16°/, der Strahlen durch die Wassersäule; nahm er sie noch
härter (6 nach B. W.) so waren es sogar 32 °],.
Je härter die Röhren, desto größer wird die Tiefendosis im
Vergleich zur Oberflächendosis, desto günstiger werden also auch die
Verhältnisse für die Tiefenbestrahlung.
364 Heynemann,
Leider steht uns noch kein absolut einwandfreies Verfahren zur Be-
stimmung der Röhrenhärte zur Verfügung. Alle älteren Verfahren beruhen
darauf, daß man Aluminiumplatten von verschiedener Dicke bestrahlt und
nun feststellt, bis zu welcher Dicke die Strahlen noch hindurchdringen
und dadurch den hinter den Aluminiumplatten angebrachten Platinzyanür-
schirm zur Aufhellung bringen. Bei dieser Art der Messung spielt die
Subjektivität des Untersuchers eine große Rolle. Man braucht nur die
verschiedenen Angaben in der Literatur über Tiefenbestrahlungsversuche
mit verschiedener Röhrenhärte genau zu vergleichen, um zu dem Schluß
zu kommen, daß von den verschiedenen Autoren verschieden gemessen
wurde. Es ist dies kein Vorwurf für die Untersucher, der Fehler liegt
im Messungsverfahren.
Wir messen jetzt den Härtegrad der Röhre nach der Methode von
Benoist, früher haben wir die Methode von Wehnelt angewandt; bei
beiden spielt auch die Subjektivität eine große Rolle. Läßt man von einer
Anzahl Untersucher die Röhrenhärte bestimmen, so erhält man fast nie
genau übereinstimmende Resultate.
Auch das neue, anders geartete Verfahren von Heinz Bauer hat diese
Lücke nicht ausfüllen können, so ausgezeichnet brauchbar es auch sonst
ist. Vielleicht ist der von Cristen eingeführte Begriff der „Halbwert-
schicht“ berufen, hier Besserung zu schaffen. Über die praktische Durch-
führbarkeit dieser Metliode liegen aber Erfahrungen noch nicht vor.
Der gleiche Zweck, eine möglichst große Tiefen- bei möglichst kleiner
Oberflächendosis, war weiter durch eine möglichst große Entfernung der
Röntgenröhre von der zu bestrahlenden Körperfläche zu erreichen.
Die Röntgenstrahlen gehen aus von der Antikathode der Röntgenröhre
und breiten sich von dort gleichmäßig nach allen Richtungen hin aus.
Die Fläche, welche von der Gesamtheit derin einer Antikathode entstehenden
Strahlenmenge getroffen wird, wächst daher mit der Entfernung von der
Röntgenröhre und da die Ausbreitung der Strahlen nach allen Richtungen
eine gleichmäßige ist, wächst die bestrahlte Fläche entsprechend dem
(Juadrate der Entfernung. Der einzelne Punkt in der bestrahlten Fläche
wird aber dadurch mit zunehmender Entfernung der Röntgenröhre von
einer entsprechend geringeren Strahlenmenge getroffen. Die Intensität.
die Wirkung nimmt daher entsprechend dem Quadrat der Entfernung ab.
So ist z. B. die Wirkung der Strahlen in 20 cm Entfernung nur den 4.
Teil so groß, als wie in der halben, d.h. in 10 cm Entfernung.
Perthes hat diese Verhältnisse sehr schön in einer Tabelle veran-
schaulicht. Er teilt die Strahlenmenge, die einen Punkt in 10 cm Ent-
fernung von der Antikatode trifft, in 100 Einheiten ein. Bei den
meisten Röntgenröhren ist die Oberfläche der Röhren 10 cm oder etwas
Methodik der Röntgenbestrahlung in der Gynäkologie. 365
mehr von der Antikathode entfernt. Dann kamen in 20 cm Entfernung
von der Kathode oder in 10 cm von der Röhrenoberfläche nur noch der
4. Teil, also 25 Einheiten in einem bestimmten Punkte zur Wirkung. In
50 cm Entfernung waren es nur noch 4, in 60 cm Entfernung 2,78, in
90 cm Entfernung 1,24 und in 100 cm Entfernung eine Einheit, die in
einem Punkte der bestralilten Fläche zur Wirkung kam.
Würde man darnach ein 10 cm tief im Körper liegendes Gewebe be-
strahlen wollen und den Körper direkt an die Röntgenröhre, also in 10
cm Entfernung von der Antikathode bringen, so würde von dem Härtegrad
und der Absorption der Strahlen durch das Gewebe ganz abgesehen, nur
der 4. Teil der die Körperoberfläche treffenden Strahlen in die gewünschte
Tiefe gelangen. Die Oberflächendosis würde 100, die Tiefendosis 25 Ein-
heiten betragen, die Differenz, der Strahlenverlust würde also außerordent-
lich groß sein. Brächte man den Körper in 50 cm Entfernung von der
Antikathode, so würden 4 Einheiten die Oberfläche und 2,78 Einheiten
die Tiefe treffen und in 90 cm Entfernung würden 1,24 Einheiten an
die Oberfläche und 1 Einheit in die Tiefe gelangen.
Die Differenz zwischen Oberflächen- und Tiefendosis wird also
mit zunehmender Entfernung immer geringer, die Verhältnisse für die
Tiefenbestrahlung gestalten sich also günstiger.
Rein thereotisch wäre also zunächst für die Tiefenbestrahlung
die Röhre möglichst hart und die Entfernung der Röhre möglichst
groß zu nehmen.
Hiergegen lassen sich aber vom praktischen und auch vom physikalischen
Standpunkte aus Einwände erheben.
Wie aus den oben angeführten Zahlen ohne weiteres hervorgeht, wird zwar
mit zunehmender Entfernung der Röhre die relative Tiefendosis (in Ver-
gleich zur Oberflächendosis) immer größer, die absolute Tiefendosis aber,
die absolute Strahlenmenge, die an einem bestimmten Punkte in der
Tiefe zur Wirkung kommt, wird immer geringer. Sie beträgt z. B. nach
der Tabelle von Perthes bei 20 cm noch 25 Einheiten, bei 60 cm Entfernung
noch 2,78 Einheiten, bei 100 cm Entfernung nur noch eine Einheit.
Um also mit zunehmender Entfernung der Röhre die gleiche absolute
Wirkung in der Tiefe zu erzielen, wie bei geringer Entfernung, muß man
die Zeitdauer der Bestrahlung ganz außerordentlich ausdehnen. Das macht
sich aber in der Praxis außerordentlich unangenehm geltend.
Noch schwerwiegender ist der Einwurf, der sich vom physikalischen
Standpunkte aus gegen eine allzu große Entfernung und Härte der Rönt-
genröhren vorbringen läßt.
Nach den Gesetzen der Physik ist die Wirkung der Röntgenstrahlen
nicht nur proportional der Intensität. d.h. der Menge, mit der sie den
366 Heynemann,
zu bestrahlenden Gegenstand treffen, und proportional der Zeitdauer der
Bestrahlung, sondern sie ist auch abhängig von der Strahlenmenge, die in
dem zu beeinflussenden Gewebe absorbiert wird, von dem Absorptions-
koeffizienten, wie man zu sagen pflegt.
Die Menge der in einer bestimmten Gewebsschicht absorbierten Strah-
len erkennt man an der Abnahme der Strahlenmenge in dieser Schicht.
Ist die Entfernung der Röhre sehr groß, kommen überharte Röntgenröhren
zur Anwendung, wie das z. B. bei der sog. Homogen-Bestrahlung der Fall
sein sollte, so wird die Durchdringungsfähigkeit der Strahlen so groß, daß
sie fast ohne Verlust durch die Gewebe hindurch gehen. Die zur Absorption
kommende Strahlenmenge ist minimal.
Besteht das physikalische Gesetz, die biologische Wirkung der Rönt-
genstrahlen ist abhängig von ihrer Intensität (Menge der auftreffenden
Strahlen), der Bestrahlungszeit und dem Absorptionskoeffizienten (Menge
der absorbierten Strahlen) zu Recht, so darf auch bei der Tiefenbestrah-
tung der Härtegrad und die Entfernung der Röhre nicht allzusehr, nicht
über ein gewisses Maß hinaus gesteigert werden.
Die für die Absorption günstigsten Härtegrad und Entfernungen der Rönt-
genröhre sind je nach der Tiefe der zu bestrahlenden Gewebsschicht ver-
schieden. Es würde daher vom physikalischen Standpunkte aus wünschens-
wert sein, für jede Gewebstiefe unter Berücksichtigung von Oberflächen-
dosis, Tiefendosis und Absorptionskoeffizienten die günstigsten Härtegrade
und Entfernungen der Röntgenröhre festzustellen.
Christen, der vom rein physikalischen Standpunkte aus diese
Verhältnisse eingehend erörtert hat, kommt zu dem Schluß, daB
für die Wirkung in der Tiefe die Umstände am günstigsten liegen,
wenn °), der die Oberfläche treffenden Strahlen von den über-
deckenden Geweben absorbiert, 3/, aber hindurch gelassen werden,
sodaß sie das zu bestrahlende Gewebe treffen können. Die günstigste
Entfernung der Röhre ist nach ihm erreicht, wenn die Antikathode
5 mal so weit von der Körperoberfläche entfernt ist, als wie die
deckende und zu durchdringende Gewebsschicht dick ist.
Die Beobachtung, daß die größte Strahlenmenge in den allerobersten
Gewebsschichten absorbiert und die Haut bei weitem am meisten gefährdet
wird, führte sofort bei den ersten Versuchen der Tiefenbestrahlung zu dem
Bestreben, diese Strahlenmenge abzufangen und von der Haut fernzuhalten.
Es war logisch gedacht, daß man zu diesem Zwecke Gegenstände, die der
Haut möglichst ähnlich waren, zwischen Röntgenröhre und Haut ein-
schaltete, z. B. Leder in verschieden dicker Lage.
Nach den bisher dargelegten Grundsätzen war in ganz folgerichtiger
Weise die von Albers-Schönberg zuerst angegebene Technik der Tiefen-
en u — unse er. JE DE
Methodik der Röntgenbestrahlung in der Gynükologie. 367
bestrahlung bei gynäkologischen Erkrankungen aufgebaut. Ist Albers-
Schönberg auch nicht der erste gewesen, der bei solchen Erkrankungen
Röntgenstrahlen in Anwendung brachte, so gebührt ihm gewiß das Ver-
dienst, dieser Behandlungsweise Eingang und Anerkennung verschafft und
eine brauchbare und Erfolg versprechende Technik im einzelnen angegeben
zu haben. |
Der Gynäkologe, der sie in Anwendung brachte, empfand unange-
nehm, daß sie lange Zeit beanspruchte und nicht sicheren Erfolg ver-
sprach. Schwer ausgeblutete Frauen, bei denen vom klinischen Stand-
punkte aus die Röntgenbehandlung als Ersatz für die gefahrbringende
Operation besonders erwünscht gewesen wäre, wollte Albers-Schönberg
selbst aus diesen Gründen von der Röntgenbehandlung ausschließen. Es
war klar und berechtigt, daß man versuchte, auch diese Mängel noch
möglichst bald zu beseitigen.
Maßnahmen zur Erzielung einer erhöhten Tiefenwirkung.
Als Maßnahmen, von denen man sich hier Vorteile versprechen konnte,
kamen in Betracht: 1. eine Änderung des Hautschutzes, 2. Steigerung der
Röhrenhärte, 3. Verringerung der Röhrenentfernung, 4. Änderung der
Zahl der Stromunterbrechungen, 5. künstliche Änderung der Empfindlich-
keit der Gewebe gegenüber den Röntgenstrahlen, 6. Bestrahlung von ver-
schiedenen Seiten aus.
Stärkerer Hautschutz und gesteigerte Röhrenhärte.
Schon vor Jahren sind im Physikalischen Institut und in der Frauen-
klinik zu Halle von Albin Hoffmann experimentelle Untersuchungen über
die beste Art der Hautabdeckung und die günstigste Röhrenhärte bei der
Tiefenbestrahlung angestellt worden. Es handelte sich damals aber ledig-
lich um einen Versuch der Tiefenbestrahlung bei Kranken mit inoperablen
Karzinomen und nach Karzinomoperationen zur Verhinderung von Rezidiven.
Es ist wohl das erste Mal gewesen, daß in größerem Umfange praktische
Versuche mit der Tiefenbestrahlung vorgenommen wurden.
Es wurde vergleichsweise bestrahlt ohne Öberflächenabdeckung, bei
Abdeckung der Oberfläche mit Ziegenleder und Staniol und bei Abdeckung
mit Glas. Bestrahlt wurde mit weicheren und mit harten Röhren. Be-
strahlt wurden Fleischschichten und verschieden hohe Wassersäulen. Die
Gewebe bestehen zu 80°/, aus Wasser. Bei Wasser und Weichteilen ist
die Absorption der Röntgenstrahlen so, daß die bei Wassersäulen ange-
stellten Bestrahlungsversuche für die Beurteilung der Verhältnisse bei Ge-
weben, speziell Weichteilen des Körpers, verwertet werden können. Ich
368 Heynemann,
entnehme der betreffenden Inauguraldissertation von Albin Hoffmann
die folgenden Zahlen:
Von den die Oberfläche der Fleischschicht treffenden Strahlen
kamen zur Absorption zwischen 5—6 cm Tiefe ohne Abdeckung
4,2°/,, bei Abdeckung mit Staniol und Ziegenleder 4,5°%/,, bei Glas-
abdeckung 6,0°/ Zwischen 6—7 cm kamen zur Absorption 2,7, 3,0
und 4,5°/, und zwischen 7 und 8 cm 1,8, 2,0 und 3,4°/,. Die
Röhrenhärte war hier auf 4 Benoist-Walter bestimmt worden.
Bei wesentlich härteren Röhren (6 B.W. = etwa 8 Benoist =
10—11 Wehnelt) ergaben sich folgende Zahlen:
Die absorbierte Strahleumenge in °/, der Oberflächendosis
Tiefe der | Abdeckung mit
Gewebsschicht Ohne Abdeckung Ziegenleder und Abdeckung mit
Glas 55 mm
Staniol
5—6 cm 6,3 6,6 6,7
6—7 ,„ 5,0 5,3 5,6
1—8 , 3,8 4,2 4,8
8—9 , 3,0 3,4 4,1
Gleichgerichtete Versuche mit einer Wassersäule. Röbrenhärte 4 B.W.
6-8 cm 4,3 5,1 6,9
8-10, 3,4 2,7 6,1
Röhrenhärte 6 B.W. Schlagweite 14—15 cm.
6—8 cm 9,2 7,3 8,8
8—10 , 2,6 5.5 5,1
Röhrenhärte 6 B.W. Schlagweite 16 cm.
6—8 cm 10,1 9,2 11,2
8—10 , 10,1 9,9 8,6
Röhrenhärte 6 B.W. Schlagweite 25 cm.
6—8 cm 11,9 12,9 16,0
&—10 , 13,2 10,0 9,3
Diese Versuche beweisen, dal für die Bestrahlung der Övarienticfe
durch die stärkere Abdeckung der Haut mit Glas sich nicht nur
Tiefen- und Oberflächendosis, sondern auch die Absorptionsverhält-
nisse günstiger gestalten. Danach ist der Glasabdeckung der Vorzug
zu geben.
Die Überlegenheit der härteren Röhren auch für die Absorption
in der Ovarientiefe ist augenscheinlich.
Es sei auch noch darauf hingewiesen, daß die auf diese Weise (harte
Röhren, Glasabdeckung) in die Ovarientiefe gelangte Strahlenmenge im
wesentlichen der erwähnten Forderung von Christen entspricht, nach der
ınöglichst °/, der die Haut treffenden Strahlen in den überdeckenden Ge-
websschichten absorbiert werden sollen. Bei dem Fleischversuch waren
5/, der Obertlächendosis in etwa 6 cm Tiefe, bei der Wassersäulenbestrah-
lung in 7 cm, 8 cm, oder 9 cm Tiefe absorbiert.
Methodik der Röntgenbestrahlung in der Gynäkologie. 369
Später habe ich diese Untersuchungen noch ergänzt durch vergleichende
Bestrahlungen bei Abdeckung mit Glas und vierfach Ziegenleder ohne
Staniol. Die Absorption in der Ovarientiefe zeigte bei der Lederabdeckung
keine Vorteile, die Oberflächendosis und damit die Gefährdung der Haut
stieg aber selbst bei Verwendung ganz harter Röhren auf das Doppelte.
Um die absolute Strahlenmenge in der Tiefe zu steigern, bin ich nach
entsprechenden Versuchen zur Abdeckung mit Glasplatten von 2,5 und
dann 2,0 mm Dicke übergegangen.
Nach diesen Versuchen mußte es als das Günstigste für die gynä-
kologische Tiefenbestrahlung erscheinen, die Haut durch eine 2 mm dicke
Glasplatte zu schützen und Röhren zu wählen, die eine Härte von 7—8
Benoist = 6 B.W. = 10—11 Wehnelt aufwiesen.
Dieser Bestrahlungstechnik sind wir bis heute treu geblieben. Wir
haben keine Veranlassung gehabt, sie in Bezug auf Härte der Röhre und
Abdeckung der Haut zu ändern. Da nach den Untersuchungen Meyers
in Kiel 3 mm Aluminium die günstigsten Verhältnisse für die Abdeckung
bei der Tiefenbestrahlung geben sollen, schützen wir die Haut jetzt mit 3mm
Aluminium. Ein prinzipieller Unterschied liegt hier nach meiner Ansicht
nicht vor. Aluminium hat aber wegen seiner Unzerbrechlichkeit gewiß
Vorzüge vor Glas.
Das neue Bestrahlungsverfahren von Gauss.
Gestützt auf diesen stärkeren Hautschutz und auf die ausschließliche
Verwendung harter Strahlen ist in neuester Zeit Gauss dazu übergegangen,
die in einer Sitzung applizierte Strahlendosis außerordentlich zu steigern.
Da er nach Anwendung lediglich harter Strahlen und bei der Abdeckung
mit Aluminium niemals mehr die früher häufiger beobachteten Haut-
erytheme zu Gesicht bekam, auch dann nicht, wenn die sog. Erythem-
dosis von 10 X erheblich überschritten wurde, hielt er sich für berechtigt,
unter weitgehendster Anwendung der Felderbestrahlung Strahlenmengen in
wenigen Tagen zu verabreichen, die die bis dalıin üblichen weit übertrafen.
Wir haben uns bisher zu der Anwendung dieses Verfahrens nicht
entschließen können, und zwar aus folgenden Gründen :
Nach den gemachten Erfahrungen kann bei sachgemäßer, vorsichtiger
Ausführung die Röntgenbehandlung als gefahrlos angesehen werden. In
dieser Gefahrlosigkeit liegt der Hauptvorzug der Röntgenbehandlung vor
der operativen. Die Gefahrlosigkeit der Röntgenbehandlung muß daher
nach unserer Überzeugung unter allen Umständen sichergestellt bleiben.
Es mußte zunächst fraglich erscheinen, ob die hohen von Gauss ver-
abreichten Strahlendosen auch wirklich für die Haut und die mitbestrahlten
Organe (Darm und Blase) gleichgültig wären.
370 Heynemann,
Die bisher von Gauss gemachten Erfahrungen — und die praktischen
Erfahrungen müssen hier unbedingt den Ausschlag geben — sprechen aller-
dings entschieden für die von ihm vertretene Anschauung, daß derartige
Strahlenmengen verabreicht werden dürfen.
Es erscheint uns aber auf alle Fälle richtiger, das endgültige Ergebnis
dieser Erfahrungen abzuwarten, bevor man auch an anderen Stellen, oder
gar allgemein zu dieser Art der Bestrahlung übergeht.
Sollten sich die bisherigen guten Erfahrungen von Gauss dauernd
weiter bestätigen, so würde ein solches Verfahren vor allem bei der Be-
handlung stark anämischer Frauen, bei denen ein Erfolg möglichst schnell
zu erzielen ist, ganz gewiß seine Vorteile haben.
Gegen die weitgehende Anwendung der Felderbestrahlung, wie sie von
Gauss empfohlen wurde, habe ich auf alle Fälle meine großen Bedenken.
Es erscheint mir nicht sichergestellt, daß dabei Uterus und Ovarien auch
wirklich direkt getroffen werden. Dies halte ich aber unter allen Um-
ständen für notwendig. Die bisherigen Kenntnisse gestatten es nicht, allzu
große Hoffnungen auf eine Wirkung der Sekundärstrahlen zu setzen.
Messung der Oberflächen- und Tiefendosis.
Wir halten also daran fest, in einer Bestrahlungsserie einer Haut-
stelle nicht mehr als 10 X zu verabreichen. Diese Dosis wird auf drei
einzelne Sitzungen an drei aufeinanderfolgenden Tagen verteilt. Bekommt
die Haut bei den ersten Sitzungen zu viel, so läßt sich das in der dritten
Sitzung wieder ausgleichen. Niemals wird die Gesamtdosis von 10 X in
einer Sitzung erteilt, weil dabei nur schwer eine Überdosierung unter allen
Umständen vermieden werden kann.
Für die Dosierung der Röntgenstrahlen stehen verschiedene Methoden
zur Verfügung; sie alle haben ihre Vor- und Nachteile. Absolut zuver-
lässig ist keine. Am besten und verbreitetsten sind die bereits erwähnten
Methoden von Kienböck und Holzknecht. Um sicher zu gehen, messen
wir jetzt die Hautdosis nach Holzknecht und Kienböck. Können
wir aus irgend welchen Gründen nur von einer Methode Gebrauch machen,
so legen wir stets zwei Kienböckstreifen oder zwei Pastillen auf die zu
bestrahlende Hautfläche. |
Über die Notwendigkeit, auf diese Weise die verabreichte Ober-
flichendosis zur Vermeidung von Hautschädigungen möglichst exakt messen
zu müssen, besteht allgemeine Übereinstimmung. Dagegen gehen die An-
schauungen noch auseinander, ob dies auch bei der Tiefendosis ge-
schehen soll.
Es ist natürlich unmöglich, die Tiefendosis in der Ovärientiefe sellst
zu messen. Wir sind gezwungen, aus anderen Messungen auf die in der
Methodik der Röntgenbestrahlung in der Gynäkologie. 371
Övarientiefe erzielte Strahlenmenge zu schließen. Uns erschien es am ein-
fachsten, zu diesem Zwecke nicht nur die Oberflächendosis, sondern auch
die an der entgegengesetzten Körperfläche der Patienten wieder zum Aus-
trıtt gelangende Strahlenmenge zu kontrollieren. Wir haben dies seit
Jahren bei fast allen Tiefenbestrahlungen ausgeführt. Die an der ent-
gegengesetzten Körperoberfläche wieder zum Austritt kommende Strahlen-
menge ist selbstverständlich nicht direkt identisch mit der auf die Ovarien
einwirkenden Strahlendosis.. Es lassen sich aber aus der einen Rück-
schlüsse auf die andere ziehen. Jeder Fehler in der Technik kommt
außerdem sofort an der auf diese Weise festgestellten Tiefendosis zum
Ausdruck.
Aus diesem Grunde ist diese Art der Messung besonders für den
Anfänger, nach Änderungen in der Technik und ab und zu zur Kontrolle
des Betriebes zu empfehlen. Am besten aber ist es, man führt sie
ständig aus.
Auf Grund unserer Versuche sind wir bestrebt, bei der Bestrahlung
der Patienten vom Leibe aus am Rücken t/i bis tj der Oberflächendosis
zu erreichen. Nach unseren Erfahrungen beträgt dann die Dosis in der
Ovarientiefe etwa die Hälfte bis ein Drittel der Oberflächendosis.
Theoretisch erscheint es ja noch richtiger, die Strahlenmenge im
Scheidengewölbe festzustellen. Auch wir haben in einer Reihe von Fällen
dies ausgeführt. Vorteile haben sich dabei aber nicht ergeben. Praktisch
ist die Messung im Scheidengewölbe aber nur unter sehr großen Schwierig-
keiten oder gar nicht durchzuführen.
Die biologische Wirksamkeit harter Strahlen.
Der wichtigste Einwurf, der gegen unsere Bestrahlung erhoben werden
kann und der auf dem letzten Gynäkologenkongreß in München auch er-
hoben wurde, ist, daß die angewandten harten Strahlen biologisch über-
haupt nicht wirksam wären.
Dieser Einwurf kann jetzt in erhöhtem Maße gegen das von Gauss
empfohlene Verfahren geltend gemacht werden. Wenn die harten Strahlen
der Haut nicht schaden, werden sie dann auch in der Tiefe den Geni-
talien schädlich werden ?
Ich habe sofort nach der Münchener Versammlung damit begonnen,
Versuche zur Entscheidung dieser Frage anzustellen.
Inzwischen haben bereits Gauss und Meyer und Ritter über
entsprechende Untersuchungen berichtet. Gauss kommt auf Grund von
Versuchen an Pflanzen und Froschlarven zu dem Schluß, daß die harten
Strahlen sogar besonders ausgesprochen eine biologische Wirkung ausüben,
und Meyer und Ritter fanden nach Versuchen an Erbsenkeimlingen,
24
372 Heynemann,
Haarpapillen und Psoriasisplaques, daß bei gleicher Strahlenabsorption die
härtere Strahlung die wirksamere sei.
Ich habe vergleichende Untersuchungen angestellt an Kaninchen und
an Erbsen- und Bohnenkeimlingen.
Danach kommt den harten Strahlen, wie sie bei unserer Bestrahlungs-
technik angewandt werden, eine biologische Wirkung zu. Den Kaninchen
fielen die Haare aus, sie magerten ab, ihre Ovarien zeigten die gleichen
Veränderungen wie bei den mit weicheren Strahlen behandelten Tieren.
Die hart bestrahlten Erbsen- und Bohnenkeimlinge blieben im Wachstum
gegenüber unbestrahlten zurück oder verkümmerten vollständig.
Ich kann nicht leugnen, daß diese Ergebnisse uns mit dazu veranlaßt
haben, noch nicht zu dem von Gauss empfohlenen Verfahren überzugehen.
Gibt man Erbsen- und Bohnenkeimlingen etwa die gleiche Dosis
harter und weicher Strahlen, so wirken die weichen viel energischer.
Davon habe ich mich in vier Versuchsreihen, bei denen immer je zwölf
Erbsen- und Bohnenkeimlinge hart, weich und gar nicht bestrahlt wurden,
stets in gleicher Weise überzeugen können. Es gingen z. B. auf:
Hart bestrahlt, unter Weich bestrahlt ohne Nicht bestrahlt
3 mm Aluminium Abdeckung : (Kontrolle)
30 X 28 X 0
8 Erbsen, 4 Bohnen 1 Erbse, 1 Bohne 7 Erbsen, 5 Bohnen
bleiben niedrig, die Hälfte völlig verkümmert alle üppig gewachsen.
völlig verkümmert.
Daraus geht aber nicht hervor, daß die weichen Strahlen nun auch
geeigneter wären für die gynäkologische Tiefenbestrahlung, denn bei diesen
Versuchen fehlte die bei der Ovarientiefe vorhandene Zwischenschicht von
ca. 7 cm Gewebe. Auch wurden die Absorptionsverhältnisse nicht be-
rücksichtigt.
Vom physikalischen Standpunkte aus ist die Tiefenbestrahlung mit
harten Röhren und zwar auch unter Berücksichtigung der Absorptions-
verhältnisse zweifellos günstiger als wie mit weichen Röhren. Die Frage
der biologischen Einwirkung hierbei vor allem auf die Ovarien, ist nach
meiner Ansicht aber noch nicht geklärt. Ob die Versuche von Meyer
und Ritter hier Aufklärung geschafft haben, entzieht sich meiner Kenntnis,
da ich über sie nur ein ganz kurzes Referat zur Verfügung habe. Lin-
drums neue Versuche sprechen zu Gunsten der starken Abdeckung und
der harten Strahlen.
Verringerung der Röhrenentfernung.
Abgesehen von der Änderung des Hautschutzes und der Röhrenhärte
konnte weiter versucht werden, durch Verringerung der Röhrenentfernung
eine erhöhte Wirkung in der Tiefe zu erzielen.
Methodik der Röntgenbestrahlung in der Gynükologie. 373
So lange keinerlei oder nur eine geringe Abdeckung der Haut vor-
genommen wurde, mußte mit Rücksicht auf die Schonung der Haut einerseits,
und zur Erzielung einer möglichst hohen Bestrahlungs- und Absorptionsdosis
in der Ovarientiefe andererseits, die Entfernung von ca. 35—40 cm als
die günstigste angesehen werden.
Dementsprechend wurde sie auch von Albers-Schönberg bei seiner
Technik der Tiefenbestrahlung gewählt. Ihm sind wir in diesem Punkte
gefolgt. |
Bei einem erhöhten Hautschutz, wie ihn die 2-mm-Glas- und die
3-mm-Aluminiumplatten gewähren, erschienen Versuche mit einer ge-
ringeren Röhrenentfernung gerechtfertigt. Auf die Vorteile der geringeren
Röhrenentfernung im Interesse einer stärkeren Tiefenwirkung hat besonders
M. Fränkel hingewiesen. Vom physikalischen Standpunkte aus geschah
dies gewiß mit Recht, da der Verlust an absoluter Strahlenmenge mit
zunehmender Röhrenentferung nicht proportional ist der einfachen
Entfernungszunahme, sondern ihrem Quadrate.
Ich habe) darüber folgende Versuche angestellt: Röhrenhärte 7—8
Benoist, Abdeckung mit 3 mm Aluminiumplatte; bestrahlt wurde eine
10 cm hohe Wassersäule, je drei Kienböckstreifen wurden zur Kontrolle
über und unter der Wassersäule angebracht.
Fokusdistanz: 27 cm Fokusdistanz: 16 cm
Entfernung der Röhrenoberfläche: 16 cm Entfernung der Röhrenoberfläche: 5 cm
Oberflächendosis Tiefendosis Oberflächendosis Tiefendosis
51, X 11, X 18 X 4, X
7 X 1?7/, X 19 X 5 X
12, X 3, X 37” X y!, X
Diese Versuche sprechen zu Gunsten einer Röhrenannäherung. Die
relative Tiefendosis ist bei beiden Versuchsreihen etwa gleich (4:1), die
absolute Wirkung ist in der Tiefe aber fast dreimal so groß bei der nahen
Röhrenentfernung als wie bei der weiten. Bei größerer Röhrennähe wird
also die gleiche Wirkung in !/, der Zeit erzielt, ein Vorteil, der nicht zu
gering anzuschlagen ist bei der praktischen Ausübung der Röntgentherapie.
Trotzdem rate ich wenigstens bisher noch nicht zu einer solch starken
Annäherung der Röhre an die Haut. Vor allem erscheint mir dies be-
denklich für den Spezialkollegen, dessen Erfahrung in der Röntgenbehandlung
noch nicht allzu groß ist. Die Gründe sind folgende:
Wer die in der Literatur niedergelegten und die in dieser Arbeit
mitgeteilten Bestrahlungsversuche aufmerksam liest, dem wird auffallen,
daß die Resultate nicht ganz übereinstimmen und sich häufig in einzelnen
Punkten widersprechen. Die Ursache liegt in der Unsicherheit und Sub-
jektivität der Härtebestimmung der Röhren und in der Schwierigkeit, die Röhre
während der ganzen Bestrahlungszeit auf dem gleichen Härtegrade zu halten.
24*
374 Heynemann,
Der Härtegrad der Röhre ist aber direkt ausschlaggebend für das
Ergebnis solcher Versuche. Jede Abweichung des Härtegrades hat sofort
andere Versuchsergebnisse zur Folge.
Vor allem wird durch ein Weicherwerden der Röhre die Oberflächen-
dosis sofort sehr stark gesteigert, wenn die Röhrenentfernung nur gering
ist. Es besteht aus diesem Grunde bei einer allzu großen Annäherung
der Röhre an die Haut die Gefahr, daß die Erythemdosis überschritten
und eine Schädigung der Haut herbeigeführt wird sobald an der Abdeckung
etwas versagt.
Unter den Umständen können wir uns bisher der Empfehlung der
Bestrahlung aus 5 cm Röhrenentfernung noch nicht anschließen. In be-
sonderen Fällen, im Interesse einer möglichst schnellen Wirkung, haben
wir allerdings unter besonderen Vorsichtsmaßregeln auch schon davon
Gebrauch gemacht.
Verringerung der Schlagfolge in der Röntgenröhre.
Es ist dann weiterhin von Dessauer empfohlen worden, im Interesse
einer gesteigerten Tiefenwirkung die Unterbrechungszahl des elektrischen
Stromes und dadurch die Schlagfolge in der Röntgenröhre zu verringern.
Wir haben ausgedehnte Erfahrungen über diesen Punkt sammeln können,
da mehrere Monate hindurch alle Tiefenbestrahlungen auf diese Weise
ausgeführt wurden.
Darnach ist kein Zweifel, daß die relative Tiefendosis bei der Be-
strahlung mit langsamen Unterbrechungen steigt. Insofern liegen die Ver-
hältnisse für die Tiefenbestrahlung tatsächlich günstig. Ein weiterer Vor-
teil ist, daß die Röhren sehr geschont werden und deshalb eine lange
Lebensdauer haben. Besonders vorteilhaft und wichtig für die Tiefen-
bestrahlung aber war es, daß die Röhren sehr konstant hart blieben.
Trotzdem haben wir diese Art der Bestrahlung seit langem wieder
aufgegeben. Die relative Tiefendosis stieg zwar bei ihr, die absolute aber
war wesentlich geringer als bei den gewöhnlichen schnellen Unterbrechungs-
zahlen. Man mußte infolgedessen viel länger bestrahlen, um eine gleiche
absolute Wirkung in der Tiefe zu erzielen. Diese langen Bestrahlungs-
zeiten ließen sich auf die Dauer nicht durchführen. '
Der Röhrenverbrauch hat sich allerdings seit dieser Zeit erheblich ge-
steigert. Noch unangenehmer machten sich die Schwierigkeiten geltend,
die Röhren dauernd auf dem nötigen Härtegrade zu halten.
Um diesen Mißständen abzuhelfen, haben Reiniger, Gebbert &
Schall eine besondere Vorrichtung konstruiert, die von Gauss auf der
letzten Naturforscherversammlung vorgeführt und von Janus beschrieben
wurde. Durch diese wird in bestimmten Zwischenräumen die Röhre zur
Methodik der Röntgenbestrahlung in der Gynäkologie. 375
Erholung für einen Augenblick ruhig gestellt. Hierdurch wird eine lange
Lebensdauer und ein besonderer Härtegrad der Röhre erzielt.
Ich habe versucht, das gleiche zu erreichen durch vorübergehende
Einstellung des Wehneltunterbrechers auf langsame Unterbrechungen. In-
sofern machen wir auch jetzt noch zeitweise von der Bestrahlung mit
langsamen Unterbrechungen Gebrauch.
Künstliche Änderung der Empfindlichkeit der bestrahlten
Gewebe gegenüber Röntgenstrahlen.
Vollständig außer Acht gelassen wurde bisher die Frage der Empfind-
lichkeit (der Sensibilität) der bestrahlten Gewebe gegenüber den Röntgen-
strahlen.
Diese Frage ist aber gerade für die Tiefenbestrahlung von der aller-
größten Bedeutung. Die Wirkung der Röntgenbestrahlung ist nämlich
nicht allein abhängig, wie hier bisher gesagt wurde, von ihrer Intensität,
ihrer Zeitdauer und dem Absorptionskoeffizienten des bestrahlten Gewebes,
sondern auch von der speziellen Empfindlichkeit dieses Gewebes gegenüber
den Röntgenstrahlen. Je nach der Gewebsart ist diese Empfindlichkeit
aber eine ganz verschiedene.
Hierdurch rückt ein Erfolg bei der Tiefenbestrahlung überhaupt erst
in den Bereich der Möglichkeit, da wir bei ihr tiefliegende Gewebe schä-
digen, die oberflächlichen, und daher den Strahlen viel mehr ausgesetzten
aber schonen wollen. :
Praktische und experimentelle Erfahrungen zwingen zu der Annahme,
daß ganz besonders die Keimdrüsen eine hohe Empfindlichkeit gegenüber
Röntgenstrahlen aufweisen.
Man hat nun aber auch versucht, die Empfindlichkeit der Gewebe
künstlich zu ändern; bei der Tiefenbestrahlung natürlich in der Weise,
daß man sie bei den tiefen Geweben zu steigern, bei der Haut herab-
zusetzen suchte. Eine Möglichkeit wurde hierzu durch die von G. Schwarz
gemachte Feststellung geboten, daß anämisch, blutarm gemachte Gewebe
schwer, hyperämische, blutreiche aber leicht auf Röntgenstrahlen reagieren.
Die einfachste Art, die Haut anämisch zu machen, ist die durch
Druck, durch Kompression. Man kann sie bei der Bestrahlung mittels
eines Tubus, einer Art Kompressionsblende leicht dadurch erzielen, daß
man die Aluminiumplatte, die zur Hautabdeckung dient, am unteren Ende
des Tubus anbringt und diesen dann fest auf die Haut aufdrückt. Von
diesem weiteren Hilfsmittel zur Erhöhung des Hautschutzes soll man im
Interesse eines solchen ganz gewiß soweit als möglich Gebrauch machen.
Wir haben es bisher aber noch nicht gewagt, im Vertrauen darauf die
Hautdosis zu steigern. Dazu schien uns die vorliegende Erfahrung noch
376 = Heynemann,
zu gering zu sein. Aus diesem Grunde habe ich auch von den kom-
plizierten Methoden zur Erzielung der Hautanämie (Adrenalininjektionen)
keinen Gebrauch gemacht.
Viel wünschenswerter wäre es natürlich, wir könnten die Empfind-
lichkeit von Uterus und Ovarien künstlich steigern. Hierfür käme nach
dem heutigen Stande der Dinge wohl nur die Wärmeapplikation in das
Scheidengewölbe in Betracht. Eigene Erfahrungen über diesen Punkt
stehen mir aber noch nicht zur Verfügung.
Bestrahlung der Tiefe von verschiedenen Hautabschnitten aus.
Unbedingt anzuerkennen ist im Prinzip für die Tiefenbestrahlung die
sog. Felderbestrahlung, d. h. die Bestrahlung von verschiedenen Seiten
aus, bei der gleichzeitig mit Ovarien und Uterus nacheinander verschiedene
Hautpartien bestrahlt werden. Wir mögen die Technik sonst einrichten
wie wir wollen, immer wird in der Övarientiefe nur ein Bruchteil der
Strahlen zur Absorption kommen, die die Haut absorbiert. Nur die
Felderbestrahlung gibt uns die Möglichkeit, hier noch mehr zu erreichen.
Kann so über die Richtigkeit der Felderbestrahlung im Prinzip ein
Zweifel gar nicht bestehen, über Einzelheiten ihrer Ausführung gehen die
Anschauungen gerade bei der gynäkologischen Tiefenbestrahlung noch weit
auseinander. Die Zahl und die Größe der Hautfelder wird von den ver-
schiedenen Autoren ganz verschieden gewählt.
Dieser Punkt führt uns bereits zu den Maßnahmen, die nicht mehr
die Tiefenbestrahlung im allgemeinen, sondern die der weiblichen Geni-
talien im besonderen betreffen.
Unbedingt notwendig erscheint es mir, die Wahl der Bestrahlungs-
felder so einzurichten, daß Uterus und Ovarien auch sicher im direkten
Bereich des Strahlenkegels liegen. Damit sind aber der Zahl der Felder
und ihrer Verkleinerung bestimmte Grenzen gesetzt.
Sehr wichtig für diesen Punkt ist die Wahl der Röhrenentfernung.
Je geringer sie ist, desto kleiner und damit auch desto zahlreicher können
wir die Felder, d. h. den der Bestrahlung ausgesetzten Hautbezirk wählen
(M. Fränkel). Hier ist unter sonst gleichen Verhältnissen der Strahlen-
kegel in der Ovarientiefe größer, als bei weiterer Röhrenentfernung. Uterus
und Ovarien werden also sicherer von ihm getroffen werden. Es ist dies
ein Punkt, der entschieden für die möglichste Annäherung der Röntgen-
röhre an den bestrahlten Körper ins Gewicht fällt.
Andererseits läßt sich für die Bestrahlung mit weiterer Röhrenent-
fernung ins Feld führen, daß die dadurch ermöglichte Anwendung eines
Tubus das sichere Treffen des Uterus und der Ovarien durch schräge Ein-
stellung der Röhre erreichen läßt. Weiterhin kann man hier durch Kom-
Methodik der Röntgenbestrahlung in der Gynäkologie. 377
pression, durch Aufdrücken des Tubus auf die Haut die zu bestrahlenden
Gewebe der Röhre nähern und die Haut selbst anämisch machen.
Mir erscheint in dieser Frage, wie schon betont wurde, die möglichst
weitgehende Sicherung der Haut gegen Röntgenschäden ausschlaggebend
zu sein. Aus diesem Grunde glaube ich bisher die Bestrahlung mit naher
Röhrenentfernung (5 cm) nicht empfehlen zu können.
Damit ist uns aber auch der Weg in der Frage der Felderbestrahlung
vorgeschrieben. Wir wählen sie nicht unter 7 cm im Durchmesser. Bei
etwa normal großem Uterus wird im allgemeinen zweimal vom Leibe aus
und einmal vom Rücken her bestrahlt, bei größeren Tumoren (Myomen)
und im Interesse einer möglichst schnellen Wirkung auch viermal vom
Leibe, einmal vom Rücken und je einmal von jeder Seite her.
Schutz der nichtbestrahlten Körperpartien.
Vor allem seit Anwendung der stark penetrierenden harten Strahlen
und seit Einführung der Felderbestrahlung mit der dadurch bedingten
starken Erhöhung der applizierten Gesamtdosis, gewinnt der Schutz der
nichtbestrahlten Körperpartien eine erhöhte Bedeutung. Er darf unter
keinen Umständen vernachlässigt werden.
Dieser Schutz kann auf zweifache Weise erzielt werden, entweder
durch Umhüllung der Röntgenröhre oder durch Abdeckung der bestrahlten
Patientin. ,
Obwohl das erstere einfacher und bequemer ist, scheint uns im Prinzip
das Letztere das Richtigere zu sein, weil uns dann eine dauernde Beobach-
tung der Röntgenröhre möglich wird. Wir decken daher die Patientin in
ihrer ganzen Ausdehnung ab und zwar jetzt mit Röntgenschutzstoff von
Seiffert (Hamburg).
Mindestens ebenso sehr muß geachtet werden auf den Schutz der die
Apparate bedienenden Personen. Er wird in der bekannten Weise am
besten durch Schutzhüllen oder zum mindesten durch Schutzwände erzielt.
Besondere Maßnahmen bei der gynäkologischen Röntgen-
bestrahlung.
Von den besonderen Maßnahmen, die gerade bei der gynäkologischen
Tiefenbestrahlung zu treffen sind, und von denen die spezielle Auswahl
der zu bestrahlenden Hautfelder bereits besprochen wurde, stehen ganz in
dem Vordergrunde die, welche die ungewollte Bestrahlung bös-
artiger Tumoren verhindern sollen. |
Klimakterische Blutungen und Myome geben bei weitem am häufigsten
Veranlassung zur Röntgenbestrahlung in der Gynäkologie. Bei beiden Er-
krankungen haben wir mit dem Vorhandensein bösartiger Tumoren zu
378 Heynemann,
rechnen. Entziehen sich diese der Diagnose, wird sofort zur Röntgen-
bestrahlung und nicht wie bisher zur Ausschabung oder zur Operation
geschritten, so kann der richtige Zeitpunkt für die Operation verpaßt
werden.
Es muß aber doch betont werden, daß diese Gefahr bei wirklich
sachgemäßem Vorgehen außerordentlich eingeschränkt werden kann. Not-
wendig ist allerdings, daß jede nur mögliche Vorsichtsmaßregel gegen ein
solches Vorkommnis getroffen wird.
1. Als erste Maßregel steht hier voran, daß gynäkologische Röntgen-
bestrahlungen nur vom Gynäkologen vorgenommen werden sollen.
Ebensogut ist es selbstverständlich, wenn sie der Röntgensachver-
ständige unter gleichzeitiger Mitbeobachtung der Kranken durch
einen Gynäkologen ausführt.
2. Beim geringsten Verdacht auf Malignität der Erkrankung muß
stets an Stelle der Röntgentherapie die Operation treten.
3. Da im klimakterischen Alter bei jeder Blutung an die Möglichkeit
einer bösartigen Neubildung zu denken ist, so muß hier stets vor
Beginn der Röntgenbehandlung eine Ausschabung oder Probe-
exzision zur Sicherung der Diagnose gemacht werden. Das gleiche
soll auch sonst geschehen, wenn es sich um unregelmäßige Blu-
tungen (Metrorrhagien) handelt.
4. Wenn bei Myomen nach der Bestrahlung kein Erfolg oder sogar
ein weiteres Wachstum der Tumoren eintritt, ist wegen Verdacht
auf Malignität oder submukösem Sitz eines Tumors zur Operation
zu schreiten.
Alle anderen speziellen Maßnahmen treten im Vergleich zu diesen
ganz in den Hintergrund. Steht die Wahl des Zeitpunktes der Be-
strahlung frei, so wird man möglichst immer kurz nach einer Menstruation
und nicht kurz vor einer solchen bestrahlen, um ein vorübergehendes
Stärkerwerden der Blutungen zu vermeiden.
Ein wichtiger Vorzug der Röntgenbehandlung ist, daß sie ambulant
ausgeführt werden kann. Unmittelbar nach der Bestrahlung klagten
manche, von den Patienten aus den besseren Ständen sogar die meisten,
über Abgeschlagensein und Mattigkeit.e. Hier wird es sich wohl nur um
Folgen der Aufregung und psychische Beeinflussung handeln. Immerhin
wird allen Frauen aus diesem Grunde nach dem Bestrahlen Gelegenheit
zum Ausruhen gegeben. Weitere Schwierigkeiten haben sich bei der am-
bulanten Bestrahlung nicht ergeben.
Die Frage, ob auch sehr anämische Patienten noch bestrahlt
werden sollen, gehört eigentlich schon in das Gebiet der Indikationsstellung.
Wir glauben, daß gegen einen Versuch mit der Röntgenbehandlung auch
Methodik der Röntgenbestrahlung in der Gynäkologie. 879
hier nichts einzuwenden ist. Auch wir haben unter solchen Umständen
noch ein Aufhören der Blutung und Heilung eintreten sehen. Dieses
Vorgehen läßt sich aber nur rechtfertigen, wenn jederzeit sofort zur Ope-
ration geschritten werden kann. Hier treten die Vorteile der Bestrahlung
in einer gynäkologischen Klinik oder in einer allgemeinen Krankenanstalt
mit Gelegenheit zum ÖOperieren und zum Bestrahlen deutlich zu Tage.
Erscheint es notwendig, so wird die Operation die Bestrahlung unterbrechen
müssen. 4 Patienten haben wir unter solchen Umständen operiert, alle
mit gutem Erfolg.
Fasse ich das Gesagte nochmals kurz zusammen, so scheint mir bei
der Methodik der Röntgenbestrahlung in der Gynäkologie das Wichtigste
zu sein, daß jede Schädigung unbedingt vermieden wird. Der Haupt-
vorzug dieser Behandlungsmethode ist ihre Gefahrlosigkeit. In diesem
Punkte ist sie der operativen Therapie überlegen. Noch so günstige Operations-
statistiken können die Erfahrungstatsache nicht aus der Welt schaffen,
daß überall immer wieder einmal auch bei weniger gefährlichen Operationen
Todesfälle vorkommen.
Wir glauben bestimmt, daß bei der von uns angewandten Methodik
eine Schädigung ausgeschlossen ist. |
Verwandt werden zur Bestrahlung nur harte Röhren (etwa 8 Benoist,
6 Benoist-Walter, 10—11 Wehnelt). Der Härtegrad der Röhre ist von
direkt ausschlaggebender Bedeutung. Jede Änderung in der Röhrenhärte
hat sofort eine Änderung in der verabreichten Oberflächen- und Tiefendosis
zur Folge und kann eine Änderung der Bestrahlungsdauer notwendig machen.
Die bestrahlte Hautfläche wird geschützt durch Auflegen einer 3 mm
Aluminiumplatte. Durch Aufpressen der Platte auf die Haut wird diese
anämisch, und ein weiterer Schutz für sie wird erzielt. Die Hautdosis wird
kontrolliert durch Kienböckstreifen und nach Holzknecht-Sabouraud.
Gegeben wird an jeder bestrahlten Hautstelle die Erythemdosis, und zwar
nicht auf einmal, sondern in 3 Sitzungen an 3 aufeinander folgenden Tagen.
Dann folgt eine Pause von ca. 3 Wochen.
Die Tiefenwirkung wird kontrolliert durch Unterlegen eines Kienböck-
streifens unter die entgegengesetzte Körperoberfläche.
Die Röhrenentfernung beträgt 16 cm (die Fokus-Distanz 27 cm).
Bestrahlt wird mit einem Tubus von 10 cm Durchmesser an 2 Stellen
vom Leibe, einmal vom Rücken aus. Bei großen Myomen und zur Er-
zielung schneller Wirkung wird von 4 Stellen des Leibes und je einmal
von jeder Seite und vom Rücken aus bestrahlt.
Die nichtbestrahlten Körperpartien werden durch Röntgenschutzstoff
in ihrer ganzen Ausdehnung abgedeckt und geschützt.
Bei allen Blutungen im höheren Alter und bei unregelmäßigen Blu-
350 Heynemann, Methodik der Röntgenbestrahlung in der Gynäkologie.
tungen in jedem Lebensalter geht der Bestrahlung eine Ausschabung oder
Probeexzision zur Ausschließung maligner Tumoren voraus. Bei jedem
Verdacht auf Malignität, also auch beim Ausbleiben eines Erfolges, wird
operiert.
Literatur.
Albers-Schönberg, Die Röntgentherapie in der Gynäkologie. Zentralbl. f. Gynäkol.
1909, Nr. 5, S. 179. |
Derselbe, Verhandlungen der Deutschen Röntgengesellschaft 1909—1912.
Christen, Th., Röntgenphotographie und Röntgentherapie. Zwei komplementäre
Probleme. Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen 1910, Bd. 15,
S. 348.
Derselbe, Über die Dosierung der Röntgenenergie. Münch. med. Wochenschr.
1911, Nr. 37, S. 1969.
Fraenkel, Manfred, Die Röntgenstrahlen in der Gynäkologie. Berlin 1911 (bei
Richard Schoetz).
Gauss, Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte 1911 in Karlsruhe und
Gynäkol. Gesellsch. in Berlin, Sitz. v. 8. III. 1912.
Hofmann, Albin, Elektrometrische Messungen harter Röntgenstrahlen. Inaug.-
Dissert., Halle a. S. 1910, S. 42, 43, 46.
Janus, Friedrich, Über die Technik der Röntgenbestrahlung tiefliegender Gewebe.
Münch. med. Wochenschr. 1912, Nr. 11, S. 583.
Lindrum, W., Die Beziehungen zwischen Oberflächen- und Tiefenwirkung harter
Röntgenstrahlen ohne und mit Benutzung von Filtern. Inaug.-Dissert.,
Halle a. S., 1912.
Meyer u. Ritter (Kiel), Biologische Strahlenwirkung. VIII. Kongreß der Deutschen
Röntgengesellschaft, 13. u. 14. IV. 1912. Ref. Münch. med. Wochenschr. 1912,
Nr. 18, S. 1011.
Perthes, Versuch einer Bestimmung der Durchlässigkeit des menschlichen Gewebes
für Röntgenstrahlen mit Rücksicht auf die Bedeutung der Durchlässigkeit der
Gewebe für die Radiotherapie. Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgen-
strahlen. Bd. 8.
Schwarz, G., Über Desensibilisierung gegen Röntgen- und Radiumstrahlen. Münch.
med. Wochenschr. 1909, Nr. 24, S. 1217.
Wetterer, J., Handbuch der Röntgentherapie. Leipzig 1908 bei Otto Nemnich.
Die Grundlagen der Methodik der Röntgentherapie in der
Gynäkologie.')
Von
Privatdozent Dr. Hans Meyer-Kiel.
YN ie Bewertung der Röntgentherapie in der Gynäkologie ist, trotzdem
das Verfahren nun doch schon seit mehreren Jahren in die Frauen-
heilkunde Eingang gefunden hat, zur Zeit noch eine außerordentlich ver-
schiedene. Auf der einen Seite begeisterte Zustimmung, ja Enthusiasmus
— auf der anderen schroffe Ablehnung und Skeptizismus, auf der einen
Seite lesen und hören wir von sehr namhaften Gynäkologen, daß mit
Hilfe dieser physikalischen Energie so glänzende Resultate erzielt werden,
sodaß z. B. bei der Behandlung der Myome die Röntgentherapie in allen
Fällen die operative Therapie verdrängt hat — auf der anderen Seite
hören wir von Mißerfolgen, sodaß in manchen Fällen die Operation bei
einem bis dahin vergeblich bestrahlten Falle die Heilung erst herbeiführte,
auf der einen Seite vertritt man die Ansicht, daß unter allen Umständen
das physikalische Heilverfahren, wenn es dasselbe leistet wie die Operation,
vor dieser den Vorzug verdient, da es auf unblutigem und daher un-
gefüährlichem Wege sein Ziel erreicht — auf der anderen Seite wiederum
kann man sich nicht entschließen, dem physikalischen Verfahren überhaupt
Eingang in die Klinik zu verschaffen. So wogt der Kampf der Meinungen
unter den Gynäkologen im Streite um dieses Problem zur Zeit hin und
her. Nur über einen Punkt dürfte Einigkeit herrschen.
Die Röntgentherapie in der Gynäkologie soll in Konkurrenz treten
mit einer glänzend ausgebauten Operationstechnik, die mit ihr erzielten
Resultate sollen in Parallele gesetzt werden und verglichen werden mit
Resultaten einer Methode, die in langjähriger Arbeit von den Operateuren
auf eine hohe Stufe der technischen Ausbildung und Vollendung gebracht
werden konnte. Daraus ergibt sich mit aller Notwendigkeit wohl die
Forderung, die röntgentherapeutische Methodik ganz besonders für die
Gynäkologie so auszubauen, dal wir mit der Röntgentherapie nun nicht
nur irgend eine beliebige Wirkung auf die zu beeinflussenden Organe,
sondern daß wir in jedem Einzelfalle die bestmögliche und die schnellste
Wirkung erzielen, die überhaupt mit der röntgentherapeutischen Methode
1) Nach einem in der Nordwestdeutschen Gynäkologen-Vereinigung am 11. Mai
1912 in Hamburg, sowie einem am 15. Juli 1912 in der Medizinischen Gesell-
schaft in Kiel gehaltenen Vortrag.
382 Meyer,
zu erzielen ist. Erst dann, wenn wir dieses Ziel erreicht haben, erst dann
können wir die mit der Röntgentherapie erzielten Resultate mit den
Operationsresultaten in Parallele setzen und es ist wohl klar, daß bei
Beurteilung der in der Literatur niedergelegten Erfahrungen, namentlich
über Mißerfolge der Röntgentherapie, in erster Linie auch in Erwägung
zu ziehen ist, wie weit diese durch eine unzulängliche Methodik entstanden
sind und durch eine einwandsfreie Methodik hätten vermieden werden
können.
Wenn wir uns nun aber die Frage vorlegen und in der Literatur
darüber Auskunft erheischen, was man denn nun unter einer einwands-
freien Methodik verstehen soll, so gehen die Anschauungen darüber
— was ja bei einer so jungen Disziplin auch nicht verwunderlich ist
— fast ebenso weit auseinander, wie über die Bewertung der Röntgen-
therapie in der Gynäkologie überhaupt. Es herrscht hier ein ziemlich
großer Wirrwarr, der wohl zum Teil daher rührt, daß über die für die
Bearbeitung der Methodik erforderlichen wissenschaftlichen Grundlagen
eine Einigung nicht hat erzielt werden können. Es gibt kaum zwei Kliniken,
wo die Methodik in gleicher Weise gehandhabt wird, ein Zustand, der für
die wissenschaftliche Ausgestaltung des Verfahrens sicher nicht von Vorteil
sein kann. Ja es haben sich sogar schon Parteien unter den Gynäkologen
gebildet, die ihre Methodik auf gänzlich verschiedenen Voraussetzungen
aufbauen: auf der einen Seite die Hamburger Richtung, auf der anderen
die Freiburger Schule. Die Hamburger sind mehr für ein langsames,
bedächtiges Vorgehen und arbeiten mit recht einfacher Technik, die Frei-
burger wiederum fordern ein forciertes sehr energisches Verfahren, und
glauben ihr Ziel nur erreichen zu können mit einer recht komplizierten
Methode, mit der, wie die Berichte aus der Freiburger Klinik lehren,
bewundernswerte und wie es scheint sonst nicht erreichte Erfolge zu er-
zielen sind, von der man aber doch sagen muß, daß sie, in ihrer heutigen
Gestalt nur in größeren Kliniken mit spezialistisch geschulten Ärzten an-
wendbar, in das Rüstzeug des gynäkologischen Praktikers wohl kaum wird
übergehen können. I
Unter diesen Umständen schien es uns eine sehr dankbare Aufgabe
zu sein, den wissenschaftlichen Grundlagen für die Methodik der gynä-
kologischen Bestrahlungstechnik in einer Reihe von Arbeiten unsere Auf-
merksamkeit zuzuwenden.
Wir können das vorliegende Material am besten nach drei Richtungen
hin orientieren, da es sich im wesentlichen um drei Faktoren handelt, die
bei dem Ausbau der Methodik zu berücksichtigen waren: zuerst die Meß-
technik, zweitens das Studium der Strahlenqualität in ihrer Beziehung zur
Tiefenverteilung und zur Tiefenwirkung der Röntgenstrahlen und schließ-
Methodik der Röntgentherapie in der Gynäkologie. 383
lich die Frage der Konzentrierung der Strahlen auf die zu beeinflussenden
Organe.
Es kann nicht genug betont werden, daß für die Röntgentherapie die
Einführung der exakten Dosimetrie, d. h. die Einführung von Methoden
zur Strahlenmessung eine völlige Umwälzung dieses Verfahrens bedingt hat
und daß erst die Dosierung der Strahlen aus rein STHPIEONEN Versuchen
eine sicher zu beherrschende Methode schuf.
Wenn wir einem Patienten ein Medikament mit einer Maximaldosis
verschreiben, so wünschen wir, daß zweierlei bei demselben berücksichtigt
wird: seine Qualität und seine Quantität. Die Röntgenstrablen sind nun
ein derartiges Medikament mit einer Maximaldosis, und es ergibt sich
daraus für den Arzt die unabweisliche Pflicht, daß er die Strahlen so-
wohl hinsichtlich der Qualität wie auch der Quantität auf das genaueste
abmißt. Man muß nun ohne weiteres zugeben, daß die Meßmethoden, die
uns heute für die Röntgenstrahlen zur Verfügung stehen, nicht mit der-
selben Präzision arbeiten wie z. B. die Wage für chemische Medikamente,
und es unterliegt keinem Zweifel, daß auf diesem Gebiete noch Fortschritte
gemacht werden, aber trotzdem besteht schon heute die Möglichkeit für
den Praktiker, sich mit Hilfe der heute vorhandenen Meßgeräte eine völlig
hinreichende Kenntnis sowohl bezüglich der Qualität wie auch der Quanti-
tät der Strahlungen zu verschaffen.
Der größte Nutzen, der sich aus dieser exakten Dosimetrie ergibt,
ist ja der, daß wir erst mit ihrer Hilfe in der Lage sind, die Röntgen-
therapie aus einem gefährlichen zu einem durchaus gefahrlosen Verfahren
umzugestalten, und wenn wir heute die Behauptung aufstellen, daß wir dem
Kranken, den wir der Röntgentherapie unterziehen, unter allen Umständen
Schädigungen ersparen können, so danken wir das nicht zum wenigsten
der von der Wiener Schule inaugurierten und ausgebauten Meßmethodik,
deren präzise Handhabung allerdings ebenso gründliche Ausbildung voraus-
setzt, wie jede andere subtile Methode in der Medizin.
Welche Schädigungen sind nun in der Röntgentherapie der gynä-
kologischen Leiden zu befürchten? Eine vieltausendfache Erfahrung in
der röntgenologischen Tiefentherapie, von der ja die Röntgentherapie in
der Gynäkologie nur ein Ausschnitt ist, hat gelehrt, daß es in der Praxis
in allererster Linie auf Vermeidung von Schädigungen der Haut ankommt,
und daß dem gegenüber etwaige Schädigungen innerer Organe, wie Leber,
Nieren, Darm, Blase, Milz, Lymphdrüsen oder Schädigungen des Blutes
eine weit geringere Rolle spielen. Das liegt in erster Linie wohl daran, daß
die drüsigen Organe, wie z. B. die Leber und die Niere, sehr wenig rönt-
genempfindlich sind, wie sowohl Tierexperimente als auch Beobachtungen
am Menschen mit Sicherheit gelehrt haben, zum Teil hat es wohl darin
384 Meyer,
seinen Grund, daß der Körper bei den radiosensiblen wie z. B. den blut-
bildenden Organen, wie es scheint, über weitgehende Regulierungsmöglich-
keiten verfügt, um die Schädigungen dieser Organe, die bei der Tiefen-
therapie eintreten können, relativ rasch wieder auszugleichen. Wir konnten
— ähnlich wie Wöhler das schon s. Zt. auf Grund seiner Untersuchungen
an der Bonner Klinik beschrieben hat — regelmäßig schon kurze Zeit
nach der Bestrahlung des Abdomens, wie sie in der gynäkologischen
Tiefentherapie erforderlich ist, eine deutliche Veränderung des Blutbildes
konstatieren, nämlich eine ausgesprochene Leukozytose: die Differenz ın
der Leukozytenzahl kann vor und nach der Bestrahlung bis zu 5000 be-
tragen. Diese Leukozytose nalım regelmäßig in den folgenden Stunden
zu, bis ungefähr innerhalb 8—10 Stunden der Höhepunkt erreicht war,
dann folgte wieder ein allmähliches Absinken der Zahl der weißen Blut-
körperchen, bis nach 24 Stunden der Befund wieder ein normaler war.
Auch bei wiederholt zu therapeutischen Zwecken bestrahlten Patientinnen
ergab die fortlaufende Blutuntersuchung auch hier wieder regelmäßig den
Leukozytenanstieg nach der Bestrahlung, aber regelmäßig waren auch hier
am andern Tage die Leukozytenwerte wieder zur Norm zurückgekehrt.
Selbstverständlich bedürfen gerade diese recht ausgesprochenen Blutverände-
rungen noch am Krankenbette in den gynäkologischen Kliniken sehr ein-
gehender Studien und es ist durchaus wichtig, festzustellen, ob das Blut-
bild auch bei über lange Zeiträume sich erstreckenden Bestrahlungsserien
nicht doch schließlich eine dauernde Veränderung aufweist. Unsere Unter-
suchungen sind nach der Richtung hin noch nicht abgeschlossen. Immer-
hin legen diese Beobachtungen den Gedanken nahe, daß dem Körper
Regulierungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, um die durch die Strahlen
hervorgerufenen Änderungen des Blutbildes rasch zu paralysieren und so
wird es kommen, dal3 Blutschädigungen, die klinisch besonders hervor-
getreten wären, bei der Tiefentherapie bis jetzt m. W. nicht beschrieben
sind. Bei dem Vergleich der Tierexperimente, die ja von einer großen
Anzahl von Autoren angestellt sind (Heinecke, Krause, Ziegler, Auber-
tin und Beaujard u. a.) und wo sich übereinstimmend die schwersten
Zerstörungen der blutbildenden Organe nachweisen ließen, mit den Beob-
achtungen am Menschen ist ja zu berücksichtigen, daß die kleinen Tiere
am ganzen Körper ein Röntgenlichtvollbad bekommen, während es sich
beim Menschen doch nur um regionäre Bestrahlungen handelt mit rascher
Abnahme der biologisch wirksamen Dosen nach der Tiefe zu. Wir haben
auf Grund von Versuchen mit Erbsenkeimlingen!) die Anschauung ge-
wonnen, daß die biologisch wirksame Röntgenstrahlenenergie von der Ober-
» Vgl. diese Zeitschrift S. 172.
Methodik der Röntgentherapie in der Gynäkologie. 385
fläche des Körpers nach der Tiefe zu rascher abnimmt als wie man das
auf Grund von anderweitig vorgenommenen Messungen angenommen hatte,
ein Umstand, der natürlich für die röntgentherapeutische Technik der Tiefen-
bestrahlungen eine sehr wesentliche Erschwerung bedeutet, der aber für
die Frage der Röntgenschädigungen innerer Organe z. B. durch vaga-
bundierende Strahlen ein günstiges Moment darstellen muß.
Wir denken also bei der Besprechung der Röntgenschädigungen in
erster Linie an solche der Haut. Was sollen wir nun hier unter einer
Röntgenschädigung verstehen, sollen wir erst dann von einer solchen
sprechen, wenn dem Kranken durch fehlerhafte Dosierung ein Ulkus in
die Haut gebrannt ist, das ihm ungeheure Schmerzen verursacht und das
erst nach Monaten und Jahren, womöglich erst mit Hilfe schwerer Ope-
rationen zur Heilung kommt, oder haben wir schon mit geringeren Graden
von Röntgenschädigungen zu rechnen?
Wir wissen heute, daß schon nach einer einzigen schweren Reaktion der
Haut, also nach einer einzigen heftigen Röntgendermatitis sich noch nach
Jahren der Zustand der Röntgenatrophie der Haut einstellen kann, ein
Ereignis, das nicht nur aus kosmetischen Gründen vermieden werden muß,
sondern vor allem auch deswegen unsere volle Beachtung verdient, weil
diese röntgenatrophischen Stellen, wie die Erfahrung gelehrt hat, wenn
auch nur in seltenen Ausnahmefällen, zu malignen Neubildungen disponieren
können. Von ganz besonderer Bedeutung aber sind die Erfahrungen von
Speder, d’Halluin, Schultz u. a., welche gelehrt haben, daß auch
solche Spätatrophieen sich einstellen können bei öfters wiederholten Röntgen-
bestrahlungen, namentlich bei Anwendung harten Lichtes, ohne daß irgend-
wie nennenswerte Erytheme beobachtet werden, und daß sich aus diesen
Spätatrophieen noch nachträglich — also auch noch nach Jahresfrist —
typische Röntgenulzera entwickeln können. Es ist interessant, daß wir auf
Grund unserer biologischen Experimente schon vor Kenntnis dieser Spät-
folgen auf die Möglichkeit solcher, gerade bei der Anwendung sehr harter
gefilterter Röntgenstrahlen, hinweisen konnten und daß uns die Berück-
sichtigung der Ergebnisse dieser experimentellen Untersuchungen, trotzdem
wir seit Jahren die gefilterte Strahlung anwenden, vor solchen Röntgen-
schädigungen bewahrt hat (vgl. diese Zeitschrift S. 180). Diese sehr
beachtenswerten Beobachtungen der französischen Autoren legen uns auch
für die Tiefentherapie die Pflicht auf, unsere Bestrahlungstechnik so ein-
zurichten, daß wir bei der Kumulierung der Einzeldosen immer unterhalb
der Grenze bleiben, bei welcher solche verhängnisvollen Spätfolgen auf der
Haut zu erwarten sind. Es gilt also einmal, eine Meßtechnik zu schaffen,
mit der es gelingt, die Dosen richtig abzumessen und weiter, was nicht
weniger wichtig ist, eine Maximaldosis festzulegen, d. h. die mit der
386 Meyer,
Integrität der Haut noch eben vereinbare, höchst zulässige Dosis bei der
für die gynäkologische Tiefentherapie in Frage kommenden Strahlenqualität
zu bestimmen. Beides war der Gegenstand von Untersuchungen.
Die Dosierung in der Röntgentherapie erfolgt am besten auf dem Wege
der Messung der Strahlenwirkung und es ist ganz besonders die von Holz-
knecht begründete Quantitätsmessung mit Hilfe der chemischen Wirkungen
der Röntgenstrahlen, welche die für die Praxis bedeutungsvollste Rolle
spielt, sei es nun, daß es sich um Farbenänderungen handelt, die unter
dem Einfluß der Strahlen im Bariumplatinzyanür auftreten, sei es, daß die
Einwirkung der Strahlen auf die Bromsilbergelatineschicht des photo-
graphischen Papieres (Kienböck) oder auf die Edersche Flüssigkeit für
diesen Zweck nutzbar gemacht wird (Schwarz).
Von den Instrumenten, die für diesen Zweck konstruiert sind, ist
weitaus am meisten im Gebrauch das von Sabouraud und Noire, und zwar
wohl deswegen, weil es bei einiger Übung relativ leicht zu handhaben ist.
Dieses Instrument wurde von Sabouraud, dem bekannten Forscher auf dem
Gebiete der Haarerkrankungen am Hospital St. Louis, aber s. Zt. zu einem
ganz bestimmten Zwecke konstruiert, nämlich um diejenige Dosis Röntgen-
strahlen ablesen zu können, welche eben hinreichend ist, um bei einer ganz
bestimmten Strahlenqualität Haare zum Ausfallen zu bringen, ohne daß es
zu einem bemerkenswerten Erythem der Kopfhaut kommt. Das Instrument
ist also geeicht für eine ganz bestimmte Strahlenqualität, und zwar für
mittelweiches Licht und für eine ganz bestimmte Dosis, nämlich die Epi-
lationsdosis, d. h. also die Dosis, die zu einer Lähmung der Zellen der
Haarpapille führt. Diese Dosis nennen wir eine sog. Normaldosis für
Sabouraud-Noire, die aber nur ihre Gültigkeit hat für mittelweiches Licht
vom Typus B W 5. Wenn wir die Strahlenqualität ändern, sei es nun,
daß wir härteres Licht nehmen oder weicheres, so wird damit auch natür-
lich sofort diese Normaldosis eine andere. Das vorliegende Instrument
wurde also von seinem Erfinder dazu angewandt, die Mikrosporieepidemie in
Frankreich wirksam bekämpfen zu können, wobei eine exakte vollkommene
Epilation der Kinderköpfe notwendig ist. Man wird zugestehen müssen,
daß das Dosimeter, richtig angewandt, seinem ursprünglichen Zweck in ganz
hervorragendem Maße gerecht wird, aber es ist wohl einleuchtend, daß in
dieser seiner ursprünglichen Bestimmung für einen ganz bestimmten Zweck,
nämlich zu Epilationen, nun auch ohne weiteres seine beschränkte An-
wendbarkeit in der allgemeinen Röntgentherapie begründet ist. Es ist
genau so, als wenn ich einem Arzte eine Wage in die Hand gebe, ihm
dazu ein einziges Gewichtstück lege und nun von ihm verlange, daß er
alles damit abwiegen soll. Es ist also notwendig — um bei dem er-
wähnten Bilde zu bleiben — entweder noch einen Satz anderer Gewichts
Methodik der Röntgentherapie in der Gynäkologie. 357
stücke hinzuzufügen oder aber eine besondere Methodik auszuarbeiten, die
es doch ermöglicht, mit diesem einen Gewichtstück jede beliebige Wägung
vorzunehmen. Den ersten Weg hat Holzknecht beschritten dadurch, daß
er dem Sabouraudschen Radiometer eine kontinuierliche Skala hinzufügte,
Ich habe den zweiten Weg eingeschlagen.
Das Wesen unserer Methode, die wir für die Tiefentherapie ausgear-
beitet haben, kann kurz folgendermaßen charakterisiert werden.
Es ist bekannt, daß die Röntgenstrahlen in Bezug auf Distanzabnahme
des Lichtes denselben Gesetzen folgen wie die übrigen Lichtstrahlen. Je
weiter die belichtete Stelle von der Strahlungsquelle entfernt ist, desto
geringer ist die indizierte Lichtstärke; beide Größen, Entfernung und Licht-
stärke stehen im umgekehrten und, da es sich um eine fokale Lichtquelle
handelt, im umgekehrten quadratischen Verhältnis. Die Intensitätsabnahme
des Lichtes kann man sich nach dem Vorgange Kienböcks!) in einer
Kurve aufzeichnen: Nehmen wir beispielsweise an, daß in 5cm Abstand
vom Fokus die Intensität 100 ist, so haben wir in 7,5cm Abstand nur
mehr 45°/, der Strahlung, in 10cm 25°/,, in 15cm 11,1°/, usw. Das
Wesen unserer Methode gründet sich nun auf dieses einfache Gesetz und
es besteht, kurz ausgedrückt, darin, daß die Fokusdosimeterdistanz, d. h.
die Entfernung des Dosimeters vom Emissionszentrum
derStrahlen variabel ist, während die Fokushautdistanz
gleich bleibt. Bekanntlich muß das Sabouraudsche Blättchen in
halber Fokushautdistanz angebracht werden und wenn wir dann bis zur
Teinte B bestrahlen, so erteilen wir der Haut die Normaldosis. Habe ich
beispielsweise einen Abstand Antikathode-Röhrenglaswand von 6 cm und
bringe ich jetzt das Sabouraudsche Blättchen in 4cm von der Glas-
wand an, so würde man die Normaldosis also in (6 +4) + 10 = 20 cm
Fokushautdistanz erreichen. Es ist nun nach den vorhergehenden Be-
merkungen über die Distanzabnahme des Lichtes ohne weiteres klar,
daß, wenn ich mit dem Dosimeter näher an den Fokus heranrücke, also
sagen wir von 10 auf 9cm, daß dann die auf das Dosimeter fallende
Lichtintensität sich entsprechend vergrößert, daß also die Sabouraud-
Dosis schneller erreicht wird und nun natürlich die therapeutische Dosis,
da ja die Fokushautdistanz von 20 cm dieselbe bleibt, um einen ganz
bestimmten Betrag verringert wird. Schiebe ich das Dosimeter noch näher
an die Glaswand und damit an den Fokus heran, so wird die therapeu-
tische Dosis natürlich weiter abgeschwächt und so fort. Also dadurch,
daß ich die Entfernung des Dosimeters von der Strahlenquelle ändere, es
näher an das Emissionszentrum der Strahlen heran bringe oder es weiter
t) Kienböck, Radiotherapie.
388 Meyer,
von ihm entferne, kann ich jede beliebige Variation der therapeutischen
Dosis herbeiführen.
Damit nun die erste Möglichkeit gegeben ist, daß das Dosinieter Me
möglichst nahe an die Strahlenquelle herangebracht werden kann, sind
von uns besondere Röhren für Tiefenbestrahlungen konstruiert worden,
welche dadurch ausgezeichnet sind, daß die Entfernung der Antikathode
von der Glaswand, also von der Austrittsstelle der Strahlen, recht gering
ist. Wenn eine solche Röhre nach Art der gewöhnlichen Röntgenröhren
Kugelform hätte, so würde natürlich der Kubikinhalt derselben außer-
ordentlich klein ausfallen, und da, wie die Erfahrung gelehrt hat, die
Lebensdauer einer solchen Röhre mit ihrem Kubikinhalte bis zu einem
gewissen Grade parallel geht, so hat man an diese kleine Röhre zwecks
Erhöhung des gesamten Luftinhaltes einen großen Glasballon angeschmolzen.
Diese von uns für Tiefenbestrahlungen angegebenen Röhren, die sich in
ihrer Form den früher für Oberflächenbestrahlungen konstruierten sog.
Zentraltherapieröhren nähern und die von der Firma Burger fabriziert
werden, haben in mehrjähriger klinischer Tätigkeit sich auch hinsichtlich
der Ökonomie des Verfahrens ausgezeichnet bewährt, so daß wir keinen
Anstand nehmen sie zu empfehlen.') In neuerer Zeit sind auch von der
Firma Müller (Hamburg), Wasserkühlröhren von demselben Typ wie diese
Burgerröhren konstruiert worden, die dann ebenfalls für unsere Meßtechnik
sich eignen. Wir werden darüber noch berichten.
Eine ganz besondere Sorgfalt ist bei unserer Methodik auf die Be-
festigung des Sabouraudschen Dosimeters an diesen Röhren verwendet.
Wir haben einen Bestrahlungskasten konstruieren lassen, der mit Schutz-
stoff und Bleiglas ausgekleidet die Röhre allseitig umschließt, so daß außer
dem Bestrahlungskegel, der durch Blenden auf eine bestimmte Breite ge-
bracht wird, keine Strahlen die Röhre verlassen. Es wird dadurch die
Abdeckung des Kranken außerordentlich erleichtert und ferner die Über-
flutung des Raumes mit Röntgenstrahlen und den schädlichen sekundären
Strahlen erheblich eingeschränkt. An diesem Kasten, der nun so kon-
struiert sein muß, daß er die Nachteile derartiger Schutzkästen, wie rasches
Heißwerden der Röhren und elektrostatische Aufladung der Bleiwände
nicht zeigt, ist nun das Dosimeter in der Weise angebracht, daß die Ent-
fernung Antikathode-Dosimeter auf Millimeter genau eingestellt werden kann,
wobei bei der Einvisierung der Antikathode zu berücksichtigen ist, daß
der Fokus nicht immer genau in der Mitte der Antikathode liegt, sondern
manchmal etwas darüber oder darunter. Das Dosimeter ist nun selber so
N Vgl. Ritter, Über rationellen Röhrenbetrieb in der Röntgentherapie
Münch. Med. Wochenschrift 1912, Nr. 3.
Do
Methodik der Röntgentherapie in der Gynäkologie. 389
befestigt, daß es zwar innerhalb des intensivsten Strahlungsrayons, ` aber
außerhalb des eigentlichen therapeutischen Bestrahlungskegels liegt, damit
nicht entsprechend der Bleiunterlage, auf der das Dosimeter ruhen muß,
eine bestimmte Quantität Strahlen aus dem Bestrahlungskegel heraus ge-
schnitten werden. Die ganze Anordnung ist so getroffen, daß auch wolıl
den weitgehendsten Ansprüchen auf Exaktheit Genüge geleistet ist.
Die Dosimetrie wird nun also, wie erwähnt, herbeigeführt durch
Variation der Fokusdosimeterdistanz. Wir haben die Sabouraud-Dosis
in 10 Teile geteilt, die dann den Kienböckschen quantimetrischen Ein-
heiten entsprechen würden und haben für jeden Teil die dazu gehörige
Dosimeterdistanz genau berechnet und in Tabelle 1 niedergelegt.
Tabelle 1.
Fokushautdistanz: 20 cm.
Dosis: Fokusdosimeterdistanz:
2X 14,1 cm
10 X 10 ie
9X 9,5 ,
8X 90 „
7X 84 „
6X Dl.
5X 705 „
Eine weitere Abstufung der Dosen hat sich bei mehrjähriger klinischer
Erprobung speziell für Zwecke der gynäkologischen Tiefentherapie als nicht
nötig erwiesen, denn wir sind in der Lage, mit Hilfe dieser Tabelle jede
in der Tiefentherapie irgendwie vorkommende Dosis zu applizieren, z. B.
die Dosis 12 X durch Addition der Dosen 6 + 6X, die Dosis 14 X
durch Addition der Dosen 7 +7 X u.s.f. Es würde ja nichts im Wege
sein, auch die Dosen von 10—20 X direkt auszurechnen und in die Tabelle
einzufügen, wir haben vorläufig aus praktischen Gründen davon Abstand
genommen, nur die Dosis 20 X, die, wie wir noch ausführen werden, in
der gynäkologischen Tiefentherapie als Maximaldosis angesprochen werden
muß, haben wir der Übersicht wegen beigefügt. Auch bei der Holz-
knechtschen Modifikation des Sabouraudschen Radiometers werden ja die
über 10 X. liegenden Dosen durch Addition der Einzeldosen appliziert.
Man könnte nun dieser Methode den Einwand der Ungenauigkeit
machen. Obwohl dieser Einwand durch eine mehrjährige Praxis, in der
wir nie eine solche Ungenauigkeit beobachtet haben, widerlegt ist, war es
immerhin erwünscht, noch auf einem anderen Wege die Genauigkeit der
Methode festzustellen. Es geschah das dadurch, daß wir versuchten, die
Genauigkeit der Einzeldosen an einem biologischen Testobjekt zu erproben.
Wir benutzten für diesen Zweck den wachstumshemmenden Einfluß der
Strahlen auf Pflanzenkeimlinge, die sich uns ja auch bei anderen Studien
235*
390 Meyer,
als ein brauchbares Versuchsobjekt erwiesen hatten. Wir wählten Erbsen-
keimlinge des zweiten Quellungstages uud konnten zunächst einmal fest-
stellen, daß die Erbsen um so stärker im Wachstum zurückblieben, je höhere
Röntgendosen die Keimlinge erhalten hatten, und zwar zeigte sich eine
stufenweise ansteigende Wachstumshemmung mit zunehmender Größe der
Dosen, sodaß schon Differenzen von 1 X bei dieser Versuchsanordnung
sich geltend machten. Die Versuche wurden nun so vorgenommen, daß
50 Erbsen mit einer bestimmten Dosis bestrahlt wurden, daß dann eine
zweite Serie Erbsen dieselbe, durch Addition von Teildosen gewonnene Dosis
erhielt und daß dann beide Serien zusammen mit unbestrahlten Kontroll-
pflanzen in dasselbe Beet gepflanzt wurden. Nach 14 Tagen konnte dann
leicht festgestellt werden, ob ein Unterschied in der Wachstumshemmung,
also in der biologischen Beeinflussung der Keimlinge zu konstatieren war.
Das Resultat geht aus folgender Tabelle 2 hervor:
Tabelle 2.1)
Größe der bestrahlten Kontrollen
Beet Dosen Pflanzen ca. 17 cm
a o ooo
6 X 136 „
444x 13
H 8 X 125
5+5X 94,
MI. 10 X g3
i 6+6X 86,
12 X 855.
z TTX 19,
14 X 18...
8+8X D2 5
vl. 16 X 50.
EBEN 99,
vi. 9 X g5
44444x 84,
VIII. x ap T |
Der Vergleich der in dasselbe Beet gepflanzten Keimlinge (und nur die
lassen sich vergleichen bei solchen Versuchen) ergibt einwandsfrei, daß die
auf einmal gegebenen größeren Dosen genau dieselben Resultate bezüglich
der Einwirkung auf Erbsenkeimlinge geben als wie die addierten kleineren.
Auch bei dreifacher Addition (3 + 3 + 3 oder 4 +4 -+ 4) ergeben sich
nicht die geringsten Unterschiede. Es wäre interessant festzustellen, ob
3) Die Bestrahlungen wurden in diesem Versuch in einer Entfernung von
30 cm vorgenommen, das Prinzip der Dosenberechnung, auf das es uns ja ankam,
ist damit natürlich nicht verändert. Für diese Versuche wurden auch die kleineren
Dosen 3 und 4 X berechnet. Die Untersuchungen wurden von Dr. Hans Ritter
angestellt.
Methodik der Röntgentherapie in der Gynäkologie. 391
auch bei anderen Meßmethoden, z. B. bei der Holzknechtschen Skala zum
Sabouraud, sich solche Genauigkeit und Übereinstimmung erreichen läßt.
Eine andere wichtige Frage ist die, ob dieses Verfahren ökonomisch
ist. Diese Frage erledigt sich von selbst, da wir z. B. zur Applikation
der halben Sabourauddosis bei diesem Verfahren genau die Hälfte der
Zeit gebrauchen u. s. Ê.
Der Vorteil dieser Meßtechnik besteht hauptsächlich darin, daß wir
auch bei langdauernden Tiefenbestrahlungen jede Dosis mit dem Sabouraud-
schen Instrument kontrollieren können, daß wir also nicht von einer ab-
soluten Röhrenkonstanz abhängig sind, ein nach den Klingelfußschen
Untersuchungen in Theorie und Praxis ganz unmögliches Postulat, und
da wir schließlich in der Lage sind, nur mit einer einzigen Testfarbe zu
arbeiten, wodurch natürlich die Ablesungsfehler, die nach unserer Er-
fahrung bei einer Farbenskala leichter vorkommen, herabgesetzt werden.
Es ist ganz sicher ein Vorteil, nur eine einzige Testfarbe zu besitzen.
Fassen wir noch einmal zusammen, so gestaltet sich die praktische
Ausführung der Methode ganz einfach so, daß wir auf einer Tabelle die
zu einer zu applizierenden Dosis zugehörige Dosimeterdistanz ablesen, das
Dosimeter dementsprechend einstellen und nun bis zur Teinte B bestrahlen.
Die Fokushautdistanz bleibt immer konstant 20 cm.
Wir haben, wie aus den vorhergehenden Ausführungen ersichtlich, die
Fokushautdistanz für die gynäkologischen Tiefenbestrahlungen auf 20 cm
festgesetzt. Der Grund dafür ist folgender:
Es ist ja bekannt, daß auf die Tiefenverteilung des Röntgenlichtes in
den einzelnen aufeinander folgenden Gewebeschichten des Körpers neben
der Absorption der Strahlen im Gewebe auch die Dispersion derselben von
Einfluß ist. Wenn wir eine Strahlung durch die Haut in den Körper
hineinsenden, so nimmt natürlich die Menge der Strahlen mit dem Vor-
wärtsdringen derselben in das Gewebe ständig ab. Diese Intensitätsab-
nahme beruht einmal auf der Absorption der Strahlen seitens der durch-
drungenen Medien, in zweiter Linie aber beruht sie natürlich darauf, daß
mit dem Vordringen der Strahlen ins Gewebe auch der Abstand immer
tiefer gelegener Schichten von der Strahlenquelle zunimmt. Am besten
macht man sich die Intensitätsabnahme des Lichtes, bedingt durch die
wachsende Entfernung von der Strahlenquelle, an einem Beispiel klar.
Nehmen wir an, wir hätten in einer Tiefe von 5 cm unter der Haut das
Ovarium zu bestrahlen, also die über dem Organ gelegene Weichteilschichte
wäre 5 cm dick, und wir würden nun die Röntgenröhre so aufstellen, daß
der Fokus 10 cm von der Haut entfernt ist, so würden wir allein durch
die Dispersion des Lichtes auf diesem 5 cm langen Wege von der Haut
bis zum Ovarium 56°/, der Röntgenstrahlen verlieren. Stellen wir aber
392 Meyer,
die Röbre in 15 cm Entfernung von der Haut auf, so verlieren wir 45°,
der Strahlen, gehen wir auf 20 cm, so verlieren wir 86°/,, in 80 cm 27%,
bestrahlen wir aber aus 95 cm Entfernung, so beträgt der Verlust auf
diesem 5 cm langen Wege noch 9°, der Strahlen. Daraus folgt das
Gesetz: je größer die Fokushautdistanz, desto günstiger ist die Tiefen-
verteilung des Lichtes und man hat daraus die praktische Regel abgeleitet,
subkutane Krankheitsherde nur aus großer Entfernung zu bestrahlen.
Christen empfiehlt die Fokushautdistanz nicht kleiner zu wählen als die
fünffache über dem Organ gelegene Weichteilschicht, Kienböck wählt bei
Tiefenbestrahlungen nicht unter 30 cm, bei der Dessauerschen Homogen-
bestrahlung wird ein Abstand von mehreren Metern gefordert.
Nun scheitert aber praktisch eine allzu weite Fokushautdistanz an der
allzu großen Verlängerung der Expositionszeit und es ist daher durchaus
notwendig, sich bei der Erörterung dieses Problems die Frage vorzulegen,
welchen Aufwand an Zeit und damit auch an Röntgenenergie müssen wir
machen, wenn wir bei einer Entfernung, wo die Distanzabnahme des Lichtes
keine Rolle mehr spielt, die Bestrahlung vornehmen würden. Die vorhin
erwähnten Berechnungen geben uns da einen klaren Anhaltspunkt (da ja
nach den Untersuchungen von Höhne und Linzenmeyer die Ovarien
ungefähr in einer Tiefe von 5—6 cm liegen). Wir verlieren bei der Ovarial-
bestrahlung bei einer Fokushautdistanz von 30 cm 27°/, der Strahlen
durch Dispersion, bei einer solchen von 20 cm 36 °/ d. h., wenn wir statt
in der von Kienböck empfohlenen Entfernung von 30 cm die Röntgen-
röhre in 20 cm Entfernung aufstellen, so setzen wir dadurch die Intensität
in der Tiefe um 11 °/, herab. Nun verhalten sich aber die Bestrahlungs-
zeiten in 20 und in 30 cm Fokushautdistanz wie 4 zu 9, m. a. W.: um
diesen Verlust von 11 °/, einzuholen, müßten wir mehr als doppelt so
lange Zeit bestrahlen. Es ist wohl einleuchtend, daß in diesem Falle das,
was wir an der Dispersionswirkung des Lichtes verbessern, in keinem rechten
Einklang steht zu der dadurch bedingten Verschwendung an Röntgenstrahlen-
energie. Wenn wir z. B. die Dosis 20 X applizieren aus einer Entfernung
von 20cm, so würde es bezgl. der Tiefendosis auf dasselbe hinauskommen,
als wenn die Dosis 18 X in 30 cm Abstand appliziert würde. Um diese
2 X der Haut zu ersparen, müßte man aber wie gesagt über doppelt so
lange bestrahlen. Das ist der Grund, weshalb wir von den größeren Ent-
fernungen abgekommen sind und die Entfernung von 20 cm für die gynä-
kologische Tiefentherapie festgelegt haben. Noch weiter mit der Fokus-
hautdistanz herunterzugehen, dürfte sich allerdings nicht empfehlen, da
dann in der Tat der durch Dispersion des Lichtes hervorgerufene Inten-
sitätsverlust zu groß ausfallen wird.
Methodik der Röntgentherapie in der Gynäkologie. 393
II. |
Gehen wir jetzt zur Besprechung der Qualität der Röntgenstrahlen
über, wie sie die gynäkologische Tiefentherapie erfordert, so kommen wir
da zu einem nicht minder wichtigen Kapitel, denn die Bestimmung der
für die Tiefenwirkung in jedem einzelnen Falle am besten passenden,
d. h. also am schnellsten und besten wirkenden Strahlenqualität, ist eine
der wichtigsten und wie ich hinzufügen kann, auch schwierigsten Aufgaben,
vor die der Röntgenologe auch in der Gynäkologie gestellt wird, die aber
namentlich dann, wenn man sich auf die grundlegenden wertvollen Unter-
suchungen Christens stützt, der Lösung wesentlich näher gebracht werden
kann. | |
Die Aufgabe der Tiefentherapie beruht ja, ganz allgemein ausgedrückt,
darin, möglichst intensive und möglichst wirksame Strahlen in die Tiefe
des Körpers hineinzuleiten, ohne die darüber liegenden Schichten speziell
die Haut zu schädigen. i
Die Schwierigkeit dieser Aufgabe leuchtet sofort ein, wenn wir uns
über die Tiefenverteilung der Röntgenstrahlen in den einzelnen aufeinander
folgenden Gewebsschichten des Körpers klar werden, wenn wir uns also
fragen, in welchem Umfange die Röntgenstrahlen bei ihrem Vordringen
von der Oberfläche zur Tiefe in ihrer Intensität beinflußt werden. Genaue
Untersuchungen (Perthes, Kienböck, Christen, Meyer) haben nun
da ergeben, daß z.B. von einer Strahlung mittlerer Qualität vom Typus
BW 5, wie wir sie also für die meisten Röntgenaufnahmen gebrauchen,
schon in der ersten Zentimeter-Hautgewebeschichte ungefähr 50°/,, also
die Hälfte der Strahlen, absorbiert wird, daß dann die Tiefendosen von
Schicht zu Schicht rapide abnehmen, sodaß schon in einer Tiefe von 2 cm
nur noch 25 °/,, in der Tiefe von 3cm ca. 16 °/,, in einer Tiefe von
4 cm nur noch 8°/, der Strahlen vorhanden sind, die Lichtmengen werden
hier also so gering, daß an eine therapeutische Beeinflussung pathologischen
Gewebes, das nicht ganz übermäßig röntgenempfindlich ist, gar nicht mehr
gedacht werden kann. Eine mittelweiche Strahlung, die also die Halb-
wertschicht I hat, würde demnach, wenn sie das in einer Tiefe von 6 cm
gelegene Ovarium erreicht, bis auf !/,, ihrer ursprünglichen Intensität
geschwächt sein. Ein ganz außerordentlich großer Verlust an strahlender
Energie würde also resultieren. Es ist nun ohne weiteres einleuchtend,
daß bezüglich der Tiefenverteilung des Lichtes günstigere Verhältnisse ge-
schaffen werden können, wenn man mit der Strahlenqualität steigt, wenn
man also möglichst die härtesten Strahlen wählt, die eine Röntgenröhre
‘bei ordnungsgemäßem Betriebe liefern kann. Aber eine genaue Unter-
suchung ergibt, daß auch dann die Verhältnisse noch recht ungünstig
liegen. Wie wir feststellen konnten, ist die Halbwertschicht der Strahlung
394 Meyer,
einer Röntgenröhre gewöhnlicher Konstruktion, die so hart wie möglich
betrieben wird, ca. 1,4—1,6 (gemessen an dem Härtemesser von Christen).
Daraus ergibt sich also, daß diese Strahlung auf ihrem Wege bis zu den
Ovarien, die wir in 6 cm Tiefe wiederum annehmen wollen, immerhin
noch auf ein !/,, reduziert wird, also zwar eine Verbesserung um das
Vierfache gegenüber dem mittelweichen Licht, aber auch diese Strahlung
zeigt doch recht wenig befriedigende Verhältnisse, denn wir verlieren ja
auf dem 6cm langen Wege durch die Absorption noch 15/16. Daraus
folgt, daß noch besondere Hilfsmittel erforderlich sind, um überhaupt
eine einigermaßen wirksame Verwendung der Strahlen für die Tiefen-
therapie zu ermöglichen. Zu diesen Hilfsmitteln gehört nun in erster
Linie die Filterwirkung.
Die Frage, welche Verbesserungen erzielen wir durch die Strahlen-
filter hinsichtlich der Tiefenverteilung des Lichtes, speziell für die Zwecke
der gynäkologischen Therapie, wurde von uns in zweifacher Weise be-
arbeitet. Einmal wurde systematisch mit Hilfe des Christenschen
Härtemessers die Halbwertschicht der Strahlungen von möglichst hart be-
triebenen Röntgenröhren (Sklerometer 130, B W 6) nach Vorschaltung
verschieden dicker Strahlenfilter bestimmt. Es ergab sich dabei speziell
für die Aluminiumfilter folgendes:
Die Vorschaltung eines Filters von 0,5 mm Dicke hat zur Folge,
daß die Halbwertschicht der Strahlen auf 1,3 ansteigt — schalten wir
{mm Aluminium vor, so wird die Strahlung bis auf 2 cm Halbwert-
schicht gehärtet — bei 2mm Aluminium auf 2,25, bei 3mm Aluminium
‚auf ca. 2,4 (das Instrument hat hier keine Zwischenstufe) — bei 4 mm
Aluminium auf 2,5 — bei 5 und 6 mm Aluminium zeigt das Instrument
ebenfalls noch 2,5 an — bei 7 und 8 mm Aluminium über 2,5, die nächst-
folgende Stufe 3 wird aber nicht erreicht (siehe Tabelle 3).
Tabelle 3.
Härtung der Strahlung durch Aluminiumfilter.
Filterdicke: Halbwertschicht:
Unfiltriert 14 —1,6 cm
0,5 mm 1,8 4
1 „ 2 »
2 2,25 1
3 ï 2,25—25 „
4 ” 25 „
5 „ 2,9 n
6 „ 2,5 „
7 1 2,5 —3 ”
8 ”„ 2,5 —3 „
Wir sehen also ein ziemlich rasches Anstei gen der Halbwertschicht bis zur
Härtung mit 2mm Aluminium, dann ein weiteres immerhin noch deutliches
Anwachsen der Halbwertschicht bis zur Härtung mit 4mm Aluminium, dann
Methodik der Röntgentherapie in der Gynäkologie. 395
aber bleibt die Strahlung ziemlich stationär, ein weiteres Vorschalten von
Filtern hat keinen großen Einfluß mehr auf die Härtung des Lichtes.
Das Optimum der Strahlenhärtung haben wir bei 4mm
Aluminium erreicht und damit die Halbwertschicht
auf 25cm erhöht. Eine einfache Rechnung zeigt, daß die durch die
Filterwirkung erzielte Verbesserung hinsichtlich der Tiefenverteilung des
Lichtes eine recht beträchtliche ist. Hatten wir noch bei der ungefilterten
Strahlung eine Schwächung der bis zum ÖOvarium vordringenden Strahlen
durch Absorption in den darüber liegenden Gewebeschichten bis auf 1/16,
so wird jetzt nur noch die Strahlung auf !/, ihrer ursprünglichen Inten-
sität reduziert.
Allerdings ist diese doch immerhin recht wesentliche Verbesserung
der Tiefenverteilung nur zu erkaufen mit einem mehrfachen Aufwand von
Expositionszeit. Im Durchschnitt von vielen Hundert Bestrahlungen konnten
wir eine Steigerung der Expositionszeit auf das 3- bis 4 fache berechnen,
es wird also ein großer Teil von Röntgenstrahlenenergie in den Filtern
absorbiert und vernichtet. Aber wenn die Filterwirkung auch vom rein
technischen Standpunkte aus immerhin etwas Unvollkommenes darstellt und
wenn wir auch erwarten müssen, daß die Röntgentechnik in Zukunft wohl
noch neue Bahnen einschlagen wird, um von vornherein eine für die
Tiefentherapie geeignetere Strahlung zu schaffen, so geht aus den obigen
Untersuchungen doch andererseits hervor, daß die Filtrierung der Strahlen
heute noch ein unentbehrliches Hilfsmittel der Tiefentherapie ist, sie
ist 2. Z. durch nichts anderes zu ersetzen.
Über die Wahl des Strahlenfiltermaterials wird Herr Schatz im
nächsten Hefte der Strahlentherapie noch eingehende Untersuchungen aus
unserem Institut veröffentlichen. Ich beschränke mich daher darauf, hier
nur als Ergebnis dieser Untersuchungen mitzuteilen, daß das Aluminium,
das Glas und das Leder als Filtermaterial im Prinrip ganz gleichwertig
sind und daß es nur darauf ankommt, die Schichtdicken dieser Filter-
materiale so zu wählen, daß man die geeignete Strahlenqualität, also die
gewünschte Halbwertschicht bekommt. Bei gleicher Halbwertschicht sind
dann die filtrierten Strahlungen sowohl in ihren chemischen wie auch
ihren biologischen Eigenschaften als gleich anzusprechen, ganz einerlei ob
sie nun durch Glas, durch Aluminium oder durch Leder gehärtet sind.
Nur das Silber vermag die Strahlen auch in starker Schichtdicke nicht
zu härten, kann daher als Filtermaterial für die Tiefentherapie nicht in
Frage kommen.!)
1) Das von Albers-Schönberg in 6facher Schicht empfohlene Ziegenleder hat
eine Halbwertschicht von 1,8, es härtet also die Strahlen wie ein 0,5 mm dickes
Aluminium-Filter.
396 Meyer,
Eine zweite Methode, um den Einfluß der Strahlenfilter auf die
Tiefenverteilung des Lichtes evident zu machen, beruht darauf, daß man
mit Hilfe des Kienböckschen Quantimeters die mit unfiltriertem und
mit filtriertem Licht in den einzelnen auf einander folgenden Gewebe-
schichten ermittelten Tiefendosen feststellt. Das Ergebnis dieser Unter-
suchungen geht aus Tabellen 4 u. 5 hervor, die ich aus den zahlreichen
Protokollen herausgreife.
Tabelle 4.
Einfluß der Filterwirkung auf die Tiefenverteilung des Lichtes.
Oberflächenintensität: 100.
| |
Aluminiumfilter |1 em |2 cm |8 cm |4 cm |5 om [6 em |7 cm |8 em
Unfiltriert 33 | 21 | 145 | 108 8,3 62 4,2 | 2,5
0,5 mm Alm. 50 87 25 19 15 11,7 92 6,6
1 5 5 58 48 35,5 | 27 20,8 | 17 12.5 8,3
2i u = 66 50 42 32,5 | 25 19 15 10,4
3 = $ 17 58 48 39 31 23 17 12,5
4 > 5 83 66 56 48 39 31 23 14,6
Tabelle 5.
Oberflächendosis 50.
Filterdicke l cm | 2 cm | 3 cm | 4 cm
Unäiltriert 17 | 10 | 7,5 5
0,5 mm Alm. 32 23 | 15 10
1 5 is 37 27 20 13
2 u 40 |: 30 25 18
8 ,„ = 42 35 28 20
& m y 45 38 32 25
Diese Versuche wurden derart angestellt, daß unter einer besonders
zu diesem Zwecke konstruierten Ledertreppe mit 8 Stufen von je 1 cm
Höhe, 8 in 1—8 cm Tiefe placierte Quantimeter-Streifen gleichzeitig be-
lichtet und dann zusammen entwickelt wurden. Die zu einer Serie ge-
hörenden Versuche wurden immer mit derselben Tiefenbestrahlungsröhre
gemacht, die natürlich so konstant gehalten wurde, daß Schwankungen am
Milllamperemeter und am Bauerschen Qualimeter nicht auftraten. Die
Belastung war die bei den Bestrahlungen übliche von 2—3 Milliampe£re,
die Röhrenhärtte B W 51,—6. Die Fokusdistanz betrug 32 cm, sodal
eine genügende Oberflächengleichmäßigkeit bei der 16 cm langen Treppe
vorhanden war. Um ein möglichst mit dem Gewebe gleichartiges Material
zu haben, wurde die Treppe aus Leder angefertigt (spez. Gewicht 1,02), später
Methodik der Röntgentherapie in der Gynäkologie. 397
wurde das von Christen in seinem Härtemesser zur Anwendung kommende
Bakelit für die Versuche herangezogen, ein Material, das genau dasselbe spezi-
tische Gewicht hat wie Wasser. Die Abmessung der Dosen erfolgte mit dem
Sabouraudschen Instrument, wobei, wie das ja auch in praxi zu geschehen
pflegt, bei den filtrierten Strahlen die Dosis stets unterhalb des Filters
abgelesen wurde. Die Versuche wurden natürlich mit allen Kautelen, die
das Kienböcksche Quantimeter erfordert, angestellt.
Über die Art der Anwendung dieses Meßgerätes seien hier einige Worte ein-
gefügt. Das Quantimeterpapier muß vor der Anwendung zunächst einmal durch
Vergleich mit dem Dosimeter von Sabouraud ausdosiert werden: Zu diesem
Zwecke legt man sich am besten eine Vergleichsskala an, die zu dem betreffenden
Papier und der Entwicklungsvorschrift paßt. Es werden also zu diesem Zwecke
eine ganze Reihe von Streifen nach der von uns angegebenen Sabouraudmethode
mit steigenden Dosen von !/, X bis 10 X (mit Stufen von '/,X) bestrahlt, dann alle diese
Streifen gleichzeitig entwickelt und nun in einer Skala zusammengestellt. Durch
Vergleich mit dieser Skala werden dann die Versuchsstreifen abgelesen. Auch bei der
Entwicklung der für einen Versuch benutzten Streifen müssen sämtliche Reagenz-
streifen (in dem Versuche I z. B. 48) sofort hintereinander entwickelt werden,
wobei natürlich streng darauf zu achten ist, daß die Temperatur von 18° sowie die
vorgeschriebene Entwicklungszeit eingehalten wird. Gleichzeitig werden aber min-
destens 2—3 Kontrollstreifen, die mit beliebigen Dosen, am besten 2,3,4 X bestrahlt
sind, mit den Reagenzstreifen zusammen entwickelt. Diese mit den anderen zu
entwickelnden Kontrollstreifen sollen dazu dienen, festzustellen, ob die Empfind-
lichkeit des Papieres oder die Wirksamkeit des Entwicklers sich geändert hat.
Ist das der Fall, so ist der Versuch unbrauchbar und es muß eine neue Skala an-
gefertigt werden. Diese von uns gehandhabte Kontrolle erwies sich für eine ein-
wandfreie Benutzung des Quantimeters durchaus notwendig, da das Verfahren
u. U. große Fehlerquellen in sich birgt.
Wenn wir auch glauben, daß die Genauigkeit in den Versuchen so
groß war, wie man sie mit dem Kienböckschen Meßinstrument überhaupt
erreichen kann, so sind trotzdem natürlich die abgelesenen Dosen doch
nur als approximative zu bezeichnen, da man ja mit dem Kienböckschen
Quantimeter die Dosen nur schätzungsweise bestimmen kann. Es kommt
hier ja auch viel weniger auf jede einzelne Zahl an, wie darauf, daß der
Zahlengang uns über die eingangs erwähnte Fragestellung Auskunft gibt.
Die Tabellen beweisen uns mit aller Sicherheit, daß die Tiefenverteilung
des Lichtes durch Vorschaltung von Strahlenfiltern ganz außerordentlich
verbessert wird, daß, wenn wir auf die Lage der Ovarien wieder zurück-
kommen, die bis in eine Tiefe von 6 cm vordringende Lichtmenge durch
Vorschaltung von Strahlenfiltern vervielfacht wird. Besonders das 4 mm
dicke Filter zeigt nach dieser Richtung die beste Wirkung. |
Wir können also sagen, daß die Resultate dieser Untersuchungen
mit den aus den Halbwertschichtsbestimmungen gewonnenen Ergebnissen
gut übereinstimmen, wenn auch die absoluten Zahlen in beiden Fällen
398 Meyer,
nicht dieselben sind. Auf diesen Punkt wurde ja schon a. a. O. von uns
hingewiesen.
Nun aber handelt es sich in der Tiefentherapie nicht nur darum,
möglichst viel Strahlen in die Tiefe des Körpers bis zu den zu beein-
flussenden Organen zu leiten, sondern es muß ja in erster Linie unsere
Aufgabe sein, möglichst viel Strahlen dort zur Absorption zu bringen,
denn wir wollen ja wirksame Strahlen haben, und eine Strahlung ist um
so wirksamer, je mehr sie in dem zu bestrahlenden Gewebe zur Absorption
kommt.
Die Frage lautet also in jedem einzelnen Falle, wie muß die Stralı-
lung beschaffen sein, damit nun auch in einer ganz bestimmten Tiefe in
dem betreffenden Organ von der Strahlung möglichst viel absorbiert wird,
denn es ist wohl klar, daß es einen Unterschied ausmachen muß, ob das
zu beeinflussende Organ z. B. in 3 oder in 10 cm Tiefe gelegen ist, in
beiden Fällen wird man eine ganz verschiedene Strahlung anzuwenden
haben, um das Optimum der Absorption zu erzielen: In dem ersten natür-
lich eine weit weniger penetrationsfähige Strahlung wie in dem zweiten.
Durch die Untersuchungen von Christen ist diese Frage gelöst. Er
konnte rechnerisch bestimmen, daß bei der Tiefenbestrahlung dann der
größte Nutzeffekt, also das Optimum der Strahlenabsorption resultiert,
wenn diejenige Strahlenqualität gewählt wird, deren Halbwertschicht gleich
der über dem zu bestrahlenden Organ gelegenen Weichteilschicht ist. Wir
müssen also in jedem einzelnen Falle die Strahlenqualität so auswählen,
daß die Weichteilschicht, welche die Strahlen zu durchsetzen haben, bis
sie an die Stelle der gewollten Wirkung gelangen, die Strahlung gerade
auf die Hälfte der ursprünglichen Intensität reduziert.
Übertragen wir diese Regel auf die gynäkologische Therapie, so ergibt
sich daraus, daß es zunächst einmal unumgänglich nötig ist, die Tiefen-
entfernungen der beiderseitigen Ovarien von der Bauchoberfläche zu kennen.
Aus den wertvollen systematischen Untersuchungen von Höhne und
Linzenmeyer geht hervor, daß die Tiefenlage zwischen 4!/, und 7!/; cm
schwankt, im Mittel also 6 cm beträgt. Daraus folgt, daß die Halb-
wertschicht der für gynäkologische Zwecke anzuwendenden
Strahlung mindestens 4!/), cm sein muß, für die meisten Fälle
aber noch größer.
Daß auch die härteste Strahlung einer Röntgenröhre diese Halbwert-
schicht nicht liefert, wurde schon erwähnt, aber auch die beste für die
Praxis noch mögliche Filtration mit 4 mm Aluminium, die eine Strahlung
von der Halbwertschicht 2,5 liefert, kann dieses Postulat der optimalen
Absorption nicht erfüllen. Fragen wir uns nun aber, wie weit wir damit
diesem Postulate näher kommen.
Methodik der Röntgentherapie in der Gynäkologie. 399
Die Verhältnisse werden am klarsten, wenn wir uns für die Durch-
schnittstiefenlage der Ovarien von 6 cm die Absorption in diesem Organe
bei Anwendung von filtriertem und unfiltriertem Lichte unter Zugrunde-
legung unserer Halbwertschichtbestimmungen berechnen: Wählen wir eine
Strahlung vom Typus B W 5, so ist in einer Tiefe von 6 cm die ab-
sorbierte Strahlenmenge (für eine dünne Schicht berechnet) 5,3%, wählen
wir die härteste Strahlung einer Röntgenröhre B W 6, so beträgt die
Absorption für dieselbe Schicht 15°/,,, bei Vorschaltung eines Aluminium-
filters von 1 mm Dicke steigt die Absorption auf 23°/,,, bei Vorschaltung
von 4 mm dagegen erreichen wir 23°/,, Absorption, während das Optimum
bei 33°/% liegt. Man kommt also bei der Anwendung eines d-mm-
Aluminiumfilters dem Optimum doch schon relativ nahe, wenn
wiresauch nicht erreichen. Das Verhältnis der absorbierten Strahlen-
mengen bei Einschaltung eines 4 mm Strahlenfilters gegenüber der un-
filtrierten Strahlung ist also 15 zu 28, also beinahe das Doppelte wird
absorbiert.
Nun ist aber die Aufgabe der Tiefentherapie ja nicht nur eine Ver-
besserung der Tiefendosis, sondern auch eine Herabsetzung der Ober-
flächendosis. Durch die Strahlenfilter setzen wir ja die in der Haut ab-
sorbierte Strahlenmenge herab, wir nehmen der Haut, die bei ungefilterten
Strahlen der Ort der stärksten Strahlenabsorption ist, diese Rolle ab und
teilen sie einem Medium zu, das zwischen Lichtquelle und Haut angebracht
ist, wir entlasten also die Haut.
Fragen wir uns nun wiederum, wie weit in unserem speziellen Falle
durch die von uns empfohlene Filtrierung der Strahlen die Oberflächen-
dosis, also die Hautdosis, herabgesetzt wird, so ergibt sich da folgendes:
Während von einer mittelweichen Strahlung B W 5 340°/„ in der Haut
absorbiert werden, sinkt diese Zahl bei harter Strahlung B W 6 auf 242°/%,
bei der mit 4mm Aluminium filtrierten Strahlung auf 160°/,,. Das Optimum
der Absorption, wie es sich auf Grund der Christenschen Berechnungen
ergeben würde, ist 94°/,,. Wir sehen also, daß auch bezüglich der Ober-
flächendosis durch die Filtrierung der Strahlen das Optimum nicht erreicht
werden kann, immerhin erzielt man eine Annäherung und eine sehr wesent-
liche Verbesserung.
Mit diesen Bestimmungen ist das Problem der Strahlenqualität in
ihrer Beziehung zur Tiefenwirkung aber noch nicht völlig geklärt, denn
ein wichtiger Punkt harrt noch der Lösung. Es wurde vorhin schon an-
gedeutet, daß das Sabouraudsche Instrument, mit dem wir ja unsere
Dosen abmessen, wie jedes andere direkte auf den chemischen Wirkungen
der Strahlen beruhende Dosimeter geeicht ist für eine ganz bestimmte
mittlere Strahlenqualität; sowie wir die Strahlenqualität ändern, wie das
400 Meyer,
ja hier doch der Fall ist, werden sich auch die mit dem Dosimeter ab-
gemessenen Dosen ändern, wenn wir also z.B. 10 X. mittelweiches und
10 X hartes Licht geben, so bedeuten diese 10 quantimetrischen Einheiten
nicht dasselbe, sondern sie sind verschiedene Größen. Es ist zurzeit mit
keinem direkten Dosimeter möglich, gleiche Mengen harten und weichen
Lichtes abzumessen, und es ist auch rechnerisch nicht möglich, die dabei
sich ergebenden Unterschiede auszugleichen. Die Christenschen Ab-
sorptionstabellen sind aber geeicht für gleiche einfallende Lichtmengen,
und wenn wir also auf Grund der Christenschen Tabellen, wie das hier
geschehen ist, die Absorption berechnen, dann müssen wir uns darüber
klar sein, daß wir in diesem Falle bewußt einen unvermeidlichen Fehler
begehen. Wenn nun aber auch durch Rechnung dieser Fehler nicht aus-
zugleichen ist, so ist es doch möglich, auf experimentellem Wege sich ge-
nügende Klarheit über diese Frage zu verschaffen und damit diese außer-
ordentlich wichtige und unentbehrliche Anwendung der CUhristenschen
Tabellen auch bei Benutzung des Sabouraudschen Instrumentes
zu ermöglichen. (Selbstverständlich müßten für die anderen Dosimeter
ähnliche Untersuchungen angestellt werden.)
Wir konnten durch zahlreiche Versuche an Erbsenkeimlingen 1, die
in mannigfacher Modifikation angestellt wurden, feststellen, daß, wenn wir
die Dosen mit dem Sabouraudschen Instrument bestimmen, und wenn
wir nun auf Grund der Christenschen Absorptionstabellen für weiches
und hartes Licht gleiche Absorption in der Tiefe berechneten, daß dann
die harten Strahlen sich immer als wirksamer erweisen als die weichen.
Diese rein empirisch gewonnene Feststellung hat für die gynäkologische
Therapie insofern eine recht wichtige praktische Konsequenz, als wir bei
Anwendung des Sabouraudschen Dosimeters jetzt erst recht dazu ge-
führt werden, zur Erzielung einer möglichst günstigen Tiefenwirkung das
Christensche Absorptionsgesetz nach Möglichkeit zu erfüllen und die härteste
Strahlung, die wirdurch Filtrierung mit 4mm Aluminium erzeugen können, die
aber, wie jaschon mehrfach erwähnt, das Optimum der Strahlenabsorption noch
nicht ergibt, zur Anwendung zu bringen. Ganz instruktiv ist folgendes
Ergebnis einer Serie von Experimenten: Wenn wir in der Tiefe von 6 cm
Erbsenkeimlinge bestrahlen (durch eine 6 cm dicke Bakelitschicht) und
nun in dem ersten Versuche filtriertes Licht (HW 2,5) und in dem zweiten
Versuche unfiltriertes Licht (HW 1,5) anwenden, so müssen wir von dem
unfiltrierten Licht die 2!/,fache Sabourauddosis applizieren, um in
dieser Tiefe gleiche biologische Effekte zu erzielen. Der biologische
Effekt wird also in 6 cm Tiefe durch die Filtrierung mehr als verdoppelt.
1 Vgl. 1. Heft dieser Zeitschrift.
Methodik der Röntgentherapie in der Gynäkologie. 401
Auch bei der Bestimmung der Oberflächendosis ist es Sache der
Empirie und des Experimentes, für die Dosenbestimmung mit dem
Sabouraudschen Instrument sich feste Formen zu schaffen. Hier
hat die Erfahrung folgendes gelehrt: Die normale Bauchhaut verträgt von
mittelweichem Licht die Dosis 10 X ohne erhebliches Erythem (nach
Kienböcks Messung liegt die Erythemgrenze auf der Rumpfhaut bei ca.
13 X) — nach den Untersuchungen von H. E. Schmidt verträgt die
normale Haut bei Anwendung sehr harten unfiltrierten Lichtes die doppelte
Dosis wie von mittelweichem, und sie verträgt nach den Beobachtungen
von Gauss ungefähr das Dreifache bei Filtrierung mit3—4 mm Aluminium,
ohne daß ein Erythem sich einstellt. Unsere an anderer Stelle publizierten
Untersuchungen über die Wirksanıkeit harter und weicher Strahlen haben
uns aber sehr zur Vorsicht gemahnt und wir haben infolgedessen schon
vor längerer Zeit für die harte, mit 4 mm Aluminium gefilterte Strahlung,
also eine solche mit der HW 2,5, als Maximaldosis die Dosis 20 X fest-
gelegt, eine Dosis, bei der wir bis jetzt ein Erythem nicht beobachten
konnten, die aber ganz sicher nicht überschritten werden darf, namentlich
bei häufiger Wiederholung der Bestrahlung, ohne daß Spätatrophien und
noch schwerere Schädigungen des Kranken zu befürchten sind. (Für die
Anwendung einer Strahlung von der HW 2,0, die wir erhalten durch Fil-
trierung mit 1-mm-Aluminium-Filter liegt nach unseren Erfahrungen die
Maximaldosis bei 15 X).
Die Wiederholung dieser Dosen, die wir als Maximaldosen festgelegt
haben, darf nach unserer Erfahrung nicht vor 4 Wochen erfolgen.
' Fassen wir noch einmal zusammen, so ergibt sich aus der Filtrierung
mit 4 mm Aluminium bei der Ovarialbestrahlung ein doppelter Vorteil:
Wir verbessern die Tiefenwirkung um mindestens das Doppelte und wir
sind andererseits in der Lage, die Oberflächendosis und damit natürlich
auch die Gesamtdosis in einem Verhältnis wie ca. 2:3 zu erhöhen. Man
erzielt also eine Verbesserung der Gesanitwirkung um ungefähr das drei-
fache, die aber durch eine mindestens dreifache Bestrahlungszeit erkauft
werden muß. Es scheint also, als wenn der Aufwand an Röntgenenergie
in diesem Falle der Verbesserung der Tiefenwirkung ziemlich gleichkommt.
Binnen kurzem aus unserem Institut zu veröffentlichende Untersuchungen
an Ovarıen werden die Beweiskette über diesen Punkt schließen.
Über den dritten Punkt, die Konzentrierung der Strahlen auf die zu
beeinflussenden Organe werde ich später noch ausführlichere Mitteilungen
machen.!)
1) Sämtliche in der Arbeit erwähnte Apparate und Röhren sind zu beziehen
durch die Firma Ernst Pohl, Kiel, Hospitalstraße.
Aus der ersten medizinischen Universitätsklinik in Wien
(Vorstand Professor Dr. C. von Noorden).
Über den Einfluß der Radiumemanation auf den
respiratorischen Gaswechsel.
Von
Siegmund Bernstein.
Jo über den Einfluß der Radiumemanation auf den Gas-
wechsel sind bisher nur in spärlicher Zahl mitgeteilt. Silbergleit!)
hat in Versuchen am Menschen mit dem Zunz-Geppertschen Apparat
den Gaswechsel unter dem Einfluß radiumhältiger Bäder und später unter
dem Einfluß einer Radiumtrinkkur untersucht. In den ersterwähnten Ver-
suchen wurde durch Zusatz von „Radiosal‘‘ ein Bad radioaktiv gemacht.
Für ein Bad verwendete Silbergleit 2, später 4 Pulver. Diese Versuche
fielen negativ aus. Er kam daher zu dem Schlusse, daß weder eine Er-
höhung noch eine Herabsetzung des Gasstoffwechsels durch radiumema-
nationshältige Bäder bewirkt werden könne. In den späteren Versuchen
verwendete Silbergleit Radiogenwasser und zwar 5000—30000 Einheiten
(Volt-Einheiten?). Hier zeigte sich, daß von drei Individuen zwei eine
Steigerung sowohl der CO,-Produktion als auch des O,-Verbrauches er-
kennen ließen. Der respiratorische Quotient stieg etwas an; das dritte
untersuchte Individuum blieb unbeeinflußt.
Weiters liegen sehr exakte Untersuchungen von T. Kikkoji?) vor, die
mitdem Jaquet-Staehelinschen Respirationsapparat ausgeführt wurden. Es
wurden drei Individuen untersucht, die in der Emanationsperiode täglich
dreimal Radiogenwasser zu 332 M.E., also im ganzen pro die 1000 M.E.
zu trinken bekamen.
Versuch I. betraf eine Patientin mit Polyarthritis chronica. Der 0,-
Verbrauch stieg von 142,99 in der Vorperiode auf 162,51 g in der Ema-
nationsperiode und betrug in der Nachperiode 158,468 g.
Der II. Versuch betraf eine 30jährige Patientin mit Polyarthritis
chronica. In der Vorperiode wurde 142,62, in der Emanationsperiode
141,546, in der Nachperiode 139,588 O, verbraucht. Auch OO, und RQ
blieb unbeinflußt.
1) Silbergleit: Berl. klin. Wochenschr. 1908, 1; 1909, 16.
2) T. Kikkoji: Über den Einfluß von Radioemanation auf den Gesamtstoff-
wechsel im Organismus, Radium in Biologie und Heilkunde, 1911, Bd. 1, H. 2.
Radiumemanation auf den respiratorischen Gaswechsel. 403
Der III. Versuch betraf einen 16jährigen gesunden Jungen. Der 0,-
Verbrauch betrug in der Vorperiode 183,23, in der Emanationsperiode
181,24 und in der Nachperiode 173,75g. Auch die CO,-Produktion ist
nur wenig erhöht; hingegen findet sich eine deutliche Erhöhung, wenn man
hauptsächlich den ersten Tag der dreitägigen Emanationsperiode betrachtet
(190,5316).
In einem Versuch an einem Hunde zeigte sich, daß der O,-Verbrauch,
resp. die CO,-Produktion in den ersten Tagen peroraler Zufuhr von drei-
mal 332 M.E. unbeeinflußt blieb, später aber anstieg, und zwar OÖ, in der
Vorperiode 40,8449, in der darauffolgenden Emanationsperiode 39,033 und
später 47,709. In einem zweiten Versuch befand sich der Hund in ema-
nationshältiger Luft (4 M.E. pro Liter Luft). Der O,-Verbrauch betrug
in der Vorperiode 36,699, in der Emanationsperiode 38,57, in der Nach-
periode 37,05. Ähnlich verhalten sich die Werte für die CO,-Pro-
duktion. Die Steigerung des Gaswechsels fällt besonders in die Nüch-
ternzeit.
Der Umstand, daß so wenig Versuche bisher vorliegen, rechtfertigt
wohl die Mitteilung einer Reihe von Versuchen, die ich im Laufe des Jahres
1911 und Anfang des Jahres 1912 in der v. Noordenschen Klinik auf
Anregung des Herrn Dozenten Dr. W. Falta angestellt habe, umsomehr,
als zu diesen Versuchen grofie Emanationsdosen verwendet wurden, welche
die von Silbergleit und Kikkoji verwendeten oft um mehr als das
Hundertfache übertrafen. Die Versuche sind mit dem Zunz-Geppert-
schen Apparat angestellt, die Patienten wurden längere Zeit eingeatmet,
bis die Atemvolumina konstant blieben. Die Untersuchungen erfolgten in
nüchternem Zustande bei absoluter Körperruhe ungefähr 12—14 Stunden
nach der letzten Mahlzeit. Die ersten Werte lagen in der Regel etwas
zu hoch und wurden daher nicht verwendet. Die Versuche wurden solange
fortgesetzt, bis die Nüchternwerte untereinander gut übereinstimmten.
Im ganzen wurden 6 Patienten untersucht.
Fall I. E.R. 42jähriger Patient mit chronischem Gelenkrheumatismus. Be-
ginn der Erkrankung im Jahre 1901 mit akutem Gelenkrheumatismus unter Fieber
und starken Schmerzen im rechten Schulter- und in den Fingergelenken, nach kurzer
Zeit akute Endokarditis, nach einigen Wochen vollständige Heilung. Im Jahre 1908
Rezidiv, Erscheinungen etwas geringer als das erstemal. Schwellungen und Rötun-
gen der Kniegelenke und der schon vorher betroffen gewesenen Gelenke, all-
mähliches Übergreifen auf fast alle Gelenke, mehrere Kuren in Pystian, von ge-
ringem, nur vorübergehendem Erfolge. Am 13. I. 1912 Aufnahme in die Klinik.
Großer Patient. Körpergewicht 70 kg, alle Gelenke der oberen und unteren Ex-
tremitäten sind affiziert und zwar teils größere, teils geringere Schwellungen, Ex-
sudateinlagerungen, Verdickungen der Seitenbänder, Beweglichkeitseinschränkungen,
Patient kann nur mit Unterstützung eines Stockes und einer zweiten Person einige
Schritte machen. Kniegelenke sehr schmerzhaft.
26
404 Bernstein,
Vorperiode.
m! NEE re A en Ban a re d Mi Be > me nz Zune
Datum |CO, in cm? | O, in cm? ee a RQ Be-
| CO, in em’ >| 0, O, in cm? Bier ungen
4./. 173,9 229,0 T 254 3,27 0,777 Darin D.
5./I1. 179,8 936,2 2,57 3.37 0,761 an
6./I1. 183,5 248,6 | 2.02 355 lo7s8| %)
Durchschnittswert:
| 179,1 | 2879 | 257 | 3,39 | 0,759 |
Emanationsperiode (2!/, Stunden im Bettemanatorium zu 440 M.-E. pl.
Luft). | |
, : pro kg und Min. Be-
D 3 3
atum |CO, in cm?| O, in cm Ze O, in em O, in cm? RQ merkungen
7.1. 221,8 = 3o24 | 3,16 4,32 0,732 | unmittelbar
n. d. Sitzung.
Gem. Kost.
8./III. 215,4 265,7 2,93 3,79 0,770 |v. d. Sitzung.
4./III. 207,9 264,7 2,97 3,78 0,786 | „, E
5./IlI. 206,9 285,3 . 2,95 4.07 0,752| „ 4
12.1011. 214,4 272,6 3,23 3,89 0,787| „ n
15./LI1. 199,7 273,5 2,85 3,90 0,731| „ 3
16./LII. 216,4 278,2 3,09 8,97 0,770) „ :
25./III. 211,6 266,0 | 3,02 3,79 0,796 | „ :
28./III. 190,3 255,3 272 | 8,64 0,746 | „ a
1./JIV. 217,9 2705 | 304 | 386 0,806 n
4./IV. 226.3 296,0 | 383 | 4,23 0,765 | wo.
Nachperiode.
aee | pro kg und Min. | __| Be
Datum | CO, in cm?| O, in cm? co, in em | 0, in cms RQ | murktngen
16./V. 174,5 237,2 249 | 3839 lose purinfr Kost
21./V. 166,7 235,9 2,38 3,12 0,707
23./V. 175,8 222,1 2,01 3.17 0.742 gem. Kost
30./V. 182,8 230,5 2,07 3,29 0738| „ P
Durchschnittswert:
| 174,95 | 2314 | 2,86 | 3,24 | 0,734 |
I. Nüchternwerte. Die Werte unter ganz unbeeinflußten Verhält-
nissen (Werte vom 4., 5., 6. Il. 1912) stimmen sehr gut untereinander
überein, ebenso stimmen dazu die Werte vom 16. IV., 21., 23. und 30. V.
1912. Die ersten Werte sind bei purinfreier Kost angestellt, der letzte
Radiumemanation auf den respiratorischen Gaswechsel. 405
Wert stammt’ vom 7. Tg. einer Periode mit gemischter Kost. Die ver-
wendeten Kostformen haben hier also keinen wesentlichen Einfluß auf den
Nüchternwert. Vor- und Nachperiode ergeben nahezu den gleichen Durch-
schnittswert.
II. In der Periode vom 7. II. bis 9. IV. wurde der Patient dauernd
jeden Tag 2—2!/, Stunden im Emanatorium belassen und zwar hatte er
am 7. II. 440 M.-E. pro Liter Luft, vom 9. II. bis 12. III. 600 M.-E.
vom 13. III. bis 9. IV. 800M.-E. pro Liter Luft. Von den in die Radıum-
periode fallenden Versuchen wurde nur einer (7. II.) unmittelbar nach dem
Aufenthalt im Emanatorium angestellt. Die übrigen sind Nüchternwerte
von morgens früh, während die Emanationsbehandlung später am Vormittag
stattfand. In der Periode vom 3. III. bis 4. IV. wurde eine Reihe von
Versuchen mit Pituitrinum glandulare und infundibulare sowie mit Adre-
nalin angestellt, über die Falta und ich in einer demnächst erscheinenden
Arbeit ausführlich berichten werden!.)
Die Versuche der Emanationsperiode führen zu dem überraschen-
den Resultat, daß die Nüchternwerte während der Emanations-
periode alle wesentlich höher liegen, als die der Vor- resp. Nach-
periode.
Der Durchschnittswert der Emanationsperiode beträgt:
de ` RQ pro kg und Minute
== f | CO, in cm? | O, in cm?
209,7 | 272,8 | 0,768 | 3,003 | 3,89
l
Vorperiode Z Nachperiode
CO, p. kg 2.57 3,003 2.36
0,70, 3.39 3.89 3.23
RE %, 0,759 0.768 0,734
Es erhöhte also der Aufenthalt im Emanatorıium den Gaswechsel nicht
nur vorübergehend, sondern es genügte ein 2—2!/, stündiger Aufenthalt
täglich — allerdings bei sehr hohen Dosen — um den Gaswechsel dauernd
um zirka 15"/, zu erhöhen. Auch in einem Versuche von Kikkoji findet
sich in der Nachperiode ein höherer Nüchternwert als in der Vorperiode,
so daß man den Schlul} ziehen kann, daß auch bei kleinen Dosen die Wir-
ı) Vorläufige Mitteilung von Bernstein und Falta: Über den Einfluß von
Adrenalin, Pituitrinaum infundibulare und glandulare auf den respiratorischen
Stoffwechsel. Kongreß für innere Medizin Wiesbaden 1912.
26*
406 Bernstein,
kung eine nachhaltige sein kann, allerdings klingt diese Wirkung in den
Versuchen Kikkojis sehr rasch ab.
III. In einem Versuch (7. I.) wurde der Gaswechsel unmittelbar
nach dem Aufenthalte in dem Emanatorium untersucht. Hier fand sich
ein sehr bedeutend erhöhter Wert, der weit über den Durchschnitt
der Emanationsperiode liegt. Es liegt dieser Wert um zirka 9°|,
höher als der Durchschnittswert der Emanationsperiode.
Fall II. M. K. 50 jähriger Maler, schwerer chronischer Gelenkrheumatismus.
Beginn der Erkrankung vor ca. 6 Jahren mit lIritis des linken Auges, nach 14
Tagen Schwellungen und Schmerzen in beiden Fußgelenken, nach einem halben
Jahre rechtsseitige Iritis, kurz darauf Schmerzen im Rücken und in den Schultern.
Nach Behandlung mit Bädern und Elektrizität Besserang der Beschwerden. Im
Frühjahr 1907 Rezidiv in den Fußgelenken. Trotz mehrfacher Kuren in Pystian
im Frühjahr stets Beschwerden; dabei Verschlechterung des Allgemeinbefindens,
Frühjahr 1911 Schmerzen im rechten Knie, im Juni desselben Jahres Lähmungs-
erscheinungen im linken Arm, so daß Patient seit dieser Zeit meist bettlägerig
ist. Beweglichkeit im linken Arm besserte sich nach interner Medikation ein
wenig; Potus mäßig, ebenso Nikotin, Lues negiert.
Mittelgroßer, sehr blasser, schwächlich und kränklich aussehender Mann, am
linken Auge Iritis in sanatione, am rechten Auge Iritis peracta. Über den Lungen
Erscheinungen von Emphysem und Bronchitis. Herz: typischer, aortisch konfigu-
rierter Herzschatten von 14 cm Querbreite, Aorta 7 cm. Auskultatorisch Aorten-
insuffizienz und Stenose Patient kann sich nicht bewegen, Muskeln des linken
Schultergelenkes stark atrophisch, Beweglichkeit fast Null, starker Tremor der
Hände, Arm am Thorax angepreßt, liegt bewegungslos da. Die Gelenke der
linken oberen Extremität stärker affiziert als die Gelenke der rechten; Schwel-
lungen, Beweglichkeitseinschränkungen; an den unteren Extremitäten Kniegelenke
besonders stark affiziert, namentlich links Schwellungen, Schmerzen bei Bewe-
gung. Patellarklonus links anslösbar, ebenso Fußklonis, Sensibilität normal. Tem-
peratur zur Zeitder Untersuchungen normal, nur an einzelnen Tagen 'Temperaturen
bis 37,2.
- mn
4 pa a , re pro kg und Min. = nu Be-
atum | a in cm a İn cm CO, in cm" | a Q merkungen
22.1.1912) 216,15 276,6 | 375 | 4808 10,781 purinfr. Diüt
23.1.1912: 207,8 | 286.2 3,63 | 4.99 0,726 ” „
24.1.1912 21545 | 242,57 3,9 5,25 072, „ n
| 286 8 3.84 | 500 |0766; po 3
25.1.1912: 209,12
Mittelwerte aus den unbeeinflußten Versuchen:
| 2108s | 25554 | 8375 | šol |0754,
” 35 i en na4 ' Bettemanat.
26./1. 1912 237,7 329,9 4,15 5,66 | 0,734 220M Epl.Lft.
2I: 1912 233,87 305,3 4,08 | 5,33 0,766 Bettemanat.
110M Epl.Lft.
Radiumemanation auf den respiratorischen Gaswechsel. 407
I. Grundumsatz gegenüber der Norm bedeutend erhöht (siehe
später).
II. Nach dem 2 stündigen Aufenthalt im Bettemanatorium
findet eine weitere wesentliche Steigerung des O,-Verbrauches
statt, die in dem Versuche mit stärkerer Dosis (220 M.E.) 11,5 °l,
in dem mit schwächerer Dosis 6°, beträgt. RQ wird nicht deut-
lich beeinflußt.
Fall IO. A. K. 40 jähriger Patient mit Morbus Basedowii, 70 kg
schwer.
Fan | B pro kg und Min. p Bo
Datum [00a in cm?| O, in cm? CO, in cm? | O, in cm? RQ merkungen
23./X1I. 1911} 237,6 | 289,0 3,32 | 413 |0,804 Ipurinfr. Diüt
27./XIl. 1911 220,2 292,3 3,15 4,31 0,741 e 3
30./XII. 1911 230,1 296,5 3,29 4,24 0,776 R `j
Mittelwerte aus drei Vorversuchen:
| 229,8 | 292,6 | 3,25 | 4,19 10,773 |
2 | z | kl.Emanator.
30./XII. asi 275,9 331,6 3,95 | 474 | 0880 120M Epl Lit.
I. Der Grundumsatz ist gegenüber der Norm deutlich erhöht.
II. Aufenthalt im Radiumemanatorium steigert den Grund-
umsatz sehr bedeutend, und zwar CO, um 17,7°), und O, um 11,6°|,.
RQ steigt in diesem Falle etwas an.
Fall IV. L. E. 22jähriger Neurastheniker, 70 kg schwer.
i pro ) kg und Min. Be-
zn co, z emt cn CO, in in cm? | O, in cm? RQ i ENT
15./XII. 1911| 163,0 2365 | 28 38.38 10,68 gem. Diät
20./XII. 1911| 191,1 239,3 | 2.67 3,42 07708
27.|XIL 1911| 196,3 237,8 2.81 | 3.38 0808| nn
Durchschnitt aus drei Vorversuchen:
| 183,6 | 2379 | 2,6 | 3,899 | 0,765 |
28.; XII. 1911| 182,3 228,3 2 60 3,14 0,793 | I0MEpI.Lft.
|
Der Aufenthalt im Emanatorium hat in diesem Fall gar keinen
Eintluß auf den Grundumsatz.
408 Bernstein,
Fall V. O.H. 28jähriger Eunchoid. 176 cm groß, 66,40 kg schwer.
$ kg und Min.
Datum |CO, in cm®| O0, in cm? aa n RQ 29
CO, in cm? | O, in cm? merkungen
Durchschuittswerte aus zwei Versuchen. 600MEpl.Lft.
178,7 218,4 2,66 827 [0814| Versuchen
13./V. 171,2 207,0 2,58 3,12 0,827
14./V. 174,8 213,4 2,62 3,20 0,819
15./V. 186,3 227,6 2,78 | 3,39 0,818
16./V. 172,4 227,8 259 ' 843 0,757
23./V. 184,0 216,4 2,72 3,20 0,850
Der Aufenthalt im Emanatorium hat in diesem Falle keinen wesent-
lichen Einfluß auf den Grundumsatz.
Fall VI. J. H. 21 jähriger Infantilismus. 41 kg. Infantilismus mit
Tetanie, im Anschluß an letztere leichter Hyperthyreoidismus. Grund-
umsatz im Verhältnis zu dem geringen Körpergewicht nicht unbeträchtlich
gesteigert.
| pro kg und Min.
O. ; | Be-
a a e | CO, in cm®| O, in cm RQ merkungen
10./L. 185,6 222,1 4,53 571 !0,835 | nüchtern
i 21/; Stund. in
12./L. 177,7 221,7 4,33 5,41 0,802
17.11. 167,4 212,1 4,08 5,17 0,789 | nüchtern
1 Std. nach
< Radium-
17.JI. 177,2 219,5 4,32 5,23 0,826 trinkp rän.
600.0 E.
Weder der Aufenthalt im Emanatorium, noch auch Radiumtrink-
präparat zeigen hier einen Einfluß auf den respiratorischen Gaswechsel.
Sowohl beim Aufenthalt im Emanatorium als auch bei der Trinkkur
zeigt sich in diesem Falle keine deutliche Veränderung im Grundumsattz.
Von den 6 untersuchten Fällen zeigten 3 eine wesentliche Steigerung
des Umsatzes. Diese betrafen: 2 schwere Fälle von chronischem Gelenk-
rheumatismus, darunter konstitutionelle Form, und einen Morbus Basedowii;
die unbeeinflußten Fälle betrafen einen jungen Mann mit Neurasthenie und
einen Fall von Eunuchoidismus und einen Fall von Infantilismus. Wir
müssen also zuerst die Tatsache hervorheben, die auch schon aus den
Untersuchungen von Silbergleitund Kikkojihervorgeht, daß die Emana-
tion in dem einen Organismus eine ganz gewaltige Steigerung
Radiumemanation auf den respiratorischen Gaswechsel. 409
der Verbrennung hervorzurufen vermag, während sie einen an-
deren ganz unbeeinflußt läßt.
Daß es nicht an der verschiedenen Dosierung liegt, zeigt ein Blick
auf die Tabellen. Die beiden unbeeinflußten Fälle atmeten 110, resp. 330M.-E.
pro Liter Luft ein. Von den beeinflußten Fällen erhielt der erste zwischen
440 und 800 M.-E. der zweite 120, der dritte 110 resp. 220 M.-E. pro
Liter Luft. Die Tatsache läßt verständlich erscheinen, warum die thera-
peutischen Erfolge, die wir durch die Emanation erzielen können, so ver-
schieden sein können. Es ist vielleicht auch kein bloßer Zufall, daß die
bisher von den anderen Autoren und auch von mir untersuchten Fälle
mit Rheumatismus alle mit deutlicher Steigerung reagierten. Von diesem
Gesichtspunkte aus würde es sich wohl lohnen, die Versuche auf eine
größere Anzahl von Individuen auszudehnen und einerseits Rheumatismen
und Neuralgien und andererseits andersartige Krankheiten in ihrer Reak-
tion zu vergleichen.
Da wo eine Reaktion eintritt, ist die Höhe der Dosis bedeutungs-
voll. So sehen wir im Falle II eine Steigerung des O,-Verbrauches bei
schwächerer Dosis um 6°|,, bei stärkerer um 11°). Sehr bemerkenswert
ist die Feststellung, daß bei Verwendung hoher Dosen die Steigerung des
respiratorischen Gaswechsels nicht nur während des Aufenthaltes im
Emanatorium oder unmittelbar nachher auftritt, sondern daß
sie den ganzen Tag bis in die Morgenstunden des nächsten
Tages anhalten kann.
Im Falle I E. R. beträgt die Steigerung nüchtern in den Morgen-
stunden immer noch durchschnittlich 15°/,, während sie unmittelbar nach
dem Aufenthalte im Emanatorium ca. 24°/, ausmacht. Ferner ist be-
merkenswert, daß sich diese Wirkung der Emanation nicht abzu-
schwächen braucht,sondern durch Wochenhindurch fortbestehen
kann, während in der Nachperiode sich wieder vollkommen normale Werte
zeigen.
Endlich noch einige Worte über Fall M. Es handelt sich hier um
jene schwere Form des primär chronischen Gelenkrheumatismus, den man
wegen seines universellen Charakters als konstitutionell zu bezeichnen pflegt.
Er geht gewöhnlich mit vollständiger Bewegungslosigkeit der Patienten,
rascher Abmagerung und Anaemie einher und pflegt mit einer Reihe von
andersartigen Erscheinungen wie Iritis und Hautveränderungen zusammen
vorzukommen. Untersuchungen über den Grundumsatz bei dieser konstitu-
tionellen Form liegen bisher noch nicht vor. Die Steigerung des Grund-
umsatzes in unserem Falle zu einer Zeit, wo keine Temperatursteigerungen
und keine Erscheinungen einer rezenten Endokarditis bestanden, wirft ein
410 Bernstein, Einfluß der Radiumemanation auf den resp. Gaswechsel.
Licht auf den raschen Verfall, den solche Patienten oft zeigen. Wahr-
scheinlich handelt es sich in solchen Fällen doch um chronisch infektiöse
Prozesse.
Zusammenfassung: Bei Verwendung hoher Dosen im Emanatorium
gelingt es in geeigneten Fällen, den respiratorischen Gaswechsel bedeutend
zu erhöhen. Diese Wirkung kann solange nachhalten, daß sich — bei
täglichen Sitzungen von 2—2!j, Stunden — solche Individuen unter Um-
ständen durch Wochen hindurch dauernd auf einen beträchtlich erhöhten
Umsatz einstellten.
Zum Schlusse möchte ich nicht versäumen, Herrn Dozenten Dr. W.
Falta für die liebenswürdige Unterstützung bei der Ausführung der
voranstehenden Arbeit auch an dieser Stelle meinen ergebensten Dank
auszusprechen.
Aus der Königl. Universitätsklinik für Hautkrankheiten in Kiel
(Direktor: Prof. Dr. Klingmüller).
Experimentelle Studien über die Wirkung des Lichtes.
UntersuchungenüberdieWirkungaufdieÖxydationsfermente,Wir-
kungderverschiedenen Strahlengruppenundihre Sensibilisierung.
Von
Fr. Bering und H. Meyer.
D“ wohltätige Kraft des Lichtes ist seit undenklichen Zeiten bekannt
und erprobt. Aber erst in den letzten Jahren hat die wissenschaft-
liche Ärztewelt ihr ein erhöhtes Interesse entgegengebracht. Aus zwei Ur-
sachen: einmal begründete in Dänemark der geniale Nils Finsen die
Lichtbehandlung des Lupus, mit der er namentlich hinsichtlich der kosmeti-
schen Resultate Erfolge erzielte, die buchstäblich alle anderen Behandlungs-
methoden in Schatten stellten; dann gelang es einigen Schweizer Ärzten —
Rollier in Leysin und Bernhard in Samaden — auf der Höhe ihrer
Berge bei der Behandlung der chirurgischen Tuberkulose geradezu wunder-
bare Heilungen zu erzielen.
So aussichtsvoll die Anwendung des Lichtes ist, so schwierig ist es,
für die rein empirisch gefundenen Ergebnisse eine Erklärung zu geben.
Die in folgendem berichteten experimentellen Untersuchungen, welche
hierzu einen Beitrag liefern sollen, erhielten ihre Anregung durch die
glänzenden Resultate der Lichttherapie einerseits und durch die recht un-
befriedigende wissenschaftliche Grundlage der Lichtbehandlung andererseits.
Unzweifelhaft handelt es sich bei den biologischen Strahleneinflüssen
um zum Teil sehr komplizierte Phänomene; wir werden beim Studium dieser
Frage vor eins der schwierigsten Probleme der gesamten Biologie gestellt.
I.
Es ist nun möglich, nach zwei Richtungen hin durch Versuche in die
Natur der durch die Lichtstrahlen gesetzten Störungen im Chemismus des
Zellebens Einblick zu gewinnen:
1. durch den Nachweis spezifischer Veränderungen in der chemischen
Zusammensetzung des bestralilten Gewebes, also Veränderungen, welche die
wichtigsten chemischen Bausteine der Körperzellen durch die Bestrahlung
erfahren — und
27
412 Bering,
2. durch Erforschung der Wirkung der Strahlen auf die normaler-
weise im (rewebe sich abspielenden fermentativen Prozesse.
Eine gewisse Kenntnis der Veränderungen, welche die wichtigsten
chemischen Bausteine durch Belichtung erfahren, verdanken wir Carl
Neuberg.‘
Dieser Forscher konnte nachweisen, daß die Grundsubstanzen des
tierischen und pflanzlichen Organismus, die Eiweißkörper, die Kohlehydrate
und die Fette, welche an sich in physiologisch in Betracht zu ziehenden
Zeiträumen nicht angegriffen werden, lichtempfindlich werden, wenn
sie mit den gleichfalls untrennbar mit allen Lebenserscheinungen ver-
knüpften Mineralstoffen zusammentreffen. Also die von der Natur allen
Lebewesen gegebene Kombination von organischem Material
und Mineralstofflösungen, stellt eine Reihe lichtempfindlicher
Systeme dar.
Bei Neubergs katalytischen Lichtreaktionen fanden Uran- und
Eisenverbindungen Verwendung. Während Veränderungen im Dunklen aus-
blieben, traten sie stets bei direkter Sonnenbestrahlung ein, größtenteils
auch schon im diffusen Tageslicht.
Folgende Gesetzmäßigkeiten ließen sich für die wichtigsten Gruppen
erkennen:
1. Alkohole werden zu Aldehyden;
2. mehrwertige Alkohole werden zu Oxyaldehyden und Oxyketonen ;
3. Säuren werden je nach ihrer Natur zu Aldehyd- und Ketonver-
bindungen, teils mit gleicher, teils mit geringerer Zahl von Kohlenstoff-
atomen als das Ausgangsmaterial;
4. Monosacharide gehen zum Teil in Osone über und erfahren einen
weiteren Abbau;
5. Disacharide und
6. Polysacharide werden invertiert und abgebaut;
7. Glukoside werden hydrolysiert;
8. Glyzeride werden partiell verseift und weiter umgewandelt;
9. organische Phosphorsäureester werden gespalten ;
10. Aminosäuren erleiden eine Aldehydabspaltung unter gleichzeitiger
Desaminisierung ; |
11. Peptone und Proteine werden zunächst teilweise hydrolysiert und
die Produkte der Hydrolyse nach dem Schema der Aminosäuren angegriffen.
Das gemeinsame Charakteristische dieser chemischen Lichtwirkung ist:
1. Eine durch Spaltung hervorgerufene Molekülverkleinerung — die
Strahlen entfalten also Eigenschaften, die Ähnlichkeit mit den spaltenden
Enzymen haben — und
"1 Neuberg, Biochemische Zeitschrift, Bd. 13, 27, 29.
Experimentelle Studien über die Wirkung des Lichtes. 413
2. entstehen bei dieser molekularen Spaltung von allen möglichen
indifferenten Stoffen des Organismus Substanzen von chemisch höchster
Avidität, hauptsächlich die überaus reaktionsfähigen Aldehyde und Ketone.
Diese Untersuchungen geben uns einen wertvollen Fingerzeig, wie
bestimmte biologische Strahlenwirkungen zustande kommen können.
Die zweite Möglichkeit der Strahlenwirkung ist diese: Die Strahlen
könnten einwirken auf das Haupthandwerkzeug der Zellen im intermediären
Stoffwechsel, auf die intrazellulären Fermente.
Durch eine Reihe von Arbeiten wird die Annahme gestützt, daß die
strahlende Energie die reduzierenden und oxydierenden Funktionen der
Zelle in erster Linie in Angriff nimmt.
Der erste Forscher, der nach dieser Richtung einwandfreie Beobach-
tungen machte, die, obwohl sie schon im Jahre 1894 angestellt wurden, in
der Literatur nur wenig Berücksichtigung fanden, war Quincke.!)
Er zeigte daß unter dem Einfluß des Lichtes die verschiedenen über-
lebenden tierischen Gewebszellen (Blut, Eiter, Muskeln, Nieren, Leber)
viel mehr Sauerstoff aufnehmen als im Dunklen; und er zog daraus den
Schluß, daß das Licht die Oxydationskraft der lebenden tierischen Zelle
in hohem Maße zu steigern vermag. i
Diese Untersuchungen fanden ihre Fortsetzung durch Hertel,?)
welcher frisches Blut mit dem Lichte der Magnesiumlampe bestrahlte und
im Spektrum das Verschwinden der beiden Absorptionsstreifen des Oxy-
haemoglobins bis zu dem einen Streifen des reduzierten Hgb beobachtete.
Auch bei mit Alizarinblau injizierten Tieren (Mäusen und Kaninchen),
denen schnell der Schädel geöffnet wurde, trat bei Belichtung der blau
verfärbten Gehirnpartien eine deutliche Abblassung ein. „Das Licht be-
freit aus den Blutzellen den leicht gebundenen Sauerstoff und ebenso wohl
auch aus den leicht lösbaren Verbindungen des sauerstoffhaltigen Zell-
plasmas im übrigen Organismus“ (Hertel).
Schon vor Jahren hat der eine von uns?) in die rasierte Haut eines Meer-
schweinchens und in das Ohr eines weißen Kaninchens mehrere ccm einer
t/, proz. Methylenblaulösung injiziert und intensiv belichtet, wobei sehr bald
das Meth.-Blau in Meth.-Weiß reduziert wurde. Weiterhin babe ich mich
dadurch von der reduzierenden Kraft des Lichtes zu überzeugen versucht,
daß ich ein mit Blut prall gefülltes Kaninchenohr beleuchtete. Am un-
belichteten Ohr sieht man bei durchfallendem Licht im Spektrum deutlich
die beiden Streifen des Oxyhgb. Wird aber die Basis des Ohres mit
ı) Quincke, Archiv für die gesamte Physiologie, Bd. 57.
2) Hertel, Zeitschrift f. allgem. Physiologie, Bd. 4, 5, 6.
s, Bering, Medizinisch-Naturwissenschaftliches Archiv, Bd. 1.
27*
414 Bering,
einer Quecksilberdampflampe belichtet und an der Spitze mit dem Spek-
trum untersucht, so beobachtet man das langsame Verschwinden der beiden
Absorptionsstreifen; allerdings geht die Reduktion niemals so weit, daß
der eine Streifen des reduzierten Hgb sichtbar wird, offenbar weil immer
wieder frisches unbelichtetes Blut nachströmt, sich mit dem belichteten
mengt und eine völlige Reduktion unmöglich macht.
Hier müssen auch die interessanten Beobachtungen Schläpfers!) von
der Photoaktivität des Blutes erwähnt werden. Er brachte den Nachweis.
daß belichtetes Blut mehr pliotographisch wirksame Strahlen aussendet als
unbelichtetes. Das Licht soll eine Veränderung der Lipoide erzeugen.
wodurch die Oxydationsprozesse erheblich beschleunigt werden, ähnlich wie
Werner?) die biologische Wirkung der Radiumstrahlen auf eine erhöhte
Photoaktivität des Gewebes unter dem Einfluß des sich zersetzenden
Lezithins zurückführt.
„Das Licht wirkt also durch Labilisierung lipoider Substanzeu, die
in allen Protoplasmaarten vorhanden sind, beschleunigend auf die Oxydations-
prozesse ein und bedingt durch die von den lipoiden Substanzen aus-
gehenden Strahlenwirkungen neue Beeinflussungen fermentativer Prozesse‘
(cit. nach Aschoff, Handbuch der allgem. Pathologie).
Durch diese Unternehmungen ist vielleicht der Beweis erbracht, dab
auch im lebenden Körper die chemisch wirksamen Strahlen auf die 0,-
Abspaltung einen Einfluß ausüben. Von den Pflanzen wissen wir, daß sie
diejenigen Strahlen, welche am konstantesten im diffusen Tageslicht vor-
handen sind, mithin ihr am häufigsten zur Verfügung stehen, absorbieren
und sich dienstbar machen. Ganz ähnlich nun, wie die von den Chloro-
phylikörperchen absorbierten Lichtstrallen den O, aus der resorbierten
CO, sprengen, wobei sich der Kohlenstoffrest mit Wasser zu den organi-
schen Kohlenwasserstoffen verbindet, so könnten wir uns vorstellen, daß
auch im Tierkörper die strahlende Energie die Sauerstoffabspaltung aus
seinen Hgb-Verbindungen — die Chlorophylikörner können nach ihrer
chemischen Verwandtschaft mit den roten Blutkörperchen verglichen werden
— erleichtert, um ihn neuen Verbindungen zum Zwecke der Oxydation
zuzuführen.
Der Körper benutzt also nach dieser Vorstellung, wie auch von
Grober?) schon ausgeführt ist, das Licht als Reduktionsmittel und ver-
wendet dasselbe zur Unterstützung einer seiner wichtigsten Funktionen —
zur Sauerstoffspeisung der Gewebe. Die roten Blutkörperchen beladen
sich in den Lungen mit Sauerstoff, der gegen die CO, der Gewebe aus-
t) Schläpfer, Pflügers Archiv 108. Arch. f. d. gesamte Physiol. 114.
23) Werner, Münch. Med. Wochenschr. 1906, H. 1.
3 Grober, Zeitschrift f. allgem. Physiol., Bd. 10.
Experimentelle Studien über die Wirkung des Lichtes. 415
getauscht werden soll. Die dazu notwendige Reduktion des Oxyhaemo-
globins wird nach dieser Annahme unterstüzt oder veranlaßt von den bis
zu den Erythrozyten in der Kutis vordringenden chemisch wirksamen blau-
violetten und inneren ultravioletten Lichtstrahlen, die ja, wie das Spektrum
des Oxyhaemoglobins zeigt, in hervorragendem Maße im Blut absorbiert
werden. Das Haemoglobin, das eben noch in der Lunge den O, fest an
sich gerissen hat, wird ihn also unter dem Einfluß der chemischen Licht-
strahlen, die wie zahlreiche, auch eigene Untersuchungen lehren, in der
Tat durch die Epidermis bis an das Blut vordringen können, mit größerer
Leichtigkeit an das Gewebe der Haut abgeben und statt dessen die CO,
aufnehmen und „daran schließt sich ein immer erneuter Wechsel dieser
beiden Phänomene“ (Grober).
So könnte man die Schlußfolgerung aus den bis jetzt vorliegenden
Experimenten formulieren, eine Schlußfolgerung, die insofern etwas Plau-
sibles hat, als sie damit rechnet, daß die in den Hautgefälen absorbierte
Lichtenergie nicht einfach absorbiert und vernichtet wird, sondern daß der
Organismus diese Lichtenergie nutzbar macht zu einer seiner wichtigsten
Funktionen, der Gewebeatmung. Wir müssen uns daran erinnern, daß
„der Körper von einem Gewirr feinster Blutgefäße und Kapillaren um-
geben ist, die eines mit dem andern in Verbindung stehen und so ein
dichtes Netz von Gefäßen, mit Blut gefüllt, und immer neu mit wechseln-
dem Blute gespeist, um den ganzen Körper unter der Epidermis bilden,
so dicht, dal man fast von einem Schirm sprechen kann, der rings um
den Körper gelegt ist: in seiner Ausdehnung über die ganze Oberfläche
des Körpers wohl das größte Kapillarnetz, das jener besitzt, dem als ein-
zige Funktion bisher die Neuerzeugung der Oberhaut des Körpers zuge-
sprochen wurde“ (Grober), das aber nach unserer Auffassung als ein
roter Sonnenschirm nicht so sehr zum Schutze gegen die Strahlen, als
besonders zur Aufnahme derselben dient.
Es sind aber ganz besondere Strahlengruppen, die dieser Sonnenschirm
aus dem Sonnenspektrum aufnimmt, während er andere abweist resp.
zurücktreten läßt. Das Blut wirkt also als Lichtfilter, das die rotgelben
sowie einige ultrarote Strahlen passieren läßt; die grünen, blauen, violetten
und ultravioletten Strahlen werden aber absorbiert, um die Lichtmenge in
der erwähnten Weise nutzbar zu machen.
Wegen der Bekleidung wird nur ein relativ geringer Ausschnitt dieses
Sonnenfilters benutzt. Je größer aber die Oberfläche des auffangenden
Schirmes ist, je größere Anteile der Körperoberfläche im Sinne des Licht-
bades den Sonnenstrahlen exponiert werden, desto größer muß natürlich
auch die Lichtenergie sein, welche für den Organismus nutzbar gemacht
werden kann; und wir können uns vorstellen, daß bei der methodischen
416 Bering,
Anwendung der Heliotherapie hoch oben in der reinen Atmosphäre der
Schweizer Berge, wo die Kranken stunden- und tagelang mit ihrem ganzen
Körper im Sonnenbade der ungeschwächten Kraft der Sonnenenergie aus-
gesetzt werden, dal dort ein ganz erheblicher Zuwachs an strahlender
Energie für den Körper gewonnen wird.
Eine wichtige Frage ist natürlich die: gelangen die wirksamen Strahlen
im lebenden Körper überhaupt bis an das Blut heran? Denn es ist wohl
einleuchtend, daß das Blut seine Funktionen als Energieabsorbent nur aus-
üben kann, wenn wirksame Strahlen bis zum Stratum papillare gelangen.
Diese Vorfrage ist durch die Untersuchungen vor allem der Finsenschen
Schule sowie durch Experimente von Freund in Wien gelöst. Wir wissen,
daß beim Vordringen des Lichtes durch die Epidermis, deren Dicke etwa
0,5 mm beträgt, die äußeren ultravioletten Strahlen absorbiert werden; diese
erreichen das Blut nicht, sie werden in dem blut- und gefüßlosen Gebiet
der Oberhaut abgefangen. Die inneren ultravioletten Strahlen und die
blauvioletten erreichen das rote Lichtfilter des Blutes, wo sie nach den
Untersuchungen von Busk!) zu 99% absorbiert werden; die rotgelben und
vor allem die ultraroten Strahlen passieren das Filter, nachdem ein Teil
an der Oberfläche reflektiert wird. Wir sehen also, daß ein beträchtlicher
Teil der chemisch wirksamen Strahlen die Epidermis durchdringt. Es
sind das alle blauvioletten und ungefähr ein Drittel des bisher bekannten
ultravioletten Teiles des Spektrums, die sog. inneren ultravioletten Strahlen.
Die weitere Frage, wie tief nun die übrigen Abschnitte des Sonnen-
spektrums in den Körper hineindringen, wird sehr gut illustriert durch die
Versuche von Busk, der vor die Strahlen einer 70-Ampere-Lampe ein
Spektroskop aufstellte, vor dessen Spalt noch nacheinander 1, 2, 3, 4 lebende
Kaninchenohren mit der natürlichen Blutfülle gelegt wurden. Es zeigte
sich da folgendes: Durch ein Ohr waren noch alle Farben des für die
Retina empfänglichen Spektrums zu erkennen, durch 2 Ohren nur die
roten, gelben und grünen, die blau-violetten nicht mehr, durch 3 nur noch
rote und gelbe, durch 4 nur noch die roten.
Es schien uns wichtig, diese Strahlen nach der Durchdringung des
Gewebes auf ihre chemische Kraft zu prüfen. Zu diesem Zwecke schaltete
ich verschieden dicke Muskelschichten vor. Diese Versuche wurden an-
gestellt mit der Quarzlampe, die ja nicht überreich ist an grünen, gelben
und roten Strahlen; sie ergaben, daß nach mehrstündiger Bestrahlung noch
Tichtquanten durchgehen, die wohl imstande sind, chemische wie auch
biologische Reaktionen auszulösen (Tab. weiter unten).
“ Diese Versuche sind geeignet, uns über die Penetrationskraft der ein-
!) Busk, Mitteilungen aus Finsens medizinischem Lichtinstitut, H. 4.
Experimentelle Studien über die Wirkung des Lichtes. 417
zelnen Strahlengattungen klare Begriffe zu geben, sowie uns darüber zu infor-
mieren, bis in welche Tiefen wir eine Wirkung von ihnen zu erhoffen haben.
II.
Die bisher entwickelte Vorstellung, daß die Lichtenergie für den Orga-
nismus zum Zwecke der Gewebeatmung, der Sauerstoffspeisung der Gewebe
nutzbar gemacht wird, daß also eine Erleichterung der Oxydationsvorgänge
stattfindet, mußte dazu führen, nun auch die Oxydationsfermente in
den Kreis der Untersuchungen zu ziehen.
Es kann nicht in Abrede gestellt werden, daß der Ablauf der Oxy-
dationsprozesse in den Geweben heute noch nicht völlig erforscht ist, daß
noch ein großer Teil dieser recht komplizierten Vorgänge der Aufklärung
harrt. Immerhin ist wohl soviel mit Sicherheit zu sagen, daß die in den
Geweben sich abspielenden Verbrennungsvorgänge ohne die Mitwirkung
von Oxydationsfermenten kaum zu erklären sind und daß der Nachweis
solcher Fermente in tierischen und pflanzlichen Geweben wohl gesichert
ist, wenn auch über die Einzelheiten des Mechanismus ihrer Wirkung einst-
weilen nur Hypothesen aufgestellt werden konnten.
Es sei uns gestattet, die gangbarste dieser Vorstellungen, die von
Bach und Chodat, hier kurz darzulegen.
Die Oxydationsfermente haben im Zelleben die Aufgabe zu erfüllen,
Sauerstoff auf die an und für sich sehr schwer oxydablen Nahrungsstoffe
zu übertragen, und so ihre Verbrennung einzuleiten. Diese Funktion der
Sauerstoffübertragung wird nun nach den Vorstellungen von Bach und
Chodat folgendermaßen von den Fermenten besorgt:
Überall, wo freier Sauerstoff mit schwer oxydierbaren Substanzen zu-
sammenkommt, entstehen zunächst als primäre Oxydationsstufen Peroxyde;
und zwar erfolgt diese Peroxydbildung in der Weise, daß die Zelle ferment-
artige leicht oxydierbare Stoffe, die Oxygenasen produziert, die nun den
molekularen Sauerstoff unter Peroxydbildung aufnehmen. Wenn wir das
O
in eine Formel bringen, so können wir sagen: R+ 0_0=Rl ı (Rist ein
O
schwer oxydierbarer Körper).
Diese Oxygenasen resp. Peroxyde haben nun ihren Sauerstoff in einer
leicht abspaltbaren Form (sie haben von den beiden Sauerstoffatomen
nicht mehr die doppelte, sondern die einfache Bindung) und sind so in den
Stand gesetzt, die Hälfte des von ihnen locker gebundenen Sauerstoffes
an schwer oxydierbare Körper abzugeben. Kleiden wir das wieder in
eine Formel: O
RC + R=RO+RO.
O
418 Bering,
Diese oxydierende Wirkung der Peroxyde, die also aus den Oxygenasen
entstehen, kann nun durch Metallsalze, z.B. Eisen, beträchtlich beschleunigt
werden. Als Ersatz für die Metallsalze produziert nun die lebende Zelle
besondere Fermente, die Peroxydasen, welche also im Sinne der Katalyse
das Oxydationsvermögen der Peroxyde außerordentlich beschleunigen und
verstärken.
Sie haben also die Funktion, die Oxygenasen, die offenbar in der
großen Verdünnung, in der sie in den Gewebssäften und Zellen vorhanden
ist, den O aus der Peroxydbindung nicht leicht abgeben können, zu akti-
vieren. Das Charakteristische dieses Vorganges ist, daß die Zelle auf die
Art durch die Bildung von Peroxydase ihre Verbrennungsprozesse regulieren
kann. Dieses Ferment fungiert also nach dieser Vorstellung in Verbindung
mit der Katalase als Regulator der Oxydationsprozesse.
Unsere Untersuchungen erstrecken sich auf die Peroxvdase. Wir
benutzten die der Phenolase entsprechende Peroxydase, ein Ferment, das
nicht nur im Pflanzenkörper gefunden wird, sondern das auch im tierischen
Organismus nach den Untersuchungen von Fürth niemals fehlt. Die
Peroxydase wurde aus Meerrettigwurzeln gewonnen (Zubereitung: siehe
Arbeit Bering und Meyer, Strahlentherapie, H. 1, S. 201).
Bezüglich der Technik sei betont, daß zur Messung der Peroxydase
die von Bach und Chodat ausgearbeitete Purgurogallinreaktion
benutzt wurde. Es handelt sich hier um die Aktivierung von Hydroperoxvd
durch die Peroxydase, wodurch Pyrogallol zu Purpurogallin oxydiert wird.
Durch Wägung dieses in Wasser unlöslichen Körpers konnte direkt ein
Anhaltspunkt für die Aktivität der Peroxydase gewonnen werden.
Wir hatten bereits früher (siehe diese Zeitschrift, H. 1) ein Maß zur
Bestimmung der für die Lichttherapie zu verabreichenden Lachtiuanten
festgelegt.
Bei der biologischen Eichung dieser Mebimethode auf das sauer-
stoffspaltende Ferment der Peroxydase wurde die eigentümliche Beobachtung
gemacht, daß bei gewisser Versuchsanordnung keine Schädigung der
Peroxydase eintrat, sondern eine Wirkung im Sinne der Förderung
seiner fermentativen Kraft.
Die Lichtempfindlichkeit der verschiedenen Fermente ist schon von
zahlreichen Forschern untersucht worden. Auch die schwächende Wir-
kung des Röntgenlichtes auf Peroxvtase, Hefepreßsaft und Pankreation
konnten wir!) nachweisen. Diese fördernde Wirkung wird jedoch in
der Literatur nirgends erwähnt. Nur Ostwald?) hat eine ähnliche Be-
) Meyer und Bering, Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen,
Bd. 17.
2) Ostwald, Biochemische Zeitschrift, Bd. 10.
Experimentelle Studien über die Wirkung des Lichtes. 419
Beobachtung mitgeteilt in seiner Habilitationsarbeit über .‚die Lichtempfindlich-
keit tierischer Oxydasen und über die Beziehungen dieser Eigenschaft zu den
Erscheinungen des tierischen Phototropismus“. Er hat die Guajak bläuende
Peroxydase, sowie die Wasserstoffperoxyd zersetzende Katalase in den Ex-
trakten fast aller von ihm untersuchten heliotropischen Tiere gefunden,
jedoch in stark wechselnden Mengen. Katalasenextrakte, sowohl aus
frisch mit Chloroform getöteten als auch aus getrockneten Tieren her-
gestellt, werden schnell durch künstliche und natürliche Belichtung zer-
stört. Auch die lebenden Räupchen von Porthesia chrysorrhoea erleiden
bei der Belichtung einen beträchtlichen Verlust an Katalase. Die physiologi-
sche Bildung der Katalase scheint durch gelbe Strahlen begünstigt, durch
violette gehemmt zu werden. Auf die peroxydasehaltigen Extrakte übt
das Licht einen sehr verschiedenen, sogar entgegengesetzten Einfluß aus.
(reringe Intensitäten hindern die natürliche Vermehrung — negative Licht-
wirkung.
Diesen negativen stehen die positiven Lichtwirkungen gegenüber,
welche in den intensiv, allerdings nicht beliebig lange bestralilten Extrakten
einen größeren Peroxydasegehalt ergaben, als die im Dunklen gehaltenen Ex-
trakte. Direktes Sonnenlicht oder intensives diffuses Tageslicht beschleu-
nıgen sofort die natürliche Peroxydasenvermehrung tierischer Extrakte in
Gegenwart von Sauerstoff. Bereits nach 5 Minuten Sonnenbelichtung sah
Ostwald zuweilen bei frischen Extrakten (Darminhalt von hungernden
Mehlwürmern, überwinternden und hungernden Dytiscus und Hydrophilus,
Haemolymphe der letzten beiden sowie ausgewachsener Kossus-Raupen,
überwinternde Porthesia-Räupchen) einen deutlichen Unterschied zwischen
Hell und Dunkel. Diese Unterschiede treten schneller und intensiver auf
bei frischen als bei alten Extrakten. Ferner zeigen verdünntere Extrakte
stärkere „positive Lichtwirkungen‘* als konzentrierte; violettes Licht fördert
am meisten. Bei sehr langer Bestrahlung nimmt der Peroxydasegehalt
des belichteten Extraktes wieder ab und zwar schneller als der eines unter
gleichen Bedingungen gehaltenen verdunkelten Extraktes. Weitere Ver-
suche ergaben nun, daß in derselben regelmäßigen Weise, in welcher bei
Belichtung die Katalase im lebenden Tierkörper zerstört wird, umgekehrt
die Peroxydase sich vermehrt. Violettes Licht begünstigt bei nicht zu
langer Exposition in ähnlicher aber stets schwächerer Weise die Vermehrung
der Peroxydase. Gelbes Licht hindert die Peroxydaseentwicklung im
lebenden Tierkörper in etwas mehr als der Hälfte der untersuchten Fälle
noch stärker als die Lichtentziehung.
Wie bereits bemerkt entdeckten wir die fördernde Wirkung des
Lichtes auf die Peroxydase bei der Bestrahlung derselben mit dem
420 Bering,
Quecksilberdampflicht nach Filtrierung durch Kaninchenhaut. Da diese
Erscheinung unter denselben Versuchsbedingungen stets eine gleichmäßige
war, wurde nach einer eventuellen Gesetzmäßigkeit geforscht.
Die Versuche wurden in der Weise angestellt, daß die Peroxydase in
verschiedener Menge in 40ccm aq. dest. gelöst, diese Flüssigkeit in eine
Prüfzelle gebracht wurde und die Quarzglasscheibe der Prüfzelle mit der
rasierten von subkutanem Fett befreiten Haut eines weißen Kaninchens
bedeckt wurde. Zu diesen Filtern wurde stets die Haut junger Kaninchen
desselben Alters verwendet, um möglichst gleiche Bedingungen zu schaffen.
Sämtliche Kontrolluntersuchungen wurden vorsichtig bei völliger Dunkel-
heit gehalten.
Nach der Belichtung (als Lichtquellen dienten die Finsen-Reynlampe,
die Quecksilberdampflampe!) und das Sonnenlicht) wurde die Peroxydase-
lösung mit 35 ccm einer 3 proz. Pyrogallollösung. dann 10 cm einer 1 proz.
Wasserstoffsuperoxydlösung versetzt, 4 ccm Toluol hinzugefügt und nach
24 Stunden die Purpurogallinmenge durch Wägung quantitativ bestimmt.
Die Reaktion lief verschieden schnell ab bei der belichteten und unbelich-
teten Peroxydase. Auf diese auch recht typischen Differenzen gehen wir
in dieser Arbeit nicht ein: behalten uns aber vor, noch darüber zu berichten.
Da die Dosis des Lichtes, gemessen nach der Zeit, eine durchaus un-
zuverlässige ist, haben wir uns stets der von uns angegebenen Meß-
methode bedient: wir bestrahlten 25 ccm einer 1 proz. Jodkalilösung und
25 ccm 5,3"/, konz. Schwefelsäurelösung; als Normaldosis — 1 Finsen
bezeichneten wie diejenige Strahlenmenge, welche in diesen 50 cem Flüssig-
keit soviel Jod zur Abspaltung bringt, dal zur Jodometrie 10 cem einer
!’ oo Normal-Natrium-Thiosulfatlösung nötig sind.
Weil bei den Versuchen stets ein Kaninchenfilter vorgeschaltet wurde,
mußte zunächst festgestellt werden, wieviel strahlende Energie von diesem
absorbiert wird:
1 F Obertlächendosis = 0,4 F Tiefendosis
3 F z = LOF =
5 F : = I3 PF a
7 F j = 15 F 5
9 F z = 189 F 5
11 F j == 2,0 F 4
13 F j = 22 E 4
Die Kaninchenhaut filtriert also die wirksamen Strahlen in sehr großer
Menge ab; jene Strahlen, denen nur eine Oberflächenwirkung zukommt,
die Äußeren ultravioletten, werden durch sie abgefangen.
1) Die Quarzlampengesellschaft hat uns in entgegenkommender Weise für diese
Experimente eine neue Lampe geschenkt.
Experimentelle Studien über die Wirkung des Lichtes. 491
Die Differenzen, welche durch geringe Unterschiede in der Dicke der
Kaninchenhaut entstehen, sind, wie reichlich Kontrollen ergaben, so gering,
daß sie unberücksichtigt gelassen. werden können.
Die Blaufilter aus Uviolglas, welche den Quarzlampen zur Abfiltrierung
der oberflächlichen Strahlen beigegeben sind, absorbieren nach eigenen
Versuchen die Hälfte der Lichtenergie, so daß 1 F Weißlicht !/, F
Blaulicht (nach Einschaltung des Blaufilters) entspricht.
I. Peroxydase A. 0,2: 40
'unbestrahlt
1 F Weißlicht
1 F Blaulicht
II. Peroxydase A. 0,15: 40
unbestrahlt .
0,189 Purpurogallin.
0,199
0,203 „
0,135 Ppg.
1!/, F Finsenlicht 0.140 .
11, F Weißlicht 0,150 „
1’/, F Blaulicht 0.155 „
III. Peroxydase A. 0,15 : 40
unbestrahlt
0,5 F Weißlicht 0,145 Ppg..
0,138 Ppg.
0,5 F Blaulicht 0.150 Ppe.
LE ., 0153 „ 10OF . 015 „
1I38F ,„ 0.155 „ 1SF . 015 „.
15F „ 0155 „ 14,5F 0.155 ,,
IV. Peroxydase B. 0,2: 40
Beidiesem Versuch setzen wirden Einfluß des ungefilterten Lichteshinzu:
unbestrahlt 0,211 Ppse.
Quarzlicht 1 F Obertlächendosis 0,171 Ppg. = 0,3 F Tiefendosis 0,215 Ppe.
3F E 0,050 „ = 1,0 F “0218 „
5F N 0.022 „ =13F 0,220 ..
7 F : 0,010 „ =15F „0220
,
Aus diesen Versuchen geht hervor, daß durch Finsenlicht, wie
gefiltertes Quarzweißlicht, wie Quarzblaulicht eine Förderung
der fermentativen Wirkung der Peroxydase eintritt.
V. Peroxydase B. 0,2 :50
unbestrahlt 0,200 Ppe.
Dosis:
0,5 F Quarzlicht 0,199 „
1.0 F f 0,195
1,5 F 5 0,192 „
1,7 F . 0150
2,0 F . 0,104.
422 . Bering,
Dieser Versuch beweist, daß eine gewisse Konzentration der Per-
oxydase notwendig ist; eine Förderung ist nicht erreicht, wohl aber tritt
sehr bald eine erhebliche Schädigung ein.
VI. Peroxydase A. 0,18:40.
unbestrahlt . . . . 0,160 Ppg.
0,5 F Quarzlicht . . . 0,160 „
1,0 F 5 . . . 0,4167 ,
1,5 F 3 . . . 0,170 ,
2,0 F a po er 0172 5,
2,5 F 5 s a a 0139 „
VII. Peroxydase B. 0,21 : 40.
unbestrahlt . . . . 0,225 Ppg.
1,0 F Quarzlicht . . . 0,235 „
1,5 F : DDR: Lo
2,0 F ss soa BEL 5
25F 2.2.0190
VIII. Peroxydase A. 0,15 : 40.
unbestrahlt . . . . 0,155 Ppg.
1,5 F Weißlicht . . . 0165 „
1,5 F Blaulicht . . . . 04166 „
1,5 F Finsenlicht . . . 0,160
2 F Weißlicht 0,079; Blaulicht 0,054; Finsenlicht 0,145.
Versuche VI, VII und VIII zeigen den Übergang der Licht-
wirkung von Förderung in Hemmung.
Bei VI und VIII liegt die Grenze der fördernden Dosis zwischen
2 F und 2,5 F; bei VII zwischen 1,5 F und 2 F.
Das Ergebnis dieser Versuchsreihen ist ein gleiches: bei genügen-
der Konzentration der Peroxydase tritt von einer Dosis von 41 F
an eine Förderung der Fermentwirkung ein bis zu einer Grenze
von durchschnittlich 2 F, bei welcher die Förderung in Hemmung
übergeht.
Sonnenlicht.
Die Versuche mit dem Sonnenlicht gestalteten sich schwieriger
als die mit der Quarzlampe, weil dieses Licht ein sehr inkonstantes ist.
Das fiel sogar an solchen Tagen auf, an denen der Himmel nicht über-
mäßig mit Wolken bedeckt war. Eine Reihe von Versuchen ergab, dab
sich mit Sonnenlicht niemals gleiche Dosen in gleicher Zeit erreichen
lassen, wie wir es wenigstens annähernd können mit künstlichen Licht-
Experimentelle Studien über die Wirkung des Lichtes. 493
quellen. Während eine Dosis von 1 F einmal eine Zeit von 15 Min.
benötigt, sind im anderen Falle — oft an demselben Tage 1!/,—2 Stunden
erforderlich. Die Lichtenergie ist abhängig von den so außerordentlich
variablen Absorptionsverhältnissen in der Luft. Sie sind, wie einige
Forscher bereits festgestellt haben, auf hohen Bergen sehr viel günstiger.
als in industriereichen Gegenden. Trotzdem scheint es uns gerade bei der
Behandlung mit Sonnenlicht notwendig zu sein, die strahlende Energie
exakt zu messen, falls die reine Empirie verlassen werden soll.
Sonnenlicht gefiltert.
IX. Peroxydase B. 0,15 : 40.
unbestrahlt. . . . . 0,190 Ppe.
1,0 F Sonnenlicht . . . 0,199 ,
1,5 F = . . . 04160 ,
25F o „ 2.0060 .,
Ein zweiter Versuch ergab dasselbe Resultat. Um zuverlässige Zahlen-
werte zu bekommen, war es notwendig, neben der mit der Peroxydase-
lösung gefüllten Prüfzelle eine zweite mit dem Jodkali-Schwefelsäuregemisch,
ebenfalls mit einem Kaninchenfilter bedeckt, zur Bestimmung der „Finsen“
aufzustellen.
Ergebnis: Auch das gefilterte Sonnenlicht übt bei geringer
Dosis eine fördernde Wirkung aus auf die Peroxydase: bei
größerer Dosis eine hemmende.
Nach diesen Versuchen war es von Interesse, die Wirkung der un-
gefilterten Lichtstrahlen festzustellen.
X. Quarz- und Finsenlicht ungefiltert.
Peroxydase A. 0,18: 40.
unbestrahllt . . . . . 0,195 Ppg.
1 F QuarzweißBlicht . . . 0195 .
1 F i = e OAS y
s È = a 27 a
1 F 5 . . -0,095
2 F 5 0,020
3 F r 0,002
XI. Peroxydase A. 0,2 : 40.
unbestrahlt . . . 0,204 Ppg.
Ee a e a a a 0204 -y
HaTe on a e a OIS i
B a a e m a o OO -a
Quarzweißlicht wirkt unfiltriert stets hemmend.
424 Bering,
XII. Peroxydase 0,15: 40
unbestrahlt . . . 0,135 Ppe.
1 F Finsenlicht 0,143 Ppg., 1,5 F Finsenlicht 0,130 Ppeg.
1 F Quarzblaulicht 0,143 ,, 1,5 F Blaulicht 0,120 „,
Fördernde Wirkung des Quarzblaulichtes und des Finsen-
lichtes bei kleiner Dosis.
XIII. Sonnenlicht ungefiltert
unbestrahlt . . . 0,212 Ppe.
07E er 0,224
14 F ... . . 0206 ,„
ZE y sos a-e O20f 5
20 F .... . 0180 ,„
Das Sonnenlicht hat eine fördernde Wirkung bei kleiner
Dosis.
Ergebnis: Auch bei ungefiltertem Licht, sowohl der Sonne
als auch der Quarzlampe, läßt sich eine fördernde Wirkung er-
reichen durch Applikation geringer Dosen, nur das Weißlicht der
Quarzlampe übt stets einen hemmenden Einfluß aus, offenbar wegen des
Überreichtums an kurzwelligen ultravioletten Strahlen.
Das Resultat der Experimente ist ein ganz einwandfreies und stetig
wiederkehrendes; es zeigt sich bei kleinen Dosen eine deutliche
starke Förderung der Fermentwirkung von einer bestimmten
Dosis ab, schlägt diese Wirkung ins Gegenteil um, aus der
Förderung der Fermentwirkung wird eine Lähmung, die, wenn
die Dosis groß genug ist, zu einer völligen Zerstörung führt.
Wir sehen also, daß hier eine Stufenfolge der Wirkung vorliegt, die
wir von chemischen Arzneimitteln längst kennen: Reizung, Lähmung, Tod.
Kleinere Reize fachen die Lebenstätigkeit an, mittlere lähmen sie und
starke heben sie auf. Dasselbe Prinzip findet auch hier Anwendung, denn
wir sehen, daß mäßiger Lichtgenuß die Fermentarbeit erheblich fördert,
der stärkere schädigt die Wirksamkeit derselben, der übermäßige aber
zerstört das Ferment.
Besonders charakteristisch ist nun aber der Gegensatz in der Wir-
kung von ungefilterten und den durch die Epidermis filtrierten
Strahlen: während bei ungefilterten Strahlen, also denjenigen, welche noch
das gesamte Ultraviolett im Spektrum haben (bei dem Weißlicht überhaupt
keine Förderung), dieser Umschlag von Reiz in Lähmung sehr früh erfolgt,
ist nach Ausschaltung dieser Stralllen durch Abfiltrierung in der Epi-
dermis die Dosis, bei welchen der Übergang von der Fermentaktivierung
zur Fermentschädigung erfolgte, eine weit höhere.
Experimentelle Studien über die Wirkung des Lichtes. 425
Das äußere Ultraviolett bedingt schon in geringer Dosis eine starke
Schädigung; das innere Ultraviolett und die blauvioletten Strahlen wirken
auch bei größerer Dosis noch im Sinne der Reizung.
Offenbar filtriert die Epidermis jene Strahlen, welche dem Or-
ganismus nicht von Nutzen sind, ab und stellt von diesem Gesichtspunkte
betrachtet, ein wichtiges Schutzmittel dar; die für die Fermentwirkung
toxischen Strahlen gelangen gar nicht an die Hautkapillaren heran.
II.
Es waren nach diesen Ergebnissen die einzelnen Abschnitte des
sichtbaren Spektrums auf ihre Wirksamkeit hin zu prüfen. Auch bei
diesen Versuchen wurde eine Kaninchenhaut vorgeschaltet, um die Wirk-
samkeit der Strahlen erst nach Passieren der Epidermis festzustellen.
Als Lichtquellen dienten die Quecksilberdampflampe und eine 40
Ampère starke Kohlenlichtlampe. Diesen Lichtquellen wurden farbige
Gläser als Filter vorgeschaltet.!) Immer wurde die chemische Kraft neben
der Wirkung auf P. mitbestimmt.
Blauviolette und innere ultraviolette Strahlen.
(Blaufilter aus Uviolglas.)
Wir verweisen hier auf die Versuche I, II und III, aus denen hervor-
geht, daß diese Strahlen schon bei einer Dosis von 1 F eine ganz erheb-
liche fördernde Wirkung auf die fermentative Kraft der Peroxydase aus-
üben können.
Grüne Lichtstrahlen. (Grünfiter.)
Wellenlänge in uu (nach Angabe von Schott & Gen.).
Sichtbares Spektrum
644 | 578 | 546 | 509 | = 436 , 405
0,18 | 0,45 | 0,64 | 0,62'0,44 |0,11| —
I. Peroxydase D. 0,2: 40
unbestrahlt . . . . 0,211 Ppe.
1,3 F Tiefendosis . . . 0,211 „
II. Peroxydase D. 0,15 : 40
unbestrahlt . . . . 0,183 Ppe.
1,7 F Tiefendoss . . . 0,189 „,
III. Peroxydase D. 0,16 : 40
unbestrahblt . . . . 0,194 Ppe.
2,0 F Tiefendoss . . . 0,204
1) Die Gläser waren von der Firma Schott & Gen., Jena, geliefert.
29
426 Bering,
IV. Peroxydase C. 0,30 : 40.
unbestrahlt . . . . 0,230 Ppg.
2,3 F Tiefendosis . . . 0,243 ,
Grüne Strahlen wirken bei einer Dosis von 1,7 F an fördernd auf
die Peroxydase.
Gelbe Lichtstrahlen. (Gelbfilter.)
Wellenlänge in uu.
Sicbtbares Spektrum a ven Spektrum
644 | 578 | 546 | 509 , 480 | 436 | 405 | 366 | 3341 : 313 | 302
0,99 | 0,99 | 0,99 0,99 0,93 | 0,52 | 0,24 | 0,16 | 0,08 | 0.05 | 0,03.
I.. Peroxydase D. 0,2: 40.
unbestrahllt . . . . 0,211 Ppse.
1,3 F Tiefendosis . . . 0,210 „
II. Peroxydase C. 0,2: 40. |
unbestrabllt . . . . 0,212 Ppg.
1,5 F Tiefendosis . . . 0211 „,
Ul. Peroxydase D. 0,15 : 40.
unbestrahlt . . . . 0,1175 Ppg.
2,0 F Tiefendosis . . . 0,187 „
IV. Peroxydase 0,3:40.
unbestrahllt . . . . 0,210 Ppe.
2,3 F Tiefendosis 0,218 ,
Gelbe Strahlen wirken bei einer Dosis von 2 F an fördernd auf die
Peroxydase.
Rote Lichtstrahlen. (Rotfilter.)
Wellenlänge in u.
Sichtbares Spektrum
466 | 578 509 | 480 , 436 | 405
0,99 | 0,71 0,54 | 0,48 | 0,37 | 0,27
Peroxydase C., 0,15 : 40.
unbestrahlt . . . 0,233 Ppg.
1t E Dosis . . . 0231 „
2 2E t A e W232 i
Wiederholungen stets mit demselben Resultat.
Rote Strahlen lassen die Peroxydase unbeeinflußt.
546
0,66
Die roten Strahlen lassen die Peroxydase unbeeinflußt:
die gelben haben bei genügender Intensität einen fördernden
O d a EEE . ui a KEN a an. nn,
Experimentelle Studien über die Wirkung des Lichtes. 427
Einfluß; die grünen und noch mehr die blauen und inneren
ultravioletten Strahlen üben einen erheblichen Reiz im Sinne
der Förderung der fermentativen Kraft aus.
Je mehr man sich dem kurzwelligen Ende des Spektrums
nähert, je größer also die chemische Kraft der betreffenden
Strahlengruppe ist, desto intensiver ist auch die Wirksamkeit
auf das geprüfte Oxydationsferment.
Die äußeren ultravioletten Strahlen, die sich in unseren
Versuchen als so außerordentlich wirksam erwiesen und die auch in einigen
von Hertel angestellten Experimenten mit Infusorien eine sehr deletäre,
fast augenblicklich tötende Wirkung auf lebendes Protoplasma ausüben,
werden in der Epidermis fast völlig absorbiert und unschädlich gemacht.
Die blauvioletten und inneren ultravioletten Strahlen wirken in
typischer Weise bei kleinen und mittleren Dosen im Sinne einer Reizung,
bei größeren im Sinne einer Schädigung. Sie durchdringen die Epidermis
und werden hauptsächlich von dem roten Schirm der Hautkapillaren auf-
gefangen — nach den Untersuchungen von Busk zu 99%. Ihrer bedient
sich der Organismus in erster Linie bei der Lichtwirkung. Aber er bedarf
ihrer nur in geringer Menge; hohe Dosen sind schädlich. Das ist der Grund
weshalb dem Körper gegen übermäßigen Lichtgenuß ein weiteres Schutz-
mittel zur Verfügung steht — die Pigmentbildung.
Die Pigmentierung, die sich nach starker Besonnung einstellt,
entspricht regulatorischen Zwecken insofern, als das in den Basalzellen
der Malpighischen Schicht abgelegte Pigment die chemisch wirksamen
Strahlen in hohem Malie absorbiert und die Gewebe des Körpers vor einem
übermäßigen Lichtchemismus bewahrt.
Ein einfaches Experiment kann dieses demonstrieren: Vor die Quarz-
glasscheibe einer Quecksilberdampflampe (blaues Licht) wird einmal die
weiße Haut eines Kaninchens geschaltet, das zweite Mal die dunkel pigmen-
tierte Partie der Haut desselben Kaninchens (bei verschiedenen Kaninchen
wäre die Haut nicht gleichmäßig dick): dann wird die Lichtstärke nach
Finseneinheiten gemessen
weißes Filter = pigmentiertes Filter
1,4 F 0,8 F
2,6 F 1,4 F.
Die pigmentierte Haut fängt also fast um die Hälfte mehr blau-
violette und innere ultraviolette Lichtstrahlen ab als die weiße Haut.
Gerade das Vorhandensein dieses Schutzmittels läßt uns mit Recht
darauf schließen, daß die Lichtenergie nur in einer ganz bestimmten Dosis
für den Körper zuträglich ist; sowie diese Dosis überschritten wird, kommt
es zu einer Schädigung.
28
428 Bering,
Wird also die Lichtwirkung an irgendeiner Stelle des Körpers abnorm
gesteigert, dann greift der Organismus zu Abwehrvorrichtungen; zunächst
fült er den rings in der Haut aufgespannten roten Sonnenschirm ganz
besonders stark mit Blut, um durch das rote dicke Lichtfilter vor allem
das Innnere des Körpers vor den in Konzentration schädlichen und
abnorme Vorgänge hervorrufenden Einflu der Lichtstrahlen zu schützen.
es kommt zur Hyperämie und wenn dieser rote Schirm dann nieder-
gespannt ist, wenn die Hyperämie abgeklungen, dann spannt der Körper
einen anderen Schirm auf, einen Pigmentschirm, um von vornherein
vorzubeugen und sich in Zukunft gegen den übermäßigen Lichtgenuß zu
schützen. In der Heliotherapie nimmt man auf diese durch das Pigment
erzeugte Regulierung des Lichtgenusses in weitgehendem Maße Rücksicht.
Im Anfang wird die Haut nur in mäßigen Grenzen, am Unterschenkel
beginnend und allmählich aufsteigend, dem Lichte ausgesetzt; erst dann,
wenn die Haut überall eingebrannt ist, dann darf der ganze Körper
stunden- und tagelang den Sonnenstrahlen exponiert werden, wobei
natürlich immer noch genügend Licht zwischen den einzelnen Zellen
durchtritt. Denn die dunkle Haut wird ja nicht durch eine gleichmäßige
Farbenschicht hervorgebracht, sondern es sind zahllose Chromatophoren,
die im Gewebe zwar nebeneinander aber doch nicht so dicht neben-
einanderliegen, daß sie nicht Lichtstrahlen neben sich durchließen.
Grüne und gelbe Strahlen wirken stets, allerdings erst bei größeren
Dosen fördernd auf die Peroxydase. Eine Schädigung haben wir nicht
beobachtet. Ob sie sich erreichen läßt, konnten wir mit den uns zur Ver-
fügung stehenden Lichtquellen nicht nachweisen. Hierzu wären aber sicher
solche Dosen notwendig, wie sie bei der Therapie niemals zur Wirkung
gelangen können. |
Die roten Lichtstrahien üben keine Wirkung aus auf die Peroxydase.
Bei diesen Versuchen mußte unter vorsichtiger Ausschaltung der Wärme
durch Wasserkühlung gearbeitet werten.
IV.
Die Lichtquanten, welche in den Experimenten appliziert werden, bevor
es zu einer Reizwirkung kommt, sind gegenüber den Lichtdosen, welche in
vivo als wirksam angenommen werden müssen, doch immerhin relativ grob
und ferner zeigen gerade die Lichtstrahlen, von denen wir eine Beeinflussung
der Oxydationsfermente beobachteten, im Gegensatz zu den übrigen nur
eine relativ geringe Tiefenwirkung. Die biologische Kraft des
Lichtes geht, wie unsere Versuche beweisen, proportio-
nalderchemischen Wirkung, aberumgekehrt proportio-
nalihrerPenetrationsfähigkeit. Auch die langwelligen Strahlen
Experimentelle Studien über die Wirkung des Lichtes. 429
vermögen in der Tiefe eine gewisse Wirkung zu entfalten. Hier verweisen
wir noch einmal auf die bereits oben zitierten Untersuchungen von Busk.
Dann konnten wir feststellen, daß nach Vorschaltung einer 3 mm dicken
Muskelschicht vor eine Quarzlampe eine 8stündige Bestrahlung mit gelben
Strahlen 0,8 F und mit grünen Strahlen 1 F gibt, also Lichtmengen,
welche nahe an die von uns gefundenen wirksamen Dosen herankommen.
Zu einer chemisch und biologisch wirksamen Dosis sind aber große Zeiten
erforderlich; größere sicher als wie sie bei einer einmaligen Bestrahlung mit
Sonnenlicht oder künstlichem Licht erreicht werden können. Nach dieser
Richtung hin angestellte eingehende Versuche stehen noch aus. Ob nicht
aber einer kumulierenden Wirkung des Lichtes bei den zweifellos fest-
stehenden Heilungsprozessen eine nicht unwesentliche Rolle zuerkannt
werden muß, auch das wird erst durch weitere Untersuchungen zu ent-
scheiden sein.
Dieses Mißverhältnis jedoch zwischen chemisch-biologischer Kraft einer-
seits und Penetrationsfühigkeit andrerseits und der Umstand, daß die Strah-
len, welchen eine Tiefenwirkung eigen ist, großer Dosen zur Entfaltung ihrer
Wirkung bedürfen, führt uns zum Studium der Frage, ob der Körper nicht
über Mittel verfügt, auch den tiefdringenden Strahlen: den gelben, grünen
und den roten eine Wirkung zu ermöglichen oder sie zu erleichtern: zur
Sensibilisierung der Lichstrahlen.
„Die Forschungen der letzten Jahrzehnte haben eine große Reihe von
Körpern kennen gelehrt, durch deren Anwesenheit Reaktionen zwischen
anderen Substanzen ermöglicht werden, die ohne diese Körper nicht oder
zumindest nur in ungleich geringerem Ausmalje zustandekommen. Als
solche reaktionsbeschleunigende Körper sind die tierischen und pflanzlichen
Fermente bekannt. Es sei gestattet, in gewisser Beziehung diesen Kata-
lysatoren auch jene merkwürdigen Körper zur Seite zu stellen, bei deren
Anwesenheit die Lichtstrahlen Wirkungen zu entfalten vermögen, die sie
an sich nicht besitzen, die sogenannten optischen Sensibilisatoren.” (Haus-
mann, Fortschritte der naturwissenschaftlichen Forschung, Bd. 6.)
Vogel entdeckte 1573 Farbstoffe. die imstande sind, hiehtempfindliche
Silbersalze auch für schwächer gebrochene Strahlenbezirke empfindlich zu
machen. Nur solche Farbstoffe vermögen Silbersalze zu sensibilisieren, die
von ihnen absorbiert werden. 1900 entdeckte v. Tappeiner!) die photo-
dynamischen Wirkungen fluoreszierender Substanzen, welche sich darin
äußert, „daß sie in Berührung mit lebendem Gewebe dasselbe für lang-
wellige Strahlen in ähnlicher Weise empfindlich machen, wie es sonst nur
1) v. Tappeiner u. Jodlbauer, Die ‚sensibilisierende Wirkung fluoreszie-
render Substanzen.
28*
430 Bering,
für die kurzwelligen Strahlen ist“ (Aschoff). Die Entdeckung nahm ihren
Ausgang von einer Arbeit Raabs in v. Tappeiners Laboratorium, welcher
zeigte, daß salzsaures Akridin Infusorien bei diffusem Tageslicht oder Sonnen-
licht tötete, während sie, im Dunklen gehalten, dadurch unbeeinflußt blieben.
Diese photodynamische Wirkung beobachteten v. Tappeiner und seine
Schüler, besonders Jodlbauer bei sämtlichen fluoreszierenden Farbstoffen,
weshalb sie annahmen, daß die Fluoreszenz eine für das Zustandekommen
der Wirkung notwendige Bedingung sei, das Licht müsse diejenigen
Strahlen enthalten, welche in der fluoreszierenden Lösung zur Absorption
gelangten. |
Dann wurde gefunden, dal Enzyme, Komplemente, Toxine und Anti-
toxine durch Licht und fluoreszierende Substanzen stärker beeinflußt werden,
als durch Licht allein. Auch die Zellen höherer Organismen werden in
Gegenwart solcher Substanzen bei Belichtung schwer geschädigt. Die Wir-
kung des Lichtes berult aber nicht darauf, dal) aus den Farbstoffen
giftige Stoffe entstehen, die erst sekundär toxisch sind, sondern sie ist
eine direkte.
Nach den Untersuchungen von Michaelis!) und von Hertel ist die
Fluoreszenz keine für die Sensibilisierung notwendige Bedingung, sondern
sie „spielt nur die Rolle eines wichtigen und bequemen Erkennungsmittels
dafür, daß ein bestimmter Stoff in einer bestimmten Lösung eine bestimmte
Menge strahlender Energie aufzunehmen und zu verarbeiten imstande ist“
(Hertel). -- Nach Tappeiners Versuchen ist nun allerdings eine Licht-
wirkung bei absolutem Sauerstoffausschluß möglich; aber besonders bemer-
kenswert ist, daß die Wirkung der langwelligen Strahlen nur bei Sauerstoff-
gegenwart stattfinden kann.
Wir sind nach Tappeiner berechtigt, die photodynamischen Erschei-
nungen als Sensibilisierung zu bezeichnen, mit der Einschränkung, daß es
sich dabei um eine Beschleunigung der Wirkung des sichtbaren Lichtes bei
Sauerstoffanwesenheit handelt, welche mit der Wirkung des ultravioletten
Lichtes nicht in jeder Beziehung identifiziert werden darf (Hausmann).
Die Wirkung der kurzwelligen Strahlen ist nicht an den Sauerstoff
gebunden und beruht vielleicht auf einer Spaltung.
Hinsichtlich der vielen Farbstoffe, welche untersucht wurden, verweisen
wir auf die bereits erwähnte hochinteressante Monographie von v. Tap-
peiner und Jodlbauer.
Bei unseren Sensibilisierungsversuchen war der Gedanke leitend,
solche photodynamische Substanzen in ihrer Wirkung auf die Peroxydase
zu untersuchen, welche in tierischen und pflanzlichen Lebewesen vorhanden
oder doch wahrscheinlich in ihnen in irgendeiner Verbindung tätig sind,
m m
)) Michaelis, Biochem. Zentralblatt 1905, Nr. 6.
ri EEE EEE. RUHE] SO
Experimentelle Studien über die Wirkung des Lichtes. 431
so daß sie bei der Lichtwirkung auf lebende Organismen als Sensibili-
satoren fungieren können.
Hierbei stellte sich von vornherein die große Schwierigkeit der Ver-
dünnungen heraus, in welchen die Substanzen als solche nicht schädigten
und in welchen sie anregten.
Das Ziel war, die Möglichkeit der Sensibilisierung der
langwelligen, vorallem derrotenStrahlen nachzuweisen.
Die Versuche wurden angestellt mit Ferrisulfat nach dem Vorbilde
Neubergs; ferner noch mit Galle und mit Hämatoporphyrin.
Die tierische Galle wurde von Hausmann!) zuerst untersucht,
welcher fand, daß sie intensiv sensibilisierend auf rote Blutkörperchen
wirkt. Sowohl die getrocknete als auch frisch dem Tierkörper entnommene
Galle wirkte, vermochte sogar die Blutkörperchen desselben Individuums zu
sensibilisieren.
Das Hämatoporphyrin ist ein eisenfreies Abbauprodukt des
Blutfarbstoffes des Hämoglobins, ein dem Bilirubin und vor allem nach den
Untersuchungen Nenckis dem Chlorophyll nahestehender Blutfarbstoff.
Es ist nur giftig bei Gegenwart des Lichtes. Es wurde ebenfalls von
Hausmann untersucht, welcher nachwies, daß es ein starkwirkender
photobiologischer Sensibilisator für Paramäzien und Erythrozyten ist und
daß man auch weiße Mäuse durch ihn lichtempfindlich machen kann. In-
Jiziert man einer Maus eine geringe Menge von Hämatoporphyrin, so ist schon
das diffuse Tageslicht imstande, das Tier zu töten — „Lichttod“. Nach
Hausmanns Untersuchungen sind die von einer alkalischen Hämatopor-
phyrinlösung hauptsächlich zwischen E und F liegenden absorbierten Strahlen
auf eine Paramäzienaufschweınmung wirksam.
Die sensibilisierende Wirkung des Hämatoporphyrins ist wegen seines
häufigen Vorkommens unter physiologischen und pathologischen Verhält-
nissen besonders wichtig. Wir erinnern hier an die Sensibilisierungskrank-
heiten, welche dadurch zustande kommen können, dal dem Körper mit
der Nahrung sensibilisierende Substanzen zugeführt werden — Buch-
weizenkrankheit und Pellagra — dann auch dadurch, daß unter patho-
logischen Prozessen oder durch Gifte im Organismus sich Sensibilisatoren
bilden und dann zur Lichtempfindlichkeit führen — Sulfonal und Blei-
vergiftung, Hydroa aestivalis —; erstere sind von Hausmann als exogene
Sensibilisation, letztere als endogene Sensibilisation bezeichnet.
Wir erinnern ferner daran, daß die Sensibilisierung auch bereits zu thera-
peutischen Zwecken versucht worden ist, von Jesionek und v. Tappeiner,?)
ı) Hausmann, Biochemische Zeitschrift, Bd. 12, 14, 15, 16, 17, 21, 30,
2) Jesoinek und v. Tappeiner, Münch. med. Wochenschr. 1963; Deutsches
Archiv für klin. Medizin 1905.
432 Bering,
Neisser und Halberstädter,!) ohne sich jedoch eine allgemeine An-
erkennung zu erringen.
Die Versuchsanordnung ergibt sich aus den Tabellen:
Ferrisulfat.
Es werden 5 ccm einer Lösung 1 :12000 der Peroxyd. zugesetzt.
Rot Gelb Grün Blau
Unbestrahlt + |
Ferris. . . 0,206 Ppg. 0,206 Ppg. 0,206 Ppg. 0,141 Ppg.
Dosis 1!/, F Dosis 5 F
Ohne Sensib.; Sens.
0,205 0,218 0,207 0,218 0,205 0,219 0,103 0,105
Förderung d. Zusatz | Förderung d. Zusatz | Förderung d. Zusatz | Keine Förderung
Galle.
Von einer Verdünnung 1:60 werden 5 ccm der Peroxyd. zugesetzt.
Rot Gelb Grün Blau
Unbestrahlt +
Galle . . 0,177 Ppg. 0,230 Ppg. 0,175 Ppg. 0,209 Ppg.
Dosis 1!J, F Dosis 5 F
Ohne Sensib. ; Sens.
0,177 0,176 0,231 0,230 0,175 0,184 0,170 0,108
Dosis 10 F
0,110 0,083
Keine Wirkung Keine Wirkung Förderung Förderung
Hämatoporphyrin (dargestellt von Merck).
0,01 g werden in 5ccm NaCl gelöst: davon 0,5 ccm der Peroxyd. zugesetzt.
Rot Gelb Grün Blau
Unbestrahlt +
Häm. ... 0,091 Ppg. 0,128 Ppg. 0,128 Ppg. 0,128 Ppg.
Dosis 1'|, F
OhneSensib.; Sens.
0,091 0110| 0128 oa 0,127 0,109 0,083 0.082
Unbestrahlt +
Häm. .. — — Ppe. 0.140 Ppg. 0,140 Ppg. 0,140 Ppg.
Dosis !/, F 0,140 0,147 0,140 0,151 0,094 0,093
Förderung bis Schä- | Förderung bis Schä-
Förderung digung bei un- digung bei un- Ohne Wirkung
wirksamer Dosis wirksamer Dosis
ı) Neisser und Halberstädter, Deutsche med. Wochenschr. 1904.
Experimentelle Studien über die Wirkung des Lichtes. 433
Ergebnis: Ferrisulfat ist ein Sensibilisator für rote, grüne
und gelbe Strahlen.
Galle ist ein Sensibilisator für grüne und blaue Strahlen.
Hämatoporphyrin ist ein Sensibilisator für rote, grüne und gelbe
Strahlen.
Aus diesen Versuchen möchten wir die Schlüsse ziehen:
1. Der tierische Körper besitzt, wie auch Hausmann schon sagt,
Substanzen, welche imstande sind, für Licht sensibilisierend zu wirken, d. h.
sie vermögen die strahlende Energie des Lichtes in chemische und biolo-
sische umzusetzen.
2. Nicht für alle Strahlengruppen gibt es die gleichen Sensibilisatoren ;
der Organismus verfügt anscheinend über verschiedene, welche für die ein-
zelnen Strahlenarten bestimmt sind.
3. Auch für die langwelligen Strahlen gibt es Sensibilisatoren. Sogar
die roten — und das möchte ich als das wichtigste Ergebnis dieser Ver-
suche ansprechen — werden durch ihre Gegenwart befähigt, biologische
Wirkungen auszulösen.
Nach diesen Befunden werden wir uns eine Vorstellung machen können
über die Resultate der Lichtbehandlung. Wir können vermuten, daß alle
Lichtstrahlen, die blauen und violetten in der Kutis, die gelben, grünen
und roten aber in den tiefer liegenden Schichten der Gewebe und der
Muskulatur daran mitarbeiten.
Der Körper verfügt also über zwei Arten von Regula-
toren, das Pigment, welches ihn vor einem übermäßigen
Licht-Chemismus schützt und die Sensibilisatoren,
welche in Aktion treten, wenn die Lichtstrahlen, um
wirken zu können, einer Unterstützung bedürfen.
V.
Von hervorragendem Interesse ist nun die Tatsache, daß die Wirkung
des Lichtes auf die Peroxydase (dank der Untersuchungen Unnas) direkt
im überlebenden Gewebe nachgewiesen werden kann. Erst vor kurzem
hat Kreibich!) von Untersuchungen über den Einfluß des ultravioletten
Lichtes auf die an die Zellgranula gebundenen Fermente — im Gonor-
rhoeeiter — berichtet.
Schon im Jahre 1885 berichtete P. Ehrlich,?) daß das tierische Ge-
webe sauerstoffbedürftig ist und ein starkes Reduktionsvermögen besitzt,
1) Kreibich, Archiv für Dermat. und Syph., Bd. 113.
?;Ehrlich, Das Sauerstoffbedürfnis des Organismus. Hirschwald-Berlin 1885.
434 Bering,
daß es Indophenolblau in Indophenolweiß, daß die Leber Alizarinblau in
Alızarinweiß zu reduzieren vermag. „Pflüger und Schmiedeberg lehrten
uns auch die Oxydationsprozesse in das Zellprotoplasma zu verlegen. Sal-
kowski und Abelous und einer großen Reihe nacharbeitender Forscher
gelang es, Oxydationsfermente aus dem Zellprotoplasma abzuscheiden und
schließlich glückte es Winkler, Roberts und Schulze sogar, auf farben-
analytischem Wege an bestimmten Orten in den Zellen diese Oxy dations-
fermente nachzuweisen“ (zitiert nach Unnal). Jacquet bewies, dal es
selbst aus abgetötetem Gewebe noch gelingt, Oxydationsfermente zu gewinnen.
Unna fand nun in Gemeinschaft mit Golodetz, daß die Zelleiber sv-
wohl der Epithelien als auch der Bindegewebszellen Kal. permang. zu Mangan-
superoxyd, eine Mischung von Eisenchlorid und Ferrozyankali zu Berliner
Blau, die gelbe Tetranitrochrysophansäure zu einem roten Reduktionsprodukt
reduzierten; aber sämtliche Kerne der Zellen blieben von diesen Färbungen
frei. Die „Reduktionsorte‘‘“ wurden von Unna in eingehender Weise
studiert. Dabei konstatierte er, dal5 zwei Orte im tierischen Gewebe vor-
handen sind, welche das Reduktionsvermögen nicht besitzen, die Kerne
und das Fett. Das läßt zwei Erklärungsmöglichkeiten zu, „sie können
entweder mit Sauerstoff gesättigt und daher nicht imstande sein, den Reaktions-
tlüssigkeiten Sauerstoff zu entziehen oder sie geben selbst Sauerstoff ab, sei
es daß sie zu viel aktivierenden Sauerstoff besitzen (Peroxyde) oder Sauer-
stoff zu aktivieren vermögen (Peroxydasen)‘.
Diese Frage suchte Unna durch spezifische Sauerstoffreagentien zu
lösen. Dazu benutzte er das Rongalitweiß — das durch Rongalit entstehende
Reduktionsprodukt des Methylenblaus — (Rongalit ist eine in der Technik
gebrauchte stark reduzierende Verbindung von Formaldehyd mit dem
Natriumsalz der Sulfoxylsäure). Bei der Färbung hiermit stellte sich
heraus, dal zunächst keine Bläuung der frisch mit dem Gefriermikroton
gemachten Schnitte eintritt: sobald sie aber in Wasser gebracht werden
und durch rasche Bewegung das Rongalit ausgewaschen wird, entfaltet
das Gewebe sein Oxydationsvermögen und alle Gewebselemente, welche
eine Oxydation bewirken können, bläuen sich.
Zwischen Fett und Kernen besteht der Unterschied, daß die Kerne
sich mit R. W. stets bläuen, das Fett nicht: Das Fett ist nur „sauerstofi-
gesättigt‘‘; die Kerne sind dagegen imstande zu oxydieren. Es handelt
sich aber hierbei nicht um eine einfache Sauerstoffabgabe des Kerne.
sondern um eine Aktivierung des molekularen Sauerstoffes der Luft oder
des Wassers; im Kern muß) also ein Oxydationsferment enthalten sein.
) Unna, Dermat. Wochenschr. 1912, Nr. 1 u. 2. Arch. f. mikrosk. Anat.
Waldeyer-Festschrift.
Experimentelle Studien über die Wirkung des Lichtes. 435
Zum Nachweis der Peroxydase innerhalb der Zellen bediente er sich
eines Gemisches einer 1 proz. alkoholischen Benzidinlösung und 3 proz. H,0,-
Lösung zu gleichen Teilen und es gelang ihm, die Peroxydaseorte in den
Zellmembranen und Gefäßbündeln von frischen Pflanzen überall schön
darzustellen. Bei der Untersuchung von Schnitten (Haut, Leber, Lunge,
Nieren, Milz eines eben getöteten Tieres) fand er mittels derselben Farben-
reaktion, daß die Kerne (neben ihnen noch die Knorpel und Mastzellen,
welche ebenfalls Sauerstofforte sind) Peroxydase enthalten.
Somit fallen also Sauerstofforte und Peroxydaseorte
zusammen.
Da es sich um einen Färbungsprozeß handelt, so versuchten wir, ihn
durch Licht zu beeinflussen.
Die Rongalitweißlösung wird hergestellt, indem ungefähr 10 ccm einer
1 bis 2 proz. Methylenblaulösung, 2 Tropfen einer 25 proz. Salzsäure und
ein erbsengroßes Korn Rongalit zugesetzt, dann gekocht und filtriert wird.
Die R.W.-Lösung wird vor jedem Versuch frisch bereitet. In diese
Lösung werden die Gefrierschnitte von Organen soeben getöteter Tiere 2 Min.
lang gebracht, dann in dest. Wasser, welches mehrere Male gewechselt wird,
abgespült und in Gummi arabic. gebettet.
Das Protoplasma der Zellen nimmt einen schwach blauen Farben-
ton an, während die Kerne sich tief dunkelblau färben.
Versuche.
Einige Vorversuche ergaben die Notwendigkeit der Verdünnung der
R.W.-Lösung. Die Belichtungsversuche wurden angestellt mit der Queck-
silberdampflampe, in der Weise, daß die Schnitte in einer dünnen Schicht
Ringerscher Lösung liegend bestrahlt wurden; neben ihnen standen mit
einem schwarzen Papier bedeckt die Kontrollschnitte, welche somit der
gleichen Temperatur ausgesetzt waren. Die Schnitte werden unmittelbar
nach der Bestrahlung in Wasser gebracht.
A. Bestrahlung 1'/, Stunden bei 38 - 40° Wärme.
1. R.W.-Verdünnung 1:16000.
Kontrollschnitte nehmen, nach ungefähr 40 Sekunden sich
färbend, im destillierten Wasser einen hellblauen Farbenton an.
Bestrahlte Schnitte: nach {0 Minuten beginnend setzt eine
ganz schwache Blaßfärbung ein, die ganz erheblich hinter der Färbung
der Kontrollschnitte zurückbleibt.
2. R.W.-Verdünnung 1:8000.
Kontrollschnitte: nach ungefähr 30 Sekunden beginnende
Tiefdunkelblaufärbung.
436 Bering,
Bestrahlte Schnitte: nach 6 Minuten beginnt eine geringe
aber deutliche Blaßfärbung, die nicht intensiver wird.
3. R.W.-Verdünnung 1:4000.
Kontrollschnitte: momentane Tiefdunkelblaufärbung.
Bestrahlte Schnitte: nach 3 Minuten Blabfärbung.
4. R.W.-Verdünnung 1:1000.
Kontrollschnitte: wie bei 2 und 3.
Bestrahlte Schnitte: momentane Blaßfärbung, die nicht
dunkel wird.
Also eine ganz erhebliche Schädigung der Peroxydaseorte, die man
durch längere Bestrahlung zur völligen Zerstörung steigern kann, während
die Kontrollschnitte keine Veränderungen dabei zeigen.
Die oben angegebene Beeinflussung durch Licht zeigte sich bei einer
Verdünnung der R.W.-Lösung herunter bis zu 1:400.
Übrigens hat eine Tp.-Erhöhung keine schädigende Wirkung zur Folge,
wie auch Unna schon angibt; Schnitte, die einige Minuten in kochendem
Ringer gelegen hatten, färbten sich trotzdem noch sehr gut.
B. Schwieriger gestalteten sich die Versuche, welche eine Ferment-
aktivierung evident machen sollten.
Durch Verdünung der R.W.-Lösung sowie vor allem Herabsetzung der
Lichtdosis, somit Verringerung des Lichtreizes ist dieses gelungen.
Bestrahlung mit Quarzlanıpe !/, Stunde in 1 m Entfernung: R.W.-
Lösung 1:10000.
Bestrahlte Schnitte nehmen momentan einen blauen
Farbenton an und färben sich schnell bis zu einem schönen Himmelblau.
Kontrollschnitte bleiben fast 30 Sekunden ohne Veränderung
liegen, färben sich dann langsam blau und blauer, und erreichen nach un-
gefähr 1 Minute denselben Farbenton.
Diese Versuche, welche bei Wiederholung stets dasselbe Resultat zeigten,
beweisen die fördernde Wirkung des Lichtes.
(Interessant ist noch, zu erwähnen, daß es gelingt, die Schnitte nach
der Färbung durch Belichtung wieder zu entfärben; die Peroxydaseorte
geben den Farbstoff wieder ab.)
Die Versuche sind insofern recht bemerkenswert, weil sie an über-
lebendem Gewebe angestellt sind und uns somit noch eher einen Einblick
in die Zelltätigkeit gewähren.
Auch bei ihnen war das Resultat: Förderung, Lähmung und Zerstörung
durch Licht, dieselbe Stufenfolge wie bei der Meerrettig-Peroxydase.
Experimentelle Studien über die Wirkung des Lichtes. 437
Zusammenfassung:
1. Das Licht übt bei Anwesenheit von Katalysatoren auf die Grund-
stoffe der Organismen eine spaltende Wirkung aus unter Auftreten von
Substanzen größter Avidität (Neuberg).
2. Das Licht erleichtert die Abspaltung des Sauerstoffes aus seiner
Hämoglobinverbindung des Blutes.
3. Das Licht übt eine fördernde Wirkung aus auf die in allen pflanz-
lichen und tierischen Organismen tätige Peroxydase. Dieses konnte sowohl
an der Meerrettig-Peroxydase als auch an überlebendem Gewebe nachge-
wiesen werden.
4. Der Körper schützt sich durch das Pigment vor einem übermäßigen
Lichtchemismus.
5. Die biologische Wirkung des Lichtes ist proportional der chemischen
Kraft, und umgekehrt proportional der Penetrationsfähigkeit der Lichtarten.
6. An der Wirkung des Lichtes beteiligen sich sämtliche Strahlen-
gruppen.
7. Die tiefdringenden Strahlen, die gelben, grünen und auch die roten,
bei denen eine biologische Wirkung nur bei großer Lichtdosis oder über-
haupt nicht nachgewiesen werden konnte, finden im Körper Stoffe, die
ihnen eine Wirkung erleichtern resp. ermöglichen (Sensibilisatoren).
Wir haben bei den Versuchen aus den vielen in den Zellen sich ab-
spielenden Lebensvorgängen nur einige wenige herausgegriffen. Aus diesem
Grunde müssen bei ihnen, um Wirkungen zu erzielen, sehr viel größere
Lichtenergien entfaltet werden, als bei der Atmung der Zelle, bei der
unendlich viele uns zum größten Teil noch unbekannte Vorgänge wie das
Räderwerk einer Uhr ineinander greifen und sicher nicht eines so gewal-
tigen Anstolies bedürfen.
Um aus diesen einzelnen Bausteinen ein fertiges Gebäude zusammen-
zufügen, wird es noch unablässiger langdauernder Arbeit bedürfen. — Spal-
tungen und Oxydationen sind es, die den intermediären Stoffwechsel der
Zelle ausmachen und auf beide ist eine Lichtwirkung nachgewiesen.
Die Wirkung der Insolation an der See auf tuberkulöse
Entzündungen.
Von
Dr. Richard und Dr. Felicitas Felten-Stoltzenberg, Wyk-Föhr.
s ist bekannt, daß es durch die Insolation im Hochgebirge gelingt,
die meisten, auch die schweren chirurgischen Tuberkulosen ohne ver-
stümmelnde Operation zur Ausheilung zu bringen. Doch würde die Be-
deutung dieser neuen Errungenschaft der konservativen Therapie wesentlich
geschmälert sein, wenn ihre Durchführung an das Hochgebirge gebunden
wäre. Wir können doch unmöglich alle die Tausende von kranken Kindern,
die in unseren Kliniken und Krankenhäusern und in der Privatpflege
herumliegen, ins Hochgebirge schaffen. Es mußte versucht werden, ob es
nicht gelingen sollte, auch an anderen Orten gleich gute Resultate mit der
Sonnenbehandlung zu erzielen.
Vor allem lag der Gedanke nahe, die Seeküste zu diesem Versuch
auszuwählen, die ja auch sonst wesentliche Vorteile für die Behandlung
tuberkulöser und skrofulöser Kinder bietet.
Auch ermutigte dazu die Tatsache, daß das Seeklima den Küsten-
bewohnern eine fast absolute Immunität gegen chirurgische Tuberkulose
verleiht.
Wir haben nun als erste in Deutschland die Sonnenbehandlung an
der See systematisch durchgeführt. Die Erfolge haben unsere Erwartungen
weit überstiegen. Immer wieder war man erstaunt, zu sehen, einen wie
gewaltigen Einfluß die Insolation hat.
Die Beobachtungen nun, die wir an einer größeren Zahl leichter und
einer Reihe schwerer Fälle gesammelt haben, ließen uns zweierlei deutlich
erkennen: |
1. Die Heilung unter Insolation an der See zeigt eine gewisse Gesetz-
miißigkeit.
2. An der See weicht sie in wesentlichen Punkten von der im Hoch-
gebirge ab.
An der Hand einiger, besonders schwerer Fälle läßt sich dies am
besten demonstrieren.
1. Eine seit vier Jahren bestehende Hüftgelenksentzündung mit Abszeß- und
Fistelbildung bei einem 6jährigen Jungen, die zu vollkommenem Verlust des Schenkel-
kopfes und Halses geführt hatte. Seit Monaten bettlägerig und immer elender werdend.
Nach einigen Tagen Besonnung tritt eine eminente eitrige Sekretion aus den
Fisteln auf, die aber nach 2—3 Wochen nachließ und serös wurde. Gleichzeitig
Felten-Stoltzenberg, Wirkung der Insolation an der See usw. 439
wurde die Temperatur normal, die Schmerzhaftigkeit, die bereits in den ersten Tagen
bedeutend nachgelassen hatte, verschwand, und schließlich bestand seit der sechsten
Woche nur noch eine kleine oberflächliche Fistel, die durch Injektion von Kampfer-
naphthol zum Verschluß gebracht wurde.
Der Junge ist heute munter, sieht blühend und gesund aus, das Bein steht in
guter abduzierter Stellung, die Verkürzung ist bis auf 11/, cm gehoben; das Bein ist
sogar im neugebildeten Hüftgelenk aktiv etwas beweglich.
In diesem Falle ist es gelungen, nach etwa 3 monatlicher Insolation
an der See eine schwere Hüftengelenksentzündung zur Ausheilung zu bringen.
2. Ein 13jähriges Mädchen mit einer seit 1!/, Jahren bestehenden Fußwurzel-
tuberkulose, die ohne Erfolg operativ angegriffen war. Der lokale und allgemeine Zu-
stand war derartig schlecht, daß der Hausarzt zur Amputation drängte. Im Mai 1912
kam das Kind in meine Behandlung, um als letztes Hilfsmittel einen Aufenthalt an der
See zu versuchen oder aber, um hier nach Kräftigung des Körpers unter günstigeren
Bedingungen die Amputation vornehmen zu lassen.
Das psychisch und körperlich sehr heruntergekommene Kind mit dauernden
Temperaturen über 39° zeigt schwere Veränderungen des rechten Fußes, starke Equino-
varusstellung mit zahlreichen Fisteln, Abszessen und oberflächlichen Hautdefckten.
Es wurde langsam zuerst mit lokaler, bald mit allgemeiner Insolation behandelt.
Es trat zunächst eine abundante eitrige Sekretion auf, stundenlang rieselte der Eiter
ununterbrochen aus den Fisteln hervor. An verschiedenen Stellen bildeten sich neue
Abszesse, die aufbrachen und nach einigen Tagen sich wieder schlossen. Man hatte
den Eindruck, daß in der Tiefe auf einmal kolossale Eiterungen produziert wurden,
die auf dem nächsten Wege nach außen ausgetrieben wurden.
Von der dritten Woche an wurde die Temperatur mit vorübergehender unwesent-
licher Steigerung tiefer, in der sechsten Woche normal. Die Schmerzen verschwanden
sehr bald. Die Zehen wurden beweglich. Das eitrige Sekret wurde spärlicher, seröses
trat an seine Stelle.
Heute haben wir ein gesund aussehendes, frohes Kind vor uns, dessen Körper-
gewicht nach einer anfänglichen Abnahme von 4 Pfund, um 9 Pfund zugenommen hat.
Der lokale Prozeß ist ganz erheblich gebessert. Sämtliche Fisteln sind bis auf eine
glatt vernarbt. Diese stellt den Überrest eines großen tiefen Geschwüres auf der Außen-
seite dar. Bei der Schwere der Erkrankung ist in der kurzen Zeit eine vollkommene
Heilung auch nicht zu erwarten. Doch können wir sicher sagen, daß sie bei Fortsetzung
der Behandlung in Bälde erreicht sein wird.
3. 23jährige Dame aus tuberkulös schwer belasteter Familie, seit dem 11. Jahre
krank an Lungenspitzenkatarrh, Eiterungen und Blutungen aus dem Darm. Ver-
schiedentlich langdauernder Aufenthalt auf dem Lande und im Hochgebirge. Vor
vier Jahren wegen drohender Perforation laparotomiert. Während des letzten Winters
dauernd Fieber, Mattigkeit, Übelkeit, Anfälle kolikartiger starker Schmerzen, Appetit-
losigkeit und ständige Gewichtsabnahme.
Nach drei Wochen Besonnung kehrte bei der sehr elenden Patientin die Temperatur
zur Norm zurück, die pathologischen Beimengungen verschwanden aus dem Stuhl, der
normale Konsistenz annahm. Nach sicben Wochen wurden die Koliken und Übel-
keiten seltener, besonders nachdem eine vorsichtige Streichmassage des Leibes ein-
geleitet war. Die Patientin hat jetzt 7 Pfund zugenommen, fühlt sich weit leistungs-
fähiger, unternimmt größere Spaziergänge, kurz eineschwere Darmtuberkulose erscheint
nach etwa 3!/, monatlicher Besonnung an der See so gut wie völlig ausgeheilt.
440 Felten-Stolzenberg,
4. Das Kind dieser Dame, ein 11/, jähriger Junge mit den Erscheinungen von
Bronchialdrüsen. Nach dreiwöchentlicher Besonnung verschwanden die katarrhali-
schen Erscheinungen über der rechten Lungenspitze, nach vierwöchentlicher das Fieber.
Das Kind gedieh prächtig, nahm dauernd an Körpergewicht zu und bietet nach drei
Monaten ein Bild der Gesundheit. Bei der letzten Untersuchung, Mitte August, war
von einer Dämpfung neben der Wirbelsäule nichts mehr nachweisbar.
5. Eine 33jährige Dame, vor zwei Jahren wegen Spitzenkatarrhs in einem
Lungensanatorium, seit 11/, Jahren Zeichen einer linksseitigen Genitaltuberkulose,
mit Temperaturen bis 38,6. In den ersten Wochen der Behandlung ist der AusfluB
zunächst verstärkt. Nach siebenwöchentlicher Besonnung, verbunden mit der
Nassauerschen Pulverbehandlung, sind der Ausfluß und die starken Schmerzen
während der Periode ganz, in der Zwischenzeit bis auf ein gewisses Druckgefühl nach
körperlichen Anstrengungen, verschwunden. Nach 9 Wochen ist auch dieses besei-
tigt, und die Temperatur ist dauernd normal.
Der Verlauf der Heilung unter Insolation ist mit großer Regelmäßigkeit
folgender:
Nach einigen Tagen setzt eine ganz abundante eitrige Sekretion aus
den Fisteln ein. Dabei nimmt die Schmerzhaftigkeit wesentlich ab. Die
Temperatur bleibt in dieser Zeit noch erhöht. Nach etwa 3 Wochen ver-
schwindet die Eiterung. Die Temperatur fällt ab. Aus den Fisteln ent-
leert sich jetzt wenig seröses Sekret, das allmählich unter Verschluß der
Wunden versiegt.
Die Zeit, in der diese Prozesse sich abspielen, erscheint nun an der
See ganz auffallend kurz.
Während im Hochgebirge ganz allgemein von einer Heilungsdauer von
1, 11/,—2 Jahren, in besonders günstigen Fällen auch einmal von 9 Monaten
berichtet wird, haben wir schwere fistulöse Knochenerkrankungen, Drüsen-
und Intestinaltuberkulosen, in dem kurzen Zeitraum von 3—4 Monaten
ausheilen sehen.
Ferner haben wir die bedeutsame Beobachtung gemacht, dal) bei uns
die Heilung. wenn sie erst einmal durch die Insolation angebalınt war,
unabhängig von ihr fortschritt, gleichgültig ob Sonne schien oder nicht
Das kann nur zu erklären sein durch das Vorhandensein noch anderer
wichtigerer Heilmittel im Seeklima; walırscheinlich sind es der hohe Ozon-
und Wasserstoffsuperoxydgehalt der Seeluft, also ein Reichtum an oxy-
dierenden Substanzen, und vielleicht spielt auch ein freilich nur schr ge-
ringer ‚Jodzusatz der Luft eine wesentliche Rolle. Aber wenn man be-
denkt, daß bei der Atmung täglich 15000 Liter Luft die Lunge durch-
streichen, und die Atmung an der See noch vertieft wird, so kann man
auch von einem ganz geringen Jodgehalt eine Heilwirkung erwarten.
Diese Heilfaktoren der Secluft sind es jedenfalls, die den alten guten
Ruf der See für Tuberkulose begründet haben, doch scheinen sie allein ın
schweren Fällen nicht den Anstoß zur Heilung geben zu können. Ist
Wirkung der Insolation an der See usw. 441
dieser durch die Insolation aber einmal bewirkt, so helfen sie auch ohne
Sonnenschein die Heilung vollenden.
Aus unseren Beobachtungen über eine deutliche Beeinflussung der
tuberkulösen Entzündungen durch Sonnenbestrahlung bereits in den ersten
Tagen, haben wir auch die Überzeugung gewonnen, daß die Wirkung des
Sonnenlichtes auf den tuberkulös erkrankten. Menschen sowohl allgemein
wie lokal sein muß. Eine lokale Wirkung mul) angenommen werden; denn
es ist medizinisch ganz undenkbar, daß in 2—3 Tagen schon eine der-
artige Umstimmung des ganzen Körpers erreicht wird, daß sich sekundär
schon eine solche Veränderung des Krankheitsherdes zeigt.
Welches ist nun aber der heliotherapeutische Vorgang an dem Herd?
Die zunächst eminent vermehrte eitrige Sekretion wird bedingt durch
starke Einschmelzung des erkrankten Gewebes. Diese Einschmelzung kann
nicht allein die Folge des vermehrten Blutzuflusses sein. Dann müßten
wir ja mit anderen hyperämisierenden Mitteln die gleichen Erfolge erzielen.
Das ist nicht gelungen. Wir haben daher die Überzeugung gewonnen, daß
das Sonnenlicht oder wenigstens einzelne seiner Teile eine spezifische
Tiefenwirkung am Krankheitsherde selbst ausübten.
Auch die chemischen Heilmittel der Seeluft mögen von lokaler Heil-
wirkung sein. Eine so rasche Tiefenwirkung wie vom Sonnenlicht kann
man aber wohl niemals von ihnen erwarten.
Weiterer gemeinsamer Forschung des Meteorologen, Physikers, Che-
mikers und Arztes wird es bedürfen, um den Wert der einzelnen Faktoren
zu bestimmen und die günstigste Kombination zu erproben.
Als praktische Forderung ergibt sich aus unseren Versuchen die
ärztliche Pflicht, an der See an sorgfältig ausgewähltem Platze in eigens
dazu erbauten Häusern die Sonnenbehandlung der chirurgischen Tuber-
kulose in größtmöglichem Umfange durchzuführen.
Ich darf noch einmal kurz das Ergebnis unserer Erfahrung zusammen-
fassen:
1. Die Heliotlerapie der chirurgischen Tuberkulose läßt sich an der
See mit überaus günstigem Erfolge durchführen.
2. Die Heilungsdauer an der See erscheint wesentlich kürzer als im
Binnenlande.
3. Die Heilung wird von den anderen Heilfaktoren des Seeklimas
wesentlich unterstützt, so daß sie Im gewissen Grade von der Sonne un-
abhängig ist, wenn sie erst einmal durch die Insolation angebahnt wurde.
4. Die Heliotherapie an der See muß an sorgfältig ausgewähltem
Platze in eigens dazu gebauten Häusern unter chirurgisch-ortlopädischer
Leitung erfolgen.
(Aus dem Institute für Krebsforschung in Heidelberg, Direktor: Wirkl.
Geh. Rat Prof. Dr. V. Czerny, Exzellenz.)
Über die chemische Imitation der Strahlenwirkung und
ihre Verwertbarkeit zur Unterstützung der Radiotherapie.
I. Ältere Experimente.
Von
Prof. Dr. R. Werner.
ach dem Vorgange Ehrlichs strebt die experimentelle Chemotherapie
danach, Substanzen zu finden, welche auf bestimmte Zellarten spezi-
fische Wirkungen ausüben. Die Erreichung einer derartigen Elektivität des
Angriffsortes und der Angriffsart wird als „chemischen Zielen“ bezeichnet.
Es ist dies zweifelsohne ein idealer Weg, um zu brauchbaren, d. h. relatıv
gefahrlosen und doch effektvollen Heilmitteln zu gelangen, allein er ist un-
gemein schwierig zu beschreiten und es erscheint daher keineswegs als über-
flüssig, nach anderen Prinzipien zu suchen, die den Anforderungen der
Therapie ebenfalls genügen. Ein solches wurde in der kombinierten An-
wendung wesensverschiedener, aber gleichartig wirkender Agentien gefunden.
Alle Mittel haben bekanntlich außer dem gewünschten Effekte noch andere,
die wir als „Nebenwirkungen“ bezeichnen. Steigern wir die Dosis, so er-
höhen sich auch die Nebenwirkungen, und diese sind es vor allem, die die
Dosierung einengen. Während nun die Chemotherapie darauf ausgeht,
Mittel mit möglichst geringen Nebenwirkungen zu finden, sucht die „kom-
binierte Behandlungsmethode“ Verfahren zu ergründen, deren Wirkung in
einer bestimmten Hinsicht identisch, oder doch außerordentlich ähnlich ist,
während die Nebenwirkungen ganz verschieden erscheinen. Auf diese
Weise kann dann der gewünschte Effekt gesteigert werden, ohne daß sich
eine bestimmte schädliche Nebenwirkung in entsprechendem Maße erhöht.
Auf diesem Prinzipe nun basiert die Vereinigung der Radiotherapie
mit einem chemischen Verfahren, das nach meinen Untersuchungen imstande
ist, die eigenartigen Veränderungen, welche die Strahlen im Organismus
hervorrufen, zu imitieren.
Die experimentellen Grundlagen. welche durch frühere Mitteilungen
aus den Jahren 1904, 1905 und 1906!) bereits bekannt sind, haben
1) Vgl. Centralblatt f. Chir. 1904, Nr. 43, Deutsche med. Wochenschr. 1905,
Nr. 2 und Nr. 27/28. München. med. Wochenschr. 1905, Nr. 15 und Nr. 34.
München. med. Wochenschr. 1906, Nr. 1, Deutsche med. Wochenschr. 1906, Nr. 1,
Bruns, Beitr. z. klin. Chir. 1906. Münch. med. Wochenschr. 1906, Nr. 39.
Über die chemische Imitation der Strahlenwirkung usw. 443
später entscheidende Ergänzungen erfahren, über die zunächst berichtet
werden soll.
Im Jahre 1904 existierten zwei Theorien der Strahlenwirkung. Die eine
derselben, welche von Neuberg!) herrührt, behauptete, daß die Strahlen
die wichtigsten Fermente des Stoffwechsels vernichten, die autolytischen
Fermente aber erhalten oder sogar in ihrer Wirksamkeit steigern. Neu-
berg stützte diese Anschauung einerseits auf die Beobachtung mehrerer
anderer Autoren,?) denen es gelungen war, verschiedene Fermente durch
Bestrahlung unwirksam zu machen, andererseits auf eigene Untersuchungen,
aus denen hervorging, daß die überlebenden bestrahlten Gewebe sich von
den spontan autolysierten nur durch die Quantität, nicht durch die Qualität
der Zersetzungsprodukte unterscheiden. Er schloß daraus, daß die Strahlen-
wirkung nichts anderes sei, als eine beschleunigte Autolyse nach Störung
des fermentativen Stoffwechsels. Demgegenüber aber hob ich hervor, daß
die Strahlenmengen, welche schon zur völligen Vernichtung des Gewebes
ausreichen, noch keinesfalls genügen, um wesentliche Veränderungen an den
bekannten Fermenten hervorzurufen. Ferner wurde von anderer Seite nach-
gewiesen, daß eine Beschleunigung der Autolyse nach der Bestrahlung
keineswegs immer in erheblichem Umfange eintritt.?) Man muß daher,
wenn man auch der Beeinflussung des fermentativen Stoffwechsels eine ge-
wisse Rolle beim Prozesse der Strahlenwirkung zuschreiben darf, diese doch
nur als einen Teilfaktor derselben betrachten, wobei die Beschleunigung
der Autolyse nichts anderes darstellt, als einen schnelleren Ablauf des ge-
wöhnlichen Zerfalles, den alle absterbenden Zellen, deren Plasma nicht
koaguliert ist, durchmachen und der auch durch andere Mittel (Jod, Kol-
loide usw.) gesteigert werden kann.
Die zweite Theorie hat Schwarz?) aufgestellt, der nach Bestrahlung
von Hühnereiern mit Radium feststellen konnte, daß in der unmittelbaren
Nachbarschaft des Dotters die stärksten Wirkungen auftreten, während
sich gleichzeitig Trimethylamingeruch entwickelt. Es schloß daraus, daß
das Lezithin des Dotters den hauptsächlichsten Angriffspunkt für die Strah-
len bildet, von diesen zersetzt wird, und daß seine Zerfallsprodukte durch
ihre Giftwirkung die Zerstörung des Gewebes hervorrufen. Er konnte auch
Lezithin durch direkte Bestralilung zersetzen. Ich prüfte diese Versuche
nach und konnte den Einfluß der Strahlen (speziell des Radiums, später
1) Zeitschr. f. Krebsforschung 1904, Bd. 2.
2) Henry und Mayer, Compt. rend. de la Soc. méd. Tome 56. S.Schmidt-
Nielsen, Beitr. z. chem. Phys. u. Path., Bd. 5 u. 6.
3 Hans Meyer und Fr. Bering, Fortschritte auf dem Gebiete d. Rönt-
genstr., Bd. XVII, H. 1.
ı) Schwarz, Pflügers Archiv, 1903, Bd. 1.
29
444 Werner,
auch der Röntgenstrahlen) auf das Lezithin bestätigen, fand aber auch
hier, daß zur Dekomposition des Lipoids weit höhere Strahlenmengen nötig
sind, als sie zur Vernichtung der Gewebe genügen. Später wurde festge-
stellt, daß die verschiedenen Strahlenarten der radioaktiven Substanzen,
sowie auch die Röntgenstrahlen in verschiedenem (srade das Lezithin an-
zugreifen vermögen. Mesernitzki!) konstatierte, daß speziell die «-Strah-
len des Radiums in ganz besonders hohem Maße wirksam sind. Ferner
wurde von mir konstatiert, daß auch dann, wenn die Lipoide nicht zerstört
waren, dennoch, insofern eine Veränderung nachweisbar erschien, als diese
Substanzen gegen Eingriffe, welche sie zu zersetzen vermögen, insbesondere
gegen fermentative Beeinflussungen, labiler geworden waren.
Neuberg hatte angenommen, daß die Zersetzung des Lezithins in dem-
selben nichts anderes sei als eine Folge der Autolyse. Meine Untersuchungen
aber ließen es als möglich erscheinen, daß auch die direkte Zerstörung oder
Labilisierung der Lipoide durch die Strahlen insofern eine Rolle spielt, als
die Lipoide gegen die Wirkung der Fermente empfindlicher gemacht werden
und daher auch leichter der Autolyse anheimfallen. Die Entscheidung
brachten zugunsten meiner Anschauung Versuche von Mesernitzki,?)
der nachwies, daß auch gekochte Eier, welche der Autolyse nicht mehr
unterliegen können, nach der Radiumbestrahlung eine tiefgehende Zersetzung
des Lezithins zeigen.
Um die Rolle der Lipoidzersetzungsprodukte beim Prozesse der Strahlen-
wirkung zu analysieren, spritzte ich bestralhiltes Lezithin bei Tieren ein.
Wenn die Injektion dicht unter die Epidermis vorgenommen wurde, ent-
wickelte sich nach einer 6—8 tägigen Latenzzeit eine zirkumskripte Ent-
zündung der Haut, die je nach der Stärke der Zersetzung des verwendeten
Lezithins und nach der Menge desselben verschieden stark wurde und
zum Haarausfall, zu brauner Pigmentierung, zur Blasenbildung und
schließlich zu einer speckigen Nekrose der Epidermis führte. Bei einiger
Übung konnte man die verschiedenen Stufen der Radiodermatitis (zum
Teile auch unter Einhaltung der denselben entsprechenden Latenzzeit) ma-
kroskopisch, wie im histologischen Bilde nach Belieben imitieren. Ich
nannte daher das Verfahren eine „chemische Imitation der Strahlenwirkung“.
Weiterhin wurde festgestellt, daß auch eine Mischung der verschiedenen
Zersetzungsprodukte des Lezithins, gleichviel auf welchem Wege sie ge-
wonnen waren, dasselbe leistete wie das bestrahlte Lezithin, und schließlich,
daß von diesen verschiedenen Zerfallsprodukten speziell das Cholin die
wichtigste Rolle spielte.?) Nun wurde untersucht, ob auch die Wirkung
o à) Russki Wratsch, 1910. Nr. 12.
23) l. c.
3 Werner, Deutsche med. Wochenschr., Nr. 2, 1905. Exner u. Zdarek,
Wien. klin. Wochenschr., Nr. 4, 1905.
Über die chemische Imitation der Strahlenwirkung usw. 445
der Strahlen auf verschiedene andere Organe des Tierkörpers imitiert werden
könnte, und in der Tat gelang es, durch Cholininjektionen, und zwar am besten
durch jene einer 2—5 proz. wässerigen Lösung der Base die verschieden-
artigsten Strahleneffekte nachzumachen. . Gemeinsam mit v. Lichtenberg
konnte ich zeigen, daß die Veränderungen des Blutbildes beim Kaninchen
qualitativ und quantitativ ganz ähnlicher Natur sind wie nach intensiver
Röntgenbestrahlung. Sogar auf die Stunde genau konnte z.B. der gesetz-
mäßige Absturz der Leukozytenzahl sowie der ebenso regelmäßig auftretende
Anstieg zur Hyperleukozytose hervorgerufen werden. Die Wirkung auf die
Milz, die Lymphdrüsen, die menschlichen Geschlechtszellen, ja sogar die
Schädigung der Embryonen im Uterus konnten durch Cholineinspritzungen
erzeugt werden.?)
Durch regelmäßige wöchentlich 1—2 mal wiederholte Injektionen von
20 ccm einer 5proz. wässerigen Cholinlösung konnten weibliche Kaninchen, die
vorher regelmäßig geworfen hatten, monatelang steril erhalten bleiben. Bei Her-
abminderung der Dosis wurden zwar Würfe erzielt, doch zeigten die Embry-
onen Verkümmerungen und Mißbildungen sowie auch Starbildungen an den
Augen, wie sie v. Hippel und Pagenstecher nach Röntgenbestrahlungen
gefunden hatten. Während z. B. die Sterilität der weiblichen Kaninchen
nach Schenk unter Umständen auch durch die Verletzung und Beun-
ruhigung der Tiere durch die Injektionen erklärt werden könnte, sind die
Mißbildungen und Entwicklungsstörungen der Embryonen zweifelsohne auf
eine toxische Schädigung durch das Cholin zu beziehen.
Auch bei männlichen Kaninchen gelang es, durch Cholineinspritzungen
Sterilität zu erzielen, doch sind hierzu Dosen nötig, die von den Tieren
schwer ertragen werden. Insbesondere sind die Versuche mit dem basischen
Cholin deshalb schwer durchzuführen, weil bei Anwendung so großer Quan-
titäten schon verhältnismäßig geringe Beimengungen giftiger Zersetzungs-
produkte, insbesondere Trimethylamin, oder die Umsetzung eines Teiles des
Cholins in Neurin gefährlich werden.
In der Zeit von November 1906 bis Dezember 1907 wurden im
ganzen 10 männliche Kaninchen mit Hilfe von subkutanen Cholininjek-
tionen (3—4 mal wöchentlich je 20 ccm der 5proz. wässerigen Lösung)
behandelt. Bei 5 Tieren war durch einseitige Kastration ein Testobjekt
für die histologische Untersuchung geschaffen worden, bei den anderen
5 Tieren wurde darauf verzichtet, um dem Einwand zu begegnen, daß even-
tuell die einseitige Kastration die Empfindlichkeit des anderen Hodens
gegen Cholininjektionen steigern könnte. Von diesen Tieren gingen 7 nach
3—5 wöchentlicher Behandlung zugrunde. Als Todesursache wurde eine
Neurinvergiftung gefunden und es konnte nachgewiesen werden, daß die
1) Vgl. 1. c., 1904—6.
29%
446 Werner,
Cholinlösung teilweise in Neurin übergegangen war. An den Hoden fand
sich mikroskopisch eine deutliche Verminderung der Spermatozoen, wobei
von den erhalten gebliebenen überdies viele verkümmert waren. Ferner
waren die Epithelien herdweise degeneriert, aber immerhin der größte Teil
der Hodensubstanz noch gut erhalten. Bei einem Tiere, das nach etwa
achtwöchentlicher Behandlung absichtlich getötet wurde, fanden sich dagegen
schwere Degenerationserscheinungen an den Hodenepithelien unter Erhal-
tung der Stützsubstanz, ferner eine fast völlige Aspermie. Bei den beiden
übrigen Tieren, die während der ersten 4 Wochen mit den erwähnten Dosen,
später jedoch mit Rücksicht auf die bei den anderen Tieren gemachten
Erfahrungen nur mit 5—10 ccm der 5proz. Lösung gespritzt worden waren,
war das Bild wieder weniger charakteristisch, als bei dem zuletzt erwähnten
Tiere.
Rasch und leicht gelang das Experiment, wenn man nicht am Orte
der Wahl einspritzte, sondern die Testes direkt mit Cholin infiltrierte. Auch
hierbei wurden die Stützsubstanzen nicht angegriffen, hingegen die Geschlechts-
zellen elektiv zerstört.
Die Ähnlichkeit der Cholinwirkung mit dem Effekte der Radium- und
Röntgenstrahlen legte den Gedanken nahe, diese merkwürdige Eigenschaft
auch für therapeutische Zwecke auszunützen.
Daher wurden sowohl bei menschlichen, wie bei tierischen Geschwülsten
einige diesbezügliche Versuche angestellt. In drei Serien wurden im Jahre
1907 je 5 Mäuse mit durchschnittlich etwa wallnußgroßen Tumoren mit
2 proz. basischer Cholinlösung gespritzt, 10 von denselben paratumoral, 5
intratumoral. Nach den intratumoralen Injektionen zeigte sich zunächst in
den ersten Tagen eine Quellung der Tumoren, die sich anfangs sichtlich
vergrößerten, nach ungefähr einer Woche still zu stehen schienen und sich
dann unter Erweichung verkleinerten. Zwei von den Tumoren verschwanden
nach 6 resp. 8 Injektionen in Intervallen von 3—4 Tagen, wobei pro dosi
0,2—0,3 der Cholinlösung gegeben wurden, vollständig. Die anderen drei
Tumoren exulzerierten und stießen sich als Sequester ab. Bei den para-
tumoral mit der gleichen Dosierung gespritzten Tieren mußten die Injek-
tionen öfter wiederholt, also der Versuch länger fortgesetzt werden. Acht
von den Tieren starben in der zweiten bis fünften Woche. Bei allen
hatten sich Rückbildungserscheinungen an den Tumoren gezeigt, bei einem,
das am längsten gelebt hatte, war der Tumor bis auf einen ganz winzigen
Rest (hirsekorngroßes Knötchen) verschwunden. Um dieselbe Zeit waren
auch bei den 2 übrigen Tieren die Geschwülste vollkommen rückgebildet.
Allein auch diese beiden Mäuse starben in der sechsten Woche, d. h. kaum
14 Tage nach dem Aussetzen der Behandlung und 8 Tage nachdem die
(seschwülste verschwunden waren. Es war somit ein deutlicher Einfluß
Über die chemische Imitation der Strahlenwirkung usw. 447
auf das Mäusekarzinom bewiesen, aber auch gefunden worden, daß die
Tiere die Rückbildung schlecht vertragen. Daher wurde seinerzeit von
einer Publikation der Versuche abgesehen.
Beim Menschen wurden in erster Linie Karzinome und Sarkome,
ferner auch Lymphome verschiedener Art mit Injektionen von Cholinum
basıcum in !s-, 2-, 5-, 10- und 50 proz. wässeriger Lösung behandelt.
Die Injektionen wurden teils intratumoral, teils paratumoral, teils am Orte
der Wahl vorgenommen. Die maximale Dosis für die einzelne Einspritz-
ung bestand in 2 g der reinen Substanz, d. h. es wurden von der
50 proz. Lösung höchstens 4 g, von der 10 proz. 20 g, von der 5 proz.
40 g und von der 2 proż. 100 g injiziert. Über diese Dose hinauszugehen,
erschien nicht rätlich, da hierbei bereits leichte Intoxikationserscheinungen :
Speichelfluß, etwas Schwindel und Schwächegefühl, Herzklopfen, ev. sogar
auch Übelkeiten auftraten. Auch aus einem anderen Grunde war es
kontraindiziert, eine größere Menge auf einmal einzuspritzen. Die Ab-
spaltung von Trimethylamin oder der Übergang in Neurin, der insbesondere
bei längerer Aufbewahrung des Cholins leicht in Erscheinung tritt, lassen
die Möglichkeit einer schweren, ja unter Umständen bedrohlichen In-
toxikation zu eminent erscheinen, als daß man wagen dürfte, mit dieser
labilen Substanz über die erwähnte Dose hinauszugehen. Trotz aller Vor-
sicht traten bei 2 Patienten schwere Vergiftungserscheinungen ein, die in
profuser Diarrhoe, Erbrechen, Schweißausbruch, Prostration, Herzschwäche
und heftigen Schmerzen im Unterleib bestanden. Wenn auch diese Er-
scheinungen nach mehreren Stunden vorübergingen, so waren sie doch so
beängstigend, daß sie zu größter Vorsicht bei der therapeutischen Ver-
wendung mahnten und mich veranlaßten, nach Ersatzmitteln des Cholinum
basicum zu suchen.
Die Veränderungen an den Geschwülsten waren insbesondere bei
intra- und paratumoralen Injektionen jenen, die nach Strahlenwirkung ein-
treten, außerordentlich ähnlich. Wie bei diesen ließen sich drei verschiedene
Arten der Reaktion unterscheiden, die mehr von der Beschaffenheit der
Tumoren, als von der der Einspritzung abhingen. Man sah Schrumpfungen
und Indurationen von Geschwulstknoten, oder Erweichung derselben unter
Austritt einer trüben, serösen Flüssigkeit, mitunter auch einer milchigen
oder schokoladefarbigen Masse, endlich Nekrosen, die meist jenen eigen-
artigen speckigen Glanz an der Oberfläche zeigten und sich schwer ab-
stießen, wie dies für die intensivsten Strahlenwirkungen charakteristisch ist.
Nur die letzte Art der Reaktion konnte durch entsprechende Dosierung
mit einiger Wahrscheinlichkeit vermieden werden, wenn man nämlich auf
die rasche Einführung größerer C'holinmengen verzichtete und sich auf
mittlere Dosen (von 0,5—1 g pro die) beschränkte. Ob eine Verflüssigung
448 Werner,
oder eine Schrumpfung zustande kam, war (ebenso wie bei der äußeren
Bestrahlung oder bei der Einspritzung radioaktiver Substanzen) nur von
der Eigenart des Tumors abhängig.
Bei der histologischen Untersuchung zeigten sich Degenerationen der
Zellkerne mit Vakuolisierung oder Pyknose der letzteren, Schwund der
Zellgrenzen unter scholligem Zerfall des Protoplasmas, ferner eine leuko-
zytäre Infiltration der Randzone des reagierenden Gebietes, während in
diesem selbst nur Leukozytentrümmer vorhanden waren. Der speckigen
Nekrose entsprach eine vollkommen homogene, nur von einzelnen Kern-
trümmern unterbrochene Gerinnungszone, deren Randpartien von degene-
rierten Zellen eingesäumt wurden, an die sich ein Leukozytenwall anschloß,
innerhalb dessen sich eine starke kapilläre Hyperämie zeigte.
Wie bei den Strahlenwirkungen, so beobachteten wir auch hier, daß
in der Regel nur ein bestimmter Teil des Tumors stark reagierte und
durch den Einfluß der Cholininjektionen entweder nekrotisiert oder zur
Resorption gebracht wurde, während andere Teile des Tumors erhalten
blieben und sich als äußerst resistent erwiesen. Jene Dosen, welche not-
wendig gewesen wären, um auch diese Geschwulstreste zu beeinflussen,
lagen jedenfalls oberhalb der Grenze, die man aus den früher erwähnten
Gründen einhalten mußte. Bei einigen großen und außergewöhnlich
stark reagierenden Sarkomen kam es zu einer rapiden Verflüssigung und
durch Resorption zu sepsisähnlichen Zuständen, wie dies ja auch bei
allzu intensivem Zerfalle nach Röntgenbestrahlungen beschrieben ist, so
daß auch hier eine obere Grenze für unser therapeutisches Wagen ge-
zogen war.
Die Injektionen am Orte der Wahl wurden mit den schwachen !/,—1 proz.
Cholinlösungen vorgenommen, von denen in Form von subkutanen Infusionen
in den Oberschenkel täglich oder an jedem zweiten Tage 200—250 ccm
eingeführt wurden. Die lokale Wirkung bestand nur in einem geringen
Ödem und einer mäßigen Schmerzhaftigkeit, die besonders dann fast ganz
fehlte, wenn die Cholinlösung durch einen entsprechenden Zusatz von
Kochsalz isotonisch gemacht wurde. Der Einfluß auf die Geschwülste war
unter diesen Bedingungen viel geringer; er trat erst nach 2—3 wöchent-
licher Behandlung auf und bestand fast ausschließlich in Schrumpfungs-
erscheinungen, niemals in deutlicher Verflüssigung oder Nekrose der
Tumoren. Eigentlich wäre die Form der Reaktion eine günstigere gewesen,
als bei direkter Applikation in die Geschwulst oder in die Nachbarschaft
derselben, aber sie wurde zu langsam erzielt und war mit verhältnismäßig
zu viel Intoxikationsgefahr verbunden, wenn man mit der Dose ent-
sprechend steigen wollte, als dab diese Methode sich zu einer rationellen
Therapie hätte ausbilden lassen. Ein Phänomen war jedoch sehr auffällig:
Über die chemische Imitation der Strahlenwirkung usw. 449
die Haut des Körpers wurde im Laufe der Wochen gegen Strahlen-
einwirkungen überempfindlich, so zwar, daß die Erythemdosis ungefähr auf
die Hälfte herabsank. Aus diesem Grunde war das Verfahren auch nicht
zur Sensibilisierung innerer Tumoren gegen die Strahlenwirkung geeignet, da
man die letztere nach den Uholineinspritzungen an Intensität vermindern
mußte, um die Haut zu schonen, so dal im ganzen doch nicht mehr Erfolg
erzielt wurde, als bei der einfachen Strahlenbehandlung.
Intravenöse Injektionen erwiesen sich im Tierversuche als zu gefährlich,
da schon die kleinsten Beimengungen von Trimethylamin oder Neurin be-
drohliche Erscheinungen hervorriefen, sie wurden daher am Menschen nicht
ausgeführt.
Bis Ende 1907 waren im ganzen 74 Patienten mit Cholinum basicum
behandelt worden, teils mit, teils ohne gleichzeitige Bestrahlung. Es waren
durchweg vorgeschrittene Fälle, bei denen weder auf chirurgischem Wege
noch durch sonst ein Verfahren Hoffnung auf Erfolg bestand. Auch die
Cholinbehandlung konnte das unerbittliche Schicksal der Kranken nicht
aufhalten, allein es zeigten sich in mehr als der Hälfte der Fälle (bei
43 Patienten) deutliche, wenn auch nur vorübergehende Besserungen, die
in einem partiellen Rückgange der Tumoren und in einer hierdurch be-
dingten Verminderung der Beschwerden bestanden. Bei neun Patienten
allerdings kam es, wie dies ja auch bei insuffizienter Strahlenbehandlung
zu beobachten ist, zu vermehrtem Wachstume, bei acht anderen wurden
die bereits erwähnten stürmischen Zerfallserscheinungen Quelle einer Ver-
schlechterung des Gesamtbefindens, die den erzielten lokalen Erfolg auf-
wog. 14 konnten wegen zu kurzer Dauer der Behandlung nicht beeinflußt
werden.
Die therapeutischen Versuche wurden, obwohl sie nicht absolut ent-
mutigend ausgefallen waren, aufgegeben, um erst einen zuverlässigeren
Ersatz für das Cholinum basicum zu suchen.
Der nächste Gedanke war der, die voraussichtlich stabileren Salze des
Cholins zu prüfen. Die ersten Experimente machte ich mit dem käuf-
lichen Cholinum hydrochloricum. Dieses erwies sich in wässeriger Lösung
als haltbar und hatte keine unangenehmen Nebenwirkungen, aber es war
erheblich weniger wirksam als die Base und insbesondere in den schwächeren,
schmerzlos zu applizierenden Konzentrationen (1--2%) praktisch fast ohne
Effekt, so daß ich vermutete, die Wirkung des Cholins hänge mit dem
Grade der Alkalinität zusammen. Deshalb suchte ich festzustellen, in-
wieweit andere Alkalien für diese Zwecke verwendbar wären. In erster
Linie wurden Lösungen von Ammoniak, Kali- und Natronlauge in ver-
schiedenen Konzentrationen bezüglich ihres Einflusses auf das Mäuse-
karzinom studiert und es zeigte sich, daß der Grad der Alkalinität bei der
450 Werner,
Kali- und Natronlauge zweifelsohne einen entscheidenden Einfluß besitzt.
Die Wirkungen des Ammoniaks waren jedoch sehr erheblich von jener
der beiden anderen Alkalien verschieden und zeichneten sich vor allem
dadurch aus, daß der Effekt kein streng lokaler blieb, sondern sich über
weite Gebiete des Tumors erstreckte. Wurde z.B. 1 ccm der 1°/,, Lösung
von Kali oder Natronlauge intratumoral injiziert, so erhielt man einen
kleinen hellgrau gefärbten Ätzschorf und die Nachbarschaft wurde im Um-
fange von 1—1!J; cm ödematös und erweicht. Es kam nur zu einer un-
bedeutenden Schrumpfung der Geschwulst, deren Weiterwachsen durch die
Einspritzung nicht verhindert, sondern eher noch beschleunigt wurde. In-
jizierte man í ccm 1°/, Ammoniaklösung, so begann am 2.—3. Tage
das Tumorgewebe im beträchtlichen Umkreise zu erweichen und dann kam
es entweder zu einer Verflüssigung, die bei mehreren Geschwülsten von
nicht mehr als 5—6 cem Volumen zu einer vollständigen Einschmelzung
führte, oder die Kolliquation machte nach einigen Tagen halt und es trat
eine Verhärtung ein, welche sich mikroskopisch als eine komplette, fast
homogene Nekrose der Zellen erwies. War die Geschwulst ganz oder ın
großer Ausdehnung verflüssigt, so wurde die Haut an einer Stelle durch-
brochen, es entleerte sich eine trübseröse Flüssigkeit, sodaß nur ein flacher
Cystensack zurückblieb, sodann pflegte die Haut zu nekrotisieren, es ent-
stand ein bis tief in die Muskulatur hineinreichendes braunes, mit Borken
bedecktes Geschwür, das langsam ausheilte. Meist starben die Mäuse an
einer Infektion desselben. Kam es jedoch zu einer Nekrose, so blieb diese
in der Regel sehr hartnäckig sitzen und war ebenfalls der Infektion
leicht ausgesetzt. Nur in einzelnen Fällen kam es zur Abstoßung und zu
einer Geschwürsbildung, die ausheilte. Noch größere Differenzen zugunsten
des Amınoniaks ergaben sich bei der Einspritzung 1 proz. Lösungen der
drei erwähnten Alkalien. Hierdurch war der Beweis geliefert, dal dem
Ammoniak eine besonders intensive Wirkung auf den Mäusekrebs zukommt,
die in gewissen Grade von der Alkalinität unabhängig ist.
Diese Tatsache konnte auch noch durch folgende Experimente erhärtet
werden.
Es wurde geprüft, welche Eigenschaften das Ammoniak als neutrales
Salz besitzt. Zu diesem Zwecke wurde Ammonium chloratum in 1 proz.
Lösung benutzt. Bei intratumoraler Injektion von 1 cem bildeten sich
nach einer Woche multiple kleine Erweichungsherde, während der Tumor
um ein Drittel schrumpfte. Wiederholungen des Versuches hatten den
gleichen Erfolg. Wurde dagegen die Salzlösung alkalisiert, wozu eine
Mischung von 10 Teilen 10 proz. Ammoniaklösung auf 20 Teile Ammonium
chloratum und 1000 Teile Wasser verwendet wurde, so war das Resultat
der Injektion ein ganz anderes. Die Tumoren gingen entweder rasch unter
Über die chemische Imitation der Strahlenwirkung usw. 451
Verflüssigung zu Grunde oder schrumpften und wandelten sich in wachs-
artige Nekrosen um. Aus diesen Beobachtungen geht direkt hervor, dab
die Ammoniakwirkung weder auf dem Gehalte an Hydroxylionen, noch
allein auf der Anwesenheit von NH, beruhen kann, sondern einen kom-
binierten Effekt beider darstellt. Wahrscheinlich erleichtert das NH, als
Lipoidlösungsmittel der Hydroxylgruppe den Eintritt in die Zellen, ein
Vorteil, den weder Kali- noch Natronlauge besitzen.
Das basische Cholin hatte nun eine ganz ähnliche Wirkung wie die
Ammoniaklösung, während das salzsaure fast vollkommen versagte. Aber
zwei Unterschiede ergaben sich zwischen Wirkung des Cholins und jener
des Ammoniaks. Letzterer wirkte viel stürmischer mit kürzerer Latenz-
zeit und nur bei intratumoraler Injektion. Das Cholin dagegen hatte eine
mildere Wirkung, die erst nach einer Latenzzeit von 6—8 Tagen deutlich
in Erscheinung trat, dafür aber auch bei paratumoraler Injektion. Ich
prüfte noch eine ganze Reihe von anderen Ammoniakverbindungen und
fand bei ihnen entweder keine, oder eine ähnliche Wirkung, wie sie für
das reine Ammoniak charakteristisch ist, d. h. keine eigentliche Fern-
wirkung, die nur beim Cholin konstatiert werden konnte.
Dies ist wohl so zu erklären, daß das Cholin im menschlichen und
tierischen Körper erhalten bleibt und im Blute wie im Lymphstrome einige Zeit
hindurch unverändert zirkulieren kann, während die anderen Ammoniakver-
binduugen gleich der freien Base verändert werden. Mit Rücksicht auf
diese Erkenntnis gab ich die Versuche, andere Ammoniakpräparate als
Ersatz für das Cholin zu suchen, zunächst auf und bemühte mich wieder,
das Cholin selbst in stabilerer und doch wirksamer Verbindung zu erhalten.
Durch die Vermittlung meines Chefs, Exz. Czerny, dem ich hierfür
meinen verbindlichsten Dank aussprechen möchte, konnte ich im Vor-
jahre mit den Vereinigten chemischen Werken in Charlottenburg in Ver-
bindung treten und erhielt von diesen eine Reihe von Salzen des Cholins,
die der Chemiker Herr Dr. Lüdecke nach meinen Wünschen darge-
stellt hatte.
Die Prüfung dieser Substanzen begann ich in Gemeinschaft mit Herrn
Dr. L. Ascher, Assistenten der wissenschaftlichen Abteilung des Herrn
Prof. v. Wasielewski.
452 Werner und Ascher,
II. Neuere Experimente.
Von
Prof. Dr. R. Werner und Dr. L. Ascher.
Da die Verbindung des Cholins mit einer starken Säure wie z. B. Salz-
säure sich als wenig wirksam erwiesen hatte, lag es nahe, den Versuch
mit Salzen aus schwächeren Säuren zu machen. Von vornherein waren
zwei Momente zu beachten: der Grad, in dem die von den früheren Expe-
rimenten her bekannte reine Cholinwirkung erhalten blieb, und die Eigen-
wirkung der Säuren selbst.
Als Testobjekt wurde einerseits der Einfluß auf das Blut beim Men-
schen und bei Tieren (Kaninchen und Ratten), ferner die Veränderungen
am Hoden der Ratte, sowie an Rattensarkomen und Mäusekarzinomen
gewählt.
Von den Cholinsalzen wurden bisher folgende geprüft: das borsaure,
atoxylsaure, jodatoxylsaure, nukleinsaure, salizylsaure Cholin, ferner eine
Verbindung der Base mit Glykocholl, Dijodkresol und Acidum arseni-
cosum.
Die Giftigkeit der Substanzen wurde für die 2proz. wässerige Lösung
bei Mäusen, Ratten und Kaninchen bestimmt. Das borsaure, jodbenzoe-
saure Oholin, sowie die Verbindung mit Glykocholl erwiesen sich als wenig
toxisch. So wurden z. B.vom borsauren und jodbenzoesauren Cholin 5 cem der
2 proz. Lösung von Kaninchen intravenös ohne nachweisbare Schädigung ver-
tragen, ferner 3—4 ccm vom Glykochollcholin sowie von den nukleinsauren,
atoxylsauren und ameisensauren Salzen. Bei dem jodatoxylsauren Cholin
lag die obere Grenze bei 1 ccm; 1'1/,—2 ccm wirkten nach 5—7 Tagen
tödlich. Bei den Tieren fand sich eine Nephritis mit trüber Schwellung
der Epithelien, oder auch mit Desquamation derselben und schwerer
Hämorrhagie, ferner eine Hyperimie und Schwellung der Schleimhaut des
Magens und Duodenums, sowie der Gallenwege.
Recht toxisch waren ferner das zimmtsaure und salizylsaure Cholin.
sowie die Verbindung mit Arsen und Dijodkresol.
Für die „Imitation der Strahlenwirkung‘ eigneten sich streng genommen
nur borsaures, jodbenzoesaures, atoxylsaures, ameisensaures Cholin und die
(Glykochollverbindung. Alle anderen Substanzen hatten zu starke, durch
die Eigenart der Säure bedingte Nebenwirkungen.
Nur die erwähnten Salze ließen hinsichtlich ihres Einflusses auf das
Blut eine Parallele mit der Strahlenwirkung erkennen. Szécsi beschreibt
die Veränderung kurz mit folgenden Worten (vgl. Medizin. Klinik 1912,
Nr. 25).
Über die chemische Imitation der Strahlenwirkung usw. 453
„Es tritt eine starke Verminderung der (sesamtleukozytenzahl ein,
und zwar schon kurz nach der Einspritzung, etwa ein bis zwei Stunden
nachher. In der vierten bis fünften Stunde steigt die Leukozytenzahl wieder,
fällt nach einigen Stunden und es tritt eine ziemlich lange dauernde gene-
relle Hypoleukozytose ein. Die einzelnen Leukozytenformen werden dabei
folgendermaßen beeinflußt: es tritt gleich (ein bis zwei Stunden) nach der
intravenösen Einspritzung eine Lymphopenie ein, die Leukozyten werden
erst einige Stunden später beeinflußt, es tritt sogar vorübergehend eine
Leukozytose (neutrophile Polynukleose) ein, während die Iymphopenie
weiter besteht. Also genau wie bei der Röntgenbestrahlung oder bei der
Behandlung mit Thorium-X sind auch hier die neutrophilen polynukleären
Leukozyten am resistentesten, in erster Linie werden die lymphoiden Zell-
formen zerstört.‘
Eine Veränderung der roten Blutkörperchen und Blutplättchen wurde
nicht konstatiert. Die genaue hämatologische Beschreibung wird an anderer
Stelle erfolgen.
Als das wichtigste und nach den früheren Erfahrungen am schwierigsten
zu erreichende Ziel erschien uns die Nachahmung der radiogenen Ver-
änderungen am Hoden, die aus den Untersuchungen von Albers-Schön-
berg, Frieben, Seldin, Buschke und Schmidt, Bergonie und
Tribondeau, Regaud und Blanc, Villemin, Brown und Osgood,
Philipp u. a. bekannt sind.
Die Experimente wurden an weißen Ratten ausgeführt, deren Testikel
bekanntlich besonders gut ausgebildete Epithelschläuche und Spermatozoen
besitzen. Die Tiere wurden erst 1—2 mal intravenös in die Schwanzvene
und, weil dies nicht öfter und überhaupt nur unvollkommen gelang, später
subkutan an von den Hoden möglichst weit entfernten Stellen des Rückens
mit 2 proz. Borcholinlösung injiziert. Sie erhielten 2—3 mal wöchentlich je
2 ccm. Bei einem Teile der Ratten war vorher eine einseitige Kastration
vorgenommen worden, um den mikroskopischen Vergleich bei demselben
Tiere vor und nach der Behandiung durchführen zu können, während bei
den anderen Tieren darauf verzichtet wurde, um einen eventuellen schä-
digenden Einfluß der Operation auszuschalten. Nach 3—6 wöchentlicher
Behandlung wurden die Hoden exstirpiert, die Tunica vaginalis communis
entfernt, das Organ in kleine Plättchen zerschnitten, in Zenker fixiert, in
Paraffin eingebettet und mit Hämatoxylin-Eosin gefärbt. Das Ergebnis
der histologischen Untersuchung läßt sich dahin zusammenfassen, daß — je
nach der Dauer der Vorbehandlung — ein partieller oder vollkommener
Schwund der Spermatogonien, Spermatozyten, Spermatiden und Spermato-
zoen konstatiert werden konnte, während die Sertolischen Zellen und das
bindegewebige Gerüst der Hoden vollkommen erhalten oder doch nur
454 Werner und Ascher,
wenig verändert war. Durch Einschmelzung der Epithelschichten waren
die Hodenkanäle erweitert, enthielten höchstens Reste schwer degenerierter
Epithelhaufen. Oft war überhaupt keine Spur von den eigentlichen Ge-
schlechtszellen mehr zu erkennen.
Diese Versuche dokumentieren die Überlegenheit des Borcholins über
die Base hinsichtlich der Eignung zur chemischen Imitation der Strahlen-
wirkung. Sie geben auch die Erklärung für eine Beobachtung, die der eine
von uns (vgl. Werner, Deutsche med. Wochenschr. 1904, Nr. 2), schon
früher machen konnte, daß nämlich die Imitation der Strahlenwirkung
besser gelingt, wenn man mit dem basischen Chelin gleichzeitig andere
Spaltprodukte des Lezithins (Glyzerinphosphorsäure, Stearinsäure u. dgl.)
einspritzt. Die damals ausgesprochene Vermutung, daß es der Anwesen-
heit höherer Zwischenstufen des Lezithinzerfalles als des Cholins bedarf,
um eine besonders vollkommene Nachahmung des Strahleneffektes herbei-
zuführen, ist insofern richtig, als ein mit entsprechenden Säuren gekuppeltes
Cholin sich hierfür als geeigneter erwiesen hat, als die reine Base. Ob
die Säure dabei nur in dem Sinne beteiligt ist, daß sie die Cholinwirkung
mildert und die Umsetzung oder den Zerfall der Base in giftige Substanzen
verhindert, oder ob ihr dabei noch eine andere Rolle zukommt, muß vor-
läufig dahingestellt bleiben.
Der Einfluß auf die Haut ist von allen bisher geprüften Cholinsalzen,
die für die chemische Imitation der Strahlenwirkung brauchbar sind, beim
Borcholin am stärksten und besteht in einer Dermatitis, die zu Haaraus-
fall, Rötung, Blasenbildung und Epidermisnekrose führt, wobei die Latenz-
zeit je nach der Konzentration der Lösung und Dichte der Infiltration
verschieden ausfällt (1—9 Tage). Ganz lange Latenzzeiten von 2—3 Wochen
mit nachfolgendem Erythem sind noch nicht sicher beobachtet, wohl aber
solche mit nachfolgender Bräunung der Haut ın der Umgebung der In-
jektionsstelle ohne sonstige Veränderung. Es entspricht dies der mildesten
Röntgenreaktion.
Im Hinblicke auf die Bedeutung der Radiotherapie für die Behand-
lung der malignen Tumoren wurden auch Heilversuche bei Tumortieren
angestellt. Diese erstreckten sich zunächst über 35 Ratten mit Sarkom
und 12 Mäuse mit Adenokarzinom. 30 Ratten und 4 Mäuse wurden mit
Borcholin, 5 Ratten mit jodbenzoesaurem Cholin und je 4 Mäuse mit
Glykocholl- und Ameisensäurecholin behandelt. Die Injektionen wurden
mit 2 proz. Lösungen zweimal wöchentlich bei den Ratten subkutan, bei den
Mäusen in die Schwanzvene vorgenommen. Die Reaktion der Tumoren
war eine ganz typische. In den ersten Tagen kam es in ihnen zu einer
allmählich zunehmenden Hyperämie und Hämorrhagie, ferner zu einer
ödematösen Quellung des Geschwulstgewebes. Insbesondere nach den In-
Über die chemische Imitation der Strahlenwirkung usw. 455
jektionen von Jodbenzoesäurecholin erreichte die Rötung der Tumoren im
Querschnitte einen außerordentlich hohen Grad. Allmählich gesellte sich
eine Erweichung hinzu, gewöhnlich erst in der 2.—3. Woche, während
das Volumen sich noch immer nicht verringerte, mitunter sogar zunahm.
In diesem Stadium konnte man bereits eine ausgedehnte zentrale Nekrose
tinden, die stellenweise zystisch degeneriert war. Die Aushöhlungen griffen
um sich und erst jetzt begannen die Tumoren zu schrumpfen. Bei 3
Rattensarkomen und 9 Mäusekarzinomen kam es zu einem völligen
Schwunde der Geschwülste, bei ersteren nach 8—10, bei letzteren nach
3—4 Wochen. Die relativ späte Wirkung des Cholins erscheint im ersten
Momente als merkwürdig. Man kann nur schwer verstehen, daß eine
chemisch wirksame Substanz solange in den Zellen aufbewahrt bleiben
soll, um anfangs nur schwache, später aber stürmische Wirkungen auszu-
lösen. Diese Vorstellung ist auch in der Tat höchstwahrscheinlich unzu-
treffend. Es handelt sich vielmehr um die Einleitung eines Prozesses in
den Zellen, der nach der Bindung oder Elimination des Cholins weiter-
geht, ähnlich wie die biologische Strahlenwirkung erst längere Zeit nach
dem Aussetzen der Bestrahlung einen äußerlich wahrnehmbaren Grad
erreicht. Man kann sich den Vorgang so denken, daß durch das Cholin
die Zelle geschädigt und durch Störung des fermentativen Stoffwechsels
eine Zersetzung der Zellipoide eingeleitet wird, die ihrerseits wiederum
die Veränderung der fermentativen Tätigkeit steigert. Ein solcher Cir-
culus vitiosus würde die Spätwirkung verständlich machen. Jedenfalls
ist diese eine Tatsache, die durch alle bisherigen Beobachtungen er-
härtet wird.
Bemerkt zu werden verdient, daß stets nur ganz große Geschwülste
zu diesen Versuchen verwendet wurden. Die Rattensarkome waren pflau
men- bis apfelgroß, die Mäusekarzinome wallnuß- bis über kastaniengroß.
Während von den Kontrollgeschwülsten die kleineren Knoten teilweise
spontan zurückgingen, zeigte sich bei jenen Tumoren, die über haselnuß-
groß waren, nie eine Spontanheilung. |
Mikroskopisch fanden sich ausgedehnte Hyperämien, Hämorrhagien
Thrombosen der Gefäße, leukozytäre Infiltrationen !), zentrale Nekrosen und
Kolliquationen des Gewebes unter Schwund der Zellgrenzen, Pyknose der
Kerne, Entstehung eines feinkörnigen Detritus mit Bildung zystischer
Hohlräume. Der genauere histologische Befund wird an anderer Stelle
(Zeitschrift für Chemotherapie) veröffentlicht werden im Zusammenhange
mit weiteren Versuchen, welche die mitgeteilten Beobachtungen bestätigen
1) Die leukozytäre Infiltration findet sich nur in einzelnen Präparaten, fehlt
aber in vielen vollkommen und scheint somit nicht zum Wesen der Reaktion
zu gehören.
456 Werneru.Ascher, Über d. chemische Imitation d. Strahlenwirkung usw.
und ergänzen, deren histologische Bearbeitung aber derzeit noch nicht voll-
kommen beendet ist. Aus ihnen geht hervor, daß die beschriebenen
Reaktionen an den Tumoren keineswegs mit allen Cholinsalzen zu erzielen
und daher sicherlich als eine direkte Wirkung der als brauchbar gefun-
denen Substanzen anzusehen sind.
Es muß ferner darauf hingewiesen werden, daß gleichzeitig Experimente
über Beeinflussung von Tumoren durch Thorium-X-Lösung angestellt wurden,
die eine außerordentlich weitgehende Ähnlichkeit der Veränderungen an
den Geschwülsten nach den Injektionen der radioaktiven Lösungen und
der Cholinsalze ergaben. Der nachweisbare Unterschied betraf nicht die
Art des Einflusses auf die Tumoren, sondern bestand darin, dad das Tho-
rium-X von den Tieren in dar wirksamen Dosis viel schlechter vertragen
wurde, als das Cholin, aber auch bedeutend rascher wirkte.
Durch diese Versuche wurde uns ein Fingerzeig für die therapeutische
Anwendung der Cholinsalze beim Menschen im Rahmen der kombinierten
Behandlung gegeben.
Darüber wird in dem nächsten Hefte der Strahlentherapie berichtet
werden.
Aus der Universitäts-Frauenklinik, Freiburg i. B. (Geh. Hofrat Krönig).
Dauererfolge in der gynäkologischen Radiotherapie.
Von
Dr. P. W. Siegel, Assistent der Klinik.
ur Heilung der Myome und klimakterischen Blutungen hat die Ver-
wendung der Röntgenstrahlen sich in der Gynäkologie allmählich ein
weites Ausdehnungsgebiet erworben. Jedoch steht ihre Anwendungsbreite
noch lange in keinem Verhältnis zu ihrer Leistungsfähigkeit. Noch
immer werden ihre Erfolge in Zweifel gezogen. Das kann nicht wunder-
nehmen, da die meisten Kliniken sich mit der Röntgenbestrahlung noch
in den Anfängen befinden. Mißerfolge als Begleiterscheinungen der jungen
Versuche entmutigen, freilich mit Unrecht, und lassen zu den älteren,
bewährten Operationsmethoden zurückgreifen. Auch wir in Freiburg haben
uns aus bescheidenen Anfängen durch Zeit, Mühen und Mißerfolge durch-
gearbeitet. Als erschwerend kommt noch dazu, daß die Röntgenversuche
sehr kostspielig sind, daß man sich gerade bei den Patientinnen, die in
der Lage sind, die Röntgenbestrahlungen zu bezahlen, keinem Versager
aussetzen mag. Krönig und Gauss!) betonen schon, daß die großen
Unkosten der Radiotherapie eigentlich nur durch die besser situierten
Kreise der Bevölkerung gedeckt werden können, weil bedauerlicherweise
heute weder Krankenkasse, Armenrat noch Landesversicherung nennens-
werte Greldunterstützungen für sie gewähren. Andererseits kann man
diesen Kreisen nur eine gesicherte Heilmethode anbieten. Es muß also
der Etat der Klinik weitgehend belastet werden, wenn auch unbemittelte
Patientinnen berücksichtigt werden sollen; das geht aber nur auf kurze Zeit.
So ist es tatsächlich nur möglich, durch schwere Opfer radiotherapeutische
Erfahrungen zu sammeln.
In Folgendem will ich nun einen Beitrag für die richtige Be-
wertung der Röntgenbestrahlung in der Gynäkologie bringen. Über
Röntgenerfolge und Röntgenmißerfolge ist viel geschrieben worden. Bei
der Jugend der Therapie konnten aber immer nur wenig Fälle mitgeteilt
werden. Wir haben in Freiburg ein verhältnismäßig großes Material, das
bis jetzt nur teilweise veröffentlicht werden konnte. Ich kann über 55
Nachuntersuchungen berichten, der größten bis heute geschlossen publi-
zierten Zahl.
1) Deutsche med. Wochenschrift 1912, Nr. 20, S. 940.
458 Siegel,
Auch wir haben anfangs die Fälle von Myomen und hämorrhagischen
Metropathien mit wechselnden Erfolgen bestrahlt. Erst mit 1909 begannen
die Ergebnisse eine gewisse Konstanz zu zeigen, die einfach durch die
Vervollkommnung der Technik begründet sind. Wir haben nun versucht,
eine möglichst große Zahl bestrahlter Frauen zur Nachuntersuchung zu
bekommen und dazu insgesamt 103 Patientinnen bestellt, sofern ihre
letzte Bestrahlung vor den 1. November 1911 fiel, also mindestens */, Jahre
zurückliegt. Hierbei sind die 25 Fälle, welche vor dem 1. Januar 1909
liegen, nicht berücksichtigt worden, weil wir damals ohne feste Methode
bestrahlten. Die 103 nachbestellten Patientinnen stellen die Gesamtheit
aller Fälle dar, die innerhalb eines Umkreises von ca. 150 km Radius
von Freiburg wohnen. Denn weil wir von dem Prinzip ausgingen, uns
nur auf persönliche Vorstellungen und Nachuntersuchungen, nicht aber
auf unsichere biefliche Berichte zu verlassen, war es unnötig, weiter weg-
wohnende Patientinnen aufzufordern. Die Frauen entstammen in der
Mehrzahl dem Privatklientel; diese alle heranzuziehen, ist natürlich sehr
schwer. Wir haben daher im ganzen nur 55 Patientinnen wieder zu
Gesicht bekommen. Die übrigen reagierten auf unsere Aufforderung ent-
weder gar nicht oder schrieben allgemein, daß es ihnen gut ginge, dab
sie nicht mehr bluteten und daher die Reise nach Freiburg für unnötig
hielten. Solche Briefe schalten wir prinzipiell aus. Wir schädigen zwar
dadurch unsere Statistik, da wir nur gute Nachrichten bekommen haben.
Wir haben im ganzen 16 Briefe erhalten. Keiner spricht von rezidivieren-
den Blutungen. Alle 16 Patientinnen, fühlen sich geheilt.
Material.
Alle 55 Fälle, die in den folgenden Tabellen näher detailliert werden,
liegen mit ihrer letzten Bestrahlung mehr denn ?/;, Jahre zurück. Es handelt
sich um 36 Myome und 19 hämorrhagischen Metropathien. Diese beiden
größeren Gruppen zerfallen nach der Technik wiederum in zwei Unter-
gruppen. Die erste umfaßt die nach der von Albers-Schönberg an-
gegebenen Technik — kanonischer Abstand von 33 cm, Lederfilter, einstellige
Bestrahlung, 6—8 Walter, ?/, Erythemdosis in einer Sitzung = 7',x —.,
die zweite die nach der Freiburger Technik bestrahlten Fälle — Abstand
20 cm, Aluminiumfilter, mehrstellige Bestrahlung, große Serien. Da
die Technik einem dauernden Ausbau unterworfen war, und es heute
noch ist, so sind natürlich die Bestrahlungen auch in den Untergruppen
nicht einheitlich. Das Bestreben, Erytheme zu vermeiden, eine Abkürzung
der Behandlungszeit und größere Sicherheit der Erfolge zu erzielen, spielt
dabei eine große Rolle und hat eigentlich dauernd eine Modifizierung der
Technik bedingt. Es kann nicht meine Aufgabe sein, diesen Wechsel
Siegel, Dauererfolge in der gynäkologischen Radiotherapie. 459
der Technik in seinen Einzelheiten auszuführen, zumal das in der Mono-
graphie von Gauss und Lembckel) niedergelegt ist.
Erfolge.
Ich spreche im Folgenden von Dauererfolg, sofern seit °®/, Jahren
noch der gewünschte Erfolg besteht. Es kann mir eingewendet werden,
daß man bei ?/,-jährigen Erfolgen nicht von Dauererfolgen sprechen darf.
Das muß ich zugeben: aber es ist doch zu bedenken, daß bei einer jungen
Therapie Erfolg immer ein relativer Begriff ist und stets Konzessionen
an die Dauer der Erfolge zu machen sind.
Wir haben unter den 55 nachbeobachteten Fällen 54 einwandsfreie
Erfolge und einen Mißerfolg, wie ich schon hier erwähnen will. Die
Rezidivfreiheit der 54 Fälle schwankt zwischen %/,—3 Jahren. Selbst-
redend sind diese Erfolge nichts definitiv Abgeschlossenes und können
wohl noch manche Verschiebungen erleiden. Es liegt außerhalb unserer
Fähigkeit, das übersehen zu können. Andererseits berechtigt uns eine
Therapie, die unter 55 Nachuntersuchungen 54 Erfolge aufweist, unbedingt
zu Analogieschlüssen. Zum mindesten dürfen wir auf diese Erfahrungen
hin vorläufig weiter danach handeln. Sonst müßten wir ja jahrelang auf
einem abwartenden Standpunkte beharren und eine allen Erwägungen
nach sichere Heilmethode der Menschheit ebenso lange einfach vorenihalten.
Die Übersichtstabellen.
Zur leichteren Übersicht habe ich die 55 Fälle in vier Tabellen zu-
sammengefaßt, je nachdem es sich handelt um:
1. Myome, bestrahlt nach Albers-Schönberg,
2. Myome, bestrahlt nach der Freiburger Technik,
3. Meiropathien. bestrahlt nach Albers-Schönberg,
4. Metropathien, bestrahlt nach der Freiburger Technik.
Innerhalb jeder einzelnen Tabelle wurde nun wiederum eine Sichtung
vorgenommen nach:
dem Alter der Patientinnen,
den Behandlungstagen,
den applizierten Lichtminuten,
der applizierten Oberflächendosis,
der Kritik des Erfolges,
der Dauer des Erfolges und
der Art des Erfolges.
1) Gauss und Lembcke, Die Röntgentherapie in der Gynäkologie 1912,
Urban & Schwarzenberg. (Fortsetzung des Textes auf S. 463.)
30
Siegel,
Tabelle 1.
19 Myome, bestrahlt nach Albers-Schönberg.
Nummer
Name
Alter
Behand-
lungstage
1.| H. |381 |109 | 156
2.| D. 7 156 | 647
3. | Str.| 44 | 178 | 583
4.| H. |44 |141 |387
5. |v. H.| 44 | 109 | 395
6.| H. |45| 94 | 300
7.| I. a5 |ı89 | 444
8.| B. |45| 98|809
9.| @. |46| 70/671
10.| L. |46| 68 |753
11.| Fr. |47| 71/576
12 | M. |48 |129 | 539
13.| H. |48| 66 |629
14.| R. |48 |163 |612
15.| H. 48 |205 | 591
|
16.\ R. |50 163 | 629
17.| N. |50| 109 |395
18.) R. |51 |168 | 392
19.| K. |52| 83 | 258
212x
212x
g81/,x
82x
87x
114x
275x
231x
282 x
2761/,xX
194 x
249x
213x
232K
1l3x
82x
178x
83x
Schrumpfung des
auf 2 querfg. |
unter dem Nabel |
Tumors Erfolg
Art ‚Gruppe, Kritik [Dauer | Art
Mannskopfgröße II |geheilt| 3 Oligome-
auf Kindskopf- norrhoe, n.
größe 3 Monaten
Amenorrhoe
Faustgröße auf |I ad n. j 4 Oligome-
norm. Uterus norrhoe, n.
4 Monaten
Amenorrhoe
desgl I adn. 2 2 |Amenorrhoe
desg]. Iadn. A 4 >
desgl. I ad n. ý 3 1:
Doppelfaustgr. |IIadn. $„, 4 i
a. norm. Uterus
Mannskopfgr. HI j 4 5
auf Faustgr.
Faustgröße auf |I ad n. Mm 4 5
norm. Uterus
desgl. I ad n. á 3 =
Gänseeigröße |ladn. ,„ 3 á
auf norm. Uterus
Doppelfaustgr. |IIadn.| „, 2 a.
auf norm. Uterus
Doppelfaustgr. II S 3 2.
auf !/, Faustgr.
Faustgröße auf 2 I 5 3 $
haselnußgroße
Knollen
Mannskopfgröße |Illadn.| „ 4 8
aufnorm Uterus
Mannskopfgr. a. II 5 3 i
Doppelfaustgr.
desgl. II i 4 j
Faustgröße auf |I ad n. = 4 s
norm. Uterus |
desgl. N au; 3 r
Von Nabelhöhe | I 4
Dauererfolge in der gynäkologischen Radiotherapie. 461
Tabelle 2
17 Myome, bestrahlt nach der Freiburger Technik.
©
s 2 |a © bla lo a! obal u des Erfolg
Ira (Euge 25 flächen-
Z | F = 2 5 A aan de Art |@ruppe) Kritik | Dauer| Art
1.) M. 130| 6411097 6 Doppelfaustgr. |II ad n.| geheilt| 2 |Amenorrhoe
auf norm. Uteras
.| W. |30 | 133 11324| 1193 x desgl. II ad n i 1 a
3. | Sch. | 34 | 82 |1269; 535x | Doppelf austgr. I j 2 ih
auf Faustgröße
4.| F. 381122 |1428| 1167x | Faustgröße auf | Iadn. j 1 X
norm. Uterus
5.! F. |42|160 1032] 639x | Faustgröße auf I j 1 I;
leichtvergrößer-
ten Uterus
6.| D. |44| 82 1085) 590x | Faustgröße auf I i 3 ss
Kleinfaustgröße
7.| W.ı|45| 921000) 675x | Faustgröße auf |Iadn. m 2 in
norm. Uterus
8.| H. |45 J126 |1295) 637x | Faustgröße auf |Iadn. RR 1 5
senil. atroph.
Uterus
9.| W. 46 | 131 = 588x | Doppelfaustgr. IIladn| %„ 3 3
aufnorm. Uterus
10.| W. |47| 73 1096| 703x desg. |IHadn| „ | 3 a
11. (Sch. | 48 | 103 [1260| 776x desg. |IIado] „ | 1 »
12.| K. | 48| 92:1304| 648x |2 Querfingerüb.| U n 1 5
den Nabel auf
Doppelfaustgr.
13.| F. |50 | 157 1603; 1083x |2 Querfinger üb. II j 2 5
den Nabel auf 2
Qfg. unt.d.Nabel
1537| 1109x |1 Querfinger üb.| Il p 1 5
den Nabel auf 3
Qfg.unt.d.Nabel
1278'1,x, 2 Querfinger üb. I 5 1 j5
den Nabel aut 2
Qfg.unt.d.Nabel
16.| G. |53| 24| 595) 318x | Kindskopfgröße II „ 1 n
intraligament. a.
Faustgröße |
2115: 1332x |2 Querfinger üb.| III as 1 4
| den Nabel auf
| 1!/, Faustgröße
14.|Sch. | 51 | 121
15.) L. |52 | 230 11565
17.) H. 54 |175
30*
462 Siegel,
Tabelle 3.
12 Metropathien, bestrahlt nach Albers-Schönberg.
5 |8 | Behandlungs- Erfolg
215 tage
JEF
1.1 B 136 253 1194| 235x | geheilt | 4 Oligomenorrhoe, n. 6
Monaten Amenorrhoe
2. | Sch. | 37 225 116 ? j 4 | Sof. Oligomenorrhoe
3. | St. |38 58 248 43x 5 4 Oligomenorrhoe, n. 3
Monaten Amenorrhoe
4.| M. |38 51 85 ? a 3 Sofortige Oligome-
norrhoe
5.| B. |40 84 226| 108x j 3 Oligomenorrhor, n. 4
| Monaten Amenorrhoe
6.| H. |43 144 436 | 121®/,x z 4 Amenorrhoe
7.| B. |46 109 673| 269x j 3 Amenorrhoe
8.| L. |46 178 442| 103x s5 4 Amenorrhoe
9.| W. |47 35 48 ? a 5 Oligomenorrhoe, n. 7
Monaten Amenorrhoe
10.| B. [48 113 205 ? |» 3 | Amenorrhoe
11.| L. |55 91 84 ? | ungeheilt; status ante
therapiam
12. |Sch.| 57 92 103| ? | geheilt| 4 | Amenorrhoe
i |
Tabelle 4.
7 Metropathien, bestrahlt nach der Freiburger Technik.
g © B 5 Ober- Erfol
3/58 g AET 2 = flächen- e
E a ° er dosis | Kritik | Dauer Art
L.|.D. | 26 | 365 mit Unter- | 879 | 499 x | geheilt 1 | Amenorrhoe
brechungen |
2.| K. |28 58 689| 509x á 2 Oligomenorrhoe, n. 3
| Monaten Amenorrhoe
3. |Sch. | 30 100 1283 | 765x 5 1 Amenorrhoe
4.| S. |37 179 1388 | 846x ii | is Amenorrhoe
5.| W. |43 133 1324 | -11932 jr 2 Amenorrhoe
6.| B. |45| 234 mit Unter- | 1035 | 487 ij 2 Amenorrhoe
brechungen
7. (Sch. | 47 170 1508 | 980!/, x S | si Amenorrhoe
Dauererfolge in der gynäkologischen Radiotberapie. 463
Die Erfolge sind nach ihrer Dauer wiederum in 5 Gruppen geteilt.
Es umfaßt die:
Gruppe 1 alle Fälle von ?3/,—1 Jahr Rezidivfreiheit
„ 2 „ „ 99 1—1t/ „ „
„ 3 ’ „ „ 1,1! „ „
„ 4 „ „ „ 1 tJ} —2! la 29o ”
5 „ „ 21 la —3 „
Speziell für die Myome machte sich eine wärs, Gaora
notwendig. Nach der Stärke des Tumorenrückganges werden drei Gruppen
unterschieden :
Gruppe 1 Tumorenrückgang um ca. Faustgröße,
„ 2 „ „9 Doppelfaustgröße,
„ 3 5 » „ Kindskopfgröße und darüber.
Wo bei der Nachuntersuchung normaler Uterus gefunden wurde, ist
neben der Gruppenbezeichnung ad n. (zum Normalen) eingetragen.
Ziel der Behandlung.
Überblicken wir die obigen Tabellen, so zeigt sich, daß der Erfolg
zum größten Teile in Amenorrhoe besteht. Daneben wurde in einer kleinen
Oligomenorrhoe erstrebt und erzielt. Diese Oligomenorrhoen waren vom
Beginne der Behandlung beabsichtigt, nur um die zu starken Menses
herabzusetzen. Daher sind sie auch nicht als unfreiwillige Oligomenorrhoe,
als nicht erreichte Amenorrhoen zu betrachten und von uns als gewollte
Oligomenorrhoen bezeichnet worden. Oligomenorrhoe wurde auch meist
bei den Metropathien angestrebt. Seitdem wir nun tiefer in das Wesen
der Röntgentherapie eingedrungen sind, beschränken wir uns freilich auch
seltener auf diese gewollten Oligomenorrhoen und sind freigiebiger als bisher
mit der gewollten Amenorrhoe. Die Erfolge verteilen sich, wenn wir re-
sumieren so, daß wir
45 mal Amenorrhoe
9 mal gewollte Oligomenorrhoe
1 mal keinen Dauererfolg
erreichten.
Amenorrhoe bei Myomfällen.
Zunächst die Amenorrhoe bei Myomfällen. Sie wurde 34 mal erzielt.
Nach ihrer Dauer fallen
10 auf Gruppe 1 (?),—1 Jahr)
G a a 2 (1—1 !t/, Jahr)
10 „ x 3 (1,—1'/, Jahr)
8:5 „4 (1!5—21, Jahr)
464 Siegel,
Es wird auffallen, daß die Dauerresultate nach der Freiburger Be-
strahlungsmethode kürzer nachbeobachtet sind als nach der von Albers-
Schönberg. Das liegt nur daran, daß wir eben unsere Methode erst
seit März 1911 üben. Analog sind natürlich die Dauererfolge bei den
Metropathien.
Während nach der Methode von Albers-Schönberg niemals bei
einer Patientin unter 44 Jahren Amenorrhoe erzielt worden ist, zeigt die
Tabelle nach der Freiburger Technik 5 Fälle, wo die Frauen jünger sind.
Zweimal waren sie sogar nur 30 Jahre alt.
Oligomenorrhoe bei Myomfällen.
Zweimal wurde bei Myomen Oligomenorrhoe erreicht und zwar bei einer
31jährigen und bei einer 44 jährigen Frau. Diese Oligomenorrhoen waren
gewollt. Als damals unerwünschte Nebenerscheinung gingen ihnen temporäre
Amenorrhoen von 3 und 4 Monaten voraus. Dies liegt nur an der Un-
möglichkeit, die Strahlenmenge exakt zu dosieren, weil bei der Bestrahlung
viele individuelle Faktoren mitsprechen.
Schrumpfung der Myome.
Einen Beweis nun, daß wir berechtigt sind, diesen Amenorrhoen und
Oligomenorrhoen eine Beständigkeit zuzusprechen, liefert bei den Myomen
speziell noch die Kontrolle der Tumoren.
In keinem Fall ist das Myom unverändert geblieben. Überall waren
. einwandsfreie Schrumpfungen der Tumoren zu konstatieren. Es ist selbst-
verständlich, daß, zumal bei der Kürze der Erfolge, nicht alle Uteri zur
normalen Größe zurückgekehrt sind. Dies ist verständlich, weil wir ja in
erster Linie die Ovarien angreifen, sie außer Funktion setzen und erst
sekundär eine Schrumpfung der Tumoren beabsichtigen, wenngleich in
neuerer Zeit auch die Vorstellung einer direkten Beeinflussung der Myome
an Boden gewinnt. Schon vor der Röntgenära ist bekannt gewesen, daß
die Rückbildung der Myome nach eingetretener Klimax zum Teil Jahre
braucht. Im Gegensatz dazu können wir sogar zeigen, daß die Reduktion
der Geschwülste durch die Röntgenbehandlung beschleunigt wird.
Eklatant ist der Fall 17 der Tabelle II, wo ein zwei Querfinger über
den Nabel reichendes Myom innerhalb eines Jahres auf 1!/, Faustgrölse
zurückging. Bezeichnend ist ferner, daß von den 20 auf normalen Uterus
zurückgegangenen Myomen 4 allein der Dauergruppe I (°?/,—1 Jahr) an-
gehören. Die übrigen 16 totalen Rückbildungen gehören den längeren
Dauergruppen an; denn je länger im allgemeinen die Amenorrhoe besteht,
desto intensiver ist der Geschwulstrückgang. Das bedarf keiner weiteren
Worte; die Tabellen I und II illustrieren das aber wieder sichtbar. Der
Dauererfolge in der gynäkologischen Radiotherapie. 465
Rückgang der Myome in Tabelle II als der jüngeren Dauerheilungen ist
natürlich ebenfalls geringer.
Daß auch die beiden gewollten Oligomenorrhoen den gewünschten Effekt
erreicht haben, beweist die bei beiden beobachtete auffallende Myom-
schrunpfung. Bei der 44 jährigen Patientin als der der Klimax näher-
stehenden ist der Uterus von Faustgröße auf normal zurückgegangen. So
sicher präsentiert sich der Erfolg bei der 31 jährigen Frau freilich noch
nicht. Jedoch berechtigt die Schrumpfung ihres Myoms von Mannskopf-
auf Kleinkindskopfgröße neben der Oligomenorrhoe zu der Annahme
einer nachhaltigen Wirkung. |
Zusammenfassend zeigt sich, daß bis heute von den 36 Myomen 20
vollkommen geschwunden sind. 11 mal waren es Myome von Gänseei-
bis Faustgröße. 8mal von Doppelfaustgröße und í mal von Manns-
kopfgröße. 2 weitere Myome weisen starken Rückgang auf; das eine
von Mannskopf- auf Mannsfaustgröße,. während das andere von seinem Stand
zwei Querfinger über dem Nabel bis auf 1!/, Faustgröße schrumpfte. In
8 Fällen trat mittelstarke Schrumpfung ein, etwa in den Grenzen von
Mannskopf- auf Doppelfaustgröße. Die restierenden 6 Myome zeigen nur
mäßige Schrumpfung; in diesen 6 Fällen ist die Dauer der Amenorrhoe
zweimal zwischen ®/, und 1, einmal zwischen 1 und 1'/,, zweimal zwischen
1t/, und 1!/, und endlich einmal zwischen 1!/, und 2!/. Jahren. Einen
Schluß aus diesen 6 Fällen für ihre definitive Prognose ziehen zu wollen,
ist nicht möglich. Die Amenorrhoe besteht eben doch noch nicht lange
genug.
Interessant ist auch, daß alle Myome der Frauen unter 44 Jahren,
welche also der Menopause am fernsten stehen, gut auf die Radiotherapie
angesprochen haben. Es sind dies 6 Frauen, bei denen wir heute 3 mal
einen völlig normalen Uterus fanden. Einmal ging das Myom von Doppel-
faust- auf Faustgrölje, einmal von Mannskopf- auf Kleinkindskopfgröße
und einmal von Faustgröße auf einen beinahe normalen Uterus zurück.
Ein einziges Mal kamen senil atrophische Veränderungen des Uterus’
zur Beobachtung.
So erhalten wir in Bezug auf «die Tumorenschrumpfung ein einwands-
freies Resultat.
Amenorrlive bei Metropathiefällen.
Während wir bei den Myumen fast ausschließlich bis zur dauernden
Ammenorrhoe bestrahlten, und das Erzielen dieser Amenorrhoe als Grund-
lage unserer Erfolge ansehen, können wir uns bei der hämorrhagischen
Metropathie in vielen Fällen auf Oligomenorrhoe beschränken. Der Grund
ist einsichtig, weil im Durchschnitt nur bei vollkommenem Aufhören der
466 Siegel,
Blutung ein genügender Rückgang oder auch ein vollständiges Verschwin-
den der Tumoren zu erwarten steht. Anders liegen eben die Verhältnisse
bei den Metropathien, wo keine Geschwulstveränderungen des Uterus
vorliegen.
Dementsprechend sind unter den 19 Fällen der Tabelle III und IV
11mal Amenorrhoe und 7 mal ÖOligomenorrhoe angestrebt worden. Der
19. Fall betrifft den Mißerfolg, auf den unten näher eingegangen wird.
Daß wir imstande sind, auch bei jungen metropathischen Frauen
Amenorrhoe zu erzielen, zeigt besonders Tabelle IV, wonach wir je eine
26-, 30- und 37jährige Frau zur Amenorrhoe brachten.
Oligomenorrhoe bei Metropathiefällen.
Vorwiegend bei den jüngeren Patientinnen wurde Oligomenorrhoe an-
gestrebt. Dafür bedarf es keiner weiteren Begründung, weil doch bei
junger Frau mit metropathischen Uterus im Gegensatz zum myomatösen
Uterus die Oligomenorrhoe eben das Ideal ist. Aber andererseits sind
wir absolut in der Lage, auch junge Frauen zur Amenorrhoe zu bringen.
wie der Fall 1 der Tabelle IV zeigt. Die 26jährige Patientin ist seit
ca. einem Jahre vollständig amenorrhoisch.
Hier dürfte sich ein Wort über die gewollte Oligomenorrhoe not-
wendig machen. Bei den 9 Amenorrhoen, worin die beiden Myomfälle
eingeschlossen sind, zeigte sich 7 mal die überraschende Tatsache, dal
der Oligomenorrhoe eine temporäre Amenorrhoe voranging. Sie betrug
dreimal 3 Monate, zweimal 4 Monate, einmal 6 und einmal 7 Monate.
Ich gebe zu, daß wir anfangs über diese ungewollten Amenorrhoen nicht
freudig überrascht waren, weil wir ja nicht wissen konnten, daß sie nur
temporär sein würden. Heute rechnen wir damit als Tatsachen und richten
unsere Bestrahlung danach ein. Die Unmöglichkeit, die temporären Amenor-
rhoen auszuschalten, liegt eben an der unvollkommenen Dosierungstechnik,
deren Lösung der Zukunft überlassen bleiben muß. Andererseits aber
beweisen die Fälle 2 und 4 der Tabelle III, daß dieses Übergangsstadium
nicht unbedingt notwendig ist und ruhig sofortige Oligomenorrhoe eintreten
und fortbestehen kann. Es wird uns nun eingewendet werden, ebensogut
wie diese Amenorrhoen zur Oligomenorrhoe zurückgingen, können sie sich
noch weiter zu den alten Blutungen zurückbilden; ebenso könnten sich
auch die erreichten Amenorrhoen noch zum Schlechten ändern. Da unsere
Beobachtungen zu jung sind, können wir diesem Einwande natürlich nur
bedingt begegnen. Wir haben gesehen, daß die längste temporäre Amenor-
rhoe 7 Monate anhielt.e. Alle unsere Nachuntersuchungen liegen aber
bereits über 9 Monate zurück, so daß die Wahrscheinlichkeit einer Ände-
rung des jetzigen Zustandes immer geringer wird. Daß eine metropathische
Dauererfolge in der gynäkologischen Radiotherapie. 467
Blutung zur Oligomenorrhoe gebracht werden und sich dort über Zeiten
hindurch halten kann, beweist beispielsweise Fall 2 der Tabelle III. Hier
besteht der unveränderte Zustand bereits zwischen 1!/, und 2!/, ‚Jahren.
Auch sämtliche anderen 8 Oligomenorrhoen bestehen bereits über ein Jahr
unverändert. Dies muß uns doch unbedingt zu Schlußfolgerungen be-
rechtigen. Bei den Myomen liegt die Kontrolle des Erfolges durch die
Schrumpfung der Tumoren natürlich günstiger.
Wie ich schon oben andeutete, erfuhr durch unsere Erfahrungen der
temporären Amenorrhoen unsere Technik eine einschneidende Änderung.
Früher bestrahlten wir vorsichtig unter peinlichster Beobachtung des Ge-
ringerwerdens der Blutung, um dann sofort auszusetzen und enttäuscht zu
sein, wenn die Periode doch noch ausblieb. Heute nun bestrahlen wir
zur Erlangung der gewollten Daueroligomenorrhoe, wenn auch vorsichtig,
so doch bis zur ersten Cessatio mensium. Alsdann setzen wir aus und
haben unseren Zweck, einer temporären Amenorrhoe mit folgender Oligo-
menorrhoe erreicht. Wollen wir dagegen eine dauernde Amenorrhoe er-
reichen, so bestrahlen wir über die Cessatio mensium hinaus und geben
nach dem Aussetzen der Periode der Frau noch eine Röntgenserie. So glauben
wir, den Erfolg sichern zu können und haben bis heute kein Rezidiv erfahren.
Rezidiv.
Endlich komme ich zu dem Rezidiv, das ich glaube wegen seiner
Wichtigkeit näher ausführen zu müssen. Es handelte sich um die 5öjährige
Patientin L., welche wegen mäßiger hämorrhagischer Metropathie am
8. März 1910 in unsere Behandlung kam. Mehr als die Blutung standen
schwere melancholische Zustände im Vordergrunde, die sich zur Zeit
der Menses und der 5 Wochenbetten verstärkten. Die vaginale Explora-
tion zeigte einen durchaus normalen Uterus. Weil die Blutung zu gering
war, einen großen operativen Eingriff zu rechtfertigen, versuchten wir
durch Radiotherapie die Menopause künstlich herbeizuführen und damit
die Patientin von ihren psychopathischen Zuständen zu befreien. Die Be-
handlung der Patientin fiel in die frühesten Zeiten unserer Röntgentherapie,
in der wir nach Albers-Schönberg bestrahlten. Die Behandlung ver-
lief in folgender Weise:
6. März 1910 Bestrahlung v. 12° bei 4 M. A. Rölırenh. 6 Wa.
r
11. 29 39 9) 39 12 39 4 9) 39 99 6 39
23. 99 “9 39 „ 12 29 4 22.9 39 6 .)
r 1
24. 19 99 39 39 12 39 3 [a „2.9 39 6 99
Alsdann wurde mit der Bestrahlung ausgesetzt. Am 25. Mai 1910
blieben die Menses aus.
6. Juni 1910 Bestrahlung v. 12° bei 2—3 M. A. Röhrenh. 6 Wa.
7. „ „ 3 „ 12 „ 2—4 > `, 6
468 Siegel,
Darauf entzog sich die Patientin unserer weiteren Beobachtung. Wir
versuchten vergeblich, von ihr Nachricht zu erhalten. Am 24. Oktober
1911 kam die Frau spontan wieder zu uns und gab an, daß die Periode
nach der Bestrahlung „eigentlich ebenso wie vorher bestehen geblieben
wäre‘, Unser Verdacht auf Ca. corporis wurde durch die Probeabrasio
nicht bestätigt. Trotz unseres dringenden Zuredens unterzog sich die Frau
in ihrer stark depressiven Stimmung keiner neuen Bestrahlung. Am
12. März 1912 kam uns die Patientin wieder zu Gesicht. Sie gab an, seit
ihrem letzten Hiersein noch dreimal in Pausen von 8, 21 und 14 Tagen
geblutet zu haben. Die letzte Periode war am 3. Januar 1912. Seitdem
Cessatio mensium, Wohlbefinden, Gewichtszunahme, vermehrte Leistungs-
fähigkeit, bedeutende Besserung „in den Nerven", mäßige Wallungen,
keine Schwindelanfälle, keine Kopfschmerzen und keine Herzbeschwerden.
Der Uterus ist normal und frei von senil atrophischen Veränderungen.
Bei diesem Rezidiv, dem einzigen, das uns außer den Fällen bis 1909
bekannt ist, muß anerkannt werden, daß die Bestrahlung mehr denn
2 Jahre zurückliegt, also zu einer Zeit stattfand, wo unsere Technik noch
in den Anfängen stand. Wir applizierten insgesamt nur 84 Lichtminuten:
da wir damals noch ohne Quantimeter arbeiteten, ist die empfangene
Oberflächendosis unbekannt. Jedenfalls ist aber zu ersehen, daß die Be-
strahlung nach unseren heutigen Anschauungen eine minimale war. Hätte
die stark depressive Stimmung der Patientin 1911 eine erneute Bestrah-
lung nicht verhindert, dann hätten wir wohl mit aller Wahrscheinlichkeit
zu einem Erfolge komnen können. Jedenfalls müssen wir diesen Fall
bedauerlicherweise als Mißerfolg führen. Durch diesen Mißerfolg aber
die Unzulänglichkeit der Radiotherapie beweisen zu wollen, wäre wohl
unbillig.
Bestrahlungstechnik.
Es ist noch eine Bemerkung über die Technik der Bestrahlung, über
die Dauer der Behandlung, Zahl der Lichtminuten und Strahleneinheiten
notwendig, Da Gauss und Lembcke!) ausführlich über die speziell an
unserer Klinik geübten Methoden berichtet haben, brauche ich nur kurz die
Technik unserer speziellen 55 Fälle zu berühren.
Wie schon oben erwähnt, wurden 31 Fälle nach Albers-Schönberg
mit 32cm Fokus-Hautdistanz, einstellig, ohne Aluminiumfilter und mit
geringen Dosen bestrahlt, 24 Fälle nach der Freiburger Technik mit
20 cm Fokus-Hautdistanz, mehrstellig, Aluminiumfilter von 3 mm und
großen Dosen. Die Prozentzahlen und graphischen Aufzeichnungen über
die Kürze oder Länge der Behandlungstage, über die applizierten Licht-
ı) Gauss und Lembcke, Die Röntgentherapie in der Gynäkologie 1912.
Dauererfolge in der gynäkologischen Radiotherapie. 469
minuten und Strahleneinheiten in Beziehung zu dem Alter der Patientinnen,
der Größe der Myome und der Stärke der Blutung zu bringen, erspare
ich mir, da das wohl bei der geringen Zahl der Fälle verfehlt wäre.
Jeder neue Fall kann zugunsten oder ungunsten der einen oder anderen
Rubrik beträchtliche Verschiebungen bringen. Die folgende Tabelle sei
zur Übersicht und der Vollständigkeit halber gegeben:
Durchschnitts- : 2 x i
Behandlungstage Lichtminuten | Oberflächendosis
Myome bestrahlt nach | |
Albers-Schönberg 125 | 462 | 189x
Freiburger Technik | 133 ! 1279 | 820 x
Metropathien bestrahlt nach :
Albers-Schönberg 119 323 | 147x
Freiburger Technik 163 | 1158 | 753x
Da wird sofort auffallen, daß unsere Methode insofern unrationeller
erscheint, als danach das drei- bis vierfache an Lichtminuten, das vier- bis
fünffache an Strahleneinheiten appliziert werden muß, und daß trotzdem
die Behandlungszeit anscheinend nicht abgekürzt wird. Ich will von even-
tuellen Verschiebungen der Zahlen zuungunsten Albers-Schönbergs,
wenn wir die 7 Oligomenorrhoen und das Rezidiv bis zur einwandfreien
Amenorrhoe bestrahlt hätten, ganz absehen. Ebenso will ich die ge-
ringere Hautschädigungsgefahr bei unserer Technik, die gleich Null ist
(nach Albers-Schönbergs Methode auf Grund unserer Beobachtungen
9%)"), nur andeuten, dafür aber folgendes scharf betonen. Ich kann hier
nur Fälle publizieren, welche bis 1. November 1911 mit ihrer Bestrahlung
zu Ende kamen. Erst seit März 1911 bestrahlen wir nach unserer Methode.
Es fallen also alle Fälle in die ersten 7 Monate einer neuen Technik, wo
wir uns auf vorsichtiges Vorwärtsgehen beschränken mußten, da wir doch
keine Mißerfolge haben wollten. Seitdem haben wir uns auf unseren
immer neueren Erfahrungen rasch weiter entwickelt und sind heute leicht
imstande, durch mehrstellige Filternahbestrahlung oder das Filternahkreuz-
feuer, wie Gauss die Technik bezeichnet, in einer einzigen Bestrahlungs-
serie eine (sesamtdosis bis zu 837 und mehr x Kienböckeinheiten zu
verabfolgen.?) Sehen wir darauf die in Tabelle II und IV publizierten
Fälle durch, so würden heute von den 24 Fällen bereits 12 in einer Serie
zur Amenorrhoe gebracht worden sein. Bei ein paar nach unserer neuesten
Methode bestrahlten Frauen bestehen bereits Erfolge über Monate hinaus.
ı, Rominger, Röntgen-Erythem,Inaugural-Dissertation, Freiburg 1912, S. 37.
2) Strahlentherapie 1912, S. 136.
470 Siegel,
Jedoch sind sie noch immer zu kurz, um in den Rahmen dieser Arbeit
eingeschlossen werden zu können. Das alles beweist aber nur, daß die
Technik der obigen 24 Fälle alles andere als ein Abgeschlossenes ist. Daß
die Dauererfolge nach der Albers-Schönbergschen Methode länger bestehen,
erklärt sich ohne weiteres aus der Jugend unserer Methode.
Ausfallserscheinungen.
Nur andeutungsweise will ich hier auf die Ausfallserscheinungen und
das Sexualleben nach Röntgentherapie eingehen, die ich in einer späteren
Arbeit näher zu behandeln gedenke. Die Anschauung, daß nach der
Röntgenbehandlung die Wallungen, Schweißausbrüche, Herzbeschwerden,
ähnlich wie bei der Kastration, mit ungestümer Kraft eintreten, ist wohl
kaum zu halten. Alle neueren Publikationen rühmen, daß diese Erschei-
nungen denen nach Uteri- oder Ovariprivierung nachstehen. Daß Krönig
und Gauss Ausfallserscheinungen nach gelungener Röntgentherapie leugnen,
wie Flatau?) behauptet, dürfte wohl auf einem Irrtum beruhen und nicht
den Tatsachen entsprechen. Ich verweise da nur auf zwei Publikationen
von Krönig und Gauss.?) Ebenso gibt Flataus brüsker Satz „Menge
(1911) spricht sogar von quälendsten Ausfallserscheinungen“ ein falsches
Bild von den neuesten Ansichten Menges.?) Alle neueren Publikationen
und auch wir rühmen der Therapie nur nach, daß die Ausfallserschei-
nungen denen nach Uteri- und Ovariprivierung an Intensität nachstehen.
Selbst von Herff*), der sonst die operativen Methoden vorzieht, räumt
das ein. Unsere Erfahrungen an den 55 obigen Fällen decken sich völlig
mit unseren alten Anschauungen. Die 9 oligomenorrhischen Patien-
tinnen sind natürlich fast frei von Ausfallserscheinungen.
Sexualleben.
Was das Sexualleben angeht, Libido, Voluptas und Kohabitation,
zeigt sich überraschend, dal) sie bei weitem nicht so beeinträchtigt wird.
wie nach Uterusexstirpation oder Kastration. Menge spricht leider nur
kurz von der Abnahme der Libido bei drei Patientinnen und scheint über
die anderen Fälle keine Erfahrung gewonnen zu haben. Bei der Schwierig-
keit der Fragestellung konnten wir, zumal nicht alle Patientinnen ver-
heiratet sind, nur bei 24 Frauen einwandsfreie Erkundigungen einziehen.
Bei 5 Frauen war eine mäßige Beeinträchtigung der Libido und Voluptas.
bei 3 eine Einschränkung der Kohabitation zu konstatieren. Alle an-
1) Zeitschrift für Geburtshilfe, Gynäkologie, 1912, Heft 3, S. 942.
2) Münch. med. Wochenschrift, 1910, Nr. 29 und 1912, Nr. 24.
3) Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie, 1912, Heft 3, S. 284.
*%, Münch. med. Wochenschrift, 1912, Nr. 1.
Dauererfolge in der gynäkologischen Radiotherapie. 471
deren Frauen hatten eine Änderung ihres Sexuallebens nicht erfahren.
Das ist neben dem Gefühle der Patientin, ihre Sexualorgane noch zu be-
sitzen, ein glänzender Beweis, wie sehr sich die Frau trotz ihrer Amenor-
rhoe noch „als Frau fühlt‘.
Schlußbetrachtungen.
Trotz der großen durch unsere Erfolge aufs neue bewiesenen Vorteile
der Röntgenbestrahlung wird sie von vielen Seiten immer noch mit Wider-
streben angesehen. Nicht nur die Erfolge als solche werden in Zweifel
gezogen. Wo auch immer sie in den Neben- und Nachwirkungen schein-
bar eine Unvollkommenheit zeigt, wird oft mit Unrecht allzu schnell zu
ihren ungunsten ein Urteil gefällt.
Ich muß daher gleich hier auf die in der neuesten Literatur so oft
angeschnittene Frage der Spätreaktionen nach Filter-Röntgenbehandlung
mit einem kurzen Worte Stellung nehmen.
Speder berichtet von drei Fällen, wo 6-8 Monate nach der letzten
Bestrahlung eine Reaktion auftrat, D’'Halluin bringt zwei Fälle mit Spät-
wirkung nach 4 und 7 Monaten nach der Behandlung, Dann sprechen
Bordier, Desplats, Clunet von Spätschädigungen. Nogier und
Lacassagne wollen in experimentellen Versuchen die schädliche Wirkung
der filtrierten Röntgenstrahlungen am Tiere nachgewiesen haben. Bekannt-
lich wurde auf der Sitzung der Société belge de Radiologie am 30. Juni
1912 dieses aktuelle Thema auf Grund des obigen Materiales eingehend
erörtert, ohne daß man jedoch zu einem Abschlusse gekommen wäre.!)
Wir haben diese Späterscheinungen nicht beobachten können, obgleich
doch alle 24 mit Filter bestrahlten Fälle zwischen 9—16 Monaten mit
ihrer letzten Bestrahlung zurückliegen. Ebenso haben auch Belot und
Haenisch keine Schädigungen an ihren Fällen konstatieren können.
Der Grund für die Spätreaktionen Speders, D’Halluins, Bordiers,
Desplats und Clunets kann wohl nur in deren Applikationsmethode
liegen. Sie applizierten mit dünnen Filtern auf ein und dieselbe Stelle
hohe Dosen und überstrahlten die Stellen selbst dann wieder, wenn auf
ihnen Erythem aufgetreten war. Diese Art der Technik halten wir für
grundsätzlich falsch. Wir pflegen Erythemstellen — auch abgeheilte —
nicht wieder zu bestrahlen.
Weiterhin wird die Anwendungsbreite der Radiotherapie von den
meisten Autoren als eng begrenzt angesehen. Nur besonders günstig
1!) Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen. 16. Aug. 1912, Nr. 1,
S. 98 ff.
472 Siegel,
liegende Fälle sollen der Behandlung zugängig sein, die Erfolge daher auf
ausgesuchte Fälle beschränkt bleiben.
Demgegenüber beweist ein Überblick über die obigen Tabellen, daß
wir Fälle verschiedenster Art bestrahlen und die Radiotherapie nicht
vom Alter, von der Stärke des Blutverlustes oder der Größe der Myome
abhängig machen. Wir treten damit zum Teil in Gegensatz zu Albers-
Schönberg, E. H. Schmidt, Flatau, Menge und vielen anderen
Autoren. Unsere Erfolge lehren, daß wir doch nicht zu weit in der In-
dikationsstellung gehen. Es scheint vielmehr, daß alle Frauen, gleichgültig
welchen Alters, ob oberhalb oder unterhalb von 40 Jahren, welcher Größe
der Myome, welcher Stärke der Blutung, der Röntgenbehandlung zugängig
sind... Submuköse Myome, wenn sie größtenteils geboren in der Cervix
liegen, schließen freilich auch wir von der Bestrahlung aus; hier liegen die
Verhältnisse ganz anders wie bei den intramuralen und subserösen Myomen.
Ebenso geben die sarkomatös-degenerierten Myome für die Röntgenbehand-
lung eine Kontraindikation ab. Es kann uns vorgehalten werden, daß die
sarkomatöse Degeneration der Myome oft erst unter der Operation oder
am mikroskopischen Präparate festgestellt werden kann, daß wir daher
diese Fälle fälschlich als unkomplizierte Myome diagnostizieren und be-
strahlen. Durch die Röntgenstrahlen würden wir statt einer Heilung den
malignen Prozeß beschleunigen. Nachdem Warnekros!) die auffallende
Tatsache feststellte, daß eine Kontrolle des Bummschen Materials in
10°/, nicht diagnostizierte sarkomatös-degenerierte Myome aufweist, mußte
das Ansehen der Radiotherapie einen starken Stoß erhalten. Miller hat
daraufhin das Material unserer Klinik untersucht und gefunden, daß unter
allen Fällen von Myomen, bei denen wir eine einwandsfreie mikroskopisch-
pathologische Diagnose durch das hiesige pathologische Institut (Aschoff)
besitzen — es sind dies 318 —, nur sechs sarkomatöse Degenerationen, also
2°/, gefunden wurden, von denen nur vier nicht diagnostiziert geworden
sind, also 1,2°,. Miller wird in allernächster Zeit diese Resultate aus-
führlich veröffentlichen. Es ist nun sehr interessant, bei Olshausen?)
eine Aufstellung zu finden, wo durch präzise Angabe festgelegt wird, daß
unter 6470 Myomen 77 mal sarkomatöse Entartung, also genau 1,20), ge-
funden wurde. Sarwey berichtet bei 360 Fällen der Tübinger Klinik
von sechs maligner Entartung, also 1,7°/o. Dies spricht doch sehr dafür,
daß die Gefahr, sarkomatöse Entartungen nicht zu erkennen, nicht allzu
groß ist. Da der Fall aber immerhin eintreten kann, so haben wir uns
heute zum Prinzip gemacht, Fälle, die nach einer gewissen Zeit nicht auf
!) Archiv für Gynäkologie, Bd. 47, Heft 2.
2) Veits Handbuch der Gynäkologie, II. Aufl., Bd. I, S. 655.
Dauererfolge in der gynäkologischen Radiotherapie. 473
die Röntgenstrahlen ansprechen, durch Operation anzugreifen. Bis heute
haben wir das noch nicht nötig gehabt und auch bei keiner Patientin
unangenehme Überraschungen erlebt.
Dabei kann ich einen großen Vorsprung unserer speziellen Bestralı-
lungstechnik vor allen anderen Methoden nicht übergehen. Gauss!) zeigte,
daß bei unserer jetzigen Bestrahlungsmethode die Hälfte aller Frauen bereits
nach sechswöchentlicher Behandlung amenorrhoisch ist. Spricht nun ein
Myom auf die Behandlung nicht an, so sind wir in der Lage, daran
die drohende Gefahr zu erkennen und frühzeitig operativ eingreifen zu
können. Nach Albers-Schönberg und auch anderen Autoren kann
dagegen leicht viel mehr kostbarer Zeit verloren gehen, bis man zur Ein-
sicht der Malignität kommt.
Auch bei stark entbluteten Frauen hat die inene ieran viel
für sich. Der Streit, ob solche Patientinnen, bis herab zu 15°). Hämo-
globingehalt, bestrahlt werden sollen oder nicht, ist noch immer nicht bei-
gelegt, obgleich die neueren Publikationen (Fränkel, Menge, Eymer,
Krönig, Gauss sich immer mehr für die Bestrahlung aussprechen. Der
Grund, nicht zu röntgen, wurde mit dem im Beginne der Bestrahlung oft auf-
tretenden Reizstadium und der dadurch verstärkten Blutung erklärt. Ge-
rade die Intensivbestrahlung mit ihren hohen Dosen ist aber besonders
geeignet, schon in der ersten Sitzung so viele Strahleneinheiten zu
applizieren, dal dies Reizstadium gar nicht zum Ausdruck kommen kann,
sondern daß sofort das Lähmungsstadium eintritt. Die Erfolge be-
weisen das.
Daß stark ausgeblutete Frauen sich schon nach der ersten Bestrah-
lungsserie rasch erholen können, erkennen wohl alle Autoren an.
Todesfälle an Verblutungen weist die Literatur nicht auf. Unter den
mit Röntgenstrahlen behandelten Myomfällen sind nur drei Todesfälle be-
kannt, die Fälle von Spät, Albers-Schönberg?) und H. E. Schmidt.?)
Alle drei Fälle stehen aber in keinem ursächlichen Zusammenhang mit
der Röntgenbestrahlung. Menge*) betont mit Recht, daß die Albers-
Schönbergschen Fälle endlich einmal aus der Beurteilung der Radio-
therapie definitiv ausgeschaltet werden müssen. Dasselbe muß auch von
dem Falle H. E. Schmidts gesagt werden. Der größte Vorteil der
Röntgenbestrahlung besteht also gegenüber den operativen Maßnahmen
in der absoluten Lebenssicherheit.
Andererseits geben wir zu, daß auch heute noch der Behandlungs-
1) Strahlentherapie, 1912, S. 136.
2) Verhandlungen der Deutschen Röntgengesellschaft, 1909, S. 31, 1910, S. 29.
» Deutsche med. Wochenschrift, 1911. S. 1344, Nr. 29.
t4) Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie, 1912, Heft 3, S. 297.
474 Siegel,
methode manche Mängel und Unvollkommenheiten anhaften, daß die
heutigen Erfolge noch immer keine sicheren Beweise für den Bestand der
Heilung sein können, sondern nur weitgehend zu Schlüssen berechtigen.
Dafür liegen die ersten richtigen Anfänge der Therapie aber auch kaum
mehr als fünf Jahre zurück. Es ist daher ein Unrecht, die Bestrahlungs-
therapie immer wieder hintan zu setzen. Wie lange haben die operativen
Methoden gebraucht, ihre heutige, relativ geringe Mortalität von 4—5°,,
zu erreichen. 1876 bestand noch eine Mortalität von 60°/,, 1891 von 23°/,,
1904 von 5°/,.1) Dabei ist immer noch eine Auswahl getroffen, indem
aussichtslose Fälle, die die Mortalitätsquote in die Höhe treiben würden,
überhaupt nicht angegriffen wurden. Dabei sind Todesfälle, die aus
Komplikationen der Operationen oder des pathologischen Befundes ent-
standen sind, meist gar nicht den Myomen zur Last gelegt worden; es
wird nicht berücksichtigt, daß diese Komplikationen oft erst durch Myom-
operationen zur Todesursache geworden sind.
Alle eventuellen Begleiterscheinungen der Operationen vorübergehender
Natur, verzögerte Wundheilung, Fasziennekrosen, Peritonitiden, alle mög-
lichen Folgen der Narkose, wie Kopfschmerzen und Pneumonien werden
von den Röntgengegnern unberücksichtigt gelassen. Auch von den schmerz-
reichen Tagen nach der Operation, von den Adhäsionen, die die Frauen
selbst nach den besten Operationen quälen können, wird nicht gesprochen.
Wie gering ist dagegen der durchaus nicht immer auftretende Röntgen-
kater, dessen ungleich mildere Erscheinungen Krinski an anderer
Stelle eingehend behandelt. Dann stellt die absolute Schmerzlosigkeit
der Bestrahlung einen nicht zu unterschätzenden Vorteil der Röntgen-
behandlung dar. Es ist also nicht recht zu verstehen, warum sich viele
noch heute mit solcher Starrheit gegen diese rasch aufblühende Therapie
geradezu wehren, die die Operation schon innerhalb ein paar Jahren in den
Hintergrund gedrängt hat. Aufzuhalten ist die neue Bewegung ja doch
nicht mehr, und die immer neuen Erfolge fordern eine, wenn auch viel-
leicht zögernde Anerkennung.
Während die Operation wochenlang an die Klinik und das Kranken-
bett fesselt, kann die Röntgenbehandlung ambulant geschehen, kann die
Frau im übrigen ihre gewohnte Tätigkeit und Arbeit verrichten. Darin
liegt noch ein großes soziales Moment, das namentlich für die niederen
Volksschichten von unübersehbarer Bedeutung ist. Die Mutter braucht
ihres Myomes wegen nicht auf Wochen ihrer Familie entzogen zu werden.
Alle Nachteile der früheren Myombehandlungen sind mit der Röntgen-
therapie beseitigt. Olshausen berichtet, daß er nur 15% aller ihm zur
') Döderlein u. Krönig, Operative Gynäkologie, 1912, S. 464 ff.
Dauererfolge in der gynäkologischen Radiotherapie. 475
Gesicht gekommenen Myome operiert hat. Die anderen Autoren operieren
etwas mehr, so daß die Durchschnittsquote 35 % ist?!); es werden also unter
100 Myom-Frauen nur 35 geheilt. Der große Eingriff der Laparotomie
oder der Panhysterotomie ist eben für das bestehende Myom zu schwer und
nicht nur Patientin, sondern auch Arzt scheuen sich davor. Man tröstet
sich mit dem baldigen Eintritt der Wechseljahre, man verschweigt der Frau
zum Teil dieExistenz der Geschwulst, um sie nicht zu beunruhigen, schleppt
sie mit Styptika, Badekuren, Abrasionen, Ätzungen usw. kümmerlich bis zur
Menopause und atmet erleichtert auf, wenn endlich die langersehnte Klimax
eintritt.
Durch die Röntgentherapie wird das alles anders. Sobald wir das
Myom, resp. die Metropathie, erkannt haben, greifen wir ein und ver-
hüten allein schon dadurch, daß sich so schwere Erscheinungen ein-
stellen, wie sie sich unter der bisher abwartenden Therapie oft ent-
wickelten. Die Frauen selbst kommen wegen ihrer Blutungen viel leichter
und früher zum Arzte, weil sie wissen, daß die Heilung ohne Operation
möglich ist.
Ich fasse unsere Ergebnisse zusammen. Von den 103 nachbestellten
Patientinnen sind 55 zur Nachuntersuchung gekommen. Bis auf ein Re-
zidiv zeigen alle den gewollten Erfolg. Diese Zahl dürfte wohl die weitaus
größte sein, welche bis jetzt bei einer Mindestrezidivfreiheit von |, Jahren
geschlossen veröffentlicht werden kann. Martin?) geht nun meines Er-
achtens zu weit, wenn er Gauss vorwirft, bei der Berechnung der Erfolge
insofern einen Fehler begangen zu haben, als Gauss von 100% Erfolgen
spricht. Nach Martins Ansicht dürfte Gauss nur von 55% Erfolgen
sprechen, weil von 100 nachbestellten Patientinnen nur 55 Frauen erschienen
sind. Das hieße also, man müßte die 45 nicht erschienenen Fälle glatt-
weg als Mißerfolge bezeichnen. Würde man sich Martin anschließen,
dann müßten wohl alle Statistiken über Nachuntersuchungen erhebliche
Verschiebungen zuungunsten der jeweiligen Behandlungsmethode erfahren.
Wählt man sich unter seinen Fällen aus, dann freilich kann man von 100
nachbestellten Patientinnen wohl einmal 100 zu Gesicht bekommen. Anders
aber ist es niemals möglich, 100% Rezidivfreiheit usw. erhalten zu können.
Wir haben es hier nicht mit Entlassungsbefunden, sondern Nachunter-
suchungen zu tun. Von diesem, unseres Erachtens berechtigten Standpunkte
aus, haben unsere Nachuntersuchungen heute 97,2% Dauererfolge aufzu-
weisen. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß unsere Technik nicht
einheitlich war, daß wir teils ohne, teils mit Filter bestrahlten. Außer-
1) Veit’s Lehrbuch der Gynäkologie, 2. Aufl., Bd. 1, S. 659.
3) Zeitschrift für ärztliche Fortbildung, Juli 1912.
31
476 Siegel, Dauererfolge in der gynäkologischen Radiotherapie.
dem habe ich darauf hingewiesen, daß wir in 16 Briefen nur von Heilung
und Wohlbefinden erfahren haben. Wir haben diese 16 brieflich mitgeteilten
Erfolge zu unseren Ungunsten gänzlich aus unserer Beurteilung ausgeschieden,
weil wir uns nur auf persönliche Vorstellung einließen, um absolut ein-
wandfreie Resultate berichten zu können.
Die Publikation unserer Dauererfolge wird wohl die „mit so vieler
Skepsis aufgenommene Mitteilung von Gauss über unsere Erfolge auf dem
Röntgenkongreß 1912“ (Flatau) zerstreuen. Die zweifellos guten Resultate
beweisen neben denen anderer Kliniken die besondere Bedeutung der Radio-
therapie für die in Frage stehenden Leiden.
Aus der Univ.-Frauenklinik Freiburg i. Br. (Dir. Geheimrat Prof. Krönig).
Ein klinischer Beitrag zur Pathologie der gynäkologischen
Röntgenbehandlung.
Von
Dr. B. Krinski, Volontär- Assistent.
edem, der die Publikationen und Kongreßberichte verfolgt, muß es auf-
fallen, welch merkwürdige Differenzen immer noch in der Wertschätzung
der gynäkologischen Röntgentherapie bestehen. Die Erklärung dafür liegt
zum Teil in den noch sehr schlechten Erfolgen, die von verschiedenen
Seiten gemacht worden sind. Leider werden daraus Schlüsse auf die
Methode als solche gezogen und aus demselben Grund auch Zweifel an
den günstigen Resultaten der Freiburger Klinik gesetzt. Da unsere Re-
sultate jetzt aber in den Arbeiten von Haase, Hirsch, Seitz, Seefeld,
Gauss undLembcke genau mitgeteilt sind, so wird sich leicht erkennen
lassen, warum wir bessere Resultate als andere haben. Es kann in der
Tat keinem Zweifel mehr unterliegen, daß die Technik einzig und allein
die Ursache der erzielten Erfolge und Mißerfolge ist. Das ist mehrfach
und von verschiedenen Seiten angezweifelt worden. Noch kürzlich hat
H. E. Schmidt behauptet, daß er die gleiche Technik übe und trotzdem
nicht annähernd die gleichen Resultate erzielt habe. Wir wissen wohl,
daß die einzelnen Ingredienzien unserer Technik auch anderswo gebraucht
werden, meinen aber immer wieder darauf hinweisen zu sollen, daß die
spezielle Zusammenstellung dieser Ingredienzien zu einer dadurch charakte-
risierten Methode unseres Wissens in gleicher Weise anderswo nicht der
unserigen gleich ist. So haben Perthes, Bordier und andere schon
lange Vorteile und Wichtigkeit der Filterbestrahlung erkannt und ange-
wandt. Die von Levy-Dorn und Werner eingeführte Raudiärbestrahlung
ist in neuerer Zeit von Fraenkel kombiniert mit der Nahbestrahlung zur
Methode ausgebaut worden. Jede von diesen einzelnen Maljnahmen ist
natürlich entbehrlich zur Erzielung eines Erfolges, allein und für sich je-
doch meist nicht ausreichend. Die gynäkologische Tiefentherapie ist eben
ein Kompromiß zwischen verschiedenen, zum Teil ganz entgegengesetzten
Prinzipien; die Art des Kompromisses aber ist ausschlaggebend für den
Erfolg. Es können daher, selbst wenn dieses oder jenes technische Moment
unserer Methode auch anderswo gebraucht wird, doch auf Grund des
Vorhergesagten nicht die Resultate anderer mit den unserigen in Parallele
31*
478 Krinski,
gesetzt werden. Das Wesentliche — das muß immer wieder betont werden —
ist nicht allein der Filtergebrauch, nicht der Nahabstand, sondern neben
beiden und mit ihnen eine große, zeitlich zusammengedrängte Licht-
dosis. Diese zu erreichen, stehen uns verschiedene Mittel zur Verfügung.
die ich an dieser Stelle nur ganz kurz skizzieren kann. Wir applizieren
räumlich und zeitlich konzentrierte Lichtdosen, deren harte Qualität in
ihrer Wirksamkeit durch Aluminiumfilter noch weiter gesteigert ist und
deren Quantität durch den Nahabstand, die damit Hand in Hand stehende
Vielfelderbestrahlung und durch die Vergrößerung der Einzeldosis auf die
Zeiteinheit berechnet bedingt ist. Nur auf diese Weise ist es uns gelungen.
ausreichend große Dosen zu applizieren, bei denen der Erfolg sicher und
schnell eintritt. Auch wir haben früher, wo wir noch kleinere Dosen
applizierten, Erfolge gehabt; wir brauchten dazu aber eine unverhältnis-
mäßig lange Zeit und konnten nicht wie jetzt mit einiger Sicherheit die
Gefahr der Versager vermeiden. Wenn nun von anderer Seite, besonders
von Fraenkel, darauf hingewiesen wird, daß auch anderswo mit großen
Dosen gearbeitet wird, so fragt es sich in diesem Falle immer noch, was
man unter „großen Dosen“ versteht. Das Kriterium der großen Dosis ist
bisher in einer genügend großen Zahl von Fällen lediglich der Erfolg; in
wenigen Fällen Erfolge zu erzielen, wird immer möglich sein. Die zahl-
reichen Mißerfolge, wie sie von anderer Seite mitgeteilt werden, liefern den
besten Beweis, daß die spezielle Art der Bestrahlung anderswo der unserigen
nicht gleichen kann.
Die Höhe unserer Dosen ist neuerdings mehrfach angezweifelt worden:
die einen meinen, daß man derartige Dosen überhaupt nicht applizieren
könne, die anderen, daß unsere Messung nicht genau sei. Den letzteren
Einwand glaubt man sogar „zu unseren (unsten‘‘ schreiben zu müssen
(s. Fraenkel, Berliner Med. Wochenschrift 1912). Wir brauchen uns
über die Richtigkeit unserer Messung in einen Streit nicht einzulassen.
Sie ist wie jede radiologische Dosimetrie innerhalb gewisser Grenzen an-
fechtbar. Diese Grenzen aber sind festgelegt durch die mit der Messung
erzielten Resultate und Heilungen. Unsere Erfolge sind vorhanden und
nicht anzweifelbar.
Aber: kein Licht ohne Schatten! Auch unsere Technik hat ihre
Mängel, die zu beleuchten im Interesse der Methode liegt. Nur beiläufig
sei hier auf die finanzielle Seite hingedeutet: schnelle und sichere Erfolge
werden vorläufig immer noch mit einem relativ großen Kostenaufwand be-
zahlt werden müssen. An dieser Stelle möchte ich hauptsächlich auf eine
andere, bis jetzt sehr wenig besprochene Beobachtung eingehen: den Rönt-
genkater.
Es mul zugegeben werden, daß der Intensivbehandlung Mängel an-
Krinski, Pathologie der gynäkologischen Röntgenbehandlung. 479
haften, die für das subjektive Befinden der Patientinnen unangenehm sind
und die sich in einer eigenartigen Störung des Befindens zeigen. Es sind
meines Wissens nur wenige Autoren, die auf ähnliche Erscheinung auf-
merksam gemacht haben, sodaß es sich wohl verlohnt, etwas genauer auf
sie zu achten. Wir haben daher genaue Untersuchungen bei unseren
Patientinnen angestellt, deren Resultate ich hier mitteilen will.
Von den 50 mit mittelgroßen Dosen behandelten Privatpatientinnen,
die über ihr Befinden vor und nach der Bestrahlung Auskunft erteilen
konnten, klagten 31=62°/, über subjektive Beschwerden, die spätestens
1—2 Tage nach der Bestrahlung auftraten. Es stellte sich eine allgemeine
Müdigkeit, eine Niedergeschlagenheit ein, die manchmal die Patientin das
Bett zu hüten zwang. In vielen Fällen traten als Begleiterscheinungen
Kopfweh, Kreuzschmerzen und gelegentlich Brechreiz, selten dagegen Er-
brechen auf, die von uns unter den Gesamtnamen des „Röntgenkaters‘“
zusammengefaßt, von den Patientinnen als „Seekrankheit“, oder „Gefühl
der beginnenden Gravidität‘‘ bezeichnet wurden. Diese Symptome dauerten,
wenn sie auftraten, meist 1—4 Tage und nur einmal über 4 Tage hinaus.
Dem Alter nach befanden sich 10 von den in Betracht kommenden Patien-
tinnen zwischen 30—40 Jahre, 25 waren über 40 und 15 über 50 Jahre
alt. Von der ersten Kategorie sind 70°/j,, von der zweiten 78"/,, von der
dritten 50°, am Röntgenkater beteiligt. Die gewisse Resistenz der jüngeren
Patientinnen fällt hiermit sofort auf, was sich wohl mit der sonstigen
Empfindlichkeit der älteren Patientinnen für Röntgenstrahlen vereinigen
läßt. Eine absolut sichere Begründung dieser Tatsache wagen wir jedoch
aus dieser kleinen Zahl nicht zu geben. Viel wichtiger dagegen und an-
scheinend deutlich nachweisbar ist die Abhängigkeit des Röntgenkaters von
der in der Zeiteinheit einverleibten Strahlendosis. Bei den untersuchten
50 Fällen zeigte es sich, dal jedesmal, wenn eine kleine Dosis — und
darunter verstehen wir 50—100 x-Einheiten — in einer Sitzung appliziert
worden ist, sich im allgemeinen keine subjektiven Beschwerden einstellten.
Setzten wir dann die gleiche Bestrahlung in regelmäßigen Zeitabschnitten
weiter fort, so summierte sich die Wirkung der Strahlen und es trat durch-
schnittlich nach 3—4 Sitzungen ein Röntgenkater ein. Daß es sich wirk-
lich um eine Summation handelt, ersehen wir daraus, daß die zum Er-
reichen des Katers vorher erwähnte Gesamtdosis auf einmal appliziert auch
einen Kater verursacht. Die Breite dieser Katerdosis liegt um etwa 300
bis 400 x herum.
Als Beweis für das Gesagte möchte ich einige Krankengeschichten an-
führen. Es handelt sich um 5 gleichalterige Patientinnen aus der gleichen
Gesellschaftsklasse, die mit ähnlichen Beschwerden und gleichem Genital-
befund zur Behandlung kamen.
450 Krinski,
Fall 1. Frau B., 47 Jahre alt, doppelfaustgroßes Myom.
In der ersten Sitzung werden 74 x appliziert; danach bestanden keinerlei Be-
schwerden. In der zweiten Serie werden 78 x, in der dritten 77 x gegeben, immer
wieder ohne wesentliche Änderung des Allgemeinbefindens. Erst nach der vierten
Sitzung mit 186 x (zusammen 415 x) tritt ein Röntgenkater auf. Er bestand aus
Übelkeit ohne Erbrechen, die 4 Tage dauerte; Patientin fühlte sich in dieser Zeit
matt und niedergeschlagen.
Fall 2. Frau G., 47 Jahre alt, doppelfaustgroßes Myom.
Die erste Sitzung ergab % x; danach bestand allgemeines Wohlbefinden. In der
zweiten Sitzung wurden 295 x gegeben. Patientin hatte danach 2 {Tage lang
eine Art von Seekrankheit, ein „Gefühl anderer Umstände“ und starke Appetit-
losigkeit. Danach trat wieder vollständiges Wohlbefinden ein. Nach den nächsten
Serien kamen keinerlei Beschwerden mehr zur Beobachtung.
Fall 3. Frau D., 47 Jahre alt, 1'/, faustgroßes Myom.
In der ersten Sitzung wurden 366 x inkorporiert. Die Patientin fühlte sich
nachher 2 Tage lang stark angegriffen und müde. Nach der zweiten Sitzung mit
183 x war das Befinden ähnlich wie nach der ersten Sitzung. Nach der dritten,
vierten und fünften Sitzung dagegen war sie vollständig beschwerdefrei.
Fall 4. Frau D., 49 Jahre alt, Uterus myomatosus. Fundus uteri 3 Querfinger
unter dem Nabel.
Nach der ersten Sitzung mit 466 x kamen keinerlei Beschwerden, ebenso wenig
wie nach der zweiten Sitzung von 286 x, mit der also in toto 753 x einverleibt
waren. Ebenso bestand nach der dritten Sitzung von 386 x, im ganzen jetzt 1138 x,
vollständiges Wohlbefinden.
Fall 5. Frau K., 44 Jahre alt, Uterus myomatosus. Fundus uteri 1 Querfinger
unter dem Nabel.
Trotz der in der ersten Sitzung gegebenen 448 x war die Patientin völlig be-
schwerdefrei. Auch nach den weiteren Sitzungen vollständiges Wohlbefinden.
Aus den zwei letzten Krankengeschichten glaube ich folgendes ab-
lesen zu dürfen: Übersteigen wir die Katerdosis, d. h. geben wir in einer
Sitzung mehr als 400 x, so pflegen sich im allgemeinen keine Störungen
des Allgeineinbefindens einzustellen. Unter den so behandelten 15 Fällen
haben wir wenigstens nie einen Röntgenkater zu verzeichnen gehabt. Natür-
lich wird es von diesem Gesetz auch Ausnahmen geben, sie sind jedoch
nur vereinzelt und meist nur bei besonders veranlagten, sehr nervösen
Personen.
Nach den in der letzten Zeit zahlreich erschienenen Arbeiten von Werner,
Exner und anderen muß man annehmen, daß die Röntgenstrahlen im
Körperinnern verschiedene Stoffe sensibilisieren, die, in dem Gesamtkreis-
lauf resorbiert, Störungen des Gesamtbefindens hervorrufen können. So
lange wir noch keine sicheren Methoden haben, um z. B. das Cholin, das
eine große Rolle dabei zu spielen scheint, im Blute quantitativ und quali-
tativ nachzuweisen — so lange bleibt uns nur der Weg der Vermutung.
In Analogie mit den nach kleinen Dosen auftretenden stärkeren Blutungen
dürften wir vielleicht annehmen, daß kleine Mengen Röntgenlichtes eine
Pathologie der gynäkologischen Röntgenbehandlung. 481
Reizung auf den Gesamtorganismus ausüben, der die Lähmung seiner
Funktionen erst nach Erreichen einer großen Gesamtdosis folgt. Wenn
dagegen anstatt der vielfachen kleinen „Reizdosen‘‘ eine einmalige ent-
sprechend große „Lähmdosis‘‘ gegeben wird, so fehlt die Reizung des Orga-
nismus und die gewünschte Lähmung seiner speziellen Funktionen tritt
gleich zu Beginn ein.
Für die Praxis der Röntgentherapie ziehe ich daher folgende Schluß-
folgerung: Wollen wir den Röntgenkater vermeiden, so müssen wir der
Patientin eine entsprechend große Dosis in einer bestimmten Zeiteinheit
applizieren. Dieser Satz gewinnt jetzt besonders an Bedeutung, da die
meisten Röntgenologen, darunter auch Albers-Schönberg, sich davon
überzeugt haben, daß mit der alten Methode der kleinen Dosis nicht immer
auszukommen ist.
Wenn wir im vorstehenden gewisse Mängel der gynäkologischen Radio-
therapie zugeben, so sind wir uns wohl bewußt, daß wir damit vielleicht
ihren Gegnern Waffen gegen sie in die Hand geben. Wir tun es trotzdem,
weil die Mängel einer Methode nur durch ihre klare Beleuchtung zu be-
seitigen sind und weil eine einwandsfreie Bewertung konkurrierender Me-
thoden nur durch rückhaltlose Darstellung der beiderseitigen Vor- und
Nachteile möglich ist.
Bisher wurde immer von der Lebenssicherheit der Radivtherapie und
von dem Fehlen komplizierender Nachkrankheiten gesprochen. Wir sind
jedoch soweit, daß wir die Röntgentherapie mit allen ihren Vor- und Nach-
teilen nicht nur der operativen ruhig zur Seite stellen können, sondern
entschieden zu dem Schlusse kommen müssen, der ersten vor der zweiten
in jeder Beziehung den Vorzug zu geben. Es ist jetzt doch wohl aner-
kannt und feststehend, daß es bei der Radiotherapie, wie sie jetzt ge-
übt wird, eine Mortalität überhaupt nicht gibt. Bei der operativen Methode,
gibt es außer einer nicht unbeträchtlichen Sterblichkeit noch eine ganze
Anzahl von Störungen, die zu vermeiden nicht immer in der Hand des Ope-
rateurs liegt; ich erwähne nur die Thrombose, der postnarkotischen Pneu-
monien, die Nebenverletzungen und die postoperativen Hernien. Dem
steht als einziges wichtiges Moment auf der Seite der Radiotherapie wohl
nur die Spätverbrennung im Sinne von Speder und d’Halluin ge-
genüber. Ich verweise in dieser Hinsicht auf die Monographie von Gauss
und Lembcke. Wir glauben sagen zu können, daß wir die Gefahr mit
ziemlicher Sicherheit vermeiden können.
Ein weiterer wichtiger Punkt der für die Radiotherapie schwer
ins Gewicht fällt, ist das soziale Moment: die in der weitaus über-
wiegenden Zahl der Fälle vollerhaltene Arbeitsfähigkeit der Patientin
während der Behandlung. Von den 50 vorhin erwähnten Fällen war die
482 Krinski, Pathologie der gynäkologischen Röntgenbehandlung.
Arbeitsfähigkeit nur in 5 Fällen vorübergehend beeinträchtigt; und auch
diese fallen der alten Methode der mittleren Strahlendosis zur Last und
lassen sich durch höhere Dosen mit ziemlicher Sicherheit vermeiden.
Man mag einwenden, daß die Schrecken der operativen Therapie gar
nicht so groß seien, so stark gar nicht bewertet werden dürften
— das letzte Wort wird in dieser Frage immer die Patientin selbst zu
sprechen haben. Jeder Operateur erlebt an seinen Patientinnen ohne
Ausnahme die Angst vor der Operation, die subjektiven Unannehmlich-
keiten der Narkose, und, wovon niemand zu reden pflegt, die qualvollen
Tage nach der Operation. Die retrospektive Kritik vieler intelligenter
Patientinnen ist sehr charakteristisch; fast übereinstimmend hört man die
Versicherung, daß Angst und Schmerzen vorher keinen Vergleich aus-
halten können mit den Qualen der ersten Tage nach der Operation.
Der Wundschmerz des maltraitrierten Peritoneums, die quälenden Darm-
beschwerden bis zum Wiedereintritt einer normalen Darmtätigkeit — alles
das gibt in der Gesamtheit ein so prägnantes Bild unangenehmer Er-
innerungen an die Operation, daß im Vergleich damit die minimalen sub-
jektiven Beschwerden der Radiotherapie in der Form des gelegentlich be-
obachteten Röntgenkaters gar nicht ernstlich in Betracht gezogen werden
können.
Aus der Lupusheilstätte zu Hamburg.
Biologische und therapeutische Erfahrungen mit dem
Radiumersatzpräparate Mesothorium.
Vortrag, gehalten a. d. Versammlung Deutscher Naturforscher u. Ärzte, Münster 1912.
Von
Dr. Paul Wichmann, leitendem Arzt.
(Mit 21 Abbildungen im Text.)
esothorium, 1907 entdeckt durch O. Hahn (1—3), ist das erste Zer-
fallsprodukt des Radioelements Thorium, welch letzteres hauptsächlich
aus dem in Brasilien, Nord- und Süd-Karolina vorkommenden Monazit-
sand gewonnen wird. Es besteht aus zwei Körpern, dem strahlenlosen
Mesothor 1 und dem $- und y-Strahlen aussendenden Mesothor 2. Letzteres
ist etwa 1 Tag nach der Herstellung des Mesothor 1 aus diesem ent-
standen und dann verhalten sich diese beiden Substanzen genau wie eine
einheitliche radioaktive Substanz, die man dann eben als Mesothor bezeichnet.
Reines Mesothor würde also nur ø- und y-Strahlen aussenden, ein
solches ist aber nicht herstellbar. Das technisch hergestellte Mesothor ist
vielmehr durch Radiumbeimengung ‚‚verunreinigt“‘, aus dieser Beimengung
ergibt sich ein gewisser Prozentsatz der dem Präparate entstammenden
a-Strahlung. Zu diesen a-Strahlen kommen dann im Lauf der Zeit noch
die a-Strahlen des aus dem Mesothor entstehenden Radiothors hinzu, wo-
durch die «-Strahlung des Mesothor sehr hohe Werte erreicht. Es sei
gleich an dieser Stelle hervorgehoben, daß diese Strahlen infolge ihrer
leichten Absorbierbarkeit biologisch lediglich eine starke Wirkung in den
oberflächlichsten Schichten entfalten, um die wir in Anbetracht der zur
Verfügung stehenden chemischen Mittel nicht verlegen sind, ja die wir
bei Ausnutzung der übrigen Strahlungskomponenten des Mesothor als
störend ausschalten.
Die $-Strahlen des Mesothor sind zum Teil ebenfalls sehr leicht ab-
sorbierbar und der übrige Anteil hat im Durchschnitt eine etwas geringere
Durchdringbarkeit als die -Strahlen des Radiums, jedoch sind die durch-
schnittlichen Unterschiede unbedeutend.
Auch die y-Strahlen sind weniger durchdringungsfähig als beim Ra-
dium und in ungleich geringerer Anzahl vorhanden.
Auf der Ausnutzbarkeit der g- und y-Strahlen gründet sich die thera-
peutische Verwendbarkeit. Die dem Mesothor entstammende Emanation,
welche einmal aus dem beigemengten Radium, sodann von dem weiteren
454 Wichmann,
Abbauprodukt des Mesothor der Thoremanation stammt, hat nur ein
geringes biologisches und kaum ein therapeutisches Interesse, sobald
Mesothor als solches zur externen Therapie angewandt wird.
Die Konzentration der Präparate des Handels ist gewöhnlich
derart, daß ihre Aktivität Gewicht für Gewicht gleich der einer gleichen
Menge reinen Radiumbromids ist. Es lassen sich aber auch Produkte
herstellen, die viermal stärker als reines Radiumbromid sind.
In technischem Mesothor von 100 mg Aktivität rühren 75 mg
von Mesothor und 25 mg von Radium her.
Tabelle der Zerfalls- Die Mesothorpräparate sind einer ungleich
schnelleren Aktivitätsänderung unterworfen
piging te o als die Radiumpräparate. Das Mesothor bil-
Thorium — a? det bei seinem Zerfall das Radiothor, dieses
weitere Zerfallsprodukte, welch letztere a-, B-, y-
Strahlen aussenden. Die näheren Verhältnisse
zeigt die Tabelle der Zerfallsprodukte, mit seinen
Produkten befindet sich das Radiothor, wenn es
Mesothorium 1
Mesothorium 2 — gu. y
Radiothorium — « aus dem Mesothor entsteht, im Gleichgewicht.
Das Maximum das Aktivität wird nach 3 Jahren
Thorium X —> « erreicht, hierauf tritt eine langsame Abnahme
der Aktivität ein und erst nach 10 Jahren er-
Emanation > «a folgt die Abklingung mit der Halbwertszeit des
Mesothors von 5.5 Jahren (Hahn). Diese
Zahlen würden für reines Mesothor gelten, das
technisch hergestellte Mesothor wird aber
in seinen Aktivitätsverhältnissen durch den vor-
Trans. Se handenen Radiumgehalt derart beeinflußt, dab
das Maximum zwar nach derselben Zeit (3 J.),
Thorium C2 l Era, die Abklingung jedoch langsamer erfolgt. Nach
10 Jahren ist infolgedessen die Aktivität noch
Thorium D —> fu.y etwas stärker als zur Zeit der Herstellung, nach
20 Jahren ungefähr halb so stark und schließ-
Thorium E lich bleiben, wenn alles Mesothor zerfallen, die
unbekannt 25°, Radium noch ührig.
Die Messung der Aktivität = der Strahlungsintensität erfolgt durch
Vergleich mit reinem Radiumbromid, indem die y-Strahlen-Werte ermittelt
werden. Der Marktpreis des technischen Mesothors stellt sich pro mg
auf 150 Mk., wenn dies mg gleich der Aktivität eines mg reinen Radium-
bromids ist; es ist dies die übliche zum Verkauf gelangende Konzentration.
Es können jedoch auch 4fach konzentrierte Präparate angefertigt werden.
Für diese ist der Preis 700 Mk. pro ıng.
Thorium A -> Q
Thorium B — pP
Biolog.u.therap. Erfahrungen m.d. RadiumersatzpräparateMesothorium. 485
Trotzdem die Zerfallszeit wie dargelegt um ein bedeutendes kürzer ist
wie die des Radiums, so ergibt sich unter Berücksichtigung des Anlage-
kapitals, der Verzinsung, der Zerfallszeit eine bedeutende Kostenersparnis
gegenüber dem Ankauf von Radium — vorausgesetzt, daß beide Präparate
einen therapeutisch äquivalenten Wert haben.
Eine biologische Erprobung, die Dank dem Entgegenkommen des Ent-
deckers zuerst von mir (5—6) im Herbst 1910 vorgenommen wurde, mußte
daher insbesondere prüfen,
ob das Mesothorium im-
stande ist, das Radium
vollwertig zu ersetzen, bzw.
durch welche Wirkungs-
eigenarten es sich von
letzterem unterscheidet.
Natürlich kann in An-
betracht der physikalischen
Verhältnisse nur eine An-
wendung des Mesothor in
externerÄpplikationin
Frage kommen.
Benutzt wurde das von
mir für Haut- und Schleim-
haut-Bestrahlung angege-
bene Instrumentarium (7),
welches eine gleichmä-
Bige Dosierung, eine ent-
sprechende Filteranwen-
dung, eine exakte Fixation
gestattet (D.). Letztere
wird auf der Haut durch
einfache Verklebung mit
Heftpflaster, in der Nasen-
höhle durch Tamponade, im Munde durch Prothese, in der Speiseröhre
durch Sonden erreicht. Im Kehlkopf ist mittels des von Albanus (8)
angegebenen Fixators eine stundenlange Exposition durch direktes Ankneifen
an die Schleimhaut möglich (D.), es bedarf hierzu der Fertigkeit in der
laryngologischen Technik. Im Rektum, der Vagina, ist die Applikation
ohne weiteres mittels Tamponade möglich, der Uterus bedarf gewöhnlich
vorhergehender Dilatation.
Die Untersuchungen bezogen sich zunächst auf normale menschliche
Haut und Schleimhaut und ergaben folgendes:
Fig. 1. Q. Ekzema scrophulos. vor der Behandlung.
486 Wichmann,
Die Art der Reaktion auf normaler menschlicher Haut, ihre Latenz-
zeit, ihre Phase, ihr Ablauf ist klinisch wie histologisch im allgemeinen
der Radiumreaktion äquivalent und folgt den bekannten Gesetzen für Haut-
reaktion bei Radiumbestrahlung. Ebenso verhält es sich bei der Schleim-
haut, doch ist die Schleimhaut, welche größeren Turgor, größere Blut- und
Lymphzirkulation besitzt, weniger empfindlich als die äußere Haut.
Eine Differenz gegenüber der Radiumwirkung läßt lediglich
die Verteilung im Gewebe erkennen. Es zeigte sich in klinischer
Beobachtung, diedurch Exzisionen
ergänzt wurde, daß ceteris paribus
die oberen und mittleren
Hautschichten schnellereine
stärkere und länger anhal-
tende Reaktion aufwiesen, wie
die tieferen. Dieses Verhältnis
wird anscheinend proportional mit
dem Anwachsen der Mesothor-
aktivität noch deutlicher.
Da aus dem Kapselapparat
lediglich $- und y-Strahlen heraus-
treten, so wird man nicht fehl-
gehen, als Grund für diese stärkere
Beeinflussung der oberen Schichten
die größere Weichheit der Meso-
thor -Strahlung anzunehmen. Mit
Walter-Hamburg habe ich Ab-
sorptionsmessungen im Gewebe
vorgenommen. Es ergab sich, dab
Haut und Unterhaut von 5 mm
Fig. 1a. Q. Ekzema scrophulos. nach der Dicke nur rund 2% der $-Strah-
Behandlung. lung durchläßt, sodaß in 1 cm Tiefe
nur 0,04% $-Strahlung zur Wir-
kung kommen kann. Da die £-Strahlenaktivität innerhalb der ersten
3 Jahre steigt — die $-Strahlenaktivität eines unserer Präparate stieg in
ca. 1/, Jahre um weit über die Hälfte des ursprünglichen Wertes —, so
wird auch die Beeinflussung der oberen Gewebeschichten eine stärkere
werden,
Es war jedoch möglich, mittels der Filteranwendung ein entsprechen-
des Optimum herzustellen, so daß sich aus diesen Verhältnissen kein wesent-
licher Mißstand hinsichtlich der für die Therapie notwendigen Tiefen-
wirkung ergibt.
iaaa II M u EEE -o 2
Biolog. u. therap, Erfahrungen m.d. Radiumersatzpräparate Mesothorium. 487
Auch die Tiefenwirkung an sich, für welche namentlich die im Ver-
gleich zum Radium leichter absorbierbaren y-Strahlen in Betracht kommen,
scheint keine wesentlich geringere
als bei diesem zu sein. Dieselbe
läßt sich einmal durch Einfügung
passender Filter verstärken, so-
dann durch Anämisierung der
oberen Schichten. Nachden Unter-
suchungenvonAlbanus(8) gelang
es hierdurch beispielsweise den
Turgor einer Schleimhaut von 7 mm
auf 4mm herabzusetzen. Hier-
durch ist der Weg für die Strah-
lung verkürzt und ein beträcht-
licher Gewebeanteil für die Ab-
sorption ausgeschaltet worden.
Anästhesierung und Anämisierung Fig, 2% C.K. Lupus vor der Behandlung.
wurde durch Kokain und seine
Derivate (Novokain, Eukain usw.),
Anämisierung allein durch Adrena-
| lin erreicht.
War ausnahmsweise stärkere
Oberflächenwirkung erwünscht, so
wurde die venöse Stauung als ge-
eignetes Mittel herangezogen,
welche sich auch für die oberen
A Luftwege in Form der Stauungs-
In s binde anwenden läßt.
ro Unter Berücksichtigung die-
Dr} j E S 7 ser Gesichtspunkte wurde das
RN Mesothor bei Krankheitszuständen
angewandt. In folgendem gebe
ich eine Übersicht über die
von mir mit Mesothorium!)
behandelten Fälle.
Ekzema subacut. 2 Fälle,
1 abgeheilt. Dosierung: Hautkap-
Fig.2a. C.K. Lupusnach derBehandlung. sel 20 mg. Expositionszeit 5 Min.,
nach 14 Tagen ev. Wiederholung.
Ekzema chronic. 10 Fälle, sämtlich abgeheilt. Dosierung ist natür-
B ar Dua ~ -u amr
r
f l N 1 D
$ ee "a
d Kin. I ar E y Pos
> v Fish 4 a
1) Hergestellt von der Chem. Fabrik Dr. O. Knöfler & Co., Plötzensee bei Berlin.
488 Wichmann,
lich je nach dem Grade der bestehenden Infiltration außerordentlich ver-
schieden. Aus der Kasuistik sei hervorgehoben :
35 jährige Dame. Analekzem stark juckend, Salbenbehandlung erfolglos.
20mg HK 2mal je 5 Min. auf die einzelnen Herde innerhalb von 14 Tagen. Ab-
handlung ohne Reaktion.
40 jährige Dame. Ekzem der großen Labien, quälender Juckreiz. 20 mg HK
2 mal je 4 Min. innerhalb von 12 Tagen. Beseitigung ohne Reaktion.
42 jähriger Mann. Ekzema
tyloticum des Handrückens.
20 mg HK 2mal je 15 Min. für
den einzelnen Herd innerhalb
von 3 Wochen, wochenlange
Erosionen, glatte Abheilung.
14 jähriger Knabe Q. Ek-
zemascrophulos. amrechten inne-
ren Augenwinkel, seit den ersten
Lebensjahren bestehend und ver-
geblich mit Ätzungen, Brenn-
methodenbehandelt:. 5 mg; HK
Gummiumhüllung, 8mal 1',
Stunde. Geheilt seit ?/, Jahr (D.).
(Fig. 1 u. 1a.)
16 jähriges Mädchen. Skro-
phulöses Ekzem des Nasenein-
ganges und rechten äußeren
Augenwinkels, seit 3 Monaten
stark verschlimmert. Vergebliche
Salbenbehandlung. Das Ekzem
des Naseneinganges wird mit
Finsenlicht und Mesothor behan-
Fig 3% C. B. Lupus vor der Behandlung. delt (5 mg Schleimhaut-Kapsel
und Gummiumhüllung 3 mal
1 Stunde). Seit !/, Jahr Abheilung. Das Ekzem des Augenwinkels mit Salben
weiter behandelt besteht fort (D.).
Zweifellos ist das Mesothor bei hartnäckigen chronischen Ekzemen in
vielen Fällen der üblichen chemischen Behandlung überlegen; es erweist
sich insofern dem Radium hier als völlig ebenbürtig.
Als störend empfunden werden die länger andauernden Reaktionen,
zumal wenn dieselben wie bei stärkeren Infiltrationen bis zur Erosion aus-
gedehnt werden müssen. Angesichts der stärkeren und länger andauernden
Reaktion in den oberen Gewebeschichten, die das Mesothor im Vergleich
zum Radium leicht hervoruft, verlangt die Ekzembehandlung mit diesem
Mittel einen ungleich größere Vorsicht als die Radiumanwendung. Um
die Sekundärstrahlung auszuschalten, wird man leichtes Filtermaterial oft
zur Einschaltung bringen (dünner Gummiüberzug, schwarzes Papier). Sub-
akute Ekzeme eignen sich infolge der irritativen Einwirkung weniger, akute
überhaupt nicht zu dieser Behandlung.
Biolog. u.therap. Erfahrungen m.d. Radiumersatzpräparate Mesothorium. 489
Die Ekzembehandlung mittels Mesothor bietet infolge dieser irritativen
Wirkung ein sehr lehrreiches Beispiel für die individuell außerordentlich
verschiedene Empfindlichkeit der
menschlichen Haut. Diese ist sehr
häufig im voraus nicht richtig ein-
zuschätzen, eine Beobachtung, die
von nicht geringem forensischen
Wert erscheint. Es ist anzuraten,
stets eine Probeapplikation mit ge-
ringer Expositionszeit vorausgehen
zulassen. Man wird sonst zuweilen
Gefahr laufen, sehr hartnäckige Re-
aktionen und Verschlimmerung zu
erzeugen.
Gleiche Vorsicht, gleiche Tech-
nik gilt für die Behandlung nament-
lich der frischen Herde von
Psoriasis. 8Fälle, abgeheilt.
Dosierung schwankt natürlich sehr.
Bei sehr sukkulenten Herden ist
Silberfilter 2 hinzuzufügen.
45 jähriger Kaufmann. Psoriasis guttata universalis. 20 mg Haut K und
Gummiumhüllung. Herde je 5 Min. 2 mal bestrahlt an 2 Tagen innerhalb von
Fig. 3a. C.B. Lupus nach der Behandlung.
Fig.4. W.F L. Lupusv. d. Behandlung. Fig.4a. W. F.L. Lupus n.d. Behandlung.
3 Wochen. Die jedesmalige Behandlung des ganzen Körpers beanspruchte 6 Stunden.
Abheilung nach 4 Wochen.
490 Wichmann,
Unangenehm bemerkbar machte sich in einem Falle die über 5 Wochen
anhaltende braune Pigmentierung der bestrahlten Herde. Stark verdickte
Plaques behandle man besser mit Salben vor, um hartnäckige Erosionen
zu vermeiden. Bei zwei Kranken wurde eine über °/), Jahr währende
rezidivfreie Heilung festgestellt, Röntgenbestrahlungen pflegten bereits nach
6—8 Wochen von Rückfällen gefolgt zu sein. Hieraus soll kein allgemeiner
Schluß gezogen werden, manche
Fälle werden für diese, andere für
jene Behandlung geeigneter sein.
Fig. 5. W.B. Lupusv.d. Behandlung. Fig.5’a. W.B. Lupusn.d, Behandlung.
Lichen ruber planus verrucosus circumscriptus. 2 Fälle, Abheilung
nach wochenlang andauernder leichter Erosion. 10mg HK (3 und 4 mal
je 15 Min.).
Lupus vulgaris“der Haut. 112 Fälle, 44 als geheilt entlassen.
Sämtliche Formen betrafen das Gesicht. Einmal waren es begrenzte
Herde, die wegen schwieriger Lokalisation oder mit Rücksicht auf die
Pathogenese (Durchbruch vom Naseninnern!) oder wegen Operationsfurcht
einer Exzision nicht zugänglich waren. In diesen 30 Fällen fand aus-
schließlich Mesothorbehandlung statt. Sodann kamen aber auch mehr oder
minder ausgedehnte, teilweise schwerste vom Naseninnern ausgehende Lupus-
formen zur Behandlung. In diesen 82 Fällen wurde die Mesothorbehand-
lung mit anderen Lupusheilmethoden kombiniert. 12 mal war dieselbe der
Biolog. u.therap. Erfahrungen m.d. Radiumersatzpräparate Mesothorium. 491
hauptsächlichste Heilfaktor, in den übrigen 70 hatte dieselbe nur unter-
stützende Bedeutung.
Aus der Kasuistik sei hervorgehoben:
C. K., 10 Jahre. Seit 7 Jahren Gesichtslupus vom Naseninnern vermittelst der
Lymphwege auf die Haut übergreifend, die rechte Wange, Unterkinngegend ein-
nehmend. Vergeblich mit Operation und Salben behandelt. Heilung mit Mesothor,
Quarzlicht, Finsenlicht. Die Herde unterhalb des Auges sind auschließlich mit
Mesothor geheilt. 10 mg HK&
Gummiumhüllung und schwar-
zes Papier je°/, Stunden in öfterer
Wiederholung. Heilung seit '/,
Jahr (D.). (Fig. 2 u. 2a.)
C. B., 24 Jahre. Lupus des
Naseneinganges seit ?/, Jahr vom
Naseninnern aus, den Nasenflügel
undUmgebungergreifend. Nasen-
äußeres mit Quarzlicht und Meso-
thor (10 mg HK und Gummium-
hüllung je '/, Stunde in öfterer
Wiederholung), Naseninneresnur
mit Mesothorbehandelt(Schleim-
hautkapsel 5 mg je 1 Stunde in
öfterer Wiederholung). Heilung
seit !/ Jahr (D.). (Fig.3 u. 3a.)
W. Fl., 14 Jahre. Lupus
der Nase undÖberlippeausgehend
vom Naseninnern seit 4 Jahren.
Vergeblich mit Ätz- und Brenn-
methoden behandelt. Nasen-
äußeres mit Kaltkaustik, Finsen-
licht, Mesothor behandelt (10mg
HK und Gummiumhüllung und
schwarzes Papier 1'!/, Stunde
mehrmals). Naseninneres nur mit
Mesothor behandelt. SHK 5mg
öfters je!/, Stunde. Geheilt seit Fig. 6. W.M. Lupuserythematos. v.d. Behandlung.
ı/, Jahr (D.). (Fig. 4 u. 4a.)
W. B. Lupus seit der Kindheit im Anschluß an tuberkulöse Lymphdrüsen
des Halses sich entwickelnd. Ausgedehnter Hals- und Gesichtslupus. Kombinierte
Pyrogallol Quarzlicht- Finsenlicht- Mesothor- Therapie (20 mg HK -+- Papier-Filter
je 2 Stunden). Geheilt seit '/, Jahr (D.). (Fig. 5 u. 5a.)
Die sehr bequeme, schmerzlose Behandlung ist namentlich bei Kindern
von nicht zu unterschätzender Bedeutung.
Die Dosierung ist außerordentlich verschieden. Bei Erwachsenen war
die einzelne Sitzung mit 20 mg HK bis zu 2 Stunden, bei Kindern die-
selbe mit 5mg HK bis zu 1 Stunde bemessen.
32
492 Wichmann,
44 Kranke wurden als geheilt entlassen. Die Heildauer erstreckt
sich von 1 Monat bis zu 1!/, Jahr.
Das kosmetische Ergebnis ist um so besser, je weniger anschließend
die Behandlungsherde sind; bei kleinen Herden kann infolge der günstigen
Regenerationsverhältnisse ein Vergleich mit der Abheilung nach Finsen-
behandlung gut ausgehalten werden.
Schleimhautlupus:
Lupus der Nasenschleimhaut. 40 Fälle (26 Erwachsene.
14 Kinder). Geheilt 28 Kranke. Namentlich für die systematische Be-
kämpfung des initialen Lupus im Kindesalter ist die Methode von grober
Bedeutung. In 2-3 Sitzungen
(5 mg Sch. HK und Gummium-
hüllung zu !/,—1 Stunde) gelingt es
meistens, den Initialherd schnell und
schmerzlos zu beseitigen.
Lupus der Mundschleim-
haut. 6 Fälle, 4 geheilt (5 mg
Sch. HK und Gummiumhüllung je
1!/, Stunde Sitzungsdauer).
Lupus der Kehlkopf-
schleimhaut. 2 Fälle in Besse-
rung (5 mg Sch. HK und Gummi-
umhüllung 1/,—1 Stunde Sitzungs-
dauer).
Wie der Hautlupus, so gibt
der Lupus der Schleimhaut ein dank-
bares Gebiet für die Behandlung mit
Mesothoriumab. Letzteres erscheint
wegen der nachhaltiger gesetzten
länger andauernden Reaktion der
in Betracht kommenden Hautschichten der Radiumbehandlung über-
legen.
Tuberkulose der Zunge. 1 Fall wegen Operationsverweigerung in
Behandlung genommen. Nur gering gebessert (20 mg HK und Gummium-
hüllung mehrmals 1!/ Stunden). Reaktionen schmerzhaft. Operation
nachdrücklich angeraten.
Lupus erythematodes. 7 Fälle, 4 Fälle geheilt.
W. M., 35 jährige Frau. Lupus erythematodes, beide Wangen symmetrisch
ergreifend und im Naseninnern nachweisbar. Histologischer Befund der Nasen-
schleimhaut: ausgesprochenes Oedem, Erweiterung der Saftspalten, Lückenbildung
zwischen Papillarkörper und Epidermis. (Wangen: 5 mg HK und Gummiumhüllung
Fig. 6a. W.M. Lupus erythematosus
nach der Behandlung.
Biolog. u.therap. Erfahrungen m.d. RadiumersatzpräparateMesothorium. 493
und schwarzes Papier. 57 Sitzungen je !/, Stunde, die Schleimhaut mit chemischen
Mitteln behandelt.) Abheilung (D.). (Fig. 6 u. 6a.)
Cl. P., 39 jährige Frau. Seit 5 Jahren Lupus erythematodes mit starker
Hyperkeratose auf Nasenrücken und zu beiden Seiten der Nase. Zugleich trat
ausgesprochene Erythromelalgie der Hände auf. Brennmethoden, Jodpinselungen
vergeblich, Naseninneres zeigt histologisch einen dem Lupus erythematodes ent-
sprechenden Befund. (Gesichtshaut 5mg HK und Gummiumhüllung und schwarzes
Papier. 16 Sitzungen von je '/, Stunden. Schleimhaut chemisch behandelt.) Zu-
gleich mit dem Rückgang des Lupus
erythematodes im Gesicht verschwand
die Erythromelalgie. Zur Zeit bestehen
im Gesicht nur schwache Andeutun-
gen desfrüheren Zustandes, die Hände
sind frei von Erscheinungen (D.).
(Fig. 7 u. 7a.)
Der Lupus erythematodes ist
für die Mesothorbehandlung sehr
geeignet, soweit chronische Formen
in Betracht kommen. Frische
Eruptionen sind nicht in Behand-
lung zu nehmen. Bezüglich der
Gefahr Irritation herbeizuführen,
gilt das beim Ekzem Gesagte. Ra-
diumbehandlungjist reizloser durch-
zuführen.
Keloid. 2 Fälle gebessert.
10 mg HK und schwarzes Papier.
Expositionszeit '/, Stunde.
Cavernom der Wange in-
operabel. 1 Fall bedeutend ge-
bessert.
10 jähriges Mädchen. Cavernom
der rechten Wange seit der Geburt. Fig. 7. Cl. P. Lupus erythematosus
Behandlung von Haut und Schleim- vor der Behandlung.
haut aus (20 mg HK + Filter 2 und
Gummiumhüllung, Expositionszeit 1!/, Stunde). Der Tumor ist zur Zeit um 2),
zurückgebildet (D ).
Hautkrebs. 6 Fälle, 4 geheilt, hiervon 1 Rückfall; 1 bedeutend
gebessert.
E , 66 jähriger Maschinist. Seit vielen Jahren Geschwürbildung an der Stirn
oberhalb des rechten Auges, welche stark schmerzt und zur Zeit die Größe eines
3 Markstücks erreicht hat. Histologisch: Hautkrebs. Vergebliche Behandlung
mit Ätz- und Brennmitteln seit Jahren. 20mg HK und Gummiumhüllung und schwar-
zes Papier. 5 Sitzungen in l4tägigen Intervallen. Heilung seit !/, Jahr ohne jede
stärkere Narbenbildung (D.). (Fig. 8 u. 8a.)
32*
494 Wichmann,
R., 60 jährige Ehefrau. Ulcus rodens des rechten inneren Augenwinkels seit
6 Jahren. Das Ulcus vertieft sich nach der Augenhöhle zu, so daß eine Sonde
von der Dicke eines Bleistiftes 3 cm tief eindringt. Von ophthalmologischer Seite
wird Operation abgelehnt. 10mg HK. Expositionszeit !/,—1 Stunde, 16 Sitzungen,
es tritt Abheilung ohne nennenswerte Narbe und Vertiefung ein. Starke Kon-
junktivitis, die durch die Bestrahlung erzeugt wurde, hält,'/, Jahr an. Heildauer
ilha Jahr (D.). (Fig. 9 u. 9a.)
K., 60 jähriger Landmann. Seit 6 Jahren Geschwürentwicklung am rechten
Ohr und der rechten Stirnseite. In der rechten Ohrgegend eine über handteller-
große, sehr schmerzhafte jauchende
Ulzeration. Das rechte Ohr hängt
als länglicher Fetzen in die Wunde,
welche so vertieft ist, daß man eine
Kinderfaust hineinlegen kann.
Histologisch: tiefgreifender Haut-
krebs. Faszie relativ wenig ange-
gangen; Drüsenschwellung beider-
seits; Fazialislähmung rechts; große
Kachexie: inoperabler Tumor; An-
timeristembehandlung ohne wesent-
lichen Erfolg. Kombinierte Rönt-
gen- und Mesothor - Behandlung,
letztere namentlich innerhalb der
Vertiefungen des Tumors (20 mg
HKfFilter2 und 3Gummiumhüllung
je 1'!/,—1'/, Stunden, 20 Sitzungen).
Zur Zeit bis auf 3 erbsengroße
Stellen geheilt (D.) (Fig. 10,
10a, 10b.)
M., 48 jähriger Rendant. Über
handtellergroßer inoperabler Wan-
genhautkrebs rechtsseitig; rechte
Fig. 7a. Cl. P. Lupus erythematosus Nasenhälfte zerfressen; desgleichen
nach der Behandlung. das rechte obere Augenlid, welches
von Tumormassen durchsetzt ist und
über dem rechten .Auge herabhängt. Das untere rechte Augenlid vollständig
zerstört. Entwicklung seit 4 Jahren. Kombinierte Röntgen- und Mesothorbehand-
lung, 20 mg HK + Filter 2 und Gummiumhüllung, Der Tumor ist zur Zeit über !/,
abgeheilt.
W. A., 42jähriger Kaufmann. Karzinom der Orbita rechts, von der Haut
ausgehend zur Zerstörung des Bulbus führend. Operation verweigert. 20 mg
HK + Filter 2 und Gummiumhüllung, 56 Sitzungen zu 1'/, Stunde. Keine wesent-
liche Besserung.
Sch., 53 jährige Frau. Karzinom der Orbita links, von der Haut ausgehend.
Bulbus stark atrophisch. Operation verweigert. 20 mg und Gummiumhüllung
und schwarzes Papier. Expositionszeit 1'/ą Stunden. Abheilung, Rückfall nach
Aii Jahr.
Biolog.u.therap. Erfahrungen m.d. Radiumersatzpräparate Mesothorium,. 495
Karzinom der Kieferhöhle; inoperabel. 2 Fälle.
Die Behandlung des einen Falles erschien von vornherein aussichtslos,
in dem zweiten Falle gelang es, das Wachstum des Tumors durch Be-
strahlung von Wunde und der Kieferhöhle aus 1 Jahr zu hemmen.
Die Erfahrungen bei Karzinom lehren uns, daß wir zweifellos im Me-
sothor hier ein sehr wirksames Mittel der Lokaltherapie vor uns haben,
welches dem Radium völlig
ebenbürtig ist. Dasselbe
ist jedoch nur dann bei
operierbarem Karzinom an-
zuwenden, wenn ein Ver-
dacht auf schnelleres Fort-
schreiten, Metastasenbil-
dungundDrüsenschwellung
nicht besteht. Es werden
mithin die gutartigen For-
men, die inoperablen For-
men, diejenigen Fälle, in
welchen ein operativer Ein-
griff verweigert wird, für die
Mesothorbehandlungübrig-
bleiben, während in allen
andern dem Messer, der
Ignioperation der Vorzug
zu geben ist. Denn wie
bei allen nicht operativen
Behandlungsmethoden, so
besteht ja auch hier die Ge-
fahr, den günstigen Zeit-
punkt zum Eingriff zu ver-
passen. Allerdings dürfte
im Einzelfall die Entscheidung über die Bösartigkeit nicht immer leicht
sein. Histologische Ergebnisse dürfen nicht genügen, um die Gutartigkeit
der Geschwulst zu beweisen.
Wenn oft, wie wir leider sehen, das Indikationsgebiet in der Be-
handlung des Krebses radiologisch sehr weit umgrenzt wird, so geschieht
das auf Grund einzelner günstiger Erfahrungen, die nicht mit der nötigen
Kritik eingeschätzt sind. Selbst bei einem so günstigen Ergebnis wie bei
dem inoperablen Tumor des Falles K., bei welchem der Patient infolge
der Kachexie sicher zugrunde gegangen wäre, muß die kritische Beobachtung
lehren, daß es sich um einen relativ gutartigen Tumor handelte, der an
Fig. 8 E. Hautkrebs (Ulcus rodens)
vor der Behandlung.
496 Wichmann,
der Faszie längeren Halt machte. Die Behandlung konnte mangels eines
rascheren Wachstums ihre Wirkung voll entfalten, und diesem günstigen
Umstande sind wohl alle diesbezüglichen Heilerfolge in der Literatur zu-
zuschreiben, während meines Erachtens ein wirklich maligner Krebs noch
nie durch radiologische Behandlung geheilt worden ist.
Ist somit dem Radiologen kritikvolle Zurückhaltung auferlegt, so sollte
andererseits der Chirurg auf ein derartig wertvolles Unterstützungsmittel
Fig. Sa. E. Hautkrebs (Ulcus rodens)
nach der Behandlung.
im Sinne der Kombination und Nachbehandlung nicht mehr verzichten.
Gerade der Chirurg könnte durch Ausbildung der Technik (intratumorale
Behandlung!) neue Ausblicke schaffen.
Knochentuberkulose (Caries tuberculosa). 8 Fälle, 6 Kranke ge-
heilt, 2 gebessert.
E. N., 6 jähriges, elendes, blutarmes Kind. Seit 2 Jahren an den Ellbogen
und auf dem Jochbein rechts fungöses Granulationsgewebe mit Sequesterbildung.
Lupus am Halse rechts, von Lymphdrüsentuberkulose ausgehend. Die Ellbogen-
Biolog.u.therap. Erfahrungen m.d. Radiumersatzpräparate Mesothorium. 497
herde werden mit 10 mg HK in Gummiumhüllung in 12 Sitzungen zu je 1 Stunde
behandelt. Abheilung. Lupus heilt ebenfalls nach Mesothorbehandlung ab. Der
Herd am Jochbein, welcher nur
schwach behandelt wird. Heilt
trotz eingeschobenen See-
aufenthalts und Salbenanwen-
dung nicht ab.
Die Knochentuberkulose
scheint bei kritischer Aus-
wahlaußerordentlich für diese
Behandlung geeignet.
Neuralgien. 2 Kranke
mit hartnäckigen, seit Jahren
bestehenden Trigeminusneu-
ralgien, die das Allgemein-
befinden stark beeinträch-
tigten, wurden nach vorher-
gegangener vergeblicher Be-
handlung mit Elektrizität,
Massage, Alkoholinjektion
so günstig beeinflußt, dal)
wesentliche Beschwerden gig. 9.
nicht mehr bestehen (20 mg
HK mit Filter2 bzw. 3 1 Stunde,
S—12 Sitzungen).
Trachom. 1Kranker. Keine
wesentliche Besserung (10mg Sch
HK in Gummiumhüllung 8 und
!/, Stunde).
Aus diesen Mitteilungen ist
ersichtlich, daß im allgemeinen
die Leistung hochaktiver Meso-
thorpräparate derjenigen höchst-
aktiven Radiumbromids gleich-
zusetzen ist. Zu demselben Urteil
kommt auch Baumm (9) nach
seinen Erfahrungen bei Naevus
teleangiektaticus, pigmentosus,
flammeus, Cancroid und Lupus
vulgaris. Allerdings gilt diese Be-
urteilung nach dem Gesagten mit
einer gewissen Einschränkung.
Man wird sich stets der größeren
R. Hautkrebs (Ulcus rodens) am Auge
vor der Behandlung.
Fig. 9a. R. Hautkrebs (Ulcus rodens)
am Auge nach der Behandlung.
498 Wichmann,
Reizwirkung des Mesothors auf die oberen Hautschichten bewußt sein müssen,
ein Umstand, der bei der Behandlung des Ekzems, des Lupus erythema-
todes zu besonderen Kautelen zwingt, andererseits ist mit Czerny und
Caan (10) anzuerkennen, daß für oberflächlich sitzende Geschwüre, An-
siome, Lupus, Keloide das Mesothor — offenbar wegen der starken Be-
einflussung der mittleren Hautschichten — dem Radium überlegen ist. In
demselben Sinne spricht sich auch Pinkus (11) aus.
Fig. 10. K. Tiefgreifender Hautkrebs
vor der Behandlung.
Bei selbständigen Augenkrankheiten (Trachom, Hornhautentzündung)
scheinen keine besonderen Vorteile vor den gewöhnlichen Mitteln zu be-
stehen, der im Vergleich zu Röntgen- und Radium-Strahlen weniger schäd-
liche Einfluß auf den Sehapparat bei Behandlung der nächsten Umgebung
derselben wird hervorgehoben (Chalupeky 12). Die größte Kritik erfor-
dert die Behandlung der Tumoren, dieselbe ist eingehend gewürdigt
worden.
Bedenkt man, daß ein ungleich größeres Ausgangsmaterial als beim
Biolog.u.therap. Erfahrungen ın. d. Radiumersatzpräparate Mesothorium. 499
Radium für die Gewinnung des Mesothors zur Verfügung steht, daß Ankaufs-
und Betriebskosten bedeutend wohlfeiler sind, so dürfte dieses Radium-
ersatzpräparat bald
einen größeren Inter-
essentenkreis unterden
Therapeuten finden.
Wie bei anderen
radiologischen Fakto-
ren kann nur eingehen-
des Vertrautsein mit
der Technik und Er-
fahrung den therapeu-
tischen Erfolg und das
nihil nocere gewähr-
leisten.
Schließlich sei noch
auf die interne Ver-
wendung der vomThor-
X ausgehenden Thor-
emanation in Form in-
travenöserEinspritzun-
genhingewiesen,welche
namentlich in der in-
ternen Medizin, aber
auch bei chirurgi-
schen und dermatolo-
gischen Krankheitszu-
ständen berechtigte
Hoffnungen erweckt.
Allerdings müssen
gegen die bis jetzt üb-
liche Dosierung nach
Macheeinheiten die
schwerwiegendsten Be-
denken erhoben wer-
den, denn eine solche
Angabe in Macheein-
heiten bezieht sich auf
die Wirkung der Ra-
diumemanation bei
einer bestimmten Meß-
methode.
Fig. 10a. K. Tiefgreifender Hautkrebs in Behandlungs-
reaktion und Besserung.
Fig. 10b. K. Tiefgreifender Hautkrebs in Abheilung.
500 Wichmann,Biol.u.therap. Erfahrungenm.d. Radiumersatzpr. Mesothorium.
Literatur.
1) O. Hahn, Berichte d. chem. Gesellschaft 1907, Bd. 40, S. 1462.
2) Derselbe, Chemiker-Zeitung 1911, Nr. 92.
3) Derselbe, Radium in Biologie und Heilkunde 1912, Bd. 1, H. 7.
4) Frederik Soddy, Die Chemie der Radioelemente, Leipzig, Johann Ambrosius
Barth 1912.
5) P. Wichmann, Verhandlung der III. Sitzung des Lupusausschusses des Deut-
schen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose, Berlin 1911.
6) Derselbe, Demonstration im Ärzte-Verein zu Hamburg, Radium in Biologie
und Heilkunde, Bd. 1, H. 6,
7) Derselbe, ibidem, Bd. 1, H. 7.
8) G. Albanus, Deutsch. med. Wochenschr. 1912, Nr. 17.
9) G. Baumm, Berlin. klin. Wochenschr. 1911, S. 1594.
10) Vinzenz Czerny und Albert Caan, Münch. med. Wochenschr. 1912, Nr. 14.
11) Pinkus, Berlin. med. Wochenschr. 1912, S. 935.
12) Chalupecky, Casopis lekani ceskych 1912, Zeitschr. böhm. Arzte.
Aus „Finsens medicinske Lysinstitut“ (Klinik der Hautkrankheiten)
zu Kopenhagen.
Pfannenstills Methode, die Modifikationen, Technik
und Resultate derselben.
Von
Ove Strandberg,
Vorsteher der rhino-laryngologischen Behandlung der Klinik.
(Mit 6 Abbildungen im Text.)
eit jener Zeit, wo Pfannenstill Mitteilungen über seine Methode
machte, sind einzelne Modifikationen und verschiedene Techniken ver-
öffentlicht, die es ermöglicht haben, Regionen zu behandeln, die man bis-
her hierfür als nicht geeignet gehalten hatte.
Diese Modifikationen und Techniken sind indessen über verschiedene
Zeitschriften verteilt, und um demjenigen die Übersicht zu erleichtern, der
mit dieser Methode zu arbeiten wünscht, habe ich unten die verschiedenen
Behandlungsweisen und die bisher veröffentlichten Resultate gesammelt.
Es sind nun zwei Jahre verstrichen, seitdem Pfannenstill seine
ersten Fälle mitteilte, und gleichzeitig die Methode vorlegte, welche bekannt-
lich darin besteht, therapeutischen Nutzen aus Jod in statu nascendi zu
ziehen, das in dem zu behandelnden Gewebe entstanden ist.
Dies suchte Pfannenstill in der Weise zu erreichen, daß er ein
Jodalkali per os gab und darauf lokal mit einem jodauslösenden Stoffe, wie
Ozon, Wasserstoffsuperoxyden oder ähnlichem behandelte.
Leitet man Ozon in ein Reagenzglas mit Jodnatrium, geht folgender
Umsatz vor sich:
2 NaJ + O; -+ H,0=2Na0H+0,+2J.
Das neugebildete Jod wirkt dann wieder auf NaOH:
2 NaOH + J, = NaOJ + NaJ + H,O,
6 NaOH + 3 J; = NaJO; + 5 NaJ + 3 H,O.
Wie man sieht, bildet Jodnatrium sich von neuem, das sich wiederum
nach der ersten Formel umsetzt.
Ein ähnlicher Umsatz findet statt, wenn man anstatt des Ozons
Wasserstoffsuperoxyde (H,0,) oder einen anderen jodauslösenden Stoff
anwendet.
Beim Vorhandensein von Säure (z. B. Essigsäure) geht die Jod-
ausscheidung weit intensiver vor sich, als wenn Ozon oder H,O, die Säure
in nicht genügender Menge enthält.
502 Strandberg,
Daß dieser Umsatz, den man mit großer Leichtigkeit im Reagenzglas
nachweist, bei den therapeutischen Resultaten der wirksame ist, den man
durch Pfannenstills Methode bekommt, dürfte vielleicht als selbstver-
ständlich angeschen werden, da es an zahlreichen Versuchen, teils von
Pfannenstill, teils von mir, gezeigt ist, daß die erwünschte Wirkung nur
erreicht wird, wenn man Jodalkali intern beigibt und mit einem jod-
auslösenden Stoff lokal behandelt.
So z. B. zeigte Pfannenstill mit seinem ersten behandelten Full.
daß jedesmal, wenn er den einen der Stoffe fortließ, die Heilungsprozesse
stockten und die Ulzerationen in den Fauces sich wiederum ausbreiteten.
und jedesmal, wenn er mit beiden Teilen gleichzeitig behandelte, besserten
sich die Prozesse, um zuletzt in Heilung überzugehen.
Zufällig sollte es sich nun zeigen, daß dieser zuerst behandelte Fall
(Esther) positive Wassermannsche Reaktion hatte.
Diese Patientin hatte ein ausgebreitetes ulzeratives Leiden am Rachen
und an der Kehle und ausgebreitete Lungentuberkulose; an dieser letzteren
starb sie.
Als Pfannenstill Esther in Behandlung bekam, war in Kopenhag:n
sowohl in der Ohrenklinik des Kommunehospitals, als auch in Finsens
medicinske Lysinstitut klinisch die Diagnose Tuberkulose gestellt, diese
Diagnose war jedoch nirgends histologisch bestätigt.
Die Patientin hatte, wie erwähnt, positiven Wassermann, trotz wieder-
holter antiluetischer Kuren aber besserte sich ihr Zustand nicht, im Gegen-
teil, er verschlimmerte sich.
Unter Pfannenstills Behandlung mit Jodnatrium und Ozon heilte
das Leiden im Pharynx und Larynx und hielt sich ausgeheilt fast bis zum
Tode der Patientin, d. h. ca. ein Jahr lang.
Die auberordentlich sorgfältig ausgeführte Sektion machte die Dia-
gnose Tuberkulose des Rachens und der Kehle in hohem Grade wahr-
scheinlich, aber davon ganz abgesehen, ob dies die rechte Diagnose sei.
oder nicht, steht es doch fest, daß es Pfannenstill mit seiner Methode
gelungen war, ein ulzeratives Leiden zur Heilung zu bringen, das einer
andern, sehr energischen Behandlung widerstanden hatte, und er hatte zu
derselben Zeit nachgewiesen, daß es fruchtlos wäre, mit einem der Stufe
zur Zeit zu behandeln, beide müßten gleichzeitig gebraucht werden.
In Finsens medicinske Lysinstitut sind eine Menge Patienten mit
Schleimhautlupus in der Nase mit Jodnatrium ohne irgend welche Wirkung
behandelt.
Bei der Behandlung mit Wasserstoffsuperoxyden allein bekam ich wohl
in einer Reihe von Fällen eine Heilung, diese jedoch erwies sich als ganz
oberflächlich, und die Ulzerationen traten wiederum wenige Tage nach der
Pfannenstills Methode, die Modifikationen, Technik und Resultate. 503
Seponierung des Wasserstoffsuperoxyds auf. Als die Patienten dann die
kombinierte Behandlung bekamen, heilte das Leiden im Laufe von 2—3
Monaten.
Die Patienten, mit denen diese Versuche angestellt wurden, hatten alle
negativen Wassermann und positive Pirquet. :
Es ist somit, wie erwähnt, als bewiesen zu betrachten, daß gerade die
Kombination hilft.
Pfannenstill hat selbst Versuche mit lokaler Applikation beider
Stoffe angestellt, es zeigte sich aber hierbei, daß man eine Wirkung nicht
auf diese Weise bekäme und hinsichtlich der therapeutischen Dosis muß
man nach den von Jansen und mir angestellten Versuchen von dem Ge-
danken abstehen, daß Ozon allein infolge seiner Bakterizidität wirken sollte.
Der Beweis dafür, daß es wirklich möglich sei, in den Geweben Jod
in statu nascendi zu erzeugen, wurde an Finsens medicinske Lys-
institut von Reyn geführt, der gleichzeitig die Methode zur Behandlung
mit Jod in statu nascendi in den Geweben mit Hilfe der Elektro-
lyse angab.
Reyn verabreichte einem Kaninchen eine näher bestimmte Menge
Jodnatrium per os und injizierte einige Zeit hernach eine Stärkelösung sub-
kutan ins Ohr, die bekanntlich mit freiem Jod eine intensiv blaue Verbin-
dung bildet.
Er führte dann eine Platiniridiumnadel ins Ohr ein und schickte einen
elektrischen Strom von 45 Volt 3 Ma. durch das Tier.
Es entstand hierbei eine intense Blaufärbung der Stärke um die Nadel
herum. Diese Blaufärbung blieb aus, wenn das Kaninchen kein Jod-
natrium vorweg bekommen hatte, wie sie sich dann ebenfalls nicht ein-
stellte, wenn das Kaninchen Jodnatrium und Stärke bekommen hatte, nicht
aber vom elektrischen Strom beeinflußt war.
Versuche mit Menschen ergaben dasselbe Resultat, und somit war es
erwiesen, daß es wirklich möglich wäre, in den Geweben Jod in statu
nascendi zu erzeugen.
Betreffs der Wirkungsart dieser Behandlung bleibt uns natürlich noch
eine ganze Reihe von Fragen. So wäre es beispielsweise noch unsere Auf-
gabe zu zeigen, daß Jod in statu nascendi bakterizid sei, und weiter, ob
die Methode durch Bakterizidität, oder etwa auf andere Weise wirke.
Hierauf werde ich jedoch nicht näher eingehen, sondern dazu übergehen,
die praktische Anwendung und die therapeutischen Resultate dieser Be-
handlungsart zu erwähnen.
Die Behandlung nach Pfannenstills Methode kann, wie erwähnt, auf
mehrfache Weise geschehen; die alles erwägende Behandlung geschieht
jedoch entweder mit Ozon oder mit Wasserstoffsuperoxyd.
504 Strandberg,
Die Ozonbehandlung, die die ursprünglich angegebene ist, kann
wiederum auf zwei Arten vor sich gehen, teils dadurch, daß der Patient sich
in einem Raum aufhält, wo ein Ozoniseur der Luft Ozon beimischt, das
also bei der Respiration über die Schleimhäute der Luftwege hinstreift,
teils auf die Weise, dal man den Patienten vor einem Apparat anbringt,
von wo aus er ozonhaltige Luft respiriert.
In ersterem Falle muß man einen der Größe des Zimmers ange-
messenen Ozonapparat haben, in letzterem Falle kann man sich mit einem
bedeutend kleineren Ozoniseur begnügen.
Die Ozonapparate werden für diesen Gebrauch u. a. von Kölle & Held
in Stuttgart und von Siemens-Schuckert hergestellt. Kölle & Helds Appa-
rate für Rauminhalation haben den Vorteil, daß sie zur Verbindung eines
Kontaktes mit dem Zentralstrom vollständig fertig geliefert werden.
Ich erinnere daran, daß man das gebildete Ozon nicht ohne weiteres an-
wenden kann. Die Erfahrung hat nämlich gezeigt, daß die Wirkung eine
verhältnismäßig geringe ist, wenn das Ozon nicht sauer ist. Dies kann
man dadurch erreichen, daß man ein Gefäß mit Essigsäure vor die Aus-
blaseöffnung des Apparates setzt, über das das Ozon hinwegstreicht. Es
erreicht hierbei einen genügenden Säuregrad.
Bei der Ozonbehandlung von Schleimhautkrankheiten — und hierfür
eignet diese Behandlung sich namentlich — besteht nun das Verfalıren
darin, daß der Patient ca. 3 g Jodnatrium täglich bekommt, auf 6 mal
verteilt: !/, g X< 6.
Die erste Portion wird 15—30 Minuten vor Beginn der Ozonbehandlung
verabreicht, die letzte Dosis ca. 1 Stunde vor Schluß derselben.
Der Patient hält sich während der Behandlung nur in dem Zimmer
auf, wo der Ozoniseur in Betrieb gesetzt ist, er kann frei umhergehen,
lesen, oder sich damit beschäftigen, wozu er sonst Lust hat. In den ersten
Tagen, bis man erst sieht, wie er die Behandlung verträgt, muß man sich
mit Séancen von !1/,—!/, Stunde begnügen; man kann diese aber recht
schnell verlängern, so dal) die Seance täglich 5—6 Stunden wird. Pfannen-
still selbst gibt 2 Scancen täglich, jede von 2—3—4 Stunden, und !,,—1
Stunde vor jeder Seance 1!/, g Jodnatrium.
Bei dem anderen Verfahren ist der Unterschied nur der, dal der
Patient direkt vor einen Ozoniseur gestellt wird, von wo aus er durch ein
Rohr die ozongemischte Luft direkt einatmet, nur muß der Ozoniseur in
diesem Falle natürlich bedeutend kleiner sein, da der prozentweise Gehalt
an Ozon in der ausgeblasenen Luft natürlich bedeutend geringer sein mul,
wenn die Luft eingeatmet werden soll, als wenn sie erst mit der Stuben-
luft verdünnt werden soll. Soll man auf ein Larynxleiden behandeln,
dürfte der Patient Tampons in der Nase haben, da das Ozon bei der
Pfannenstills Methode, die Modifikationen, Technik und Resultate. 505
Passage durch die Nasenhöhle leichter destruiert wird. Man erinnere, daß
das Ozon sehr stark ätzend und deswegen vernichtend auf alles Metall
einwirkt, weswegen solches sich in einem Zimmer, das für Ozoninhalation
berechnet ist, nicht finden darf. Ebenfalls ist jeglicher Gummi, Wasser-
schläuche u. ähnl., zu entfernen, da er sonst im Laufe weniger Stunden
vernichtet ist. Das Nachteilige dieser Behandlung besteht u. a. darin, daß
eine genaue Dosierung völlig unmöglich ist, da uns die Mittel fehlen, um
die Ozonhaltigkeit des Raumes auf eine leichte und schnelle Weise zu
messen; aber selbst, wenn sich eine derartige Meßmethode fände, ist das
Quantum Ozon, welches vertragen wird, für die verschiedenen Individuen
sehr verschieden — und was noch schlimmer ist, sie ist für dasselbe
Individuum nicht zu allen Zeiten gleich. An dem einen Tage wird
eine große ÖOzonhaltigkeit vertragen — am nächsten Tage stellen sich
nach nur wenigen Minuten Aufenthalts in einer gering ozonhaltigen Luft
Nebenwirkungen ein. Als Maß hat man die Neigung des Patienten zum
Husten angegeben, aber natürlich kann keine Rede davon sein, diesen
Indikator in allen Fällen zu gebrauchen, wo es sich um Larynxleiden
handelt, wo Husten ja vor allem zu vermeiden ist. Es ist denn auch eine
der schwachen Seiten der Ozonbehandlung, daß das Ozon so leicht Husten
hervorruft. Indessen finden sich Patienten, die, ohne Husten zu bekom-
men, stark beeinflußt werden können, und ich habe persönlich mehrere
Fälle von Lipothymie gesehen, wo sich der Husten nicht erst gezeigt hatte.
Klagen über Mattigkeit und Schläfrigkeit sind während der Behandlung
auch gewöhnlich beim Patienten; diese Intoxikationsfälle verlieren sich je-
doch schnell, so bald der Patient an frische Luft kommt, aber sie zeigen,
daß das Ozon kein indifferenter Stoff sei, und daß man also bei der An-
wendung Vorsicht üben müsse. Wie erwähnt, hat man indessen nirgends
eine andere Nebenwirkung als Husten gesehen, und es liegen mehrere
Mitteilungen von guten Resultaten vor, die man aus dieser Behandlungsart
gewonnen hat, die sich, wie gesagt, namentlich zur Behandlung der Schleim-
häute der oberen Luftwege eignet. Bei ulzerativen Leiden auf die Haut
angewandt, hat sie namentlich den Nachteil, daß das Ozon stark aus-
trocknend wirkt, und dies ist um jeden Preis zu vermeiden, da die Be-
handlung dann ohne Wirkung bleibt. Die ersten Resultate der Ozonbe-
handlung hat Pfannenstill selbst veröffentlicht. Außer dem oben er-
wähnten Falle (Esther) hat er einen Lupus im Vestibulum nasi und auf
der Oberlippe behandelt, wo sich Ulzeration fand, die bei der Behandlung
schnell heilte. Dieser Patient hatte, wie Esther, positiven Wassermann.
Ferner hat Pfannenstill einen ulzerierten Nasenschleimhautlupus und
einen Fall von Tubercul. laryngis behandelt. Beide heilten bei der Be-
handlung.
506 Strandberg,
Vor kurzer Zeit hat Pfanenstill eine Mitteilung über sämtliche
Fälle veröffentlicht, und hieraus geht hervor, daß er mit Ozon und Jod-
natrium im ganzen 16 Fälle von Tub. laryngis behandelt hat; von diesen
heilten 11, während bei den übrigen (5) bedeutende Besserung erzielt
wurde — die letzteren waren sehr schwere Fälle. Über den Rest der
mitgeteilten Resultate wird sich bei der Wasserstoffsuperoxydbehandlung
eine Erläuterung finden.
Auf einer Versammlung in „Svenska Läkaresällskapet“ zu Stockholm
veröffentlichte Stangenberg die Resultate einer Reihe von Fällen, die
mit Ozon und Jodnatrium behandelt waren. Nur vier dieser Patienten
erfüllten die von Pfannenstill aufgestellten Indikationen für die Be-
handlung (siehe später). Zwei Patienten mit Larynxtub. wurden schlimmer,
einer mit demselben Leiden heilte, hier aber wurden operative Eingriffe
vorgenommen. Schließlich war ein Patient mit Lupus unbeeinflußt ge-
blieben.
Der Grund für diese wenig ermunternden Resultate kann möglichen-
falls, wie es auf der Versammlung’ von Tideström angeführt wurde,
darin liegen, daß die Ozonbehandlung im Serafimerlazarett nicht mit säure-
vermischtem Ozon geschah, sowie darin, daß nach Pfannenstills An-
sicht viel zu geringe Mengen Ozon verwandt wurden. Jedenfalls teilte
Tideström mit, daß er mit dieser Behandlungsart besonders zufrieden
gewesen wäre und legte die Resultate der Behandlung von 12 Fällen
Larynxtuberkulose und einem Fall Pharynxtuberkulose vor.
Die Diagnose Tuberkulose war sowohl von Tideström selbst, als
auch von einem Laryngologen gestellt. In allen Fällen war Probeexzision
vorgenommen, die histologische Diagnose aber war chronische Entzündung
in 12 Fällen und in einem Falle Tuberkulose gewesen. Tideström hat
später auf dem Tuberkulosekongreß in Rom im Jahre 1912 eine Mit-
teilung von diesen und später behandelten Patienten gemacht, und die
Resultate werden deswegen hier zusammen angeführt.
Infolge der zuletzt erwähnten Mitteilung hat Tideström im ganzen
23 Fälle in Behandlung genommen (22 Tub. laryngis — sowie die oben
erwähnte Tub. pharyngis).
Von diesen waren im April 1912 noch 4 in Behandlung, während
5 dieselbe hatten unterbrechen müssen. Von den 14 restierenden, welche
die Kur zu Ende geführt hatten, waren 10 als geheilt entlassen. Bei 4
von diesen 10 war das Lungenleiden im ersten, bei 2 im zweiten und bei
4 im dritten Stadium.
Besonders frappant war die Wirkung beim Patienten mit Pharynx-
tuberkulose.
Der Charakter der Affektionen war teils Infiltration ohne Ulzeration
Pfannenstills Methode, die Modifikationen, Technik und Resultate. 507
«16; die Infiltration schwand bei allen), teils Infiltration mit oberflächlicher
Ulzeration (5; bei 3 von diesen Heilung, bei 2 Besserung) und endlich
Infiltration mit tiefen Ulzerationen (2, die sich beide besserten).. Die
Dauer der Behandlung ist von 58 Stunden (1 Monat) bis zu 308 Stunden
(3 Monate). Durchschnittlich 2 Monate ca. 200 Stunden.
Ahlström hat auf der Ophthalmologenversammlung in Stockholm
1911 Mitteilung von einem Fall von Conjunctivitis tuberculosa gemacht,
der mit Ozon behandelt war. Der Fall findet sich in den Verhandlungen
der Versammlung veröffentlicht.
Wie man sieht, erscheinen diese Resultate äußerst ermunternd, und
die Ozonbehandlung wird denn auch von Tideström fortgesetzt, während
sie wahrscheinlich von den meisten anderen, u. a. von Pfannenstill
selbst, aufgegeben ist, welcher überall zur Anwendung von Wasserstoffsuper-
oxyden übergegangen ist.
Die Wasserstoffsuperoxydbehandlung hat denn u. a. auch den Vorteil,
daß sie nicht den großen Apparat erfordert, wie die Ozonbehandlung (die
Inhalationsform jedoch ausgenommen). Außerdem ist ihre Anwendung
nicht in demselben Verhältnis, wie Ozon, auf die Schleimhäute begrenzt,
da sich die austrocknende Eigenschaft bei diesem Stoffe natürlich nicht findet.
Pfannenstill selbst hat die Anwendung von Wasserstoffsuperoxyden
auf die Haut vorgeschlagen, und er ist es, der die ersten Resultate der
Behandlung mit diesem Stoffe mitgeteilt hat.
Die Technik hierbei ist, daß die Patienten 3 g Jodnatrium täglich
bekommen, die auf 6 Portionen verteilt werden. Die erste Dosis wird
ca. 1 Stunde vor Beginn der Behandlung verabfolgt, die letzte Dosis
1!/,—2 Stunden vor Schluß derselben. Die letzte Zahl ist innezuhalten,
da es sich hier darum handelt, das im Serum und in den Gewebsflüssigkeiten
zirkulierende Jodalkali auszunutzen. Reyn hat experimentell nachgewiesen,
daß sich die größte Menge °/, Stunde nach Eingabe des Jodnatriums in
Zirkulation fände. Pfannenstill selbst verteilt in der Regel 5 g Jod-
natrıum auf 3 Eingaben, von denen er die erste sofort gibt, wenn der
Patient erwacht, wonach das Tröpfeln sofort beginnt und den ganzen Tag
fortgesetzt wird. Die letzte Dosis gibt Pfannenstill 3 Stunden vor
Schluß des Tröpfelns.
Die Ulzeration, welche behandelt werden soll, wird mit Watte oder
Gaze bedeckt, und die Umgebungen werden mit einem impermeablen Zeug,
Salbe oder ähnlichem bedeckt, da sonst leicht bei der Behandlung eine
Ulzeration des gesamten Gewebes entsteht.
Auf die Watte, welche die Ulzeration bedeckt,‘ tröpfelt der Patient
nun jede 10.—15. Minute Wasserstoffsuperoxyd aus einem Tropfglas. Das
Aufträufeln muB tropfenweise geschehen, so daß die Flüssigkeit in die
33
508 Strandberg,
dünne Schicht Gaze oder Watte eingesogen und nicht über dieselbe hin-
ausgespült wird, und es ist den ganzen, Tag über jede 10.—15. Minute
Flüssigkeit zuzuführen. Die Gaze ist freilich immer feucht, in der Regel
ist dies nicht eine Folge der Wasserstoffsuperoxyde, sondern rührt von
einem Umsatzprodukt her. Wasserstoffsuperoxyde werden nämlich, nament-
lich in Verbindung mit Wundensekret, sehr schnell destruiert. Sind nicht
fortwährend Wasserstoffsuperoxyde disponibel, ist die Behandlung ohne
Wirkung. Die obenerwähnte Behandlung dürfte im Anfange mit einem
3°/,-haltigen Wasserstoffsuperoxyd mit Zusatz von 1°/, Essigsäure ge-
schehen. Hat sich die Ulzeration gereinigt, und hat man einige Zeit ge-
träufelt, so daß die Wunde sich zu füllen begonnen hat, kann man zu
2°], Wasserstoffsuperoxyd mit 1°/, Säure übergehen und hiermit fortsetzen,
bis die Heilung eintritt.!) Mitunter wird man bemerken, daß sich die
Wunde mit frischen Granulationen füllt und auf dem Niveau des gesunden
Gewebes steht, die Epidermis aber oder das Epithel werden sich nicht
über die Wundfläche schieben. Pfannenstill hat dies betont, und auch
ich habe Gelegenheit gehabt, dies öfter an der Nasenschleimhaut zu be-
merken und meine ganz wie Pfannenstill, daß der Grund hierfür in
der Irritation der fortwährenden Jodabscheidung zu suchen ist. Dies ist
höchst wahrscheinlich, denn seponiert man Jodnatrium, wird man sehen,
daß die Ulzeration sich in ganz kurzer Zeit schließt. Das angewandte
Wasserstoffsuperoxyd muß sauer sein, ebenso wie das Ozon, da die Jod-
abscheidung beim Vorhandensein einer bestimmten Menge Säure in weit
höherem Grade vor sich geht. Die Handelsware Wasserstoffsuperoxyd
enthält wohl etwas, aber nicht genug Säure, weswegen man dennoch
Essigsäure hinzusetzen dürfte.
Pfannenstill wendet immer die Handelsware Wasserstoffsuperoxyd
an, an Finsens medicinske Lysinstitut aber benutze ich Oxydol Petri,
das den Vorteil hat, keine Mineralsäure zu enthalten; man entgeht
dann der Beiwirkung derselben. Für die Nasenschleimhaut haben sich
das Oxydol und die Essigsäure geeigneter als die Handelsware + Essig-
säure erwiesen, Pfannenstill aber hat, wie gesagt, sogar gute Resultate
mit letzterer Zusammenstellung.
Unter gewöhnlichen Umständen dürfte man sich damit begnügen,
1/. g Jodnatrium 6mal pro Tag auf die oben angeführte Weise zu geben.
Die Menge des Jodnatriums ist nämlich keineswegs gleichgültig, denn es hat
sich gezeigt, daß, wenn man dasselbe in refrakten Gaben zu sehr erhöht
(6—8 g), man vermehrte Ulzeration erhält, da auch das gesamte gesunde
Gewebe ulzeriert, so wie Pfannenstill es nachgewiesen hat.
!) Siehe jedoch später unter Reuterskiölds Technik.
Pfannenstills Methode, die Modifikationen, Technik und Resultate. 509
Diesen Umstand kann man benutzen, wenn man eine oberflächliche
ulzerierte Infiltration hat, die man fortzuulzerieren wünscht. Nur muß
man also hier erinnern, daß man auf !/, g 6mal herabgehen muß, wenn
die Ulzeration den bezweckten Umfang erreicht hat. Pfannenstill hat
eine Reihe Resultate mitgeteilt, die er bei der Behandlung mit dieser
Technik erlangt hat; so z. B. hat er 4 Fälle von Lupus und Hauttuber-
kulose behandelt, von denen einer geheilt ist und 3 fast ausgeheilt sind,
ferner hat er 2 Fälle Lupus nasi behandelt, und mehrere Fälle Ulcus
cruris, alle mit dem Resultat der Heilung. An Finsens medicinske
Ly-institut sind 2 Patienten auf diese Weise behandelt. In einem Falle
handelte es sich um einen Lupus hallucis mit einer Ulzeration bis fast
zu vs. Die Ulzeration füllte sich gut und heilte, es zeigten sich nur ganz
wenig oberflächliche Knoten, die jetzt lichtbehandelt werden. Am anderen
Patienten, der einen Lupus im Vestibulum nasi im straffen Cicatrice-
gewebe hatte, wirkte die Behandlung nicht. Die Ulzeration ist später bei
Behandlung mit Elektrolyse geheilt.
Im übrigen hat man am Lichtinstitut die Erfahrung gemacht, daß
die Methode bei kutanem Lupus wohl kaum die genügende Tiefenwirkung
auf die Haut ausübt.
Reuterskiöld hat die Wasserstoffsuperoxydbehandlung in mehreren
Fällen angewandt und gezeigt, daß sich die Methode bei verschiedenen
Krankheiten anwenden läßt, wenn man nur die Technik der Region an-
paßt, die zu behandeln ist. Reuterskiöld sieht in der Metliode ein
vorzügliches Mittel für eine wirklich antiseptische Wundbehandlung und
wendet sie bei allen infizierten Wunden an, z. B. bei der Nachbehandlung
inzidierter Phlegmone.
Nach Reuterskiölds Erfahrung ist es hier nicht genügend, den
Patienten Wasserstoffsuperoxyd nur am Tage auf die Ulzeration träufeln
zu lassen. Die Wirkung wird weit größer, wenn die Behandlung durch
alle 24 Stunden fortgesetzt wird, und Reuterskiölds Technik geht auch
hierauf aus. Reuterskiöld hat über den Jodnatriumgehalt des Organis-
mus eine Reihe von Versuchen angestellt und ist zu der Anschauung ge-
kommen, daß, wenn er die Tagesdosis (3 g) so verteile, daß morgens '!,,
abends t/ und das übrige !/;, auf 2mal verteilt eingenommen werde,
während der Nacht genügend Jodnatrium im Organismus disponibel sein
würde. Die Zuführung von Wasserstoffsuperoxyd geht nach dieser Technik
vor sich, ohne daß der Patient träufelt, sei es, daB er schlafe oder wach
sei. Es werden 2 Flaschen von ca. 200 g verwandt, die eine leer, die
andere mit Wasserstoffsuperoxyd in dem Prozentsatz gefüllt, in welchem
man ihn anzuwenden wünscht. Durch den Hals der Flaschen ist eine
Abzugsröhre gelegt, durch die ein Docht aus Gaze gezogen ist, der ein
33*
510 Strandberg,
Stückchen über beide Enden der zwei Abzugsröhren hinausragen muß.
Der Docht wird vor Beginn der Behandlung angefeuchtet.
Die Wundhöhle wird mit einer dünnen Schicht angefeuchteter Gaze
ausgelegt, und hierüber legt man den Docht aus der gefüllten Flasche,
die man etwas über das Niveau der Wundenhöhle stellt. Über den Docht
wird wiederum eine dünne Schicht nasser Gaze gelegt, über diese breitet
man wiederum ein Stückchen Gummistoff von der Form der Wundhöhle,
aber etwas kleiner als diese, alsdann wieder nasse Gaze, worauf der Docht
für die leere Flasche ausgebreitet wird; danach wird die Wundhöhle mit
Gaze gefüllt, und über das ganze wird ein Stückchen impermeables Gummi
gelegt, welches fest gegen die Haut gedrückt wird, auf dem sich im voraus
auf dem Wundrande eine dünne Schicht Lanolin findet. Der ganze Ver-
band wird mit ein paar Heftpflasterstreifen festgehalten. Im impermeablen
Stoff finden sich ein paar Löcher, durch welche die Dochte ein und aus-
treten. Die leere Flasche wird unter das Niveau der Wunde gestellt, und
je nachdem man nun die erstgenannte Flasche höher oder niedriger stellt,
kann man ein schnelleres oder langsameres Durchströmen erreichen. Nach
einigen Versuchen weiß man ganz genau, wie oft man die Flaschen zu
füllen braucht.
Geht der Patient umher, können ein paar 100 g-Flaschen vermittelst
Heftptlasterstreifen leicht auf der Haut angebracht werden. Diese Technik,
die sich ja besonders für große Wundhöhlen eignet, hat u. a. die auf-
fälligen Vorteile, daß der Patient nicht mit dem Träufeln belästigt wird,
dad man sicher ist, daß alle Teile einer Ulzeration behandelt werden, und
schließlich, daß diejenige Menge Wasserstoffsuperoxyd, welche verloren
geht, sicherlich geringer ist, als bei den anderen Behandlungsarten.
Reuterskiöld hat denn auch eine Reihe von Patienten mit gutem
Resultat behandelt. Bei einem Patienten mit Phlegmone antibrachii, der
nach einer Inzision bakteriologische Reinkultur von Streptokokken zeigte,
wurde das Verfahren mit dem Resultat angewandt, daß die Wundhöhle
nach Verlauf von 3 Tagen steril war.
Weiter hat Reuterskiöld 2 Fälle von Ulcus cruris behandelt und
gibt an, dab man hierzu 3 + 3 + 1!) anwenden müßte, bis die Wunden
rein wären, danach 2 + 2 -+ 0,50, und schließlich 1 + 1 + 0,25. Man
wird auf diese Weise das schnellste Resultat erreichen, da die Heilung
weit schneller eintritt, als wenn man einen der genannten Sätze die ganze
Zeit über anwendet.
', Reuterskiöld hat diese Verkürzung vorgeschlagen, wo die erste Zahl
die Dosis Jodnatrium für den ganzen Tag, die zweite Zahl den Wasserstoffsuper-
oxyüprozentsatz, und die dritte den Säureprozentsatz angibt.
Pfannenstills Methode, die Modifikationen, Technik und Resultate. 511
Da es sich Reuterskiöld gegenüber erwiesen hat, daß die Methode
hinsichtkch des „Sterilisierens‘‘ einer infizierten Wundfläche absolut zu-
verlässig sei, empfiehlt er sie zur Anwendung bei infizierten Wunden, die
man später zu transplantieren wünscht, indem er meint, daß man die
schnellste Heilung dadurch bekomme, daß man erst nach Pfannenstill
behandle und danach transplantiere.
3 Patienten sind auf diese Weise mit gutem Resultat (Ausheilung)
behandelt.
Ein Patient, wo sich die Transplantation nicht ausführen ließ, hatte
nach einer Verbrennung an beiden Beinen große tiefgehende Wunden. Die
Ulzerationen waren voll von gangränösem Gewebe und dickem, stinkendem
Pus. Er wurde, bis sich die Wunden gereinigt hatten (6 Tage), mit
3+3--1, alsdann 7 Tage hindurch mit 2 +2 -+ 0,50 behandelt, bis die
Granulationen im Niveau waren und die Epithelialisierung begonnen hatte,
wonach 1 + 1 + 0,25 angewandt wurde, bis der Patient 23 Tage später
als geheilt entlassen wurde. Die Krankengeschichte dieses Patienten kann
fast als Schulfall für Behandlung banal infizierter Ulzerationen dienen. Auch
zur Epithelialisierung großer aseptischer Wundflächen hat Reuterskiöld
Pfannenstills Methode angewandt und gefunden, daß sie, im Verhältnis
1 + 1 + 0,25 angewandt, in einem Falle ausgezeichnete Wirkung gehabt
hat. indem ein großer Defekt, der nach der Operation von Cancer mammae
entstanden war, nach Verlauf von 3 Wochen geheilt war. Die Größe des
Defektes war 5x3 cm. Reuterskiöld hat außerdem die Erfahrung ge-
macht, daß Cicatricen, welche nach Ulzerationen entstanden sind, nach
Pfannenstill behandelt, im allgemeinen beweglicher sind, als es der Fall
zu sein pflegt, wenn die Heilung infolge Granulation vor sich gegangen ist.
Ein Mann hatte durch eine Schußläsion die Hälfte der obersten
Phalanx des Daumens verloren. Nach Entfernen einer Reihe von Knochen-
resten wurde steriler Verband angelegt, damit das Knochenende granulieren
konnte. Als dies geschehen war, wurde der Finger mit 1 + 1 + 0,25
behandelt. Die entstandene Cicatrice war weich und gut und bewirkte,
daß der Patient den Stumpf sehr gut benutzen konnte.
Weiter sind in Borgholm bei Reuterskiöld 2 Patienten mit
Empyema pleurae behandelt. Beim ersten Patienten wurde reichlich Pus
herausbefördert. Noch 1 Monat später fand sich eine faustgroße Höhle
mit pusbelegtem, unreinem Boden.
Der Patient bekam nun 3 + 3 + 1 und zwar 6 Tage hindurch, wo-
nach die Höhlung ganz rein war, alsdann 2 + 2 + 0,50 10 Tage lang, später
war die Höhle völlig geschlossen, wonach diese Behandlung seponiert wurde:
10 Tage später fand sich eine tief eingezogene Cicatrice.
Am anderen Patienten war ebenfalls eine Kostaresektion vorgenommen.
512 Strandberg,
Ein halbes Jahr später kam der Patient nach Borgholm mit einer Thorax-
kavität so groß, daß sie 120ccm Flüssigkeit faßte. oo.
Es wurde nun auf die oben angegebene Weise eine Behandlung mit
Reuterskiölds Technik vorgenommen. Sieben Tage später mußte der
Patient wegen einer Geschäftsreise die Behandlung abbrechen. Die Kavität
faßte damals nur 15 cem Flüssigkeit. Der Patient konnte nicht mehr nach
Pfannenstill behandelt werden, so daß die Heilung der restierenden Kavität
sich langsam vollzog, ca. 3 Monate später aber war er doch völlig geheilt.
Man sollte meinen, daß diese 2 Krankengeschichten dazu aufforderten,
Pfannenstills Behandlung bei alten chronischen Empyemalhöhlen auf-
zunehmen.
Nachdem Reyn seine Untersuchungen über die Elektrolysenbehand-
lung veröffentlicht hatte, wodurch, wie erwähnt, die Zeit bestimmt wurde,
zu welcher sich im Serum die größte Menge Jodalkali nach der Eingabe
von Jodnatrium fand, behandelte Reuterskiöld 6 Fälle Panaritium auf
die Weise, daß die Patienten 1!/, g Jodnatrium 2 mal täglich bekamen,
wonach sie 2 mal bis 11/3 Stunde nach Einnahme der Medizin, den Finger
mit dem inzidierten Panaritium in 3°), Wasserstoffsuperoxyd, 1°/, Säure
hielten. Die gesunde Haut wurde erst gut mit Lanolin eingerieben. Hei-
lung zeigte sich im schnellsten Falle in 12 Tagen, im langsamsten in
18 Tagen.
Die Statistik Reuterskiölds ist wohl noch nicht groß, zeigt jedoch
aber, daß die von ihm angegebene Technik neue Möglichkeiten für die
Anwendung der Pfannenstillschen Methode eröffnet hat.
Pfannenstills eigene und Reuterskiölds Technik eignen sich vor-
züglich zur Behandlung ulzerativer Leiden der Haut, sowie der Wunden-
höhlen (Pleura und ähnl.).
Zur Behandlung von Schleimhautleiden sind auch verschiedene Ver-
fahren angegeben. Gleich nachdem Pfannenstill seine Methode vor
>» Jahren veröffentlicht hatte, begann ich an Finsens medicinske Lys-
institut die Nasenschleimhaut nach dieser zu behandeln und arbeitete eine
Technik aus, die fortgesetzt zur Anwendung kommt.
Nachdem die Nasenhöhle dadurch vom Schorf gereinigt ist, daß der
Patient 24 Stunden lang mit Wattetampons mit Alsoldermofil (Lig.
Alsoli 50%, g 1 — Dermofil 25 g) gegangen ist, werden 1—2 mal täglich
nasse Tampons aus ausgekochter stärkefreier Gaze ca. 15cm im Quadrat
eingelegt. Diese Tampons sind so zu legen, daß sie überall mit der an-
eegrilfienen Schleimhaut in Berührung kommen. Die Gaze darf nicht so
lose liegen, daß sie nicht die ganze Zeit über mit der Schleimhaut in Be-
rührung sein könnte, denn in dem Falle würden sich große Schleimmassen
zwischen der Wand der Nasenhöhle und der Gaze bilden: diese aber darf
Pfannenstills Methode, die Modifikationen, Technik und Resultate. 513
auch nicht, wie bei der gewöhnlichen Tamponade, festgestopft werden, da
alsdann leicht eine Anämie der Schleimhaut eintreten könnte, wodurch die
Zuführung des Jodnatriums geringer würde.
Ist die Lateralseite der Concha inf. angegriffen, muß man einen klei-
neren Tampon zwischen diese und die Nasenwand einführen. Dies kann
mit großer Schwierigkeit verbunden sein, und im allgemeinen wird es wohl
in diesem Falle am zweckmäßigsten sein, die Resektion der Concha zu
machen, bevor die Behandlung nach Pfannenstill instituiert wird.
Der Patient bekommt nun !/, g Jodnatrium 6 mal täglich, das erste
Mal 1 Stunde vor dem Einlegen des Tampons, und das letzte Mal 1 Stunde
vor Aufhören des Träufelns. Um einen immer frischen Strom von Wasser-
stoffsuperoxyd zuzuführen, hat der Patient alle 10 Minuten auf die ein-
gelegten Tampons zu träufeln. Dies geschieht auf die Weise, daß er den
Kopf weit zurücklegt und darauf mit einer Pipette langsam auf die Gaze
träufelt, so daß die Flüssigkeit eingesogen wird.
Das Träufeln wird eingestellt, wenn der Patient die Flüssigkeit im
Pharynx merkt, und wird alsdann 10 Minuten später ca. 6—7 Stunden
lang täglich wiederholt. Den Tampon muß man auch nachts in der
Nasenhöhle liegen lassen, andernfalls bilden sich Schorfe, und durch diese
hindurch wirkt das Wasserstoffsuperoxyd nicht.
Zum Einträufeln benutzt man in den ersten Tagen ein 3°/, Oxydol
(Oxydol Petri = 3°), reinem Wasserstoffoxyd), dem Salzsäure und Eisen-
chlorid zugesetzt ist (Oxydol 3°) 3 Teile — Eisenchlorid 5 g, Salzsäure
25%, 2,5 g Ag. destill. 500—2 Teile). Das Oxydol muß für sich, und
die andere Lösung ebenfalls für sich aufbewahrt werden, und nur kleine
Mengen (5—10 g) werden direkt vor dem Gebrauch gemischt.
Diese Lösung wendet man an, weil es sich im Reagenzglas gezeigt
hat, daß sie eine weit stärkere jodabscheidende Fähigkeit besitzt, als ge-
wöhnliches saures Oxydol. Längere Zeit hindurch kann man die Mischung
mit Eisenchlorid nicht benutzen, da sie eine zu starke Irritation der Schleim-
haut zur Folge hat.
Wenn die Ulzerationen gereinigt sind und einigermaßen frisch aus-
schen, benutzt man 3°/, Oxydol, 1°/, Säure, bis die Granulationen ver-
schwunden und die Ulzerationen so flach sind, daß sie mit der gesunden
Schleimhaut in gleicher Höhe stehen, darauf wendet man 1—2°/, Oxydol
mit Y/, °/, Säure an.
Will sich trotz energischen Träufelns 21/,—3 Monate lang kein Epithel
iiber die Ulzerationen setzen, dürfte man versuchsweise aus den früher er-
wähnten Gründen Jodnatrium seponieren, und man wird dann in der
Regel eine Heilung in 24—48 Stunden erreichen. Sind die Granulationeu
besonders groß und hervortretend, so wird es sich in der Regel als zweck-
514 Strandberg,
mäßig erweisen, 4—5 g Jodnatrium zu Anfang der Behandlung zu ge-
brauchen. Zur Nachbehandlung gebraucht man längere Zeit hindurch die
obengenannte Alsoldermofilsalbe.
Mit dieser von mir angegebenen Technik habe ich in Finsens medi-
cinske Lysinstitut zu Kopenhagen über 200 Patienten mit Schleimhaut-
lupus in der Nase in Behandlung genommen. Von 200') hatten 2 positiven
Wassermann, weswegen diese nicht mitgezählt sind, bei 6 ist Wassermann
nicht ausgeführt, und bei den übrigen 192 war die Reaktion negativ.
Pirquet ist 179 mal ausgeführt und war 17& mal positiv, 187 Patienten
hatten einen Lupus cutaneus. Bei 147 war das Leiden doppelseitig, bei
35 linksseitig und bei 18 rechtsseitig. 60 Patienten haben die Behandlung
wegen Heimreise abgebrochen, 40 sind noch in Behandlung. Die übrigen
100 sind geheilt, oder sind es dem Anscheine nach gewesen, 4 haben
ein Rezidiv gehabt, diese Zahl ist aber natürlich viel zu gering, und man
muß sicher mit mehr Rezidiven rechnen (u. a. an solchen Patienten, wo
das Leiden sich aufs neue direkt vom Vestibulum aus ausbreitet, oder wo
die Lateralseite der Concha angegriffen war, ohne daß man es hätte wissen
können).
Die Observationszeit der Behandelten war bei:
32 . . . . 1 Monat oder weniger,
19 . . . . 1—3 Monate,
18 . . . . 3—6 Monate,
19 . . . . 6—12 Monate,
10 . . . . 12—18 Monate,
i . . . . 19 Monate und
1... . 20 Monate.
Die Dauer der Behandlung war durchschnittlich 3 Monate. Betretfs
des Jodismus ist hervorzuheben, daß sich unter unsern 200 Patienten kein
Anlaß fand, die Kur aus diesem Grunde aufzugeben. Nur ganz leichte
und vorübergehende Fälle sind bemerkt. Jedoch ist die Behandlung in-
folge Purpura 2 mal abgebrochen. 2 Patienten haben Otit. med. gehabt,
jedoch ohne dali dies Veranlassung zu Komplikationen gegeben hätte. Bei
einzelnen Patienten mit Tub. pulm. haben die Ronchi mitunter bei der
Behandlung zugenommen, weswegen davon abzuraten ist, Patienten mit aus-
gebreiteten Lungentuberkulosen in die Kur zu nehmen.
Die Erfahrung, die man am Lichtinstitut gemacht hat, scheint denn
stark darauf zu deuten, daß man mit dieser Technik, wenn man sie auf
die rechte Weise anwendet, derartige Resultate bei der Behandlung von
Schleimhantlupus in der Nase erzielen könne, daß es unverantwortlich
1) Die Statistik ist am 25. März 1912 abgeschlossen.
Pfannenstills Methode, die Modifikationen, Technik und Resultate. 515
wäre, würde man diese Behandlung umgehen. Selbstverständlich ist sie
nicht für alle Fälle kritiklos anwendbar, indem man z. B. vermittelst einer
Concharesektion schneller zum Ziel kommen würde, in derartigen Fällen,
wo man einigermaßen bestimmt weiß, daß das Leiden sich auf die Concha
beschränkt, und in den Fällen, wo das Leiden im vordersten Teil des
Septums lokalisiert ist, wird man möglicherweise Aussicht auf eine kürzere
Behandlungszeit haben, wenn man Reyns Elektrolyse anwendet.
Die Behandlung nach meiner Technik ist auch am St. Görans Hospital
in Stockholm versucht.
Auf der früher erwähnten Versammlung der ärztlichen Gesellschaft
Stockholms teilte Magnus Möller mit, dab man die Behandlung an
7 Patienten mit Lupus cavi nasi begonnen hätte, und daß diese gute Fort-
schritte machten. Vor kurzer Zeit sind die Endresultate vom Unterarzt
Dr. James Strandberg veröffentlicht, die gegebene Statistik aber, der
20 Fälle zu Grunde liegen, ist, wie nachgewiesen wurde, mißdeutend, da
die Zahlen nicht so aufgestellt sind, daß man eine richtige Vorstellung
davon bekommt. Geschieht dies, so wird man sehen, daß 1 Patient von
20 infolge der Behandlung ohne Einfluß geblieben ist, 3 haben dieselbe
abgebrochen, 16 waren anscheinend geheilt, und von diesen haben 5 vor
Ende des ersten Jahres ein Rezidiv gehabt.
Man muß sagen, daß ein Heilungsprozentsatz von 94 für Lupus cavi
nasi glänzend ist, namentlich, wenn man in dieser Zahl den Lupus Vestibuli
nasi berücksichtigt hat. Welche sonstige bisher angewandte Behandlung
ist imstande gewesen ein derartiges Resultat zu geben. Es wird wohl auch
nicht ausbleiben, daß die Anzahl der Rezidive größer werden wird, u. a.
weil es sogar für geübte Rhinologen so ungeheuer schwierig, um nicht zu
sagen, unmöglich ist, mit Gewißheit zu entscheiden, wann ein Nasenschleim-
hautlupus definitiv ausgeheilt ist.
Zur Behandlung von Leiden im harten Gaumen kann die von Schau-
mann angegebene Technik benutzt werden. Sie besteht darin, daß dem
Patienten eine Gaumenprothese gemacht wird, in der eine Vertiefung ge-
bildet wird, etwas größer, als die Ulzeration, welche zu behandeln ist. In
die Vertiefung wird Watte gelegt, auf die der Patient alle 10—15 Minuten
Wasserstoffisuperoxyd träufelt, gerade wie bei der Hautbehandlung, nach-
dem man die Prothese herausgenommen hat. Jodnatrium wird auf ge-
wohnte Art eingegeben, t/, g 6 mal, und Wasserstoffsuperoxyd wird am
besten so angewandt, wie es bei Reuterskiölds Technik hinsichtlich des
Prozentsatzes angegeben wurde.
Schaumann hat über einen fertig behandelten Fall von Lupus im
harten Gaumen berichtet, der hübsch heilte. und an Finsens medicinske
Lysinstitut habe ich einen Patienten mit einer tiefen Ulzeration im harten
516 Strandberg,
Gaumen behandelt. Nach 5 monatlicher Behandlung ist die Ulzeration
geheilt und noch 4 Monate später findet sich kein Anzeichen eines Rezidivs.
Mit den bisher erwähnten Techniken ist es möglich gewesen, geeignete
Affektionen dadurch zu behandeln, dal man Wasserstoffsuperoxyd direkt
applizierte. Bei Leiden im weichen Gaumen, Pharynx und Larynx ist
eine derartige direkte Behandlungsweise noch nicht angewandt. Um hier
\Wasserstoffsuperoxyd zu applizieren, hat man mehrere Wege eingeschlagen.
In Stockholm ist man so z. B. ursprünglich auf die Weise vorgegangen,
daß man den Patienten eine Dosis Jodnatrium, wahrscheinlich 1 g, gab,
worauf man sie aus einem Dampfzerstäuber inhalıeren ließ, in dessen Glas
sich Wasserstoffsuperoxyd befand. Ob in Stockholm Resultate dieses Ver-
fahrens vorliegen, weiß ich nicht. Wenn man etwas erreichen will, dürfte
das Verfahren wohl darin bestehen, daß man den Patienten Jodnatrium
1j g X 6 gebe, auf gleiche Weise, wie früher angeführt, und dieselben
alsdann mehrere Male täglich aus dem Zerstäuber Wasserstoffsuperoxyd
inhalieren lasse, indem man mit 20—30 ccm zur Zeit beginnt und auf
60—70 steigt. Das Wasserstoffsuperoxyd muß natürlich sauer sein und
kann als 2% mit 1% Säure angewandt werden. Man erinnere, dal das
(Gesicht mit Lanolin einzureiben ist, da man sonst recht starke Irritation
zu befürchten hat.
Ein vielleicht recht rationelles Verfahren besteht darin, daß man den
Patienten 3—5 g Jodnatrium auf leeren oder fast leeren Ventrikel gibt
und sie alsdann eine Stunde später 200 —300 ccm Wasserstoffsuperoxyd
durch den Dampfzerstäuber einmal täglich inhalieren läßt.
Da das Wasserstoffsuperoxyd auf verschiedene Stoffe stark destruierend
wirkt, dürfte das Saugerohr des Wasserstoffsuperoxydglases aus Glas,
Porzellan oder ähnlichem sein, ebenso wie das Ausblaserohr des Dampf-
kessels eine Spitze desselben Stoffes haben dürfte. Wenn man Metall
benutzt. wird der Apparat fortwährenden Ärger bereiten, da er nicht fun-
siert, weil das Metall vernichtet wird. Man dürfte sich vor und während
der Behandlung davon überzeugen, daß auch wirklich Wasserstoffsuperoxyd
ausgeblasen wird, indem man ein Stückchen Jodnatrium-Stärkepapier
(Filtrierpapier, das man in .Jodnatrium und nach dem Trocknen auch in
Stärke getaucht hat) vor das Ausblaserohr hält. Dies Probepapier färbt
sich bekanntlich bei Berührung mit Wasserstoffsuperoxyd blau.
An Finsens medieinske Lysinstitut habe ich u. a. Gelegenheit gehabt,
eine Patientin mit lupösen Ulzerationen im weichen Gaumen und eine
andere Patientin mit Ulzerationen am Stimmband und in der Reg.
interaryth., wo sich auch noch Granulation fand, fertig zu behandeln. Die
Stimme war sehr heiser. Die Patientin hatte außerdem eine doppelseitige
kavernöse Lungentuberkulose.
Pfannenstills Methode, die Modifikationen, Technik und Resultate. 517
Beide Patientinnen heilten. Die letztere nach 3 monatlicher Behand-
lung. Noch 3 Monate später war sie rezidivfrei. Die erstgenannte Pati-
entin war 5 Monate hindurch rezidivfrei. Schließlich ist ein Patient mit
Lupus linguae behandelt, wo die Ulzeration heilte.
Im Öresundshospital sind bisher 7 Patienten mit dem Spray an
Larynxtuberkulose behandelt.
Auf einer Versammlung in der Medizinischen Gesellschaft zu Kopen-
hagen teilte der 1. Assistenzarzt der Abteilung, Dr. Begtrup Hansen
das Resultat mit, das also, jedenfalls in den Verhandlungen der Medizini-
schen Gesellschaft, die noch nicht erschienen sind, veröffentlicht vorliegen
wird. Die Erfahrung im Öresundshospital schlug die Richtung ein, daß
die lokalen Fälle von der Behandlung absolut günstig beeinflußt würden,
während die Nebenwirkung seitens der Lungen nicht günstig wäre (siehe
unten). l
Wie erwähnt, stellt sich bei der Behandlung mit einem Spray leicht
Irritation der Gesichtshaut und mitunter Konjunktivitis ein. Um dies zu
vermeiden, benutzt man am Lichtinstitut einen Zerstäuber, d. h. einen
Apparat, wodurch das Wasserstoffsuperoxyd vermittelst komprimierter Luft
in einen so fein verteilten Nebel verwandelt wird, daß auch ein Brillenglas
beim Halten vor den Apparat sich nicht beschlägt. Die zerstäubte Flüssig-
keit wird durch eine besonders konstruierte Maske eingeatmet. Es ist
Jedoch eine verhältnismäßig geringe Menge Wasserstoffsuperoxyd, das den
Schleimhäuten auf diese Weise zugeführt wird, weswegen diese Behandlung
sehr langwierig ist. Das Jodnatrium wird wie bei der Spraybehandlung
dosiert.
Besser ist sicherlich die Inhalatorienmethode, die indessen ein beson-
ders dazu eingerichtetes Zimmer erfordert. Im Inhalatorienapparat wird
das Wasserstoffsuperoxyd in feine Tropfen verwandelt, die durch einen
besonderen Mechanismus in den Raum hinausgeschleudert werden. Der
Apparat, den man hierzu verwendet, ist Heyers gewöhnlicher Salonspray.
Nur ist hierbei zu erinnern, daß die Spitze, durch die das Wasserstoff-
superoxyd ausgeblasen wird, aus den früher ausgeführten Gründen aus
Porzellan, Glas oder Ebonit sein muß. Der Sprayapparat wird unter die
Decke gehängt, und bei der Behandlung ist das Zimmer mit einem Nebel
von Wasserstoffsuperoxyd angefüllt. Der Patient hält sich in diesem
Zimmer am Tage 3—4 Stunden auf, kann dabei aber lesen oder Hand-
arbeit machen.
Das Jodnatrium wird, wie bei der Ozonbehandlung erwähnt, verab-
reicht. Jedoch kann man auch, wie Pfannenstill, eine größere Dosis
Jodnatrium (3-5 g) Ys—1 Stunde vor Beginn der Behandlung geben.
Patienten und das Personal müssen altes Zeug anhaben, da dies vom
518 Strandberg,
Wasserstoffsuperoxyd vernichtet wird. Ferner müssen sie Badekappen auf-
setzen, auch ist der Bart zu beschützen, da sich alles Haar entfärbt und
vom Wasserstofisuperoxyd weiß wird. Alle Ventile des Zimmers sind dicht
zu verschlieljen (am besten zuzumauern) und es muß sich eine kleine Vor-
stube finden, damit man nicht jedesmal alles Wasserstoffsuperoxyd mit
hinausläßßt, wenn man eine Tür öffnet.
Apparate für diese Behandlung sind kürzlich an Finsens medicinske
Lysinstitut installiert.
Die bisher erwähnten Behandlungsarten haben alle das gemein, dal>
sie nur anwendbar sind, wenn es sich um Ulzerationen, ulzerierte Infiltra-
tionen, oder um solche Infiltrationen handelt, die durch die bloße Behand-
lung zur Ulzeration gebracht werden können. Von mehreren der mit-
geteilten Techniken ist ferner zu sagen, daß sie in hohem Grade davon
abhängig sind, ob der Patient gutwillig mitarbeitet.
Diese Schattenseiten fallen bei Reyns Elektrolyse fort, die darauf
basiert ist, daB Jod am positiven Pol frei wird, wenn ein elektrischer
Strom eine Jodnatriumlösung passiert. Bei Versuchen zeigte es sich, dal»
Jod sich aus einer solchen Lösung von 1:270000 durch einen Strom von
65 Volt 3 Ma. abscheiden und in derselben nachweisen ließ. Man sollte
es deswegen für möglich halten, dasselbe im Organismus erreichen zu
können, falls sich die Verhältnisse einfach aufs Serum überführen ließen.
An einer Reihe hübscher Versuche von Reyn wurde es jedoch nachge-
wiesen, daß es sich nicht machen läßt, da das Serum auf die Jodabscheidung
stark hemmend wirkt.
Durch Versuche an Menschen und Tieren gelang es Reyn festzustellen:
1. Daß es möglich sei, Jod in statu nascendi im Organismus nach
Eingabe von Jodnatrium auf elektrolytischem Wege zu erzeugen,
2. daß die Dosis bei einem erwachsenen Menschen aus 3-—5g in
1 oder 2 kurz auf einander folgenden Gaben bestehen dürfte,
3. daß das Optimum der Wirkung der Elektrolyse zwischen 1—2
Stunden nach Eingabe des Jodnatriums liege, die man auf leeren oder fast
leeren Ventrikel vornehmen müßte,
4. daß der Strom mindestens 2 Ma. 65 Volt sein dürfte.
Das Verfahren bei der Behandlung besteht nun darin, daß der Patient
5g Jodnatrium bekommt. Nach 1!;, Stunden geht die Elektrolysierung
vor sich, bei welcher der Patient die negative Elektrode in der Hand hält.
während die positive Elektrode, die als eine Reihe !/;mm dicker Platin-
irıdiumnadeln geformt ist, in das Gewebe eingeführt wird, welches behan-
delt werden soll. Es ist leicht verständlich, daß die Tiefenwirkung hier
praktisch genommen unbegrenzt und nur von der Länge der Nadeln ab-
hängig ist. Anders verhält es sich mit der Flächenwirkung, die gering ist.
Pfannenstills Methode, die Modifikationen, Technik und Resultate. 519
weil die Jodabscheidung nur gerade um die Nadeln herum vorgeht. Diese
sind für jede Elektrode in einer Anzahl von 10—20 und zwar so dicht
wie möglich gesammelt. Um die Flächenwirkung noch zu vermehren, geht
‚die Behandlung so vor sich, daß die Nadeln eingeführt werden und
3 Minuten liegen bleiben, darauf wird der Strom unterbrochen und die
Nadeln werden entfernt, um wiederum so dicht wie möglich bei der zuerst
behandelten Stelle eingeführt zu werden. Auf diese Weise wird in jeder
Séance ca. 10—15 mal behandelt, und man fährt täglich hiermit fort, bis
die ganze angegriffene Partie behandelt ist. Ist die Behandlung richtig
ausgeführt, so wird man am folgenden Tage die elektrolysierte Partie ge-
schwollen sehen, rot und an den Schleimhäuten von einem gelblichgrauen,
recht dicken Belag bedeckt. Nach Verlauf weniger Tage, 6--8—10 Tage,
kann man die Behandlung wiederholen; wo es sich aber um tuberkulöse
Ulzerationen handelt, dürfte man den Patienten alsdann wohl 1—2 Monate
in Ruhe lassen, bevor man die Behandlung wieder aufnähme, wenn dies
nötig wäre. Behandelt man häufiger, wird man leicht riskieren, daß die
Ulzeration nicht genügend Zeit hat, um auszuheilen, bevor sie durch neue
Einstiche wiederum irritiert wird.
Für die Behandlung der Haut verwendet man cine Reihe von Nadel-
bündeln, von denen die einzelnen Bündel, wie in Fig. 1 gezeigt, aussehen.
Für die Behandlung der Schleimhaut in den oberen Luftwegen mub
man spezielle Instrumente für die verschiedenen Regionen anwenden.
Für die Nasenhöhle z. B. wird das in Fig. 2 gezeigte Instrument
verwandt. Fig. 3 und 4 werden bzw. an der Innen- und Außenseite der
Gingiva angewandt.
Für die Behandlung flacher Ulzerationen wird, nachdem die Nadeln
entfernt sind, eine allgemeine Bleielektrode angewandt, die mit gleichmäßigem
und festem Drucke über die Ulzeration geführt wird (Fig. 5). Weiche Gaumen,
Gaumenbögen, Uvula und Epiglottis werden mit einem von mir angegebenen
Instrument (Fig. 6) behandelt, das aus dem Griff einer Krauseschen
Schlinge besteht. Die Elektrode ist wie zwei zu einander verschiebbare Platten
geformt, von denen die eine leitet und mit Nadeln besetzt ist, während die
andere, die nicht leitet, aus Elfenbein ist und den Zweck hat als „Unter-
lage“ zu wirken, indem die zu behandelnde Stelle zwischen den zwei Platten
fixiert wird. Das Instrument ist bei Nyrop, Kopenhagen angefertigt.
Bei allen Instrumenten kommt es darauf an, daß der Strom nur durch
die Nadeln ins Gewebe eintreten darf, weswegen alle anderen Metallteile
an der positiven Elektrode, die mit der Haut oder Schleimhaut des Patienten
in Berührung kommen könnten, mit Kautschuk zu versehen sind.
Bis Mitte März waren mit der Elektrolyse 3 Patienten anscheinend
an der Haut geheilt. Die eine derselben ist eine ältere Frau, die 2 Ulzera-
(Fortsetzung des Textos auf S. 522.)
9 PNE 4 VIG 7H g fr Alt U RITA f Bin RA MUNA 9 ITUR TUIE AIN
eomm r erme 7:
Fig. 3.
AN N N
N Tan r N
N INN N
ER CENT OA v O A 9 A EN
EEE RN EL IE EL LIT N EL TI IE SEN N EOR RS
& AL a | d
N < AN A RRG ARIA RRNTT R ENNEN Q ORNE ROTE ET x
Strandberg,
Fig. 1.
520
Pfannenstills Methode, die Modifikationen, Technik und Resultate 5921
Fig. 6.
Fig. 4.
522 > Strandberg,
tionen an der Nase hatte, die auf verschiedene Weise (Licht, Röntgen
Ätzen) ohne Wirkung behandelt waren. Man behandelte sie nun einige
Zeit mit der Elektrolyse, allein ohne Resultat, darauf behandelte man sie
mit der Elektrolyse und Jodnatrium in kleinen Portionen, ebenfalls ohne
Resultat; erst, als sie die richtige Menge .Jodnatrium (5 g) bekam, stellte
sich die Heilung bald ein, und sie ist jetzt 4 Monate hindurch rezidivfrei
gewesen.
Auf Schleimhautlupus ist eine Reihe von Patienten behandelt, aber nur
bei 7 habe ich Gelegenheit gehabt, das Resultat zu sehen, da der Rest
vom Aufenthalt zu Hause noch nicht wieder zurückgekehrt ist.
Von den 7 hatten 5 Lupus im harten Gaumen, 1 an der Uvula und
1 am Zahnfleisch.
Alle diese Patienten waren geheilt. Einer derselben hatte im harten
(Gaumen eine tiefe Ulzeration, die 3 Jahre hindurch bestanden hatte, und
die nun nach wenigen Behandlungen heilte. Es läßt sich nicht leugnen.
daß diese Resultate in hohem Grade zur Fortsetzung anspornen, und in
Finsens med. Lysinstitut wendet man denn nun auch auf die Schleimhäute
überall, wo es möglich ist, die Elektrolysenbehandlung an.
Der Ophthalmologe des Lichtinstituts hat die Behandlung bei einzelnen
Augenkrankheiten angewandt und hat in der Medizinischen Gesellschaft
im April eine kurze Mitteilung hierüber gemacht. Dr. Lundsgaard wird
die angewandte spezielle Technik selbst veröffentlichen.
Die Elektrolysenbehandlung ist noch ganz neu, es liegt aber doch noch
eine andere Mitteilung über den Gebrauch derselben vor, indem Stangen-
berg über einen Fall von Lupus nasi in der Otologischen Gesellschaft zu
Stockholm berichtet hat, der mit Elektrolyse mit gutem Resultat behandelt ist.
Wenn ich kurz die Indikationen für die Behandlung nach Pfannen-
stills Methode anführen soll, ist zu sagen, daß man sie überall bei lokal-
infektiösen Leiden benutzen kann, die so liegen, daß es möglich ist. durch
Aufträufeln oder Inhalation Wasserstoffsuperoxyd zu applizieren, oder auch
so, dal) es möglich ist, mit einer Elektrode anzukommen.
Es ıst ausdrücklich hervorzuheben, daß es lokalinfektiöse Leiden sein
müssen, da es natürlich nichts nützt, das Jod durch eine allgemeine Infek-
tion lokal im Gewebe zu erzeugen. Beim Gebrauch des Wasserstoff-
superoxyds ist außerdem die Forderung zu stellen. dal das Leiden ulze-
riert sein müsse, oder dazu gebracht werden könne. Widrigenfalls muß
man Reyns Elektrolyse benutzen, die auch angewandt werden kann, wo
es sich nur um eine Ulzeration handelt. Zu früh ist es jedoch noch, den
Unterschied der Indikationen für diese Formen näher zu bestimmen.
Im Laryux mul) die Ulzeration einigermaßen obertlächlich sein, wenn
man die Inhalation zu gebrauchen wünscht, auch darf sie nicht in cica-
Pfannenstills Methode, die Modifikationen, Technik und Resultate 5923
triciellem Gewebe sitzen, da die Zirkulation hier nicht genügend gut vor
sich geht.
Eine Kontraindikation ist natürlich in erster Instanz Intoleranz
gegen Jod, es ist jedoch hervorzuheben, daß wir nur in ganz einzelnen
Fällen die Behandlung aus diesem Grunde am Lichtinstitute nicht haben
durchführen können. Endlich ist die Behandlung bei floriden oder hoch-
febrilen Lungentuberkulosen kontraindiziert. Patienten mit Lungenleiden
muß man hinsichtlich der Stethoskopie und Temperatur genau überwachen.
Dies Verhältnis des Lichtinstitutes zu denselben ist früher behandelt. In
Stockholm, wo v. Rosen Stangenbergs Patienten untersucht hat, ist seitens
der Lungen keine Komplikation gefunden, die auf die Behandlung zurück-
zuführen wäre; in der Tuberkulosenabteilung des Öresundshospitals aber
hat man bei 9 Patienten 3 mal Pleuritis sicca, 1 mal Bronchitis und
1 mal Hämoptysis bemerkt, wobei zu erwähnen ist, daß die Jodpräparate
die Ursache seien, es ist aber zu bedenken, daß es sich hier um Patienten
nit verbreiteter Lungentuberkulose handelt.
Schließlich ist die Haut des Patienten zu überwachen, da man näm-
lich am Lichtinstitut 2 mal Purpura bemerkt hat, die vermutlich vom Jod
herrührte. In dem Falle dürfte man die Behandlung einige Tage seponieren.
Von der Pfannenstillschen Methode, die sowohl beim Entstehen als
auch später ziemlich der Skepsis und Kritik ausgesetzt war, muß man nun
gestehen, daß sie in vielen Punkten für gut befunden ist.
Sie ist durch eine Reihe von Versuchen, unter welchen besonders
Reyns hübsche Tierversuche zu nennen sind, wissenschaftlich unterstützt,
und die praktischen Resultate, die bis heute vorliegen, zeigen, daß wir in
derselben eine Behandlungsweise besitzen, die sich wahrscheinlich bald als
unentbehrlich erweisen wird, u. a. weil sie sich mit Leichtigkeit auch außer-
halb der Kliniken und Hospitäler praktizieren läßt.
Literatur.
(Mehrere der im Literaturverzeichnis genannten Arbeiten sind erst nach Abschluß dieses
Artikels erschienen und aus dem Grunde nicht im Text besprochen.)
Pfannenstill, S. A., Fall von vorgeschrittener Tuberkulose des Schlundes und des
Kehlkopfes, welcher mittels einer neuen Behandlungsmethode geheilt wurde.
Hygiea 1910, S. 472 und Zentralblatt für die gesamte Therapie 1911, H. 1.
Derselbe, Demonstration neuer mit NaJ -+ O, behandelter Fälle mit weiteren Be-
merkungen über diese Behandlungsmethode. Hygiea 1910, S. 492, und Zentral-
blatt. für die gesamte Therapie 1911, H. 1.
Derselbe, Weitere Fälle von Tuberkulose und Lupus der oberen Luftwege, mit
NaJ + O, behandelt, sowie Darstellung der Anpassung und praktischen Ver-
wendung der Methode. Hygica 1910, S. 619, und Zentralblatt für die gesamte
Therapie 1911, H. 1.
3
524 Strandberg,
Pfannenstill, Erwiderung an Dr. Iwan Bratt. Allm. Svenska Läkart. 1910, S. 574.
Derselbe, Schlußantwort an Dr. Iwan Bratt. Allm. Svenska Läkart. 1910, S. 64.
Derselbe, Einige allgemeine Beobachtungen und Versuche. meine Behandlungs-
methode mit Jodnatrium und Ozon oder Wasserstoffsuperoxyd betreffend.
Prager medizinische Wochenschr. 1911, Nr. 6.
Derselbe, Fall Esther. Hygiea 1911 und Zentralblatt für die gesamte Therapie 1911,
Nr. 9.
Derselbe, Behandlung der Kehlkopftuberkulose und anderer lokal-infektiöser Prozesse
mit Jodnatrium und Ozon bzw. Wasserstoffsuperoxyd.
Derselbe, Kasuistik zur Behandlung lokalinfektiöser Prozesse mit Jodnatrium und
Ozon bzw. Wasserstoffsuperoxyd. Nordisch mediz. Archiv 1911 und Jahres-
bericht des allgemeinen Krankenhauses zu Malmö 1911.
Derselbe, Behandlung von Larynxtuberkulose mit Jodnatrium und Ozon resp.
Wasserstoffsuperoxyd. Allm. Svenska Läkart. 1912.
Derselbe, Einige Bemerkungen anläßlich eines Artikels von Dr. Jörgen Schaumann
über die Theorie der Pfannenstillschen Methode. Allm. Svenska Läkart. 1912,
Nr. 31.
Niels Arnoldsen, Einige Reflexionen, die die Pfannenstillsche Behandlung von
Tuberkulose betreffen. Allm. Svenska Läkart. 1910, S. 735.
Bratt, Iwan, Antwort auf die Erwiderung Pfannenstills. Allm. Svenska Läkart.
1910, S. 576—648.
Stangenberg, E, Über Behandlung von tuberkulösen Erkrankungen des oberen Teils
des Respirationsweges nach der Pfannenstillschen Methode. Svenska Läkare-
sällskapets Förhandlinger. Hygiea, April 1911.
Derselbe, Lupus nasi, mit der Elektrolyse nach Reyn behandelt. Verhandlungen
der schwedischen otolog. Gesellschaft 1912.
Schaumann, Jögen, Über die Behandlung des Lupus vulgaris im Gaumen mit Jod
natrium und Wasserstoffsuperoxyd nach Pfannenstills Methode. Allm. Svenska
Läkart. 1911.
Derselbe, Etwas über die Theorie der Pfannenstillschen Methode. Allm. Svenska
Läkart. 1912, Nr. 29.
Reuterskiöld, A. v., Die Pfannenstillsche Methode in der Chirurgie. Zentralblatt
für Chirurgie 1911, Nr. 29.
Derselbe, Erfahrungen über Wund- und Geschwürsbehandlung mit der Pfannenstil-
schen Methode bei nicht tuberkulösen Affektionen. Arch. f. klin. Chirurgie
1911, Bd. 98, H. 3.
Möller, Magnus, Diskussion der „Svenska Läkaresällskapet“. Svenska Läkaresäll-
skapets Förhandl. Hygiea 1911.
Sideström, Beitrag zur Kenntnis der Pfannenstillschen Behandlungsmethoden von
Kehlkopftuberkulose mit Jodnatrium und Ozon. Allm. Svenska Läkart. 1912,
S. 431.
Strandberg, James, Mitteilung über die Resultate, welche in der Finsen- Abteilung des
Krankenhauses St. Göran bei der Behandlung von Lupus cavi nasi nach Pfannen-
stills Methode erreicht sind. Allm. Svenska Läkart. 1912.
Derselbe, Antwort an Dr. Ove Strandberg anläßlich seiner Kritik über meinen Artikel
von der Pfannenstillschen Behandlungsmethode bei Lupus cavi nasi. Allm:
Svenska Läkart. 1912, Nr. 29.
Safranch, Fälle von Kehlkopflupus. Zentralblatt f. Laryngologie 1911.
Pfannenstills Methode, die Modifikationen, Technik und Resultate. 525
Safranch, Zur Pathologie und Therapie des Lupus vulgaris der oberen Luftwege.
Monatsschrift für Ohrenheilkunde 1912, H. 5.
Forchammer, H., Lunds Läkaresällskaps Förhandlinger. Hygiea 1911.
Wallbum, L. E., Die Einwirkung von Wasserstoffsuperoxyd auf das Enchympro-
duzierende Vermögen der Schleimhaut und auf die ausgeschiedenen Enchyme.
Aus Statens Seruminstitut in Kopenhagen. Deutsche med. Wochenschr. 1911,
Nr. 5.
Lundsgard, K.K.K., Diskussion in der med. Gesellschaft in Kopenhagen. Verhandl,
der med. Gesellsch. 1912.
Begtrup-Hansen, Diskussion in der med. Gesellschaft in Kopenhagen. Verhandl.
der med. Gesellsch. 1912.
Thornwald, A.,, Die Pfannenstillsche Behandlungsmethode. Wochenschrift für
Ärzte 1911.
Reyn, A., Methode zur therapeutischen Verwendung von Jod in Statu nascendi in
den Geweben. Hospitalstidende 1911 und Berl. klin. Wochenschr. 1911.
Möller, Jörgen, Die Pfannenstillsche Behandlung bei tuberkulösen u. a. lokalinfek-
tiösen Erkrankungen der oberen Luftwege. Internationales Zentralblatt f.
Ohrenheilkunde, Bd. 10, H. 3.
Strandberg, Ove, Die Behandlung des Lupus cavi nasi nach Dr. S. A. Pfannenstills
Methode mit Jodnatrium und Wasserstoffsuperoxyd.. Dansk Klinik 1910,
Nr. 48 und Berl. klin. Wochenschr. 1911, Nr. 4.
Derselbe, Behandlung von Schleimhautlupus nach Pfannenstills Methode. 1. nor-
discher Oto-LaryngologenkongreßB und 3. internat. Rhino - Laryngologen-
kongreß 1911.
Derselbe, Lunds Läkaresällskaps Förhandlingar. Hygiea 1911.
Derselbe, Behandlung von Schleimhautlupus ad. mod. Pfannenstill. Hospitalstidende
1912 und Berl. klin. Wochenschr. 1912.
Derselbe, Lupus auf der Zunge. Verhandl. der dermatol. Gesellschaft 1912.
Derselbe, Bemerkungen über Lupus linguae. Verhandl. der dänischen oto-laryngolog.
Gesellschaft 1912.
Derselbe, Drei Fälle von Lupus linguae. Hospitalst. 1912 und Berl. klin. Wochenschr.
1912.
Derselbe, Pfannenstills Methode und ihre therapeutische Bedeutung. Allgem.
schwed. Zeitschr. f. Ärzte 1912.
Derselbe, Behandlung von Schleimhautleiden mit Reyns Elektrolyse. Verhandl.
der oto-laryngolog. Gesellschaft 1912.
Derselbe, Behandlung tuberkulöser Schleimhautleiden ad. mod. Pfannenstill. Vor-
trag auf dem VI]. internat. Tuberkulosekongreß in Rom 1912 (Kongreßver-
handlung).
Derselbe, Einige Bemerkungen anläßlich eines Artikels von Dr. James Strandberg
über Pfannenstills Behandlung. Allgem. schwed. Zeitschr. f. Ärzte 1912.
Derselbe, Schlußwort an Dr. James Strandberg.
Ahlström, Fall von Conjunctivitis tub., nach Pfannenstill behandelt. Vortrag auf
der schwed. Ophthalmologenversammlung in Stockholm 1911.
Scharp, W., Mitteilung aus Romanas Sanatorium 1912.
Ask, F., Anwendung der Pfannenstillschen Methode bei infektiösen Cornealeiden,
Verhandl. der schwed. ophthalmol. Gesellschaft. Hygiea 1912.
34*
Die Röntgentherapie in der Augenheilkunde
2. Die Röntgenbehandlung des Trachoms.
Von
Prof. Dr. Stargardt, Hamburg.
ür die Behandlung des Trachoms ist eine außerordentlich große Zahl von
Methoden angegeben worden. Außer den mechanischen und medikamen-
tösen Methoden stehen uns seit einem Jahrzehnt auch noch die Methoden
der Strahlentherapie zur Verfügung. Trotz der zahlreichen Behandlungs-
arten gibt es aber bis heute kein wirkliches Heilmittel des Trachoms. Allen
Methoden haften gewisse Nachteile an und alle lassen in einer gewissen
Zahl von Fällen im Stich. Ob überhaupt einmal eine in jedem Falle
wirksame Therapie gefunden wird und ob sie sich aus den jetzigen medi-
kamentösen, mechanischen oder strahlentherapeutischen Methoden entwickeln
wird, das läßt sich zur Zeit noch gar nicht absehen.
Während die medikamentösen und die mechanischen Behandlungs-
methoden nach allen Richtungen ausgebaut sind, ist das bei den strahlen-
therapeutischen noch keineswegs der Fall. Hier liegen noch eine ganze
Reihe von Entwicklungsmöglichkeiten vor.
Die älteste der strahlentherapeutischen Methoden beim Trachom ist
die Röntgenbebandlung.
Mayou ist wohl der erste gewesen, der im Jahre 1903 die Röntgen-
strahlen bei Trachom angewandt hat. Ihm folgten noch im selben Jahre
Cassidy-Rayne, Bettrömieux und Darier, 1904 Pardo, Geyser,
Stephenson und Walsh, Green, Goldzieher, 1905 Basutinski, Hor-
nicker und Romanin, Harman, Stargardt, 1906 Oram Ring,
Valenti und Newcomet. Und dann ist es ganz still geworden. In den
letzten 6 Jahren hat man von Röntgenbehandlung des Trachoms nichts
mehr gehört. Das ist um so auffallender, als sich eine Reihe der oben-
genannten Autoren sehr entlusiastisch über die Wirkung der Röntgen-
strahlen ausgesprochen haben.
Es scheint mir nicht uninteressant, einmal zu untersuchen, worauf
diese Abkehr von einer so vielfach gepriesenen Methode berulit und vor
alleın die Frage zu erörtern, ob und was wir von der Röntgenbehandlung
des Trachoms noch zu erwarten haben.
Trotz der vielen Publikationen über die Wirkung der Röntgenstrahlen
ist das darin niedergelegte Tatsachenmaterial, das bei einer kritischen Be-
arbeitung Verwendung finden kann, kein allzu großes.
Stargardt, Die Röntgentherapie in der Augenheilkunde. 527
Mayou hat so lange bestrahlt, bis alle Follikel verschwunden waren:
er behauptet, daß die Conjunctiva am Schlusse der Behandlung glatt und
narbenlos ausgesehen hätte. Bei einem 14 jährigen Knaben, der schon
seit 4—5 ‚Jahren an Trachom mit beiderseitigem Pannus litt, verschwanden
nach 14 Bestrahlungen von je 5 Minuten bei einer Entfernung von 9 Zoll
die Granulationen und der Pannus hellte sich auf. Cassidy-Rayne hat
bei Bestrahlung durch die Lider die Follikel verschwinden sehen. Bett-
re&mieux hat in 3 Fällen die Röntgenstrahlen mit Erfolg angewandt. Gold-
zieher hat 4 Fälle bestrahlt. In einem Falle von altem Narbentrachom
mit Pannus mußte nach den 2 ersten Bestrahlungen die weitere Röntgen-
behındlung ausgesetzt werden, weil „die Reizerscheinungen zuzunehmen
schienen“. Im zweiten Falle (schweres sulziges Trachom mit Pannus) ist
die sulzige Schwellung vollkommen zurückgegangen, die Bindehaut glatt ge-
worden, die Sekretion fast ganz geschwunden und der Pannus hat sich
aufgehellt. Die Behandlung hat, soweit aus der Veröffentlichung zu er-
sehen ist, 43 Tage gedauert. Goldzieher betont aber ausdrücklich, daß
auf dem anderen Auge, das nach der von ihm modifizierten Knappschen
Methode behandelt worden war, der Erfolg klinisch ein noch besserer war.
In einem dritten Falle (ebenfalls schweres sulziges Trachom) war der Er-
folg ungefähr der gleiche wie im zweiten Falle. In einem 4. Falle (aus-
gesprochenes follikuläres Trachom) sind die Follikel vollkommen verschwunden,
die Sekretion hat fast ganz aufgehört. Aber auch in diesem Falle war
der Befund auf dem anderen, mechanisch behandelten Auge derselbe.
Goldzieher betont vor allem die Schmerzlosigkeit der Röntgenbehandlung.
Basutinski hat cine Reihe von Trachomkranken mit Röntgenstrahlen
behandelt, und zieht aus seinen Resultaten den Schluß, daß die Behand-
lung mit Röntgenstrahlen entschieden die Infiltration und den Pannus ver-
mindert und das subjektive Befinden bessert. Die Trachomkörner schwinden
nach Basutinski nur sehr allmählich. Eine vollkommene Ausheilung hat
er nicht beobachtet. Auch die Tendenz zur Vernarbung ist nach seiner
Ansicht schneller und leichter durch andere Eingriffe, z. B. Ausquetschung,
zu beseitigen. Die Röntgenbehandlung ist schmerzlos und hat in seinen
Fällen nicht zu irgendwelchen Störungen geführt. Er ist der Meinung,
daß sie vor allem in den Fällen anzuwenden wäre, in denen andere Methoden
versagten.
Horniker und Romanin haben „3 Fälle geheilt. Über die Dauer
der Behandlung und der Heilung sagen sie nichts. Harman hat keine
Besserung mit Röntgenstrahlen gesehen, im Gegenteil in einigen Fällen
Verschlechterung, die nur durch anderweitige Behandlung zum Stillstande
gebracht werden konnte. Oram Ring erklärt, daß in der Behandlung
des Trachoms durch die Anwendung der Röntgenstrahlen ein beachtens-
528 Stargardt,
werter Fortschritt erzielt worden ist und daß sie dann zu verwenden sind.
wenn die gewöhnlichen Methoden versagen. Valenti hat beobachtet, dab
ein Pannus sich in 12 Sitzungen aufhellte und das Trachom in 4 Monaten
schwand.
Ich selbst habe Fälle von ausgesprochen follikulärem Trachom behandelt,
um mikroskopisch das Gewebe nach der Bestrahlung zu untersuchen. In
einem Falle wurde die bestrahlte Übergangsfalte nach 16, in einem anderen
Falle nach 30 Stunden exzidiert. Nur in einem Falle habe ich die Wirkung
der Bestrahlung 14 Tage lang verfolgt. In allen Fällen schienen mir nach
etwa 12—15 Stunden die Körner etwas gequollen. In dem 14 Tage lang
beobachteten Falle trat eine zweifellose Verkleinerung der Follikel ein.
und zwar war die Verkleinerung recht beträchtlich, um etwa ?/, des Volumens.
Nach den bisherigen Erfahrungen ergibt sich jedenfalls soviel, dal
eine Einwirkung der Röntgenstrahlen auf den trachomatösen Prozeß zweifellos
vorhanden ist. In erster Linie werden die Follikel beeinflußt. Schon in
den ersten 14 Tagen nach der Bestrahlung kann man sie kleiner werden
sehen (Stargardt), sie können aber bei genügend lange fortgesetzter Be-
strahlung auch zum völligen Schwunde gebracht werden (Mayou, Cassidy-
Rayne, Goldzieher, Romanin und Horniker, Valenti). Auch ein
Einfluß im günstigen Sinne auf den Pannus ist festgestellt (Mayou, Gold-
zieher, Green, Basutinski, Valenti). Verschwinden der Sekretion hat
Goldzieher, wesentliche Besserung des subjektiven Befindens Basutinski
beobachtet.
Unangenchme Nebenwirkungen bei der Röntgenbehandlung sind im
allgemeinen nicht beobachtet worden. Nur Goldzieher hat in einem Falle
wegen auftretender Reizerscheinungen die weitere Röntgenbehandlung aus-
setzen müssen. Es ist aber hier daran zu erinnern, daß Goldzieher bei
seinen Bestrahlungen die Hornhaut nicht geschützt hat und daß in dem
erwähnten Falle eine Hornhauterkrankung (Pannus) bestanden hat. Harman
hat ebenfalls Verschlechterungen gesehen. Da er jedoch nicht angibt, in
welcher Weise er bestrahlt hat, so ist es durchaus möglich, daß bei seinen
Bestrahlungen technische Fehler gemacht waren, die sich vermeiden lassen.
Was vor allem in der bisherigen Literatur fehlt, das sind Angaben
über Dauerresultate. \Wihrend wir beim Radium einzelne Beobachtungen
haben, die sich doch wenigstens auf Monate und selbst über ein Jahr aus-
dehnen (Prokopenko). fehlen solche Beobachtungen bei der Röntgenbehand-
lung ganz. Bei einem so langwierigen Leiden, wie es das Trachom dar-
stellt, können wir aber doch noch nicht von Heilung sprechen, wenn die
Trachomfollikel sich verkleinern, ja wir können es selbst dann noch nicht.
wenn sie für eine gewisse Zeit ganz verschwinden.
Ein weiterer großer Nachteil der bisher veröffentlichten Literatur ist
Die Röntgentherapie in der Augenheilkunde. 529
der, dab über die Anwendungsart. der Röntgenstrahlen in vielen Fällen
überhaupt nichts bekannt gegeben ist und daß in den Fällen, in denen
etwas bekannt gegeben ist, Vergleiche nicht zu ziehen sind, weil jeder
Autor seine eigene Dosierung hat.
Mayou hat mit mittelweichen Röhren gearbeitet. Er hat jeden
2. Tag 4 Minuten lang bestrahlt und nach 4—6 Sitzungen eine ein-
wöchentliche Pause eintreten lassen. Hatte sich nach Ablauf dieser Zeit
keine Reaktion gezeigt, dann bestrahlte er 3--5 mal wöchentlich weiter, bis
starke Lichtscheu auftrat und fuhr so lange fort, bis alle Körner ver-
schwunden waren. Er hat bei dieser Behandlung nur leichte Konjunktivitis
auftreten sehen, die jedoch stets ohne weitere Behandlung verschwand.
Basutinski hat aus 25—30 cm Entfernung bestrahlt und zwar in
der ersten Sitzung 5, in den nächsten 5 Sitzungen 6 Minuten. Dann
wurde eine Pause von 14 Tagen gemacht; darauf wurde wieder 5 Tage
lang je 7 Minuten bestrahlt, danach wieder eine Pause von 14 Tagen
gemacht. Dann bestrahlte er 2 Tage lang 8, dann 2 Tage lang 10 Minuten,
worauf wieder eine Pause von 14 Tagen folgte. Nach dieser Pause wurde
noch einmal 8, dann 10, dann 6 und dann 5 Minuten bestrahlt.
Auf Grund dieser Angaben Vergleiche zwischen der Behandlungsart
von Mayou und Basutinski zu ziehen, ist unmöglich. Man wird
wohl heute weder die eine noch die andere Art der Dosierung mehr für
berechtigt halten. Vielmehr wird man sich jetzt wohl mehr für eine
einmalige Bestrahlung mit größerer Dosis entscheiden. Pardo hat diese
Methode schon angewandt, indem er auf einmal eine Dosis bis zu 4 Holz-
knechteinheiten applizierte. Birch-Hirschfeld ist auch der Meinung,
daß man mit 4 Holzknechteinheiten auskommt. Ich selbst habe mich im
Jahre 1906 für die Methode von Kienböck ausgesprochen, die ja ebenfalls
auf dem Prinzip beruht, durch eine einmalige größere Dosis die Reaktions-
schwelle zu erreichen und dann die Wirkung abzuwarten. Bei dieser
Methode ließen sich sowohl makroskopisch wie mikroskopisch Verände-
rungen in den Follikeln nachweisen.
Besonders betonen möchte ich. dal) bei keinem der bisher mit Röntgen-
strahlen behandelten Trachomfälle genaue quantitative und qualitative Meß-
methoden angewandt worden sind. wie sie uns heute zur Verfügung stehen
(Vgl. diese Zeitschr., H. 1. S. 160). Es liegt das daran. daß alle Ver-
suche mit Röntgenstrahlen in die Zeit von 1903—1906 fallen, also in eine
Zeit, in der man gerade anfıng. die applizierten Dosen zu messen, in der
aber von exakten Meßmethoden noch nichts bekannt war.
Die Röntgenbestrahlung beim Trachom bietet große technische Schwierig-
keiten. Besonders füllt das bei einem Vergleich mit der Röntgenbestrahlung
der Lidepitheliome auf. Wenn man beim Trachom durch die Lider hin-
530 Stargardt,
durch die Bindehaut bestrahlen will, dann gefährdet man sowohl die Lider
wie das Auge. Uassidy-Rayne, der durch die Lider hindurch bestrahlt
hat, hat hartnäckige Lidrandentzündung und Ausfallen der Cilien beobachtet.
Schädigungen des Auges selbst aber hat er nicht gesehen. Trotzdem
müssen wir auf solche gefaßt sein, besonders wenn wir größere Dosen an-
wenden. Man kann ja nun bis zu einem gewissen Grade den Augapfel
durch Einlegen von Bleiglasschalen (von F. Ad. Müller Söhne, Wiesbaden
hergestellt) schützen, die nach H. Meyer 90—95% der Röntgenstrahlen
absorbieren. Dieser Schutz scheint mir aber wieder in allen den Fällen
kontraindiziert zu sein, in denen die Conjunctiva bulbi mit erkrankt ist
oder in denen ein Pannus besteht. Und grade was diesen Punkt betrifft,
sind wir zwar in der Lage, das Bestehen eines Pannus der Hornhaut zu
diagnostizieren, die trachomatöse Erkrankung der Skleralbindehaut können
wir aber in vielen Fällen, wie das Ishikawa nachgewiesen hat, nur mikro-
skopisch erkennen.
Bedecken wir nun eine solche makroskopisch normale, in Wirklichkeit
aber schon erkrankte Skleralbindehaut mit einer Bleiglasschale, so müssen
wir damit rechnen, dab hier der Prozeß durch die Röntgenstrahlen nicht
beeinflußt wird und später von hier aus eine Neuerkrankung auch der
ursprünglich geheilten Partien hervorgerufen werden kann.
Dal} eine Beeinflussung des trachomatösen Prozesses auch durch die
Lider hindurch erfolgen kann, ergibt sich aus den Beobachtungen von
Cassidy-Rayne, der ein Kleinerwerden der Follikel beobachtete. Diese
Erscheinung bietet auch nichts Merkwürdiges, da ja eine tausendfältige
Beobachtung bei den modernen Tiefenbestrahlungen gezeigt hat, daß man
röntgenempfindliches Gewebe durch die Haut hindurch, selbst ohne Schä-
digung derselben beeinflussen kann.
Die meisten Autoren haben nicht durch die Lider bestrahlt, sondern
ausgehend von der durchaus richtigen Ansicht, daß die Röntgenstrahilen
am energischsten auf Oberflächen wirken, die Bestrahlung am ektropionierten
Lide angewandt. Trotz der im Prinzip gleichen Methode war die Aus-
führung im einzelnen bei den verschiedenen Autoren (Mayou, Pardo,
Horniker und Romanin, Stargardt) eine recht verschiedene.
Mayou hat bei umgestülpten Lidern bestrahlt, während das Gesicht
durch eine Bleimaske geschützt war. Die ektropionierten Ober- und Unter-
lider wurden aneinander derart genähert, daß die Kornea bedeckt war.
Nur bei Pannus ließ Mayou die Kornea frei. In ihrer ektropionierten
Lage wurden die Lider von Mayou oder einer Hilfsperson gehalten. Die
Hände waren dabei geschützt durch Einreiben einer Wismuthsalbe oder
durch Handschuhe.
Pardo hat auf das Halten mit den Händen verzichtet, nachdem er
Die Röntgentherapie in der Augenheilkunde. 531
sich eine Dermatitis, Veränderungen an den Nägeln, Ausfallen der Haare
am Kopfe und hartnäckige Konjunktivitis zugezogen hatte. Sein Verfahren
war folgendes: Bei der Bestrahlung der Bindehaut des oberen Lides wurde
das obere Lid ektropioniert, und falls die Cilien vorhanden waren, durch
einen Heftpflasterstreifen zwischen Cilien und Augenbrauen in der ektro-
pionierten Lage gehalten. Wenn keine Uilien vorhanden waren, wurde das
Lid durch eine mit einer Binde fixierte Ptosispinzette in seiner Lage ge-
halten. Um die obere Übergangsfalte noch besser sichtbar zu machen,
legte Pardo noch hinter das obere Lid ein kleines Wattebäuschchen. Die
untere Übergangsfalte und die Hornhaut wurden in der Weise exponiert,
daß die durch Handschuhe geschützten Finger des Patienten selbst, bei
stark nach oben gerichtetem Blicke das Unterlid nach abwärts ziehen. Bei
dieser Art des Vorgehens waren mehrere Sitzungen erforderlich. In der
ersten wurde die Bindehaut des oberen Lides, in der zweiten die des unteren
Lides und in der dritten die Kornea bestrahlt.
Horniker und Romanin haben, um die ektropionierten Lider in
ihrer Lage zu halten, einen besonderen Apparat konstruiert (Abbildung
Zeitschrift für Augenheilkunde 1905 S. 571), dessen Prinzip im wesent-
lichen darin besteht, daß durch Hartgummistäbe, die in einem verstellbaren
‘ Halter angebracht sind, die evertierten Ober- und Unterlider in ihrer Ever-
sionsstellung gehalten werden.
Ich glaube, daß weder bei der Metliode Mayous, noch der von Pardo
oder Hornicker und Romanin der Teil der Bindehaut, den wir heute als
den Hauptsitz der trachomatösen Erkrankung ansprechen müssen. nämlich
die Übergangsfalten, genügend exponiert werden.
Jeder Ophthalmologe kennt die großen Schwierigkeiten, «die eine glatte
Ausbreitung speziell der oberen Übergangsfalte bietet. Sie ist nur dann
möglich, wenn wir bei nach unten gesenkter Blickrichtung das obere Lid
doppelt ektropionieren. Dieses doppelte Ektropionieren ist selbst bei wenig
empfindlichen Patienten kaum ohne Kokainisieren auszuführen, und es mul),
wenn es wirklich in ausreichendem Maße ausgeführt werden soll, nicht mit
den Fingern. sondern instrumentell ausgeführt werden. Legen wir also bei
der Röntgenbestrahlung überhaupt Gewicht auf eine direkte Bestrahlung
der Übergangsfalten, so müssen wir auch dafür sorgen, daß sie während
der Bestrahlung genügend ausgebreitet sind. Das sind sie aber weder bei
dem Mayouschen Verfahren, noch bei dem Verfahren von Hornicker und
Romanin, noch bei dem Verfahren von Pardo.
Eine genügende Freilegung der Übergangsfalten erreicht man nur.
wenn man das von mir im Jahre 1905 angegebene Verfahren anwendet.
Es wird der Patient in bequemer Lage auf einem Tische gelagert, unter
den Nacken ein Kissen gelegt. so daß der Kopf etwas nach hinten geneigt
532 Stargardt,
ıst. Nach gründlichem Kokainisieren wird das obere Lid zunächst einfach
ektropionier. Dann wird mit einer Blömerschen Hakenpinzette der jetzt
nach unten gerichtete obere Rand des Tarsus von der Konjunktiva aus in
der Mitte gefaßt und nun durch eine Drehung der Pinzette das obere Lid
noch einmal ektropioniert. Jetzt liegt die ganze obere Übergangsfalte frei.
Um diese Lage zu erhalten, braucht man nur die Blömersche Pinzette
durch Heftpflasterstreifen an der Stirn zu befestigen. Ein Schutz des
Auges mit den oben schon erwähnten Bleiglasschalen ist bei dieser Lagerung
des oberen Lides nicht möglich, die Bleiglasschalen würden einfach heraus-
gleiten. Es bleibt also nichts weiter übrig, als das Auge, wie ich das auch
schon im Jahre 1905 angegeben habe, durch eine Art Bleilöffel zu schützen.
Dieser Löffel ist ähnlich wie eine Jägersche Platte geformt, etwa 10 cm
lang, 2,7 cm breit und 2 bis 2,5 mm dick. Das eine Ende ist auf der
dem Bulbus zugewandten Fläche konkav, auf der anderen konvex. Die
Höhlung soll der Oberfläche einer Kugel von 12 mm Radius, also ungefähr
der vorderen Bulbusoberfläche sich anpassen. Die dem Auge zugewandte
Seite kann mit Stahl leicht geglättet werden. Die Befürchtung Steiners,
daß durch diese Bleiplatten „Bleiintoxikationen“ entstehen könnten, ist
bei intakter Kornea sicher gegenstandslos.. Nur bei Hornhautgeschwüren,
wie sie ja nun leider bei Trachom nicht selten sind, ist die Gefahr von
„Bleiinkrustationen“ nicht ganz von der Hand zu weisen. In solchen Fällen
kann man sich aber dadurch helfen, daß man die Bleiplatten dünn ver-
nickeln läßt. Der Schutz gegen Röntgenstrahlen wird dadurch nicht be-
einträchtigt und das Auge ist gegen jede eventuelle Möglichkeit geschützt.
Die Bestrahlung der unteren Übergangsfalte würde dann in derselben
Weise zu erfolgen haben. Nur genügt hier einfaches Ektropionieren, wenn
man den Patienten stark nach aufwärts sehen läßt.
Auch bei dieser Art der Bestrahlung kommt man mit einer Bestrahlung
nicht aus. Vielmehr sind wenigstens zwei Bestrahlungen erforderlich. Unter
Umständen sind aber noch mehr Bestrahlungen nötig. Wenn sich schwere
Veränderungen in der Conjunctiva tarsi superioris finden, so glaube ich.
mul) diese bei einfach ektropioniertem Lide noch einmal besonders bestrahlt
werden.
Eine noch offene Frage ist es, ob der Pannus zu bestrahlen ist. Daß
die Röntgenstrahlen einen Einfluß auf den Pannus auszuüben imstande
sind, ist durch die Beobachtungen von Mayou, Green, Pardo, Valenti,
Basutinski und Goldzieher sichergestellt. Es muß aber ausdrücklich
betont werden, daß in allen diesen Fällen die Hornhaut entweder absicht-
lich freigelassen war oder höchstens durch die auf ihnen liegenden Lider
veschützt war.
Wir müssen also, wenn wir den Pannus beeinflussen wollen, auf den
Die Röntgentherapie in der Augenheilkunde. 533
Schutz des Auges verzichten. Das aber scheint mir ein etwas bedenk-
liches Vorgehen zu sein. Ich glaube in Übereinstimmung mit Birch-
Hirschfeld und Hertel nicht, daß wir dabei mit aller Sicherheit
Schädigungen vermeiden können.
Wenn wir mit der Dosierung so vorgehen, daß wir ähnlich wie beim
Schleimhautlupus Dosen von 5 x in Abständen von 14 Tagen bis 3 Wochen
zur Anwendung bringen, so ist es auf Grund der bis jetzt in der Litera-
tur niedergelegten Erfahrungen nicht unwahrscheinlich, daß wir diese
Dosen bis zur Heilung häufiger applizieren müssen, dal also die Behand-
lung sich in die Länge zieht. Daß dabei die Möglichkeit der Schädigung
des Auges vorhanden ist, kann nicht geleugnet werden. Allerdings liegen
experimentelle Untersuchungen am Tierauge mit mittleren Dosen, wie wir
sie in der Röntgentherapie heute anwenden, nicht vor. Die in den von
Birch-Hirschfeldschen Fällen applizierten Dosen sind mit einer
Ausnahme nie abgemessen und stellen Verbrennungsdosen dar, denen
gegenüber das Auge natürlich ebensowenig widerstandsfähig ist wie die
Haut. Die geringste Dosis war hier 24x. Da erfahrene Röntgenologen
wie Kienböck und Belot ausdrücklich erwähnen, daß die Bestrahlungen
in der Augengegend von ihnen stets ohne Augenschutz ausgeführt wurden
und daß niemals Schädigungen von ihnen beobachtet seien, und da man
trotz der nach Tausenden zählenden Kasuistik, Angaben über Schädigungen
des Auges durch mittlere, abgeinessene Dosen nicht findet, ist die Gefahr
für das Auge wohl nicht allzu groß.
Die Schwierigkeit, bei der Röntgenbestrahlung des Trachoms das Auge
genügend zu schützen, die Unmöglichkeit eventuelle trachomatöse Horn-
hauterkrankungen ohne die Gefahr einer eventuellen Schädigung des Auges
mit Röntgenstrahlen zu behandeln, die großen technischen Schwierigkeiten,
die zu überwinden sind, um die Bindehaut in ihrer ganzen Ausdehnung zu
bestrahlen. alle diese Momente mögen es wolıl gewesen sein, die in vielen
Fällen zu einer Wiederaufgabe der RöntgenbehandInng beim Trachom ge-
führt haben. Goldzieher hat, wie er mir in liebenswürdiger Weise
auf eine Anfrage brieflich mitgeteilt hat, die Röntgenbehandlung deswegen
wieder aufgegeben, weil er sie nur bei der granulären (follikulären) Form
des Trachoms wirksam fand, weil aber auch bei dieser Form die chirur-
gische Behandlung (Expression der Körner, eventuelle Gralvanokaustik)
rascher zum Ziele führte, als die ..doch umständlichere Röntgenbestrahlung“.
Es mag auch sein, daß manche Autoren die Röntgenbehandlung wieder
verlassen haben, weil Rezidive eingetreten sind, auf deren Möglichkeit
Kuhnt und ich selbst schon früher hingewiesen hatten.
Es fragt sich nun, ob wir von der Röntgenbehandlung überhaupt Ab-
stand nehmen sollen und ob alle weiteren Versuche von vornherein als aus-
534 Stargardt,
sichtslos oder gar gefährlich zu bezeichnen sind. Dieser Ansicht bin ich
nicht. Denn selbst bei einer strengen Kritik des bisher Erreichten bleibt
die Möglichkeit, daß die Röntgenstrahlen einmal eine große Rolle bei der
Behandlung des Trachoms spielen werden, durchaus bestehen.
Über die Wirkung der Röntgenstrahlen auf den pathologisch anato-
mischen Prozel3 beim Trachom wissen wir bisher nur wenig. Wir wissen
nur, dal die Follikel kleiner werden, und dal sie unter Umständen gänz-
lich zum Schwund gebracht werden können. Auch die von mir aus-
geführte mikroskopische Untersuchung der bestrahlten trachomatösen Binde-
haut hat nur Veränderungen am Follikel ergeben. Am Epithel und der
adenoiden Schicht der Konjunktiva habe ich keinerlei Veränderungen ge-
funden, die man auf Rechnung der Röntgenstrahlen setzen könnte. Die
Veränderungen am Follikel entsprachen durchaus den Veränderungen, die
Heinecke in der Milz und den anderen Lymphorganen gefunden hat.
Auch die Tatsache. daß man die Follikel gänzlich zum Schwunde bringen
kann, entspricht durchaus dem Verhalten der Milz und Lymphdrüsen-
follikel.
Wenn man nun bisher in dem Kleinerwerden resp. Verschwinden der
Follikel ein Zeichen der Besserung oder der Heilung des Trachoms zu
sehen glaubte, so bin ich der Ansicht, daß dieser Standpunkt nicht mehr
haltbar ist. Der Follikel ist in seiner Bedeutung für das Trachom über-
schätzt worden. Wir haben ja Follikel auch beim harmlosen Follikular-
katarrh, bei gewissen luetischen und vor allem bei tuberkulüsen Prozessen
der Bindehaut. Wir müssen meines Erachtens nach ım Follikel nur die
Bildungsstätte von Zellen sehen, die zur Abwehr eines infektiösen Prozesses
der Bindehaut gebraucht werden. Die Follikelbildung ist somit nur ein
Teil all der Abwehrprozesse, die sich in der Schleimhaut des Auges abspielen.
Ich kann deswegen auch in einer Verkleinerung oder dem Verschwinden
der Follikel an sich noch kein Zeichen der Besserung sehen. Es ist
durchaus möglich, daß wir durch die Röntgenstrahlen nur eine Abwehr-
einrichtung des Körpers schädigen, die Krankheitskeime aber, die zur Bil-
dung der Follikel geführt haben, vollkommen unbeeinflußt lassen. Auch
die Auflellung des Pannus kann in einer Zerstörung der ihn zusammen-
setzenden zelligen Elemente seine Ursache haben. Diese zelligen Elemente,
Lymphozyten und Plasmazellen, müssen wir aber ebenfalls als eine Ab-
wehremrichtung des Körpers auffassen und eine Schädigung dieser Ab-
wehreinrichtung für ebenso unzweckmäbig erklären, wie die der Follikel.
Eine Zerstörung der Follikel und eine Schädigung der den Pannus
zusammensetzenden Zellen scheint mir nur dann erlaubt zu sein, wenn wir
gleichzeitig die vorhandenen Krankheitskeime abtöten, so daß die von der
Natur gelieferten Abwehrkräfte nicht mehr nötig sind.
Die Röntgentherapie in der Augenheilkunde. 535
Wie steht es nun aber mit der Beeinflussung der Krankheitskeime
des Trachoms durch die Röntgenstrahlen? Ist eine solche Beeintlussung
überhaupt nachgewiesen oder ist sie auch nur wahrscheinlich?
Die Frage ist nicht zu beantworten, ohne dal wir uns vorher klar
gemacht haben, um was für einen Erreger es sich beim Trachom über-
haupt handeln kann.
Daß das Trachom durch einen Erreger hervorgerufen wird, das er-
gibt sich zweifellos aus seiner Infektiosität, die nicht nur durch die Erfahrung,
sondern auch experimentell festgestellt ist (Greeff). Was für ein Erreger
aber in Frage kommt, darüber ist man sich heute noch nicht einig.
Bakterien kommen wohl nicht in Betracht, denn alle Mühe, die man
sich gegeben hat (Sattler, v. Michel, Müller u. a.), ein Bakterium
als Erreger nachzuweisen, ist vergeblich gewesen. Kein einziges der als
Erreger beschriebenen Bakterien hat einer strengen Kritik standgehalten.
Wir müssen deswegen den Erreger wohl unter den Protozoen suchen.
Unter den Protozoen können nun entweder mikroskopisch nachweisbare oder
ultramikroskopische Krankheitskeime in Frage kommen. Die Auffassung,
daB es sich um ultramikroskopische Gebilde etwa von der Art der Erreger
der Maul- und Klauenseuche handele, ist von Rählmann vertreten
worden. Er wollte mit dem Siedentopf-Zsigmondyschen Ultra-
mikroskop Gebilde gefunden haben, an die das Kontagium geknüpft sein
sollte. Die Rählmannschen Befunde hielten jedoch der Kritik nicht
stand, da man mit dem Ultramikroskop in jedem Konjunktivalsekret Ge-
bilde findet, wie sie Rählmann als charakteristisch für Trachom be-
schrieben hat. Gegen die ultramikroskopische Natur der Erreger sprechen
ferner die Untersuchungsergebnisse von Pfeiffer und Kuhnt, nach
denen trachomatöses Material, das durch Berkefeld-Liliputkerzen filtriert
war, beim Menschen nicht mehr infektiös wirkte, und die Versuche von
Heßund Römer, durch die bewiesen wurde, daß Filtrate von trachomatösem
Materiale beim Affen völlig unwirksam waren, während mit demselben un-
filtrierten Materiale beim Affen Trachom erzeugt werden konnte. Wenn
wir auf Grund dieser Ergebnisse die Möglichkeit, daß es sich um ultra-
mikroskopische Erreger handelt, mit ziemlicher Sicherheit ausschließen
können, so bleibt nur noch die Möglichkeit, daß wir es mit mikroskopisch
nachweisbaren Protozoen als Erreger zu tun haben. Als solche protozoi-
schen Erreger sind nun verschiedene Gebilde angesprochen worden.
Da man früher allgemein die Follikel (oder Körner, oder Granula)
als das Charakteristische des Trachoms ansah, so lag es nahe, den Er-
reger zunächst in ihnen zu suchen; und es darf uns nicht wundern, daß
man die im Follikel besonders auffallenden, eigenartigen. großen Zellen,
536 Stargardt.
Junius amöboide Bewegungen nachweisen konnte, als Erreger ansprach.
Da nun aber dieselben Zellen auch in der Milz und den Lymphfollikeln
vorkommen, so mußte diese Ansicht wieder fallen gelassen werden. Nach
der Entdeckung der Spirochaeta pallida hat man die zu ihrem Nach-
weise dienenden Methoden auch beim Trachom angewandt; aber weder die
Giemsamethode, noch die Silberimprägnation nach Levaditi hat ein
positives Resultat ergeben (Greeff, Stargardt).
Es hat dann Greeff geglaubt, in kleinsten Gebilden, die mit stärksten
Vergrößerungen gerade noch sichtbar waren, die Erreger gefunden zu
haben. Diese Gebilde fand er im Sekret und Follikelinhalt beim Trachom,
sie lagen gewöhnlich zu zweien, waren von einem hellen Hofe umgeben
und sahen wie kleinste Doppelbakterien oder Doppelkokken aus. Nach
Gram waren sie nicht färbbar. Auch diese Körperchen sind nichts
Spezifisches, da man sie auch bei einer ganzen Reihe von anderen Binde-
hauterkrankungen findet (Stargardt,, Heymann).
Im Jahre 1907 haben v. Prowazek und Halberstädter eme
Entdeckung gemacht, die mit Recht das größte Aufsehen erregte. Sie
fanden in den Epithelzellen, die man bisher so gut wie gar nicht beachtet
hatte, eigenartige Veränderungen. In dem Protoplasma der Epithelien
lagen meist neben dem Kern und diesem kappenförmig aufsitzend, mit
Giemsalösung dunkelblaugefärbte, unregelmäßige Einschlüsse. In diesen
blaugefärbten Einschlüssen fanden sich in wechselnden Mengen rot ge-
färbte, distinkte kleinste Körnchen. v. Prowazek nahm an, daß das
Trachom ebenso wie Variola, Vaccine, Lyssa, Hühnerpest und eine Reihe
anderer Erkrankungen von einer besonderen Gruppe von Krankheitskeimen
erzeugt würde. Diese Krankheitskeime sollten im wesentlichen Epithel-
parasiten sein. Sie sollten in die Epithelzellen als feinste, nach Giemsa
rot färbbare Körperchen eindringen und hier infolge einer sekundären
Zellreaktion mit einem Mantel von Plastinmasse, die sich nach Giemsa
blau fürbte, umgeben werden. Wegen dieser Umhüllung hatv. Prowazek
die Erreger als „Chlamydozoen“* (Manteltierchen) bezeichnet.
Die v. Prowazek und Halberstädterschen Befunde sind sehr
bald von den verschiedensten Seiten bestätigt worden.
Die Auffassung, dab es sich bei diesen Veränderungen um eine für
Trachom spezifische Veränderung handele, hat sich aber nicht halten
lassen, wenigstens nicht in vollem Umfange. Denn es fanden sich die-
selben Einschlüsse bei der nichtgonorrhoischen Neugehorenenblennorrhoe
(Stargardt, Schmeichler), aber auch bei gonorrhoischer Blennorrhoe
(Heymann). Man hat nun versucht, diese Befunde dadurch zu erklären,
daß es sich bei der nicht gonorrhoischen Neugeborenenblennorrhoe um eine
trachomatöse Erkrankung der Neugeborenen handele (Wolfrum, Lindner,
Die Röntgentheragie in der Augenheilkunde. 537
die von Villard wegen ihrer vielen Einschlüsse im Protoplasma als Phago-
zyten, von Leber als Körperchenzellen bezeichnet wurden, und an denen
Fritsch) und daß in den Fällen gonorrhoischer Blennorrhoe, in denen die
Prowazek-Halberstädterschen Einschlüsse vorkämen, eine Mischinfek-
tion vorläge. Man hat weiter in konsequenter Weise gewisse nichtgonor-
rhoische Katarrhe der Urethra bei Männern und der Vagina bei Müttern
von Kindern, die an nichtgonorrhoischer Einschlußblennorrhoe der Augen
litten, mit dem Trachom identifiziert (Wolfrum, Lindner, Fritsch)
und man hat durch positive Übertragungsversuche der Zelleinschlüsse auf
Affen dieser Auffassung auch eine gewisse Stütze verliehen. Trotzdem
kann die ganze Frage doch noch nicht als vollkommen geklärt angesehen
werden.
Der Beweis, daß wir es bei den von Prowazek entdeckten Epithel-
einschlüssen wirklich mit den Erregern des Trachoms zu tun haben, steht
noch aus.
Bei diesem Stande unserer Kenntnisse vom Trachomerreger läßt sich
etwas Sicheres über die Aussichten der Röntgenbehandlung des Trachoms
noch nicht sagen. Wir können nur aus dem Umstande, daß der Erreger
mit größter Wahrscheinlichkeit kein Bakterium ist, den Schluß ziehen, dab
ein Einfluß der Röntgenstrahlen auf den Erreger möglich ist. Bakterien
werden ja nach der heute wohl allgemein geltenden Auffassung von Röntgen-
strahlen in Dosen, wie wir sie therapeutisch verwenden, überhaupt nicht
beeinflußt. Anders scheint es doch bei den Protozoen zu liegen, soweit
sich die bisherigen Versuche von Schaudinn bei Spirostomum ambiguum,
von Joseph und v. Prowazek bei Paramäzien und Daphnien und von
Löwenthal bei Trypanosomen verallgemeinern lassen. Die Frage der Be-
einflußbarkeit des Trachomerregers durch Röntgenstrahlen scheint mir von
der größten Bedeutung, denn mit dem Nachweis der Möglichkeit oder Un-
möglichkeit dieser Beeinflußbarkeit steht und fällt doch mit größter Wahr-
scheinlichkeit die Frage nach der Wirksamkeit der Röntgenstrahlen beim
Trachom.
Um in diesem Punkte klar sehen zu können, ist es in erster Linie
erforderlich, daß unsere Kenntnisse vom Trachomerreger weiter gefördert
werden. Nach den bisherigen klinischen Beobachtungen läßt sich ein
sicheres Urteil, ob wir in den Röntgenstrahlen ein Heilmittel des Trachoms
zu sehen haben, noch nicht fällen.
Es wäre aber dringend erwünscht, gerade im Hinblick auf die heu-
tige, doch in mancher Hinsicht sehr fortgeschrittene Röntgen-Technik über
diese Behandlungsmethode weitere Erfahrungen zu sammeln.
338 Stargardt,
Literatur.
Basutinski, Die Röntgentherapie bei Trachom. Russk. Wratsch 1905, S. 12.
Bettremieux, X-Strahlen in der Augenheilkunde. Societ& d’ophthalmologie de Paris,
7. Juli 1903. Ref. klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1903, Bd. 2, S. 89.
Birch-Hirschfeld, Die Wirkung der strahlenden Energie auf das Auge. Ergebnisse,
Lubarsch u. Ostertag 1910.
Cassidy-Rayne, Chronic trachoma ummable to X-rays. Journal of eye, ear and
throat diseases 1903, S. 27.
Darier, Rayons X et Radium en therapeutique oculaire. La clinique ophthalmolog.
1903, S. 298.
Fritsch, Hofstätter und Lindner, Experimentelle Studien zur Trachomfrage.
v. Gräfes Archiv f. Ophthalm. 1910, Bd. 76, H. 3.
Geyser, 18 cas de paupières granuleuses, guéris par les rayons X et les courants de
haute fréquence. Societ& d’electrotherapie d’Amerique, 1904.
Greeff, Über eigentümliche Doppelkörnchen in Trachomzellen. Deutsche med.
Wochenschr. 1907, H. 23, S. 913.
Green, Treatment of certain external diseases by X-Rays. Interstate Medical Journal
Juni 1904. Ref. Zeitschr. f. Augenh., Bd. 15, S. 359, H. 5.
Goldzieher, Über die Einwirkung der Röntgenstrahlen auf die trachomatöse In-
filtration. Wien. med. Wochenschr. 1904, Nr. 19.
Halberstädter und v. Prowazek, Über Zelleinschlüsse parasitärer Natur beim
Trachom. Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamt 1907, Bd. 26, H. 1.
Harman, Elektrische Behandlung des Trachoms. British Medical Association, 24.
bis 28. Juli 1905. Ref. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1906, S. 79.
Heinecke, Über die Einwirkung der Röntgenstrahlen auf innere Organe. Münch.
med. Wochenschr. 1904, S. 785.
Hertel, Die nicht medikamentöse Therapie der Augenkrankheiten. Gräfe-Sämisch,
Handbuch 1909.
Heß und Römer, Übertragungsversuche von Trachom auf Affen. Archiv für Augen-
heilkunde 1906, Bd. 55, S. 1.
Heymann, Über die Fundorte der Prowaeckschen Körperchen. Berl. klin. Wochenschr.
1910, Nr. 15.
Hornicker und Romanin, Über einen Hilfsapparat zur Behandlung des Trachoms
mit Röntgenstrahlen. Zeitschr. f. Augenheilk. 1905, Bd. 14, S. 569.
Ishikawa, Über die trachomatöse Veränderung der Scleralbindehaut. v. Gräfes
Arch. f. Ophthalm. 1911, Bd. 79, H. 1.
Joseph und Prowazek. Zeitschr. f. allgem. Physiologie 1902.
Junius, Die pathologische Anatomie der Conjunctivitis granulosa nach neuen Unter-
suchungen. Zeitschr. f. Augenheilk. 1902, Bd. 8, S. 77.
Kuhnt cf. Pfeiffer und Kuhnt, Femer cit. bei Stargardt 1, S. 258.
Lindner, Zur Ätiologie der gonokokkenfreien Urethritis. Wien. klin. Wochenschr.
1910, Ar. 8.
Löwenthal, Therapie der Gegenwart 1907.
Mayou, The treatment of trachoma by X-rays. Ophthalm. Review 1903, S. 147 und
The Ophthalmoskope, Nov. 1903.
Newcomet, The therapeutic application of the X-rays in six cases of the eve. Annals
of ophthalm, Oktober 1906, S. 518.
Die Röntgentherapie in der Augenheilkunde. 539
Oram-Ring, Therapeutische Verwendung der X-Strahlen in der Ophthalmologie.
American Medical Association 1906. Ref. klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1906,
S. 311.
Pardo, Dell’ azione dei Raggi di Röntgen sopra alcune affezioni oculari. Archivio
di Ottalm. 1904, Bd. 12, S. 288.
Pfeiffer und Kuhnt, Eine kurze Notiz zur Bakteriologie des Trachoms. Zeitschr.
f. Augenheilk. 1905, Bd. 13, S. 321.
Prokopenko, Zur Frage über die Behandlung des Trachoms mit Radiumstrahlen.
Westnik Ophthalm. 1910, Nr. 5. Ref. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1910
S. 706.
v.Prowazek, Die Chlamydozeen als intracelluläre „symbiotische‘‘ Krankbheitserreger.
Ergebnisse der wissenschaftlichen Medizin. Leipzig 1910.
Rählmann, Über Trachom. Deutschmanns Beiträge zur Augenheilkunde 1905,
H. 62.
Schaudinn, Arch. f. die gesamte Physiologie 1899, Bd. 77.
Stargardt, Über die Wirkung der Röntgenstrahlen auf den Trachomfollikel Zeitschr.
t. Augerheilk. 1905, Pd. 14, H. 3 u. 4, 1905.
Derselbe, Über Epithelzellveränderungen beim Trachom und anderen Konjunktival-
erkrankungen. v. Gräfes Archiv f. Ophthalm. 1908, Bd. 69, H. 3.
Derselbe, Die Röntgenbehandlung der Lidepitheliome. Strahlentherapie 1912,
H. 1, S. 157.
Stephenson und Walsh, On the curative treatment of trachoma by the X-ray tube
exposure. Medical Press and circular, Febr. 1903.
Derselbe, Short note on the oure of trachoma by the X-ray tube exposure and by
high frequency brush discharges. Lancet, Jan. 1903.
Valenti, Röntgenstrahlen bei trachomatösem Pannus. 18. Vers. der Italien. Ophthalm.
Ges. Rom. Ref. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1906, Bd. 45, S. 401.
Aus dem Institut für Strahlenbehandlung der Kgl. Dermatol. Klinik in Kiel
(Direktor: Prof. Klingmüller).
Über die Anwendung von Strahlenfiltern in der
Tiefentherapie.
Von
G. Schatz.
D“ Entwicklung der modernen Tiefentherapie mit Röntgenstrahlen wäre
nicht möglich gewesen ohne die Anwendung der sog. Strahlenfilter.
Während man für Oberflächentherapie mit der Strahlung, so wie sie die
Röntgenröhre verließ, gute Erfolge erzielte und nur Sorge tragen multe.
bei der Behandlung mancher Affektionen, wie z. B. Psoriasis, die Strahlen
ziemlich hart zu wählen, zeigten sich große Schwierigkeiten, wenn man ver-
suchte, tiefer gelegene Organe, z. B. maligne Tumoren oder Ovarien wirk-
sam zu bestrahlen. Entweder man erreichte eine Tiefenwirkung und
schädigte dabei die Haut, oder man verletzte die Haut nicht, bekam aber
auch keine therapeutisch wirksame Strahlenmenge in die Tiefe. Die Ur-
sachen hierfür sind ja bekannt. Zunächst nimmt die Intensität der
Röntgenstrahlen, wie die der Lichtstrahlen, durch Dispersion mit dem
Quadrate der Entfernung ab. Da nun die tieferen Organe stets von dem
Fokus der Röhre weiter entfernt liegen als die Haut, so muĝ notwendig
schon durch Dispersion die Tiefendosis kleiner sein als die Hautdosis, und
zwar wird diese Differenz um so größer, je geringer die Fokushautdistanz
ist. Ist die Fokushautdistanz groß, so kommt dagegen die Tiefenlage des
zu bestrahlenden Organes unter der Haut wenig in Betracht, der Disper-
sionsverlust an Strahlungsintensität von der Haut zur Tiefe ist, prozentual
berechnet, gering. Dafür ist aber der Dispersionsverlust auf der Strecke
Fokus — Haut sehr groß, und der Betrieb wird unökonomisch. Es gilt also,
ein Kompromiß zu schließen zwischen Ökonomie und Zeitaufwand auf der
einen Seite und möglichst günstiger Tiefenverteilung des Lichtes auf der
anderen Seite. Es wurde von Hans Meyer in der „Strahlentherapie“
schon ausgeführt, daß diese Erwägungen uns veranlaßt haben, bei Tiefen-
bestrahlungen den Fokushautabstand auf 20 cm festzusetzen.
Eine weitere Ursache für die oben erwähnten Schwierigkeiten liest in
der Absorption der Strahlen. Da die obersten Gewebeschichten den
größten Teil der Strahlung absorbieren, so muß also auch aus diesem
Grunde viel weniger Röntgenlicht in die Tiefe gelangen als auf die Haut.
Schatz, Über die Anwendung von Strahlenfiltern in der Tiefentherapie. 541
Dazu kommt aber noch, daß das Röntgenlicht, so wie es die Röhre ver-
läßt, nun durchaus nicht hinsichtlich seiner Durchdringungsfähigkeit
homogen ist, sondern es ist ein Strahlengemisch, das harte und
weiche Strahlen neben einander enthält. Der weiche, wenig penetrante
Teil der Strahlung wird natürlich verhältnismäßig stark von der Haut ab-
sorbiert und wird hier eine starke Wirkung ausüben, da jede Wirksamkeit
der Röntgenstrahlen mit der Absorption ın dem durchstrahlten Körper
wächst. In die Tiefe gelangt aber nur der härtere Teil der Strahlung,
und vermag hier eben seiner geringen Absorption wegen nur eine relativ
geringe Wirkung auszuüben.
Aus diesen Gründen war es zunächst also unmöglich, ohne Schädigung
der Haut größere Röntgenlichtmengen in die Tiefe zu bringen, und es
bedurfte besonderer Hilfsmittel der Bestrahlungstechnik, um ohne Schädigung
der Haut eine genügende Tiefenwirkung zu erzielen. Eines dieser Hilfs-
mittel ist die Filtrierung. Die Beobachtung lehrt nämlich, daß man
wesentlich größere Strahlenmengen der Haut zumuten kann, wenn man
zwischen Röhre und Körper ein Aluminiumblech oder ein anderes geeig-
netes Strahlenfilter bringt.
Die Wirkung der Strahlenfilter beruht im wesentlichen auf der Er-
scheinung, daß die meisten als Filter verwendeten Materialien die Eigen-
schaft haben, die weichen Strahlen des von der Röhre ausgesandten
Strahlengemisches stärker zu absorbieren als die harten, sodaß die passierende
Strahlung durchschnittlich härter und dabei homogener ist als die ursprüng-
liche. Je mehr aber die weiche Strahlung aus dem Strahlengemisch ent-
fernt, also „filtriert“ wird, und je mehr die harte Strahlung in diesem
überwiegt, desto günstigere Verhältnisse werden wir für die Tiefentherapie
erzielen. Als weiteres Moment kommt hinzu, daß die primäre Strahlung
in jedem durchstrahlten Körper eine Sekundärstrahlung erzeugt, die nun
wiederum bei den meisten zur Verwendung kommenden Filtermaterialien
sehr hart ist, also die Gesamtstrahlung noch härter macht. So kommt es,
daß wir bei der Anwendung der Strahlenfilter der Haut, die sonst der
Ort der stärksten Strahlenabsorption wäre, durch Abfiltrieren der weichen.
Strahlen diese Rolle abnehmen, sie also wesentlich entlasten und anderer-
seits eine für die Tiefentherapie geeignetere, nämlich penetrationsfähige und
homogene Gesamtstrahlung schaffen.
Wie hart wir nun am besten die Strahlung bei den Tiefenbestrahlungen
wählen, das hat Christen in seinen grundlegenden Arbeiten gezeigt,
auf deren Ergebnissen wir unsere röntgentherapeutischen Methoden auf-
bauen müssen. Zur Charakterisierung einer der Einfachheit halber als
homogen angenommenen Strahlung führt Christen als absolutes Mab
den Begriff der Halbwertschicht ein, worunter er die Dicke einer Gewebe-
35*
542 Schatz,
schicht versteht, welche von einer gegebenen Strahlung gerade die Hälfte
absorbiert. Da diese Schichtdicke, die von der Intensität der Strahlung
natürlich ganz unabhängig ist, mit ihrer Härte wachsen muß, so entspricht
jeder Strahlenhärte eine bestimmte Halbwertschicht, die in Zentimetern
meßbar ist. Christen zeigte nun, daß man für die Tiefenbestrahlungen
die günstigsten Absorptionsverhältnisse bekommt, wenn man eine Strahlung
verwendet, deren Halbwertschicht gleich der Dicke der über dem zu
bestrahlenden Organ gelegenen Gewebeschichte ist. In diesem Falle wird
ein relativ großer Bruchteil der Gesamtstrahlung in der Tiefe absorbiert,
dabei verhält sich die Oberflächendosis zur Tiefendosis wie 2:1. Wählen
wir eine um ein geringes weichere Strahlung (deren Halbwertschicht
io der Tiefe des Organes ist), so erhalten wir zwar in der Tiefe noch
etwas mehr Strahlenabsorption, dafür aber auch gleich viel mehr Ober-
flächenwirkung, sodaß die Oberflächendosis sich zur Tiefendosis verhält
wie 2,7:1. Dieses Verhältnis wird bei noch weicherer Strahlung rapid
ungünstiger, da nicht nur die Oberflächendosis stark zunimmt, sondern auch
die Tiefendosis erheblich sinkt. Nehmen wir andererseits eine härtere
Strahlung als jene, deren Halbwertschicht der Tiefe des zu bestrahlenden
Organes entspricht, so nimmt zwar das Verhältnis der Oberflächen- zur
Tiefendosis noch weiter ab, was ja an sich günstig ist, aber auch die
Tiefendosis selbst sinkt ziemlich rasch, sodaß man dann auch in der Tiefe
wieder kleinere Mengen zur Absorption bringt, also unökonomisch arbeitet.
Voraussetzung für diese Berechnung ist natürlich, daß wir mit einer
möglichst homogenen Strahlung arbeiten, wie wir sie durch entsprechende
Filtrierung erlangen können.
Zweierlei ist es nun, was bei der Filterwirkung zu berücksichtigen ist,
die Wahl des Filtermaterials und die Wahl der Filterdicke.
Die Frage, welches das geeignetste Material für die Filtrierung der
Strahlen ist, ist eine der lebhaftest diskutierten Fragen der röntgenthera-
peutischen Methodik. Wie sehr die Meinungen hier auseinandergehen,
und wie wenig dieses Problem geklärt ist, geht am besten aus den Verhand-
lungen des diesjährigen Röntgenkongresses hervor.
Da das Filter der Haut die Arbeit des Abfiltrierens der weichen
Strahlen abnehmen soll, so lag der Gedanke nahe, eine Substanz zu nehmen,
die in ihrem Aufbau der menschlichen Haut möglichst ähnlich ist. Eine
solche Substanz haben wir in dem Leder, das von zahlreichen Autoren
(Albers-Schönberg, Walter, Wetterer, Holzknecht, Kienböck,
Morton, Pfahler, Schamberg u. a.) empfohlen wurde. Albers-Schön-
berg empfielt Ziegenleder in 4—6 mm dicker Schicht für gynäkologische
Bestrahlungen, Wetterer weiches Rehleder in 4-Ö5facher Schicht.
Walter kam auf Grund seiner Versuche zu der Annalıme, daß die Röntgen-
Über die Anwendung von Strahlenfiltern in der Tiefentherapie. 543
strahlung bei der Durchstrahlung eines Körpers derartig verändert wird,
daß sie ganz allgemein für jeden beliebigen Körper ein größeres Durch-
dringungsvermögen, in ganz hervorragendem Maße aber ein solches für Atome
derselben Art erhält. Hiernach muß das Leder besonders geeignet sein,
da es der Haut ähnlich ist und also die Strahlen für eine leichte Passage
durch die Haut vorbereitet. Belot dagegen ist der Ansicht, daß Leder
nicht als Filter geeignet sei, da es einen großen Bruchteil der Strahlung
absorbiere, ohne sie merklich zu härten. Kienböck wiederum nimmt für
Tiefenbestrahlungen ein 1 cm dickes Sohlenleder.
Das Filtermaterial, das neben dem Leder am meisten empfohlen und
angewandt wird, so von Belot, Bordier, Walter, Meyer u. a., ist das
Aluminium. Bordier z. B. hält es für das geeignetste Material, weil es
ein Maximum an penetranten Strahlen durchlasse. Auch Walter empfiehlt
es neuerdings vor allen Filtern wegen seiner günstigen physikalischen Eigen-
schaften, vor allem gegenüber Silber und Stanniol. Wir verwenden es je
nach der Tiefenlage des zu bestrahlenden Organs und je nach dem Grade
der Strahlenhärtung, die erzielt werden soll, in 0,5—-4mm Dicke, Belot
in 0,5-5mm Dicke, Bordier in 0,5, 1 und 1,5mm Dicke.
Ein weiteres, sehr wichtiges Filtermaterial ist das Glas. Es wird
besonders von Guilleminot, Holzknecht, Heinemann, Dessauer,
Wetterer u. a. empfohlen. Albers-Schönberg hat Glas nicht verwandt,
da sich dabei die Bestrahlungsdauer zu sehr in die Länge zog. Das Glas
ist bis zu ähnlichen Schichtdicken wie das Aluminium in Anwendung ge-
bracht. Auch Bleiglas ist versucht, hat aber, wie Dorn hervorhebt, den
Nachteil, durch sehr starke Absorption die Bestrahlungsdauer außerordent-
lich zu verlängern.
Als weiteres Filtermaterial ist das namentlich von v. Jaksch empfohlene
Silber zu nennen. v. Jaksch verwendet es in einer Dicke von 0,01 mm
und 0,02mm und gibt an, daß hierdurch Schädigungen bei Dauerbestralh-
lungen ganz vermieden werden, sodaß die Anwendung von Dosierungs-
apparaten unnötig sei. Auch Dessauer hat auf dem Röntgenkongreß sich
für dieses Filter ausgesprochen.
Schließlich ist noch das Stanniol in mehrfacher Schicht als Filter-
material angewandt worden, besonders auch in Verbindung mit Leder
(von Albers-Schönberg u. a.). Neuerdings scheint man mehr davon
abgekommen zu sein. Man sieht, daß die Meinungen, welches das beste
Filtermaterial für die Tiefenbestrahlungen sei, und in welcher Schicht-
dicke man es anwenden solle, durchaus geteilt sind. Es wurde daher
in der vorliegenden Arbeit der Versuch gemacht, durch Prüfung ver-
schiedener Filternarten und Filterdicken einige Anhaltspunkte zu ge-
544 Schatz,
winnen, nach denen ein Vergleich zwischen ihrer Brauchbarkeit gezogen
werden kann.!)
Um die genannten Vergleiche auszuführen, mußte natürlich zunächst die
Härte der primären und der gefilterten Strahlung möglichst genau bestimmt
werden. Um solche Härtemessungen auszuführen, stehen uns ja heute eine
ganze Reihe sehr brauchbarer Methoden zur Verfügung. Wir wählten zu-
nächst das Instrument nach Benoist-Walter, das schon seit Jahren
an unserem Institut wegen der Leichtigkeit, mit der die Ablesung möglich
ist, und wegen der gleichmäßigen Zuverlässigkeit seiner Angaben stets
unschätzbare Dienste geleistet hat, ferner den absoluten Härtemesser von
Christen und schließlich das Sklerometer von Klingelfuß. Einige
Bemerkungen über dieses letztere Instrument seien hier eingefügt.
Klingelfuß ging ja bei der Konstruktion seines Sklerometers von
besonderen Grundlagen und Experimenten aus. Er konnte zeigen, dab
das, was wir an den Enden der Spule als Funkenpotential messen können,
in der Hauptsache durch die unkontrollierbare Spannung der Ober-
schwingungen beeinflußt wird, welche die Jonisierungsarbeit in der Röhre
vollziehen, nach der dann mit wesentlich geringerer Spannung die elektrische
Entladung stattfindet, die allein für die Erzeugung von Kathoden- und
Röntgenstrahlen in Betracht kommt. Die Oberschwingungen treten nur
an den Spulenenden auf, da sie sich wegen der hohen Selbstinduktion nicht
nach der Spulenmitte fortpflanzen können. Wenn man nun an eine Anzahl
von Windungen in der Spulenmitte, deren Zahl zu der Gesamtzahl der
sekundären Windungen in einem bestimmten Verhältnis steht, einen Spannungs-
messer anschließt, so kann man aus seinen Ausschlägen direkt die Spannung
im sekundären Stromkreis mit Ausschluß der Oberschwingungen ermitteln.
Da nun aber von dieser Spannung das Kathodenstrahlengefälle und damit
die Qualität der emittierten Röntgenstrahlung abhängt, so war es Klingel-
fuß als erstem gelungen, auf indirektem Wege, mit Hilfe eines Spannungs-
messers die Röntgenstrahlenhärte exakt und physikalisch richtig zu messen.
Es schien zunächst einmal von Wichtigkeit, die Angaben des Sklero-
meters mit den beiden Instrumenten nach Christen und Benoist-Walter
auf Grund direkter Messungen zu vergleichen.
Es wurde bei diesen, wie bei allen späteren Versuchen im verdunkelten
Zimmer gearbeitet und die Versuchsanordnung so getroffen, daß der Ablesende
gegen Strahlen durch eine Bleiwand absolut geschützt war, also in voller Ruhe
sorgfältig ablesen konnte. Alle Ablesungen wurden wiederholt ausgeführt und
meistens von einem zweiten Beobachter nachgeprüft.
Folgende Werte entsprechen einander.
1) Die Arbeit wurde in der Königlichen Dermatologischen Klinik in Kiel aus-
geführt. Für die liebenswürdige Unterstützung, die er mir dabei zu Teil werden
ließ, möchte ich Herrn Dr. Hans Meyer auch an dieser Stelle danken.
Über die Anwendung von Strahlenfiltern in der Tiefentherapie. 545
Tabelle 1.
Sklerometer | Halbwertschicht | Benoist-Walter
40 0,6—0,7
3 =
45 0,7—0,8 3+
50 0,8 31),
55 0,8 4
60 0,9 4,
65 1 4",
70 1 5
75 1 5
80 it 5
85 12 5
90 1,2 5+
95 1,2 | 5
100 1,2 | 51,
105 1,2 5’,
110 1,2 4- 53,
115 1,2—1,4 6 —
120 1,4 b=
125 1,4 6
130 1,4—1,6 6
135 14-16 6
14-16 6
140 |
o
Die sekundäre Stromstärke war entsprechend den Vorschriften von
Klingelfuß, gemessen am Milliamperemeter, stets zwischen 0,5 und 3 M.A.,
meist 1 M.A. Wenn man die vorliegende Tabelle übersieht, leuchtet ohne
weiteres der große Vorteil des Klingelfußschen Sklerometers ein, der
darin besteht, dal seine Schwankungen mit wechselnder Röhrenhärte viel
ausgiebiger sind und eine viel genauere Bestimmung erlauben, als die
wenigen Stufen der übrigen Instrumente. So z. B. entsprechen die Sklero-
meterablesungen S5—110. also 35 Teilstrische, nur einer einzigen Stufe
am absoluten Härtemesser, und ähnlich liegen die Verhältnisse beim In-
strument von Benoist-Walter. Dazu kommt als weiterer Vorteil, daß
man mittels des Sklerometers eine dauernde zuverlässige Kontrolle der
Strahlenhärte wihrend des Betriebes ausüben kann, was ja bei den anderen
Instrumenten nicht möglich ist, und daß das Sklerometer ein Zeiger
instrument ist, dessen Angaben keinen subjektiven Irrtümern unterliegen,
die bei den Vergleichsskalen natürlich nicht in dem Maße ausgeschaltet
werden können.
Wollen wir nun aber die Röntgenstralllenhärte bestimmen, nachdem
sie ein Filter passiert hat, so ist hierzu natürlich das Sklerometer ohne
weiteres nicht brauchbar. Hier sind dann die Instrumente, welche direkt
an der Strahlung selbst ihre Härte messen, unentbehrlich; vor allem wurde
der absolute Härtemesser nach Christen genommen, da seine Angaben
546 Schatz,
auch für höhere Härtegrade der filtrierten Strahlung ausreichen, wo die
Benoist-Walter-Skala schon zu Ende ist.
Um nun die Wirkung von Aluminium, Glas, Leder und Silber als
Filtermaterial zu vergleichen, war es zunächst nötig, in verschiedenen Ver-
suchsreihen die Härte der filtrierten Röntgenstrahlung bei gleichbleibender
sekundärer Stromstärke und Stromspannung mit dem absoluten Härtemesser
zu bestimmen und zu vergleichen. Die sekundäre Stromspannung wurde
an einem Klingelfuß schen Instrumentarium mit dem Sklerometer bestimmt.
Die Röntgenröhre wurde in den Versuchen mit einer Spannung Sklero-
meter 125— 130 betrieben (gemessen = 6 BW) und mit einer Strom-
stärke von 0,8 M.A. Dabei zeigte die Strahlung ohne Filter die Halb-
wertschicht 1,4—1,6.
Die Messung ergab fulgendes für Aluminiumfilter:
Für Glasfilter ergaben sich
folgende Werte:
Tabelle 2. Tabelle 3.
Filter | Halbwertschicht Filter Halbwertschicht
0,5 mm Aluminium | 1,8 0,75 mm Glas | 1,8
il „ š | 2 15 , | 2,0
2 y i | 2,25 E 5 2,0 -2,25
3 =; a 2,25—2,5 3 i s 2.25
4, 2.5 a 2,25
5 s 3 2,5 5 a = 2.25—2.5
6 „ n 2.5 6 39 39 2,5
l. h i 25 + 7 J „ 25
8 5 a 2,5—3 8 s = 2,5
10 „ j 2,5
30 un 2,5
Bei Zwischenschaltung von Rindslederfiltern (spez. Gewicht des Leders
war 1,02) wurden folgende Halbwertschichten abgelesen:
Tabelle 4. Aus diesen Tabellen ist zunächst
Zu ersichtlich, daß bei Filtrierung der
Filter | Halbwertschicht Strahlen mit Aluminium, Glas und
=—— on Leder die Halbwertschicht ziemlich
. mm Leder >” gleichmäßig so ansteigt, daß für jede
20 n a o 20 Halbwertschicht das Verhältnis der
o AE | ne Filterdicke bei den einzelnen Mate-
50, no 25 — rialien annähernd das gleiche ist. Wir
ee eo SE härten z. B. die Strahlung mit 0,5 mm
Aluminium auf 1,8. Dem entspricht 0,75 mm Glas. Nehmen wir die
doppelten Werte, so erhalten wir die gleichen Halbwertschichten: 2, bei
Vervierfachung der Schichtdicken: 2.25 usw. Dasselbe ist der Fall bei
Über die Anwendung von Strahlenfiltern in der Tiefentherapie. 547
Vergleich von Lederfiltern und Aluminiumfiltern. Auch hier bekommen
wir bei Verdoppelung die Halbwertschicht 2, bei Vervierfachung 2,25.
Ferner zeigt sich, daß, wenn man bei der gegebenen harten Strahlung
die Halbwertschicht 2,5 erreicht hat, ein weiteres Vorschalten von Filtern
keinen Zweck hat, weil erst bei sehr starken Filterschichten die Halb-
wertschicht etwas weiter ansteigt. Bei den von uns betriebenen Röhren
konnte aber in keinem einzigen Falle die Halbwertschicht 3 erreicht
werden (bei den Glasfiltern wurde sogar durch Filtrierung mit 3cm dickem
Glas die Halbwertschicht 2,5 nicht überschritten).
Der Grund für diese Erscheinung liegt wohl darin, daß härtere Strahlen
als mit der Halbwertschicht 2,5 in größeren Umfange in der Röhre nicht
erzeugt wurden, es ist also klar, daß von dem Augenblick an, wo durch
Vorschaltung von dicken Filtern das Strahlungsgemisch durch Absorption
aller weicheren Strahlen praktisch homogen geworden ist, weiteres Vor-
schalten von Filtern keinen härtenden Einfluß mehr haben kann.
Unter diesem Gesichtspunkt war es von Interesse, die Filterwirkung
an einem Strahlengemisch zu studieren, das durch eine sekundäre Strom-
stärke von 10 M.A. an einem Hochspannungsgleichrichter ausgelöst wurde,
da anzunehmen war, daß dieses Gemisch einen größeren Gehalt an pene-
trationskräftigen Strahlen hat, und ferner schien es uns von Bedeutung,
auch die Filterwirkung bei geringerem Härtegrad der primären Strahlung
zu verfolgen, um die für die Praxis günstigsten Verhältnisse zu ermitteln.
Was zunächst den letzten Punkt anlangt, so verglichen wir die
Filterwirkung bei primären Strahlenqualitäten vom Sklerometergrad 50.
90, 115 und 130, wobei die Härte der filtrierten Strahlung sowohl mit
dem Benoist-Walter wie mit dem Christenschen Instrument bestimmt
wurde. Das Ergebnis lehrt die Tabelle 5:
Tabelle 5.
Sklerometer 50 | 90 | 115 | 130
85.52 5, ne s5 {selsi 522
i 52:38 |S2+ 89a |32% a7 less 82
ohne Filter 35 333 =, 337 380 22% 5° 125.
& = 8 s s = S te = he =
aa Te
l mm Aluminium 4 | 1.2 6 | 1,8 6 | 1,8— 23,0 6 | 20
2 „ E Aih | 14 | 64 120 6+ 2,0 6+ |225
3 y n 5 i l4 6+ 12,0 6+ 120-235| 6+ 22-25
4, ý B'h o 16 | 6+ 20-25] 6+ 2,2 64+ 25
8, 6 + | = 6+ 2038| 6+ 25 6+ |25-3
| |
12mm Glas |4 |12 |6 jais | — 18—20| — | 20
15mm Leder 4 12 |6 )18 — 18-20) — | 20
3imm „ , | 1a | 6+ | 20 | =- Zoi — | 2,25
548 Schatz,
Aus diesen Beobachtungen geht wohl mit Sicherheit hervor, daß die
primäre Strahlenhärte von großer Bedeutung ist. Bei einer Strahlenhärte
von Sklerometer 50 = Benoist-Walter 3!/, erhalten wir z. B. durch
eine Filtrierung mit 4 mm Aluminiumfiltern eine Strahlung vom Typus
HW 1,6, bei Sklerometer 90 etwas über 2,0, bei Sklerometer 115 wird
die Strahlung gehärtet auf 2,25 und erst bei Sklerometer 130 = BW 6
haben wir eine Strahlung mit der Halbwertschicht 2,5. Da also bei
weicherer primärer Strahlung auch durch starke Filtrierung kein hoher
Härtegrad der filtrierten Strahlung zu erreichen ist, so ist es natürlich am
rationellsten, bei den Filterbestrahlungen die Röhren möglichst hart zu
betreiben, und zwar nicht unter Halbwertschicht 1,5. Die Wahl einer
geringeren primären Strahlenhärte hat zur Folge, daß man, um auf dieselbe
Strahlenhärte zu kommen, eine größere Filterstärke anwenden muß, als bei
höherem primären Härtegrad, wobei der große Nachteil entsteht, daß
dadurch ein viel größerer Bruchteil der Gesamtstrahlung in den dickeren
Filtern absorbiert sind, der Betrieb sich also unökonomisch und unrationell
gestalten muß.
Weiter schien es von Interesse, das Verhältnis der primären Strahlen-
härte zur Härte der filtrierten Strahlung bei einer mit hoher sekundärer
Stromstärke (10 M.A.) betriebenen Röntgenröhre zu messen.
Tabelle 6. Wie zu erwarten, war hier die
Wa esse. primäre Strahlenhärte wesentlich
Filter Halbwertschicht größer als bei den mit geringerer
ne ee Belastung betriebenen Röhren und
0,5 mm Aluminium | 20 + dementsprechend konnten hier schon
r? i 3 5 mit geringeren Filterdicken die
a 5 | 25 gleichen Halbwertschichten erreicht
ea ” IT werden, wie sonst mit stärkeren
Filtern. so wurde z. B. die Halbwertschicht 2,5 mit 3mm Aluminiunfiltern
erzielt, die man mit schwächerer Belastung erst mit 4 mm Aluminiumfiltern
erreicht.
Es steht also außer allem Zweifel, daß bei den hohen Belastungen
für die Filtrierung der Strahlen und damit für die Tiefentherapie günstigere
Verhältnisse geschaffen werden, da eben in diesen Fällen das primäre
Strahlengemisch einen größeren Gehalt an penetrationsfähigen Strahlen
aufweist. Der Unterschied ist allerdings, wie aus diesen Messungen her-
vorgeht, nicht sehr bedeutend.
Wie schon oben erwähnt, ist die Filtrierung der Strahlen an eine
Grenze geknüpft. Diese liegt bei den von uns geprüften Strahlengemischen
beim Aluminium bei einer Filterdicke von 4 mm, beim Glas bei einer
Über die Anwendung von Strahlenfiltern in der Tiefentherapie. 549
sulchen von 5 mm, beim Leder bei einer Dicke von 5 cm; ein Vorschalten
von noch dickeren Filtern ist zwecklos. Es verbietet sich aber auch wegen
der allzugroßen Abschwächung der Strahlungsintensität. Walter hat fest-
gestellt, daß durch ein 5 mm starkes Aluminiumfilter bei einer Röhren-
härte von 6—7 W die Intensität der Strahlung auf 12°/, ihres ursprüng-
lichen Wertes sinkt. Die Abschwächung der Strahlungsintensität zeigt
sich in der Praxis in der Verlängerung der Expositionszeit, die bis zur
Erreichung einer Sabourauddosis vergeht. So bekommt man z. B. in
einem Versuche bei völlig gleichmäßigem Betriebe einer Röhre vom Typus
BW 6, also bei völlig gleichbleibender sekundärer Spannung und Stromstärke,
nach Vorschaltung verschieden dicker Aluminiumfilter folgende Zeiten, die
in Tabelle 7 niedergelegt sind:
Tabelle 7. Aus diesem Versuche ergibt
ne a en sich, daß wir bei Vorschaltung von
Ba rn Filterdicke 4 mm Aluminium 4!/, mal so viel
ee De Zeit aufwenden müssen, um den
A | eisen Sabouraudeffekt zu bekommen.
10 EE ,„ i Von besonderem Interesse war nun,
13 o . Doei |
16 | 3 7 f daß in einem ähnlich angestellten
20 to. » Versuch mit hoher Belastung
(10 M.A.) die Expositionszeiten ohne Filter und nach Einschaltung eines
4 mm Aluminiumfilters in demselben Verhiiltnis zu einander standen.
Es scheint also, als wenn wir in beiden Fällen einen gleich großen Anteil
aus dem Gesamtstrahlengemisch herausschneiden, nämlich nicht ganz ®};:
in dieser Beziehung bietet die Erhöhung der Belastung keine Vorteile.
Von großem praktischen Interesse war nun die Frage, welche Filter-
dicken bei den einzelnen Materialien sich genau entsprechen. sich äquivalent
sind. Dafür hatten uns schon die Bestimmungen der Halbwertschichten
der filtrierten Strahlen einen Anhaltspunkt gegeben, es schien uns aber
zweckmäßig. darüber noch genauere Untersuchungen anzustellen. Zu
diesem Zwecke wurden zunächst eine gröbere Anzahl Röntgenaufnahmen
gemacht. indem rechteckige Stücke dieser Filter in verschiedener Dicke
nebeneinander auf die photographische Platte gelest und mit einer Röhre
vom Typus BW 6 bestrahlt wurden. Es wurden dann die Dicken des
Glases und des Leders solange varıiert. dab sie, verglichen mit i mm
Aluminium, genau gleiche Schwinzung der Platte darunter ergaben. Da
hierbei die primäre Strahlung für dieselbe Platte stets identisch war, so
mußte höchstwahrscheinlich die Zusammensetzung der Strahlung, welche
die Filter passiert hatte, ebenfalls gleich sein. Die äquivalenten
Werte, die sich so ergaben, waren 1 mm Aluminium,
550 Schatz,
12mm Glas und 13mm Rindleder. Um weiter zu prüfen, ob
gleicher chemischer Oberflächenwirkung auch gleiche Tiefenwirkung ent-
‘ sprach, wurden eine weitere Serie von Röntgenaufnahmen gemacht, nach-
dem zwischen Filter und photographische Platte ca. 3 cm dicke Stücka
Bakelit gelegt wurden. Dieser Stoff, der ja in dem Christen schen
Halbwertschichtinstrument Verwendung gefunden hat, hat gleiche Ab-
sorptionskraft wie destilliertes Wasser und also auch wie tierisches Ge-
webe. Es ergab sich, dal die filtrierte Strahlung auch nach Passieren
der Bakelitschicht in allen drei Fällen wieder genau denselben photo-
graphischen Effekt hervorrief.
Weitere Versuche über die chemische Wirksamkeit der so filtrierten
Strahlen wurden mit Sabouraud-Tabletten angestellt. 3 solcher Tabletten
wurden dicht neben einander liegend, jede mit einem der Filter bedeckt,
der Strahlung einer Röhre vom Typus BW 6 ausgesetzt. Das Resultat,
in mehreren Versuchen kontrolliert, war, daß unter allen 3 Filtern die
Sabourauddosis in genau gleicher Zeit erreicht wurde.
Die Wirkung der Strahlung, welche ein 1 mm dickes Aluminiumfilter
oder ein 1,2 mm dickes Glasfilter oder ein 13 mm dickes Rindsleder passiert
hatte, war also bezüglich der chemischen Wirkungen auf die photographi-
sche Platte und auf die Sabouraud-Pastille, sowie gemessen an den Härte-
messern von Christen und Benoist-Walter identisch. Es sollte nun
festgestellt werden, ob diese Strahlungen auch biologisch identisch waren.
Zu diesem Zwecke wurden Untersuchungen an keimenden Erbsen und an
der Haut angestellt.
Meyer und Ritter hatten gefunden, daß der wachstumshemmende
Einfluß der Strahlen auf Erbsenkeimlinge mit der applizierten Dosis ziem-
lich genau parallel geht. In meinen Versuchen wurde nun so verfahren,
daß je 2 Kästchen mit Erbsenkeimlingen immer gleichzeitig bestrahlt
wurden, wobei die Röhre so aufgestellt wurde, daß beide Kästchen gleich
viel Strahlen erhielten. Das eine Kästchen wurde jeweils mit 1 mm
Aluminiumfilter bedeckt, das andere abwechselnd in dem ersten Versuch
mit 13mm Leder, in dem zweiten mit 1,2 mm Glas. So ergab sich für
Leder und Glas immer je eine Anzahl mit genau gleicher Flächenenergie
bestrallter Erbsen zum Vergleich. Nach der Bestrahlung wurden dann
die beiden zu vergleichenden Erbsenserien mit den unbestrahlten Kontrollen
immer in dasselbe Beet gepflanzt (nur die in dasselbe Beet gepflanzten
Keimlinge lassen sich vergleichen).
In genau derselben Weise wurden nun auch Tiefenbestrahlungen aus-
geführt, indem wieder zwischen Filter und Erbsen Bakelitstücke von
ca 8cm Dicke dazwischen geschaltet wurden.
Die Resultate der Versuche mit den Erbsenkeimlingen waren folgende:
Über die Anwendung von Strahlenfiltern in der Tiefentherapie. 551
Die mit Leder, Glas und Aluminiumfiltern bestrahlten Erbsen zeigten
durchaus gleichmäßige Wachstumshemmung, was aus folgenden Tabellen
hervorgeht.
Tabelle 8.
Grad der Wachstumshemmung der bestrahlten Keimlinge
gegenüber Kontrollpflanzen.
Beet I. Beet IlI.
Erbsen, bestrahlt unter Erbsen, bestrahlt unter
_Lederfilter | Aluminiumfilter Glasfilter | Aluminiumülter
Nach 9 Tagen 31 n 27°), 230. 180,
Nach 17 Tagen 23 °/ 24°/, 220r 22%,
Keimlinge unter 3 cm Bakelit bestrahlt.
Beet III. Beet IV.
Erbsen, bestrahlt unter Erbsen, bestrahlt unter
Lederfilter | Aluminiumfilter Glastilter Aluminiumfilter
Nach 8 Tagen 3801, 40%, 40%, 43°),
Nach 16 Tagen 41° 47°, 01°), 51V,
Die in diesen beiden Tabellen angegebenen Werte zeigen eine sehr
gute Übereinstimmung zwischen der Wirkung der Leder- und Glasfiltrierung
einerseits und dem immer zum Vergleich dienenden Aluminium anderer-
seits. Geringe Differenzen, bis höchstens 6°/,, die aber, wie man sieht,
nicht gesetzmäßig auftreten, sind durch die beschränkte Genauigkeit der
Längenbestimmung so junger Pflänzchen zur Genüge erklärt. Es kann
also aus den Versuchen geschlossen werden, daß die an Erbsenkeimlingen
gemessene biologische Oberflächen- und Tiefenwirkung gleicher Röntgen-
strahlung, filtriert durch 13mm Leder, 1,2 mm Glas und 1mm Aluminium
bei Wahl einer Strahlenqualität, wie wir sie für Tiefenbestrahlungen
brauchen: BW6 identisch ist.
Während sich nun eine gleiche Tiefenwirkung ebenso verschieden
filtrierter Strahlen beim Menschen nicht ohne weiteres nachweisen läßt, ist
natürlich die Oberflächenwirkung der verschieden gefilterten Strahlung
an der Menschenhaut leicht zu vergleichen.
Diese Vergleiche waren um so mehr notwendig, als ja gerade im Hin-
blick auf die Walterschen Untersuchungen die Möglichkeit vorlag, daß
eine Superiorität des Lederfilters, als eines der menschlichen Haut gleich-
artigen Materials, gegenüber den anderen Filtermaterialen bestand.
Die Bestrahlungen wurden meist in der Weise ausgeführt, daß 3 kleine
um einen Mittelpunkt angeordnete und durch Bleistreifen getrennte Haut-
552 Schatz,
quadranten mit je einem der Filter bedeckt wurden, wobei wiederum die
Röntgenröhre so aufgestellt wurde, daß alle 3 Quadranten gleichmäßig
bestrahlt wurden mit Dosen, die zu leichten Erythemen führten. Das Er-
gebnis war, daß sowohl die Primär- wie auch die Sekundärerytheme sich
bei denselben Patienten völlig gleich verhielten (bei zweien dieser Patienten
waren vielleicht die unter Leder bestrahlten Stellen um ein geringes
stärker gerötet als die anderen). Ein Unterschied in der Wirkung auf
die Haut war bei den verwendeten Filtermaterialien nicht zu verzeichnen,
was ja nach dem Ausfall der Bestrahlungsversuche mit Erbsenkeimlingen
auch zu erwarten war. Speziell das Ledertilter erwies sich in diesen Ver-
suchen als nicht überlegen.
In den bisher geschilderten Untersuchungen war Leder, Glas und
Aluminium als Filtermaterial geprüft worden. Es war natürlich nun auch
von Wichtigkeit, das Silber als Filtermaterial zu erproben, namentlich nach-
dem dasselbe in letzter Zeit wiederholt warm empfohlen worden ist. Die
physikalischen Eigenschaften des Silbers lassen ja von vornherein schon
einige Zweifel an seiner Zweckmäßigkeit als Filtermaterial aufkommen,
wie Ja auch von Walter hervorgehoben wurde.
Wenn man sich daran erinnert, dal die Absorption der Röntgen-
strahlen in einem Körper zunimmt mit seinem Atomgewicht und mit der
Dichte der Lagerung der Atome im Raume, wovon sein spezifisches Ge-
wicht abhängt, und wenn man ferner bedenkt, daß die Härte der Sekundär-
strahlen mit steigendem Atomgewicht abnimmt, so ist es wohl einleuchtend,
daß Leder, Glas und Aluminium von diesem physikalischen Gesichtspunkte
aus betrachtet, geeignete Materialien sind. Sie schwächen bei der Fil-
trierung die Gesamtstrahlung relativ wenig ab, lassen die harten Strahlen
reichlich passieren und absorbieren die weichen in hohem Maße, wodurch
die filtrierte Strahlung hart und homogen wird. Außerdem senden
alle drei Substanzen noch eine harte Sekundärstrahlung aus, die sich zu
der filtrierten Strahlung hinzuaddiert. Die Verhältnisse liegen beim Silber
ganz anders. Das Silber hat ein sehr hohes Atomgewicht. Es absorbiert
die Strahlen sehr stark, die weichen sowohl als die harten, die wir doch
erhalten wollen. Auf dieser Eigenschaft des Silbers, harte und weiche
Strahlen nahezu gleichmäßig zu absorbieren, beruht ja gerade seine Anwen-
dung in dem Benoistschen Härtemesser und den anderen Instrumenten,
die auf dem gleichen Prinzip beruhen.
Es wird deshalb von Benoist geradezu als aradiochroisches Metall
bezeichnet. Auch Villard fand, daß es, in dünner Schicht zwischen
eine Rüntgenröhre und sein Radiosklerometer geschaltet, den Zeigeraus-
schlag desselben nicht ändert.
Die mit dem Silberfilter angestellten Untersuchungen gaben diesen
Über die Anwendung von Strahlenfiltern in der Tiefentherapie. 553
Überlegungen recht. Schaltet man Silberfilter in den Strahlengang einer
Röntgenröhre vom Typus BW 6 (H W 1,5) ein, so werden folgende
Halbwertschichten abgelesen:
Tabelle 9. Man sieht, daß beim Silberfilter die
Silberfilte r | Halbwertschicht Härtung im Vergleich zur Strahlenabsorption
m ,7 0m minimal ist. In der Schichtdicke, wie es
a Er | ir von v. Jaksch empfohlen wurde (0,02 mm)
0 i | = findet eine Härtung von 1,5 bis 1,6 statt. Das
01 7 | 18—2 ist so minimal, daß diese Filterwirkung prak-
0: » | er tisch ohne Bedeutung ist. Erst wenn man das
3 y
Silberfilter auf die 10fache Stärke bringt (von
0,02 auf 0,2 mm) findet eine Härtung bis zur Halbwertschicht 2 statt. —
Dieselbe Halbwertschicht erhalten wir bei Filtrierung mit 1 mm Aluminium-
filter. In dem ersten Falle, d. h. bei der Silberfiltrierung müssen
wir aber Smal so lange bestrahlen, als bei der Filtrierung mit
Aluminium, Glas oder Leder, um denselben chemischen Effekt, z. B.
den Sabouraudeffekt zu bekommen. Wir schwächen also bei der Silber-
filtrierung die Primärstrahlung 8mal stärker als bei der Filtrierung mit
den übrigen Filtersubstanzen, wenn wir eine Strahlung von HW 1,5 auf
HW 2 gehärtet haben. Da wir also mit dünnem Silberfilter in der
Hauptsache nur die Strahlung abschwächen, ohne eine wesentliche Ände-
rung im Sinne der Härtung zu erzielen, so mul der Hautschutz hier
nur ein scheinbarer sein, vorgetäuscht durch Abschwächnng der Ge-
samtstrahlung. Der Umstand, daß in der Tat eine geringe Härtung
durch Silberfilter — wenn auch erst in sehr dicken Filterdieken —
zu erzielen ist, steht nicht in Widerspruch mit der von Walter be-
tonten Beobachtung, daß die Angaben eines Härtemessers, der auf dem
Benoistschen Prinzip beruht, durch Vorschalten eines Silberfilters
geradezu sinken. Denn nach Walters Anschauung erhält ja die Strahlung
durch die Filtration gerade die Eigenschaft, besonders leicht neue Schichten
derselben Filtersubstanz zu durchdringen, also in seinem Versuch die
Silberplatte des Härtemessers. Die Beobachtung, daß bei Vorschalten von
Silberfiltern die Strahlung weicher wird, beruht also wohl nur auf dieser
Eigenschaft des Hüärtemessers, in Wirklichkeit werden in der Tat die
Strahlen etwas härter. Diese geringe Härtung steht aber in gar keinem
Verhältnis zu der enormen Strahlenabsorption des Silberfilters, und deshalb
ist die Behauptung, daß Silber ein unbrauchbares Filtermaterial für die
Tiefentherapie ist, berechtigt.
Ziehen wir zum Schluß noch einmal das Fazit aus den angeführten
Versuchen, so sehen wir. daß bei der Tiefenbestrahlung mit Strahlenfiltern
554 Schatz,
das primäre Strahlengemisch von großer Bedeutung ist; es muß möglichst
viel harte Strahlen im Gemisch enthalten. In der Richtung der Erzeugung
härterer Primärstrahlung mit genügender Intensität wird also die Ent-
wicklung der Röntgentechnik für die Tiefentherapie vor allem fortzuschreiten
haben. Die härteste Strahlung, die wir bei mittlerer Belastung von 1—2
M.A. im Dauerbetriebe mit einer Röhre erreichen können, hat eine
Halbwertschicht von 1,5; bei intensiver Belastung von 10 M.A. könne
wir die Härte der primären Strahlung auf die Halbwertschicht 1,8 erhöhen.
Es gelingt durch Vorschalten von Strahlenfiltern, die Strahlung weiter zu
härten bis zur Halbwertschicht 2,5 (resp. etwas darüber). Diese Härtung
erzielen wir nach unseren Erfahrungen bei einer mit mittlerer Belastung
betriebenen Röhre mit 4 mm Aluminium, bei einer hoch belasteten Röhre
schon mit 3mm Aluminium. Ein Filtrieren der Strahlen über die Filterdicke
4 mm Aluminium hinaus hat keine wesentliche Erhöhung der Härte zur
Folge, ist also zwecklos und wegen starker Abschwächung der Intensität
unökonomisch. Wir sehen also, daß wir die günstigsten Strahlenbedin-
gungen nach Christen nur bis zu einer Tiefenlage der zu bestrahlenden
Organe von 2,5 cm erreichen können. Was die Frage des Filtermaterials
anlangt, so ist es für die Wirkung gleichgültig, ob wir Aluminium, Glas
oder Iseder nehmen, wenn wir die photochemisch äquivalenten Dicken
in ihrer biologischen Wirkung vergleichen, während Silber wegen seiner
minimalen Härtung und starken Absorption ungeeignet erscheint. Die äqui-
valenten Filterdicken sind 1 mm Aluminium, 1,2mm Glas und 13 mm
Leder. Es wird also von Überlegungen mehr praktischer Natur abhängen,
welchem Material wir den Vorzug geben wollen. Da hat das Leder den
Nachteil, daß es für eine stärkere härtende Wirkung so dick genommen
werden muß, daß die Größe und das Gewicht eines solchen Filters
störend wirken müssen. Das Glas hat diesen Nachteil nicht, aber es
ist zerbrechlich und außerdem sind die verschiedenen Glassorten in
ihrer Zusammensetzung verschieden, so daß Vergleiche nicht ohne weiteres
möglich sind. Dagegen hat das Aluminium keinen der Nachteile, die dem
Leder und dem Glas anhaften. Es ist leicht, nicht zu dick in der stärk-
sten mit Nutzen verwendbaren Schicht von 4mm und es ist im Handel
in stets gleicher Zusammensetzung zu haben. Deshalb geben wir den
Aluminiumfiltern den Vorzug.
Literatur.
Albers-Schönberg, Die Röntgentechnik. Hamburg 1909.
Derselbe, Zur Technik gynäkologischer Röntgenbestrahlung. Fortschr. auf dem
(sebiete der Röntgenstrahlen, X111, 3, S. 161.
Belot, Die Filtration in der Radiotherapie. Archives d’Electricit@ medicale Nr. 291.
Ref. Fortschr. XVI, 1, 5. 72.
Über die Anwendung von Strahlenfiltern in der Tiefentherapie. 555
Belot, Die Filter in der Radiotherapie. Journal de Radiologie 1911, Nr. 1.
Ref. Fortschr. XVII, 2, S. 113.
Bordier, Wichtigkeit der Filter bei der Röntgentherapie und ihre praktische
Anwendung. Annali di Elettricità medica Terapia fisica. April 1909. Ref.
Zeitschr. f. Röntgenkunde und Radiumforschung Bd. 12, 4, S. 153.
Derselbe, Du rôle des filtres en radiothérapie et de leur utilité pratique. Arch.
d'électricité médicale 1909, Nr. 261. Ref. Fortschr. XIV, 1, S. 77.
Derselbe, Zur Wahl der Filter bei Tiefenbestrahlungen. Bull. et mém. vol. XXX.
Ref. Fortschr. XIV, 1, S. 76.
Derselbe, Technique Radiothérapique. Paris.
Christen, Über die physikalischen und physiologischen Grundlagen der Tiefen-
therapie. Strahlentherapie Bd. 1, H. 1 u. 2.
Derselbe, Der absolute Härtemesser. Strahlentherapie, Bd. I, H. 3, S. 325.
Dessauer u. Wiesner, Leitfaden des Röntgenverfahrens 1912.
Dorn, Zur Tiefenbestrahlung mit Röntgenstrahlen. München. med. Wochenschr.
1909. Nr. 14, S. 697.
Fleig und Fränkel, Die Filtration der Röntgenstrahlen bei der Tiefenbestrahlung.
Arch. d'électricité méd, 1909, vol. XVII, p. 243. Ref. Fortschr. XIV, 1, 5. 74.
Gocht, Handbuch der Röntgenlehre. Stuttgart 1911.
Guilleminot. Die Wirkung von Aluminiumfiltern auf die X-Strahlen. Bulletins
de la Société de radiologie de Paris 1909, Nr. 1. Ref. Fortschr. XIII, 5,
5. 35l.
Derselbe, Zur Wahl der Filter bei Tiefenbestrahlungen. Bull. et mém. vol. XXX.
Ref. Fortschr. XIV, 1, S. 76.
Derselbe, Über die Filterwahl bei der Behandlung tiefgelegener Tumoren. Bull.
de la Société de radiologie, Paris, vol. 1, Nr. 5. Ref. Fortschr. XIV, 3,5. 224.
Derselbe. Bemerkungen zur Filtration der Röntgenstrahlen. Bull. et mém. de
la Société de radiologie de Paris 1, 10. Ref. Fortschr. XV, 1, S. 55.
Holzknecht, Die Lösung des Problems, in der Tiefe gleichviel und mehr
töntgenlicht zu applizieren, wie an der Oberfläche (Homogen- und Zentral-
bestrahlung). Verhandlungen der Deutschen Röntgengesellschaft 1908, Bd. IV.
v. Jaksch, Vortrag im Verein deutscher Ärzte in Prag. Sitzung v. 19. Februar
1909. Ref. Fortschr. XIII, 5, S. 344.
Derselbe, Über die Verwendung von Strahlentiltern in der Radivotherapie, Radio»
skopie und Radiographie. Zentralblatt für Röntgenstrahlen, Radivm und ver-
wandte Gebiete 1912, H. 8, S. 291.
Derselbe, Über Metallfilter. Verhandlungen der Deutschen Rüntgengeseiischait
Bd. VIII, S. 71.
Jaubert de Beaujeu, Über die Methode von Klingelfuß für die Messung der
Quantitäten der X-Strahlen. Archives d’ Electricité médicale experimentales et
cliniques, 25 Mai 1910, Nr. 286. Verhandlungen der Deutschen Röntgen-
gesellschaft, Bd. VII, S. 130.
Kienböck, Radiotherapie. Stuttgart 1907.
Klingelfuß, Die Einrichtung zur Messung der Röntgenstrahlen mit dem Sklero-
meter. Jahresversammlung der Schweizerischen naturforschenden Gesellschaft
in Basel 1910. Autoref. Fortschr. XVI, 1, S. 64.
Derselbe, Über Messung und Dosierung der Röntgenstrahlen in absoluten Ein-
heiten. 4. Internationaler Kongreß für medizinische Elektrologie und
Röntgenologie. Ref. Fortschr. XII, 6, 430.
36
556. Schatz, Über die Anwendung von Strahlenfiltern in der Tiefentherapie.
Klingelfuß, Die Änderung der Röntgenstrahlenhärte durch die elektrische
Spannung bei einer Röntgenröhre. Verhandlungen der Deutschen Röntgen-
gesellschaft, Bd. V.
Meyer, Die Grundlagen der Röntgentherapie in der Gynäkologie. Strahlentherapie.
Bd. I, H. 3, S. 381.
Meyer .und Ritter, Zur Methodik der qualitativen Strahlenmessung in der
Röntgentherapie. Berliner klin. Wochenschr. 1912, Nr. 2.
Dieselben, Experimentelle Untersuchungen zur biologischen Strahlenwirkung.
Strahlentherapie, Bd. 1, H. 1 u. 2.
Morton, Die Zweckmäßigkeit von Filtern in der Radiotherapie. American
Quarterly of Röntgenelogy I, Nr. 3. Ref. Fortschr. XII, 1, S. 73.
Perthes, Versuch einer Bestimmung der Durchlässigkeit menschlicher Gewebe
für Röntgenstrahlen mit Rücksicht auf die Bedeutung der Durchlässigkeit
der Gewebe für die Radiotherapie. Fortsch. VIII, S. 12.
Pfahler, Ein Röntgenstrahlenfilter und ein Universaldiaphragma und Schutz-
schirm. The Archives of Physiological Therapy, Nov. 1905. Ref. Fortschr.
X, 1, S. 71.
Pfahler und Schamberg, Weitere Beobachtungen über ein Röntgenstrahlen-
filter. American Quarterly of Röntgenology. Ref. Fortschr. XI, 3, S. 224
Walter, Über das Röntgensche Absorptionsgesetz und seine Erklärung. Fortschr.
VIII, S. 302.
Derselbe, Über die Erzeugung harter Röntgenstrahlen zur therapeutischen Be-
strahlung innerer Organe. Verhandl. der Deutschen Röntgengesellschaft,
Bd. III, S. 110.
Wetterer, Handbuch der Röntgentherapie 1908.
Derselbe, Zwei neue Instrumente zur qualitativen und quantitativen Messung
der X-Strahlen. Röntgentaschenbuch II, 1909.
Verhandlungen der Deutschen Röntgengesellschaft, Bd. VIII, S. 73—76, Diskussion.
Über die Strahlenbehandlung der Acne vulgaris.
Von
Dr. Thedering, Oldenburg.
D“ Acne vulgaris ist eine Krankheit des jugendlichen Entwicklungs-
alters. Ihr Auftreten pflegt bei männlichen uud weiblichen Individuen
an die Übergangszeit von der Kindheit zur Mannbarkeit, an das Puber-
tätsalter, geknüpft zu sein. Meist ist die Acne Folge- und Begleiterscheinung
einer bestehenden Anämie, welche mit besonderer Vorliebe die weibliche
Jugend in dieser kritischen Zeit befällt. Die Lieblingslokalisation der
Acne vulgaris ist das talgdrüsenreiche Gebiet des Gesichts, des Rückens,
der Brust und der Streckseiten der Öberarme. Vorherrschend im Krankheits-
bilde der Acne vulgaris juvenilis ist die Bildung entzündlicher Eiterknoten
ın der Haut. Ihr Entstehungsort entspricht immer der Mündung einer
Talgdrüse. An zweiter Stelle beherrscht die massenhafte Bildung von
Comedonen das klinische Krankheitsbild der Acne. In zahllosen er-
weiterten Ausführungsgängen der Talgdrüsen stecken gelbliche Talgpröpfe,
welche durch Oxydation an der Oberfläche schwarz gefärbt sind und sich
durch seitlichen Druck leicht ausquetschen lassen. Infolge dieser Talg-
stauung und mangelhaften Verarbeitung des Hauttalgs ist die Haut stark
fettglänzend, die Epidermis abschilfernd. Auf dem behaarten Kopfe be-
steht immer eine meist beträchtliche Seborrhoea oleosa. Diese überfette
Haut ist nun ein willkommener Nährboden für zahllose bakterielle Parasiten.
Besonders in dem gestauten Inhalt der Talgdrüsenschläuche nisten sich
Staphylokokken ein, welche den Comedo zur Entzündung und eitrigen
Einschmelzung bringen — die Acnepustel. Ein weiteres charakteristisches
Merkmal der Acne ist eine meist bedeutende ödematöse Infiltration und
Verdickung der Haut. Am deutlichsten tritt dies Symptom an der Stirn-
haut in Erscheinung, welche nicht selten eine enorme ödematöse Ver-
dickung aufweist.
Also Ödem der Haut, Tulgstauung, massenhafte Bildung von Come-
donen und Acnepusteln, Seborrhoca oleosa, endlich konstitutionelle Anämie
als Grundursache sind die Bestandteile. welche mosaikartig das Krankheits-
bild der Acne vulgaris zusammensetzen.
Die Therapie der Acne vulgaris leidet vielfach unter der Auf-
fassung der Krankheit als lediglich eines harmlosen Schönheitsfehlers.
Wenngleich zuzugeben ist, dab die Beseitigung der Acne in leichteren
Fällen vielfach nur eine Frage der Eitelkeit ist, so bleiben doch Fälle
36*
558 Thedering,
genug übrig, in denen eine schwere entstellende Acne die Bedeutung eines
ernsten Leidens gewinnen kann. So z. B. bei jungen Geschäftsleuten,
deren Stellung ein „empfehlendes Äußere“ erfordert, bei Mädchen im
heiratsfähigen Alter usw. Der Dermatologe hat daher allen Anlaß, der
Therapie der Acne vulgaris seine volle ärztliche Aufmerksamkeit zuzu-
wenden.
Bei der gewöhnlich bestehenden Anämie als konstitutioneller Grund-
lage der Acne vulgaris wird nur eine den Gesamtzustand des Kranken
berücksichtigende Therapie dauernden Erfolg erzielen können. Eine ledig-
lich lokale Therapie, welcher Art immer, wird nur selten von Dauererfolg
gekrönt sein. Andererseits lehrt die Erfahrung, daß eine allgemeinkräf-
tigende Behandlung mit Arsen-Eisen, Lebertran in Verbindung mit Salz-
bädern, oft genug für sich allein ohne Lokaltherapie bedeutenden Rück-
gang der Acne zur Folge hat.
Als Lokalheilmittel bei Acne vulgaris erfreut sich der Schwefel seit
Alters eines besonderen Ansehens. Gewöhnlich wird er in Form 10 proz.
Salben in Verbindung mit heißen Seifenwaschungen angewandt. Ein ge-
wisser Erfolg ist dieser Schwefeltherapie nicht abzusprechen, besonders wenn
auch der behaarte Kopf in die Kur mit einbezogen wird. Die Seborrhoca
oleosa verschwindet, die ödematöse Infiltration der Haut wird vermindert
durch die täglichen heißen Seifenwaschungen, die Neubildung von Conie-
domen und Acneknötchen wird eingeschränkt. Eine gründliche Aus-
heilung wird jedoch selten auf diesem Wege erzielt. Derbere Acneinfilträte
bleiben bestehen, die Neubildung von Comedonen und Pusteln dauert furt.
wenn auch in eingeschränktem Maße, und die Folge ist, daß man immer-
fort neue Pusteln eröffnen, neue Mitesser ausquetschen muß, und „will
sich doch nimmer erschöpfen und leeren“.
Noch zweifelhafter ist der Erfolg stärkerer Schälkuren, etwa mit der
Lassarschen Schwefel-Naphthol-Paste. Nicht selten beantwortet die
schwer gereizte Haut einen Angriff mit diesem Mittel durch einen Massen-
ausbruch neuer Eiterpusteln.
So ist also das Bedürfnis dringend nach wirksameren Mitteln in der
Behandlung der Acne vulgaris.
Die großen Fortschritte der Dermatologie durch Befruchtung der
dermatologischen Therapie mit physikalischen Prinzipien sind auch der
Therapie der Acne vulgaris zugute gekommen. Leidlich gute Erfolge er-
zielt zunächst die Anwendung des Heißluftstrahls mit dem Fön in Ver-
bindung mit Massage. Diese Behandlung hat nur den einen Übelstand.
daß sie täglich vorgenommen werden muß, um wirksam zu sein, da die
He.ßBluftwirkung schnell verfliegt. Das Gesicht wird täglich aus etwa 20cm
Entfernung so heiß wie möglich bestrahlt. Die Folge ist eine enorme
~
Über die Strahlenbehandlung der Acne vulgaris. 559
aktive Zufuhr arteriellen Blutes. Darauf wird der Kranke auf einen
Liegetisch gebettet, das Gesicht mit einer feuchten Kompresse (Liq. al.
acet. 2°/,) bedeckt und nun etwa 10 Minuten lang gründlich massiert.
Hierbei nimmt man mit Erstaunen wahr, wie tief und starr die Haut,
namentlich an der Stirn, ödematös ınfiltriert ist. Nebenher wird die Acne
dann mit heißen Seifenwaschungen und weißer Präzipitatsalbe behandelt.
Letztere ist milder als Schwefel. Der Erfolg dieser Therapie ist begründet
in der energischen aktiven Hyperämisierung der Haut, ferner in der massen-
haften Expression von Comedonen und Acnepusteln durch die Massage.
Ein Übelstand ist, wie gesagt, die Notwendigkeit der täglichen Anwendung.
Große Hoffnungen für die Therapie der Acne vulgaris hat man auf
die Quarzlampe gesetzt. Leider sind dieselben nur z. T. erfüllt worden.
Bei oberflächlicher Acne erzielt man mit dem Blaulicht nicht selten
schöne, dauernde Heilerfolge.
Die Folge einer Flächenbestrahlung mit der Quarzlampe aus etwa
10 cm Entfernung ist bekanntlich eine intensive oberflächliche Lichtent-
zündung der Haut, mit deren Ablauf eine Abstoßung der Epidermis, eine
gründliche Schälung, erfolgt. Sodann ist die Quarzlichtentzündung_ tief
genug, um oberflächliche Acne-Infiltrate in der reaktiven Hyperämie auf-
zulösen. Derberen Acneknoten gegenüber erweist sich jedoch die erweichende
lösende Kraft des Blaulichts als unzureichend. Nachdem die entzündliche
Hyperämie verblaßt ist, tauchen daher zahlreiche Acneknötchen wieder auf.
So habe ich bei schweren Acneformen nach Belichtung mit der Quarz-
lampe fast ausnahmslos, bald früher, bald später, vollständige Rückfälle
erlebt. Ich ptlege daher die Quarzlampe in der Acne-Therapie. abgesehen
von den genannten leichtesten Formen, seit einigen Jahren nicht mehr an-
zuwenden.
An ihre Stelle sind die Röntgenstrahlen getreten. Diesem wunder-
vollen, wie kein anderes in seiner Qualität (sog. „Härte‘‘) und Dosis ab-
zustufenden Mittel verdanke ich bei einer großen Zahl der schwersten
Acneformen ganz ausgezeichnete Heilerfolgee. Von ausschlaggebender
Wichtigkeit ist allerdings die richtige Bestrahlungstechnik. Seit Jahren
hat sich mir ein mittlerer Härtegrad der Strahlung und Serienbelichtung
mit fraktionierten Dosen (!,—!/, E.D.) in 2--3—4-wöchentlichen Ab-
ständen gut bewährt. Die Erythemgrenze darf keinesfalls überschritten
werden. Erforderlich ist nur von Zeit zu Zeit eine die stockende Haut-
tätıgkeit energisch und nachhaltig anregende Strahlendosis. Der auf diese
Weise erzielte therapeutische Bestrahlungseffekt läßt sich mit einem Worte
als Steigerung der örtlichen Hauttätigkeit kennzeichnen. Zunächst
beobachtet man gewöhnlich eine Masseneruption neuer Acneknötchen. Man
muß annehmen, daß sich die erste Wirkung der Strahlen hier als lokale
560 Thedering,
Reaktion latent infizierter Follikel äußert. Nach und nach im Laufe der
nächsten Wochen und Monate erschöpft sich die Bildung neuer Acne-
knötchen. Die vorhandenen Pusteln trocknen ein und vernarben. Chirur-
gische Eröffnung ist nie notwendig. Die Comedonen verschwinden, die
Bildung neuer unterbleibt. Die ödematöse Infiltration wird resorbiert. die
Haut erreicht langsam wieder ihr normales Kaliber. Durchaus notwendig
ist die periodische Fortbestrahlung, bis die Bildung neuer Knötchennach-
schübe völlig aufhört. Dann pflegt die Haut dauernd gesundes Aussehen
darzubieten. Nur bei Acne pustulosa erinnern die unvermeidlichen runden
Narben noch an den früheren Erkrankungszustand.
Neben der radiologischen mit Röntgenstrahlen ist jede andere Lokal-
therapie gewöhnlich überflüssig. Nur bei stärkerer Seborrhoe leisten abend-
liche Einreibungen mit einer schwachen Schwefel-Boraxsalbe (Borax, Sulf.
praec. āāa 3—5 Olei Olivar. q. s. Lanolin ad 100,0) und in der Frühe
Waschung mit Nivea- oder Lanolin-Seife und lauwarmem oder Regen-
wasser gute unterstützende Dienste. Das Ausquetschen von Acnepusteln
und Comedonen aber ist als völlig nutzlose Sysiphusarbeit zu unterlassen.
Zur Illustrierung des vorstehenden theoretischen Teiles möge nach-
folgende Auswahl von Krankengeschichten dienen.
Fall 1. Acne vulgaris faciei leichten bis mittelschweren Grades.
Vom 14. bis 22. Oktober 1909 wird das Gesicht in 8 Sitzungen von etwa je
10 Minuten aus etwa 10 cm Entfernung mit der Quarzlampe belichtet. Auf der
stark dunkelpigmentierten Haut der brünetten jungen Dame gelingt es schwer,
eine energische Lichtentzündung hervorzurufen. Nach Ablauf der Reaktion und
erfolgter Schälung des Gesichts sind nur noch vereinzelte Acneknötchen vorhanden,
welche am 15. November 1909 eine galvanokaustische Nachbehandlung erfordern.
Zur weiteren Behandlung wird ein Schwefelmittel äußerlich verordnet. Die Be
handlung ist von dauerndem Erfolg gewesen. Der Teint wurde zart, rein und frei
von Acneknötchen und Comedonen. Der Erfolg ist bis heute, also nach etwa
3 Jahren. noch voll andauernd.
Fall 2. Junge Dame mit Acne faciei, mittelschwer. Vom 28. Dezember 1909
bis 31. Dezember 1909 wird das Gesicht 4mal mit Quarzlicht wie oben bestrahlt.
Nach erfolgter Schälung des Gesichts ist im Laufe Januar 1910 dreimalige Nach-
behandlung mit dem Galvanokauter erforderlich. Seither Acne dauernd geheilt.
Nachuntersuchung am 19. Oktober 1912 ergab nur eine geringe Unreinigkeit des
Teints und ganz vereinzelte obeıflächliche Acneknötchen. Im ganzen wurde ein
vollständiger dauernder Heilerfolg erzielt.
Fall 3. Junge Dame mit Hypertrichosis faciei und schwerer pustulöser
Acne folliculitis. Am 20. Januar 1909 Quarzbelichtung des ganzen Gesichts. Nach
Ablauf der Reaktion bleiben zahlreiche pustulöse Infiltrate zurück, welche im Laufe
Februar 1909 galvanokaustische Nachbehandlung erfordern. So wird vorläufige
Heilung erzielt. — Am 20. Februar 1911 stellt sich die Kranke mit schwerem
Rezidiv wieder vor. Jetzt Röntgen des Gesichts am 20. Februar, 28. Februar,
14. März 1911. Der Erfolg ist verblüffend. Beide Wangen, besonders die rechte,
verwandeln sich in ein pustelübersäetes Feld. Eine Röntgenröte ist nicht sichtbar.
Über die Strahlenbehandlung der Acne vulgaris. 561
Vom 14. März bis 20. April 1911 tägliche Anwendung des Fön etwa je 10—15
Minuten lang. Nachts Verband mit Liq. al. acet. Am 2. und 8. Mai 1911 noch
einmal eine leichte Röntgendosis. Im Laufe des Sommers erfolgte die langsame
Eintrocknung und Vernarbung der Pusteln, die erst im Herbste des Jahres ihr
Ende erreichte. Seither scheint der Fall ganz geheilt. An den früheren schweren
Erkrankungszustand erinnern allerdings noch zahlreiche rundliche Narben.
Fall 4 Junger Mann mit schwerster Acne pustulosa des ganzen Gesichts,
Zahlreiche Narben. Trotz wiederholter Behandlung keine Heilung, so daß der
Juuge Geschäftsmann stellenlos wurde. Zunächst ein Versuch mit Quarzlicht
Vom 8, bis 13. März 1909 wird das Gesicht in mehreren Sitzungen mit der Quarz-
lampe bestrahlt. Wegen unvollständigen Erfolges bis 27. April wiederholte galvano-
kaustische Nachbehandlung. Vom 1. bis 4. Mai 1909 nochmals drei Quarzbelich-
tungen. Besserungserfolg.
Ende August 1909 bereits mit schwerem Rezidiv wieder vorgestellt. Jetzt
wird Röntgen angewandt. Im Laufe des September 1909 wird das Gesicht mit
mehreren Serienbelichtungen fraktionierter Dosen bei Vermeidung eines Erythems
behandelt. Im Oktober noch einmal dieselbe Röntgenbestrahlungsserie. Im Februar
und März 1910 erfordern einige Reste noch eine kurze Nachbehandlung. Eine
zwischendurch gebrauchte Kur in Neundorf hatte gleichfalls ihren Teil beigetragen
zu dem erzielten sehr erfreulichen Resultat. Das Gesicht war von Pusteln und
Acneknoten frei, der Teint bedeutend gereinigt. Rundliche Narben waren aller-
dings in großer Zahl nachgeblieben. Der Kranke konnte seine Stellung ohne
Schwierigkeit wieder antreten und ist nach einer kürzlichen Mitteilung seiner
Mutter bis heute geheilt geblieben.
Fall 5. Acne vulgaris simplex. Vom 9. bis 11. Februar 1911 Quarzbelichtung
des Gesichts. Darauf bis 27. Februar 1911 2 mal wöchentlich Fönbestrahlung.
Erfolg nicht ausreichend. Am 28. Februar, 6. März, 20. März Röntgenbestrahlung
des Gesichts. Darauf Heilung.
Fall 6. Junges Mädchen mit schwerer Acne vulgaris des Gesichts. Im
Laufe März 1910 10 mal Quarzbelichtung aus 10 cm Entfernung je 10 Minuten.
Nach erfolgter Schälung bleiben zahlreiche Pusteln und Acneknoten und eine tiefe
ödematöse Infiltration der Haut, besonders der Stirn, zurück. Wiederholte Galvano-
kaustik. Erfolg sehr mangelhaft. Am 1. April energische Röntgenbestrahlung.
Gründliche Allgemeinbehandlung. Auf diesem Wege einer kombinierten Behand-
lung dieses sehr hartnäckigen Falles gelang endlich die vollständige dauernde
Heilung.
Fall 7. Junge Dame mit schwerster Acne pustulosa des ganzen Gesichts,
Am 11. Februar 1912 Belichtung des Gesichts mit '/, E.D., Röntgen, mittelharte
Strahlung. Am 18. Februar deutliche Reaktion 1. Grades Am 10. März Röntgen =
!ı, E.D. Am 16. März Röntgen = !/, E.D. Am 24. März wieder Erythem. Am
8. April Röntgen = '!/, ED. Am 13. April Röntgen = !/, E.D. Ferner Bestrah-
lungen teils des ganzen Gesichts, teils einzelner Bezirke mit '/, E.D. am 21. April,
5. Mai, 27. Mai, 13. Juli. Seither Acne vollständig geheilt. Die Pusteln haben
natürlich die bekannten runden Narben zurückgelassen. [In den ersten Wochen
erfolgte unter dem Eintlusse der Bestrahlung zahlreiche Neubildung von Pusteln
und Acnekooten, welche ihren Höhepunkt erreichte und sich absteigend langsam
erschöpfte.
Fall 8. Schwerste Acne pustulosa faciei totius. Junges Mädchen. Be-
strahlt mit je '/; E.D. mittelharter Strahlung am 16., 23. und 30. März 1912; am
562 Thedering, Über die Strahlenbehandlung der Acne vulgaris.
10., 21. und 28. April; am 12., 19. und 27. Mai; am 16. Juni; am 14. Juli. Verlauf
wie 7. Völlige Heilung. Die Nachuntersuchung am 20, Oktober 1912 ergab fol-
genden Befund: Pusteln restlos abgeheilt. Narben punktförmig, oberflächlich, das
Gesicht wenig entstellend. Teint blaß, rein.
Fall 9. Junger Mann. Schwere Acne simplex faciei. 18. Februar 1912
Gesicht mit !/, E.D. Röntgen bestrahlt. Vom 23. bis 25. Februar Bestrahlung mit
je '/s E.D.; 11. März 1912 Wange rechts und links je !/, E.D.; 12. März 1912 Stirn
ı/, E.D; 27. März Stirn !/, E.D.; 25. April Bestrahlung des Gesichts mit 3 mal
1), E.D.; 18. Mai Wange rechts und links mit je !/;, ED; 20. Mai Stirn = '/, E.D.;
6. Juni ganzes Gesicht mit !/, E.D. bestrahlt; 4. Juli rechte Wange = !/, E.D.
Am 16. Oktober wird an der linken Wange noch ein geringer Rest nachbestrahlt.
Sonst Acne spurlos ohne Hinterlassung von Narben geheilt. Die Krankheit hatte
seit 10 Jahren bestanden und war vielfach ohne Erfolg behandelt.
Fall 10. Altere Frau. Schwerste Acne pustulosa des ganzen Gesichts. Vom
2. April 1912 ab nach dem Schema der Fälle 7, 8, 9 mit Röntgen bestrahlt. Am
Il. Oktober 1912 wurde vollständige Heilung bis auf unbedeutende Reste festgestellt.
Das Aussehen war tadellos. i
Ein Rückblick über die Reihe vorstehend kürzer oder ausführlicher
skizzierter Krankengeschichten ergibt für die Behandlung der Acne vulgaris
mit unsern modernen radiologischen Mitteln und Methoden folgende Richt-
linien und Gesichtspunkte:
1. Bei einfacher Hyperkeratosis faciei verbunden mit Acne leichteren
bis mittelschweren Grades ist die Quarzlampe zur Erzielung dauernder Heil-
erfolge ausreichend.
2. Bei den schweren Formen der Acne und namentlich bei Acne
folliculitis pustulosa ist die Wirkung des Quarzlichtes unzureichend. Hier
ist die Röntgenbehandlung die überlegene Methode.
3. Die früher übliche Behandlung der Acne mit Schwefelsalbe usw.,
Inzisionen und Expressio comedonum, mit Heißluft und Massage erhält im
Rahmen der Acnctherapie mit radiologischen Mitteln unterstützende Be-
deutung.
4. Bei allen Formen der Acne vulgaris ist eine entsprechende All-
gemeinbehandlung nie außer Acht zu lassen.
Aus der Röntgentechnik.
Die Anwendung der Wommelsdorfschen Kondensatormaschine.
Von
Dr. D. Henning, Berlin.
(Mit 1 Abbildung im Text.)
1. In der Elektrotherapie.
nter den modernen therapeutischen Hilfsmitteln spielt zwar die Elek-
trizität eine große Rolle, sie ist jedoch noch nicht ein solches All-
gemeingut der Ärzte geworden, wie man dies den Heilerfulgen nach vor-
aussetzen müßte.
Der Hauptgrund dafür ist der, daß es bisher an universellen Maschinen
zur Erzeugung des nötigen Stromes fehlte, da man für die verschiedenen
in Betracht kommenden Stromarten außer mehreren verschieden großen
Induktorien auch noch eine große Influenzmaschine benötigte.
Die letztere übertraf bereits von jeher die Induktorien durch ihre Viel-
seitigkeit, da sie nicht nur Gleichstrom, sondern auch Wechselstrom hoher
Frequenz liefert und daher zugleich einen kleinen Funkeninduktor ersetzt,
ein Umstand, der die Ärzte vieler Länder, im besonderen in Frankreich
mit Recht veranlaßte, sie nicht nur in der Therapie, sondern auch in der
Röntgentechnik vielfach den Induktorien vorzuziehen. Leider machten ihre
geringen Stromleistungen wenigstens für die Röntgenographie und Diaskopie
und kräftigeren Therapiewirkungen doch die Anschaffung größerer Induk-
torien erforderlich.
Von größter Bedeutung ist daher die Erfindung der Wommelsdorf-
schen Kondensatormaschine,!) die eine Influenzmaschine mit kondensator-
artig geschalteten Scheiben darstellt. Mit ihr vermag man rein praktisch
die 20—50 fache Stromleistung zu erzielen, als mit einer gleich großen
der bisher fast ausschließlich im Handel befindlichen Influenzmaschinen
nach Holtz-Wimshurst.
Bei der Kondensatormaschine wird jede rotierende Scheibe nicht wie
bei der Intluenzmaschine nur von einer, sondern von allen Seiten influenziert.
ı, H. Wommelsdorf: Annalen der Physik, 1902, 9, S. 651; außerdem 1904, 15,
S. 842; desgl. 1904, 15, S. 1019; desgl. 1905, 16, S. 334; desgl. 1907, 23, S. 601 u.
909; desgl. 1907, 24, S. 483, Physikalische Zeitschrift, 1904, 5, S. 792 u. 1905, 6,
S. 177; siehe auch Elektrotechnische Zeitschrift, 1911, S. 1247, u. 1912, S. 124; Ver-
handlungen der Deutschen Röntgen-Ges. 1912, Demonstrations-Vortrag auf dem
VIII. Röntgenkongreß. Die Fabrikation der Kondensatormaschine bezw. die Aus-
nutzung ihrer In- und Auslandspatente liegt in den Hünden. der Berliner Elektros-
Gesellschaft, Berlin-Schöneberg, Feurigstraße 54.
564 Henning,
Dieses neue physikalische Prinzip wurde dadurch technisch gelöst, daß die
Elektrizität am äußersten Umfange der rotierenden Scheiben abgeleitet wird
(und zwar in einer Rille mittels hineinragender Stahldrähte).
Die zur Influenzierung notwendigen Metallamellen (Sektoren) sind
nicht wie bisher auf die Oberfläche der Scheiben geklebt, sondern wie bei
den Starkstrominfluenzmaschinen allseits in das Isolationsmaterial einge-
bettet (einvulkanisiert), ebenfalls eine Erfindung Wommelsdorfs, ohne
die eine technisch brauchbare Influenzmaschine nicht herstellbar ist. Auch
die Erregerfelder sind ganz von Isolationsmaterial umgeben; sie befinden
sich in sogenannten „Feldzellen‘‘ (Fig. 1).
„15 wege AR s
= Pau i "i
E
Fig. 1
Betrachtet man nunmehr die Maschine (siehe die Abbildung), so er-
kennt man zunächst ein feststehendes kräftiges Gestell, ferner, daß ihre
sämtlichen empfindlichen, an der Induzierung beteiligten Teile durch einen
durchsichtigen, um das feste Gestell gebogenen Isolator vor Verstaubung,
Feuchtigkeit und Ausstrahlungsverlusten geschützt sind.
An weiteren Neuerungen und Vorzügen sei noch kurz das folgende
hervorgehoben:
Sämtliche Hartgummischeiben sind nach einem neuen Verfahren u
hoher Temperatur mit einer Schicht reinen Bakelites (künstlichen Bernsteins)
überzogen, wodurch der Hartgummi lichtbeständig wird. In die Grund-
Aus der Röntgentechnik. 565
platte versenkte, sehr hohe Leydener Flaschen (wegen der höheren
Spannung erforderlich). Sie sind ebenfalls mit Bakelit. künstlichem Bern-
stein, überzogen.
Doppelseitig gelagerter Polarisator p, der zugleich als Kurzschließer
zum schnellen und präzisen Unterbrechen des Funkenstromes z. B. bei
einer kurzen Exposition dient.
Festes Gestell g mit kräftigem, solide und elegant wirkendem Fuß
an Stelle der bisherigen runden, lose gelagerten Scheiben.
Starre Verbindung sämtlicher Teile A, i, b, der Konduktoren k und
des festen Gestells g untereinander.
Abschaltbarkeit der Leydener Flaschen mittels der Ausschalter a.
Vorschaltefunkenstrecken v.
2 Polklemmen an den Elektroden s.
2 Polklemmen zur direkten Abnahme von Hochfrequenzströmen auf
der Grundplatte t.
2. In der Röntgentechnik und Elektrotherapie.
Für die Röntgentechnik ist die Kondensatormaschine insofern von
eminenter Bedeutung, als durch sie endlich das lang erstrebte Ziel, direkt
ohne Uhimformung, Gleichrichtung. usw. hochgespannten Gleichstrom in
größerer Stärke zu erzeugen, erreicht ist. Die berüchtigten Schließungs-
ströme der Induktorien fallen also vollständig fort, wodurch die Lebens-
dauer und Konstanz der Röntgenröhren, von denen die einfachsten ohne
Kühlung verwendet werden können. verlängert und dadurch der Betrieb
ein billigerer wird.
Hierzu kommt noch der Vorteil, daß für nicht allzu große Röntgen-
wirkungen bereits Handantrieb ausreicht. Die Kondensatormaschine ist
daher überall, wo geeigneter elektrischer Stromanschluß, nämlich Gleich-
strom von 65, 110 oder 220 Volt fehlt, im besonderen dort, wo man auf
Akkumulatoren angewiesen ist, z. B. auf dem Lande, im Kriege, für
transportable Einrichtungen usw. unübertroffen.
Bei allen diesen Vorzügen ist außerdem der Betrieb der Kondensator-
inaschine erheblich einfacher als der eines Induktors; irgend ein Studium
dafür ist nicht erforderlich. Man braucht nur die Maschine mittels
Motor- oder Handantrieb in schnelle Umdrehung zu versetzen und den
erzeugten hochgespannten Gleichstrom direkt zu der Röntsenröhre zu leiten.
Kommen wir nun zu dem (icbiete der Elektrotherapie, so kann man
es wohl als unbestritten hinstellen, daß die Kondensatormaschine alles zur
Zeit vorhandene bei weitem überragt. Ganz besonders wichtig ist es hier.
daß sich die Stromleistung sogar der größten Maschine beliebig bis auf
Null abschwächen und genau (dosieren läßt. Man braucht hierzu die
566 Henning, Aus der Röntgentechnik.
Maschine nur entsprechend langsam laufen zu lassen, da die Strommenge
genau der sekundlichen Tourenzahl proportional ist. Hierin liegt ein großer
Vorteil gegenüber einem großen Induktorium, das bekanntlich für kleine
Leistungen nicht zu verwenden ist.
Leitet man beispielsweise mittels zweier Handhaben die Elektrizität
von den Polklemmen durch den Körper, so läßt sich eine physiologische
Wirkung von einem kaum fühlbaren Rieseln bis zur unerträglichen Stärke
ganz allmählich und genau dosierbar verändern. Dabei ist der Betrieb so-
gar bei der größten Type absolut sicher und gefahrlos, da man stets eine
obere Stärkegrenze durch entsprechende Wahl der Flaschengröße sicher
einstellen kann.
Ferner ist die Maschine mit 2 besonderen Polklemmen versehen, von
denen man ohne weiteres auch Wechselstrom bezw. schnelle oszillatorische
Schwingungen für den Betrieb mit Hochfrequenzströmen abnehmen und
zur Ausübung sämtlicher Methoden nach Oudin, D’Arsonval, Apostoli
usw. verwenden kann.
Ebenso gut ist dieselbe große und kleine Kondensatormaschine zur
eigentlichen Franklinisation, bzw. zur Behandlung mit statischer Elektri-
zität, sowie für Isolierschemelversuche verwendbar.
Wir sehen also, daß sich die Kondensatormaschine bei einem Ver-
gleich mit dem Induktorium in erster Linie durch ihre Vielseitigkeit aus-
zeichnet, die es ermöglicht, ein und dieselbe Type gleich gut für die
Röntgenographie wie auch gleichzeitig für die Röntgentherapie, Franklini-
sation und die Behandlung mit Hochfrequenzströmen verwenden zu können.
Berücksichtigt man hierbei noch die völlige Unabhängigkeit von Ort und
Stromanschluß, die einfache Bedienungsart und die geringen Anschaffungs-
kosten im Verhältnis zu ihrer Leistung, so kann man die Kondensator-
maschine wohl als einen idealen Generator bezeichnen, dessen Erfindung
für die Elektrotherapie und Röntgentechnik von größter Bedeutung ist.
Bücherbesprechung.
Précis de Radiumtherapie. Par J. Barcat, Paris 1912. Maloine.
In vorliegendem Buche gibt der Verfasser, welcher unter Leitung des Doktor
Balzer am Hospital Saint-Louis seine Erfahrungen sammeln konnte, mit großer
Klarheit eine Übersicht über die Radiumtherapie und zwar sowohl für denjenigen,
welcher dieselbe praktisch ausführen will, als auch für alle, welche sich nur über die
Indikationen und Kontraindikationen belehren wollen.
Das Buch umfaßt 286 Seiten und bringt über 50 instruktive Bilder.
Im ersten allgemeinen Teil werden die physikalisch-chemischen Eigenschaften und
die physiologischen Wirkungen des Radiums besprochen sowie die verschiedenen Me-
thoden seiner Anwendung, die üblichen Präparate und Apparate.
Im zweiten besonderen Teile führt Barcat eine Reihe klinischer Beobachtungen
an. Den breitesten Umfang nehmen die Erkrankungen der Haut, es folgen besondere
Kapitel über die Radiumerfolge bei venerischen, chirurgischen, gynäkologischen, rheu-
matischen, oto-rhino-laryngologischen, neurologischen und okulistischen Leiden.
Das Werk bringt somit schon mehr erweiterte Erfahrungen der Franzosen als das
bekannte Buch der Radiumtherapie von Wickham und Degrais, welches ausschließ-
lich dermatologische, nur anhangsweise einige gynäkologische, Fälle bespricht. Die
Ausdehnung, welche die Radiumtherapie bei uns in Deutschland genommen, indem sie
sich auch auf das große Gebiet der inneren Medizin erstreckt (vgl. den Grundriß der
Radiumtherapie von Gudzent, Sticker, Schiff und Löwenthal), findet sich zur
Zeit noch nicht in Frankreich. Immerhin stellt das spezifisch französische Werk eine
wertvolle Bereicherung der Radiumliteratur dar und wird das außerordentliche Ver-
dienst des Verfassers, seine schönen an erstaunlichen Erfolgen reichen Arbeiten auch in
Buchform gebracht zu haben, auch bei uns allgemeine Anerkennung finden.
Professor Sticker, Berlin.
Das Radium. Seine therapeutischen Wirkungen. Von Dr. A. Bayet in
Brüssel. Übersetzt von Prof. Dr. Eduard Schiff in Wien. (Wien 1912, Moritz
Perles. 105 5., Mk. 3,20.)
Ein Vorwort des Übersetzers leitet das Buch ein, und rühmt „die Reichhaltirkeit
und Klarheit und wissenschaftlich kritische Durchführung‘. Man kann sich diesem
Lobe des sachkundigen Übersetzers anschließen. Aber einige Bemerkungen seien ge-
stattet.
Zunächst die, daß das vorliegende Buch, obgleich sein Titel die therapeutischen
Wirkungen im ganzen umfassen will, nur von der externen Anwendung des Radiunıs
spricht. Es ist, ebenso wie das Buch von Wickham und Degrais, und manche
andere, offenbar noch von der Voraussetzung ausgegangen, daß die interne Anwendung
nicht in die eigentliche Radiumtherapie hineingehört. Als Dermatologe behandelt
Verf. fast nur die Hautaffektionen, daneben auch noch die tieferliegenden Tumoren.
Seine Begeisterung für das verhältnismäßig neue Mittel ist eine begründete und ge-
mäßigte. Es kann nur der Entwicklung der Wissenschaft nützen, wenn so sachkundige
Fachgelehrte, wie Baycet, auf diesem Gebiete ihre Erfahrungen zusammentragen.
Allerdings ist er auch bemüht, die Schwierigkeiten einer wissenschaftlichen Radium-
568 Bücherbesprechung.
therapie genügend zu kennzeichnen. Und da möchte Ref. doch darauf aufmerksam
machen, daß die gar zu breite und gründliche Darstellung der physikalischen Besonder-
heiten und der physikalischen Meßmethoden den Anfänger mehr abschrecken mag,
als nötig ist, zumal die Beschaffung des therapeutischen Agens so schon mit enormen
Schwierigkeiten verknüpft ist. Ref. glaubt vielmehr, daß, wenn nur überhaupt ge-
nügende Präparate in den Händen der Kliniker wären, unter den bereits bekannten
fundamentalen Vorsichtsmaßregeln Schäden ausgeschlossen wären, und nur häufiger
Nutzen zu sehen sein würde.
Zur heutigen Radiumtherapie gehört nicht mehr Mut und nicht mehr wissenschaft-
liche Vertiefung als zur Röntgentherapie, aber viel mehr Geld und viel mehr Optimismus.
Loewenthal- Braunschweig.
Ärztlicher Bericht aus der Heilstätte für Lupuskranke. Von A. Jungmann, Wien.
Erg.-Band zum Arch. f. Derm. u. Syph., 1911.
Jungmann gibt in dem vorliegenden Buche eine zusammenfassende kritische
Übersicht über die Tätigkeit der Wiener Heilstätte für Lupuskranke, von 1904 bis
1909, die — eine Schöpfung Eduard Langs — als Grundprinzip bekanntlich die
„universelle“ Behandlung dieser Krankheit verfolgt. Jungmann ist daher wie
kaum ein anderer berufen, die verschiedenen Methoden bezüglich ihres Wertes ab-
zuschätzen und ihre besonderen Indikationen klarzulegen. Durch zahlreiche Illu-
strationen der Fälle vor und nach der Behandlung werden die klaren, von jedem
Überschwange freien Ausführungen des Verfassers aufs beste unterstützt und die
in vielen Fällen geradezu idealen und staunenswerten Heilerfolge urkundlich be-
legt. Die beigegebenen Krankengeschichten geben einen guten Einblick in die Art
des ärztlichen Vorgehens, insbesondere auch über Vor- und Nachbehandlung und
über die Kombination der einzelnen Heilverfahren. Die erzielten Erfolge werden
sehr kritisch gewürdigt und namentlich bezüglich ihrer Dauer bemüht sich Jung-
mann einen strengen Malstab anzulegen.
Nach einer kurzen Besprechung der Heißluftbehandlung nach Holländer,
die heutzutage im wesentlichen nur noch bei schweren hypertrophischen Lupus-
formen an Händen und Füßen zur Anwendung kommt, geht Verfasser auf die
Exstirpationsbehandlung des Lupus vulgaris ein, die ja in Lang ihren
Begründer hat. Die Erfahrungen der Wiener Heilstätte erstrecken sich bis jetzt
auf 441 Fälle, bei denen 745 Lupusherde — bis zu 26 an einem Individuum —
entfernt wurden. Es wird überzeugend dargelegt, daß bei scharfer Indikations-
stellung und präziser Operationstechnik — Entfernung des lupösen Gewebes durch
Schnittführung im Gesunden, kunstgerechte Plastik — sichere Dauererfolge
zu erzielen sind. Besonders hervorgehoben wird, daß diese Methode auch im Ge-
sicht, selbst bei recht großen Herden mit vollkommenem kosmetischen Effekt an-
wendbar ist.
Hieran anschließend wird über 397 Fälle berichtet, die entweder anschließend
oder vorwiegend mit Finsenlicht behandelt sind. Auch die hiermit erzielten Re-
sultate sind außerordentlich befriedigend, sie decken sich im wesentlichen mit den
auch an anderen Instituten bisher gewonnenen Resultaten. Zur Abkürzung und
Vereinfachung der Behandlung wird entsprechende Vorbehandlung mit Pyrogallol
und Resorzin oder Röntgenlicht ev. auch Heißluft empfohlen, dagegen vor den üblen
Folgen der Exkochleation und Skarifikation usw. gewarnt. Das von Jungmann
angegebene automatische Kompressionsverfahren erleichterte die Behandlung selbst
wesentlich. Bezüglich der Indikationstellung zur Finsenbehandlung wird besonders
Bücherbesprechung. 569
bemerkt, daß fortgeschrittenere Allgemeintuberkulose eine Gegenanzeige bildet.
Die Pflege des inneren Leidens muß hier der des Hautleidens vorangestellt werden,
— Verfasser erhofft — ohne an eine Universalität des Finsenverfahrens zu glauben
— von diesem in der Zukunft, ev. in verbesserter Form, noch Ersprießlicheres als
bisher schon damit erzielt worden ist. Dazu gehört aber auch, daß das Leiden
früher als jetzt durchschnittlich und sachgemäßer vorbehandelt zur Lichttherapie
kommt, ein Postulat, dessen Erfüllung nur durch bessere Schulung der Ärzte auf
diesem Gebiete erreicht werden kann.
Dem Röntgenverfahren kommt nach Jungmann zur Zeit hauptsächlich
der Charakter eines Hilfsverfahrens zu. Für die Behandlung der so häufig mit
Lupus vergesellschafteten tuberkulösen Affektionen: Skrofuloderma, Tuberc. cutis
verrucosa, Lymphangoitis tuberc., Lymphomer, ferner beim Carcinoma in lupo
wird es für unentbehrlich gehalten.
Die mit der Quarzlampe bei Lupus erzielten Erfolge reichen nicht an die mit
Finsenlicht erreichten heran. Die größere Tiefenwirkung und mildere Oberflächen-
wirkung der Finsenmethode bilden neben der geringeren Schmerzhaftigkeit und
besseren kosmetischen Erfolge Vorzüge, die von der Quarzlampe bei weitem nicht
erreicht werden. Auch ihr wird daher wesentlich eine unterstützende Rolle zu-
gebilligt.
Von der Uviollampe wurde bei Lupus kein Erfolg gesehen, wohl aber bei
einzelnen anderen Dermatosen.
Durch Radiumbehandlung wurden bisher 2 Heilungen erzielt, im übrigen
dieses Mittel zunächst in Kombination mit anderen Verfahren besonders zur Schleim-
hautbehandlung benutzt; auch bei einigen Hautaffektionen, Skrofuloderma, Haut-
karzinom wurden Erfolge erreicht.
Die Hochfrequenztherapie leistete beim Lupus vulgaris wenig, sehr Er-
freuliches dagegen bei Lupus erythematosus.
Es ist sehr zu hoffen, daß die hervorragenden, an der Wiener Heilstätte er-
zielten Erfolge, die uns hier durch die klaren und überzeugenden Ausführungen
Jungmanns näher gebracht werden, dazu beitragen mögen, daß auch bei uns
die „universelle“ Lupusbehandlung immer mehr Boden gewinnen möge, und daß
auch die Überzeugung von der Notwendigkeit besonderer Heilstätten für diese
Volksgeißel sich immer mehr Bahn breche. G. Rost-Kiel.
Röntgentiefentherapie, ihre theoretischen Grundlagen, ihre praktische Anwendung
und ihre klinischen Erfolge an der Freiburger Universitätsfrauenklinik. Von
C. J. Gauss und H. Lembcke. Mit einem Vorwort von B. Krönig. — Verlag
von Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien 1912,
Dem Erscheinen gerade dieses Buches mußten alle Fachgenossen, die gynä-
kologische Röntgentherapie treiben, mit dem größten Interesse entgegensehen. Für
mehr wie einen schien ein unaufklärbarer Widerspruch zwischen den glänzenden,
aus Freiburg berichteten und den eigenen Resultaten zu liegen.
Von Gauss ist ja stets die Verschiedenheit der Technik für die Verschieden-
heit der erzielten Ergebnisse verantwortlich gemacht worden. Hier werden uns nun
die in Freiburg übliche Bestrahlungstechnik und das dort verwandte Instrumentarium
so ausführlich und in allen Einzelheiten dargestellt, daß jedem dadurch die Mög-
lichkeit gegeben ist, diese Technik sich anzueignen und die dort gemachten Er-
fahrungen seinem eigenen Institute nutzbar zu machen.
Auch der Werdegang dieser Technik wird uns geschildert. Die Prinzipien der
Tiefentherapie und die Möglichkeiten ihres weiteren Ausbaues werden erschöpfend
570 Bücherbesprechung.
und in einer Weise erörtert, daß diese Darlegungen auch dem Gynäkologen ver-
ständlich sind, der bisher der Röntgentherapie noch fern stand. Wir werden ein-
gehend bekannt gemacht mit den physikalischen und biologischen Versuchen, die
angestellt wurden, um die günstigsten Bedingungen für die Tiefentherapie fest-
zustellen und die die Grundlage bildeten für die jetzt geübte Bestrahlungstechnik.
Das größte Interesse für den Gynäkologen haben natürlich die klinischen
Resultate, die mittels der Röntgentherapie bei Myomen und Metropathien erzielt
wurden, können die Autoren doch über nicht weniger als 205 Fälle berichten.
Es ist dankbar zu begrüßen, daß von allen in der Krönigschen Klinik so behan-
delten Frauen kurz die Krankengeschichten mitgeteilt werden. Gerade dadurch ist
man im Stande, sich ein klares Bild von den erzielten Erfolgen zu machen. Dadurch
bekommt man auch einen besseren Einblick in die gestellten Indikationen, als lange
Ausführungen ihn zu geben vermöchten. Besonders hervorzuheben ist, daß auch
bei 5 jüngeren Frauen und bei 2 sogar in einem Alter unter 30 Jahren Amenorrhoe
erzielt werden konnte. Selbst wenn man die Frage offen läßt. ob es sich hier auch
wirklich um eine dauernde Amenorrlioe handelt, wird man anerkennen müssen, daß
ein solches Resultat bisher in diesem Alter und für eine solche Zeitdauer noch
nicht erreicht wurde.
Der Widerspruch gegen das (rausssche Bestrahlungsverfahren wird ja auch
jetzt nicht in allen Punkten verstummen. Die ganz gewaltigen Dosen, die zum
Teil verabreicht wurden, werden auch fernerhin (regenstand einer Kritik bleiben,
‚Eine Patientin bekam in wenig über 3 Monaten 2284 X, während vor noch nicht
allzu langer Zeit unter den gleichen Umständen im allgemeinen nur 30 -40—50 X
einverleibt wurden. An einem Tage wurden dieser Frau, natürlich unter aus-
giebigster Verwertung der Felderbestrahlung 549 X gegeben. 1480 X werden jetzt
als durchschnittliche Gesamtdosis angesehen.
Es sei aber auch hier ausdrücklich betont, daß Schädigungen dabei bisher
nicht beobachtet wurden. Wenn solche in ganz vereinzelten Füllen vorkamen, so
ließ sich immer als Ursache ein vermeidbarer Fehler in der Technik, resp. im In-
strumentarium nachweisen.
Trotzdem wird gerade an diesem Punkte eine Kritik des Verfahrens einsetzen
können, da derartige Fehler und Versehen immer im Bereiche der Möglichkeit bleiben
werden Für dringliche, in ihrem Leben bedrohte Fälle wird man sich zu einem
derartigen Vorgehen eher entschließen können, als zu einer prinzipiellen und ständigen
Anwendung. Soleh gewaltiyen Dosen wird man auch schon aus rein äußeren Gründen,
mit Rücksicht auf die zur Verfügung stehenden Mittel in der Mehrzahl der Institute
nur ganz vereinzelten Frauen verabreichen können.
Mag sich aber der einzelne zu den Gaussschen Ausführungen auch stellen,
wie er will, achtlos kann keiner an ihnen vorübergehen, der auf diesem (Gebiete
arbeitet. Diese Veröffentlichung gehört zu dem Wichtigsten, was bisher über
Röntgentherapie überhaupt erschienen ist.
Auch wer lediglich praktisch gynäkologische IRöntgentherapie treibt oder
treiben will, wird das Buch von Gauss und Lembcke mit dem größten Nutzen
lesen und studieren. Heynemann-Halle a. S.
1.222353
Beh RE Ab E EEE EE E dir iciöigerumiiil:
-o o. l a a ee-
LIAIR